Eigensprache im Unterricht

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  • 7/23/2019 Eigensprache im Unterricht

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    20 N6 / Juin 2009 Revue Musicale Suisse

    FORUM

    Eigensprache in Supervision und MusikunterrichtIn der SMZ vom Mrz 2009 stellte

    Brigitte Bernhard1die anregenden

    Konzepte fr Einzel- und Gruppen-

    supervisionen vor. Nachfolgendmacht Andreas Cincera auf eine der

    Begleitmethoden aufmerksam, die

    sich fr die Supervision im musi-

    kalischen und musikpdagogischen

    Berufsfeld besonders eignet und im

    Musikunterricht selbst die Lern-

    prozesse der Schler gnstig zu

    beeinflussen vermag. Die Methode

    stellt die Eigensprache des

    Gegenbers ins Zentrum.

    Es ist ein gutes Zeichen, dass an Musik-schulen und im Rahmen der Weiter-bildungsangebote Hospitation, Inter-

    vision und weitere Formen des fach-lichen Austausches einen festen Platzbekommen und gefrdert werden.Eine der angewendeten Methodenstellt die Eigensprache des Gegenbersins Zentrum. Abgeleitet von den grie-chischen Wortbedeutungen idio(eigen) und lexis (Wort, Rede, Spra-che) wird sie als idiolektische Ge-sprchsfhrung bezeichnet. Auchwenn sie ursprnglich im medizi-nisch-therapeutischen Umfeld entwi-ckelt wurde, kann sie ebenso im un-befangeneren Kontext einer Supervi-sion oder gar in Unterrichtssituati-onen eine positive Wirkung entfalten.

    Sich auf das Gegenber einlassenWie bei vielen anderen Methodensteht die Grundhaltung der Gesprchs-leitung an erster Stelle. Sie ist geprgtdurch echtes Interesse am Gegenber,durch eine respektvolle, sich einlas-sende und einfhlende Haltung. Diesim Wissen, dass sich fr jeden Men-schen die (Um)Welt stets ber die eige-ne (subjektive) Erfahrung erschliesstund sich entsprechend in der eigenenSprachverwendung und den eigenenRessourcen widerspiegelt.

    Schon die klassische Erffnungsfra-ge signalisiert, dass es um das Gegen-ber und seine Wahrnehmungen undGedanken geht: Erzhle mir mit dei-nen eigenen Worten, was dich hierherfhrt. Was mchten Sie mir erzh-len? Oder in einer Unterrichtsse-quenz: Was machst du als nchstes andieser Aufgabe?

    Nachfolgend werden die Schlssel-wrter aufgenommen, die das Gegen-ber anbietet. Dabei achten wir dar-auf, dass diese konkret, im Bild blei-ben, sich nicht ins Abstrakte und insberlegen bewegen (Wie- und Was-Fra-gen anstelle von Warum-Fragen). Eswird nur nach beim Gesprchspartner

    erkennbar positiv bewerteten Schls-selbegriffen gefragt, oder es werdennur solche zurck in den Dialog ge-bracht, die er mit seiner Eigensprache

    selbst schon verwendet hat, und zwardann, wenn wir spren, dass er sichdiesen Begriffen in guter Weise ann-hern kann. Die jeweilige (Be)Deutungsoll durch ihn selbst hervortreten: Duhast ... gesagt, wie kann ich mir dasvorstellen, magst du mir das erkl-ren? Ziel ist es, dass die Prozesse oderLsungswege eines Problems durchden Gesprchspartner selbst entdecktwerden und aus eigenen, positivenRessourcen zum Tragen kommen.Dementsprechend versteht sich dieidiolektische Haltung als zieloffen.

    Die richtigen Fragen stellenEs ist eine przise Art, ausschliesslichechte und offene Fragen zu stellen. Zu-dem werden in der Idiolektik die Gedan-

    ken und besonders auch die Empfin-dungen des Gegenbers als etwas sehrPersnliches erachtet, ber das wirnicht verfgen oder neugierig nach-fragen sollten. In der idiolektischen Ge-sprchsfhrung wird darauf vertraut,dass sich das Gegenber dann ffnet,wenn es fr dieses stimmig ist. Darumwird immer ganz konkret nach demTun (Verben) und dem Gegenstand(Substantiv) und ihrer konkreten Be-schaffenheit gefragt. Interessanterweisewurde in der Forschung entdeckt, dassdiese zwei grammatikalischen Formensich in der Sprachentwicklung zuerst

    mit dem vorsprachlichen Wahrnehmenund Wissen verbinden. Es sind auch dieeinzigen grammatikalischen Formen,die in allen Weltsprachen vorkommen.

    Der Einbezug der Eigensprache eig-net sich ganz besonders bei unseremnichtsprachlichen und kreativen Me-dium Musik wie auch dem enormkomplexen Geschehen des musika-lischen Lernens. Strker als die verbaleSprache findet sie auch eine Entspre-chung im nonverbalen und musika-lischen Ausdruck: In einem Coachingzum Thema Auftrittskompetenz be-schrieb eine Musikerin ihr Krperge-fhl whrend ihres geliebten Tan-gotanzes. Sobald sie die spieltech-nischen Herausforderungen in diesemSinn zu choreografieren begann, ver-

    nderten sich das Spielgefhl und dasmusikalische Ergebnis in eindrck-lichster Weise. Brigitte Bernhard wiesin ihrem Artikel auf die zentrale Be-deutung hin, welches der Beziehungs-gestaltung im Unterricht zukommt.Die idiolektischen Grundhaltungenund Fragen untersttzen mich ganzkonkret in meinem Bestreben, stetsbeim Gegenber zu sein und meineInterpretationen hintanzustellen.

    Eigensprache in der PraxisWeitere Beispiele aus der Supervisionund dem Unterrichtsalltag vermittelneinen ersten Eindruck ber die produk-

    tive Wirkung des Eingehens auf dieEigensprache. Lehrperson in einer Ein-zelsupervision: Ich spre bei mir undmeinem Schler S. eine Anspannung,alles ist so ernst. Ernsthaftigkeit istzwar etwas, was mir wichtig ist. Bei die-sen 30-Minuten-Lektionen kann ich aberberhaupt nichts vertiefen. Wenn duGelegenheit bekommst, etwas zu vertie-fen, wie kann ich mir dies konkret vor-stellen? Als es S. schwer fiel, die Fingerder linken Hand in der Position zu hal-ten beim Saitenwechsel, ohne die Into-nation zu verlieren, habe ich mit ihm zuexperimentieren begonnen. So habenwir die Hand absichtlich verrutschenlassen in die eine oder andere Richtung,die Melodie wurde immer tiefer oderimmer hher. Der Schler hat viel ge-lacht dabei. Am Schluss gelang es ihm,den Wechsel auch parallel zu machen.Seither funktioniert dies viel besser (kur-ze Pause). Eigentlich ist es viel besser,nicht jedesmal an allen aktuellen Aufga-ben zu arbeiten. Das bleibt an der Ober-flche. S. nimmt viel mehr mit aus derStunde, wenn wir ein oder zwei Themenin verschieden Richtungen ausloten.Die Lehrperson kann ber das eigeneSchlsselwort vertiefen zu einem be-friedigenderen Umgang mit der Unter-

    richtssituation gelangen.Ein siebenjhriger Schler (miteinem ungarischen Elternteil) wird er-muntert, mit krftigem Klang zu spie-

    len. Wie klingt das so fr dich? Dasist Musik mit Paprika. Das eigensprach-liche Paprika steht in diesem Unter-richt noch ber Monate und Jahre alsSymbol fr eine entsprechende Klang-gebung und die dafr gnstige Spiel-technik.

    Und darf ich Ihnen die Megaquartevorstellen (Bezeichnung eines jungenSchlers fr die bermssige Quarte)?In meinem Unterricht entstehen so mitder Zeit ganz individuelle Sprach-welten, die von den jeweiligen Schlernselbst geprgt und gestaltet werden.

    Eine sechzehnjhrige Schlerin: Esfhlt sich in der Hand verkrampft an.Kannst du mir sagen, in welchen Situ-ationen die Hand sich fr dich nichtverkrampft anfhlt? Zum Beispiel,

    wenn ich in der Mittagspause am Seespazieren gehe. Magst du mir erzh-len, wie du am See spazieren gehst?Dann laufe ich so dem Ufer entlang.() Dann schlendere ich so, und dasfhlt sich ganz entspannt an in den Ar-men. Magst du versuchen, deine Handauf die Saiten zu legen, als wenn du soam Ufer schlendern wrdest? DieSchlerin macht diese Bewegung hinauf die Saiten und spielt ein paar Tne:Jetzt fhlt es sich viel lockerer an.

    Das Faszinierende in idiolektischgefhrten Gesprchen sind die Mo-mente, bei denen die tiefer liegendenBedeutungen der Wrter zueinander

    in Beziehung kommen, sich neu ver-netzen. Dank dem Ansprechen vonpositiven Erfahrungen und Vorstellun-gen ffnen sich bisher verborgeneeigene Ressourcen. Die Lern- und Ver-nderungsprozesse kommen in Fluss,in den Flow, wie auch die aktuelleneurodidaktische Forschung nachzu-weisen vermag. Whrend in meinemUnterricht die auf Eigensprache basie-renden Gesprche meist auf eine kur-ze Sequenz beschrnkt sind, spannensich solche im Supervisionsprozess jenach Situation oder Bedarf ber eineganze Einheit.

    Die Anwendung einer konsequentenidiolektischen Gesprchsfhrung2braucht lngeres und stetes Trainingmit erfahrener Begleitung (ausgebil-dete Dozenten3). Es kann aber schonanregend sein, sich selbst darin zuben, mglichst auf die Eigenspracheder Lernenden und auf positive Ange-bote/Ressourcen zu achten und diese inden Lernprozess einzubeziehen.

    Andreas Cincera

    Anmerkungen:1 Brigitte Bernhard:Neue Sichtweisen

    erschliessen,in: SMZ3/2009, S. 52 Daniel Bindernagel et. al.:Ich spreche,

    so bin ich. Handbuch der Idiolektik,

    GIG, Wrzburg 20083 GIG Gesellschaft fr Idiolektische

    Gesprchsfhrung

    > www.idiolektik.de

    Weiterbildung

    Das Institut fr Musik und Pda-gogik IMP und die PartnerschuleMusikhochschule Lugano bietenin Zrich in Zusammenarbeitmit dem Institut PdagogischesPraxiszentrum Uster PPZ/der Pd-agogischen Hochschule Graubn-den einen Zertifikationslehr-gang (CAS) an, in dem erfahreneMusiklehrpersonen die Kompe-tenzen und Berufsqualifikationenerwerben fr schulpraktische Be-ratung mit Schwerpunkt Musik-

    pdagogik. Mit einem zweitenCAS am PPZ ist ein Abschluss inSupervision im Bildungswesenmglich. Beide Abschlsse sindISSVS-anerkannt (Abschluss mitgeschtztem Berufstitel). Das er-weiterte Berufsfeld spannt sichvon der Leitung von Aus- und Wei-terbildungskursen bis hin zur Su-pervision. In diesen Ausbildungs-gngen lernen die Teilnehmendendie in diesem Artikel beschrie-bene idiolektische Gesprchsfh-rung kennen und anwenden, zu-sammen mit weiteren ressourcen-

    orientierten Methoden und Aus-bildungsthemen.> www.imp-uls.ch