Ein Unterrichtskonzept zur Einführung in die Dynamik in ... · 2.1 Die Abhängigkeit der Bewegung...

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9 [15] H. Wiesner: Verbesserung des Lernerfolgs durch Untersuchungen von Lernschwierigkeiten im Physikunterricht, Habilitationschrift, Uni- versität Frankfurt/M., 1993 [16] A.A. diSessa: A Bird’s Eye View of the „Pie- ces“ vs. “Coherence” Controversy (From the “Pie- ces” Side of the Fence). In: In: S. Vosniadou (Ed.): International Handbook of Research on Concep- tual Change, Routledge, 2008, S. 35-60 [17] S. Vosniadou (Ed.): Conceptual Change Re- search: An Introduction. In: International Hand- book of Research on Conceptual Change, Routled- ge, 2008, S. xiii-xxviii [18] W. Jung, H. Reul, H. Schwedes: Untersuchun- gen zur Einführung in die Mechanik in den Klas- sen 3-6. Diesterweg, Frankfurt am Main, 1975 [19] D. Herdt: Einführung in die elementare Op- tik. Vergleichende Untersuchung eines neuen Lehrgangs. Westarp, Essen 1989 [20] M. Bader: Vergleichende Untersuchung eines neuen Lehrganges „Einführung in die mechani- sche Energie und Wärmelehre“, Dissertation Uni- versität München, 2001 [21] S. Späth: Überarbeitung und empirische Untersuchungeines Unterrichtskonzeptes zur Einführung in die Elektrizitätslehre. Zulassungs- arbeit Universität München [22] H. Wiesner, V. Tobias, C. Waltner, M. Hopf, Th. Wilhelm, A. I. Sen: Dynamik in den Mecha- nikunterricht, PhyDid B, 2010 [23] H. Wiesner, V. Tobias, C. Waltner, M. Hopf, Th. Wilhelm, Ein Unterrichtskonzept zur Einfüh- rung in die Dynamik in der Mittelstufe, 2010, in diesem Heft Anschrift der Verfasser Prof. Dr. Dr. Hartmut Wiesner, Dr. Verena Tobias, Lehrstuhl für Didaktik der Physik, Universität München, Theresienstraße 37, 80333 München, E-Mail: [email protected] HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010 DYNAMIK / PdN PHYSIK in der Schule Ein Unterrichtskonzept zur Einführung in die Dynamik in der Mittelstufe Ch. Waltner, V.Tobias, H. Wiesner, M. Hopf,Th. Wilhelm 1. Grundlegende Entscheidungen und Ziele für eine Einführung in die Dynamik In diesem Beitrag wird eine Einführung in die Mechanik beschrieben, die über viele Jahre in mehreren Zyklen mit Untersu- chungen von Lernprozessen und Lern- schwierigkeiten, darauf aufbauenden Wei- terentwicklungen der Lernumgebungen und Evaluationen entstanden ist (s. [1] für einen Überblick über die Entwicklungspha- sen seit 1970). Nachdem in den letzten Jah- ren eine sorgfältige empirische Untersu- chung dieser Konzeption durchgeführt worden ist [2], mit der gezeigt werden konnte, dass deutliche Verbesserungen gegenüber verbreiteten Einführungen mit starker Betonung der Statik, der Kinematik und des Beschleunigungsbegriffs und ei- ner Beschränkung auf eindimensionale Be- wegungen erzielt worden sind, erscheint uns eine erneute Beschreibung des Kon- zeptes sinnvoll, die zudem einige neue me- thodische Verfeinerungen enthält. Ein wesentlicher Anstoß für den letzten Entwicklungszyklus war die Verschiebung der Einführung in die Mechanik in die 7. Klasse im Zuge der Umstellung auf das 8jährige Gymnasium in Bayern und die da- durch artikulierte Forderung von Lehrkräf- ten, geeignete Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die frü- heren fachmethodischen Entscheidungen wurden beibehalten: a) Die Mechanik soll dynamisch eingeführt werden und zwar über die Kraftstoßglei- chung, weil der verbreitete Weg über die Statik und die (eindimensionale) Kinema- tik Lernschwierigkeiten bestärkt und er- zeugt (s. z.B. [3]-[5] und das Vorwort in die- sem Heft). b) Die Geschwindigkeit ist vektoriell (min- destens zweidimensional) einzuführen, da- mit später ein allgemein gültiger Beschleu- nigungsbegriff entwickelt werden kann. Das Konzept über die Kraftstoßgleichung stellt die Vermittlung der folgenden grund- legenden Ideen in das Zentrum des Lehr- gangs: • Bewegungen werden durch die vektorielle Geschwindigkeit beschrieben (symbolisch bzw. ikonisch dargestellt durch Ge- schwindigkeitspfeile); • eine Einwirkung, z. B. ein Stoss, fügt zu der Anfangsgeschwindigkeit eine Zusatz- geschwindigkeit v r hinzu bzw. führt zu ei- ner Geschwindigkeitsänderung v r in Ein- wirkungs- bzw. Stoßrichtung (entspre- chendes gilt umgekehrt); • die Endgeschwindigkeit ergibt sich aus der vektoriellen Addition von Anfangs- geschwindigkeit und Zusatzgeschwin- digkeit; • die Größe der Zusatzgeschwindigkeit bzw. Geschwindigkeitsänderung hängt von der Stärke der Einwirkung und ihrer Dauer ab; • bei gleicher Einwirkung bzw. gleichstar- kem Stoss auf verschiedene Körper hängt v r von einer Eigenschaft des gestoßenen Körpers ab, nämlich von seiner „Massig- keit“ (träge Masse); die Newtonsche Bewegungsgleichung wird in der Form F r t = m v r eingeführt; sie stellt eine Definitionsglei- chung für die Kraft dar. Die Kraft F r über die Beziehung F r t = m v r zu definieren bzw. als physikalische Festlegung von Stärke und Richtung einer Einwirkung einzuführen ist eine der Mög- lichkeiten die Grundbeziehungen der Me- chanik zu strukturieren (s. Mach 1912, Eisen- bud, 1958; Westphal, 1967, Weinstock, 1961 [6]- [9]). Eine logisch konsistente Durchführung greift dabei auf den Impulserhaltungssatz als empirisches Gesetz zurück, der auch die Messvorschrift für die träge Masse liefert. Die obige Definition der Kraft ist aber unvollständig und wäre nutzlos (s. Feyn- man [10]), wenn Kräfte nicht auch von F r t = m v r

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[15] H. Wiesner: Verbesserung des Lernerfolgsdurch Untersuchungen von Lernschwierigkeitenim Physikunterricht, Habilitationschrift, Uni-versität Frankfurt/M., 1993[16] A.A. diSessa: A Bird’s Eye View of the „Pie-ces“ vs. “Coherence” Controversy (From the “Pie-ces” Side of the Fence). In: In: S. Vosniadou (Ed.):International Handbook of Research on Concep-tual Change, Routledge, 2008, S. 35-60[17] S. Vosniadou (Ed.): Conceptual Change Re-search: An Introduction. In: International Hand-book of Research on Conceptual Change, Routled-ge, 2008, S. xiii-xxviii

[18]W. Jung, H. Reul, H. Schwedes: Untersuchun-gen zur Einführung in die Mechanik in den Klas-sen 3-6. Diesterweg, Frankfurt am Main, 1975[19] D. Herdt: Einführung in die elementare Op-tik. Vergleichende Untersuchung eines neuenLehrgangs. Westarp, Essen 1989[20] M. Bader: Vergleichende Untersuchung einesneuen Lehrganges „Einführung in die mechani-sche Energie und Wärmelehre“, Dissertation Uni-versität München, 2001[21] S. Späth: Überarbeitung und empirischeUntersuchungeines Unterrichtskonzeptes zurEinführung in die Elektrizitätslehre. Zulassungs-arbeit Universität München

[22] H. Wiesner, V. Tobias, C. Waltner, M. Hopf,Th. Wilhelm, A. I. Sen: Dynamik in den Mecha-nikunterricht, PhyDid B, 2010[23] H. Wiesner, V. Tobias, C. Waltner, M. Hopf,Th. Wilhelm, Ein Unterrichtskonzept zur Einfüh-rung in die Dynamik in der Mittelstufe, 2010, indiesem Heft

Anschrift der VerfasserProf. Dr. Dr. Hartmut Wiesner, Dr. Verena Tobias,Lehrstuhl für Didaktik der Physik, UniversitätMünchen, Theresienstraße 37, 80333 München,E-Mail:[email protected]

HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010 DYNAMIK / PdN PHYSIK in der Schule

Ein Unterrichtskonzept zur Einführung indie Dynamik in der MittelstufeCh. Waltner, V. Tobias, H. Wiesner, M. Hopf, Th. Wilhelm

1. Grundlegende Entscheidungen undZiele für eine Einführung in die DynamikIn diesem Beitrag wird eine Einführung indie Mechanik beschrieben, die über vieleJahre in mehreren Zyklen mit Untersu-chungen von Lernprozessen und Lern-schwierigkeiten, darauf aufbauenden Wei-terentwicklungen der Lernumgebungenund Evaluationen entstanden ist (s. [1] füreinen Überblick über die Entwicklungspha-sen seit 1970). Nachdem in den letzten Jah-ren eine sorgfältige empirische Untersu-chung dieser Konzeption durchgeführtworden ist [2], mit der gezeigt werdenkonnte, dass deutliche Verbesserungengegenüber verbreiteten Einführungen mitstarker Betonung der Statik, der Kinematikund des Beschleunigungsbegriffs und ei-ner Beschränkung auf eindimensionale Be-wegungen erzielt worden sind, erscheintuns eine erneute Beschreibung des Kon-zeptes sinnvoll, die zudem einige neue me-thodische Verfeinerungen enthält.

Ein wesentlicher Anstoß für den letztenEntwicklungszyklus war die Verschiebungder Einführung in die Mechanik in die7. Klasse im Zuge der Umstellung auf das8jährige Gymnasium in Bayern und die da-durch artikulierte Forderung von Lehrkräf-ten, geeignete Unterrichtsmaterialien zurVerfügung gestellt zu bekommen. Die frü-heren fachmethodischen Entscheidungenwurden beibehalten:

a) Die Mechanik soll dynamisch eingeführtwerden und zwar über die Kraftstoßglei-chung, weil der verbreitete Weg über dieStatik und die (eindimensionale) Kinema-tik Lernschwierigkeiten bestärkt und er-zeugt (s. z.B. [3]-[5] und das Vorwort in die-sem Heft). b) Die Geschwindigkeit ist vektoriell (min-destens zweidimensional) einzuführen, da-mit später ein allgemein gültiger Beschleu-nigungsbegriff entwickelt werden kann.

Das Konzept über die Kraftstoßgleichungstellt die Vermittlung der folgenden grund-legenden Ideen in das Zentrum des Lehr-gangs:• Bewegungen werden durch die vektorielleGeschwindigkeit beschrieben (symbolisch– bzw. ikonisch – dargestellt durch Ge-schwindigkeitspfeile);• eine Einwirkung, z. B. ein Stoss, fügt zuder Anfangsgeschwindigkeit eine Zusatz-geschwindigkeit ∆vr hinzu bzw. führt zu ei-ner Geschwindigkeitsänderung ∆vr in Ein-wirkungs- bzw. Stoßrichtung (entspre-chendes gilt umgekehrt);• die Endgeschwindigkeit ergibt sich ausder vektoriellen Addition von Anfangs-geschwindigkeit und Zusatzgeschwin-digkeit; • die Größe der Zusatzgeschwindigkeit bzw.Geschwindigkeitsänderung hängt von derStärke der Einwirkung und ihrer Dauer ab;

• bei gleicher Einwirkung bzw. gleichstar-kem Stoss auf verschiedene Körper hängt∆vr von einer Eigenschaft des gestoßenenKörpers ab, nämlich von seiner „Massig-keit“ (träge Masse);• die Newtonsche Bewegungsgleichungwird in der Form

Fr∆t = m ∆vr

eingeführt; sie stellt eine Definitionsglei-chung für die Kraft dar.

Die Kraft Fr

über die Beziehung

Fr∆t = m ∆vr

zu definieren bzw. als physikalischeFestlegung von Stärke und Richtung einerEinwirkung einzuführen ist eine der Mög-lichkeiten die Grundbeziehungen der Me-chanik zu strukturieren (s. Mach 1912, Eisen-bud, 1958; Westphal, 1967, Weinstock, 1961 [6]-[9]).

Eine logisch konsistente Durchführunggreift dabei auf den Impulserhaltungssatzals empirisches Gesetz zurück, der auch dieMessvorschrift für die träge Masse liefert.

Die obige Definition der Kraft ist aberunvollständig und wäre nutzlos (s. Feyn-man [10]), wenn Kräfte nicht auch von

Fr∆t = m ∆vr

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unabhängige Eigenschaften hätten. DieseEigenschaften legen die speziellen Kraftge-setze (z.B. F

rG = m gr oder F

rF = – D∆xr) fest. Die-

se können prinzipiell mithilfe von Fr∆t = m

∆vr experimentell gefunden werden. Sindsie bekannt, können mit ihnen wiederumtheoretische Voraussagen über die Bewe-gung von Objekten gemacht werden.Die (integrale) Produktform F

r∆t = m ∆vr er-

möglicht den Schülern plausible Je-desto-Beziehungen zu formulieren, die ihnen we-nig Schwierigkeiten bereiten. Z.B. ist eineeinfache Folgerung, dass bei gleich starkerEinwirkung und Masse die Geschwindig-keitsänderung (Zusatzgeschwindigkeit)umso größer ist, je länger die Einwirkungerfolgt. Auf den für Schüler schwierigenund missverständlichen Beschleunigungs-begriff kann zunächst verzichtet werden.

2. Beschreibung des Lehrgangs„Einführung in die Mechanik“2.1 Übersicht über die UnterrichtseinheitenAusgehend von einer Lehrgangsstruktur,wie sie in [11]-[14] berichtet wurde, erprob-te und evaluierte Sen im Rahmen einer Ver-gleichsuntersuchung eine überarbeiteteFassung in Ankara (mit deutlicher Überle-genheit des dynamischen Zugangs [15]).Eine weitere gründliche Überarbeitungund Anpassung an die Rahmenbedingun-gen in Bayern wurde im Rahmen einer um-fassenden Studie in den Jahren 2007- 2010überprüft. In Abschnitt 3 werden die Ergeb-nisse zusammengefasst.

Der derzeitige Unterrichtsvorschlag (alsSchülertext abrufbar unter http://www.di-daktik.physik.uni-muenchen.de/aktuel-les/mechanik/index.html) umfasst die inTab. 1 aufgeführten Unterrichtseinheiten.Je nach länderspezifischen zeitlichen Vor-gaben können die Kapitel 7 und 8 mehroder weniger ausführlich behandelt wer-den. Der Grad an Formalisierung kann jenach Klassenstufe angepasst werden.

2.2 Beschreibung einzelner UnterrichtseinheitenEinheit 1: Zielsetzung der MechanikEine Motivation in Form eines Ausblickssteht am Anfang des Lehrgangs. Es wirdbeschrieben, mit welcher Art von Phäno-menen sich der Inhaltsbereich der Mecha-nik befasst. Fragestellungen zu Bewegun-gen und Bewegungsänderungen, insbe-sondere der Zusammenhang der Einwir-kung auf einen Gegenstand und seiner dar-aus resultierenden Bewegungsänderung,werden behandelt. Mit den Gesetzen derMechanik kann man Bewegungsänderun-gen voraussagen oder umgekehrt eine Ein-wirkung erschließen. Einen geeigneten

PdN PHYSIK in der Schule / DYNAMIK HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010

Inhaltsverzeichnis des Mechaniklehrgangs

1. Zielsetzung der Mechanik

2. Beschreibung und Darstellung von Bewegungen2.1 Die Abhängigkeit der Bewegung vom Bezugssystem2.2 Aufzeichnung von Bewegungen

3. Der vektorielle Geschwindigkeitsbegriff

4. Die Zusatzgeschwindigkeit (bzw. Geschwindigkeitsänderung)4.1 Folge eines Kraftstoßes4.2 Zweidimensionale Konstruktionen4.3 Eindimensionale Konstruktionen

5. Die Newtonsche Bewegungsgleichung5.1 Einwirkungsstärke und Zusatzgeschwindigkeit5.2 Einwirkungsdauer und Zusatzgeschwindigkeit5.3 Masse und Zusatzgeschwindigkeit5.4 Die Newtonsche Bewegungsgleichung

6. Anwendung der Newtonschen Bewegungsgleichung6.1 Alltagsanwendungen6.2 Beharrungsprinzip

7. Wechselwirkungsprinzip (Impulserhaltungssatz)

8. Kraftgesetz und -arten8.1 Die Gravitationskraft8.2 Kräfteaddition8.3 Kräftegleichgewicht8.4 Messung von Kräften mit der Kompensationsmethode (Federkraft)8.5 Weitere Kraftarten

Tab. 1: Inhaltsverzeichnis des Mechaniklehrgangs

Abb. 1: Stroboskopbild eines springenden Fußballs

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Kontext dafür bieten zum Beispiel Ball-sportarten wie Fußball, Volleyball etc.

Einheit 2: Beschreibung und Darstellung von BewegungenEinheit 2.1: Die Abhängigkeit der Bewegung vom BezugssystemAnhand von einigen Beispielen wird ver-deutlicht, dass eine eindeutige Beschrei-bung von Bewegungen voraussetzt, dassman das Bezugssystem festlegt. Z.B. siehtdie Fallbewegung von Schneeflocken voneinem Auto aus betrachtet ganz anders ausals vom Straßenrand beobachtet. Im er-sten Fall scheinen die Schneeflocken fasthorizontal auf den Beobachter zuzukom-men, im zweiten schweben sie bei Wind-stille senkrecht zum Boden.

Einheit 2.2: Aufzeichnungen von BewegungenUm die Bewegung eines Gegenstandes zubeschreiben, muss zu bestimmten Zeit-punkten, festgestellt werden, wo sich derGegenstand befindet. Als Einstiegsbeispieldient die Flugroute eines Storches, die imInternet aktuell abrufbar ist (http://www.fr.ch/mhn/de/weissstorch/max.htm). Da-bei wird diskutiert, dass die Bewegungumso genauer beschrieben ist, je näher dieZeitpunkte der Ortsmessung zusammenliegen.

Geeignete Möglichkeiten eine Bewe-gung im Rahmen des Schulunterrichts auf-zuzeichnen und adäquat darzustellen bie-tet die Erstellung von Stroboskopbilder(Abb.1), Videos und Serienbildern. DieSchüler und Schülerinnen sollen dabei ver-stehen, dass eine gleiche Zeitdauer zwi-schen zwei Aufnahmen sinnvoll für eineAnalyse der Bewegung ist.

Einheit 3: Der vektorielleGeschwindigkeitsbegriff 1

Die Geschwindigkeit vr eines Gegenstandessetzt sich zusammen aus dessen Tempound Bewegungsrichtung. Sie kann durcheinen Vektor bzw. einen Pfeil dargestelltwerden. Seine Richtung gibt die Bewe-gungsrichtung, sein Betrag bzw. seine Län-ge gibt das Tempo der Bewegung an.In einem ersten Schritt wird den Schülerin-nen und Schülern bewusst gemacht, dasssie zur genauen Beschreibung einer Bewe-gung sowohl das Tempo, als auch die Rich-tung angeben müssen. Dazu eignet sichbeispielsweise ein Spiel, bei dem eine Per-son mit verbundenen Augen ein fernge-steuertes Auto auf einer vorgegebenenBahn lenkt und dabei von einer weiterenPerson die entsprechenden Anweisungenerhält. Die Vektor/Pfeilnotation wird einge-führt. Geschwindigkeitsvektoren bzw. –

Abb. 2: Stroboskopbild eines springenden Fußballs mit eingezeichneten Geschwindigkeitsvektoren

Abb. 3: Aufgabe zurUnterscheidung von Tempound Geschwindigkeit: WelcheAutos haben die gleicheGeschwindigkeit und welchedas gleiche Tempo?

Abb. 4: Geschwindigkeitspfeile beim Hammerwurf

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pfeile können von den Schülerinnen undSchülern entsprechend in die Stroboskop-bilder eingetragen werden (Abb. 2). An-hand von Aufgaben wird der Unterschiedzwischen den Begriffen Geschwindigkeit

und Tempo eingeübt. Zum Beispiel sollenAutos mit gleicher Geschwindigkeit ge-kennzeichnet werden (Abb. 3). Bereits andieser Stelle wird mit den Schülerinnenund Schülern diskutiert, dass sich die Ge-

schwindigkeit bei einer Kreisbewegungständig ändert (Abb. 4).

Einheit 4: Die ZusatzgeschwindigkeitDie für die Mechanik grundlegende Idee,dass eine Einwirkung zu einer Geschwin-digkeitsänderung/Zusatzgeschwindigkeitführt und umgekehrt eine beobachtete Ge-schwindigkeitsänderung auf eine Einwir-kung schließen lässt, wird erarbeitet.

Als Einstieg in die Problematik wirdeine Torschussübung herangezogen: Einparallel zum Tor rollender Ball (Abb. 5) wirdsenkrecht zur ursprünglichen Geschwin-digkeit gekickt. In einem Versuch wird diesim Klassenzimmer simuliert. Als Ball eig-net sich eine schwere Kugel, die durch einBrett senkrecht zur Anfangsbewegung mitder Hand gestoßen wird. Wegen der sehrverbreiteten Schülervorstellung, dass Kraftund Geschwindigkeit gleiche Richtung ha-ben, ist für die Schülerinnen und Schülerverblüffend, dass die Kugel sich nicht inStoßrichtung weiterbewegt und damit dasTor verfehlt.

Woran liegt das? Der Grund ist, dass dieKugel nach dem Stoß in einem gewissenSinn zwei Bewegungen gleichzeitig aus-führt. Die Bewegung in der Anfangsrich-tung wird beibehalten. Zusätzlich wirdeine Bewegung in der Stoßrichtung ausge-führt. Letztere wird als Zusatzgeschwindig-keit ∆vr eingeführt. Zur Veranschaulichungdes Zusammenhangs von Anfangs-, Zu-satz- und Endgeschwindigkeit wird einweiterer Stoßversuch durchgeführt. Manlässt zwei identische Kugeln auf einerUnterlage mit gleicher Anfangsgeschwin-digkeit nach rechts rollen, nur eine der bei-den Kugeln wird senkrecht zur Bewe-gungsrichtung gestoßen (Abb. 6a und 6b).

Die gestoßene Kugel trifft immer aufdie andere Kugel. Deutlich wird dabei, dassbeide Kugeln zu jedem Zeitpunkt mit der

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Abb. 5: Stroboskopbild der simulierten Torschussübung

Abb. 6: Stroboskopbild zum Stoßversuch (real und als Computersimulation)

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gleichen Geschwindigkeit (blau) nachrechts rollen und die gestoßene Kugel zu-sätzlich eine Geschwindigkeit in Stoßrich-tung erhält (grün).

Dass eine senkrecht zur Anfangsrich-tung gestoßene Kugel, ihre Anfangsge-schwindigkeit beibehält und in Stoßrich-tung eine zusätzliche Geschwindigkeits-komponente erhält, kann durch folgendenVideofilm (Abb. 7, abrufbar unter: www.di-daktik.physik.uni-muenchen.de/aktuel-les/mechanik/index.html) veranschaulichtwerden. Bei diesem Film können durchentsprechende Kamerastellungen nebender Draufsicht, die beiden Seitenansichteneingeblendet werden. In diesen Perspekti-ven können die Geschwindigkeitskompo-nenten, Anfangs- und Zusatzgeschwindig-keit, jeweils einzeln beobachtet werden.

Die Endgeschwindigkeit der gestoße-nen Kugel setzt sich durch Vektoradditionaus der Anfangs- und der Zusatzgeschwin-digkeit zusammen (Abb. 8). Daneben kanndurch Vektorsubtraktion aus der Anfangs-und der Endgeschwindigkeit, die Zusatzge-schwindigkeit und damit die Richtung derEinwirkung ermittelt werden. Diese Ver-knüpfung schreibt man in Anlehnung andie übliche Addition:

Nach Üben einiger Konstruktionsbei-spiele (siehe Arbeitsblatt 1) für den senk-rechten Stoss, sowie der Verallgemeine-rung auf schräge Stöße werden anschlie-ßend eindimensionale Fälle untersucht.

Einheit 5: Newtonschen BewegungsgleichungIn diesem Unterrichtsabschnitt geht es da-rum, den Zusammenhang zwischen den As-pekten Einwirkungsstärke, -richtung und -dauer, Geschwindigkeitsänderung undMasse zu diskutieren. In einer dafür entwi-ckelten Computersimulation (s. Abb. 6b,abrufbar unter www.didaktik. physik.uni-muenchen.de, Unterrichtsmaterialien zurMechanik)) können die einzelnen Einfluss-faktoren auf die Zusatzgeschwindigkeit va-riiert und die daraus folgende Bewegungs-änderung beobachtet werden.

Einheit 5.1: Einwirkung und ZusatzgeschwindigkeitAus dem bisherigen Unterricht ist denSchülern bekannt, dass durch eine Einwir-kung eine durch ∆vr beschriebene Zusatz-bewegung hinzukommt und diese in Rich-tung der Einwirkung erfolgt.

In diesem Abschnitt werden Einwir-kungsstärke und Einwirkungsrichtung alsKraft eingeführt und der Zusammenhang

r r rv v vE A= + ∆ .

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Abb. 7: Kugelstoß aus drei verschiedenen Perspektiven (screenshot von Video): Zusatzgeschwindigkeit(rechts) und Anfangsgeschwindigkeit (unten). (a) vor dem Stoß, (b) nach dem Stoß

vA vA

�v

vA

�v

vA

vE�v

Abb. 8: Vektorielle Addition der Anfangs- und der Zusatzgeschwindigkeit

a)

b)

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zwischen Kraft und Zusatzgeschwindigkeiterarbeitet: • Je größer die Einwirkungsstärke einer Kraft ist,die auf einen Körper ausgeübt wird, desto größerist das Tempo der Zusatzgeschwindigkeit, die derKörper erhält. (Gleichwertig ist hier und bei denfolgenden Je-desto-Aussagen die Formulierung:„... desto länger ist der Pfeil der Zusatzgeschwin-digkeit.“)

Einheit 5. 2: Einwirkungsdauer und Zusatzgeschwindigkeit• Je länger die Einwirkungsdauer einer Kraft ist,die auf einen Gegenstand ausgeübt wird, destogrößer ist das Tempo der Zusatzgeschwindigkeit.

Dieser Zusammenhang kann durch dieEinwirkung eines Gebläses (Fön, Ventila-tor) auf die Bewegung einer rollenden Ku-gel veranschaulicht werden (am einfach-sten anhand der Simulation).

Einheit 5.3: Masse und Zusatzgeschwindigkeit• Je größer die Masse eines Gegenstandes ist, aufden eine Kraft ausgeübt wird, desto kleiner ist das

Tempo der Zusatzgeschwindigkeit, die der Körpererhält.

Intuitiv gleich starke Stöße werden aufunterschiedlich schwere Kugeln bzw. Bälleausgeübt und die Bewegung jeweils beob-achtet.

Einheit 5.4:Die Newtonsche BewegungsgleichungAn dieser Stelle kann nun die neue physi-kalische Größe Kraft präzise definiert wer-den.

Sie wird durch die folgende Gleichung,die die obigen Je-desto-Beziehungen ent-hält, physikalisch festgelegt:

Das Vorgehen, eine physikalische Größedurch eine formale Definition festzulegen,kann mit den Schülerinnen und Schülernals eine Methode in den Naturwissenschaf-ten diskutiert werden. Die Zweckmäßig-keit der Definition muss sich erst erweisen.

r rF t m v∆ ∆= .

Einheit 6: Anwendungen der Newtonschen Be-wegungsgleichungEinheit 6.1: AlltagsanwendungenDie Newton’sche Bewegungsgleichungwird anhand einiger Beispiele aus dem All-tag diskutiert: Muss der Torwart eine grö-ßere Kraft auf den Fußball ausüben umihn zu stoppen oder zu fausten? Wie verrin-gert die Knautschzone das Verletzungsrisi-ko der Insassen bei einem Autounfall? Wa-rum werden Formel 1-Rennwagen mög-lichst leicht gebaut? Warum sollte manbeim Abgang vom Reck in die Knie gehen?(siehe Arbeitsblatt 3: Sprung von einemStuhl auf eine Kraftmessplatte auf S. 16und Arbeitsblatt 4: Argumentieren mit derNewtonschen Bewegungsgleichung aufS. 17)

Einheit 6.2: Beharrungsprinzip (Trägheitssatz)Wenn auf einen Körper keine Kraft ausge-übt wird, dann folgt aus der NewtonschenBewegungsgleichung, dass der Körper kei-ne Zusatzgeschwindigkeit erhält, sich sei-ne Geschwindigkeit also nicht ändert. Bei-spielsweise verliert ein Lastwagen ein un-gesichertes Paket, wenn er um die Kurvefährt, da auf das Paket keine (Zentripetal-)Kraft ausgeübt wird und es daher keine Zu-satzgeschwindigkeit in radialer Richtungerhält. Dagegen muss auf den Lkw eineKraft ausgeübt worden sein. Für Schülerin-nen und Schülern ist nicht leicht nachzu-vollziehen, dass die Straße die Kraft, diedie Zusatzgeschwindigkeit für die Kurven-fahrt ermöglicht, auf den Lkw ausübt (sie-he Wechselwirkung). Genauso wirkt auchauf die Funken bei einer schneidendenFlex keine Kraft und sie bewegen sich tan-gential zum runden Schneideblatt weg.

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Bild 1

Bild 2

Bild 3

Abb. 9: Nach dem Zusammenstoß hat das zweite Auto genau die Geschwindigkeit, die das erste vordem Crash hatte

Abb. 10: Versuch zur Impulserhaltung – das Massenverhältnis ist 1:2. (a) unmittelbar vor der Enttarretierung der Feder, (b) unmittelbar vor der Berührungder aufgestellten Brettchen

a)

b)

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Einheit 7: Das Wechselwirkungsprinzip und derImpulserhaltungssatzSowohl das Wechselwirkungsprinzip alsauch der Impulserhaltungssatz könnenmithilfe des folgenden Versuchs plausibelgemacht werden.

Auf ein ruhendes Spielzeugauto (2)fährt ein gleich gebautes Auto (1) mit derGeschwindigkeit vr1A auf. Man beobachtet,dass das auffahrende Auto (1) stehenbleibt und das Auto (2) mit genau der Ge-schwindigkeit wegfährt, die Auto (1) vordem Zusammenstoß hatte (Abb. 9):

vr2E = vr1A (*).

Die Geschwindigkeiten beider Autos ha-ben sich geändert, also hat Auto (1) aufAuto (2) eine Kraft F

r1→2 ausgeübt und um-

gekehrt Auto (2) auf Auto (1) die Kraft Fr

2→1.Unter der obigen Voraussetzung m1 = m2 =m und gleiche Einwirkungsdauern ∆t aufbeide Autos können beide Kräfte mithilfeder Bewegungsgleichung angegeben undmiteinander verglichen werden. Unter Be-rücksichtigung von (*) und vr1E = 0 und vr2A =0 ist

Daraus folgt Fr

2→1 = –Fr

1→2 als formale Aus-sage für das Wechselwirkungsprinzip. Die-se Aussage gilt auch für den allgemeinenFall, dass m1 ≠ m2 ist (dann sind die beidenZusatzgeschwindigkeiten ebenfalls nichtgleich groß).

Wechselwirkungsprinzip: Übt ein Körper 1auf einen Körper 2 eine Kraft F

r1→2 aus, so

übt Körper 2 auf Körper 1 gleichzeitig einegleichgroße, aber entgegengesetzt gerich-tete Kraft F

r2→1 aus.

Betont und in Beispielen eingeübt wer-den muss, dass die beiden Kräfte F

r1→2 und

Fr

2→1 an verschiedenen Körpern angreifen!Anwendungsbeispiele für das Besprechenim Unterricht sind Anfahren, Bremsen,Laufen, Anziehen und Abstoßen von Mag-neten, …

Aus den beiden Gleichungen (**) folgtmit F

r2→1 = –F

r1→2 der Impulserhaltungssatz:

Eine einfache aber für die Schülerinnenund Schüler sehr überzeugende Bestäti-gung für die Impulserhaltung liefert derfolgende Versuch (Abb. 10). Zwischen zweiWagen befindet sich eine gespannte Feder.Durch Zusatzgewichte ist das Massenver-

m v m v1 1 2 2r r= − .

r r r

r r rF t m v m v

F t m v mvA

A

2 1 1 1 1

1 2 2 2 1

= = −

= =

∆ ∆

∆ ∆

( )

(**)

hältnis der Wagen 1:2 (oder auch 1:3) einge-stellt. Zwei Brettchen werden so aufge-stellt, dass ihr Abstandsverhältnis vomMittelpunkt der Anordung 2:1 (oder auch3:1). ist. Nach Entarretierung der Feder wer-den beide Brettchen durch die Wagen guthörbar zum selben Zeitpunkt umgesto-ßen, weil nach Impulserhaltungssatz derleichte Wagen die doppelte Endgeschwin-digkeit hat wie der schwerere Wagen.

Einheit 8: Kraftgesetze und KraftartenEinheit 8.1: GravitationskraftLosgelassene Gegenstände erhalten eineZusatzgeschwindigkeit senkrecht zumErdboden, also muss ein anderer Körpereine Kraft auf den Gegenstand ausüben,die senkrecht zum Erboden hin wirkt. Mitden Schülerinnen und Schülern wird ge-klärt, dass dies die Gravitationskraft ist, diedie Erde auf alle Gegenstände in ihrer Näheausübt.

Zur experimentellen Bestimmung derGravitationskraft der Erde wird von derNewtonschen Bewegungsgleichung aus-gegangen:

Mithilfe einer Stroboskopaufnahme ei-nes fallenden Gegenstandes (Arbeits-blatt 2: Stroboskopaufnahme eines Fuß-ballwurfes, S. 15) kann der Betrag für ∆v/∆tbestimmt werden: Es wird abgelesen, dassin jeder aufeinanderfolgenden Aufnahmeder Körper die gleiche Zusatzgeschwindig-keit ∆vr erhält. Die Zeitspanne zwischenzwei Aufnahmen, also die Einwirkungs-dauer ∆t, innerhalb der der Körper die Zu-satzgeschwindigkeit ∆v erhält, ist dabeibekannt (auf dem Arbeitsblatt beträgt ∆t =0,07s).

Da das Tempo der Zusatzgeschwindig-keit proportional zur Fallzeit ist, wird derProportionalitätsfaktor g dafür eingeführtund berechnet:

g = ∆v/∆t = 10 m/s²

Berücksichtigt man, dass die Zusatzge-schwindigkeit eine vektorielle Größe ist,muss auch g ein Vektor sein, der wie ∆ vr

senkrecht nach unten zum Erdboden hinzeigt:

Einsetzen von gr= ∆vr/∆t in (1) liefert denAusdruck für die Gravitationskraft derErde:

rr

g vt

= ∆∆

( )2

r r

r rF t m v t

F m vt

∆ ∆ ∆

∆∆

=

=

:

( )1

Fr

E = m gr.

Die Gravitationskraft der Erde Fr

E ist propor-tional zur Masse des fallenden Gegenstan-des. Die Kraft F

r, die einwirken muss, um ei-

nem Körper in der Zeit ∆t die Zusatzge-schwindigkeit ∆vr zu geben, ist ebenfallsproportional zur Masse m. Daher ist die Zu-satzgeschwindigkeit pro Zeit unabhängigvon der Masse. Deutlich wird dies, wennman den Ausdruck für die Gravitations-kraft F

rE in der Newtonsche Bewegungslei-

chung für Fr

einsetzt.Ein erster Test könnte so aussehen: Man

lässt zwei kleine Stahlkugeln gleichzeitigfallen, von denen eine zwei bis dreimal soschwer ist wie die andere. Man beobachtet,dass beide Kugeln gleichzeitig auf demFußboden auftreffen, also die gleiche Zu-satzgeschwindigkeit pro Zeit erhalten hat.

Folgerungen für den freien Fall (Bewegungsgleichungen)Die Bewegungsgleichungen für den freienFall können deduktiv aus der Newton-schen Bewegungsgleichung und dem Aus-druck für die Gravitationskraft auf der Erdehergeleitet werden.

Durch Auflösen von Gleichung (2) undEinsetzen der Anfangsbedingung v(t=0) = 0ergibt sich sofort für die z-Komponente daskonventionelle “Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz”:

v(t) = g t.

Ohne Integration kann das Weg-Zeit-Ge-setz nicht abgeleitet werden. Aber mithilfeeiner Plausibilitätsüberlegung kann manes erhalten. Da das Tempo gleichmäßig an-steigt, verwendet man das mittlere Tempo

Durch Ersetzen von v(t) durch das mitt-lere Tempo v(t)/2 in s = v(t) t und Ersetzenvon v(t) durch g t, erhält man die korrekteBeziehung

s = gt2/2.

Als ein weiterer Schritt kann das allge-meine Gravitationsgesetz und in diesemZusammenhang die Gravitationskraft vonHimmelskörpern aufeinander angespro-chen werden. Beispiele sind die Gravita-tionkraft zwischen Sonne und Erde undanderen Planeten, zwischen Erde undMond, Satellitenbahnen, der Gravity-Trac-tor (s. [16], in diesem Heft), Gezeiten usw.Die Diskussion unterschiedlicher Fallbe-wegungen kann zur Besprechung der Luft-reibung überleiten.

v v t v t v t= + = =( ) ( ) ( ).02 2

HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010 DYNAMIK / PdN PHYSIK in der Schule

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PdN PHYSIK in der Schule / DYNAMIK HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010

Arbeitsblatt Nr. 1

Eishockey: Beim Eishockey schlagen die Spieler den Puck, der dabei zur Anfangsgeschwindigkeit vrA eine Zusatzgeschwindigkeit∆vr erhält. Die erreichten Endgeschwindigkeiten können bis zu 170 km/h betragen. Im Folgenden sind Situationen dargestellt, indenen der Puck unterschiedliche Zusatzgeschwindigkeiten ∆vr erhält. Ermittele jeweils graphisch den Pfeil der Endgeschwindig-keit vrE, wenn jedes Mal gleich stark gegen den Puck geschlagen wird.

Minigolf: Hast du schon einmal Minigolf gespielt? Ziel dieses Spieles ist es, den Ball mit möglichst wenigen Schlägen ins Loch zubefördern. Manchmal ist es dabei hilfreich, den Ball gegen die Bande zu schlagen, so dass eine Ablenkung in die richtige Rich-tung erfolgt. Bestimme graphisch, welche Zusatzgeschwindigkeit ∆vrder Ball dabei von der Bande erhält.

direkt nachdem „Schlag“

Puck

Graphische Ermittlung von :vE

Eishockey-schläger

vA vA

vA

vA

vA

vA

vA

vA

vE

�v �v

�v

�v

�v

1. 2.

vor dem„Schlag“

Graphische Ermittlung von :�v

vA vA

vA vA

vE

vEvE

vE

�v

1. 2.

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HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010 DYNAMIK / PdN PHYSIK in der Schule

Arbeitsblatt Nr. 2

Stroboskopaufnahme eines Fußballwurfes: Im unteren Bild ist eine Stroboskopaufnahme eines Fußballwurfes zu sehen. Zwi-schen zwei Aufnahmen liegen immer 0,07 Sekunden. Weiter sind in drei Fällen die Geschwindigkeitspfeile bei zwei aufeinanderfol-genden Fußbällen eingezeichnet. (Maßstab: 1 cm =̂ 0,7 m/s )Die Zusatzgeschwindigkeit, welche der Ball zwischen zwei Zeitpunkten bekommt, bestimmt man folgendermaßen:1. Markiere die Anfangsgeschwindigkeit vrA mit einem blauen Stift.2. Markiere die Endgeschwindigkeit vrE mit einem roten Stift.3. Nun verschiebe den Pfeil der Endgeschwindigkeit in den Pfeilfuß der Anfangsgeschwindigkeit.4. Der Pfeil der Zusatzgeschwindigkeit ∆vr zeigt von der Pfeilspitze von vrA zur Pfeilspitze von vrE.

Addition der Pfeile

Aufgabe 1: a) Konstruiere nun den Pfeil der Zusatzgeschwindigkeit in den drei Fällen. b) Bestimme mit Hilfe des Maßstabs das Tempo der drei Zusatzgeschwindigkeiten.c) Vergleiche die drei Pfeile der Zusatzgeschwindigkeit bezüglich Tempo und Richtung.d) Da der Ball eine Zusatzgeschwindigkeit erhält, muss auf den Ball durch einen anderen Körper eine Kraft ausgeübt werden. Dis-kutiere mit deinem Nachbarn, welcher Körper die Kraft ausübt und in welche Richtung sie ausgeübt wurde.

Aufgabe 2: Berechne nun den Wert des Faktors r

rg v

t= ∆

∆.

vA

vE

�v

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PdN PHYSIK in der Schule / DYNAMIK HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010

Arbeitsblatt Nr. 3

Sprung von einem Stuhl auf eine Kraftmessplatte: Die Fotoserien zeigen zwei unterschiedliche Sprünge auf eine Kraftmessplat-te. Eine Kraftmessplatte zeichnet die Kräfte, die auf sie ausgeübt werden, über eine bestimmte Zeit auf. Daraus kann man ablesen,zu welchem Zeitpunkt welche Kraft ausgeübt wurde.Es wurde der Kraftverlauf für zwei verschiedene Sprünge aufgezeichnet.

1. Sprung: Aufkommen „mit in die Knie zu gehen

2. Sprung: Aufkommen „möglichst ohne in die Knie zu gehen“

Überlege welcher Kraftverlauf zu welchemSprung gehört. Begründe mit der Newton-schen Bewegungsgleichung, warum bei ei-nem der beiden Sprünge die Kraft auf dieKraftmessplatte viel größer ist, als bei demanderen Sprung.

Kraftverlauf für zwei Sprünge

Kraft in N

3500

3000

2500

2000

1500

1000

500

0

Zeit in s

0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7

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HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010 DYNAMIK / PdN PHYSIK in der Schule

Arbeitsblatt Nr. 4

Argumentieren mit der Newtonschen Bewegungsgleichung:

Verwende zum Argumentieren in den folgenden Aufgaben immer die Newtonsche Bewegungsgleichung:

1. Warum ist es so wichtig, beim Autofahren den Sicherheitsgurt anzulegen?

2. Erkläre, warum ein Airbag bei einem Unfall die Überlebenschancen von Fahrer und Beifahrer erhöht.

3. Erkundige dich, was beim Auto eine Knautschzone ist. Begründe, wozu sie hilfreich ist

4. Erkläre, weshalb in der Formel 1 bei einem Rennen Reifenstapel als Bande verwendet werden.

5. Mountainbiker fahren oft „Fullies“. Schau nach, was das bedeutet und erkläre, warum das beim Downhill hilfreich ist.

6. Beim Klettern ist es für den Stürzenden angenehmer, wenn er „dynamisch“ gesichert wird. Schau nach, wie man „dynamisch“sichert und begründe, warum das angenehmer ist.

Lösung zur Aufgabe 1. a) des Arbeitsblattes Nr. 2

vA

vA

vA

vE

vE

vE

�v

�v

�v

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Einheit 8.2: Addition von Kräften Nachdem alle Kräfte identifiziert wurden,die an einem Körper angreifen, werden die-se mittels Vektoraddition (analog zur Ad-dition der Geschwindigkeitsvektoren) zurresultierenden Kraft aufsummiert.

Einheit 8.3: KräftegleichgewichtBesprochen wird der Fall, dass auf einenKörper gleichzeitig zwei Kräfte ausgeübtwerden, die den gleichen Betrag haben,aber entgegengesetzt wirken, z.B. ein Fall-schirmspringer oder ein Fahrradfahrer, diesich mit gleich bleibendem Tempo be-wegen.

Auf den Radfahrer wirkt die Antriebs-kraft und in entgegengesetzte Richtungdie Reibungskraft. Der Radfahrer ändertseine Geschwindigkeit nicht, da die resul-tierende Kraft F

rres Null ist. Umgekehrt er-

hält man auch aus der Bewegungsglei-chung durch Einsetzen der resultierendeKraft F

rres = 0 das beobachtete Ergebnis, die

Zusatzgeschwindigkeit ist null.Ist die Anfangsgeschwindigkeit Null,

bleibt bei Kräftegleichgewicht der Körperweiterhin in Ruhe. Zur Übung können dieSchülerinnen und Schüler z. B. physika-lisch korrekt begründen, warum ein Glasauf dem Tisch in Ruhe stehen bleibt, wenndoch die Gravitationskraft nach untenzieht.

Einheit 8.4: Messung von Kräften mit der Kom-pensationsmethode: Beispiel FederkraftMithilfe der Newtonschen Bewegungsglei-chung können unbekannte Kräfte be-stimmt werden, wie es beispielsweise beider Gravitationskraft erfolgt ist.

Eine einfachere, oft praktizierte Mög-lichkeit besteht darin, eine bekannte, gutkontrollierbare Kraft so entgegen der nochunbekannten Kraft angreifen zu lassen,das Kräftegleichgewicht besteht. Typi-scherweise wird so der formale Ausdruckfür die Federkraft mithilfe der bereits be-kannten Gravitationskraft bestimmt.

Einheit 8.5: Weitere KraftartenIn diesem Zusammenhang können weite-re Kraftarten qualitativ angesprochen wer-den. Ausgehend von der Beobachtung,dass ein Körper seine Geschwindigkeit än-dert, also eine Zusatzgeschwindigkeit er-halten hat, wird gefolgert, dass ein zweiterKörper auf den ersten Körper eine Kraftausgeübt hat.

Diese Wechselwirkungspartner solltenjeweils identifiziert und so die Kraftartenklassifiziert werden (z.B. magnetische oderelektrische Wechselwirkung, Reibungs-kräfte, usw.).

PdN PHYSIK in der Schule / DYNAMIK HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010

Abb. 11: Mittelwerte der Items zum allgemeinen Mechanik-Grundverständnis der Multiple Choice Tests

Abb. 12: Mittelwerte der Items zum zweidimensional-dynamischen Konzept der Multiple Choice Tests

Abb. 13: Mittelwerte der Items zum traditionellen Konzept der Multiple Choice Tests

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3. Ergebnisseeiner VergleichsuntersuchungFür den Inhaltsbereich der Mechanik sindlaut Lehrplan in der siebten Jahrgangsstu-fe am bayerischen Gymnasium etwa 20Unterrichtsstunden vorgesehen. An der ak-tuellen Studie nahmen 5 Lehrkräfte mit ih-ren Klassen teil. Sie unterrichteten imSchuljahr 08/09 nach dem traditionellenKonzept als Kontrollgruppe (N = 140), undim Schuljahr 09/10 nach dem zweidimen-sional-dynamischen Konzept als Treat-mentgruppe (N = 97), so dass die Konstanzder Lehrpersonen in Kontroll- und Treat-mentgruppe gesichert ist. Insgesamt ergabdies eine Stichprobe von N = 237 Schülerin-nen und Schülern.

Es fand ein Vortreffen der Lehrpersonenstatt, bei dem der ausgearbeiteten Lehrtextals Klassensatz zur Verfügung gestellt wur-de. Außerdem erhielten sie eine DVD mitweiteren Materialien, wie Arbeitsblättern,Filmen und einer Simulation, die passendzum zweidimensional-dynamischen Me-chanikkonzept ausgearbeitet wurden.

Für die Unterrichtsgestaltung (Metho-den und Medien, sowie zeitliche Eintei-lung) wurden den beteiligten Lehrperso-nen keinerlei Empfehlungen gegeben.

Durch dieses Design sollte eine Feldstu-die in wirklichkeitsnahem Rahmen ge-währleistet werden (wobei durch den Ver-zicht auf eine Schulung der Lehrkräfte dielernförderlichen Möglichkeiten des Lehr-gangs nicht vollständig ausgeschöpft wer-den konnten). Es sollte die Wirksamkeitdes Lehrgangs unter realistischen Bedin-gungen angegeben werden.

Es wurde jeweils das gleiche Erhebungs-instrument – ein Multiple Choice Test – zuzwei Messzeitpunkten als Vortest (vor dergesamten Unterrichtseinheit) und Nach-test (nach der gesamten Unterrichtsein-heit zur Mechanik) eingesetzt, der in [17]veröffentlicht ist. Enthalten waren 13 Itemszum allgemeinen Mechanik-Grundver-ständnis, größtenteils dem FCI entnom-men, sowie jeweils zwei Items zu spezifi-schen Inhalten des zweidimensional-dy-namischen und des traditionellen Konzep-tes, die gesondert ausgewertet wurden.

Es ergab sich das in den Abbn. 11-13 dar-gestellte Bild. In den Vortests bestandenkeine signifikanten Unterscheide zwi-schen den beiden Gruppen. In den Nach-tests war der Lernerfolg bei den Aufgabenzum allgemeinen Mechanik-Grundver-ständnis in der Treatmentgruppe gegenü-ber der Kontrollgruppe mit einer großenEffektstärke höchst signifikant besser. Einhöchst signifikanter Unterschied ist erwar-tungsgemäß bei den Aufgaben zum zwei-

dimensional-dynamischen Konzept nach-weisbar, da die Inhalte dieser Items ledig-lich in der Treatmentgruppe behandeltwurden. Es ist allerdings kein Unterschiedbei den Aufgaben zum traditionellen Kon-zept festzustellen, die nur in der Kontroll-gruppe Gegenstand des Unterrichts waren.

Ein Vergleich der Ergebnisse der Aufga-ben zum allgemeinen Mechanik-Grundver-ständnis nach Geschlecht ergibt (Abb. 14):In der Kontrollgruppe waren die Jungenden Mädchen im Nachtest signifikantüberlegen; in der Treatmentgruppe warendiese Unterschiede nicht vorhanden.

In dem schriftlichen Mechaniktest wa-ren keine Aufgaben zur Newtonschen Be-wegungsgleichung (NBG) in der integralenForm F

r∆t = m ∆vr enthalten. Deshalb wur-

den zusätzlich zu den Multiple Choice Testsmit zufällig ausgewählten Schülerinnenund Schülern (N = 52), die nach dem zwei-dimensional-dynamischen Konzept unter-richtet worden waren, Interviews zu Zu-

satzgeschwindigkeit und Kraft sowie demUmgang mit der NGB durchgeführt [18]. Eswar verblüffend, wie diese Konzepte durchdie Siebtklässer auf Alltagssituationen an-gewendet werden konnten. In einer Aufga-benstellung sollten z.B. zwei Situationenverglichen werden: zwei Rennwagen kom-men von der Fahrbahn ab. Der eine Wagenfährt in eine Betonmauer (Situation 1), derandere Wagen in einen Reifenstapel (Situa-tion 2). Gefragt wurde nach den unter-schiedlichen Auswirkungen auf die Fahrerder Wagen. Der Mehrzahl der Befragten ge-lingt es, die Größen Masse, Einwirkdauerund Zusatzgeschwindigkeit richtig auf dieSituation zu übertragen. Mehr als 60% derBefragten können – zum Teil selbstständig,zum Teil auf Nachfrage – auch angeben,dass die Massen und Zusatzgeschwindig-keiten in beiden Situationen gleich großsind, und die Einwirkdauer in der zweitenSituation größer ist als in der ersten Situa-tion. Nachdem der Vergleich dieser Varia-

HEFT 7 / JAHRGANG 59 / 2010 DYNAMIK / PdN PHYSIK in der Schule

Abb. 14: Mittelwerte derItems zum allgemeinen Me-chanik-Grundverständnis derNach - Multiple Choice Tests

Abb. 11: Mittelwerte der Items zum allgemeinen Mechanik-Grundverständnis der Multiple Choice Tests

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blen geklärt war, konnten insgesamt weni-ger (gut 40%) aber dennoch relativ vieleSchülerinnen und Schüler aus der Glei-chung durch mathematische Argumenta-tion (!) richtig schließen, dass dann dieKraft in der zweiten Situation kleiner ist alsin der ersten Situation (Abb. 15).

Das nachfolgende Interviewbeispiel be-legt dies sehr eindrucksvoll.I: Gibt es da unterschiedliche Auswirkun-

gen auf die Fahrer?S: Ja, also das (zeigt auf Mauer) gibt nicht nach,

also das ist etwas Festes. Da (zeigt auf die Rei-fen) ist die Einwirkungsdauer länger, denn dieReifen geben ja nach. Und das kann man sichhiermit auch gut merken (zeigt auf die aufge-schriebene Gleichung), weil wenn die Einwir-kungsdauer größer ist, dann muss die Kraft jakleiner sein.

I: Warum denn?S: Wenn das hier gleich bleibt (zeigt auf m und

∆vr der rechten Seite der Gleichung), dannmuss das (zeigt auf die rechte Seite der Glei-chung) das Gleiche sein wie das (zeigt auf dielinke Seite der Gleichung). Und wenn das(zeigt auf ∆t) jetzt größer wird, dann mussdas (zeigt auf F

r) kleiner werden, sonst bleibt

es nicht gleich.I: Ja, genau. Ist das hier jeweils gleich auf

der rechten Seite in den beiden Fällen?S: Ja, weil, es ist ja das gleiche Auto, also auch

gleiche Masse. Und Sie haben ja gesagt, dieGeschwindigkeit war auch gleich, und die Zu-satzgeschwindigkeit – wenn das dieselbe Si-tuation ist – auch.

Besonders erfreulich ist, dass auch die be-teiligten Lehrkräfte durchweg von positi-ven Erfahrungen mit der unterrichtlichenUmsetzung des Konzeptes berichten. Fastalle Lehrkräfte wollen in ihrem Mechanik-unterricht auch zukünftig nach dem zwei-dimensional-dynamischen Konzept vorge-hen. Ein Beispiel für eine Aussage einesLehrers:

„Man kann viele Dinge sehr gut thematisie-ren, die nie richtig klar waren. Bei Berechnungentun sich die Schülerinnen und Schüler zwarschwer, dafür können sie Sachverhalte aus ihremUmfeld mit physikalischen Konzepten erklären –besser als alle anderen Klassen zuvor. Vor allem istder nebulöse Kraftbegriff anhand der Zusatzge-schwindigkeit greifbarer. […]

Ich werde sicherlich große Teile meines Me-chanikunterrichtes wieder an diesem Konzeptorientieren. Vor allem hat es auch mir Spaß ge-macht.“

4. SchlussbemerkungenDie Ergebnisse der Untersuchung zeigen,dass die Newtonsche Bewegungsglei-chung in der Form

Fr∆t = m ∆vr

bei den Schülern im Gegensatz zur Form

Fr

= m ar

zum besserem Verständnis der Mechanikführt. Man betont damit u. a. die Bezie-hung zwischen der Kraft und der Ge-schwindigkeitsänderung. Die Beziehungzwischen F

rund ∆vr (genauer F

r~ ∆vr) kann

man mithilfe von Medien besser verdeut-lichen als F

r~ ar. Der qualitative („Je-Desto“-

Beziehungen) und der quantitative Um-gang (notwendiger Verzicht auf Infinitesi-malrechnung) ist mit der Bewegungsglei-chung in der Form

Fr∆t = m ∆vr

erheblich einfacher als

Fr

= m ar.

Auf die für das Verständnis der Mecha-nik wesentliche Unterscheidung von velo-city and speed muss von Anfang an größ-ter Wert gelegt werden, und dies ist nachunseren Erfahrungen mit einer konse-quent vektoriellen Einführung erreichbar.Damit wird das Auftreten verbreiteterMisskonzepte stark reduziert. So benutzenbesonders bei der Kurvenfahrt viele Schü-ler aus der Kontrollgruppe die falsche Vor-stellung, dass das Auto immer dieselbe Ge-schwindigkeit hat, wenn es z. B. mit40 km/h in die Kurve hineinfährt und da-mit auch wieder hinausfährt. Diese falscheVorstellung trat bei den Versuchsgruppensehr selten auf.

Die Ergebnisse der Untersuchung zei-gen, dass die Behandlung zweidimensio-naler Bewegungen bei den Schülern aufkeinen Widerstand gestoßen ist. Auch beiden Lehrkräften wurde eine breite Akzep-tanz nach eigenen Erfahrungen in derunterrichtlichen Umsetzung erreicht. ■

Literatur[1] Wiesner, H., Tobias, V., Waltner, C., Hopf, M.,Wilhelm, T., Sen, A.: Dynamik in den Mechanik-unterricht, PhyDid B (2010)[2] Tobias, V.: Newtonsche Mechanik im An-fangsunterricht – Die Wirksamkeit einer Einfüh-rung über die zweidimensionale Dynamik auf dasLehren und Lernen, Universität München 2010.[3] Jung, W., Reul, H., Schwedes, H.: Untersu-chungen zur Einführung in die Mechanik in denKlassen 3-6. Diesterweg, Frankfurt am Main,1975[4] Jung, W.: Mechanik für die Sekundarstufe I.Diesterweg, Frankfurt am Main 1980

[5] Jung, W., Wiesner, H., Engelhardt, P.: Vorstel-lungen von Schülern über Begriffe der Newton-schen Mechanik. Empirische Untersuchungenund Ansätze zu didaktisch-methodischen Folge-rungen. Verlag Barbara Franzbecker, Bad Salzdet-furth 1981[6] Mach E.: Die Mechanik in ihrer Entwicklunghistorisch kritisch dargestellt, F. A. Brockhaus,Leipzig, 9.Aufl. 1933[7] Eisenbud, L.: On the classical laws of motion.American Journal of Physics, 26 (1958), 144-159 [8] Weinstock, R.: Laws of classical motion: What’s F? What’s m? What’s a? American Journalof Physics, 29 (1961), 698-702. [9] Westphal, W.: Die Grundlagen der Dynamikund Newton 2. Axiom. Physikalische Blätter, 48(1967), 558-561. [10] Feynman, R.: Feynman-Vorlesungen überPhysik, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Mün-chen 2007[11] Wiesner, H.: Zum Einführungsunterricht indie Newtonsche Mechanik: Statisch oder dyna-misch? In: Naturwissenschaften im Unterricht,Heft 22 (1994), S.16-23[12]Wodzinski, R.,Wiesner, H.: Einführung in dieMechanik über die Dynamik: Beschreibung vonBewegungen und Geschwindigkeitsänderungen.In: Physik in der Schule,(1994) S.164-168[13] Wodzinski R., Wiesner H. : Einführung in dieMechanik über die Dynamik: Zusatzbewegungund Newtonsche Bewegungsgleichung. In: Phy-sik in der Schule, (1994) S.202-207[14]Wodzinski, R., Wiesner, H. : Einführung in dieMechanik über die Dynamik: Die Newtonsche Be-wegungsgleichung in Anwendungen und Beispie-len. In: Physik in der Schule, (1994) S.331-335[15] Hopf, M., Sen, A., Waltner, C.,Wiesner, H.:Dynamischer Zugang zur Mechanik, in: Nord-meier, V., Grötzebauch, H., (Hrsg.): LehmannsMedia, Didaktik der Physik – Berlin, Berlin 2008[16] Tobias, V., Wiesner, H., Burkert, A.: Gravity-Tractor, Praxis der Naturwissenschaften-Physikin der Schule, in diesem Heft[17] Wilhelm, T., Waltner, C., Hopf, M., Tobias, V.,Wiesner, H.: Der Einfluss der Sachstruktur im Me-chanikunterricht – quantitative Ergebnisse zu Ver-ständnis- und Interessensentwicklung, in: Nord-meier, V, Grötzebauch, H., (Hrsg.): Didaktik derPhysik – Bochum, Lehmanns Media, Berlin 2009[18] Jetzinger, F., Tobias, V., Waltner, C., Wiesner,H. : Dynamischer Mechanikunterricht – Ergeb-nisse einer qualitativen Interviewstudie, Phy-DidB (2010)

Anschrift der VerfasserDr. Christine Waltner, Dr. Verena Tobias, Prof. Dr.Dr. Hartmut Wiesner, Prof. Dr. Martin Hopf, Dr. Thomas Wilhelm, Lehrstuhl für Didaktik der Physik, UniversitätMünchen, Theresienstraße 37, 80333 München,E-Mail:[email protected]

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