Eine Scheibe, die die Welt veränderte...Musikliteratur, sogenannter Sheet Music, befriedi-gen. Die...

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BUCHER VERLAG Hohenems – Wien – Vaduz Tel +43-5576-7118-0 [email protected] www.bucherverlag.com Eine Scheibe, die die Welt veränderte deutsche Ausgabe Hardcover | mit Vinyl-Single 22 x 23,5 cm | 312 Seiten eur 29,90 | chf 36,– ISBN 978-3-99018-296-3 Hanno Loewy (Hg.) jukebox. jewkbox! Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack & Vinyl Um 1900 veränderte der jüdische Emigrant Emil Berliner die Welt. Mit der Erfindung der Schallplatte war das erste Medium einer globalen Kultur geboren. Und das jüdische Jahrhundert hat auf Schellack und Vinyl seinen Ausdruck gefunden – von der Verwandlung synagogaler Musik in bürger- lichen Kunstgenuss bis zur Neuerfindung jüdischer Folkmusic, von der Karriere jiddi- scher Theaterlieder auf dem Broadway bis zur Rebellion des Punk. Die Geschichte der Schallplatte ist auch eine Geschichte jüdischer Erfinder, Musi- ker und Komponisten, Produzenten und Songwriter. Ihre Musik, der Sound des 20. Jahrhunderts, war nicht immer »jüdische« Musik – aber ein Produkt jüdischer Erfah- rung. Jukebox. Jewkbox! führt auf eine Ent- deckungsreise durch unbekannte Welten der populären Kultur, begleitet von persön- lichen Erzählungen über Schallplatten, die manches Leben verändert haben. Das Buch erscheint zur gleichnamigen Ausstellung des Jüdischen Museums Hohenems, in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum München. 14 15 Die Stimme seines Herrn Die Entwicklung des Grammophons, der Schallplatte und der ersten großen Schallplattenlabels geht aus einem erbitterten Kampf um Patente und technische Neuerun- gen, Marktanteile und Vertriebsmonopole hervor. Der entscheidende Durchbruch gelingt einem jun- gen Einwanderer aus Deutschland: Emil Berliner. Aufge- wachsen in einer jüdischen Familie in Hannover, wandert er 1870 in die USA aus, schlägt sich mit Gelegenheitsar- beiten durch, verdingt sich als Flaschenspüler und studiert nebenbei am Cooper Institute in New York. 1877 erfindet er für die Bell Company ein Mikrophon für Telefone – mit dem verdienten Geld richtet er sein eigenes Labor ein. Am 26. September 1887 reicht er sein Patent für einen scheibenförmigen Tonträger, die Schallplatte, und das passende Abspielgerät, das Grammophon, ein.1 Zunächst aus Hartgummi gefertigt, werden die Platten ab 1897 aus einem harten, wenn auch zerbrechlichen Gemisch von Schieferpulver, Baumwolle, Ruß und Schellack herge- stellt. Und schon 1889 kann er die industrielle Fertigung in hohen Stückzahlen aufnehmen. Seine Technik ist der Edisonschen Phonographenwalze haushoch überlegen. 1893 gründet Berliner in Washington die United States Gramophone Company, bald folgen Beteiligungen und Verflechtungen mit zahlreichen neuen Plattenfirmen und Grammophonherstellern in den USA und in Europa. 1898 gründet sein Bruder Joseph Berliner in Hannover und Ber- lin die Deutsche Grammophon Gesellschaft. Hannover wird zum Zentrum der europäischen Schallplattenindustrie. Die Gramophone Company besitzt bald das erste Schallplattenlogo: der Engel, der eine Schallrille einritzt. Doch dann findet sich etwas Besseres: Ein englischer Maler, Francis Barraud, hatte den Hund seines verstorbe- nen Bruders Marc vor dem Trichter eines Edison Phono- „Improved Gramophone“ von Emile Berliner, um 1898. (Sammlung Reinhard Häfele, Frastanz). Francis Barrauds Gemälde mit dem Hund „Nipper“ wurde zu einer der berühmtesten Handels- marken der Geschichte. Auch als Skulptur wurden die „Nipper“ zu Werbezwecken tausendfach reproduziert 106 Um 1890 entstehen in New York zahlreiche Musik- verlage, die den wachsenden Bedarf an populärer Musikliteratur, sogenannter Sheet Music, befriedi- gen. Die 28. Straße in Manhattan wird zum bedeu- tendsten Zentrum der Musikindustrie in aller Welt. Monroe H. Rosenfeld, ein Komponist und Journalist, vergleicht im New Yorker Herald das ständige Klimpern der Probeklaviere mit dem Klappern von Zinnpfannen und prägt damit den Namen „Tin Pan Alley“, den Inbegriff der amerikanischen Musikin- dustrie. Viele der Produzenten, Komponisten und Songschreiber stammen wie er aus jüdischen Familien. Die Schallplatte und die internationalen Labels brachten um 1900 zum ersten Mal so etwas wie internationale Stars hervor. Noch bevor das Radio ein weltweites Publikum schaffen konnte, waren es die neuen Tonträger, die einer Stimme vorauseilten und sie jedem verfügbar machten. Ob in Europa oder den USA, die neu entstehende Musikindustrie bot auch jüdischen Talenten eine Chance, die in der Welt der klassischen Opern- und Operettenbühnen lange Zeit einen schweren Stand hatten. Viele von ihnen brachen als Söhne von Kantoren aus der traditionellen Welt ihrer Familien und der für sie vorgesehenen musikalischen Lauf- bahn in der Synagoge aus, wie Al Jolson, dessen Name mit dem ersten großen Tonfilm der Geschich- te verbunden ist (The Jazz Singer), Irving Berlin, der mit „White Christmas“ das weltweit erfolgreichste moderne Weihnachtslied schrieb, und Kurt Weill, der Komponist der Dreigroschenoper. Andere Sänger wie Joseph Schmidt („Ein Lied geht um die Welt“) hatten selbst noch als Kantoren ihre Gesangskarriere begonnen. Manche von ihnen, wie Wiera Gran in Warschau, traten lange Zeit als En- tertainer und Chansoniers mit populären Schlagern vor großem Publikum und gleichzeitig mit jiddi- Populäre Lieder Ralph Benatzky, Ghetto, Polyphon Record, Deutschland, um 1928 (Raymond Wolff, Berlin) Seine größten Erfolge landete Ralph Benatzky mit der Musik für Revuen und Operetten, darunter 1930 „Im Weißen Rößl“. 1932 emigrierte er in die Schweiz, 1938 nach Hollywood. Er starb 1957 in Zürich. 107 Comedian Harmonists, EMI Electrola, 1975

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BUCHER VERlag Hohenems – Wien – Vaduz Tel +43-5576-7118-0 [email protected] www.bucherverlag.com

Eine Scheibe,

die die Welt veränderte

deutsche AusgabeHardcover | mit Vinyl-Single22 x 23,5 cm | 312 Seiteneur 29,90 | chf 36,–ISBN 978-3-99018-296-3

Hanno Loewy (Hg.)

jukebox. jewkbox!Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack & Vinyl

Um 1900 veränderte der jüdische Emigrant

Emil Berliner die Welt. Mit der Erfindung

der Schallplatte war das erste Medium

einer globalen Kultur geboren. Und das

jüdische Jahrhundert hat auf Schellack und

Vinyl seinen Ausdruck gefunden – von der

Verwandlung synagogaler Musik in bürger­

lichen Kunstgenuss bis zur Neuerfindung

jüdischer Folkmusic, von der Karriere jiddi­

scher Theaterlieder auf dem Broadway bis

zur Rebellion des Punk.

Die Geschichte der Schallplatte ist auch

eine Geschichte jüdischer Erfinder, Musi­

ker und Komponisten, Produzenten und

Songwriter. Ihre Musik, der Sound des 20.

Jahrhunderts, war nicht immer »jüdische«

Musik – aber ein Produkt jüdischer Erfah­

rung. Jukebox. Jewkbox! führt auf eine Ent­

deckungsreise durch unbekannte Welten

der populären Kultur, begleitet von persön­

lichen Erzählungen über Schallplatten, die

manches Leben verändert haben.

Das Buch erscheint zur gleichnamigen

Ausstellung des Jüdischen Museums

Hohenems, in Zusammenarbeit mit dem

Jüdischen Museum München.

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15 Die Stimme seines Herrn

Die Entwicklung des Grammophons, der Schallplatte und der ersten großen Schallplattenlabels geht aus einem erbitterten Kampf um Patente und technische Neuerun-gen, Marktanteile und Vertriebsmonopole hervor.

Der entscheidende Durchbruch gelingt einem jun-gen Einwanderer aus Deutschland: Emil Berliner. Aufge-wachsen in einer jüdischen Familie in Hannover, wandert er 1870 in die USA aus, schlägt sich mit Gelegenheitsar-beiten durch, verdingt sich als Flaschenspüler und studiert nebenbei am Cooper Institute in New York. 1877 erfindet er für die Bell Company ein Mikrophon für Telefone – mit dem verdienten Geld richtet er sein eigenes Labor ein. Am 26. September 1887 reicht er sein Patent für einen scheibenförmigen Tonträger, die Schallplatte, und das passende Abspielgerät, das Grammophon, ein.1 Zunächst aus Hartgummi gefertigt, werden die Platten ab 1897 aus einem harten, wenn auch zerbrechlichen Gemisch von Schieferpulver, Baumwolle, Ruß und Schellack herge-stellt. Und schon 1889 kann er die industrielle Fertigung in hohen Stückzahlen aufnehmen. Seine Technik ist der Edisonschen Phonographenwalze haushoch überlegen.

1893 gründet Berliner in Washington die United States Gramophone Company, bald folgen Beteiligungen und Verflechtungen mit zahlreichen neuen Plattenfirmen und Grammophonherstellern in den USA und in Europa. 1898 gründet sein Bruder Joseph Berliner in Hannover und Ber-lin die Deutsche Grammophon Gesellschaft. Hannover wird zum Zentrum der europäischen Schallplattenindustrie.

Die Gramophone Company besitzt bald das erste Schallplattenlogo: der Engel, der eine Schallrille einritzt. Doch dann findet sich etwas Besseres: Ein englischer Maler, Francis Barraud, hatte den Hund seines verstorbe-nen Bruders Marc vor dem Trichter eines Edison Phono-

„Improved Gramophone“ von Emile Berliner, um 1898.

(Sammlung Reinhard Häfele, Frastanz). Francis Barrauds Gemälde

mit dem Hund „Nipper“ wurde zu einer der berühmtesten Handels-

marken der Geschichte. Auch als Skulptur wurden die „Nipper“

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Um 1890 entstehen in New York zahlreiche Musik-

verlage, die den wachsenden Bedarf an populärer

Musikliteratur, sogenannter Sheet Music, befriedi-

gen. Die 28. Straße in Manhattan wird zum be deu-

tendsten Zentrum der Musikindustrie in aller Welt.

Monroe H. Rosenfeld, ein Komponist und Journalist,

vergleicht im New Yorker Herald das ständige

Klimpern der Probeklaviere mit dem Klappern von

Zinnpfannen und prägt damit den Namen „Tin Pan

Alley“, den Inbegriff der amerikanischen Musikin-

dustrie. Viele der Produzenten, Komponisten und

Songschreiber stammen wie er aus jüdischen

Familien. Die Schallplatte und die internationalen

Labels brachten um 1900 zum ersten Mal so etwas

wie internationale Stars hervor. Noch bevor das

Radio ein weltweites Publikum schaffen konnte,

waren es die neuen Tonträger, die einer Stimme

vorauseilten und sie jedem verfügbar machten.

Ob in Europa oder den USA, die neu entstehende

Musikindustrie bot auch jüdischen Talenten eine

Chance, die in der Welt der klassischen Opern- und

Operettenbühnen lange Zeit einen schweren Stand

hatten. Viele von ihnen brachen als Söhne von

Kantoren aus der traditionellen Welt ihrer Familien

und der für sie vorgesehenen musikalischen Lauf-

bahn in der Syna goge aus, wie Al Jolson, dessen

Name mit dem ersten großen Tonfilm der Geschich-

te verbunden ist (The Jazz Singer), Irving Berlin, der

mit „White Christmas“ das weltweit erfolgreichste

moderne Weihnachtslied schrieb, und Kurt Weill,

der Komponist der Dreigroschenoper.

Andere Sänger wie Joseph Schmidt („Ein Lied geht

um die Welt“) hatten selbst noch als Kantoren ihre

Gesangskarriere begonnen. Manche von ihnen, wie

Wiera Gran in Warschau, traten lange Zeit als En-

tertainer und Chansoniers mit populären Schlagern

vor großem Publikum und gleichzeitig mit jiddi-

Populäre Lieder

Ralph Benatzky, Ghetto, Polyphon Record, Deutschland, um 1928

(Raymond Wolff, Berlin)

Seine größten Erfolge landete Ralph Benatzky mit der Musik für Revuen und Operetten, darunter 1930 „Im Weißen Rößl“. 1932 emigrierte er in die Schweiz, 1938 nach Hollywood. Er starb 1957 in Zürich.

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Comedian Harmonists, EMI Electrola, 1975

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