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Ein Skript f¨ ur Algebra I Chris Preston Sommersemester 2005

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Ein Skript fur Algebra I

Chris Preston

Sommersemester 2005

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Inhaltsverzeichnis

1 Gruppen 2

2 Kommutative Ringe mit Eins 26

3 Polynome 38

4 Irreduzibilitatskriterium von Eisenstein 45

5 Korpererweiterungen 48

6 Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 55

7 Zerfallungskorper 58

8 Endliche Korper 64

9 Normale und separable Erweiterungen 66

10 Korperautomorphismen 72

11 Auflosung algebraischer Gleichungen 82

12 Symmetrische Funktionen 92

13 Fundamentalsatz der Algebra 97

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1 Gruppen

Ein Tripel (G, ·, e) bestehend aus einer Menge G, einer Verknupfung

· : G×G→ G

(a, b) 7→ ab

und einem Element e ∈ G heißt Gruppe, wenn folgendes gilt:

(G1) Assoziativitat: (ab)c = a(bc) fur alle a, b, c ∈ G.

(G2) Das Element e ist linksneutral: Fur alle a ∈ G gilt ea = a.

(G3) Existenz eines Linksinversen: Zu jedem a ∈ G gibt es ein Element b ∈ G,so dass ba = e.

Lemma 1.1 Sei (G, ·, e) eine Gruppe.

(1) Das Element e ist auch rechtsneutral: Fur alle a ∈ G gilt ae = a.

(2) Ein Linksinverses ist auch ein Rechtsinverses: Es gilt ab = e, falls ba = e.

Beweis (2) Seien a, b ∈ G mit ba = e. Nach (G3) gibt es also ein Element c ∈ Gmit cb = e und nach (G1) und (G2) gilt dann

e = cb = c(eb) = c((ba)b) = c(b(ab)) = (cb)(ab) = e(ab) = ab .

(1) Sei a ∈ G; nach (G3) gibt es also ein Element b ∈ G mit ba = e. Nach (G1),(G2) und (2) gilt dann

ae = a(ba) = (ab)a = ea = a .

Nach Lemma 1.1 konnen (G2) und (G3) in der Definition einer Gruppe durch(G2′) und (G3′) ersetzt werden, wobei

(G2′) Das Element e ist neutral: Fur alle a ∈ G gilt ea = ae = a.

(G3′) Existenz eines Inversen: Zu jedem a ∈ G gibt es ein Element b ∈ G, sodass ba = ab = e.

Lemma 1.2 Sei (G, ·, e) eine Gruppe.

(1) Das Element e ist das einzige neutrale Element: Gilt e′a = ae′ = a fur allea ∈ G fur ein e′ ∈ G, so ist e′ = e.

(2) Fur jedes a ∈ G ist das Inverse eindeutig: Gilt ba = ab = e und ca = ac = e,so ist b = c.

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1 Gruppen 3

Beweis (1) Dies ist klar, da e′ = ee′ = e.

(2) Hier ist b = be = b(ac) = (ba)c = ec = c.

Nach Lemma 1.2 (1) wird e das neutrale Element der Gruppe (G, ·, e) genannt.Fur jedes a ∈ G wird das Inverse von a meistens mit a−1 bezeichnet; a−1 istalso das eindeutige Element mit a−1a = aa−1 = e. Es gilt (a−1)−1 = a furjedes a ∈ G, da aa−1 = a−1a = e, und (ab)−1 = b−1a−1 fur alle a, b ∈ G, da(b−1a−1)ab = b−1(a−1a)b = b−1eb = b−1b = e und genauso gilt ab(b−1a−1) = e.

Sei (G, ·, e) eine Gruppe; gilt ab = ba fur alle a, b ∈ G, so nennt man die Gruppeabelsch. Fur eine abelsche Gruppe schreibt man meistens (G,+, 0) statt (G, ·, e);das neutrale Element wird also mit 0 bezeichnet und man schreibt a+ b statt ab.Ferner wird in diesem Fall das Inverse von a mit −a statt a−1 bezeichnet.

Beispiele: (1) (Z,+, 0) ist eine abelsche Gruppe.

(2) (R,+, 0) ist eine abelsche Gruppe.

(3) Ist K ein Korper, so ist (K,+, 0) eine abelsche Gruppe.

(4) Ist K ein Korper, so ist (K×, ·, 1) eine abelsche Gruppe, wobei K× = K \{0}.(5) Fur n ≥ 1 ist (Zn,+, 0) eine abelsche Gruppe, wobei Zn = {0, 1, . . . , n − 1}und + : Zn × Zn → Zn durch ℓ+m = (ℓ+m) Restn definiert ist.

(6) Ist V ein Vektorraum uber einem Korper K, so ist (V,+, 0) eine abelscheGruppe.

(7) Sei K ein Korper und sei GL(n,K) die Menge aller invertierbaren Elementein M(n×n,K) . Dann ist (GL(n,K), ·, En) eine Gruppe, die general linear group,wobei hier · Matrizenmultiplikation bezeichnet. Diese Gruppe ist nicht abelsch,wenn n > 1.

(8) Sei V ein Vektorraum uber einem Korper K und sei Aut(V ) die Menge allerAutomorphismen von V . Dann ist (Aut(V ), ◦, idV ) eine Gruppe. Diese Gruppeist nicht abelsch, wenn dimV > 1.

(9) Sei X eine Menge und sei Bij(X) die Menge aller Bijektionen f : X → X.Dann ist (Bij(X), ◦, idX) eine Gruppe, die Gruppe der Permutationen von Xoder die symmetrische Gruppe von X. Enthalt X mehr als zwei Elemente, so istdie symmetrische Gruppe von X nicht abelsch. Im Spezialfall X = {1, 2, . . . , n}schreibt man Sn statt Bij(X). Die Menge Sn enthalt n! Elemente.

(10) Sei G = {e, a, b, c} und sei · : G×G→ G gegeben durch

· e a b c

e e a b ca a e c bb b c e ac c b a e

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1 Gruppen 4

Dann ist (G, ·, e) eine abelsche Gruppe; sie heißt die Kleinsche Vierergruppe.

Bemerkung: Ist (G, ·, e) eine Gruppe mitG endlich, so kann man die Verknupfung· : G×G→ G oft am Besten in einer Gruppentafel (wie in (10)) ubersehen.

Ist (G, ·, e) eine Gruppe, dann schreibt man meistens einfach G statt (G, ·, e)(und geht davon aus, dass es klar ist, welche Verknupfung · und welches neutraleElement e gemeint ist).

Sei G eine Gruppe und seien a1, . . . , an ∈ G mit n ≥ 3; dann ist das ‘Produkt’von a1, . . . , an unabhangig von der Reihenfolge der einzelnen Multiplikationen;dieses ‘Produkt’ wird mit a1 · · ·an bezeichnet.

Sei G eine Gruppe und sei a ∈ G; die Potenzen an, n ≥ 0, werden rekursiv durcha0 = e, a1 = a und (fur n ≥ 1) an+1 = aan definirt. (Ist G abelsch, so soll manaber na statt an schreiben.) Es ist leicht zu sehen, dass am+n = aman fur allem, n ≥ 0. Nehme an, dass es 0 ≤ m < n mit am = an gibt; dann gilt

e = (am)−1am = (am)−1an

= (am)−1(aman−m) = ((am)−1am)an−m = ean−m = an−m .

Dies zeigt also, dass entweder

— alle Potenzen von a verschieden sind, und dann nennt man a ein Elementunendlicher Ordnung, oder

— am = e fur ein m ≥ 1, und dann nennt man a ein Element endlicher Ordnung.

Sei a ∈ G ein Element endlicher Ordnung; die Zahl min{m ≥ 1 : am = e} heißtdann die Ordnung von a und wird mit ord a bezeichnet. Ist a ∈ G ein Elementunendlicher Ordnung, so schreibt man auch ord a = ∞.

Eine Gruppe G heißt endlich, wenn die Menge G endlich ist; in diesem Fall heißtdie Anzahl der Elemente in G die Ordnung von G und wird mit ordG bezeichnet.Ist G eine endliche Gruppe, dann ist jedes Element von G ein Element endlicherOrdnung.

Sei G eine Gruppe; eine nichtleere Teilmenge H von G heißt Untergruppe von G,wenn H mit der Verknupfung · und mit dem neutralen Element e aus G selbsteine Gruppe ist. D.h., H ⊂ G ist eine Untergruppe von G, wenn gilt:

— ab ∈ H fur alle a, b ∈ H ,

— e ∈ H ,

— a−1 ∈ H fur jedes a ∈ H .

Beispiele: (1) Sei G eine Gruppe; dann sind {e} und G stets Untergruppen vonG.

(2) Z ist eine Untergruppe von R.

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1 Gruppen 5

(3) Ist V ein Vektorraum uber einem Korper K, so ist jeder Untervektorraumvon V auch eine Untergruppe von V .

(4) Sei V ein K-Vektorraum; dann ist Aut(V ) eine Untergruppe von Bij(V ).

(5) Sei Y Teilmenge einer Menge X und H eine Untergruppe von Bij(X). Setze

FixH(Y ) = {f ∈ H : f(y) = y fur alle y ∈ Y } ,InvH(Y ) = {f ∈ H : f(Y ) = Y } .

Dann sind FixH(Y ) und InvH(Y ) beide Untergruppen von Bij(X).

Ist H eine endliche Untergruppe von G, so heißt die Anzahl der Elemente in Hdie Ordnung von H und wird mit ordH bezeichnet.

Im Folgenden sei G eine Gruppe.

Lemma 1.3 Sei H eine nichtleere Teilmenge von G. Gilt a−1b ∈ H fur allea, b ∈ H, so ist H eine Untergruppe von G.

Beweis Da H 6= ∅, gibt es ein Element c ∈ H , und folglich ist e = c−1c ∈ H .Seien nun a, b ∈ H ; dann gilt a−1 = a−1e ∈ H und ab = (a−1)−1b ∈ H . Damitist H eine Untergruppe von G.

Lemma 1.4 Sei H eine endliche Teilmenge von G, fur die gilt:

— e ∈ H,

— ab ∈ H fur alle a, b ∈ H.

Dann ist H eine Untergruppe von G.

Beweis Es muss gezeigt werden, dass a−1 ∈ H fur jedes a ∈ H . Sei a ∈ H ; dannliegen alle Potenzen an, n ≥ 0, in H , da bc ∈ H fur alle b, c ∈ H . Aber H istendlich und folglich konnen diese Potenzen nicht alle verschieden sein; also ist aein Element endlicher Ordnung. Sei n = ord a; dann ist an−1a = an = e, d.h.,an−1 = a−1 und damit ist a−1 ∈ H .

Sei S eine nichtleere Teilmenge von G und bezeichne mit 〈S〉 die Teilmenge vonG, die aus allen endlichen Produkten von Elementen aus der Menge S ∪ S−1

besteht, wobei S−1 = {a−1 : a ∈ S}.

Lemma 1.5 Sei S eine nichtleere Teilmenge von G. Dann ist 〈S〉 eine Unter-gruppe von G. Ferner ist 〈S〉 die kleinste Untergruppe von G, die S enthalt: IstH eine Untergruppe von G mit S ⊂ H, so ist 〈S〉 ⊂ H.

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1 Gruppen 6

Beweis Es gilt e ∈ 〈S〉, da e = cc−1 fur jedes c ∈ S. Seien a, b ∈ 〈S〉; dann gibtes a1, . . . , am, b1, . . . , bn ∈ S ∪ S−1, so dass a = a1 · · ·am und b = b1 · · · bn undfolglich ist ab = a1 · · ·amb1 · · · bn ∈ 〈S〉. Ferner ist a−1 = a−1

m · · ·a−11 ∈ 〈S〉. Damit

ist 〈S〉 eine Untergruppe von G. Sei nun H eine Untergruppe von G mit S ⊂ H ;dann ist a1 · · ·an ∈ H fur alle a1, . . . , an ∈ S ∪ S−1 und daraus ergibt sich, dass〈S〉 ⊂ H .

Man nennt 〈S〉 die von S erzeugte Untergruppe von G. Ist S = {a1, . . . , an}endlich, so schreibt man einfach 〈a1, . . . , an〉 statt 〈{a1, . . . , an}〉.Fur a ∈ G, m ≥ 1 schreibt man meistens a−m statt (a−1)m. Fur alle m, n ∈ Z

gilt nun am+n = aman.

Lemma 1.6 (1) Ist a ∈ G ein Element unendlicher Ordnung, dann sind diePotenzen am, m ∈ Z, alle verschieden und 〈a〉 = {. . . , a−2, a−1, e, a, a2, . . .}.(2) Ist a ∈ G ein Element endlicher Ordnung mit n = ord a, dann sind diePotenzen am, m = 0, . . . , n− 1, alle verschieden und 〈a〉 = {e, a, . . . , an−1}.

Beweis (1) Nehme an, dass es m, n ∈ Z mit m < n und am = an gibt. Dann giltam+ℓ = amaℓ = anaℓ = an+ℓ fur alle ℓ ≥ 0 und folglich gibt es p, q mit 0 ≤ p < q,so dass ap = aq. Da aber a ein Element unendlicher Ordnung ist, ist dies nichtmoglich, und damit mussen die Potenzen am,m ∈ Z, alle verschieden sein. Es folgtnun umittelbar aus der Definition von 〈a〉, dass 〈a〉 = {. . . , a−2, a−1, e, a, a2, . . .}.(2) Nehme an, dass es 0 ≤ k < ℓ < n mit ak = aℓ gibt. Dann ist

aℓ−k = (ak)−1akaℓ−k = (ak)−1aℓ = (ak)−1ak = e

und dies ist nicht moglich, da 1 ≤ ℓ− k < n und n = min{m ≥ 1 : am = e}. DiePotenzen am, m = 0, . . . , n − 1 sind also alle verschieden. Nach Lemma 1.4 istH = {e, a, . . . , an−1} eine Untergruppe von G, da akaℓ = ap mit p = (k+ℓ) Restnfur alle k, ℓ ∈ {0, 1, . . . , n− 1}, und daraus folgt nach Lemma 1.5, dass 〈a〉 ⊂ H .Damit ist H = 〈a〉.

Eine Untergruppe H von G heißt zyklisch, wenn H = 〈a〉 fur ein a ∈ H . Ist Heine unendliche zyklische Untergruppe von G, dann ist nach Lemma 1.6 (1)

H = {. . . , a−2, a−1, e, a, a2, . . .}fur ein a ∈ H . Ist dagegen H eine endliche zyklische Untergruppe von G, so istnach Lemma 1.6 (2) 〈a〉 = {e, a, . . . , an−1} fur ein a ∈ H mit n = ord a = ordH .

Die Gruppe G heißt zyklisch, wenn G = 〈a〉 fur ein a ∈ G, d.h., wenn G zyklischist als Untergruppe von sich selbst. Jede zyklische Gruppe ist abelsch, da

aman = am+n = an+m = anam

fur alle m, n ∈ Z. Fur jedes n ≥ 1 ist Zn eine zyklische Gruppe der Ordnung n;Z ist eine unendliche zyklische Gruppe.

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1 Gruppen 7

Satz 1.1 Ist G zyklisch, so ist jede Untergruppe H von G auch zyklisch.

Beweis Man kann annehmen, dass H 6= {e}, da die Untergruppe {e} = 〈e〉 trivialzyklisch ist. Nun ist G = 〈a〉 fur ein a ∈ G, und folglich gibt es n ∈ Z\{0}, so dassan ∈ H . Damit gibt es k ≥ 1, so dass ak ∈ H , da a−n ∈ H , falls an ∈ H . Setzem = min{k ≥ 1 : ak ∈ H}; es gilt also 〈am〉 ⊂ H . Nehme an, dass 〈am〉 6= H ,und sei an ∈ H \ 〈am〉. Es gibt dann q ∈ Z und 0 ≤ ℓ < m, so dass n = mq + ℓ,und tatsachlich ist ℓ ≥ 1, sonst ware an = amq = (am)q ∈ 〈am〉. Aber

aℓ = (amq)−1amqaℓ = (amq)−1amq+ℓ = (amq)−1an = ((am)q)−1an ∈ H ,

im Widerspruch zur Wahl von m. Daraus ergibt sich, dass H = 〈am〉, d.h., H istzyklisch.

Sei H eine Untergruppe von G und fur a, b ∈ G schreibe a ≡ bmodH , wennab−1 ∈ H . Auf diese Weise wird eine Relation ≡ modH auf G definiert.

Lemma 1.7 Die Relation ≡ modH ist eine Aquivalenzrelation auf G.

Beweis Reflexivitat: Es gilt aa−1 = e ∈ H und damit ist a ≡ amodH fur jedesa ∈ G.

Symmetrie: Seien a, b ∈ G mit a ≡ bmodH . Dann ist ab−1 ∈ H und damit auchba−1 = (ab−1)−1 ∈ H , d.h., b ≡ amodH .

Transitivitat: Seien a, b, c ∈ G mit a ≡ bmodH und b ≡ cmodH . Dann istab−1 ∈ H und bc−1 ∈ H und damit auch ac−1 = a(b−1b)c−1 = (ab−1)(bc−1) ∈ H ,d.h., a ≡ cmodH .

Die folgende allgemeine Konstruktion fur Aquivalenzrelationen wird benotigt: SeiX eine Menge und sei ≡ eine Aquivalenzrelation auf X. Eine Teilmenge A vonX heißt dann Aquivalenzklasse (bezuglich ≡), wenn es ein Element x ∈ X gibt,so dass A = {x′ ∈ X : x′ ≡ x}.

Lemma 1.8 Zu jedem x ∈ X gibt es eine eindeutige Aquivalenzklasse, die xenthalt.

Beweis Fur jedes x ∈ X sei Ax = {x′ ∈ X : x′ ≡ x}. Dann gilt x ∈ Ax, da x ≡ x,und folglich gibt es mindestens eine Aquivalenzklasse (namlich Ax), die x enthalt.Sei nun A eine beliebige Aquivalenzklasse, die x enthalt. Dann gilt A = Ax: Esgibt y ∈ X mit A = Ay; dann ist x ≡ y und damit auch y ≡ x, da ≡ symmetrischist. Sei z ∈ A; dann ist z ≡ y und also z ≡ x, da y ≡ x und ≡ transitiv ist. Damitist z ∈ Ax und daraus ergibt sich, dass A ⊂ Ax. Sei umgekehrt z′ ∈ Ax; dann ist

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1 Gruppen 8

z′ ≡ x und also z′ ≡ y, da x ≡ y und ≡ transitiv ist. Daher ist z′ ∈ Ay = A undfolglich ist Ax ⊂ A. d.h., A = Ax.

Seien A, A′ Aquivalenzklassen; dann nach Lemma 1.8 ist entweder A = A′ oderA ∩ A′ = ∅.

Betrachte nun wieder die Aquivalenzrelation ≡ modH . Fur jedes a ∈ G setzeHa = {ba : b ∈ H}; insbesondere ist He = H . Die Mengen Ha, a ∈ G, heißendie Rechtsnebenklassen von H .

Lemma 1.9 Sei a ∈ G; dann ist

Ha = {b ∈ G : b ≡ amodH}

und die Abbildung b 7→ ba bildet die Menge H auf die Menge Ha bijektiv ab.

Beweis Sei b ∈ G; dann gilt

b ∈ Ha ⇔ b = ca fur ein c ∈ H ⇔ ba−1 = c fur ein c ∈ H

⇔ ba−1 ∈ H ⇔ b ≡ amodH

und folglich gilt Ha = {b ∈ G : b ≡ amodH}. Es ist klar, dass die Abbildungb 7→ ba die Menge H auf Ha surjektiv abbildet. Ferner ist diese Abbildunginjektiv, da b = baa−1 = caa−1 = c, falls ba = ca.

Seien a, b ∈ G; dann ist nach Lemma 1.8 und Lemma 1.9 entweder Ha = Hboder Ha ∩Hb = ∅. Ferner gilt Ha = Hb genau dann, wenn a ≡ bmodH .

Satz 1.2 (Satz von Lagrange) Sei G eine endliche Gruppe. Dann teilt dieOrdnung jeder Untergruppe von G die Ordnung der Gruppe G.

Beweis Sei H eine Untergruppe und seien A1, . . . , Am die Aquivalenzklassenbezuglich der Aquivalenzrelation ≡ modH . (Da die Menge G endlich ist, gibtes nur endlich viele Aquivalenzklassen.) Fur jedes j = 1, . . . , m gibt es nachLemma 1.9 ein aj ∈ G, so dass Aj = Haj und daraus folgt nach der zweitenAussage in Lemma 1.9, dass Aj genau ordH Elemente enthalt. Damit gilt nachLemma 1.8, dass ordG = m×ordH . Insbesondere ist ordH ein Teiler von ordG.

Sei H eine Untergruppe von G; die Anzahl der verschiedenen Rechtsnebenklassenvon H heißt der Index von H in G und wird mit [G : H ] bezeichnet. Ist G endlich,dann folgt aus dem Beweis fur Satz 1.2, dass ordG = [G : H ] × ordH .

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1 Gruppen 9

Satz 1.3 Sei G eine endliche Gruppe der Ordnung n. Fur jedes a ∈ G ist dannord a ein Teiler von n und insbesondere ist an = e.

Beweis Sei a ∈ G und setze H = 〈a〉; nach Lemma 1.4 (2) ist H eine Untergruppevon G mit ordH = ord a und nach Satz 1.2 ist ordH ein Teiler von n = ordG,d.h., ord a ist ein Teiler von n. Sei nun m = ordH , es gibt also ℓ ≥ 1 mit ℓm = n,und damit ist an = (am)ℓ = eℓ = e.

Satz 1.4 Sei G eine endliche Gruppe der Ordnung p, wobei p Primzahl ist. Dannist G zyklisch.

Beweis Sei a ∈ G mit a 6= e; dann ist ord a 6= 1 und nach Satz 1.3 ist ord a einTeiler von p. Die einzige Moglichkeit ist also ord a = p und folglich ist 〈a〉 eineUntergruppe von G der Ordnung p. Damit ist G = 〈a〉, d.h., G ist zyklisch.

Fur n > 1 sei ϕ(n) die Anzahl der zu n teilerfremden Zahlen m mit 1 ≤ m < n.

Satz 1.5 (Euler) Sei n > 1, m ∈ Z teilerfremd; dann ist mϕ(n) = 1 modn.

Beweis Sei Z∗n = {m ∈ Zn : m und n sind teilerfremd}; sind k, m ∈ Z∗

n, so istkmRestn ∈ Z∗

n, und folglich kann eine Verknupfung · : Z∗n × Z∗

n → Z∗n durch

km = kmRest n definiert werden. Dann ist (Z∗n, ·, 1) eine Gruppe. (Der Beweis

dafur ist eine Ubung.) Da diese Gruppe der Ordnung ϕ(n) ist, gilt nach Satz 1.3,dass mϕ(n) = 1 (in Z∗

n) fur jedes m ∈ Z∗n, d.h., mϕ(n) = 1 modn (in Z) fur jedes

m ∈ Z∗n. Daraus ergibt sich, dass mϕ(n) = 1 modn fur alle m ∈ Z, die teilerfremd

zu n sind.

Sei p eine Primzahl; dann ist ϕ(p) = p− 1, und daraus folgt nach Satz 1.5, dassmp−1 = 1 mod p und damit auch mp = mmod p fur alle m ∈ Z, die teilerfremdzu p sind. Ist aber m ∈ Z nicht teilerfremd zu p, so ist m ein Vielfaches von pund in diesem Fall ist mp = m = 0 mod p. Damit wurde den folgenden Satz vonFermat bewiesen: Ist p eine Primzahl, so gilt mp = mmod p fur alle m ∈ Z.

Sei H eine Untergruppe einer Gruppe G; setze aH = {ab : b ∈ H} fur jedesa ∈ G. Die Mengen aH , a ∈ G, heißen die Linksnebenklassen von H . Es giltaH = Ha fur jedes a ∈ G, wenn G abelsch ist, aber im Allgemeinen ist dies nichtrichtig. (Ubung: Man finde ein b ∈ S3, so dass bH 6= Hb, wobei H = {e, a} unda : {1, 2, 3} → {1, 2, 3} durch a(1) = 2, a(2) = 1 und a(3) = 3 gegeben ist.)

Fur jedes a ∈ G setze aHa−1 = {aba−1 : b ∈ H} und fur Teilmengen S und TTeilmengen von G setze auch ST = {ab : a ∈ S, b ∈ T}.

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1 Gruppen 10

Lemma 1.10 Sei H eine Untergruppe von G; dann sind aquivalent:

(1) aba−1 ∈ H fur alle a ∈ G, b ∈ H, (d.h., aHa−1 ⊂ H fur jedes a ∈ G).

(2) aHa−1 = H fur jedes a ∈ G.

(3) aH = Ha fur jedes a ∈ G.

(4) H(ab) = (Ha)(Hb) fur alle a, b ∈ G.

Beweis (1) ⇒ (2): Da aba−1 ∈ H fur alle a ∈ G, b ∈ H und (a−1)−1 = a, ist aucha−1ba ∈ H fur alle a ∈ G, b ∈ H . Sei b ∈ H und a ∈ G; dann ist b′ = a−1ba ∈ Hund ab′a−1 = b. Daraus folgt, dass H ⊂ aHa−1, d.h. H = aHa−1 fur jedes a ∈ G.

(2) ⇒ (3): Seien a ∈ G, b ∈ H und setze b1 = aba−1. Dann ist b1 ∈ H und damitab = b1a ∈ Ha; d.h., aH ⊂ Ha. Ferner gibt es b2 ∈ H , so dass b = ab2a

−1 undalso ist ba = ab2 ∈ aH ; d.h., Ha ⊂ aH .

(3) ⇒ (4): Seien a, b ∈ G; fur jedes c ∈ G ist cab = (ca)(eb) ∈ (Ha)(Hb)und damit gilt H(ab) ⊂ (Ha)(Hb) immer. Sei nun c ∈ (Ha)(Hb), es gibt alsoc1, c2 ∈ H mit c = c1ac2b. Aber aH = Ha und folglich gibt es c3 ∈ H , so dassac2 = c3a. Damit ist c = c1c3ab ∈ H(ab); d.h., (Ha)(Hb) ⊂ H(ab).

(4) ⇒ (1): Seien a ∈ G, b ∈ H ; dann ist

aba−1 = eaba−1 ∈ (Ha)(Ha−1) = H(aa−1) = He = H .

Eine Untergruppe H von G heißt Normalteiler von G, wenn aba−1 ∈ H fur allea ∈ G, b ∈ H .

Beispiele: (1) {e} und G sind stets Normalteiler von G.

(2) Jede Untergruppe einer abelschen Gruppe ist ein Normalteiler.

(3) Jede UntergruppeH einer endlichen GruppeGmit Index 2 (d.h., [G : H ] = 2)ist ein Normalteiler von G. (Fur jedes a ∈ H gilt Ha = H = aH und fur jedesa /∈ H gilt Ha = G \H = aH .)

Lemma 1.11 Sei S eine Teilmenge von G mit aba−1 ∈ S fur alle a ∈ G, b ∈ S.Dann ist 〈S〉 ein Normalteiler von G.

Beweis Da ab−1a−1 = (aba−1)−1, ist aba−1 ∈ S ∪S−1 fur alle a ∈ G, b ∈ S ∪S−1.Seien nun a ∈ G, b ∈ 〈S〉; dann gibt es b1, . . . , bn ∈ S ∪S−1, so dass b = b1 · · · bn,und folglich ist

aba−1 = ab1 · · · bna−1 = (ab1a−1) · · · (abna−1) ∈ 〈S〉 .

Damit ist 〈S〉 ein Normalteiler.

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1 Gruppen 11

Sei S = {aba−1b−1 : a, b ∈ G}. Dann ist

c(aba−1b−1)c−1 = (cac−1)(cbc−1)(cac−1)−1(cbc−1)−1

ein Element von S fur alle a, b, c ∈ G, und daraus folgt nach Lemma 1.11, dass〈S〉 ein Normalteiler von G ist. Dieser Normalteiler wird mit K(G) bezeichnetund heißt die Kommutatorgruppe von G. Es gilt K(G) = {e} genau dann, wennG abelsch ist.

Sei H ein Normalteiler von G; mit G/H wird die Menge aller Aquivalenzklassenbezuglich der Aquivalenzrelation ≡ modH bezeichnet. Nach Lemma 1.9 ist alsoG/H die Menge der verschiedenen Rechtsnebenklassen von H . Nach Lemma 1.10ist XY ∈ G/H fur alle X, Y ∈ G/H . (Es gibt a, b ∈ G mit X = Ha und Y = Hbund dann ist XY = (Ha)(Hb) = H(ab) ∈ G/H .) Damit gibt es eine Verknupfung

· : G/H ×G/H → G/H

(X, Y ) 7→ XY .

Lemma 1.12 Sei H ein Normalteiler von G; dann ist (G/H, ·, H) eine Gruppe,die Faktorgruppe von G nach H.

Beweis Assoziativitat: Sind X, Y, Z beliebige Teilmengen von G, dann gilt

(XY )Z = X(Y Z) = {abc : a ∈ X, b ∈ Y, c ∈ Z} .

Das Element H ist linksneutral: Sei X ∈ G/H ; dann gibt es a ∈ G mit X = Haund nach Lemma 1.10 ist HX = (He)(Ha) = H(ea) = Ha = X.

Existenz eines Linksinversen: Sei X ∈ G/H , es gibt also a ∈ G mit X = Ha.Setze Y = Ha−1; dann ist Y ∈ G/H und nach Lemma 1.10 ist

Y X = (Ha−1)(Ha) = H(a−1a) = He = H .

Ist H Normalteiler einer endlichen Gruppe G, so ist ordG/H = [G : H ].

Seien G, H Gruppen; eine Abbildung ϕ : G → H heißt ein Homomorphismus(oder ein Gruppen-Homomorphismus), wenn gilt:

ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b)

fur alle a, b ∈ G.

Lemma 1.13 Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus. Dann gilt ϕ(e) = e undϕ(a−1) = ϕ(a)−1 fur jedes a ∈ G.

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1 Gruppen 12

Beweis Es gilt ϕ(e) = ϕ(ee) = ϕ(e)ϕ(e) und daraus folgt, dass

ϕ(e) = eϕ(e) = (ϕ(e)−1ϕ(e))ϕ(e) = ϕ(e)−1(ϕ(e)ϕ(e)) = ϕ(e)−1ϕ(e) = e .

Ferner gilt ϕ(a−1)ϕ(a) = ϕ(a−1a) = ϕ(e) = e und damit ist ϕ(a−1) = ϕ(a)−1.

Es ist klar, dass fur jede Gruppe G die Identitatsabbildung idG : G → G einHomomorphismus ist.

Lemma 1.14 Seien G, H, K Gruppen und seien ϕ : G → H, ψ : H → KHomomorphismen. Dann ist ψ ◦ ϕ : G→ K ein Homomorphismus.

Beweis Fur alle a, b ∈ G ist

(ψ ◦ ϕ)(ab) = ψ(ϕ(ab)) = ψ(ϕ(a)ϕ(b)) = ψ(ϕ(a))ψ(ϕ(b)) = (ψ ◦ ϕ)(a)(ψ ◦ ϕ)(b)

und damit ist ψ ◦ ϕ ein Homomorphismus.

Seien G, H Gruppen; ein Homomorphismus ϕ : G → H heißt Isomorphismus,wenn es einen Homomorphismus ψ : H → G gibt, so dass ψ ◦ ϕ = idG undϕ ◦ ψ = idH . In diesem Fall ist nach Lemma 5.1 (2) ϕ eine bijektive Abbildungund ψ ist die Umkehrabbildung ϕ−1 von ϕ. Die Umkehrung ist auch richtig:

Lemma 1.15 Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus. Ist ϕ bijektiv, dann istdie Umkehrabbildung ϕ−1 : H → G ein Homomorphismus und damit is ϕ einIsomorphismus.

Beweis Seien a, b ∈ H ; dann ist ϕ(ϕ−1(a)ϕ−1(b)) = ϕ(ϕ−1(a))ϕ(ϕ−1(b)) = abund daraus folgt, dass ϕ−1(ab) = ϕ−1(a)ϕ−1(b).

Sind ϕ : G → H und ψ : H → K Isomorphismen, so sind auch ψ ◦ ϕ : G → Kund ϕ−1 : H → G Isomorphismen. Ferner ist idG : G→ G ein Isomorphismus.

Fur einen Homomorphismus ϕ : G→ H setze

Kernϕ = {a ∈ G : ϕ(a) = e} und Bildϕ = ϕ(G) .

Lemma 1.16 (1) Kernϕ ist ein Normalteiler von G.

(2) Bildϕ ist eine Untergruppe von H.

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1 Gruppen 13

Beweis (1) Da e ∈ Kernϕ, ist Kernϕ 6= ∅. Seien a, b ∈ Kernϕ; dann ist nachLemma 1.13 ϕ(a−1b) = ϕ(a−1)ϕ(b) = ϕ(a)−1ϕ(b) = e−1e = e und damit ista−1b ∈ Kernϕ. Daraus folgt nach Lemma 1.3, dass Kernϕ eine Untergruppe vonG ist. Sei nun b ∈ Kernϕ; fur jedes a ∈ G ist

ϕ(aba−1) = ϕ(a)ϕ(b)ϕ(a−1) = ϕ(a)eϕ(a)−1 = ϕ(a)ϕ(a)−1 = e ,

d.h., ϕ(aba−1) ∈ Kernϕ. Damit ist Kern ϕ Normalteiler von G.

(2) Seien a, b ∈ Bildϕ; es gibt also c, d ∈ G mit a = ϕ(c) und b = ϕ(d), undfolglich ist a−1b = ϕ(c)−1ϕ(d) = ϕ(c−1)ϕ(d) = ϕ(c−1d), d.h., a−1b ∈ Bild ϕ.Ferner ist Bildϕ 6= ∅, da e = ϕ(e) ∈ Bildϕ. Nach Lemma 1.3 ist also Bildϕ eineUntergruppe von H .

Beispiele: (1) Seien G, H Gruppen und definiere ϕ : G→ H durch ϕ(a) = e furalle a ∈ G. Dann ist ϕ ein Homomorphismus mit Kernϕ = G und Bildϕ = {e}.(2) Sei m ≥ 1 und definiere ϕ : Z → Zm durch ϕ(n) = nRestm. Dann ist ϕ einHomomorphismus mit Kernϕ = {nm : n ∈ Z} und Bildϕ = Zm.

(3) Sei G eine Gruppe und a ∈ G; definiere eine Abbildung ϕ : Z → G durchϕ(n) = an fur jedes n ∈ Z. Dann ist ϕ ein Homomorphismus mit Bildϕ = 〈a〉. Esgilt Kernϕ = {0}, falls a ein Element unendlicher Ordnung ist, und wenn a einElement endlicher Ordnung ist, so ist Kernϕ = {nm : n ∈ Z}, wobei m = ord a.

(4) Man betrachte die zwei Gruppen (R,+, 0) und (R\{0}, ·, 1) und definiere eineAbbildung ϕ : R → R \ {0} durch ϕ(x) = ex. Dann ist ϕ ein Homomorphismusmit Kernϕ = {0} und Bildϕ = {x ∈ R \ {0} : x > 0}.(5) Man betrachte die zwei Gruppen (R,+, 0) und (C×, ·, 1) (mit C× = C \ {0})und definiere eine Abbildung ϕ : R → C× durch ϕ(x) = e2πix. Dann ist ϕ einHomomorphismus mit Kernϕ = Z und Bildϕ = {z ∈ C× : |z| = 1}.

Lemma 1.17 Sei ϕ : G→ H ein Homomorphismus. Dann ist ϕ surjektiv genau,wenn Bildϕ = H, und injektiv genau, wenn Kernϕ = {e}.

Beweis Es ist klar, dass ϕ genau dann surjektiv ist, wenn Bildϕ = H . Ferner istKernϕ = {e}, wenn ϕ injektiv ist, da ϕ(e) = e. Sei also umgekehrt Kernϕ = {e}und seien a, b ∈ G mit ϕ(a) = ϕ(b). Dann ist

ϕ(a−1b) = ϕ(a−1)ϕ(b) = ϕ(a)−1ϕ(b) = ϕ(b)−1ϕ(b) = e ,

d.h., a−1b ∈ Kernϕ. Damit ist a−1b = e, d.h., a = b. Folglich ist ϕ injektiv.

Sei ϕ : G → H ein Homomorphismus. Nach Lemmas 1.15 und 1.17 ist ϕ einIsomorphismus genau dann, wenn Kernϕ = {e} und Bildϕ = H . Die GruppenG und H heißen isomorph, wenn es einen Isomorphismus von G auf H gibt. SindG und H isomorph, so schreibt man G ∼= H . Es gilt G ∼= G fur jede Gruppe G,ferner ist H ∼= G, wenn G ∼= H , und G ∼= K, falls G ∼= H und H ∼= K.

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1 Gruppen 14

Satz 1.6 (1) Jede unendliche zyklische Gruppe ist isomorph zu Z.

(2) Jede endliche zyklische Gruppe der Ordnung m ist isomorph zu Zm.

Beweis (1) Sei G eine unendliche zyklische Gruppe, sei a ∈ G mit G = 〈a〉 undsei ϕ : Z → G durch ϕ(n) = an gegeben. Dann ist ϕ ein Homomorphismusund nach Lemma 1.6 (1) ist ϕ bijektiv. Folglich ist nach Lemma 1.15 ϕ einIsomorphismus.

(2) Sei G eine endliche zyklische Gruppe der Ordnung m. Nach Lemma 1.6 (2)gibt es dann a ∈ G mit ord a = m, so dass G = {e, a, . . . , am−1}. Sei ϕ : Zm → Ggegeben durch ϕ(n) = an fur n = 0, . . . , m − 1. Man sieht leicht, dass ϕ einHomomorphismus ist und damit ist nach Lemma 1.15 ϕ ein Isomorphismus.

Sei p eine Primzahl. Nach Satz 1.4 und Satz 1.6 (2) ist jede endliche Gruppe derOrdnung p isomorph zu Zp.

Satz 1.7 Sei G eine Gruppe und H ein Normalteiler von G, sei π : G → G/Hdie durch π(a) = Ha definierte Abbildung. Dann ist π ein Homomorphismus mitKernϕ = H und Bildϕ = G/H.

Beweis Nach Lemma 1.10 ist π(ab) = H(ab) = (Ha)(Hb) = π(a)π(b) fur allea, b ∈ G, und damit ist π ein Homomorphismus. Ferner ist

Kern π = {a ∈ G : Ha = H} = H

und es ist klar, dass Bild π = G/H .

Der Homomorphismus π : G → G/H heißt der kanonische Homomorphismusvon G auf G/H .

Sei S eine Teilmenge einer Gruppe G; nach Satz 1.7 und Lemma 1.16 (1) gibt eseine Gruppe H und einen Homomorphismus ϕ : G → H mit Kernϕ = S genaudann, wenn S Normalteiler von G ist.

Satz 1.8 (Homomorphiesatz) Seien G, H Gruppen und sei ϕ : G → H einsurjektiver Homomorphismus; setze K = Kernϕ und sei π : G → G/K derkanonische Homomorphismus von G auf G/K. Dann gibt es einen Isomorphismusψ : G/K → H, so dass ϕ = ψ ◦ π. Insbesondere ist G/K ∼= H.

Beweis Seien a, b ∈ G mit Ka = Kb; da a ∈ Ka = Kb, gibt es dann c ∈ K,so dass a = cb, und folglich ist ϕ(a) = ϕ(cb) = ϕ(c)ϕ(b) = eϕ(b) = ϕ(b), dac ∈ K = Kernϕ. Sind also a, b ∈ G mit Ka = Kb, so ist ϕ(a) = ϕ(b), und daher

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1 Gruppen 15

kann eine Abbildung ψ : G/K → H durch ψ(Ka) = ϕ(a) definiert werden. Furjedes a ∈ G ist dann ϕ(a) = ψ(Ka) = ψ(π(a)), d.h., ϕ = ψπ.

ψ ist ein Homomorphismus: Seien X, Y ∈ G/K; dann gibt es a, b ∈ G mitX = Ka und Y = Kb, und nach Lemma 1.10 ist

ψ(XY ) = ψ((Ka)(Kb)) = ψ(K(ab)) = ϕ(ab)

= ϕ(a)ϕ(b) = ψ(Ka)ψ(Kb) = ψ(X)ψ(Y ) .

ψ ist ein Isomorphismus: Sei a ∈ H ; da ϕ surjektiv ist, gibt es b ∈ G mitϕ(b) = a, und dann ist ψ(Kb) = ϕ(b) = a, d.h., ψ ist surjektiv. Sei nun a ∈ G;dann gilt ψ(Ka) = e, wenn a ∈ Kern ϕ = K, da ψ(Ka) = ϕ(a). Folglich istKernψ = {K}, und nach Lemma 1.17 ist dann ψ injektiv. Nach Lemma 1.15 isalso ψ ein Isomorphismus.

Seien G, H Gruppen und sei ϕ : G→ H ein Homomorphismus. Dann kann ϕ alssurjektiven Homomorphismus von G auf Bildϕ angesehen werden, und folglichist nach Satz 1.8 G/Kernϕ ∼= Bildϕ.

Fur m ≥ 1 sei mZ = {mn : n ∈ Z}, also ist mZ eine Untergruppe von Z. Es gibteinen surjektiven Homomorphismus ϕm : Z → Zm, der durch ϕm(n) = nRestmdefiniert ist, und Kernϕm = mZ. Damit ist nach Satz 1.8 Z/mZ ∼= Zm.

Sei ϕ : R → C× der Homomorphismus mit ϕ(x) = e2πix fur jedes x ∈ R. Hier istKernϕ = Z und Bildϕ = {z ∈ C× : |z| = 1}, und daraus folgt nach Satz 1.8,dass R/Z ∼= {z ∈ C× : |z| = 1}.Fur n ≥ 2 sei Sn die Menge aller Bijektionen σ : {1, 2, . . . , n} → {1, 2, . . . , n}.Dann ist Sn eine endliche Gruppe der Ordnung n!. Sie heißt die symmetrischeGruppe vom Grad n. Das Produkt von σ und τ in Sn, das eigentlich σ ◦ τ ist,wird aber einfach als στ geschrieben.

Die Elemente von Sn heißen Permutationen vom Grad n. Ein Element σ ∈ Sn

wird haufig angegeben in der Form(

1 2 · · · nσ(1) σ(2) · · · σ(n)

)

.

Zum Beispiel sind

(

1 2 3 4 53 1 5 4 2

)

und

(

1 2 3 4 55 4 1 2 3

)

Permutationen vom Grad 5.

Sind σ, τ ∈ Sn, so gilt fur das Produkt στ :(

1 · · · nσ(1) · · · σ(n)

) (

1 · · · nτ(1) · · · τ(n)

)

=

(

1 · · · nσ(τ(1)) · · · σ(τ(n))

)

.

Zum Beispiel ist

(

1 2 3 4 53 1 5 4 2

) (

1 2 3 4 55 4 1 2 3

)

=

(

1 2 3 4 52 4 3 1 5

)

in S5.

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1 Gruppen 16

Eine Permutation σ ∈ Sn heißt Transposition, wenn {1 ≤ j ≤ n : σ(j) 6= j} ausgenau zwei Elementen besteht.

Satz 1.9 Jede Permutation ist als Produkt von Transpositionen darstellbar. (Die-se Darstellung als Produkt von Transpositionen ist aber nie eindeutig.)

Beweis Das weiß jedes funfjahrige Kind.

Definiere eine Abbildung sign : Sn → {−1, 1} durch sign(σ) = (−1)δ(σ), wobeiδ(σ) die Anzahl der Elemente in der Menge

{(i, j) : 1 ≤ i < j ≤ n mit σ(i) > σ(j)}

ist; sign(σ) heißt die Signatur von σ.

Lemma 1.18 Fur jedes σ ∈ Sn ist

sign(σ) =∏

1≤i<j≤n

σ(i) − σ(j)

i− j.

Beweis Sei P = {(i, j) : 1 ≤ i < j ≤ n} und definiere eine Abbildung ∆ : P → Z

durch ∆((i, j)) = i− j. Fur jedes σ ∈ Sn definiere σ : P → P durch

σ((i, j)) =

{

(σ(i), σ(j)) falls σ(i) < σ(j) ,(σ(j), σ(i)) falls σ(j) < σ(i) .

Man sieht leicht, dass σ surjektiv ist und damit ist σ eine Bijektion. Setze auch

ε(σ, (i, j)) =

{

1 falls σ(i) < σ(j) ,−1 falls σ(j) < σ(i) ;

dann ist σ(i) − σ(j) = ε(σ, (i, j))∆(σ((i, j))) fur jedes (i, j) ∈ P und folglich ist

(i,j)∈P

(σ(i) − σ(j)) =∏

(i,j)∈P

ε(σ, (i, j))∆(σ((i, j)))

=∏

(i,j)∈P

ε(σ, (i, j))∏

(i,j)∈P

∆(σ((i, j)))

=∏

(i,j)∈P

ε(σ, (i, j))∏

(i,j)∈P

∆((i, j)) (da σ eine Bijektion ist)

=∏

(i,j)∈P

ε(σ, (i, j))∏

(i,j)∈P

(i− j) .

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1 Gruppen 17

Aber∏

(i,j)∈P

ε(σ, (i, j)) = sign(σ) und daraus ergibt sich, dass

sign(σ) =∏

(i,j)∈P

ε(σ, (i, j)) =∏

(i,j)∈P

σ(i) − σ(j)

i− j=

1≤i<j≤n

σ(i) − σ(j)

i− j.

Betrachte nun {−1, 1} als Gruppe und zwar als Untergruppe von R× = R \ {0}.

Satz 1.10 Die Abbildung sign : Sn → {−1, 1} ist ein Homomorphismus.

Beweis Die Schreibweise aus dem Beweis fur Lemma 1.18 wird verwendet. Seienσ, τ ∈ Sn; dann gilt ε(στ, (i, j)) = ε(σ, τ ((i, j)))ε(τ, (i, j)) fur jedes (i, j) ∈ P unddaraus folgt, dass

sign(στ) =∏

(i,j)∈P

ε(στ, (i, j))

=∏

(i,j)∈P

ε(σ, τ ((i, j)))ε(τ, (i, j))

=∏

(i,j)∈P

ε(σ, τ ((i, j)))∏

(i,j)∈P

ε(τ, (i, j))

=∏

(i,j)∈P

ε(σ, (i, j))∏

(i,j)∈P

ε(τ, (i, j)) (da τ eine Bijektion ist)

= sign(σ) sign(τ) .

Damit ist sign ein Homomorphismus.

Eine Permutation σ ∈ Sn heißt gerade, wenn sign(σ) = 1 und ungerade, wennsign(σ) = −1. Jede Transposition ist offensichtlich ungerade. Sei nun σ ∈ Sn undsei σ = τ1 · · · τm eine Darstellung von σ als Produkt von Transpositionen. NachSatz 1.10 ist dann sign(σ) =

∏m

j=1 sign(τj) = (−1)m. Nach Satz 1.9 ist also einePermutation genau dann gerade bzw. ungerade, wenn sie als Produkt von einergeraden bzw. ungeraden Anzahl von Transpostionen dargestellt werden kann.

Sei An die Menge der geraden Permutationen in Sn; da An = Kern sign, istnach Lemma 1.16 (1) An ein Normalteiler von Sn. An heißt die alternierendeGruppe vom Rang n. Nach Satz 1.8 ist Sn/An

∼= {−1, 1}, und insbesondere ist[Sn : An] = 2. Daraus folgt, dass ordAn = 1

2n!.

Eine Gruppe G heißt einfach, wenn {e} und G die einzigen Normalteiler vonG sind. Zum Beispiel ist die Gruppe Zp einfach, wenn p Primzahl ist, da nachSatz 1.2 {e} und Zp die einzigen Untergruppen von Zp sind.

Satz 1.11 Fur n ≥ 5 ist An eine einfache Gruppe.

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1 Gruppen 18

Beweis Ubung fur Streberinnen und Streber.

Satz 1.12 (Satz von Cayley) Sei G eine endliche Gruppe der Ordnung n mitn ≥ 2. Dann ist G isomorph zu einer Untergruppe von Sn.

Beweis Wahle irgendeine bijektive Abbildung γ : {1, 2, . . . , n} → G. Fur jedesa ∈ G sei σa : {1, 2, . . . , n} → {1, 2, . . . , n} die Abbildung, die gegeben ist durch

σa(j) = γ−1(aγ(j))

fur jedes j = 1, . . . , n. Dann ist σa injektiv, da

σa(i) = σa(j) ⇒ γ−1(aγ(i)) = γ−1(aγ(j)) ⇒ aγ(i) = aγ(j)

⇒ a−1aγ(i) = a−1aγ(j) ⇒ eγ(i) = eγ(j)

⇒ γ(i) = γ(j) ⇒ i = j .

Damit ist σa bijektiv, d.h., σa ∈ Sn. Man kann also eine Abbildung ψ : G → Sn

definieren durch ψ(a) = σa und diese Abbildung ψ ist dann ein Homomorphismus:Fur alle a, b ∈ G und 1 ≤ j ≤ n ist

(ψ(a)ψ(b))(j) = ψ(a) (ψ(b)(j)) = ψ(a)(σb(j))

= ψ(a)(γ−1(bγ(j))) = σa(γ−1(bγ(j))) = γ−1(aγ(γ−1(bγ(j))))

= γ−1(abγ(j)) = σab(j) = ψ(ab)(j)

und folglich ist ψ(ab) = ψ(a)ψ(b) fur alle a, b ∈ G. Ferner ist ψ injektiv, da

ψ(a) = ψ(b) ⇒ ψ(a)(j) = ψ(b)(j) fur alle j

⇒ γ−1(aγ(j)) = γ−1(bγ(j)) fur alle j ⇒ a = b .

Sei H = Bildψ; nach Lemma 1.16 (2) ist H eine Untergruppe von Sn und ψ kannals bijektiven Homomorphismus von G auf H angesehen werden. Damit sind Gund H isomorph.

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1 Gruppen 19

Sei G eine Gruppe, X eine nichtleere Menge und sei

· : G×X → X

(a, x) 7→ ax

eine Abbildung. Wir sagen, dass G operiert auf X, wenn (ab)x = a(bx) fur allea, b ∈ G, x ∈ X und ex = x fur alle x ∈ X. Wir sagen auch, dass die Abbildung(a, x) 7→ ax eine Operation von G auf X definiert.

Sei (a, x) 7→ ax eine Operation von G auf X, und fur jedes a ∈ G definiereτa : X → X durch τa(x) = ax. Dann ist τa eine Bijektion, d.h. τa ∈ Bij(X).(Fur jedes x ∈ X ist τa(a

−1x) = a(a−1x) = (aa−1)x = ex = x und damit ist τasurjektiv. Ist andererseits τa(x) = τa(y), so ist ax = ay und also ist

x = ex = (a−1a)x = a−1(ax) = a−1(ay) = (a−1a)y = ey = y ;

d.h. τa ist injektiv.) Definiere nun ϕ : G → Bij(X) durch ϕ(a) = τa; dann ist ϕein Homomorphismus, da ϕ(ab) = τab = τa ◦ τb = ϕ(a) ◦ ϕ(b) (und τab = τa ◦ τbgilt, da τab(x) = (ab)x = a(bx) = τa(τb(x))), und ϕ(a)(x) = ax fur alle a ∈ G,x ∈ X.

Sei umgekehrt G eine Gruppe, X eine nichtleere Menge und ϕ : G→ Bij(X) einHomomorphismus. Definiere · : G× X → X durch ax = ϕ(a)(x); dann operiertG auf X, da (ab)x = ϕ(ab)(x) = (ϕ(a) ◦ ϕ(b))(x) = ϕ(a)(ϕ(b)(x)) = a(bx) furalle a, b ∈ G, x ∈ X und ex = ϕ(e)(x) = idX(x) = x fur alle x ∈ X.

Beispiele: (1) Sei X eine nichtleere Menge und sei G eine Untergruppe vonBij(X); definiere · : G × X → X durch ax = a(x) fur alle a ∈ G ⊂ Bij(X),x ∈ X. Dann operiert G auf X.

(2) Sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe von G; definiere · : H ×G→ Gdurch (b, a) 7→ ba. Dann operiert H auf G.

(3) Sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe von G; definiere · : H ×G→ Gdurch (b, a) 7→ ab−1. Diese Abbildung definiert auch eine Operation von H aufG. (Schreibe b ⋆ a = ab−1; dann ist

(b1b2) ⋆ a = a(b1b2)−1 = ab−1

2 b−11 = (ab−1

2 )b−11 = b1 ⋆ (b2 ⋆ a)

fur alle b1, b2 ∈ H , a ∈ G und e ⋆ a = ae−1 = a fur alle a ∈ G.)

(4) Sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe von G; sei L die Menge der(verschiedenen) Linksnebenklassen von H . Ist Y eine Linksnebenklasse von H ,so ist es auch aY , da Y = bH fur ein b ∈ G und dann ist aY = (ab)H . Alsokonnen wir eine Abbildung · : G × L → L durch (a, Y ) → aY definieren unddann operiert G auf L.

(5) Sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe von G; sei R die Menge der(verschiedenen) Rechtsnebenklassen von H . Ist Y eine Rechtsnebenklasse von H ,

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1 Gruppen 20

so ist es auch Y a, und also konnen wir eine Abbildung · : G × R → R durch(a, Y ) → Y a−1 definieren. Wieder operiert G auf R.

(6) Sei G eine Gruppe und N ein Normalteiler von G; definiere · : G× N → Ndurch (b, a) 7→ bab−1. Dann operiert G auf N . Schreibe b ⋆ a = bab−1; dann ist

(b1b2) ⋆ a = (b1b2)a(b1b2)−1 = b1(b2ab

−12 )b−1

1 = b1 ⋆ (b2 ⋆ a)

fur alle b1, b2 ∈ G, a ∈ N und e ⋆ a = eae−1 = a fur alle a ∈ N .)

(7) Sei K ein Korper, n ≥ 2 und sei G eine Untergruppe von GL(n,K); definiere· : G ×Kn → Kn durch (A, v) 7→ Av. Diese Abbildung definiert eine Operationvon G auf Kn.

Im Folgenden sei G eine Gruppe, die auf einer nichtleeren Menge X operiert.

Fur x ∈ X setze Gx = {a ∈ G : ax = x}. Dann ist Gx eine Untergruppe vonG, die der Stabilisator von x in G genannt wird. (Da ex = e ist e ∈ Gx; fur allea, b ∈ G ist ax = x = bx und damit

x = ex = (a−1a)x = a−1(ax) = a−1(bx) = (a−1b)x ,

d.h. a−1b ∈ Gx. Nach Lemma 1.3 ist also Gx eine Untergruppe von G.)

Fur jedes x ∈ X setze auch Gx = {y ∈ X : y = ax fur ein a ∈ G}. Es wird aberSituationen geben, in denen die Schreibweise Gx zweideutig ist, und in solchenFallen schreiben wir OrbG(x) statt Gx.

Satz 1.13 Ist G endlich, so ist |Gx| = [G :Gx] fur jedes x ∈ X und insbesondereist |Gx| ein Teiler von ordG.

Beweis Sei x ∈ X und a, b ∈ G; dann gilt ax = bx genau dann, wenn

x = ex = (a−1a)x = a−1(ax) = a−1(bx) = (a−1b)x ,

d.h. genau dann, wenn a−1b ∈ Gx und damit genau dann, wenn Gxa = Gxb.Folglich konnen wir eine injektive Abbildung σ : Gx → Rx durch σ(ax) = Gxadefinieren, wobei Rx die Menge der (verschiedenen) Rechtsnebenklassen von Gx

ist. Aber es ist klar, dass σ auch surjektiv ist, und damit ist σ eine Bijektion.Insbesondere ist |Gx| = |Rx| = [G :Gx].

Eine Teilmenge Y von X heißt ein Orbit von G in X, wenn Y = Gx fur einx ∈ X.

Lemma 1.19 Seien Y, Z zwei Orbits von G in X; dann ist entweder Y = Zoder Y ∩ Z = ∅.

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1 Gruppen 21

Beweis Es gibt y, z ∈ X mit Y = Gy und Z = Gz. Nehme an, dass Y ∩ Z 6= ∅;dann gibt es a, b ∈ G, so dass ay = bz. Fur jedes c ∈ G ist nun

cy = (ca−1a)y = (ca−1)(ay) = (ca−1)(bz) = (ca−1b)z ∈ Z

und folglich ist Y ⊂ Z. Genauso gilt Z ⊂ Y und damit ist Y = Z.

Bemerkung: Fur jedes x ∈ X gilt x = ex ∈ Gx; also liegt jedes Element aus Xin (genau) einem Orbit von G in X.

Die Gruppe G operiert transitiv auf X, wenn es zu jedem x, y ∈ X ein a ∈ Ggibt, so dass y = ax. Also operiert G transitiv auf X genau dann, wenn es genaueinen Orbit von G in X gibt. (Aquivalente Aussagen sind, dass Gx = X fur einx ∈ X und dass Gx = X fur jedes x ∈ X.)

Ist G endlich und operiert G transitiv auf X, so muss dann auch X endlichsein und nach Satz 1.13 ist |X| = [G :Gx] fur alle x ∈ X. Insbesondere ist |X|ein Teiler von ordG und ordGx = ordG/|X| ist unabhangig von x ∈ X. (ImAllgemeinen kann aber Gx von x abhangen.)

Beispiel: Sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe von G; sei L die Mengeder (verschiedenen) Linksnebenklassen von H und definiere · : G×L→ L durch(a, Y ) 7→ aY . Hier operiert G transitiv auf L: Seien Y, Z ∈ L; dann gibt esa, b ∈ G mit Y = aH und Z = bH und dann ist Z = (ba−1)Y . Sei nun Y ∈ Lmit Y = bH ; es gilt

GY = {a ∈ G : aY = Y } = {a ∈ G : abH = bH}= {a ∈ G : b−1ab ∈ H} = bHb−1 .

Daraus ergibt sich nach Lemma 1.10, dass GY genau dann unabhangig von Y ∈ List, wenn H ein Normalteiler von G ist.

Sei nun G eine endliche Gruppe, die auf einer nichtleeren endlichen Menge Xoperiert. Eine Teilmenge V von X heißt ein Vertretersystem fur die Orbits von Gin X, wenn es zu jedem Orbit Y von G in X genau ein v ∈ V mit Y = Gv gibt.Nach Lemma 1.19 ist V ⊂ X genau dann ein Vertretersystem fur die Orbits vonG in X, wenn gilt:

(1) X =⋃

v∈V Gv.

(2) Fur alle v1, v2 ∈ V mit v1 6= v2 ist Gv1 ∩Gv2 = ∅.

Es ist klar, dass es ein Vertretersystem fur die Orbits von G in X gibt.

Lemma 1.20 Sei V ein Vertretersystem fur die Orbits von G in X. Dann gilt

|X| =∑

v∈V

[G :Gv] .

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1 Gruppen 22

Beweis Dies folgt unmittelbar aus Satz 1.13, da

|X| =∣

v∈V

Gv∣

∣=

v∈V

|Gv| .

Setze FixG(X) = {x ∈ X : ax = x fur alle a ∈ G}; die Elemente von FixG(X)heißen Fixpunkte der Operation. Es gilt

FixG(X) = {x ∈ X : Gx = {x}} = {x ∈ X : Gx = G} .

Ist V ein Vertretersystem fur die Orbits von G in X, so ist stets FixG(X) ⊂ V .

Satz 1.14 Sei ordG = pm, wobei p eine Primzahl ist und m ≥ 1. Dann gilt

|X| = |FixG(X)| Rest p .

Beweis Setze V ′ = V \FixG(X), wobei V ein Vertretersystem fur die Orbits vonG in X ist. Nach Lemma 1.20 ist

|X| =∑

v∈V

[G :Gv] =∑

v∈FixG(X)

[G :Gv] +∑

v∈V ′

[G :Gv] = |FixG(X)| +∑

v∈V ′

[G :Gv] ,

da [G :Gv] = 1 fur jedes v ∈ FixG(X). Nach Satz 1.3 ist aber [G :Gv] ein Teilervon ordG = pm fur jedes v ∈ V und [G :Gv] > 1 fur jedes v ∈ V ′. Folglich gibtes zu jedem v ∈ V ′ ein k mit 1 ≤ k ≤ m, so dass [G :Gv] = pk und damit ist∑

v∈V ′[G :Gv] = 0 Rest p. Also ist |X| = |FixG(X)| Rest p.

Satz 1.15 (Satz von Cauchy) Sei G eine endliche Gruppe und p eine Prim-zahl, die die Ordnung von G teilt. Dann gibt es ein a ∈ G mit ord a = p.

Beweis Ubung.

Fur eine Gruppe G setze Z(G) = {a ∈ G : ab = ba fur alle b ∈ G}. Also ist Z(G)ein Normalteiler von G und heißt das Zentrum von G.

Satz 1.16 Sei G eine endliche Gruppe der Ordnung pm, wobei p eine Primzahlist und m ≥ 1. Dann ist Z(G) 6= {e}.

Beweis Ubung.

Im Folgenden sei G eine endliche Gruppe und sei p eine Primzahl, die die Ordnungvon G teilt. Sei m = max{n ≥ 1 : pn | ordG} und also ist ordG = pmk, wobei pkein Teiler von k ist.

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1 Gruppen 23

Satz 1.17 (Erster Sylowscher Satz) Fur jedes n mit 1 ≤ n ≤ m gibt es eineUntergruppe von G der Ordnung pn.

Beweis Sei X = {A ⊂ G : |A| = pn} und definiere · : G × X → X durch(b, A) 7→ bA; dann operiert G auf X. Wir werden zeigen, dass es ein B ∈ X gibt,so dass der Stabilisator GB von B eine Untergruppe der Ordnung pm ist.

Zunachst ist ordGA ≤ pn fur jedes A ∈ X: Sei A ∈ X und a ∈ A; fur jedesb ∈ GA ist bA = A und damit ist ba ∈ A fur alle b ∈ GA, d.h. GAa ⊂ A. Darausfolgt, dass ordGA = |GA| = |GAa| ≤ |A| = pn. n Andererseits ist ordGB ≥ pn

fur mindestens ein B ∈ X: Sei V ein Vertretersystem fur die Orbits von G in X;

nach Lemma 1.20 ist |X| =∑

A∈V [G :GA]. Aber |X| =

(

pmkpn

)

und damit ist

nach Lemma 1.21 (unten) pm−n+1 kein Teiler von |X|. Folglich gibt es ein B ∈ V ,so dass pm−n+1 kein Teiler von [G :GB] ist, und dann ist [G :GB] = ptr, wobeit ≤ m− n und p kein Teiler von r ist. Nun ist

pmk = ordG = [G :GB] ordGB = ptr ordGB

und daraus ergibt sich, dass ordGB = pm−tj fur ein j ≥ 1, da p kein Teiler vonr ist. Da t ≤ m− n, ist insbesondere ordGB ≥ pn.

Daher gibt es ein B ∈ X mit ordGB = pn und dann ist GB eine Untergruppevon G der Ordnung pn.

Lemma 1.21 Sei n mit 1 ≤ n ≤ m; dann ist pm−n+1 kein Teiler von

(

pmkpn

)

.

Beweis Da p kein Teiler von k ist und

(

pmkpn

)

=pmk(pmk − 1) · · · (pmk − pn + 1)

pn(pn − 1) · · · (pn − pn + 1)= pm−nk

(

pmk − 1pn − 1

)

,

ist also zu zeigen, dass p kein Teiler von

(

pmk − 1pn − 1

)

ist. Der Beweis dafur ist

eine Ubung.

Eine Untergruppe P von G der Ordnung pm heißt p-Sylow-Gruppe von G. NachSatz 1.17 gibt es mindestens eine p-Sylow-Gruppe.

Sei H eine Untergruppe von G; fur jedes a ∈ G ist dann aHa−1 auch eine Unter-gruppe. (Es gilt e = aea−1 ∈ aHa−1 und

(aba−1)−1(aca−1) = ab−1a−1aca−1 = a(b−1c)a−1 ∈ aHa−1

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1 Gruppen 24

fur alle b, c ∈ H .) Untergruppen H1 und H2 von G heißen konjugiert, wennH2 = aH1a

−1 fur ein a ∈ G. Es ist klar, dass Konjugation eine Aquivalenzrelationauf der Menge der Untergruppen von G definiert. Sind H1 und H2 konjugiert, soist ordH1 = ordH2.

Sind P und H konjugierte Untergruppen von G und ist P eine p-Sylow-Gruppe,so ist es auch H , da ordH = ordP . Der nachste Satz zeigt, dass die Umkehrungebenfalls richtig ist.

Satz 1.18 (Zweiter Sylowscher Satz) Sei P eine p-Sylow-Gruppe und sei Heine Untergruppe von G, die die Ordnung pℓ hat fur ein ℓ ≥ 1. Dann gibt es eina ∈ G, so dass aHa−1 ⊂ P . Insbesondere sind je zwei p-Sylow-Gruppen von Gkonjugiert.

Beweis Es gilt ordG = pmk, wobei p kein Teiler von k ist. Sei X die Menge der(verschiedenen) Linksnebenklassen von P und definiere · : H × X → X durch(b, A) 7→ bA; dann operiert H auf X und |X| = [G :P ] = k. Fur A ∈ X schreibenwir OrbH(A) (statt HA) fur den Orbit {B ∈ X : B = bA fur ein b ∈ H} (da hierdie Bezeichnung HA zweideutig ist). Sei V ein Vertretersystem fur die Orbits vonH in X; nach Lemma 1.20 ist |X| =

A∈V |OrbH(A)| und p ist kein Teiler von|X| = k. Andererseits ist nach Satz 1.13 |OrbH(A)| ein Teiler von pℓ = ordH furjedes A ∈ X und damit gibt es ein B ∈ V mit |OrbH(B)| = 1, d.h. mit bB = Bfur alle b ∈ H . Nun ist B = cP fur ein c ∈ G und dann ist bcP = cP fur alleb ∈ H . Daraus ergibt sich, dass c−1bc ∈ P fur alle b ∈ H ; d.h. c−1Hc ⊂ P . Daherist aHa−1 ⊂ P fur a = c−1.

Sei schließlich Q eine p-Sylow-Gruppe; da ordQ = pm, gibt es ein a ∈ G, so dassaQa−1 ⊂ P . Aber ord (aQa−1) = ordQ = ordP und also ist aQa−1 = P . Damitsind Q und P konjugiert.

Satz 1.19 (1) Gibt es genau eine p-Sylow-Gruppe P , so ist P ein Normalteiler.

(2) Gibt es eine p-Sylow-Gruppe P , die ein Normalteiler ist, so ist P die einzigep-Sylow-Gruppe.

Beweis (1) Fur jedes a ∈ G ist aPa−1 ebenfalls eine p-Sylow-Gruppe und damitist aPa−1 = P fur jedes a ∈ G. Daraus folgt nach Lemma 1.10, dass P einNormalteiler von G ist.

(2) Sei P eine p-Sylow-Gruppe, die ein Normalteiler ist und sei Q eine beliebigep-Sylow-Gruppe. Nach Satz 1.18 gibt es ein a ∈ G, so dass Q = aPa−1 und nachLemma 1.10 ist aPa−1 = P . Damit ist Q = P .

Ist G abelsch, so ist jede Untegruppe ein Normalteiler und folglich gibt es indiesem Fall genau eine p-Sylow-Gruppe.

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1 Gruppen 25

Fur jede Teilmenge B von G setze N(B) = {a ∈ G : Ba = aB}; dann ist N(B)eine Untergruppe von G, die der Normalisator von B in G genannt wird.

Lemma 1.22 Seien P, Q p-Sylow-Gruppen von G; dann gilt P ⊂ N(Q) genau,wenn P = Q.

Beweis Fur jede Untergruppe H gilt H ⊂ N(H) (da Ha = H = Ha fur allea ∈ H) und insbesondere gilt P ⊂ N(Q), wenn P = Q. Nehme also umgekehrtan, dass P ⊂ N(Q). Da Q ⊂ N(Q), konnen wir Q als Untergruppe von N(Q)ansehen und nach der Definition von N(Q) ist dann Q ein Normalteiler von N(Q).Sei π : N(Q) → N(Q)/Q der kanonische Homomorphismus; da P ⊂ N(Q), istπ(P ) eine Untergruppe von N(Q)/Q und ord π(P ) ist ein Teiler von ordP (daπ(P ) isomorph zu P/(Kern π′) ist, wobei π′ die Einschrankung von π auf P ist).Folglich ist ordπ(P ) = pℓ fur ein ℓ ≥ 0. Sei H = π−1(π(P )); dann ist H eineUntergruppe von N(Q) mit Q ⊂ H (da Q = π−1({e})) und π(H) = π(P ) unddamit ist H/Q isomorph zu π(H) = π(P ). Insbesondere ist

ordH = ordπ(P )ordQ = pℓordQ = pℓ+m

und daher ist ℓ = 0, da pℓ+m ein Teiler von ordG ist. Dies zeigt, dass π(P ) = {e},d.h. P ⊂ Q. Daraus ergibt sich, dass P = Q, da ordP = ordQ.

Satz 1.20 (Dritter Sylowscher Satz) Die Anzahl der p-Sylow-Gruppen vonG ist ein Teiler von ordG und von der Form 1 + kp fur ein k ≥ 0.

Beweis Sei X die Menge der p-Sylow-Gruppen und definiere · : G × X → Xdurch (a, P ) 7→ aPa−1; dann operiert G auf X. Nach Satz 1.18 ist X = OrbG(P )fur jedes P ∈ X und folglich ist nach Satz 1.13, |X| = |OrbG(P )| = [G :GP ] einTeiler von ordG, d.h. die Anzahl der p-Sylow-Gruppen ist ein Teiler von ordG.

Sei nun P eine feste p-Sylow-Gruppe von G und definiere · : P ×X → X durch(a,Q) 7→ aQa−1; dann operiert P auf X. Sei Q ∈ FixP (X); dann gilt aQa−1 = Qund damit auch aQ = Qa fur alle a ∈ P , d.h. P ⊂ N(Q). Nach Lemma 1.21ist also Q = P . Andererseits ist aPa−1 = P fur alle a ∈ P , d.h. P ∈ FixP (X),und folglich ist |FixP (X)| = |{P}| = 1. Da aber ordP = pm, ist nach Satz 1.14|X| = |FixP (X)| Rest p, d.h. |X| = 1 Rest p und daher gibt es ein k ≥ 0, so dass|X| = 1 + kp.

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2 Kommutative Ringe mit Eins

Ein 5-Tupel (R,+, ·, 0, 1) bestehend aus einer Menge R, einer Verknupfung

+ : R×R → R

(a, b) 7→ a+ b

(genannt Addition), einer Verknupfung

· : R×R → R

(a, b) 7→ ab

(genannt Multiplikation) und Elementen 0, 1 ∈ R mit 0 6= 1 heißt kommutativerRing mit Eins, wenn gilt:

(R1) (a+ b) + c = a + (b+ c) fur alle a, b, c ∈ R.

(R2) a + b = b+ a fur alle a, b ∈ R.

(R3) Fur alle a ∈ R gilt 0 + a = a.

(R4) Zu jedem a ∈ R gibt es ein Element −a ∈ R mit (−a) + a = 0.

(R5) (ab)c = a(bc) fur alle a, b, c ∈ R.

(R6) ab = ba fur alle a, b ∈ R.

(R7) Fur alle a ∈ R gilt 1a = a.

(R8) a(b+ c) = ab+ ac fur alle a, b, c ∈ R.

In Folgenden bedeutet Ring stets kommutativer Ring mit Eins.

Lemma 2.1 Sei (R,+, ·, 0, 1) ein Ring.

(1) Das Nullelement 0 ist eindeutig: Ist 0′ ∈ R ein Element mit 0′ + a = a furalle a ∈ R, so ist 0′ = 0.

(2) Zu jedem a ∈ R gibt es genau ein Element −a ∈ R mit (−a) + a = 0.

(3) Das Einselement 1 ist eindeutig: Ist 1′ ∈ R ein Element mit 1′a = a fur allea ∈ R, so ist 1′ = 1.

(4) Zu jedem a ∈ R gibt es hochstens ein Element b ∈ R mit ba = 1.

(5) Fur alle a ∈ R gilt 0 · a = 0.

Beweis Dies ist identisch mit dem Beweis fur einen Korper.

Wenn es aus dem Kontext klar ist, welche Verknupfungen + und · und welcheElemente 0 und 1 gemeint sind, dann schreiben wir meistens lediglich R statt(R,+, ·, 0, 1).

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2 Kommutative Ringe mit Eins 27

Fur a1, . . . , an ∈ R (mit n ≥ 3) ist die ‘Summe’ von a1, . . . , an unabhangig vonder Reihenfolge der einzelnen Additionen und wird mit a1 + · · ·+ an bezeichnet.Genauso ist das ‘Produkt’ von a1, . . . , an unabhangig von der Reihenfolge dereinzelnen Multiplikationen und wird mit a1 · · ·an bezeichnet.

Jeder Korper ist ein Ring. Ferner ist Z ein Ring und fur jedes n > 1 ist Zn einRing. Zu jedem Ring R gibt es den Polynomring R[x] uber R; Polynomringewerden in Kapitel 3 behandelt.

Im Folgenden sei R ein Ring. Ein Element a ∈ R heißt Einheit von R, wenn esein b ∈ R mit ab = 1 gibt, und die Menge der Einheiten wird mit R∗ bezeichnet.Nach Lemma 2.1 (4) gibt es zu jedem a ∈ R∗ ein eindeutiges Element b ∈ R mitba = 1 und dieses Element wird mit a−1 bezeichnet. Insbesondere ist 1 ∈ R∗, da1 · 1 = 1, nach Lemma 2.1 (5) ist aber 0 /∈ R∗.

Fur einen Korper K gilt K∗ = K \ {0}, ferner ist Z∗ = {−1, 1} und

Z∗n = {m ∈ Zn : m und n sind teilerfremd} .

Lemma 2.2 Seien a, b ∈ R; dann gilt ab ∈ R∗ genau, wenn a ∈ R∗ und b ∈ R∗.Insbesondere ist (R∗, ·, 1) eine Gruppe (es gilt also 1 ∈ R∗, ab ∈ R∗ fur allea, b ∈ R∗ und a−1 ∈ R∗ fur alle a ∈ R∗), und ferner ist ab ∈ R \ R∗ fur allea, b ∈ R \R∗.

Beweis Ist ab ∈ R∗, so gibt es ein c ∈ R mit (ab)c = 1, dann ist a(bc) = 1 undb(ac) = 1 und somit sind a ∈ R∗ und b ∈ R∗. Sind umgekehrt a ∈ R∗ und b ∈ R∗,so gibt es c, d ∈ R mit ac = 1 und cd = 1 und dann ist (ab)(cd) = 1. Damit istab ∈ R∗.

Der Ring R heißt nullteilerfrei, wenn aus ab = 0 stets folgt, dass a = 0 oderb = 0. Jeder Korper ist nullteilerfrei, Z ist nullteilerfrei und Zn ist nullteilerfreigenau dann, wenn n Primzahl ist.

Wenn R nullteilerfrei ist, kann mann wie gewohnt kurzen: Sind a, b, c ∈ R mitc 6= 0 und ca = cb, so ist a = b, (da c(a− b) = 0).

Eine Teilmenge S von R heißt Unterring von R, wenn 0, 1 ∈ S und fur allea, b ∈ S auch −a, a + b und ab in S liegen. (S ist also bereits selbst ein Ringbezuglich der in R gegebenen Operationen.)

Eine Teilmenge U von R heißt Ideal von R, wenn gilt:

— U 6= R.

— (U,+, 0) ist eine Untergruppe von (R,+, 0). Es gilt also 0 ∈ U und fur allea, b ∈ U sind −a und a + b in U .

— Fur alle a ∈ R, u ∈ U ist au ∈ U .

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2 Kommutative Ringe mit Eins 28

Warnung: Normalerweise wird R doch als Ideal zugelassen.

Insbesondere ist {0} stets ein Ideal von R. Ein Ideal U enthalt kein Element ausR∗ und insbesondere ist 1 /∈ U . (Ist b ∈ U fur ein b ∈ R∗, so ware (ab−1)b = a ∈ Ufur alle a ∈ R, d.h., U = R.) Fur einen Korper K ist also {0} das einzige Ideal(da K∗ = K \ {0}).Fur jedes a ∈ R \ R∗ setze (a) = {ba : b ∈ R}; dann ist (a) ein Ideal von R. EinIdeal U von R heißt Hauptideal, wenn U = (a) fur ein a ∈ R \R∗.

Lemma 2.3 Sei R nullteilerfrei und seien a, b ∈ R \ R∗. Dann gilt (a) = (b)genau, wenn a = cb fur ein c ∈ R∗.

Beweis Gilt a = cb fur ein c ∈ R∗, so ist ua = (uc)b ∈ (b) fur jedes u ∈ R unddamit ist (a) ⊂ (b). Andererseits ist b = 1b = (c−1c)b = c−1(cb) = c−1a undfolglich gilt genauso, dass (b) ⊂ (a), d.h., (a) = (b). Nehme nun umgekehrt an,dass (a) = (b). Dann gibt es c, d ∈ R mit a = cb und b = da; folglich ist a = cdaund daher (1 − cd)a = 0. Ist a 6= 0, so ist 1 − cd = 0, da R nullteilerfrei ist, unddann ist c ∈ R∗ mit d = c−1. Ist andererseits a = 0, so ist b ∈ (a) = {0}, d.h.,b = 0. In diesem Fall ist a = 1b (und 1 ∈ R∗).

Sei S ein weiterer Ring; eine Abbildung ϕ : R → S heißt ein Homomorphismus(oder ein Ring-Homomorphismus), wenn gilt:

ϕ(a+ b) = ϕ(a) + ϕ(b) und ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b)

fur alle a, b ∈ R und ϕ(1) = 1. Ist ϕ : R → S ein Homomorphismus, so siehtman leicht, dass ϕ(0) = 0 und ϕ(−a) = −ϕ(a) fur alle a ∈ R.

Die Identitatsabbildung idR : R → R ist ein Homomorphismus. Sind ϕ : R → Sund ψ : S → T Homomorphismen, so ist ψ ◦ ϕ : S → T ein Homomorphismus.Fur jeden Homomorphismus ϕ : R → S gilt ϕ ◦ idR = ϕ und idS ◦ ϕ = ϕ. FurHomomorphismen ϕ1 : R1 → R2, ϕ2 : R2 → R3 und ϕ3 : R3 → R4 gilt naturlich(ϕ3 ◦ ϕ2) ◦ ϕ1 = ϕ3 ◦ (ϕ2 ◦ ϕ1).

Ein Homomorphismus ϕ : R → S heißt Isomorphismus, wenn es einen Homo-morphismus ψ : S → R mit ψ ◦ ϕ = idR und ϕ ◦ ψ = idS gibt. Sei ϕ : R → Sein Isomorphimus; dann ist der Homomorphismus ψ : S → R mit ψ ◦ ϕ = idR

und ϕ ◦ ψ = idS eindeutig: Ist ψ′ : S → R ein weiterer Homomorphismus mitψ′ ◦ ϕ = idR und ϕ ◦ ψ′ = idS, so ist

ψ′ = ψ′ ◦ idS = ψ′ ◦ (ϕ ◦ ψ) = (ψ′ ◦ ϕ) ◦ ψ = idR ◦ ψ = ψ .

Wir bezeichnen diesen eindeutigen Homomorphismus mit ϕ−1. Der folgende Satzzeigt, dass es kein Problem mit dieser Schreibweise gibt.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 29

Satz 2.1 Ein Homomorphismus ϕ : R → S ist ein Isomorphismus genau dann,wenn die Abbildung ϕ bijektiv ist. Ist ϕ ein Isomorphismus, so ist ϕ−1 die Um-kehrabbildung von ϕ

Beweis Nehme zunachst an, dass ϕ bijektiv ist und sei ψ : S → R die Umkehr-abbildung von ϕ. Dann gilt ψ ◦ ϕ = idR, ϕ ◦ ψ = idS, ψ(0) = 0 und ψ(1) = 1.Seien u, v ∈ S und setze a = ψ(u), b = ψ(v). Dann gilt

ϕ(ψ(u+ v)) = u+ v = ϕ(a) + ϕ(b) = ϕ(a+ b) = ϕ(ψ(u) + ψ(v))

und folglich ist ψ(u + v) = ψ(u) + ψ(v). Genauso gilt ψ(uv) = ψ(u)ψ(v) unddamit ist ψ ein Homomorphismus. Dies zeigt, dass ϕ ein Isomorphismus ist.

Ist umgekehrt ϕ ein Isomorphismus und ist ψ : S → R der eindeutige Homo-morphismus mit ψ ◦ ϕ = idR und ϕ ◦ ψ = idS, so ist ϕ bijektiv und ψ ist dieUmkehrabbildung von ϕ.

Fur einen Homomorphismus ϕ : R → S setze

Kernϕ = {a ∈ R : ϕ(a) = 0} und Bildϕ = ϕ(R) .

Lemma 2.4 (1) Kernϕ ist ein Ideal von R.

(2) Bildϕ ist ein Unterring von S.

Beweis (1) Da ϕ(1) = 1 6= 0, ist 1 /∈ Kernϕ, d.h., Kernϕ 6= R. Ferner ist0 ∈ Kernϕ, da ϕ(0) = 0. Seien a, b ∈ Kern ϕ; dann ist

ϕ(−a) = −ϕ(a) = −0 = 0 und ϕ(a+ b) = ϕ(a) + ϕ(b) = 0 + 0 = 0 .

Damit sind −a und a + b auch in Kernϕ. Seien nun a ∈ R und u ∈ Kernϕ;dann gilt nach Lemma 2.1 (5), dass ϕ(au) = ϕ(a)ϕ(u) = ϕ(a) · 0 = 0. Folglich istKernϕ ein Ideal von R.

(2) Da ϕ(0) = 0 und ϕ(1) = 1, sind 0, 1 ∈ Bildϕ. Seien u, v ∈ Bildϕ; es gibtalso a, b ∈ R mit u = ϕ(a) und v = ϕ(b). Dann ist −u = ϕ(−a), und ferner giltu + v = ϕ(a) + ϕ(b) = ϕ(a + b) und uv = ϕ(a)ϕ(b) = ϕ(ab). Damit liegen −u,u+ v und uv auch in Bildϕ. Folglich ist Bildϕ ein Unterring von S.

Genauso wie bei Vektorraumen ist ein Homomorphismus ϕ : R → S injektivgenau dann, wenn Kernϕ = {0}.

Lemma 2.5 Sei ϕ : K → R ein Homomorphismus mit K einem Korper. Dannist ϕ injektiv und der Unterring Bildϕ ist ein Korper.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 30

Beweis Da {0} das einzige Ideal von K ist, ist nach Lemma 2.4 (1) ϕ injektiv.Sei b ∈ Bildϕ \ {0}; dann gibt es a ∈ K mit ϕ(a) = b und a 6= 0, da ϕ injektivist. Folglich ist ϕ(a−1)b = ϕ(a−1a) = ϕ(1) = 1, und dies zeigt, dass Bildϕ einKorper ist.

Sei U ein Ideal von R. Ein Paar (RU , ) bestehend aus einem Ring RU und einemHomomorphismus : R → RU mit Kern = U heißt ein R/U-Faktorring, wennes zu jedem Ring S und zu jedem Homomorphismus ϕ : R → S mit U ⊂ Kernϕeinen eindeutigen Homomorphismus ψ : RU → S gibt, so dass ϕ = ψ ◦ .

Lemma 2.6 Sei S ein Ring und : R → S ein surjektiver Homomorphismusmit Kern = U ; dann ist (S, ) ein R/U-Faktorring.

Beweis Sei S ′ ein Ring und ϕ : R → S ′ ein Homomorphismus mit U ⊂ Kernϕ.Seien a1, a2 ∈ R mit (a1) = (a2); dann ist a1 − a2 ∈ Kern = U ⊂ Kernϕ unddamit ist ϕ(a1) = ϕ(a2). Da surjektiv ist, gibt es also eine eindeutige Abbildungψ : S → S ′ mit ϕ = ψ ◦ . Es bleibt zu zeigen, dass ψ ein Homomorphismus ist.Seien c, d ∈ S; dann gibt es a, b ∈ R mit (a) = c und (b) = d und folglich ist

ψ(c+ d) = ψ((a) + (b)) = ψ((a + b)) = ϕ(a+ b)

= ϕ(a) + ϕ(b) = ψ((a)) + ψ((b)) = ψ(c) + ψ(d)

und genauso gilt ψ(cd) = ψ(c)ψ(d). Ferner ist ψ(0) = ψ((0)) = ϕ(0) = 0 undψ(1) = ψ((1)) = ϕ(1) = 1, und dies zeigt, dass ψ ein Homomorphismus ist.

Lemma 2.7 Sei S ein Ring und sei ϕ : R → S ein Homomorphismus mitKernϕ = U . Dann ist (Bildϕ, ϕ) ein R/U-Faktorring. (Genauer bedeutet diesFolgendes: Nach Lemma 2.4 (2) ist Bildϕ ein Unterring von S und also kannBildϕ selbst als Ring betrachtet werden. Der Homomorphismus ϕ : R → S wirddann als Homomorphismus ϕ : R → Bildϕ betrachtet.)

Beweis Der Homomorphismus ϕ : R → Bildϕ ist surjektiv mit Kern U unddaraus folgt nach Lemma 2.6, dass (Bildϕ, ϕ) ein R/U-Faktorring ist.

Satz 2.2 Es gibt einen R/U-Faktorring.

Beweis Ubungsaufgabe. (Nach Lemma 2.7 braucht man nur einen Ring S undeinen Homomorphsmus : R → S mit Kern = U zu finden.)

Lemma 2.8 Sind (RU , ) und (R′U ,

′) zwei R/U-Faktorringe, so gibt es eineneindeutigen Isomorphismus ψ : RU → R′

U mit ψ ◦ = ′.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 31

Beweis (1) Das Paar (RU , ) ist ein R/U-Faktorring und ′ : R → R′U ist ein

Homomorphismus mit U ⊂ Kern ′. Folglich gibt es einen eindeutigen Homomor-phismus ψ : RU → R′

U mit ψ ◦ = ′.

(2) Das Paar (R′U ,

′) ist ein R/U-Faktorring und : R → RU ist ein Homo-morphismus mit U ⊂ Kern . Also gibt es einen eindeutigen Homomorphismusψ′ : R′

U → RU mit ψ′ ◦ ′ = .

(3) Das Paar (RU , ) ist ein R/U-Faktorring und : R → RU ist ein Homo-morphismus mit U ⊂ Kern . Damit gibt es einen eindeutigen Endomorphismusθ : RU → RU mit θ ◦ = . Aber idRU

: RU → RU ist ein Homomorphismusmit idRu

◦ = und damit ist θ = idRU. Dies bedeutet: idRU

ist der eindeutigeEndomorphismus von RU mit idRU

◦ = .

(4) Genauso ist idR′

Uder eindeutige Endomorphismus von R′

U mit idR′

U◦ ′ = ′.

(5) Andererseits ist ψ′ ◦ ψ ein Endomorphismus von RU mit

(ψ′ ◦ ψ) ◦ = ψ′ ◦ (ψ ◦ ) = ψ′ ◦ ′ =

und daher ist ψ′ ◦ ψ = idRU.

(6) Genauso ist ψ ◦ ψ′ = idR′

U.

(7) Da ψ′ ◦ ψ = idRUund ψ ◦ ψ′ = idR′

U, ist ψ : RU → R′

U ein Isomorphismus,und da ψ der einzige Homomorphismus ist mit ψ ◦ = ′, ist ψ insbesondere dereinzige Isomorphismus, so dass ψ ◦ = ′.

Den Beweis fur Lemma 2.8 sollte sich man merken; ein im Wesentlichen identi-scher Beweis kommt stets bei jeder Definition vor, die die gleiche Struktur hatwie in der Definition eines R/U-Faktorrings.

Lemma 2.9 Sei (RU , ) ein R/U-Faktorring; dann ist der Homomorphismus : R → RU surjektiv.

Beweis Setze S = Bild ; also ist nach Lemma 2.7 (S, ) ein R/U-Faktorring.Aber die Inklusionsabbildung i : S → RU (mit i(u) = u fur alle u ∈ S) istein Homomorphismus und damit der eindeutige Homomorphismus mit = i ◦ ,und nach Lemma 2.8 gibt es einen eindeutigen Isomorphismus ψ : S → RU mit = ψ ◦ . Daraus ergibt sich, dass ψ = i und nach Satz 2.1 ist dann i surjektiv,d.h., Bild = S = RU .

Das Ideal U heißt prim oder Primideal, wenn fur a, b ∈ R mit ab ∈ U stets a ∈ Uoder b ∈ U folgt. Ferner heißt U maximal, wenn U das einzige Ideal V mit U ⊂ Vist.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 32

Satz 2.3 Sei (RU , ) ein R/U-Faktorring. Dann gilt:

(1) U ist prim genau dann, wenn RU nullteilerfrei ist.

(2) U ist maximal genau dann, wenn RU ein Korper ist.

Insbesondere ist ein maximales Ideal prim, (da ein Korper nullteilerfrei ist).

Beweis (1) Nehme zunachst an, dass RU nullteilerfrei ist und seien a, b ∈ R mitab ∈ U . Da U = Kern , ist dann 0 = (ab) = (a)(b) und damit ist (a) = 0oder (b) = 0, d.h., a ∈ U oder b ∈ U . Folglich ist U ein Primideal. Nehmenun umgekehrt an, dass U prim ist und seien c, d ∈ RU mit cd = 0. Da nachLemma 2.9 surjektiv ist, gibt es a, b ∈ R mit c = (a) und d = (b) und dannist (ab) = (a)(b) = cd = 0. Damit ist ab ∈ Kern = U und also ist a ∈ Uoder b ∈ U . Folglich ist c = ϕ(a) = 0 oder d = ϕ(b) = 0 und dies zeigt, dass RU

nullteilerfrei ist.

(2) Nehme zunachst an, dass RU ein Korper ist und sei a ∈ R \ U . Dann ist(a) 6= 0 und damit gibt es ein c ∈ RU mit c(a) = 1. Da nach Lemma 2.9 surjektiv ist, gibt es b ∈ R mit (b) = c. Setze u = 1 − ba; dann ist

(u) = (1 − ba) = (1) − (b)(a) = 1 − c(a) = 1 − 1 = 0 ,

d.h., u ∈ Kern = U . Folglich gibt es kein Ideal V mit U ∪ {a} ⊂ V , sonstware 1 = u + ba ∈ V , und also ist U maximal. Nehme nun umgekehrt an, dassU maximal ist, und sei c ∈ RU mit c 6= 0. Da nach Lemma 2.9 surjektivist, gibt es a ∈ R mit (a) = c, und dann ist a /∈ U , da (a) = c 6= 0. SetzeV = {u + ba : u ∈ U, b ∈ R}; dann ist (V,+, 0) eine Untergruppe von (R,+, 0)und bv ∈ V fur alle b ∈ R, v ∈ V . Ferner ist U ∪ {a} ⊂ V . Daraus ergibt sich,dass V = R, sonst ware V ein Ideal mit U ⊂ V aber U 6= V . Insbesondere gibtes u ∈ U und b ∈ R mit u+ ba = 1, und dann ist

1 = (1) = (u+ ba) = (u) + (b)(a) = 0 + (b)c ,

d.h., es gilt dc = 1 mit d = (b). Dies zeigt, dass RU ein Korper ist.

Sei R nullteilerfrei und setze R⋄ = R \ (R∗ ∪ {0}). Fur jedes a ∈ R⋄ ist also (a)ein Ideal mit (a) 6= {0} und es gilt ab ∈ R⋄ fur alle a, b ∈ R⋄. Ein Element a ∈ R⋄

heißt reduzibel, wenn es b, c ∈ R⋄ gibt, so dass a = bc, und irreduzibel, wenn esnicht reduzibel ist.

Es gilt Z⋄ = Z\{−1, 0, 1} und eine Zahl n ∈ Z⋄ ist irreduzibel genau dann, wenn|n| eine Primzahl ist. Ist K ein Korper, so ist K⋄ = ∅.

Lemma 2.10 Sei R nullteilerfrei und sei a ∈ R⋄; ist (a) ein Primideal, so ist airreduzibel.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 33

Beweis Seien b, c ∈ R mit a = bc; da a ∈ (a) und (a) prim ist, ist b ∈ (a) oderc ∈ (a). Ohne Beschrankung der Allgemeinheit nehme an, dass b ∈ (a); dann gibtes d ∈ R, so dass b = da. Folglich ist a = bc = dca und damit a(1 − dc) = 0. Daaber a 6= 0 und R nullteilerfrei ist, muss 1 − dc = 0, d.h., dc = 1. Also ist c ∈ R∗

und dies zeigt, dass a irreduzibel ist.

Der Ring R heißt Hauptidealring, wenn R nullteilerfrei ist und jedes Ideal von Rein Hauptideal ist.

Satz 2.4 Sei U ein Ideal von Z; dann gibt es ein eindeutiges n ∈ N \ {1}, sodass U = (n). Insbesondere ist Z ein Hauptidealring.

Beweis Ubung.

Satz 2.5 Sei R ein Hauptidealring und sei a ∈ R⋄. Dann sind aquivalent:

(1) a ist irreduzibel.

(2) (a) ist ein Primideal.

(3) (a) ist ein maximales Ideal.

Beweis (3) ⇒ (2) folgt aus Satz 2.3 und (2) ⇒ (1) aus Lemma 2.10.

(1) ⇒ (3): Sei a irreduzibel und sei U ein Ideal mit (a) ⊂ U . Da R ein Haupt-idealring ist, gibt es ein b ∈ R⋄ mit U = (b) und daher ist a = cb fur ein c ∈ R.Folglich ist c /∈ R⋄, da a irreduzibel ist und damit ist c ∈ R∗ (da c 6= 0). NachLemma 2.3 ist also (a) = (b) = U und dies zeigt, dass (a) maximal ist.

Satz 2.6 Sei R ein Hauptidealring, sei S ein nullteilerfreier Ring und ϕ : R → Sein Homomorphismus mit Kernϕ 6= {0}; es gibt also a ∈ R⋄ mit Kernϕ = (a).Dann ist a irreduzibel und der Unterring Bildϕ von S ist ein Korper.

Beweis Nach Lemma 2.7 ist (Bildϕ, ϕ) ein R/(a)-Faktorring und da jeder Un-terring eines nullteilerfreien Rings auch nullteilerfrei ist, ist Bildϕ nullteilerfrei.Daraus ergibt sich nach Satz 2.3 (1), dass (a) ein Primideal ist und folglich istnach Satz 2.5 a irreduzibel und (a) ein maximales Ideal. Nach Satz 2.3 (2) istdann Bildϕ ein Korper.

Lemma 2.11 Es gibt einen eindeutigen Homomorphismus ϕ : Z → R.

Beweis Ubung.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 34

Satz 2.7 Sei R nullteilerfrei und nehme an, der eindeutige Homomorphismusϕ : Z → R ist nicht injektiv. Dann gibt es eine Primzahl p, so dass Kernϕ = (p).Ferner ist der Unterring Bildϕ von R ein Korper und die durch ψ(k) = ϕ(k) furalle k ∈ Fp definierte Abbildung ψ : Fp → Bildϕ ist ein Isomorphismus.

Beweis Dies folgt unmittelbar aus Satz 2.1 und Satz 2.6.

Sei K ein Korper und sei ϕ : Z → K der eindeutige Homomorphismus. Istϕ nicht injektiv, so ist nach Satz 2.7 Kernϕ = (p) fur eine Primzahl p unddann heißt p die Charakteristik von K und sie wird mit charK bezeichnet. Indiesem Fall ist P(K) = Bildϕ ein Unterkorper von K (d.h., ein Unterring vonK mit a−1 ∈ P(K) fur alle a ∈ P(K) \ {0}) und es gibt einen (eindeutigen)Isomorphismus ψ : Fp → P(K). Der Unterkorper P(K) heißt Primkorper von K.

Ist ϕ injektiv, so nennt man K einen Korper der Charakteristik Null und schreibthier charK = 0.

Lemma 2.12 Ist charK = 0, so laßt sich der Homomorphismus ϕ : Z → Kzu einem eindeutigen Homomorphismus ψ : Q → K fortsetzen (und dann ist ψinjektiv, da Q ein Korper ist). Ferner ist P(K) = Bildψ ein Unterkorper von Kund ψ : Q → P(K) ist ein Isomorphismus.

Beweis Ubung. (Dies ist im Wesentlichen ein Spezialfall von Lemma 2.13.)

Der Unterkorper P(K) in Lemma 2.12 heißt naturlich auch Primkorper von K.

Es gilt char Q = char R = char C = 0 und char Fp = p.

Ist S nullteilerfrei und ist ϕ : R → S ein injektiver Homomorphismus, so ist auchR nullteilerfrei. (Seien a, b ∈ R mit ab = 0; dann ist ϕ(a)ϕ(b) = ϕ(ab) = 0 unddamit ist ϕ(a) = 0 oder ϕ(b) = 0, da S nullteilerfrei ist, und dann ist a = 0oder b = 0, da ϕ injektive ist.) Ist insbesondere K ein Korper, so kann es eineninjektiven Homomorphismus ϕ : R → K nur geben, wenn R nullteilerfrei ist.

In Folgenden sei R nullteilerfrei. Ein Paar (K, ) bestehend aus einem Korper Kund einem injektiven Homomorphismus : R → K heißt ein R-Quotientenkorper,wenn es zu jedem Korper K ′ und jedem injektiven Homomorphismus ′ : R→ K ′

einen eindeutigen Homomorphismus ϕ : K → K ′ gibt, so dass ′ = ϕ ◦ .

Lemma 2.13 Sei K ein Korper und sei : R → K ein injektiver Homomor-phismus. Nehme an, zu jedem a ∈ K gibt es Elemente r, s ∈ R mit s 6= 0, sodass a = (ϕ(s))−1ϕ(r) (und man beachte, dass ϕ(s) 6= 0, da injektiv ist). Dannist (K, ) ein R-Quotientenkorper.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 35

Beweis Sei K ′ ein Korper und ′ : R → K ′ ein injektiver Homomorphismus. Seia ∈ K; dann gibt es r, s ∈ R mit s 6= 0, so dass a = ((s))−1(r). Seien aucht, u ∈ R mit u 6= 0 und a = ((u))−1(t). Dann gilt

(ru) = (r)(u) = a(s)(u) = a(u)(s) = (t)(s) = (ts)

und damit ist ru = ts, da injektiv ist. Folglich gilt dann

′(r)′(u) = ′(ru) = ′(ts) = ′(t)′(s)

und daher ist (′(s))−1′(r) = (′(u))−1′(t) (und ′(s), ′(u) ∈ (K ′)×, da ′

injektiv ist). Also gibt es eine eindeutige Abbildung ϕ : K → K ′, so dass

ϕ(((s))−1(r)) = (′(s))−1′(r)

fur alle r, s ∈ R mit s 6= 0. Seien a, b ∈ K; dann gibt es r, s, t, u ∈ R mits 6= 0, u 6= 0, so dass a = ((s))−1(r) und b = ((u))−1(t). Dann ist

a+ b = ((s))−1(r) + ((u))−1(t)

= ((s))−1((u))−1((r)(u) + (t)(s)) = ((su))−1(ru+ ts)

und daraus folgt, dass

ϕ(a+ b) = (′(su))−1′(ru+ ts) = (′(s))−1(′(u))−1(′(r)′(u) + ′(t)′(s))

= (′(s))−1′(r) + (′(u))−1′(t) = ϕ(a) + ϕ(b)

und genauso gilt ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b). Also ist ϕ ein Homomorphismus und

′(r) = (′(1))−1′(r) = ϕ(((1))−1(r)) = (r)

fur alle r ∈ R, d.h. ′ = ϕ ◦ . Sei nun schließlich ψ : K → K ′ ein beliebigerHomomorphismus mit ′ = ψ ◦ . Dann gilt

ψ(((s))−1(r)) = (ψ((s)))−1ψ((r)) = (′(s))−1′(r)

fur alle r, s ∈ R mit s 6= 0 und damit ist ψ = ϕ. Dies zeigt, dass ϕ der eindeutigeHomomorphismus mit ′ = ϕ ◦ ist.

Satz 2.8 Es gibt einen R-Quotientenkorper.

Beweis Setze M = R × (R \ {0}) und definiere eine Relation ∼ auf M durch:(a, b) ∼ (c, d) gilt genau dann, wenn ad = bc. Es ist klar, dass ∼ reflexiv undsymmetrisch ist und ∼ ist auch transitiv: Seien (a1, b1), (a2, b2), (a3, b3) ∈M mit(a1, b1) ∼ (a2, b2) und (a2, b2) ∼ (a3, b3). Dann ist a1b2 = b1a2 und a2b3 = b2a3 unddamit b2(a1b3) = (b2a1)b3 = (b1a2)b3 = b1(a2b3) = b1(a3b2) = b2(a3b1). Folglich

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2 Kommutative Ringe mit Eins 36

ist a1b3 = a3b1, d.h. (a1, b1) ∼ (a3, b3), da b2 6= 0 und R nullteilerfrei ist. Also ist∼ eine Aquivalenzrelation auf M . Sei K die Menge der Aquivalenzklassen undfur (a, b) ∈ M bezeichne mit a/b die Aquivalenzklasse, die (a, b) enthalt, d.h.a/b = {(c, d) ∈ M : (c, d) ∼ (a, b)}. Seien nun (a, b), (a′, b′), (c, d), (c′, d′) ∈ Mmit (a, b) ∼ (a′, b′) und (c, d) ∼ (c′, d′), es gilt also ab′ = a′b, cd′ = c′d. Nun ist

(ad+ cb)b′d′ = (ab′)(dd′) + (cd′)(bb′) = (a′b)(d′d) + (c′d)(b′b) = (a′d′ + c′b′)bd

und (ac)(b′d′) = (ab′)(cd′) = (a′b)(c′d) = (a′c′)(bd) und daraus ergibt sich, dass(ad + cb, bd) ∼ (a′d′ + c′b′, b′d′) und (ac, bd) ∼ (a′c′, b′d′) (und bd 6= 0, b′d′ 6= 0,da b, d, b′, d′ ∈ R \ {0} und R nullteilerfrei ist), d.h. (ac)/(bd) = (a′c′)/(b′d′) und(ad+ cb)/(bd) = (a′d′ + c′b′)/(b′d′). Wir konnen Verknupfungen + : K ×K → Kund · : K ×K → K also definieren durch

a/b+ c/d = (ad+ bc)/(bd) und a/b · c/d = (ac)/(bd) .

Man sieht leicht, dass (K,+, ·, 0/1, 1/1) ein Korper ist. (Ist a/b 6= 0/1, so ist a 6= 0und dann ist (a/b)−1 = b/a.) Definiere nun : R → K durch (a) = a/1; dannist ein Homomorphismus, da a/1 + b/1 = (a+ b)/1 und (a/1) · (b/1) = (ab)/1,und damit ein injektiver Homomorphismus. Sei a/b ∈ K; dann ist

a/b = (b/1)−1(a/1) = ((b))−1(a)

und daraus folgt nach Lemma 2.13, dass (K, ) ein R-Quotientenkorper ist.

Lemma 2.14 Sind (K, ) und (K ′, ′) zwei R-Quotientenkorper, so gibt es eineneindeutigen Isomorphismus ψ : K → K ′ mit ψ ◦ = ′.

Beweis Identisch mit dem Beweis fur Lemma 2.8.

Es ist klar, dass (K, idK) ein K-Quotientenkorper ist, wenn K selbst ein Korperist. Ferner ist nach Lemma 2.13 (Q, i) ein Z-Quotientenkorper mit i : Z → Q derInklusionsabbildung.

Sei (K, ) ein R-Quotientenkorper; da injektiv ist, sind R und der UnterringBild von K isomorph. Es ist nun ublich, R mit Bild zu identifizieren, und mansagt dann, dass K ein R-Quotientenkorper ist (mit R jetzt ein Unterring vonK). Sind K und K ′ zwei R-Quotientenkorper in diesem Sinne, so gibt es eineneindeutigen Isomorphismus ψ : K → K ′ mit ψ(r) = r fur alle r ∈ R.

Da ein R-Quotientenkorper bis auf Isomorphie eindeutig ist, redet man meistensvon dem R-Quotientenkorper und bezeichnet diesen mit Q(R). Dies bedeutet: Zujedem injektiven Homomorphismus ϕ : R → K von R in einen Korper K gibtes einen eindeutigen Homomorphismus ϕ′ : Q(R) → K mit ϕ′(r) = ϕ(r) fur aller ∈ R.

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2 Kommutative Ringe mit Eins 37

Satz 2.9 Sei S nullteilerfrei und sei ϕ : R → S ein injektiver Homomorphismus.Dann gibt es einen eindeutigen Homomorphismus ϕ∗ : Q(R) → Q(S), so dassϕ∗(r) = ϕ(r) fur alle r ∈ R.

Beweis Dies folgt umittelbar aus der Tatsache, dass S ⊂ Q(S), und damit kannman ϕ als injektiven Homomorphismus von R in Q(S) betrachten.

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3 Polynome

Im Folgenden sei R ein Ring, d.h., R ist ein kommutativer Ring mit Eins.

Wir fuhren nun den Polynomring R[x] uber R ein. Bezeichne zunachst mit Σ(R)die Menge aller Folgen {an}n≥0 aus R. Verknupfungen + : Σ(R)×Σ(R) → Σ(R)und · : Σ(R) × Σ(R) → Σ(R) werden definiert durch

{an}n≥0 + {bn}n≥0 = {an + bn}n≥0 und {an}n≥0{bn}n≥0 = {cn}n≥0 ,

wobei cn = a0bn + a1bn−1 + · · · + an−1b1 + anb0. Dann ist Σ(R) ein Ring. (DerBeweis dafur ist eine Ubung.) Das Nullelement ist die Folge 0 = {0n}n≥0, wobei0n = 0 fur alle n ≥ 0, und das Einselement ist die Folge 1 = {1n}n≥0, wobei

1n =

{

1 falls n = 0 ,0 sonst .

Sei nun Σo(R) die Teilmenge von Σ(R), die definiert ist durch

Σo(R) = {{an}n≥0 ∈ Σ(R) : an 6= 0 fur nur endlich viele n ≥ 0} .

Lemma 3.1 Fur alle α, β ∈ Σo(R) sind −α, α + β und αβ auch in Σo(R).Ferner sind 0, 1 ∈ Σ(R) Elemente von Σo(R).

Beweis Seien α = {an}n≥0, β = {bn}n≥0 ∈ Σo(R). Es gibt also M, N ≥ 0, sodass an = 0 fur alle n > M und bn = 0 fur alle n > N . Sei nun αβ = {cn}n≥0;dann ist cn = a0bn + a1bn−1 + · · · + an−1b1 + anb0 = 0, falls n > M + N , d.h.,αβ ∈ Σo(R). Die anderen Teile sind klar.

Nach Lemma 3.1 ist Σo(R), mit den Verknupfungen aus Σ(R), ein Ring. Sei nunx ein Symbol, das als ‘Unbestimmte’ angesehen werden soll. Ist α = {an}n≥0 einElement von Σo(R) mit an = 0 fur jedes n > m, so wird α durch den Ausdruck

a0 + a1x+ a2x2 + · · · + amx

m

dargestellt. Diese Darstellung ist nicht eindeutig, sind aber a0 +a1x+ · · ·+amxm

und b0 + b1x + · · · + bℓxℓ zwei Darstellungen und ist m ≤ ℓ, so ist aj = bj fur

j = 1, . . . , m und bj = 0 fur m < j ≤ ℓ.

Man schreibt nun R[x] statt Σo(R); R[x] heißt der Polynomring uber R in derUnbestimmten x, die Elemente aus R[x] heißen Polynome in x mit Koeffizientenaus R.

Sei i : R → R[x] die Abbildung, die durch i(a) = a definiert ist. Mit anderenWorten ist i(a) = {an}n≥0, wobei

an =

{

a falls n = 0 ,0 sonst .

38

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3 Polynome 39

Diese Abbildung ist injektiv und folglich kann man jedes Element a aus R mitdem Element i(a) aus R[x] identifizieren. Auf diese Weise wird R als Teilmengevon R[x] betrachtet. Da i(a+b) = i(a)+ i(b) und i(ab) = i(a)i(b) fur alle a, b ∈ Rund i(0) = 0 und i(1) = 1, erhalt man dann die Addition und Multiplikation aufR als Einschrankungen der entsprechenden Verknupfungen auf R[x].

Ist f ∈ R[x] mit f 6= 0, so hat f eine eindeutige Darstellung

a0 + a1x+ a2x2 + · · · + amx

m

mit am 6= 0. Die Zahl m heißt der Grad des Polynoms f und wird mit Grad fbezeichnet. Das Element am heißt der Leitkoeffizient von f ; ist am = 1, so heißtf normiert.

Satz 3.1 Sei S ein weiterer Ring und sei ϕ : R → S ein Homomorphismus.

(1) Fur jedes u ∈ S gibt es einen eindeutigen Homomorphismus ϕu : R[x] → S,so dass ϕu(a) = ϕ(a) fur alle a ∈ R ⊂ R[x] und ϕu(x) = u.

(2) Es gibt einen eindeutigen Homomorphismus ϕ∗ : R[x] → S[x], so dassϕ∗(a) = ϕ(a) fur alle a ∈ R und ϕ∗(x) = x.

(3) Ist ϕ : R → S ein Isomorphismus, so ist es auch ϕ∗ : R[x] → S[x] und esgilt (ϕ∗)−1 = (ϕ−1)∗.

Beweis (1) Ubung.

(2) Dies ist ein Spezialfall von (1).

(3) Setze Φ = (ϕ−1)∗ ◦ ϕ∗ und Ψ = idR[x]; dann sind Φ, Ψ : R[x] → R[x] beideHomomorphismen mit Φ(a) = a = Ψ(a) fur alle a ∈ R und Φ(x) = x = Ψ(x).Nach der Eindeutigkeit in (2) ist also Φ = Ψ, d.h., (ϕ−1)∗ ◦ ϕ∗ = idR[x], undgenauso gilt ϕ∗ ◦ (ϕ−1)∗ = idS[x]. Daraus ergibt sich, dass ϕ∗ ein Isomorphismusist und (ϕ∗)−1 = (ϕ−1)∗.

Der Polynomring R[x] ist nullteilerfrei, falls R es ist:

Lemma 3.2 Sei R nullteilerfrei.

(1) Sind f, g ∈ R[x] mit f 6= 0 und g 6= 0, so ist Grad fg = Grad f + Grad g.

(2) R[x] ist nullteilerfrei.

Beweis (1) Sei a0 + a1x + · · · + amxm bzw. b0 + b1x + · · · + bnx

n die eindeutigeDarstellung von f mit am 6= 0 bzw. von g mit bn 6= 0. Dann ist

fg = c0 + c1x+ · · · + cm+nxm+n

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3 Polynome 40

mit cm+n = ambn 6= 0, und folglich ist Grad fg = m+ n = Grad f + Grad g.

(2) Dies folgt unmittelbar aus (1).

Ist R nullteilerfrei, so ist nach Lemma 3.2 (1) (R[x])∗ = R∗.

Im Folgenden sei K ein Korper. Wir zeigen als nachstes, dass K[x] ein Haupt-idealring ist.

Satz 3.2 (Division mit Rest in K[x]) Seien f, g ∈ K[x] mit g 6= 0. Danngibt es eindeutige Polynome t, r ∈ K[x] mit f = tg + r und entweder r = 0 oderGrad r < Grad g.

Beweis Existenz von t und r: Da 0 = 0g+0, kann man annehmen, dass f 6= 0. IstGrad f < Grad g, setze einfach t = 0 und r = f . Es kann also auch angenommenwerden, dass Grad f ≥ Grad g. Der Beweis erfolgt nun per Induktion nach Grad f .

Sei Grad f = 0. Da Grad f ≥ Grad g, ist auch Grad g = 0. Folglich ist f = a0

und g = b0 mit a0, b0 ∈ K und a0 6= 0, b0 6= 0, und damit ist

f = a0 = (a0b−10 )b0 = (a0b

−10 )g + 0 .

Sei nun m ≥ 1 und nehme an, dass die Aussage uber die Existenz von t und rfur alle Polynome f mit Grad f < m richtig ist.. Sei f ∈ K[x] mit Grad f = m.Dann ist f = a0 + a1x+ · · ·+ amx

m, g = b0 + b1x+ · · ·+ bnxn mit am 6= 0, bn 6= 0

und m ≥ n. Setze f1 = f − (amb−1n xm−n)g, wobei x0 = 1; es gilt

f1 = (a0 + · · · + amxm) − (amb

−1n )(b0x

m−n + b0xm−n+1 + · · · + bnx

m)

= (a0 + · · · + am−1xm−1) − (amb

−1n )(b0x

m−n + · · ·+ bn−1xm−1)

und damit ist entweder f1 = 0 oder Grad f1 ≤ m− 1. Nach Induktionsannahmegibt es also Polynome t1, r ∈ K[x] mit f1 = t1g + r und entweder r = 0 oderGrad r < Grad g. Setze t = t1 + amb

−1n xm−n; dann ist

f = f1 + (amb−1n xm−n)g = t1g + r + (amb

−1n xm−n)g

= (t1 + amb−1n xm−n)g + r = tg + r .

Eindeutigkeit von t und r: Nehme an, dass es auch Polynome t′, r′ mit f = t′g+r′

und entweder r′ = 0 oder Grad r′ < Grad g gibt. Dann ist entweder r′ = r oderGrad (r′ − r) < Grad g. Ferner ist

0 = f − f = (tg + r) − (t′g + r′) = (t− t′)g + (r − r′)

und daraus folgt, dass (t− t′)g = r′ − r. Also ist t = t′ (und damit auch r = r′),sonst ware nach Lemma 3.2 (1)

Grad (r′ − r) = Grad (t− t′)g = Grad (t− t′) + Grad g ≥ Grad g .

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3 Polynome 41

Satz 3.3 Sei U ein Ideal von K[x] mit U 6= {0}. Dann gibt es ein eindeutigesnormiertes Polynom g ∈ K[x]\K, so dass U = (g) (und insbesondere ist g ∈ U).

Beweis Wahle g ∈ U \ {0}, so dass Grad g ≤ Gradh fur alle h ∈ U \ {0} undsetze g = a−1g, wobei a der Leitkoeffizient von g ist. Dann ist g normiert, g ∈ Uund Grad g = Grad g ≤ Gradh fur alle h ∈ U \ {0}. Ferner ist g ∈ K[x] \K, daU ∩K× = ∅. Nun ist fg ∈ U fur alle f ∈ K[x], da U ein Ideal ist, und damitist (g) ⊂ U . Sei andererseits f ∈ U ; nach Satz 3.2 gibt es Polynome t, r ∈ K[x]mit f = tg + r und entweder r = 0 oder Grad r < Grad g. Aber r = f − tg ∈ U ,und daraus ergibt sich, dass r = 0 (sonst ware Grad r < Grad g ≤ Grad r). Alsoist f = tg ∈ (g), d.h. U ⊂ (g) und folglich ist U = (g).

Eindeutigkeit von g: Sei h ∈ K[x] \ K normiert mit U = (h). Dann gibt esu, v ∈ K[x] mit g = uh und h = vg, und daraus folgt, dass Gradh ≤ Grad g undGrad g ≤ Gradh und also ist Gradh = Grad g. Aber h − g ∈ U , und entwederh = g oder Grad (h − g) < Grad g, (da h und g beide normierte Polynome vomgleichen Grad sind). Damit ist h = g.

Nach Lemma 3.2 (2) ist K[x] nullteilerfrei, und {0} = (0). Nach Satz 3.3 ist alsoK[x] ein Hauptidealring.

Sei a ∈ K; nach Satz 3.1 (1) (angewendet mit ϕ = idK) gibt es einen eindeutigenHomomorphismus Φa : K[x] → K mit Φa(b) = b fur alle b ∈ K und Φa(x) = a.Fur alle b0 + b1x+ · · ·+ bnx

n ∈ K[x] gilt also

Φa(b0 + b1x+ · · ·+ bnxn) = b0 + b1a + · · ·+ bna

n .

Sei f ∈ K[x] \K; ein Element a ∈ K heißt Nullstelle von f , wenn Φa(f) = 0.

Lemma 3.3 Sei f ∈ K[x] \ K und sei a ∈ K. Dann gibt es ein eindeutigesg ∈ K[x] \ {0}, so dass f = (a− x)g + Φa(f). Ferner ist Grad g = (Grad f) − 1.

Beweis Nach Satz 3.2 gibt es Polynome g, r ∈ K[x] mit f = (a − x)g + r undentweder r = 0 oder Grad r < Grad (a− x) = 1. In beiden Fallen ist r ∈ K undr = Φa(f), da

Φa(f) = Φa((a− x)g + r) = Φa(a− x)Φa(g) + Φa(r) = 0 Φa(g) + r = r .

Gilt auch f = (a− x)h + Φa(f), so ist (a− x)g = (a− x)h und damit ist h = g,da a− x 6= 0. Schließlich ist nach Lemma 3.2 (1)

Grad f = Grad (f − Φa(f))

= Grad (a− x)g = Grad (a− x) + Grad g = 1 + Grad g

und also ist Grad g = (Grad f) − 1.

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3 Polynome 42

Satz 3.4 Sei f ∈ K[x]\K und sei a ∈ K eine Nullstelle von f . Dann gibt es eineindeutiges g ∈ K[x] \ {0}, so dass f = (a− x)g. Es gilt Grad g = (Grad f) − 1.

Beweis Dies folgt unmittelbar aus Lemma 3.3.

Lemma 3.4 Seien g ∈ K[x]\K, h ∈ K[x] mit gh = c(x−a1) · · · (x−an), wobeia1, . . . , an ∈ K (mit n ≥ 1) und c ∈ K×. Dann ist ak eine Nullstelle von g furmindestens ein k.

Beweis Sei m = Gradh = n − Grad g ≤ n − 1, und nehme an, dass Φak(g) 6= 0

fur jedes k = 1, . . . , m. Da Φa1(g) 6= 0 und Φa1

(g)Φa1(h) = Φa1

(fg) = 0, istΦa1

(h) = 0 und folglich gibt es nach Satz 3.4 h1 ∈ K[x] \ {0} mit h = (x− a1)h1.Da K[x] nullteilerfrei ist, ist dann c(x − a2) · · · (x − an) = gh1; insbesondere istΦa2

(h1) = 0. Nach wiederholter Anwendung dieses Verfahren gibt es h1, . . . , hm

in K[x] \ {0}, so dass c(x− ak+1) · · · (x− an) = ghk fur k = 1, . . . , m. Aber dannist Gradhm = 0, folglich ist c(x − am+1) · · · (x − an) = dg fur ein d ∈ K× unddamit ist Φak

(g) = 0 fur jedes k = m+ 1, . . . , n.

Erinnerung: Fur einen nullteilerfreien Ring ist R⋄ = R\ (R∗∪{0}). Insbesondereist (K[x])⋄ = K[x] \ K. Ein Polynom f ∈ K[x] \ K ist also reduzibel, wennes g, h ∈ K[x] \ K mit f = gh gibt, und irreduzibel, wenn es nicht reduzibelist. Es ist im Allgemeinen sehr schwierig festzustellen, ob ein gegebenes Polynomf ∈ K[x] \K reduzibel oder irreduzibel ist.

Satz 3.5 Sei f ∈ K[x] \ K; dann gibt es irreduzible Polynome f1, . . . , fn (mitn ≥ 1), so dass f = f1 · · ·fn. Insbesondere gibt es ein irreduzibles Polynom g undh ∈ K[x], so dass f = gh.

Beweis Ubung.

Im Folgenden sei K ein Korper und F ein Unterkorper von K. Der oben ein-gefuhrte Homomorphismus Φa wird nun etwas verallgemeinert. Sei a ∈ K; dieInklusionsabbildung i : F → K (mit i(b) = b fur alle b ∈ F ) ist ein Homomor-phismus und folglich gibt es nach Satz 3.1 (1) (mit ϕ = i) einen eindeutigenHomomorphismus Φa : F [x] → K mit Φa(b) = b fur alle b ∈ F und Φa(x) = a.Fur alle b0 + b1x+ · · ·+ bnx

n ∈ F [x] gilt also wieder

Φa(b0 + b1x+ · · ·+ bnxn) = b0 + b1a + · · ·+ bna

n .

Satz 3.6 Sei Φa nicht injektiv. Dann gibt es ein eindeutiges normiertes Polynomma ∈ F [x] \F , so dass Kern Φa = (ma). Ferner ist ma irreduzibel und Bild Φa istein Unterkorper von K.

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3 Polynome 43

Beweis Dies folgt unmittelbar aus Satz 3.3 und Satz 2.7.

Das Polynom ma heißt minimales Polynom von a uber F .

Sei wieder R ein Ring, d.h. R ist ein kommutativer Ring mit Eins. Dann istR[x] ein Ring und also konnen wir den Polynomring (R[x])[y] uber R[x] in derUnbestimmten y betrachten.

Sei α ∈ (R[x])[y]; dann gibt es n ≥ 0 und Polynome f0, . . . , fn ∈ R[x], so dassα = f0 +f1y+ · · ·+fny

n. Fur jedes ℓ = 0, . . . , n gibt es nun mℓ ≥ 0 und akℓ ∈ R,so dass fℓ = a0ℓ + a1ℓx+ · · · + amℓℓx

mℓ . Sei m = max{mℓ : 0 ≤ ℓ ≤ n} und setzeajℓ = 0 fur mℓ < j ≤ m; dann ist

α = f0 + f1y + · · ·+ fnyn

= (a00 + a10x+ · · ·+ am0xm) + (a01 + a11x+ · · ·+ am1x

m)y

+ · · ·+ (a0n + a1nx+ · · ·+ amnxm)yn

=m

k=0

n∑

ℓ=0

akℓxkyℓ ,

wobei x0 = y0 = 1. Wir schreiben jetzt R[x, y] statt (R[x])[y]; R[x, y] heißt derPolynomring uber R in den Unbestimmten x und y.

Naturlich kann dieses Verfahren wiederholt werden: Fur jedes n ≥ 2 setze

R[x1, . . . , xn] = (R[x1, . . . , xn−1])[xn] .

R[x1, . . . , xn] heißt der Polynomring uber R in den Unbestimmten x1, . . . , xn.

Sei α ∈ R[x1, . . . , xn]; dann gibt es m1, . . . , mn ≥ 0 und Elemente ak1,...,kn∈ R,

0 ≤ kj ≤ mj , j = 1, . . . , n, so dass

α =

m1∑

k1=0

· · ·mn∑

kn=0

ak1,...,knxk1

1 · · ·xkn

n ,

wobei x0j = 1 fur jedes j. Da R ein Unterring von R[x1] ist und R[x1, . . . , xk−1]

ein Unterring von R[x1, . . . , xk] = (R[x1, . . . , xk−1])[xk] fur j = 2, . . . , n, ist Rein Unterring von R[x1, . . . , xn].

Satz 3.7 Sei S ein weiterer Ring und sei ϕ : R → S ein Homomorphismus.

(1) Fur jedes u = (u1, . . . , un) ∈ Sn gibt es einen eindeutigen Homomorphismusϕu : R[x1, . . . , xn] → S, so dass ϕu(a) = ϕ(a) fur alle a ∈ R ⊂ R[x1, . . . , xn] undϕu(xj) = uj fur jedes j.

(2) Es gibt genau einen Homomorphismus ϕ∗ : R[x1, . . . , xn] → S[x1, . . . , xn], sodass ϕ∗(a) = ϕ(a) fur alle a ∈ R und ϕ∗(xj) = xj fur jedes j.

(3) Ist ϕ : R → S ein Isomorphismus, so ist es auch der Homomorphismusϕ∗ : R[x1, . . . , xn] → S[x1, . . . , xn] und es gilt (ϕ∗)−1 = (ϕ−1)∗.

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3 Polynome 44

Beweis (1) Ubung.

(2) Dies ist ein Spezialfall von (1).

(3) Identisch mit dem Beweis fur Satz 3.1 (3).

Lemma 3.5 Ist R nullteilerfrei, so ist es auch R[x1, . . . , xn]. Insbesondere istK[x1, . . . , xn] nullteilerfrei fur jeden Korper K.

Beweis Dies folgt unmittelbar aus Lemma 3.2 (2).

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4 Irreduzibilitatskriterium von Eisenstein

Der folgende Satz enthalt ein Kriterium von Eisenstein fur die Irreduzibilitateines Polynoms f ∈ Q[x] \Q. Es ist aber das einzige elementare Kriterium dieserArt.

Satz 4.1 Sei f = a0 + a1x+ · · ·+ anxn ∈ Q[x] \Q mit a0, . . . , an ∈ Z. Dann ist

f irreduzibel, wenn es eine Primzahl p gibt, so dass gilt:

(1) aj ist ein Vielfaches von p fur j = 0, . . . , n− 1,

(2) an ist kein Vielfaches von p.

(3) a0 ist kein Vielfaches von p2.

Beweis Spater.

Wir werden einige Eigenschaften vom Polynomring Z[x] brauchen. Ein Polynomf = a0 + a1x+ · · ·+ anx

n ∈ Z[x] \Z heißt primitiv, wenn der großte gemeinsameTeiler von a0, . . . , an gleich 1 ist.

Lemma 4.1 Sind f, g ∈ Z[x] \ Z primitiv, so ist auch fg primitiv.

Beweis Seien f = a0 + a1x + · · · + amxm und g = b0 + b1x + · · · + bnx

n undnehme an, dass fg nicht primitiv ist. Dann gibt es eine Primzahl p, so dass jederKoeffizient in fg ein Vielfaches von p ist. Da f und g primitiv sind, kann manIndizes j und k durch

j = min{i ≥ 0 : ai ist kein Vielfaches von p} und

k = min{i ≥ 0 : bi ist kein Vielfaches von p}

definieren. Sei c der Koefficient von xj+k in fg; dann gilt

c = ajbk + (aj+1bk−1 + aj+2bk−2 + · · ·+ aj+kb0)

+ (aj−1bk+1 + aj−2bk+2 + · · · + a0bj+k) ,

(wobei ai = 0 fur m < i ≤ j + k und bi = 0 fur n < i ≤ j + k). Nun ist ai einVielfaches von p fur i ≤ j−1 und bi ein Vielfaches von p fur i ≤ k−1 und darausergibt sich, dass

(aj+1bk−1 + aj+2bk−2 + · · ·+ aj+kb0) + (aj−1bk+1 + aj−2bk+2 + · · ·+ a0bj+k)

ein Vielfaches von p ist. Aber ajbk ist kein Vielfaches von p und damit ist c auchkein Vielfaches von p. Dies ist ein Widerspruch und daher ist fg primitiv.

Wir betrachten nun Z[x] als Unterring von Q[x].

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4 Irreduzibilitatskriterium von Eisenstein 46

Lemma 4.2 Sei f ∈ Z[x] \ Z; dann gibt es a ∈ Z× und ein primitives Polynomf ′ ∈ Z[x]\Z, so dass f = af ′. Genauso gibt es zu jedem f ∈ Q[x]\Q ein a ∈ Q×

und ein primitives Polynom f ′ ∈ Z[x] \ Z, so dass f = af ′.

Beweis Dies ist klar.

Satz 4.2 (Lemma von Gauss) Sei f ∈ Z[x] \ Z primitiv mit f reduzibel inQ[x]. Dann ist f reduzibel in Z[x]: Es gibt g, h ∈ Z[x] \ Z mit f = gh.

Beweis Da f reduzibel in Q[x] ist, gibt es Polynome u, v ∈ Q[x] \ Q mit f = uvund nach Lemma 4.2 gibt es a, b ∈ Q× und primitive Polynome g, h ∈ Z[x] \ Z,so dass u = af und v = bg. Seien nun m, n ∈ Z× mit ab = m/n; dann istf = uv = abgh = (m/n)gh, d.h., nf = mgh. Aber f ∈ Z[x] \ Z ist primitiv undnach Lemma 4.1 ist gh ∈ Z[x] \Z auch primitiv, und daraus folgt, dass m = ±n.Damit ist f = ±gh und also ist f reduzibel in Z[x].

Beweis fur Satz 4.1: Sei f = a0 + a1x + · · · + anxn ∈ Q[x] \ Q ein Polynom

mit a0, . . . , an ∈ Z und sei p eine Primzahl, fur die (1), (2) und (3) gilt. NachLemma 4.2 gibt es m ∈ Z× und ein primitives Polynom g ∈ Z[x] \ Z, so dassf = mg, und dann ist g = b0 + b1x+ · · · + bnx

n, wobei aj = mbj fur jedes j. Daan kein Vielfaches von p ist, sind m und p teilerfremd und folglich gilt auch:

(1) bj ist ein Vielfaches von p fur j = 0, . . . , n− 1,

(2) bn ist kein Vielfaches von p.

(3) b0 ist kein Vielfaches von p2.

Nehme an, dass g reduzibel in Q[x] ist; dann ist nach Satz 4.2 g reduzibel in Z[x]und folglich gibt es u, v ∈ Z[x]\Z mit g = uv. Seien u = c0 +c1x+ · · ·+ckx

k undv = d0 + d1x+ · · · + dℓx

ℓ (mit k ≥ 1, ℓ ≥ 1 und k + ℓ = n). Dann ist b0 = c0d0,und da b0 ein Vielfaches von p aber kein Vielfaches von p2 ist, konnen wir (ohneBeschrankung der Allgemeinheit) annehmen, dass c0 ein Vielfaches von p und d0

kein Vielfaches von p ist. Dann ist ck kein Vielfaches von p, da bn = ckdℓ; sei alsoj = min{i ≥ 0 : ci ist kein Vielfaches von p}. Wir haben nun einen Widerspruch:Es gilt j ≤ k < n und bj ist kein Vielfaches von p, da bj = cjd0+cj−1d1+· · ·+c0dj,(wobei di = 0 fur ℓ < i ≤ j). Daraus ergibt sich, dass g irreduzibel in Q[x] istund damit ist f auch irreduzibel in Q[x].

Lemma 4.3 Seien c, d ∈ Q mit c 6= 0, und definiere Tc,d : Q[x] → Q[x] durch

Tc,d(a0 + a1x+ · · · + anxn) = a0 + a1(cx+ d) + · · ·+ an(cx+ d)n .

Dann ist Tc,d(Q[x] \ Q) = Q[x] \ Q und f ∈ Q[x] \ Q ist irreduzibel genau dann,wenn Tc,d(f) irreduzibel ist.

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4 Irreduzibilitatskriterium von Eisenstein 47

Beweis Dies folgt unmittelbar aus der Tatsache, dass Tc,d ein Isomorphismus ist(mit T−1

c,d = Tγ,δ, wobei γ = c−1 und δ = c−1d) und Tc,d(a) = a fur alle a ∈ Q.

Beispiele: (1) Sei p eine Primzahl und sei n ≥ 1; dann ist nach Satz 4.1 dasPolynom xn − p ∈ Q[x] irreduzibel.

(2) Nach Satz 4.1 (mit p = 3) ist x3 + 3x2 − 3 ∈ Q[x] irreduzibel. Daraus folgtnach Lemma 4.3, dass T2,−1(x

3 + 3x2 − 3) irreduzibel in Q[x] ist und

T2,−1(x3 + 3x2 − 3) = (2x− 1)3 + 3(2x− 1)2 − 3

= (8x3 − 12x2 + 6x− 1) + (12x2 − 12x+ 3) − 3

= 8x3 − 6x− 1 .

Fur jedes θ ∈ R gilt

cos 3θ = cos 2θ cos θ − sin 2θ sin θ

= cos3 θ − sin2 θ cos θ − 2 sin2 θ cos θ

= cos3 θ − 3 sin2 θ cos θ = cos3 θ − 3 cos θ(1 − cos2 θ)

= 4 cos3 −3 cos θ ,

und folglich gilt 4 cos3 θ − 3 cos θ − cos 3θ = 0 fur jedes θ ∈ R. Setze α = cos π/9(und π/9 = 20o); da cosπ/3 = 1

2, ist 4α3 − 3α− 1

2= 0, d.h., 8α3 − 6α− 1 = 0.

(3) Sei p eine Primzahl und setze f = T1,1(1 + x+ · · · + xp−1); dann ist

f = 1 + (x+ 1) + · · ·+ (x+ 1)p−1 = a0 + a1x+ · · · + ap−1xp−1 ,

wobei a0 = p, ap−1 = 1 und fur 1 < k < p− 1

ak = 1 +

(

k + 1k

)

+

(

k + 2k

)

+ · · · +(

p− 1k

)

.

Fur 1 < k < p− 1 ist ak ein Vielfaches von p. (Der Beweis dafur ist eine Ubung.)Folglich ist nach Satz 4.1 f irreduzibel in Q[x] und damit ist nach Lemma 4.3das Polynom 1 + x+ · · · + xp−1 irreduzibel in Q[x].

Sei z ∈ C \ {1} mit zp = 1. Da 0 = (1− zp) = (1− z)(1+ z+ · · ·+ zp−1), ist dann1 + z + · · ·+ zp−1 = 0.

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5 Korpererweiterungen

Sei K ein Korper. Eine Teilmenge F von K heißt Unterkorper von K, wenn0, 1 ∈ F , a + b und ab in F liegen fur alle a, b ∈ F , −a ∈ F fur alle a ∈ F unda−1 ∈ F fur alle a ∈ F× (wobei F× = F \{0}). Also konnen die auf K definiertenOperationen + und · auf F eingeschrankt werden und F ist ein Korper bezuglichdieser eingeschrankten Operationen.

Beispiele: (1) Q ist ein Unterkorper von R und R ist ein Unterkorper von C.

(2) Definiere Q(√

2) ⊂ R durch Q(√

2) = {a + b√

2 : a, b ∈ Q}; dann ist Q(√

2)ein Unterkorper von R.

Fur jeden Korper K ist der Primkorper P(K) ein Unterkorper von K.

Lemma 5.1 Fur jeden Unterkorper F von K ist P(F ) = P(K) und insbesondereist charF = charK.

Beweis Der eindeutige Homomorphismus ϕ : Z → F ist ein Homomorphismusvon Z nach K und damit der eindeutige Homomorphismus von Z nach K. Damitist P(F ) = Bildϕ = P(K) und charF = charK, falls charF = p > 0. IstcharF = 0, so ist ϕ injektiv und damit ist auch charK = 0. In diesem Fall ist dereindeutige Homomorphismus ψ : Q → F auch der eindeutige Homomorphismusvon Q nach F und folglich ist wieder P(F ) = Bildψ = P(K).

Sei {Fα}α∈I eine nichtleere Familie von Unterkorpern von K. Dann ist⋂

α∈I Fα

wieder ein Unterkorper. Zu jeder Teilmenge S von K gibt es also einen kleinstenUnterkorper von K, der S enthalt.

Nach Lemma 5.1 ist P(K) der kleinste Unterkorper von K (d.h. der kleinsteUnterkorper von K, der ∅ enthalt)

Ist F ein Unterkorper eines Korpers K, so heißt K ein Erweiterungskorper vonF oder eine Korpererweiterung (oder nur Erweiterung) von F .

Ist K eine Korpererweiterung von F , so ist charK = charF und P(K) = P(F ).

Sei F ein Korper und sei K eine Erweiterung von F . Dann betrachten wir K alsVektorraum uber F : Die Addition im Vektorraum K ist die Addition im KorperK und die Multiplikation mit Skalaren · : F ×K → K ist die Einschrankung derMultiplikation · : K ×K → K in K. Man sieht leicht, dass die Axiome fur einenVektorraum uber F erfullt sind.

Ist K (als Vektorraum uber F ) endlichdimensional bzw. nicht endlichdimensional,so heißt K eine endliche bzw. unendliche Erweiterung von F . Ist K eine endlicheErweiterung, so heißt die Dimension vonK (als Vektorraum uber F ) der Grad der

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5 Korpererweiterungen 49

Erweiterung und wird mit [K :F ] bezeichnet. Ist K eine unendliche Erweiterung,so setzt man [K :F ] = ∞.

Beispiele: (1) C ist eine endliche Erweiterung von R mit [C : R] = 2, da (1, i) eineBasis von C als Vektorraum uber R ist.

(2) Q(√

2) ist eine endliche Erweiterung von Q mit [Q(√

2) : Q] = 2, da (1,√

2)eine Basis von Q(

√2) als Vektorraum uber Q ist.

(3) R ist eine unendliche Erweiterung von Q. (Ist K eine endliche Erweiterungvon Q mit [K : Q] = n, so ist K (als Vektorraum uber Q) isomorph zu Qn undinsbesondere ist K abzahlbar. Aber R ist uberabzahlbar.)

Im Folgenden sei F ein Korper. Sei L eine Erweiterung von F und sei K einUnterkorper von L mit F ⊂ K. Dann nennt man K einen Zwischenkorper derErweiterung L von F . Also ist K eine Erweiterung von F und L eine Erweiterungvon K. Ferner ist K (als Vektorraum uber F ) ein Untervektorraum von L (alsVektorraum uber F ).

Satz 5.1 Sei K ein Zwischenkorper der Erweiterung L von F . Dann ist L eineendliche Erweiterung von F genau, wenn K eine endliche Erweiterung von Fund L eine endliche Erweiterung von K ist, und in diesem Fall gilt

[L :F ] = [L :K][K :F ] .

Beweis Nehme zunachst an, dass L eine endliche Erweiterung von F ist; dannist es klar, dass K eine endliche Erweiterung von F ist mit [K :F ] ≤ [L :F ]. Sei(v1, . . . , vn) eine Basis von L als Vektorraum uber F ; dann gilt immer noch, dassL(v1, . . . , vn) = L, wenn L als Vektorraum uber K angesehen wird. Folglich ist Leine endliche Erweiterung von K und [L :K] ≤ n = [L :F ].

Nehme nun umgekehrt an, dass K eine endliche Erweiterung von F und L eineendliche Erweiterung von K ist. Sei (u1, . . . , um) eine Basis von K als Vektorraumuber F und (v1, . . . , vn) eine Basis von L als Vektorraum uber K. Fur 1 ≤ i ≤ m,1 ≤ j ≤ n sei w(i−1)j = uivj ; wir zeigen, dass (w1, . . . , wmn) eine Basis von L alsVektorraum uber K ist.

Sei v ∈ L; dann gibt es a1, . . . , an ∈ K, so dass v = a1v1 + · · ·+ anvn. Zu jedemj = 1, . . . , n gibt es nun b1j , . . . , bmj ∈ F , so dass aj = b1ju1 + · · · + bmjum.Daraus folgt, dass

v =

n∑

j=1

ajvj =

n∑

j=1

(b1ju1 + · · ·+ bmjum)vj =

m∑

i=1

n∑

j=1

bijuivj =

mn∑

k=1

ckwk ,

wobei c(i−1)j = cij . Damit ist v ∈ LF (w1, . . . , wmn), wobei LF (w1, . . . , wmn) dielineare Hulle von w1, . . . , wmn in L als Vektorraum uber F bezeichnet, und dieszeigt, dass L = LF (w1, . . . , wmn).

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5 Korpererweiterungen 50

Seien nun aij ∈ F , 1 ≤ i ≤ m, 1 ≤ j ∈ n, mit∑m

i=1

∑n

j=1 aijuivj = 0. Dann gilt∑n

j=1(∑m

i=1 aijui)vj = 0 und daraus folgt, dass∑m

i=1 aijui = 0 fur j = 1, . . . , n,da (v1, . . . , vn) eine Basis von L als Vektorraum uber K ist und

∑m

i=1 aijui ∈ Kfur jedes j. Aber (u1, . . . , um) ist eine Basis von K als Vektorraum uber F unda1j , . . . , amj ∈ F und damit ist aij = 0 fur alle 1 ≤ i ≤ m, 1 ≤ j ≤ n. Dieszeigt, dass w1, . . . , wmn linear unabhangig sind (in L als Vektorraum uber F ) unddaher ist (w1, . . . , wmn) eine Basis von L als Vektorraum uber F . Insbesondereist L eine endliche Erweiterung von F und [L :F ] = mn = [L :K][K :F ].

Lemma 5.2 Sei K eine endliche Erweiterung von F mit [K :F ] = 1. Dann istK = F .

Beweis Da 1 6= 0, ist das Element 1 linear unabhangig in K als Vektorraumuber F und damit ist (1) eine Basis von K als Vektorraum uber F . Folglich istK = LF (1) = F .

Sei K ein Zwischenkorper der endlichen Erweiterung L von F . Dann ist K eineendliche Erweiterung von F und nach Satz 5.1 ist [K :F ] ein Teiler von [L :F ].Nehme an, dass [L :F ] eine Primzahl ist; dann ist [K :F ] entweder [L :F ] oder 1.Ist [K :F ] = [L :F ], so ist K = L, da in diesem Fall K ein Untervektorraum vonL ist (als Vektorraume uber F ) mit dimK = dimL. Ist dagegen [K :F ] = 1, soist nach Lemma 5.2 K = F . Ist also L eine endliche Erweiterung von F mit [L :F ]einer Primzahl, so sind L und F die einzigen Zwischenkorper der Erweiterung.

Beispiele: (1) Sei K ein Unterkorper von C mit R ⊂ C. Dann ist entweder K = R

oder K = C, da [C : R] = 2.

(2) Sei K eine Korpererweiterung von Q mit K ⊂ Q(√

2) Dann ist entwederK = Q oder K = Q(

√2), da [Q(

√2) : Q] = 2.

Sei K eine Erweiterung von F und sei A eine Teilmenge von K. Dann bezeichnenwir mit F (A) den kleinsten Unterkorper von K, der die Menge F ∪ A enthalt.Also ist F (A) ein Zwischenkorper der Erweiterung K von F und sie heißt derdurch Adjunktion von A an F erhaltene Zwischenkorper.

Ist A = {a1, . . . , an}, so schreibt man meistens F (a1, . . . , an) statt F (A).

Lemma 5.3 Sei K eine endliche Erweiterung von F ; dann gibt es Elementea1, . . . , an ∈ K, so dass K = F (a1, . . . , an).

Beweis Dies ist klar: Es gilt K = F (a1, . . . , an) fur jede Basis (a1, . . . , an) von Kals Vektorraum uber F .

Wir untersuchen jetzt den Fall mit A = {a} fur ein a ∈ K. Es ist klar, dassF (a) = F (−a) fur jedes a ∈ K und F (a−1) = F (a) fur jedes a ∈ K×.

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5 Korpererweiterungen 51

Sei wieder Φa : F [x] → K der eindeutige Homomorphismus mit Φa(b) = b furalle b ∈ F und Φa(x) = a. Nun enthalt jeder Unterkorper von K, der F ∪ {a}enthalt, auch Bild Φa, und damit ist F (a) der kleinste Unterkorper von K, derBild Φa enthalt.

Das Element a heißt algebraisch uber F , wenn es ein Polynom f ∈ F [x] \ Fgibt, so dass Φa(f) = 0. (In dieser Definition kann man f ∈ F [x] \ F durchf ∈ F [x] \ {0} ersetzen, da Φb(a) = b 6= 0 fur alle b ∈ F×.) Setze Ua = Kern Φa;also ist Ua ein Ideal von F [x] und a ist algebraisch uber F genau dann, wennUa 6= {0}.Sei a algebraisch uber F . Nach Satz 3.6 gibt es dann das minimale Polynomma von a uber F (ma ist das eindeutige normierte Polynom in F [x] \ F mitKern Φa = (ma)).

Fur a ∈ K algebraisch uber F setze Grad a = Gradma; die Zahl Gradma heißtder Grad von a uber F . Es ist klar, dass Grad a ≥ 1 und Grad a = 1 gilt genaudann, wenn a ∈ F .

Satz 5.2 Ein Element a ∈ K ist algebraisch uber F genau dann, wenn F (a)eine endliche Erweiterung von F ist. Ist a algebraisch, so ist F (a) = Bild Φa.Ferner ist dann (1, a, . . . , aℓ−1) eine Basis von F (a) als Vektorraum uber F , wobeiGrad a = ℓ, und insbesondere ist [F (a) :F ] = Grad a.

Beweis Nehme zunachst an, dass F (a) eine endliche Erweiterung von F ist mitm = [F (a) :F ]. Dann sind die m + 1 Elemente 1, a, . . . , am aus F (a) linearabhangig im Vektorraum F (a) uber F , und folglich gibt es a0, . . . , am ∈ F mitak 6= 0 fur mindestens ein k, so dass a0 + · · · + ama

m = 0. Dann ist Φa(f) = 0,wobei f = a0 + a1x+ · · · + amx

m 6= 0. Damit ist a algebraisch uber F .

Nehme nun umgekehrt an, dass a algebraisch uber F ist und setze L = Bild Φa.Nach Satz 3.6 ist L ein Unterkorper von K, und F ∪ {a} ⊂ L, da Φa(F ) = Fund Φa(x) = a. Ist andererseits L′ ein Unterkoper von K mit F ∪ {a} ⊂ L′, soist L ⊂ L′, und folglich ist L = F (a).

Setze ℓ = Grad a = Gradma. Sei nun b ∈ L und sei f ∈ F [x] mit Φa(f) = b.Nach Satz 3.2 gibt es dann eindeutige Polynome t, r ∈ F [x] mit f = tma + rund entweder r = 0 oder Grad r < Gradma = ℓ; in beiden Fallen hat r eineDarstellung der Form r = b0 + b1x + · · · + bℓ−1x

ℓ−1 mit b0, b1, . . . , bℓ−1 ∈ F .Daraus ergibt sich, dass

b = Φa(f) = Φa(tma + r) = Φa(t)Φa(ma) + Φa(r) = Φa(t)0 + Φa(r) = Φa(r)

= b0 + b1a+ · · · + bℓ−1aℓ−1 ∈ LF (1, a, . . . , aℓ−1)

und dies zeigt, dass F (a) = L = LF (1, a, . . . , aℓ−1). Insbesondere ist F (a) eineendliche Erweiterung von F mit [F (a) :F ] = dim LF (1, a, . . . , aℓ−1) ≤ ℓ.

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5 Korpererweiterungen 52

Aber 1, a, . . . , aℓ−1 sind linear unabhangig uber F : Seien a0, . . . , aℓ−1 ∈ F mita0 +a1a+ · · ·+aℓ−1a

ℓ−1 = 0 und setze g = a0 +a1x+ · · ·+aℓ−1xℓ−1 ∈ F [x]. Dann

ist Φa(g) = 0 (d.h., g ∈ (ma)) und entweder g = 0 oder Grad g ≤ ℓ−1 < Gradma.Folglich ist g = 0, d.h., ak = 0 fur alle k. Damit ist (1, a, . . . , aℓ−1) eine Basis vonF (a) als Vektorraum uber F und dies zeigt, dass [F (a) :F ] = ℓ = Grad a.

Ist a ∈ K algebraisch uber F , so ist nach Satz 3.6 ma irreduzibel. Umgekehrt giltFolgendes:

Lemma 5.4 Sei f ∈ F [x] \ F irreduzibel und sei a ∈ K mit Φa(f) = 0. Dannist a algebraisch uber F und f = bma fur ein b ∈ F×. Insbesondere ist dannGrad a = Grad f .

Beweis Da Φa(f) = 0, ist f = gma fur ein g ∈ F [x] und g 6= 0, da f 6= 0. Fernerist Grad g = 1, sonst ware f reduzibel, und damit ist g = b fur ein b ∈ F×.

Beispiele: Wir wenden Lemma 5.4 auf die Beispiele am Ende vom Kapitel 4 an.

(1) Sei p eine Primzahl und sei n ≥ 1; dann ist das Polynom xn − p ∈ Q[x]irreduzibel und folglich ist nach Lemma 5.4 Grad n

√p = n.

(2) Das Polynom 8x3 − 6x− 1 ∈ Q[x] ist irrduzibel und 8α3 − 6α− 1 = 0, wobeiα = cosπ/9. Daraus folgt nach Lemma 5.4, dass Grad (cosπ/9) = 3.

(3) Sei p eine Primzahl; dann ist das Polynom 1 + x + · · · + xp−1 irreduzibel inQ[x]. Sei z ∈ C \ {1} mit zp = 1. Dann ist 1 + z + · · · + zp−1 = 0 und damit istnach Lemma 5.4 Grad z = p− 1.

Lemma 5.5 Seien a1, . . . , an ∈ K algebraisch uber F . Dann ist F (a1, . . . , an)eine endliche Erweiterung von F und

[F (a1, . . . , an) :F ] ≤n

j=1

[F (aj) :F ] =n

j=1

Grad aj .

Beweis Durch Induktion nach n. Der Fall n = 1 folgt unmittelbar aus Satz 5.2.Nehme also an, dass n ≥ 2 und F (a1, . . . , an−1) eine endliche Erweiterung vonF ist mit [F (a1, . . . , an−1) :F ] ≤ ∏n−1

j=1 [F (aj) :F ]. Setze L = F (a1, . . . , an−1) undb = an. Da b algebraisch uber F ist und F ⊂ L, ist b auch algebraisch uber L. Seiℓ = Grad b = [F (b) :F ] und m = [L(b) :L]. Nach Satz 5.2 ist (1, b, . . . , bℓ−1) eineBasis von F (b) als Vektorraum uber F und (1, b, . . . , bm−1) eine Basis von L(b)als Vektorraum uber L. Sind aber die Vektoren 1, b, . . . , bp linear unabhangigin L(b), so sind sie auch linear unabhangig in F (b), und daraus ergibt sich, dass

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5 Korpererweiterungen 53

m ≤ ℓ, d.h., [L(b) :L] ≤ [F (b) :F ]. Nach Satz 5.1 ist also L(b) eine endlicheErweiterung von F und

[L(b) :F ] = [L(b) :L][L :F ] = [L(b) :L][F (a1, . . . , an−1) :F ]

= [F (b) :F ]

n−1∏

j=1

[F (aj) :F ] =

n∏

j=1

[F (aj) :F ] .

Nun ist F ⊂ L(b) und aj ∈ L(b) fur jedes j und damit ist F (a1, . . . , an) ⊂ L(b).(In der Tat sieht man leicht, dass F (a1, . . . , an) = L(b).) Folglich ist F (a1, . . . , an)eine endliche Erweiterung von F und

[F (a1, . . . , an) :F ] ≤ [L(b) :F ] ≤n

j=1

[F (aj) :F ] .

Satz 5.3 Seien a, b ∈ K algebraisch uber F . Dann sind −a, a + b und ab auchalgebraisch uber F mit Grad (−a) = Grad a, Grad (a + b) ≤ (Grad a)(Grad b)und Grad (ab) ≤ (Grad a)(Grad b). Ist ferner a 6= 0, so ist a−1 algebraisch uberF mit Grad a−1 = Grad a. Insbesondere ist die Menge aller uber K algebraischenElemente von K ein Unterkorper von K.

Beweis Da F (−a) = F (a), ist −a algebraisch uber F und nach Satz 5.2 istGrad (−a) = [F (−a) :F ] = [F (a) :F ] = Grad a. Ist ferner a 6= 0, so ist genausoa−1 algebraisch uber F und Grad a−1 = Grad a.

Nach Lemma 5.5 ist F (a, b) eine endliche Erweiterung von F . Sei nun c ∈ F (a, b);dann ist F ⊂ F (c) ⊂ F (a, b) und daraus ergibt sich nach Satz 5.1 und Satz 5.2,dass c algebraisch uber F ist und

Grad c = [F (c) :F ] ≤ [F (a, b) :F ] ≤ (Grad a)(Grad b) ,

Aber a + b, ab ∈ F (a, b) und damit sind a + b und ab algebraisch uber F mitGrad (a+ b) ≤ (Grad a)(Grad b) und Grad (ab) ≤ (Grad a)(Grad b).

Die Erweiterung K von F heißt algebraisch, wenn jedes a ∈ K algebraisch uberF ist. Insbesondere ist nach Satz 5.1 und Satz 5.2 jede endliche Erweiterung vonF algebraisch.

Satz 5.4 Ist K eine algebraische Erweiterung von F und L eine algebraischeErweiterung von K, so ist L eine algebraische Erweiterung von F .

Beweis Sei a ∈ L; da a algebraisch uber K ist, gibt es f ∈ K[x] \ K, so dassΦa(f) = 0. Setze M = F (a0, . . . , am), wobei f = a0+a1x+ · · ·+ama

m; da aj ∈M

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5 Korpererweiterungen 54

fur jedes j, ist f ∈M [x] \M und damit ist a algebraisch uber M . Nach Satz 5.2ist dann M(a) eine endliche Erweiterung von M . Ferner ist nach Lemma 5.5 Meine endliche Erweiterung von F , da a0, . . . , am algebraisch uber F sind, Darausergibt sich nach Satz 5.1, dass M(a) eine endliche Erweiterung von F ist und daF ⊂ F (a) ⊂ M(a), ist auch F (a) eine endliche Erweiterung von F . Damit istnach Satz 5.2 a algebraisch uber F .

Ein Element a ∈ C heißt algebraische Zahl, wenn a algebraisch uber Q ist. NachSatz 5.3 ist die Menge aller algebraischen Zahlen ein Unterkorper von C, der derKorper der algebraischen Zahlen heißt. Dieser Unterkorper ist abzahlbar. (Q[x]ist abzahlbar und {a ∈ C : Φa(f) = 0} ist endlich fur jedes f ∈ Q[x] \ Q.)

Ein Element a ∈ C heißt transzendente Zahl, wenn a nicht algebraisch uber Q

ist. Die Menge der transzendenten Zahlen ist also uberabzahlbar. Insbesondereist e transzendent (Hermite (1873)) und ferner ist π transzendent (Lindemann(1882)).

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6 Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

In diesem Kapitel wird untersucht, welche Punkte man in R2 in endlich vielenSchritten unter ausschließlicher Verwendung von Zirkel und Lineal konstruierenkann. Genauer haben wir folgende Regeln:

(1) Die Punkte (0, 0) und (1, 0) in R2 sind konstruierte Punkte.

(2) Durch je zwei konstruierte Punkte kann man eine Gerade legen.

(3) Um jeden konstruierten Punkt kann man einen Kreis schlagen mit einemRadius, den man als Verbindungsstrecke zweier bereits konstruierter Punkteabgreift.

(4) Schnittpunkte von Geraden mit Geraden, Geraden mit Kreise, Kreise mitKreise, die nach (1), (2) und (3) konstruiert wurden, sind konstruierte Punkte.

Sei G die Menge aller Punkte aus R2, die in endlich vielen Schritten nach denRegeln (1), (2), (3) und (4) konstruierbar sind.

Eine Zahl a ∈ R heißt konstruierbar, wenn (a, 0) ∈ G. Es ist klar, dass (a, 0) ∈ G,wenn (a, b) ∈ G fur ein b ∈ R. Ferner ist (a, b) ∈ G genau dann, wenn (b, a) ∈ G,und (0, a) ∈ G, wenn (b, a) ∈ G fur ein b ∈ R. Also sind die folgenden Aussagenaquivalent fur a ∈ R:

— a ∈ R ist konstruierbar.

— (a, b) ∈ G fur ein b ∈ R.

— (b, a) ∈ G fur ein b ∈ R.

— (0, a) ∈ G.

Sei K die Menge der konstruierbaren reellen Zahlen.

Satz 6.1 K ist ein Unterkorper von R; ferner ist√a ∈ K fur jedes a ∈ K mit

a > 0.

Beweis

Sei L ein Unterkorper von R; eine Gerade ℓ wird ℓ-Gerade genannt, wenn esa1, b1, a2, b2 ∈ L mit (a1, b1) 6= (a2, b2) gibt, so dass ℓ die Gerade durch (a1, b1)und (a2, b2) ist. Ein Kreis mit Mittelpunkt (a, b) und Radius r wird L-Kreisgenannt, wenn a, b ∈ L und es a1, b1, a2, b2 ∈ L mit (a1, b1) 6= (a2, b2) gibt, sodass r2 = (a1 − a2)

2 + (b1 − b2)2.

Lemma 6.1 (1) Sei (a, b) ein Schnittpunkt zweier L-Geraden; dann sind a undb beide in L.

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6 Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 56

(2) Sei (a, b) ein Schnittpunkt von einem L-Kreis mit einem L-Kreis oder einerL-Geraden. Dann gibt es c0, c1, c2, d0, d1, d2 ∈ L mit c2 > 0, d2 > 0, so dassa = c0 + c1

√c2 und b = d0 + d1

√d2.

Beweis Ubung.

Satz 6.2 Eine Zahl a ∈ R ist konstruierbar genau dann, wenn es n ≥ 0 undUnterkorper Q = L0 ⊂ L1 ⊂ · · · ⊂ Ln ⊂ R mit a ∈ Ln gibt, so dass fur jedesm = 0, . . . , n− 1 gilt: Lm+1 = Lm(

√bm) fur ein bm ∈ Lm mit bm > 0.

Beweis Sei a ∈ R konstruierbar; dann gibt es eine Folge (c0, d0), . . . , (cq, dq) ausR2 mit a = cq, (c0, d0) = (0, 0), (c1, d1) = (1, 0) und so dass fur jedes j = 2, . . . , qgilt: (cj , dj) ist ein Schnittpunkt von zwei Objekten, die nach (2) und (3) aus denPunkten (c0, d0), . . . , (cj−1, dj−1) konstruiert wurden.

Nehme an, dass die Elemente c0, d0, . . . , cj−1, dj−1 alle in einem Unterkorper Lvon R liegen. Entsteht (cj , dj) als Schnittpunkt zweier Geraden, so liegen nachLemma 6.2 (1) cj und dj beide auch in L. Wenn aber (cj, dj) als Schnittpunktzweier Kreise oder als Schnittpunkt einer Gerade mit einem Kreis entsteht, danngibt es nach Lemma 6.2 (2) u0, u1, u2, v0, v1, v2 ∈ L mit u2 > 0 und v2 > 0, sodass cj = u0 + u1

√u2 und dj = v0 + v1

√v2. In diesem Fall ist cj ∈ L(

√u2) und

dj ∈ L(√v2) und damit auch dj ∈ L′(

√v2), wobei L′ = L(

√u2) (und v2 ∈ L′).

Folglich gibt es n ≥ 0 und Unterkorper Q = L0 ⊂ L1 ⊂ · · · ⊂ Ln ⊂ R mit a ∈ Ln,so dass fur jedes m = 0, . . . , n − 1 gilt: Lm+1 = Lm(

√bm) fur ein bm ∈ Lm mit

bm > 0.

Nehme nun umgekehrt an, dass es die Unterkorper Q = L0 ⊂ L1 ⊂ · · · ⊂ Ln ⊂ R

gibt und sei 0 ≤ m < n. Ist jedes Element in Lm konstruierbar, so ist nachSatz 6.1 auch jedes Element in Lm+1 konstruierbar, da jedes Element in Lm+1

von der Form u + v√bm mit u, v ∈ Lm ist. Daraus folgt durch Induktion, dass

jedes Element in Ln konstruierbar ist, und damit ist a konstruierbar.

Satz 6.3 Sei a ∈ R konstruierbar; dann ist a algebraisch uber Q und es giltGrad a = 2m fur ein m ≥ 0.

Beweis Sei L ein Unterkorper von R und b ∈ L mit b > 0. Ist√b ∈ L, so

ist L(√b ) = L und [L(

√b ) :L] = 1. Ist dagegen

√b /∈ L, so sieht man leicht,

dass {c + d√b : c, d ∈ L} ein Unterkorper von R ist; in diesem Fall ist also

L(√b ) = {c+ d

√b : c, d ∈ L} und [L(

√b ) :L] = 2.

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6 Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 57

Nun gibt es nach Satz 6.2 n ≥ 0 und Unterkorper Q = L0 ⊂ L1 ⊂ · · · ⊂ Ln ⊂ R

mit a ∈ Ln und Lm+1 = Lm(√bm) fur ein bm ∈ Lm mit bm > 0 fur jedes

m = 0, . . . , n−1. Nach Satz 5.1 ist also Ln eine endliche Erweiterung von Q und

[Ln : Q] =n−1∏

j=0

[Lj+1 :Lj ] =n−1∏

j=0

[Lj(√

bj) :Lj ] = 2q

fur ein q mit 0 ≤ q ≤ n. Aber Q ⊂ Q(a) ⊂ Ln und daraus folgt, dass Q(a)eine endliche Erweiterung von Q ist und [Q(a) : Q] = 2m fur ein m ≥ 0, da nachSatz 5.1 [Q(a) : Q] ein Teiler von [Ln : Q] ist. Nach Satz 5.2 ist also a algebraischuber Q und Grad a = [Q(a) : Q] = 2m fur ein m ≥ 0.

Beispiele: (1) Die Zahl 3√

2 ist nicht konstruierbar, da Grad 3√

2 = 3. (Man kannalso die Kantenlange eines Wurfels mit dem Volumen 2 nicht konstruieren.)

(2) Die Zahl π ist nicht konstruierbar, da π tranzendent ist. Damit ist√π auch

nicht konstruierbar. (Die “Quadratur des Kreises” ist also nicht moglich.)

(3) Die Zahl cosπ/9 ist nicht konstruierbar, da Grad cosπ/9 = 3. Damit ist derWinkel π/9 = 20o nicht konstruierbar.

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7 Zerfallungskorper

Im Folgenden sei F ein Korper.

Sei K eine Erweiterung von F und sei f ∈ F [x] \ F ; ein Element a ∈ K heißtNullstelle von f in K, wenn Φa(f) = 0. Ist Grad f = 1 und damit f = a0 + a1xmit a1 6= 0, so ist a = −a−1

1 a0 eine Nullstelle von f und in diesem Fall liegt dieNullstelle in F . Ist Grad f > 1, so ist es leicht moglich, dass f keine Nullstellein K hat (z.B., wenn f = 2 − x2 ∈ Q[x] mit K = Q oder f = 1 + x2 ∈ Q[x]mit K = R). Wir beschaftigen uns jetzt mit der Frage: Gegeben ein Polynomf ∈ F [x] \ F , gibt es eine Erweiterung K von F , so dass f eine Nullstelle in Khat?

Satz 7.1 Sei f ∈ F [x] \F irreduzibel; dann gibt es eine endliche Erweiterung Kvon F mit [K :F ] = Grad f , so dass f eine Nullstelle in K hat.

Beweis Sei (K, ) ein F [x]/(f)-Faktorring; folglich ist dann : F [x] → K ein(surjektiver) Homomorphismus mit Kern = (f) und nach Satz 2.3 (2) ist K einKorper, da nach Satz 2.5 (f) ein maximales Ideal von F [x] ist. Sei i : F → Kdie Einschrankung von auf F ⊂ F [x]; dann ist i ein Homomorphismus unddamit ist nach Lemma 2.5 i injektiv und F ′ = Bild i = (F ) ist ein Korper.Also ist F ′ ein Unterkorper von K, d.h., K ist eine Erweiterung von F ′. Nun isti : F → F ′ ein Isomorphismus, und folglich gibt es nach Satz 3.1 (2) und (3)einen eindeutigen Homomorphismus i∗ : F [x] → F ′[x] mit i∗(a) = i(a) fur allea ∈ F und i∗(x) = x, und i∗ ist ein Isomorphismus. In der Tat gilt

i∗(b0 + b1x+ · · ·+ bmxm) = i(b0) + i(b1)x+ · · ·+ i(bm)xm

fur jedes b0 + b1x+ · · · + bmxm ∈ F [x]. Sei b = (x); dann ist b ein Element von

K und fur jedes g = a0 + a1x+ · · · + anxn ∈ F [x] gilt

(g) = (a0 + a1x+ · · ·+ anxn)

= (a0) + (a1)(x) + · · · + (an)((x))n

= (a0) + (a1)b+ · · · + (an)bn = i(a0) + i(a1)b+ · · ·+ i(an)bn

= Φb(i∗(g)) ,

wobei Φb : F ′[x] → K der Einsetzhomomorphismus mit Φb(a′) = a′ fur alle

a′ ∈ F ′ und Φb(x) = b. Insbesondere ist K = Bild = Bild Φb und damit istK = F ′(b) (da F ′(b) der kleinste Unterkorper von K ist, der Bild Φb enthalt).Ferner ist i∗(f) irreduzibel (da f irreduzibel ist) und Φb(i

∗(f)) = ϕ(f) = 0.Folglich ist nach Lemma 5.4 b algebraisch uber F ′ mit Grad b = Grad i∗(f) unddaraus ergibt sich nach Satz 5.2, dass K = F ′(b) eine endliche Erweiterung vonF ′ ist mit

[K :F ′] = [F ′(b) :F ′] = Grad b = Grad i∗(f) .

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7 Zerfallungskorper 59

Außerdem hat i∗(f) die Nullstelle b in K, da Φb(i∗(f)) = 0.

Da i : F → F ′ ein Isomorphismus ist, konnen wir nun F mit F ′ identifizierenund dadurch kann K als endliche Erweiterung von F angesehen werden mit

[K :F ] = [K :F ′] = Grad i∗(f) = Grad f .

Unter dieser Identifizierung wird f mit dem Polynom i∗(f) ∈ F ′[x] identifiziert,und folglich hat f eine Nullstelle in K.

Satz 7.2 Sei f ∈ F [x] \F ; dann gibt es eine endliche Erweiterung K von F mit[K :F ] ≤ Grad f , so dass f eine Nullstelle in K hat.

Beweis Nach Satz 3.5 gibt es ein irreduzibles Polynom g ∈ F [x]\F und h ∈ F [x],so dass f = gh. Nach Satz 7.1 gibt es dann eine endliche Erweiterung K von Fmit [K :F ] = Grad g ≤ Grad f , so dass g eine Nullstelle a in K hat. Aber a istauch eine Nullstelle von f , da Φa(f) = Φa(gh) = Φa(g)Φa(h) = 0 Φa(h) = 0.

Sei f ∈ F [x] \ F und sei a eine Nullstelle von f in einer Erweiterung K vonF . Wir konnen F [x] als Unterring von K[x] betrachten und folglich gibt es nachSatz 3.4 ein g ∈ K[x] \ {0} mit Grad g = (Grad f) − 1, so dass f = (x− a)g.

Sei K eine Erweiterung von F und sei f ∈ F [x] \ F . Nehme an, dass es c ∈ Fund a1, . . . , an ∈ K gibt, so dass f = c(x − a1)(x − a2) · · · (x − an) (in K[x]).Dann gilt:

(1) n = Grad f .

(2) Jedes aj ist eine Nullstelle von f .

(3) Ist a ∈ K eine Nullstelle von f , so ist a = aj fur ein j, da

Φa(f) = cΦa(x− a1) · · ·Φa(x− an) = c(a− a1) · · · (a− an) .

Die Erweiterung K von F heißt Zerfallungskorper von f ∈ F [x] \ F , wenn esc ∈ F und a1, . . . , an ∈ K gibt, so dass f = c(x − a1)(x − a2) · · · (x − an) (inK[x]) und K = F (a1, . . . , an). Nach Lemma 5.5 ist ein Zerfallungskorper K eineendliche Erweiterung von F , da Φaj

(f) = 0 und damit ist aj algebraisch uber Ffur jedes j.

Satz 7.3 Sei f ∈ F [x] \ F . Dann gibt es einen Zerfallungskorper K von f mit[K :F ] ≤ n!, wobei n = Grad f .

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7 Zerfallungskorper 60

Beweis Nach Satz 7.2 hat f eine Nullstelle a1 in einer endlichen Erweiterung K1

von F mit [K1 :F ] ≤ n, und nach Satz 3.4 gibt es dann ein f1 ∈ K1[x] \ {0} mitGrad f1 = (Grad f) − 1 = n − 1, so dass f = (x − a1)f1. Wenn n > 1, dannist f1 ∈ K1[x] \ K1 und folglich hat nach Satz 7.2 f1 eine Nullstelle a2 in einerendlichen Erweiterung K2 von K1 mit [K2 :K1] ≤ Grad f1 = n − 1, und nachSatz 3.4 gibt es dann ein f2 ∈ K1[x] \ {0} mit Grad f2 = (Grad f1) − 1 = n − 2,so dass f1 = (x− a2)f2.

Mit diesem Verfahren konstruieren wir Erweiterungen F = K0 ⊂ K1 ⊂ · · · ⊂ Kn

und Polynome fj ∈ Kj[x], j = 0, . . . , n, (mit f0 = f), so dass gilt:

(1) [Kj+1 :Kj] ≤ n− j fur j = 0, . . . , n− 1.

(2) Grad fj = n− j fur j = 0, . . . , n.

(3) Fur j = 1, . . . , n gibt es ein aj ∈ Kj, so dass fj−1 = (x− aj)fj.

Folglich gilt (in Kn[x])

f = (x− a1)f1 = (x− a1)(x− a2)f2 = · · · = (x− a1)(x− a2) · · · (x− an)fn .

Aber fn ∈ K×n und damit ist fn der Leitkoeffizient c von f . Insbesondere ist c ∈ F

und f = c(x − a1)(x− a2) · · · (x − an). Setze K = F (a1, . . . , an); dann gilt auchf = c(x − a1)(x − a2) · · · (x − an) in K und damit ist K ein Zerfallungskorpervon f . Ferner ist nach Satz 5.1 K eine endliche Erweiterung von F mit

[K :F ] ≤ [Kn :F ] =n

j=1

[Kj :Kj−1] ≤ n! .

Lemma 7.1 Sei K ein Zerfallungskorper von f ∈ F [x] \F und L ein Zwischen-korper mit F ⊂ L ⊂ K. Dann ist K auch ein Zerfallungskorper von f , wenn fals Element von L[x] angesehen wird.

Beweis Es gibt a1, . . . , an ∈ K und c ∈ F× mit f = c(x − a1) · · · (x − an) undK = F (a1, . . . , an). Aber dann ist c ∈ L× und K = L(a1, . . . , an) und damit istK ein Zerfallungskorper von f als Element von L[x].

Wie untersuchen jetzt, inwieweit ein Zerfallungskorper eines Polynoms eindeutigist. Im Folgenden seien F1, F2 Korper, die isomorph sind, d.h., es gibt einenIsomorphismus ϕ : F1 → F2. Nach Satz 3.1 (2) und (3) gibt es dann eineneindeutigen Homomorphismus ϕ∗ : F1[x] → F2[x] mit ϕ∗(a) = ϕ(a) fur allea ∈ F1 und ϕ∗(x) = x, und ϕ∗ ist ein Isomorphismus mit (ϕ∗)−1 = (ϕ−1)∗. Esist klar, dass ϕ∗(f) ∈ F2[x] \ F2 genau dann, wenn f ∈ F1[x] \ F1, und ferner istf ∈ F1[x] \ F1 irreduzibel genau dann, wenn ϕ∗(f) irreduzibel ist.

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7 Zerfallungskorper 61

Satz 7.4 Sei f1 ∈ F1[x] \ F1 irreduzibel und sei a1 eine Nullstelle von f1, die ineiner Erweiterung K1 von F1 liegt; sei ferner a2 eine Nullstelle von f2 = ϕ∗(f1),die in einer Erweiterung K2 von F2 liegt. Dann gibt es einen Isomorphismusτ : F1(a1) → F2(a2), so dass τ(b) = ϕ(b) fur alle b ∈ F1 und τ(a1) = a2.

Beweis Nach Satz 5.2 gilt F1(a1) = Bild Φa1und F2(a2) = Bild Φa2

. Ferner istnach Lemma 5.4 Kern Φa1

= (f1) und Kern Φa2= (f2), da f2 auch irreduzibel

ist, und folglich ist Kern Φa1= Kern (Φa2

◦ ϕ∗), da f2 = ϕ∗(f1). Aber nachSatz 2.7 ist (Bild Φa1

,Φa1) ein F1[x]/(Kern Φa1

)-Faktorring und daher gibt eseinen eindeutigen Homomorphismus τ : F1(a1) → F2(a2) mit τ ◦ Φa1

= Φa2◦ ϕ∗.

Fur b ∈ F1 ist Φa1(b) = b und damit ist

τ(b) = τ(Φa1(b)) = Φa2

(ϕ∗(b)) = Φa2(ϕ(b)) = ϕ(b)

fur jedes b ∈ F1, und τ(a1) = τ(Φa1(x)) = Φa2

(ϕ∗(x)) = Φa2(x) = a2. Nun ist

τ ein Isomorphismus: Da ϕ ein Isomorphismus ist, konnen wir die Rollen von f1

und f2 vertauschen und erhalten einen Homomorphismus τ ′ : F2(a2) → F1(a1)mit τ ′(b) = ϕ−1(b) fur jedes b ∈ F2 und τ(a2) = a1. Dann ist (τ ′ ◦ τ)(b) = b furalle b ∈ F1 und (τ ′ ◦ τ)(a1) = a1 und folglich ist τ ′ ◦ τ = idF1(a1). Genauso giltauch τ ◦ τ ′ = idF2(a2).

Satz 7.5 Sei f1 ∈ F1[x] \ F1 und sei K1 bzw. K2 ein Zerfallungskorper von f1

bzw. von f2 = ϕ∗(f1). Dann gibt es einen Isomorphismus σ : K1 → K2 mitσ(a) = ϕ(a) fur alle a ∈ F1.

Beweis Es gibt d1, . . . , dn ∈ K1 und c ∈ F1, so dass f1 = c(x − d1) · · · (x − dn)(in K1[x]) und K1 = F1(d1, . . . , dn). Setze m = [K1 :F1].

Nehme zunachst an, dass m = 1. Dann ist K1 = F1 und damit sind d1, . . . , dn

Elemente aus F1. Ferner ist

f2 = ϕ∗(f1) = ϕ∗(c(x− d1) · · · (x− dn)) = ϕ(c)(x− ϕ(d1)) · · · (x− ϕ(dn))

und daraus ergibt sich, dass K2 = F2, da ϕ(d1), . . . , ϕ(dn) ∈ F2. In diesem Fallist also der Satz trivial richtig (mit σ = ϕ).

Nehme nun an, dass m > 1; nach Satz 3.5 gibt es dann ein irreduzibles Polynomg1 ∈ F1[x] \ F1 mit Grad g1 ≥ 2 und h1 ∈ F1[x], so dass f1 = g1h1. (Warumgibt es ein solches Polynom g1 mit Grad g1 ≥ 2?) Nach Lemma 3.4 gibt es eineNullstelle a1 von g1 in K1 und genauso gibt es eine Nullstelle a2 von g2 = ϕ∗(g1)in K2, da f2 = g2ϕ

∗(h1) und g2 irreduzibel ist. Nach Satz 7.4 gibt es dann einenIsomorphismus τ : F1(a1) → F2(a2) mit τ(b) = ϕ(b) fur alle b ∈ F1. Ferner istnach Lemma 5.4 und Satz 5.4 [F1(a1) :F1] = Grad a1 = Grad g1 ≥ 2.

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7 Zerfallungskorper 62

Setze F 11 = F1(a1), F

12 = F2(a2) und ϕ1 = τ . Es gibt also einen Isomorphismus

ϕ1 : F 11 → F 1

2 und f1 kann als Element von F 11 [x] angesehen werden. Ferner gilt

f2 = ϕ∗1(f1) ∈ F 1

2 [x], da τ(b) = ϕ(b) fur alle b ∈ F1, und nach Lemma 7.1 ist K1

bzw. K2 ein Zerfallungskorper von f1 ∈ F 11 [x] bzw. von f2 ∈ F 1

2 [x].

Durch wiederholte Anwendung dieses Verfahrens erhalten wir Korper

Fi = F 0i ⊂ F 1

i ⊂ · · · ⊂ F ℓi ⊂ Ki ,

i = 1, 2 und Isomorphismen ϕj : F j1 → F j

2 , j = 1, . . . , ℓ, so dass ϕj(b) = ϕj−1(b)fur alle b ∈ F j−1

1 , j = 1, . . . , ℓ− 1, wobei ϕ0 = ϕ. Ferner gilt [F j1 :F j−1

1 ] ≥ 2 furjedes j = 1, . . . , ℓ.

Nun konnen F ℓ+11 , F ℓ+1

2 und ϕℓ+1 konstruiert werden, solange F ℓ1 6= K1. Aber

nach Satz 5.1 ist [F ℓ1 :F1] =

∏ℓ

j=1[Fj1 :F j−1

1 ] ≥ 2ℓ. Folglich gibt es ein ℓ ≥ 1, so

dass F ℓ1 = K1, und dann ist F ℓ

2 = K2. (Dies ist nichts anderes als der Fall m = 1am Anfang des Beweises.) Setze σ = ϕℓ; dann ist σ : K1 → K2 ein Isomorphismusund σ(b) = ϕ(b) fur jedes b ∈ F1.

Sei f ∈ F [x]\F und seien K1 und K2 zwei Zerfallungskorper von f . Nach Satz 7.5(mit F1 = F2 = F und ϕ = idF ) gibt es dann einen Isomorphismus σ : K1 → K2

mit σ(a) = a fur alle a ∈ F . Insbesondere ist [K1 :F ] = [K2 :F ]. Ferner ist nachSatz 3.1 (3) der Homomorphismus σ∗ : K1[x] → K2[x] ein Isomorphismus undman sieht leicht, dass σ∗(f) = f fur alle f ∈ F [x].

Ein Zerfallungskorper ist damit bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt; man redetdaher manchmal von dem (anstatt von einem) Zerfallungskorper.

Ist K ein Zerfallungskorper von f ∈ F [x] \ F , so ist nach Satz 7.3 [K :F ] ≤ n!,wobei n = Grad f . Diese Gradabschatzung kann im Allgemeinen nicht verbessertwerden: Zu jedem n ≥ 1 gibt es einen Korper F und ein Polynom f ∈ F [x] \ Fmit Grad f = n, so dass [K :F ] = n! gilt fur jeden Zerfallungskorper K von f .

Sei F ein Unterkorper von C (z.B. F = Q oder F = R) und sei f ∈ F [x] \ F . Indiesem Fall gibt es einen Zerfallungskorper K von f , der ein Unterkorper von C

ist. (Nach dem Fundamentalsatz der Algebra gibt es a1, . . . , an ∈ C und c ∈ F×,so dass f = c(x − a1) · · · (x − an) in C[x] und dann ist K = F (a1, . . . , an) ⊂ C

ein Zerfallungskorper von f .)

Sei K ein Zerfallungskorper von f ∈ F [x] \ F ; dann gibt es a1, . . . , an ∈ K undc ∈ F×, so dass f = c(x − a1) · · · (x − an) in K[x], und diese Darstellung von fin K[x] als Produkt von linearen Faktoren ist eindeutig: Gibt es b1, . . . , bm ∈ Kund d ∈ F×, so dass f = d(x− b1) · · · (x− bm), dann ist m = n = Grad f , c = dund es gibt eine Permutation π ∈ Sn, so dass bj = π(aj) fur j = 1, . . . , n. (DerBeweis dafur ist eine Ubung.)

Sei f ∈ F [x] \ F und seien wieder K1 und K2 zwei Zerfallungskorper von f . Esgibt also einen Isomorphismus σ : K1 → K2 mit σ(a) = a fur alle a ∈ F . Seien

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7 Zerfallungskorper 63

a1, . . . , aℓ ∈ K1 die verschiedenen Nullstellen von f in K1, d.h., ai 6= aj , fallsi 6= j und es gibt mi ≥ 1, i = 1, . . . , ℓ, so dass f = c(x − a1)

m1 · · · (x− aℓ)mℓ in

K1[x]. Hier heißt mi die Vielfachheit der Nullstelle ai; im Fall mi = 1 heißt ai

einfache Nullstelle, sonst mehrfache Nullstelle. Nun gilt in K2[x]

f = σ∗(f) = σ∗(c(x− a1)m1 · · · (x− aℓ)

mℓ) = c(x− σ(a1))m1 · · · (x− σ(aℓ))

mℓ)

und daraus folgt, dass σ(a1), . . . , σ(aℓ) die verschiedenen Nullstellen von f in K2

sind; indbesondere hat f auch ℓ verschiedene Nullstellen inK2. Ferner entsprechendie Vielfachheiten der verschiedenen Nullstellen von f in K2 den Vielfachheitender verschiedenen Nullstellen von f in K1. Es gilt m1 + · · · +mℓ = Grad f .

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8 Endliche Korper

Sei F ein Korper mit charF = 0; dann ist der Primkorper P(F ) isomorph zu Q.Insbesondere ist P(F ) und damit auch F unendlich.

Sei nun F ein endlicher Korper; dann ist charF 6= 0 und folglich ist charF = pfur eine Primzahl p und P(F ) ist isomorph zu Fp. Wir konnen also F als endlicheErweiterung von Fp ansehen, und dann ist |F | = pm, wobei m = [F : Fp], da F(als Vektorraum uber Fp) isomorph zu Fm

p ist.

Im Folgenden sei p eine Primzahl und m ≥ 1; wir zeigen in diesem Kapitel, dasses (bis auf Isomorphie) genau einen Korper mit pm Elementen gibt.

Lemma 8.1 Das Polynom xpm − x ∈ Fp[x] hat nur einfache Nullstellen (in ir-gendeiner Erweiterung von Fp).

Beweis Setze f = xpm − x; dann ist f ′ = pmxpm−1 − 1 = pmxpm−1 − 1 = −1, dap = 0 in Fp. Also sind f und f ′ teilerfremd, und daraus folgt nach Satz 7.6, dassf nur einfache Nullstellen hat.

Satz 8.1 Sei F ein Zerfallungskorper von xpm−x ∈ Fp[x]; dann ist F ein Korpermit pm Elementen.

Beweis Sei L = {a ∈ F : apm

= a}; d.h., L ist die Menge der Nullstellen vonxpm −x in F . Da Grad (xpm −x) = pm, ist nach Lemma 8.1 |L| = pm. Wir zeigen,dass L ein Unterkorper von F ist: Es ist klar, dass 0 und 1 in L liegen. Seiena, b ∈ L; dann ist (ab)pm

= apm

bpm

= ab und daher ist ab ∈ L, und

(a+ b)pm

=

pm

k=1

(

pm

k

)

apm−kbk = apm

+ bpm

= a+ b ,

da(

pm

k

)

ein Vielfaches von p ist fur k = 1, . . . , pm − 1, d.h., a + b ∈ L. Da

1 + (−1)pm

= 1pm

+ (−1)pm

= (1 − 1)pm

= 0 ,

ist ferner (−a)pm

= (−1)pm

apm

= (−1)a = −a fur jedes a ∈ L, und fur jedesa ∈ L \ {0} gilt (a−1)pm

= (apm

)−1 = a−1. Folglich ist L ein Unterkorper von F ,in dem schon die Nullstellen von xpm−x liegen, und damit ist L = F . Insbesondereist |F | = pm.

Satz 8.2 Sei F eine endliche Erweiterung von Fp mit [F : Fp] = m. Dann ist Fein Zerfallungskorper von xpm − x ∈ Fp[x].

64

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8 Endliche Korper 65

Beweis Die Gruppe (F×, ·, 1) hat die Ordnung pm − 1 und daraus folgt nachSatz 1.3, dass apm−1 = 1 fur alle a ∈ F×. Damit ist apm

= a fur alle a ∈ F× unddaher gilt apm

= a fur alle a ∈ F , d.h., jedes Element von F ist eine Nullstelledes Polynoms xpm − x ∈ Fp[x]. Seien a1, . . . , apm die Elemente von F ; dann giltxpm−x = (x−a1) · · · (x−apm) in F [x]. (Betrachte xpm−x als Element von F [x] undsei K ein Zerfallungskorper von xpm −x ∈ F [x]; nach Lemma 8.1 gibt es dann pm

verschiedene Elemente b1, . . . , bpm aus K, so dass xpm −x = (x− b1) · · · (x− bpm)in K[x]. Aber jedes aj ist eine Nullstelle von xpm −x ∈ F [x] fur jedes j und dahergibt es eine Permutation π ∈ Spm , so dass aj = bπ(j) fur j = 1, . . . , pm.) Fernerist es klar, dass F = Fp(a1, . . . , apm) und also ist F ein Zerfallungskorper vonxpm − x ∈ Fp[x].

Nach Satz 8.1 und Satz 8.2 ist F eine Erweiterung von Fp mit pm Elementengenau dann, wenn F ein Zerfallungskorper von xpm −x ∈ Fp[x] ist. Nach Satz 7.3gibt es also eine Erweiterung von Fp mit pm Elementen und sind F1 und F2

Erweiterungen von Fp mit |F1| = |F2| = pm, so gibt es nach Satz 7.5 einenIsomorphismus σ : F1 → F2 mit σ(a) = a fur jedes a ∈ Fp. Ein (oder der)Zerfallungskorper des Polynoms xpm − x ∈ Fp[x] wird mit GF(pm) bezeichnet(Galois-Feld).

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9 Normale und separable Erweiterungen

Im Folgenden sei F ein Korper.

Eine endliche Erweiterung K von F heißt normal, wenn jedes irreduzible Polynomf ∈ F [x]\F , das eine Nullstelle in K hat, uber K ganz in Linearfaktoren zerfallt:Es gibt also c ∈ F und a1, . . . , an ∈ K, so dass f = c(x−a1) · · · (x−an) in K[x].

Satz 9.1 Die Erweiterung K ist normal genau dann, wenn es f ∈ F [x] \F gibt,so dass K ein Zerfallungskorper von f ist.

Beweis Nehme zunachst an, dass K eine normale Erweiterung von F ist. Sei(a1, . . . , am) eine Basis von K als Vektorraum uber F . Fur jedes i ist das minimalePolynom mai

von ai irreduzibel und ai ist eine Nullstelle von mai; also zerfallt

maiuber K ganz in Linearfaktoren. Setze f = ma1

· · ·mam; dann ist f ∈ F [x] \F

und es gilt f = (x − a1) · · · (x − am)(x − b1) · · · (x − bn), wobei b1, . . . , bn dierestlichen Nullstellen der Polynome mai

, i = 1, . . . , m sind. Ferner ist

K = F (a1, . . . , am) ⊂ F (a1, . . . , am, b1, . . . , bn) ⊂ K ,

d.h., F (a1, . . . , am, b1, . . . , bn) = K. Damit ist K ein Zerfallungskorper von f .

Nehme umgekehrt an, dass K ein Zerfallungskorper von f ∈ F [x] \ F ist undsei g ∈ F [x] \ F ein irreduzibles Polynom, das eine Nullstelle a in K hat. SeiL ein Zerfallungskorper von g als Element von K[x] und sei b eine Nullstellevon g in L. Nach Satz 7.4 gibt es einen Isomorphismus τ : F (a) → F (b) mitτ(a) = b und τ(c) = c fur alle c ∈ F . Aber nach Lemma 7.1 ist K auch einZerfallungskorper von f als Element von F (a), (da F ⊂ F (a) ⊂ K) und K(b) istein Zerfallungskorper von f als Element von F (b). (Es gibt a1, . . . , am ∈ K undc ∈ F , so dass f = c(x − a1) · · · (x − cm) in K[x] und K = F (a1, . . . , am); danngilt auch f = c(x − a1) · · · (x − cm) in K(b)[x] und K(b) = (F (b))(a1, . . . , am).)Ferner ist τ ∗(f) = f , (da f ∈ F [x] und τ(c) = c fur alle c ∈ F ), und darausfolgt nach Satz 7.5, dass es einen Isomorphismus σ : K → K(b) mit σ(c) = τ(c)fur alle c ∈ F (a) gibt. Betrachte nun K und K(b) als Vektorraume uber F .Da σ(c) = c fur alle c ∈ F , ist σ : K → K(b) eine lineare Abbildung, d.h.,σ ist ein Isomorphismus zwischen den Vektorraumen K und K(b). Folglich gilt[K :F ] = [K(b) :F ] und damit ist K = K(b), (da K ⊂ K(b)); d.h., b ∈ K. Dieszeigt, dass alle Nullstellen von g in K liegen.

Lemma 9.1 Sei L ein Zwischenkorper einer normalen Erweiterung K von F .Dann ist K auch eine normale Erweiterung von L.

Beweis Dies folgt unmittelbar aus Satz 9.1 und Lemma 7.1.

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9 Normale und separable Erweiterungen 67

Satz 9.2 Sei K eine endliche Erweiterung von F . Dann gibt es eine endlicheErweiterung L von K, so dass L eine normale Erweiterung von F ist.

Beweis Nach Lemma 5.3 gibt es a1, . . . , an ∈ K, so dass K = F (a1, . . . , an).Fur j = 1, . . . , n sei maj

∈ F [x] \ F das minimale Polynom von aj und setzef = ma1

· · ·man∈ F [x]. Sei L ein Zerfallungskorper von f als Element von K[x];

also ist L eine endliche Erweiterung von K. Seien b1, . . . , bℓ die Nullstellen vonf in L; da aj ∈ {b1, . . . , bℓ} fur jedes j, ist

L = K(b1, . . . , bℓ) = (F (a1, . . . , an))(b1, . . . , bℓ) = F (b1, . . . , bℓ) ,

und damit ist L ein Zerfallungskorper von f als Element von F [x]. Daraus folgtnach Satz 9.1, dass L eine normale Erweiterung von F ist.

Ist f ∈ F [x] \ F und ist a eine Nullstelle von f in einer Erweiterung L von F , sogibt es nach Satz 3.4 ein g ∈ L[x]\L, so dass f = (x−a)g in L[x]. Man sagt, dassa eine mehrfache Nullstelle ist, wenn es h ∈ L[x] \ L gibt, so dass f = (x− a)2hin L[x]. Eine Nullstelle, die keine mehrfache Nullstelle ist, heißt einfach.

Dieses stimmt mit der Definition von mehrfachen und einfachen Nullstellen ineinem Zerfallungskorper uberein.

Sei f ∈ F [x]; dann heißt u ∈ F [x]\F Teiler von f , wenn f = uv fur ein v ∈ F [x].Isbesondere ist jedes u ∈ F [x] \ F stets ein Teiler von 0.

Sind f, g ∈ F [x], so heißt u ∈ F [x] \ F gemeinsamer Teiler von f und g, wennu ein Teiler von f und auch ein Teiler von g ist. Die Polynome f und g heißenteilerfremd, wenn es keinen gemeinsamen Teiler von f und g gibt.

Man beachte: Ist f = g = 0, so ist jedes u ∈ F [x] \F ein gemeinsamer Teiler vonf und g.

Lemma 9.2 Polynome f, g sind teilerfremd genau dann, wenn es s, t ∈ F [x]mit sf + tg = 1 gibt.

Beweis Die Aussage ist trivial richtig, wenn f = g = 0; nehme also an, dass diesnicht der Fall ist.

Sei u ∈ F [x] \ F ein gemeinsamer Teiler von f und g und seien t, s ∈ F [x]; danngilt sf+tg = vu fur ein v ∈ F [x] und damit ist sf+tg 6= 1. Nehme umgekehrt an,dass sf+tg 6= 1 fur alle s, t ∈ F [x]. Dann ist U = {sf+tg : s, t ∈ F [x]} ein Idealvon F [x] und U 6= {0}, da f, g ∈ U . Nach Satz 3.3 gibt es also ein eindeutigesnormiertes h ∈ F [x] \F , so dass U = (h). Dann ist h ein gemeinsamer Teiler vonf und g, da f, g ∈ U = (h) und damit sind f und g nicht teilerfremd.

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9 Normale und separable Erweiterungen 68

Lemma 9.3 Sei K eine Erweiterung von F . Dann sind Polynome f, g ∈ F [x]teilerfremd als Elemente von K[x] genau, wenn sie teilerfremd als Elemente vonF [x] sind.

Beweis Sei u ∈ F [x] \ F ein gemeinsamer Teiler von f und g in F [x]; dann istu auch ein gemeinsamer Teiler von f und g in K[x]. Nehme umgekehrt an, dassf und g teilerfremd in F [x] sind; nach Lemma 9.2 gibt es also s, t ∈ F [x] mitsf + tg = 1. Aber dann gilt auch sf + tg = 1 in K[x], und folglich sind nachLemma 9.2 f und g teilerfremd in K[x].

Fur f = a0 + a1x+ · · · + anxn ∈ F [x] definiere f ′ ∈ F [x] durch

f ′ = a1 + 2a2x+ · · · + nanxn−1 ,

wobei k = 1 + · · ·+ 1 (mit k Summanden). Das Polynom f ′ heißt Ableitung vonf . Ist f ∈ F [x] \ F und charF = 0, so ist f ′ 6= 0 und Grad f ′ = (Grad f) − 1.

Lemma 9.4 Seien f, g ∈ F [x]; dann gilt:

(1) (af + bg)′ = af ′ + bg′ fur alle a, b ∈ F .

(2) (fg)′ = fg′ + f ′g.

Beweis Ubung.

Lemma 9.5 (1) Ist charF = 0, so ist f ′ = 0 genau dann, wenn f ∈ F .

(2) Ist charF = p > 0, so ist f ′ = 0 genau dann, wenn f(x) = g(xp) fur eineg ∈ F [x] (d.h., f = a0 + a1x

p + · · ·+ anxnp, falls g = a0 + a1x+ · · ·+ anx

n).

Beweis Sei f = b0 + b1x+ · · ·+ bmxm; dann gilt f ′ = 0 genau, wenn kbk = 0 fur

jedes k = 1, . . . , m. Sei 1 ≤ m ≤ m; ist charF = 0, so ist kbk = 0 genau dann,wenn bk = 0. Ist dagegen charF = p > 0, so ist kbk = 0 genau dann, wenn bk = 0oder k ein Vielfaches von p ist.

Satz 9.3 Sei f ∈ F [x] \ F ; dann gibt es eine Erweiterung von F , in der f einemehrfache Nullstelle hat, genau, wenn f und f ′ nicht teilerfremd sind.

Beweis Nehme an, dass f eine mehrfache Nullstelle a in einer Erweiterung Kvon F hat. Dann gibt es h ∈ K[x], so dass f = (x − a)2h in K[x], und nachLemma 9.4 (2) ist dann

f ′(x− a)2h′ + 2(x− a)h = ((x− a)h′ + 2h)

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9 Normale und separable Erweiterungen 69

in K[x]. Folglich ist (x− a) ein gemeinsamer Teiler von f und f ′ in K[x], d.h., fund f ′ sind nicht teilerfremd in K[x]. Daraus ergibt sich nach Lemma 9.3, dassf und f ′ auch nicht teilerfremd in F [x] sind.

Nehme nun umgekehrt an, dass es einen gemeinsamen Teiler u ∈ F [x] \ F von fund f ′ gibt. Sei K eine Erweiterung von F , in der u eine Nullstelle a hat. Dann ista auch eine Nullstelle von f und von f ′; nach Satz 3.4 gibt es also g, v ∈ K[x]\{0},so dass f = (x − a)g und f ′ = (x − a)v in K[x] gilt. Nach Lemma 9.4 (2) istaber f ′ = (x− a)g′ + g und damit ist g = f ′ − (x− a)g′ = (x− a)(v − g′), d.h.,f = (x− a)2(v − g′). Folglich ist a eine mehrfache Nullstelle von f .

Satz 9.4 Sei f ∈ F [x] \ F irreduzibel.

(1) Ist charF = 0, so ist jede Nullstelle von f (in irgendeiner Erweiterung vonF ) einfach.

(2) Ist charF = p > 0 und hat f eine mehrfache Nullstelle (in irgendeinerErweiterung von F ), so ist f(x) = g(xp) fur ein g ∈ F [x].

Beweis Nehme an, dass f eine mehrfache Nullstelle hat. Nach Satz 9.4 sind dannf und f ′ nicht teilerfremd und daraus folgt, dass f ein Teiler von f ′ ist, da firreduzibel ist; d.h., f ′ ∈ (f). Aber entweder ist f ′ = 0 oder Grad f ′ < Grad f ,und folglich ist f ′ = 0. Ist charF = p > 0, so ist dann nach Lemma 9.5 (2)f(x) = g(xp) fur ein g ∈ F [x]. Ist dagegen charF = 0, so ist nach Lemma 9.5 (1)f ∈ F , und dies ist nicht moglich, da f ∈ F [x] \F . Damit hat f keine mehrfacheNullstelle, wenn charF = 0.

Bemerkung: Zu jeder Primzahl p gibt es einen Korper F mit charF = p und einirreduzibles Polynom f ∈ F [x] \ F , so dass f eine mehrfache Nullstelle hat.

Eine endliche Erweiterung K von F heißt separabel, wenn fur jedes a ∈ K dasminimale Polynom ma ∈ F [x] nur einfache Nullstellen hat.

Ist charF = 0, so ist nach Satz 9.4 (1) jede endliche Erweiterung von F separabel.

Lemma 9.6 Sei K eine separable Erweiterung von F . Dann ist K auch eineseparable Erweiterung von jedem Zwischenkorper L der Erweiterung.

Beweis Sei a ∈ K und sei ma bzw. m′a das minimale Polynom von a in F [x]

bzw. in L[x]. Da ma ∈ {g ∈ L[x] : Φa(g) = 0} = (m′a), gibt es ein f ∈ L[x], so

dass ma = fm′a in L[x]. Also kann m′

a nur einfache Nullstellen haben, da ma nureinfache Nullstellen hat. Folglich ist K eine separable Erweiterung von L.

Das folgende Ergebnis heißt Satz vom primitiven Element.

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9 Normale und separable Erweiterungen 70

Satz 9.5 Jede separable Erweiterung K von F ist einfach: Es gibt ein a ∈ K, sodass K = F (a). Insbesondere ist jede endliche Erweiterung von F einfach, wenncharF = 0.

Beweis Im Beweis braucht man folgendes Lemma:

Lemma 9.7 Sei F unendlich und K eine Erweiterung von F . Seien a, b ∈ Kalgebraisch uber F und nehme an, dass das minimale Polynom von b nur einfacheNullstellen hat. Dann gibt es ein c ∈ F (a, b), so dass F (c) = F (a, b).

Beweis Sei L′ ein Zerfallungskorper von ma als Element von K[x] und L einZerfallungskorper von mb als Element von L′[x]. Dann ist L eine Erweiterungvon K und es gibt a1, . . . , am b1, . . . , bn ∈ L, so dass ma = (x− a1) · · · (x− am)und mb = (x− b1) · · · (x− bn) in L[x]. Da a eine Nullstelle von ma ist, ist a = ai

fur ein i, und ohne Beschrankung der Allgemeinheit konnen wir annehmen, dassa = a1. Genauso konnen wir annehmen, dass b = b1, und nach Voraussetzung istbi 6= bj , falls i 6= j. Wahle ein Element d ∈ F , so dass a+d(b− bi) /∈ {a1, . . . , am}fur i = 2, . . . , n. (Dies ist moglich, da F unendlich ist.) Setze c = a + db undF ′ = F (c) und definiere h ∈ F ′[x] durch h(x) = ma(c − dx). (Genauer: Istma = u0 + u1x + · · · + umx

m, so ist h = u0 + u1(c − dx) + · · · + um(c − dx)m.)Insbesondere ist Φb(h) = Φc−db(ma) = Φa(ma) = 0, d.h. b ist eine Nullestelle vonh. Setze U = {umb + vh : u, v ∈ F ′[x]}; dann ist U 6= F ′[x], da Φb(f) = 0 furalle f ∈ U , und damit ist U ein Ideal von F ′[x]. Ferner ist U 6= {0}, da mb ∈ U .Folglich gibt es nach Satz 3.3 ein normiertes Polynom w ∈ F ′[x]\F ′ mit U = (w).Da mb ∈ U , ist mb = g′w fur ein g′ ∈ F ′[x] und dann ist (x−b1) · · · (x−xn) = g′win L[x]. Daher gibt es {i1, . . . , iℓ} ⊂ {1, . . . , n}, so dass w = (x− bi1) · · · (x− biℓ)in L[x]. Ferner ist h = h′w fur ein h′ ∈ F ′[x], und also ist bik eine Nullstelle vonh fur k = 1, . . . , ℓ. Aber b ist die einzige Nullstelle von h in {b1, . . . , bn}, da

Φbi(h) = 0 ⇔ Φc−dbi

(f) = 0 ⇔ c− dbi ∈ {a1, . . . , am}⇔ a + d(b− bi) ∈ {a1, . . . , am} ⇔ i = 1 .

Daraus ergibt sich, dass w = x − b. Dies zeigt, dass x − b ∈ F ′[x] und somit istb ∈ F ′ = F (c). Nun gilt auch a = c− db ∈ F (c) und folglich ist F (a, b) ⊂ F (c).Damit ist F (a, b) = F (c), da F (c) ⊂ F (a, b) trivial richtig ist.

Nun zum Beweis fur Satz 9.5 und nehme zunachst an, dass F unendlich ist. Sei Keine separable Erweiterung K von F ; da K eine endliche Erweiterung ist, gibt esnach Lemma 5.3 a1, . . . , am ∈ K, so dass K = F (a1, . . . , am) und nach Satz 5.1und Satz 5.2 sind a1, . . . , am algebraisch uber F (da F (ak) ⊂ F (a1, . . . , am) furjedes k). Nun ist F unendlich und ma2

hat nur einfache Nullstellen. Folglich gibtes nach Lemma 9.7 ein c2 ∈ F (a1, a2) mit F (c2) = F (a1, a2) und damit ist

K = F (a1, . . . , am) = F (c2, a3, . . . , am) .

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9 Normale und separable Erweiterungen 71

Wenn wir diese Verfahren (m− 2)-mal wiederholen, dann erhalten wir ein a ∈ Kmit K = F (a).

Nehme nun an, dass F endlich ist; dann ist auch K endlich, da K eine endlicheErweiterung von F ist, und folglich ist die multiplikative Gruppe K× endlich.Nach Satz 9.6 (unten) ist dann K× zyklisch und damit gibt es ein a ∈ K×, sodass K× = 〈a〉. Nun ist es klar, dass K = F (a). (Hier wird die Annahme, dassK separabel ist, nicht benutzt. Ist aber F endlich, so ist tatsachlich jede endlicheErweiterung von F separabel.)

Satz 9.6 Jede endliche Untergruppe der multiplikativen Gruppe F× ist zyklisch(und hier ist F ein beliebiger Korper).

Beweis Ubung.

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10 Korperautomorphismen

Erinnerung: Ist X eine nichtleere Menge und K ein Korper, so ist Abb(X,K)(die Menge aller Abbildungen von X nach K) ein Vektorraum uber K, wobeidie Addition und Multiplikation mit Skalaren in Abb(X,K) punktweise definiertsind. Insbesondere ist Abb(K,K) ein Vektorraum uber K. Ist der Korper Kunendlich, so ist Abb(K,K) nicht endlichdimensional.

Sei K ein Korper. Ein Isomorphismus σ : K → K heißt Automorphismus von Kund die Menge aller Automorphismen von K wird mit Aut(K) bezeichnet. Mitder Operation ◦ und dem neutralen Element idK ist Aut(K) eine Gruppe. (Wirschreiben aber τσ statt τ ◦ σ.)

Naturlich ist Aut(K) auch eine Teilmenge von Abb(K,K).

Satz 10.1 Seien σ1, . . . , σn ∈ Aut(K) mit σi 6= σj fur alle i 6= j. Dann sind dieElemente σ1, . . . , σn linear unabhangig in Abb(K,K).

Beweis Nehme an, dass σ1, . . . , σn linear abhangig in Abb(K,K) sind. Dann gibtes a1, . . . , an ∈ K mit aj 6= 0 fur mindestens ein j, so dass a1σ1 + · · ·+anσn = 0.Sei ℓ bzw. m der kleinste bzw. großte Index mit aℓ 6= 0 bzw. am 6= 0. Dann istℓ < m, sonst ware aℓσℓ = 0. Da σm 6= σℓ, gibt es c ∈ K mit σm(c) 6= σℓ(c). Furjedes b ∈ K ist dann

0 = a1σ1(cb) + · · ·+ anσn(cb) = a1σ1(c)σ1(b) + · · ·+ anσn(c)σn(b)

und ferner ist

0 = σℓ(c)(a1σ1(b) + · · ·+ anσn(b)) = a1σℓ(c)σ1(b) + · · ·+ anσℓ(c)σn(b)

Folglich gilt fur jedes b ∈ K, dass

a1(σℓ(c) − σ1(c))σ1(b) + · · · + an(σℓ(c) − σn(c))σn(b) = 0 ,

d.h., a′1σ1+· · ·+a′nσn = 0, wobei a′j = aj(σℓ(c)−σj(c)) und a′j 6= 0 fur mindestensein j, da a′m 6= 0. Aber min{1 ≤ k ≤ n : a′k 6= 0} ≥ ℓ + 1. Durch Wiederholendieses Verfahrens erhalt man am Ende eine Gleichung a′′σn = 0 mit a′′ 6= 0 unddies ist ein Widerspruch. Also sind die Elemente σ1, . . . , σn linear unabhangig inAbb(K,K).

Fur jede Erweiterung K von F setze

Gal(K,F ) = {σ ∈ Aut(K) : σ(a) = a fur alle a ∈ F} .

Dann ist Gal(K,F ) eine Untergruppe von Aut(K) und sie heißt die Galoisgruppevon K uber F .

72

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10 Korperautomorphismen 73

Satz 10.2 Ist K eine endliche Erweiterung von F , so ist Gal(K,F ) eine endlicheGruppe mit ordGal(K,F ) ≤ [K :F ].

Beweis Sei n = [K :F ], und sei (u1, . . . , un) eine Basis von K als Vektorraumuber F . Nehme an, dass es Elemente σ1, . . . , σn+1 ∈ Gal(K,F ) gibt mit σi 6= σj

fur alle i 6= j. Fur j = 1, . . . , n + 1 sei vj = (σj(u1), . . . , σj(un)) ∈ Kn; dadimKn = n, sind v1, . . . , vn+1 linear abhangig, und also gibt es a1, . . . , an+1 ∈ Kmit aj 6= 0 fur mindestens ein j, so dass a1v1 + · · ·+an+1vn+1 = 0. Sei nun b ∈ F ;da (u1, . . . , un) eine Basis von K uber F ist, gibt es c1, . . . , cn ∈ F , so dassb = c1u1 + · · · + cnun, und dann ist

(a1σ1 + · · · + an+1σn+1)(b) = a1σ1(b) + · · ·+ an+1σn+1(b)

= a1σ1(c1u1 + · · · + cnun) + · · · + an+1σn+1(c1u1 + · · ·+ cnun)

= a1(σ1(c1)σ1(u1) + · · ·+ σ1(cn)σ1(un))

+ · · ·+ an+1(σn+1(c1)σn+1(u1) + · · ·+ σn+1(cn)σn+1(un))

= a1(c1σ1(u1) + · · · + cnσ1(un))

+ · · ·+ an+1(c1σn+1(u1) + · · · + cnσn+1(un))

=

n∑

i=1

ci(a1σ1(ui) + · · · + an+1σn+1(ui)) = 0 ,

da a1σ1(ui) + · · · + an+1σn+1(ui) die i-te Komponente von a1v1 + · · · + an+1vn+1

ist. Folglich gilt a1σ1 + · · ·+ an+1σn+1 = 0. Das widerspricht aber Satz 10.1, unddaraus ergibt sich, dass ord Gal(K,F ) ≤ n.

Sei K ein Korper und sei G eine Untergruppe von Aut(K); setze

KG = {a ∈ K : σ(a) = a fur alle σ ∈ G} .

Dann sieht man leicht, dass KG ein Unterkorper von K ist, der der Fixkorpervon G in K heißt.

Sei nun K eine Erweiterung von F und sei G eine Untergruppe von Gal(K,F );dann gilt F ⊂ KG ⊂ K und insbesondere ist F ⊂ KGal(K,F ).

Beispiele: (1) Betrachte C als Erweiterung von R. Sei σ ∈ Gal(C,R) und seiena, b ∈ R; dann gilt σ(a+ ib) = σ(a) + σ(i)σ(b) = a+ σ(i)b. Ferner ist σ(i) = ±i,da σ(i)σ(i) = σ(i2) = σ(−1) = −1. Also gibt es hochstens 2 Elemente σ1 und σ2

in Gal(C,R), wobei σ1(a + ib) = a+ ib und σ1(a+ ib) = a− ib. Aber σ1 und σ2

sind Automorphismen von C und σk(a) = a fur alle a ∈ R, k = 1, 2, d.h., σ1 undσ2 sind Elemente von Gal(C,R). Damit ist Gal(C,R) = {σ1, σ2} ∼= Z2.

Sei z = a + ib ∈ CGal(C,R) (mit a, b ∈ R); dann ist σ1(z) = z uns σ2(z) = z, d.h.,a+ ib = a+ ib und a+ ib = a− ib. Folglich ist b = 0, d.h., z ∈ R. Dies zeigt, dassR = CGal(C,R) (da R ⊂ CGal(C,R) gilt immer).

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10 Korperautomorphismen 74

(2) Sei a ∈ R mit a3 = 2 (d.h., a = 3√

2) und betrachte die Erweiterung K = Q(a)von Q. Da ma = x3 − 2 ∈ Q[x], ist (1, a, a2) eine Basis von K als Vektorraumuber Q. Sei σ ∈ Gal(K,Q); dann gilt σ(a)2 = σ(a3) = σ(2) = 2 und daraus folgt,dass σ(a) = a (da σ(a) ∈ R und {b ∈ R : b3 = 2} = {a}). Sei b ∈ K; dann gibtes c1, c2, c3 ∈ Q mit b = c1 + c2a+ c3a

2 und damit ist

σ(b) = σ(c1) + σ(c2)σ(a) + σ(c3)σ(a)2 = c1 + c2a+ c3a2 = b ;

d.h., σ = idK . Daraus ergibt sich, dass Gal(K,Q) = {idK} und in diesem Fall istKGal(K,Q) = K 6= Q.

Sei K eine endliche Erweiterung von F . Wir werden sehen, dass KGal(K,F ) = Fgenau dann gilt, wenn ord Gal(K,F ) = [K :F ]. Dafur brauchen wir aber einigeVorbereitungen.

Sei K ein Korper und sei H eine endliche Untergruppe von Aut(K); dann wirdeine Abbildung SpH : K → K definiert durch

SpH(a) =∑

σ∈H

σ(a) .

Lemma 10.1 Fur jedes a ∈ K ist SpH(a) ∈ KH . Ferner gibt es mindestens eina ∈ K mit SpH(a) 6= 0.

Beweis Sei H = {σ1, . . . , σn} und τ ∈ H ; dann gilt auch H = {τσ1, · · · , τσn}und folglich ist

τ(SpH(a)) = τ(

n∑

k=1

σk(a))

=

n∑

k=1

τσk(a) =

n∑

k=1

σk(a) = SpH(a) .

Also ist SpH(a) ∈ KH fur jedes a ∈ K. Nach Satz 10.1 ist nun σ1 + · · ·+ σn 6= 0,d.h., SpH(a) = (σ1 + · · ·+ σn)(a) 6= 0 fur mindestens ein a ∈ K.

Es gilt SpH(1) =∑

σ∈H 1 = ordH und insbesondere ist stets SpH(1) 6= 0, wenncharK = 0.

Satz 10.3 Sei K eine endliche Erweiterung von F und sei H eine Untergruppevon Gal(K,F ). Dann gilt ordH = [K :KH ].

Beweis Sei σ ∈ H ; dann ist σ ∈ Aut(K) und σ(a) = a fur alle a ∈ KH , und alsoist σ ∈ Gal(K,KH). Damit giltH ⊂ Gal(K,KH) und daraus folgt nach Satz 10.2,dass ordH ≤ ordGal(K,KH) ≤ [K :KH ]. Sei nun H = {σ1, . . . , σn} und seienu1, . . . , un+1 aus K; wir zeigen, dass diese Elemente linear abhangig sind in K alsVektorraum uber KH . Fur j = 1, . . . , n+1 sei vj = (σ−1

1 (uj), . . . , σ−1n (uj)) ∈ Kn;

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10 Korperautomorphismen 75

dann sind v1, . . . , vn+1 linear abhangig und folglich gibt es c1, . . . , cn+1 mit cj 6= 0fur mindestens ein j, so dass c1v1 + · · · + cn+1vn+1 = 0 und ohne Beschrankungder Allgemeinheit konnen wir annehmen, dass c1 6= 0. Nach Lemma 10.1 gibt esb ∈ K mit SpH(b) 6= 0 und dann ist (bc−1

1 )c1v1 + · · · + (bc−11 )cn+1vn+1 = 0, d.h.,

b1v1 + · · · + bn+1vn+1 = 0 mit b1 = b. Aber b1v1 + · · · + bn+1vn+1 = 0 bedeutet,dass b1σ

−1i (u1) + · · ·+ bn+1σ

−1i (un+1) = 0 fur i = 1, . . . , n und damit ist

0 =n

i=1

σi(b1σ−1i (u1) + · · · + bn+1σ

−1i (un+1))

=

n∑

i=1

(σi(b1)u1 + · · · + σi(bn+1)un+1) = SpH(b1)u1 + · · · + SpH(bn+1)un+1 .

Nach Lemma 10.1 ist SpH(bj) ∈ KH fur jedes j und SpH(b1) = SpH(b) 6= 0. Damitsind u1, . . . , un+1 linear abhangig in K als Vektorraum uber KH und daher ist[K :KH ] ≤ n = ordH , d.h., [K :KH ] = ordH .

Satz 10.4 Sei K eine endliche Erweiterung von F und sei H eine Untergruppevon Gal(K,F ). Dann ist H = Gal(K,KH).

Beweis Nach Satz 10.2 und Satz 10.3 ist ord Gal(K,KH) ≤ [K :KH ] = ordH .Aber H ⊂ Gal(K,KH) und folglich ist H = Gal(K,KH).

Satz 10.5 Fur eine endliche Erweiterung K von F gilt KGal(K,F ) = F genaudann, wenn ord Gal(K,F ) = [K :F ].

Beweis Nach Satz 10.3 ist ordGal(K,F ) = [K :KGal(K,F )] und also gilt nachSatz 5.1, dass [K :F ] = [K :KGal(K,F )] = [KGal(K,F ) :F ], da F ⊂ KGal(K,F ) ⊂ K.Also gilt ord Gal(K,F ) = [K :F ] genau dann, wenn [KGal(K,F ) :F ] = 1 und damitist nach Lemma 5.2 KGal(K,F ) = F genau dann, wenn ord Gal(K,F ) = [K :F ].

Nun wird eine endliche Erweiterung K von F Galois-Erweiterung genannt, wennKGal(K,F ) = F . Also ist nach Satz 10.5 K eine Galois-Erweiterung genau dann,wenn ord Gal(K,F ) = [K :F ].

Das zweite Beispiel oben (mit KGal(K,Q) = K 6= Q) zeigt, dass nicht jede endlicheErweiterung eine Galois-Erweiterung ist. Wir werden sehen, dass eine endlicheErweiterung genau dann eine Galois-Erweiterung ist, wenn sie separabel undnormal ist. Die eine Halfte dieser Aussage wird vorab (in Lemma 10.2) prasentiert,weil der Beweis leicht zu verstehen ist. Die andere Halfte ist ein Teil von Satz 10.6.

Lemma 10.2 Jede normale, separable Erweiterung K von F ist eine Galois-Erweiterung.

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10 Korperautomorphismen 76

Beweis Wir brauchen den folgenden Fakt:

Lemma 10.3 Sei K eine endliche Erweiterung von F mit K = F (a) fur eina ∈ K. Sei ma ∈ F [x] \ F das minimale Poynom von a und sei ℓ die Anzahl derverschiedenen Nullstellen von ma, die in K liegen. Dann gilt ord Gal(K,F ) = ℓ.

Beweis Sei n = Gradma; nach Satz 5.2 ist dann [K :F ] = n und (1, a, . . . , an−1)ist eine Basis von K als Vektorraum uber F . Sei ma = b0 + b1x+ · · ·+ bnx

n; furjedes σ ∈ Gal(K,F ) ist

0 = σ(0) = σ(b0 + b1a + · · ·+ bnan) = σ(b0) + σ(b1)σ(a) + · · ·+ σ(bn)σ(a)n

= b0 + b1σ(a) + · · ·+ bnσ(a)n

und damit ist auch σ(a) eine Nullstelle von ma, (die in K liegt). Ferner ist

σ(c0 + c1a+ · · · + cn−1an−1) = c0 + c1σ(a) + · · · + cn−1σ(a)n−1

fur alle c0, . . . , cn−1 ∈ F , und daher ist σ schon eindeutig durch σ(a) bestimmt.Daraus ergibt sich, dass ord Gal(K,F ) ≤ ℓ. Sei andererseits b eine Nullstelle vonma, die in K liegt. Dann ist ma auch das minimale Polynom von b, und also istF (b) = K, da F (b) ⊂ K und [F (b) :F ] = Gradma = [K :F ]. Nun gibt es nachSatz 7.4 einen Isomorphismus σ : K = F (a) → K = F (b) mit σ(a) = b undσ(c) = c fur alle c ∈ F , d.h. es gibt σ ∈ Gal(K,F ) mit σ(a) = b. Dies zeigt, dassord Gal(K,F ) = ℓ.

Nun zum Beweis fur Lemma 10.2. Da K eine separable Erweiterung ist, gibt esnach Satz 9.5 ein a ∈ K, so dass K = F (a), und ferner hat das minimale Polynomma ∈ F [x] \ F von a nur einfache Nullstellen. Außerdem zerfallt ma uber Kganz in Linearfaktoren, da K eine normale Erweiterung von F ist. Daraus folgtnach Lemma 10.3, dass ord Gal(K,F ) = Gradma = [K :F ] und damit ist nachSatz 10.3 K eine Galois-Erweiterung von F .

Ein Polynom f ∈ F [x]\F heißt separabel, wenn es irreduzible Polynome f1, . . . , fm

in F [x] \ F gibt, die nur einfache Nullstellen haben, so dass f = f1 · · · fm.

Ist charF = 0, so ist jedes Polynom f ∈ F [x] \ F separabel, da jedes irreduziblePolynom nur einfache Nullstellen hat.

Satz 10.6 Fur eine endliche Erweiterung K von F sind aquivalent:

(1) K ist eine Galois-Erweiterung von F .

(2) K ist eine normale, separable Erweiterung von F .

(3) K ist ein Zerfallungskorper eines separablen Polynoms f ∈ F [x] \ F .

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10 Korperautomorphismen 77

Beweis Fur jedes σ ∈ Gal(K,F ) ist der Homomorphismus σ∗ : K[x] → K[x] einIsomorphismus mit σ∗(f) = f fur jedes f ∈ F [x].

Lemma 10.4 Sei f ∈ K[x] mit σ∗(f) = f fur alle σ ∈ Gal(K,F ). Ist K eineGalois-Erweiterung von F , so ist f ∈ F [x].

Beweis Sei f = a0+a1x+· · ·+amxm; dann gilt σ(ai) = ai fur jedes σ ∈ Gal(K,F )

und folglich ist ai ∈ KGal(K,F ) fur jedes i. Ist K eine Galois-Erweiterung von F ,so ist KGal(K,F ) = F und damit ist ai ∈ F fur jedes i, d.h., f ∈ F [x].

(1) ⇒ (2): Sei a ∈ K und seien a1, . . . , am die verschiedenen Elemente in derMenge {σ(a) : σ ∈ Gal(K,F )}. Fur jedes σ ∈ Gal(K,F ) ist σ(ai) 6= σ(aj) fur allei 6= j und folglich ist {σ(a1), . . . , σ(am)} = {a1, . . . , am}. Zu jedem σ ∈ Gal(K,F )gibt es also eine Permutation π ∈ Sm, so dass σ(aj) = aπ(j) fur j = 1, . . . , m.Setze f = (x− a1) · · · (x− am) ∈ K[x]; dann ist

σ∗(f) = σ∗((x− a1) · · · (x− am)) = (x− σ(a1)) · · · (x− σ(am)) = f

fur jedes σ ∈ Gal(K,F ) und folglich ist nach Lemma 10.4 f ∈ F [x]. Da a eineNullstelle von f ist, gibt es g ∈ F [x], so dass f = gma, und da f nur einfacheNullstellen hat, hat ma auch nur einfache Nullstellen. Damit ist K eine separableErweiterung von F .

Sei nun (u1, . . . , un) eine Basis vonK als Vektorraum uber F und fur j = 1, . . . , nsei fj = (x−vj

1) · · · (x−vjℓj

) ∈ K[x], wobei vj1, . . . , v

jℓj

die verschiedenen Elemente

aus {σ(uj) : σ ∈ Gal(K,F )} sind. Genauso wie oben ist fj ∈ F [x] fur jedes j und

F (v11, . . . , v

1ℓ1, . . . , vn

1 , . . . , vnℓn

) ⊂ K = F (u1, . . . , un)

⊂ F (v11, . . . , v

1ℓ1, . . . , vn

1 , . . . , vnℓn

) ;

d.h., F (v11, . . . , v

1ℓ1, . . . , vn

1 , . . . , vnℓn

) = K. Folglich ist K ein Zerfallungskorper vonf1 · · · fn ∈ F [x] \ F , und daraus ergibt sich nach Satz 9.1, dass K eine normaleErweiterung von F ist.

(2) ⇒ (3): Nach Satz 9.1 ist K ein Zerfallungskorper eines Polynoms f ∈ F [x]\Fund nach Satz 3.5 gibt es irreduzible Polynome f1, . . . , fm ∈ F [x] \ F , so dassf = f1 · · · fm. Sei i mit 1 ≤ i ≤ m fest. Da jede Nullstelle von fi eine Nullstellevon f ist und f alle Nullstellen in K hat, hat auch fi alle Nullstellen in K. Seia ∈ K eine Nullstelle von fi; dann ist fi = cma fur ein c ∈ F×, da fi irreduzibelist, und nach Voraussetzung hat ma nur einfache Nullstellen. Folglich hat fi nureinfache Nullstellen fur jedes i und damit ist f separabel.

(3) ⇒ (1): Sei K ein Zerfallungskorper des separablen Polynoms f ∈ F [x] \ F .

Lemma 10.5 Sei L ein Zwischenkorper der Erweiterung K und sei a ∈ K eineNullstelle von f . Dann gilt L(a) ∩KGal(K,L) = L.

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10 Korperautomorphismen 78

Beweis Seien f1, . . . , fm ∈ F [x] \F irreduzible Polynome, die nur einfache Null-stellen haben, so dass f = f1 · · · fm. Dann ist a eine Nullstelle von fi fur ein i.Sei m′

a ∈ L[x] \ L das minimale Polynom von a uber L; dann ist fi = hm′a in

L[x] fur ein h ∈ L[x], da fi ∈ {g ∈ L[x] : Φa(g) = 0} = (m′a). Daraus ergibt sich,

dass m′a nur einfache Nullstellen hat und dass alle Nullstellen in K liegen. Seien

a = a1, a2, . . . , aq die Nullstellen von m′a in K. Nach Satz 7.4 gibt es fur jedes

k = 1, . . . , q einen Isomorphismus τk : L(a) → L(ak) mit τk(a) = ak und τk(c) = cfur alle c ∈ L (und mit τ1 = idL(a)). Fur jedes k ist aber K ein Zerfallungskorpervon f als Element von (L(ak))[x] und τ ∗k (f) = f , (da f ∈ F [x]); folglich gibtes nach Satz 7.5 einen Isomorphismus σk : K → K mit σk(b) = τk(b) fur alleb ∈ L(a). Insbesondere gilt σk(c) = τk(c) = c fur alle c ∈ L, d.h. σk ∈ Gal(K,L),und ferner ist σk(a) = ak fur jedes k. Sei nun b ∈ L(a) ∩KGal(K,L); nach Satz 5.2ist (1, a, . . . , aq−1) eine Basis von L(a) als Vektorraum uber L, (da q = Gradm′

a);es gibt also Elemente b1, . . . , bq−1 ∈ L mit b = b0 + b1a + · · · + bq−1a

q−1. Dab ∈ KGal(K,L), ist

b = σk(b) = σk(b0 + b1a+ · · ·+ bq−1aq−1) = b0 + b1ak + · · ·+ bq−1a

q−1k ;

d.h. (b0 − b) + b1ak + · · · + bq−1aq−1k = 0 fur jedes k. Betrachte das Polynom

g = (b0 − b)+ b1x+ · · ·+ bq−1xq−1 ∈ L[x]. Wenn g 6= 0, so ist Grad g ≤ q− 1, und

dies ist nicht moglich, da a1, . . . , aq verschiedene Nullstellen von g sind. Darausfolgt, dass g = 0, d.h. b = b0 ∈ L. Damit ist L(a) ∩KGal(K,L) = L.

Seien a1, . . . , an die Nullstellen von f inK; setze L0 = F und Lm = F (a1, . . . , am)fur 1 ≤ m ≤ n. Dann ist KGal(K,Ln) = Ln, da Gal(K,Ln) = Gal(K,K) = {idK}und K{idK} = K = Ln. Sei 1 ≤ m < n und nehme an, dass KGal(K,Lm+1) = Lm+1.Da Gal(K,Lm+1) ⊂ Gal(K,Lm), ist

KGal(K,Lm) ⊂ KGal(K,Lm+1) = Lm+1 = Lm(am+1)

und daraus ergibt sich nach Lemma 10.5, dass KGal(K,Lm) = Lm. Dies zeigt, dassKGal(K,L0) = L0, d.h. KGal(K,F ) = F , und folglich ist K eine Galois-Erweiterungvon F .

Damit ist Satz 10.6 bewiesen.

Satz 10.7 Sei K eine Galois-Erweiterung von F und sei L ein Zwischenkorperder Erweiterung. Dann ist K auch eine Galois-Erweiterung von L.

Beweis Nach Satz 10.6 ist K eine normale, separable Erweiterung von F . Dannist nach Lemma 9.1 und Lemma 9.6 K eine normale, separable Erweiterung vonL und daraus ergibt sich nach Satz 10.6, dass K eine Galois-Erweiterung von List.

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10 Korperautomorphismen 79

Sei L ein Zwischenkorper einer Galois-Erweiterung K von F . Nach Satz 10.6ist K eine separable Erweiterung von F und dann ist es klar, dass L auch eineseparable Erweiterung von F ist. Im Allgemeinen ist aber L nicht immer einenormale Erweiterung von F und damit ist L nicht immer eine Galois-Erweiterungvon F .

Satz 10.8 Sei K eine Galois-Erweiterung von F . Dann ist ein ZwischenkorperL der Erweiterung eine Galois-Erweiterung von F genau, wenn σ(L) ⊂ L furalle σ ∈ Gal(K,F )

Bemerkung: Gilt σ(L) ⊂ L fur alle σ ∈ Gal(K,F ), so gilt dann σ(L) = L fur alleσ ∈ Gal(K,F ), da Gal(K,F ) eine Gruppe von Bijektionen ist.

Beweis Nach Satz 9.5 ist L eine einfache Erweiterung von F , es gibt also a ∈ L,so dass L = F (a). Sei ma ∈ F [a] \ F das minimale Polynom von a; da K eineseparable Erweiterung von F ist, hat ma nur einfache Nullstellen und folglich giltnach Lemma 10.3, dass ordGal(L, F ) = ℓ, wobei ℓ die Anzahl der Nullstellenvon ma ist, die in L liegen. Aber Gradma = [L :F ], und daraus ergibt sich nachSatz 10.5, dass L genau dann eine Galois-Erweiterung von F ist, wenn ma uberL ganz in Linearfaktoren zerfallt. Andererseits ist (1, a, . . . , am−1) eine Basis vonL als Vektorraum uber F , wobei m = Gradma, und

σ(b0 + b1a+ · · · + bm−1am−1) = b0 + b1σ(a) + · · · + bm−1σ(a)m−1

fur alle b0, . . . , bm−1 ∈ F und alle σ ∈ Gal(K,F ). Daher gilt σ(L) ⊂ L fur alleσ ∈ Gal(K,F ) genau dann, wenn σ(a) ∈ L fur alle σ ∈ Gal(K,F ). Wir mussenalso zeigen, dass σ(a) ∈ L fur alle σ ∈ Gal(K,F ) genau dann gilt, wenn ma uberL ganz in Linearfaktoren zerfallt.

Fur jedes σ ∈ Gal(K,F ) ist aber σ(a) eine Nullstelle von ma, und folglich istσ(a) ∈ L fur alle σ ∈ Gal(K,F ), wenn ma uber L ganz in Linearfaktoren zerfallt.

Nehme nun umgekehrt an, dass σ(a) ∈ L fur jedes σ ∈ Gal(K,F ). Da K einenormale Erweiterung von F ist, zerfallt ma uber K ganz in Linearfaktoren. Seib ∈ K eine Nullstelle von ma; dann gibt es ein σ ∈ Gal(K,F ) mit σ(a) = b.(Nach Satz 7.4 gibt es einen Isomorphismus τ : F (a) → F (b) mit τ(a) = b undτ(c) = c fur alle c ∈ F und nach Satz 7.5 gibt es dann einen Isomorphismusσ : K → K mit σ(c) = τ(c) fur alle c ∈ F (a); d.h. σ ∈ Gal(K,F ) mit σ(a) = b.(Nach Satz 9.1 ist K ein Zerfallungskorper eines Polynoms g ∈ F [x] \ F , undK ist dann ein Zerfallungskorper von g als Element von (F (a))[x] und auch alsElement von (F (b))[x]. Ferner gilt τ ∗(g) = g, da τ(c) = c fur alle c ∈ F .)) Alsoist b ∈ L und daraus folgt, dass ma uber L ganz in Linearfaktoren zerfallt.

Hier ist ein Hauptsatz der Galois-Theorie:

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10 Korperautomorphismen 80

Satz 10.9 Sei K eine Galois-Erweiterung von F , sei U(K,F ) die Menge derUntergruppen von Gal(K,F ) und Z(K,F ) die Menge aller Zwischenkorper derErweiterung. Dann gilt:

(1) Die Abbildungen H 7→ KH (von U(K,F ) nach Z(K,F )) und L 7→ Gal(K,L)(von Z(K,F ) nach U(K,F )) sind bijektiv und invers zueinander.

(2) Fur jedes H ∈ U(K,F ) gilt [K :KH ] = ordH.

(3) Fur jedes L ∈ Z(K,F ) gilt [L :F ] = ordGal(K,F )/ordGal(K,L), und alsoist [L :F ] der Index der Untergruppe Gal(K,L) in Gal(K,F ).

(4) Ein Zwischenkorper L ∈ Z(K,F ) ist genau dann eine Galois-Erweiterungvon F , wenn Gal(K,L) ein Normalteiler von Gal(K,F ) ist. In diesem Fall sinddie Gruppen Gal(K,F )/Gal(K,L) und Gal(L, F ) isomorph.

Beweis (1) Nach Satz 10.4 gilt H = Gal(K,KH) fur alle H ∈ U(K,F ) und nachSatz 10.7 gilt L = KGal(K,L) fur alle H ∈ Z(K,F ). Damit sind die AbbildungenH 7→ KH (von U(K,F ) nach Z(K,F )) und L 7→ Gal(K,L) (von Z(K,F ) nachU(K,F )) bijektiv und invers zueinander.

(2) Dies ist Satz 10.3.

(3) Nach (1) ist L = KGal(K,L) und damit ist nach (2) ord Gal(K,L) = [K :L].Nach Satz 5.1 und Satz 10.5 ist aber

[L :F ] = [K :F ]/[K :L] = ord Gal(K,F )/ordGal(K,L) .

(4) Sei L ∈ Z(K,F ); dann ist σ(L) ein Korper mit F ⊂ σ(L) ⊂ K und damitist σ(L) ∈ Z(K,F ) fur jedes σ ∈ Gal(K,F ). Ferner ist

Gal(K, σ(L)) = {τ ∈ Aut(K) : τ(a) = a fur alle a ∈ σ(L)}= {τ ∈ Aut(K) : τ(σ(b)) = σ(b) fur alle b ∈ L}= {τ ∈ Aut(K) : (σ−1τσ)(b) = b fur alle b ∈ L}= {τ ∈ Aut(K) : σ−1τσ ∈ Gal(K,L)}

und folglich gilt Gal(K, σ(L)) = σGal(K,L)σ−1 fur alle σ ∈ Gal(K,F ).

Nehme nun an, dass L eine Galois-Erweiterung von F ist. Dann ist nach Satz 10.8σ(L) = L und damit ist Gal(K,L) = σGal(K,L)σ−1 fur alle σ ∈ Gal(K,F ), d.h.Gal(K,L) ist ein Normalteiler von Gal(K,F ).

Nehme umgekehrt an, dass Gal(K,L) ein Normalteiler von Gal(K,F ) ist. Danngilt Gal(K, σ(L)) = σGal(K,L)σ−1 = Gal(K,L) und damit σ(L) = L fur alleσ ∈ Gal(K,F ), da die Abbildung J 7→ Gal(K, J) injektiv ist. Daraus folgt nachSatz 10.8, dass L eine Galois-Erweiterung von F ist.

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10 Korperautomorphismen 81

Sei L eine Galois-Erweiterung von F . Da σ(L) = L fur alle σ ∈ Gal(K,F ), konnenwir eine Abbildung π : Gal(K,F ) → Gal(L, F ) definieren durch π(σ)(b) = σ(b)fur alle σ ∈ Gal(K,F ), b ∈ L, d.h. π(σ) ist die Einschrankung von σ auf L (undes ist klar, dass π(σ) ∈ Gal(L, F )). Da

π(στ)(b) = (στ)(b) = σ(τ(b)) = π(σ)(π(τ(b))) = (π(σ)π(τ))(b)

fur alle σ, τ ∈ Gal(K,F ), b ∈ L, ist π ein Gruppen-Homomorphismus und

Kern π = {σ ∈ Gal(K,F ) : σ(b) = b fur alle b ∈ L} = Gal(K,L) .

Sei τ ∈ Gal(L, F ); nach Satz 10.6 ist K ein Zerfallungskorper eines Polynomsf ∈ F [x] \ F , und K ist auch ein Zerfallungskorper von f als Element vonL[x]; außerdem gilt τ ∗(f) = f , da f ∈ F [x]. Folglich gibt es nach Satz 7.5einen Isomorphimsmus σ : K → K mit σ(b) = τ(b) fur alle b ∈ L. Damit istσ ∈ Gal(K,F ) und π(σ) = τ , und dies zeigt, dass π surjektiv ist. Daraus ergibtsich, dass die Gruppen Gal(K,F )/Gal(K,L) und Gal(L, F ) isomorph sind.

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen

Im Folgenden sei F ein Korper.

Eine endliche Erweiterung K von F heißt elementare Radikalerweiterung von F ,wenn es b ∈ K und n ≥ 1 gibt, so dass K = F (b) und bn ∈ F . In diesem Fall istb eine Nullstelle von xn − a ∈ F [x], wobei a = bn (und wir schreiben b = n

√a).

Sei m = [K :F ]; nach Satz 5.2 ist jedes Element in K von der Form

c0 + c1b+ · · · + cm−1bm−1 ( = c0 + c1

n√a + · · ·+ cm−1(

n√a)m−1)

mit c0, . . . , cm−1 ∈ F .

Eine endliche Erweiterung K von F heißt Radikalerweiterung von F , wenn esm ≥ 1 und Zwischenkorper F1, . . . , Fm mit F = F1 ⊂ · · · ⊂ Fm = K gibt, sodass Fj+1 eine elementare Radikalerweiterung von Fj ist fur j = 1, . . . , m− 1.

Ein Polynom f ∈ F [x] \ F heißt durch Radikale losbar (uber F ), wenn es eineRadikalerweiterung K von F gibt, so dass f uber K ganz in Linearfaktorenzerfallt.

Eine Gruppe G heißt auflosbar, wenn es m ≥ 1 und Untergruppen G0, . . . , Gm

von G mit {e} = G0 ⊂ · · · ⊂ Gm = G gibt, so dass fur jedes j = 1, . . . , m gilt:Gj−1 ist ein Normalteiler von Gj und die Faktorgruppe Gj/Gj−1 ist abelsch.

Sei f ∈ F [x] \ F und sei K ein Zerfallungskorper von f . Ist charF = 0 und istf durch Radikale losbar, dann werden wir sehen, dass in diesem Fall die Galois-Gruppe Gal(K,F ) auflosbar sein muss. Aus diesem Ergebnis wird zum Beispielfolgen, dass das Polynom x5 − 3x3 + 6 ∈ Q[x] nicht durch Radikale losbar ist.

Wir brauchen den folgenden Satz, um Satz 10.9 anwenden zu konnen:

Satz 11.1 Sei charF = 0 und sei K eine Radikalerweiterung von F . Dann gibtes eine endliche Erweiterung L von K, die sowohl eine Radikalerweiterung alsauch eine Galois-Erweiterung von F ist.

Beweis Dieser besteht aus wiederholter Verwendung des folgenden Lemmas:

Lemma 11.1 Sei charF = 0, sei F ′ eine endliche Erweiterung von F und seiF ′′ eine elementare Radikalerweiterung von F ′. Sei L′ eine Galois-Erweiterungvon F , die F ′ enthalt. (Es gilt also F ⊂ F ′ ⊂ F ′′ und F ⊂ F ′ ⊂ L′, aber wirmachen keine anderen Voraussetzungen uber den Zusammenhang zwischen F ′′

und L′.) Dann gibt es eine Galois-Erweiterung L′′ von F mit F ′′ ∪ L′ ⊂ L′′, sodass L′′ eine Radikalerweiterung von L′ ist.

82

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 83

Beweis Da F ′′ eine elementare Radikalerweiterung von F ′ ist, gibt es b ∈ F ′ undn ≥ 1, so dass F ′′ = F ′(b) und bn ∈ F ′. Setze c ∈ bn, seien c = c1, . . . , cm dieverschiedenen Elemente in {σ(c) : σ ∈ Gal(L′, F )} und definiere f ∈ L′[x] durchf = (xn − c1) · · · (xn − cm). Wie im Beweis fur Satz 10.6 gilt σ∗(f) = f fur jedesσ ∈ Gal(L′, F ) und daraus folgt nach Lemma 10.4, dass f ∈ F [x]. Sei nun L′′ einZerfallungskorper von f als Element von L′(b)[x]; es gibt also b1, . . . , bℓ ∈ L′′, sodass f = (x− b1) · · · (x− bℓ) in L′′[x] und L′′ = L′(b)(b1, . . . , bℓ) . Aber b ist eineNullstelle von f (in L′′), da bn−c1 = bn−c = 0, und damit ist L′′ = L′(b1, . . . , bℓ);d.h. L′′ ist auch ein Zerfallungskorper von f als Element von L′[x]. Ferner ist esklar, dass L′ ∪ F ′′ ⊂ L′′, da F ′′ = F ′(b) ⊂ L′(b).

Nun ist nach Satz 10.6 L′ ein Zerfallungskorper eines Polynoms g ∈ F [x] \ Fund daraus ergibt sich, dass L′′ ein Zerfallungskorper von fg ∈ F [x] \ F ist. (Esgibt d0 ∈ F und d1, . . . , dp ∈ L′, so dass g = d0(x− d1) · · · (x− dp) in L′[x] undL′ = F (d1, . . . , dp), und dann ist fg = d0(x − d1) · · · (x − dp)(x − b1) · · · (x − bℓ)und F (d1, . . . , dp, b1, . . . , bℓ) = (F (d1, . . . , dp))(b1, . . . , bℓ) = L′(b1, . . . , bℓ) = L′′.)Da charF = 0, ist fg separabel, und also ist nach Satz 10.6 L′′ eine Galois-Erweiterung von F .

Setze L′1 = L, und fur j = 2, . . . , ℓ + 1 sei L′

j = L′(b1, . . . , bj−1). Dann istL′

j+1 = L′j(bj) fur j = 1, . . . , ℓ und L′ = L′

1 ⊂ · · · ⊂ L′ℓ+1 = L′′. Aber bj ist

eine Nullstelle von f = (xn − c1) · · · (xn − cm) und also ist bnj = ci ∈ L′ furein i; insbesondere ist bnj ∈ Lj fur j = 1, . . . , ℓ. Damit ist L′

j+1 eine elementareRadikalerweiterung von L′

j fur j = 1, . . . , ℓ, d.h. L′′ ist eine Radikalerweiterungvon L′.

Dies zeigt, dass L′′ sowohl eine Galois-Erweiterung von F als auch eine Radikal-erweiterung von L′ ist.

Nun zum Beweis fur Satz 11.1. Es gibt m ≥ 1 und Korper F1, . . . , Fm mitF = F1 ⊂ · · · ⊂ Fm = K, so dass Fj+1 eine elementare Radikalerweiterung vonFj ist fur j = 1, . . . , m − 1. Der Satz ist trivial richtig. wenn m = 1, sei alsom ≥ 2. Nach Lemma 11.1 (mit F = F ′ = L′ und F ′′ = F2) gibt es eine Galois-Erweiterung L2 von F mit F2 ⊂ L2, so dass L2 auch eine Radikalerweiterung vonF ist. Sei nun 2 ≤ j < m und nehme an, es gibt eine endliche Erweiterung Lj vonFj , so dass Lj sowohl eine Radikalerweiterung als auch eine Galois-Erweiterungvon F ist. Nach Lemma 11.1 (mit F ′ = Fj, L

′ = Lj und F ′′ = Fj+1) gibt esdann eine Galois-Erweiterung Lj+1 von F mit Fj+1 ∪ Lj ⊂ Lj+1, so dass Lj+1

eine Radikalerweiterung von Lj ist. Damit ist Lj+1 auch eine Radikalerweiterunguber F . (Ist K2 eine Radikalerweiterung von K1 und K3 eine Radikalerweiterungvon K2, so ist K3 eine Radikalerweiterung von K1.) Also ist Lj+1 eine endlicheErweiterung von Fj+1, und Lj+1 ist sowohl eine Radikalerweiterung als auch eineGalois-Erweiterung von F . Daraus ergibt sich, dass es eine endliche ErweiterungL = Lm von K = Fm gibt, so dass L sowohl eine Radikalerweiterung als aucheine Galois-Erweiterung von F ist.

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 84

Satz 11.2 Sei n ≥ 1, setze f = xn − 1 ∈ F [x] und sei L ein Zerfallungskorpervon f . Dann gibt es eine Nullstelle a von f in L, so dass L = F (a) und jedeNullstelle von f in L die Form am fur ein m ≥ 0 hat. Ferner ist die Galois-Gruppe Gal(L, F ) abelsch.

Beweis Sei G = {c ∈ L : cn = 1}, d.h. G ist die Menge der Nullstellen von f inL. Dann ist G eine endliche Untergruppe von L× und folglich ist nach Satz 9.6 Gzyklisch. Es gibt also a ∈ G, so dass G = 〈a〉, und dann gilt L = F (a) und jedeNullstelle von f in L hat die Form am fur ein m ≥ 0.

Seien nun σ, τ ∈ Gal(L, F ); da σ(a) und τ(a) Nullstellen von f sind und damitin G liegen, gibt es ℓ, m ≥ 0, so dass σ(a) = aℓ und τ(a) = am. Folglich ist

(στ)(a) = σ(τ(a)) = σ(am) = σ(a)m = aℓm

= amℓ = τ(a)ℓ = τ(aℓ) = τ(σ(a)) = (τσ)(a) ,

und daraus ergibt sich, dass στ = τσ: Sei c ∈ L; nach Satz 5.2 gibt es Elementeb0, . . . , bq−1 ∈ F , so dass c = b0 + b1a+ · · · + bq−1a

q−1, und dann ist

(στ)(a) = b0 + b1(στ)(a) + · · · + bq−1((στ)(a))q−1

= b0 + b1(τσ)(a) + · · · + bq−1((τσ)(a))q−1 = (τσ)(a) .

Dies zeigt, dass Gal(L, F ) abelsch ist.

Satz 11.3 Sei L ein Korper, n ≥ 1, und nehme an, dass xn − 1 ∈ L[x] uberL ganz in Linearfaktoren zerfallt. Sei a ∈ L und setze f = xn − a ∈ L[x].Sei b eine Nullstelle von f in eine Erweiterung K von L. Dann ist L(b) einZerfallungskorper von f und die Galois-Gruppe Gal(L(b), L) ist zyklisch.

Beweis Sei c eine Nullstelle von f in irgendeiner Erweiterung von L(b). Dann istcn = a, und damit ist (cb−1)n = cb(bn)−1 = aa−1 = 1, d.h. cb−1 ist eine Nullstellevon xn − 1. Nach Voraussetzung ist also cb−1 ∈ L, d.h. c ∈ L(b), und dies zeigt,dass L(b) ein Zerfallungskorper von f ist. Sei nun G = {c ∈ L : cn = 1}; nachSatz 9.6 ist G eine zyklische Untergruppe von L× und nach Voraussetzung giltauch G = {c ∈ L(b) : cn = 1}. Sei σ ∈ Gal(L(b), L); da

(σ(b)b−1)n = σ(bn)(bn)−1 = σ(a)a−1 = aa−1 = 1 ,

ist σ(b)b−1 ∈ G, und folglich konnen wir eine Abbildung ϕ : Gal(L(b)), L) → Gdefinieren durch ϕ(σ) = σ(b)b−1. Dann ist ϕ ein Gruppen-Homomorphismus: Furalle σ, τ ∈ Gal(L(b), L) gilt (στ)(b) = σ(τ(b)) = σ(τ(b)b−1b) = τ(b)b−1σ(b), daτ(b)b−1 ∈ G ⊂ L, und damit ist

ϕ(στ) = (στ)(b)b−1 = τ(b)b−1σ(b)b−1 = σ(b)b−1τ(b)b−1ϕ(σ)ϕ(τ) .

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 85

Ferner ist ϕ injektiv: Sei σ ∈ Kernϕ; dann ist ϕ(σ) = 1, d.h. σ(b) = b und darausergibt sich, dass σ(c) = c fur alle c ∈ L(b), da jedes Element von L(b) von derForm d0 + d1b+ · · ·+ dm−1b

m−1 mit d0, . . . , dm−1 ∈ L ist; d.h. Kernϕ = {idL(b)}.Also ist Gal(L(b), L) isomorph zu der Untergruppe Bildϕ von G und folglichist Gal(L(b), L) zyklisch, da jede Untergruppe einer zyklischen Gruppe selbstzyklisch ist.

Lemma 11.2 Das homomorphe Bild einer auflosbaren Gruppe ist auflosbar: IstG eine auflosbare Gruppe und ist ϕ : G → H ein surjektiver Homomorphismus,so ist H auch auflosbar. Insbesondere ist jede Faktorgruppe einer auflosbarenGruppe auflosbar.

Beweis Ubung.

Sei f ∈ F [x]\F und seien K und K ′ zwei Zerfallungskorper von f . Nach Satz 7.5gibt es dann einen Isomorphismus τ : K → K ′ mit τ(c) = c fur alle c ∈ F . Seiσ ∈ Gal(K,F ); dann ist τστ−1 ein Element von Gal(K ′, F ) und folglich konnenwir eine Abbildung ϕ : Gal(K,F ) → Gal(K ′, F ) definieren durch ϕ(σ) = τστ−1.Man sieht leicht, dass ϕ ein Gruppen-Isomorphismus ist, und damit sind dieGruppen Gal(K,F ) und Gal(K ′, F ) isomorph. Wir setzen Gal(f, F ) = Gal(K,F )und nennen Gal(f, F ) die Galois-Gruppe des Polynoms f . Also ist Gal(f, F ) nurbis auf Isomorphie definiert.

Satz 11.4 Sei charF = 0 und sei f ∈ F [x]\F ein Polynom, das durch Radikalelosbar ist. Dann ist die Galois-Gruppe Gal(f, F ) auflosbar.

Beweis Es gibt eine Radikalerweiterung K von F , so dass f uber K ganz inLinearfaktoren zerfallt, und folglich gibt es einen Zerfallungskorper M von f mitF ⊂ M ⊂ K. Ferner konnen wir nach Satz 11.1 annehmen, dass K auch eineGalois-Erweiterung von F ist. Da K eine Radikalerweiterung von F ist, gibt esm ≥ 1 und Korper F1, . . . , Fm mit F = F1 ⊂ · · · ⊂ Fm = K, so dass Fj+1

eine elementare Radikalerweiterung von Fj ist fur j = 1, . . . , m − 1. Fur jedesj gibt es dann bj ∈ Fj und nj ≥ 1, so dass Fj+1 = Fj(bj) und b

nj

j ∈ Fj . Setzen = n1 · · ·nm−1, und sei L ein Zerfallungskorper von xn−1 ∈ K[x]; nach Satz 11.2gibt es eine Nullstelle a von xn−1 in L, so dass L = K(a) und jede Nullstelle vonxn−1 in L von der Form aℓ ist fur ein ℓ ≥ 0. Setze L0 = F , und fur j = 1, . . . , msei Lj = Fj(a). Dann gilt F = L0 ⊂ L1 ⊂ · · · ⊂ Lm = L und Lj+1 = Lj(bj) furj = 1, . . . , m− 1. Jetzt haben wir Folgendes:

(1) L ist eine Galois-Erweiterung von F : DaK eine Galois-Erweiterung von F ist,ist nach Satz 10.6 K ein Zerfallungskorper eines Polynoms g ∈ F [x]\F , und mansieht leicht, dass L = K(a) dann ein Zerfallungskorper von (xn − 1)g ∈ F [x] \ Fist. Daraus folgt nach Satz 10.6, dass L eine Galois-Erweiterung von F ist.

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 86

(2) Fur j = 1, . . . , m − 1 ist Lj+1 eine Galois-Erweiterung von Lj , und dieGalois-Gruppe Gal(Lj+1, Lj) ist zyklisch: Es gilt Lj+1 = Lj(bj) und bj ist eineNullstelle des Polynoms xnj − aj ∈ Lj [x], wobei aj = b

nj

j . Aber das Polynomxnj − 1 ∈ Lj [x] zerfallt uber Lj ganz in Linearfaktoren, da jede Nullstelle vonxnj − 1 auch eine Nullstelle von xn − 1 ist und damit von der Form aℓ fur einℓ ≥ 0. Also ist nach Satz 11.3 Lj+1 ein Zerfallungskorper von xnj − aj ∈ Lj [x]und nach Satz 10.6 ist Lj+1 dann eine Galois-Erweiterung von Lj . Ferner ist nachSatz 11.3 Gal(Lj+1, Lj) zyklisch.

(3) L1 ist eine Galois-Erweiterung von L0 = F und die Galois-Gruppe Gal(L1, L0)ist abelsch: L1 = F (a) ist ein Zerfallungskorper des Polynoms xn − 1 ∈ F [x], dajede Nullstelle von xn − 1 in L von der Form aℓ ist fur ein ℓ ≥ 0 und damit schonin L1 liegt. Nach Satz 10.6 ist also L1 eine Galois-Erweiterung von F und nachSatz 11.2 ist Gal(L1, L0) abelsch.

Betrachte nun die Untergruppen

{e} = Gal(L,Lm) ⊂ Gal(L,Lm−1) ⊂ · · · ⊂ Gal(L,L0) = Gal(L, F ); .

Dann gilt:

(4) Gal(L,Lj) ist ein Normalteiler von Gal(L,Lj−1) fur j = m, . . . , 1: Es giltLj−1 ⊂ Lj ⊂ L, und nach Satz 10.7 ist L eine Galois-Erweiterung von Lj−1, danach (1) L eine Galois-Erweiterung von F ist. Ferner ist nach (2) bzw. (3) Lj eineGalois-Erweiterung von Lj−1, und daraus folgt nach Satz 10.9, dass Gal(L,Lj)ein Normalteiler von Gal(L,Lj−1) ist.

(5) Fur j = m, . . . , 1 ist die Faktorgruppe Gal(L,Lj−1)/Gal(L,Lj) abelsch: NachSatz 10.9 (4) sind Gal(L,Lj−1)/Gal(L,Lj) und Gal(Lj , Lj−1) isomorph, und nach(2) bzw. (3) ist Gal(Lj , Lj−1) abelsch.

Nach (4) und (5) ist Gal(L, F ) eine auflosbare Gruppe. Aber F ⊂ M ⊂ Kund nach Satz 10.6 ist M eine Galois-Erweiterung von F . Daraus folgt nachSatz 10.9 (4), dass Gal(L,M) ein Normalteiler von Gal(L, F ) ist und dass dieGruppen Gal(f, F ) = Gal(M,F ) und Gal(L, F )/Gal(L,M) isomorph sind. Damitist nach Lemma 11.2 Gal(f, F ) auflosbar.

Satz 11.5 Jede Untergruppe einer auflosbaren Gruppe ist auflosbar.

Beweis Ubung.

Sei G eine endliche Gruppe, die eine einfache nicht-abelsche Untergruppe H hat.Dann folgt aus Satz 11.5, dass G nicht auflosbar ist, da es klar ist, dass H nichtauflosbar sein kann. Insbesondere ist fur n ≥ 5 die symmetrische Gruppe Sn

nicht auflosbar: Die alternierende Gruppe An ist eine Untergruppe von Sn undfur n ≥ 5 ist An einfach.

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 87

Lemma 11.3 Sei p eine Primzahl und sei f ∈ Q[x]\Q ein irreduzibles Polynommit Grad f = p. Nehme an, dass f genau zwei nicht-reelle Nullstellen in C hat.Dann ist Gal(f,Q) isomorph zu Sp.

Beweis Ubung.

Betrachte das Polynom f = x5 − 6x3 + 3 ∈ Q[x]. Nach Satz 4.1 ist f irreduzibel,und man pruft leicht nach, dass f genau zwei nicht-reelle Nullstellen in C hat;also ist nach Lemma 11.3 Gal(f,Q) isomorph zu S5 und damit ist Gal(f,Q) nichtauflosbar. Daraus ergibt sich nach Satz 11.4, dass f nicht durch Radikale losbarist.

Wir zeigen jetzt, dass die Umkehrung von Satz 11.4 auflosbar ist: Ist charF = 0und ist f ∈ F [x] \ F ein Polynom mit auflosbarer Galois-Gruppe Gal(f, F ), soist f durch Radikale losbar.

Im Folgenden sei stets charF = 0. Sei n ≥ 1; nach Satz 9.3 hat das Polynomxn − 1 ∈ F [x] nur einfache Nullstellen, da xn − 1 und nxn−1 teilerfremd sind.Sei nun L ein Zerfallungskorper von xn − 1 ∈ F [x]; nach Satz 11.2 gibt es eineNullstelle a von xn − 1 in L, so dass jede Nullstelle von xn − 1 in L von der Formaℓ ist fur ein ℓ ≥ 0. Das Polynom xn − 1 hat aber n verschiedene Nullstellen inL, und folglich sind 1, a, . . . , an−1 diese Nullstellen. Insbesondere ist ai 6= ai furalle 0 ≤ i < j < n.

Satz 11.6 Sei K eine Galois-Erweiterung von F und nehme an, dass die Galois-Gruppe Gal(K,F ) isomorph zu Zn ist und alle Nullstellen von xn − 1 ∈ F [x]schon in F liegen. Dann gibt es ein a ∈ F , so dass K ein Zerfallungskorper desPolynoms xn − a ∈ F [x] ist.

Beweis Nach Voraussetzung ist F ein Zerfallungskorper von xn − 1 ∈ F [x] undfolglich gibt es nach Satz 11.2 eine Nullstelle u ∈ F von xn − 1, so dass jedeNullstelle von xn − 1 in F die Form uℓ fur ein ℓ ≥ 0 hat. Da charF = 0, sind1, a, . . . , un−1 die verschiedenen Nullstellen von xn − 1 in F . Sei σ ∈ Gal(K,F )mit 〈σ〉 = Gal(K,F ); also ist Gal(K,F ) = {idK , σ, . . . , σ

n−1}. Sei τ : K → Kgegeben durch τ = idK + uσ + · · · + un−1σn−1; nach Satz 10.1 ist τ 6= 0, es gibtalso ein c ∈ K mit τ(c) 6= 0. Setze b = τ(c) = c+ uτ(c) + · · ·+ un−1σn−1(c) undsei mb ∈ F [x] \ F das minimale Polynom von b; da b eine Nullstelle von mb ist,ist auch σ′(b) eine Nullstelle von mb fur jedes σ′ ∈ Gal(K,F ), d.h. σj(b) ist eineNullstelle von mb fur jedes j = 0, . . . , n− 1. Aber

σ(b) = σ(c + uσ(c) + · · ·+ un−1σn−1(c)) = σ(c) + uσ2(c) + · · · + un−1σn(c)

= u−1(uσ(c) + u2σ2(c) + · · · + unσn(c))

= u−1(uσ(c) + u2σ2(c) + · · · + un−1σn−1(c) + c) = u−1b ,

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 88

da un = 1 und σn(c) = idK(c) = c, und daraus ergibt sich, dass σj(b) = (u−1)jbfur j = 0, . . . , n − 1. Insbesondere ist σi(b) 6= σj(b) fur alle 0 ≤ i << n. Dieszeigt, dass mb mindestens n verschiedene Nullstellen in K hat, und damit ist nachSatz 5.2 n ≤ Gradmb = [F (b) :F ] ≤ [K :F ] = ordGal(K,F ) = n. Daraus ergibtsich, dass Grad mb = n und dass K ein Zerfallungskorper von mb ist.

Nun ist σ(b) = u−1b und also gilt σj(bn) = bn fur jedes j = 0, . . . , n − 1, d.h.bn ∈ KGal(K,F ) = F . Setze a = bn; dann ist b eine Nullstelle von xn − a ∈ F [x],und daher ist mb = xn − a, da Gradmb = n.

Lemma 11.4 Sei G eine endliche abelsche Gruppe. Dann gibt es m ≥ 1 undUntergruppen G1, . . . , Gm von G mit {e} = G0 ⊂ G1 ⊂ · · · ⊂ Gm = G, so dassfur jedes j = 1, . . . , m die Faktorgruppe Gj/Gj−1 zyklisch ist.

Beweis Ubung.

Lemma 11.5 Sei G eine endliche Gruppe und sei H ein Normalteiler von G,fur den die Faktorgruppe G/H abelsch ist. Dann gibt es m ≥ 1 und UntergruppenG0, . . . , , Gm von G mit H = G0 ⊂ G1 ⊂ · · · ⊂ Gm = G, so dass fur 1 ≤ j ≤ mgilt: Gj−1 ist ein Normalteiler von Gj und die Faktorgruppe Gj/Gj−1 ist zyklisch.

Beweis Nach Lemma 11.4 gibt es m ≥ 1 und Untergruppen H0, . . . , Hm vonG/H mit {e} = H0 ⊂ H1 ⊂ · · · ⊂ Hm = G/H , so dass fur jedes j = 1, . . . , mdie Faktorgruppe Hj/Hj−1 zyklisch ist. Sei π : G→ G/H der kanonische Homo-morphismus von G auf G/H und fur j = 0, . . . , m sei Gj = π−1(Hj). Dann istGj eine Untergruppe von G und H = G0 ⊂ · · · ⊂ Gm = G; ferner ist π(Gj) = Hj

fur jedes j, (da π surjektiv ist). Sei nun πj die Einschrankung von π auf Gj ;damit ist πj : Gj → Hj ein surjektiver Homomorphismus. Sei 1 ≤ j ≤ m, undsei ϕj : Hj → Hj/Hj−1 der kanonische Homomorphismus von Hj auf Hj/Hj−1;dann ist ϕj ◦πj : Gj → Hj/Hj−1 ein surjektiver Homomorphismus und man siehtleicht, dass Kernϕj ◦ πj = Gj−1. Folglich ist Gj−1 ein Normalteiler von Gj unddie Gruppen Gj/Gj−1 und Hj/Hj−1 sind isomorph. Insbesondere ist Gj/Gj−1

zyklisch.

Satz 11.7 Sei G eine auflosbare Gruppe. Dann gibt es ℓ ≥ 1 und UntergruppenG0, . . . , Gℓ von G mit {e} = G0 ⊂ G1 ⊂ · · · ⊂ Gℓ = G, so dass fur jedesj = 1, . . . , ℓ gilt: Gj−1 ist ein Normalteiler von Gj und die Faktorgruppe Gj/Gj−1

ist zyklisch.

Beweis Dies folgt unmittelbar aus Lemma 11.5.

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 89

Satz 11.8 Sei f ∈ F [x] \ F ein Polynom, fur das die Galois-Gruppe Gal(f, F )auflosbar ist. Dann ist f durch Radikale losbar.

Beweis Sei K ein Zerfallungskorper von f ; nach Satz 10.6 ist K eine Galois-Erweiterung von F , da charF = 0. Setze G = Gal(K,F ); da G auflosbar ist, gibtes nach Satz 11.7 ℓ ≥ 1 und Untergruppen G0, . . . , Gℓ von G mit

{idK} = G0 ⊂ G1 ⊂ · · · ⊂ Gℓ = G ,

so dass fur jedes j = 1, . . . , ℓ gilt: Gj−1 ist ein Normalteiler von Gj und dieFaktorgruppe Gj/Gj−1 ist zyklisch. Fur j = 0, . . . , ℓ setze Fj = KGj

; dann istnach Satz 10.4 Gal(K,Fj) = Gj und es gilt

F = KG = Fℓ ⊂ Fℓ−1 ⊂ · · · ⊂ F1 ⊂ F0 = K{idK} = K .

Sei 1 ≤ j ≤ ℓ; nach Satz 10.7 ist K eine Galois-Erweiterung von Fj und dar-aus folgt nach Satz 10.9 (4), dass Fj−1 eine Galois-Erweiterung von Fj ist, daGal(K,Fj−1) = Gj−1 ein Normalteiler von Gal(K,Fj) = Gj ist, und ferner istGal(Fj−1, Fj) isomorph zu Gal(K,Fj)/Gal(K,Fj−1) = Gj/Gj−1, d.h. die Galois-Gruppe Gal(Fj−1, Fj) ist zyklisch. Sei nj = ord Gal(Fj−1, Fj); dann ist nj einTeiler von n = ordG, da nj eine Teiler von ordGj ist und ordGj die Ordnungvon G teilt.

Sei nun L ein Zerfallungskorper von xn − 1 ∈ K[x] (wobei n = ordG); nachSatz 11.2 gibt es dann eine Nullstelle a ∈ L von xn − 1, so dass jede Nullstellevon xn − 1 in L die Form am fur ein m ≥ 0 hat. Fur j = 0, . . . , ℓ sei Lj = Fj(a);also ist F ⊂ F (a) = Lℓ ⊂ Lℓ−1 ⊂ · · · ⊂ L1 ⊂ L0 = K(a) = L. Jetzt haben wirFolgendes:

(1) Fur j = 1, . . . , ℓ ist Lj−1 eine Galois-Erweiterung von Fj: Da Fj−1 eineGalois-Erweiterung von Fj ist, ist nach Satz 10.6 Fj−1 ein Zerfallungskorper einesPolynoms hj ∈ Fj[x]\Fj . Daraus folgt, dass Lj−1 = Fj−1(a) ein Zerfallungskorperdes Polynoms (xn − 1)hj ∈ Fj [x] \ Fj ist und damit ist nach Satz 10.6 Lj−1 eineGalois-Erweiterung von Fj .

(2) Fur j = 1, . . . , ℓ ist Lj−1 eine Galois-Erweiterung von Lj : Dies folgt aus (1)und Satz 10.7.

(3) Fur j = 1, . . . , ℓ ist die Galois-Gruppe Gal(Lj−1, Lj) isomorph zu einerUntergruppe von Gal(Fj−1, Fj): Es gilt Fj ⊂ Fj−1 ⊂ Lj−1 und nach (1) undSatz 10.8 gilt σ(Fj−1) = Fj−1 fur jedes σ ∈ Gal(Lj−1, Fj), da Fj−1 eine Galois-Erweiterung von Fj ist. Wie im Beweis fur Satz 10.9 (4) konnen wir also eineAbbildung π : Gal(Lj−1, Fj) → Gal(Fj−1, Fj) definieren durch π(σ)(b) = σ(b)fur alle σ ∈ Gal(Lj−1, Fj), b ∈ Fj−1, und dann ist π ein Homomorphismus.Da Gal(Lj−1, Lj) eine Untergruppe von Gal(Lj−1, Fj) ist, gibt es auch die Ein-schrankung α : Gal(Lj−1, Lj) → Gal(Fj−1, Fj) von π auf Gal(Lj−1, Lj). Dann

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 90

ist α ein Homomorphismus und Kernα = {idLj−1}. (Sei σ ∈ Kernα; dann gilt

α(σ) = idFj−1, d.h. σ(b) = b fur alle b ∈ Lj = Fj(a), und insbesondere ist

σ(a) = a. Damit ist σ(b) = b fur alle b ∈ Fj−1(a) = Lj−1, d.h. σ = idLj−1.)

Folglich ist Gal(Lj−1, Lj) isomorph zu der Untergruppe α(Gal(Lj−1, Lj)) vonGal(Fj−1, Fj).

(4) Fur j = 1, . . . , ℓ ist Lj−1 eine elementare Radikalerweiterung von Lj : Nach(3) ist Gal(Lj−1, Lj) zyklisch, da Gal(Fj−1, Fj) zyklisch ist. Ferner folgt aus (3),dass mj = ordGal(Lj−1, Lj) ein Teiler von nj = ordGal(Fj−1, Fj) ist, und also istmj ein Teiler von n = ordG. Daraus ergibt sich, dass alle Nullstellen des Polynomsxmj − 1 ∈ Lj[x] schon in Lj = Fj(a) liegen, da jede Nullstelle von xmj − 1 eineNullstelle von xn − 1 ist und damit von der Form ai fur ein i ≥ 0. Nach (2) undSatz 11.6 ist nun Lj−1 ein Zerfallungskorper des Polynoms xmj − aj ∈ Lj [x] furein aj ∈ Lj . Sei bj ∈ Lj−1 eine Nullstelle von xmj − aj ; nach Satz 11.3 ist Lj(bj)auch ein Zerfallungskorper von xmj − aj ∈ Lj [x], und folglich ist Lj−1 = Lj(bj),da Lj(bj) ⊂ Lj−1. Also ist Lj−1 eine elementare Radikalerweiterung von Lj .

(5) Lℓ ist eine elementare Radikalerweiterung von F : Dies ist klar, da Lℓ = F (a)und an = 1 ∈ F .

Es folgt nun aus (4) und (5), dass L eine Radikalerweiterung von F ist. Damitist f durch Radikale losbar, da K ⊂ L.

Lemma 11.6 Sei f ∈ F [x] \ F ein Polynom, das (genau) m verschiedene Null-stellen hat. Dann ist Gal(f, F ) isomorph zu einer Untergruppe on Sm.

Beweis Sie K ein Zerfallungskorper von f und ferner seien a1, . . . , am die mverschiedenen Nullstellen von f in K. Fur jedes σ ∈ Gal(K,F ) und jedes j istσ(aj) eine Nullstelle von f in K, und also ist σ(aj) = ai fur ein i. Folglich gibtes eine (eindeutige) Abbildung α : Gal(K,F ) → Sm, so dass σ(aj) = aα(σ)(j)

fur alle σ ∈ Gal(K,F ), j = 1, . . . , m. Nun ist α ein Homomorphismus: Seienσ, τ ∈ Gal(K,F ); fur j = 1, . . . , m gilt dann

aα(στ)(j) = (στ)(aj) = σ(τ(aj)) = σ(aα(σ)(j)) = aα(σ)(α(τ))(j) = a(α(σ)α(τ))(j)

und damit ist α(στ) = α(σ)α(τ). Sei nun α ∈ Kernα; dann ist α(σ)(j) = j furjedes j und damit ist σ(aj) = aj fur jedes j. Daraus ergibt sich, dass σ = idK ,da K = F (a1, . . . , am); d.h. α ist injektiv. Dies zeigt, dass Gal(K,F ) isomorphzu der Untergruppe α(Gal(K,F )) von Sm ist.

Lemma 11.7 Die Gruppen S2, S3 und S4 sind auflosbar.

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11 Auflosung algebraischer Gleichungen 91

Beweis Die Gruppe S2 ist auflosbar, da sie abelsch ist. Fur jedes n ist An einNormalteiler von Sn und Sn/An ist abelsch (da ordSn/An = 2). Damit istSn auflosbar, wenn An auflosbar ist. Es gilt ordA3 = 3, also ist A3 abelschund somit auflosbar. Es gibt einen Normalteiler von N von A4, der isomorphzu der Kleinschen Vierergruppe ist. (Der Beweis dafur ist eine Ubung.) Fernerist ordA4/N = ordA4/ordN = 3 und also ist A4/N abelsch. Folglich ist A4

auflosbar.

Satz 11.9 Sei f ∈ F [x] \ F mit Grad f ≤ 4. Dann ist f durch Radikale losbar.

Beweis Nach Lemma 11.6 ist Gal(f, F ) isomorph zu einer Untergruppe von Sℓ

fur ein ℓ ≤ 4 und daraus folgt nach Satz 11.5 und Lemma 11.7, dass Gal(f, F )auflosbar ist. Nach Satz 11.8 ist also f durch Radikale losbar.

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12 Symmetrische Funktionen

Sei F ein Korper und sei n ≥ 1; dann gibt es den Polynomring F [x1, . . . , xn] uberK in den Unbestimmten x1, . . . , xn. Nach Lemma 3.5 ist F [x1, . . . , xn] nullteiler-frei und folglich gibt es den Quotientenkorper Q(F [x1, . . . , xn]) von F [x1, . . . , xn].Da F ein Unterring von F [x1, . . . , xn] ist und F [x1, . . . , xn] ein Unterring vonQ(F [x1, . . . , xn]), ist Q(F [x1, . . . , xn]) eine Korpererweiterung von F ; ferner sindx1, . . . , xn Elemente von F [x1, . . . , xn] und damit auch von Q(F [x1, . . . , xn]).

Lemma 12.1 Ist F ⊂ L ⊂ Q(F [x1, . . . , xn]) ein Zwischenkorper, der x1, . . . , xn

enthalt, so ist L = Q(F [x1, . . . , xn]).

Beweis Ubung.

Nach Lemma 12.1 ist Q(F [x1, . . . , xn]) = F (x1, . . . , xn) und man schreibt alsomeistens F (x1, . . . , xn) statt Q(F [x1, . . . , xn]). F (x1, . . . , xn) heißt der Korper derrationalen Funktionen uber F in den Unbestimmten x1, . . . , xn.

Sei n ≥ 1 und seien a1, . . . , an “Unbestimmte”; dann heißt das Polynom

xn + a1xn−1 + · · ·+ an−1x+ an ∈ F (a1, . . . , an)[x]

allgemeines Polynom n-ten Grades. Wir werden zeigen, dass die Galois-Gruppedieses Polynoms isomorph zu Sn ist, und dafur brauchen wir einige Eigenschaftenvon symmetrischen Funktionen.

Lemma 12.2 Zu jeder Permutation π ∈ Sn gibt es einen eindeutigen Automor-phismus π∗ : F (x1, . . . , xn) → F (x1, . . . , xn), so dass π∗(a) = a fur alle a ∈ Fund π∗(xj) = xπ(j) fur j = 1, . . . , n.

Beweis Sei π ∈ Sn; nach Satz 3.7 (1) gibt es einen eindeutigen Homomorphismusπ⋄ : F [x1, . . . , xn] → F [x1, . . . , xn], so dass mit π⋄(a) = a fur alle a ∈ F undπ⋄(xj) = xπ(j) fur j = 1, . . . , n. Ferner ist es klar, dass π⋄ ein Isomorphismusist (mit (π⋄)−1 = (π−1)⋄) und insbesondere ist π⋄ injektiv. Nach Satz 2.9 gibt esalso einen eindeutigen Homomorphismus π∗ : F (x1, . . . , xn) → F (x1, . . . , xn) mitπ∗(a) = π⋄(a) = a fur a ∈ F und π∗(xj) = π⋄(xj) = xπ(j) fur j = 1, . . . , n, undπ∗ ist ein Automorphismus mit (π∗)−1 = (π−1)∗. Die Eindeutigkeit von π∗ folgtunmittelbar aus der Eindeutigkeit in Satz 3.7 (1) und Satz 2.9.

Fur jedes π ∈ Sn ist der Automorphismus π∗ ein Element der Galois-GruppeGal(F (x1, . . . , xn), F ). Definiere i : Sn → Gal(F (x1, . . . , xn), F ) durch i(π) = π∗;dann ist i ein injekiver Homomorphismus. Setze S∗

n = i(Sn); dann ist S∗n eine

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12 Symmetrische Funktionen 93

Untergruppe von Gal(F (x1, . . . , xn), F ), die isomorph zu Sn ist. Sei nun S derFixkorper von S∗

n in F (x1, . . . , xn), d.h.

S = {f ∈ F (x1, . . . , xn) : π∗(f) = f fur alle π ∈ Sn} .

S heißt der Korper der rationalen symmetrischen Funktionen uber F in denUnbestimmten x1, . . . , xn. Insbesondere ist S∗

n ⊂ Gal(F (x1, . . . , xn), S).

Betrachte nun die folgenden Elemente aus F [x1, . . . , xn] ⊂ F (x1, . . . , xn):

s0 = 1 ,

s1 = x1 + · · · + xn ,

s2 =∑

1≤i<j≤n

xixj ,

...

sℓ =∑

1≤i1<···<iℓ≤n

xi1 · · ·xiℓ ,

...

sn = x1 · · ·xn .

Setze f = (x− x1) · · · (x− xn) ∈ F (x1, . . . , xn)[x].

Lemma 12.3 Es gilt s0, . . . , sn ∈ S. Ferner ist

f = s0xn − s1x

n−1 + · · · + (−1)n−1sn−1x+ (−1)nsn .

Beweis Ubung.

Die Elemente s0, . . . , sn heißen die elementarsymmetrischen Funktionen. NachLemma 12.3 konnen wir f auch als Element von F (s1, . . . , sn)[x] betrachten undim Folgenden werden wir dies stets tun.

Satz 12.1 (1) F (x1, . . . , xn) ist eine Galois-Erweiterung von S der Ordnung n!.

(2) Gal(F (x1, . . . , xn), S) = S∗n und also ist diese Galois-Gruppe isomorph zu Sn.

(3) S = F (s1, . . . , sn).

(4) F (x1, . . . , xn) ist ein Zerfallungskorper von f.

Beweis Nach Lemma 12.3 zerfallt f uber F (x1, . . . , xn) ganz in Linearfaktorenund folglich ist nach Lemma 12.1 F (x1, . . . , xn) ein Zerfallungskorper von f. Da

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12 Symmetrische Funktionen 94

f separabel ist (xi 6= xj , falls i 6= j), ist nach Satz 10.6 F (x1, . . . , xn) eine Galois-Erweiterung von F (s1, . . . , sn), und nach Satz 7.3 und Satz 10.4 ist

ord Gal(F (x1, . . . , xn), F (s1, . . . , sn)) = [F (x1, . . . , xn) :F (s1, . . . , sn)] ≤ n! ,

da Grad f = n. Aber F (s1, . . . , sn) ⊂ S und damit ist

S∗n ⊂ Gal(F (x1, . . . , xn), S) ⊂ Gal(F (x1, . . . , xn), F (s1, . . . , sn)) ,

und ferner ist ordS∗n = n!. Daraus ergibt sich, dass

S∗n = Gal(F (x1, . . . , xn), S) = Gal(F (x1, . . . , xn), F (s1, . . . , sn)) .

Folglich ist nach Satz 10.2

n! = ord Gal(F (x1, . . . , xn), S) ≤ [F (x1, . . . , xn) :S]

≤ [F (x1, . . . , xn) :F (x1, . . . , xn)] ≤ n! ,

und damit ist S = F (s1, . . . , sn).

Da sj ∈ F [x1, . . . , xn] fur jedes j, gibt es nach Satz 3.7 (1) einen eindeutigenHomomorphismus Φs : F [x1, . . . , xn] → F [x1, . . . , xn], so dass Φs(a) = a fur jedesa ∈ F und Φs(xj) = sj fur j = 1, . . . , n.

Satz 12.2 Der Homomorphismus Φs ist injektiv.

Beweis Nehme an, es gibt ein f ∈ F [x1, . . . , xn] \ {0} mit Φs(f) = 0. Nun hatf eine Darstellung f = f0 + f1xn + · · ·+ fmx

mn mit f0, . . . , fm ∈ F [x1, . . . , xn−1]

und fj 6= 0 fur mindestens ein j. Sei ℓ = min{j ≥ 0 : fj 6= 0} und setzeg = fℓ + fℓ+1x+ · · ·+ fmx

m−ℓn ∈ F [x1, . . . , xn]; dann ist f = xℓ

ng und damit ist

0 = Φs(f) = Φs(xℓng) = Φs(x

ℓn)Φs(g) = sℓ

nΦs(g) .

Folglich ist Φs(g) = 0, da sℓn 6= 0.

Sei χ : F [x1, . . . , xn] → F [x1, . . . , xn−1] der eindeutige Homomorphismus mitχ(a) = a fur alle a ∈ F , χ(xj) = xj fur j = 1, . . . , n − 1 und χ(xn) = 0. Setzeψ = χ ◦ Φs; also ist ψ : F [x1, . . . , xn] → F [x1, . . . , xn−1] ein Homomorphismusmit ψ(xn) = χ(sn) = χ(x1 · · ·xn) = x1 · · ·xn−10 = 0 und folglich ist

0 = χ(0) = χ(Φs(g)) = ψ(g) = ψ(fℓ + fℓ+1xn + · · · + fmxm−ℓn )

= ψ(fℓ) + ψ(fℓ+1)ψ(xn) + · · · + ψ(fm)(ψ(xn))m−ℓ = ψ(fℓ) .

Aber man sieht leicht, dass ψ(fℓ) = Φs′(fℓ), wobei s′ = (s′1, . . . , s′n−1) und

s′1, . . . , s′n−1 ∈ F [x1, . . . , xn−1] die elementarsymmetrischen Funktionen uber F

in den Unbestimmten x1, . . . , xn−1 sind, und insbesondere ist Φs′(fℓ) = 0. Dieszeigt, dass wenn Φs nicht injektiv ist, so ist auch Φs′ nicht injektiv. Daraus ergibtsich, dass fur alle n ≥ 1 der Homomorphismus Φs : F [x1, . . . , xn] → F [x1, . . . , xn]injektiv ist, da dies trivial richtig ist, wenn n = 1.

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12 Symmetrische Funktionen 95

Satz 12.3 Fur jedes n ≥ 1 ist die Galois-Gruppe des allgemeinen Polynomsn-ten Grades isomorph zu Sn.

Beweis Sei S ⊂ F (x1, . . . , xn) der Korper der rationalen symmetrischen Funk-tionen uber F in den Unbestimmten x1, . . . , xn und seien s0, . . . , sn ∈ S dieelementarsymmetrischen Funktionen; setze s = (s1, . . . , sn).

Sei Φs : F [x1, . . . , xn] → F [x1, . . . , xn] wieder der eindeutige Homomorphismusmit Φs(a) = a fur alle a ∈ F und Φs(xj) = sj fur jedes j; nach Satz 12.2 istΦs injektiv. Da F [x1, . . . , xn] ein Unterring von F (x1, . . . , xn) ist, werden wir Φs

als injektiven Homomorphismus von F [x1, . . . , xn] nach F (x1, . . . , xn) ansehen.Es gibt also einen Homomorphismus Φ′

s : F (x1, . . . , xn) → F (x1, . . . , xn), so dassΦ′

s(g) = Φs(g) fur alle g ∈ F [x1, . . . , xn]. Da F (x1, . . . , xn) ein Korper ist, ist Φ′s

injektiv, und es ist klar, dass Bild Φ′s = F (s1, . . . , sn). Folglich sehen wir Φ′

s alsIsomomorphismus von F (x1, . . . , xn) auf F (s1, . . . , sn) an.

Sei nun f′ = xn + a1x

n−1 + · · · + an ∈ F (a1, . . . , an)[x] das allgemeine Polynomn-ten Grades (mit Unbestimmten a1, . . . , an).

Nach Satz 2.9 gibt es einen Isomorphismus : F (a1, . . . , an) → F (x1, . . . , xn),so dass (b) = b fur alle b ∈ F und (aj) = (−1)jxj fur j = 1, . . . , n. Setzeτ = Φ′

s ◦ ; dann ist τ : F (a1, . . . , an) → F (s1, . . . , sn) ein Isomorphismus mitτ(b) = b fur alle b ∈ F und τ(aj) = (−1)jsj fur j = 1, . . . , n. Nach Satz 3.1gibt es dann einen Isomomorphismus τ ∗ : F (a1, . . . , an)[x] → F (s1, . . . , sn)[x]mit τ ∗(g) = τ(g) fur alle g ∈ F (a1, . . . , an) und τ ∗(x) = x. Insbesondere istτ ∗(f ′) = s0x

n − s1xn−1 + · · ·+ (−1)nsn, d.h. τ ∗(f ′) = f.

Sei K ein Zerfallungskorper von f′; nach Satz 12.1 (4) ist F (x1, . . . , xn) ein

Zerfallungskorper von f = τ ∗(f ′) und folglich gibt es nach Satz 7.5 einen Iso-morphismus π : K → F (x1, . . . , xn) mit π(b) = τ(b) fur alle b ∈ F (a1, . . . , an);insbesondere ist dann π(F (a1, . . . , an)) = F (s1, . . . , sn).

Sei σ ∈ Gal(K,F (a1, . . . , an)); dann ist π ◦ σ ◦ π−1 ein Automorphismus vonF (x1, . . . , xn) und da π(F (a1, . . . , an)) = F (s1, . . . , sn), ist (π ◦ σ ◦ π−1)(b) = bfur alle b ∈ F (s1, . . . , sn). Also konnen wir eine Abbildung

π∗ : Gal(K,F (a1, . . . , an)) → Gal(F (x1, . . . , xn), F (s1, . . . , sn))

definieren durch π∗(σ) = π ◦ σ ◦ π−1 und dann sieht man leicht, dass π∗ einIsomorphismus ist. Aber nach Satz 12.1 ist Gal(F (x1, . . . , xn), F (s1, . . . , sn)) iso-morph zu Sn und daher ist Gal(K,F (a1, . . . , an)) auch isomorph zu Sn, d.h. dieGalois-Gruppe von f

′ ist isomorph zu Sn.

Satz 12.4 (Satz von Abel-Ruffini) Sei charF = 0. Dann ist das allgemeinePolynom n-ten Grades durch Radikale losbar genau, wenn n ≤ 4.

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12 Symmetrische Funktionen 96

Beweis Sei n ≥ 1 und sei f′ ∈ F (a1, . . . , an)[x] das allgemeine Polynom n-ten

Grades. Nach Satz 11.4 und Satz 11.8 ist f′ genau dann durch Radikale losbar,

wenn die Galois-Gruppe Gal(f ′, F (a1, . . . , an)) auflosbar ist, und nach Satz 12.3ist Gal(f ′, F (a1, . . . , an)) isomorph zu Sn. Aber Sn ist genau dann auflosbar, wennn ≤ 4.

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13 Fundamentalsatz der Algebra

In diesem Kapitel wird der Beweis von Artin fur den Fundamentalsatz der Algebraprasentiert.

Satz 13.1 Jedes Polynom in C[x]\C zerfallt uber C ganz in Linearfaktoren. Alsoist C ein Zerfallungskorper fur jedes Polynom in C[x] \ C.

Beweis Dafur brauchen wir einige Vorbereitungen.

Lemma 13.1 (1) Sei G eine endliche Gruppe der Ordnung 2nm, wobei m un-gerade ist. Dann hat G eine Untergruppe der Ordnung 2n.

(2) Sei G eine endliche Gruppe der Ordnung 2n, wobei n ≥ 1. Dann hat G eineUntergruppe H der Ordnung 2n−1 (und damit ist H ein Normalteiler von G, daordG/ordH = 2).

Beweis (1) Dies ist ein Spezialfall des ersten Sylowschen Satzes.

(2) Ubung.

Lemma 13.2 (1) Sei f ∈ C[x] \C mit Grad f = 2; dann zerfallt f uber C ganzin Linearfaktoren. (Satz 13.1 ist also richtig fur Polynome 2-ten Grades.)

(2) Sei f ∈ R[x] \ R mit Grad f ungerade; dann hat f eine Nullstelle in R.

Beweis (1) Ubung.

(2) Dies folgt unmittelbar aus dem Zwischenwertsatz.

Lemma 13.3 (1) Sei K eine endliche Erweiterung von C; dann ist [K : C] 6= 2.

(2) Sei K eine endliche Erweiterung von R mit [K : R] = n > 1. Dann ist ngerade.

Beweis (1) Nach Satz 9.4 gibt es ein a ∈ K, so dass K = C(a); sei ma ∈ C[x]\C

das minimale Polynom von a. Dann ist ma irreduzibel, und nach Satz 5.2 giltGradma = [C(a) : C] = [K : C]. Daraus ergibt sich nach Lemma 13.2 (1), dass[K : C] 6= 2.

(2) Genauso wie in (1) ist [L : R] = Gradma fur ein a ∈ K. Nach Lemma 13.2 (2)ist dann [K : R] gerade, da ma irreduzibel ist und [K : R] > 1.

Nun zum Beweis fur Satz 13.1. Sei f ∈ C[x] \ C und sei K ein Zerfallungskorpervon f . Da K eine endliche Erweiterung von R ist, gibt es nach Satz 9.2 eine

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13 Fundamentalsatz der Algebra 98

endliche Erweiterung L von K, so dass L eine normale Erweiterung von R ist.Damit ist nach Satz 10.6 L eine Galois-Erweiterung von R, da char R = 0. Sein = ord Gal(L,R); nach Satz 10.4 und Satz 5.1 ist

n = ordGal(L,R) = [L : R] = [L : C][C : R] = 2[L : C] ,

d.h. n ist gerade. Schreibe also n = 2ℓm mit ℓ ≥ 1 und m ungerade. NachLemma 13.1 (1) gibt es eine Untergruppe H von Gal(L,R) mit ordH = 2ℓ, undnach Satz 10.9 angewendet auf den Fixkorper LH von H in L gilt dann

[LH : R] = ord Gal(L,R)/ordGal(L,LH) = ord Gal(L,R)/ordH = m .

Daraus folgt nach Lemma 13.2 (2), dass m = 1, da m ungerade ist. Dies zeigt,dass H = Gal(L,R), d.h. Gal(L,R) ist eine Gruppe der Ordnung 2ℓ fur ein ℓ ≥ 1.Ferner ist nach Satz 5.1 [K : C] ein Teiler von [L : R] = ord Gal(L,R) = 2ℓ undnach Satz 10.4 und Satz 10.6 ist ordGal(K : C) = [K : C], da char C = 0. Alsoist ordGal(K : C) = 2s fur ein s ≥ 0. Nehme an, dass s ≥ 1; dann gibt esnach Lemma 13.1 (2) einen Normalteiler N von Gal(K : C) mit ordN = 2s−1.Nach Satz 10.9 ist der Fixkorper F = KN eine Galois-Erweiterung von C undGal(F,C) ist isomorph zu Gal(K,C)/Gal(K,F ) = Gal(K,C)/N , die eine Gruppeder Ordnung 2 ist. Damit ist nach Satz 10.4 [F : C] = ord Gal(F,C) = 2, und dieswiderspricht Lemma 13.3 (1). Folglich ist s = 0, d.h. K = C.

Satz 13.2 Die einzige algebraische Erweiterung von C ist C selbst. Insbesonderegibt es keine endliche Erweiterung K von C mit [K : C] > 1.

Beweis Sei K eine algebraische Erweiterung von C und sei a ∈ K. Dann ist aalgebraisch uber C und damit ist a eine Nullstelle eines Polynoms f ∈ C[x] \ C.Daraus folgt nach Satz 13.1, dass a ∈ C.

Satz 13.3 Sei K eine algebraische Erweiterung von R; dann ist K eine endlicheErweiterung mit [K : R] ≤ 2. Ist [K : R] = 2, so gibt es einen Isomorphismusσ : K → C mit σ(a) = a fur alle a ∈ R.

Beweis Nehme an, dass K 6= R, und sei a ∈ K \ R. Sei L ein Zerfallungskorperdes Polynoms x2 +1 ∈ R(a)[x] und sei i⋄ ∈ L eine Nullstelle von x2 +1. Dann ist−i⋄ die andere Nullstelle von x2+1 und damit ist R(i⋄) ein Zerfallungskorper vonx2 + 1 ∈ R[x]. Aber C ist ebenfalls ein Zerfallungskorper von x2 + 1 ∈ R[x] undalso gibt es nach Satz 7.5 einen Isomorphismus σ : R(i⋄) → C mit σ(b) = b furalle b ∈ R. Wir konnen nun R(i⋄) und C identifizieren, und dann ist R(i⋄)(a) eineendliche Erweiterung von C. Daraus folgt nach Satz 13.2, dass R(i⋄)(a) = R(i⋄)und daher ist R(i⋄) = R(a), (da a = c + di⋄ mit c, d ∈ R, c 6= 0). Damit istR(i⋄) ⊂ K, d.h. K kann als eine algebraische Erweiterung von R(i⋄) angesehenwerden. Nach Satz 13.2 ist dann K = R(i⋄).