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Nachrichten der Gießener Hochschulgese11schafi: Neunzehnter Band INHALT E. Küster: Goethe - ein Genie der Arbeit R. Buddensieg: Goethes Dichter-Sein R. Böning: Von Grundlagen und Grenzen wissenschaftlicher Seelenkunde K. Frölich: Das Rätsel der Steinkreuze (mit 4 Tafeln) R. L. Stoltenberg: Der Wein bei den Etruskern E. Küster: Zwei Jean-Paul-Handschriften W. Ranle: Röntgen als Mensch und Forscher P. Cermak: W. J. Schmidt: L. Rathcke: R.Repding: Carl Fromme Zum Gedenken an Max Berek In memoriam Friedrich Bernhard Wilhelm Gundel t Vorträge der Gießener Hochschulgesellschaft Bericht über die Hauptversammlung der Gießener Hochschulgesellschaft Biographische Mitteilungen über die Autoren des vorliegenden Bandes 1950 WILHELM SCHMITZ VERLAG IN GIESSEN

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Nachrichten der

Gießener Hochschulgese11schafi:

Neunzehnter Band

INHALT

E. Küster: Goethe - ein Genie der Arbeit R. Buddensieg: Goethes Dichter-Sein R. Böning: Von Grundlagen und Grenzen wissenschaftlicher

Seelenkunde

K. Frölich: Das Rätsel der Steinkreuze (mit 4 Tafeln)

R. L. Stoltenberg: Der Wein bei den Etruskern E. Küster: Zwei Jean-Paul-Handschriften W. Ranle: Röntgen als Mensch und Forscher P. Cermak:

W. J. Schmidt: L. Rathcke: R.Repding:

Carl Fromme Zum Gedenken an Max Berek In memoriam Friedrich Bernhard

Wilhelm Gundel t Vorträge der Gießener Hochschulgesellschaft Bericht über die Hauptversammlung der Gießener Hochschulgesellschaft Biographische Mitteilungen über die Autoren des vorliegenden Bandes

1950

WILHELM SCHMITZ VERLAG IN GIESSEN

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Nachrichten der

Gießen er Hochschulgesellschaft

Neunzehnter Band

1950

\VILHELM SCHMITZ VERLAG IN GIESSEN

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Veröffentlicht unter der Zulassung Nr. US-W 1028

der Nac:hric:htenkontrolle der Militärregierung

Copyright 1950 by Wilhelm Sc:hmitz Verlag in Gießen

Auflage 800 - Juli 1950

von Münc:howsc:he Universitäts ·Druckerei Wilhelm Sc:hmitz in Gießen

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Inhalt

E. Küster: Goethe - ein Genie der Arbeit .

H, B u d d e n s i e g : Goethes Dichter-Sein

H. B ön in g: Von Grundlagen und Grenzen wissenschaftlicher

Seelenkunde

K. Fr öl i eh: Das Rätsel der Steinkreuze (mit 4 Tafeln) .

H.L. St o lt e n b er g: Der Wein bei den Etruskern ..

E. K ü s t e r : Zwei Jean Paul-Handschriften .

W. Ha n 1 e : Röntgen als Mensch und Forscher .

P. C e r m a k : Carl Fromme . . . . . .

W. J. Schmidt: Zum Gedenken an Max Berek .

L R a t h c k e : In memoriam Friedrich Bernhard .

H. H e p d i n g : Wilhelm Gundel t . .

Vorträge der Gießener Hochschulgesellschaft

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Bericht über die Hauptversammlung der Gießener Hochschulgesellschaft 129

Biographische Mitteilungen über die Autoren des vorliegenden Bandes 146

Die „Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft" werden vom Vorstand der Gesellschaft herausgegeben. Sie erscheinen unter der Leitung von

Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst Küster in Gießen, Auf der Weißerde 7.

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Goethe - ein Genie der Arbeit. Von Ernst Küster*).

Mancherlei Umstände bewirken es, daß von einem großen Goethe-Jubiläum bis zum nächsten das Bild, das die Nachlebenden sich von dem Gefeierten, seiner Wirksamkeit und seiner Bedeutung zu entwerfen trachten, so wechselnde Züge annimmt. Je größer die Reihe der Jahre wird, die uns von Goethe trennen, um so wirk­samer wird gleichsam die atmosphärische Schicht, hinter der wir Goethes Erscheinung sehen. Eine Art Luftperspektive macht sich geltend, die auf alles, was wir von Goethe wahrzunehmen im­stande sind, ausgleichend wirkt. Nur die markantesten Züge seiner Erscheinung prägen sich uns noch ein, und die zeitliche Ferne, in die sie rückt, nimmt vielen seiner Äußerungen und Handlungen einen Teil der Bedeutung, die man ihnen früher beizumessen geneigt war.

Herman Grimm, der vier Jahre vor Goethes Tod geboren war, konnte noch schreiben, daß er in seiner Jugend sich von Men­schen umgeben gefühlt habe, die fast alle persönlich mit Goethe verkehrt hatten. Ich rechnete, sagt er, mich selbst dazu, als sei mir dieses Vorrecht durch eine Art von Erbschaft zuteil geworden. Uns Heutigen kommt ein solches Recht nicht mehr zu. Die per­sönlichen Beziehungen, von welchen Herman Grimm spricht, sind längst verloren gegangen, und zuweilen möchten wir uns an diejenigen erinnert fühlen, die Goethe allmählich zu einer mythischen Figur werden sehen und gerade einer zum Mythos gewordenen Erscheinung eine besonders nachhaltige Wirkung auf die deutsche Seele prophezeien.

Der Wirkung der Zeit, die den in ferner Vergangenheit ge­suchten Goethe zum Mythos werden läßt, steht eine andere gegen­über, die Goethes Erscheinung immer klarer, ihre Züge immer

•) Ansprache zur Goethe-Feier der Stadt Gießen am 28. August 1949.

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schärfer abzeichnet. Die Forschungsrichtung, die man - zuweilen mit leisem Spott - Goethephilologie genannt hat, hat nicht nur belanglose Einzelheiten über Goethes Tun und Lassen zutage gefördert, sondern auch mit soviel wichtigen Dokumenten, mit neuen \Yerken, unbekannten Briefen und Gesprächen Goethes be­kanntgemacht, daß unser Urteil über seine Persönlichkeit sich wesentlich ündern und vertiefen rnuflte. Kein Zweifel, -- Goethe war nicht nur der Liebling des Olymps und des Pernasses, dem alle Götter huldreich waren und alle Göttinnen lächelten; er war zugleich em :\Iann der mühevollen Arbeit, der Sorge tmd des Leides. Alles gehen die Giitter. die unendlichen.

Ihn•n Lieblingen ganz. Alle Freuden. die uneudlichen, Alle Schmerzen. die unendlichen, ganz

So schrich Goethe an die Grüfin Auguste von Stolberg in seiner frühen \\'cimarer Zeit. Drückendes Leid lastete in den spüteren .Jahren auf ihm. Die Sorge, die den \\'eg durch das Schliisselloeh findet, ist an dem Haus am Frauenplan keineswegs vorüber­gegangen. Divse Art. den von einer vergangenen Epoche hewun­dPrten Olympier zu sehen, ist freilich nicht durchaus neu. Schon Carlyle hatte erraten, was für ein tiefes Leid in Goethe gelegen haben muß; nur Leid könne seinem Dichten die Tiefe gegeben haben, die wir an ihm bewundern. Und die andere Voraus'!etzung 1ür sein großes \Yerk war Goethes Fleiß, sein mühevolles Arbeiten, sein Arbeiten aus Leidenschaft. Das Leid senkte ihn in die Tiefe, die Arbeit hoh ihn aus dieser voll Seligkeit in den Himmel der Gültcr; von ihr spricht er in allen seinen \Yerken zu uns -- laut und vernehmlich, mit dankbarem Verständnis und weltweiser ~Iahnung und jubelndem Ruf. -

\\Ter über die Kinder- und Schuljahre Johann \Volfgangs und ihr Arbeitsprogramm unterrichtet ist, wer die Tagebücher des alten Goethe in Erinnerung hat, seine Mitteilungen über die Aus­nutzung aller Stunden, z. B. während der italienischen Reise, oder Eckermanns Schilderungen über den Ablauf der Goelheschen Arbeitstage kennt, wird es nicht wunderbar finden können, wenn in Goethes Schriften fortwährend Ermahnungen zur Tütigkeit

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ausgesprochen werden und 'Vorte über die segensreiche 'Virkung der Arbeit.

„Gebraucht die Zeit, sie geht so schnell von hinnen." Es ist Mephistos Rat; aber die \Vorte sind Goethe ganz und gar aus der Seele gesprochen. Vielleicht klingen seine Mahnungen hie und da ein wenig lehrhaft, wenn er zu unablässiger Tätigkeit mahnt. „Es ist besser, das geringste Ding von der \Veit zu tun, als eine hallH' Stunde für gering achten." l'nter keinen l'mständen Leerlauf nnd Müsiggang! Es sind Sternes \\'orte, die Goethe einmal für sich 'or­gcmerkt hat. Im Tagebuch (177~}) heißt es einmal: „Eh•nder ist nichts, als der behagliche Mensch ohne Arbeit."

Aus dem bürgerlichen Hat wird die Lebensregel: „Tiitig zu sein ist des Menschen erste Bestimmung", so lesen wir in \Vilhelm Meisters Lehrjahren, die über Goethes Vorstellung vom tütigeu Menschen und seinen Pflichten ausführlich Auskunft gehC'n.

Aus der TiiligkC'it wird die das Leben des :\Iensclwn füllende, sein Verlangen befriedigende Arbeit. Je :\lehr Arbeit sich in den Tag füllen läfH, desto höher steigt sein \Vert. Laßt den ,\rbeits­tag noch vor dem Sonnentag beginnen!

„Tag vor dem Tage! Göttlich werde du verehrt: Denn aller Fleiß. der männlich schätzenswerteste. Ist morgendlich."

\Vie Prometheus in der Pandora war auch Goethe ein Morgen­arbeiter. Die Arbeit hallt sich schließlich zur Tat. Dein Leben, so malmt uns Goethe. sei .. Tat um Tat."

„Die Tat ist alles, nichts der Ruhm", sagt Faust (2. Teil, 'i. Akt) und im \Vanderlied aus \\~ilhelm Meisters \Vanderjahren lesen wir die Mahnung:

Und dein Streben, sei's in Liebe, Und dein Leben sei die Tat.

Vor der Allmacht der Tat neigt sich Goethe zu jeder Stunde. So kann es uns nicht überraschen. daß Goethe-Faust hei '>einen Bemühungen, das Evangelium Johannis in sein geliebtes Deutsch zu übertragen, für den Logos, der am Anfang war, keine zutref­fenderer Verdeutschung findet, als die Tat. Sie ist und hleibt das Entschendende, und da sie das ist, so kann gelegentlich auch „aus

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einem tätigen Irrtum etwas Treffliches entstehen, weil die \Vir­kung jedes Getanen ins Unendliche reicht". (Kunst und Alter­tum II, Heft 3, 1820.)

Der Drang zur Tätigkeit ist für Goethe das vornehm3te Kenn­zeichen des Geistigen im Menschen: er trägt diesen Drang als etwas Götlliches in sich und hat ihn mit allen Geistern gemeinsam. Denken Sie an Faust: im ersten Teil der Tragödie ist es der Erd­geist, der mit seinem Tätigkeitsdrano sein wichtiges Kennzeichen bekommt:

„Der du die ganze \Veit umschweifst, Gescbiiftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir"

sagt Faust \'Or dem „schrecklichen Gesicht" des „\Velt- und Taten­genius"; aber der Erdgeist lehnt solche Annäherung ab: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst" von Faustens chaotischem Drängen und zügellos-ruhelosem Schweifen will der Erdgeii;t nichts wissen; denn solch ungeordnetes Streben taugt nicht, der „Gottheit lebendiges Kleid" zu wirken.

Und im zweiten Teil wird der Homunkulus, das künstliche Menschlein, das Mephisto als seinen Vetter begrüßt, zum Träger desselben geistigen Dranges. Noch in Phiole und Hetorte einge­schlossen, verlangt der Geist nach Betätigung: „Die weil ich bin, muß ich auch tätig sein." So wie Gott und wie die Geister, so die Natur selbst, die Natur als Ganzes, die wirkende Natur, die natura naturans, die in der Unermüdlichktei, mit der sie „ewig neue Gestalten schafft", der Welt das „Leben als ihre schönste Er­findung" schenkt.

Tätig sein und arbeiten, ist des Menschen Pflicht: eine weitere, nicht minder wichtige ist es, der Arbeit ein würdiges Ziel zu geben. Faust spricht einmal in der Tragödie zweitem Teil, 5. Akt:

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„Ich bin nur durch die Welt gerannt; Ein jed Gelüst ergriff ich bei den Haaren; Was nicht genügte, ließ ich fahren; Was mir entwischte, ließ ich ziehn. Ich habe nur begehrt und nur vollbracht Und abermals gewünscht und so mit Macht Mein Leben durchgestürmt."

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Vom hemmungslosen und ungeordneten Arbeiten, vom chaoti­sch verströmenden Tätigkeitsdrang ist der Faust erfüllt, der dem Herrn noch in der Verwirrung dient, wie der Prolog im Himmel es sagt.

Goethe, der Mann des praktischen Lebens, des zielbewußt und weltklug handelnden Lebens, war der Mann des geordneten Ar­beitens; er forderte, daß jegliches Arbeiten ein wertvolles Resultat zeitige, und wußte, daß solches Ziel nur durch Konzentration und Beschränkung gesichert werden kann. „Tätig zu sein, ist des l\1en­schen erste Bestimmung", lesen wir in \Vilhelm l\1eisters Ldir­jahren; „es ist, fährt Goethe fort, jetzo die Zeit der Einseitig­keiten", daß ein Mensch etwas ganz entschiede verstehe, vor­züglich leiste, darauf kommt es an." .. Allem Leben, allem Tun, aller Kunst muß das Handwerk vorausgehen, welches nur in der Beschränkung erworben wird. Eines recht wissen und amiiben, gibt höhere Bildung, als Halbheit im hundertfältigen", lesen wir in den \Vanderjahren, Buch I, Kap. 12. Nur durch Beschränkung auf ein kleines Gebiet aber kann die Sachkenntnis erworben wer­den, die zu nüczlicher Arbeit befähigt. Zur Beschränkung nötigt uns aber das bescheidene Maß von Kraft, das dem Menschen zuteil wird. Entsagung auf persönliche \Vünsche wird vollends überall da notwendig, wo Vereinigung mit anderen Arbeitenden unerläßlich wird. In den Gesprächen mit Eckermann hat Goc>the ähnliche Gedanken wiederholt zum Ausdruck gebracht.

Wir brauchen nicht zu fürchten, daß Goethe mit seiner Mah­nung zur „Einseitigkeit den Wißbegirigen und Lernwilligen a 11 zu enge Grenzen hätte ziehen wollen. Ich möchte das einem klar ins Auge gefaßten Ziele zustrebende Arbeiten ein lineares nennen; für sich selbst hat Goethe niemals ein anderes als ein dreidimensionales anerkannt. Diesen Ausdruck darf ich mir ge­stalten, nachdem Goethe gefordert hat, man möge die Gesamtheit seiner Schriften als die „Erzeugnisse eines Talentes, das gleich­zeitig aus einem gewissen Mittelpunkte sich nach allen Seilen hin versucht habe, verstehen und würdigen". -

Die Ziele, die Goethe der Arbeit setzt, können verschieden sein, vor allem soll die Arbeit nützen und anderen Menschen dienen:

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\Vo wir l\ ü tzliches betreiben, Ist der werteste Bereich -

lesen w1r in den \Vanderjahren.

Der edle Mensch Sei hilfreich und gut; Unermüdlich schaff er Das l\ützliche, Rechte.

Uas zynische \Vort: ubi bene, ibi palria - läßt Goethe nicht gelten. Es sollte nach ihm heißen: „wo ich nütze, ist mein Valer­land. „ .• \\' enn ich nun sage, trachte jeder überall. sich und andern zu nützen, so ist dies nicht etwa Lehre noch Rat, sondern der Aus­spruch des Lebens selbst." (\Vanderjahre.I

Uni so glünzender aber leuchtet der Erfolg menschlicher Ar­beit, je größer der Kreis sich spannt, dem durch sie geholfen wird, und je lünger die Zeit wird, in der solche Hilfo wirksam ble;bt. riie großartige Apotheose des '.\Iannes, der Arbeit und Leben in den Dienst <.;O hoher sozialer Aufgaben gestellt hat, bringt uns der zweite Tt'il der Faust-Dichtung, die Szene, in welcher Faust von dem durch seine Arbeit dem \Vattenmeere abgerungenen Lande spricht:

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,.Das letzte wär das Höchsterrungene. Eröffne ich Hiiume vielen Millionen nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen. Grün das Gefilde, fruchtbar; '.\lcnsch und Herde Sogleich behagiich auf der neusten Erde, Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft, Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft. Im Innern hier ein paradiesisch Land. Da rase draußen Flut bis auf zum Hand, Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen, Gemeindrang eilt, die Lücke zu Yerschließen. Ja, diesem Sinne bin ich ganz ergeben. Das ist der \Y cisheit letzter Schluß, '.\'ur der verdient sich Freiheit '' ie das Leben, Der tiiglich es erobern muß.

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l'.nd so verbringt, umrungen ,·on Gefahr, Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig .Jahr Solch ein Gewimmel möcht ich sehn, Aus freiem Grund mit freiem Volke stehn."

Nirgends in der deutschen Dichtung ist die Arbeit am Volk so beredt, so schwunghaft gefeiert worden wie hier. Den Nut1en, den eine Arbeit bringt, erntet nicht nur derjenige, dem das Produkt der Arbeit zufällt, auch <ler Arbeitende selbst wird heglücht und innerlich reich; diP Arbeit wird zur Trösterin.

Im Diwan lesen wir: „\Vas verkürzt mir die Zeit Tätigkeit! \Vas macht sie unerträglich lanwJ Müßiggang!··

„Seelenleiden. in die wir durch l'.nglück oder eigene Fehler geraten, sie zu heilen, vermag der Verstand nicht, die Vernunft wenig, die Zeit viel; entschlossene Tätigkeit hingegen alles' ("'il­helm ·Meister).

Auch die soziale Bedeutung der Arbeit. auf die soeben das Zitat aus Faust gewiesen hat, beruht icht nur ·auf den für viele ge­wonnenenen materiellen \\' erten, sondern nicht weniger auf der wohltätigen \Virkung der Arbeit auf die Psyche der :\lasse. In „Palaeophron und Neoterpe" lesen wir einige Zeilen. an die wir in den stürmereichen letztvergangenen Jahren so oft zu denken Ver­anlassung gehabt haben:

„Ihr Bürger, merket auf mein wahres \Vort! Die Tätigkeit ist' s, was den .'.\lenschen glücklich macht. Die erst das Gute schaffend, bald ein Übel selbst Durch göttlich wirkende Gewalt in Gutes kehrt. Drum auf beizeiten morgens! Ja, und fändet ihr, \Vas gestern ihr gebaut, schon wieder eingestürzt, Ameisengleich nur frisch die Trümmern aufgeräumt! Und neuen Plan ersonnen, Mittel neu erdacht! So werdet ihr. und wenn aus ihren Fugen selbst Die vVelt geschoben in sich selbst zertrümmerte, Sie wieder bauen, einer Ewigkeit zur Lust."

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Die Forderung, anderen zu nützen, gibt der Arbeit höchste Be­deutung; aber keine geringere und zumal für Goethe selbst stets maßgebende Bedeutung bringt schon der beglückende Gedanke an Fortschritt und \Verkvollendung. Goethe hat keineswegs ver­schwiegen, daß die Frage, wie kann ich dem Ganzen nützen, ihn 1'.elber bei seinen schriftstellerischen Arbeiten nie beschäftigt, viel­mehr stets nur der \Vumch beseelt habe, den Gehalt der eigenen Persönlichkeit zu steigern. ?\icht nur die Vollendung eines \Verkes, schon der Blick auf kommende Arbeit und bevorstehende Gelegen­heit, bei der Bewültigung neuer Aufgaben seine Kräfte zu messen und zu stählen, läßt „junges heiliges Lebensglück" durch seine Adern rinnen. \Vie köstlich bleibt der Gedanke. soviel Zeit vor sich zu haben zum Schaffen: Tempus meae divitiae. tempus ager meus. Das alle \Vort scheint GoPthP viel beschäftigt zu haben: Das reiche :\faß von Zeit. das mit Arbeit zu füllen Pflicht und Freude ist. bleibt sein Schatz.

„~1ein Erbteil. wie hnrlich weit und breit, Die Zeit ist mein Besitz, mein Acker ist die Zeit."

Als Jpan Paul einmal ein wenig weinerlich sagte, daß dem Menschen nur dritthalb Minuten für sein Dasein gegönnt wären, mitten in der dritten würde er schon abberufen, da widersprach Goeihe gar temperamentvoll:

Ihrer sechzig hat die Stunde, Mehr als tausend hat der Tag,

Söhnlein, merke dir die Kunde, Was man alles wirken mag!

Diese Verse schrieb er seinen Enkeln ins Album und in den Zahmen Xenien lesen wir:

\Vie mag ich gern und lange leben? Muß immer nach dem Trefflichsten streben! Des unerkannt Treffliches wirket soviel

Und Zeit und Ewigkeit legt ihm kein Ziel.

Überall spricht das Vertrauen zur Zeit: sie ist lang genug, nützt sie nur aus!

Zwischen heut und morgen Liegt eine lange Frist.

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Lerne schnell besorgen, Da du noch munter bist.

\Ver noch in späten Jahren von so vielen Vorhaben sich erfüllt und stürmisch bedrängt fühlt, hat nicht immer Zeit, an den Tod zu denken:

Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann. Die Nacht tritt ein, wo niemand wirken kann.

Diese Unermüdlichkeit Goethes spiegelt sich in einer kleinen Geschichte, die Eckermann einmal erzählt, freilich nur eine ge­lriiumte Geschichte. Eckermann war ein fleißiger Träumer. Er erzählt vor Goethe, daß man ihn, Goethe, letzthin totgesa~t h.:tbe; da sei Goethe aufgebraust: „Tot? \Vie soll ich denn tot sein7" Ein geträumtes Geschichtchen! Aber Eckermann hätte es nicht ge­träumt, noch weniger mitgeteilt, wenn die Antwort nicht dem wirklichen Goethe entsprochen hätte.

Ist Goethe nun seiner Auffassung von der Unermüdlichkeit unseres Arbeitsdranges bis zum Ende seines langen Erdendaseins treu geblieben? Nach Vollendung des zweiten Teiles des Faust sagte er (1831) zu Eckermann einmal: „l\Iein ferneres Leben kann ich nunmehr als ein reines Geschenk ansehen, und es ist jetzt im Grunde ganz einerlei, ob und was ich noch etwa tue." Diese Stim­mung der Gleichgültigkeit und Resignation, die an Faustens Unter­gang erinnert, war aber nicht mehr als ein vorübergehender \Yol­kenschatten. Später bekannte sich Goethe immer wieder 1u seiner Arbeitslehre und noch fünf Tage vor seinem Tode schrieb er seinen letzten Brief; der war an \Vilhelm von Humboldt gerichtet· „Ich habe nichts angelegentlicher zu tun, als dasjenige, was an mir ist und geblieben ist, womöglich zu steigern und meine Eigen­tümlichkeiten zu kohobieren", wie man es bei der Herstellung ätherischer Essenzen tut, wenn man frischen Pflanzenstoff in das gewonnene Öl schüttet, um es noch gehaltvoller zu machen.

Durch solche Unermüdlichkeit glaubte Goethe. einen geheim­nisvollen Zwang auf das Schicksal ausüben zu können; ,.denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke. so ist die Natur wr­pflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag". So wurde

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rastloses Arbeiten für Goethe zu einer Bürgschaft des ewigen Le­bens. Den Gedanken. daß unermüdliches Arbeiten über die ein­malige und irdische Existenz des Menschen hinaus zu wirken ver­mag, dürfen wir vielleicht auch aus den faustischen \Vorten her-auslesen:

\Ver immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. --

Oder aus den schönen Versen, die uns in den letzten Jahren so oft gute Tröstung gereicht haben, und in welchen Goethe von den überirdischen Kronen spricht. die den Tätigen lohnen.

Goethe forderte nicht nur Arbeit bis ins hohe Alter und bis zum Ende des Lehens; er forderte zugleich immer höher ge­steigerte Sublimierung der Arbeit: immer Besseres, immer „Reine­res" oder Verfeinertes sollte geliefert werden. In solchen \Vorten klingt etwas vom Metamorphosengedanken mit, auf welchen Goethe durch die Betrachtung des pflanzlichen Organismus ge­bracht worden war und den er so gern auch zur Erläuterung geistiger Wandlung und Vervollkommnung heranzog. Über allen Tugenden steht Goethe das Streben nach oben, der unersättliche \Ville nach immer größerer Reinheit, \Veisheit und Güte.

Auch unabhängig vom Metamorphosengedanken hat Goethe hin und wieder naturwissenschaft1iche Beobachtungen und Lieb­lingsgedanken in seine Lehre vom Arbeiten geflochten; doch würde es zu weit führen, diesen Beziehungen nachzuspüren.

Durch die Zuversicht, mit der uns Arbeit und unermüdliches Schaffen selbst über unser Leben hinaus bis ins Jenseits blicken lassen, wird die Arbeit zu einer Trösterin eigener Art, nicht nur im Zeitlichen, auch für das überzeitliche; sie sichert uns Gaben, wie sie nur aus der Hand der Hoffnung dem Menschen gereicht werden.

Ich weiß. - Goethe hat über die Hoffnung und über das, was sie dem Menschen bedeutet, nicht immer im gleichen Sinne sich geäußert; seine Freundin nennt er sie in dem der Phantasie, seiner Göttin, gewidmeten Versen:

0, daß die erst Mit dem Lichte des Lebens

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sich von mir wende, die stille Treiberin, Trösterin Hoffnung.

\\' enn Goethe bis zu seinem letzten Atemzug auf diese Tröstung rechnen durfte, so war es ganz gewiß seine Auffassung von der Arbeit als Lebenslicht und Lebensfreude, die ihm die erbetene Treue gesichert hat. -

Zum Schluß darf ich mich noch mit einem Wort an die Jugend wenden und über die Jugend sprechen. Als wir vor 17 Jahren den letzten großen Goethe-Feiertag begingen, sagte Hermann Hesse, dessen innige Verbundenheit mit Goethe Sie kennen, daß die deut­sche Jugend von Goethe kaum noch etwas wisse, vermutlich des­wegen, weil seine Kunst ihr auf der Schule allzu empfindlich ver­leidet worden wäre. „ Wenn ich ein Schule oder Hochschule zu leiten hätte, sagte Hesse, so würde ich die Lektüre Goethes ver­bieten und sie als höchste Belohnung den Besten, Reifsten, \Vert­vollsten vorbehalten; sie würden mit Erstaunen entdecken, wit: unmittelbar er den heutigen Leser vor die große Frage des Heute stellt, vor die Frage Europas."

Inzwischen sind fast zwei Jahrzehnte vergangen; schwere Er­lebnisse haben uns vor die Frage eines neuen Heute gestellt und die Frage Europas in einem vorher niemals empfundenen Sinne brennend werden lassen. Es ist schwer, für eine ganze Generatidn der Jugend das Verhältnis zu Goethe zu beurteilen; indessen will gar manchem scheinen, daß dieses in den letzten Jahren. auch in den des Krieges und der Nachkriegszeit keineswegs lockerer gc­word(.n ist. :Möchte eine solche Annäherung wirklich bestehen und sich mehr und mehr vertiefen! Sie wird namentlich d:mn reiche Früchte tragen, wenn Goethe als der rastlos Arbeitende unser Lehrmeister wird und bleibt.Goethe suchte nicht nur die Pyramide seines Daseins so hoch wie möglich zu türmen und versuchte nicht nur in allen Schachten des \Vissens immer tiefer zu graben, er hat niemals vergessen, daß vor dieses wie jenes Ziel die Götter den Schweis der Arbeit gesetzt haben. „Immerfort arbeiten, unausg.~­setzt lernen!" Sein Grundsatz war, daß man an keiner Quelle vorübergehen dürfe, ohne aus ihr zu schöpfen. Er schöpfte aus

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der Natur und ließ sich von den Menschen, geben, was sie zu gehen hatten. Von Emerson, dem amerikanischen Dichter und G·Jetheverehrer, stammt das \Vort, daß Goethe den Menschen niemals anders als mit der Frage gegenüber getreten sei. ,.Was kann ich von dir lernen?" Eben diese Frage macht klar, wa-. wir \Oll Goethe lernen wollen. Auch wir wollen unsere ganze Umwelt prüfen :rnf das, was sie uns lehren und 1u lernen gehen kann. Nicht bloß die Menschen, die uns täglich nalw -;ind und deren Denkweise schon längst die unsrige geworden ist, sondern auch gPgemiber den Vertretern fremder Völker und fremder Kultur­kreise wollen wir fragen: \Vas kann ich von Dir lernen'? - - l\fan hat Goethe als Representanten deutscher Art gelobt und zugleich den ersten wirklichen Europäer genannt. Auch wir vollen ver­suchen, unserem Vaterlande zu dienen, indem wir uns wie er in das vertiefen, was wir bei anderen finden und von ihnen lernen können.

Ein edler Mensch kann einem engen Kreise Nicht seine Bildung danken; Vaterland Und \V eil muß auf ihn wirken.

So lesen wir im „ Tasso", und dasselbe lesen wir in Goethes eigenem Tun, in seinem Verhalten zu den großen Gaben fremder Länder und Nationen. Besonders klar hat er seine Gedanken hier­über in den Gesprächen mit Eckermann zum Ausdruck gebracht, in welchen Goethe - derselbe Goethe, der den Begriff der \Vclt­literatur schuf -- vor der Beschränkung auf die geistigen Erznug· nisse des eigenen Landes warnt: „Aber freilich, wenn wir Deut­schen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umgehung hinausblicken. so kommen wir gar zu leicht zu ... pedantischem Dünkel.'·

Die Zukunft decket Schmerzen und Glücke Schrittweis dem Blicke: Doch unerschrecket Dringen wir vorwärts

an seiner Hand. in seinem Geiste. mit seinem Glauben mit dem mwrschiitkrlichen Glauben an '.\lacht und Segnungen der Arbeit.

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Die Hochschätzung der Arbeit wollen wir von ihm lernen - ja, das wollen wir tun. Zugleich aber feierlich die Tage begehen, deren Reihe mit dem heutigen Geburtstag anhebt. Das hieße gewiß in Goethes Sinne handeln, - er hat gar viele Feste gefeiert und feiern helfen und feiern lassen. Über allen Feiern und festlichem Getriebe steht ein herrliches Goethewort; er hat es dem Pro­metheus in der Pandora in den Mund gelegt; es schimmert wie ein Gestirn, es leuchtet über uis wie eine unirdische Krone, die nach Goethe dem Tätigen verheißen wird:

Des echten Mannes wahre Feier ist die Tat.

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Goethes Dichter-Sein Von Hermann B u d den sie g

Spätzeit

Als Goethe 17 4H geboren wird, lebt noch Johann Sebastian Bach. Bach wurzelt unangefochten in der Welt des Christen­tums. Jesus Christus ist ihm der Retter, der Heiland, der die Sünden derer tilgt, die sich zu ihm bekennen. Das Soli Deo gloria gibt seiner Musik, der geistlichen, aber auch noch der weltlichen, das Festliche, Zwingende, Gesetzesstrenge. Noch schafft sich in der Barockzeit fürstlicher Glanz Schlösser und Parks, die Licht atmen, \Veite und Schönheit. Dominicus Zimmermann, Balthasar Neumann und die Brüder Asam bauen berauschende Kirchen, Zweifel überjubelnd in prachtreichem Schwung. Tiepolo malt im Treppenhaus des Schlosses zu \Vürzburg sein in Duft, im Zauber der Farbe und in Musik erklingendes Deckengemälde.

Aber schon birgt die Welt Gegenkräfte. Die Naturwissen­schaften haben sich von ihrem religiösen Ursprung gelöst, die Philosophie hat die Macht des Subjekts erkannt. Mit Skepsis, ja, mit Ironie, mit einer „vorurteilslosen" Geistigkeit will man das überlieferte prüfen vor dem Thron der selbstmächtigen Vernunft. Man will „aufklären", die „Finsternis" abgelebter Zeiten erhellen und neudrängende, fortschrittliche Kräfte freisetzen. Voltaire und die Enzyklopädisten wirken hier, in seiner Weise auch Housseau. Schon kommt jene Geistigkeit herauf, die später Führer und Mas­sen der französischen Revolution ergreift und die \Velt erschüttert. Der Staat Friedrichs des Großen steht zwar noch in unangefoch­tener Selbstgewalt. Der König aber huldigt schon einer Geistigkeit, die, ohne daß er sich dessen bewußt wäre, schließlich doch den Zusammenbruch der alten Ordnung fördert.

Eine \Vende bahnt sich hier an, wie sie sich in jedem Kultur­bereich vollzieht. Das 18. Jahrhundert ist eine einzig fruchtbare "'eltenstunde. Allerorts schafft eine erstaunliche Fülle hochbe-

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gabter Menschen. In ihnen bezeugt sich die Wende der Kultur des Abendlandes, gefahrenreich, doch auch zukunftsträchtig - eine \Vende, in deren Fortwirken wir heute noch leben. Die Schatten, die auf die überlieferten Mächte und ihre \Verte fallen, werden freilich immer tiefer, immer dunkler.

Viele Jahrhunderte hindurch war unstreitig das Christentum, das heißt die Religion, die sich aus der Guten Botschaft des Men­schensohnes als Mysterium, Glaube und Lehre in Vielgestalt ent­faltet hat, unstreitig war das Christentum bislang der einende Grund der Kultur des Abendlandes. Aus ihm nährten sich das soziale Leben, die bildenden Künste, die Poesie und die Musik, die Philosophie und die \Vissenschaften. Die kulturbildende und kul­turwandelnde Macht des Christentums wird aber durch die neu­aufbrechenden Lebens- und Geistesströmungen bedrängt. Betrach­ten Sie bitte die im 19. Jahrhundert gebauten Kirchen oder Ein­und Umhauten von Kirchen nach der Barockzeit und dem Rokoko: entbehren sie nicht eines allbelebenden Stiles? Und wo in den Kirchen altgeheiligte Motive neu dargeboten werden, fehlt ihnen der tiefgeheime Glanz von einst, die zwingende Gewalt der Ge­wißheit, die auch den Andersgläubigen mit Staunen und Bewun­derung erfüllt. Dichtung, Musik und Malerei entfremden sich mehr und mehr dem christlichen Glaubens- und Lebensgrunde, und auch das soziale Gefüge wird von Mächten bewegt, die außer­halb der Vorstellungs- und Schaffenswelt christlicher Bekenntnisse wachsen. Ja, wieviele der in den letzten zweihundert Jahren ge­borenen weltbewegenden Gestalten wurzeln noch in ihrem Eigen­sten eindeutig im christlichen Glaubens- und Lebensgrund? So brennt ein \Viderstreit zwischen den Forderungen eines christ­lichen Lebens und denen eines anderen Gestaltgrundes. Viele leisten jetzt auf eine Einheit ihrer \Veit Verzicht, wie als wäre das die Forderung und Sehnsucht überlebter Tage. Das Christentum, soweit es nicht in Kirchen und Gemeinschaften gepflegt und ge­hütet wird, ist aus einer beherrschenden nun immer mehr zu einer Macht unter anderen Mächten geworden. Als Atmosphäre aber bleibt „Christliches" auch denen noch, die sich seiner Substanz entfremdet haben, und säkularisiert wirkt es nach.

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Nun sind der Einzelne wie kleine gleichgesinnte Gemeinschaf­ten, sofern sie nicht im Hergebrachten, mehr oder minder fraglos Überlieferten beharren, wie als wäre nichts \Vendendes geschehen - nun sind diese gezwungen, sich eine umfassende Welt neu zu erkämpfen im \Viderstreit und im Einklang mit dem Alten und mit dem Neuen. Früher bot eine geschlossene \Veit Hilfe und Hichte, jetzt wird alles \Vagnis: nur die überlegen Begabten -wie Goethe 1825 zu Eckermann sagt - „wissen eigentlich noch, worauf es ankommt". \Vie Monaden, wie in sich abgeschlossene eigene \Velten, ringen sie, rufen sie, bemüht, einen neuen Gehalt in sich zu verkörpern: das ist ihre Not; es ist freilich auch ihre Größe.

Goethe gehört einer solchen \Velt fordernder Mächte und Gegen-Mächte an. Er gibt sich im \Vechselgang seines Lebens ihnen hin, und doch verschreibt er sich, verfällt er keiner. Eines nur bleibt ihm in allem Mühen und Irren, in aller Vollendung die Richte: sein Daimon, sein „Talent": sein Dichter-Sein.

Früh schon wird Goethe inne, daß die Nöte, die er überwinden muß, nicht nur seine persönlichen sind: er spürt die Gefahren, aber er gewahrt, daß in ihm Geheim-Gesetzliches waltet, und die­ses gerade bewahrt ihn in allem \Vagnis mit einer bewunderns­würdigen, fast nachtwandlerischen Sicherheit vor dem Verstiege­nen und Verfratzten, vor der Verzweiflung und dem Scheitern wie vor der Flucht in verlockende Formen. In dieser errungenen Freiheit neuer, echtlebendiger Bindung ist Goethe ein Weltereignis. fJie Gestalt, zu der er sich in der Gunst der Götter vollendet, ist beispielgebend für alle, die sich im \Vagnis um ein fruchtbares Leben mühen. Nicht das Einzelne seines unwiederholbaren, un­gewöhnlichen, auf den Höhen sich erfüllenden Geschickes ist für den Nachgeborenen das \Vichtigste, ja nicht einmal das Was der von ihm geschaffenen \Verke, vollbrachten Taten und bezeugten 1

Gespräche: entscheidend ist das \V i e, aus welchen Kräften heraus Goethe sich müht und sich vollendet, umdrängt von Versuchungen, bestürmt von den \Vogen und Brandungen der Barbarei.

Das ist das h'.ennzeichnende der Weltwende des 18. Jahrhun­derts, daß da Menschen wirken, die weder an das Alte gebunden

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bleiben, noch dem Geist der Aufklärung als der Gesinnung ihres Lebens gegeben sind. In dieser Epoche wird das Verknöcherte, Nüchterne, das oft nur Scheinlebendige der alten Ordnung vor­wärtsdrängenden, ernst gegründeten Geistern offenbar. Indem sie im Sturm und in klarer Besinnung durch die Komention der überlieferten Formen hindurchstoßen, dringen die Lebendigsten, die Seinsmächtigsten zum Ursprung jener Bereiche, welche die Kultur des Abendlandes formten. Im Durchbruch zu den Quell­gründen durch alle verhärteten, wenn auch mit dem verführeri­schen Glanz alt-erfahrener Mächte sich darbietenden Formen, ge­wahren sie Ursprüngliches noch in dem angeblich überlebten und Totgeglaubten.

Von denen, die aus den Quellen sich zu nähren vermögen, ist einer der leuchtendsten und ursprünglichsten Goethe. In ihm ist dem Aion ein Bote der Götter erschienen: ein Dichter.

Der Dichter

Goethe lebt also diese \Vende und die durch sie bewirkte Krise in Abwehr und Angriff und in der Gestaltung des Neuen als Dich­ter. Das Dichter-Sein als ursprüngliche Seins-Offenbarung ist Goethes Einzigart und Größe. Und zwar ist Goethe in einem so umfassenden Sinne Dichter, wie seither noch nie ein Dichter der "' elt erschien. Ergreifend ist Gehalt und Gewalt der Dichtung Homers, des Aischylos, Dantes, Shakespeares, des Cervantes, Molieres. Ihr Bild des Menschen in Schicksal und Schuld, in Grauen und Größe ist grund-gültig. Die Spützeit aber, in der Goethe wirkt, gibt dem echten Dichter ein umfassenderes Amt 3ls je zuvor. Der Dichter bekundet sich hier nicht allein in Versen, Geschichten und Berichten, als der Poet, der das ihm Überlieferte im Sang staunenden Enkeln bewahrt oder im schönen Schein die \Veit verklärt. Hier trifft nicht Nietzsches \Vort: „Nur Narr, nur Dichter!" Gewiß: es wird immer das entzückende, in Innigkeit und Schöne, in Lust und Schwermut strömende Lied geben. Aber nachdem die verbindliche Ordnung, die Hierarchie der \Verte fragwürdig wurde oder gar zerbrochen ist, offenbart der Dichter der Spätzeit, sofern er Fährnis und Krankheit der Krise fruchtbar

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überwand, eine eigene \V elt, geründeter, gegründeter als sie sonst irgendwo im \Vagnis erscheint. Das erst macht ihn zum Dichter, nicht die Gewandtheit des Verses oder das Ungewöhnliche seiner Phantasie. Nicht im Bild, das in Farbe und Form entzückt, nicht im Klang, der entrückt oder aufreizt, nein, im \Vagnis des \Vorts, das deren beider Zauber birgt, im Entscheidung heischenden \Vort des Gesetzes und des Gerichts, das aller \Velten Anfang und Ende ist, eint der Dichter neu \Viderstreitendes und \Viderstrci­tende vom Grunde her. Indem er ihn offenbart, wirkt er \Vand­lung. wirkt er \Viedergeburt in dem, der sich in seinem \Vorl erkennt.

Goethe stellt an den Dichter die höchsten Anforderungen. Er fordert von ihm „ Tiefe, Breite und Konsequenz der ßiltlung", zugleich aber schöpferische Einfalt, jene Naivität, vor der alles Wissen als \Vissensstoff versinkt, eine Unschuld, die unbcfangen­frei, frisch-lebendig gestaltet. Goethes Bild vom Dichter ist ein Gericht über alle Poeterei.

Dichtung im Sinne Goethes ist nicht vornehmlich Gefühls- und Stimmungsausdruck. Auch wo sie Persönliches bekennt, objek­li viert sie. Sie ist nicht Schmuck des sinnlos gewordenen Tages, nicht Flucht aus ihm oder die Sehnsucht nach einer verkHirten \Velt. Sie ist auch nicht Hechtfertigung des Bestehenden. Dieses Amt -- und das ist ein Zeichen der alles erfassenden l\nse -kommt in einem vordem kaum bekannten Ausmaß dem Schrift­steller und dem Journalisten zu. Dichtung in echtem Smne ist -;teh Offenbarung des Grundes, der Blitz aus dem Ursprung. als Gestalt verdichtet, in Gestalten schaubar. Sie ist Feier, gründend im Ur- \\'ort. Sie fordert den Vers. ZPitenloses eint sich hier ur­sprünglich der Zeit. Sie ist die Sprache der Dinge seiber. der er· weckten und der verborgenen. Sie ist Aussage des Seins. von der \'erantwortung des Menschen und vom Gestaltwandel alles Leben­digen im „Bezug auf das Göttliche" auch wenn die ge~ohnten Namen nicht mehr klingen. Solche Dichtung wirkt keinen neuen Glauben, aber neu Vertrauen und wache Gewißheit. Sie ist nicht Negation, sondern Steigerung, Läuterung des Gegenwärtigen, Er­fahrung des Ewigen Lebens im Heute und Hier. Das eben wirkt

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eine „eigene Geisteswendung", \Vandlung, Wiedergeburt. Gestal­ter, Frommer und schauender Denker in einem ist der Dichter. Nicht erliegt er der platten Realität, nicht Ideologien und nicht den Versuchungen des ästhetischen Scheines: die Gewalt letzter Forderungen prägt ihn: Grund-Wahres im Guten-Schönen wie im Täglichen. Die Dichtung dieser Art, die vom Grunde kommt und zum Grunde strebt, wetteifert nicht mit dem Priester. Jen­seits aller Theologoumena und alles Herkömmlichen gewinnt sie in Schau und Tat eine unmittelbare Beziehung zum Ewigen und zum Leben. Damit ist der Dichter - und nicht nur er! - dem Priester verdächtig. Hölderlins Tragödie „Der Tod des Empedok­les" gestaltet diesen Zwiespalt in der Auseinandersetzung zwischen Empedokles und Hermokrates, dem Priester.

Auch die Philosophen der Spätzeit, Kant, Fichte, Hegel, Schel­ling, Schopenhauer wie später Bergson, Seheier oder Heidegger, schauen und gestalten in ihrem \Verk ein eigenes Ganzes. Und Heine, Marx, Kierkegaard, Nietzsche, Burckhardt, Spengler oder Pannwitz erspüren, jeder in seiner \Veise, eine neue Lebensgesin­nung, ein neues Weltbild. Dichter wie Hölderlin, Puschkin, Shel­ley, Walt Whitman oder Ibsen, später George oder Rilke wären in Zeiten einer geschlossenen Kultur unmöglich. Sie alle leben im Bewußtsein der Krise das Verlangen nach dem Gesetz einer neuen Ordnung. Gerade von Deutschen wird diese Krise als eine total­menschliche, nicht nur als gesellschaftliche empfunden - und gelebt bis zur Selbst-Vernichtung.

Goethe aber kommt in dieser Wende eine einzigartige Bedeu­tung zu. Gewiß: vieles bei Goethe bleibt Fragment oder hinter den Gipfeln seiner selbst zurück. Er hat sie durchlitten, die Traurig· keit, die Ironie, ja, die Verzweiflung, die Selbstischkeit und die Hybris, die sich in der Poesie der Zeit einen oft ergreifenden Aus­druck schafft. Denken Sie bitte an die deutsche, die englische oder die französische Romantik, an die Zeugnisse des Realismus in allen Ländern! Und doch gelingt Goethe Bewunderswürdiges: tief ge­fährdet, gewinnt er, allem Morbiden fern, vital, gestaltmächtig wie wenige Dichter der Folgezeit, eine eigene Höhe und Vollen­dung. Goethe verwirklicht eine Beispiel gebende Mitte. Ursprüng-

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lieh-unbefangen macht er sich vom Reichtum der Welt das zu eigen, was ihn anspricht. Lebensführung und Menschengestaltung, Frömmigkeit und Denkart, \Veisheit und Forschungsverfahren gründen in der Gestaltkraft seines Dichter-Seins. Sie sind das Zeugnis einer Überwindung der \Veit in der \Velt, wie sie in der Moderne nur selten noch dem freien \Vagen gelang.

\Vie also erfassen wir wescnsgcrecht die Einzigart des I<osmos GOETHE? Goethe fragt einmal: „Was würden wir von einem Architekten sagen, der durch eine Seitentür in einen Palast ge­kommen wäre und nun, bei Beschreibung und Darstellung eines solchen Gebäudes, alles auf diese erste untergeordnete Stelle be­ziehen wollte?" (II, 11, 244 f.) \Ver das Gesamt GOETHE von einer solchen „Seitentür", also etwa einer religiösen Konfession, einer Philosophie, einer \Veltanschauung, einer Fachwissenschaft, einer politischen Richtung oder von Zeitfragen her beschreibt und auf sie bezieht, der wird Goethes Sein und \Vesen kaum je gerecht, so viele aufschlußreiche Einzelheiten er auch erschließen mag. Von Goethes Dichter-Sein her aber erkennen wir den Kern seiner Gestalt. Goethe als eine umfassende Manifestation des Göttlichen und als \Veg zu ihm wird freilich nur gewahren, wer aus ur­sprünglicher Teilhabe der famille spirituelle GOETHE zugehört.

Es kommt hier nun nicht darauf an, die Dichtung Goethes im einzelnen zu untersuchen und Ihnen ihre Eigenart im Vergleich auch mit früheren, gleichzeitigen oder späteren Dichtern vorzu­führen. Im Bleibenden ist Goethe immer ein kaum zu fassendes \Vunder, das nur dem dankbar Staunenden sich offenbart. Es geht uns heute um Goethes Dichter-Sein, modern gesprochen, falls das verständlicher sein sollte: um Goethes „Existenz". Sie ist in einzigartiger \Veise schlechthin die des Dichters. Es geht darum, IhnPn zu veranschaulichen, wie dieses Dichter-Sein in jeder Art der \Veltbegegnung Goethes sich bekundet. Eigene Erfahrung möge uns dabei leiten. \Vir können uns allerdings nur in Hin­weisen mit Goethes \\c'eise zu forschen befassen, mit der Gestalt der Antike in Goethe, mit der Grundart von Goethes Frommsein und schließlich mit der Gestalt der Krise in Goethe im Hinblick auf seine Tragödie „Faust". Eingehendes ist in unserem \Verk

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GOETHE dargelegt, aber diese Hinweise werden wohl genügen, Ihnen Goethe als Gesamterscheinung und Goethes Dichter-Sein von ihm her anschaulich zu machen. Sie sollen zur Besinnung in diesem Sinne anregen.

Lebensgestaltung und Erforschung der Natur.

Goethe ist nicht nur Schriftsteller und nicht „aus \Vahl und \' orsatz", sondern „aus Trieb und Schicksal" ist er zum Dichter auserwählt. Dichter ist Goethe auch in der Gestaltung seines Le­hens, in einem Lehen, das er aufbaut einer „Pyramide" gleich, das er bewußt stilisiert, zum Symbol macht, um schließlich, voll­endet, aus der Erscheinung zu scheiden. Goethe ist Dichter im Er -forschen, im Darstellen der Natur, des Menschenwesens, der Zeiten, aber auch als Weltmann, als Staatsmann, als Leiter des Theaters und in seinen persönlichen wie in den Amtsangelegenheiten. Selbst in den Geschäfts-, Staats- und Hofdingen kommt es ihm stets darauf an, nicht nur im „Handwerk" stecken zu hlcilwn. Aber Goethe schätzt das Handwerkliche als das Fundament aller gediegenen Leistung. Alles was Goethe ergreift, sucht er durch die Kraft des Geistes zu meistern. Er verfährt gestaltend, gesetzgebend, damit etwas „Gebildetes" erscheint. Selbst „die Aufzüge der Tor­heit" „traktiert er als Künstler, und so gehts". Auch im Umgang mit :Menschen, im Gespräch im Zusammenleben kommt es Goethe stets darauf an, über das bloße Meinen hinaus zu einem „Gebilde­ten" zu kommen: „Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes auf­zunehmen, wie es gegeben ist, ist Bildung". Jedes bloße intellt'k­tuelle Bereden von Problemen und Fragen, und wären es die „brennendsten", ist Goethe zuwider. \Vo er nicht gestaltend ver­fahren kann, schweigt er.

Immer dringt Goethe auf das Gegenständliche, auf die konkrete Gestalt im \Vechsel-Atcm des lebendigen Ganzen. Hein erschließt er es im \Virklichen und erbaut in seinem \Verk, in seinem Leben eine neu geeinte Welt. Nichts, dem er sich naht, von dem er wie von saugenden, bannenden Kräften angezogen wird, bleibt ihm ein Außen, Buchstabe, bloßes \Vort, stumm bestaunte Autorität. Goethe ergreift es von innen, vom Grunde her und wandelt es au5

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Eigenem ins Eigene und, da es aus dem Kern kommt, ins Gültige. Hier ist nicht Frömmigkeit und Forschung, Kunst und \Vissen­schaft, Dichtung und Philosophie, Leben und Moral, Natur und Geist heillos geschieden. „Die Abgründe der Ahnung, ein sicheres Anschauen der Gegenwart, mathematische Tiefe, physische Ge­nauigkeit, Höhe der Vernunft, Kräfte des Verstandes, bewegliche sehnsuchtsvolle Phantasie. liebevolle Freude am Sinnlichen" sind Goethe die Gestalt-Kräfte des Menschen auch als Forscher, weil er von der \Vissenschaft, wie von der Dichtung, „eine Art von Ganzheit erwartet". Ja, Goethe spricht geradezu von seinem „poetisch-wissenschaftlichen \Vesen", und daß er darauf dringe, .. alles von Innen her aufzubauen". In diesem Sinne ist auch Goe­thes „Italienische Reise" das \Verk eines Dichters und Künstlers. Goethe gibt nicht etwa einen der üblichen Reiseberichte, in dem möglichst vieler Sehenswürdigkeiten gedacht wird: mit einer er­staunlichen Kraft und Treue wird das gerade ihm \Vichtige gegen­wärtig. Aus ihm erbaut er die \Velt: GOETHE. Auch in „\Vinckel­mann und sein Jahrhundert" wird nicht mit gelehrter Gewissen­haftigkeit \Vinckelmanns Bild erschöpfend gezeichnet. In Winckel­mann spiegelt Goethe vielmehr seine eigene Geistesart und seine \Velt wieder, objektiviert in Größe und Bedrängnis einer über­ragenden Persönlichkeit. Und die Geschichte der Farbenlehre schreibt Goethe nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Recht­fertigung seines eigenen Forschungsverfahrens und seiner Schau der tätigen Natur.

Jede Denkart, die sich vornehmlich „aufs Trennen legt", ist Goethes Geistesart zuwider: „Wenn sie aber vereint, oder vielmehr wenn sie unsere ursprüngliche Empfindung, als seien wir mit der Natur eins, erhebt, sichert und in ein tiefes und ruhiges Anschaun verwandelt, in dessen immerwährender Synkrisis und Diakri'iis wir ein göttliches Leben fühlen, wenn uns ein solches auch nicht zu führen erlaubt ist, dann ist sie mir willkommen." Darauf be­ruht die Gabe, die Goethe vom Dichter wie vom For'icher fordert, sich „mit den Gegenständen innigst identisch zu machen" und im Einssein mit ihnen das Ewig-Eine in der Viel-Gestalt der \Velt­Erscheinungen zu gewahren. Diese Schau der Natur zieht Goethe

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zu Spinoza hin, ohne daß er sich der Eigenart dieses Denkers gleichsetzt. „Die Dichtkunst verlangt im Subjekt, das sie ausüben soll, eine gewisse gutmütige, ins Heale verliebte Beschränktheit, hinter welcher das Absolute verborgen liegt." So legt Goethe einen eigenen \\'ert auf die Ausbildung des Menschen im Forscher, nicht nur als Fachmann, sondern als durchgebildeten Menschen, daß er unbefangen, rein zu schauen, methodisch klar die Ergelmi'ise zu ordnen, behutsam-streng zu schließen vermag. Denn: „den l'n­zulänglichen verschmäht die Natur, und nur dem Zulänglichen, \Vahren und Beinen ergibt sie sich und offenbart ihm ihre Ge­heimnisse." 1'ur ein solcher l\lensch vermag sich, dem Dichter gleich, der Natur „mit allen liebenden, verehrenden, frommen Kräften" zu nahen. l\Iethode, die auf ein Gestaltetes abzielt, ist Goethe geradezu ein Kennzeichen des nach Gestalt strehenden Künstlers. Goethe ist sich freilich bewußl: „eine tiefumfassende Synthesis begreift nicht leicht jemand." Deshalb ist die Nachfolge Goethes in der Forschung so schwer, weil sie an ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden ist. Sie fordert einen Forscher, <lern, über die empirische Gelehrsamkeit hinaw.;, aus gestallendem Künstler-Sinn, wie Goethe zu Hiemer sagt, „die gleiche l\lethod~ Bedürfnis ist''. Das „poetisch-wissenschaftliche Verfahren" Goethes ist nur dem gemä13, der aus einer „eigenen Geiskswendung" mit dem :\tut und den Tugenden des Dichters gegenstand!-,treu das nüchtern Tatsächliche schaut, es durchdringt und in ihm das un­endliche Leben zu gewahren und zu gestalten trachtet. Goethes Methode fordert „Genie, das sich nicht überliefern lälH".

Goethes forschender Dichter-Sinn schaut das „ Crphiinomen". Dieses Urphiinomen ist eine aus gegensätzlichen Cr-Kräften ver­dichtete Einheit. Es ist das „Apen;u" eines Gestalt schauenden Dichters. Goethe geht, wie er \\'ilhelm von Humboldt gegenüber versichert, stets von der Gestalt aus, und alles Gewahren der Grund-Gestalt, alles „Erfinden" ist ihm „der Abschluß de'i Ge­suchten". Auf diese \Veise rettet sich Goethe, nicht in der Flucht, sondern in durchdringender l\Ieisterschaft, aus der „Sündflut d,•r Erfahrung", vor der „Hydra der Empirie'· gesetzstreng ins l\lare. \Vo die Farben als „Taten und Leiden", als „Tugenden des Lichts",

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wo sie als \Vechselleben des Lichts und Nicht-Lichts im Medium des Trüben begriffen werden, da waltet Dichter-Geist.

Mit „anschauender Urteilskraft", mit Geistes-Augen und mit den Augen des Leibes in Einheit schauend, will Goethe des \VeJt­gehe1mnisses würdig werden, wie und wo immer es als Offen­barung des Ewig-Einen in der Viel-Gestalt der \Veit erscheint Der Dichter in ihm dringt auf die p.r;p'f'fi, auf die Gestalt und ihren \VandeL auf Metamorphose. Goethes Schauen und Denken ist immer wirklichkeitsnah-gegenständlich im Sinne des Künstlers, dergestalt, daß sein „ Denken sich nicht von den Gegenständen sondert. daß die Elemente der Gegenstände, die Anschauungen, in dasselhe eingehen und von ihm auf das innigste durchdrungen werden. daß sein Anschauen selbst ein Denken, sein Denken ein Anschauen ist."

Gestaltender Künstler-Geist weist der \Vis.:;enschaft die Auf­gabe zu, „das Staunen, wozu wir von Natur berufen sind, einig~r­maß('n zu erleichtern", „das Lebendige in den unendlichen Be­diugun~en seines Erscheinens" zu beobachten und in ihm das „eine l 7r-Bedingende" zu gewahren. Die \VissPnschaft im Sinne Goethes will nicht aus Ur-Sachen Tat-Sachen erklären, wo immer neue Ursachen auftauchen. Es geht ihm nicht um ein solches „bloß hisltffisches Verfahren" in dem Sinne, dal3 eine \Virkung auf eine l'.rsache zurückgeführt wird, sondern um einen metaphysischen Empirismus. Dieser geht stets auf das Urphänomen zu und hat von diesem her Gestaltetes zum Ziel.

„Enthusiastische Heflexion", Dichter-Mut, der „sich nicht hin­reißen läßt", erleuchtet Goethes Forschungsverfahren. Auch seine wissenschaftlichen Arbeiten, die sich zuweilen zu hymnischer Höhe erheben oder gar in Gedichten gipfeln, auch sie beseelt das \Vohlgefügte, Heiterschreitende, das Anschaulich-Lebendige, das 1

von Innen Durchglühte der Dichtkunst Goethes. Selbst da, wo die Grundhaltung, wo das Aper<;u kühn, gewagt erscheint, wo es der bisher gewohnten Anschauung auf einem Forschungsgebiete v„-iderstreitet, ja, eine völlige „Geisteswendung" fordert, entwickelt Goethe das Seine doch stets mit stillzwingender Überzeugungskraft, mit gestaltstn·nger Klarheit.

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Sie werden nun begreifen, warum bei allen Forschungen Goe­thes das Entscheidende nicht neue Ergebnisse im Sinne gelehrter Forschung sind, etwa die Entdeckung des Zwischenkieferknochens oder der Hinweis auf die Eiszeit oder auch die Frage, ob Goethe im Recht ist gegen Newton: bedeutsam, genial-einzigartig ist die gestaltende Schau Goethes, die Art, wie er, sorgsam forschend, in der Fülle des von der Wissenschaft erarbeiteten Materials auf den Grund, auf das Urphänomen dringt, das heißt, wie dPr Geist der von Hellas her wirkenden Schau der Welterscheinungen in ihm schöpferisch neu aufbricht - und das in einer Zeit, in der die \Vissenschaft, insbesondere die Naturwissenschaft, von ande­ren Prinzipien ausgeht und auf anderes abzielt. Newton ist un­streitig im Recht, aber seine Anschauungsweise und sein Ver­fahren sind grundanders.

Goethe als Forscher steht mit einem kleinen Kreis Geistes­verwandter allein. Die Gelehrten können mit ihm nichts anfangen, auch wenn sie seine Dichtung schätzten. Schiller rät Goethe ein­mal, er solle seine Arbeiten doch unter dem Namen eines der „Kathederhelden" herausbringen. Wer aber hätte so seinen wissen­schaftlichen Ruf gefährden mögen? Von der „Metamorpho!'.e der Pflanzen" schreibt Goethe rückblickend an seinen Forscherfreund Schultz: „Sie fiel vor 25 Jahren rechts und links in die Dornen und Steine." Und von der Farbenlehre berichtet er 1822 Boisseree: sie habe „an dem Altar der Physik wie ein toter Knotenstock gestanden". Das schmerzt Goethe, denn er war sich der Einzigart seiner Schau der Natur als forschender Dichter bewußt. Als die Franzosen 1806 in \Veimar eingezogen und dort plünderten, rettet Goethe nicht etwa seine Dichtungen, sondern die Aufzeichnungen zur Farbenlehre.

Damit haben wir bereits eine Erscheinungsform der Gestalt der Antike in Goethe kennengelernt, die in den Griechen gründet.

Die Gestalt der Antike in Goethe

Der junge Goethe begegnet dem Genius Griechenlands unmittel­bar, wie wenn zwei Menschen, durch Ferne und Fremde getrennt, nur lose durch Kunde verbunden, sich als Brüder enthusiastisch

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erkennen, nicht durch Studien oder durch das Bildungserlebnis zusammengeführt, sondern aus der unmittelbaren Erfahrung, aus dem Gewahrwerden gleichen Ursprungs, ähnlicher, an Ur-Bildern genährter Schöpferlust. In der Feuer- und Gestaltmacht der Götternähe entdeckt der junge Goethe, von Herder angeregt, sich die Griechen. Pindar ergreift ihn. In Göttern und Heroen der Griechen erkennt Goethe sein eigenes Innere wieder. Der „uran­fänglichen Schönheit" gewaltiges Bild wird Gestalt im \Verk des Künstlers. \Vie von einer Göttin bekennt Goethe von ihr: „Du bist ich, bist mehr als ich, ich bin dein." Ein \Vechsel-Gespräch, ein \\'echsel-\Virken zwischen dem Gott und dem Menschen, Götter­gegenwart, ist alles Schöpfertum. In dem Dramen-Fragment „Prometheus" veranschaulicht Goethe das in einem Zwiegespräch zwischen Promelheus und Minerva:

PROMETHEUS. So war ich selbst nicht selbst, Und eine Gottheit sprach, \Venn ich zu reden wähnte; Und wähnt ich, eine Gottheit spräche, Sprach ich selbst. Und so mit dir und mir So ein, so innig Ewig meine Liebe dir! MINERVA. Und ich dir ewig gegenwärtig!

Titanenmacht aber schafft nie beseeltes Leben. „Dauer und Macht und \Veisheit und Liebe geben die Götter." Das Verhängnis eines dunklen Schicksalszwanges erfährt Goethe, bewegt durch den Tod seiner Schwester, als „ewig gegenwärtig" im Geschick Proserpinas. Aides und Dionysos sind auch für Goethe eins: Pro­metheus erklärt Pandora den Tod als höchsten Überschwang des Lebens. Im Satyr-Spiel ,.Satyros" lebt Goethes Drang, sich selbst und die \Velt des Satyrs mit Satyr-Sinn zu sehen - und auch so noch Tiefen zu entdecken.

Die mythische \Velt ist ihrer \Vesensart nach die Welt des Dichters. Für den Dichter ist sie je und je eine lebendige \Velt, „ewig gegenwärtig". Sie ist es auch dann, wenn die vertrauten

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mythischen Namen kaum je klingen. Dem Dichter bleibt sie nicht in abgelebter Ferne, nein, im Medium des Mythos erhellt Goethe das Hier und Heute des Menschen, die Tiefen seiner Not wie sein Verlangen nach Frieden. Goethe, den Dichter, Jrümmert es wenig, ob das nun wirklich griechisch ist im Sinne geschichtlicher Treue. Was er am Mythos lebendig erfährt, wird durch ihn neu Gestalt. Das alles ruht „auf der reinen Basis des Erlebten". So sind die Götter und Heroen der Griechen Medien der \Velt- und Selb<1t­erkenntnis - noch für den Menschen von heute.

Goethe erkennt in diesen Gestalten zugleich Tragik und Größe der Spätzeit. Er führt den Einzelnen vor in der Krise, wie er sich im Drang nach Selbst-Sein behauptet, doch auch nach Gemein­schaft verlangt. „\Vohin? Ach, wohin?" (Ganymed.) „Uns frilH in der \Vüste / Gieriger Sand" (Mahomets Gesang), „von der Sonne Muttergewalt geschieden" (Pilgers Morgenlied). Und doch dann wieder: „Aufwärts! / Aufwärts an deinen Busen, / Alliebender Vater!" (Ganymed), „Allgegenwärtige Liebe! Durchglühst mich" (Pilgers Morgenlied). „Mir gaben die Götter /Auf Erden Elysium!" (Elysium). Aber noch bleibt die faustische Frage: „Ach warum nur Elysium?".

\Vie Goethe einst am Bilde des um den Siegespreis kämpfenden \Vagenlenkers aufging, was Gestaltmacht, was Meisterschaft ist, so sucht er nun das Gesetz, das ein reines und reiches Leben ver­wirklicht in einer begnadeten Selbstüberwindung. Goethe sucht das Licht apollinischer Vollendung, die sich dionysischem Schwung entringt. Apollon selbst, der Gott, müß auf hartem Siihn­weg sich reinigen, nachdem er den Drachen Python erschlug. Diesen \Veg im Ringen um Reine geht auch Goethe. Er versinkt nicht zerknirscht in Reue, nicht tatenlos in Selbstbedauern: als Dichter sucht er Sühne. Goethes Beichte wird in Gestalten schau­bar, am ergreifendsten in Gretchen. Gerade aus der Gefährdung, aus Dumpfheit und Überschwang drängt es Goethe zum Gesetz und zur Gestalt. Das reine, das schöne-gute \Verk gelingt nur, wo der Schaffende in sich das Ka/,6vxa1a&ov verwirklicht. Aus dieser Gesinnung wächst Goethes „lphigcnie auf Tauris", aber auch das klare Schauen der Gestalt in der Forschung.

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Goethes Ringen um Läuterung im Entsagen und Ergreifen ist das strebende Bemühen eines geniusgesegneten Künstlers. Jenseits alles überlieferten Glaubens eint sich in ihm das: „Erkenne dich selbst!" vom Apollon-Tempel in Delphi mit Pindars: „Werde, der du bist!" und dem mystischen: „\Verde wesentlich!" Es ist der "'eg eines Dichters im Licht Apollons post Christum.

Seit seiner italienischen Reise schaut Goethe mit den Augen des Hömers. Goethe mildert, seinem Wesen gemäß, das zuckende, leid­gepreßte Herz von Hellas durch die römische urbanitas.

„Edle Einfalt und stille Größe" und das plastisch Klare sind jetzt das Ziel des Dichters. Goethe bewundert, und hier bestimmen ihn wieder Tiefen-Kräfte seiner dichterischen „Existenz" - er be­wundert „den Menschen in seiner Würde und Gesundheit", den die bildende Kunst der Griechen darstellt. Er preist „die einzige Behaglichkeit innerhalb der Grenzen der schönen \Veit·', die des exzentrischen „Himmelsverlangens" nicht bedarf. Aus dem Drang nach Harmonie, nach „reiner Menschlichkeit" schafft sich der Dichter in Goethe als Land des Heiles Hellas. Und Goethes Bild der Griechen wird zum Gegen-Bild des vom Christentum geform­ten Menschen. Die Griechen erscheinen ihm, wie oft schon seit der Renaissance, als Menschen eines großgearteten Anders-Seins: Hellas wird Goethe zum „Heiligtum des heilenden Lichtes". Das ist das Bild der deutschen Klassik in der besonderen goethischen Prägung. Es schönt den dunklen Grund der Griechenseele und macht deren verklärtes Bild zum Kanon.

Goethe gewinnt aber im sinnenfrohen Süden, fern dem Buch und der Geschichte, ein unmittelbar mächtiges Leben, das er nicht wie früher idealistisch verflüchtigt: das Ja zur Leiblichkeit als Gestalt-Liebe. Auch hier ist :Hellas gegenwärtig. „Fromm sind wir Liebenden!" Selten sind in den „Nebeln des traurigen Norden<;" so frei-gesund, mit so gutem Gewissen die wandelnden Wonnen sinnlicher Liebe gefeiert worden wie in den „Römischen Elegien" und in den „Venetianischen Epigrammen" Goethes. Von der Erden-Treue des Dichters wird da die „mächtige Göttin", die „Gelegenheit", das Glück der Gegenwart heiter-unangefochtenen Herzens zu genießen, als Quell der Genesung gefeiert. Denn auch

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der Sinnen-Liebe tiefstes Leben ist eins mit dem Geist. In der Heife des verjüngten Mannes glüht sie wieder im „\Vest-östlichen Divan". Und von einer späten Zärtlichkeit und Blüte der Sinne zeugen der zweite Teil des „Faust" in all seinem Mummenschanz wie manche Paralipomena und Sekreta.

Goethe nennt sich oft einen „alten Heiden", einen „gründlich geborenen Heiden" oder ähnlich. Goethe ist aber kein Heide im antiken Sinne. Er ist auch nicht einfach ein „antiker Mensch". Der Dichter ist „auf seine Art ein Grieche": GOETHE. Das ,,Hei­dentum" Goethes gründet in seinem Dichter-Sein. Und dieses of­fenbart sich in „sterngegönnten Stunden" als sicheres Huhen im Augenblick als dem, wie Seuse sagt, „grünenden Nun der Ewig­keit" im Heute und Hier, als gesundes \Vachsen im \Vechsel-Atem von Zugriff und Verwahrung, von tätiger Einsamkeit und frucht­barer \Veltverbindung, als verpflichtende Treue zu seinem Daimon. Es offenbart sich als stets verjüngtes und verjüngendes Ganz- und Immer-neu-Sein, als das Schauen und Schaffen der Gestalt als einem heilen Ganzen, als das Ja zu den Sinnen im Einklang mit dem Sinn und als das staunende Gewahren und Ehren der V~el­

Gestalt der Götter, der Natur und des Menschen als Offenbarung des Ewig-Einen.

In Goethe begegnet ein l\1ensch der abendländischen Spätzeit als Dichter voll Ehrfurcht ursprünglich dem Ewigen und dem Leben in der Gesinnung einer anima pagana r0st Christum.

Von Goethes Frommsein

Goethe macht als Dichter auf seine Art das 1>chaubar gegen­wärtig, was er als Hellas bewundert. In der gleichen ursprüng­lichen \Veise begegnet er auch, durch keine Konfession, kt:incn Glauben befangen, dem Christentum.

Goethe lernt das Christentum als rationalistischen Protestantis­mus und als Pietismus kennen. Im Hause der Eltern Goethes finden pietistische „Stunden" statt, und er verdankt dem Umgang mit den „abgesonderten Frommen" viel Christus darlebende Hilfe. Goethe spürt aber trotz alles ernsten Bemühens b~1ld - und auch

3 Gießener Hochschulnachrichten :n

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der Kreis der ihm wohlgesinnten Pietisten empfindet da'i - er spürt, daß die christliche \Veit- und Glaubenserfahrung wie auch die christliche Gottesvorstellung nicht die seinen sind. Christus sagt im Johannes-Evangelium (6,65): „Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater verliehen ist." hl es denn n;ir vom Vater verliehen?, fragt sich prüfend Goethe.

Fiir Goethe hat keine der bisher in der Ge-,chichte hervorge-1 rctencn Formen des Christentums eine gründende Bedeutunc: Für Goethe ist Christus nicht „der einziggeborene Sohn Gottes" (Jo!i. 1, Hi. der sich für die Erlösung der sündegeknechteten Menschen am Kreuz opfcrll'. Für ihn geht der \Veg zum HPil, zum i'rkden der Seele nicht über Reue und Buße, und die \Veit ist ihm nicht vornehmlich eine Vorbereitungsstätte, auf der man vor allem und zuerst um einen gnädigen Gott besorgt sein muß, um im Gericht zu bestehen und der ewigen Seligkeit teilhaftig zu werden. Goethe wehrt jeden Versuch ab, ihn für eine ,.ausschlidkude Hcligion" zu gewinnen und sich von Anderen eine ihm fremde Gottes- nnd Christuserfahrung aufdrängen zu lassen. Seine Auseinandersetzung mit Lavater ist in dieser Hinsicht beispielgebend. \Venn Godhe von Protestantismus spricht, so hat das mit evangelischer Fröm­migkeit im Sinne Luthers kaum etwas zu tun. Er begreift sich \ iclmehr als einen „protestierenden Heiden", der, .icnseits a llcs lutherischen Protestantismus, in „ Kunst und Wissenschaft" „wie immer" „protestieren will mit Lust" um der Freiheit willen in der Treue zum eigenen Daimon. Goethe verhält sich protestand<1 et se defendendo gegen jede Art eines konfessionellen Christentums. Dabei fallen zuweilen \Vorte, die wir heute wohl kaum nieder­schreiben würden. Goethe bewahrt ab,er auch diese „Invektiven" sorgsam auf. Auch die Konvertiten sind Goethe verdächtig. Söhne der Krise, erscheinen sie ihm als „Verschnittene', die in der Hückkehr zur Kirche sich retten möchten, denen die Kraft des fn·iwagcnden, des „gottgegebenen" Daimon gebrochen ist. Gerade dem hochgebildeten Menschen legt Goethe eine besondere Ver­antwortung auf, eine einmal errungene Freiheit nie wieder auf­zugeben.

Goethe geht es nie um einen bestimmten Glauhen im Sinne

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irgendeiner Theologie oder Philosophie. Er will auch gern das Anderen überlassen, was man Religion nennt. Ja, Goethe würde sich wohl kaum im herkömmlichen Sinne als „religiöser Mensch" bezeichnen. Dieser, im christlichen Sinne, wäre ihm wohl als „transzendierend", als exzentrisch erschienen, verstiegen, oft krank aus Mangel an einem eigen-ursprünglichen Sinn.

Goethe will sich auf keine „christliche Terminologie", üher · haupt nicht auf „ Worte" festlegen lassen. Er verwandelt kraft seines Dichter-Seins das „alte \Vahre", sofern es ihn ursprünglich ausspricht, ins Eigene, ins Goethische. Er bildet sich so ein „Chri­stentum zum Privatgebrauch", das freilich völlig seines Kernes, der Heilsgewißheit in Christo Jöu, beraubt ist. Dieses verträgt sich daher sehr wohl in Goethe mit seinem „entschiedenen Heiden­tum". So wird es Ihnen wohl auch verständlich, daß es Goethe darum geht, daß die Gute Botschaft des l\lenschensohns „in Sinn und Gemüt" verwirklicht wird, er aber „das Christentum des \Vortes und des Glaubens" „ mit ein bißchen so oder so des äußeren Kultes" - das heißt also das, was die Kirchen und Ge­meinschaften gespalten hat und worauf sie oft eifernd \Vert legen - hinter sich läßt. Goethe dringt auf Erfüllung in „Gesinnung und Tat", aber er nennt sich in der Freiheit des Dichters der Spätzeit einen „dezidierten Nicht-Christen", beharrlich einen Hei­den. Und doch meint Goethe ein Mensch zu sein, „wie Christu5 ihn haben wollte". Ist aber Christus ein Christ? Goethe dringt also über alles Christentum hinaus zum Ursprung, zur „reinen Lehre Christi", durch alle Verwandlungen seiner Gestalt und seiner Bot­schaft. Das Christentum als Christentum ist damit in Goethe ebenso aufgehoben wie das Heidentum als Heidentum. Er ver­wirklicht die Mitte einer eigenen Höhe. Um davon zu zeugen, ist Goethe der \Veit verliehen, nicht als Prophet und nicht als Theo­loge oder als Philosoph oder um Anhänger zu werben, sondern als Dichter - und zwar als Dichter, der durch die Formen aller ihm bekannt gewordenen Religionen hindurchschaut und deren allverbundenen Kern, das Ur-Religiöse, als den Grund aller Fröm­migkeit unbefangen lebt und bezeugt in einem freien und doch gegründeten Frommsein. Hier wird nicht ausgegangen von dem

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im engeren Sinne Religiösen, von Aussagen über Christus und seinen Erlösungstod, über Gott-Vater, die Drei-Einigkeit, über de11 Heilsweg und die \Vahrheit, sondern das letztgründende Objektive wird in der Vielgestalt seiner Offenbarung in der \Veit gewahrt und in den Geheimnissen, in denen der Mensch als Schauender und Schaffender, als überwindender lebt. Und die Fülle der Sym­bole, nicht nur des christlichen Bereichs, wird als Hinweis, als gültige Verdichtung einer geheimnisvoll offenbaren letzten Wirk­lichkeit freilebendig fruchtbar, neu erfahren und dankbar genutzt. Es geht um das verwirklichte Sein und die erfüllte Tat, um die Freiheit der Bewährung in der gefährdeten und gefährdenden Welt aus der sicheren Ruhe der Gewißheit.

Sie kennen gewiß die Gedichte Goethes, die von der Offen­harung des Ewigen in der Natur, in der Liebe, der Freundschaft, der Gemeinschaft zeugen. Dafür wird der Sinn jetzt erst frei. Sie alle aber haben einen stillgeheimen „Bezug auf das Göttliche", wie auch jene Gedichtfolge: „Gott, Gemüt und \Velt", in der Goethe sein Eigenstes gibt. Und sie wissen auch, wie aus diesem Frommsein, oft ohne daß es sich im gewohnten Sprachbereich oder in der von den meisten gelernten Vorstellungsweise bewegt, viele Dichtungen Goethes in Ehrfurcht und in der Ver-antwortung leben vor den richtenden, rettenden Mächten, ohne die sich kein Mensch erfüllen kann.

\Vir sehen also: Goethe feiert und ehrt das Göttliche und die \Velt - auch wenn Andere anderes erfahren - aus dem Grunde der anima pagana post Christum. Diese seine Gewißheit erkennt Goethe, wie er Lavater gegenüber erklärt, „als einen ehernen, be­~tehenden Fels der l\Ienschheit, den du und eine ganze Christen­heit mit den \Vogen eures Meers vielleicht einmal übersprudeln, aber weder überströmen noch erschüttern könnt".

Goethes Sein und Gestalt ist der Erweis, daß es auf diesem \Vege Heil, Erfüllung gibt. Damit ist Goethe Nicht-Christen, Chri­sten und \Vider-Christen erschienen zur Prüfung. Wie im milden Schein des Göttlichen der Einzelne gesund zum menschlichen Menschen reifen kann, zeigt einem gefährdeten Aion ein Dichter: GOETHE.

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„Faust" als Tragödie der Kri~e

In diesem Sinne ist auch Goethes „Faust" eine Tragödie der Krise, wie schon „\Verther" und „Tasso", „Wilhelm Meister" und die „\Vahlverwandtschaften" von ihr zeugten. Vieles an dem Rät­selwerk „Faust" gewinnt erst eindringliche Nähe, wenn wir be­greifen, daß hier Söhne und Töchter einer fragwürdig gewordenen Welt ihr \Vesen treiben.

Goethe wandelt den Erzzauberer des Volksbuchs und des Pup­penspiels, der sich dem Teufel verschreibt und von ihm schließ­lich in die Hölle geholt wird, ins Grund-Gültige der Gestalt des ringenden, das All und die \Veit kostenden und doch ruhelos <>uchenden Menschen: Schicksal und Schuld, Gefahr und Größe des frei-lebendigen Menschen der abendländischen Spätzeit sind in Goethes „Faust" verdichtet. Faust ist mitnichten nur die Ver­herrlichung des vielgerühmten „fausti<>chen Menschen". Im Grunde ist Goethes „Faust" eine \Varnung. Aber das \Verk ist zugleich auch voller Zuspruch -- eine \Veit-, eine Menschheitsdichtung, die neben den Schicksalen des Achilleus und Rektor und des Odysseus in den Epen Homers, den Schicksalen der Atriden, Lai­iden und Tantaliden in der griechischen Tragödie, neben Dantes „Göttlicher Komödie", Cervantes „Don Quixote" und Shakespeares „Hamlet" einen eigenen Rang hat. \Venn die Tragödie um Faust in eine abgelebte Zeit gerückt ist und wie ein Mythos leuchtet, so gewinnt sie gerade dadurch an zeitenthoben-gültiger Gegen­wartsnähe.

Faust ist der „Flüchtling", der „Unbehauste". Ihn „treibt die Gärung in die Ferne, / Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt, / Er fordert von der Erde jede höchste Lust, / Und alle Nüh und alle Ferne / Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust". Der eben noch entschlossen war, „der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen", sein Selbst zum \Vohl und Weh von Welten zu erweitern, ja, der Ge­nuß noch im Scheitern sucht, dem droht alsbald Verzweiflung, Selbst-Vernichtung. Der „Mensch ohne Zweck und Ruh" reißt wie ein Wassersturz alles mit sich - auch das ihm Liebste .. Mit dem ins Menschliche gewandelten Satan geht Faust einen Bund

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ein, mit Mephistopheles. l:nd doch ist Faust selbst mit diesem stets unzufrieden: er gibt ihm nicht genug oder es graut ihn plötz­lich vor „des Chaos wunderlichem Sohn", wie alle, die aus ihrem Anders-Sein das Un-hcimliche seines \Vesens wittern. Die \Vissen­schaft, die Natur, die Liebe, die Schönheit, die Einsamkeit, Hof­leben, Krieg und Revolution - und die Arbeit: überall genießt Faust vor allem sein Selbst. So sucht er vergebens Befreiung. In Faust schwelt viel alko,elige Sehnsucht und wertherisches Schwrir· men, „Hungerleiden" und Hoffen. Aber es fehlt ihm da5 gren­zende, gründende Ziel der Gewißheit im christlichen oder im heid­nischen Sinne, woran auch \Verther scheitert. Fausts Erlösungs­'<erlangen \vird von seinem \Villen zur Macht erstickt. Damit bleibt ihm die schöpferische Erfüllung, Maß und Friede, da5 Schöne­<iutc in allem \Vagnis versagt.

Durch Fausts Schuld kommen Gretchens Mutter, ihr Bruder, ihr Kind um und sie selber. Faust aber hat von dem allen nicht'i gewußt, unrl als er des Grausigen inne wird, schiebt er die Schuld auf den Verführer und flucht dem Verderber. Falschgeld, Papier­

geld wird geschaffen, Revolution und Krieg entfacht, Hofleute flegeln, der Astrologe lügt, die Kirche giert nach Geld. Der \Veg zu den „Müttern" auch dient selbstischer Zauberei. Die in Helena ihm erschienene Schönheit vermag Faust nicht zu halten, und den mit ihr gezeugten Sohn Euphorion stürzt l:nmaß in den Tod. Phikmon und Baueis, die sich geruhsam-friedlich ihres Alters freuen, fallen Fausts Machtbegier zum Opfer, das blinden Ge­horsam fordert: „geboten schnell, zu schnell getan l" Mit erstaun -lieber Hellsicht verdichtet die Schaukraft des Dichters in Faust Möglichkeiten und Verhängnisse des Mephistophelischen im „Fau­stischen". Ihm zeigt sich keine Gegen-Macht gewachsen. Das

Christentum in Gretchen wird übermannt, aber auch die \Veit der Antike muß weichen. Jede Ordnung wird durch das Mephisto­phelische aufgeliist. Blind, wiegt Faust der \Vahn, „auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn", indeß in \Vahrheit Lemuren spatcnklirrend ihm das Grab bereiten in einer \Velt, die gedeicht, gedämmt, kanalisiert, besiedelt, beglückt ist, aber doch ungewan­delt in den Fiingen von Haufebold und Habebald, von Haltefest

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und Eilebeute bleibt und in der Gewalt von Schuld und Sorge, von Not und Tod. Faust, der eben noch den einen Tor genannt, der „sich im Himmel seinesgleichen dichtet", ihm öffnet sich unver­mittelt dieser Himmel, die Ewigkeit der Jenseitigkeitswelt, dem deus ex machina gleich in der antiken Tragödie. „Die Liebe von oben" erbarmt sich seiner. Mater gloriosa, die Gottes-Mutter, „Göt­tern ebenbürtig", schwebt einher. Faust, viel verstrickt, verfällt dem Teufel nicht. Sein Unsterbliches ist nicht zu beflecken. Das Wort des Herrn, Gott-Vaters, steht fest von Anbeginn: „Es irrt der Mensch, solang er strebt."

Im Jenseits verklingt Goethes „Faust". Diese Hoffnung ver­heißt er auch dem Schuldigen. Erfüllung auf der Erde aber ver­sagt Goethe Faust. Für Faust gibt es kein läuterndes \Vachsen und Reifen, kein wendendes, kein befreiendes „Stirb und \V erde". Nur in gelegentlichen Erleuchtungen und in Gegen-Bildern wird zuweilen ein Anders-Sein spürbar. Deren Grund ist fast immer die Gestalt-\Velt der Antike. Ja, die antikische Atmosphäre, das Geschehen um Helena, verzaubert eigen Faust. Selbst Mephisto· pheles wird zur Phorkyas. Verzauberte Zauberer sind beide. Ver­iauberung aber ist keine \Vandlung. Faust bleibt der „Faustische". Alles Apollinische war nur Maske, und Mephistopheles bleibt der Satan. Nirgends ist eine erweckende \Vandlung Fausts zu spüren vom Kern her zu einem neugründenden Leben. Bis zu seinem Tode kann Faust nicht „Magie von seinem Pfad entfernen·'. Das eben ist das Zeichen seines Befangenseins in Erden-Fesseln. Die „schwarze" Magie will die titanische Selbsterhöhung des geknech­teten, finsteren Selbst-Ichs. \Vandlung aber w~chst aus der Gnade der befreienden Begegnung mit dem Gott als Gegenwärtigem. Der in diesem Liebte \Viedergeborene bedarf des Zauberspuks, des Blut-Bunds mit dem Bösen nicht mehr. Nur wer die Magie als einen \Veg zur Macht, auch die Versuchungen der Magie des modernen Lebens, überwand, gewinnt die gnadenerleuchtete Frei­heit, aus einer „eigenen Geisteswendung" das Göttliche zu ge­wahren, wie und wo es sich offenbart, und seinem \Vink sich zu fügen. Faust erfährt keine solche Wiedergeburt: er überwindet nicht. Faust wogt und wagt, gespornt von Mephistopheles, nn

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„Faustischen", im Unerfüllten, Unvollendeten. Dem „Faustischen" bleibt nur die Hoffnung auf den Himmel.

Goethes „Faust" ist eine Tragödie der Krise. Als ein Mahnmal steht sie vor uns, bewundernswürdig in ihrer Gestalten-Fülle und poetischen Leuchtkraft, in ihrer Weisheit und Klarsicht in Scherz und Ernst.

Aber ist „Faust" „der vVeisheit letzter Schluß"? Goethe weiß - Erfahrungen seines Lebens und Dichtungen zeugen von diesem Geheimen und Geheimsten - daß, über das im „Faust" Verkör­perte hinaus, Ewiges Leben auch im Heute und Hier erfahren werden kann: im Augenblick als Ewigkeit, in der überwindenden, <;chönen-guten Tat, im göttergeschenkten \Verk. Aus ihnen leuch­tet der Glanz apollinischer Voll-endung - nicht im \Vahn und Rausch des „Übermenschen", sondern im tätigen \Vachsein der befreienden Gewißheit, daß auch das Vergängliche des Verewigens würdig zu werden vermag im Atem der göttlichen Gnade.

Um als Dichter davon im Bild und Gegen-Bild zu zeugen, ist Goethe der \Veit erschienen - in unserem Vaterlande.

Dämonen wirken die \Veit. Es gehen aber auch noch Götter über die Erde.

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Von Grundlagen und Grenzen wissenschaftlicher Seelenkunde.*)

(Otto Eger zum Gedächtnis)

Von H. B o e n in g.

Es war der Wunsch Ernst Küsters. daß ich zur Festsitzung unserer Gesellschaft als ihr neugewählter Vorsitzender mit einem wissenschaftlichen Kurzvortrag aufwarten und eine \Vürdigung des verstorbenen letzten Vorsitzenden Otto Eger darin einbauen möchte. Leicht ist solche Aufgabe dann, wenn enge sachliche Be­ziehungen zwischen dem Arbeitsgebiet des Vortragenden und der wissenschaftlichen oder praktischen Betätigung und Lei s tu n g des Mensehen bestehen, dessen gedacht werden soll. Aber an sol­chen sachlichen Bezügen mangelt es in unserem Fall. Da zudem der äußere Anlaß und das innere Bedürfnis - noch ist die \Vunde offen, die sein Heimgang uns allen schlug - einen Rückblick auf Eger s Pers ö n 1 ich k e i t anmahnten, schien es mir vertret­bar, mich von der Charakterologie als einem Randgebiet meines Faches her dem \Vesen des Entschlafenen zu nähern.

Gewiß kamen mir sofort auch Bedenken gegen solches Unter­fangen, und diese Bedenken entwuchsen gleichermaßen dem per­sönlichen Taktgefühl wie grundsätzlichen charakterologischen Er­wägungen. \Vissenschaftliche Seelenkunde hat doch immer auch das - besonders in unserem Zusammenhang naheliegende - Ziel der bestmöglichen Erfassung des Ch a r a k t er s als der indi­viduellen seelischen Eigenart eines Menschen. Seelenkunde will maßgebende Eigenschaften, bestimmte relativ beständige Bereit­schaften (Dispositionen) für Aktion und Reaktion in Fluß und \Vechsel des seelischen Lebens ermitteln. Bedarf es dazu nicht en­gerer Bekanntschaft mit einer Persönlichkeit? Genügen die

0) Nach einem Vortrag in der Festsitzung der Gießener Hochschul­

gesellschaft vom 9. Juli 1949.

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eigentlich doch nicht sehr häufigen Begegnungen mit Otto Eger, um ein Bild zu gewinnen? Freilich ereigneten sie sich unter den verschiedensten äußeren Umständen, in der privaten Atmosphäre seines gastlichen Hauses, im Spannungsfeld der ministeriellen De­batten über die Zukunft unserer Ludoviciana, in der vertraulichen Beratung über fremde Schicksale unter dem stürmischen Himmel außergewöhnlicher Zeitläufte, an Tagen, da er sich ganz rüstig fühlte und zuletzt am Krankenbett, als er das Letzte ahnte oder doch bedachte. Es kommt nicht nur auf die Häufigkeit der Begeg­nungen an, ihre Fruchtbarkeit ist entscheidend.

Einer äußersten biographischen und charakterologischen Ab­sicht mag das Quellenmaterial, das mit solchen Begegnungen ge­geben ist, allzu dürftig erscheinen, primitiv auch die Methode, das als gültig hinzustellen, was sich unter wechselndem Aspekt immer wieder als stabile Charaktereigenschaft zu bestätigen schien und in der Leistung eines langen und tätigen Lebens einen ganz ent­sprechenden Niederschlag fand. Aber, auch wer die Masken kennt, die eine „entlarvende oder entzaubernde" Psychologie als „Fiktion des G('ltungstriebes und Bedeutungsverlangens" entdeckte, wer um die Rollen des \Villens zur Macht und des Lebensneides weiß, h.:mn nicht daran vorübersehen, daß es nun einmal Menschen gibt, die zwar bekleidet, aber nicht verkleidet auf der Lebensbühne auftreten. Zu diesen leichter durchschaubaren Persönlichkeiten ge­hörte Otto Eger. \Vir brauchen, um ein zureichendes Bild zu ge­winnen, hier nicht zu Geheimnissen vorzu5toB<>n, derpn Aufdeckung gegen das Taktgefühl verstieße. Grnnd5ätzlich ist allerdings zu sa­gen, daß sich diese Hücksichtnahme in der Charnkterforschung Yerhietet. weil ausnahmslos jedt'r \fensch seine Geheimnisse hat; aber eben der eine mehr, der andere weniger. Das letzte Beson­dere, das Ganze einer Indi\·idualität bleibt immer verschleiert: um diPse mit ihrf'm Gegenstand gegebene Grenze a 11 c r wissenschaft­lichen SC'C'lenkunde muß man wissen.

Das wissenschaftliche Verständnis für C'ine fremde PC'fsönlich­k(:it (Charakterologie ist verstehende Psychologie) erwächst auf mancherlei verschlungenen \Vegen letzten Endes aus der SPlbstbesinnung auf verständliche Abläufe, die man in sich vor-

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findet. Die so - und zwar schonungslo'> - erworbenen Einsichten sind auf den Anderen anzuwenden, dessen \Vesenskenntnis wieder zur Erweiterung der Selbsterkenntnis beiträgt; zum Abschluß kommt es nie.

Es ist ein Vorzug des psychiatrischen Fachs, daß es, so weit es nicht mit causalen, sondern verständlichen Zusammenhängen zu tun hat, gleichzeitig beides fordert, Nähe und Distanz zum Ande­ren. Diese eigentümliche Einstellung verdiente eigentlich eine be­sondere Untersuchung. Sie ist in modifizierter Form ohne die im ärztlichen Bereich erforderte und mehr oder weniger echt mit­schwingende Überlegenheit - auch bei der charakterologischen Be­trachtung zu fordern. „Der Haß ist parteiisch, aber die Liebe ist es noch mehr" ( Goethe ) . Ludwig K 1 a g e s fügte hinzu: „Der Liebe genügt ein Faktum von verschwindender Dürftigkeit, um eine Dichtung daran zu knüpfen, die aller \Virklichkeit spottet ... Die Liebe ist das wahre Element der Täuschung". \Vas ich Eger gegenüber empfand, war Verehrung, also jenes von unserem frü­heren Gießener Psychologen B o 11 n o w meisterhaft analysierte und gegen Achtung und Bewunderung klar abgesetzte Gefühl, das dort entsteht, „wo sich mit dem bewundernd aufschauenden Ver­lüiltnis zu einem anderen Menschen zugleich eine innere Beziehung zu dessen Leistung verbindet, und zwar so, daß der Verehrende selbst sich dieser Leistung tief und dankbar verpflichtet fühlt".

Ich bringe diese Ausführungen nicht nur, um damit Nähe und Distanz zum Anderen für diesen besonderen Fall zu beweisen, son­dern um gleichzeitig darauf hinzuweisen, wie nötig die exakte Klärung aller Begriffe ist, die in der Charakterologie Verwendung finden müssen. Davon, als von einer Arbeit an den Grundlagen, wird noch die Rede sein.

\Venn ein Mediziner sich zum Thema der Seelenkunde äußert, so schleichen sich bei der Zuhörerschaft leicht Erwartungen ein, die nicht erfüllt werden können. Man hofft etwa, daß er Auskunft geben werde über Zusammenhang von Gehirn und Seele, wobei unklar vorschwebt, daß jenes feste Materielle mit Einzelheiten seines Baus und seiner Funktionen zur Erhellung dieses Dunklen und flüssig Strömenden beitragen könne. Man hofft sogar, daß der

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Mediziner Entscheidendes über die Art der Verbindung zwischen Physischem und Seelischem mitteilen könne, obgleich es doch sicher ist, daß wir hier vor einem ewigen Rätsel stehen und daß wir „niemals begreifen werden, wie aus materiellen Vorgängen be­wußtes Leben und wie aus nervösen Zustandsäußerungen sPdisl'he Erlebnisse werden" ( B um k e). Möglich ist dem kritischen r\t>uro­logen nur in manchen Fällen die Zuordnung seelischer Ausfalls­erscheinungen, d. h. Störungen zur Läsion bestimmter Hirnstellen; gewiß lassen derartige Störungen auch Rückschlüsse auf an diese Hirnstellen irgendwie gekoppelte seelische Funktionen zu. Aber diese Zuordnung darf nur mit Zurückhaltung und größter Vor­sicht vorgenommen werden, besonders dann, wenn sie zur Lokali­sation von komplexeren Strukturen aus der Charaktersphäre fort­schreitet. Voraussetzung muß dafür die unvoreingenommene Prü­fung ,und Abklärung dieser Strukturen nach rein psychologischem Verfahren sein; verfehlt ist die Konstruktion charakterologischer Kategorien nach dem Modell der Hirnbefunde bezw. ihroc ört­lichen Verteilung. Zulässig ist einstweilen nur die empirisch wohl­hegründete Zuordnung von Trieb- und Affektstörungen zur Hirn­stammläsion und zu gewissen geschädigten Teilen der basalen Hinde sowie der intellektuellen Funktionen zu sehr ausgedehnten Partien des übrigen Rindengraus.

Äußert sich ein Mediziner zur Seelenkunde, dann kann er nicht an dem kühnen Versuch vorübergehen, den Ernst K r e t s c h m e r 1921 in „Körperbau und Charakter" unternahm und der zum System einer immer lebendigen und fruchtbaren konstitutions­biologischen Forschungsrichtung herangewachsen ist. Die Grund­sätze dieser Lehre sind weithin bekannt: Die großen Formenkreise der anlagemäßigen Geisteskrankheiten (Psychosen) des Manisch­depressiven Irresein und der Schizophrenie zeigen De:r.iehungen zu entsprechenden Körperbautypen, das manisch-depressive (circu­läre) Irresein zum pyknischen (rundlichen, kurzgliedrig-gedrunge­nen), die Schizophrenie zum leptosomen (schmalwüchsig-zarlen) Habitus. (Den 3. großen Formenkreis der anlagemäSigen Epilepsie mit seiner engen Beziehung zum athletischen Körperbautyp lassen wir hier aus Zeitgründen und wegen seiner etwas weniger klar

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durchgeformten Fundierung außer acht). Wie die Psychosen, so haben auch ihnen in der seelischen Erscheinungsform „verwand­te" normale Charaktertypen (deren äußerste krankhafte Zu­spitzungen über psychopathische, d. abnorme Charaktere hin die Psychosen eben darstellen) die besondere Beziehung zu den ge­nannten Körperbautypen: Der circulären Psychose, der zykloiden Psychopathie und dem zyklothymen Durchschnittscharakter ist die pyknische, der schizophrenen Psychose, den schizoiden'Psycho­pathien und den schizothymen Durchschnittscharakteren ist ,fie leptosome Körperwuchsform korreliert. \V enn wir vorhin nur im übertragenen Sinn von der Verwandtschaft der Psychosen mit d1.-n psychopathischen und normalen Charakteren sprachen, so läßt sich schließlich nach Kr et s c h m er in einer letzten Sicherung seines Lehrgebäudes auch eine wirkliche blutsmäßige Verwandt­schaft nachweisen. Im Erbzusammenhang erweisen Psychose, charakterliche Individualität und zugehörige Leihesform den ge­meinsamen biologischen Grund.

Ich zitiere - und gebe damit gleichzeitig ein Beispiel für Kr et s c h m er s hinreißende Darstellungsart - mit Verdeut­schung einiger Fachtermini: „Das alles ist aus einem Guß. Das, was in den sprunghaften Krisen und abrupten Launen unserer schizophren-katatonischen Patienten als Verfolgungswahn, als ab­surdes System, als verzweifelte Sperrung, als versteinerte Starre, als feindselige W eltabgewandtheit, trotziges Widerstreben und Schweigen katastrophal hindurchbricht, dasselbe Etwas durch­schwebt als spiritus familiaris in den verschiedensten Tönungen, in gesunden und psychopathischen Varianten die ganze Sippe von Pedanten und soliden gewissenhaften Sparern, unstet durchs Lehen zuckenden Verstimmten, verbohrten Erfindern, Sinnierenden in ihrer menschenscheuen zarten Ängstlichkeit, ihrem Mißtrauen. ihrer Schweigsamkeit, ihrer mürrisch-abweisenden Menschenfeindschaft. - Kommen wir aus dem psychischen Milieu schizophrener Fami­lien in das der circulären, so treten wir aus einem kühlen ver­schlossenen Gewölbe in den offenen warmen Sonnenschein. Was den circulären Familien gemeinsam ist, ist eine gewisse Gutherzig­keit, Wärme und Weichheit des Gemütes, eine aufgeschlossene, ge-

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sellige, menschlich-natürliche Art, die bald mehr heiter, frisch und witzig, tätig und umtriebig, bald mehr schwerblütig, weich und still, dort an den hypomanischen, hier an den depressiven Pol des circulären Formkreises in unmittelbarem Übergang sich an­schließt."

In der knapperen Darstellung des wissenschaftlichen Berichts und durch spätere Feststellungen der Kretschmer'schen Schule er­gänzt, liegen die Dinge so: Nach der körperlichen Seite ging diese Forschungsrichtung über die einfachen Konstitutionsmerkmale wie Skelettaufbau, Muskelgröße, Proportionsverhältnisse hinaus und stieß bis zum Versuch des Nachweises typenspezifischer „le­bendiger" Konstitutionskomponenten in Stoffwechsel und Blut­chemismus vor. Nach der charakterologischen Seite präzisierte sie sich sofort dahin, daß der Unterschied zwischen den beiden „Tem­peramentstypen" in Eigenarten des Gefiihlslehens zu suchen sei, und zwar in grundlegenden Unterschieden der die menschliche Individualität weitgehend bestimmenden „Affektivität nach ihrem Antrieb und ihrer Affizierbarkeit", von denen sich der erste im individuellen psychomotorischen Tempo, die zweite in den Eigen­arten des Gefühlslebens äußert, die mit heiter - schwerblütig -traurig einerseits, sensibel - empfindlich - kühl - stumpf ande­rerseits gekennzeichnet sind. Die pyknischen Zyklothymiker stehen oder schwingen zwischen den Polen der gehobenen Heiter­keit oder schwerblütigen Traurigkeit, zeigen im Tempo ihrer psy­chischen Abläufe Beweglichkeit bis Behäbigkeit, bieten „reizange­messene, runde, weiche und natürliche" Bewegungsformen; die kptosomen Schizothymiker dagegen stehen oder verschieben sich ?wischen den Polen gefühlsmäßiger Zartheit und reizbarer Über­empfindlichkeit einerseits, Kälte und Stumpfheit andererseits, sind sprunghaft im seelischen Tempo, reizinadäquat, verhalten, lahm, steif, eckig und gesperrt in ihrer Motorik.

Auch die zunächst nur so umrissene seelische Seite der beiden I\onstitutionstypen erfuhr im Fortgang der an Kr et s c h m er anlehnenden Forschung eine weitere Zergliederung. Es ließen sich danach in experimental-psychologischer Untersuchung typenspezi­fische Iksonderheiten in den elementaren sinnespsychologischen

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Abläufen, in der Anschauungs- und Vorstellungstätigkeit, im intel­lektuellen Geschehen erweisen.

Die praktische Brauchbarkeit des Kretschmer'schen Ansatzes ergibt sich insbesondere auch heim Studium seiner Untertypen aus dem zyklothymen und schizothymen Bereich. Mit den Geschwätzig­Heiteren, den ruhigen Humoristen, den stillen Gemütsmenschen, bequemen Genießern und tatkräftigen Praktikern hier, den Vor­nehm-Feinsinnigen, den weltfremden Idealisten, kühlen Herren­naturen, Trockenen und Lahmen dort, sind lebenswahre Varianten getroffen, die wir aus der eigenen Erfahrung wiedererkennen.

Nichts hindert, auch unseren Eger, den in seiner Leiblichkeit pyknisch Akzentuierten, den vorwiegend heiter -- humorvoll -Gütigen, den bedächtig-wägenden, verständig vermittelnden Organi­sator mit der natürlichen Lebhaftigkeit seiner Bewegungen unter die zyklothymen Führernaturen aufzunehmen. Aber sofort regt sich das Bedenken, er sei damit zu summarisch, zu oberflächlich erfaßt, obwohl doch \Vesentliches in der Beschreibung zu stecken scheint. \Ver tiefer blickt, stellt vielleicht dazu noch die Über­l<:'gung an, daß in diesem bescheidenen Umriß ebenso wie in den oben stichworthaft aufgezählten Kr et s c h m er' sehen Unter­typen mehr enthalten sei als nur die eine - freilich eine Art Do­minante abgehende - Besonderheit der „Affektivität", die das eigentliche, den Typus als solchen begründende und prägende Merkmal sein soll. Es regt sich das Bedürfnis nach Erhellung der Persönlichkeit von zahlreichen Seiten her.

Bevor wir darauf als auf unser eigentliches Anliegen näher ein­gehen, ein paar Bemerkungen zur Typologie im allgemeinen und zur K r e t s c h m e r ' sehen Typenlehre im besonderen. Typolo­gische Erkenntnisweise ist wertvoll und im Gesamtbereich der Charakterologie nicht zu entbehren; so offen die t~·pologische :Me­thode als logisches Problem in vieler Hinsicht noch ist, ihre Frucht­barkeit steht außer Zweifel. Es verschlägt an sich nichts, wenn dem einen Typenunterschied begründenden begrifflichen Ord­nungsprinzip in der Charakterologie im Gegensatz zu starren Gat­tungs- und Klassenbegriffen eine gewisse „Großzügigkeit" eignet, welche dem im Typus erfaßten Bereich elastische Grenzen sichert

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und dem Umstand Rechnung trägt, daß es reine Typen in der Er­fahrungswirklichkeit nur selten gibt.

Auch K r et s c h m er muß im Ausbau seines Systems reichlich mit Mischtypen, in seiner Sprache „Konstitutionslegierungen" arbeiten. Dagegen ist nichts zu sagen. Es ist (Jas per s u. a.) Ge­wichtigeres eingewendet worden: daß die Beziehung von Persön­lichkeit zu Psychose wenigstens im Fall der Schizophrenie nicht stimme, nicht stimmen könne, weil mit dieser Prozeßpsychose etwas ganz Anderes, Heterogenes eintrete; daß seine Körperbau­typen geschaute Gestalten und als solche mit Maß und Zahl gar nicht erfaßbar seien; daß, wolle man trotzdem einmal die korrela­tionsstalistische Untersuchung gelten lassen, die ermittelten Korre­lationsverhältnisse nicht überzeugend für eine Zuordnung be­stimmter Charaktertypen zu bestimmten Körperbauformen sprä­chen; daß überhaupt eine Ungeklärtheit der Begriffe und Metho­den vorliege, über die nun allerdings nicht nur der Reiz der Dar­stellung hinwegtäusche, sondern der Umstand, daß letzten Endes in einer Art Schau ein großer Zusammenhang gesehen sei etwa im Sinn der „Physiognomik der Gestalt" von C. G. Ca r u s. Damit würe denn das Problem der methodenfremden und wissenschaft­licher Analyse nicht zugänglichen Intuition als seelenkundlichen Erkenntnismittels herangezogen, die es gibt und die einem unmit­telbar und eigentümlich gewiß macht, daß diese oder jene charak­terliche Artung dieser oder jener Körpergestalt zukommen müsse, zu ihr gehöre. Dabei sind mit Körpergestalt natürlich nicht die charakterologisch so wichtigen fließend sprechenden und wissen­schaftlich zugänglicheren Ausdrucksformen des Seelischen in l\limik und Gestik gemeint, auf die wir aus Zeitgründen nicht ein­gehen können.

Der erste und unentwegt fruchtbare Ansatz, der sich um syste­matische Abgrenzung und gegenseitige Durchdringung charaktero­logischer Grundbestände müht, ist 1910 von Ludwig Klages in seinen „Prinzipien der Charakterologie" gegeben worden. Sein Lausannn Vortrag von 19-17 erweist, daß Klages an den Ergeb­nissen seiner Grundlagenforschung keine wesentlichen Änderungen \·orgenommen hat und vorzunehmen braucht. Es ist auch in den

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letzten Jahrzehnten kein Forscher an seinen Feststellungen einfach vorbeigegangen, so wenige sich der Lehre vom „Geist als \Vider­sacher der Seele" anschlossen; daß diese metaphysische Überzeu­gung auch nach K 1 a g es selbst nicht unabdingbar zur charaktero­logischen Grundlagenforschung gehört, zeigt der erwähnte Vor­trag, der sich von solcher Spekulation ganz freihält.

\Vir können hier nur den Umriß des Systems, und diesen nicht einmal voll ausgezeichnet, wiedergeben: Es geht nicht an, von der allgemeinen und experimentellen Elementarpsychologie her, die sich mit Wahrnehmungen.Vorstellungen, Gefühlen, Denkvorgängen und dergleichen beschäftigt, über eine Psychologie der individuel­len Differenzen eine wissenschaftliche „Seelenkunde" aufzubauen, die dann nur zu - wirklich vertretenen - grotesken Thesen führen würde, wie etwa der, daß „Anregbarkeit, Ermüdbarkeit und Übungsfähigkeit Grundeigenschaften der Persönlichkeit" wären. Mehr als Beobachtung, Apparat und Experiment vermittelt die vorwissenschaftlich gewachsene Sprache mit ihren Tausenden von Seelisches betreffenden Bezeichnungen, die sich der definitorischen Klänmg und dem Vergleich anbieten. - Aus spontanen und re­aktiven Äußerungen schließen wir auf bleibende Züge als „Eigen­schaften", welche nicht als abreißbare Te i 1 e, sondern als scharf unterscheidbare Seiten des Ganzen anzusehen sind; dieses Ganze ist die nicht nur (wie alles Lebendige) beseelte, sondern dazu noch hegeistete menschliche Persönlichkeit. -- Die Eigenschaften ord­nen sich zu in sich geschlossenen Eigenschaftsgruppen, n!imlich den Eigenschaften des Charakterstoffs (Charaktermaterie), der Charakterartung (Charakterqualität), des Charaktergefüges (der Charakterstruktur) und des Charakteraufbaus (Charaktertektonik). - 1. Zum C h a r a k t e r s t o ff gehören alle F ä h i g k e iJ t e n einer Persönlichkeit, wobei vorauszusetzen ist, daß es Fähigkeiten, Gaben, Talente, nicht nur des Verstandes, sondern ebenso des Ge­fühls und des \Villens gibt. Es würden also hierher außer Auffas­sungsvermögen, Scharfsinn, kombinatorischen Fähigkeiten, Ge­dächtnis, auch Gefühlsstärke, Feinfühligkeit, Stumpfheit, Willens­stärke, Willensschwäche und vieles andere mehr zu rechnen sein. Alle diese Begabungen sind Eigenschaften des Charakterstoffes,

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mit dem die Persönlichkeit arbeitet, den sie nützen oder vergeuden kann. Es sind M e n g e n e i g e n s c h a f t e n , von denen die eine Persönlichkeit mehr als die andere hat, und deren Bestand sich also im Vergleich sozusagen in einfachen Zahlen ausdrücken läßt. -2. \Vesentlicher sind und den Charakter im engeren Sinn kenn­zeichnen die Eigen s c haften der Art u n g oder Qualität. Es sind das die Triebfedern oder Interessen, welche zielbestimmt sind und mithin als Hi c h tun g sei gen s c haften ausdrücken, daß diesem Menschen diese, jenem Menschen jene Ziele wünschens­wert erscheinen. Damit ist schon angedeutet, daß immer am Grunde der Triebfedern spezifische Gefühlsanlagen stehen, d. h. eine Empfänglichkeit des Gefühls für spezifische Erfüllungen; auf der anderen Seite sind die Triebfedern anlagemäßige Bedingungen gewisser Vorzugsrichtungen des persönlichen Wollens. Beispiele hir solche Triebfedern, die bei K 1 a g es in einer großartigen Systematik nach solchen der Selbstbehauptung und der Selbsthin­gebung aufgegliedert werden, sind etwa Gewinnsucht, Herrsch­drang, Neid, Mitgefühl, Gutmütigkeit, Pflichtgefühl, Gewissenhaf­tigkeit usw. Es ist klar, daß in einer Persönlichkeit jede Trieb­feder mit jeder anderen unmittelbar zusammenhängt, sodaß sich Kongruenzen und Konkurrenzen ergeben; der sogenannte Kampf der Motive ist ein Kampf der Triebfedern. Triebfedern sind, ohne daß es wie bei den Eigenschaften des Charakterstoffs - des Vergleichs mit einer zweiten Person bedürfte, bei hinreichend sorg­fältiger Untersuchung einer Person zu ermitteln. - Triebfedern (Interessen) sind von Trieben scharf abzugrenzen. Triebe sind Crsachen vitaler Bewegungen, sind „gefühlte Mangelleiden, welche die Eigc>ntiimlichkeit haben, aus sich selbst Bewegungen zu ent· wickeln, die in der Behebung des Mangels ihr Ende finden"; Trieb­frdcrn aber sind \Villensursachen, anlagemäßige Bedingung der Hichtung eines Zwecke setzenden \Villens. Der Mensch hat auch Triebe, und zwar viel mehr, als man früher wahrhaben wollte, aber nur der Mensch (nicht das Tier) hat Triebfedern oder Inter­essen, denn nur er verfügt über das Ich oder Selbst, welches vor­hin in Selbstbehauptung und Selbsthingebung schon anklang, und damit über die Fähigkeit des \Vollens. Im Menschen sind die

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Triebe denTriebfedern so untergeordnet, daß sie sich zumeist erst mit deren Hilfe verwirklichen können. Das hindert nicht, daß bei einem Teil der Triebfedern die animalische Schicht der Triebe zugrundeliegt; hier Zusammenhänge aufzudecken, ist Absicht ana­lytischer Tiefenpsychologie, welche uns in diesem Zusammenhang nicht interessieren kann und darf, zumal sie in mindestens vier verschiedenen Lehrmeinungen divergiert. - 3. Zu den Eigenschaf­ten des Charaktergefüges (Charakterstruktur) gehören Eigenschaften wie temperamentvoll - temperamentlos, beweglich - unbeweglich, anregbar - unanregbar, Eigenschaften wie leb­haft, regsam, feurig, eilfertig - ruhig, gelassen, schwerfällig usw. Diese Eigenschaften kennzeichnen das Tempo, den Ablauf der In­nenvorgänge. Ein Teil von ihnen läßt sich zwischen den aus der alten Temperamentenlehre stammenden polaren Gegensatz san­guinisch - phlegmatisch einordnen. Dariib(•r hinaus gehören bei K 1 a g es zum Charaktergefüge aber auch noch die persönliche Ge­fühlserr('gbarkeit, die persönliche \Villenserregbarkeit und die per­sönliche Äußerungsleichtigkeit. Alle diese Struktureigenschaften können sinnbildlich als von der „Dichte der Seelensubstanz" be­stimmt und als Ver h ä l t n i sei gen s c haften durch einen Quotienten aus Größe des Antriebs und Größe des \Viderstandes ausdrückbar gedacht werden; damit wäre der Doppeldeutigkeit der Struktureigenschaften Rechnung getragen, daß beispielsweise jemand lebhaft sein kann sowohl aus Stärke der Antriebskräfte als auch aus Schwäche der seelischen \Viderstände. - 4. Aus der Ver­teilung der bisher besprochenen Begabungen, Ablaufseigenschaften und Triebfedern, aus der Rangordnung, dein Mit- und Gegen­einander eben dieser Triebfedern in einem einzelnen Charakter, aus Konsonanz und Dissonanz von Stammgruppen und Trieb­federn ergibt sich die Fülle der Kombinationen, die wir mit den Kategorien der Harmonie, Disharmonie, Einheitlichkeit, Zwiespäl­tigkeit letztlich ordnen. Zu diesen Eigenschaften des Ch a r a k -t er aufbau s oder der Ch a r a kt e r t e kt o n i k gehören auch Begriffe wie Ausgeprägtheit, Reife eines Charakters. - Wir fügen an, daß K 1 a g es von den so weit geordneten charakterologischen \Vesensbegriffen die Verhaltens-, Betragens-, Benehmensbegriffe

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scharf trennt, die nicht unmittelbar Charaktereigenschaf(en meinen, sondern eben ein Verhalten mit unbestimmten charakter­lichen Hintergründen. Es sind das die Bezeichnungen, mit denen wir im täglichen Leben in Führungszeugnissen, auch in Grabreden und 0."achrufen so gern operieren, hinter denen sich aber erst die charakterologische Problematik auftut. Ehrlichkeit etwa gehört zu den „Eigenschaften, die keine sind" (Klages). Denn der Ehrlich­keit kann ebenso gut die Furcht vor den Folgen der Unehrlichkeit, wie der \Vunsch, einen guten Eindruck zu machen, wie ein mit der Selhstschätzung zusammenhängendes Ehrgefiihl, wie ein Mangel an Eigennutz zugrundeliegen. Oder was besagt schon „Lichens · \vürdigkeit"? Sie kann gewiß echter Menschenliebe entspringen, ebenso wohl aber auch nur berechnetes Mittel im Dienst eigen­nütziger Ziele sein. Aus dem Verhalten zum \Vesen vorzustoßen, ist Aufgahe wissenschaftlicher Charakterkunde.

Dieser Bericht sollte, so kurz er gehalten sein mußte, wenig­stens eine Ahnung vom geordneten Reichtum der Tatbestfinde, ihren Koppelungen und Verzahnungen - diese mechanischen Bilder sagen aber viel zu wenig gegenüber dem integrativen seeli­schen Zusammenhang - innerhalb des Charakteraufbaus vermit­teln. Vollends versagt unser mechanisches Gleichnis an den Trieb­federn, wo „die Tatsachen des Gefühlslebens und die dynamischen Anlriebserlehnisse, die in .... den Strebungen lebendig sind, ver­schieden ahhehhare Seiten der \Virkungseinheit eines Grundes darstellen" (L er s c h). :\fan kann an den Strebungen die Gefühls-, an den G,~fühlen die Strebungsseite akzentuiert'n. Das alles darf niemals außer acht gelassen werden, wenn wir uns abschließend den Schichttheorien des Charakters, zumal ihrer reichsten und reifsten Ausprägung durch Ph. L er s c h zuwenden.

Mein Vorgänger auf dem Gießener Lehrstuhl, H. F. Hoff -m a n n , entwickelte 1 ~)35 erstmalig eine Schichttheorie, wesent­lich auch für die Erfassung psychopathischer, also abartiger Cha­raktere. Er schied die tiefste Schicht der vitalen Triebe mit ihrem Ziel der Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse von der dar­iiherliegenden Schicht der strebenden Gefühle und beide von der höchsten Schicht des Geistes, „der ohne die tieferen Schichten

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nicht sein kann, gleichzeitig aber ihre \Virksamkeit beaufsichtigt und ihre Mängel ausgleicht, sodaß er gleicherweise an sie gebun­den und ihnen gegenüber doch relativ frei ist. Es ist die Schicht des bewußten \Vollens, des rationalen Denkens, der Selbstbeherr­schung und der bewußten Pflichterfüllung".

Klages kann einen Schichtaufbau wenigstens in dieser \V eise nicht anerkennen; wie L er s c h richtig ausführt, widerspricht ja das Prinzip der Fundierung im Sinne des Tragens und Aufruhens der Schichten der metaphysischen Grundüberzeugung von K l a -g es, daß der Geist (und mit ihm der \Ville) als Zerstörer in die volle selbstgenügsame Lebendigkeit der Seele eingreife.

\Vir übergehen aus Zeitgründen den stark biologisch orien­tierten Schichtenversuch von E. Rothacker mit seiner Unter­scheidung von Tiefenperson oder Es-Schicht und Personschicht mit Ichfunktion und versuchen vielmehr, uns nach den Anschau­ungen und mit den Unterscheidungsmitteln der L er s c h' sehen Schichttheorie der Persönlichkeit E g er s zu nahen.

Vom integrativen Zusammenhang in der Einheit der Person, davon also, daß alle „Eigenschaften'' des Charakters sich gegen­seitig bestimmen und durchwirken, war ausdrücklich mehrfach die Rede. In diesem integrativen Zusammenhang stehen - und damit führen wir schon die L er s c h ' sehe Gliederung ein -selbstverständlich nicht nur das Lebensgefühl, das Selbstgefühl, die „gerichteten Gefühle" und Strebungen als Unterscheidbar­keiten innerhalb der Schicht des „endothymen Grundes", sondern dieser selbst auch wieder mit dem „personellen Oberbau", in dem der \Ville und das Denken mit ihren daran wieder abhehharen Einzelbestimmungen lebendig sind. Eine Unabhängigkeit der bei­den genannten Schichten voneinander gibt es nicht.

Der integrative Zusammenhang bedingt u. a„ daß Einzeleigen­schaften innerhalb eines Charakters im Verhältnis einer inneren Verwandtschaft oder einer gegenseitigen Fremdheit bis \Vider­sprüchlichkeit oder auch einer relativen Neutralität zueinander stehen. Solche Überlegungen haben nicht nur innerhalb der Trieb­federn Geltung, sondern Beziehungen zur Tektonik des ganzen Charakter im Klage s's c h e n Sinn und führen somit zum Ver-

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ständnis von Harmonie oder auch gegensätzlichen Spannungen in einem Charakter. Innere (\Vesens-) Verwandtschaft, „Affinität" („Diffugität" bedeutet die \Vesensgegensätzlichkeit von Eigen­schaften) erlaubt nach L er s c h aber auch die Anwendung des „forschungstechnisch so wichtigen Prinzips der Absteckung des charakterologischen Umfeldes einer eindeutig ermittelten Eigen­schaft". Es ist eben mit einer \Vesenseigenschaft in einem Cha­rakter ein Kreis von dazu stimmenden, verwandten Eigenschaften als möglich oder wahrscheinlich gesetzt, der zum Teil oder im Gesamt als wirklich vorhanden nachzuweisen oder abzulehnen ist.

Aber es gilt nicht nur, affine und diffuge Eigenschaften in einem Charakter zu ermitteln, sondern darüber hinaus auch „das ordnende Prinzip, welches den Einzelzügen ihren Stellenwert ... nach Über- und Unterordnung ... in der Einheit eines bestimmten Charakters verleiht". Es geht damit um die Struktur, das Gefüge in einem ganz anderen und schlichteren Sinn als bei K l a g es .

\\'ir wollen abschließend - und bedienen uns dabei vorwie­gend der ebenso prägnanten wie farbigen Formulierungen von L er s c h , ohne das im einzelnen immer kenntlich zu machen -' on der Persönlichkeit Otto Egers sprechen.

Da ist die Tiefe des endothymen Grundes; ihm entwachsen die Gehalte und Vollzüge, welche zum Teil noch leibliche Tönung haben. Sie werden nicht als vom Ich produziert, sondern als dem Ich gegeben erlebt. Gegeben einmal in den Formen des „Zumuteseins", in Lebens- und Selbstgefühl heim Herantreten an die \Velt; gegeben zum zweiten als „Angemutetwerden" von den \\'erlen der \Velt in den „gerichteten Gefühlen"; gegeben schließ­lich, und nunmehr in Richtung nicht auf gelebte Gegenwart, son­dern auf die Zukunft, in Trieben und Strebungen (Triebfedern im Sinne von Klages ) .

Von Eger strahlt ganz vordringlich die Lebensgrund­s t i m m u n g der Heiterkeit als jener Form des Zumuteseins aus, die sich von aller lärmenden und oberflächlichen Lustigkeit unter­scheidet. Ihn durchtönte ganz die Melodie der stillen verschwiege­nen Heiterkeit, mit welcher wesenhaft gegeben sind innere Hellig­keit, Leichtigkeit und Auftrieb, gelassenes Auf gehen in der Gf'gen-

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wart ohne Aufgewühltheit durch Drohungen der Zukunft; diese wurden von ihm nur ruhig bedacht, immer aber - wie oft wurde uns das gegenüber dem wechselvollen Schicksal der Lu<loviciana deutlich - in optimistischer Einstellung.

Mit der wirklichen Heiterkeit sind bei ihrer hohen integrativen Kraft eine Reihe von affinen Eigenschaften im charakterologischen Umfeld gesetzt. Wir finden sie herrlich ausgeprägt bei Eger. Da ist (und wir stoßen damit auf die zweite Form des Zumuteseins, in welcher das Dasein nicht nur wie in der Lebensgrundstimmung bloß „als Sachverhalt der Lebendigkeit, sondern als indi,·iduelles Selbst in Abgehobenheit und in Gegenstellung zur Um- und '.\fitwelt gegeben ist") das Selbst g e f ü h 1, welches wir in ein Eigen­machtgefühl und ein Selbstwertgefühl gliedern können. Eger besaß ein ausgesprochen sthenisches Eigenmacht g e f ü h 1, das heißt, er fühlte sich allen \Viderständen der Umwelt letztlich gewachsen, war voller Selbstvertrauen, unbefangen, selbstsicher, aktiv und unternehmungsfreudig. Tauchten Schwierigkeiten auf, so wurde er nicht nervös und aufgeregt; er protestierte vidmehr mit gemäßig­tem Unwillen. Sein Eigenmachtgefühl kam aus endothyrner Vital­kraft, wurde aber bestärkt auch vom Bewußtsein seiner Intelligenz, seines \Vissens, seiner Erfahrung und seiner praktischen Ge­wandtheit.

Er fühlte sich aber auch, und damit kommen wir zum Se 1 b s t -wert g e fühl , „als Träger eines \Vertes und einer \Vürde". Nicht daß sein Selbstwertgefühl sich in einem Geltungsbewußtsein vor der Mitwelt erschöpft hätte. Selbstverständlich hatte er vom Gel­tungsbewußtsein aus auch seine berechtigten Ansprüche auf Aner­kennung und Beifall; aber dieses natürliche 'Geltungshediirfnis war nicht zur Geltungssucht ausgeartet. Es trat bei ihm nur zu einem letztlich entscheidenden Eigenwertgefühl hinzu, welches seine \Vertiiberzeugung aus der Prüfung vor dem Gewissen (oder, weil er ein homo religiosus war, vor dem Antlitz Gottes) bezog.

Schauen wir weiter auf die g er ich t et e n Ge f ii h l c als Formen des Angemutetwerdens, des eindrucksvoll Ergriffenwer­dens von den \Verten der \V elt, so finden wir bei Eger jene schon mit der Heiterkeit gesetzte bejahende Aufgeschlossenheit zur Um-

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und ,\litwelt in zahlreichen speziellen Ausgliederungen. Er hatte die Fähigkeit, sich ganz unbefangen über etwas freuen, die Dinge genießen zu können. Er besaß (wir sprachen schon von seinem Optimismus) die Fähigkeit des „Hoffens auf die Zukunft als Feld der Verwirklichung von \Verten". (Schöner kann der integrative Zusammenhang der Begabung zur Hoffnung mit Lebens- und Selbstgefühl nicht ausgedrückt werden al5 mit den \Vorten ''Oll

L er s c h : „Die Hoffnung ist für den Menschen des ungebroche­nen Lebens- und Selbstgefühls gleichsam der Atem seines Daseins").

Eger war, und hier betreten wir die Sphäre der mit -m e n s c h 1 i c h g e r i c h t e t e n G e f ü h l e , des Gemüts, voller Giitc, Herzlichkeit, Teilnahmebercitschaft, menschlicher \Värme, hücksicht, Zartgefühl; im Mitgefühl, also in Mitfreude und Mitleid, nahm er ohne den Einschlag des Gönnerhaften (welches ja Selbstbespiegelung enthält) an dem Anderen im eigentlichen \Vortverstand Teil, wobei sich denn (wir denken wieder an den Zusammenhang von Gefühl und Strebung in den Triebfedern) so­fort auch Impulse zur tätigen Hilfe bei ihm einstellten. Er ließ sich dabei vom Mitgefühl nicht überrennen. Sein Humor, diese der Heiterkeit eng verschwisterte Einstellung, mußte ja schon den Blick wie für eigene, so auch für fremde Unzulänglichkeiten ent­halten, die dann eben in humoristischer Versöhnlichkeit „trotzdem" das befreiende nachsichtige Lachen auslösen. Aber es ist schon so, wie ich an Eger s Grab im Hinblick auf seine unvergänglichen Leistungen für das Gießencr Studentenwerk sagte: „\Vas er in der studentischen Notzeit nach dem ersten \Veltkrieg tat, hat er nicht aus einem rationalen Bedürfnis nach äußerer Ordnung, wie es seiner Fakultät nahe liegen mag, getan, sondern weil er voll war der Agape, der menschlichen ethischen Liebe, die für den Anderen in Hingabe und Treue lebt".

\Vir übergehen die von L er s c h weiter angeführten gerich­teten „e t h i s c h e n Gefühle" des Pflichtgefühls und Gerech­tigkeitsgefühls, von denen vielleicht unmittelbarer einleuchtet, daß sie im endothymen Grund verwurzelt sind als von den „n o et i · s c h e n Ge f ü h 1 e n ", in welchen die Gegenstände in ihrer Er-

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kennbarkeit und Denkbarkeit nicht etwa nur erkannt und gedacht, sondern mit den Gefühlen des Staunens, der Bewunderung, des Zweifels, der Überzeugung erlebt werden. Es wird für mich un­vergeßlich bleiben, mit welcher begeisterten Hingerissenheit Eger wissenschaftliche Vorträge aus anderen Fachgebieten entgegen­nehmen konnte. Hier war wirklich nicht bloße Verstandeseinsicht, sondern das „unmittelbare Ergriffensein von Sinnwerten" wirk­sam, welches L er s c h mit dem Begriff der „noetischen Gefühle" kennzeichnen will.

\Vir haben den Zusammenhang zwischen den gerichteten Ge­fühlen und den Strebungen immer wieder betont. Daß sich, um die Dinge von der Strebungsseite her aufzugliedern, bei E g er stärkste soziale Strebungen aus den mitmenschlichen Gefühlen ergaben, daß Erkenntnisstreben und Wissensdrang als „t ran s i t i v e Strebungen" den noetischen Gefühlen entspringen müssen, ist ebenso selbstverständlich wie, daß adäquate endothyme Strebun­gen auch dem Selbstgefühl und seinen besonderen Formen (Macht­streben, Geltungsstreben, Eigenwertstreben) zugeordnet sein miis­sen. Ein \Vort nur zu den Egoismen, und das, um die Persön­lichkeit Eger s nicht in das Schemenhafte einer blassen „Ideal­figur" verschwimmen zu lassen. Verhindert ist das ja schon eini­germaßen durch seine mit der Heiterkeit gegebene \Veltoffenheit, seinen Humor und die Fähigkeit des behaglichen Genießens. Aber

es sei ausdrücklich gesagt: Jeder Mensch hat sein !\laß egoistischen Strebens, gerichtet auf die Verwirklichung der persönlichen \Verte

des Nützlichen und des Zuträglichen. Ich sehe Eger sicher rich­tig, wenn ich ihm den gesunden Egoismus ·zubillige, welcher die Mittelstellung zwischen Selbstsucht und Selbstlosigkeit einhält.

Betrachten wir schließlich den auf dem endothymen Grund sich aufschichtenden „p er so n e l l e n 0 b erbau" mit den Funk­tionen des \\rollens und Denkens, so fallen uns bei Eger in der \\rillen stätig k e i t , welche „die endothyme Dynamik ... selbstherrlich und selhstbestimmend ... kontrolliert", Entschluß­föhigkeit, Selbständigkeit der Zielsetzung und jene besondere Form des „spannungskräftigen Stils" der \Villenskraft auf, der den \\'il-

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len auf längere Sicht und mit der Fähigkeit zur Geduld zum Ein­satz zu bringen vermag.

\Vie es aber mit der noetischen Seite des personellen Oberhaus, dem Denken , bei ihm stand, so ist dazu angesichts der wissen­schafts t h eo r et i s c h e n und der lebenspraktischen Leistung kaum etwas zu sagen.

Uns will scheinen, daß Eger zu jenen innerhalb des endo­thymen Grundes und im Verhältnis von Grund und Oberbau sdten ausgewogenen Charakteren gehörte, die sich nicht einfach als Ver­standes- oder Gefühls- oder \Villensmenschen kennzeichnen lassen. Seine Gesamtpersönlichkeit stand mit ihrer Harmonie sichtbar in der Gnade der Götter.

Literatur:

B o 11 n o w, 0. F„ Die Ehrfurcht, 1947, Verlag V. Klostermann-Ffm.

B um k e, Gedanken über die Seele, 1941, Springer-Verlag Berlin.

Hoffmann, H. F„ Die Schichttheorie, 1935, Enke-Verlag Stuttgart.

Jas per s, K., Allgemeine Psychopathologie, 1948, Springer-Verlag Berlin.

K 1 a g es, L„ Die Grundlagen der Charakterkunde, 1926, Verlag Joh. Ambr. Barth-Leipzig.

- Stammbegriff der Charakterkunde, Universitas, 2. Jahrg„ H. 11.

Kr et s eh m er, E„ Körperbau und Charakter, 1939, Springer-Verlag Berlin.

-· Med. Psychologie 1947, Gg. Thieme-Verlag Leipzig.

L er s eh, Ph„ Aufbau des Charakters, 1948, Verlag Joh. Ambr. Barth-Leipzig

Roth ade er, E„ Die Schichten der Persöulichkeit, 1947, Verlag Joh. Ambr. Barth-Leipzig.

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Das Rätsel der Steinkreuze. Mit vier Tafeln (Taf. I-IV).

Von K a r l F r ö l i c h .

„Es steht ein Kreuz am \Vege, ein alter grauer Stein, es grub in ihn der Steinmetz ein Kreuz und Beil hinein, als Untatsangedenken er dort am \Vege steht, so meldet Bauernkunde, die von dem Steine geht. Keiner wurde vergessen, jedem ward sein Teil: ein Kreuz bekam der eine, der andere das Beil.

Hermann Löns

Einsam, finster und stumm erheben sich oft am \Vegrand Yer­witterte Steinkreuze. Sie sind üher ganz Nord- und ~fitteleuropa

bis tief in den Südosten unseres Erdteils verstreut. Scheu zieht der \Vanderer an ihnen vorüber, denn Sagen von düsterem Ge5chehen, von Tod und Blutschuld haften häufig an ihnen. Bis jetzt ist es nicht gelungen, die Rätsel, die sie aufgeben, restlos Lu lösen. Aber manche Aufschlüsse sind es doch, die wir der neueren Forschung über sie verdanken. Darüber soll im folgendPn berichtet vrerden. 1 l

Kreuze dieser Art finden sich an allen möglichen Stellen: r,m Straßenrande, namentlich an \Vegscbeiden und Kreuzwegen, für sich im Felde aufragend oder tief im "Talde versteckt, in Dörfern, vor allem auf dem Dorfplatz, freistehend oder eingemauert in die Kirchenwand oder die Kirchhofsmauer usw. Nicht immer lnben sie noch den gleichen Platz inne, an dem sie einst errichtet sind, oft hat man sie, so, wenn sie fiir die Feldbestellung oder ein Hau­vorhaben hinderlich waren, später an einen andern Ort verpflanzt. Viele der früher bezeugten Steinkreuze <;ind heute verschwunden und nur im Gedächtnis des Volkes, in urkundlichen Aufzeichnungen

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oder in den Flurnamen der Umgebung hat sich die Erinnerung an sie behauptet. 2

) In der Regel treten sie einzeln auf, doch komm<'n sie auch gruppenweise vor, zwei, drei oder noch mehr Kreuze nebeneinander, die sogenannten Steinkreuznester. Gelegentlich sind in dieser \V eise bis zu einem Dutzend Kreuze und darüber , ~r­einigt.

Die Form der Kreuze ist sehr verschieden und wech'ielt nach den Landschaften. 3 ) In der Hegel sind es einfache, ja plumpe niedrige Kreuze in der Art des lateinischen Kreuzes mit gleichen oder ungleichen Schenkeln, wie es bei dem Steinkreuz von Stock­hausen bei Lauterbach (Abb. 1) oder dem in Salzschlirf (Abb. 2) der Fall ist. Auch stattlichere Ausgestaltungen kommen \or, wie die Kreuze hei Kempten unweit Bingen (Abb. 3) und \On Nicder­klein hei Kirchhain zeigen. Nicht selten begegnen jedoch Kreuze von ahweichender Form, z. B. in Gestalt eines liegend('n Knuze~, des sogen. Andreaskreuzes oder des Eisernener Kreuzes. Höhere Kreuze sind namentlich auf niederdeutsch('m Roden verbreitet, wo sie den Übergang zu den nordischen Bautasteinen vermitteln. 4 )

Dort stoßen wir in stärkerem Umfang auch auf Scheiben- od<:r Radkreuze, wie sie etwa in Elze (Hann.), in Jiemmendorf, Kr. Ha­meln (Abb. öl, ausgehauen aus einer Felswand in Reinhausen hei Göttingen (Abb. 9) überliefert, wie sie aber auch anderwärts, z. B. in Treffurt a. d. Werra (Ahb. 4), bezeugt sind. Besondere Beach­tung verdient das schöne Radkreuz von Varmissen bei Dransf dd, neben dem ein kleineres Steinkreuz halb im Boden versunken ist (Abb. 11).

Ebenso fehlt es nicht an sogen. J{ r e u z s t einen, d. h. fla­chrn, hochkant gestellten Steinplatten, die ein eingemeißeltes Kreuz aufweisen. wie unweit Hermannrode, Kr. \Vitzenhausen (Abb. 7), und in der Umgebung von Einbeck 5 ) sowie weiter nach Norden zu. Ganz vereinzelt sind selbst heute noch Holzkreuzt erhalten, die immer wieder erneuert werden.

Die meisten der vorhandenen Steinkreuze entbehren einer In­schrift, da über den Zweck ihrer Errichtung im allgrmeinen Klar­heit bestand. \Vir treffen jedoch ebenfalls Kreuze an, die einzelne Buchstabt'n, Namen, Daten oder auch ausführlichere Inschriften

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tragen, die über Zeit und Anlaß der Errichtung Kunde g•:hl'n. Solche Kreuze stehen z. B. bei Niedermörlen in der Nähe von ßqd Nauheim (Abb. 5) 6

) und unweit von Hann. Münden im Steinbach­tal. 7) Zuweilen sind auf ihnen Christus- und Heiligenfiguren mit der knieenden Gestalt des Erschlagenen wiedergegeben, wie in Salz­hemmendorf, Kr. Hameln, oder am Ostausgange von Unter­hirnbach, Kr. Fulda (Abb. 8) 8 ), hier und da sogar Darstellungen der Mordszene oder des zum Tode führenden Vorgangs. 9

) Häufig 7eigen die Kreuze Ritzzeichnungcn, die als Schwrrter oder Beile. als Pflugscharen, Scheren und sonstiges Handwerksgerät anzu­sprechen sind. Schwert und Beil können als Mordwaffe oder, wie Löns es tut, als Richtwerkzeug oder endlich als ein Abzeichen des Berufs des Toten aufgefaßt werden. In der überwiegenden Zahl der Fälle dürfte der letztgedachte Gesichtspunkt zutreffen. Dafür läßt sich die Tatsache geltend machen, daß mehrfach \Vappen, Schild und Helm des Erschlagenen an dem Kreuz angebracht sind, wie es bei dem bekannten Steinkreuz von llirschhorn am rechten Neckarufer zu beobachten ist. 10

)

Üppig umrankt diese Kreuze die Volkssage. Es tun das schon die Namen dar, die ihnen der Volksmund beilegt. Bald bringt man sie in Verbindung mit Kriegen und spricht von Hussiten-, Fran­zosen- und Schwedenkreuzen. Bald sollen sie als Pestkreuze die Stellen bezeichnen, wo in Pestzeiten die Seuche halt gemacht hat. Wieder andere sollen das Gedächtnis an die christliche Mission wahren, wie es bei den zahlreichen ... Bonifazius- und Cyrillus­kreuzen der Fall ist. Überwiegend werden sie als Mord- und Sühne­kreuze betrachtet. 11 ) Aber auch in sonstiger \Veise, etwa als Grenz-, Markt-, Friedens-, Asylkreuze und noch anders werden sie gedeutet.

Was trifft hiervon zu und in welcher Richtung ist die Erklärung zu suchen?

Die Mehrzahl der Kreuze hält zweifellos die Erinnerung an Vorgänge fest, bei denen ein Mensch ein gewaltsames Ende ge­funden hat. 12 ) Sie lassen eine Verknüpfung erkennen mit dem Totenglauben und Totenkult unserer Vorfahren. Ihr Ursprung ist verwurzelt in der Vorstellung von dem körperlichen Fortleben des Menschen nach seinem Tode und der Angst vor seiner Wieder-

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kehr, um die Überlebenden zu verfolgen und zu quälen. Um dies zu hindern, galt es, einen Platz zu schaffen, an dem die Seele des Verstorbenen ausruhen konnte und an dem die Hinterbliebenen den Pflichten des Totenopfers nachzukommen vermochten. Des­halb errichteten die Angehörigen des Toten am Orte des Todes oder noch häufiger an \Vegen, namentlich an Kreuzwegen und \Veggahelungen, die als bevorzugte Aufenthaltsorte der Geister be­trachtet wurden, Male. 1:i) Meist wird es sich dabei zunächst um einfache Steine oder dort, wo es an Steinen mangelte, um Holz­pfähle gehandelt haben. Möglicherweise sind auch schon zu heid­nischer Zeit Stein- oder Holzkreuze gewählt worden, doch ist volle Klarheit hierüber nicht zu erzielen.

l\fit dem Aufkommen des Christentums dringt jedenfalls die Kreuzform durch und es ändert sich gleichzeitig der Sinn, der der Aufstellung der Male unterlegt wurde. Ein Kreuz aus Stein oder Holz wurde errichtet, um die Vorübergehenden aufzufordern, ein stilles Gebet für die Seele des Toten zu sprechen und ihm dadurch Huhe und Frieden im Jenseits zu verschaffen. Doch auch jetzt noch wirken die Anschauungen der Vergangenheit nach. Die Kreuze werden mit Vorliebe weiter am \Vegrande und an Kreuz­wegen gesetzt und abergläubische Vorstellungen mannigfaltiger Art bleiben mit ihnen verbunden.

Seit etwa der Mitte des 13. Jahrhunderts treten die meisten dieser Kreuze als sogenannte S ü h n e k r e uze auf. Zwischen dem Mörder oder Totschläger und der Sippe des Erschlagenen wird, von der Kirche begünstigt, ein Siihnevertrag zur Abwendung von Fehde und Blutrache geschlossen. 14

) In ihm verpflichtet sich der Täter zu Leistungen, die die Hinterbliebenen wegen der durch den \Vegfall des Ernährers erlittenen Nachteile durch Zahlung einer Geldsumme oder in ähnlicher \Veise entschädigen, die vor allem aber auch dem Seelenheil des Toten zu Gute kommen sollten. Dazu gehört die Ausrichtung von Vigilien und Seelenmessen, die Über­nahme von Pilgerfahrten, die Errichtung von Stiftungen, die Er­bauung von Kapellen und schließlich die Setzung von Stein- oder Holzkreuzen in der herkömmlichen Form. Die Bedeutung der Kreuze ist dabei die gleiche, wie die der schon früher üblichen

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Totenkreuze, die überhaupt in Fällen gewaltsamen Todes von den Angehörigen des Verstorbenen erstellt wurden. Der Unterschied besteht nur darin, daß die Verpflichtung zur Errichtung des Kreu­zes vertraglich auf den Täter abgewälzt wurde.

Der Brauch, Steinkreuze auf Grund eines Sühnevertrages zu setzen, starb seit dem 16. Jahrhundert wieder ab unter dem Ein­fluß der Peinlichen oder Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. vom Jahre 1532, der Constitutio Criminalis Carolina, und unter der Ein­wirkung der geänderten religiösen Auffassungen. Die Carolina ver­half der Strafverfolgung von Amtswegen zum Siege, die his dahin gegebene Möglichkeit, daß der Mörder durch eine gütliche Eini­gung mit den Verwandten des Getöteten der peinlichen Slrafc ent­ging, entfiel. Es schwindet in den evangelisch gewordenen Gebieten der Glaube an die Bedeutung von Gebet und guten \Verken für das Seelenheil der Toten. Aber auch die katholische Kirche wendet sich jetzt zu Gunsten des Gedankens eines öffentlichen Strafrechts gegen den Abschluß von Sühneverträgen und die Errichtung von Steinkreuzen zu dem Zweck, den Täter der Bestrafung zu ent­ziehen. Trotzdem bleiben im Volke die dem Brauch der Kreuz­setzung zu Grunde liegenden Anschauungen weiter lebendig. Noch im 17 . .Jahrhundert werden Sühneverträge verlautbart, die zur Aufstellung von Steinkreuzen führen, ohne allerdings die Strafver­folgung auszuschließen. Und auch in der Folge und zum Teil bis zur Gegenwart bleibt es üblich, Steinkreuze als Erinnerungsmale für eines plötzlichen Todes Verstorbene zu stiften, mit denen sich in katholischen Gegenden bis heute der Gedanke der Fürbitte für den Toten verbindet. Jetzt sind es wieder die Angehörigen oder auch Freunde des Verstorbenen, die die Kreuze setzen, die nun­mehr vielfach in ihrer äußeren Form den Grabkreuzen angenähert erscheinen oder sich als sogenannte Marterl darstellen. Auf diesem Hintergrund sind m. E. in der Überzahl der Fälle die Tatbestände zu erklären, die uns bei den überlieferten Steinkreuzen entgegen­treten.

Was die schon erwähnten S t e i n k r e u z n e s t er anbelangt, in denen eine Reihe von Kreuzen an demselben Platz begegnet, so verknüpfen sich mit ihnen meist die Sagen, die darüber berichten,

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daß sich am Orte der Setzung der Kreuze mehrere Mädchen oder Burschen wechselseitig den Tod gegeben haben. Nun ist gewiß mit Fällen zu rechnen, in denen die Aufstellung einer Vielzahl von Kreuzen darauf hindeutet, daß hier mehrere Personen zugleich umgekommen sind. In der Regel werden die Dinge aber wohl so liegen, daß die in einem Steinkreuznest vereinigten Kreuze nach­träglich von ihren ursprünglichen Standorten, wo sie als störend empfnnden wurden, entfernt und auf einen Platz zusammen­getragen, öfters auch in Kirchhofs- oder Kirchenmauern einge­lassen sind. 15

)

Neben den Sühne- und sonstigen Toten-(Unglücks-) kreuzen sind aher auch noch mehrere andere Gruppen von Steinkreuzen zu beachten, die jenen in der äußeren Form völlig oder nahezu gleichen und sich auch zeitlich mit ihnen überschneiden, die je­doch eine abweichende Zweckbestimmung hatten. Als solche I\reuze kommen Grenz- und Gerichtskreuze, Markt- und Markt­friedenskreuze, kirchliche Kreuze verschiedener Art, gelegentlich auch Kreuze mit gemischten Aufgaben in Betracht, ohne daß da­mit die Zahl der überhaupt gegebenen Möglichkeiten erschöpft wäre.

Ich wende mich zuerst den G r e n z k r e u z e n zu, in denen eine frühere Anschauung sogar den Hauptteil der überlieferten Steinkreuze erblickte. Diese Meinung hat sich als nicht haltbar er­wiesen. Zwar spielen zuweilen Steinkreuze, die als Sühnekreuze errichtet sind, im Grenzrecht und Grenzbrauch eine Rolle, insofern sie in der Nähe von Grenzen auftreten und nachträglich zu Grenz­kreuzen gestempelt sind. Auch werden Steinkreuze ebenfalls von vornherein zur Festlegung von Grenzen verwendet sein, vor allem dann, wenn es sich um die Grenzen eines kirchlichen Bezirks oder einer kirchlichen Berechtigung drehte. Als Beleg kann angesehen werden das in \Veisenau bei Mainz genau auf der Gemarkungsgrenze stehende Steinkreuz, das das Mainzer \Vappen trägt und die Grenze des Mainzer Burgbannes kennzeichnet. 16 ) An Grenzzeichen wird in erster Linie zu denken sein, wo einfache Steinkreuze in Find­lingsblöcke oder sonstige natürliche Ablagerungen eingemeißelt sind. Doch ist hier die Trennungslinie gegenüber den in der glei-

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chen Aufmachung erscheinenden Sühnekreuzen nicht immer leicht zu ziehen und insgesamt bleibt die Zahl der Grenzkreuze, die als solche sicher nachzuweisen sind 17

), sehr erheblich hinter der Zahl der Sühnekreuze zurück.

Öfters wird die Ansicht verfochten, daß ein größerer Teil der überlieferten Kreuze Gerichts w a h r z eichen gewesen seien, da, insbesondere auf niederdeutschem Boden, mehrfach Steinkreuze auf ehemaligen Landgerichts- und Godingsstätten festgestellt sind18

). Aber abgesehen davon, daß wahrscheinlich ebenfalls die auf Gerichtsplätzen oder in deren Nähe bezeugten Kreuze manch­mal erst nachträglich an ihren jetzigen Standort verbracht sind, ist es kaum angängig, die Fülle der überhaupt vorhandenen Stein­kreuze in dem Umfang, wie es diese Auffassung voraussetzen würde, als Gerichtskreuze anzusprechen. Näher liegt schon die Annahme, daß Steinkreuze in Verbindung mit R ich t plätzen auftreten, sei es, daß solche Steinkreuze auf der Richtstätte selbst oder daß sie doch auf dem Wege zu ihr gesetzt worden sind. Da die hingerichteten Verbrecher in der Regel unter dem Galgen ver­scharrt wurden, hält sich die Errichtung eines Steinkreuzes an diesem Orte im Rahmen der vorstehend umschriebenen Entwick­lung. Bei den Kreuzen auf dem Wege zum Richtplatz könnte da­gegen an eine sogenannte Armesünderbetstelle gedacht werden, bei der dem Verbrecher auf seinem letzten Gange nochmals Gelegen­heit zum Beten oder Beichten gegeben wurde.

Bei Städten stoßen wir nicht selten auf die Erscheinung, daß zur Kennzeichnung des städtischen Friedensbezirkes \Viederholun­gen des auf dem Markte aufgestellten eigentlichen Markt- oder Stadtkreuzes an den Grenzen der Stadtflur wiederkehren, wie es etwa in Leipzig, in Coesfeld oder in Echternach nachweisbar ist. Bei den Marktkreuzen selbst wird es sich in der Regel um Hoch­kreuze gehandelt haben, die sich abheben von den meist niedri­geren und abweichend ausgestalteten Formen, mit denen wir es bei den Sühnekreuzen gewöhnlich zu tun haben. Dagegen sind es bescheidenere Steinkreuze oder Kreuzsteine, die bei der Umgrenzung \<Oll Stadtgemarkungen überwiegen. Ein solcher Stein in Kreuz­steinform wird im Altertumsmuseum in Freiburg i. B. aufbewahrt.

5 Gießener Hochschulnachrichten 65

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Es dreht sich dabei um eins der „Kreuze", die nach einer Urkunde des Grafen Egon von Freiburg vom 30. 3. 1368 errichtet wurden, um den Umfang der städtischen Gerichtsbarkeit festzulegen, sodaß hier die Bezeichnung „Kreuz" für Kreuzstein gebraucht worden ist.

In einer Reihe von Fällen ist mit Kreuzen mit kirchlicher, auf das Rechtslehen übergreifender Zweckbestimmung zu rechnen.

Nach einer Vorschrift des Tridentiner Konzils war beim Abgange eines kirchlichen Gebäudes ein Kreuz an dem Platze des Altars zu setzen, wodurch zuweilen noch heute die Stätte einer untergegan­genen Ortschaft kenntlich gemacht wird. Dem kirchlichen Bereich gehören wohl in der Regel auch die im Schrifttum zuweilen er­wähnten Asylkreuze an. Sie erscheinen als eine Abart der Asyl­steine, die als Freistätten für verfolgte Verbrecher eine Rolle im mittelalterlichen Recht gespielt haben. Ferner sind Steinkreuze errichtet, um als Wegweiser für die zu bestimmten \Vallfahrts­orten ziehenden Pilgerseharen zu dienen. Ein solcher Pilgerweiser steht noch heute in der Roeckstraße am Ausgang von Lübeck für die zum heiligen Blut nach \Vilsnack wallfahrenden Pilger mit der Inschrift: „Biddet Gott vor den ghever des wizers na der Wils­nacken"rn). Hier ist also ebenfalls das Streben nach Fürbitte für die Seele des Stifters des Kreuzes zu beobachten. Und eine gewisse Annäherung an diesen Fall zeigt sich, wenn wir hören, daß in Zittau im Jahre 1392 der Rat verspricht, nach dem Tode eines Bürgers, der sich große Verdienste um die Stadt, insbesondere durch die Herrichtung von Brücken und \Vegen, erworben hatte, an einer viel begangenen Straße ein Steinkreuz zu setzen, um zu Gebeten für sein Seelenheil anzuregen. 20

)

Schließlich ist auch noch der Möglichkeit Aufmerksamkeit zu schenken, daß Kreuze mit gemischter Zweckbestimmung vorkom­men. Ich habe hierbei nicht die bereits gestreiften Fälle im Auge, in denen ein Kreuz, das zunächst zu einem bestimmten Zweck - et­wa als Sühnekreuz - errichtet ist, später einer anderen Benutzung, z. B. als Grenzkreuz oder \Vegweiser, zugeführt wird. Mir schwe­ben vielmehr solche Sachverhalte vor, in denen gesetzten Stein­kreuzen von vornherein mehrere Aufgaben zugewiesen waren, bei denen etwa ihre Verwendung gleichzeitig als Grenz-, Erinnerungs-,

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Friedens- und Sühnemal in Aussicht genommen war. Als Beispiel eines derartigen Kreuzes kann das sogen. Hemmener Kreuz bei Schlitz gelten, das im Jahre 1383 diesen verschiedenen Absichten seine Aufstellung verdankte. 21

)

Außer den angeführten Gruppen von Kreuzen erfordert noch eine Reihe von Sonderfällen Berücksichtigung, bei denen we­nigstens für den Regelfall keine Berührung mit dem Rechtsleben anzunehmen ist. Hier sind z. B. zu nennen die Bonifaziuskreuze, die den \Veg der Leiche des Bonifazius von Mainz nach Fulda kennzeichneten, oder die Pestkreuze, deren Einrichtung auf die ver­heerenden Seuchen des Mittelalters zurückgeht, wobei aber wohl nicht so sehr die Stellen bezeichnet werden sollten, an denen die Seuche zum Erlöschen gekommen ist, sondern die eher bezweckten, den Platz eines früheren Pestfriedhofes kenntlich zu machen. Zu diesem Kreise ist ferner eine Reihe weiterer, in den Dienst kulti­scher Bedürfnisse gestellter Kreuze in Gestalt von Devotions-, Pro­zessions- und \Vetterkreuzen zu rechnen. Einen Platz für sich be­ansprucht ein hohes Denkmal in Kreuzform in der Nähe von Friedberg auf Ockstädter Gemarkung, das von Johann Scharf im Jahre 1702 im Alter von 102 Jahren als Erinnerung5stein gestiftet ist.22)

Der vorstehend gebotene Überblick ist nicht erschöpfend, er reicht aber wohl aus, eine ungefähre Vorstellung zu vermitteln von der Fülle der Probleme, die mit dem Steinkreuzrätsel verbun­den, und von den verschiedenen \Vegen, die bei dem Versuch ihrer Lösung beschritten sind. Ich gedenke demnächst in einer größeren Arbeit, die zur Veröffentlichung in der von mir herausgegebenen Reihe der „Arbeiten zur rechtlichen Volkskunde" vorgesehen ist, auf den Gegenstand ausführlicher zurückzukommen.

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Anmerkungen :

1) Zur Steinkreuzliteratur im allgemeinen s. Kuh fahl, Die alten Stein­kreuze in Sachsen (Dresden 1928) nebst Nachtrag (Dresden 1936). Ergän­zungen bei Fr ö 1 i eh , Zeitschr. der Sav.-Stiftung f. Rechtsgesch„ Germ. Abt.

Z2RG), 58 (1928), S. 923/4; 64 (1944), S. 510 f.; 66 (1948), S. 548 f„ sowie bei W. v. Dr e y hausen, Die alten Steinkreuze in Böhmen und im Sude­tengau (Reichenberg und Leipzig 1940). S. 7 f. und bei Cl. Frh. v. S eh wer i 11, Einführung in die Rechtsarchäologie (Berlin 1943), S. 29. Wertvollen Stoff bringen ferner die Zeitschriften „Deutsche Gaue" (Kaufbeuren 1899 f.) und „Das Steinkreuz" (Nürnberg 1933 f.).

Ober die Steinkreuze auf h es s i sehe m Boden handeln, abgesehen von einigen früheren Hinweisen bei W. Lange in den Touristischen Mitt9i­lungen aus beiden Hessen u. s. w. 17-19 (1909-1911), in erster Linie: l. M. W a 1 t er, Vom Steinkreuz zum Bildstock (Karlsruhe 1923). 2. E. Meyer, a) Ober Steinkreuze und Bildsteine, Volk und Scholle 3 (1925), S. 147 f., 175 f.; b) Heimatkundl. Arbeiten aus dem Hessenland (Gießen 1946), S. 94 f„ 1291130. 3. Fr. E b 1 in g, Von alten Steinkreuzen in Rheinhessen, Die alte Heimat 11 (1928), S. 177. 4. K. Nah r gang , Inschriftlose Steinkreuze in der Landschaft Dreieich und den angenzenden Randgebieten (Langen 1932). 5. B. Lieber s, Von alten Steinkreuzen im Hessenland, Sonntagsbeilage zur Kasseler Post: Die Sonntagspost. Hess. BI. f. Heimatkunde, Wissen­schaft, Kunst und Unterhaltung Nr. 809 vom 10. 11. 1935. 6. Fr. M ö ß in g er, Steinkreuze zwischen Rhein, Main und Neckar, Arch. f. hess. Gesch. und Altertumskunde N. F. XIX (1935), S. 49 f. 7. 0. Höfe l, a) Die Steinkreuze Rheinhessens, Der Wormsgau 2 (1939), S. 266-272; b) Rechtsaltertümer Rheinhessens (mit Ausnahme der rechtlichen Flurnamen und der Wüstun­gen), Gießener jur. Diss. 1940, S. 39 f. 8. H. Sehne 11 , a) Die Steinkreuze im Kreis Lauterbach, Heimatbl. f. den Kreis Lauterbach 3. Folge Nr. 35 (27. 1. 1940); b) Die Steinkreuze im oberen Vogelsberg, Der Vogelsberg vom 1. :J. 1940. 9. Fr. K ü eh, Alte Kreuze am Wege. Sühnekreuze in der Marburger Landschaft, Hessenland 1940/1, S. 73-77.

2) E. S eh n e i d e r , Personen- und Familiennamen als Bestimmungs­

wörter bei Kreuz-Flurnamen, Oberdeutsche Zeitschr. f. Volkskde. 17 t1942),

s. 161-166. 3

) Eine Obersicht über die häufigeren Formen bietet W. F u n k , Alte deutsche Rechtsmale (Bremen und Berlin 1940), S. 80 f. S. ferner Fr öl i eh, Red1tsdenkmäler des deutschen Dorfs, Gießener Beitr. zur deutschen Philo­logie Heft 89 (Gießen 1947), S. 26-29.

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1) Beispiele bei A. Hoffmann, Die mittelalterlichen Steinkreuze, Kreuz- und Denksteine in Niedersachsen (Hildesheim 1935), und bei Th. M ö l l e r , Sühne- und Erinnerungsmale in Schleswig-Holstein, Nord­elbingen 17/8 (1942), S. 89-169.

5 ) O. F a h l b u s eh , Die Kreuzsteine im Kreise Einbeck, Göttinger BI. f. Gescb.- und Heimatkunde Südhannovers 1 (1935), S. 27-35.

6) Wiedergabe der Inschrift bei K. N a h r g a n g , Das Steinkreuz von

Niedermörlen, Friedberger Gesch. BI. 14 (1939-42), S. 346/8; Meyer, Heimatkundl. Arb. S. 94.

7) G. F i s eh e r , Kunstdenkmäler und Altertümer im Kreise Münden, I. Teil: Stadt Münden und Stadtgebiet (Münden 1892), S. 42/3. Andere Bei­spiele von Steinkreuzen mit Inschriften bei M ö ß in g er, S. A., S. 13 Nr. 26, 19 Nr. 38, 32 Nr. 84, und bei Höfe l (oben S. 64 Anm. 1 zu 7 b), S. 44/5.

6) E. Mehle r, Kunstdenkmale I, Das Fuldaer Land (1930), S. 19/20.

9) Beispiele bei Fr öl i eh, Rechtsdenkmäler, S. 28/9; Fahl b u s eh,

s. 30/l.

10) M ö ß in g er, S. 16 Nr. 34 (mit Abb.). Vgl. hierzu Sehnetze r, Bayerische Hefte f. Volkskde. 1 (1914), S. 31/2.

11) Ihnen ist die noch heute führende Untersuchung von E. Mo g k,

Der Ursprung der mittelalterlichen Sühnekreuze, Berichte über die Verhand­lungen der Sächs. Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philol.-histor. KI. 81 (1929), 1. Heft, gewidmet.

12) Das nachstehend Ausgeführte berührt sich vielfach mit den Grund­

gedanken Mo g k s , rückt aber doch in wichtigen Punkten von ihnen ab. Namentlich beurteile ich das Verhältnis der Sühn,ekreuze zu den sonstigen Totenkreuzen und den Gesamtverlauf der Entwicklung, der m. E. eine ein­heitliche Linie aufweist, abweichend. Näheres Z'RG. 66 (1948)), S. 548 f.

13) Uber derartige, als sogen. Menhire vorkommende Male in ihrer ur­

sprünglichen Funktion als Opferpfähle und als Seelensitze sowie ihre kul­tische Bedeutung hat sich vor kurzem zusammenfassend J. R öder in seiner Arbeit „Pfahl und Menhir. Eine vergleichend vorgeschichtliche, volks- und völkerkundliche Studie„, Studien zur westeuropäischen Altertumskunde Heft 1 (Neuwied 1949), geäußert. Von hier aus sind die Verbindungsfäden zur Sitte der späteren Steinkreuzsetzung zu ziehen, wenn auch im einzelnen Dunkelheiten bleiben. S. R ö d e r , S. 79, und dazu D i t t m a i e r , Mittei­lungsbl. der Rhein. Vereinigung f. Volkskde. Nr. 9 (Januar 1950), S. 15/6.

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14 ) Näheres bei A b e g g , Ober den Einfluß der Kirche auf die Sühne bei Totschlag, Zeitschr. f. Rechtsgesch. 7 (1868), S. 259-279; Frauen -s t ä d t , Blutrache und Totschlagsühne im deutschen Mittelalter (Leipzig 1881); Kohle r, Ober Totschlagsühne im deutschen Recht, Arch. f. Straf­recht 65 (1918), S. 161-168; R. His, Das Strafrecht des deutschen Mittel· alters I (Leipzig 1920), S. 296 f.; D e r s e l b e , Gesch. des deutschen Straf-1echts bis zur Carolina (München und Berlin 1928), S. 47; W. J. Sonnen, Todschlagsühnen im Bereich des Herzogtums Berg, Annalen des Hist. Ver. für den Niederrhein 132 (1938), S. 1-63.

u) Beispiele von Steinkreuznestern größeren Umfangs sind etwa bei Motschenbach in der Nähe von Kulmbach, in Neunhof unweit Nürnberg, an der Eligiuskapelle am Nordausgang von Ettlingen, in Bühren am Bramwald in der Nähe von Münden und - besonders eindrucksvoll - unweit Reich­holzheim an der Tauber (Abb. 12) bezeugt. Weiter ist hinzuweisen auf die Steinkreuze in Küllstedt, Kr. Mühlhausen i. Th. (Abb. 10), und bei Varmissen (oben S. 56 und Abb. 11).

16) Vgl. Höfe 1 , S. 43/4 unter Nr. 11 und Abb. 81.

17) Hier sind auch die böhmischen Steinkreuze in Radkreuzform zu er­

wähnen. Für sie ist vermutet, daß sie in Gestalt von sog. Z o 11 rädern als Warnzeichen dazu gedient hätten, die für den Zollverkehr vorgeschrie· benen Straßen im Grenzbezirk zu kennzeichnen (v. S eh w e r i n S. 56 zu Anm. 174).

18) Ein Beispiel für eine Grafengerichtsstätte bieten vielleicht die Rad· kreuze an der Felswand des Bilsteins bei Reinhausen (Abb. 9). S. hierzu Fr ö 1 i eh, Stätten mittelalterlicher Rechtspflege im niederdeutschen Bereich (Gießen 1946), S. 19.

19) Wo h 1 hau p t er, Nordelbingen 16 (1940), S. 15718.

201 Pro eh n o, Vierteljahrsschr. f. Sozial- und Wirtschaftsgesch. 32 (1939), S. 39 Anm. 6.

21) Vgl. E. Meyer, Heimatkundl. Arbeiten, S. 96.

22) E. M e y e r , S. 9415.

Bildernachweis: M. und K. Frölich, Gießen, Abb. 1-7, 9-12; W, Meyer­Barkhausen, Gießen, Abb. 8. - Bildtafel am Ende des Bandes.

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Der Wein bei den Etruskern.*) Von Hans L. St o lt e n b er g, Gießen.

Auch nach den neuesten pflanzenwissenschaftlichen Unter­suchungen von E. Schiemann stammt die Wildrebe aus dem süd­lichen Kaukasusvorland. Dort ist sie denn wohl auch zuerst in Pflege genommen und dort hat man denn wohl auch zuerst aus ihren Trauben \Vein gemacht. Auch der Name für den \Vein wird dort entstanden sein und zwar wahrscheinlich mit der \Vurzel wn. Damit hangt zusammen das hethitische win, das assyrische inu, das hebräische jajin, das armenische woin, das griechische oinos und das lateinische vinum. So verwenden denn auch die Etrusker in der späteren Zeit das von den Römern entlehnte \Vort vin(u)m, al­lerdings nur in den Opfervorschriften der Agramer Mumienbinde aus dem 2. Vorjahrhundert.

Man weiht diesen Wein ( santi), man spendet ihn den Göttern (us, hexz, trau, mul) und bittet die Götter, ihn anzunehmen (sin). Es handelt sich vor allem um husina vinum, um ,jungen \Vein', der als vacl ,Trankopfer' mit einem halxza ,Spendegefäß' darge­boten wird.

Nach einer Vermutung von Mario Buffa (S. 200) haben die Etrusker den \Vein aber auch it oder i{} geriannt. Der eine Besitz­fall dieses Worts ist iftal und der steht in sicherer Lesung auf einem Gefäß von Vetulonia (Bu 701). Da bedeuten die \Vorte eme uru Wal '6i len iftal ,ich, Gefäß für Wein, in rechter \Veise spende vom Wein'.

Der gleiche Besitzfall findet sich aber auch auf der Tontafel von Capua aus der 1. Hälfte des 5. Vorjahrhunderts, und zwar: in tehamaif}i ital, das ich als ,in der Kammer für Wein' verstehe

1) Nach den Ergebnissen einer noch unveröffentlichten Gesamtdarstel­

lung der etruskischen Sprache.

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und - mit eingcschobnem i und angehängtem Bestimmwort xu -in :ai itialxu, das ich durch ,Opfer, das des \Veins', also durch , \Veinopfer' wiedergebe.

:'\[crkwürdig ist, daß dieser \Vortstamm it oder i{} nach der Darstellung von Buffa sich auch auf poländischen Gefäßen findet: enhn•dcr als it(t)i (Bu 70, 74 und 60) oder als Hts (35, 36). Sollten auch diese \\'orte ,\Vein' bedeuten und im besondern rätisch sein, dann wäre das von höchster \Vichtigkeit. Es würde zeigen, daß die gemeinsamen Vorfahren der Etrusker und der Räter (Kretschmer; Stoltenlwrg), die ich die Tursen nenne, dies \\' ort besessen und so schon den \Vein gekannt hätten.

Aber selbst dann brauchte dies it nicht eigentlich etruskisch zu sein. Denn es gibt im Etruskischen noch zwei andere \Vorte glei­cher Lautung. Das eine von ihnen ist das immer mit {t geschrie­bene i(}_ ,gebären' in dem alten Gottnamen i{}av11s11a und in dem jüngeren Gottnamen dtausva, also mit unfes!em i. Das andere von ihnen ist das mit it(i)al zusammen auf der Capuatafel stehende, immer mit t geschriebene it- ,gleich', das sich in dem späteren cinam ,in gleicher \Veise' erhalten hat.

Daß es in einer Sprache ursprünglich eine Lautung mit drei verschiedenen Bedeutungen gibt, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht gerade wahrscheinlich. Es liegt dann vielmehr nahe, anzunehmen, daß mindestens eine von ihnen aus einer andren Sprache entlehnt ist, und das ist eher für das \Vort ,\Vein' möglich, als für das \Vort ,gebären' oder für das Wort ,gleich'.

Nun klingt das \Vort ital merkwürdig an das \Vort Jtalia an, weshalb man es denn auch zur Erklärung dieses \Vorts herange­zogen hat.

Das ist einmal von Olzscha geschehn. Er geht dabei von der Überlieferung aus, daß die ,Tyrrhener' den Stier italos genannt hätten. Er sieht in diesem \Vort die Erweiterung eines etruskischen ital, für das er aus diesem Grund die Bedeutung ,Stier' annimmt.

Ein \Vort dieser Bedeutung gibt es aber nicht. Die Form itialx11 zeigt mit völliger Sicherheit, daß it(i )al nicht Grundfall, sondern Besitzfall eines Grundfalles it ist, und auch das Vorkom­men des \Vortes i{}a/ auf der Henkelschale von Vetulonia schließt

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die Bedeutung ,Stier' so gut wie aus, weshalb Olzscha denn auch \274) mit dieser Inschrift nicht Rechtes anzufangen weiß. Im übrigen wird dies Wort italos nicht nur den Tyrrhenern, sondern auch den ,alten Griechen' zugeschrieben und vielleicht ist das viel­deutige \Vort , Tyrrhener' erst später für ,alte Griechen' eingesetzt.

Einen anderen Versuch macht Buffa, indem er (S. 200} nicht von einem ital ,Stier', sondern von it ,Wein' ausgeht. Ihm bedeutet dann das anfänglich nur eine Landschaft Kalabriens meinende ltalia ,das des \Veins' oder ,\Vein 1 an d', und er stellt es dann mit Oinotria, dem Namen einer benachbarten Landschaft zusammen, den er gleichfalls als \Veinland versteht. Dann würde der Name des Gründers dieses Uritaliens der oinotrische Italos eigentlich ,der des Weins' oder ,Weinmann' bedeuten. Das wäre rein lautlich durchaus möglich, vor allen Dingen dann, wenn Oinotria wirklich ,\Veinland' bedeutet, was aber von Rauhut in seiner Arbeit über ,Italia' (137) bestritten wird.

Die Etrusker hatten nun aber noch ein drittes \Vort für \Vein, nämlich ia, das aber wahrscheinlich nicht wie ja. sondern wie i-n (mit der Betonung auf dem i) auszusprechen ist. Denn ein j vor einem Klanglaut am Anfang von \Vorten liebten die Etrusker nicht, weshalb sie denn auch die lateinischen Worte Juno und Janus durch uni und ani wiedergaben und weshalb denn auch ihr iu , weihen' nicht ju, sondern i-u zu lesen ist, was sich auch aus der Spätlautung eu ergibt.

Dies ia findet sich schon in den alten Opfervorschriften der Tontafel von Capua, und zwar ähnlich wi'e das auf d<>r ~Jumi<>n­binde stehende, hier aber fehlende uin(11 )m, mit halz ,spend<>n' und mit uacil ,Trankopfer' zusammen. Dies \Vort kommt ah<>r nicht nur so weit im Süden, sondern auch im eigentlichen Etrurien vor, und zwar in Clusium.

Dort findet es sich einmal auf einem Gefäßdeckel in ia ftaf na (St. Etr. IX, 346) und dann wohl auch statt ta ftafna unter dem Fuß einer aus dem 4. Jahrhundert stamnwnden Opferschale (St. Etr. IX, 245). Dies \Vortpaar bedeutet dann wohl ,\Vein zum Opfern bestimmt' und damit ,Opferwein'.

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Auf der Capuatafel kommen im 2. Absatz beide Weinworte ia und it z u s am m e n vor, ohne daß wir verstehen, warum nach dem ersten großen Tieropfer von einem zai itiulxu, nach dem un­mittelbar darauf folgenden zweiten großen Tieropfer dagegen von einem zu spendenden ia die Rede ist.

Auch über die Herkunft dieses \Vortes ia läßt sich nichts sagen: ob es echt etruskisch und dann gleichfalls schon tursisch ist oder ob es erst später während des Aufenthalts der Etruskervorfahren im ägäischen Raum oder auf Kreta (Kannengießer) aus der Sprache eines anderen Volkes aufgenommen ist.

Das jüngste dieser drei etruskischen \Veinworte ist auf jeden Fall das aus dem lateinischen entlehnte vin(u)m.

Buffa, M., Nuova raccolta di iscrizioni etrusche. Florenz 1935.

Kannen gieße r, A,. Aegäische, besonders kretische Namen bei den Etruskern. Klio XI, 1910, Heft 1

Kr et s c h m er, P., Die vorgriechischen Sprach- und Volksschichten. Glotta, 30, 1943, 213 ff.

0 1 z s eh a , K., Der Name Italia und etruskisch ital. St. Etr. X, 263 ff.

Rauh u t , Fr., Italia. Würzburger Jahrbücher I, 1946.

S eh i e man n, E., Entstehung der Kulturpflanzen. Berlin 1932.

S t o 1 t e n b e r g , H. L., Der Glaube der Etrusker nach dem Gottall der Bronzeleber von Piacenza, Ztschr. f. Religions- u. Geistesgesch. II (1949), Heft 1.

Woher kamen die Vorfahren der Etrusker? Forschungen und Fortschritte, März 1950.

Etruskische Sprachlehre. Leverkusen 1950.

Studi Etruschi, Florenz 1927 ff.

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Zwei Jean-Paul-Handschriften aus Gießener Besitz.

Von E r n s t K ü s t e r .

I

In die „Rollwenzelei", deren Gemächer auch vielen Bayreuth­Pilgern, die Jean Pauls Kunst fern stehen, gar wohl bekannt sind, wurde 1851 von den Hinterbliebenen des Dichters ein Heft eigen­händiger Tagebuchnotizen und Einfälle des Dichters gestiftet. \Vie wir aus Be r e n d's Darstellung wissen, wurden die wertvollen Blät­ter dort aber ungenügend beaufsichtigt und von den Autographen­jägern so schlimm geplündert, daß von ursprünglich 89 Seiten nur noch 33 vorhanden sind und auch diese zum Teil in defektem Zustand vorliegen. 1

)

Der Inhalt des Fehlenden läßt sich - ich verweise auf Berend's Darstellung, - zum Teil aus dem ergänzen, was E r n s t F ö r -s t er, Jean Pauls Schwiegersohn, 1837 im 2. Bande von „Jean Pauls literarischem Nachlaß" aus dem erwähnten Heft veröffent­licht hat. „Dieser Abdruck ist aber, wie der Vergleich mit dem noch vorhandenen Teil der Handschrift ergibt, erstens ganz un­vollständig; zweitens hat Förster den Text nach seiner \Veise sehr frei behandelt, nicht nur Rechtschreibung und Sprachformen modernisiert, sondern vielfach auch den \Vortlaut, wo er ihm in­korrekt oder sonst irgendwie bedenklich erschien, geändert; und drittens hat er sich nicht an die Reihenfolge der Handschrift ge­halten, sondern die Bemerkungen in zehn sachliche Rubriken ge­ordnet. Innerhalb dieser Rubriken hat er jedoch, wie sich an Hand der erhaltenen Seiten feststellen läßt, die chronologische Folge - mit ganz geringfügigen Abweichungen - eingehalten; und da sich nun die fehlenden Seiten, wie die Paginierung zeigt, über das ganze Heft verteilen, so läßt sich in den meisten Fällen mit Sicher­heit oder doch mit großer \Vahrscheinlichkeit erkennen, in welche

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der 7 Hauptlücken die bei Förster abgedruckten, in der Hand­schrift fehlenden Bemerkungen gehören. Ich habe daher den Ver­such gewagt, die ursprüngliche Ordnung möglichst wiederherzu­stellen" (Berend).

Von den verlorenen Blättern der Rollwenzelei ist eines auf un­bekannten \Vegen in meine Autographensammlung geraten. 2

)

Im Dezember 1!)32 erwarb ich im Berliner Autographenhandel ein derbes bräunliches Blatt, das auf beiden Seiten - als 5 und fi vom Dichter bezeichnet - Notizen aus dem Jänner bringt; das Blatt setzt uns instand, Försters Veröffentlichung auf die Zuvcr­fässigkeit des Textes und die in der Berendschen Gesamtauflage vorgetragene Reihenfolge zu prüfen.

Das vorliegende Blatt bringt Eintragungen vom 13., 15., 29., 30. und 31. Jänner (1783); die erste halbe Seite ist offenbar vor dem 13. Jänner gefülH worden.*)

Der Text der ersten vier Zeilen lautet: ,.saze, nicht zu zittern. \Ver von Natur kalt also one iene Feler ist, der bringt durch lebhaften Vorsaz warme \Virkung her­vor; die Ursache wird verändert; die \Virkung bleibt. Wie schlecht ich mich ausdrükkel Es wird mir schwerer, deutlich als schön zu schreiben."

Im Manuskript folgt hiernach der Absatz: „Die Ironie steht nicht iedem Lacher zu Diensten .. " und schließt mit dem Hinweis auf Swift, Addison, Voltaire, Chesterfield. Diesen Absatz finden wir in der Berend'schen Ausgabe als Schlußabschnitt der Eintra­gung vom 30. Jänner (S. 7).

\Veiferhin folgen im Manuskript die Eintragungen vom 13. und J 5 . .Jänner - durchweg der Berend'schen Ausgabe entsprechend - und hiernach eine Eintragung vom 29. Jänner, die in der Bnend'schen Ausgabe fehlt; die Eintragung lautet:

„Es ist der \Varheit eben nicht zuträglich, wenn ein grosser I\.opf mit einem dummen Gegner streitet. Da iener diesen für zu gering ansieht, um ihm die kleinste Belerg**) danken zu wollen, so wird er ihm auch da nicht Recht lassen, wo ers hat.

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') Jean Paul schreibt „Jenner". ") Belehrung.

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Ein guter Rezensent kan den \Vert des Buches bestimmen, aber ein noch besserer bestimt auch den des Verf. Beides ist nicht einer­lei und nicht gleich leicht. Ein schlechter Kopf kan ein gutes, ein guter ein schlechtes Buch machen. Allein welche Kentnis der Psy­chologie gehört nicht dazu, in iedem einzelnen Fal zu bestimmen, ob der V. die Idee halb von andern genommen, ob er s. Gedanken erst gesamlet u. Bruchstükke geordnet oder ob er gleich die ganze vortrefliche Stelle zu einer Zeit geboren. Der Son sieht nicht im­mer dem Vater änlich."

Diese Zeilen hat Be r end zwischen dem 30. Jänner und 10. Februar untergebracht; F ö r s t e r's Text stimmt nur in unbedeu­tenden Kleinigkeiten mit dem Originalmanuskript nicht überein.

Nun folgt im Manuskript die Eintragung vom 30. Jänner; der erste Abschnitt des aus Berends Ausgabe bekannten Textes ent­spricht der Originalhandschrift; über die Verlagerung des zweiten Abschnittes war schon oben zu sprechen.

Was Jean Paul unter dem 31. Jänner eingetragen hat, ent­spricht dem letzten Abschnitt von S. 7 der Berend'schen Ausgabe.

Der von Förster gegebene Text weicht im a!lgenwinen nur mit Kleinigkeiten von der Urschrift ab; - so z. B. heißt es in dieser (S. 5, Zeile 7) geradehin - bei Förster geradezu; unter dem 15 . .Jiin­ner lesen wir w i z i gen, bei Förster witzige; Jean Paul schreibt am 15. Jänner: etwas sich nur erinnern wo 11 e n -bei Förster steht: aber sich erinnern wollen.

Auffallendere Abweichungen bringt der. Passus vom 30. Jänner: Jean Paul schreibt: „Man hätte denken sollen, der Zukker müsse die Zäne verderben. Daher auch der hesond<>re Übergang vom einem zum andern. Die Traub ist er3 ) süs, gi<>bt hnnach herben Wein, der zulezt zu Weinessig versäuert; d. h. meine Empfind­samkeit verwandelte sich anfangs in bittere brausende Deklama­zion, wie ungefär die des Rousseau, u endlich erst in kalte Ironie. Daher ist die Satire derer heftig, bitter, deklamatorisch, die viel Gefül haben z. B. Pope, Young, Rousseau - kalt hingegen u also Ironie ist sie bei denen, die sich eben nicht durch ein weiches Herz

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auszeichnen, z. B. Voltaire u Swift. „\Vohin gehört aber Addison u. Rabner, deren Gefül sich doch zur Ironie bequemte?" Zwischen beide; sie sind zu wolwollend für beissende Ironie, u zu wenig Dichter für starke Schläge; sie lächeln daher nur wie M Freunde* u kizeln mer als sie stechen - zu iunges Kalbfleisch schmekt süsse."

Der Erhaltungszustand des Blattes ist befriedigend; nur die untere äußere Ecke ist beschädigt, sodaß einige Buchstaben ver­loren gegangen sind. Des Dichters Handschrift ist schön un·d deutlich.

• Menschenfreunde.

II

Der im Nachfolgenden mitgeteilte Brief ist an Johann Heinrich Voß, Professor in Heidelberg, gerichtet, den zweiten Sohn des als Homcrübersetzer und Dichter wohlbekannten Rektors Johann Heinrich Voß d. Ä.. in Eutin. Der Heidelberger Briefempfänger lebte vom 29. Oktober 1779 bis zum 20. Oktober 1822; seine Nichte Henriette Voß, die Tochter des Gymnasialprofessors Abraham Sophus Voß in Kreuznach, heiratete den Konsul Georg Wilhelm Krüger in Bremen; sie ist die Mutter des Geheimen Kirchenrates Prof. Dr. Gustav Krüger (gest. 1940 in Gießen), dessen Sammlung das hier beschriebene Stück entstammt. Seiner \Vitwe, Frau Geh. Hat Helene Krüger in Gießen, danke ich herzlich für die Erlaub­nis, in die reiche Sammlung Einsicht zu nehmen und den Jean Paul-Brief hier zu veröffentlichen. Auszugsweise ist derselhe be­reits im 8. Bändchen der „\Vahrheit aus Jean Pauls Leben" /Breslau 1833, S. 135) und im „Briefwechsel zwischen Heinrich Voß und Jean Paul" (Heidelberg 1833, S. 49) mitgeteilt worden. Nachfolgend gebe ich den \Vortlaut des ganzen Schreibens:

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Bair. d. 3l. März 1818

Mein guter theuerer Heinrich!

Wenn ich nur gleich hundert Dinge auf einmal sagen könnte! Wie soll ich euch köstlichen Menschen fii.r euere Herzen danken? Ihr müßt eben mit meinem einzigen vorlieb nehmen. Fiir Deine gute Mutter ließ ich einen Aufsatz abschreiben, der in Heidelh. ge­zeugt und in Baireut geboren wurde, soglich als ich da ange­kommen war und welcher im Sommer in einer Aufsatzsammlung der Spazier erscheinen wird. Du kannst ihn jeden lesen lassen, der ihn nicht drucken läßt.

Dir schick' ich einen anderen medizinischen, den ich über meinen Körper an einen Berliner Freund und Arzt ge-

schrieben, weil ich mir eine größere Kälte geweißagt hatte als ein­traf. Sorge dich aber nicht; meine halbe Arzeneikunde hilft mir mehr als ein ganzer Arzt. Was hilft mir indeß das längste Leben? Mit den Jahren wachsen meine Exzerpte u Entwürfe u. ich komme unter die Erde, eh' ich sie (kaum) nur halh beschrieb. u. ausge­lacht. - Da die herrliche Ende - die dich, was kaum glaublich, bei­nahe so sehr liebt (als) wie ich und die noch dazu immer mit zwei Herzen zugleich liebt, mit ihrem und des Sohnes seinem - das Päckchen in den Himmel mit nimmt, in welchen sie morgen fährt: so kann ich einigen Gönnerinnen meines Geburtstages nicht schriftlich

danken wie ich wol anfangs gewollt; weissage also meinen Dank der trefflichen seltenen Bürgermeisterin - der geschickten Tiede­mann und der kunstreichen Harscher, deren Bitte ich auf eine bes­sere Art als sie will erfüllen werde - der Morgennachtigall Schwarz - der schönäugigen Hegel et Compagnie, welche letzte du, Alter, bist- der herzvollen Dapping- und dem Dichter Schuh­macher, der in schalkhaften naiven Gedichten zumal bei solcher Herrschaft über den Versbau ein Meister werden kann und häufig ist. Euere Pathengeschenke, ihr gar zu Guten, kamen gerade an meinem Tauftage (den 22n) an. l{urz ich hatte mein Vorfest der künftigen Heidelberger Feiertage. - Mein Monplaisir u. Sans-

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Souci in Heidelb. will ich mir im

Gasthofe an deiner Hand auswählen, wenn ich darf. Ist das Gar­tenstübchen von Paulus im Hause oder wirklich im Garten? -Grüße mir recht warm meine Sophie*) und ihre Mutter u. d. Vater. - Erschrick nicht, du Hülfreicher, über das lange Dmckfehler­Verzeichnis, das sogar durch ein doppeltes Augenpaar der Liebe nicht dem Buche zu ersparen (war) gewesen bei der Unleserlich­keit u. häufigen Fehlerhaftigkeit des Manuskriptes. (Vo) Aber desto wichtiger ists, daß Engelmann mir die übrigen Aushänge­bogen vom 11 n des 2n Theils an, u vom 6n des dritten - über­macht. - Gerade :3 \Vochen schönes \Vetter kommt mit heule.

Und so lebe denn wol, du lieber Geliebter! Morgen hab ich ge­wiß einen Brief von dir in der Hand. Der ehrwürdige Vater mit der Mutter sei noch besonders gegrüßt.

Dein JPF Richter

(*) Apropos! grüße sie mir noch einmal.

(x) das dritte mal kann auch nicht schaden.

Jean Paul's Mitteilungen füllen vier Seiten - wie 1m vorange­henden Abdruck durch Absätze gekennzeichnet ist.

Die in dem hier wiedergegebenen Texte eingeklammerten \Vorte und Silben sind vom Schreiber des Briefes wiihrend der Abfassung desselben abgestrichen worden.

Die herzlichen Grüße die der Briefschreiber an Sophie Paulus 1u })Cstellen bittet, steigert und wiederholt Jean Paul in zwei Zu­sätzen am Kopf der vierten Seite und an ihrem seitlichen Rande.

Die \Iitteilungen des mir vorliegenden Briefes bedürfen in einigen Punkten der Erläuterung.

Der Aufsatz, den Jean Paul für des Adressaten Mutter hat ab­sehreiben lassen, spricht „Über das Immergrün unserer Gefühle";

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er ist in der von Jean Pauls Schwägerin Minna Spazier herausge­gebenen Sammlung „Sinngrün" (Berlin 1819) erschienen.

Der Aufsatz, den Jean Paul dem Briefempfänger schickt, ist der „Vorbericht zu dem Kranken- und Sektionsberichte von mei­nem künftigen Arzte", in dem der Dichter von seinen Herz- und Atembeschwerden spricht; Langermann heißt der Berliner Freund und Arzt, dem Jean Paul diesen Bericht vorgelegt hatte.

Die „herrliche Ende" ist eine Frau Henriette von Ende aus Alt-Jeßnitz, die ihren Sohn Otto zur Universität Heidelberg be­gleitet und auf der Hinreise Jean Paul in Bayreuth besucht hatte.

Die Bürgermeisterin war Frau \Valz.

Die „geschickte Tiedemann" ist die Gattin des Anatomieprofes­sors Friedrich Tiedemann.

Die „kunstreiche Harscher" war Kunststickerin.

Die „Morgennachtigall" ist Henriette Schwarz, die Tochter des Professors der Theologie und Pädagogik Friedrich Heinrich Chr. Schwarz, bei dem Jean Paul gewohnt hatte.

Die „schönäugige Hegel" ist die Gattin des Philosophen.

Die „herzvolle Dapping" leitete in Heidelberg ein Müdchen -pensionat.

Der Dichter August Schumacher (1790-1864) war damals Hof­meister des Prinzen Karl von \Valdeck in Heidelberg.

Der Theologieprofessor Heinrich Eberhard Gottlob Paulus war Vater der Sophie Paulus, mit der Jean Paul in Heidelberg sich an­gefreundet hatte. Frau Paulus hatte Jean Paul ein Garlenhiiuscben angeboten, von dem der Dichter indessen keinen Gebrauch ge­macht hat.

Alle diese biographischen Erläuterungen verdanke ich der großen Güte des Herrn Dr. Eduard Berend (Genf), der mit seinen Briefen und mündlichen Erläuterungen meine dem großen Dich­ter geschenkte Anteilnahme so zu vertiefen vermocht hat, und dem ich für seine Beratungen und Belehrungen, die er mir in allen Jean Paul betreffenden Fragen schon seit Jahrzehnten unermüd­lich gibt, meinen herzlichen und ergebensten Dank ausspreche.

6 Gießener Hochschulnachrichten 81

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Röntgen als Mensch und Forscher zum 105. Geburtstag Röntgen' s

Von \V. Ha nie.

Am 27. März 1845 erblickte Wilhelm Conrad Röntgen in Lennep im Bergischen Land das Licht der \Velt. Sein Vater war Tuchfabrikant und Kaufmann. Seine Mutter stammte aus Amster­dam. Dadurch hatte die Familie enge Beziehungen zu Holland und siedelte später auch dorthin über. So brachte Röntgen seine Jugendjahre in Holland zu, zuerst in Apeldoorn, später in Utrecht, wo er das Gymnasium besuchte. \\'egen eines Jugendstreiches eines Mitschülers, dessen Namen zu nennen er sich weigerte, wurde er von der Schule relegiert, bereitete sich privat auf das Abitur vor und fiel infolge Mißgunst der verärgerten Lehrer durch. Ohne Abitur konnte er auf keiner deutschen oder holländischen Univer­sität studieren. Er besuchte zunächst die Maschinenbauschule in Apeldoorn und dann das Polytechnikum in Zürich. Die Betonung der technischen Seite der \Vissenschaft sagte ihm jedoch nicht zu. Einerseits suchte er den Ausgleich in der von der Natur verschwen­derisch ausgestatteten Umgebung von Zürich, wo See und Berge aJJe nur erdenklichen Möglichkeiten der Entspannung boten; an­dererseits fühlte er sich immer mehr zur reinen Physik hingezogen, wie sie> ihm etwa in den Vorlesungen von C 1 u s i u s dargeboten wurde. Dennoch beschloß er sein Studium als Maschineningenieur l 8ß8 durch Ablegung des Diplomexamens. Entwas später trat dann durch die Berufung von Prof. Ku n d t an das Züricher Polytech­nikum der entscheidende \Vendepunkt seines Lebens ein. Kund t, jedem Naturwissenschaftler durch die Kundt'schen Staubfiguren bekannt, zog ihn vollends ganz zur Physik. Er begann in Kund t s Laboratorium mit experimentellen Arbeiten, machte am 22. Januar 18ß9 seinen Doktor und veröffentlichte 1870 seine erste Arbeit in Poggendorfs Annalen. ,.Über das Verhältnis der spezifischen Wär-

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men der Luft." Dieser Titel klingt unscheinbar, aber derjenige, welcher sich etwas eingehender mit den Meßmethoden der Physik beschäftigt hat, weiß, wie große Vorsicht die auf Cl e m e n t -Des o r m es zurückgehende Methode zur Bestimmung des Ver­hältnisses der spezifischen \Värmen erfordert. R ö n t gen wird heute als der geniale Entdecker und Erforscher der Röntgen­strahlen gefeiert. \Veniger bekannt ist, daß Röntgens große Stärke die physikalische Messung war. Dies schätzte Kund t besonders an Röntgen, und als er einem Rufe nach \Vürzburg folgte, nahm er ihn als Assistenten mit. Röntgen wollte sich in Würz­burg habilitieren. Dies war jedoch ohne Abitur nicht möglich. Erst als Kundl wiederum einem Rufe folgend nach Straßburg übersiedelte und Röntgen mitnahm, konnte sich dieser dort 1874

habilitieren.

Schon nach drei Jahren erhielt Röntgen seine erste Berufung und zwar an die Landwirtschaftliche Hochschule in Hohenheirn. Dort indessen fiihlte er sich nicht wohl, besonders da er nur sehr heschränkte Möglichkeiten zum Experimentieren hatte. Dahn kehrte er schon im nächsten Jahr wieder nach Straßburg als Extra­ordinarius für theoretische Physik zurück. Damals heschüftigte er sich mit der magnetischen und elektrischen Beeinflußung des Li.::h­tes. Er veröffentlichte eine Arbeit über die magnetische Drehung der Polarisationsebene in Gasen und suchte nach einer noch nicht bekannten elektrischen Beeinflussung der Lichtfortpflanzung. Sehon damals war er nahe daran, eine bedeutende Entdeckung zu machen. Eine in den Strahlengang des Lichte.s gestellte Glasplatte 1eigte eine Doppelbrechung, wenn an sie ein elektrisches Feld ge­legt wurde. \Var dies die gesuchte elektrische Beeinflussung Jcr Lichtfortpflanzung? Oder war die Doppelbrechung nur durch mechanische Vorspannungen verursacht? Ehe H ö n t gen ent­scheiden konnte, ob es sich um einen reellen Effekt oder um einen Störeffekt handelte, veröffentlichte K er r die gleiche Beobach­tung. Sie wurde jedoch von anderen Forschern als Störeffekt ange­sprochen. Aber K er r ließ nicht locker und fand auch in Flüssig­keiten eine Doppelbrechung bei Anlegung eines elektrischen Fel­des. Dies war nun eindeutig eine elektrische Beeinflussung der

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Lichtfortpflanzung, die unter dem Namen Kerreffekt in die Ge­schichte der Physik eingegangen ist. Röntgen konnte die Ent­deckung K er r s bestätigen und weitere Einzelheiten veröffent­lichen. Die Priorität der Entdeckung hatte natürlich K er r.

1879 erhielt Röntgen die Ben1fung auf da<; Ordinariat der Experimentalphysik nach Gießen als Nachfolger des verstorbenen Professors B u ff. Die Laboratoriumsverhältnisse waren zuerst schlecht, ließen sich aber durch einige Anbauten des Kollegien­geländes verbessern. In Gießen stellte sich Röntgen die Auf­gabe, die von M a x w e l 1 vorausgesagte magnetische \Virkung des sogenannten Verschiebungsstromes nachzuweisen. Daß ein strom­durchflossener elektrischer Leiter ein magnetisches Feld erzeugt,

' war bekannt. \Vird der Draht unterbrochen, so bildet sich ein e 1 e kt r i s c h es Feld zwischen den Enden aus. Bringt man einen Körper dazwischen, so verschieben sich in ihm elektrische Ladun­gen. Dieser Verschiebungsstrom erzeugt ein magnetisches Feld. Diesen kleinen aher für die Theorie ungemein wichtigen Effekt konnte Röntgen exakt messen. Diese Ströme heißen seither Röntgenströme. Die Arbeit wurde 1885 durch He 1 m holt;· der Berliner Akademie der \Vissenschaften vorgelegt. In Gießen fand Röntgen einige seiner treuesten Freunde. Gerne zog er mit ihnen hinaus in die schöne Umgebung Gießens. In den folgenden .Jahren erhielt Röntgen drei Rufe nach Jena, t:trechl und 'Vürz­hurg. Die beiden ersten lehnte er ab und siedelte 1888 nach \Vürz­hurg über, als Nachfolger von Friedrich Kohl rausch.

In den ersten \Vürzburger .Jahren beschäftigte sich Röntgen zunächst mit dem Einfluß des Druckes auf diP verschiedenen Kör­ppreigenschaften und mit dünnen Olwrflächenschichten im Ilm­hlick auf die Molekularkräfte. Ein Zweig dt>r Physik wurde in dieser Zeit stark hearht'itet, der Durchgang dt>r Elektrizität durch Gase. Solche Gasentladungen spielen ja heute in der Technik c•ine große Rolle, z. B. bei der Höhensonne, den Radioröhren, Gleich­richtern und Rt>klamelichtquellen. Damals wurden erst die Grund­lagen von Physikern wie L e n a r d, Cr o ok es, Hit t d o r f und anderen erforscht. 1895 begann auch Röntgen sich mit diesem Gehiet zu beschäftigen. Dabei machte er am 8. NovemJ,er 1895 die

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Entdeckung, daß von solchen Gasentladung'lröhren eine neuartige Strahlung ausging. Er hüllte eine nahezu luftleer gemachte Röhre mit schwarzem Papier lichtdicht ein. Legte er nun eine hohe Span­nung an zwei in die Röhre eingeschmolzene Metalle, so beobach­tete er ein Aufleuchten eines in der Nähe aufgestellten Fluores­zenzschirmes (Bild 3). Die Fluoreszenz konnte nicht von der Ent­ladung selbst herrühren, da das Papier weder fiir Licht noch fÜr die Entladungsteilchen, die Kathodenstrahlen, durchlässig war. Es mußte also eine besondere Strahlung sein, die er X-Strahlung nannte. Er fand, daß sie von dort ausging, wo die Kathodenstrah­len auf ein Hindernis auftrafen. Die Strahlen schwärzten die photographische Platte. Sie gingen durch leichte Stoffe, z. B. das Fleisch des menschlichen Körpers, gut hindurch und wurden von schwereren Stoffen wie die Knochen verschluckt. Hielt man die Hand zwischen Entladungsröhre und Fluoreszenzschirm oder Photoplatte, so zeichneten sich die Knochen als Schatten ab. Bild 4 7eigt eine der ersten Röntgenaufnahmen einer „Hand". Damit war es möglich, das Knochengerüst und im menschlichen Körper dngeschlossene Fremdkörper durch Durchleuchtung mit diesen Strahlen zu beobachten. So wurden die von R ö n t gen entdeckten Strahlen ein wichtiges Hilfsmittel für die Medizin.

Röntgen reichte die erste Veröffentlichung über seine Ent­deckung am 28. Dezember 1895 ein. Die Entdeckung der Röntgen­strahlen erregte sofort größtes Aufsehen. Schon im Januar 1891) führte er dem Kaiser in Berlin seine neuen Strahlen vor und trug in der Physikalischen-medizinischen Gesellschaft zu \Vürzburg über seine Entdeckung vor. Damals machte der Anatom Exzellenz "·on K o e l l i k er den Vorschlag, die X-Strahlen Röntgenstrahlen zu nennen.

In Kürze kursierten die merkwürdigsten Ideen über die Rönt­genstrahlen. Viele unangenehme Befürchtungen rührten daher, daß man zuerst dachte, die Röntgenphotographie sei identisch mit der gewöhnlichen Photographie, nur mit dem Unterschied, daß die Röntgenstrahlen auch durch feste Körper dringen und gestatten, das Innere der Körper zu photographieren Eine Firma bot dC'n Verkauf von X-Strahlensicherer Unterwäsche an, und auf einem

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Landtag wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, wonach der Ge­brauch von X-Strahlen in Operngläsern im Theater verboten sein ~ollte.

R ö n t gen schlug alle von auswärts an ihn kommenden Bitten, uher seine Entdeckung vorzutragen, ab. Eine große Rolle in der Öffentlichkeit zu spielen, lag in seinem bescheidenen Wesen nicht. 1901 wurde ihm als erstem Physiker der Nobelpreis der Physik verliehen, die größte Ehrung, die einem \Vissenschaftler 1utdl werden kann.

\Vie jedem großen Entdecker wurde auch P.. ö n t gen die Priorität seiner Entdeckung streitig gemacht. Es wurde behauptet, eigentlich habe nicht er, sondern sein Gehilfe die neuartige Er­scheinung zuerst gesehen und ihn darauf aufmerksam gemacht. Diejenigen, die solchen Meinungen nachgehen, iibn~ehcn, daß meist große Entdeckungen das Ergebnis langjähriger Arbeiten oder Gedanken sind. So hat sich Röntgen lange vor seiner Ent­declmng intensiv mit Gasentladungen beschäftigt und wäre ohne genaue Kenntnis dieses Gebietes sicher an der neuartigen Erschei­nung vorübergegangen. Doch auch \Vissenschaftler von Ruf haben ihn angefeindet. Im Grunde genommen konnten solche Anfechtungen ihm nichts anhaben. Zeigt doch auch Cie g::i.nze wei­tere Entwicklung, daß er nicht nur der geniale Entdecker, sondern auch der große Erforscher dieses von ihm eröffneten neuen Ge­bietes war. Schon wenige Monate nach der Entdeckung am 9. 3. J 896 reichte er eine Fortsetzung seiner 1. Mitteilung ein. Sie ent­hielt unter anderem die Ionisation der Gase durch Röntgenstrahlen. Die 1\foleküle der Luft werden von den Röntgenstrahlen in elek­trisch geladene Teile zerlegt. Die Luft wird dadurch elektrisch leitend. Im nächsten Jahre folgte eine 3. und 4. Mitteilung. Er fand, daß die Strahlung aus einem Gemisch besteht, das wesent­lich von der an der Röhre angelegten Spannung abh;ingt, i.m heu­tigen Sprachgebrauch ausgedrückt, die Härte der Strahlen hiingt von der Spannung ab. Viele Jahre wurden nach diesen ersten Ar­beiten Röntgens keine wesentlich neue Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenkunde von anderer Seite erzielt.

J 905 folgte Röntgen einem Rufe nach München. Dort ~riff

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er ein neues Arbeitsgebiet auf, die elektrische Leitfähigkeit von Kristallen. Trotz all der Ehrungen, mit welchen er nach seiner Entdeckung überhäuft wurde, führte er ein bescheidenes Leben. Den ihm angetragenen Adel lehnte er ab. Geselligkeiten im kleinen Kreis liebte er sehr. Er war ein eifriger Jäger. Mit seiner Gattin, mit welcher er innig verbunden war, verbrachte er jeden Sommer und solange es möglich war, auch einige Tage im \Vinter in den Bergen, zumeist im herrlichen Engadin. Bis ins hohe Alter war er, wie auch heute noch die meisten Physiker, ein begeisterter Alpinist. Er erlebte noch den 1. \Veltkrieg und schied 1920 aus seinem !.ehr­{lmt aus. Durch Krieg und Nachkriegsverhältnisse stark mitge­nommen starb er am 10. Februar 1923. Seine Asche ist im Fami­liengrab seiner Eltern auf dem Alten Friedhof in Gießen beigesetzt.

Die Röntgenkunde wurde zu einem eingehend bearbeiteten Zweig der Physik, der Technik und der Medizin. Röntgen hat es noch erlebt, daß die Natur der von ihm entdeckten Strahlen eine exakte Klärung durch Max v. Laue fand. Läßt man einen fein ausgeblendeten Röntgenstrahl durch einen Kristall hindurchgehen, so entsteht auf einer dahinter auf gestellten photographischen Platte ein Beugungsbild. So wie Licht an den Strichen eines auf eine Glasplatte geritzten Gitters werden Röntgenstrahlen an den im Kristall regelmäßig angeordneten Atomen oder Ionen gebeugt. Durch Überlagerung der Röntgenwellen entsteht das auf der pho­tographischen Platte beobachtete Beugungsbild. Damit war erwie­sen, daß die Röntgenstrahlung eine \Vellenstrahlung ist, ähnlich wie das Licht, nur von kleinerer Wellenlänge. Aus der Beugungs­figur kann man einerseits die Struktur des Kristalls und anderer­seits die Wellenlänge der Röntgenstrahlen entnehmen. Ihre Grö­ßenordnung beträgt 1 Millionstel Millimeter. Aus dieser Ent­deckung entwickelte sich die Spektroskopie der Röntgenstrahlen und die Erforschung der Kristallstrukturen. Die Röntgenstrahlen erweiterten den Bereich der bekannten elektromagnetischen \Vel­len um mehrere Größenordnungen über die der Lichtwellen hinaus.

Wie das Licht haben auch die Röntgenstrahlen Wellen- und Quanteneigenschaft. Sie bestehen aus kleinsten, nicht weiter teil-

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baren Energiepartikelchen, Quanten genannt. Die Quanten haben Energie und Impuls wie bewegte Korpuskeln. Wird ein Röntgen­quant an einem Elektron gestreut, so erhält dieses Impuls und kinetische Energie, welche dem Röntgenquant entzogen wird. Da­durch ändert sich die \Vellenlänge des Röntgenstrahls. Elektron und Röntgenquant fliegen nach verschiedenen Richtungen aus­einander. Dieser „Comptoneffekt", das Billardspiel zwischen Rönt­genquanten und Elektronen, illustriert besonders eindrucksvoll den Quantencharakter der Strahlung.

Die Röntgenstrahlen wurden zu einem der wichtigsten Hilfs­mittel für die Erforschung des Aufbaus der Materie. Einen be­trächtlichen Teil unserer heutigen Kenntnisse vom Atombau ver­danken wir den Untersuchungen der \Vechselwirkung zwischen den Röntgenstrahlen und der Materie.

Es ist nicht ganz leicht, sich 50 Jahre zurückzuversetzen in den damaligen Stand der Wissenschaft und die Gedankengänge der Forscher dieser Zeit. \Vir können uns vielleicht am besten ein Bild machen, wenn wir die Situation nach der Entdeckung der Rönt­genstrahlen vergleichen mit der heutigen Situation in der Physik der höheren Atmosphäre und der Höhenstrahlenphysik. Ebenso wie die Entdeckung der Röntgenstrahlen eine große Überraschung für die Physik vor einem halben Jahrhundert war, hat auch die Untersuchung der von außen auf die Erde einfallenden, von Sonne und Kosmos kommenden und in der Erdatmosphäre umge­setzten Strahlung zu überraschenden Ergebnissen geführt. Die Er­forschung dieser Strahlung ist zu einem Hauptarbeitsgebiet der Physik geworden, an welchem sich auch das Physikalische Institut der Gießener Hochschule beteiligt. Besonders interessiert die kos­mische Ultrastrahlung. Eine große Zahl neuer Strahlungskompo­nenten korpuskularer Natur wurde in jüngster Zeit entdeckt, wo­runter das Meson eine Sonderstellung einnimmt, eine Korpuskel, die ebenso wie Elektron und Atomkern elektrisch geladen ist, deren ]\fasse aber zwischen der des Elektrons und der Atomkerne liegt. Die Mesonenforschung hat heute die gleiche Bedeutung wie etwa die Röntgenstrahlforschung vor einigen Jahrzehnten.

Der Aufbau der Atome ist duch die elektischen Bindungskräfte

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der elektrischen Felder zwischen den Elektronen und Kernen ge­geben. Eine Änderung der Bindung ist mit einer Energieänderung verknüpft. Wird dabei Energie frei, so kann sie als Quant einer elektromagnetischen Welle, als Licht- oder Röntgenquant ausge­strahlt werden. \Vird ein schnelles Elektron, ein sog. Kathoden­strahl, in der Materie (der Antikathode einer Röntgenröhre) ge­bremst, so kann der Verlust an Bewegungsenergie direkt als Rönt­genquant ausgestrahlt werden Man spricht dann von (Röntgen-) Bremsstrahlung. Bei einer stärkeren Wechselwirkung der Katho­denstrahlen mit der Materie (der Antikathode einer Röntgenröhre) werden die Bindungskräfte der Elektronen in den Atomen bean­sprucht und die Bewegungsenergie der Kathodenstrahlen in Bin­dungsenergie der Atome umgesetzt, und diese wird dann als Rönt­genquant abgestrahlt. So kommt die sog. Eigenstrahlung zustande. Aus der Wechselwirkung der Röntgenstrahlen mit der Materie konnte man rückwärts wichtige Schlüsse auf die Bindungskräfte in der Elektronenhülle ziehen, die zu unseren heutigen Kenntnissen vom Atombau geführt haben. Dies war die große Bedeutung der Höntgenstrahlen für die Atomistik.

Heute suchen wir nun auch nach etwas Entsprechendem für den Kernbau. Im Atomkern wirken außer den elektrischen Kräften noch spezielle sog. Kernkräfte. Daß man mit den elektrischen Kräften nicht allein auskommt, sieht man leicht ein, wenn man bedenkt, daß sich die Atomkerne aus positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen zusammensetzen, die elektrischen Kräfte im Kern also nur abstoßend wirken können. Man braucht daher noch spezielle Kernkräfte, welche die Bausteine der Kerne zusam­menhalten. So wie für die Elektronenhülle eine Korrelation zwi­schen den elektrischen Bindungskräften und den Quanten, oder mit anderen \Vorten eine Korrelation zwischen dem elektrischen Feld der Elektronenhülle und dem elektromagnetischen Feld der ausgesandten Welle besteht, ebenso besteht für den Atomkern eine Korrelation zwischen den Kernkräften, welche die Bausteine, die Protonen und Neutronen der Kerne zusammenhalten, und den Mesonen. Ganz analog wie bei der Bremsung eines Elektrons an der Elektronenhülle eines Atoms ein Röntgenquant entstehen

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kann, ganz entsprechend kann bei der Bremsung eines Kernteil­chens beim Zusammenstoß mit einem anderen Kern ein Meson entstehen. Das Meson ist gewissermaßen das Quant des Kern­feldes. Hieraus erhellt die Bedeutung der Mesonenforschung für die Theorie des Atomkerns.

Fast noch wichtiger als für die Physik selbst wurden die Höntgenstrahlen für die Technik und Medizin. Kaum eine Ent­deckung hat so viele bedeutsame Anwendungen gefunden wie die Höntgenstrahlen.

Die erste technische Anwendung fanden sie durch ihre Ab­sorption. Z. B. kann man mit Hilfe von Röntgenstrahlen Hohl­riiume und Risse im Metallinnern finden. An solchen Stellen wer­den die Röntgenstrahlen weniger geschwächt. Auch zur Gemälde­prüfung kann ihre Absorption dienen. Aus der Beugung der Rönt­genstrahlen kann man die Struktur der Stoffe, ihren Aufbau aus Atomen und Ionen, Faser- und \Valzstruktur, Rekristallisations­vorgänge u. a. m. entnehmen.

Über die Anwendung der Röntgenstrahlen in der medizinischen Diagnostik wurde schon gesprochen. Es gibt kaum einen Menschen in der zivilisierten \V elt, bei welchem nicht schon eine Röntgen­durchleuchtung gemacht worden ist, entweder um seinen Gesund­heitszustand zu prüfen oder einen versteckten Krankheitsherd zu finden und damit erst die Möglichkeit zur Einleitung einer Be­handlung zum Zwecke der Heilung zu schaffen. Eine zweite medi­zinische Anwendung fanden die Röntgenstrahlen schon kurze Zeit nach ihrer Entdeckung in ihrer therapeutischen \Virkung auf krankhafte Gewebe, z. B. Krebs, und wurden so zu einem der wichtigsten Heilmittel für die Menschheit.

Diejenigen, welche glauben, daß in der heutigen Notzeit die Hochschulen eine zu große finanzielle Belastung für den Staat seien, mögen bedenken, was eine solche Entdeckung wie die der Röntgenstrahlen für den Staat und die ganze \Veit bedeutet. Die Röntgenstrahlen haben überall Eingang gefunden in die Labora­torien, in die Krankenhäuser und Kliniken. Aus einer aus rein ideellen Gründen angestellten Forschungsarbeit ist ein eminent

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wichtiger Zweig der Technik und größter Segen für die gesamte Menschheit entsprungen.

Röntge n's Werk ist unvergänglich und zugleich eme Mah­nung für uns alle. Die Tatsache, daß Röntgen hier 10 Jahre sein erstes Ordinariat hatte und hier auf dem alten Friedhof seine letzte Ruhestätte gefunden hat, ist für uns Ehre und Verpflichtung. Heute Morgen haben wir in großer Dankbarkeit an seinem Grabe den Kranz der Hochschule niedergelegt und gelobt, sein Vermächt­nis zu hüten, ihm nachzustreben, liebevoll die Natur zu beob­achten, sie zu erforschen, ihre Geheimnisse abzulauschen und die gewonnenen Erkenntnisse zum Nutzen und \Vohle der Menschheit anzuwenden. Wir haben gelobt, alles zu tun, damit die große Tra­dition unserer Hochschule fortlebe, ihre Kriegswunden zu heilen, ihr die geistigen und materiellen Grundlagen zu verschaffen, damit sie wieder in die Lage komme, ihre hohe Aufgabe zu erfüllen, die man nicht besser charakterisieren kann als durch die denkwür­digen \Vorte Röntge n's in seiner \Vürzburger Rektoratsrede aus dem Jahre 1894: „Die Universität ist eine Pflanzschule wissen­schaftlicher und geistiger Bildung, eine Pflegestätte idealer Bestre­bungen für die Studierenden sowohl als für die Lehrer. Ihre Be­deutung als solche steht weit höher als ihr praktischer Nutzen:'

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Carl Fromme Von Paul Cer m a k.

Mitten in den \Virren der letzten Kriegsmonate ist der Geh. Hofrat Dr. Carl Fromme, emeritierter ordentlicher Professor der Philosophischen Fakultät (II. Abteilung) der Gießener Universität, am 13. Februar 1945 gestorben und nach seinem \Vunsche in aller Stille beerdigt worden.

Carl Fromme wurde am 11. Juni 1852 in Kassel geboren. Er studierte von Ostern 1870 an Mathematik, Physik und beschrei­bende Naturwissenschaften, die ersten vier Semester in Marburg, weitere fünf in Göttingen. Dort wurde er im Oktober 1873 zum Dr. phil. promoviert. Er wurde Assistent am Göttinger Physikali­schen Institut, habilitierte sich in Göttingen im Juli 187 5.

Nach Gießen wurde er als Nachfolger von Dr. Zöppritz im Aubgust 1880 berufen. Er erhielt den außerordentlichen Lehrstuhl für theoretische Physik auf Vorschlag des damals in Gießen wir­kenden Physikers \V. C. R ö n t gen . Nur 2000 Mark betrug in jener Zeit das jährliche Anfangseinkommen eines beamteten a. o. Professors, das er durch eifrige Lehrtätigkeit innerhalb eines Jahr­zehnts um 7 5 Prozent zu steigern vermochte. In diesem ersten Jahrzehnt aber war die zusätzliche Kolleggeldeinnahmen ergebende Hörf'rzahl der mathematisch-physikalischen Vorlesungen im Durchschnitt nur neun, in der Höchstzahl 16. Fromme las nun neben seinf'r Hauptvorlesung noch Elemente der Astronomie und fiir Studierende der Forstwirtschaft Feldmeßkunde; später auch Klimatologie und Meteorologie, woraus sich besonders dotierte 1.ehrauflräge entwickelten. Einen Ruf an die Landwirtschaftliche Hochschule in Hohenheim lehnte er im Jahre 1886 ab. Im März 1894 wurde Fromme zum ordentlichen Honorarprofessor ernannt; HH 1 wurde ihm der Charakter Geheimer Hofrat verliehen. 1921 erfolgte seine Ernennung zum planmüßigcn ordentlichen Professor.

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Seit dieser Zeit war die theoretische Physik an der Universität durch einen ordentlichen Lehrstuhl vertreten.

Fr o m m e wurde zum Dekan seiner Fakultät gewählt, die er im Jahre 1925 mit Erfahrung und Umsicht leitete. Das zeigte, wie großer Beliebtheit sich Fromme seit langem bei seinen Kollegen erfreute.

Fromme's physikalischen Veröffentlichungen, die mit wenigen Ausnahmen in den Annalen der Physik erschienen sind, gehören mit Ausnahme der Dissertation fast alle der Experimentalphysik an und umfaßten: Konstitution und Magnetisierbarkeit des Stahles, Remanenz, Koerzitivkraft, magnetische Nachwirkungen, Dichtig­keitsänderungen des Stahles beim Härten und Anlassen, galva­nische Polarisation, Änderungen der elektrischen Leitfähigkeit.

Im Jahre 1922 konnte Fromme seinen 70. Geburtstag im Kreise seiner Kollegen feiern. Am 1. November 1925 wurde er auf eigenes Ansuchen emeritiert. Fromme blieb auch nach seiner Emeritie­rung ein dem Fortschreiten seiner Fachwissenschaft offener l\fann, der z. B. an den Tagungen des Marburg-Gießener physikalischen Kolloquiums, den Sitzungen der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde aktiv teilnahm, und der auch seinen 80. und 90. Geburtstag noch in beachtenswerter geistiger und körperlicher Frische erleben konnte.

Neben seiner akademischen Lehrtätigkeit war Fromme ein mit der Entwicklung Gießens eng verbundener Mann. Seit 18~)7 war er Vorsitzender des Gießener Theatervereins, dem es unter From­me's Leitung und unter Mitwirkung von Spendern aus allen Kreisen der Bevölkerung gelang, der Universitätsstadt ein Theater zu erbauen und zu eröffnen, das noch heute eine Zierde der Stadt ist. Fromme war weiterhin tätig im städtischen Schulvorstand, im Aliceschulverein. Die ihm verliehene Ehrenplakette der Stadt Gießen bezeugt, daß die Stadt dankbar der Verdienste ihres Mit­bürgers gedachte, wie auch seine noch heute im hessischen Schul­dienst stehenden früheren Hörer ihm bestes Gedenken bewahren.

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Zum Gedenken an Max Berek Von \V. J. Schmidt.

Am 15. Oktober 1949 verschied, 63 Jahre alt, in Freiburg i. B„ wo er Heilung von längerem Leiden suchte, Prof. Dr. phil. et h. c. rer. nat. Max Be r e k, der Leiter der wissenschaftlichen Abtei­lung der optischen \Verke E. Leitz G. m. b. H. in \Vetzlar und ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Marburg. Mit ihm ist eine Persönlichkeit von internationalem Ruf auf dem Ge­biete der Optik von uns gegangen, ein Mann, der auch in Gießener Gelehrtenkreisen wohlbekannt und hochgeachtet war.

\Velch' schmerzlichen Verlust sein Tod der optischen \Vissen­schaft und den Leitz-Werken, in denen er seit 1912 tätig war, be­deutet, mag schon ein Fernstchcnder ermessen, wenn er erfährt, daß Berek in der theoretischen und in der ausführenden Optik gleicherweise ein Meister war, daß er, weit davon entfernt, nur ein Fachgelehrter zu sein, ein tiefes Verständnis fiir soziale und wirt­schaftliche Belange besaß, für das Zusammenwirken vieler Men­schen der verschiedensten Prägung, Bildungsstufe und Tätigkeit. So legt seine Persönlichkeit nach mehr als einer Richtung den Ver­gleich mit Ernst Ahbe nahe. Und wer ihm nähertrat, nahm wahr, daß all' dies' \Vissen und Können in einem vortrefflichen Menschen geborgen war, einem liebenden Gatten, einem sorgenden Vater, einem treuen Freunde. Daher trauerten viele von Herzen um ihn, als die Kunde von seinem Tode sich verbreitete.

Bereks wissenschaftliche Leistungen sind bei großer Vielseitig­keit stets von tiefster Gründlichkeit:

Er plante und berechnete die Leica-Objektive und krönte so 0. Barnacks bewundernswertes technisches Können. Damit rück­ten die Leitz-Werke auch in die vorderste Reihe der Erzeuger photographischer Optik. Den Schwerpunkt von Bereks Tätigkeit bestimmen aber doch wohl seine Schöpfungen im Bereich des

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Polarisationsmikroskops, das ibm, dem Schüler des großen Minera­logen Theodor Liebisch, von jeher vertraut war.

Wie insbesondere der Gießener Zoologe S. Becher erkannt hatte, erzeugt die Einschaltung eines Polarisationsprismas (das, wie üblich, den außerordentlichen Strahl verwertet) zwischen Ob­jektiv und Okular des Mikroskops Astigmatismus, der die Bild­güte erheblich herunterdrückt. Bechers Vorschlag zur Beseitigung dieses Fehlers war für die Praxis schwer durchführbar, weil er be­~ondere Objektive und Okulare für das Polarisationsmikroskop \'erlangte. Berek hat dem Astigmatismus des Tubusanalysators eine umfassende lJntersuchung betr. den ortho- und den konoskopischen Strahlengang gewidmet und den \Veg zu seiner Behebung gewiesen, den gleichzeitig und unabhängig auch Jentzsch vorschlug: durch Zusatzlinsen wird erreicht, daß die zu den Bildpunkten zielenden Strahlenbüschel als parallelstrahlige Bündel das Prisma durch­laufen, nach ihrem Austritt aber wieder die alte Konvergenz an­nehmen. Dieser anostiumatische Tubusmwlysator findet sich heute bei jedem besseren Polarisationsmikroskop, das mit Prismen aus­gestattet ist; freilich scheint es, als ob diese in absehbarer Zeit durch Polarisationsfilter verdrängt würden, die frei von Astigma­tismus sind.

Am Polarisationsmikroskop entwickelte Berek einen Zweiblen­denkondensor, der beim Gebrauch von Objektiven aller Brenn­weiten eine einwandfreie Beleuchtung des Sehfeldes gibt und für stärkere Objektive neben der Aperturblende eine Sehfrldblende besitzt; deren \Virksamkeit befreit das Bild von dem störenden Nebenlicht, das von nicht abgebildeten Teilen des Objektes oder vom freien Sehfeld ausgeht. Neuestens hat der Zweiblendenkon­densor auch am biologischen Mikroskop Eingang gefunden.

Der von Berek ersonnene und nach ihm benannte Kompensator zur Ermittlung der Stärke der Doppelbrechung mikroskopischer Objekte vereint so viel gute Eigenschaften Einfachheit, Bequem­lichkeit des Gebrauchs, großen Meßbereich und hohe Genauigkeit des Ergebnisses - wie kein anderes Hilfsmittel solcher Art. Dem „elliptischen" Kompensator (nach Brace-Köhler), der für die Er-

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fassung schwächster Doppelbrechung wertvoll ist, gab Berek eine geeignete Form zum Gebrauch im Tubusschlitz.

Auch mit dem Drehtischverfahren zur mikroskopischen Ermit­telung der Indikatrix eines Kristalls aus einem beliebigen Durch­schnitt hat Berek sich befaßt und in seinem Buche „Mikrosko­pische Mineralbestimmung mit Hilfe der Universaldrehtisch-Metho­den" (Berlin 1924) maßgebende Richtlinien für den Gebrauch dieses Instrumentes gezogen.

Der lntegratio11stisch zur Bestimmung der quantitativen Zu­sammensetzung eines Gesteins aus seinem Mineralkomponenten am Schliff, der diese beim Führen des Präparates nach verschiede­nen Hichtungen der Schliffebene auf einer entsprechenden Zahl 'on Spindeln mechanisch summiert, verdankt der Mitarbeit Bereks seine vollendete Ausführung; dieses \Verkzeug dürfte auch für ähnliche Zwecke des Biologen von Bedeutung sein.

Bahnbrechend für die Erzmikroskopie wurde Bereks Entwick­lung der Apparatur zur Untersuchung der Polarisationsoptik am Anschliff, also im auffallenden Licht, unter Zuhilfenahme des Spaltrnikrophotometers für Reflexionsmessungen und des Okulars mit elliptischem Analysator. Für die Auswertung der Befunde gaben erst Bereks theoretische Untersuchungen zur Reflexionsoptik absorbierender Kristalle die Mi:iglichkeit. Tm „Lehrbuch der Erz­mikroskopie" (mit Schneiderhöhn und Ramdohr) hat Berek den instrumentellen und allgemein-optischen Teil bearbeitet.

Von weiteren Schöpfungen Bereks seien noch erwähnt das „Leifo"-Universalphotometer für die Bestimmung der Konzentra­tion von Lösungen, für Schwärzungs-, \VeiBgehalts- und Farb­messungen und das Tyndallometer zur Ermittlung des Staub­gehaltes der Atemluft.

Neben solchen Arbeiten des ausführenden Optikers gehen un­ablässig theoretische Untersuchungen einher. In der Lehre von der Abbildung im Mikroskop, zu der er noch in den letzten Jahren tief eindringende Beiträge lieferte, hob Berek den Gegensatz von Selbst­leuchter und Nichtselbstleuchter, der sich an Ernst Abbes ehrwür­digen Namen knüpft, in einer höheren Ebene der Betrachtung auf

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und versöhnte so die Theorie mit der Erfahrung des Mikroskopi­kers. Hierher gehören auch Untersuchungen über Kohärenz und Konsonanz des Lichtes. Die schon erwähnten Arbeiten zur Optik der absorbierenden Kristalle würden schon allein ausreichen, Berek in der optischen \Vissenschaft einen Platz für alle Zeiten zu sichern.

Lehrbuchmäßige Darstellungen hat Berek außer in den oben­genannten Werken mit seinen „Grundlagen der praktischen Optik" \ 1930) und seiner „Anleitung zu optischen Untersuchungen mit dem Polarisationsmikroskop" (mit F. Rinne 1934) gegeben. Lei­der hat das Schicksal ihm nicht vergönnt, sein „Lehrbuch der Optik" zu vollenden, von dessen vier Bänden nur die beiden ersten vorliegen. 1 )

Die Feder führte Berek in großer, kräftiger und klarer Fraktur­schrift. Sein Stil verrät durch prägnante Kiirze den Mathematiker; mit Sorgfalt wird das \Vort gewählt und treffend sind die Bilder. Bei einer nur dem Mathematiker zugänglichen Beweisführung verschmäht Berek in der Regel nicht, \Vesen, Bedeutung und Lö­sung des behandelten Problems zuvor allgemein verständlich zu machen. \Vo er den Anschauungen anderer widerspricht, bleibt sein Ausdruck stets maßvoll; überhaupt stellt er weniger die Irr­tümer als das Zutreffende in den Arbeiten seiner Vorgänger heraus.

Mitbegründer der „Deutschen Gesellschaft für angewandte Optik", Mitglied des Kuratoriums der „Zeitschrift für Instrumen­tenkunde" trat Berek auch noch auf den Tagungen und Kolloquien mancher anderen wissenschaftlichen Vereinigungen durch gedan­kenreiche Vorträge in Erscheinung.

Von den Ehrungen, die Berek zuteil wurden, seien genannt die Erlangung eines „Grand Prix" auf der \Veltausstellung in Paris 1938, die \Vidmung einer Festschrift zum fiO. Geburtstage (Band 23 des „Berichtes der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde, Naturwiss. Abt.") und die Ernennung zum Ehrendoktor der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Justus-Liebig-Hoch­schule (ehern. Universität) Gießen anläßlich der Jahrhundertfeier der Leitzwerke.

1 ) Ein Verzeichnis der 109 wissenschaftlichen Veröffentlichungen Bereks findet sich bei S. Rösch (N. Jahrb. Mineral, Monatshefte 1949, 272-282).

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Berek - geboren in Ratibor am 16. August 1886 - besaß das glückliche Naturell des Oberschlesiers. Sein Wesen war von fröh­licher Unbekümmertheit, herzgewinnender Schlichtheit, lau­tcrster Gesinnung durchleuchtet. Bei ihm gingen Güte und \\Tohlwollen mit Festigkeit und aufrechtem Charakter Hand in Hand. Als der Ungeist Hitlers in die deutschen Hoch­schulen einzog, legte Berek seine Professur in Marburg nie­der, bis später diese Universität ihn ehrenvoll wieder in ihren Kreis aufnahm. Äußerlichkeiten legte Berek, der rasch den ethi­schen und geistigen Gehalt eines Menschen durchschaute, keinen \Vert bei. Das \Vort „Schwierigkeiten sind dazu da, um überwun­den zu werden", kennzeichnete in seinem Munde gut seine Haltung gegeniiber neuen Aufgaben. \Ver Rat suchend an ihn, der unabläs­sig der Forderung des Tages in einem der größten optischen \\1 erke der•\Velt gerecht wurde, der von Arbeiten gefesselt, von Plänen erfüllt war, herantrat, dem stellte er seine umfassenden l{enntnisse frei­giebig zur Verfügung. Und so erfuhr mancher durch Berek - des­sen Hand in angeregter Unterhaltung die geschätzte Zigarre hielt und dessen Fuß wippte - Bereicherung auf dem eigenen Felde. Tüchtige Leistungen anderer lobte Berek neidlos, von den eigenen sprach er nur notgedrungen. Als er schon litt, blieb seine hohe Geistigkeit ungebrochen und nie ging ein \Vort der Klage über sdne Lippen.

Seine Erholung fand Berek vor allem im häuslichen Kreise. Freunde waren dort gern gesehen, und die Pflege der Musik brachte ihm - der die Flöte mit Hingabe spielte -, den Seinigen und den Gästen manche frohe Stunde.

An einem trüben lierbsttage, da der Himmel sich langsam er­hellte. betteten die Seinigen, Mitglieder der Familie und der opti­schen \Verke E. Leitz, Abordnungen wi55enschaftlicher Körper­schaften, zahlreiche Gelehrte und Freunde Max Berek in der ver­gilbenden Pracht des \\Tetzlarer Bergfriedhofes zur ewigen Ruhe. Sein frohes Lachen ist für immer verklungen, sein heiter sinnender Blick erloschen; aber die Erinnerung an diesen großen und edlen Menschen wird fortleben in der \\'isscnschaft und bei allen, die ihn liebten.

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In memoriam Friedrich Bernhard Von L u d w i g R a t h c k e .

Als am 9. 12. 1949 Prof. Dr. med. Friedrich Bernhard nach kurzer Krankheit starb, wußten nicht nur die Gießener l\Iedi­zinische Fakultät, seine Schüler und die deutschen-Chirurgen, son­dern die ganze chirurgisch-wissenschaftliche \Veit, daß ein bedeu­tender Vertreter seines Faches die Augen für immer geschlossen hatte. Auf der Höhe seines chirurgischen Schaffens ist er einer heimtückischen Krankheit im 53. Lebensjahr erlegen. Bern -h a r d war in erster Linie \Vissenschaftler und immer bestrebt, die Forschung in den Dienst der kranken Menschheit zu stellen. \Vie in allen Spezialfächern, so kann auch in der Chirurgie erfolgreich nur arbeiten und forschen, wer außer seinem engen Fachgebiet eine umfassende Allgemeinbildung in dem von ihm gewählten \\!issenszweige hat. Bernhard wußte dies und richtete sich in seinen Ausbildungsgang danach. So genoß er erst eine Ausbildung in pathologischer Anatomie, innerer Medizin, normaler Physio­logie und pathologischer Physiologie, um sich dann der Chirurgie zuzuwenden. Er befaßte sich in seinen ersten wissenschaftlichen Arbeiten auch mit Fragen der genannten Gebiete. Seine auf diesen Gebieten gewonnene Erkenntnisse und Erfahrungen ermöglichten es ihm, k.ritisch zu den meisten Fragen der medizinischen For­schung Stellung zu nehmen. Schon früh wandte er sich der Erfor­schung des menschlichen Krebses zu und versuchte, durch chemi­sche Untersuchungen zu einer frühzeitigen Erkenntnis dieser heim­tückischen Erkrankung und damit zu einer erfolgreichen Be­kämpfung derselben zu kommen. Trotz seiner ständig zunehmen­den beruflichen Belastung als praktisch tätiger Chirurg und in Sonderheit als Kliniksdirektor blieb er Zeit Lebens der wissen­schaftlichen Forschung treu.

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Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Nachrufes sämtliche wissenschaftliche Arbeiten Bernhard' s - es sind weit über 100 an der Zahl - einzeln zu erwähnen und die durch sie gewonnenen Erkenntnisse zu besprechen. \Yie sein hiesiger Lehrer, der vielen G i e ß e n er n noch wohlbekannte frühere Direktor der Klinik Prof. Popper t , widmete er seine Aufmerksamkeit und seine Arbeit vor allen Dingen den Erkrankungen der Gallenblase und der Bauchspeicheldrüse. An dem großen Krankengut der Klinik konnte er wohl wie kein anderer in Deutschland Erfahrungen sammeln. In zahlreichen fleißigen und gründlichen Arbeiten hat er es in jeder Richtung durchforscht. Er konnte diesen Arbeiten Beobachtungen und Erfahrungen an tausenden von derartigen Kranken zu Grunde legen und wichtige Erkenntnisse gewinnen und wurde dadurch gerade auf dem Gebiet der Gallenerkrankun­gen eine nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland aner­kannte AutoriHit. Es gab Jahre lang keinen chirurgischen Kongreß, auf welchem er nicht mit einem Vortrag gerade aus diesem Gebiet vor die Offentlichkeit getreten war. Auch auf ausländischen Kon­gressen hat er darüber berichtet.

Sein ruheloser wissenschaftlicher Geist drängte ihn aber auch zu anderen Gebieten; es waren zunächst die Folgen der Brustkorb­Lungenschußverletzungen, denen er sich widmete. Zahllosen Ver­wundeten des letzten Krieges hat er durch erfolgreich durchge­führte Thorakoplastiken zur Gesundung verholfen. Dann wieder schlugen ihn die Gefäßerkrankungen in ihren Bann. Durch Ent­fernung erkrankter Gefäßabschnitte oder Eingriffe am sympathi­schen NPrvens.vstem konnte er Durchblutungsstörungen beseitigen und dadurch die betroffenen Kranken nicht nur von erheblichen Beschwerden befreien, sondern auch vor drohender Verkrüppelung hC'wahrcn. Bernhard hatte einen sicheren Blick und ein sicheres Grfiihl fiir alles, was wichtig und ausbaufähig in der Chirurgie vvar. Die Grundlagen für eine erfolgreiche Lungenchirurgie waren schon vor Jahren in Deutschland geschaffen. Als nun besonders nach dem letzten Kriege aus den angelsächsischen Ländern die Iümde von dem m ihnen erreichten gewaltigen Aufschwung der Lungenchirurgie zu uns drang, da griff Il er n h a r d auch dieses

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Gebiet auf und widmete sich ihm mit der ihm eigenen Z~ihigkeit. Seine Erfolge führten dazu, daß unsere Klinik auch auf diesem Gebiet bald einen Namen bekam und Kranke aus allen Teilen \Vestdeutschlands in die Klinik eingewiesen wurden.

Auch die Herzchirurgie gewann durch seine Initiative Einganß in die Klinik; als erster in Deutschland konnte er die J sthmus­stenose der Aorta, eine angeborene Erkrankung der Hauptkörper­schlagader, operativ heilen und bei einer derartigen Kranken ge­lang ihm als erstem in Europa der plastische Ersatz dieses Ge­fäßes durch ein anderes. Diese chirurgische Großtat glückte ihm kurz vor seinem Tode und war der Höhepunkt seines Chirurgen­lebens. Mit ihr nahm er Abschied von der Chirurgie.

Es ist selbstverständlich, daß man derartige Eingriffe nur aus­führen kann, wenn man die chirurgische Technik bis in alle Ein­zelheiten beherrscht. Bernhard hatte sich durch Begabung, un­ermüdlichen Fleiß und durch peinlichste Gewissenhaftigkeit im Laufe der Jahre zu einem ausgezeichneten Techniker entwickelt. Seine Erfolge verdankte er aber nicht nur seinem chirurgischen Können und seiner genauen Anzeigestellung zur Operation, son­dern auch seinem sorgfältigen und schonenden Operieren. Er hielt bei Operationen weniger von der Schnelligkeit als von der Gründlichkeit. Er riskierte nichts, und es konnte sich ihm jeder Kranke anvertrauen und gewiß sein. daß alles was Menschenhand vermag, bei ihm getan werden würde. Der Kreis seiner dankbaren Patienten, die er durch Können und Sorgfalt wieder der Gesundung und ihrem Lebensglück zuführte, war stän­dig im Wachsen und reichte weit über die Grenzen Gießens und seiner Umgebung hinaus. Es war dies wohl der schönste Dank für seine Fürsorge, die er den von ihm operierten Kranken ange­deihen ließ. Er war praktisch Tag und Nacht in der Klinik und um seine Kranken bemüht; die Sorge um sie verließ ihn erst, wenn wirklich alle Gefahr beseitigt war. Legte er im Hinblick auf die Kranken an sich einen strengen Maßstab an, so verlangte er das gleiche von allen Angehörigen der Klinik. Er war stets ein Vorbild ärztlicher Pflichterfüllung.

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Für uns, seme Assistenten, war er em ausgezeichneter klini­scher und wissenschaftlicher Lehrer. Stets war er anregend, be­sprach kritisch die neueste Literatur, stellte Themen zur Bearbei­tung und förderte jede wissenschaftliche Tätigkeit. Er verlangte eine solche regelrecht; denn nächst der Heilung der Kranken sah er die Hauptaufgabe einer großen Klinik und ihrer ärztlichen An­gehörigen in der wissenschaftlichen Arbeit, welche ja auch nur den kranken Menschen zugute kommen soll. Er ließ bei dieser wissenschaftlichen Arbeit jedem freie Hand, so daß sich jeder sei­nen eigenen Neigungen entsprechend frei entwickeln konnte. Er verlangte nur Genauigkeit in der Arbeit; alle Behauptungen und Ergebnisse mußten strengster Kritik standhalten.

Seine Eignung und Neigung zum akademischen Lehrer zeigte er besonders schön früher in den Vorlesungen vor den Studenten. Es war die Zeit, da unsere ehrwürdige Alma mater Ludoviciana noch existierte. Begeistert und begeisternd lehrte er damals Chi­rurgie. Er führte die jungen Studenten in lebhaftem Vortrag in <lie Grundlagen unseres schönen Spezialfaches ein und lehrte sie unter Benutzung selbst geschaffenen Anschauungsmaterials und \Or den Kranken selbst alles, was der praktische Arzt später von chirurgischen Erkrankungen wissen muß. Immer wieder betonte er, daß die Chirurgie wohl ein Spezialfach sei, aber nie den Zu­sammenhang mit der übrigen Medizin verlieren dürfe. Die Chi­rurgie war für ihn nicht Selbstzweck. Der tüchtige praktische Arzt 'var das Ziel seiner Vorlesungen. Die Studenten dankten ihm seine Mühe durch fleißigen Besuch seiner Vorlesungen und große An­hänglichkeit. Zahlreiche jetzt in der Umgebung Gießens tätige JJraktische Ärzte sind seine Schüler gewesen, und gerne kamen sie auch noch als fertige Ärzte zu ihm, um sich seinen Rat zu holen. Sie erhielten ihn stets. Den begeisterten Lehrer traf nach dem Kriege der Verlust seiner Lehrtätigkeit schwer. Mit dem gleichen Eifer aber widmete er sich einer neuen Aufgabe. Durch die Kurse im Rahmen der Gießener „Akademie für medizinische Forschung und Fortbildung" bekam er Gelegenheit, praktischen Ärzten sein großes \Vissen zu übermitteln und sie in die großen Fortschritte, die die Chirurgie in den letzten Jahren errungen hat, einzuweihen.

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Auch durch diese Tätigkeit erntete er den Dank und die Anerken. nung seiner Hörer. Sie alle erklärten rückhaltlos, wie sehr sie ihn als Lehrer schätzten und wieviel wichtiges und anregendes sie aus seinen Vorträgen für ihre Praxis mit nach Hause nahmen.

Wir haben ß er n h a r d als Wissenschaftler, Arzt, Operateur und Lehrer kennengelernt. Die vorliegende Schilderung seines ar­beitsreichen Lebens bliebe unvollständig, würde man an dieser Stelle nicht auch seiner organisatorischen Leistungen gedenken. Gerade die Gießen er Bevölkerung ist ihm hier zu Dank ver­pflichtet. Das schwerbeschädigte Kliniksviertel ist jedem bekannt, und wie die Chirurgische Klinik noch vor wenigen Jahren aussah, wissen wir alle. Lange Zeit mußte der Hauptbetrieb der Klinik in der auch von Bernhard geschaffenen Ausweichstelle in Lich durchgeführt werden. Mit einem Eifer und einer Tatkraft, die man nicht hoch genug anerkennen kann, ging ß e r n h a r d nach dem Kriege an den \Viederaufbau „seiner Klinik." Er hat sich dabC"i wirklich selbst übertroffen. Er erkannte stets dankbar die Hilfe der staatlichen und privaten Stellen an, aber er ließ auch nicht locker, wurde immer und immer wieder vorstellig, plante und überlegte und wies darauf hin, daß die Arbeiten rasch und bevor­zugt in Angriff zu nehmen seien, damit eine ordnungsgemäße Ver­sorgung der Kranken wie früher gewährleistet war. Er half uner­müdlich auch bei der Beschaffung von Geldmitteln. Er kgte aber - und das sei besonders hervorgehoben selbst mit Hand an. Unzählige Male traf man ihn im Hause und konnte feststellen, wie er häufig Schäden selbst beseitigte. Und das alles tat er neben seiner ständig zunehmenden beruflichen Belastung. So erreichte er es durch Mühe und Arbeit, daß die Chirurgische Klinik wieder so weit aufgebaut wurde, daß ein ordnungsgemäßer Betrieb möglich war. \Venn heute die Klinik wieder in der Lage ist, alles im Dienst der Kranken zu tun, wenn in ihr wieder eine Pflegestätte der \Vis­senschaft und der Forschung entstanden ist, dann ist dies seiner Ausdauer und Tatkraft zuzuschreiben. Es war sein sehnlichster Wunsch, daß die Medizinische Akademie baldigst entstehen würde, und er wollte unbedingt seine Klinik dann so weit gefördert haben, daß sie sich wie früher in die Universität so auch in den Rahmen

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der Akademie in jeder Beziehung als ein ärztliches Institut ein­fiigen wiirde.

So rundet sich das Lebensbild B e r n h a r d s ab als das eines Mannes, der in seinem Leben nur die Arbeit kannte. Er geizte mit jeder freien Stunde und kurz war die Zeit während der er sich Er­holung und Ausspannung gönnte. Dann zog er sich in die Natur zuriick. Sonst lebte er in der Klinik, operierend und forschend, stets im Dienste am Kranken oder für die Wissenschaft.

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Wilhelm Gundel t Von H u g o H e p d i n g .

Der Blumenschmuck auf einem alten Familiengrab an der westlichen Umfassungsmauer des Alten Friedhofs lenkt den Blick der Vorübergehenden auf den schlichten Grabstein des Professors der klassischen Philologie \V i l h e l m Gun de l (t 5. Mai 1945), und manche gedenken da gewiß des verehrten Lehrers, des ge­schätzten Kollegen, des guten Freundes, des Kriegskameraden aus dem ersten \Veltkrieg, aber nur wenige wissen wohl, daß hier die Asche eines Gelehrten ruht, der sich internationalen Hufs in der Welt der \Vissenschaft erfreute. Seine leider so früh abgebrochene Lebensarbeit galt in erster Linie der Erforschung der antiken Astronomie und Astrologie und ihres Nachwirkens in :Mitttelalter und Neuzeit. Die z. T. sehr schwer zugänglichen und jedenfalls nur bei genauen astronomischen Kenntnissen und langem, ein­dringendem Studium verständlichen Quellen dieses Zweigs der Al­tertumswissenschaft gehören nicht zu den \Verken aus der Antike, die wir Philologen uns ohne besonderen Anlaß als Lieblings­Arbeitsgebiet zu wählen pflegen. \Vohl sahen und wußtf'n die Fachgenossen, welche gewaltige Arbeit Gundel in unermüdlichem Forschen auf diesem Gebiet leistete und daß die \Vissenschaft noch Großes von ihm erwarten durfte, aber es war doch nur ein enger Kreis von Gelehrten, die in der Bearbeitung jenes aus der Antike erhalten gebliebenen Materials mit tätig waren und damit wirklich berufen und zuständig für die Beurteilung se;nes \Verks, etwa Franz B o 11, Franz Cum o n t, Albert Reh m, V. Stege -man n und Ab y Warburg . Sie haben nicht gekargt mit be­wundernder Anerkennung der einzigartigen Leistungen Gundels und haben ihn damit zu immer tieferem Eindringen in die Litera­tur und Weltanschauung der antiken Astronomen und Astrologen ermuntert. Unsere Universität durfte stolz darauf sein, daß dieser

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Forscher ihrem Lehrkörper angehörte; und deshalb sollen auch in diesen ßlättern ihm \\'orte des Gedenkens gewidmet werden, zu­mal das „ Wilhelm Gundel zum Gedächtnis" vom Verlag Drucken­müller, Stuttgart-\\' aldsee, 194 7 herausgegebene Heft nicht im Buchhandel erhältlich ist. Es enthält eine Würdigung des wissen­schaftlichen Lebenswerks des Verstorbenen von dem leider vor kurzem auch verschiedenen Münchener Professor Albert Reh m und eine Darstellung seines Lebens aus der Feder seines Sohnes IJr. H a n s G u n de l , sowie ein Schriftenverzeichnis und drei Sonderabdrucke von Artikeln Gundels für den noch nicht erschie­nenen 18. Band der „Real-Encyclopädie der class. Altertumswis­senschaft"; beigegeben ist auch eine ausgezeichnete Photographie unseres FrPtmdes. Auf dieser Gedächtnis<>chrift, auf Mitteilungen des Sohnes und eigenen Erinnerungen beruhen die folgenden Zeilen.

\Vilhelm Gundel ist am 26. August 1880 in Straßburg im Elsaß gehoren als Sohn des Postsekretärs Karl Gundel und seiner Gattin Mathilde geb. Leins. Der Vater entstammte einer fränki­schen Bauernfamilie, die Mutter einer angesehenen Eßlinger Bür­gerfamilie. Mit der Versetzung seines Vaters als Oberpostsekretär nach Mainz 1885 wurde diese Stadt mit ihrer großen Geschichte und ihrer hohen geistigen Kultur ihm zur Heimat. Hier besuchte er von 1890 bis 1899 das Herbstgymnasium, dessen Lehrer in dem begabten und strebsamen Jungen die Liebe vor allem zu den alten Sprachen weckten, hier fand er die Jugendfreunde, mit denen er durchs ganze Leben verbunden blieb, hier fand auch seine hohe musikalische Begabung ihre erste Pflege durch Klavier-, Harmo­nium- und Gesangunterricht. Er hatte eine starke, klare Tenor­stimme, und, begeistert von den Opern Richard \Vagners, dachte er eine ZC'it lang daran, Opernsänger zu werden. Die sorglose .Tugendzeit wurde durch die Jange, schwere Krankheit und den friihen Tod des Vaters (1897) getrübt. Durch Erteilen von Privat­stunden suchte er sich die Anschaffung von Büchern und Noten 7U seinrr \\' eiterbildung und zur Pflege seiner mannigfachen Nei­gungen zu C'rmöglichen. Schon damals erwachte in ihm, wohl unter dem Einfluß seines Vormundes, des Hofgärtners \Volf, die

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Freude am Gartenbau, die ihn sein ganzes Lehen lang nicht ver­lassen hat.

Seine fromme Mutter hätte es gern gesehen, wenn ihr \Villy Theologie studiert hätte. Aber trotz seines Interesses für religiöse Fragen konnte er sich nicht dazu entschließen. Nach wohlbestan­denem Abiturienten-Examen im Herbst 1899 bezog er die Univer­sität Heidelberg, um sich der klassischen Philologie und Germa­nistik zu widmen. Er hörte bei S c h ö 11 , C r u s i u s und 0 s t -hoff, nahm daneben aber auch noch an ägyptologischen, archäo­logischen und italienischen Übungen und Vorlesungen teil. Nach den frohen und an Eindrücken reichen heiden ersten Semestern an der Ruperto-Carola entschloß er sich schweren Herzens, seine Studien an der hessischen Landesuniversität fortzusetzen. Bald merkte er, daß er doch keinen so schlechten Tausch gemacht hatte; denn hier lehrte damals eine ganze Reihe hervorragender Philo­logen: Gundermann, Dieter ich, denen Wünsch und Be t h e folgten, in der Germanistik Be h a g h e 1 , in vergleichender Sprachwissenschaft B a r t h o 1 o m ä , in Archäologie B r u n o Sauer, in alter Geschichte Korne man n . Philosophie und Psychologie hörte Gundel bei Siebe c k . Messer , G r o o s und Hob er t Sommer .Die Philosophische Fakultät hatte in der Tat einen glänzenden Lehrkörper, ihr Yir{I)~ r.ipg1i:1i~ aber war für uns junge klassische Philologen A 1 b recht D i et er ich , der als Schüler Hermann Useners dessen religionsgeschichtliche Schule in Gießen und später in Heidelberg weiterführte. Er stand damals auf der Höhe seines Schaffens: seine „Mithrasliturgie" erschien in seiner Gießener Zeit, und die Vorarbeiten zur „Mutter Erde" fallen in jene Jahre. Ein 'Nerk über „Volksreligion, Versuche über die Grundformen religiösen Denkens" war sein großes Ziel; im S. S. 1902 hielt er im Auditorium maximum eine Vorlesung über „die Volkskunde und ihre wissenschaftliche Aufgaben". Auch Gundel wurde ein begeisterter Verehrer dieses großen Gelehrten, und unter seinem und R ich a r d \V ü n s c h s Einfluß wurde er für Reli · gionswissenschaft und Volkskunde gewonnen. Eine im Seminar bei Gundermann begonnene Arbeit „De stel/arum appellatione et rdigione Romano" baute er unter \Vünschs Leitung als Disserta-

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tion aus, mit der er „magna cum laude" zum Dr. phil. promoviert wurde ( 1906) ; sie erschien in erweiterter Form 1907 im 3. Bande der von Dieterich und \Vünsch begründeten „Religionsgeschicht­lichen Versuche und Vorarbeiten". Dieses 160 Seiten starke Buch wurde von der Kritik sehr anerkennend aufgenommen und von dem damals in Deutschland besten Kenner der antiken Sternkunde F r a n z Bol l als „ein dankenswerter Beitrag zur Geschichte der volkstümlichen Vorstellungen vom Sternenhimmel" begrüßt (Dt. Lit.-Ztg. 1907), und Franz Cu m o n t, der große belgische Reli­gionshistoriker, schrieb dem Verfasser: „Mes recherches sur l'histoire de l'astrologie SOUS !'Empire m'ameneront souvent a re­courir a volre etude si pleine de choses".

In lleidelberg hatte sich Gundel der Burschenschaft Frankonia angeschlossen, in Gießen trat er in die Alemania ein, in der er einen schönen Freundeskreis fand. Er hat mit uns „die Lust der Lieder und der \Vaffen" durchkostet, und an manchem festlichen Abend erklangen auf unserem Haus seine Lieder, ich höre sie noch heute: „Winterstürme wichen dem \Vonnemond", „Am stillen Herd zur \Vinterszeit", die Gralserzählung oder sein Bravourstück aus dem ,.Postillon von Lonjumeau", Behaghel wurde bei einer solchen Gelegenheit auf ihn aufmerksam und gewann ihn für sein Quartett, an dem er viele Jahre hindurch teilnahm. Dem blau-rot­goldenen Bande und dem \Vahlspruch „Ehre. Freiheit, Vater­land!" hat Gundel die Treue gehalten bis zum Tod.

Am 2. März 1904 bestand er die Staatsprüfung für das höhere I.ehramt in Latein ( 1), Griechisch (1) und Deutsch (2). Zur Refe­rendarausbildung wurde er zunächst an das Ludwig Georgs-Gym­nasium in Darmstadt überwiesen, kam dann aber im Herbst 1904 an das Gymnasium in Gießen auf Veranlassung der Direktoren des klassisch-philologischen Seminars, die ihm die bis dahin von mir versehene Assistentenstelle übertrugen ( 1904-06). Im Mai 1905 übernahm er die Vertretung des Oberlehrers Prof. Dr. Messer in Gießen, an Ostern 1906 die des Prof. Dr. Nover in Mainz. Nach seinem Assessorexamen 1906 erhielt er von der Regierung den Auftrag, den jungen russischen Fürsten Gagarin auf einer Reise nach Frankreich zu begleiten. Diese erste fast viermonatige Aus-

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landsreise gehörte zu den glücklichsten Erlebnissen Gundels, und gern kehrte er auch in den späteren Jahren in seinen Ferien zur douce France zurück, auch Belgien, Holland und die Schweiz be­suchte er; mit seinen Schülern unternahm er 1905 eine Fahrt nach Hamburg und Kiel; nach Süddeutschland führten ihn Besuche bei den Verwandten in Stuttgart und im Tale der Tauber und Jagst.

Von 1906-1934 war Gundel Lehrer am Landgraf Ludwigs­Gymnasium zu Gießen (seit 1908 als Oberlehrer, 1917 Professor, 1919 Studienrat). Er war ein begnadeter Pädagoge, und ich weiß von manchem seiner Schüler, wie sehr sie diesen verständnisvollen, gerechten und gütigen Lehrer geschätzt haben. Neben seinen Hauptfächern unterrichtete er noch in Geschichte und Geogra­phie, und als tüchtiger Turner und Sportler übernahm er gern auch in einigen Klassen den Turnunterricht. Eine ganz besondere Freude und Befriedigung gewährte ihm die Ausbildung der Refe­rendare im Pädagogischen Seminar für alte Sprachen am Gymna­sium, die ihm 'vegen seiner Lehrerfahrung und -erfolge etwa 1920 übertragen wurde.

Die damals in Gießen blühenden volkskundlichen Studien führ­ten den Schüler Dieterichs bald unseren .. Hessischen Illättern fiir Volkskunde" als Mitarbeiter zu. Er beteiligte sich an der „Volkskundlichen Zeitschriftenschau" 1904 und 1905 und lieferte für die Blätter zwei große Aufsätze: „Naive Ansichten iibcr H'esen, Herkunft und Wirkung der Kometrn" (1908) und „Stundcnyiitter" (1913\, sowie zahlreiche sorgfältige Buchbesprechungen. Entschei­dend aber für seine ganze wissenschaftli(:'.he \Veiterarbeit wurde die Aufforderung \V. K r o 11' s, den \Vünsch schon 1906 auf den jungen Gelehrten aufmerksam gemacht hatte, zur Mitarbeit an der großen „Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissen­schaft'', hauptsächlich für Artikel aus dem Gebiet der antiken Astronomie und Astrologie. Mit größter Hingabe und einem stau­nenswerten Bienenfleiß widmete sich Gundel dieser oft recht ent­sagungsvollen und undankbaren Arbeit, aber immer tiefer drang er dadurch in diese für uns so fremdartige \Veit und in die Texte und Literatur darüber ein. Der erste Artikel raA.aEia~ erschien 1912, über 50, darunter sehr umfangreiche (z. B. „Kometen" 1921

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mit 51 Spalten, „Leo" 1925 mit 20 Sp., „Sternbilder und Stern -glaube" 1929, 28 Sp., „Mond" 1935, 30 Sp.) folgten.

1912 veröffentlichte Gundel als Gymnasial-Programm den ersten Teil einer größeren Abhandlung über ,,die naiven, religiösen und philosophischen Anschauungen vom Wesen und Wirken der Sterne." Die Bearbeitung des ihm von Kroll übertragenen Artikels „Heimarmene" (erschienen 1912, 24 Sp.) führte ihn zu einer Un­tNsuchung über den Schicksalsbegriff in der Antike, bei deren Ausarbeitung er sich der Förderung durch Franz Bol l erfreuen konnte. Er hatte sich damals entschlossen, sich für klassische Phi­lologie zu habilitieren, und so legte er der Philosophischen Fakul­tät unserer Ludoviciana diese „Beiträge zur Entwicklungs­fJCSc/1ichte der Begriffe Ananke und Heimarmene'' (Gießen 1914, 101 S.) als Habilitationsschrift vor. Nach der Probevorlesung, ,,\Vas verstehen die griechischen Dichter der älteren Zeit unter Schicksal?" 1

) wurde ihm am 29. April 1914 die „venia legendi" er­teilt, und im S. S. 1914 hielt er sein erstes Kolleg über „Himmels­bild und \Veltanschauung".

Die so freudig noch zu seinem Schulamt hinzu übernommene neue Tätigkeit wurde rasch unterbrochen durch den \Veltkrieg. Die Studenten der Universität eilten zu den \Vaffen. Da war es unser Freund, der Historiker E r n s t Vogt, der zuerst den Ge­danken aussprach, auch wir jüngeren akademischen Lehrer müß­ten, obwohl wir nicht gedient hatten, in dieser schweren Stunde unseres Vaterlands bereit sein, an der Seite unserer Studenten in den Kampf zu ziehen. Und so meldeten wir drei Privatdozenten uns am 2. August als Kriegsfreiwillige, am 30. August wurden wir eingekleidet und dem Ersatz-Bataillon unseres Gießener Regiments 1ur Ausbildung überwiesen. \Vir wurden sehr zuvorkommend von den Vorgesetzten behandelt, durften zu H::rnse schlafen und wur­den schon nach zwei Monaten zu Gefreiten befördert. Am 28. Ja­nuar 1915 rückten wir aus zum RIR. 222, in dem damals sehr Yiele der Gießener kriegsfreiwilligen Studt'nten in den Karpathen kümpften. Nach langer, kalter Fahrt durch Ungarn erreichten wir

1) Die Dissertation von A u g u s t Mayer „Moira in griechischen In­

schriften" (1927) ist von Gundel angeregt.

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in anstrengenden Märschen durch das hochverschneite Gebirge unser Regiment; aber das erste Bataillon, zu dem wir als Ersatz kommen sollten, war gerade in einem schweren Gefecht, bei dem

die ungarischen Honveds versagt hätten, zurückgeschlagen wor­den, und bei unserem Vormarsch begegneten wir Scharen zurück­flutender, zum Teil verwundeter 222er, darunter einer ganzen Heihe uns bekannter Gießener Studenten. So kam es, daß wir statt dem 1. Batailon am 3. Februar der 8. Kompanie zugeteilt wurden, die hauptsächlich aus Bergleuten aus dem Huhrgebiet bestand, bei denen nach den furchtbaren Anstrengungen des \Vinterkrieges im Hochgebirge in Höhen von 1000 bis 1300 m damals fast das ein­zige Gesprächsthema die Hoffnung auf Ablösung war. Die Feld­küche stand viele Stunden entfernt unten im Tal in Perezlö, warme Verpflegung hatte es schon seit vielen Tagen nicht gegeben, nur gefrorenes österreichisches Kommißbrot und \Vurstkonserven brachten Maultiere auf engen, in den 3-4 m hohen Schnee einge­schnittenen Pfaden herauf; die nur aus Schnee hergestellten Wälle boten gegen Geschosse keinen Schutz; das Feuer der in Bäumen \-ersteckten russischen Scharfschützen forderte täglich Opfer, auch unter den 40 Mann unseres Ersatzes hatten wir gleich am ersten Tag unseres Einsatzes einen Toten und Verwundete. Mehrfach an­gesetzte Angriffe blieben im Feuer liegen; in dunkler Nacht wur­den Stellungswechsel vorgenommen in diesem weglosen \Vald­

gebirge, oft war der Anschluß an die Nachbartruppenteile verlo­ren. Von uns so zuversichtlich Ausgezogenen war kaum einer den ungewohnten Anstrengungen und Entbehrungen gewachsen! Täg­lich mußten mehrere der völlig verlausten Mannschaften mit Herz­schwäche und blutigem Durchfall nach Perezlö zurückgeschickt

werden. Am 22. Februar mußte sich auch Gundel, der schon länger an Bronchitis litt, wegen Ruhr krank melden. Über das Seuchen­lazarett Huszt gelangte er am 4. 3. mit einem Lazarettzug nach Patschkau. Dort erfuhr er, daß wir drei Privatdozenten auf Grund unserer Ausbildung im Ersatz-Bataillon am 4. März zu Unteroffi­

zieren befördert worden seien. Am 1. Mai konnte Gundel nach Gießen zurückkehren. In seinem Tagebuch aus jenen Tagen finden sich die \Vorte: „Der Sturm der äußeren Erlebnisse und Eindrücke

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der trostlosen Enttäuschung waren eigentlich zu stark, dazu ge­hören junge Knochen und junge Herzen. Und doch trug und will dies alte Herz es alles tapfer weitertragen. Es wird Frühling wer­den, es wird der Sommer wieder kommen, und mein Körper wird im Stande sein, meinem \Villen zu gehorchen ... "

Über das Ersatz-Bataillon unseres Regiments in Vilbel wurde Gundel am lß. :i. HJ16 dem Landwehr-Infanterie-Regiment 116 zu­geteilt, zu dem schon vorher auch Vogt und ich versetzt worden waren. Hier krnte er nun in einem sehr gut ausgebauten Graben­system, in ResHve- und \Valdlagern und in von den Bewohnern ge­räumten Dörfern den Stellungskrieg kennen. Unser Frontteil „zwi­schen Aire und Argonnen", angrenzend an die Champagne, war damals verhäl!nismäl3ig ruhig, und mit den meist älteren Kame­raden aus Oberhessen und dem Odenwald verstanden wir uns gut. Am 27. 6. Hllß wurde Gundel Vize-Feldwebel. Nach seiner ßeför­dPnmg zum Leutnant d. L. (10. 5. 1917) ''·urdeer in die 11. Komp. HIH. 202 versetzt; in dPn Stellungskämpfen am Chemin des Dames wurde er am 2. 8. 1917 durch Verschüttung verwundet. ?\ach Operation und liingerer Lazarettbehandlung in \Viesbaden, Gießen und Königstein tat er bei den Ersatz-Btl. des LIR. bzw. HIH. 116 in Bonames Dienst. Am 30. 11. 1918 aus dem Heer ent­lassen. mußte er sich im Dezember und Januar noch an Auflö­sungsarbeiten in Hungen beteiligen, ehe er zu seiner Familie zu­rückkehren konnte. Als Auszeichnungen waren ihm 1917 das Eiserne Kreuz II. und die Hessische Tapferkeitsmedaille verliehen worden. 1918 erhielt er das Verwundeten-Abzeichen in Schwarz.

Es war alles so ganz anders gekommen. wie wir in jenen Tagen hPim Kripgsaushruch gedacht hatten, als wir in unserem Idealis­mus uns als Kriegsfreiwillige meldeten. Aber trotz aller Enttäu­schungen und trotz des für unser Vaterland so trostlosen Ausgangs hat auch Gundel gern an diese Jahre und die erlebte Kamerad­schaft zurückgedacht. Doch nun hieß es nach vier langen Jahren den jäh abgerissenen Faden wieder aufnehmen!

Aber bevor wir zu der wissenschaftlichen Weiterarbeit Gundels zurückkehren, seien noch einige Angaben über seinen Lebensgang eingefügt. Einen schweren Verlust hatte der am 20. 8. 1903 er-

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folgte Tod der von ihm heiß geliebten Mutter bedeutet. Am 21. 1:!.

1911 vermählte er sich mit Johanna Zimmermann, der Tochter des Landgerichtsdirektors Zimmermann in Darmstadt. Am 20. 10. 1912 wurde der Stammhalter Hans, und im Krieg am 21. 5. 1915 das Töchterchen Elsa geboren. Ein glückliches Familienkhen war in der gemütlichen \Vohnung in der Roonstraße ß erblüht, ver­schönt durch Musik und Gesang und eine herzliche Geselligkeit. Die von Gundel selbst bebauten Gärten am Nahrungsberg lieferten den Blumenschmuck, Gemüse und köstliches Obst. In der Garten­arbeit fand er Entspannung und Erholung nach der intensiven Tagesarbeit, die bei ihm in den frühsten Morgenstunden, meist schon um 4 Uhr begann. Dann kam der Unterricht in der Schule, nachmittags die Vorlesungen und Kurse! Gegen Abend traf er sich öfter mit Freunden und Bekannten im Gesellschaftsverein, an den Sonntagen nahm er gern an den \Vanderungen des Vogelsberger Höhenklubs und des Alpenvereins teil. Er war ein großer Natur­freund, und die Kenntnis der Schönheiten unseres Vaterlandes hat er sich erwandert. In seinen Ferien fuhr er gern in die Alpen (ein Absturz am Pilatus schreckte ihn jedoch später von schwierigen Kletterpartien ab), nach Oberbayern, nach Kärnten und vor allem in die Rhön, deren herbe Schönheit er besonders liehle und pries. Auch ich habe unter seiner Führung einmal von dem Dörfchen Reußendorf am Dammersfeld aus acht Tage lang dieses damals noch wenig erschlossene Gebirge durchstreift. Bei seinen Besuchen in der Bibliothek, in der er in spüteren .Jahren einen fr·stPn Arbeits­platz im Lesesaal hatte, galt unsere Cnterhaltung eigentlich fa'it nur unserer \VissenschafL wobei ich ihm leider kaum in die schwierigen Fragen sei1ws besonderen Forsclnmgsgehieh•s folgen. sondern nur mit meinen bibliographischen KPnntnissen behilflich sein konnte. Hier ließen wir einmal die Altphilologie ganz hinter uns, und wir genossen die herrliche BNgwelt und suchten Ein­hlicke in das kärgliche Lehen und in die Gedankenwelt der katho­

lischen Bevölkerung zu gewinnen.

Körperliche und seelische Erholung brachten Gundel in den späteren Jahren seine, allerdings in der Hauptsache wissenschaft­

lichen Zwecken dienenden, großen Reisen in den Sliden ( 1924, 27,

8 Gießener Hochschulnachrichten 113

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28 und 29 nach Italien, 1930 nach Griechenland und den Klöstern des Berges Athos); 1930 fuhr er noch einmal zu Handschriften­studien nach Paris. 1932 nahm er mit dem ihm befreundeten Prof. Dr. Krämer an einer großen Mittelmeerfahrt teilt.

Erst durch seinen Sohn habe ich jetzt erfahren, daß Gundel eine ganze Sammlung von Gedichten hinterlassen hat, Gelegen­heitsgedichte, auch Balladen, vor allem aber Gedankenlyrik, in der er in einer oft an Nietzsche, dessen \Verke ihn in seiner .Jugend stark beeindruckt hatten, oder auch an Richard \Vagner erinnern­d<'n Sprache und Gedankenfiihrung „eine Form gefunden hatte, in der sein oft furchtbar zerwühltes Inneres Ausdruck und Ent­spannung suchte''.

>:ach dem Krieg begann für ihn Pine harte Zeit, bedingt durch diP Doppelbelastung durch df'n Schulunterricht. der ihm die Mittel fiir seinen und seiner Familie Lebensunterhalt liefern muflte, in dem er doch auch imnwr vvic•der hohe Befriedigung fand, und durch die akademische Lehrtütigkeit 2

) und sPine sich immer wdter ausbreitende Forschungsarbeit, die ihn hald .,vor Aufgaben stellen sollte, die nur er lösen konnte". Aus seirwn Kursen im Pädagogi­schen St•minar erwuchs ein Vortrag für die ,,Freunde des humani­stischen G.vmnasiums" in Gießen ,,Vorschläge zur Reform des Gymnasiums" ( 1920), in dem er sich für die Aufrechterhaltung der Eigenart des Gymnasiums und gegen eine ,,nur oberflächlicher Vielwisserei" dienende Erweiterung der Lehrstoffe der Neben· fächer einsetzte. I\aum von einer schweren Rippenfell-Operation genesen, wurde er 1921 mit der Vertretung des schwer erkrankten Professors Kalhfl<>isch betraut ( 1921-23), wofür er im \V. S. 1921 22 vom Schuldienst beurlaubt wurde. Auch für das .Jahr 1924 125 nahm er Crlaub, um in italienischen Bibliotheken Vorar­beiten für eine neue Ausgabe des Paulos Alexandrinos zu machen und um einer Einladung \Varburgs und seiner Mitarbeiter zu einem Studienaufenhalt in ihrer Bibilothek in Hamburg zu folgen. 1929 erhielt er zur Fortführung seiner Studien ein Stipendium von der \'"otgenwinschaft der deutschen \Vissenschaft, mit dem er einen Vertref Pr am Gymnasium hezahlPn konnte, Völlige Befreiung vom

"l 1 '120 wurde er zum außerord. Professor ernannt.

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Schulunterricht wurde ihm, nachdem er noch die ihm b<:'sonders nahe stehende Oberprima 1928/29 zum Abitur geführt hatte, ge­nehmigt, als er 1929 die akademischen Ergänzungskurse für Latein übernahm: Tausende von Abiturienten lateinloser und lateinarmcr Schulen hat er in drei bis vier Stufen für das große und kleine Latinum vorbereitet und geprüft. Diese Kurse hat er mit nur ein paar kurzen Cnterbrechungen bis 1943.144 gehalten. 19;~3 mußte Pr auf Veranlassung dPs Staats für Pin Jahr noch einmal zur Schule zurückkehren. Er war glücklich, als es 193! ihm miiglich wurde, ein Gesuch um Versetzung in den Ruhestand einzureichen. Sie wurde ihm am 31. Mai 19;34 unter Ernennung zum Oherstmlienrat „unter hesonderer \Vürdigung des im nationalen Interesse hekun­deten Opforsinns" gewährt. Die Vorlesungen nahmen ihn in diesr·n Jahren nicht allzusehr in Anspruch; da die Zahl der Sludierenden der klassischen Philologie rapid gesunkpn war. kam manches yon ihm angPkiindigte Kolleg infolge mangelnder Beteiligung nicht zu­stande. Die Lateinkurse waren zeitraulwnd. aber für ihn auch keine allzu schwere Belastung. So hatte er :\fuße fiir seine wis-.en­scha ftliche Forschung und die Bearbeitung einer noch zu bespre­chenden großen Entdeckung. der er sich mit fidwrhaftem Eifer hingab. Die Fakultät erkannte, daß das große \Verk Gundcls end­lich eine besondere Anerkennung verdiene, und schlug HH:{ seine Ernennung zum Honorarprofessor Yor. sie wurde aus formalen Gründen abgelehnt. Als Professor Thierfelder 194~ zum Heeres­dienst einberufen wurde, beauftragte der Rektor Gundel mit dessen Vertretung. Trotzdem er bereits schwer leidend war, stellte er sich dafür zur Verfügung und führte bis ins Bombensemester 19U/4!l mit den wenigen Studenten und Studentinnen die Vorlesungen und

Übungen durch. Allerdings zwang ihn im Nowmher 1943 eine

schwere Magen- und Darmschleimhaut-Entzündung. in der in­neren Klinik bei Prof. Voit Heilung zu suchen; anfangs Januar entlassen, mußte er im März 1944 wieder in die Klinik, wo man

ein flächenhaftes Magengeschwür feststellte. Eine Kur in den nächsten Monaten in Baden-Baden kriiftigte ihn noch einmal, aher

im Oktoher'"'.'fovember trat ein neuer Riiekfall Pin. Trotzdem nah111

er auch jetzt wieder die Vorlesungstütigkeit auf. hi'i ihn im April

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1945 eme schwere Furunkulose niederwarf, gegen die sein ge­schwächter Körper keine Abwehrkräfte mehr besaß. Ein erneuter Durchbruch des Magengeschwürs erfolgte Ende April, eine Opera­tion war nicht mehr möglich, so verschied er am 5. Mai 1945 im Katholischen Schwesternhaus. Todesahnungen hatten ihn schon längere Zeit gepackt, aber mit aller ihm noch gebliebenen Kraft raffte er sich immer wieder zusammen: er wollte die Hoffnung nicht aufgeben, die vielen begonnenen und zum Teil halbfertigen großen Arbeiten doch noch zu vollenden. Charakteristisch für den tapferen Mut, der ihn in jenen qualvollen Klinikstagen, in denen die Bomben unsere Stadt zerstörten, nicht verlassen hat, sind die Verse, die man zum 1. Januar 1945 in seinem Kalender notiert fand:

„Kein Pfad mehr! Abgrund und Totenstille -­So wolltest du's! Vom Pfade wich dein \Ville! Nun, \Vandrer, gilt's! Nun bleibe kalt und klar! Verloren bist du, glaubst du - an Gefahr."

„Er stand innerlich auf dem einsamen Gipfel, auf den ihn seine stille Forscherarbeit geführt hatte, er wußte das und freute sich in seiner Einsamkeit der Sonne, von der er wußte, daß sie ihm nicht mehr lange scheinen würde", schreibt dazu sein Sohn.

Es ist im Hahmen dieses Nachrufs nicht möglich, dem wissen­schaftlichen Lebenswerk Gundels so gerecht zu werden, wie dies dem besten Sachkenner auf seinem Spezialgebiet Albert He h m

in der eingangs zitierten Gedächtnisschrift gelungen ist. Ieh kann nur ein knappes Bild entwerfen von df'r Hiesenarheit, die mein Freund seit dem ersten \Veltkrieg geleistet hat.

In dem Gymnasialprogramm von 1912 hatte er nur den ersten Teil der geplanten Abhandlung über \Vesen und \Verden der Sterne bringen können; als Dozent las er über „Sternglaube und Sterndeutung", für Dähnhardts Sammlung „Natursagen" hatte er die Abteilung „Sternsagen" ülwrnonnnen, für die Real-Encyclo­püdie die vielen Artikel über Sternbilder. Ein gev;altiges Material aus Heligionsgeschichte, Ethnographie und Volkskunde hatte er

dafiir gesamrndt. Das faßte er nun zusammen, übersichtlich ge­ordnet, in einem großen Buch „Sterne und Sternbilder im Glauben

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des riltertums und der Neu:eit'' (Bonn: Schriider 1\!22, 2!'>~) S.). Franz B o 11, der Verfasser der „Sphära" und des Büchleins „Sternglaube und Sterndeutung", dem Gundel die Korrekturbogen zur Durchsicht gesandt hatte, nahm die \\'idmung an.

Durch diese Veröffentlichung wurde der besonders an dem l"achleben der Antike in der Renaissancezeit interessierte A h y

\V a r b ur g auf den Verfasser aufmerksam. Er forderte, als Holl am 3. 7. 1924 gestorben war, Gundel auf, die nötig gewordene 3. Auflage des oben genannten Büchleins von Holl in erweiterter und durch Abbildungen bereicherter Form vorzubereiten. Er lud ihn dafür nach Hamburg ein, und, vom Schuldienst beurlaubt, konnte Gundel 1924.25 die reichen Schätze der Kulturwissenschaft­lichen Bibliothek \Varburg für diese Aufgabe durcharheitPn; \Var­burg und seinen Mitarbeitern verdankte er wertvollste AnregungPn und Förderung, auch für andere von ihm gPplante Ahhandlungen und Aufsätze. Schon 1926 konnte das Buch „Sternr1la11be und Sterndeutung. Die Geschichte und das U'esen der ristro/ogie. Unter Mitwirkung von Ca r l Bez o 1 d dargestellt von Franz B o 11. 3. Aufl., nach der Verf. Tod hrsg. v. \V. Gundd" (Leipzig und Berlin 1926. 211 S. mit 20 Taf. und 48 Ahb. im Text und einer Sternkarte) in großem Format und vorzüglich ausgestattet erschei­nen. Pietätvoll ist der Text von Holl und Bezold nahnu unver­ändert gelassen (S. 1-8·1). es folgen dann :'.\'achtrüge aus Boll's Handexemplar mit vielen eigenen Ergiinzungen und den nötigen Literaturangaben von Gundel, sowie ausgedehnte „Zusätze" über Laienastrologie, die lateinische Astrologie des ~fittelalters. \Velt­perioden und Planetenlauf u. a. m. In zahlreichen Besprechungen wurde diese große Arheit Gundels dankbar anerkannt, und schon 1931 war eine 4. Auflage nötig. die wiederum in T<>xt und Tafeln vermehrt und ergänzt wurde (2~0 S„ 2.5 Tafeln!.

In die Zeit von 1925 bis etwa 19~0 füllt die Vorbereitung des nächsten bedeutenden \Verks, einer l\lonographif' iiher die De­kane. 3 ) Durch Arbeiten von \Yarlmrg, Holl ll. a., vor allem durch den Catalogus codicum astrologorum war lWlH'S Material über

3) Zu jedem Tierkreisbild gehören drei Dekane, deren jeder einen Raum von 10 Grad, also einen der 36 Abschnitte der Ekliptik einnimmt.

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diesen Gegenstand bekannt geworden und eine Neubearbeitung sehr erwünscht, da die Darstellung von Bauche - L e c l er c q völlig überholt war. Die einschlägigen Handschriften in den Bibliotheken von Athen, Mailand, Rom, Neapel, Hamburg, Mün­chen und \\'ien und die Fresken in Padua und Ferrara konnte Gundel auf mehreren durch Forschungsstipendien der Notgemein­schaft und der Bibliothek \Varburg ermöglichten Reisen in aller Muße studieren. Wenn man ihn damals einmal in seinem Studier­zimmer besuchte, lag sein Schreibtisch voll von Photographien von Bilderhandschriften und jener italienischen \Vandgemälde. Es ist eine fremdartige, okkulte \Veit, in die einzudringen nur wenige sich wagen können, die aber in der antiken, mittelalterlichen und Henaissance-Astrologie eine gewaltige Holle spielt. Gundel hat diese Hiesenarbeit in Fortführung von Untersuchungen Bolls und \Var­hurgs geleistet und für Generalionen das Standard-\Verk ~eschaf · fen. 1931 war es in der Hauptsache durckfertig; als aber endlich die dafür vorgesehenen Beiträge der Agyptologen Schott und l' o g o eingelaufen waren, stellten sich infolge der politischen Ver­

hältnisse der Drucklegung größte Schwierigkeiten durch die Be­denken des Teubner'schen Verlags entgegen. Das Werk sollte ver­tragsgemäß den 19. Band der „Studien der Bibliothek Warburg"

liilden, die inzwischen nach London übergesiedelt war. Erst 1936 konnte das Erscheinen im Verlag von J. J. Augustin, Glückstadt und Hamburg, erreicht werden: ,,Dekane und Dekansternbildel'. Ein Beitrag Zllr Geschichte der Sternbilder der Kulturvölker. Mit

Untersuchungen über die ägyptischen Sternbilder und Gottheiten der Dekane von S. Schott." (X, 451 S., 33 Tafeln). Nur ein wich­tiges Ergebnis daraus von allgemeinerer Bedeutung sei hier er­wühnl: Gundd ist zur Überzeugung gekommen, daß die Rolle der Babylonier in der Geschichte der Astrologie überschätzt werde, daß jedenfalls die Tierkn·isbilder in Ägypten geschaffen und von da zu dl·n (;rit•clwn gekommen S!'icn.

Fiir diP Sammlung „\\'issenschaft und Bildung" des Verlags Qm·lle u. Meyer schrieb Gundel H)3i3 eine leichtverständliche, k n a p pP Z usa m nw n fass u n g sc i 1w r hi s h e ri gen Studien: „ St e rnglrw b c,

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Sternreligion und Sternorakel" ( 159 S.) (Die moderne Astrologie erfährt darin eine scharfe Ablehnung als Afterwissenschaft.)

Schon 1924 hatte Gundel die Fortsetzung des 1905 stecken ge­hliebenen Berichts über antike Astronomie für den „Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft" auf Veranlassung von Prof. M ü n scher übernommen. Natürlich hatte er stets die Literatur über sein Arbeitsgebiet verfolgt, nun galt es alles, was seit 1905 an Büchern und Aufsätzen im In- und Ausland erschienen war, zu sammeln und kritisch zu sichten. Die Verarbeitung des ungeheuren Stoffs ist in der Hauptsache ein vVerk des Jahres 1933: Als 24::3. Bd. von Bursians Jahresberichten erschien 1934 „Astronomie, A,~tralreligion, Astralmythologie und Astrologie. Darstellung und Literaturbericht 1907-1933'' (Leipzig: Reisland 162 S.).

Ein ganz einzigartiger Fund gab Gundels Arbeitseifer in den nächsten Jahren einen neuen Impuls: In einer Handschrift des Britischen Museums entdeckte er einen 1431 geschriebenen, bisher unbekannten Text des „Hermes Trismegistos", der ganz neue Ein­blicke in die gräco-ägyptische Astrologie der Ptolemäerzeit gestat­tete. Nach Photographien, die ihm die Museumsverwaltung in ent­gegenkommendster Weise herstellen ließ, bereitete er die Ausgabe dieses leider nicht vollständig erhaltenen Buches vor; es gelang ihm dazu sogar auch noch eine pikardische Übersetzung eines wichtigen Teils zu finden. Einen umfangreichen Kommentar konnte er seiner Ausgabe aus der Fülle seines Wissens hinzu­fügen, und so sandte er das vVerk Albert Hehm, der sofort die große Bedeutung des Fundes erkannte und die Bayerische Akade­mie der Wissenschaften veranlaßte, ihn als N. F. XII der philos.­histor. Abteilung ihrer Abhandlungen zu veröffentlichen: „Neue astroloyische Texte des Hermes Trismegistos. Funde und if'or­sclrnngen auf dem Gebiete der ontiken Astronomie und Astrologie 1Miinchen 19;)G. ::ns S. in 4 °.). Natürlich stürzten sich alle Fach­leute sofort auf den neuen Text. Fr an z Cum o n t konnte ihn noch weitgehend in seinem vVerk „L'Egypte des astrologues" als Quelle heranziehen ( rn;37)' und inzwischen hat ihm der franzö-

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sische Gelehrte Fest u giere ein besonderes Buch gewidmet: „La Hevelation d'liermes Trismegiste. L" (1944).

Für Hoscher's „Lexikon der griechischen und römischen My­thologie" hatte B o 11 den Artikel „Sternbilder" übernommen, aber nicht vollenden können. Auf Veranlassung Heitzensteins und \Var­hurgs wurde das Manuskript Gundel übergehen, und mit Bolls und seinem eigenen Hiesenmaterial arbeitete er den Artikel aus, der mit über 200 enggedruckten Spalten und Bildern eine ganze Monographie, zum allergrößten Teil ein Werk Gundels, geworden ist: „Sternbilder, Sternglaube und Sternsymbolik bei Griechen und Römern" (Hoscher's Lexikon VI 1937 Sp. 861--1071).

ln seinen letzten Lebensjahren beschäftigten Gundel neben den Artikeln für die „Heal-Encyclopädie" (die großen Beiträge Parana­tellonta" (62 Sp.), „Parthenos" (22 Sp.) und „Paulos Alexandri­nos" (11 Sp.) sind bisher nur im Sonderdruck in der oben genann­te,n Gedächtnisschrift zugänglich, während „Pisces" (9 Sp.) erst in Bd. XX erscheinen wird) und für das „Heallexikon für Antike und Christentum" (Alchemie, Astralreligion, Astrologie, Astrono­mie, 1942 u. 1943) vor allem die Vorarbeiten für ein ,,Handbuch der antiken Astrologie", das im Hahmen des von \Valter Otto her­ausgegebenen „Handbuchs der Altertumswissenschaft" als selb­ständiger Band vorgesehen ist. Nach Gundels gelegentlichen Äuße­rungen sollte das „sein eigentliches Lebenswerk" werden. Seit 1 ~)28 hat er an diesem für die Forschung dringend notwendigen \Verk gearbeitet, von deutschen Gelehrten war er der einzige, der es schreiben konnte. Große Teile, besonders der wichtige Ab­schnitt über die Geschichte der Astrologie liegen druckfertig vor, zu früh hat aber der Tod ihm die Feder aus der Hand genommen. \\Tir können nur hoffen, daß sein Sohn als Verwalter des wissen­schaftlichen Nachlasses mit Hilfe der umfassenden Vorarbeiten und der zum Glück erhalten gebliebenen reichen Handbibliothek 'ieines Vaters sich in die schwierige Materie einarbeitet und das \Verk zu Ende führt, wie ihm schon jetzt die Vollendung einer ebenfalls nicht abgeschlossenen Arbeit, des Artikels „Planeten" für die Heal-Enc~·clopädie, gelungen ist.

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Seit 1924 plante Gundel eine Neuausgabe der für die antike Astrologie sehr wichtigen Eisagoge des Paul o s Alex an d r i -n o s ; Cumont hatte ihm dafür die von B o u d r e au x hinter­lassenen Handschriften-Abschriften und Collationen zur Verfügung gestellt; wie weit Gundel selbst mit den Vorarbeiten gekommen ist, geht aus dem oben erwähnten Artikel „Paulos Alexandrinos" her­vor. Es ist so viel, daß man hoffen darf, daß diese kritische Aus­gabe auch noch zustande kommt.

Von dem Riesenfleiß und -wissen Gundels zeugen auch die vielen Buchbesprechungen, die er für führende Rezensionszeit­schriften wie den Gnomon, die Deutsche Literaturzeitung, die Göt­tinger gelehrten Anzeigen schrieb, und die Menge der kleineren und größeren Aufsätze, von denen ich nur ein paar erwähnen kann: Textkritische und exegetische Bemerkungen zu Manili11s (Philologus LXXI 1926), Die Herkunft unserer Gestirnnamen (\Veit und Mensch VII. VIII 1926), Individualschicksal, Menschen­typen und Berufe in der antiken Astrologie (Jahrbuch der Charak­terologie IV 1927), Religionsgeschichtliche Lesefrüchte aus lateini­.~clien Astrologenhandschriften (Melanges Franz Cumont Hl36), Zur Herkunft unserer lVochentar1snamen (Volkskundliche Ernte. Festschrift H. Hepding 1938). Seit 1925 war Gundel regelmäßiger l\1itarbeiter der Zeitschrift „Die Sterne". Für die 15. Aufl. des Brockhaus'schen Konversationslexikons lieferte er den Beitrag „Astrologie" ( 1928), für die Neuauflage von ,,Religion in Geschichte und Gegenwart" V (1931): Grieclzisch-r6misrhes Weltbild.

Bei dem hohen Ansehen. dessen sich Gundel als Forscher er­freute, ist es natürlich, daß er oft zu Vorträgen über sein Arbeits­gebiet aufgefordert wurde. In vielen deutschen Städten hat er in den Jahren 1920-35 gesprochen und dabei auch aufklärend gegen die moderne Astrologie gewirkt. Eine Eingabe an die Reichsregierung, gegen diesen Unfug mit gesetzlichen Maßnahmen vorzugehen

(1933), ist von ihm mitunterzeichnet. Als nach der Flucht Rudolf Heß' eine Razzia gegen die Astrologen einsetzte, hat in Gießen die Gestapo ausgerechnet Gundel verhaftet und nach Darmstadt

gebracht, wo allerdings der Irrtum rasch klargestellt wurde.

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\Venn man eine Liste der von ihm an der Universtät gehalte­nen oder angezeigten Vorlesungen und Übungen durchsieht, be­merkt man, daß er über sein eigentliches Forschungsgebiet hinaus in weiten Gebieten der griechischen und römischen Philologie zu Hause und durch Verfolgung der wissenschaftlichen Literatur und Mitarbeit in der Lage war, sie in anregendem Vortrag den Stu­denten nahezubringen.

Am 11. Mai haben wir im Erdgeschoß der durch Bomben­angriffe stark beschädigten Kapelle des neuen Friedhofs von Wilhelm Gundel Abschied genommen. Nur ein kleiner Kreis nahm an der stillen Totenfeier teil, der Sohn war noch in Gefangen­schaft. Am Sarg sprach für die Universität der Rektor Prof. Dr. n auch , fiir die Fakultät der Dekan Prof. Dr. \V. F i s c her , der seiner Leistungen in der \Vissenschaft und seiner Universitäts­Tätigkeit ehrend gedachte, und als Vorsitzender des Alpenvereins Gießen fand Prof. Dr. Ru d o 1 p h ergreifende \Vorte, in denen er uns den Menschen, den Naturfreund Gundel noch einmal vor Augen stellte. Für die Burschenschaft Alemania legte Studienrat Kar 1 S c h m i d t Blumen als letzten Abschiedsgruß am Sarge nieder.

Aus einem Brief A 1 b er t Reh ms an die Witwe teilt mir Hans Gundel die folgenden \Vorte mit, mit denen diese Lebensskizze ab­geschlossen sei:

„Es drängt mich zu sagen, daß mir über diesem zu früh abge­schlossenen Leben eine gewisse Tragik zu liegen scheint: die groß e Lebensleistung Wilhelm Gundels hat im Ganzen doch nicht die Anerkennung gefunden, die sie verdiente, - eben des­halb, weil so wenige von diesen Dingen etwas verstehen. Es war heroischer Dienst an der Wissenschaft, geleistet mit reinem Herzen um der Sache willen ... Dieses edle Menschentum habe ich stets aufs höchste geschätzt und dazu einen Fleiß, den keine Mühe bleichte'."

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Vorträge der Gießener Hochschulgesellschaft.

Die Gießener Hochschulgesellschaft veranstaltete im Jahre 1949 folgende Vorträge:

Oberregierungsrat Dr. Robert Jäger (z. Zt. in Ockstadt bei Bad Nauheim) sprach am 22. Januar über das Thema: „Der Mensch in der Strahlungsumwelt."

Der Nobelpreisträger Prof. Dr. 0 t t o Hahn (Göttingen) sprach am 22. Februar über: „Nutzbarmachung der Energie der Atomkerne."

Dr. M e l c her s (Kassel) sprach am 25. Februar über: „(]1ine­sische Tempelbauten."

Dr. Sc h e n c k zu Schweins b er g (früher in Gotha, jetzt \Viesbaden) sprach am 20. Mai über „Die Kunst der Brüder van Eyck."

Dr. Eduard Be r end (früher Berlin, jetzt Genf) sprach am 21. Juli über „Jean Paul in seiner und in unserer Zeit."

Bei der Jahreshauptversammlung am ~). Juli sprachen Prof. Dr. H. Bö n in g (Gießen) über „Grundlagen und Grenzen wissen­schaftlicher Seelenkunde", und Prof. Dr. Ernst Küster (Gießen) über „Goethe als Botaniker."

Dr. Hermann Buddensieg (Heidelberg) sprach am 18. November über „Goethes Dichter-Sein" und veranstaltete am 19. November eine Vorlesung einiger Abschnitte seines \Verkes: ,.Die Götter Griechenland" (mit nachfolgender Diskussion).

Dr. Rene Pr e v o t (München) sprach am 1 fi. Dezember über den „Humanismus im heutigen Frankreich".

Der Festvortrag <les Herrn Prof. Dr. Bö n i n g ist im vorlie­genden Bande abgedruckt; ebenso der Goethe-Vortrag von Herrn Dr. B u d den sie g. Über einige weitere Vortriige berichten wir

auf den nachfolgenden Seiten.

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Dr. Hoher t Jäger :

„Der Mensch in der Strahlungs-Umwelt."

Ausgehend von der Frnge, ob die Umweltsfaktoren oder die im Erbgut eingeschlossenen Potenzen den wesentlichen Anteil an der Bildung des Menschentyps haben, wird der biologische Einfluß der Strahlungsfaktoren betrachtet.

Vnter den Strahlungseinflüssen, die das Bild der radiologischen Gmwelt der Menschen in unserem Zeitalter grundlegend ändern, sind aus biophysikalischen Gründen besonders die Strahlen hoher Quantenenergie wichtig. Sie wirken durch Ionisierung und Anre­gung der Atome und in weiterem Maße durch chemische Reaktio-1wn und noch nicht genauer bekannte Mechanismen der biologi­schen \Virkung. Von diesem Standpunkt aus wird das Licht nur kurz gestreift, dafür aber der grundlegende Vorgang der Quanten­biologie (.Jordan) und der Treffertheorie, die auf Dessauer zurück­geht, erläutert.

Durch die neu entdeckten Strahlenarten (Neutronen, Protonen) und Strahlen höchster Energie des Betatrons und Cyclotrons ist es möglich, den \Vert der Ionisationsdichte im Verhältnis 1:10000 zu variieren. An Hand von Bildern werden die verschiedenen ma­kroskopisch manifestierten Strahlenschäden gezeigt, unter denen die Erhöhung der spontanen Mutationsrate für die nach allen bis­her vorliegenden Untersuchungen kein Schwellenwert vorhanden ist. die grüßte Aufnwrksamkeit heanspruchen muß. Aus entwick­lungsgeschichtlichen Gründen ist der Schluß zu ziehen, daß die :\lutationen zum überwiegenden Teil einen vital negativen Einfluß lrnhen. Die zum Teil naturphilosophischen Folgerungen aus der Erkenntnis, daß die Träger der erblichen Potenzen, die Gene, ein­ZC'lne Moleküle sind und aus diesem Grunde den statistischen Ge­setzen der Quantenphysik gehorchen müssen, werden kurz gestreift.

Da der Kreis der Personen, die durch diagnostische und thera­peutische Behandlung mit Strahlen hoher Quantenenergie zusam­men kommen, immer größer wird und sich z. B. in Schweden in­nerhalb Yon 15 .Jahren ungefähr verzehnfacht hat, ist die Kenntnis

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der Größe der Strahlengefährdung em wichtiges Problem. ~ach den Forschungen von Timofeeff-Ressovski und Stubbe ist durch direkte Bestrahlung der Keimdrüsen mit ;30 Hönlgt•n (r) mit einer Verdoppelung der spontanen Mutationsrate zu rechnen. Diese Dosis wird bei l-10-v r/s in rund 30 Jahren erreicht.

Diese willkürlich als zulässig angesetzte untere Grenze bedeutet etwa das lOOfache der natürlichen auf den Menschen einwirkenden kosmischen Höhenstrahlungsdosis. Die genannte Grenze wird in der Praxis nicht gefordert, sondern man verlangt die Einhaltung von ungefähr 0,025 Röntgen/Tag (r/d), was ungefähr dem zehn­fachen \Vert entspricht.

Eine Betrachtung der Einflüsse der radioaktiven \Veit, deren biophysikalische Erforschung hauptsächlich Rajewsky und seinen Mitarbeitern zu verdanken ist, führt zu dem Ergebnis, daß bei der Inkorporation radioaktiver Spuren durch Atemluft, Nahnmg und dergleichen eine toxische Größe schon bei weniger als 1 Millionstel Gramm Radiumäquivalenz erreicht wird. Hierbei liegt die von Rajewsky gefundene Toleranzgrenze deutlich bei dem rund 100-fachen \Vert der natürlich im Organismus vorhandenen Spuren.

Während also bei der Lichtstrahlung dem '.\frnsclwn rf'cht wc:ite Grenzen gesetzt sind. ist die Spanne zwischen n:1tiirlicher Strahlungsdosis und schädlicher Dosis hei dC'n Strahlungen holwr Quantenenergie sehr gering. S()(bß e-; naheliegend ist, ein "trnh­lungsgleichgewicht für den '.\IC'nschen aiunnehnwn. aus dem er sich ohne deutlich manifrstierte Sch!idC>n nicht hinau'i bewegen darf. Cntn diesem Gesichtspunkt wird es nffrnhar. wdche Gt~­fahren durch dk Freimachung der AtomenergiP auftauchen. Ganl ahgPschen Ynn den Folgen einer Atonwxplnsion. hildet auch hci der wirtschaftlichen Ausnutzung der AtomenNgie der Strahl<'mchutz ein Problem. das diP intensive Zusamrnernrlwit nm Physikern, BiologPn, Medizinern. Technikern und Sozi:tlhvgienikern erfordert.

Diese Frage, ebenso wie das !!esamte Gebiet der nioplwsik bildet ein verlockendes Tiitigkeitsfrld fiir Pine Gt'meinsch:1ftsarlwit der verschieclensten Zweige der Nnturwis<>enschaften.

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Prof. Dr. 0. Hahn :

Der Vortragende machte zu Beginn seiner Ausführungen die Zuhörerschaft mit den wichtigsten Begriffen und Erscheinungen der Kernphysik vertraut. Die Atomkerne der 92 chemischen Ele­mente bauen sich aus den beiden Grundbausteinen, dem elektrisch positiv geladenen Proton und dem ungeladenen Neutron auf. Sie unterscheiden sich nur durch die Zahl der Protonen und Neu­tronen. :\Ian ordnet die Elemente nach der in ihrem Kern \orhan­deneu Protonenzahl, die gleich der Zahl der Elektronen in der Alomhiille und damit für die chemischen Eigenschaften bestim­mend ist. Andert sich die Protonenzahl im I\.ern, so entsteht der Kern eines anderen Elementes. Andert sich nur die Xeutronenzahl, so crhüH man einen isotopen Kern. Die Entdeckung der natür­lichen Hadioaktivitüt zeigte, daß solche Elementumwandlungen in der .'.\atur seit Jahrmillionen vor sich gehen. Hutherford wandelte zum ersten :\Ia!e (HJHJ) Kerne künstlich um, indem er Stickstoff mit sehr schnellen lieliumkernen eines radioaktiven Präparates beschoß und Sauerstoffkerne erhielt. Mit der Entdeckung des .'.\eutrons durch Chadwick ( HJ32) gewann man ein Geschoß, wel­clws vom elektrischen Feld des Kernes nicht beeinflußt wird und leichter in den Kern eindringt. Fast alle Elemente konnten nun in henachharte umgewandelt werden. Hahn und Straßmann mach­ll'n die große Entdeckung, daß das Uranisotop mit der Masse 235 heim Beschuß mit langsamen Neutronen in zwei nahezu gleich schwere Elemente zerfällt. Dabei wird die sehr große Bindungs­energie fn·i und, wie Joliot entdeckte, werden außerdem einige l\cutronen emittiert, die wiederum auf Urankerne treffen können. Dieser Kernprozeß ist also geeignet, eine sehr energiereiche Ketten­reaktion einzuleiten, die zu einer gewaltigen Explosion anwachsen oder hci geeigneter Steuerung als Energiequelle dienen kann.

Prof. Hahn wies am Ende seines Vortrags mit Nachdruck 1h1r:iuf hin, dal3 die auf diesem Gebiete tätigen \Vissenschaftler ihre Aufgabe in der \Veiterentwicklung der friedlichen Ausnutzung der l\<'rnprozcsse sdwn. Prof. Hanlc dankte dem Gasle im Namen der (lil'Lll'll<'r 1 Iochsclmlgesellschaft und der Gießener Studenten,

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denen Prof. Hahn den Ertrag seines Vortrages in großherziger Weise zur Verfügung gestellt hat. Der Dekan würdigte die Arheit des Forschers und erinnerte die Zuhörer daran, daß nicht allein Intuition, sondern jahrelange, mühevolle, geduldige und saubere Arbeit eine Entdeckung langsam hervorbringen. Ohne weitrei­chende materielle Hilfsmittel ist eine solche aher nicht möglich. Die Mittel, die den Forschungsstätten, insbesondere auch uns(•n•r Gießener Hochschule, zur Verfügung stehen, sind sehr gering. Prof. Hanle richtete einen dringenden Appell an die Zuhürer, vor allem an die Besucher aus den Kreisen der \Virtschaft und Indu­

strie, die Hochschulgesellschaft in ihrem Bemühen um die mate­riellen Grundlagen der Hochschule zu unterstützen.

gez. Dr. .\lhert Sc h m i 1 1 e n .

Dr. Eduard Be r end (Genf):

„.J e a n Pa u 1 in s c i n er u 11 d i 11 u n s er e r Z e i t" .

.Jean Paul wurde früher nicht selten als drittgrüßtPr deutscher Dichter neben Goethe und Schiller gestellt. \Venn er diesen beiden auch gewiß nicht ebenbürtig und überhaupt nicht (•igentlich ein klassischer Dichter war, so bildete er doch durch seine realisti­schen Schilderungen des deutschen Lehens seiner Zeit, besonders des deutschen Kleinbürgertums, durch seine Gemütstiefe und be­sonders durch seinen unvergleichlichen Humor eine notwendige und historisch wichtige Ergänzung zu dem weimarischen Klassi­zismus. Der Vortragende erörterte .Jean Pauls Verhältnis zu den wechselnden geistigen Strömungen des 18. und Hl . .Jahrhunderts, zum Rationalismus, zum Sturm und Drang, zur Homantik, zum Jungen und .Jüngsten Deutschland usw. Überall zeigen sich deut­liche Berührungspunkte, aber auch starke Unf!•rschiede, so daß sich der Dichter schließlich nirgends einordnen Hißt, sondern ein Einzelgänger, ein Outsider, ein homo sui generis bleibt. So passen auch seine \Verke in keine der herkömmlichen iisthetischen Gat­tungen, sondern hilden eine nur fiir ihn pa<;sende eigne Spezies. Sein Ruhm hat schon zu seinen Lebzeiten und mehr noch nach

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seinem Tode eine auf- und absteigende Kurve beschrieben, aber er hat immer eine treue, geistig hochstehende, wenn auch nicht allzu zahlreiche Gemeinde gehabt; und heute mehr als je ver­dienen seine Schriften als eine unerschöpfliche Quelle von Tiefsinn, Gefühlsinnigkeit, Poesie, \Vitz und Humor, als reinste Offenbarun­gen des „anderen Deutschlands" studiert und beherzigt zu werden.

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Bericht über die Hauptversammlung der Gießener Hochschulgesellschaft

am 9. Juli 1949 im Sitzungssaal der Industrie- und Handelskammer Gießen

Tagesordnung: 1. Geschäftsbericht des Vorstandes für das Jahr t 948

2. Kassenbericht

3. Entlastung des Vorstandes

4. Wahl eines Vorstandsmitgliedes

5. Verschiedenes.

Anstelle des Vorsitzenden eröffnete der Schatzmeister, Herr Bank­direktor Bleyer, die Versammlung um 16.30 Uhr und begrüßte die Erschie­nenen, unter ihnen besonders den Vertreter des Rektors, Herrn Prorektor Professor Dr. Ullrich, und dankte für ihr Erscheinen. Er führte sodann fol­gendes aus:

„Den heutigen Bericht muß ich beginnen mit dem Ausdruck der Trauer über den Verlust einer Anzahl von Mitgliedern, die seit der letzten Haupt­versammlung von uns gegangen sind. Es sind dieses:

Frau Marie Adami, Gießen

Generaldirektor Dr. Bierwes, Berlin

Professor Dr. Otto Eger, Gießen.

Bankdirektor i. R. Ludwig Grießbauer, Gießen.

Der beiden Letztgenannten, langjährige Vorstandsmitglieder, die sich um die Gießener Hochschulgesellschaft besonders verdient gemacht haben, wird in der anschließenden Festsitzung noch besonders gedacht werden. Ich darf sie bitten, sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen zu er­heben (geschieht)."

Zu Punkt 1 der Tagesordnung erstattete Herr Bleyer folgenden Bericht:

„Das Geschäftsjahr 1948 hat für unsere Gesellschaft durch die Geld­umstellung eine schwere materielle Einbuße gebracht. \Vir haben von un­seren früheren ansehnlichen Vermögen den größten Teil verloren und mußten wieder einmal von vorne anfangen. Näheres hierüber werden Sie aus dem Kassenbericht entnehmen, der Ihnen nachher vorgelegt werden wird. Wenn wir davon absehen, können wir aber doch mit der Entwicklung unserer Gesellschaft einigermaßen zufrieden sein, vor allem deshalb, weil es

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uns durch intensive Werbung gelungen ist die Zahl unserer Mitglieder wieder ansehnlich zu erhöhen. Sie betrug Ende 1947 329 und Ende 1948 414, so daß ein Zuwachs von 85 zu verzeichnen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß wir auch eine größere Anzahl von Abmeldungen hatten, besonders im II. Semester, weil die Geldumstellung eine größere Zahl unserer alten Mit­glieder aus materiellen Gründen zum Austritt veranlaßte. Andererseits konnten wir im Laufe des Jahres einige unserer früheren Mitglieder wieder heranholen, die durch den Verlust unserer Unterlagen im letzten Kriegsjahr erst wieder neu festgestellt werden mußten. Ganz ist uns das noch nicht geglückt. Trotz unserer stark verringerten Vermögensmittel nach der Geld­umstellung waren wir in der Lage, ansehnliche Zuwendungen, auch in D­Mark, zu bewilligen. Die gesamten Beihilfen, die wir gewährt haben, setzen sich wie folgt zusammen:

Zoolog. Institut Hochschulbibliothek Physika!. Institut

RM 800.-625.-

„ 5000.-Vet. anatom. Institut „ 4000.-Botan. Institut RM 99.15 zus. RM 10.524,15,

für den Wiederaufbau des Studentenhauses für den Wiederaufbau der Chirurg. Klinik Botan. Institut Hochschulbibliothek 150.- zus. DM 24.340,-.

DM 4000.-

" 20000.-190.-

Die Aufbringung der RM-Beträge war bei unserer Kassenlage kein f'roblem. Die Beihilfen, die wir in D-Mark bewilligt haben, konnten aus den laufenden Mitgliedsbeiträgen natürlich nicht aufgebracht ·werden. Das war nur durch Sonderspenden möglich, die uns in Höhe von DM 22.800,- zu­flossen. Es sei an dieser Stelle diesen Spendern nochmals herzlich gedankt insbesondere der Firma Ernst Leitz, Wetzlar, die den weitaus größten Teil des Betrages zur Verfügung gestellt hat mit der Zweckbestimmung, ihn für den Wiederaufbau der Chirurgischen Klinik und des Studentenhauses zu verwenden, was geschehen ist. Unser Dank gilt aber auch unserem früheren, leider zu früh verstorbenen Vorsitzenden, Herrn Professor Eger, der uner­müdlich für unsere Gesellschaft gewirkt und damit für unsere Hochschule unschätzbare Dienste geleistet hat.

Nach der Geldumstellung haben wir zur Abhilfe materieller Notlagen kleinere Darlehen an einige Dozenten gewährt, die sich auf insgesamt DM 1262.60 belaufen haben, von denen im Geschäftsjahr DM 410.- wieder zurückgezahlt wurden. Der Bestand an diesen Darlehen belief sich also am Ende des Jahres noch auf DM 852.60, deren Rückzahlung zum Teil schon in diesem Jahre erfolgt ist oder noch erfolgen wird.

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Im Jahre 1948 haben wir wieder eine Reihe von Vorträgen veranstaltet. Im allgemeinen erheben wir mit einigen Ausnahmen für diese Veranstal­tungen jetzt keine Eintrittsgelder mehr, weil wir glauben, sie der Allge­meinheit zugänglich machen zu sollen und damit auch werbend für unsere Gesellschaft zu wirken.

Es fanden folgende Vorträge statt:

am 8. Mai von Herrn Professor Dr. A. M. Königer, Bon über das Thema: „Die Typik und Symbolik des Großen-Lindener Kirchenportals" mit Lichtbildern;

am 10. Juni von Herrn Dr. G. F. Hartlaub, Heidelberg über das Thema: „Das Rätsel von Dürers „Melancholie" und verwandter Kunstwerke der Renaissance (H. Baldung, Giorgione, Raffael, Michelangelo u. a.)" mit Lichtbildern;

am 8. Juli von Herrn Professor de Rudder, Frankfurt/M„ über das Thema: „Epidemische Kinderlähme".

Das Nachrichtenheft für 1949 ist in Arbeit nnd dürfte in der allernächsten Zeit zur Ausgabe gelangen. Es wird unseren Mitgliedern wieder kostenlos zugestellt werden. Die Arrangierung der Vorträge und die Redigierung des Nachrichtenheftes sind wieder durch Herrn Professor Dr. Küster erfolgt, dem wir für seine umfangreichen Bemühungen, denen er sich unterzogen hat, besonders zu danken haben.

Es ist z. Zt. schwierig, neue Mitglieder heranzuziehen und ebenso, Son­derzuwendungen zu erhalten, wie es in früheren Jahren in großem Umfang geschehen ist. Die Verknappung des Geldes, die untragbar hohen Steuern, geben dem Einzelnen kaum noch die Möglichkeit, etwas zu erübrigen und daher wird auch für uns die Lage in der kommenden Zeit nicht rosig sein. Sie hat sich im laufenden Jahre nicht unerheblich verbessert durch den guten Eingang der Mitgliedsbeiträge, aber es ist immer noch ein beschei­denes Kapital, das wir angesammelt haben, andererseits haben wir große Aufgaben zu erfüllen und wenn wir das tun wollen, müssen wir uns weiter bemühen, unsere Gesellschaft auf eine breitere Basis zu stellen. Ich möchte daher an dieser Stelle nochmals eindringlich bitten, für die Hochschulgesell­sc:baft zu werben und ihr neue Mitglieder zuzuführen. Sie erfüllen damit eine hohe Aufgabe, helfen unserer Hochschule und schaffen mit die Voraus­setzungen für ihren weiteren Ausbau, der, so wollen wu hoffen, eines 1ages unsere alte Universität wieder erstehen lassen wird."

Zu Punkt 2 der Tagesordnung erstattete der Schatzmeister den Kassen­beridit für 1948, der sich aus der Anlage ergibt.

Zu Punkt 3 der Tagesordnung: Die Versammlung erteilt dem Vorstand

Entlastung.

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Zu Punkt 4 der Tagesordnung: Nach dem Tod des Vorstandsmitgliedes Herrn Professor Dr. Eger hat der Vorstand gemäß §§ 7 und 8 der Satzung in seiner Sitzung vom 25. 5. 1949 Herrn Professor Dr. Boening zum Vor­sitzenden gewählt. Die Hauptversammlung bestätigt diese Wahl einstimmig, die für die Dauer von drei Jahren erfolgt, d. h. also bis zum 30. 9. 1952.

Zu Punkt 5 der Tagesordnung: Es wird angefragt, ob der Jahresbeitrag von DM 10.- unter gewissen Voraussetzungen nicht ermäßigt werden kann, da es manchem interessierten Mitglied unter den heutigen Verhältniss"'!n schwer fällt, diesen Beitrag aufzubringen. Solche Ermäßigunge11 sind bisher schon in einzelnen Fällen erfolgt, insbesondere für Jung-Akademiker, und es soll daran festgehalten werden.

Es wird erneut angeregt, an die Doktoranden beim Ausscheiden aus der Hochschule heranzutreten und sie anzuregen, aus Dank für ihre ge­nossene Ausbildung die Mitgliedschaft der Gießener Hochschulgesellschaft zu erwerben. Es wird im Benehmen mit dem Rektor das Erforderliche ver­anlaßt werden.

Herr Dekan Voqel, Bruchenbrücken, beantraqt, die Gießener Hochsdrnl­qcsellschaft möge sich dafür einsetzen, daß die alte Gießener Universität wieder herqestellt werde, deren Schließunq auf das Tiefste zu bedauern sei. :Herr Professor Ullrich gab hierzu einige Erklärungen ab, in denen er zum Ausdruck brachte, daß von seiten der Hochschule nichts unterlassen werde, um dieses Ziel zu erreidrnn. Es sei gelungen, einen Gesetzentwurf durch­zubringen, durch den die Medizinische Akademie nach Gießen komme, außerdem ist mit der Errrichtung einer forstwissenschaftlichen Fakultät zu redmen, so daß dann die Hochschule über drei Vollfakultäten verfügen werde neben der medizinischen Akademie. Es seien Bestrebungen vorhan­den, und nichts werde unversucht bleiben, Gießen zu einer ersten Hoch­schule für Biologie und Naturwissenschaft zu machen. Die Zahl der Studie­renden sei mit annähernd 1000 höher als früher.

Nach einer kurzen weiteren Debatte schloß die Sitzung gegen 17.30 Uhr, worauf man sich zu der Hochschulaula begab, in der sich eine große Anzahl von Gästen versammelt hatte, um an der

Festsitzung teilzunehmen. Herr Bankdirektor Bleyer hegrüßte die Erschienenen anstelle des Vorsitzenden, der soeben erst in der vorangegangenen Hauptversamm­lung gewählt worden war, und zwar in der Person des Herrn Prof. Dr. Boening, den er der Versammlung als den zukünftigen Leiter der Geschicke der Gießener HochschulgeseJschaft vorstellte. Diese werde auch in Zukunft nach den alten bewährten Grundsätzen geführt werden und hoffe, auch weiterhin eine Stütze für unsere Hochschule sein zu können.

Herr Professor Boening nahm sodann das Wort zu einem Vortrag über „Grundlagen und Grenzen der wissenschaftlichen Seelenkunde". Er ge-

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dachte hierbei auch mit warmen Worten des verstorbenen bisherigen Vor­sitzenden, Herrn Professor Dr. Eger und des ebenfalls verstorbenen lang­jährigen Vorstands- und Ehrenmitglieds Bankdirektor i. R. Ludwig Grieß­bauer. Der Wortlaut seiner Rede wird an anderer Stelle dieser Sdirift gebracht.

Anschließend sprach Herr Professor Dr. Küster über „Goethe als Bota­niker". Die Vorträge fanden lebhaften Beifall.

In einem Schlußwort appellierte Herr Bleyer an die Erschienenen, bat sie, ihr Interesse der Hochschulgesellschaft zu erhalten und für sie zu wer­ben, damit sie ihre Aufgaben in noch höherem Maße als bisher erfüllen könne. Bisher habe sie in den Jahren 1924 bis 1948 rund RM 264.000.- ge­stiftet und seit der Geldumstellung sd10n wieder rund DM 44.000.-, was allerdings nur möglich war auf Grund hochherziger Spenden, für die er auch an dieser Stelle dankte. Von den Zuwendungen seien erhebliche Beträge für den Wiederaufbau der Kliniken und des Studentenhauses bewilligt wor­den. Herr Bleyer beschloß seine Ausführungen mit den \Vorten: „Kommen Sie zu uns und reihen Sie sich in den Kreis der Freunde und Förderer unserer Gesellschaft ein und, soweit Sie es schon sind, bewahren Sie uns Ihre Anhänglichkeit und Treue! Damit dienen Sie einer großen Sache im Interesse unserer studentischen Jugend, unserer deutschen Wissensd1aft und unseres deutschen Vaterlandes!"

Die einzelnen Ausführungen waren umrahmt von musikalischen Dar­bietungen, in denen ein Studenten-Quartett Werke von Be0thoven und Mozart zum Vortrag brachte.

Ein großer Teil der Anwesenden begab sich dann zum Botanischen Garten, wo unter Führung von Herrn Professor Küster eine Besichtigung, vor allem des neu erstellten Gewächshauses, stattfand, und bei der der Genannte in einem kurzen Vortrag nähere Erläuterungen gab.

Ein kleiner Imbiß, der gereicht wurde, erfrischte die Erschienenen nach den Anstrengungen des Nachmittags, der aber allen einige genußreiche Stunden gebracht hatte.

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Kassenbericht für das Jahr 1948. Reichsmarkrechnung für die Zeit vom 1. Januar bis 20 Juni 1948

Vortrag aus dem Jahr 1947

I Einnahmen Mitgliedsbeiträge RM Sonderbeiträge Aus Vortragsveranstaltungen Aus Verkauf von Nachrichtenheften Darlehensrückzahlung der klin. Anstalten Rückerstattete Gehaltszahlung

Verwaltungskosten Zuwendungen

II Ausgaben

Plakate, Anzeigen etc. Drucksachen, Porti, Telefon etc.

RM 83.502,-

11.369,-2.071,50

242,-245,25

24.000,-772,70 38.700,45

122.202,45

255,-10.524,15

1.037,60 263,03

Bankspesen 49,- 12.128,78

Ergibt ein Bankguthaben per Juni 1948 von RM 110.073,67

DMarkrechnung für die Zeit vom 21. Juni bis 31. Dezember 1948

50% Freibetrag aus RM-Umstellung DM 5.503,68 20% Freibetrag aus D-Mark-Festkonto 1.100,74

Mitgliedsbeiträge Sonderbeiträge

1 Einnahmen

Aus Verkauf von Nachrichtenheften Darlehensrückzahlungen Bankzinsen

Verwaltungskosten Zuwendungen Gewährte Darlehen

II Ausgaben

835,-22800,-

154,-410,-61.41 24.260,41

145,-24.340,-

1.262,60 Plakate, Anzeigen etc. 121,60 Drucksachen, Porti, Telefon etc. 194,41 Druck der Nachrichtenhefte 969,-Bankspesen 105,22 27.137,83

Ergibt ein Bankguthaben per 31. Dez. 1948 von DM 3.727.-

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Liste des Vorstandes und der Mitglieder nach dem Stand von Ende Mai 1950.

Vorstand

Boening, Heinz, Dr., Univ.-Professor, Gießen, Vorsitzender. Rinn, Ludwig, i. Fa. Rinn & Cloos A. G„ Heuchelheim, stellv. Vorsitzender. Bleyer, Ernst, Bankdirektor, Gießen, Schatzmeister. Küster, Ernst, Dr. Dr. h. c., Univ.-Professor, Gießen, stellv. Schatzmeister. Dumur, Henri, Dr. h. c. Fa. Ernst Leitz GmbH., Wetzlar. Ihring, Hans, Brauereibesitzer, Lich. Rolfes, Max, Dr., Univ.-Professor, Rektor der Hochschule Gießen. Rumpf, Karl, Dr., i. Fa. Jacob Rumpf & Sohn, Butzbach. Schauder, \\lilhelm, Dr., Univ.-Professor, Gießen. Witte, Wilhelm, Dr. ing., Bergwerksdirektor, Wetzlar.

Ehrenmitglieder

Leitz, Ernst, Dr. ing. e. h., i. Fa. Ernst Leitz GmbH„ Wetzlar. Rinn, Ludwig, i. Fa. Rinn & Cloos A. G., Heuchelheim.

Mitglieder

Abermann, Martin, Baugeschäft, Gießen. Ärzteschaft, Gießen. Aktien-Zuckerfabrik Wetterau, Friedberg. A. H. Bund der Burschenschaft Frankonia, Gießen. Althermverband der Burschenschaft Germania, 'Gießen. A. H. V. Corps Hassia, Gießen. Alemannia, Gießen. Alsfelder Möbelfabrik & A. Türpe jun. GmbH„ Alsfeld. Amend, Willy, Gießen. Andreae, Wilhelm, Professor i. R„ Dr. Gießen. Angelberger, W•ilhelm, Oberstudiendirektor i. R., Gießen. Arnold, Bankdirektor, Gießen. Ast, Arthur, Firma, Gießen. Auler, Wilhelm, Professor Dr., Gießen. Avenarius-Herborn, Heinrich, Dr„ Gau-Algesheim.

Banninger GmbH., Gießen. Bänninger, Max, Fabrikant, Gießen.

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Bahr, Georg, Apotheker, Wetzlar. Balzer, August, Fabrikant, Gießen. Baselt, Kurt, Volkswirt, Mainzlar. Bausch, Med. Rat Dr., Nervenarzt, Darmstadt-Eberstadt. Bayerlein, Karl, Dipl.-Ing., Dortmund. Bechert, Karl, Professor Dr., Gau-Algesheim. Becker, Dr. J., Ludwigshöhe b. Oppenheim. Behrens, Martin, Professor Dr„ Dillenburg. Beller, Karl, Professor Dr„ Gießen. Bender, Dr. med. dent„ Gießen. Berge, Robert Ewald, Professor Dr., Gießen. Berger, Adolf, Apotheker, Gießen. Bergmann, Ludwig, Professor Dr., Wetzlar. Bindemann, Gotthilf, Dr., Herborn. Bleyer, Ernst, Bankdirektor, Gießen. Blödorn, Rudolf, Apotheker, Allendorf/Lda. Blumschein, Ernst, Redakteur, Gießen. Boening, Heinz, Professor Dr„ Gießen. Boerner, Hermann, Professor Dr„ Gießen. von Boguslawski, Eduard, Professor Dr„ Gießen. Bohnstedt, Rudolf M„ Professor Dr„ Gießen. Boiler, Carl, Dr„ Chemiker, Gießen. Bosch y Gimpera, Professor Dr„ Barcelona. Brücke!, Karl, Druckereibesitzer, Gießen. Brüggemann, Alfred, P1ofessor Dr„ Gießen. Brümmer, Th„ Dr. med„ Farbwerke Hoechst. Buchacker, Wilhelm, Dr. med„ Arzt, Atzbach. Buderussche Eisenwerke, Wetzlar. Buding, Dr. med. vet„ Tierarzt, Hofgut Heibertshausen. Bücking, Hans Jakob, Fabrikant, Alsfeld (Oberhessen). Bürker, Karl, Professor Dr„ Tübingen.

Cermak, Paul, Professor Dr„ Gießen. Chem. Fabrik Albert, Amöneburg bei Mainz. Cloos, Heinrich, Gießen. Coretti, Korne!, Dr„ Tierarzt, Gießen-Klein-Linden. Crönlein, Georg, Pfarrer, Lich. Czakö, Emmerich, Dr. ing. habil„ Direktor der Stadtwerke Gießen.

Dalquen, Dr„ Heldenbergen. Dampfsägewerk B. Nuhn A. G„ Lollar. Dehner, Otto, Professor Dr„ Tierarzt, Gießen. Dell, August, Lizentiat, Herborn. Deuster, Karl Josef, Pfarrer, Gießen. Didier-Werke GmbH„ Mainzlar.

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Dinslage & Söhne, Ernst, Firma, Gießen. Dirksmöller, Hermann, Architekt, Gießen. Dittmer, Otto, Dr., Chemiker i. R., Gießen. Dönges, Karl, Dr. jur., Rechtsanwalt, Gießen. Dönges & Co., Ing., GmbH., Kohlebürstenfabrik, Krofdorf. Dornberger, Max, Apotheker, Gießen. Driesen, Albert, Dr., Wetzlar. Düttmann, Professor Dr., Essen. Dumur, Henri, Dr. h. c. Direktor, Wetzlar.

Egner, Karl, Firma, Gießen. von Eicken, Professor Dr., Berlin. Eigler, Gerhart, Professor Dr., Gießen. Eisenkrämer, Albert, Köln-Rath. Elges, Hermann, Kaufmann, Gießen. Elsner, Werner, Dr., Bürgermeister, Gießen. Emmelius, Wilhelm, Direktor, Godesberg. Engelbach, Dr., Kammerdirektor, Assenheim. Engisch, Ludwig, Rechtsanwalt und Notar, Gießen. Engler, 0. H., Dr., Oberbürgermeister, Gießen. Erb, geb. Lanz, Irmgard, Frau Dr., Gießen. Euler, Karl Friedrich, Dr., Gießen. Erdmann, Otto, Studienrat a. D„ Landschulheim Burg Nordeck. Evangelische Landeskirche, Darmstadt. Eyer, A„ Dr. med„ Bad Nauheim.

Faber, Ludwig, Dr. jur., Landesgerichtsrat a. D„ Gießen. Feulgen, Robert, Professor Dr., Gießen. Fetzer, Siegbert, Dr. med„ Arzt, Gießen. Fischer, Johann, Firma, Gießen. Fischer, Walter, Professor Dr., Marburg. Flörke, "W:ilhelm, Dr., Oberstudiendirektor, Gießen. Franke & Co., K. G„ Firma, Gießen. Freudenberg, Gisela, Frau Dr., Wetzlar. Freund, Hugo, Dr„ Garbenheim b. Wetzlar. Freund, Walther, Wetzlar. Frick, Paul, Professor Dr., Mainz. Frölich, Karl, Professor Dr„ Gießen. Fuhr, Hermann, Geschäftsinhaber, Gießen. Funk, Georg, Professor Dr„ Gießen. Gabriel, Gustav, Dr. med., Facharzt für Orthopädie, Bad Nauheim. Gärtner, Elisabeth, Frl., Apothekerin, Hungen Gail, Georg, Dr. jur., Gießen. Gail, Georg Philipp, A. G„ Firma, Gießen. Gasteil, Otto, Dipl.-Ing., Mainz.

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Geheeb, Anna, Frau Dr„ Ärztin, Nordeck. Geller, Robert, Optik, Gießen. Gemeinde Bechtolsheim. Gemeinde Biebelnheim. Gemeinde Bodenheim. Gemeinde Gabsheim Gemeinde Hungen. Gemeinde Lollar. Gemeinde Selzen. Gemeinde Schimsheim. Gemeinde Vendersheim. Gemeinde Wallertheim. Gemeinde Wörrstadt. Georges, Paul, Bankdirektor, Gießen. Gerlach, Joseph, Oberreg.-Baurat a. D„ Gießen Geyer, Franz, Dr. med„ Arzt, Gießen. Glockner, Hermann, Professor Dr„ Gießen. Gordan, Paul-Heinz, Rechtsanwalt. Gießen. Grieb, Hans, Fabrikant, Gießen. Grieb, Hans-Heinrich, Dr„ Dipl.-Volkswirt, Gießen. Grießbauer, H. W„ Dipl.-Kaufmann, München. Grießmer, Adolf, Pfarrer, Gießen. Groebler, Margarethe, Gießen. Grote, Louis R„ Professor Dr. med., Wetzlar. Grünewald, Karl Erich, Fabrikant, Alsfeld. Grützner, Anton, Dr. med„ Gießen. Gruner, Karl, Dr., Tierarzt, Friedberg.

Haas, Georg, Professor Dr., Gießen. Haas, Otto, Dr., Sinn. Habrich, August, Apotheker, Gießen. Hagenauer, Hans, Kunstmaler, Gießen. Hahn, Robert, Stud.-Rat, Gießen. Hahn, Wilhelm, Möbelfabrikant, Gießen. Haibach, R., Dr., Gießen. Hallervorden, Dr„ Gießen. Hammermann, Dr. med„ Gießen. Handels- und Gewerbebank eGbmH., Gießen. Haniel & Co„ Franz, Firma, Mainz-Gustavsburg. H1mreich, F. R, Dr., Geschäftsführer, Gießen. Hanle, Wilhelm, Professor Dr., Gießen. Hcffter, Professor Dr., Freiburg i. Br. Heidt, Karl, Dr., Gießen. Fielm, Professor Dr., Marburg.

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Henrich, Adam, Theaterbesitzer, Bad Homburg v. d. H. Hensoldt Karl, Dr., Fabrikant, Wetzlar. Hensoldt & Söhne, M., Optische Werke A. G., Wetzlar. Hepding, Hugo, Professor Dr., Gießen. Hepding, Ludwig, Dr., Tierarzt, Darmstadt. Herberts & Co., GmbH., Lauterbach (Oberhessen). Hessinger, Eduard, Dr., Fabrikant, Bielefeld. Herzog, Georg, Professor Dr., Gießen. Bettler, Heinrich, Firma, Gießen. Hey l, Cornelius, Freiherr zu Herrnsheim, Dr„ Schloß Herrnsheim. Heyland, Professor Dr., Leihgestern. Heylsche Lederwerke vormals Cornelius Heyl, Worms. Heyne, Gebrüder, GmbH., Firma, Offenbach. Hildebrandt, Fritz, Professor Dr., Bad Nauheim. Hildebrandt, Dr., Reg.-Vet.-Rat a. D., Wetzlar. Himmelsbach, 1„ Firma, Neustadt/Hölzlebrudc. Hirschberg, Richard, Bankdirektor, Gießen. Hochstätter, Heinrich, Kaufmann, Gießen. Hode, Lothar, Professor Dr., Krofdorf. Hoffmann, Paul, Hofgüll. Holderer, Kurt, Buchhändler, Gießen. Hommel, H., GmbH., Mainz. Horn sen., Wilhelm, Kaufmann, Gießen. Hueb, W., Dr., Buchhändler, Gießen.

lhring, Hans, Brauereibesitzer, Lich. Industrie- und Handelskammer, Darmstadt. Industrie- und Handelskammer, Gießen.

Jacobs, Kurt, Dr., Bankdirektor, Gießen. Jaeger, Robert, Dr. phil., Oberreg.-Rat, Odcstadt. Janson, Alois, Gastwirt, Gießen. Jödcel, Wilhelm, Amtsgerichtsdirektor, Gießen. Jüngst, W. A., Dr. med., Arzt, Müdce (Oberhessen). Jürgens, R., Fabrikant, Wetzlar. Kaemmerer, Fr., Dr., Büdingen. Kärcher, Karl, Dr. med., Mannheim. Kahleis, Dr. med. vet., Tierarzt, Friedrichsdorf/Westf. Kahn, Hermann, Dekan, Lich. Kalbfleisch, G. W., Dr., Rechtsanwalt, Gießen. Kalbhenn, Adolf, Pfarrer i. R. Gießen, Keil, Albert, Dr., Gießen. Keller, Karl, Dr., Oberbürgermeister i. R., Groß-Umstadt. Kellner, Fritz, Dr. med., Arzt, Gießen. Kemkes, Berthold, Professor Dr., Gießen.

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Keßler, Hans, Direktor, Gießen. Kindhäuser, Jos„ Dr. med., Gießen. Klein, Albin, Druckereibesitzer, Gießen. Klein, Wilhelm, Dr. med„ Arzt, Gießen. Klingspor, Gebrüder, Firma, Offenbach. Klingspor, K„ Dr. Ing., Offenbach. Klüpfel, Walther, Professor Dr„ Gießen. Klute, Fritz, Professor Dr., Ingelheim. Koch, Eberhard, Professor Dr., Bad Nauheim. Königer, Rudolf, Dr. Ing., Hochschulprofessor, Gießen. Koethe, Gottfried, Professor Dr., Gießen. Köttgen, Paul, Professor Dr„ Gießen. Kraemer, Richard, Dr., Gießen. Kratz, Ludwig, Heilgehilfe, Gießen. Kraus, Emil, Schuhmachermeister, Gießen. Krause, Willmar, Direktor, Gießen. von Krauß, Wilhelm, Dr. med. vet., Gütersloh/West{. Kremp, Georg, Firma, Wetzlar. Kreuter, Josef, Fabrikant, Gießen. Krollpfeiffer, Friedrich, Professor Dr., Gießen. Krüger, Herbert, Dr„ Museumsdirektor, Gießen. Krüger, Leopold, Professor Dr„ Gießen. Kübel, August, Kaufmann, Gießen. Kuesmann, Walter, Tierarzt, Scharre!. Küst, Diedrich, Professor Dr., Gießen. Küster, Ernst, Prof. Dr. Dr. h. c., Gießen. Kupferberg, Emil, Dr„ Mainz. Kurz, Adolf, Oberingenieur, Gießen.

Ländlicher Genossenschaftsverband Rhein-Main-Neckar, Frankfurt. Lahn-Registrierkassen GmbH., Gießen. Landkreis Alsfeld. Landkreis Alzey. Landkreis Friedberg. Landkreis Gießen. Landkreis Groß-Gerau. Landkreis Heppenheim a. d. B. Landkreis Lauterbach. Landkreis Offenbach. Landkreis Wetzlar. Landkreis Worms. Lang, Ernst, Dr. med„, Lauterbach. Lange, Anton, Dr. med., Groß-Karben. Lassen, Harald, Dr., Gießen.

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Laun, Studienrat, Alsfeld. Laun, Albrecht, Dr. med., Schotten. Leib, Carl Ludwig, Kunsthandlung, Gießen. Leiß, Dr. phil., Gießen. Leitz, Ernst, Dr. ing. e. h., Wetzlar. Leitz, Ernst, GmbH., Optische Werke, Wetzlar. Leitz, Ludwig, Fabrikant, Wetzlar. Lmgnerwerke A. G., Dresden. Loh, Wilhelm, Dr„ Patentingenieur, Wetzlar. Lohnes, Heinrich, Studienrat, Offenbach. Loos, Johannes, Pfarrer, Großen-Buseck.

Malech, Walter, Dr. med., Gießen. Maennchen, Kurt, Dr., Wetzlar. Mann, Albin, Oberbürgermeister a. D., Gießen. Martin, Rudolf, Dr. med„ Gießen. Marx, Frau Else, Dr. med., Gießen. Matemus, I., Firma, Gießen. Mehl, Dr. med„ Gießen. Meiner, Arthur, Dr„ Hofrat, Leipzig. Menz, Dr. med. Gießen. Merck, E., Chem. Fabrik, Darmstadt. Merck, Fritz, Dr., Darmstadt. Merck, Karl, Dr., Darmstadt. Meyer, Erwin, Dr„ Gewerberat, Gießen. Meyer-Barkhausen, Werner, Professor Dr„ Gießen. Mitteldeutsche Creditbank, Gießen. Mitsch, Alfred, Dr. jur„ Gießen. Möbs, P. J., Seifenfabrik, Gießen. Moeser, Heinz, Kaufmann, Gießen. Moeser, Wilhelm, Firma, Gießen. Motorwagen-Verkaufsgesellschaft m. b. H., Gießen. Mülberger, Fräulein Eisa, Gießen. Mülberger, Fräulein Marian, Gießen. Müller, Carl, Fabrikant, Gießen. Müller, lmre, Dr„ Studienrat, Gießen. Müller, Johann, Kaufmann, Gießen. Müller, K., Oberinspektor, Gießen. Müller, Oskar, prakt. Arzt, Leun.

Nachtigall, Heinrich, Bankkaufmann, Lauterbach. Nehmeyer, Wilhelm, Ministerialrat, Speyer. Neumann, Kurt, Professor Dr., Lauterbach/OH. Neumann-Spenge!, Dr. med., Gießen. Nickel, Johannes, Firma, Ober-Widdersheim.

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Niederhausen, E. R., Kaufmann, Gießen. Niepoth, Fritz, Dr. jur. et rer pol., Wirtschaftsprüfer, Gießen. Nierhaus, Gerhard, Dr. med„ Dillenburg. Noll, Adolf, Dr., Fabrikant, Gießen. Noll, Hans, Drogerie und Photohaus, Gießen. Noll, Joh. Balth„ Firma, Gießen. Noll, Karl, Malermeister, Gießen. Norddeutsche Hagel-Versicherungs-Ges. a. G. zu Berlin, Gießen.

Oeser, Ernst, 1. Staatsanwalt, Stade. Oesterlein, Karl, Staatsanwalt, Gießen. Opper, Otto, Pfarrer Lic. Dr„ Wenings.

Papierfabrik Oberschmitten W. & J. Moufang A. G„ Oberschmitten. Pauly, Erasmus, Dr. med„ Gießen. Peter, Karl, Dr., Chemiker, Gießen. Pfaff, Wilhelm, Dr„ Gießen. Pfeiffer, Erid1, Dr„ Fabrikant, Wetzlar.

Rabenau, K„ Dr„ Tierarzt, Grünberg. Ranft, Erwin, Gerichtsreferendar, Allendorf/Lda. Rathc:ke, Ludwig, Dr. med. habil., Dozent, Gießen. Rauch, Christian, Professor Dr„ Gießen. Rauh, Walter, Professor Dr. med„ Gießen. Rehmann, Wilhelm, Dr„ Oberbiliothekar, Gießen. Reinhold, Gerhard, Professor Dr„ Gießen. Reiter, A„ Dr. med. vet„ Tierarzt, Wiesbaden. Rempel, Hans, Dr„ Chefredakteur, Gießen. Remy Karlheinz, Dr. med., Großen-Busec:k. Renk, Walter, Dr., Tierarzt, Holzheim üb. Gießen. Retter, Dr., Sanitätsrat, Dillenburg. Rhein-Main-Bank, Gießen. Rieder, Markus, Gießen. Riederer, Dr„ Tierarzt, Rennertshofen Krs. Neuburg/Donau. Riekeberg, Dipl.-Ing„ Oberbiel. I<ietschel, H. G., Dr., Arzt, Gießen. Rinn, Ludwig, Fabrikant, Gießen. Rinn, Otto, Landwirt, U_tphe (Krs. Gießen). Rinn & Closs A. G., Zigarrenfabrik, Heuchelheim. Röhr, Karl, Kaufmann, Gießen. Rolfes, Max, Professor Dr., Gießen. Roßbach, Fr., Dr., Friedberg. Roßbach, Rudolf, Dr., Friedberg. Rudolph, Wilhelm, Professor Dr., Gießen. Rühl, W., Dr. jur., Regierungsrat, Gießen-Kl.-Linden.

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Rumpf & Sohn, Jacob, Schuhfabrik, Butzbach. Ruppert, Dr., Gießen.

Samuelsen, Sigurd, Skien/Norwegen. Schaefer, Hans, Professor Dr., Bad Nauheim. Schaetz, Franz, Dr. med. vet. habil., Gießen. Scharrer, Karl, Professor Dr., Gießen. Schauder, Wilhelm, Professor Dr„ Gießen. Schelm, Hermann, Baumeister, Lollar. Scheuermann, Dr., Tierarzt, Hofheim/Ts. Schirmer, Georg Heinrich, Zigarrenfabriken, Gießen. Schlarb, Professor, Marburg. Schliephake, Erwin, Professor Dr., Schweinfurt. Schlosser, Kurt, Dr., Tierarzt, Dannstadt/Pfalz. Schmall, Emil, Firma, Gießen. Schmall, Hermann, Kaufmann, Gießen. Schmidt, Ernst, Architekt, Gießen. Schmidt, Werner, Dr. med„ Oberarzt, Gießen. Schmidt, w~ J., Professor Dr., Gießen. Schmidt, Wilhelm, Oberregierungsrat, Gießen. Schmitz, Buchdruckereibesitzer, Gießen. Schneider, Hans, Dr., Landger.,Präs. a. D., Frankfurt a. Main. Schneider, Ludwig, Bauunternehmung, Heuchelheim. Schneider, Rudolf, Gärtnereibesitzer, Gießen. Schonebohm, Fritz Karl, Dr., Gerichtsassessor, Gießen. Schott, Dr„ Zahnarzt, Gießen. Schreiber, R„ Professor Dr„ Gießen. Schröder, H. 0., Dr. phil., Gießen. Schröder, Karl, Direktor, Gießen. Schuchard, W. & G., Firma, Gießen. Schuchardt, Eduard, Dr. med„ wissenschaftl. Assistent, Gießen. Schütz, Hermann, Oberkleen. Schultze, Hugo, Dr„ Sanitätsrat, Driedorf. Schulz & Jung, Zentralheizungen und sanitäre Anlagen, Gießen. Schunk & Ehe, Firma, Gießen. Schwan, Karl, Architekt, Gießen. v. Schwerin, Hans Bone, Landrat, Gießen. Scriba, Hans, Pfarrer, Gießen. Senn, Josef, Dr„ Tierarzt, Münzenberg. Sessous, George, Professor Dr„ Gießen. Silbereisen, Karl, Dr., Chemiker, Berlin-Frohnau. Simon, Erich, Dr„ Prosektor, Gießen. Solms-Braunfels, Georg Friedrich Fürst zu, Schloß Braunfels. Solms-Hohensolms-Lich, Erbprinzessin Gertrud zu, Lich.

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Solms-Laubachsehe Rentkammer, Graf zu, Laubach. Solms-Rödelheim, Graf Max zu, Professor, Marburg. Spatz, Hugo, Professor Dr„ Gießen. Spatz, Karl Emil, Bergingenieur, Wiesbaden. Speck, Dr. med., Großen-Linden. Spohr, Joachim, Dr„ Rechtsanwalt und Notar, Gießen. Spruck, Erwin H., Landwirt, Hof Leustadt b. Stockheim. Spruck, Wilhelm, Dr. phil., Hof Leustadt. Stadt Alsfeld. Stadt Bad Nauheim. Stadt Butzbach. Stadt Darmstadt. Stadt Friedberg. Stadt Gießen. Stadt Grünberg. Stadt Laubach. Stadt Offenbach. Stadt Wetzlar. Stahlwerke Röchling-Buderus A. G., Wetzlar. Standfuß, Richard, Professor Dr., Gießen. Stepp, Professor Dr., München. Riedesel, Freiherren zu Eisenbach, Stiftung der, Lauterbac'.-1. Stoltenberg, Hans Lorenz, Professor Dr„ Gießen. Storck, Hans, Professor Dr., Gießen. Storck, Karl, Schulrat a. D., Gießen. Strecker, Reinhard, Professor, Dr. Gießen. Ströbele, F., Dr. phil., Direktor, Gut Daumühle. Stuhl, Carl, Dr. med., Gießen. Sundheim, Arwed, Kaufmann, Gießen. Sympher, Arthur, Oberst a. D., Gießen.

Temesviiry, Stefan, Professor Dr., Gießen. Teubner, B. G., Verlag, Leipzig. Tilk, Dr., Gießen. Töpelmann, Alfred, Dr. h. c., Gießen.

Ullrich, Egon, Professor Dr., Gießen. Unverzagt, Josef, Kaufmann, Gießen. Unverzagt, Karl, Studienrat, Ruppertsburg.

Verein Chattenhaus e. V., Gießen. Vereinigte Westdeutsche Waggonfabriken A. G., Werk Gasteil, Mainz. Völzing, Firma, Gießen. Vogel, Heinrich, Firma, Laborbedarf, Gießen. Vogel, Otto, Pfarrer, Friedberg.

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Vogt, Franz, i. Fa. Franz Vogt & Co., Gießen. Vollmüller, Wilhelm, Firma, Likörfabrik, Lauterbach/OH.

Wachtel, Viktor, Rechtsanwalt und Notar, Alsfeld. Wagenseil, Ferdinand, Professor Dr. med., Gießen. Wagner, Oskar, Dr. med. vet., Frankfurt a. Main. Wagner, Karl, Dr. med., Krofdorf. Walter, Georg, Dr. phil., Studiendirektor i. R„ Gießen. Walther, Heinrich, Professor Dr„ Med.-Rat, Gießen. Weber, A. E„ Professor Dr„ Bad Nauheim. Weber, Hans Joachim, cand. med. vet., Greifswald. Weckerling, Dr., Darmstadt. W:egener, Kurt, Fabrikant, Blitzenrod. Weidenbach, Oswald, Professor Dr., Gießen. Weißer, Reinhold, Dr„ Volkswirt, Hannover. \l\leitz, Ernst, Professor Dr., Gießen. von Werner, Kreisdirektor i. R., Darmstadt. Werner, Dr. med., Arzt, Butzbach. Weyl, Ferdinand, Dr., Bankdirektor, Hanuwer. Wilbrand, A. W. J„ Dr. jur„ Darmstadt. Wimmer, Emil, Professor Dr„ Heidelber9. Winterhoff, Otto, Drogerie, Gießen. Wirtz, Wilhelm, Dr„ Syndikus, Gießen. Witte, Wilhelm, Dr. ing„ Bergwerksdirc'dor, \Vetzlar. Wolf, Otto, Dr. med., Gießen.

Zang, Karl, Dr. med„ Friedberg. Ziegelmayer, Wilhelm, Dr. med„ Gießen. Zimmer, Christian, Photograph, Gießen. Zimmer, Gottfried, Dr„ Rechtsanwalt u. Notar, Gießen. Zimmer, J. Fr., Rechtsanwalt und Notar, Gießen. Zoeppritz, Heinrich, Professor Dr., Arzt, Itzehoe. Zweckverband Oberhess. Versorgungsbetriebe, Friedberg.

10 Gießener Hochschulnachrichten 145

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Biographisdie Mitteilungen über die Autoren des vorliegenden Bandes.

Heinz Bö n in g, Dr. med. (geb. 17. IV. 1895 in Hagen i. W.). Besuch der Rektoratsschule in Hagen und des Gymnasiums in Appendorn. Studium der Philosophie auf den Universitäten Innsbruck und Münster, hiernach Studium der Medizin in Jena. Promotion und Habilitation (1927) in Jena. 1935 a. o. Prof. in Jena; 1936 Berufung nach Gießen als o. Prof. für Psychiatrie und Neurologie.

He r man n B u d den sie g , Dr. phil. (geb. 3. Juni 1893 in Eisenach). Humanistisches Gymnasium seiner Vaterstadt. Wande„11nqen mit der frühen Jugendbewegung. Studium der Staatswissenschaften, Philosophie und Geschichte in München, Jena und Heidelberg. Gegen Ende des ersten Weltkriegs schwer kriegsbeschädigt. Promotion in Heidelberg. Jahrzehnte­lange Bemühungen um Goethe. Niederschrift eines Werkes: Goethe und das Weltgeheimnis. Studium der Religionen und der östlichen Mystik. Vertiefung in die Welt der Griechen und des Mythos. Seit 1914 die Heimat der Neckar. Tätigkeit in Hamburg. In Heidelberg-Ziegelhausen ansässig. Arbeiten: Neckar. Hymnen an die Götter Griechenlands. Die Götter und der Dichter. Morbus sacer. Verwandelte Welt. (Alles bei Lambert Schneider in Heidel­berg).

Pa u 1 Cer m a k, Dr. phil. (geb. 17. VIII. 1883 in Neu-Ehrenberg). Studium in Prag und Berlin; Promotion in Berlin bei Drude und Planck; seit 1910 in Gießen; 1924 Ernennung zum o. Prof. am Physikalischen Institut Gießen.

Kar 1 Fr öl ich, Dr. jur. (geb. 14. IV. 1879 in Oker a. H.). 1904 Gerichtsassessor, 1910 Landrichter, 1914 Landgerichtsrat, 1920 Privatdozent in Leipzig, 1921 a. o. Professor an der Technischen Hochschule Braunschweig, 1923 ord. Prof. der Rechte in Gießen; 1949 in den Ruhestand versetzt. Seit 1946 Lehrbeauftragter in Marburg und Frankfurt a. M.

Wilhelm Ha n l e, Dr. phil. (geb. 13. I. 1901 in Mannheim). Studium der Physik, Mathematik und Chemie in Heidelberg und Göttingen. 1924 Promotion in Göttingen. Ab 1924 Assistent an den Physikalischen Instituten der Universitäten Göttingen, Tübingen und Halle. 1927 Habilitation in Halle. 1929 Abt.-Vorsteher und a. o. Prof. in Jena, 1935 in Leipzig, 1937 in Göt­tingen. Seit 1941 o. Prof. und Direktor des Physika!. Instituts der Univ. bezw. Justus Liebig-Hochschule in Gießen.

Hugo He p d in g , Dr. phil., Bibliotheksdirektor i. R. (geb. 7. I. 1878 in Ulrichstein). 1896-1902 Studium der Germanistik und klassischen Philo-

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logie in Gießen und Bonn, 1902 Prüfung für das höhere Lehramt, 1903 Pro­motion in Gießen. Seit 1902 im Bibliotheksdienst. 1910 Privatdozent f. klass. Philologie in Gießen, 1915 a. o. Professor. 1904-13 Teilnahme an 6 Aus­grabungs-Campagnen in Pergamon. Herausgeber d. „Hessischen Blätter f. Volkskunde"'. Seit 1. I. 1949 im Ruhestand.

Ernst Küster, Dr. phil., Dr. h. c. (geb. 28. VI. 1874 in Breslau). Studierte in München, Leipzig, Breslau und Berlin. Promotion in München 1896; Habilitation in Halle 1900. Berufung nach Kiel, Bonn und 1920 nach Gießen (ord. Prof. u. Direktor des Botan. Instituts und Gartens).

Ludwig Rath c k e, Dr. med. (geb. 15. IX. 1906 in Berlin). Studium der Medizin in Berlin, Heidelberg und Jena. Promotion 1931 in Leipzig; seit 1934 in Gießen. Dozentur 1940. Zur Zeit Oberarzt und stellvertretender Leiter der Chirurgischen Klinik Gießen.

W i l h. J. Schmidt, Dr. phil. (geb. 21. II. 1884 in Bonn). Habilitiert für Zoologie und vergleichende Anatomie 1910 an der Universität Bonn; seit 1926 Inhaber des Lehrstuhles für Zoologie und vergleichende Anatomie an der Universität bezw. der Justus Liebig-Hochschule Gießen. Hauptarbeits­gebiet: Polarisationsoptische Analyse des submikroskopischen Baues von Zellen und Geweben.

Hans L. St o 1 t e n b er g, Dr. phil. (geb. 20. V. 1888 in Hamburg). Studierte in Marburg, Berlin und Kiel Theologie, Philosophie, Mathematik und Wirtschaftslehre, erwarb 1914 den Dr. phil. in Marburg, wurde 1925 Privatdozent Prnfessor an wissenschaft,

für Sozialpsychologie und allgemeine Soziologie, 1931 a. o. der Univ. Gießen. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die Leball­Gruppseel-, Seelgrupp- und Gruppwissenschaft u. a. m.

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Abh. 2. Sch litz. Sl.einkrell7

TafpJ 1

A hh. l. Stockhamen.

Steinkreuz

Abh. 4. Tre !Turl, Ha d krc u z

Abb.:\. Krmptcn . lei nkre u1

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Tafel II

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Abb. 9. Heinhausen . Bilste in

Tafel III

Ahh. 8. Un terbimbach,

Steinkreuz mit Figuren

,\bb . 10. Küll tedt, le inkre uznes t

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Tafel l \ '

I Abb. 11 . Varmissen ,

Radkreuz und

kle ine Kreuz

Abb.12. Heichholzheim ,

Sleinkreuzne l

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