Ein Blick in's Buch

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4 5 Stephan Brakensiek/Anette Michels/ Anne-Katrin Sors Zum Geleit Stephan Brakensiek/Anette Michels/ Anne-Katrin Sors und ArwedArnulf Kennerschaft an Universitäten Anton Würth DürerÜbung Raymond Keller »à la mode française« – Geschmack und ästhetische Urteile als Grundlage für Kennerschaft Maik-Sören Hanicz Vom handwerklichen Wissen zur Wissen- schaft der Kupferstichkunde – von Abraham Bosse bis Adam von Bartsch Saskia Koch und Linda Rasch Wörterbücher und Lexika – Das Beispiel Claude Henri Watelet Arwed Arnulf Carl Heinrich von Heinekens sammlungs- theoretische Äußerungen Katerina Paraskeva Kock und Stina Kriegel Carl Heinrich von Heinecken und sein Kata- log zu den Stichen nach Raffael Jana F. Schulz Charles-Antoine Jombert und Stefano della Bella: Ein frühes Werkverzeichnis mit Konsquenzen Amelie Baader Edme-François Gersaint und das erste Werkverzeichnis Rembrandts 7 10 15 21 31 37 41 43 49 53 Arwed Arnulf Rembrandttadel, Rembrandtbegeisterung und Rembrandthandel Raymond Keller Der Recueil Jullienne Jessica Singh Das Art Book 1.0 – Ein außergewöhnliches Galeriewerk Selina Wernstedt Zwei Männer mit Anspruch: Andrea Scacciati und Stefano Mulinari Stephan Brakensiek Auf anderen Wegen zum Faksimile: Ploos van Amstel Stephan Brakensiek Technische Meisterschaft mit Originalitäts- problem: Johann Gottlieb und Maria Katharina Prestel Jan Stieglitz Das Liber Veritatis Kai Seebert Der Kunstmarkt als Motor der Kennerschaft Anne-Katrin Sors und Arwed Arnulf Fiorillo und die Göttinger Bibliothek Universitäres Graphiksammeln und der Kunsthandel Annabell Henze und Mareike Grest Das Verzeichniss der Kupferstiche auf der Königl. Universitäts-Bibliothek zu Göttin- gen – Johann Dominicus Fiorillo strukturiert, kategorisiert und inventarisiert 59 65 71 81 97 103 113 121 147 163 Inhalt Dietrich Meyerhöfer Lernen und Reisen – Kaufen und Sammeln – Forschen und Mitteilen: Johann Friedrich Armand von Uffenbach (1687-1769) Anna Lisa Schwartz »Ein solcher Schatz verdient [...] besondere Pflege« – Adam von Bartschs Tätigkeit als Garde d’Estampes Natalie Kucks Im Atelier des Kenners Evi Käßbohrer Eine »Federzeichnung« auf der Kupferplatte – Adam von Bartsch und die Rembrandt- Reproduktion Christina Würtenberger Raymond Lafage: Ein seinerzeit begehrter Künstler Jan Stieglitz Handzeichnungen Guercinos als Vorlagen für druckgraphische Mappenwerke Nadja Lang »Welches Äussere man einer Kupferstich- Sammlung geben soll.« – Aufbewahrung und Präsentation von Graphik Anette Michels Zwischen Nähe und Distanz – Adam von Bartsch als Künstler Gaia Englert Bartschs Bücher Arwed Arnulf Bartsch, Rembrandt und der Catalogue raisonné: Rembrandtrezeption, Katalogkon- zeption und Beschreibungsmodus 169 181 205 213 223 233 245 255 277 297 Nina Christine Dusartz de Vigneulle Das Sehende Auge – Die Kunstkennerschaft seit dem 18. Jahrhundert Anna Brillat, Jana Maria Schröder und Anna-Luisa Lessig Ein Sammler und Kenner im Interview Literaturverzeichnis Personenregister Impressum Dank 305 321 328 344 348 349

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Stephan Brakensiek/Anette Michels/Anne-Katrin Sors Zum Geleit

Stephan Brakensiek/Anette Michels/Anne-Katrin Sors und ArwedArnulfKennerschaft an Universitäten

Anton WürthDürerÜbung

Raymond Keller»à la mode française« – Geschmack und ästhetische Urteile als Grundlage für Kennerschaft

Maik-Sören HaniczVom handwerklichen Wissen zur Wissen-schaft der Kupferstichkunde – von Abraham Bosse bis Adam von Bartsch

Saskia Koch und Linda RaschWörterbücher und Lexika – Das Beispiel Claude Henri Watelet

Arwed ArnulfCarl Heinrich von Heinekens sammlungs-theoretische Äußerungen

Katerina Paraskeva Kock und Stina Kriegel Carl Heinrich von Heinecken und sein Kata-log zu den Stichen nach Raffael

Jana F. SchulzCharles-Antoine Jombert und Stefano della Bella: Ein frühes Werkverzeichnis mit Konsquenzen

Amelie BaaderEdme-François Gersaint und das erste Werkverzeichnis Rembrandts

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Arwed ArnulfRembrandttadel, Rembrandtbegeisterung und Rembrandthandel

Raymond Keller Der Recueil Jullienne

Jessica Singh Das Art Book 1.0 –Ein außergewöhnliches Galeriewerk

Selina Wernstedt Zwei Männer mit Anspruch: Andrea Scacciati und Stefano Mulinari

Stephan Brakensiek Auf anderen Wegen zum Faksimile: Ploos van Amstel

Stephan Brakensiek Technische Meisterschaft mit Originalitäts-problem: Johann Gottlieb und Maria Katharina Prestel

Jan Stieglitz Das Liber Veritatis

Kai Seebert Der Kunstmarkt als Motor der Kennerschaft

Anne-Katrin Sors und Arwed ArnulfFiorillo und die Göttinger BibliothekUniversitäres Graphiksammeln und der Kunsthandel

Annabell Henze und Mareike Grest Das Verzeichniss der Kupferstiche auf der Königl. Universitäts-Bibliothek zu Göttin-gen – Johann Dominicus Fiorillo strukturiert, kategorisiert und inventarisiert

59

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71

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103

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Inhalt

Dietrich Meyerhöfer Lernen und Reisen – Kaufen und Sammeln – Forschen und Mitteilen: Johann Friedrich Armand von Uffenbach (1687-1769)

Anna Lisa Schwartz»Ein solcher Schatz verdient [...] besondere Pflege« – Adam von Bartschs Tätigkeit als Garde d’Estampes

Natalie KucksIm Atelier des Kenners

Evi Käßbohrer Eine »Federzeichnung« auf der Kupferplatte – Adam von Bartsch und die Rembrandt-Reproduktion

Christina Würtenberger Raymond Lafage: Ein seinerzeit begehrter Künstler

Jan Stieglitz Handzeichnungen Guercinos als Vorlagen für druckgraphische Mappenwerke

Nadja Lang»Welches Äussere man einer Kupferstich-Sammlung geben soll.« – Aufbewahrung und Präsentation von Graphik

Anette Michels Zwischen Nähe und Distanz –Adam von Bartsch als Künstler

Gaia Englert Bartschs Bücher

Arwed Arnulf Bartsch, Rembrandt und der Catalogue raisonné: Rembrandtrezeption, Katalogkon-zeption und Beschreibungsmodus

169

181

205

213

223

233

245

255

277

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Nina Christine Dusartz de Vigneulle Das Sehende Auge – Die Kunstkennerschaft seit dem 18. Jahrhundert

Anna Brillat, Jana Maria Schröder und Anna-Luisa Lessig Ein Sammler und Kenner im Interview

Literaturverzeichnis

Personenregister

Impressum

Dank

305

321

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Seit einigen Jahren nimmt die Diskussion um Begriffe wie Original, Kopie, Reproduk-tion, Fälschung und Authentizität stetig zu und wird sowohl in einer Reihe von Ausstel-lungen, Publikationen und Konferenzen als auch von einer breiten Öffentlichkeit disku-tiert. Wichtige Stationen zum aktuellen Dis-kurs über Kunst lagen im 18. Jahrhundert, wesentliche Entwicklungen, so der Kunst-markt, die Vervielfältigung und Reprodukti-on sowie die Entstehung von Kennerschaft, Beurteilungskriterien, Bewertungs- und Be-schreibungsmethoden lassen sich an den graphischen Künsten, besonders in der Handzeichnung und in der Erprobung von Methoden ihrer Reproduktion, beobachten. Praktische, funktional bedingte Spezialisie-rungstendenzen des Mediums und die Ent-wicklung der Bewertungskriterien und Be-schreibungsmethoden im Zuge graphischer Reproduktion von Zeichnungen – gleichsam die Grundlagen von Kennerschaft – themati-sieren wir hier am Beispiel des Werkes von Adam von Bartsch (1757-1821) und betten diese Phänomene in den übergeordneten Kontext ein. Johann Adam Bernhard Ritter von Bartsch (1757-1821), Kustos der Kupferstichsamm-lung der Wiener Hofbibliothek und vertraut mit zahlreichen weiteren bedeutenden Gra-phiksammlungen in Europa, gilt heute allge-mein als Begründer der wissenschaftlichen Kupferstichkunde. Sein Hauptwerk, der so genannte Peintre-Graveur, ist ein Meilen-stein in der Graphikforschung. Dieses zwi-schen 1803 und 1821 in 21 Bänden publizier-te und bis heute als mustergültig geltende Referenzwerk enthält zahlreiche Verzeich-nisse der Druckgraphik Alter Meister vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Weniger bekannt ist, dass Adam von Bartsch, obwohl er die

so genannte Original- oder Malerradierung stark favorisierte, selbst als Reproduktions-graphiker tätig war. Er erhielt eine künstle-rische Ausbildung in Wien und spielte im Kontext der zukunftweisenden Institutiona-lisierung des dortigen Kupferstichkabinetts eine große Rolle. Sein künstlerisches Werk wird dominiert von Druckgraphiken nach Handzeichnungen, die eine wichtige Rolle für Sammler und Kenner in der Zeit um 1800 spielen, heute aber auch technikgeschicht-lich und wissenschaftshistorisch relevant sind. Sein graphisches Œuvre umfasst – nach neuesten Erkenntnissen von Rudolf Rieger – 525 Radierungen. Ausgehend von Bartschs Werken werden seine Vorläufer, Zeitgenossen und Konkurrenten vorgestellt: Dies betrifft Mappenwerke, die Zeichnungen oder auch graphische Blätter aus einzelnen Sammlungen reproduzieren, aber auch Ein-zelblätter und Serien vergleichbarer Thema-tik. Neben diesem Panorama reproduktions-graphischer Drucke, die ihrer Bestimmung gemäß technisch und künstlerisch höchsten Ansprüchen genügten, werden auch die zu-gehörigen Werkzeuge des Sammlers und Kenners thematisiert.Das Projekt ist das Ergebnis einer erfreuli-chen Zusammenarbeit von Studierenden und Kustoden Graphischer Sammlungen an den Kunsthistorischen Instituten der Uni-versitäten Göttingen, Trier und Tübingen. Der Ausstellung in den Kunstsammlungen der Universität Göttingen gingen an allen drei Standorten Praxisseminare vor Origina-len in den jeweiligen Sammlungen voraus, in denen die Druckgraphiken – ohne Glas und Rahmen – thematisiert und inhaltlich kontextualisiert wurden. Das nahe Sehen der Originale schloss für die Studierenden wichtige Erfahrungen zur Bestimmung von

Abb.1: Adam von Bartsch nach Jacob Jor-daens, Knabe mit Hund und Mädchen mit Korb in einem Türdurchgang, um 1800, Radierung und Kupferstich, Graphische Sammlungen Universität Trier, (Detail).

Zum Geleit

von Stephan Brakensiek, Anette Michels und Anne-Katrin Sors

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Als nach dem Tode des französischen Fi-nanzministers Jean-Baptiste Colbert (1619-1783) kaum noch Kunst für die Gemäldegale-rie König Ludwigs XIV. (1638-1715) erworben wurde, konnte man den Eindruck gewinnen, dass reiche, adelige und bürgerliche Kunst-liebhaber in Frankreich diese Tradition ab-lösten und weiterführten, unter ihnen nam-hafte Sammler und Kunstkenner wie die Comtesse de Verrue (1670-1736), der Herzog von Orléans (1674-1723), der Banquier Pierre Crozat (1661-1740) oder der Comte de Vence (1702-1760). Ohne Zweifel gehört auch Jean de Jullienne (1686-1766) dem illustren Kreis der Pariser Sammler an, die für viele Kunst-freunde und Nacheiferer in Europa vorbild-lich wurden. Jullienne, der als erfolgreicher Direktor der königlichen Gobelinmanufaktur 1736 in den Adelsstand erhoben wurde, investierte, mit einem ausgeprägten Gespür und Geschmack für Erlesenes, beträchtliche Summen in den Ankauf von Gemälden und Zeichnungen. Für seine aparte Sammlung, in der er immer wie-der Bilder auswechselte, erwarb er auch Wer-ke zeitgenössischer, französischer Künstler. Die Sammlung ist uns im Detail bekannt für das Jahr 1756, als ein Inventar1 mit Angabe zur Hängung der Bilder aufgestellt wurde.2 Viele Meisterwerke der ehemaligen Samm-lung Jullienne, die versprengt wurde, kann man heute in Museen weltweit bewundern. Doch wenn Jullienne heute einen festen Platz in der Kunstgeschichte hat, dann kaum wegen seiner einzigartigen Sammlung, son-dern vielmehr im Zusammenhang mit dem Werk seines Freundes, dem Maler Antoine Watteau (1654-1721), dessen Verehrer und Förderer Jullienne auch war.Jullienne, der einer der ersten war, die das Genie Watteaus erkannt hatten, konkreti-

sierte nach dem frühen Tod des Künstlers sein Vorhaben, dessen gezeichnetes und gemaltes Werk druckgraphisch zu reprodu-zieren, um es auf diese Weise bei einem breiteren Publikum bekannter zu machen. So entstand jenes Sammelwerk, das in der Kunstgeschichte unter der Bezeichnung Re-cueil Jullienne bekannt wurde.Seine Aufmerksamkeit galt zuerst der Zei-chenkunst Watteaus, »der immer als einer der größten und besten Zeichner gelten wird, die Frankreich hervorgebracht hat.«3 Die ersten zwei Bände nach den Zeichnun-gen des Künstlers erschienen im Novem-ber 1726 resp. Februar 1728, fast zeitgleich mit dem ersten Band eines vergleichbaren Unternehmens, dem Recueil Crozat, der Werken verschiedener italienischer Meis-ter gewidmet war (siehe hierzu den Beitrag von Jessica Singh). Die beiden Bände ver-öffentlichten die Verleger Jean Audran und François Chéreau unter dem Titel Darstel-lungen unterschiedlichen Charakters von Landschaften und Studien nach der Natur gezeichnet von Antoine Watteau.4 Jullienne, der sich wie andere prominente Sammler seines Freundeskreises als Radierer betä-tigte, hat dazu selber 17 Kupfer gestochen. Dennoch, ein Stecher allein konnte die Auf-gabe in dem gegebenen Zeitraum nicht be-wältigen. Die meisten der 15 Stecher, die sich an diesem Projekt beteiligten, waren vorzügliche Interpreten, Berufsstecher, die im 18. Jahrhundert Rang und Namen hat-ten, darunter Pierre Filloeul (1696-um 1754), Benoît Audran (1698-1772), Laurent Cars (1699-1771), Louis Surugue (1686-1762) so-wie Nicolas-Henri Tardieu (1674-1749), aber auch der junge François Boucher (1703-1770), der mehr als 20 Zeichnungen ins Kup-fer übertrug. Allerdings erforderte Watteaus

Abb.37: Jean-Joseph Balechou (1715-1765): Jean de Julienne mit dem Portrait Watteaus, nach Francois de Troy, 1722. Kupferstich. Universität Tübingen, Gra-phische Sammlung am Kunsthistorischen Institut.

1 Montullé 1756.2 Vgl. Tillerot 2010.3 E.F. Gersaint, Note sur Watteau im: Catalogue du feu Quentin de Lorangère, zitiert nach: Adhémar 1950, S.172.4 Figures de différents caractères de Paysages, et d’Etudes dessinées d’après nature par Antoine Watteau.

Der Recueil Jullienne

von Raymond Keller

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Zeichenmanier mit ihrer spontan-zeichneri-schen Linienführung, »ihrer unbestimmten, beweglichen Umrißbildung, der weichen Formgebung«5 ein anderes Verfahren als die strenge, traditionnelle Grabstichelkunst. Jul-lienne setzte auf das Zusammenwirken von Radierung und Kupferstich, um eine annä-hernd getreue Reproduktion zu bewirken. Es kam ihm »auf die Wiedergabe des zeichneri-

schen Duktus’ von Watteau an. Darin lag die entscheidende Neuerung seines Unterneh-mens.«6 Jullienne erklärt im Vorwort, dass die geschickten Stecher die Nachbildungen so ausgeführt hätten, dass nichts vom »Feu-er und Geist ihres Erfinders« verloren gegan-gen sei. Bei den Arbeiten die, der Kontrolle wegen, alle in den Räumen der königlichen Gobelinmanufaktur ausgeführt wurden, ging Jullienne in einigen Fällen so weit, dass er von ein und derselben Zeichnung mehrere Platten herstellen ließ, um so, im Vergleich mit dem Original, die getreueste Wiederga-be auswählen zu können.7

Insgesamt enthält der erste Band der Figu-res de différents caractères 132, der zweite 219 reproduzierte Zeichnungen. Sie gelten allerdings nicht als eine Art Werkverzeich-nis8, was man eher von den beiden folgen-den Bänden, die den Gemälden gewidmet sind, behaupten kann.Im Juli 1727 ersuchte Jullienne für zehn Jah-re das königliche Privileg, alle Gemälde Watteaus in seinem Besitz druckgraphisch reproduzieren zu dürfen und ferner auch die Erlaubnis, eine Druckerpresse zu besitzen.9 Durch zusätzliche Ankäufe bei verschiede-nen Eigentümern hatte er für sein Vorhaben schließlich alle Gemälde Watteaus zur Ver-fügung, die er später bis auf acht wieder ver-kaufte. Auch im Falle der Gemälde Watteaus konnte man den leichten graziösen Charakter und das Kolorit der »fêtes galantes« nicht so nachstechen, wie die Gemälde alter italieni-scher Meister. Hier hätte sich vielleicht das Mezzotinto angeboten, doch Jullienne ver-traute auf die Erfahrung und Geschicklichkeit der Stecher, die sich in den neuen Watteau-Stil ›einzuleben‹ wussten. Dass sie »der lich-ten und zarten, nervös akzentuierten Farb-gebung Watteaus« oft außerordentlich nahe kommen, zeigt sich in den »hellen nur durch Punkte zart modellierten Fleischtöne« in den »unruhig flimmernden Lichtstreifen auf den Gewändern,« so wie in »den duftig durchsich-tigen Schatten der Landschaft.«10 Die Arbeiten an den Reproduktionen nach den Gemälden, die in zwei Bänden erschie-nen, kamen 1735 zum Abschluss.

5 Kristeller 1922, S.484.6 Hinterholz 2009, S.246.7 Tillerot 2010, S.278.8 Tillerot 2010, S.275.9 Tillerot 2010, S.97.10 Kristeller 1922, S.482.

Keller – Der Recueil Julliene

Abb.38 (gegenüberliegende Seite): François Boucher nach Antoine Watteau, Sitzender Perser im Linksprofil – Tafel 156 der Figures des différents caractères, vor 1726, Radierung, Graphische Sammlung der Universität Trier.

Abb.39: François Boucher nach Antoine Watteau, Studie eines Frauenkopfes – Ta-fel 217 der Figures des différents carac-tères, vor 1726, Radierung, Graphische Sammlung der Universität Trier.

Abb.40: Jean Audran nach Antoine Wat-teau, Studie eines Frauenkopfes – Tafel 82 der Figures des différents caractères, vor 1726, Radierung, Graphische Samm-lung der Universität Trier.

Abb.41: François Boucher nach Antoine Watteau, Porträt eines Jungen – Tafel 255 der Figures des différents caractères, vor 1726, Radierung, Graphische Sammlung der Universität Trier.

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Abb.70: Cornelis Ploos van Amstel nach Frans van Mieris, Der am Tisch sitzende Mann mit Karten, o.J., Durchdruckver-fahren und Punzierstifte, Graphische Sammlung der Universität Trier.

Abb.71: Cornelis Ploos van Amstel nach Govaert Flinck, Mann an dem Festungs-wall, o.J., Durchdruckverfahren und Roulette mit mechanischen Kratzspuren, Privatsammlung.

Abb.72 (gegenüberliegende Seite): Cornelis Ploos van Amstel nach Samuel van Hoogstraten, Knabe mit Hut in einer Haustür, 1758, Durchdruckverfahren und Roulette, koloriert, Graphische Sammlung der Universität Göttingen.

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agonistinnen unbekleidet. Speer und Helm hat sie abgelegt. Der Bildhintergrund wird von der Bildmitte bis zum linken Rand von verschiedenen Bäumen und dem bereits er-wähnten Wasserfall ausgefüllt. Rechts öffnet sich der Blick in die Ferne auf eine Fluss- und Küstenlandschaft, die auch einige Hügel mit Wiesen und Gebüschen und ein steil aufra-gendes Bergplateau umfasst.Durch einen Vergleich des Gemäldes mit der Zeichnung Claudes wird deutlich, wie Clau-de sein eigenes Werk dokumentierte und worauf es ihm hierbei besonders ankam bzw. was er vernachlässigte. Festzustellen

ist dabei, dass die lavierte und mit Weißhö-hungen versehene Federzeichnung, die sich heute im British Museum befindet, das Ge-mälde nicht präzise wiedergibt. Die Propor-tionen verschiedener Bildelemente zuein-ander sind nicht exakt wiedergegeben, wie es beispielsweise am Größenverhältnis des Speers der Minerva zu ihrem Körper oder im Vergleich der verschatteten Partie hinter Paris zu seiner Körpergröße zu beobachten ist. Auch die Abstände der im Vordergrund liegenden Schafe zueinander entsprechen ebenso wenig wie der Abstand des Baumes im Hintergrund zu dem am rechten Bildrand

ersten Besitzer des Originalgemäldes wer-den auch in der von Boydell veröffentlichten tabellarischen Auflistung erwähnt. Es zeigt sich aber, dass diese Informationen bereits im Erscheinungsjahr 1777 veraltet waren, be-fand sich das Bild doch bereits seit 1748 in London im Besitz eines Herrn David.28

Das Gemälde zeigt, links im Mittelgrund sit-zend, Paris als Hirten einer Herde Schafe, die sich wiederum zentral im Bildvorder-grund aufhält. Die Tiere liegen oder grasen dabei im Schatten eines Baumes, der am rechten Bildrand, leicht erhöht auf einem Felsvorsprung stehend, platziert wurde.

Eine Felswand links bildet zusammen mit dem Baum rechts den Rahmen der Szene. Paris hat vor diese Landschaftskulisse auf einem kleinen Vorsprung nahe einer Höhle oder Felsspalte Platz genommen. Im Hinter-grund ergießt sich ein Wasserfall. Vor Paris stehen, den rechten Zeigefinger erhebend, die Göttin Hera begleitet von einem Pfau, ihrem Attribut, sowie die spärlich bekleide-te Aphrodite samt dem Amorknaben. Hinter ihnen sitzt auf einem mit einem gelben Tuch überdeckten Felsen Minerva und untersucht ihren linken Fuß. Außer einem weißen Tuch um die Hüften ist sie wie die anderen Prot-

Abb.83: Richard Earlom nach Claude Lorrain, Hirten auf dem Forum Romanum, 1774, Mezzotinto und Radierung, Graphi-sche Sammlung der Universität Trier.

28 Vgl. die Angaben zur Provenienz des Objekts in der Online-Datenbank der National Gallery of Art in Washington D.C. unter der URL http://www.nga.gov/content/ngaweb/Collection/art-object-page.51095.html [Zuletzt eingesehen am 13.01.2016]. Die genauen Lebensdaten der Herren Le Danois und David ließen sich nicht bestimmen.

Stieglitz – Das Liber Veritatis

Abb.84: Richard Earlom nach Clau-de Lorrain, Reisende vor südlicher Landschaft, 1774, Mezzotinto und Radierung, Graphische Sammlung der Universität Trier.

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Dass Adam von Bartsch ein Virtuose auf dem Gebiet der Reproduktion von künstleri-schen Zeichnungen und Graphiken ist, stellt er unter anderem mit seinen Drucken nach Originalzeichnungen Rembrandts unter Be-weis. Es erfordert sehr viel künstlerisches und technisches Geschick, Handzeichnun-gen in Druckgraphiken reproduktiv zu über-führen. Adam von Bartsch gelingt es, das Linienbild der Federzeichnungen in seinen Radierungen in solch einer Präzision nach-zuahmen, dass der Laie zunächst kaum zu unterscheiden vermag, bei welchem Blatt es sich um das Original und bei welchem es sich um das Faksimile handelt. Bartsch übersetzt insgesamt 13 Blätter nach Zeich-nungen Rembrandts aus dem Bestand der Kupferstichsammlung der Wiener Hofbiblio-thek, die heute in der Albertina aufbewahrt werden. Im Jahr 1782 erschienen davon sechs Blätter im Wiener Kunstverlag Arta-ria in der Folge der Sechs Drucke nach den Original-Zeichnungen Rembrandts, aus der Sammlung der Kaiserlich-Königlichen Hof-bibliothek Wien.Durch Adam von Bartschs Reproduktionen hatte ein breiteres Publikum Zugang zur Kunst der Alten Meister. In der Ausgabe vom 01. Dezember 1783 der Tageszeitung Das Wienerblättchen werden neue Kupferstiche von Adam von Bartsch in einer Anzeige an-gekündigt. Unter anderem werden die sechs Drucke nach Rembrandt van Rijn1 bewor-ben, die für einen damaligen Preis von zwei Gulden und 16 Kreuzer erstanden werden konnten.2 Die Maße, Komposition und das strukturelle Erscheinungsbild der Reproduk-tionen decken sich mit denen der Originale, zudem sind sie äußerst detailgetreu. Rieger schreibt dazu: »Jede Linie, jedes An- und Ab-

setzen der Feder, jeder scheinbar zufällige Punkt und jedes noch so kleine Strichlein ist erhalten geblieben, auch wenn hier und da minimale Abweichungen im Verlauf einzel-ner Linien festgestellt werden können, die jedoch nicht als bewusste Klärung oder Ein-griffe zu werten sind.«3 Bartsch bewundert nach eigenem Bekunden die »malerische Unordnung«, eine »herum schweifende Frei-heit«, die für ihn die Schönheit Rembrandts Zeichnungen ausmacht. Außerdem schreibt Bartsch Rembrandt zu, durch gewisser-maßen zufällig hingeworfene Striche und Schraffierungen den »Charakter verschie-denen Alters und aller der Gegenstände« darstellen zu können, so dass Rembrandts Blätter »einen unaussprechlichen Reiz ver-breiten«.4

Das Gleichnis vom unwürdigen Hochzeitsgast

Ein gutes Beispiel für Bartschs Können ist die Reproduktion der Zeichnung Das Gleichnis vom unwürdigen Hochzeitsgast (Abb.163). Als Vorlage diente hier die heute Gerbrand van den Eeckhout (1621-1674), einem Schü-ler Rembrandts, zugeschriebene Zeichnung, die eine sehr genaue Kopie der originalen Zeichnung von Rembrandts Hand darstellt. Diese ist allerdings aufgrund einer späteren Beschneidung etwas schmaler als das Ori-ginal. Bartsch kannte beide aus der Samm-lung der Hofbibliothek. Jedoch ist nicht mehr genau zu entscheiden, weshalb Bartsch die Zeichnungskopie Eeckhouts zur Grundlage seiner Reproduktionsgraphik wählte und nicht die originale Zeichnung des Meisters5. In dem dargestellten Gleichnis6 geht es um einen König, der ein Hochzeitsfest für seinen

Abb.162 (gegenüberliegende Seite): Rembrandt, Selbstporträt zeichend am Fenster, Radierung udn Kaltnadel, Kunst-sammlung der Universität Göttingen.

1 Six Estampes d’aprés Rembrandt par Ryn.2 Das Wienerblättchen vom 01. Dezem-ber 1783.3 Rieger 2014, Bd.1, S.156.4 Bartsch 1821, Bd.1, S.208-209 zu Rembrandt.5 Rieger 2014, Bd.2, S.289.6 Mt 22, 2-10.

Eine »Federzeichnung« auf der Kupferplatte – Adam von Bartsch und die Rembrandt-Reproduktion

von Evi Käßbohrer

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samteuropäisch nur an fünfter Stelle steht, wurden seine Zeichnungen in England gar am zweithäufigsten reproduziert.20

Die Graphische Sammlung der Universität Trier besitzt zwei Blätter nach Guercino des italienischen Graphikers Francesco Barto-lozzi, einem der wichtigsten und produktiv-sten der in England tätigen Reproduktions-graphiker. Sie zeigen das Halbfigurenporträt eines Apostels (Abb.183)21 sowie den Heili-gen Nikolaus in Bischofstracht mit den drei Goldklumpen als Attribut22. Beide Blätter sind radiert und in brauner Tinte gedruckt.23 Sie waren Teile eines größeren Publikations-projekts, das die von Georg III. unter Mithilfe

von Richard Dalton erworbenen Guercino-Zeichungen reproduzierte, den sogenannten Eighty-Two Prints, engraved by F. Bartolozzi et C, from the original drawings of Guercino, in the Collection of his Majesty. [...].24 Die Zeichnungen sind noch heute Teil der Royal Collection der englischen Königin.25

An beiden Blättern lässt sich gut aufzeigen, wie eng Bartolozzis Biographie mit der Re-produktion von Guercinos Handzeichnun-gen verbunden ist. Der 1728 in Florenz geborene Sohn eines Goldschmiedes lernte hier zunächst Zeich-nen und Malen bei Ignazio Hugford (1703-1748)26, bevor er 1748 nach Venedig ging,

20 Vgl. Peters 1987, S.141-143.21 Vgl. Calabi/de Vesme 1928,S.540, Kat.2163, Zustand II.22 Calabi/de Vesme 1928,Kat.2178.23 Calabi/de Vesme 1928, S.533.24 Calabi/de Vesme 1928, S.533 u. Schwaighofer 2009, S.167, Kat.19.25 Vgl. Mahon/Turner 1989, S.132, Kat.389 u. S.151, Kat.474.26 Zu den Lebensdaten Hugfords vgl. den Eintrag in der Gemeinsamen Norm-datei auf der Homepage des Katalogs der Deutschen Nationalbibliothek unter der URL http://d-nb.info/gnd/133913708 [zuletzt eingesehen am 07.03.2016].

nungen entstanden ist.16 Ob Benedetto und Cesare Gennari (1637-1688) damit bewusst das Ziel verfolgten, den Bekanntheitsgrad der Zeichnungen ihres Onkels und somit die Nachfrage nach diesen zu erhöhen, bleibt spekulativ. Es dürfte diesem aber auch nicht geschadet haben. Zu weiteren Verkäufen von Zeichnungen aus diesem Bestand kam es erst wieder in den 1750er Jahren, als es u.a. Richard Dalton (ca.1715-1791)17, dem Hofbi-bliothekar des englischen Königs Georg III.(1738-1820)18, gelang, Zeichnungen für die königlichen Sammlungen zu erwerben.19 Es scheint also durchaus wahrscheinlich, dass neben der Qualität der Zeichnungen Guerci-

nos auch ihre Seltenheit sowie das Interesse wichtiger Sammler, Kenner und Publizisten ausschlaggebend für die allgemeine Guerci-no-Begeisterung waren. Eine sichtbare Folge dieser Wertschätzung ist in jedem Fall die häufige druckgraphi-sche Reproduktion seiner Zeichnungen ge-gen Ende des 18. Jahrhunderts, besonders in England. Einige Zahlen, die dies belegen, versammelt Anne Peters in ihrer Dissertati-on zu den Handzeichnungsreproduktionen Francesco Bartolozzis. Sie hält fest, dass Guercino zu den fünf am häufigsten in Hand-zeichnungsmappenwerken reproduzierten Künstlern in Europa gehörte. Während er ge-

16 Gemeint sind die Paesi, Disegni del Cav. Gio. Franco Barbieri. Vgl. Schwaigho-fer 2009, S.75-76.17 Zu den Lebensdaten vgl. den Eintrag im Oxford Biography Index unter der URL http://www.oxforddnb.com/in-dex/101007068/Richard-Dalton [zuletzt eingesehen am 07.03.2016].18 Zu den Lebensdaten Georgs III. vgl. den Eintrag in der Gemeinsamen Norm-datei auf der Homepage des Katalogs der Deutschen Nationalbibliothek unter der URL http://d-nb.info/gnd/118716913 [zuletzt eingesehen am 07.03.2016].19 Zur Geschichte des Verkaufs einzel-ner Objektgruppen aus dem Nachlass Guercinos im 18. Jahrhundert., vgl. Mahon/Turner 1989, S.XX-XXVII.

Stieglitz – Handzeichnungen Guercinos als Vorlagen für druckgraphische Mappenwerke