Ein Beitrag zum Verständnis der Relevanz des Chemieunterrichts

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DOI: 10.1002/ckon.201410227 Ein Beitrag zum VerstȨndnis der Relevanz des Chemieunterrichts Marc Stuckey,* [a] Jan P. Sperling,* [b] Avi Hofstein,* [c] Rachel Mamlok-Naaman* [c] und Ingo Eilks* [d] Zusammenfassung: „Relevanz“ ist ein hȨufig gebrauchter Begriff im Zusammenhang mit naturwissenschaftli- cher Bildung. Oftmals heißt es, das Lernen der Naturwissenschaften – insbesondere auch von Chemie – mɒsse relevanter oder die Relevanz naturwissenschaftlicher Bildung den Lernenden besser verdeutlicht werden. Viel- fach wird dies damit begrɒndet, dass Schɒlerinnen und Schɒler den Chemieunterricht als wenig relevant emp- finden. Doch was ist eigentlich gemeint, wenn wir von Relevanz im Zusammenhang mit Chemieunterricht sprechen? Dieser Artikel diskutiert verschiedene Bedeutungen des Begriffs ,Relevanz( im Zusammenhang na- turwissenschaftlicher Bildung und schlȨgt, aus der Literatur abgeleitet, eine Definition und ein Modell fɒr das VerstȨndnis dieses Begriffes vor. Berichtet wird auch ɒber einen ersten Beitrag zur Prɒfung des Modells in einer Gruppendiskussionsstudie mit Lehramtsstudenten und LehrkrȨften. Insgesamt zeigte sich das Modell als tragfȨhig. Die Studie erlaubt aber auch Einblicke in die Gewichtung der verschiedenen Dimensionen von Rele- vanz naturwissenschaftlicher Bildung bei angehenden und erfahrenen ChemielehrkrȨften. Stichworte: Bildung · Chemieunterricht · Relevanz A contribution to the understanding of the relevance of chemistry teaching Abstract: (Relevance) is a frequently used term regarding science education. In many cases, it is suggested to make science education in general, and chemistry education in particular, more relevant or to better clarify the relevance of science education to the learner. Justification is given by many studies reporting a perceived irrelevance of chemistry education among secondary school students. But what do we mean when the term relevance is used in connection to chemistry education? Derived from the literature, this paper discusses the different meanings of the term relevance and suggests a definition as well as a model for its understanding. The paper reports a first contribution for validating the model by a focus group study with student teachers and teachers. Overall, the model showed a good fitting. The study also allows insights into weighting the different dimensions of relevance of science education among prospective and experienced chemistry teachers. Keywords: education · chemistry teaching · relevance 1. Einleitung ,Relevanz( ist ein hȨufig benutzter Begriff, wenn es um Refor- men des naturwissenschaftlichen Unterrichts geht. Es wird un- terstellt, dass viele Lernende naturwissenschaftlichen Unter- richt (insbesondere in Chemie und Physik) als „irrelevant“ empfinden und dass ihnen mçgliche Auswirkungen eines feh- lenden VerstȨndnisses von Naturwissenschaft und Technik fɒr ihr Leben nicht klar gemacht werden [1]. Als Folge werden zu wenig Motivation und Interesse bei Schɒlerinnen und Schɒ- lern und ein Mangel an FachkrȨften im naturwissenschaftlich- technischen Bereich beklagt [1,2]. So wurden LehrkrȨfte immer wieder mit Forderungen konfrontiert, den naturwissen- schaftlichen Unterricht ,relevanter( zu machen [3,4]; und solche Forderungen gibt es schon seit Jahrzehnten: „Im Verei- nigten Kçnigreich (UK) sind die LehrkrȨfte der Naturwissen- schaften zunehmend dazu angehalten, ihren Unterricht relevan- ter zu machen. Allerdings scheint der Relevanzbegriff stark be- haftet zu sein mit Inkonsistenz, Unklarheit und Mehrdeutigkeit. […] Der Begriff der Relevanz ist nicht einfach. Es erscheint im einfachsten Fall wenig hilfreich und im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv, LehrkrȨfte mit einem Begriff antreiben zu wollen, der abstrakt und diffus ist. Es wird hilfreich sein, wenn wesentliche Aspekte des Relevanzbegriffs geklȨrt werden.” [ɒbersetzt aus 4, S. 7 f.] Wie hier bereits angedeutet, fȨllt allerdings bei einer sorgfȨlti- gen Analyse der Literatur auf, dass der Begriff ,Relevanz( auch heute noch hȨufig diffus und teilweise ganz unterschied- lich verwendet wird [5]. Dadurch sind entsprechende Forde- rungen allein schon deswegen schwierig umzusetzen, weil nicht immer klar ist, was genau mit Relevanz gemeint ist. Diese Unklarheit besteht auch in Deutschland. Hier wird bei- spielsweise in den Bildungsstandards [6] von Relevanz gespro- chen, etwa beim Zusammenhang von Inhalten und Basiskon- zepten: „Die in der Schule relevanten chemischen Fachinhalte [a] Dr. M. Stuckey IGS Wilhelmshaven Friedenstraße 105-111 26386 Wilhelmshaven * E-Mail: [email protected] [b] J. P. Sperling Robert-Bosch-Gesamtschule Richthofenstraße 37 31137 Hildesheim * E-Mail: [email protected] [c] Prof. em. Dr. A. Hofstein, Dr. R. Mamlok-Naaman Weizmann Institute of Science Department of Science Teaching Rehovot, 76100, Israel avi.hofstein@ weizmann.ac.il rachel.mamlok@ weizmann.ac.il [d] Prof. Dr. I. Eilks UniversitȨt Bremen – Fachbereich 2 – IDN Leobener Str. NW 2 28359 Bremen * E-Mail: [email protected] CHEMKON 2014, 21, Nr. 4, 175 – 180 # 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 175 ARTIKEL CHEMKON

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DOI: 10.1002/ckon.201410227

Ein Beitrag zum Verst�ndnis der Relevanz desChemieunterrichts

Marc Stuckey,*[a] Jan P. Sperling,*[b] Avi Hofstein,*[c] Rachel Mamlok-Naaman*[c]

und Ingo Eilks*[d]

Zusammenfassung: „Relevanz“ ist ein h�ufig gebrauchter Begriff im Zusammenhang mit naturwissenschaftli-cher Bildung. Oftmals heißt es, das Lernen der Naturwissenschaften – insbesondere auch von Chemie – m�sserelevanter oder die Relevanz naturwissenschaftlicher Bildung den Lernenden besser verdeutlicht werden. Viel-fach wird dies damit begr�ndet, dass Sch�lerinnen und Sch�ler den Chemieunterricht als wenig relevant emp-finden. Doch was ist eigentlich gemeint, wenn wir von Relevanz im Zusammenhang mit Chemieunterrichtsprechen? Dieser Artikel diskutiert verschiedene Bedeutungen des Begriffs ,Relevanz� im Zusammenhang na-turwissenschaftlicher Bildung und schl�gt, aus der Literatur abgeleitet, eine Definition und ein Modell f�r dasVerst�ndnis dieses Begriffes vor. Berichtet wird auch �ber einen ersten Beitrag zur Pr�fung des Modells ineiner Gruppendiskussionsstudie mit Lehramtsstudenten und Lehrkr�ften. Insgesamt zeigte sich das Modell alstragf�hig. Die Studie erlaubt aber auch Einblicke in die Gewichtung der verschiedenen Dimensionen von Rele-vanz naturwissenschaftlicher Bildung bei angehenden und erfahrenen Chemielehrkr�ften.

Stichworte: Bildung · Chemieunterricht · Relevanz

A contribution to the understanding of the relevance of chemistry teaching

Abstract: �Relevance� is a frequently used term regarding science education. In many cases, it is suggested tomake science education in general, and chemistry education in particular, more relevant or to better clarifythe relevance of science education to the learner. Justification is given by many studies reporting a perceivedirrelevance of chemistry education among secondary school students. But what do we mean when the termrelevance is used in connection to chemistry education? Derived from the literature, this paper discusses thedifferent meanings of the term relevance and suggests a definition as well as a model for its understanding.The paper reports a first contribution for validating the model by a focus group study with student teachers andteachers. Overall, the model showed a good fitting. The study also allows insights into weighting the differentdimensions of relevance of science education among prospective and experienced chemistry teachers.

Keywords: education · chemistry teaching · relevance

1. Einleitung,Relevanz� ist ein h�ufig benutzter Begriff, wenn es um Refor-men des naturwissenschaftlichen Unterrichts geht. Es wird un-terstellt, dass viele Lernende naturwissenschaftlichen Unter-richt (insbesondere in Chemie und Physik) als „irrelevant“empfinden und dass ihnen mçgliche Auswirkungen eines feh-lenden Verst�ndnisses von Naturwissenschaft und Technik f�r

ihr Leben nicht klar gemacht werden [1]. Als Folge werden zuwenig Motivation und Interesse bei Sch�lerinnen und Sch�-lern und ein Mangel an Fachkr�ften im naturwissenschaftlich-technischen Bereich beklagt [1,2]. So wurden Lehrkr�fteimmer wieder mit Forderungen konfrontiert, den naturwissen-schaftlichen Unterricht ,relevanter� zu machen [3,4]; undsolche Forderungen gibt es schon seit Jahrzehnten: „Im Verei-nigten Kçnigreich (UK) sind die Lehrkr�fte der Naturwissen-schaften zunehmend dazu angehalten, ihren Unterricht relevan-ter zu machen. Allerdings scheint der Relevanzbegriff stark be-haftet zu sein mit Inkonsistenz, Unklarheit und Mehrdeutigkeit.[…] Der Begriff der Relevanz ist nicht einfach. Es erscheint imeinfachsten Fall wenig hilfreich und im schlimmsten Fall sogarkontraproduktiv, Lehrkr�fte mit einem Begriff antreiben zuwollen, der abstrakt und diffus ist. Es wird hilfreich sein, wennwesentliche Aspekte des Relevanzbegriffs gekl�rt werden.”[�bersetzt aus 4, S. 7 f.]Wie hier bereits angedeutet, f�llt allerdings bei einer sorgf�lti-gen Analyse der Literatur auf, dass der Begriff ,Relevanz�auch heute noch h�ufig diffus und teilweise ganz unterschied-lich verwendet wird [5]. Dadurch sind entsprechende Forde-rungen allein schon deswegen schwierig umzusetzen, weilnicht immer klar ist, was genau mit Relevanz gemeint ist.Diese Unklarheit besteht auch in Deutschland. Hier wird bei-spielsweise in den Bildungsstandards [6] von Relevanz gespro-chen, etwa beim Zusammenhang von Inhalten und Basiskon-zepten: „Die in der Schule relevanten chemischen Fachinhalte

[a] Dr. M. StuckeyIGS WilhelmshavenFriedenstraße 105-11126386 Wilhelmshaven* E-Mail: [email protected]

[b] J. P. SperlingRobert-Bosch-GesamtschuleRichthofenstraße 3731137 Hildesheim* E-Mail: [email protected]

[c] Prof. em. Dr. A. Hofstein, Dr. R. Mamlok-NaamanWeizmann Institute of Science – Department of ScienceTeachingRehovot, 76100, Israelavi.hofstein@ weizmann.ac.ilrachel.mamlok@ weizmann.ac.il

[d] Prof. Dr. I. EilksUniversit�t Bremen – Fachbereich 2 – IDNLeobener Str. NW 228359 Bremen* E-Mail: [email protected]

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mit den zugehçrigen naturwissenschaftlichen Fachbegriffenlassen sich auf wenige Basiskonzepte zur�ckf�hren.“ [6, S. 8]Es wird aber nicht erkl�rt, was genau chemische Fachinhaltef�r die Schule relevant macht und wie dies festgelegt oder fest-gestellt wird.Dieser Beitrag diskutiert die variierende Bedeutung des Rele-vanzbegriffes und stellt eine aus der Literatur abgeleitete De-finition und ein Modell zu dessen Verst�ndnis vor [5]. Es wirdund soll keine Wertung der unterschiedlichen Verst�ndnissevorgenommen werden. Vielmehr sollen die unterschiedlichenIdeen zu Relevanz im Zusammenhang naturwissenschaftlicherBildung gegen�ber gestellt und „greifbarer“ gemacht werden.

2. Bedeutungen des RelevanzbegriffesSucht man im Internet den Begriff ,Relevanz� im Zusammen-hang mit naturwissenschaftlichem Unterricht, dann gelangtman schnell zur Relevance of Science Education Studie ausdem Jahr 2004 (kurz: ROSE). Vom Projektnamen her solltehier die Relevanz naturwissenschaftlicher Bildung untersuchtwerden. Eine Definition von Relevanz findet sich aber in derStudie nicht. Die Autoren der Studie sagen vielmehr, sieh�tten auch andere Begriffe nutzen kçnnen, „etwa bedeu-tungsvoll, motivierend, interessant, herausfordernd oder wich-tig“ [�bersetzt aus 7, S. 21]. Ein Blick in die Studie legt nahe,dass hier vorrangig das Sch�lerinteresse untersucht wurde. Esscheint, dass relevant ist, was f�r die Lernenden interessant ist,wie auch etwa Holbrook [8] vorschl�gt, Relevanz in ersterLinie durch eine Orientierung an den Interessen der Lernen-den zu steigern.Auch einige neuere curriculare Vorschl�ge benutzen den Be-griff der Relevanz. In Deutschland schl�gt etwa der gesell-schaftskritisch-problemorientierte Chemieunterricht ,Rele-vanz� als ein Auswahlkriterium f�r gesellschaftliche Themenin naturwissenschaftlicher Bildung vor [9]. Relevanz wird hierdahingehend verstanden, ob eine Entscheidung in einer gesell-schaftlichen Frage, die zum Gegenstand des Unterrichts ge-macht wird, tats�chliche Auswirkungen f�r das Leben des Ler-nenden haben wird [10]. Auch die Konzeption Chemie imKontext [11] benutzt den Begriff der Relevanz, zielt aber eherauf eine Bedeutungszumessung des Lernens von Chemie ausSicht der Lernenden ab: „F�r die Sch�lerinnen und Sch�lerstellen Kontexte, d.h. persçnlich oder gesellschaftlich relevanteThemen, den zentralen Anreiz und Bezugspunkt f�r die Erar-beitung chemischer Fachinhalte dar. Durch den Bezug der ein-zelnen Kontexte zu ihrer Lebenswelt erfahren sie, dass es f�r sieund ihren Alltag eine Bedeutung hat, sich mit Chemie zu be-sch�ftigen.“ [12]Wie bei Chemie im Kontext benutzen viele der internationa-len Kontext-Projekte den Begriff im Sinne eines Empfindensvon Relevanz durch das Erkennen der Bedeutung des Gelern-ten f�r lebensweltliche oder gesellschaftliche Themen. Diessoll zur Steigerung von Motivation und zur besseren Veranke-rung der erlernten Fachinhalte im Sinne des situierten Lernensbeitragen [13]. Hier kann es dann auch um Kontexte gehen,die nicht dem aktuellen Interesse der Sch�lerinnen und Sch�-ler entsprechen, an denen sie aber die Bedeutung des zu Ler-nenden, etwa f�r Wirtschaft und Technik, erkennen kçnnen.Auch der oben bereits zitierte Douglas P. Newton [4] benutztdieses Verst�ndnis; er weist aber ausdr�cklich darauf hin, dassman hier nicht stehen bleiben kann: „NaturwissenschaftlicherUnterricht sollte in bedeutungsvolle Kontexte der einen oder an-deren Art eingebunden werden, damit die Lernenden seine Be-deutung f�r ihr Leben und das Leben anderer erkennen. […]Relevanter naturwissenschaftlicher Unterricht unterst�tzt abermehr als nur dieses eine Ziel. Er unterst�tzt jedes dieser Ziele inunterschiedlichem Maß mit Bezug zur Person des Lernenden.

Diese Ziele umfassen die gegenw�rtigen und zuk�nftigen Be-d�rfnisse des Lernenden, der Wissenschaft und der Gesell-schaft.“ [�bersetzt aus 4, S. 8]Newton weist darauf hin, dass neben den Lerner-zentriertenAspekten auch extrinsische Aspekte f�r die Begr�ndung vonRelevanz naturwissenschaftlicher Bildung eine Rolle spielenkçnnen und dass man neben aktuellen Aspekten auch zuk�nf-tige Bed�rfnisse ber�cksichtigen muss. Dies findet sich auch inTheorien der Motivation. Keller [14] etwa schl�gt im ARCS-Modell f�r motivierende Lernumgebungen (R steht hier f�rRelevanz) sechs Komponenten von Relevanz vor: Erfahrung,gegenw�rtiger Wert, zuk�nftiger Nutzen, Befriedigung vonBed�rfnissen, das Modellhafte und Wahlmçglichkeiten. Einzuk�nftiger Nutzen f�r den Lernenden oder die Befriedigungvon Bed�rfnissen umfassen dabei deutlich mehr als aktuellesInteresse oder das Erkennen einer Bedeutung von Fachinhal-ten f�r lebensweltliche Kontexte. Ein zuk�nftiger Nutzenkann auch die Vorbereitung auf eine bestimmte Ausbildungoder die F�higkeiten zur Teilhabe an politisch-gesellschaftli-

Marc Stuckey studierte von 2005 bis 2010Chemie und Biologie mit dem Ziel des Lehr-amts an Gymnasien und Gesamtschulen ander Universit�t Bremen. 2014 schloss erseine Promotion am Institut f�r Didaktikder Naturwissenschaften der Universit�tBremen erfolgreich ab. Ab Sommer 2014 ister Studienreferendar am StudienseminarWilhelmshaven.

Jan Sperling studierte von 2008 bis 2013Chemie und Biologie mit dem Ziel des Lehr-amts an Gymnasien und Gesamtschulen ander Universit�t Bremen und schloss das Stu-dium mit dem Master of Education ab. Der-zeit ist er Referendar an der Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim.

Avi Hofstein ist emeritierter Professor f�r Chemiedidaktik am WeizmannInstitute of Science in Rehovot, Israel. Seine Arbeitsschwerpunkte besch�f-tigen sich u.a. mit dem Lernen im Labor, gesellschafts- und industriebezo-genen Ans�tzen im Chemieunterricht oder der Aus- und Weiterbildungvon Lehrkr�ften.

Rachel Mamlok-Naaman ist Direktorin des nationalen Zentrums f�r Che-mielehrkr�fte am Weizmann Institute of Science in Rehovot, Israel.Vorher war sie 26 Jahre Chemielehrerin und danach wiss. Mitarbeiterinam Weizmann Institut. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen u. a. Curricu-lumentwicklung, Geschichte der Chemie im Chemieunterricht oder dieAus- und Weiterbildung von Lehrkr�ften.

Ingo Eilks ist Professor f�r Chemiedidaktikan der Universit�t Bremen. Seine Arbeits-schwerpunkte sind u.a. gesellschaftsbezoge-ne Ans�tze im Chemieunterricht, alternativeUnterrichtsmethoden, Bildung f�r einenachhaltige Entwicklung oder verschiedeneAspekte der Lehrerbildung.

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chen Entscheidungen sein. Letzteres ist ein Gedanke, der sichin den letzten Jahren insbesondere auch im Zusammenhangeiner Bildung f�r eine nachhaltige Entwicklung wiederfindet[15]. Dies ist dann nah an klassischen Konzepten allgemeinerBildung, etwa an Klafkis [16] allgemeinbildungsrelevanten,epochaltypischen Schl�sselproblemen, an denen sich Selbstbe-stimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidarit�tsf�higkeit entwi-ckeln sollen [17–19]. Es gibt aber auch ganz pragmatische, ex-trinsische Aspekte. Dies sind Begr�ndungen f�r Relevanz aus-gehend von Wissenschaft oder Gesellschaft, z.B. zuk�nftighinreichend viele Naturwissenschaftler und Ingenieure rekru-tieren zu kçnnen, oder der Eltern, ihren Kindern mçglichstviele Chancen offen zu halten. Noch weiter geht Knamiller[20]. Er betont u.a. die Relevanz naturwissenschaftlicher Bil-dung f�r die çkonomische Entwicklung einer Gesellschaft hinzu mehr Wohlstand.

3. Definition und Modell des RelevanzbegriffesDie Frage nach der Kl�rung des Relevanzbegriffes f�r natur-wissenschaftliche Bildung ist nicht neu. Wir haben weiter obenbereits auf die Arbeiten von Newton [4,21] hingewiesen. Ins-besondere in den 1970er und 1980er Jahren gab es vielf�ltigeBeitr�ge unter Nutzung des Relevanzbegriffes zur Neuaus-richtung naturwissenschaftlicher Bildung, etwa in ihrer Orien-tierung auf allgemeine Bildungsziele oder bzgl. einer st�rkergesellschaftlichen Ausrichtung – in Deutschland wie interna-tional [22]. Leider hat dies aber nicht zu einem einheitlichenVerst�ndnis des Relevanzbegriffes gef�hrt. Daher haben Stu-ckey et al. [5] k�rzlich eine breite hermeneutische Analyse dernaturwissenschaftsdidaktischen Literatur der letzten 50 Jahrezur Kl�rung des Relevanzbegriffes unter Hinzuziehen ver-schiedener lernpsychologischer und curricularer Theorien vor-genommen. Ber�cksichtigt wurden neben fachdidaktischenArbeiten auch Theorien zu Interesse, Motivation oder zumVerst�ndnis von Bildung. F�r die detaillierte Begr�ndung seiauf [5] verwiesen. Ausgehend von dieser Analyse wird vorge-schlagen, den Begriff der Relevanz mçglichst umfassend imSinne von Konsequenzen (also tats�chlichen, mçglichen undhoffentlich positiven Auswirkungen des Lernens �ber be-stimmte naturwissenschaftliche Inhalte und Fragestellungenauf das Leben der Lernenden) zu verstehen: „Naturwissen-schaftlicher Unterricht wird relevant, wenn er (positive) Konse-quenzen f�r das Leben des Lernenden hat.“ [�bersetzt aus 5,S. 19]Diese Relevanz naturwissenschaftlicher Bildung kann sich inder Befriedigung von Bed�rfnissen und Interessen (die aktuellempfunden werden) manifestieren, ebenso wie in der Erf�l-lung angenommener Bed�rfnisse in der Zukunft (die dem Ler-nenden ggf. erkl�rt werden m�ssen).Ebenfalls abgeleitet aus der Analyse l�sst sich zeigen, dass Re-levanz naturwissenschaftlicher Bildung viele inhaltliche As-pekte umfasst, die sich in drei Dimensionen einordnen lassen.Dies sind die persçnliche, gesellschaftliche und berufliche Di-mension:1. Die persçnliche Dimension: Die Relevanz naturwissen-

schaftlicher Bildung f�r das Individuum beinhaltet die Be-friedigung von Neugier und Interesse der Lernenden, dasVermitteln notwendiger und n�tzlicher F�higkeiten f�r dasZurechtkommen im t�glichen Leben heute und in der Zu-kunft sowie Beitr�ge zur Entwicklung intellektueller F�hig-keiten.

2. Die gesellschaftliche Dimension: Die gesellschaftliche Rele-vanz naturwissenschaftlicher Bildung kommt in der Orien-tierung der Lernenden und Vorbereitung auf Selbstbestim-mung und verantwortungsvolle Teilhabe an der Gesell-schaft zustande. Dies geschieht durch den Aufbau eines

Verst�ndnisses �ber die Wechselwirkungen und Abh�ngig-keiten von Gesellschaft, Naturwissenschaft und Techniksowie durch das Entwickeln von F�higkeiten f�r gesell-schaftliche Teilhabe und Mitbestimmung als Beitrag zurnachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft.

3. Die berufliche Dimension: Die berufliche Relevanz natur-wissenschaftlicher Bildung setzt sich zusammen aus Orien-tierung f�r zuk�nftige Berufe und Karrieren, der Vorberei-tung f�r die weitere schulische, akademische oder berufli-che Ausbildung, dem Offenhalten von formalen Bildungs-wegen und der Chance f�r eine auskçmmliche Besch�fti-gung in der Zukunft.

Dabei sind diese Dimensionen nicht trennscharf. Einzelaspek-te kçnnen in unterschiedlichen Dimensionen zur Relevanzbeitragen, je nachdem wie sie sich mit den Interessen, Mçg-lichkeiten und Lebensumst�nden des Lernenden verbinden.So kann etwa das Lernen �ber einen Beruf mit ChemiebezugNeugier befriedigen (falls die oder der Lernende daran Inter-esse hat), der beruflichen Orientierung dienen (falls dieserBeruf f�r sie oder ihn in Frage kommt) oder die Anwendungvon Chemie in Wirtschaft und Gesellschaft verdeutlichen, jenachdem mit welcher Intention der bzw. die Lernende an denInhalt herangeht oder wie dieser im Unterricht eingebettet ist.In der Diskussion �ber die Relevanz naturwissenschaftlicherBildung zeigt sich in der Literatur, dass alle drei Dimensionenneben den bereits angesprochenen gegenw�rtigen und mçgli-chen zuk�nftigen Konsequenzen auch intrinsische und extrin-sische Aspekte enthalten, wie bereits von Aikenhead vorge-schlagen [23]. Die intrinsischen Anteile umfassen die Interes-sen und die Motive der Lernenden, die extrinsischen Anteileumfassen Erwartungen des persçnlichen Umfeldes oder derGesellschaft an den Lernenden. Insgesamt ergibt sich einModell der verschiedenen Dimensionen eines Verst�ndnissesvon Relevanz, wie in Abb. 1 grafisch dargestellt und mit bei-spielhaften Eintr�gen illustriert.

4. �berpr�fung des ModellsEine erste �berpr�fung der Definition und des Modells er-folgte durch Gruppendiskussionen von angehenden und prak-tizierenden Lehrkr�ften. Die Gruppendiskussion [24] wird alseine Form des Gruppeninterviews angesehen. Sie kann als einGespr�ch einer Gruppe zu einem bestimmten Thema unterLaborbedingungen verstanden werden [25].Teilgenommen haben insgesamt sechs Gruppen mit unter-schiedlichem Grad an Expertise in naturwissenschaftlicherBildung: Studierende im Bachelor Chemie (mit SchwerpunktLehramt), Studierende des Master of Education (mit dem Un-terrichtsfach Chemie), Referendarinnen und Referendare, er-fahrene Lehrkr�fte, besonders engagierte Lehrkr�fte (die inProjekten der Curriculumentwicklung mitwirken, in Lehrer-aus- und -fortbildung eingebunden oder Schulbuchautorensind) sowie Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen-schaftler aus der Chemiedidaktik (die alle ein Lehramtsstudi-um absolviert, aber nur begrenzt Unterrichtserfahrunghaben).Die Gruppendiskussionen waren in drei große Blçcke einge-teilt. Im ersten Teil der Gruppendiskussion wurde nach spon-tanen Assoziationen �ber den Begriff „Relevanz“ im Zusam-menhang mit naturwissenschaftlichem Unterricht gefragt undeine Diskussion hier�ber erbeten. Im zweiten Teil wurden dieoben vorgeschlagene Definition und das Modell aus Abb. 1vorgestellt. Hier ging es darum, das entwickelte Modell aufVerst�ndlichkeit und Vollst�ndigkeit zu �berpr�fen. ImRahmen des dritten Diskussionsabschnitts sollten die Befrag-ten eine Gewichtung der drei Dimensionen des Modells vor-nehmen.

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Relevanz und Chemieunterricht CHEMKON

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Die Gruppendiskussionen dauerten zwischen 30 und 45 Minu-ten, wurden audiographiert und transkribiert. Die Transskriptewurden nach in sich zusammenh�ngenden Sinnpassagen ko-diert und nach dem Modell der qualitativen Inhaltsanalysenach Mayring [26] ausgewertet. Dabei wurden die Aussagenzun�chst offen kodiert und anschließend den bestehenden Di-mensionen des Relevanzmodells zugeordnet. Dabei erfolgtedie Kategorienbildung sowohl deduktiv entlang des Modellsals auch induktiv f�r eine Einordnung und Erweiterung f�rden Fall einer Nennung weiterer Aspekte durch die Ge-spr�chsteilnehmer, die nicht bereits im Modell angelegt sind.

5. Passung von Modell und Definition zurSicht von Experten

Im ersten Teil der Gruppendiskussion stand die Ermittlungdes spontanen Verst�ndnisses von „Relevanz“ im Zusammen-hang mit naturwissenschaftlichem Unterricht im Fokus. Dievielf�ltige Verwendung des Relevanzbegriffs durch die Be-fragten deckt sich mit den verschiedenen Begriffsnutzungenaus der Literatur. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer inallen Gruppen verwendeten den Begriff Relevanz im Sinnevon Interesse und Bedeutung, andere fokussierten eher All-tagsbew�ltigung oder Bed�rfnisbefriedigung. Seltener wurdenBerufsorientierung und Vorbereitung auf eine weiterf�hrendeAusbildung genannt. Letzteres war fast ausschließlich bei denerfahrenen und besonders engagierten Lehrkr�ften der Fall.Aus den Gruppendiskussionen ließen sich Unterkategorienableiten, die gut zu den aus der Literatur entwickelten Dimen-sionen von Relevanz passen (Abb. 2). Zur persçnlichen Di-mension z�hlen Aspekte wie „Alltagsbew�ltigung“, „Interesseund Neugier“ und „Persçnlichkeitsentwicklung“. Aspekte derpersçnlichen Relevanz wurden in jeder Gruppe angesprochen.Aus allen Interviews ergaben sich 43 Gespr�chspassagen, dieder persçnlichen Dimension zuzuordnen waren. Die gesell-schaftliche Relevanz, die z.B. Aspekte wie „Emanzipation“,„Vorbereitung auf gesellschaftliche Teilhabe“ und „Sicherungvon gesellschaftlicher Entwicklung und gesellschaftlichemWohlstand“ beinhaltet, wurde mit 15 Gespr�chspassagen deut-lich seltener aufgegriffen. Die berufliche Dimension, worunter

„Berufsorientierung“, „Vorbereitung auf weiterf�hrende Aus-bildung/Studium“ und „Offenhalten von Bildungswegen“fielen, wurde in lediglich elf Gespr�chspassagen diskutiert(vgl. Abb. 2).

Alle drei Dimensionen wurden in den Gruppendiskussionenangesprochen. Insgesamt wurde besonders h�ufig die individu-elle Dimension genannt; die gesellschaftliche und die berufli-che Dimension wurden zwar auch jeweils thematisiert, aller-dings deutlich seltener und nicht in allen Gruppen. Auch As-pekte einer gegenw�rtigen bzw. zuk�nftigen Relevanz warenin allen Diskussionen zu finden. Beim Spektrum intrinsischerund extrinsischer Aspekte wurden deutlich h�ufiger intrinsi-sche Begr�ndungen der Relevanz naturwissenschaftlicher Bil-dung genannt. Insgesamt wurden in keiner GruppendiskussionAspekte von Relevanz benannt, die sich nicht in das oben be-schriebene Modell einordnen lassen.Nach der Vorstellung erfuhren die oben genannte Definitionund das Modell große Zustimmung von den Befragten. DieIdee, den Begriff der Relevanz breiter als nur im Sinne von In-teresse oder Bedeutungszumessung zu fassen, wie sich das jaauch aus den Diskussionen in allen Gruppen ergeben hat,wurde ausdr�cklich begr�ßt. Die Begr�ndung der extrinsi-

Abb. 1: Graphische Illustration desModells zum Verst�ndnis von Relevanznach Stuckey et al. [5] und beispielhafteEintr�ge

Abb. 2: Dimensionen des Relevanzmodells, ihre Aspekte und dieAnzahl ihrer Nennungen

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schen Anteile naturwissenschaftlicher Bildung wie etwa vonAikenhead [23] zur Diskussion gestellt, wurde intensiv disku-tiert. Hier war deutlich zu erkennen, dass die intrinsischen As-pekte der Relevanz den Gespr�chsteilnehmerinnen und -teil-nehmern deutlich n�her waren. Es wurde daneben in allenGruppen deutlich, dass es eine extrinsische Relevanz gibt,etwa die Erwartungen der Eltern, Gesellschaft oder Wirtschaftan die naturwissenschaftliche Bildung in der Schule und damitan die Lernenden.Angeregt durch Newton [21], der eine zeitliche Verschiebungzwischen der persçnlichen und gesellschaftlichen Dimensionmit zunehmendem Alter beschrieben hat, sollten die Befrag-ten im dritten Interviewschwerpunkt eine Gewichtung bzw.Ausbalancierung der drei Dimensionen vornehmen. In allenInterviews kam heraus, dass die persçnliche Dimension spon-tan als die wichtigste angesehen wurde. Diskussionen kamenaber schnell auf, dass dies immer auch eine Frage des Altersist. So wird die individuelle Dimension als besonders wichtigf�r j�ngere Sch�lerinnen und Sch�ler angesehen, etwa im Hin-blick auf das Wecken von Neugier und das Zurechtfinden imAlltag. Die berufliche Dimension wurde als zunehmend rele-vant – insbesondere f�r �ltere Sch�lerinnen und Sch�ler –eingesch�tzt. Die gesellschaftliche Dimension wurde zwischender individuellen und beruflichen Dimension eingeordnet,wobei hier am deutlichsten das Unwohlsein in der Festlegungerkennbar war und eine ausbalancierte Diskussion im Wesent-lichen nur bei erfahreneren Lehrkr�ften zu erkennen war.Sehr vereinfacht l�sst sich also sagen, dass aus der Sicht derbefragten Personen die individuelle Dimension f�r j�ngereSch�lerinnen und Sch�ler stark und w�hrend der Schulzeit zu-n�chst die gesellschaftliche und dann auch die berufliche Di-mension zunehmend ber�cksichtigt werden sollten (Abb. 3).Die Gruppeninterviews ließen auch erkennen, dass bei denDiskussionsgruppen eine ausgewogene und reflektierte Ge-wichtung der drei Dimensionen von Relevanz abh�ngig vomGrad der Professionalisierung der beteiligten Gruppen war,die mit Alter oder Erfahrung der Lehrkraft scheinbar zu-nimmt.

Abschließend wurde noch �ber den Nutzen von Definitionund Modell diskutiert. Das Modell wurde als interessantesWerkzeug angesehen, z.B. f�r die Planung und Reflexion vonUnterricht. Hier kann es dazu dienen, beispielsweise zu hinter-fragen, inwieweit das Unterrichtsthema das Potenzial hat, rele-vant zu sein oder als relevant wahrgenommen zu werden. Diesf�hrte auch zu einer Diskussion bisheriger Unterrichtserfah-rung, soweit diese vorhanden war. Es wurde ausdr�cklich be-st�tigt, dass alle drei Dimensionen von Relevanz als wichtigangesehen werden; klar wurde auch, dass die Umsetzung undVerdeutlichung gesellschaftlicher und beruflicher Relevanz in

vielen F�llen weniger implizit oder explizit angestrebt wird,als dies f�r die persçnliche Relevanz der Fall ist. Hier wurdeauch angemahnt, dass es f�r eine fundierte Verwirklichung dergesellschaftlichen und beruflichen Relevanz immer noch zusehr an erprobten Konzepten und Unterrichtsmaterialienfehle und diese in vielen Lehrmedien unterrepr�sentiert seien.

6. Diskussion und AusblickDie Ergebnisse �ber das Verst�ndnis von Relevanz im Zusam-menhang mit Chemieunterricht bei Chemielehrkr�ften ver-schiedenen Professionalisierungsgrads zeigen, dass ebenso wiein der untersuchten Literatur die Verwendung des Begriffs,Relevanz� uneinheitlich ist. Relevanz wird teilweise mit ande-ren Begriffen synonym verwendet, insbesondere mit Interesse.Gespr�chsteilnehmerinnen und -teilnehmer aller Gruppenverwendeten den Begriff aber auch weit �ber das Sch�lerinter-esse hinaus. Die spontanen �ußerungen zum Relevanzbegriffdecken sich gut mit der vielf�ltigen Begriffsverwendung in derLiteratur. Die vorgeschlagene Definition zeigte sich als tragf�-hig und das vorgeschlagene Modell scheint die Bedeutungszu-messung zum Begriff der Relevanz naturwissenschaftlicherBildung gut abzudecken.Das Verst�ndnis der Relevanz naturwissenschaftlicher Bil-dung kann nun als theoretischer Rahmen dienen zu reflektie-ren, welche Unterrichtskonzepte mit Blick auf welche Dimen-sion von Relevanz am meisten Potenzial haben. Auch kçnneneinzelne Unterrichtssequenzen oder etwa Schulb�cher hinter-fragt werden, welche Aspekte von Relevanz ber�cksichtigtwerden, welche nicht, und welche Auswirkungen dies habenkann. So kann man sich fragen, wann und in welcher Form dieberufliche Dimension nach vorne treten oder ob nicht eine ge-sellschaftlich-orientierte Bildung im Chemieunterricht einegrçßere Rolle spielen sollte.Solche Entscheidungen sind sicher nicht unabh�ngig von denVoraussetzungen und mutmaßlichen Bildungswegen der Ler-nenden. Daher ist hier vielleicht auch zuerst die Lehrkraft ge-fragt, mit Blick auf eine bestimmte Lerngruppe vorhandeneUnterrichtskonzepte zu hinterfragen und die unterschiedli-chen Dimensionen von Relevanz bewusst in einem ad�quatenVerh�ltnis bei der Auswahl der Unterrichtskonzepte zu be-r�cksichtigen. So kann das vorgeschlagene Modell vielleichteinen Beitrag zur Weiterentwicklung des Chemieunterrichtsleisten. Es kann aber auch helfen zu hinterfragen, welche un-terschiedlichen Anspr�che von Politik, Wirtschaft, Eltern oderSch�lerinnen und Sch�lern an den naturwissenschaftlichenUnterricht herangetragen werden, wie darauf zu reagieren istund wie zwischen den verschiedene Anforderungen eine ent-sprechende Balance gefunden werden kann.

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