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Ein schwebender Berg Neu Schönau 5. - 7. Juni 1998 Kommentare zur 37. Strophe des Shinjinmei von Meister Sōsan von Zen-Mönch Philippe Coupey (mit einem Glossar) René Magritte „Le château de Pyrénées“

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Ein schwebender Berg

Neu Schönau5. - 7. Juni 1998Kommentare zur 37. Strophe des Shinjinmei von Meister Sōsanvon Zen-Mönch Philippe Coupey(mit einem Glossar)

René Magritte „Le château de Pyrénées“

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Kommentierte Strophe aus dem Shinjinmei von Meister Sōsan

37. Strophe

Wenn der Geist schwach ist, ist er verstört.Was bringt es da, einseitig zu sein?

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Sesshin in Neu Schönau—

5. – 7. Juni 1998

Godō: Philippe Coupey

Freitag, 5. Juni 1998, 07.30 Uhr[Zazen]Beobachtet euren Geist. Der Geist am Anfang eines Sesshinsunterscheidet sich vom Geist am Ende. Nehmt diesen Unterschied wahr.„Den Geist beobachten“ soll heißen, den kleinen Geist beobachten. Dengroßen Geist beobachtet man nicht.

Wie Ihr alle inzwischen wisst, bedeutet Sesshin mit dem wahren Geistin Kontakt zu kommen. Dies ist auch die Praxis von Zazen. Sesshinbedeutet auch, die ganze Zeit konzentriert zu sein – morgens,nachmittags und nachts. All unsere Handlungen, unser Betragen, unsereVerhaltensweisen – wie wir essen, wie wir sprechen, wie wir nichtsprechen… Wie ich letzte Nacht schon sagte, hört auf mit ausgedehntenGesprächen. Lacht nicht laut.

Dōshu ist ein Begriff, den Meister Deshimaru ständig benutzt hat.Einmal hat Meister Deshimaru sich hingesetzt und hat gezählt, wie oftdas Wort Dōshu in Dōgens Werk Shōbōgenzō vorkommt. Dōgen benutztedas Wort 299 mal. Dōshu bezeichnet, wie wir den Weg nehmen, wie wirihn ausdrücken – durch den Körper, den Mund, den Geist.

Dō bedeutet „Weg“ und Shu bedeutet „nehmen“. Wie drückst du deinSatori aus – mit dem Mund, mit dem Körper, mit der Zazen-Haltung.

Eine subjektive Bestätigung ist notwendig. Satori durch das Leseneines Buchs über Zen ist nicht wirklich Satori. Es ist Satori von jemandanders. Es ist nötig zu praktizieren und subjektive Bestätigung zu haben,subjektiven Beweis.

Das ist tiefer als einfach nur verstehen. Meister Deshimaru – Sensei –sagte häufig, dass Zazen der höchste Weg sei und nicht verstanden werdenkann. Aus diesem Grund ist subjektiver Beweis notwendig.

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Freitag, 5. Juni 1998, 11.00 Uhr[Zazen]Kehrt immer zur Haltung zurück. Besonders am Anfang eines Sesshins.Später, wenn das Sesshin fortgeschritten ist, geschieht das automatisch.

Der Schlüsselpunkt der Haltung befindet sich am Ende derWirbelsäule, am Ende des Rückgrats. Er liegt im Bereich direkt hinterdem Kikai Tanden, dem Energiefeld unter dem Bauchnabel, von wo ausman sich aufwärts streckt — dem Zentrum unserer spirituellen Energie.

Um diese Energie angemessen fließen zu lassen, ist die Haltung derHände wichtig. Die Handkanten drücken gegen den Unterbauch. Es istwichtig, dass die Daumen nicht zusammenfallen oder sich zu sehraufrichten. Die kreisförmige oder elliptische Form, die man mit denDaumen und Zeigefingern direkt vor dem Kikai Tanden bildet, ist derwichtigste Faktor der Haltung. Lasst diese Energie nicht dadurch verlorengehen, dass die Daumen nach vorne fallen.

Lasst diese letzten fünf oder zehn Minuten nicht vergeblichverfließen. Wozu ist das Leben gut, wenn nicht genau hierfür, für genaudiesen Moment?

Freitag, 5. Juni, 16.30 Uhr[Zazen in Stille]

Kyōsaku!

Kräftiger mit dem Kyōsaku! Es ist wie wenn man eine Fliege erschlägt –Mit so einem Schlag würdest du keine Fliege töten!

Zen hat damit zu tun, nicht in widersprüchliche Impulse verwickelt zuwerden, nicht verleitet zu werden, Unterscheidungen zu treffen …Vorlieben und Abneigungen zu folgen.

So sagt es die 37. Strophe des Shinjinmei:

Welchen Vorteil kann es bringen, Unterscheidungen und Trennungen vorzunehmen?

Ich werde es Wort für Wort übersetzen, wie Meister Deshimaru die 37.Strophe wiedergegeben hat:

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Wenn der Geist schwach ist, ist er verstört.Was bringt es da, einseitig zu sein?

Um den Weg zu praktizieren, sollte man Begriffe wie beispielsweise „dasMaterielle“ oder das „Nicht-Materielle“ meiden.[Der Godo wiederholt die Zeile für den Übersetzer]Oder wenn ihr wollt, zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen [zuunterscheiden, sollte man vermeiden1].

Heute Nachmittag habe ich mit Paul gesprochen, der mir sagte, es seiihm aufgefallen, dass Zen sich nicht in politische Stellungnahmenhineinziehen lässt. Rechte und linke [Ansichten]. Das stimmt. Es heißtaber nicht, dass jemand, der dem Weg folgt, nicht verstünde, was da dieUnterscheidungen sind, seien sie politische oder andere.

Da ein wahrer Praktizierender des Wegs noch nicht einmal zwischenDharma und Nicht-Dharma unterscheidet, warum sollte erUnterscheidungen in solchen niederen Angelegenheiten machen?

Der Mensch des Satori macht noch nicht einmal Unterscheidungenzwischen Erfolg und Misserfolg. Aus diesem Grund wird die Zazen-Praxisvon vielen als das Höchste angesehen. Es gibt da keine Leitern, es gibt dakeine Stufen zum Gipfel. Es gibt andere Arten der Übung – spirituelleoder andere – wo es so etwas wie „Fortschritt“ gibt, wie sie es nennen.Das heißt nicht, dass es Fortschritt [im Zen] nicht gibt. Fortschritt mag esgeben, aber es ist ohne Belang für diejenigen, die üben. Natürlich gibt esZen-Praktiken, die einem sagen, dass man Satori erlangen soll. Aber vomStandpunkt des Sōtō-Zen aus, insbesondere von dem Sōtō-Zen aus, daswir praktizieren, ist die Vorstellung, Zazen zu praktizieren zu demZweck, dass man erwacht oder erleuchtet würde, genauso dumm, alswürde man sagen, dass man Medizin ausübe, um Doktor zu werden.Niemand mit rechtem Geiste wird Medizin ausüben, um Doktor zuwerden. Doktor ist einfach nur ein Wort. Dennoch, wenn man Medizinausübt, heißt das, man ist ein Doktor.

In der Ausübung des Weges ist das natürlich subtiler. Meister Dōgenserstes Prinzip des Zen besagt, dass Zazen zu praktizieren bereitsbedeutet, erleuchtet zu sein. Das muss man sich klarmachen. Aber da esdaran mangelt, sich dies klarzumachen, gibt es einen Unterschied

1 ergänzt von der Redaktion

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zwischen dem, der anfängt und dem, der viele Jahre praktiziert. Sōsan,der Autor des Shinjinmei also, sagt in der 37. Strophe, die ich jetzt etwasumformuliere:

Es ist nicht gut, seinen Geist zu ermüden, indem man hin und her wechselt zwischen Ablehnung und Zuneigung.

Selbst wenn es also in der Praxis keine Stufen gibt, geschieht dieVerwirklichung während man praktiziert. Was aber ist Verwirklichung?Man sagt, dass Verwirklichung im Zen entsteht, wenn man mit einemMeister Kontakt hat – die Übertragung erfolgt durch den Kontakt. Aberwas ist Übertragung? Einige Menschen denken, dass Übertragungbedeutet, dass da ein Etwas übertragen wird – von Meister zu Schüler.Aber da ist nicht so etwas wie dieses Etwas. Was also wird da übertragen?

Kyōsaku![Der Kyōsaku-Verantwortliche, der zuvor schwach geschlagen hatte, gibt diesmalein kräftiges Kyōsaku.]Das war ein gutes Kyōsaku!

Das Ende der 36. Strophe, die ich in Köln fast beendet hatte – und wiederübersetze ich direkt von Deshimaru – ging wie folgt:

Konchin, der Geist der versinkt, ist schwach.

Und darauf folgt dann die 37. Strophe, die ich bereits übersetzt habe:

Wenn der Geist schwach ist, ist er verstört.Wozu nützt es also, einseitig zu sein?

Leider sind die Kommentare von Meister Deshimaru zur 37. Strophespurlos verschwunden. Sie sind verlorengegangen, aber das ist nichtschlimm. Ich werde euch einen Kommentar dazu geben, wie ich es schongemacht habe.

Diese beiden Strophen, 36 und 37, haben mit dem Geist während Zazenzu tun; mit dem Geist, der sinkt. Er sinkt wie ein Stein, der ins Wasserfällt. Wir kennen alle diesen Zustand und auf einem Sesshin haben wir

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gewiss gute Gelegenheit, dies zu beobachten, besonders am Anfang.Konchin. Kon bedeutet „Verworrenheit“/“Dunkelheit“. Und Chin bedeutet„sinken“. Es ist wie ein Stein, der im dunklen, tiefen Ozean versinkt. Es istauch der zweifelnde Geist. Das ist auch der sinkende Geist.

Vergessen wir nicht Komuzo, ein anderes Wort für Mönch. Es bedeutet„Mönch der Leerheit“. So jemand sinkt nicht. Ebenso fliegt er auch nicht.Er schwebt wie ein Korken. Das Bild ist von mir – vielleicht ist es nichtganz treffend.

Versucht in den letzten Minuten, euch nicht zu bewegen. Schwebt.Seid beides: leicht wie ein Vogel und solide wie ein Berg.

Freitag, 5. Juni 1998, 20.30 Uhr[Zazen in Stille]

Sonnabend, 6. Juni 1998, 7.00 Uhr[Zazen]Folgt nicht euren Gedanken. Da grinst jemand über beide Ohren – so istes, wenn man den Gedanken folgt.

Verweilt bei nichts Bestimmtem. Das ist ganz wesentlich für diePraxis. Wenn man mit Zazen beginnt, ist dies in den ersten Jahrenbesonders schwierig. Aber mit der Zeit und mit Übung werden dieBesessenheiten geringer.

Um seine ursprüngliche Natur zu finden – worum es nämlich in derÜbung geht – muss man sich von allen oberflächlichen Aktivitäten desGeistes befreien. Alle Muster und Charakteristiken, die man sichangeeignet hat, sollten fallengelassen werden. Aber zuerst muss manerkennen, wie man sich selbst sieht, damit man es fallen lassen kann.

Gestern habe ich den Zustand von Konchin beschrieben. Kon kann„Melancholie“ bedeuten. Chin ist „in Melancholie verfallen“. Konchin istdie Sehnsucht nach Einsamkeit. [Der Godo hilft dem Übersetzer: ] Alleinsein.

Müdigkeit – nicht die Müdigkeit wie wenn man letzte Nacht nichtgeschlafen hat – so wie die, die in Zelten untergebracht sind [Die Zelte sindfast weggeweht worden und schlafen war in der letzten Nacht recht schwieriggewesen.] Diese Art Müdigkeit ist nicht Konchin. Eine Müdigkeit als eineForm der Ausflucht, das ist Konchin. Wenn Schwierigkeiten auftreten,ermüden viele Leute. Andere werden sehr aufgeregt – Sanran.

Wenn die Polizei kommt, um dich ins Gefängnis zu sperren, dann

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schläft man üblicherweise viel, zumindest die ersten Tage … Ausflucht.Die Ausflucht bedeutet, dass man gegen etwas ist. Das ruft die Müdigkeithervor. Das Gehirn ermüdet. Das ist nicht der Normalzustand desMenschen des Wegs. Es ist eine Form des Leidens.

Mit der Zazen-Praxis wird hingegen die Energie des Gehirns verstärkt.Der Hypothalamus öffnet sich. Der Hypothalamus ist das Energiezentrumdes Gehirns. Indem man wiederholt Zazen übt und den Rücken streckt,dadurch, dass man sich aufwärts zieht und streckt, trennt man dieVerbindungen in der Wirbelsäule, und man glättet die vielen Nerven, diedurch das Rückgrat verlaufen und direkt in den Hypothalamus hinaufführen, womit man eine Zirkulation der Energie erzeugt und öffnet. Manwird wie ein Kanal. Der Mönch oder der Bodhisattva ist wie ein Kanal,durch den hindurch die ganze Menschheit geht. Jenseits von Geburt undTod. Das ist wahr.

Ein Bodhisattva lebt das Leiden der Welt und die Freuden. Daher ist ernicht überrascht von dem, was, wo auch immer, geschieht. Er wird nichtin Unachtsamkeit ertappt.

Konchin ist die äußere Aktivität des Gehirns. Es bevorzugt dieAusprägung der äußeren Schicht des Gehirns – dunkel und verworren.Aber das Innere des Geistes ist nicht verworren. Es ist Licht [leicht], eserleuchtet, es ist Buddha-Geist.

Das Problem von Konchin bringt uns wieder zurück zur Strophe 37:

Wenn der Geist schwach ist, ist er verstört.Was bringt es da, einseitig zu sein?

Hier ist eine Übersetzung derselben Strophe von R. B. Clarke. SeineÜbersetzung ist die, welche in Amerika benutzt wird. In den VereinigtenStaaten haben die Meister nicht die Zeit, ihre eigenen Übersetzungenanzufertigen, wie Deshimaru es tat, also benutzen sie die von Clarke:

Welchen Vorteil kann es bewirken,Unterscheidungen und Trennungen vorzunehmen?

Hier ist noch eine von Blyth:

Es ist dumm, den Geist zu verwirren.

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Warum dies scheuen und jenes bevorzugen?

Es ist interessant, die Unterschiede zwischen den Texten festzustellen,die von Deshimaru behandelt wurden und ins Englische übersetztwurden, und den Texten, die andere zeitgenössische Meister behandeln.In Deshimarus Werk gibt es viele japanische oder chinesische Ausdrücke,die nicht übersetzt sind. Konchin zum Beispiel. Suzuki Rōshi verwendetnicht das Wort Konchin. Maezumi verwendet nicht das Wort Konchin.Genpo verwendet das Wort nicht. Keiner von ihnen benutzt das WortKonchin und daher gibt es keine Kanji wie Kon und Chin zu beschreibenund zu behandeln.

Meister in den Vereinigten Staaten verwenden nicht den Ausdruck Kū.Sie sagen Leere. Sie verwenden nicht das Wort Hishiryō. Sie sagen einfach„jenseits des Denkens“. Sie verwenden nicht das Wort Mushotoku. Siesagen einfach „ohne Ziel“.

Amerikanische Gelehrte und Intellektuelle auf dem Gebiet desBuddhismus behaupten, es sei gefährlich für den Buddhismus, wenn dieDinge nicht vollständig übersetzt würden, und dass der Buddhismus,wenn er nicht vollständig übersetzt würde, ausschließlich etwasEthnisches werden würde. Ich habe tatsächlich kürzlich erst einenArtikel zu diesem Thema gelesen.

Deshimaru sagt hingegen, dass diejenigen, die es nötig finden, dassalles übersetzt wird, einen kleinen Geist haben… Zwei Ansichten also.Welche ist richtig? In den Vereinigten Staaten singen sie das HannyaShingyō auf englisch. In dem Zen von Thích Nhất Hạnh singen sie dasHannya Shingyō auf französisch. Wir singen es auf Kanbun. Der Klang, dasGefühl, die Vibrationen sind für uns etwas Wichtiges. Es ist ein Mantra:Gya Tei Gya Tei Hara Gya Tei Hara So Gya Tei Bo Ji So Wa Ka.

Das ist etwas anderes als wenn man singt: „Lasst uns gemeinsam andas andere Ufer gehen.“ Dennoch wollen viele Menschen wissen, was sieda sagen, wenn sie singen, sonst könnten sie sich übers Ohr gehauenfühlen.

Das Hannya Shingyō heute Morgen widmen wir den Menschen, die indem Zugunglück2, das hier in Norddeutschland letzte Woche passiert ist,

2 Ein ICE-Hochgeschwindigkeitszug entgleiste, wobei 102 Menschen getötet wurden.Der Unfall ereignete sich in der kleinen Stadt Eschede, nicht allzu weit von dem Ort,wo das Sesshin stattfand, in Norddeutschland, nur wenige Tage bevor das Sesshin

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ihr Leben verloren haben. Möge sich das nicht wiederholen.

Kaijō!

Sonnabend, 6. Juni 1998, 11.00 Uhr[Zazen]Nach der Glocke werden wir einen Spaziergang machen. Wir werdenlangsam beginnen, so dass diejenigen hinter uns aufholen können, aberwenig später werden wir schnell gehen. Sandalen reichen aus, aber wenneure Sandalen abgetragen sind, geht auf eure Zimmer und holt geeigneteSchuhe. Ganz vorne wird das Inkin, der Godō und der Shusō sein. Am Endegeht der erste Kyōsaku-Verantwortliche. Es ist kein Rennen, aber es istauch keine beschauliche Wanderung. Seid nicht von der Umgebungabgelenkt. Seid nicht von denen abgelenkt, die mit euch gehen. Es istbesser, hintereinander zu gehen oder einer nach dem anderen. Dabeigeht es darum, nach innen zu schauen, nicht nach außen zu schauen undnicht zu reden. Wenn der Fotograf Fotos machen möchte, möge er seineKamera holen. Wir werden in die Richtung gehen, die wir heute frühgegangen sind.

Chūkai!

[Der Godō geht zusammen mit ungefähr siebzig Leuten auf einen langenSpaziergang in Stille entlang einer schmalen Straße, die sich durch dienorddeutsche Landschaft schlängelt. Als man wieder zum Dōjō zurückgekehrt ist,wird vor dem Mittag noch einmal Zazen gemacht.]

Sonnabend, 6. Juni 1998, 16.30 Uhr[Zazen]

[Kinhin][Ein orkanartiger Sturm zieht plötzlich über Neu Schönau auf. Alles verdunkeltsich, sodass der Shusō beschließt, zu Beginn von Kinhin das Licht einzuschalten.]Jemand hat das Licht angemacht. Lasst es aus! …[In dem Moment geht das Licht von selbst aus. Der Strom ist weg wegen des

begann. Es wird als das schlimmste Zugunglück der deutschen Geschichteangesehen.

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Sturms]Hier ist ein Gedicht:

Regen, Hagel, Schnee und EisSind voneinander getrennt.Aber nachdem sie niedergingen,Ist alles das gleiche Wasser wie der Strom im Tale.

Mondō[Das Dōjō ist immer noch dunkel.]

GODŌ:Wir müssen das innere Licht benutzen.

ERSTER FRAGENDER:Ich versuche, meine Gedanken loszulassen, aber ich erzeuge bei

diesem Loslassen neue Gedanken, die Kommentare über mein Loslassensind, Kommentare, die mir sagen, wie eitel ich bin, oder Witze, die ichüber mich selbst mache oder so etwas…

GODŌ:Das nennt man Denken.

ERSTER FRAGENDER:Meine Frage ist, ob diese neuen Gedanken, die erzeugt werden, indem

man Gedanken vorbeiziehen lässt, etwas ist, das mit fortgesetzter Praxisverschwindet, oder ob ich da etwas falsch mache.

GODŌ:Ja es verschwindet mit der Übung. Es nimmt ab: weniger und weniger

Gedanken.

ERSTER FRAGENDER:Ich sollte also einfach anfangen, meine Gedanken zu betrachten statt

sie zu kommentieren.

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GODŌ:Ja.

ERSTER FRAGENDER:Danke.

*ZWEITER FRAGENDER:

Meine Frage zielt in eine ähnliche Richtung. Ich leide an permanentemSanran und je länger ich praktiziere, desto tiefer gerate ich in diesespermanente Sanran. Heute früh sprachst du über Konchin. Was ist Sanran?Was ist dessen Ursache? Geht es nach Jahren der Praxis weg, oder gibt esda Tricks, um diesen Weg abzukürzen? Was ist der Grund für Sanran?

GODŌ:Sanran bedeutet unruhiges Denken, unruhiger Geist. Es kann Ekstase

sein. Es ist das Gegenteil von Konchin, über das ich gesprochen habe. Es istbesser, im Zustand von Sanran zu sein als im Zustand von Konchin, dennes ist einfacher, mit Sanran etwas anzufangen als mit Konchin. Es isteinfacher, den Geist zur Ruhe zu bringen als den Geist aufzuwecken.

Aus Praxis-Sicht — nicht aus inhaltlicher Sicht — bin ich immer froh,wenn ich in Sanran bin, denn bei Sanran kann man den Geist beruhigendurch einfaches Üben von Zazen. Man folgt einfach der Atmung,beobachtet die Gedanken. Anfangs, zu Beginn der Übung, kommen siesehr schnell. Aber, wie ich es zu der anderen Person gesagt habe, dieGedanken kommen mit der Praxis zur Ruhe. Beobachtet sie aber. Es istgut, sehen zu können, was im eigenen Kopf vor sich geht, selbst wenn eseine extreme Denk-Situation ist. Beobachte es. Beobachte, wie siekommen. Du kannst nur einen Gedanken zur selben Zeit haben, dukannst nicht drei, vier oder ein Dutzend haben. Beobachte diesen einenGedanken, und lasse ihn nicht zu einem weiteren Gedanken werden. EinGedanke wird geboren. Und wenn du sehr aufmerksam bist, kannst dubeobachten, wie er entsteht. Und dann zieht er vorbei und verschwindet— sofern du ihn beobachtest. Wenn du ihn nicht beobachtest, erschafft ermehr Gedanken. Wenn du ihn nicht beobachtest, wirst du am Ende ihmnoch folgen. Aber schon die Tätigkeit des Gedanken-Beobachtens selbstist, ihn ziehen zu lassen. Und dann wartest du auf den nächsten. Und dies

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ist Geburt und Tod. Du kannst die Geburt beobachten und den Todbeobachten, und auch dies wird sich verlangsamen…

ZWEITER FRAGENDER:Was hat Sanran mit Flucht zu tun? Flucht wovor?

GODŌ:Es ist die Flucht vor dem gegenwärtigen Moment. Denken ist nicht

hier und jetzt [sein]. Aber wenn du während Zazen nur denkst, dann istdas Flucht. In dieser Zeit ist deine Persönlichkeit, dein Charakter mehrauf Sanran ausgerichtet als auf Konchin. Jedenfalls wirst du zunächst indem einen oder in dem anderen Zustand sein, und die Idee ist, weder indem einen oder dem anderen Zustand zu sein. Und das ist unbewusstesSatori.

*DRITTER FRAGENDER:

Kann ich eine Frage zur Symbolik der Ochsenbilder3 stellen?

GODŌ:Ja.

DRITTER FRAGENDER:Um mit meinem Bewusstsein beim zehnten Bild des Ochsen

anzukommen, brauche ich einen Meister, der bereits da ist.

GODŌ:Was? Einen Ochsen oder einen Meister?[Gelächter]

DRITTER FRAGENDER:

3 „Die Zehn Ochsenbilder“ ist eine Arbeit von Zen-Meister Kakuan (chines. KuòānShīyuǎn, 廓庵師遠, jap. Kakuan Shi’en) aus der Sung-Dynastie. Zu bemerken ist, dassder leere Kreis von Kū, der im achten Bild dargestellt ist, keineswegs das Ziel vonZazen ist, denn im zehnten Bild sehen wir den Hirten, wie er in die Stadtzurückkehrt, allein und mit gutem Geist.

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Einen Meister, der bereits da ist, im Zustand des zehnten Bildes desOchsen.

GODŌ:Du brauchst im zehnten Bild einen Meister?

DRITTER FRAGENDER:Um Nirvana in diesem Leben zu erreichen, muss ich jemanden finden,

der in seinem Leben bereits Nirvana erreicht hat.

GODŌ:Was hat dies mit dem zehnten Bildnis zu tun?

DRITTER FRAGENDER:Ich dachte, es sei ein weiteres Symbol für diesen Geisteszustand.

GODŌ:Ah, du meinst, das zehnte Bildnis sei ein Bild für Nirvana?

DRITTER FRAGENDER:Ja.

GODŌ:Das zehnte Bildnis ist, wenn ich mich nicht irre, der Mann des Satori —

jemand, der zur Stadt zurückkehrt, und der einen Weinkrug bei sich hat.Und er trinkt davon und hat eine gute Zeit in seinem Leben, frei vonallem Berechnen. Dafür brauchst du keinen Meister. Ein Meister zeigt. Erist der Finger, der zeigt. Wenn du beim zehnten Bild angelangt bist, dannbist du dort. Was ist überhaupt Nirvana?

DRITTER FRAGENDER:Ich brauche also keinen Meister?

GODŌ:Was ist Nirvana?

DRITTER FRAGENDER:

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Hier.

GODŌ:Du meinst, Nirvana sei ein Ort?

DRITTER FRAGENDER:Nicht nur ein Ort.

GODŌ:Es ist kein Ort. Nirvana ist ein Geisteszustand. Man sagt, dass

derjenige, der nicht in Nirvana ist — mit anderen Worten: nicht erwacht— eine Trennung vornimmt: Dies ist Nirvana, und das ist Saṃsāra.Derjenige, der Nirvana hat, macht keine Unterscheidung. Ja, natürlichbrauchst du eine Richtung, du brauchst einen Meister, um nichtirgendwelche dummen Fehler zu machen.

Suchst du einen Meister?

DRITTER FRAGENDER:Ja.

GODŌ:Du hast noch keinen gefunden? Hast du schon mal einen gesehen?

Nein? Du hast noch nie einen Meister gesehen!

DRITTER FRAGENDER:Ich weiß nicht.

GODŌ:Wenn du eines Tages in den Spiegel schaust und sagst: „Hey, ich habe

einen gefunden“, wirst du genau im zehnten Bildnis angelangt sein.

*VIERTER FRAGENDER:

Oft wird gesagt, dass Zazen keine Wirkungen oder Wohltaten nachsich zieht. Das finde ich frustrierend, denn ich möchte gerne glauben,dass sich Freude und Zufriedenheit daraus entwickelt. Meine Frage istdaher: Macht Zazen einen glücklich?

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GODŌ:Sehr glücklich. Wir sagen „keine Wohltaten“, aber das tun wir, damit

wir nicht versuchen, Wohltaten zu erhaschen. Das ist wie eine Feder miteinem Fächer zu fangen. Ja, aber du solltest nicht in Begriffen vonGlücklichsein denken, denn das Glück des Weges ist nicht so, wie du esdir vorstellst.

Alle buddhistischen Mönche sind glücklich. Es gibt nicht so etwas wieeinen unglücklichen buddhistischen Mönch.

FÜNFTER FRAGENDER:Wenn ich auf einem Sesshin bin oder beim Zazen in Berlin, dann habe

ich das Gefühl, dass ich Mushotoku verstehe, und dass ich nahe beim Zenbin. Aber wenn ich im Alltag bin, dann wird Zen ein weiteres Verlangenneben anderen, ein Verlangen, das nicht immer erfüllbar ist, denn meinAlltagsleben ist nicht Mushotoku. Und daher finde ich es schwierig, michzu entschließen, durchweg regelmäßig zu praktizieren.

GODŌ:Wir müssen die Widersprüche im Leben umarmen. Wenn du in einem

Business arbeitest, arbeitest du für Geld. Wenn du also sagst: „Nun, jetztsollte ich Mushotoku sein“, würdest du nicht mehr lange im Businessarbeiten… Wie mein Vermieter: von Zeit zu Zeit kommt er vorbei, um dieMiete zu kassieren. Aber er nimmt keine Schecks an. Er will Bares, dennwenn er meine Wohnung wieder verlassen hat, geht er zur U-Bahn undgibt es dort den Menschen. Nun, dann, nach einer Weile kam er nichtmehr vorbei, um die Miete zu holen. Und zwar kam er etwa zehn Jahrenicht mehr. Und das Gebäude verfiel. Die Wand, an der mein Bett steht,fing an, sich zu bewegen. Es gibt einen großen Riss in der Mauer, und ichkann den Friedhof4 unten sehen. Wenn er den Ort nicht bald repariert,werde ich direkt in den Friedhof fallen. Schließlich ließ er seine Frau dieArbeit erledigen. Und jetzt ist das Haus wieder besser, und wir bezahlendie Miete… Du kannst im Arbeitsleben nicht Mushotoku sein. Aber dukannst im Geist Mushotoku sein. Überall, im täglichen Leben odersonstwo. Was ist Mushotoku?

4 Der Friedhof Cimetière de Montparnasse.

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FÜNFTER FRAGENDER:Es ist nicht so sehr das Wort Mushotoku, worauf ich abgezielt habe,

sondern eher dass ich das Gefühl habe, dass ich im täglichen Lebenanfange zu vergessen, was ich in Zazen erfahre.

GODŌ:Dann wirst du mit dem „Erfahren“ in Zazen aufhören müssen. Es gibt

da nichts zu erfahren. Anfangs haben wir alle Arten von Erfahrungen.Und wir denken: „Junge, das war ein gut es Zazen. Oh, das war einfürchterliches Zazen.“ Aber nichts davon ist wahr. Verstehst du?

FÜNFTER FRAGENDER:Vielleicht.

GODŌ:Was ist ein gutes Zazen? Es ist in deinem Kopf. Sieh mal, halte dich

nicht bei den Erfahrungen auf, die du in Zazen hast. Lass dich nicht vondem, was durch die Augen oder durch die Ohren oder durch die Naseoder durch das Bewusstsein tritt, hinters Licht führen. Zazen ist jenseitsdavon. Weit jenseits, und wenn du dies mit mehr Praxis erkennst, wenndu dies mit mehr Praxis mit den anderen erfährst, wirst du nicht mehrdieses Problem haben, diesen Konflikt, dass du nicht in der Lage bist,außerhalb von Zazen das zu leben, was du in Zazen erfährst. Letztlichgibt es da kein Außerhalb von Zazen oder Innerhalb von Zazen.

*SECHSTER FRAGENDER:

Habe ich es richtig verstanden, dass du gesagt hast, dass es ein„unbewusstes Satori“ gibt?

GODŌ:Ja, das habe ich gesagt.

SECHSTER FRAGENDER:Gibt es auch ein bewusstes Satori?

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GODŌ:Gute Frage. Nein, das gibt’s nicht.

SECHSTER FRAGENDER:Warum nicht?

GODŌ:Du weißt nicht warum?… Natürlich weißt du warum, ansonsten

hättest du diese Frage nicht gestellt.

SECHSTER FRAGENDER:Ich könnte mir vorstellen, dass es bewusste Erfahrungen von Satori

gibt. Aber ich weiß es nicht — und das ist meine Frage.Wenn du sagst, Buddha hatte Satori, war das bewusst oder unbewusst?

Dir zufolge muss es unbewusst gewesen sein.

GODŌ:Buddha kannte noch nicht einmal das Wort „Satori“.

SECHSTER FRAGENDER:Nun, warum haben dann die anderen gesagt, dass er eins gehabt

hätte?

GODŌ:Das ist ein Ausdruck, der später benutzt wurde. Buddha selbst redete

nie so. Das kam später. Die Meister und die Historiker versuchten, seineErfahrung zu erklären, die Buddha unerklärt gelassen hatte. Was erverwirklichte, war Kausalität, Ursache und Wirkung. Und erst später hatman das Satori genannt. Direkt nach seiner Erfahrung sprach Buddhavom Leiden und den Vier Edlen Wahrheiten. Er sprach nie über Satori. Ersprach auch nie über Erleuchtung. Aber wir heute sprechen darüber. Unddas ist normal.

Keiner der Buddhas und keiner der großen Meister wusste, dass erSatori hat. Dōgen selbst sagt das. Dōgen sagt: Nur Katzen und Hunde undOchsen wissen, dass sie Satori haben. Genaugenommen war es nichtDōgen, der das sagte. Es war Dōgens erster Meister, der das sagte: Eisai —ein Rinzai-Meister. Er sagte, dass aber Buddhas, Patriarchen und Weise es

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nicht wissen. Nur Katzen, Hunde und Ochsen. Verstehst du? Gut.

*SIEBENTER FRAGENDER:

Nun, Zazen macht mich tatsächlich wirklich glücklich, wie du gesagthast. Während eines Sesshin habe ich daher das Gefühl ich könnte dieganze Zeit lächelnd durch die Welt gehen. Ich frage mich also, Buddhabegann zu praktizieren, um das Leiden zu beenden. In wenn ichaufmerksam bin, sehe ich, dass es rundherum eine Menge Leid gibt. Alsofrage ich mich, wie wichtig es ist, in die Praxis einzusteigen mit dieserFrage des Leidens?

GODŌ:Du meinst, welche Rolle es für dich spielt, wenn andere leiden?

SIEBENTER FRAGENDER:Nein, sondern eher, ob das Praktizieren sich um das Beenden des

Leidens kümmern sollte.

GODŌ:Meditation, die höchste Meditation, verändert die ganze Welt. Und

dies ist unsere Pflicht — durch unser Zazen müssen wir die Weltverändern. Es ist nicht für uns. Es stimmt, dass es verschiedene Ebenender Praxis gibt. Man kann zum Beispiel von drei Ebenen sprechen. Mankann sagen, dass man auf der ersten Ebene für sich selbst praktiziert. Aufder zweiten Ebene praktiziert man für sich selbst und für andere. Undschließlich praktiziert man auf der dritten Ebene nur noch für andere.Unbewusst. Und das ist es, was die Welt verändert. Hast du jemals dasGefühl gehabt, wenn du alleine praktizierst, zum Beispiel wenn du imWald bist und vor einem Baum praktizierst und denkst, dass der Baumsich verändert hat?

SIEBENTER FRAGENDER:Hmm, ich übe nie alleine mit Bäumen.

GODŌ:Okay, aber du übst mit Wänden, das ist das gleiche.

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SIEBENTER FRAGENDER: Das ist mir noch nie passiert. Aber ich werde darauf mal achten.

GODŌ:Gut, achte darauf.Wände sind ein Symbol für das universelle Kū. Genauso wie Gras und

Bäume… und verdorrte Bäume.5

ACHTER FRAGENDER:Es gibt kein bewusstes Satori. Aber gibt es eine subjektive

Bekräftigung?

GODŌ:Bestätigung.

ACHTER FRAGENDER:Gut, aber was wird da bestätigt?

GODŌ:Gute Frage. Das ist eine Sache des Glaubens. Du weißt es in deinen

Knochen. Du weißt es im Mark deiner Knochen. Etwas, das du hier [zeigtauf seinen Kopf] nicht wissen kannst.

Buddha… — wer bestätigte Buddha? Er selbst, unbewusst. Er wusstedas nicht.

ACHTER FRAGENDER:Aber man sagt, dass Mahākāśyapa Buddha bestätigt hat.

GODŌ:Mahākāśyapa hat Buddha bestätigt? Das habe ich noch nicht gehört.

Aber das ist gut. Schön, aber das war viele Jahre später. Gewiss, ichbestätige euch, und später, durch eure Praxis und euer Leben, bestätigtihr mich…

5 Dōgen schreibt im Kapitel Kokū (Universelle Leerheit), dass „Wände, Ziegel, Steineund verwitterte Bäume die universelle Leerheit sind.“

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Aus der Erfahrung, aus der Lebenserfahrung heraus das zu wissen, wasman gelebt und erfahren hat — das ist die subjektive Bestätigung. Die gibtman sich selbst. Und das ist Religion, die Art, wie ich Religioninterpretiere. Gelebte Erfahrung. Keine Vergangenheit. Keine Zukunft.Keine Geschichte.

Gibt es keine weiteren Fragen? In Ordnung, dann machen wir Kinhin!

[Kinhin und Zazen in Stille]

Sonnabend, 6. Juni 1998, 20.30 Uhr[Zazen und Kinhin in Stille]

[Das Fukanzazengi wird nach dem Kinhin von allen gesungen.]

Sonntag, 7. Juni 1998, 7.00 Uhr[Zazen]Seid aufmerksam, besonders am letzten Morgen. Der Shusō war nicht imDōjō, der Kyōsaku-Verantwortliche hat den Altar nicht vorbereitet undder Sekretär hat das Zagu des Godō nicht ausgelegt.

Zanshin heißt, aktiv zu sein, aufmerksam zu sein, besonders am Anfangund am Ende.

[lange Stille]

Die 37. Strophe lautet also:

Es ist nicht gut, den Geist zu ermüden.Warum zwischen Unterscheidungen und Trennungen

hin und her wechseln?

Das ist sehr ähnlich der letzten Zeile der 36. Strophe, in der gesagt wird,dass Konchin nur den Geist schwächt, den Geist ermüdet. Schon dieTatsache, sich selbst unterscheiden zu wollen, ist bereits eineUnterscheidung zu machen.

Der Wunsch, im Zen voranzukommen, eine Position zu haben —Kyōsaku-Verantwortlicher zu sein, Shusō zu sein, Godō zu sein, Godō aufeinem Sommercamp zu sein. Das hat nichts, absolut nichts mit der Praxis

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zu tun!Alle älteren Schüler kennen die Geschichte von Baso und Nangaku, wie

sie in Dōgens Zazenshin beschrieben ist. Baso war ein Schüler vonNangaku. Die Linie geht über Enō, den sechsten Patriarchen, Nangaku,Baso, Hyakujō, Ōbaku und dann Rinzai. Baso war bereits von Nangakubestätigt, aber er machte weiterhin Zazen in Nangakus Dōjō. Er war vonder Sorte Mensch, der immerzu praktiziert. Selbst wenn das Dōjō leerwar, saß Baso dort in Zazen.

Eines Tages sagte Nangaku zu Baso, der in Zazen saß: „Was machst duda?“

„Zazen.“„Hast du einen Grund, Zazen zu machen?“Baso antwortete: „Ja, um Buddha zu werden.“Einen Großteil dieses Mondō kommentiert Dōgen in großer

Ausführlichkeit. Ich werde das nicht machen, aber ich werde einfach denRahmen wiedergeben.

Baso sagte: „Ja, um Buddha zu werden.“(In der Vergangenheit sprach man üblicherweise viel mehr über

Buddha als wir es heute tun.) Heute würden wir sagen: „um meineursprüngliche Natur zu finden“, oder „um zur Quelle zurückzukehren.“

Baso sagte also: „um Buddha zu werden.“Daraufhin nahm Nangaku einen Ziegelstein vom Boden und begann,

ihn zu polieren. Sie waren nicht im Dōjō. Sie waren außerhalb des Dōjō,und Nangaku rieb den Ziegel an einem großen Stein. Baso konnte keinZazen mehr machen, wo doch der Meister mit dem Ziegel am Steinherumkratzte.

Baso fragte daher: „Was machst du dort?“Nangaku sagte: Ich fertige einen Spiegel.“„Einen Spiegel? So kann man doch keinen Spiegel herstellen.“(An dieser Stelle gibt Dōgen einen langen Kommentar, mehrere Seiten

lang.) Jedenfalls stimmte Nangaku Basos Feststellung zu, dass man keinenSpiegel fertigen kann, indem man einen Ziegel gegen einen Stein rieb.

Und er sagte: „Weil das so ist, wie kannst du dann ein Buddha werden,indem du Zazen machst?“

Dieses Mondō zwischen Baso und Nangaku geht noch weiter. Ichwerde es jetzt nicht weiterführen. Der erste Teil des Mondō, den ichgerade erzählt habe, wird oft im Zen-Studium als Beweis dafür angeführt,

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dass die Meister und Patriarchen nicht wirklich Zazen praktiziert hätten.Das ist natürlich ein riesiger Irrtum, aber es ist kennzeichnend für dieMenschen, die ihre eigenen Meinungen und ihre eigenen Interessenverteidigen — sie praktizieren kein Zazen, also sagen sie, die altenMeister haben kein Zazen praktiziert.

Nun, was hier damit gesagt werden soll, ist: Versucht nicht, etwas auseurer Praxis zu machen. Es ist ein wenig wie die erste Strophe desShinjinmei:

Den Weg zu üben ist nicht schwer.Aber um es zu tun, muss man weder Liebe noch Hass hegen,

weder etwas erwählen noch etwas zurückweisen.

Geht nicht in die Falle der Dualität … dies und jenes. Seid nicht auf einerbestimmten Seite. Versucht nicht, von einer Seite auf die andere zugehen, vom Dasein eines gewöhnlichen Menschen zum Dasein einesBuddhas. Versucht nicht, vom Saṃsāra zum Nirvana zu gehen. Das ist einFehler.

Ein Kaiser sagte einam zu seinem Premierminister Ki Yu: „Sie sindimmer ein großartiger Premierminister gewesen, und ich möchte Siebefördern. Ich möchte Ihnen meine Stelle als Kaiser überlassen. Wassagen Sie dazu?“

Ki Yu machte ein trauriges Gesicht und sagte: „Wissen Sie, meinKaiser, Ihre Worte, die Sie gerade sprachen, haben meine Ohrenbeschmutzt.“

Die Ohren des Premierministers waren anscheinend ganz sauber.Dennoch lief Ki Yu hinunter zum Fluss, um seine Ohren zu waschen. Erhatte den Eindruck, er habe wirklich die schlimmstmögliche Sache zuhören bekommen. Wie heute, wen uns etwas Pornographisches zu Ohrenkommt, müssen wir sofort in die Badewanne steigen und uns reinigen.Während Ki Yu im Fluss seine Ohren wusch, kam ein Freund vorbei, derseine Kuh zum Markt führte. Er brachte seine Kuh hinab zum Fluss, umsie zu tränken. Und da sah er Ki Yu. Er fragte: „Was tust du da?“

„Ich wasche meine Ohren.“„Oh ja? Sind deine Ohren so schmutzig?“„Oh ja! Sehr schmutzig. Ich bin ganz und gar nicht glücklich. Der

Kaiser will mich zu seinem Nachfolger machen. Er bot mir sein

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Kaiserreich an. Sein Angebot hat meine Ohren beschmutzt, und jetztreinige ich sie.“

Sein Freund mit der Kuh sagte: „Nun, ich wollte, dass meine Kuh vondiesem frischen Wasser trinkt. Und du hast es jetzt verunreinigt!“

Ermüdet also nicht euren Geist durch Unterscheidungen undTrennungen.

Heute früh werden wir die Zeremonie Étienne Zeisler widmen, der indiesem Monat vor acht Jahren gestorben ist. Sein einziger Meister warMeister Deshimaru. Er war ein vollkommen wahrer und treuer Schülervon Meister Deshimaru. Und bei Deshimarus Tod wurde er selbst zumwirklichen Meister der Weitergabe. Sein Tod war ein großer Verlust fürdiese Sangha. Er war der erste Westliche, der diese Lehre von KōdōSawaki und Deshimaru übernommen hat. Und diese Übertragung vomOsten nach Westen, die Étienne durchgeführt hat, ist sehr wichtig.Diejenigen, die Étienne kannten, können also während der ZeremonieShōkō machen, wenn sie es wünschen. Shōkō bedeutet, dass man nachvorne zum Altar tritt, vor den Buddha, und mit dem Räucherwerk seineStirn berührt und anschließend auf die brennende Kohle streut. Ihrnehmt also nur eine kleine Prise Räucherwerk, nur einmal, berührt damiteure Stirn und legt das Shōkō auf die brennende Kohle. Nicht in denMund, wie ich das manche habe tun sehen. Sie verwechseln das mit dem,wie man es in der Kirche macht. Der Godō wird vor dem Altar sitzen, undihr macht Gasshō in Richtung des Godō. Anschließend kehrt ihr zu eurenPlatz zurück.

Sonntag, 7. Juni 1998, 10.30 Uhr[Zazen]Es gibt mehrere Themen oder rote Fäden, die sich durch das Shinjinmeiziehen. Es ist ein sehr langes Gedicht mit insgesamt 73 Strophen. Es istdas längste Zen-Gedicht. Einer der roten Fäden ist: Lauft nicht vor etwasweg oder hinter etwas her. Flieht nicht und versucht nicht zu fangen. Einweiterer roter Faden ist: Verfangt euch nicht in den Worten, Zeichen,Symbolen und Bildern. Und noch einer ist: Verstört euren Geist nichtunnütz oder vergebens.

In mehreren Strophen spricht Sōsan, der Autor, über dieverschiedenen Krankheiten des Geistes. Das ist zum Beispiel in der 37.Strophe so. Auch in der 36. Strophe. Konchin führt zur Schwächung des

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Geistes. Und die 37. Strophe besagt, den Geist nicht durchUnterscheidungen und Trennungen zu ermüden. Die fünfte Strophe zumBeispiel:

Das, was man mag gegen das zu stellen, was man nicht mag,Ist die Krankheit des Geistes.

Diese Strophen sind auch Hinweise darauf, wie man sein Leben im Alltagführen sollte, nicht nur im Dōjō. Bei dieser Rede, zum Beispiel von derKrankheit des Geistes, ist es im Dōjō, und mehr noch in einem Kloster,nicht so schwer, einen ruhigen und gelassenen Geist zu bewahren, wasder Normalzustand des Menschen ist. Aber Zen lehrt, dass dieser gleicheGeist auch in mobilen Situationen existiert. Das Dōjō oder das Kloster istdabei die stationäre Situation.

Strophe sechs:

Wenn die tiefe Bedeutung der Dinge nicht verstanden wird,Ist der wesentliche Frieden des Geistes nutzlos verstört.

Mit anderen Worten: Weisheit ist nötig und nicht nur intellektuellesVerstehen.

Oder Strophe zweiundzwanzig:

Sowie es richtig und falsch gibt,Ist der Geist zerstreut und verloren.

Noch ein weiterer roter Faden: richtig und falsch, Liebe und Hass,moralische Haltung und die unmoralische Haltung.

Konfuzius lebte in China bevor das Zen dorthin kam, und MeisterSōsans Ansichten waren ganz sicher von ihm beeinflusst, bis hin zurFrage, was richtig und was falsch sei. Zu Konfuzius’ Lebzeiten gab eseinen berühmten Räuber, der in den Bergen lebte. Sein Name war Koshi,und natürlich war es sehr schwer auszumachen, wo er sich aufhielt. DieObrigkeit fahndete ständig nach ihm. Konfuzius wünschte, diesen MannKoshi zu treffen. Er war überzeugt, dass er mit seiner moralischenSichtweise auf die Welt wohl Koshi ändern könnte, das heißt, ihnkonvertieren könnte. Nachdem er Leute in die Berge geschickt hatte, um

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den Mann ausfindig zu machen, willigte dieser schließlich ein, sich mitKonfuzius zu treffen. Konfuzius wurde zu seinem Versteck geführt. Derumständliche Weg nahm viele Tage in Anspruch, um zu verhindern, dassdie Polizei ihnen folgen konnte. Schließlich kam Konfuzius in KoshisVersteck an. Das Treffen dauerte nur sehr kurz. Konfuzius, der darauf auswar, den Räuber zu erziehen, ihn zur richtigen Weise, die Dinge zubetrachten, zu konvertieren, fing sofort an, Koshi Lektionen zu erteilen.Koshi hörte ihm eine Weile zu und sagte dann: „Halt!“ Und er sprach:„Wissen Sie, Sie sind ein ziemlich kindischer Mann.“ Das sagte er zuKonfuzius: „Sie hängen an Ihrer moralischen Haltung. Sie schauen nurauf einen Weg, sehen nur eine Seite. Sie sind ein bisschen verrückt.Tschüß!“

[Kinhin]Streckt das Vorderbein. Während ihr die Luft ausatmet, versichert euch,dass das gesamte Körpergewicht auf dem vorderen Bein liegt. Vergesstnicht, die Wurzel des großen Zehs des vorderen Fußes fest gegen die Erdezu drücken. Vergesst nicht, die Spitze des Kopfes gegen den Himmel zudrücken. Dies ist der Zustand des Menschen des Weges. Fest verwurzeltin der Erde und dem Himmel entgegengestreckt.

Dies ist das letzte Kinhin. Bewegt euch mit der Atmung. Einatmen,Zusammenführen. Ausatmen, Auflösung. Geburt und Tod die ganze Zeit.

Kaijō!

— ENDE DES SESSHINS —

Dieses Kusen ist eine Neuübersetzung aus dem Englischen.Übersetzung: Carsten Eichholzdeutsche Redaktion: Carsten Eichholzkorrekturgelesen: Florian WolfrumAlle Fußnoten wurden gekennzeichnet, wenn sie vom Godō oder von der französischenRedaktion stammen, die übrigen stammen von der deutschen Redaktion.

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GlossarBaso: (chin. Mǎzǔ Dàoyī, 馬祖道一, jap. Baso Dōitsu) 709-788, großer Chàn-Meister der

Tang-Dynastie. Schüler von Nangaku (chin. Nányuè Huáiràng, 南 嶽 懐 譲 , jap.Nangaku Ejō, 677-744) und Meister von Hyakujō (chin Bǎizhàng Huáihái, 百丈懷海,jap. Hyakujō Ekai, 749-814). Baso war der erste, der die Technik der rauen Methodedes Schreiens und des Schlagens anwendete, um seine Schüler zu erwecken.

Bodhisattva: Ein Bodhisattva widmet sein Leben dem Helfen anderer, indem er an dergesellschaftlichen Wirklichkeit teilnimmt.

Buddha: Buddha Śākyamuni wird weder als Gott noch als Erlöser angesehen, sonderneher als ein völlig erwachtes, vollkommenes menschliches Wesen.

Konfuzius: (chin. Kǒng Fūzǐ, 孔夫子, jap. Kōfūshi, 551-479), der berühmteste unter denantiken chinesischen Weisen. Er lehrte den Respekt für den Hof, für die Macht derVergangenheit, gute Benehmen, Pflichtbewusstsein und Loyalität. Er wurde zuseiner Zeit von allen sehr geliebt, bis auf die Taoisten, für die er Anlass zum Spottwar. Laozi kritisierte ihn, dass er „Güte und Pflicht anpreise wie ein Stadtschreier…“Und der berühmte Dieb Koshi sagte zu ihm, er würde „an Moralität anhaften undnur eine Seite des Leben erkennen.“

Deshimaru: (Yasuo Mokudō Taisen Deshimaru, 泰雄 泰仙 弟子丸 , 1914-1982) ZenMeister und Schüler von Kōdō Sawaki. Er verbrachte die letzten fünfzehn Jahreseines Lebens damit, in Frankreich zu unterweisen. Er gründete die InternationaleZen-Vereinigung in Paris und den Zen Tempel La Gendronnière, ungefähr 150 kmsüdlich von Paris.

Dharma: Wahrheit oder Prinzip des Universums. Das universelle Gesetz, das vonBuddha Śākyamuni gelehrt wurde. Es wird gesagt, wo auch immer das Dharmaexistiert, existiert vollkommene Ordnung, Harmonie und Einheit.

Dōshū: Nehmen. Wie man den Weg nimmt, beschreitet, wie man ihn ausdrückt — durchKörper, Mund und Geist. Wie man sein Satori ausdrückt.

Zeisler, Étienne: (1946-1990), Zen-Mönch und einer von Deshimarus ersten undengsten Schülern. Er war der Übersetzer des Meisters und arbeitete als solcher bisletzterer 1982 starb.

Genpo: (Dennis Genpo Merzel, geb. 1944), zeitgenössischer amerikanischer Zen-Meister.Erhielt das Shihō von Maezumi Rōshi. Diese Meister sind aus der Schule des Rinzai-Sōtō-Mix der Rōshis Yasutani und Harada.

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Godō: Ein Mönch oder eine Nonne, die ein Sesshin leitet, und dem es obliegt, diebuddhistische Unterweisung im Dōjō zu geben. Im weiteren Sinne ist ein Godōderjenige, welcher, nach dem Meister, die Schüler erzieht.

Hannya Shingyō: Herz-Sūtra. Dieses kurze Sūtra wird in allen Zen-Tempeln und -Dōjōsnach den ersten und letzten Zazens des Tages gesungen. Hannya bedeutet „höchsteWeisheit“, Shin bedeutet „Glaube“ oder „Essenz“, Gyō bedeutet „Sūtra“. Es ist daskürzeste aller buddhistischen Sūtren und legt die Essenz der Unterweisung Buddhasdar.

Hishiryō: Jenseits des Denkens. Hi bedeutet „jenseits“ und Shiryō bedeutet „Denken“.Denken … Nicht-Denken … Denken.

Hypothalamus: Das instinktive, primitive Zentralhirn, im Gegensatz zum rationalen,intellektuellen Frontalhirn. Es befindet sich ungefähr im unteren hinteren Bereichdes Kopfes. Der Hypothalamus ist der Verbindungspunkt von Körper und Geist, dasHirnzentrum, welches sich während Zazen öffnet.

Kaijō: Eine mögliche Übersetzung ist „Unterbrechung der Stille“ oder einfach „Endevon Zazen“. Wenn der Godō Kaijō sagt, schlägt ein Mönch die Trommel gemäß derTagesstunde (d.h. 9.00 Uhr = 9 Schläge). Darauf folgt dann die Hannya-Shingyō-Zeremonie.

Kanbun: archaisches Chinesisch; Japanisch im chinesischen Stil geschrieben. Odereinfach: sino-japanisch.

Kikai Tanden: Energiezentrum, das sich unterhalb des Nabels befindet. Ki: Aktivität,Energie; Kai: Ozean der Energie; Tan: Essenz; Den: Feld.

Kinhin: Die Geh-Übung im Zen, welche zwischen zwei Perioden des Sitzens praktiziertwird. Ein langsames Gehen im Einklang mit dem Rhythmus des Atmens. Man machteinen kleinen Schritt während man einatmet und verweilt bewegungslos währendman ausatmet und sich darauf konzentriert, eine aufrechte Haltung zu bewahren.

Komusō: Ein anderes Wort für Mönch. Es bedeutet „Mönch der Leerheit“.

Konchin: Geisteszustand, wenn man sich im Zweifel befindet. Düsterkeit, Schlaf. Kon:Dunkelheit; Chin: versinken.

Kū: Leerheit. Nicht die Leerheit des Nichts sondern die Leerheit, aus der alle Dingekommen und eingehen. Leerheit wird Form und Form wird Leerheit. Kū ist dieExistenz ohne Substanz. Kū ist die Grundlage der Zen-Lehre.

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Kyōsaku: Stab des Erwachens. Es ist ein ca. ein Meter langer Stab, der an einem Endeabgeflacht ist. Wenn eine Person darum bittet, Kyōsaku zu erhalten (indem siezunächst Gasshō macht), empfängt sie einen Schlag auf jeden Schultermuskel (zweiSchläge, wenn es der Shusō oder Godō gibt), wo sich einige wichtigeAkupunkturmeridiane befinden. Ein kräftiger Kyōsaku kann den Körper und denGeist aufwecken.

Maezumi Rōshi: (Hakuyū Taizan Maezumi, 前角博雄 1931-1995) früherer Abt des LosAngeles Zen Center. Er gab zwölf Schülern das Shihō, darunter Dennis Genpo Merzel(siehe Genpo) und Tetsugen Bernard Glassmann.

Mahākāśyapa: Einer von Buddhas zehn großen Schülern. Er wird als der erste indischePatriarch in der Zen-Tradition angesehen. Er führte mit Ānanda die Weitergabe fort.

Mushotoku: Nicht zu erlangen, nicht zu gewinnen.

Nirvana: 1. Ausblasen, wie beim Auslöschen einer Flamme, somit also Tod. 2. Dasvollständige und endgültige Sterben wie im Wort Parinirvana, wo die vollkommeneBefreiung von der Kette des Saṃsāra erreicht wird. 3. Das tiefste Samādhi, wie wenndie Flamme der Täuschungen ausgeblasen wurde, und die ursprünglicheErleuchtung, das wahre Satori, sich offenbart.

Saṃsāra: Während Saṃsāra der Zyklus von Geborenwerden und Sterben ist, um densich fast die ganze Menschheit sich dreht, wird dessen Prozess Transmigrationgenannt.

Sanran: Der Geist, wenn er abgelenkt, aufgeregt, ekstatisch ist. San: zerstreut; Ran:Gedanke.

Satori: Unübertroffenes, echtes Erwachen. Die Rückkehr zum Normalzustand vonKörper und Geist, zur eigenen ursprünglichen Natur.

Sesshin: Eine Periode konzentrierter Zen-Praxis. In diesem Fall dauerte es drei Tage,aber es kann auch länger sein, eine Woche oder mehr. Sesshin bedeutet „den wahrenGeist berühren“. Setsu: berühren, Shin: wahrer Geist.

Shinjinmei: Wörtlich „Gedichte vom Glauben an den Geist. Das älteste der antiken Zen-Gedichte, welches von Meister Sōsan (gest. 606 in China) verfasst wurde.

Shōbōgenzō: Der Titel, der dem monumentalen Werk von Meister Dōgen gegebenwurde. Er bedeutet „Schatz-Auge der wahren Lehre“.

Shusō: Der Shusō ist verantwortlich für alles, was im Dōjō geschieht. Er ist der Assistentdes Meisters oder des Godō.

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Suzuki Rōshi: (jap. Suzuki Shōgaku Shunryū, 鈴木祥岳俊隆 , 1904-1971) Großer inAmerika beheimatet gewesener Sōtō-Meister. Er kam im Alter von 53 Jahren in dieVereinigten Staaten und ließ sich in San Francisco nieder, wo er die Zazen-Praxisunterwies bis zu seinem Tode mit 66 Jahren.

Thích Nhất Hạnh: (vietn. 釋一行 ) Vietnamesischer buddhistischer Meister, der imSüdwesten Frankreichs lebt.

Zagu: Ein Stück Stoff, der sogenannte „Zen-Stoff“, den Zen-Mönche und -Nonnen aufdem Boden bei Zeremonien ausbreiten, um darauf ihre Niederwerfungen zu machen.

Zanshin: Der Geist, welcher auch nach dem Durchführen einer Handlung im Zustandder richtigen Aufmerksamkeit verbleibt.

Zehn Ochsenbilder: Darstellung der Stufen des Zen-Wegs bzw. der verschiedenenEbenen der Verwirklichung der Erleuchtung in zehn Bildnissen eines Ochsen undseines Hirten.

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Sangha Ohne Bleibe 2014

www.zen-road.org