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Inland L Liechtensteiner Vaterland | Dienstag, 1. Juli 2014 4 «Ein neuer Aufbruch ist überfällig» Mit einer Feierstunde dankte das Ministerium für Gesellschaft gestern den zahlreichen Frauen, die sich für das Frauenstimmrecht eingesetzt haben und sich auch heute für Menschenrechte stark machen. Der Wunsch nach mehr Frauen in der Politik bleibt bestehen. JANINE KÖPFLI VADUZ. Es war eine kleine, über- schaubare Feier in der Säulen- halle des Landtagsgebäudes, die an den historischen Tag heute vor 30 Jahren erinnern sollte. Es waren bei weitem nicht alle mu- tigen Frauen und Männer vor Ort, die sich über Jahre für das Frauenstimmrecht in Liechten- stein eingesetzt hatten, ihnen wurde aber dennoch in aller Form gedankt. Vor allem all jenen Frauen, die sich nach der Einführung des Frauenstimm- rechts für eine Kandidatur auf Gemeinde- und Landesebene zur Verfügung gestellt hatten, ge- bührt Respekt und Anerken- nung, wie Regierungsrat Mauro Pedrazzini betonte. Er gab in sei- nen Grussworten einen histori- schen Rückblick auf die Einfüh- rung des Frauenstimmrechts in den verschiedenen europäi- schen Staaten, was nicht zuletzt mit den Folgen der Weltkriege zu tun hatte. Liechtenstein – ver- schont von der direkten Zerstö- rung der Kriege – war das letzte europäische Land, das 1984 das Frauenstimmrecht einführte. «Kein Ruhmesblatt» «Kein Ruhmesblatt in der Ge- schichte Liechtensteins», sagte Thomas Hasler, interimistischer Leiter der Stabsstelle für Chan- cengleichheit. Die weniger star- ken Auswirkungen der Kriege waren aber nicht der einzige Grund, warum es in Liechten- stein so lange dauerte, bis den Frauen das Stimm- und Wahl- recht – ein eigentlich selbstver- ständliches Menschenrecht – ge- währt wurde. Es sei jedoch müs- sig, über die Gründe zu diskutie- ren, meinte Thomas Hasler. Vielmehr gehe es darum aufzu- zeigen, dass gerade auch junge Menschen erkennen, dass Men- schenrechte nicht selbstver- ständlich sind. Er richtete den Blick nach vorne, denn auch 30 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts gibt es keine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in politi- schen Gremien. In den Gemein- deräten und im Landtag bewegt sich der Frauenanteil zwischen 20 bis 25 Prozent. Ebenso sind Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft, wie in anderen Ländern auch, noch keine reine Selbstverständlichkeit, so Hasler. Wahlwerbung Es verwundert auch nicht, dass sowohl Mauro Pedrazzini wie auch Thomas Hasler die Gunst der Stunde für Wahlwer- bung nutzten und die Frauen aufriefen, sich doch für politi- sche Positionen vor allem in den anstehenden Gemeindewahlen zur Verfügung zu stellen. Ob dies allerdings tatsächlich etwas an der Zahl der Frauen in Füh- rungs- und Machtpositionen än- dern würde, sei dahin gestellt. Der Politologe Wilfried Marxer erklärte in seinem Vortrag zur politischen Vertretung von Frau- en, dass nicht nur in Liechten- stein die Zahl der Frauen in po- litischen Positionen stagniere. Eine Erfolgsgeschichte stelle sich nicht automatisch ein, sagte Wil- fried Marxer. Zwar erhöhten sich die Chancen der Frauen auch tatsächlich gewählt zu werden in den vergangenen Jahren enorm, dennoch traue man den Frauen nach wie vor nicht alles zu. Eine Frau müsse sich in der politi- schen Welt erst beweisen, wäh- rend ein Mann schon als politi- sches Wesen geboren werde. Es sei auch zu einfach, dass die Par- teien sich mit dem Argument «die Frauen wollen ja nicht» aus der Affäre ziehen. Die Parteien müssten nach Ansicht von Mar- xer vielmehr bestrebt sein, ein politisches Umfeld zu schaffen, das auch für Frauen attraktiver ist. Wenn sich Frauen beispiels- weise nicht gerne auf Macht- Kämpfe einlassen und andere Prioritäten setzen, könnten das die Parteien auch gezielt nutzen und neue Regeln schaffen. Die Parteien müssten sich selbst verpflichten, die Chancen- gleichheit zu fördern, indem sie sich beispielsweise zwingen, eine Liste nur herauszugeben, wenn sie paritär ist, sagte Mar- xer. «Das müsste mit Manage- mentqualitäten zu machen sein.» Dies sei keine «absurde» Massnahme, denn schwierige Themen brauchen mitunter harte Massnahmen. Fortschritte und Rückfälle Dass es auch auf dem Weg zur Einführung des Frauenstimm- rechts die eine oder andere harte Massnahme brauchte, damit sich die verkrusteten Strukturen lösten, erzählten drei Vertrete- rinnen der Aktion Dornröschen. Christel Hilti, Silvy Frick Tanner und Claudia Robinigg gaben einen Stimmungsbericht, erzähl- ten von den Plakataktionen, vom Quadratschädel und der Reise nach Strassburg (siehe Artikel unten). Sie sprachen auch von der Aufbruchsstimmung nach der Abstimmung, von den poli- tischen Fortschritten und den vielen neuen Einrichtungen für die Frauen, die entstanden. Aber auch von Rückfällen, beispiels- weise, dass die Kommission für Chancengleichheit 2013 aus Pro- test zurückgetreten ist, dass die Stabsstelle für Chancengleich- heit reduziert wurde und dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit nach wie vor ein frommer Wunsch ist. Es braucht unbequeme Menschen Ein neuer Aufbruch sei über- fällig. «Es braucht unbequeme und mutige Menschen, die sich einsetzen und Liechtenstein wei- terbringen», sagte Christel Hilti. Es müsse etwas vorwärtsgehen, ganz nach dem Motto von Dorn- röschen: «Auf die Dauer hilft nur Power!» Die Aktion Dornröschen VADUZ. Christel Hilti, Silvy Frick Tanner und Claudia Robinigg er- zählten: «Die Aktion Dornrös- chen wurde 1981 von Barbara Rheinberger und Regina Marxer ins Leben gerufen, um wieder Be- wegung in die verkrustete Bewe- gung ums Frauenstimmrecht zu bringen. Mutig und entschlossen setzten sich bis zu 20 Frauen für die Aktion ein und hängten das legendäre Dornröschen Plakat auf. Dass Frauen politische Rech- te forderten und nicht darum baten, kam einem Skandal gleich. In Liechtenstein herrschte totale Entrüstung. Aber die Dornrös- chen hatten längst beschlossen diesen Weg zu gehen. Natürlich brauchte es Mut ein Dornröschen zu sein, wir stärkten uns aber ge- genseitig und versuchten nie den Humor zu verlieren und das Fei- ern zu vergessen. Wir suchten das Gespräch mit Frauen und disku- tierten mit den Männern. In einer Broschüre gaben wir Erklärungen ab zu den gängigsten Argumen- ten gegen das Frauenstimmrecht. Die Gegner sagten beispielsweise: «Man müsse nur den richtigen Mann finden, der stimmt dann schon, was die Frau will.» Er war eine stürmische Zeit und den Dornröschen wurde sogar die Weiblichkeit abgesprochen. Wir waren keine echten Frauen und Mütter, sondern «falsch emanzi- pierte Mann-Weiber». Es gab Drohungen und Telefonate. Und als dann das Plakat mit dem Quadratschädel in alle Haushal- te geschickt wurde, war die Hölle los. Ein Leserinnenbrief gab den Anstoss. Eine junge Frau machte ihrem Unmut Luft, weil die Ge- meinde Schaan das Frauen- stimmrecht abgelehnt hatte. Die Aktion Dornröschen wollte etwas Humoristisches beisteu- ern, etwas das die Stimmung dämpfte. Das Gegenteil war der Fall. Dornröschen wurde totge- sagt, aber wir gaben nicht auf und überlegten uns eine neue Strategie. Wir holten uns Unter- stützung beim Europarat. Wir planten die Reise im Geheimen. Irgendwie sickerte unser Vorha- ben aber durch, worauf uns alle von der Reise abhalten wollten. Wir reisten aber trotzdem nach Strassburg und konnten unser Anliegen am Ende auch vorbrin- gen. Zurück im Land war die Hölle los. Aber es kam Bewegung in die Sache und schon neun Monate später stimmten die Männer – wenn auch knapp, mit 51,3 Prozent – dem Frauen- stimmrecht zu. Wir freuten uns riesig.» Josy Biedermann, Violanda Lanter-Koller, Alice Fehr und Judith Oehri. Rahel Gehrig, Martina Haas, Regierungschef-Stv. Thomas Zwiefelhofer und Claudia Heeb-Fleck. Bilder: sdb Drei Dornröschen blicken zurück: Christel Hilti, Claudia Robinigg und Silvy Frick Tanner. Regierungsrätin Marlies Amann-Marxer und Emma Eigenmann, die erste Landtagsabgeordnete Liechtensteins. Wilfried Marxer. Mauro Pedrazzini.

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Inland LLiechtensteiner Vaterland | Dienstag, 1. Juli 2014 4

«Ein neuer Aufbruch ist überfällig»Mit einer Feierstunde dankte das Ministerium für Gesellschaft gestern den zahlreichen Frauen, die sich für das Frauenstimmrecht eingesetzt haben und sich auch heute für Menschenrechte stark machen. Der Wunsch nach mehr Frauen in der Politik bleibt bestehen.JANINE KÖPFLI

VADUZ. Es war eine kleine, über-schaubare Feier in der Säulen-halle des Landtagsgebäudes, diean den historischen Tag heutevor 30 Jahren erinnern sollte. Eswaren bei weitem nicht alle mu-tigen Frauen und Männer vorOrt, die sich über Jahre für dasFrauenstimmrecht in Liechten-stein eingesetzt hatten, ihnenwurde aber dennoch in allerForm gedankt. Vor allem alljenen Frauen, die sich nach derEinführung des Frauenstimm-rechts für eine Kandidatur aufGemeinde- und Landesebenezur Verfügung gestellt hatten, ge-bührt Respekt und Anerken-nung, wie Regierungsrat MauroPedrazzini betonte. Er gab in sei-nen Grussworten einen histori-schen Rückblick auf die Einfüh-rung des Frauenstimmrechts inden verschiedenen europäi-schen Staaten, was nicht zuletztmit den Folgen der Weltkriege zutun hatte. Liechtenstein – ver-schont von der direkten Zerstö-rung der Kriege – war das letzteeuropäische Land, das 1984 dasFrauenstimmrecht einführte.

«Kein Ruhmesblatt»

«Kein Ruhmesblatt in der Ge-schichte Liechtensteins», sagteThomas Hasler, interimistischerLeiter der Stabsstelle für Chan-cengleichheit. Die weniger star-ken Auswirkungen der Kriegewaren aber nicht der einzigeGrund, warum es in Liechten-stein so lange dauerte, bis den

Frauen das Stimm- und Wahl-recht – ein eigentlich selbstver-ständliches Menschenrecht – ge-währt wurde. Es sei jedoch müs-sig, über die Gründe zu diskutie-ren, meinte Thomas Hasler.Vielmehr gehe es darum aufzu-zeigen, dass gerade auch jungeMenschen erkennen, dass Men-schenrechte nicht selbstver-ständlich sind. Er richtete denBlick nach vorne, denn auch 30Jahre nach der Einführung desFrauenstimmrechts gibt es keineausgewogene Vertretung vonFrauen und Männern in politi-schen Gremien. In den Gemein-deräten und im Landtag bewegtsich der Frauenanteil zwischen20 bis 25 Prozent. Ebenso sind

Frauen in Führungspositionenin der Wirtschaft, wie in anderenLändern auch, noch keine reineSelbstverständlichkeit, so Hasler.

Wahlwerbung

Es verwundert auch nicht,dass sowohl Mauro Pedrazziniwie auch Thomas Hasler dieGunst der Stunde für Wahlwer-bung nutzten und die Frauenaufriefen, sich doch für politi-sche Positionen vor allem in denanstehenden Gemeindewahlenzur Verfügung zu stellen. Ob diesallerdings tatsächlich etwas ander Zahl der Frauen in Füh-rungs- und Machtpositionen än-dern würde, sei dahin gestellt.Der Politologe Wilfried Marxer

erklärte in seinem Vortrag zurpolitischen Vertretung von Frau-en, dass nicht nur in Liechten-stein die Zahl der Frauen in po-litischen Positionen stagniere.Eine Erfolgsgeschichte stelle sichnicht automatisch ein, sagte Wil-fried Marxer. Zwar erhöhten sichdie Chancen der Frauen auchtatsächlich gewählt zu werden inden vergangenen Jahren enorm,dennoch traue man den Frauennach wie vor nicht alles zu. EineFrau müsse sich in der politi-schen Welt erst beweisen, wäh-rend ein Mann schon als politi-sches Wesen geboren werde. Essei auch zu einfach, dass die Par-teien sich mit dem Argument«die Frauen wollen ja nicht» aus

der Affäre ziehen. Die Parteienmüssten nach Ansicht von Mar-xer vielmehr bestrebt sein, einpolitisches Umfeld zu schaffen,das auch für Frauen attraktiverist. Wenn sich Frauen beispiels-weise nicht gerne auf Macht-Kämpfe einlassen und anderePrioritäten setzen, könnten dasdie Parteien auch gezielt nutzenund neue Regeln schaffen.

Die Parteien müssten sichselbst verpflichten, die Chancen-gleichheit zu fördern, indem siesich beispielsweise zwingen,eine Liste nur herauszugeben,wenn sie paritär ist, sagte Mar-xer. «Das müsste mit Manage-mentqualitäten zu machensein.» Dies sei keine «absurde»

Massnahme, denn schwierigeThemen brauchen mitunterharte Massnahmen.

Fortschritte und Rückfälle

Dass es auch auf dem Weg zurEinführung des Frauenstimm-rechts die eine oder andere harteMassnahme brauchte, damitsich die verkrusteten Strukturenlösten, erzählten drei Vertrete-rinnen der Aktion Dornröschen.Christel Hilti, Silvy Frick Tannerund Claudia Robinigg gabeneinen Stimmungsbericht, erzähl-ten von den Plakataktionen, vomQuadratschädel und der Reisenach Strassburg (siehe Artikelunten). Sie sprachen auch vonder Aufbruchsstimmung nachder Abstimmung, von den poli-tischen Fortschritten und denvielen neuen Einrichtungen fürdie Frauen, die entstanden. Aberauch von Rückfällen, beispiels-weise, dass die Kommission fürChancengleichheit 2013 aus Pro-test zurückgetreten ist, dass dieStabsstelle für Chancengleich-heit reduziert wurde und dassgleicher Lohn für gleiche Arbeitnach wie vor ein frommerWunsch ist.

Es braucht unbequeme Menschen

Ein neuer Aufbruch sei über-fällig. «Es braucht unbequemeund mutige Menschen, die sicheinsetzen und Liechtenstein wei-terbringen», sagte Christel Hilti.Es müsse etwas vorwärtsgehen,ganz nach dem Motto von Dorn-röschen: «Auf die Dauer hilft nurPower!»

Die Aktion DornröschenVADUZ. Christel Hilti, Silvy FrickTanner und Claudia Robinigg er-zählten: «Die Aktion Dornrös-chen wurde 1981 von BarbaraRheinberger und Regina Marxerins Leben gerufen, um wieder Be-wegung in die verkrustete Bewe-gung ums Frauenstimmrecht zubringen. Mutig und entschlossensetzten sich bis zu 20 Frauen fürdie Aktion ein und hängten daslegendäre Dornröschen Plakatauf. Dass Frauen politische Rech-te forderten und nicht darumbaten, kam einem Skandal gleich.In Liechtenstein herrschte totaleEntrüstung. Aber die Dornrös-chen hatten längst beschlossen

diesen Weg zu gehen. Natürlichbrauchte es Mut ein Dornröschenzu sein, wir stärkten uns aber ge-genseitig und versuchten nie denHumor zu verlieren und das Fei-ern zu vergessen. Wir suchten dasGespräch mit Frauen und disku-tierten mit den Männern. In einerBroschüre gaben wir Erklärungenab zu den gängigsten Argumen-ten gegen das Frauenstimmrecht.Die Gegner sagten beispielsweise:«Man müsse nur den richtigenMann finden, der stimmt dannschon, was die Frau will.» Er wareine stürmische Zeit und denDornröschen wurde sogar dieWeiblichkeit abgesprochen. Wir

waren keine echten Frauen undMütter, sondern «falsch emanzi-pierte Mann-Weiber». Es gabDrohungen und Telefonate. Undals dann das Plakat mit demQuadratschädel in alle Haushal-te geschickt wurde, war die Höllelos. Ein Leserinnenbrief gab denAnstoss. Eine junge Frau machteihrem Unmut Luft, weil die Ge-meinde Schaan das Frauen-stimmrecht abgelehnt hatte. DieAktion Dornröschen wollteetwas Humoristisches beisteu-ern, etwas das die Stimmungdämpfte. Das Gegenteil war derFall. Dornröschen wurde totge-sagt, aber wir gaben nicht auf

und überlegten uns eine neueStrategie. Wir holten uns Unter-stützung beim Europarat. Wirplanten die Reise im Geheimen.Irgendwie sickerte unser Vorha-ben aber durch, worauf uns allevon der Reise abhalten wollten.Wir reisten aber trotzdem nachStrassburg und konnten unserAnliegen am Ende auch vorbrin-gen. Zurück im Land war dieHölle los. Aber es kam Bewegungin die Sache und schon neunMonate später stimmten dieMänner – wenn auch knapp, mit51,3 Prozent – dem Frauen-stimmrecht zu. Wir freuten unsriesig.»

Josy Biedermann, Violanda Lanter-Koller, Alice Fehr und Judith Oehri. Rahel Gehrig, Martina Haas, Regierungschef-Stv. Thomas Zwiefelhofer und Claudia Heeb-Fleck.

Bilder: sdb

Drei Dornröschen blicken zurück: Christel Hilti, Claudia Robinigg und Silvy Frick Tanner.

Regierungsrätin Marlies Amann-Marxer und Emma Eigenmann,die erste Landtagsabgeordnete Liechtensteins.

Wilfried Marxer. Mauro Pedrazzini.

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Sie waren die wahren HeldinnenHeute vor 30 Jahren war ein Freudentag, nicht nur für die Frauen in Liechtenstein, sondern vor allem für die Demokratie. Nach einem fast 20-jährigen Hin und Her sagten die Männer im dritten Anlauf Ja zum Frauenstimmrecht. Der Kampf um gleiche Rechte geht aber weiter.

JANINE KÖPFLI

VADUZ. Die Erleichterung wargross. Knapp zwar, aber Liech-tensteins Männer hatten mit2370 Jastimmen zu 2251 Nein-stimmen dem Frauenstimm-recht auf Landesebene endlichzugestimmt. Die Befürworterin-nen und Befürworter des Frau-enstimmrechts, die Kämpferin-nen und Kämpfer für ein wichti-ges Menschenrecht, versammel-ten sich vor 30 Jahren vor demRegierungsgebäude in Vaduzund feierten.

Es war eine kleine, leise Feiermit Sekt und lachenden Gesich-tern. Es gibt kaum Fotos von die-sem historischen Moment. Fürdie Presse war es wohl zu wenigspektakulär, ganz ohne Dankes-transparente oder Dankesfähn-chen, ganz ohne Freudentaumelund Lobgesänge. Was nicht ver-wunderlich war, denn zu er-nüchternd war das knappe Er-gebnis. Enttäuschend die Tatsa-che, dass in Balzers, Triesen undTriesenberg sowie in Mauren dieFrauenstimmrechts-Gegner klardie Oberhand behielten. Peinlichgenug, dass Liechtenstein dasletzte Land Europas war, welchesdas Frauenstimmrecht einge-führt hat – dreizehn Jahre nachder Schweiz.

Unzählige Baustellen

«Natürlich freuten wir uns»,erinnert sich Patricia Büchel anjenen ersten Sonntag im Juli1984. Sie war eine der Frauen,die sich schon in den 60er-Jah-ren für das Frauenstimmrechteinsetzten. «Ich hatte gleichzeitigaber auch ein ungutes Gefühlund fragte mich, wie es in Liech-tenstein weitergehen wird.» Zwardurften die Frauen jetzt politischmitbestimmen, der Kampf umgleiche Rechte war aber nochlange nicht ausgefochten. In Sa-chen Bildungszugang hatten dieFrauen schon etwas aufgeholt –ab dem Schuljahr 1968/69 standihnen offen, das Gymnasium inVaduz zu besuchen. Doch dassalle Landesangehörigen vor demGesetz gleich und öffentlicheÄmter für Angehörige beider Ge-schlechter gleich zugänglichsind, wurde erst 1992 (!) in derVerfassung verankert. Bis heutegibt es bei der Umsetzung derabsoluten Gleichstellung vonFrau und Mann unzählige Bau-stellen.

Durchhaltewillen und Mut

Dies sind nachvollziehendeGründe, warum sich das Freu-denfest am 1. Juli 1984 in Gren-zen hielt. Dazu kommt, dass dieFrauen und auch Männer, diesich Jahre für das Frauenstimm-recht stark machten, aus heuti-ger Sicht gesehen, wohl kaummehr die Kraft hatten, um zu ju-beln. Der Kampf für ein grundle-gendes Menschenrecht dauerteviel zu lange, er war unfair, kräf-teraubend, unschön. «Es hat ihnaber gebraucht», sagt PatriciaBüchel. «Liechtenstein hat imEilzugtempo erlebt, was andereLänder in einem Jahrhundertdurchmachten.»

Der Weg zum Frauenstimm-recht in Liechtenstein hat vorallem Durchhaltevermögen undMut gebraucht. Als 1965 dasThema erstmals im Landtag zurSprache kam, war man recht zu-versichtlich, dass man das Ganzein nützlicher Frist abhaken undzum nächsten Schritt übergehenkönnte. Regierungschef GerardBatliner und einige Landtagsab-geordnete (allen voran Ernst Bü-chel) wollten das Frauenstimm-

recht durch Parlementsbe-schluss einführen – es wäre einekleine Sache gewesen.

Die Regierung wollte jedocheiner Meinungsumfrage nichtvorgreifen. Die «Konsultativ-Ab-stimmung» vom 4. Juli 1968 än-derte alles. Zwar durften sich dieFrauen an dieser Testabstimmungbeteiligen, die Männer verwarfenaber ein Ja zum Frauenstimm-recht mit erschreckender Deut-lichkeit. Nach dieser Testabstim-

mung war undenkbar, das Frau-enstimmrecht durch Parlaments-beschluss einzuführen. Die Män-ner sollten das Sagen haben undsie sagten in den darauffolgendenAbstimmungen 1971 und 1973Nein. Veronika Marxer schreibtdazu in ihrem Beitrag «Zur Ein-führung des Frauenstimmrechtsin Liechtenstein – ein Sittenge-mälde»: «Mit diesem Entschlusswurde den liechtensteinischenFrauen ihr legitimer Anspruch auf

politische Gleichberechtigung ab-erkannt und es begann der demü-tigende Kampf der Frauen um dieGunst der männlichen Potenta-ten.»

In kaum einem Land ging dieFrauenrechtsbewegung ohnelaute Töne vonstatten. Die Män-ner gaben ihr Privileg nicht ohneWeiteres auf. Es war ein Prozess,in dem sich Frauen und Männermit Grundrechten, den Prinzipienvon Demokratie, Macht und vor

allem mit Veränderung auseinan-dersetzen mussten. So auch inLiechtenstein. Es brauchte dieEntstehung der liechtensteini-schen Frauenstimmrechtsbewe-gung. Es brauchte die erste Frau-endemonstration. Es brauchtealle kleinen und grossen Etappen-ziele bis zur Einführung des Frau-enstimmrechts.

Frauen stellen sich gegen Männer

Davon ist auch Patricia Büchelüberzeugt. Als sie zusammen mitanderen Frauen 1971 die «Ar-beitsgruppe für die Frau» grün-dete, war das ein viel grössererSchritt, als man es aus heutigerSicht denken würde. «Es brauch-te Mut, sich für die Sache derFrau einzusetzen.» In einer Zeit,zu der es in einem erzkonserva-tiven katholischen Land un-denkbar war, dass die Frauenüberhaupt sagten, dass etwasnicht stimmt, suchte die Arbeits-gruppe für die Frau jeweils zweiFrauen aus jeder Gemeinde, ummehr Gewicht zu bekommen.Jene Mütter und Hausfrauen, diesich Anfang der 70er-Jahre vomtraditionellen Rollenbild lösten,sich teilweise auch gegen ihreMänner stellten und sich derGruppe anschlossen, gebührtRespekt. Sie waren die erstenWegbereiterinnen des Frauen-stimmrechts in Liechtenstein,die teilweise mit sozialer Verach-tung, Spott und Häme bestraftwurden. «Sie sind die wahrenHeldinnen dieser Geschichte»,sagt Patricia Büchel.

Es brauchte den Quadratschädel

Hätten sich keine Frauen ge-funden, die bei der Arbeitsgruppefür die Frau mitgewirkt hätten,wäre vieles nicht möglich gewe-sen. Es hätte keine Auseinander-setzung mit Frauenthemen gege-ben, eine Aufklärung hätte nichtstattgefunden, die Parteien hättensich vielleicht nicht zu einem ge-meinsamen Antrag zur Einfüh-rung des Frauenstimmrechts hin-reissen lassen. Und auch die Akti-on Dornröschen, die in den 80er-Jahren mit sehr viel Mut, Druck,unvergesslichen Flugblättern(«Quadratschädel») und Beharr-lichkeit die Menschen in Liech-tenstein aus einer regelrechtenWinterstarre gelöst hatte, hättenicht auf der Vorarbeit jener Frau-en aufbauen können.

Und es wären wohl 1983 nichtzwölf Frauen nach Strassburg ge-reist, um den Europarat über dasfehlende Frauenstimmrecht inLiechtenstein zu informieren.Die Reise war umstritten, dieTeilnehmerinnen wurden zuHause als Nestbeschmutzerin-nen beschimpft. Doch dannschaltete sich der Fürst ein undplötzlich kam Bewegung in dieSache, da die Parteien dasThema wieder aufrollten.

Die Einführung des Frauen-stimmrechts ist Frauen und auchMännern zu verdanken. Genau-so soll es sein. Und es liegt auchin den Händen der Frauen undMänner, dass die Gleichberech-tigung endlich in allen Bereichenerreicht wird, damit endlich sorichtig gefeiert werden kann.

Bild: Landesarchiv; Alfons Kieber, Mauren

Die Demonstration nach der ersten Abstimmung am 28. Februar 1971 ging als erste Frauendemonstration in die Liechtensteiner Geschich-te ein. Von der dritten Abstimmung 1984 gibt es nur ganz wenige Fotos (siehe Bild unten).

Ein langer, steiniger WegVADUZ. Der lange Weg des Frau-enstimmrechts kann nicht aufwenigen Zeilen aufgezeigt wer-den. Im Folgenden sind nur eini-ge Daten aufgeführt: Erstmalserwähnt wird das Thema Frau-renstimmrecht in der liechten-steinischen Presse im Zuge derFrauenrechtsbewegung um dieJahrhundertwende. Es sollteaber noch einmal ein halbesJahrhundert dauern, bis sich1965 der Landtag erstmals ganzkonkret mit dem Thema befasst.Schon 1968 legt die Regierungeinen Bericht zur Einführungdes Frauenstimmrechts vor, sieorientiert sich im Wesentlichenan der Schweiz. In der Konsulta-tiv-Abstimmung am 4. Juli 1968hätten die Frauen dem Frauen-stimmrecht zugestimmt. DieMänner stimmen jedoch deut-lich dagegen. Im Zuge der Test-abstimmung sorgen die Pfadfin-derinnen für die ersten frauen-

emanzipatorischen Vorstösse. ImNovember 1969 wird das «Komi-tee für das Frauenstimmrecht»gegründet. In einer ersten Ab-stimmung am 26./28. Februar1971 wird das Frauenstimmrechtmit 1897 Nein zu 1816 Ja abge-lehnt, worauf es ab 28. Februarzur ersten Frauendemonstrationkommt. 1971 will man mit derGründung der «Arbeitsgruppefür die Frau» das Thema gemein-sam angehen. Die Parteien wer-den miteinbezogen. Verschiede-ne Frauenthemen werden aufge-worfen und diskutiert. In derzweiten Abstimmung am 9./11.Februar 1973 wird das Frauen-stimmrecht aber noch deutlicherabgelehnt (2126 Nein zu 1675 Ja).Vaduz ist 1976 die erste Gemein-de, die das Frauenstimmrechteinführt. 1978 tritt Liechtensteindem Europarat bei mit der Auf-lage das Frauenstimmrechtschnellstmöglich einzuführen.

1980 führt Gamprin das Frauen-stimmrecht ein. Im Mai 1981gründet eine Handvoll Frauendie Aktion Dornröschen. Frauenstellen Forderungen, das wird alsTabubruch angesehen. 1981

lehnt Schaan das Frauenstimm-recht ab, ein Jahr später weist derStaatsgerichtshof die Beschwer-de von 24 Liechtensteinerinnenab. Das Thema ist mittlerweilehoch emotional und das «Qua-dratschädel-Flugblatt» löst einmittleres Beben aus. Einige Tagespäter wird im Volksblatt eineFälschung des Quadratschädelsveröffentlicht mit einer Ent-schuldigung. Die Aktion Dorn-röschen wehrt sich gegen dieseIrreführung der öffentlichenMeinung, wird selbst aber zueiner Busse verurteilt.

1983 reisen 12 Frauen nachStrassburg zum Europarat. ImDezember führen Planken, Rug-gell und Schellenberg das Frau-enstimmrecht ein. Eschen folgteinen Monat später. In der Ab-stimmung vom 29. Juni/1. Julistimmen 51,3 Prozent der Män-ner dem Frauenstimmrecht zu.Quelle: Inventur, 1994

Bild: Landesarchiv

Eines der wenigen Bildervom 1. Juli 1984, das diekleine Feier vor dem Regie-rungsgebäude zeigt.