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Donnerstag, 02. November 2017, 17:04 Uhr ~15 Minuten Lesezeit Beendigung der Apartheid Exklusivabdruck aus „Palästina: Hundert Jahre leere Versprechen“. von Richard Falk Foto: Okyela/Shutterstock.com Am 2. November 2017 jährt sich die Balfour-Erklärung zum hundertsten Mal. Damals versprach der britische Außenminister James Balfour dem Führer der Zionistischen Weltorganisation Lord Rothschild, in Palästina "eine Heimstatt für das jüdische Volk" zu errichten. Dass Palästina zu diesem Zeitpunkt noch Teil des Osmanischen Reiches war, zeugt von der Schamlosigkeit des britischen Imperialismus. Die Balfour-Deklaration war eine weltpolitische Zäsur, die den Nahen Osten bis heute nicht zur Ruhe kommen lässt. Der folgende Beitrag von Richard Falk ist dem

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Donnerstag, 02. November 2017, 17:04 Uhr~15 Minuten Lesezeit

Beendigung derApartheidExklusivabdruck aus „Palästina: Hundert Jahre leere Versprechen“.

von Richard Falk Foto: Okyela/Shutterstock.com

Am 2. November 2017 jährt sich die Balfour-Erklärungzum hundertsten Mal. Damals versprach der britischeAußenminister James Balfour dem Führer derZionistischen Weltorganisation Lord Rothschild, inPalästina "eine Heimstatt für das jüdische Volk" zuerrichten. Dass Palästina zu diesem Zeitpunkt nochTeil des Osmanischen Reiches war, zeugt von derSchamlosigkeit des britischen Imperialismus. DieBalfour-Deklaration war eine weltpolitische Zäsur, dieden Nahen Osten bis heute nicht zur Ruhe kommenlässt. Der folgende Beitrag von Richard Falk ist dem

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Buch "Palästina - Hundert Jahre leere Versprechen"(Promedia Verlag) entnommen, in dem HerausgeberFritz Edlinger an die Geschichte dieses Weltkonfliktserinnert. Richard Falk, Jahrgang 1930, war sieben Jahrelang Sondergesandter des UN-Menschenrechtsrats fürPalästina. Sein Bericht über "Israels Umgang mit dempalästinensischen Volk und die Frage der Apartheid"wurde auf Betreiben der USA nur wenige Stundennach Veröffentlichung von der Webseite derKommission entfernt.

Vor mehreren Monaten wurden Professor Virginia Tilley und ichvon der Wirtschafts- und Sozialkommission der Vereinten Nationenfür Westasien (ESCWA) gebeten, eine Studie zu verfassen, in dergeprüft werden sollte, inwiefern Israel in seinem Umgang mit dempalästinensischen Volk als „Apartheid-Regime“ agiere, und zwar lautder Definition des Begriffes „Apartheid“ im InternationalenStrafgesetz. [...] Unser Bericht zeichnet sich durch das Bemühenaus, Israels Umgang mit dem palästinensischen Volk und die damiteinhergehende Politik ausschließlich auf rechtlicher Basis zubeurteilen. Die Untersuchungsergebnisse führen zu einigenmoralischen und politischen Schlussfolgerungen, die sich in denEmpfehlungen für diesbezügliche Maßnahmen und Handlungen der

Ist es berechtigt, das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser alsApartheid-Regime zu bezeichnen? Dieser Frage gingen die beiden US-

amerikanischen Professoren Virginia Tilley und Richard Falk in einer

Studie nach. Trotz bestehender Unterschiede zum Apartheids-Regime

Südafrikas beantworten beide Wissenschaftler die oben gestellte Frage

mit einem eindeutigen „Ja“. Nachfolgend druckt Rubikon einen

gekürzten Beitrag ihres Resümees ab.

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Vereinten Nationen, der Regierungen souveräner Staaten und derAktivisten und Organisationen der Zivilgesellschaft widerspiegeln.

Es freute uns, diesen Auftrag und damit unsere Rolle als Ermittler,die an einem akademischen Unterfangen teilnehmen, anzunehmen.ESCWA, eine von mehreren regionalen Kommissionen der VereintenNationen, ersuchte auf Grund eines unangefochtenen und vonseinen 18 arabischen Mitgliedsstaaten angenommenen Antrages, umDurchführung dieser Studie.

Innerhalb weniger Stunden nach Veröffentlichung unseresBerichtes am 15. März 2017, der den Titel „Israels Umgang mit dempalästinensischen Volk und die Frage der Apartheid“ trug, setztenReaktionen ein, die bestenfalls als hysterisch und höhnischbezeichnet werden können. Auffallend an der sofortigen undwütenden Ablehnung des Berichts durch Israel und die VereinigtenStaaten war außerdem das absolute Fehlen auch nur irgendeinersubstantiellen Kritik am Inhalt der im Bericht angeführtenErgebnisse oder Analysen. Die neu ernannte UN-Botschafterin derUSA, Nikki Haley, verurteilte den Bericht und forderte die VereintenNationen auf, ihn zurückzuziehen, ohne andere Gründe zu nennenals dass der Bericht in seiner Beurteilung des Verhaltens von Israelgegenüber den Palästinensern unvorteilhaft sei. Der frisch gewählteGeneralsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres,reagierte schnell und forderte ESCWA öffentlich auf, den Berichtvon ihrer Webseite zu löschen. (...) Anstatt dieser Forderungnachzugeben, trat Rima Khalaf, Leiterin der Kommission, von ihremPosten zurück und richtete ein Schreiben an den Generalsekretär, indem sie freundlich und prinzipientreu die Gründe ihres Rücktritteserklärte. Kurze Zeit später, wurde der Bericht von der Webseite derKommission entfernt. [...]

Die Vereinten Nationen sind unweigerlich eine politische Arena, inder rivalisierende Regierungen ihre entgegengesetzten Meinungenzu globalen Themen vertreten, doch sollten sie trotzdem danach

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trachten, eine Atmosphäre zu schaffen, in der kontroversielleThemen verantwortlich diskutiert und verschiedene Blickwinkelbeleuchtet werden können, ohne auf Verleumdungs- oderHetztaktiken zurückzugreifen. (...) Es gelingt den VereintenNationen, solch eine Atmosphäre auch in Bezug auf vieleinternationale Belange zu schaffen; allein im Zusammenhang mitdem israelisch-palästinensischen Konflikt gelingt ihr dies leidernicht, denn hierzu werden alle Diskussionen im Keim erstickt, selbstwenn es sich um akademische Untersuchungen handelt, derenBerichte in Methodik und Stil wissenschaftlichen Standardsentsprechen.

Virgina Tilley, Professorin für Politikwissenschaften an derUniversität Carbondale von Southern Illinois und internationaleApartheid-Expertin, und ich, emeritierter Professor fürinternationales Recht an der Princeton Universität sowie auchESCWA, haben wiederholt unsere Bereitschaft signalisiert, aufinhaltliche Kritik und kritisches Feedback einzugehen. Wir hattengehofft, dass unsere Analyse und Schlussfolgerungen eine Basis fürDiskussion, Dialog und weitere Erörterung der Empfehlungen, dieam Ende des Berichtes angeführt sind, bieten würden. In diesemZusammenhang sei darauf hingewiesen, dass auch ESCWA ihrerseitsMaßnahmen gesetzt hat, um sicherzustellen, dass der Berichtwissenschaftlichen Standards entspricht und legte unserenRohbericht daher drei prominenten internationalen Juristen vor, dieausgewählt worden waren, um eine objektive Beurteilungabzugeben. Ihre Identität wurde uns erst nach der Abgabe ihrerBeurteilungen bekannt gegeben. Jeder dieser Experten gab einesehr positive Beurteilung ab, mit einigenÜberarbeitungsvorschlägen, die wir dankend in den Endbericht, derin weiterer Folge an die Vereinten Nationen weitergegeben wurde,eingefügt haben. Vor dem Hintergrund dieser sorgfältigenwissenschaftlichen Prüfung ist es von Regierungsvertretern undanderen Funktionären höchst fahrlässig, den Bericht als einseitigpolemisch abzutun, und zwar ohne sich auch nur ansatzweise mit

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den Inhalten der Analysen auseinandersetzen zu wollen. Solch einZugang untergräbt nicht nur die Autorität der Vereinten Nationensondern auch allgemein den Respekt für internationalesVölkerrecht. Es ist jedoch auch auf geopolitische Einflussnahmezurückzuführen, und zwar besonders im Zusammenhang mit UN-Finanzierungen, wenn brisante internationale Herausforderungenund damit zusammenhängende Argumente, die vernünftigvorgebracht, eigentlich den Raum für gegensätzliche Meinungenschaffen sollten, um einen Austausch über diesbezüglichegegenteilige Positionen zu erlauben, leichtfertig übergangen und inMisskredit gebracht werden. Das gesamte Konzept, internationaleKonflikte friedlich zu lösen, basiert doch darauf,Kommunikationskanäle für Diskussionen offen zu halten. Es warleider doch anzunehmen, dass es nach 50 Jahren diskriminierenderBesatzung und erfolgloser Diplomatie die Grenzen vernünftigerDiskussion sprengen würde, wenn Israels Umgang mit denPalästinensern im Verständnis des internationalen Völkerrechts alsApartheid bezeichnet wird. Diese Verweigerung verstärkt lediglichden Status Quo, der letztendlich dem palästinensischen Volk übersolch einen langen Zeitraum sehr viel Leid zugefügt hat.

Außerdem ist es irreführend, das zu tun, was amerikanische undisraelische Diplomaten wie auch die Medien getan haben, nämlichdiese Studie so zu behandeln, als wäre sie ein Bericht, der offiziellvon den Vereinten Nationen verabschiedet worden ist. Solch eineBehandlung übersieht eindeutig den Haftungsausschluss, der aufder Einführungsseite des Berichtes aufscheint und in demunmissverständlich erklärt wird, dass die im Bericht erwähntenAnalysen und Interpretationen eindeutig jene der Autoren sind unddaher nicht der ESCWA und schon gar nicht den VereintenNationen zugeordnet werden können. Tatsächlich handelt es sichdabei um ein Dokument, dessen Erstellung von den VereintenNationen in Auftrag gegeben wurde, dessen Qualität bezüglich derÜbereinstimmung mit wissenschaftlichen Standards geprüft unddas in weiterer Folge von der Organisation jedoch weder

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angenommen noch verabschiedet wurde, obwohl dies in Zukunftgeschehen könnte, ein Schritt, den wir als Autoren willkommenheißen würden.

Berechtigte Kritik wird diskreditiert

Während meiner Amtszeit als Sonderbeauftragter der VereintenNationen für Menschenrechte in den besetzten palästinensischenGebieten (2008-2014) wurde ich Zeuge, wie Verteidiger Israelshäufig versuchten, vorgebrachte Kritik zu diskreditieren. Meinehalbjährlichen Berichte, die ich in der Zeit, als ich diesen Posteninnehatte, an die Menschenrechtskommission der VereintenNationen und an das dritte Komitee der Generalversammlungrichtete, beinhalteten oft scharfe Kritik an Israel und an anderenAkteuren, die sich auf verschiedene Themenbereiche bezog,einschließlich der Missachtung des Völkerrechts, illegale Expansiondes Siedlungsbaus und unverhältnismäßige Gewaltanwendung.Außerdem wies ich in den Berichten auch auf die Komplizenschaftinternationaler Unternehmen und Banken hin, die gewinnbringendeGeschäfte mit den Siedlungen unterhalten. [...] Ich erwähne diesepersönliche Erfahrung, nur um darauf hinzuweisen, dass sie sich inein seit langem bestehendes Muster schmutziger Tricks einreihenlässt, bei denen die leidenschaftlichsten Verteidiger Israels esvorziehen, ihre Gegner zu verleumden, anstatt das Risikoeinzugehen, sich auf die augenscheinliche Gefahr einervernünftigen Diskussion über wichtige zur Debatte stehendegesetzliche und rechtliche Aspekte einzulassen.

Mehr fundierte Analyse im neuen Buch:

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(https://mediashop.at/buecher/palaestina-hundert-jahre-leere-versprechen-2/)

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Der "Apartheid-Bericht"

Das Verbrechen der Apartheid wurde 1973 in der InternationalenKonvention über die Unterdrückung und Bestrafung desVerbrechens der Apartheid verbindlich definiert. Darin wird dasVerbrechen der Apartheid als vorsätzlicher und systematischer Aktder Rassendiskriminierung bezeichnet, der mit dem Ziel ausgeführtwird, ungesetzliche Strukturen rassischer Dominanz, d.h. derUnterdrückung einer Rasse durch eine andere Rasse, aufrecht zuerhalten. Unser Bericht ging auch auf die Frage ein, ob es imZusammenhang mit der Untersuchung des Vorliegens von Apartheidangebracht ist, Juden und Palästinenser als eigene Rassen zubetrachten. Wir kamen zu dem Schluss, dass es dafür genugGrundlagen gibt. Wie unser Bericht zeigt, wird „Rasse“ in diesemrechtlichen Kontext als sozial und politisch konstruierte Kategoriebehandelt, die entwickelt wurde, um ein spezifisches Volk oder einespezifische Ethnie zu identifizieren. Dies steht in keinemZusammenhang zur biogenetischen Wirklichkeit, die in diesem Fallironischerweise eine beträchtliche Überlappung zwischen Judenund Palästinensern zeigt.

Der Bericht geht auch von der Prämisse aus, dass das Vorkommenoder auch das Nicht-Vorkommen von Apartheid davon abhängt, wiedas palästinensische Volk als Ganzes und im Ganzen behandelt wirdund nicht nur von der Untersuchung des einfachen Falles einerdualen gesetzlichen Struktur, die Palästinensern und Israelis, die imWestjordanland leben, seit 1967 auferlegt wird. Im Bericht wirdvorgebracht, dass es jene Unterteilung der Palästinenser inbestimmte Bereiche, die von Israel absichtlich als integrierterKontrollmechanismus konstruiert wurden und aufrechterhaltenwerden, ist, die das Vorliegen von Apartheid so überzeugendmachen.

Durch die Anwendung einer, wie wir glauben, innovativen Methode

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näherten wir uns der Herausforderung, das Vorliegen einesApartheidsystems als Gesamtkonzept zu beurteilen, indem wir diePalästinenser in vier Kategorien aufteilten, die der Art und Weiseentsprechen, wie Israel seine Dominanz im Laufe von siebenDekaden gesichert hat. [...]

Repressive Praktiken, die das Leben einfacher Palästinenser in einetägliche Tortur verwandelt haben, sind eine Hauptdimension diesesrassisch organisierten Kontrollsystems. Hierzu sollte auch erwähntwerden, dass einige fortschrittliche Interpretationen desinternationalen Völkerrechts die Bestrafung und Kriminalisierungvon gewaltlosen Formen des Widerstandes gegen Apartheid alseigene Strafdelikte bezeichnen, wodurch das eigentlicheVerbrechen der Apartheid selbst noch verschärft wird.

Der Apartheidcharakter der Besetzung des Westjordanlands isthierbei noch die am wenigsten umstrittene Bestätigung derBehauptung, dass Apartheid die gesamte Beziehung zwischen Judenund Palästinensern unter israelischer Verwaltung beschreibt.

Erwähnenswert ist außerdem, dass für den Gazastreifen seit 2005,als die Siedlungen im Rahmen des israelischen „Abzugsplans“entfernt wurden, eine gesonderte Analyse erforderlich ist. Für dieZeit von der Besetzung des Gazastreifens 1967 bis 2005 trifft für denGazastreifen dieselbe Analyse zu, wie derzeit für dasWestjordanland. Seit 2005 wird der israelischeKontrollmechanismus auf eine besondere und grausame Art undWeise aufrechterhalten, um die jüdische Dominanz über diepalästinensische Bevölkerung im Gazastreifen zu gewährleisten.Dies umfasst strafende Blockaden, periodische militärische Einfälle,gezielte Tötungen und bestätigte Bemühungen, der Zivilbevölkerunggenügend Lebensmittel zu verweigern, die ihr erlauben würde, eingesundes Leben zu führen.

Eine weitere im Bericht untersuchte Kategorie waren Palästinenser,

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die in Jerusalem leben. Hier äußert sich der Apartheidcharakter derisraelischen Herrschaft in der Art, wie die israelische Regierung dieindividuelle Sicherheit der in Jerusalem lebenden Palästinensermassiv untergräbt, indem ihre Aufenthaltsrechte manipuliert undihnen eine Vielzahl verschiedener diskriminierender Vorschriftenauferlegt werden, die von steuerlichen Maßnahmen überZerstörungen bis zur willkürlichen Vorenthaltung vonBaugenehmigungen reichen. Im Gegensatz dazu genießen Juden inden Siedlungen in Ost-Jerusalem seit 1967 alle Vorteile und jeglichenSchutz der israelischen Staatsbürgerschaft.

Die dritte Kategorie setzt sich mit der palästinensischen Minderheitauseinander, die in Israel lebt und die möglicherweise dieproblematischste Komponente in Bezug auf die Etablierung einerrechtlichen Definition von Apartheid darstellt, welche allepalästinensischen Einwohner umfassen. In dieser Kategorie gibt esungefähr 1,7 Millionen Bürger von Israel, denen es erlaubt ist,politische Parteien zu gründen und zu wählen. Doch dieserMinderheit, die ungefähr 20 Prozent der israelischen Bevölkerungausmacht, ist es gesetzlich verboten, den erklärten jüdischenCharakter des Staates zu hinterfragen. Außerdem ist sie Opfer einerganzen Bandbreite diskriminierender Staatsbürgerschaftsgesetzewie auch Verwaltungspraktiken, welche die Rechte derPalästinenser im Hinblick auf Landkauf, Besitz, Einwanderung,Familienzusammenführung und Freiheiten in der Eheschließungstark einschränken. [...]

Eine vierte Kategorie, die das demografisch größte Segment betrifft,umfasst die Palästinenser, die entweder bei den Vereinten Nationenals Flüchtlinge registriert wurden oder gezwungen sind, unfreiwilligim Exil zu leben. In diesem Zusammenhang steht Israels Ablehnungvon Resolution 194 (1948) der Generalversammlung der VereintenNationen, in welcher festgehalten wird, dass Palästinenser, die 1948durch Israel enteignet oder vertrieben wurden sowie ihreNachfahren das Recht auf Rückkehr genießen. Die Resolution 3236

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der Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt diesesRückkehr- oder Wiedereinbürgerungsrecht zu einem„unabdingbarem Recht“, das wahrscheinlich auch für jenehunderttausende Palästinenser gilt, die später durch den Krieg von1967 vertrieben wurden. Soweit bekannt, wurde keinemPalästinenser, der seit der Gründung von Israel im Jahr 1948vertrieben worden ist, erlaubt, von seinem Rückkehrrecht Gebrauchzu machen und seinen Aufenthalt wiederzuerlangen, ganz gleich wiestark seine Wurzeln auch sein mögen. [...]

Unser Bericht kommt zur Schlussfolgerung, dass Israel in Bezug aufdiese vier angeführten demografischen Kategorien daspalästinensische Volk absichtlich zersplittert hat und sich dabei aufsystematische Diskriminierung, einschließlich „unmenschlicherHandlungen“, gestützt hat, um in erster Linie seine Kontrolleaufrechtzuerhalten und palästinensischen Widerstand schwierigerund gefährlicher werden zu lassen, während Israel selbst seineTerritorien ausweitet und damit die Perspektive einerSelbstbestimmung der Palästinenser weiter schwinden lässt.Aufgrund dieser Ergebnisse, die durch angeführte empirischeDaten, einschließlich der Bezugnahme auf offizielle israelischeQuellen, gestützt werden, kamen wir zum dem Schluss, dass derrechtliche Vorwurf der Apartheid fundiert und wohlbegründet istsowie die derzeitige Situation besser beschreibt als jeglicheStandardterminologie zur Besatzung, die im internationalen Dialogverwendet wird und die eher irreführend ist.

Wie eingangs angedeutet, ist es uns absolut bewusst, dass dieserESCWA- Bericht das Ergebnis einer akademischen Untersuchung istund keine verbindliche, von einem offiziellen rechtlichen Gremiumoder einer Regierungsinstitution verfasste Abhandlung zurApartheid darstellt. Wie bereits erwähnt – und zwarwidersprüchlich zu dem, was in Medien berichtet und mittelsdiplomatischer Verleumdungen behauptet wird –, ist der Berichtniemals von den Vereinten Nationen oder auch von ESCWA

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angenommen oder bestätigt worden. Wir würden solch eineAnnahme sehr empfehlen und wir drängen die Vereinten Nationenwie auch nationale Regierungen und die Zivilbevölkerung,Maßnahmen zu treffen, die darauf abzielen, Israel dazu zu bewegen,seine Apartheidherrschaft abzubauen und das palästinensische Volkin einer Art und Weise zu behandeln, die mit den Vorgaben desVölkerrechts, der Menschenrechte wie auch grundlegenderMoralvorstellungen übereinstimmt.

In weiterem Sinne basiert unsere Behauptung, dass sich Israel zueinem Apartheid-Staat entwickelt hat, auf der Tatsache, dass es aufdiplomatischer Ebene keine friedliche Lösung des Konfliktes unddamit auch keine vorhersehbare Perspektive für eine Beendigungdes diskriminierenden Regimes und des andauernden Leidens despalästinensischen Volkes gibt. Es ist ein langanhaltender schädlicherTrugschluss, weiterhin vorzugeben, dass es irgendeine Artausgehandelter Lösung geben wird, sobald nur beide, Israelis undPalästinenser, zu „schmerzhaften Zugeständnissen“ bereit sind.Solange Israel weiterhin daran festhält, ein jüdischer Staat zu sein,gibt es für Palästinenser kein Entrinnen aus dem eisernen Käfig derApartheid. [...]

Ein Politik-Gebot: Von der Beendigungder Besatzung zur Beendigung derApartheid

Seit 1967 verdichtet sich die Hauptforderung all jener, die sich umFrieden zwischen Israelis und Palästinenser bemühen, in demSlogan „Ende der Besatzung“. Grundsätzlich folgen die VereintenNationen dieser Denkweise, in der jedoch die notwendigenVorbedingungen für einen Frieden niemals ganz berücksichtigtwerden – mit Ausnahmen der Perspektiven liberaler Zionisten –, dasie das Leid der Palästinenser auf den territorialen Konflikt

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beschränken. Tatsächlich könnte Israel Frieden haben, der auch vonPalästinensern akzeptiert werden sollte, wenn dieRückzugsbedingungen, wie vom Sicherheitsrat in seiner Resolution242 festgelegt, erfüllt werden und wenn ein palästinensischer Staatmit Ost-Jerusalem als Hauptstadt errichtet oder eine andere Formelgefunden wird, auf die sich beide Staaten einigen können und diebeiden Staaten erlaubt, ihre Flaggen in der geeinten Stadt vonJerusalem wehen zu lassen. Diese Denkweise, die nach wie vor diepolitische Phantasie jener beflügelt, die an der Durchsetzung derIdee eines verhandelten Friedens festhalten, übersieht das Leid unddie traurige Situation der Palästinenser, die seit mehrerenGenerationen in Flüchtlingslager gepfercht oder gezwungen sind,ein unfreiwilliges Exil auf sich zu nehmen. Diese Idee einesvernünftigen Kompromisses setzt die Bereitschaft der Palästinenservoraus, auf jegliches spezifisches Rückkehrrecht zu verzichten. Dasgrundsätzliche Missverständnis dieses allgemeinen Zuganges ist es,zu vergessen, dass der palästinensische Kampf hauptsächlich einKampf um die Rechte eines Volkes und erst sekundär einer umterritoriales Recht ist. [...]

Der Begriff Apartheid spiegelt die Realität, mit der sich diePalästinenser konfrontiert sehen, besser als jener der Besatzungwider. Die allgemeine Situation der palästinensischen Bevölkerungals Ganzes ist von Unterjochung durch eine israelische Politikgekennzeichnet, die sich lediglich an der rassischen Identitätorientiert. Eine Beendigung der Apartheid ist notwendig, umUmstände einer existentiellen Gleichheit zwischen beiden Völkernzu etablieren und damit die wichtigste Bedingung für einekonstruktive Diplomatie zu schaffen, die sich der Konstituierungvon Regeln widmet, die in weiterer Folge zu einem nachhaltigen undgerechten Frieden zwischen diesen beiden Völkern führen.

Vor allem unterstreicht die Akzentsetzung auf die Beendigung einerden Palästinensern auferlegten dominierenden, diskriminierendenund als Apartheid verstandenen Struktur die Legitimität der

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palästinensischen nationalen Bewegung für die Erlangung vonRechten. Apartheid zeigt auf, dass sich der palästinensischeMissstand auf die Menschen wie auch auf die Gebiete und damitfundamentaler und umfassender auf das gesamte Volk bezieht.

Die Existenz der Apartheid anzuerkennen, hat außerdem denpositiven Effekt, die Tendenz ausländischer Regierungen, und zwarbesonders jener der USA, zu überwinden, die meinen, dass dieVerhandlungen Beziehungen zwischen zwei Seiten umfassen, diesich in einem ausgeglichenen Verhältnis gegenüberstehen, das eingleichwertiges Geben und Nehmen zur angemessenen Dimensionder Erwartungen werden lässt. Die Realität der Apartheid hingegenfordert solche Illusionen heraus und verdeutlicht eine Situation derfundamentalen Ungleichheit. Ohne Auflösung der Apartheid bleibtdie Perspektive eines nachhaltigen Friedens eine Chimäre. In diesemZusammenhang ist die Analogie zu Südafrika erleuchtend. DerAbbau der Apartheid war eine Voraussetzung für den Schritt, eineVersöhnung der in Südafrika beheimateten Rassen zu erleichtern.Ohne diese Voraussetzung wäre die Entlassung Nelson Mandelasaus dem Gefängnis eine vergebliche Geste geblieben, die schnellzum Bumerang hätte werden können.

Es war die Hoffnung der Autoren dieses Berichts, dass dessenErgebnisse in Bezug auf die Apartheid zu einem klarerenVerständnis des palästinensischen Leids führen und die VereintenNationen, die Regierungen und die Zivilgesellschaft ermutigen,effektivere Positionen einzunehmen. Außerdem ist unseranhaltender Wunsch, dass Menschen des guten Willens auf derganzen Welt, aber besonders in Israel, auf eine politische Lösunghinarbeiten werden, die es Juden und Palästinensern endlicherlaubt, in nachhaltigem Frieden zusammenzuleben, in einemRahmen, der auch die Lösung gerechtfertigter Beschwerden miteinschließt.

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Richard Falk, Jahrgang 1930, war Professor fürRechtswissenschaften an mehreren Universitäten undzwischen 2008 und 2014 Sondergesandter des UN-Menschenrechtsrats für die palästinensischen

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Autonomiegebiete. Im Auftrag einer UN-Kommissionerstellte Falk eine Studie zur Frage des Umgangs Israelsmit den Palästinensern. Diese wurde nur wenige Stundennach Veröffentlichung aufgrund direkter Intervention desUN-Generalsekretärs Guterres von der Homepage derKommission gelöscht.

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