Ein Baukasten für Nanotransporter · Planck-Institut für Kolloid- und Grenz-flächenforschung...

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Wirkstoffe einer Chemotherapie, Mittel zum Korrosionsschutz oder Vitamine: Substanzen in winzige Container zu packen, sie an ein Ziel nach Wunsch – bei Bedarf auch im menschlichen Körper – zu verfrachten und dort zu entladen wäre für viele Anwendungen interessant. Helmuth Möhwald und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenz- flächenforschung entwickeln die Methoden, die das möglich machen. Ein Baukasten für Nanotransporter

Transcript of Ein Baukasten für Nanotransporter · Planck-Institut für Kolloid- und Grenz-flächenforschung...

  • Wirkstoffe einer Chemotherapie, Mittel zum Korrosionsschutz oder Vitamine: Substanzen

    in winzige Container zu packen, sie an ein Ziel nach Wunsch – bei Bedarf auch im menschlichen

    Körper – zu verfrachten und dort zu entladen wäre für viele Anwendungen interessant.

    Helmuth Möhwald und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenz-

    flächenforschung entwickeln die Methoden, die das möglich machen.

    Ein Baukasten für Nanotransporter

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    Matroschka-Kapsel: Mehrere unterschiedlich gefärbte Hohlkugeln, die sich umeinanderschlie-ßen, können verschiedene Stoffe aufnehmen.

    S chon eine Zugfahrt von Ber-lin nach Potsdam verläuft nur reibungslos, weil der Trans-port gut organisiert ist: Der Zug rollt in den Berliner Haupt-

    bahnhof ein, die Reisenden öffnen die Türen und strömen hinein, während die Ansage „Bitte einsteigen!“ ertönt. Durch ein ziemlich unüberschaubares Schienennetz findet der Zug nun zielsi-cher den Weg zum Bahnhof Potsdam. Dort öffnen sich erneut die Türen, und eine Automatenstimme bittet die Fahr-gäste freundlich, den Zug zu verlassen. Wie aufwendig es ist, ein solch alltägli-ches Transportsystem zu planen und zu betreiben, merken die Passagiere vor al-lem, wenn es nicht funktioniert: Geeig-nete Plätze und Mechanismen für den Ein- und Ausstieg müssen ebenso ge-schaffen werden wie ein Transportweg und die Steuerung, die einen Zug an den richtigen Ort führt.

    Nicht weniger kompliziert ist ein Transportsystem, das einen viel kleine-ren Ort als einen Bahnhof ansteuern soll, um dort eine Fracht im Nanomaß-stab auszuliefern. Potsdam, genauer ge-sagt: Potsdam-Golm ist genau das rich-tige Reiseziel, um zu erfahren, wie das funktioniert. Denn am dortigen Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenz-flächenforschung entwickeln Helmuth Möhwald und seine Kollegen bereits seit über 20 Jahren Mikro- und Nano-kapseln, die genau das können. Die Wis-senschaftler untersuchen, wie Mikro- und Nanotransportsysteme beschaffen

    sein müssen, um beispielsweise phar-mazeutische Stoffe im Körper gezielt an den Ort zu bringen, an dem sie wirken sollen, und sie dort freizusetzen.

    Dies könnte unter anderem einen Ausweg aus dem Dilemma eröffnen, vor dem Ärzte stehen, wenn sie eine Krebserkrankung mit einer Chemothe-rapie bekämpfen müssen: Die giftigen Substanzen hemmen nicht nur das Wachstum der Tumorzellen, sondern schädigen auch das gesunde Gewebe. Wirkstoffe erst exakt am Krankheits-herd freizusetzen bietet sich als Lösung für dieses Problem an. Außerdem soll-ten Medikamente bei vielen Krankhei-ten über eine längere Zeit wirken. Trans-portkapseln, wie sie die Golmer For-scher entwickeln, können Wirkstoffe langsam freisetzen und so eine Krank-heit dauerhaft bekämpfen.

    EIN EINFACHES PRINZIP MIT VIELFÄLTIGEM NUTZEN

    Auch außerhalb der Pharmazeutik wä-ren Mikro- und Nanocontainer für den Stofftransport nützlich. Sie könnten beim Korrosionsschutz, in der Bioche-mie, bei Oberflächenbeschichtungen und in der Mikromechanik zum Einsatz kommen. „Die flexiblen Anwendungs-möglichkeiten machen die Entwicklung ganz besonders attraktiv“, sagt Helmuth Möhwald, der seit 1993 Direktor am Max-Planck-Institut ist und seitdem auch die Arbeitsgruppe „Grenzflächen“ leitet: „Aus einem einfachen Prinzip kann man so vielfältigen Nutzen erzie-len und Lösungen für die verschiedens-ten Probleme finden.“

    TEXT REBECCA WINKELS

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  • „Wir sind heute prinzipiell in der Lage, aus Polymeren Container herzustellen, die nur wenige Hundert Nanometer groß sind und jeden Wirkstoff an fast jeden Ort im Körper schleusen und dort freisetzen können. Es ist schwierig, alle erforderlichen Eigenschaften gleichzei-tig zu realisieren“, sagt Möhwald. „Dass wir das nun beherrschen, ist ein riesiger Fortschritt im Vergleich zu den Anfän-gen der Forschungen hier in Golm.“

    Anfangs untersuchten er und seine Kollegen chemische, biologische und physikalische Vorgänge, die sich an Grenzflächen zwischen biologischen Membranen und deren gasförmiger oder flüssiger Umgebung abspielen. Biologi-sche Membranen bestehen aus einer Doppelschicht, die sich aus Fettmole-külen, Proteinen und Mehrfachzuckern zusammensetzt. Um ihre Eigenschaften besser studieren zu können, betrachten die Forscher als Modell eine Hälfte der Membran, die sie zunächst mit einzel-nen Molekülen beschichteten. Die so entstandenen Monoschichten auf einer Oberfläche ermöglichten es ihnen, die Eigenschaften biologischer Membranen besser zu verstehen und die Wechsel-wirkungen zwischen Grenzflächen und ihrer Umgebung zu untersuchen. Dabei stand die Phospholipid-Monoschicht im Vordergrund, die sich durch eine beson-dere Domänenstruktur und viele ver-schiedene Phasen auszeichnet. Der Zu-stand der Monoschicht variiert zwischen fest und flüssig, wenn diese mit anbin-denden Proteinen, DNA-Strängen oder anderen Biomolekülen wechselwirkt.

    Auf den Erkenntnissen dieser Unter-suchungen bauen die Potsdamer Wis-senschaftler auf, wenn sie organische Multischichten aus negativ und positiv geladenen Polymeren entwickeln, die einfacher herzustellen und zu handha-ben sind als etwa Lipidmembranen. Da-

    bei nutzen sie die elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen den un-terschiedlich geladenen Molekülen aus: Sie tauchen ein Material mit einer ne-gativ geladenen Oberfläche in eine Lö-sung mit positiv geladenen Molekülen, sodass sich diese auf der Oberfläche ab-setzen. So entsteht eine etwa einen Na-nometer dicke, positiv geladene Schicht aus genau einer Moleküllage. „Das ist ein Beispiel für Selbstorganisation, bei der wir nur die Wechselwirkungen der Moleküle untereinander ausnutzen und die einzelnen Schichten sich sozusagen selbst gegeneinander abgrenzen“, sagt Helmuth Möhwald.

    MANCHE FRACHT BRAUCHT EINE BESONDERE LOGISTIK

    Im nächsten Schritt bindet die Oberflä-che nun negativ geladene Moleküle. Auf diese Weise können die Forscher beliebig viele, abwechselnd positiv und negativ geladene Schichten übereinan-derlegen, und zwar sowohl auf einer ebenen Fläche als auch um ein Teil-chen, das für einen Transport verpackt werden soll. Die Größe und die Form

    der Vehikel hängen dann vom einge-hüllten Material ab und lassen sich für jeden Stoff eigens festlegen.

    Nicht jede Fracht kann jedoch so einfach verpackt werden. In solch einem Fall setzen die Potsdamer Wissenschaft-ler auf eine andere logistische Lösung. Ändern sie nämlich die Bedingungen wie etwa die Temperatur, die Konzentra-tion und den pH-Wert in der Polymer-lösung geschickt, können sie den Kern auflösen, und es bilden sich Hohlkugeln mit den Ausmaßen der Matrizen. Auf diese Weise ein Transportmittel für me-dizinische Wirkstoffe zu schaffen ent-puppt sich dabei manchmal als beson-dere Herausforderung. Denn für den Wirkstofftransport eignen sich oft nur Nanokapseln, da nur sehr kleine Contai-ner die Zellmembran passieren können. Polymervehikel zu produzieren, die klei-ner als 100 Nanometer sind, ist aller-dings diffizil, da solch winzige Hohlku-geln sich leicht zu einem unbrauchbaren Konglomerat zusammenballen. Das ver-hindern die Forscher, indem sie mit stär-ker verdünnten Lösungen arbeiten, in denen die fertigen Hohlkugeln sich kaum noch begegnen. „Letztlich ist das Fo

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    Tatiana Kolesnikova bereitet den Prozess vor, in dem mit fluoreszierenden Molekülen ver-sehene Mehrfachzucker in die Polymerkapseln geschleust werden (links). Die Eigenschaften der Kapselwände, etwa deren Dicke und Rauheit, untersucht sie mit einem Rasterkraft-mikroskop (rechts). Bevor sie das Gerät startet, schließt sie den Deckel der mit Schaumstoff ausgekleideten Box, um die empfindliche Messung vor Erschütterungen zu schützen.

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    aufwendiger als die Herstellung größe-rer Vehikel, aber auch dafür haben wir verschiedene Methoden gefunden“, so Helmuth Möhwald.

    In die Container, die so entstehen, müssen medizinische Wirkstoffe oder andere Substanzen nachträglich einge-schleust werden. Vergleichbar mit der Tür eines Zuges, die sich für den Ein-stieg öffnet und während der Fahrt ge-schlossen bleibt, soll eine Kapsel den

    Wirkstoff aufnehmen und erst an ih-rem Wirkort wieder freigeben. Zu die-sem Zweck konstruieren die Forscher die Kapselwand so, dass sie bei Bedarf durchlässig wird. Wie die Potsdamer Wissenschaftler herausgefunden haben, lassen sich die Dicke und die Dichte der Kapselwand und somit ihre Durchläs-sigkeit bereits durch Änderungen der Temperatur und des Salzgehaltes der Lösung kontrollieren.

    Erhöhen die Materialwissenschaftler etwa die Temperatur, bewegen sich die molekularen Bausteine der Kapselwand stärker, die Hülle weicht auf. Das kann zwei genau entgegengesetzte Wirkun-gen haben: Der Container schrumpft, oder er schwillt an. Ziehen sich die Hohlkugeln zusammen, lösen sich die Bindungen zwischen den verschieden geladenen Polymerschichten auf, ihre Bestandteile vermischen sich und flie-ßen ineinander. So wird die Wand di-cker und dichter und schließt den Wirkstoff im Inneren ein. Geraten die Schichten in Bewegung, kann das aber auch den genau gegenteiligen Effekt haben. Wenn sich die unterschiedlich geladenen Schichten nämlich vonein-ander trennen, neutralisieren sie sich nicht länger gegenseitig. Die gleich ge-ladenen Teilchen einer einzelnen Lage spüren sich dann stärker – sie stoßen sich ab und streben auseinander. In der Folge bläht sich die Polymerwand auf, sie wird dünner und durchlässiger.

    Um die Wand wieder zu verschlie-ßen, neutralisieren die Forscher die elektrischen Ladungen mit einem Salz und verdichten so die Wand. „So lässt sich die Wandpermeabilität gezielt und reversibel steuern“, sagt Tatiana Koles-nikova, Postdoc am Golmer Max-Planck-Institut. „Wir können also ent-scheiden, wann Wirkstoffe durch die Kapselwand hindurchgelangen.“ Nach diesem Prinzip beladen sie und ihre Kollegen die Kugeln nicht nur mit Wirk-

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    Verpackungskunst im Reagenzglas: Ein Mechanismus, um Substanzen in die Mikro- und Nanosphären zu schleusen, setzt auf einen Effekt des Lösemittels. In Wasser hält die Kapselwand dicht (links), in einem Wasser-Ethanol-Gemisch wird sie durchlässig – die grün leuchtende Testladung dringt in die Hohlkugeln ein. In Wasser schließt sich die Polymerwand wieder.

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    Wasser Wasser-Ethanol-Gemisch Wasser

  • stoffen, sie setzen die Substanzen auf diese Weise auch dort frei, wo sie benö-tigt werden.

    Aber nicht nur über die Temperatur lässt sich die Permeabilität kontrollie-ren, sondern auch über eine Änderung des pH-Wertes. In Krebszellen beispiels-weise liegt der pH-Wert unter dem von gesundem Gewebe. Dringt eine mit ei-nem Zellgift beladene Kapsel in eine Krebszelle ein, wird ihre Wand daher durchlässiger, und der Wirkstoff ent-weicht. „Einen ähnlichen Mechanis-mus können wir auch beim Korrosions-schutz nutzen. Denn in der Nähe des Korrosionsflecks herrscht ein anderer pH-Wert als im unbeschädigten Mate-rial“, erläutert Möhwald.

    Um Wirkstoffe möglichst genau und konzentriert an einem bestimmten Ort im Körper zu entladen, braucht der Container jedoch regelrechte Türen, die sich von außen öffnen lassen. Auch dafür findet sich im Chemiebaukasten der Max-Planck-Forscher etwas Passen-des: Moleküle oder Nanopartikel, die sich in die Hülle einbauen lassen und als Türöffner wirken. Spicken die Wis-senschaftler die Kapselwand etwa mit Goldpartikeln, können sie die Wand punktgenau mit einem infraroten Lichtreiz öffnen: Die Goldteilchen hei-zen sich im Infrarotlicht auf und er-wärmen ihre Umgebung, sodass die La-dung genau an dieser Stelle durch die Hülle entweicht. „Auch mit Ultraschall,

    Mikrowellen oder chemischen Reakti-onen, bei denen das Polymer zum Bei-spiel enzymatisch abgebaut wird, kön-nen wir die Stoffe gezielt freisetzen“, sagt Kolesnikova. Entsprechende Bau-steine, die sich in die Vehikelhülle in-tegrieren lassen und die Container über diese Mechanismen öffnen, ha-ben die Forscher in Potsdam ebenfalls entwickelt.

    AN KALKMATRIZEN ENTSTEHEN MULTIFUNKTIONELLE KAPSELN

    Aus welchen Partikeln die Forscher die Hülle aufbauen und in welcher Größe sie die Nanokapseln konstruieren, hängt von dem Wirkstoff ab, den sie transpor-tieren wollen. Goldteilchen, die Infra-rotlicht absorbieren, sind jedoch gerade für medizinische Anwendungen beson-ders interessant, weil Strahlung dieser Wellenlänge bis zu einen Zentimeter tief ins Gewebe eindringt und die Par-tikel Licht etwa eine Million Mal besser absorbieren als Farbstoffmoleküle. „So können wir in einer Zelle gezielt eine Kapsel auswählen, die zu einem genau festgelegten Zeitpunkt einen Wirkstoff abgibt. Wir können gleichzeitig oder nacheinander sogar verschiedene Wirk-stoffe freisetzen“, so Möhwald.

    Um verschiedene Bausteine mit un-terschiedlichen Funktionen in Hohlku-geln einzubauen und dabei Container in einer exakten Größe herzustellen, haben die Potsdamer Forscher erst kürz-lich eine elegante Methode präsentiert. Fo

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    Schrumpfkur mit Hitze: Wenn die Temperatur steigt, ziehen sich Polymerkapseln zusammen. Ihre Wände versteifen sich dabei, und die Kugeln bleiben auch unter dem Raster elektronenmikroskop in Form.

    Luken in der Kapsel: Die kugelförmig dargestellten Goldpartikel in der Polymerhülle dienen als Antennen für besonders gewebeverträgliches Infrarotlicht, welches das Edelmetall aufheizt. Dabei schmilzt die Kapselwand in der direkten Umgebung der Teilchen, sodass die grün fluoreszierenden Partikel freigesetzt werden. Sobald der Lichtstrahl abgeschaltet wird, schließt die Wand sich wieder.

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    Sie nutzen dazu Calciumcarbonat-, also Kalkkügelchen als Matrizen. Mit den Nanopartikeln, die am Ende die Hülle bilden und dabei verschiedene Funkti-onen übernehmen, sowie der Fracht der Transportcontainer beladen sie zunächst die Poren der Kalkpartikel. Danach mi-schen sie die gefüllten Kalkkugeln in eine Lösung kurzer Aminosäureketten oder anderer Polymere. Wie Fäden le-gen sich die Moleküle in die Poren und um die gefüllten Kalkkugeln und wer-den mit einem weiteren Protein- oder Polymerbaustein zu einem dichten Ge-spinst vernetzt. Wenn die Forscher nun den Kalk mit einer Säure entfernen, for-men die Nanopartikel in der Hülle aus Protein- oder Polymerfäden von selbst Hohlkugeln und nehmen dabei exakt die Größe der Kalkkugeln an.

    „Diese Methode ist leichter zu kon-trollieren, schneller umsetzbar und kos-tengünstiger als bisherige Techniken, mit denen sich derartige Container her-stellen lassen“, sagt Möhwald. Und wenn es um Vehikel für eine medizini-sche Fracht geht, dann erweist sich auch die Proteinhülle als äußerst nütz-

    lich. Denn sie begrenzt nicht nur die Größe der Hohlkugeln, sie sorgt außer-dem dafür, dass die Container nicht verklumpen, und macht sie biokompa-tibel. Das Proteingeflecht verhindert etwa, dass die Kolloidsphären im stark salzhaltigen Milieu des Körpers instabil werden.

    SIGNALPEPTIDE WIRKEN WIE INTERAKTIVE ADRESSZETTEL

    Egal, nach welcher Bauanleitung die Forscher Mikro- und Nanocontainer für einen medizinischen Einsatz zusam-menbauen, sie müssen für die Hülle im-mer Materialien wählen, die keine Im-munreaktion provozieren, damit die Abwehrzellen des Körpers die Wirk-stoffvehikel nicht vor deren Ziel abfan-gen. Oder die Materialwissenschaftler gestalten die Container so, dass diese den Fresszellen des Immunsystems ent-kommen können. Lange und dünne Container etwa sind für Makrophagen, die jegliche Eindringlinge und Fremd-körper im Organismus beseitigen, schlechter zu packen.

    Einen Wirkstoffcontainer am Immun-system vorbeischleusen und gezielt ent-laden zu können hilft jedoch nur, wenn der Transport auch den Weg zum Ziel findet. Was beim Auto das Naviga-tionsgerät übernimmt, erledigen bei den Wirkstoffcontainern Signalpeptide, die wie interaktive Adresszettel wirken: an die Polymerhülle gekoppelte An-hängsel, die nur zu Rezeptoren auf der Zielzelle passen. Sie dirigieren die Kap-sel dorthin, weil sie so lange durch den Körper wandern, bis ihre Adressanhäng-sel an den passenden Rezeptoren der Zielzelle andocken.

    Die Palette der Methoden, um Mik-ro- und Nanocontainer mit diversen Ei-genschaften maßzuschneidern, haben Helmuth Möhwald und seine Kollegen in jahrelanger Forschungsarbeit entwi-ckelt. „Es braucht eigentlich nur eine Idee für eine bestimmte Eigenschaft der Container, und dann können wir fast al-les machen“, sagt Tatiana Kolesnikova.

    Um jedoch eine detaillierte Bauan-leitung für die pharmazeutische Praxis formulieren zu können, müssen die Me-thoden für jeden konkreten Fall opti-

    Konstrukteur der Nanotransporter: Helmuth Möhwald hat mit seinen Mitarbeitern eine breite Palette an Methoden entwickelt, um Polymerkapseln mit verschiedenen Funktionen auszustatten. Das Poster und die Bildschirme im Hintergrund zeigen mit Rasterkraft-mikroskopen erstellte Bilder von Oberflächen etwa der Kapselwände.

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    miert werden. Denn der Anforderungs-katalog für die Kapseln ergibt sich erst aus der zu befördernden Substanz und dem Ziel und Zweck im Körper. Sie dür-fen nicht zu groß sein, müssen sich an die biochemischen Gegebenheiten am Wirkort anpassen und sollen am Ziel eine ideale Konzentration des Wirkstoffs erzeugen. Nach dem genauen Design der Container richtet sich wiederum die Technik, mit der die Kapseln hergestellt werden. „Das ist einer der Gründe, war-um die industrielle Anwendung noch stockt. Die Methoden müssen für be-stimmte Wirkstoffe stark spezialisiert werden“, erklärt Helmuth Möhwald. „Das ist aufwendig und teuer, aber aus wissenschaftlicher Sicht möglich.“

    KOLLOIDSPHÄREN ALS VENTILE IN MIKROPUMPEN

    Einsetzen ließen sich Kapseln, wie sie die Golmer Forscher entwickelt haben, jedenfalls nicht nur, um Krankheiten zu bekämpfen. Möhwald sieht vielmehr eine ganze Reihe sehr konkreter und sehr unterschiedlicher Einsatzmöglich-keiten, beispielsweise in Nahrungser-gänzungsmitteln. So sollen Vitaminge-tränke Vitamine in hoher Konzentration enthalten und dabei möglichst klar bleiben. „Es soll lecker aussehen und ef-fektiv sein“, sagt Möhwald. „Genau das könnten wir erreichen, wenn wir die Vitamine hochkonzentriert in farblose Nanokapseln verpacken.“

    Zudem könnten die Hohlkugeln als Bestandteil von Autolackierungen nütz-lich sein. Denn viele der derzeit zum Korrosionsschutz eingesetzten Substan-zen, wie etwa Chrom-6-Verbindungen, schaden der Gesundheit und müssen ersetzt werden. Die unschädlichen Wirkstoffe stören jedoch den Beschich-tungsprozess und werden leicht aus der Beschichtung herausgelöst. Daher ent-

    wickeln die Wissenschaftler momentan Kapseln, die gesundheitsverträgliche al-ternative Wirkstoffe einschließen und diese nur bei Bedarf freisetzen.

    Mit der Funktion als Container für zu verkapselnde Substanzen erschöpfen sich die Anwendungsmöglichkeiten der Hohlkugeln jedoch nicht. Die Kolloid-sphären eignen sich auch als mikrome-chanische Bauteile, etwa als durch die Salzkonzentration gesteuerte Ventile in Mikropumpen. Denn bei einem hohen Salzgehalt in ihrer Umgebung bläht sich eine Hohlkugel auf und kann ei-nen Kanal verstopfen. Sinkt die Salz-konzentration, schrumpft sie und gibt den Kanal wieder frei. „Unser modula-res Konzept ließe sich also in vielen Be-reichen anwenden“, so Möhwald.

    Vor allem in der Medizin reicht es jedoch nicht, wenn die Mikro- oder Nanotransporter zuverlässig alle nöti-gen Funktionen ausüben. Eine Chance

    auf dem Arzneimittelmarkt haben sie nur, wenn sie anwenderfreundlich sind und von den Patienten auch angenom-men werden. So scheiterte der Vertrieb eines Insulinpräparats, das Diabetiker inhalieren konnten, vor einigen Jahren daran, dass die Leute das Medikament weiterhin lieber spritzten. Ob das an mangelndem Vertrauen in eine neue Technik lag oder an anderen Gründen, ist nicht klar. Doch das Beispiel zeigt, wie schwer der Schritt für eine aus wis-senschaftlicher Sicht erfolgreiche Me-thode in die Praxis sein kann. Für die Grundlagenforscher sei die Mission da-her noch nicht beendet, so Helmuth Möhwald: „Wir sehen unsere Aufgabe darin, Möglichkeiten der Anwendung aufzuzeigen, und hoffen, dass wir zu-mindest für einfache Anwendungen den praktischen Nutzen beweisen und industrielle Partner davon überzeugen können.“

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    GLOSSAR

    Kolloide: Bis zu etwa einem Mikrometer große Teilchen etwa aus einem Polymer oder Tröpfchen, die fein verteilt in einem anderen Medium, meist einer Flüssigkeit, vorliegen.

    Permeabilität: Durchlässigkeit.

    Phase: Bereich mit homogener chemischer Zusammensetzung und gleichen physikalischen Eigenschaften. Dampf über Wasser und über Wasser geschichtetes Öl bilden jeweils ein Zwei-Phasen-System.

    AUF DEN PUNKT GEBRACHT● Nano- und Mikrokapseln, die Wirkstoffe einschließen, lassen sich aus vielfältigen

    Materialien herstellen und mit unterschiedlichen Funktionen ausstatten.

    ● Die Kolloidsphären eignen sich als Container für medizinische Wirkstoffe etwa einer Chemotherapie, aber auch für den Korrosionsschutz oder als mikromechani-sche Bauteile.

    ● Für konkrete Anwendungen müssen die Kapseln und die Methoden ihrer Her-stellung jeweils optimiert werden – die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung haben dafür eine breite Palette von Mög-lichkeiten geschaffen.

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