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Luitpold von Andrian-Werburg Auswanderung aus der Schweiz Eine Schulbuchanalyse

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Luitpold von Andrian-Werburg

Auswanderung aus der Schweiz Eine Schulbuchanalyse

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Pädagogische Hochschule Zentralschweiz

Auswanderung aus der Schweiz

Eine Schulbuchanalyse

Masterarbeit Studiengang SR03

Verfasser: Luitpold von Andrian-Werburg Gärtnerweg 11, 6010 Kriens

eingereicht am 31. Oktober 2007

bei Prof. Dr. Markus Furrer Fachkern Geschichte

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Abstract Wird heute von Migration gesprochen, so denken die meisten Menschen unweigerlich an

die vielen Zuwanderer, welche in den letzten Jahren immer wieder für politischen Wirbel

gesorgt haben. Betrachtet man das Migrationsverhalten in der Geschichte, so wird rasch

klar, dass dies nicht immer so war. Über Jahrzehnte, ja gar Jahrhunderte verfügte die

Schweiz über eine negative Migrationsbilanz. Ab dem Mittelalter liessen sich bis Mitte des

19. Jahrhunderts über eine Million Männer anheuern, um für fremde Staaten Dienst zu

leisten. Ab dem 17. Jahrhundert gewann auch die Siedlungsmigration zuerst nach euro-

päischen Destinationen und im 18. sowie im 19. Jahrhundert nach Übersee ganz massiv

an Bedeutung. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts nahmen die Zuwanderungen so stark zu,

dass sich die Schweiz vom Aus- zum Einwanderungsland wandelte. In der vorliegenden

Arbeit werden die verschiedenen Aspekte der Auswanderung aus der Schweiz seit der

Frühen Neuzeit aufgezeigt und ihre Darstellung in fünf verschiedenen Schulgeschichts-

büchern des 20. Jahrhunderts untersucht. Aus den Erkenntnissen wird der Aufbau für ein

mögliches Schulbuchkapitel abgeleitet, welches dazu dienen könnte, die ganze Migrati-

onsgeschichte im Kontext der Schweiz im Längsschnitt zu behandeln. Dies könnte dazu

beitragen, dass die Schülerinnen und Schüler eine Grundhaltung aufbauen, mit der sie

Migration als ein sich kontinuierlich wandelndes Phänomen begreifen.

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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung..................................................................................................................................6

2 Theorie der Migration ...............................................................................................................7

2.1 Wanderungsformen ..........................................................................................................7

2.2 Wanderungsentscheid......................................................................................................9

3 Europäische Migration im Wandel der Zeit.............................................................................11

3.1 Migration bis Mitte 19. Jahrhundert ................................................................................11

3.2 Migration im 19. Jahrhundert ..........................................................................................14

3.3 Migration im kurzen 20. Jahrhundert ..............................................................................17

3.3.1 Migration im Zeitalter der beiden Weltkriege ..........................................................17

3.3.2 Migration in der Zeit des Kalten Krieges.................................................................20

3.4 Migration an der Schwelle zum 3. Jahrtausend..............................................................21

3.5 Fazit ................................................................................................................................23

4 Auswanderung aus der Schweiz ............................................................................................24

4.1 Einleitung........................................................................................................................24

4.2 Militärische Auswanderung.............................................................................................24

4.3 Destinationen der Beruf- und Siedlungswanderung .......................................................26

4.3.1 Einleitung schweizerische Berufs- und Siedlungswanderung.................................26

4.3.2 Umliegendes Europa ..............................................................................................27

4.3.3 Nordamerika ...........................................................................................................30

4.3.4 Mittel- und Südamerika...........................................................................................33

4.3.5 Afrika.......................................................................................................................36

4.3.6 Asien.......................................................................................................................38

4.3.7 Australien und Pazifische Inseln.............................................................................39

4.3.8 Fazit ........................................................................................................................41

4.4 Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland............................................................42

5 Migration im Geschichtsunterricht ..........................................................................................44

5.1 Geschichtsbilder und Geschichtsbewusstsein................................................................44

5.2 Das Schulgeschichtsbuch...............................................................................................45

5.3 Schulbuchanalyse ..........................................................................................................47

6 Untersuchung der Auswanderung im Lehrmittel ....................................................................49

6.1 Methode der Untersuchung ............................................................................................49

6.2 Die gewählten Lehrmittel ................................................................................................50

6.3 Geografische und zeitliche Eingrenzung ........................................................................51

6.4 Quantitative Analyse.......................................................................................................51

6.4.1 Vergleich der absoluten Werte ...............................................................................51

6.4.2 Vergleich der relativen Werte .................................................................................54

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6.5 Qualitative Analyse.........................................................................................................56

6.5.1 Allgemeine schweizerische Migrationgeschichte....................................................56

6.5.2 Militärische Migration/Reisläuferei ..........................................................................58

6.5.2.1 Problem der militärischen Migration................................................................58

6.5.2.2 Einendes Element – der Schweizer Held auf fremdem Feld ..........................63

6.5.2.3 „Arm ausgezogen – verroht zurückgekehrt“....................................................67

6.5.2.4 Der Schweizer Söldner in der Französischen Revolution...............................70

6.5.3 Siedlungswanderung nach europäischen Zielen ....................................................71

6.5.4 Siedlungswanderung nach Nordamerika................................................................75

6.5.5 Siedlungswanderung nach Mittel- und Südamerika ...............................................79

6.5.6 Siedlungswanderung nach Afrika ...........................................................................81

6.5.7 Siedlungswanderung nach Ozeanien und Asien ....................................................83

7 Schlussbetrachtung................................................................................................................85

7.1 Ergebnisse......................................................................................................................85

7.2 Schlussfolgerungen ........................................................................................................90

8 Quellen ...................................................................................................................................93

8.1 Sekundärliteratur ............................................................................................................93

8.2 Untersuchte Schulgeschichtsbücher ..............................................................................96

8.3 Lehrplan..........................................................................................................................96

9 Anhang ...................................................................................................................................97

9.1 Tabelle quantitative Erfassung .......................................................................................97

9.2 Inhaltliche Analyse..........................................................................................................98

9.2.1 Wilhelm Oechsli „Bilder aus der Weltgeschichte“ ...................................................98

9.2.2 Eugen Halter „Vom Strom der Zeiten“ ..................................................................100

9.2.3 Franz Meyer „Wir wollen frei sein“ ........................................................................101

9.2.4 Durch Geschichte zur Gegenwart.........................................................................102

9.2.5 Menschen in Zeit und Raum.................................................................................103

9.3 Quantitative Analyse.....................................................................................................104

9.3.1 Willhelm Oechsli „Bilder aus der Weltgeschichte“ ................................................104

9.3.2 Eugen Halter „Strom der Zeiten“...........................................................................105

9.3.3 Franz Meyer „Wir wollen frei sein“ ........................................................................106

9.3.4 Durch Geschichte zur Gegenwart.........................................................................107

9.3.5 Menschen in Zeit und Raum.................................................................................108

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Untersuchte Schulgeschichtsbücher......................................................................................... 50

Abbildung 2: Absolute Werte unter Berücksichtung des Lehrmittels von Franz Meyer ................................. 52

Abbildung 3: Absolute Werte ohne Berücksichtigung des Lehrmittels von Franz Meyer............................... 53

Abbildung 4: Relative Werte unter Berücksichtigung des Lehrmittels von Franz Meyer ............................... 55

Abbildung 5: Relative Werte ohne Berücksichtigung des Lehrmittels von Franz Meyer................................ 56

Abbildung 6: Allgemeine Schweizer Migration in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“ ............................ 58

Abbildung 7: Allgemeine Schweizer Migration in „Durch Geschichte zur Gegenwart“ .................................. 58

Abbildung 8: Allgemeine Schweizer Migration in „Menschen in Zeit und Raum“........................................... 58

Abbildung 9: Militärische Migration in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“............................. 59

Abbildung 10: Militärische Migration in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“ ............................................ 60

Abbildung 11: Militärische Migration in Franz Meyers „Wir wollen frei sein“.................................................. 61

Abbildung 12: Militärische Migration in „Durch Geschichte zur Gegenwart“.................................................. 63

Abbildung 13: Militärische Migration in „Menschen in Zeit und Raum“ .......................................................... 63

Abbildung 14: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“ . 74

Abbildung 15: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in Franz Meyers „Wir wollen frei sein“........... 74

Abbildung 16: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in „Durch Geschichte zur Gegenwart“........... 74

Abbildung 17: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in „Menschen in Zeit und Raum“................... 75

Abbildung 18: Siedlungsmigration nach Nordamerika in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“78

Abbildung 19: Siedlungsmigration nach Nordamerika in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“................. 78

Abbildung 20: Siedlungsmigration nach Nordamerika in „Durch Geschichte zur Gegenwart“ ...................... 79

Abbildung 21: Siedlungsmigration nach Nordamerika in „Menschen in Zeit und Raum“............................... 79

Abbildung 22: Siedlungsmigration nach Mittel- und Südamerika in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der

Weltgeschichte“ ..................................................................................................................................... 80

Abbildung 23: Siedlungsmigration nach Mittel- und Südamerika in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“ 80

Abbildung 24: Siedlungsmigration nach Mittel- und Südamerika in „Durch Geschichte zur Gegenwart“ ...... 80

Abbildung 25: Siedlungsmigration nach Afrika in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“........... 82

Abbildung 26: Siedlungsmigration nach Afrika in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“ ............................ 82

Abbildung 27: Siedlungsmigration nach Afrika in „Durch Geschichte zur Gegenwart“ .................................. 83

Abbildung 28: Siedlungsmigration nach Afrika in „Menschen in Zeit und Raum“ .......................................... 83

Abbildung 29: Siedlungsmigration nach Ozeanien und Asien in Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“ . 84

Abbildung 30: Siedlungsmigration nach Ozeanien und Asien in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“..... 84

Abbildung 31: Siedlungsmigration nach Ozeanien und Asien in „Durch Geschichte zur Gegenwart“........... 84

Abbildung 32: Übersicht über alle fünf untersuchten Geschichtslehrmittel.................................................... 89

Abbildung 33: Möglicher Aufbau eines allgemeinen Schweizer Migrationskapitel ........................................ 91

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1 Einleitung

Heute ist Migration, insbesondere die Einwanderung von Ausländern in der Presse, ein

Dauerbrenner. Die Volksschule sieht sich je nach Ort und Niveau zum Teil mit einem Aus-

länderanteil von fast 100% konfrntiert. Das Thema Migration hat demnach im Schulalltag

eine besondere Bedeutung. Auch in meiner Familiengeschichte spielt Migration eine

wichtige Rolle. Mehr noch, die Biografie meiner Familie ist aufs Engste mit Migration ver-

bunden. Ich bin ein Urenkel eines Schweizer Unternehmers, welcher nach Alexandrien

ausgewandert ist und dort eine grosse Baumwollimport/Exportfirma gründete und aufbau-

te. Diese war über zwei Generationen ein Familienbetrieb, ehe sie dann zwangsverstaat-

licht wurde. Somit spielte die Thematik der Arbeitsmigration in den Erzählungen meiner

Kinderzeit immer eine wichtige Rolle. Anderseits bin ich aber auch Sohn eines deutschen

Vaters, welcher Anfang der 50er Jahre nach dem Tod seines Vaters mit der Mutter in die

Schweiz einwanderte. All die reichhaltigen Überlieferungen prägten meine ganze Kindheit

und führten dazu, dass ich mich schon früh für Weltgeschichte im Allgemeinen und Migra-

tion im Speziellen zu interessieren begann.

Meine Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz und meine Praktika

im Fach Geschichte liessen mich Antworten auf die Frage suchen, in welcher Form Mig-

ration im Schulunterricht der Sekundarstufe I vertreten ist. Während die Einwanderung in

die Schweiz heute fast in jeder Zeitungsausgabe, in jeder Sendung der Tagesschau oder

bei fast jeder Abstimmung thematisiert wird, geht häufig vergessen, dass die Schweiz

nicht immer ein Einwanderungsland war. Von der Neuzeit bis zum Beginn des 20. Jahr-

hunderts war sie vielmehr ein Auswanderungsland, welches über eine negative Migrati-

onsbilanz verfügte. Die vorliegende Arbeit soll der Frage nachgehen, wie die Auswande-

rung aus der Schweiz seit der Frühen Neuzeit im Schulgeschichtsbuch der Nachkriegs-

zeit dargestellt wird.

Mein herzlichster Dank gehört Herrn Prof. Dr. Markus Furrer, welcher die Entstehung die-

ser Arbeit fachlich begleitete und mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Weiter danke ich

meinen Eltern und meiner Lebenspartnerin für das Lektorat der Arbeit und die unterstüt-

zenden Diskussionen.

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2 Theorie der Migration

2.1 Wanderungsformen

Die verschiedenen Erlebnisberichte von Migranten zeigen die vielfältigsten Formen der

Auswanderung. Schelbert hat diese verschiedenen Formen untersucht und aufgelistet.

Teilt man nach der Funktion der Wanderung ein, so gibt es zwei Untergruppen: Tausch-

und Expansionswanderung. Mit Tauschwanderung sind Wanderungsformen gemeint, bei

welchen „sich Wanderungen zwischen zwei, im Ganzen wirtschaftlich gleichgestellten

Staaten vollziehen.“1 Dabei decken die Migranten zum Beispiel offene Arbeitsplätze. Mit

Expansionswanderung bezeichnet Schelbert die Auswanderung, bei der die „Dominanz

im wirtschaftspolitischen Bereich“ oder die „territoriale Total-Inbesitznahme“ im Zentrum

stehen.

Die Auswanderung lässt sich allerdings auch nach der Intention der Migranten einteilen.

Dabei unterscheidet Schelbert die militärische Wanderung, die Berufswanderung, die reli-

giöse Form der Wanderung und die Siedlungswanderung. Eine militärische Wanderung

liegt vor allem dann vor, wenn Menschen sich in fremde Dienste begeben, eine Form,

welche für die alte Eidgenossenschaft während mehreren 100jahren zentral war. Damit

kann die militärische Wanderung als Sonderform der Arbeitswanderung angesehen wer-

den, bei der es darum geht, eine berufliche Tätigkeit im fremden Land auszuführen. Reli-

giöse Wanderung gab es in Europa zu fast allen Zeiten. Oft sind es vertriebene Glau-

bensgemeinschaften, die umsiedeln und so versuchen, ihr Seelenheil zu finden. Es kön-

nen aber auch Missionare sein, welche ihren Glauben in die Welt tragen wollen und aus

diesem Grund auswandern. Die Siedlungswanderung hat „einerseits die Gründung neuer

Wohnsitze für Einzelfamilien, andererseits die Schaffung geschlossener ländlicher Sied-

lungen zum Ziele“2. Allerdings muss hier festgehalten werden, dass die Grenzen zwi-

schen militärischer Migration und Arbeitswanderung einerseits und religiöser Migration

und Siedlungswanderung andererseits nicht trennscharf definierbar sind. Vielmehr ist die

eine Form ein Teilstück der anderen. Verschiedene Migrationsverläufe lassen sich auch

nach dem Ziel der Wanderung klassifizieren. Während bei der Binnenwanderung inner-

halb des gleichen Staates ein neuer Wohnort gesucht wird, wandern Migranten bei der

Kontinentalwanderung in ein fremdes Land innerhalb des gleichen Kontinents. Diese

Form war in der Schweiz während vieler Jahrhunderte weit verbreitet. Eine weitere Form 1 Schelbert, Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte, 28. 2 ebd., 30.

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bildet die Maritimwanderung, bei der Menschen auf andere Kontinente emigrieren. We-

gen der langen Reisezeiten, welche bis Anfang des 20. Jahrhundert durch die wochen-

oder sogar monatelangen Seeüberfahrten verursacht wurden, hatte diese Form der Wan-

derung eine ganz besonders definitive Komponente an sich.

Es ist auch denkbar, dass die Dauer von Migration im Zentrum der formalen Einteilung

steht. Bei der periodischen Wanderung gibt es immer wiederkehrende meist saisonale

Wanderungszyklen. Ein in der Literatur ausgiebig beschriebenes System ist das Nord-

seesystem, bei welchem jedes Jahr Menschen über Generationen hinweg an die Nordsee

wanderten. Dort fanden sie während gewissen Monaten Arbeit und kehrten dann wieder

in ihre Heimat zurück, um während der übrigen Monate auf dem heimischen Hof zu arbei-

ten. Bei der temporären Wanderung migrieren Menschen nur für einige Wochen, Monate

oder Jahre, während die permanente Wanderung „eine definitive Loslösung von den ur-

sprünglichen Lebensverhältnissen verlangen.“3

Ausserdem unterscheiden sich Migrationsbewegungen in der Grösse der Gruppen, die

wandern. Während bei der Einzelwanderung nur eine einzelne Person unterwegs ist,

wandern bei Gruppenwanderungen z.B. ganze Familien. Massenwanderungen entstehen

meist aus einer „regen Wanderungstradition“ und auf einem „mehr oder weniger ausge-

bauten Wanderungsnetz“. Auch hier könnte das Nordseesystem als Beispiel angeführt

werden. Damit ergibt sich eine Einteilung nach der Sozialform der Migration.

Schliesslich kann die Migrationsform aber auch nach dem Grad an Freiheit klassifiziert

werden. Während die volle Wahlmöglichkeit eine selbstbestimmte Wanderung erlaubt,

wird bei halbfreier oder gar erzwungener Wanderung ein erheblicher Druck auf das be-

troffene Individuum ausgeübt.

3 ebd., 31.

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2.2 Wanderungsentscheid

Der Wanderungsentscheid ist eng mit der psychologischen Fragestellung nach der Moti-

vation verknüpft. Eine ausführliche Beantwortung dieser Frage würde den Rahmen dieser

Arbeit bei weitem sprengen. Dennoch soll auf die drei Faktoren, die Schelbert im Zusam-

menhang mit dem Ursprung des Migrationsentscheides herausgearbeitet hat, eingegan-

gen werden.

So geht er davon aus, dass eine wichtige Grundvoraussetzung durch die Vorbedingung

gelegt wird. Bei der Vorbedingung der Migration geht es um, „die Erschliessung und Be-

wusstwerdung eines möglichen nicht-heimatlichen Siedlungsgebietes oder Tätigkeitsfel-

des“4. Dabei ist unter anderem entscheidend, dass potentielle Emigranten überhaupt von

einem Zielgebiet erfahren. Dieses Gebiet bietet zum Beispiel Beschäftigungsmöglichkei-

ten und hat damit eine Vorgeschichte, die die Grundlage für einen Bedarf an Immigranten

darstellt. Das heisst, dass sowohl das Bewusstwerden einer Siedlungsmöglichkeit von

Bedeutung ist, gleichzeitig diese Siedlungsmöglichkeit aber auch vor Ort begründet sein

muss. Nur wenn die Situation im Zielgebiet ins Herkunftsgebiet übermittelt wird, kann der

Migrationsentscheid auch wirklich gefällt werden.

Zusammen mit der Vorbedingung steht der Anlass in einer wechselseitigen Beziehung.

Beim Anlass geht es um die Umstände, die eine Wanderung erst nötig erscheinen lassen.

Anlässe entstehen meist im Herkunftsgebiet selber und können ökonomischer, sozialer,

politischer oder weltanschaulicher Natur sein. Wenn zum Beispiel die Arbeitsplatzres-

sourcen knapp werden und sich die wirtschaftliche Situation verändert, könnten sehr wohl

Menschen dazu bewegt werden, auszuwandern. Der Anlass und die Vorbedingungen

führen nie separat, sondern immer in enger Wechselwirkung zur Bildung einer Motivation,

zur Migration. Dieser Prozess ist allerdings äusserst komplex. Es geht für das Individuum

dabei darum, eine individuelle Abwägung von Aufwand, Nutzen, Risiken und Gefahren

vorzunehmen. „Der Auswanderer, soweit er urteilsfähig ist und die Freiheit der Wahl be-

sitzt, wird von Eigenschaften der Heimat, der Reise und des Einwanderungslandes teils

angezogen, teils abgestossen, teils unberührt gelassen.“5 Dieser komplexe innere Pro-

zess ist schlussendlich entscheidend, ob, wohin, mit welchen Mitteln und innerhalb wel-

ches zeitlichen Rahmens ausgewandert wird. Dabei sind auch Fragestellungen massge-

bend, ob zum Beispiel bereits Verwandte oder Bekannte im betreffenden Gebiet leben.

4 ebd., 40. 5 ebd., 56.

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Auch Überlegungen bezüglich der Sprache können den Wanderungsentscheid beeinflus-

sen. Es ist davon auszugehen, dass dem Wanderungsentscheid früher eine zentralere

Bedeutung zukam. Heute ist es den Menschen viel rascher möglich von einem Land zum

anderen oder sogar zwischen Kontinenten hin- und her zu wandern. Die Globalisierung

liess die Welt geografisch zusammenrücken und so sind tausende von Menschen fast

dauernd auf Reise. „Tatsächlich erfordert die Auswanderung heute nicht mehr eine dau-

erhafte Entscheidung für eines von mehreren Ländern.“6 Auch die weit entwickelten

Kommunikationsmittel haben die Information über Zielgebiete vereinfacht. Nichtsdesto-

trotz bildet aber der Wanderungsentscheid bis heute die Hauptvoraussetzung, damit ü-

berhaupt Migration stattfindet.

6 Hobsbawn, Nationen und Nationalismus, X.

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3 Europäische Migration im Wandel der Zeit

3.1 Migration bis Mitte 19. Jahrhundert

Schon seit dem späten Mittelalter gab es eine Vielzahl von verschiedenen Migrationsfor-

men. Bade schreibt: „Alteuropa war eine bewegte Welt, auf deren Strassen sich ‚Wan-

dernde’, ‚Fahrende’ und vornehme ’Reisende’ alltäglich bewegten.“ Allerdings darf dabei

nicht vergessen werden, dass das Reisen zu jener Zeit beschwerlich und gefährlich war.

„Räuberische Überfälle drohten ebenso wie ein Zusammenbrechen des Wagens.“7 Es

können zu dieser Zeit insbesondere vier Hauptformen von Migration unterschieden wer-

den. So gab es erstens die Erwerbsmigration. Hierzu gehörten vor allem Arbeitswanderer

und Wanderhändler. Eine zweite Form der Migration in der frühen Neuzeit stellte die

Siedlungswanderung dar. Bade nennt hier als Beispiele die Peuplierung in Preussen, die

Impopulation in der Donaumonarchie und die Ansiedelung von Kolonisten im Russland

Katharinas II. Als moderne Form der Wanderung kann drittens auch die transatlantische

Migration angesehen werden. Diese war meist sowohl Arbeitswanderung, wie auch Sied-

lungswanderung. Insbesondere Amerika wurde zu einem wichtigen Zielgebiet für transat-

lantische Migranten. Im 16. und 17. Jahrhundert gab es viele europäische Vertragsarbei-

ter (Indentured Servants), welche sich nach Übersee, speziell in die Karibik begaben. „Die

‚Indentured Servants’ (‚Schuldknechte’) waren meist mittellose oder doch unzureichend

ausgestattete, ungelernte, oder auch ausgebildete Arbeitskräfte beiderlei Geschlechts

und solche, die ein überseeisches Arbeitsverhältnis mit einem Ausbildungsvertrag koppel-

ten.“8 Um die Reise zu finanzieren, verpfändeten die Indentured Servants ihre Arbeits-

kraft, welche nach der Überfahrt meistbietend versteigert wurde. Klar ist damit, dass die

Arbeitsbedingungen der Indentured Servants ähnlich schlecht waren, wie jene von Skla-

ven. Viele starben an Tropenkrankheiten oder weil sie den Strapazen nicht gewachsen

waren. Ab dem 18. Jahrhundert wandelte sich dieses System etwas. Das neue und etwas

flexiblere Redemptioner-System war „schon stärker auf Auswanderer zugeschnitten“9. Die

Arbeitsverträge wurden nicht mehr einfach versteigert. Vielmehr hatten die Redemptioner

Servants „etwa zwei Wochen Zeit, um in Verhandlungen mit Arbeitgebern […] ein Be-

schäftigungsverhältnis ihrer Wahl zur Schuldenübernahme zu finden, sich durch einen

7 Van Dülmen, 66. 8 Bade, 123. 9 Bade, Europa in Bewegung, 125.

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Bürger auslösen zu lassen oder auch Bekannte und Verwandte zu Hilfe zu nehmen.“10

Am Anfang des 19. Jahrhunderts brach diese Form der transatlantischen Migration mehr-

heitlich zusammen. Die vierte Gruppe von Migranten stellen Flüchtlinge dar, die in den

Zielgebieten oft willkommene Arbeitskräfte waren. Die Reformation machte riesige Grup-

pen von Menschen zu Flüchtlingen. Religion wurde zum „Massstab der Staatstreue“11. Zu

den Flüchtlingen zählten auch Juden und verschiedene Minderheiten wie zum Beispiel

Hugenotten oder Waldenser. Es gab aber auch politische Flüchtlinge insbesondere im

späten 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dieses waren meist „gebildete,

kultivierte Menschen“12, die im Zielland freundlich aufgenommen und auch nicht als

„ernsthafte Bedrohung der zwischenstaatlichen Beziehungen“13 angesehen wurden.

Neben den bereits behandelten transatlantischen Migranten ist in der Zeit von der frühen

Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert vor allem die Erwerbsmigration interessant, wozu unter

anderem saisonale Arbeitswanderer, Architekten, Künstler, technische Experten und

Wanderhändler gehören. Zahlenmässig sind bei der Erwerbsmigration allerdings vor al-

lem Arbeitswanderung und Wanderhandel von Bedeutung. Die Herkunftsgebiete der Ar-

beitswanderer waren meist wirtschaftlich benachteiligt, so zum Beispiel Gebirgsregionen

und Gegenden, die wenig fruchtbare Böden besassen und saisonal nicht viele Arbeits-

kräfte einsetzen konnten. Die Situation wurde durch die stark wachsende Bevölkerungs-

dichte in diesen Gebieten noch erschwert. Die nicht einzusetzenden Arbeitskräfte wan-

derten in Regionen, in denen saisonal ein grösseres Erwerbsangebot bestand. Die im

Herkunftsgebiet fehlenden Arbeitskräfte verursachten dabei auf dem Heimathof keine

Kosten und brachten im Idealfall jeweils zusätzliche Einnahmen nach Hause zurück. Die

Zielgebiete waren somit meist fruchtbar und ertragsreich, was wiederum grosse landwirt-

schaftliche Betriebe begünstigte, welche zu gewissen Jahreszeiten viele Arbeitskräfte

benötigten. Zu diesen Jahreszeiten zählten insbesondere die Aussaat- und Erntezeit.

Wanderarbeiter wurden aber auch in vielen anderen Bereichen beschäftigt. Neben der

Landwirtschaft profitierte der Dienstleistungssektor, das Baugewerbe und in den Nieder-

landen auch der Torfabbau in den Mooren von den zusätzlichen Arbeitskräften. Im Laufe

der Jahre bildeten sich Arbeitswanderungsbewegungen, die sich jährlich in gewohnten

Formen abspielten. Lucasson hat in Europa sieben solcher Arbeitswanderungssysteme

unterschieden.

10 ebd., 125. 11 Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge, 24. 12 ebd., 50. 13 ebd, 51.

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Besonders gut erforscht ist das Nordseesystem. Die Arbeitsmigranten stammten vor al-

lem aus Westdeutschland, im Besonderen aus Nordrhein-Westfalen. In den Niederlanden

wurden die Hollandgänger, so nannte man die Arbeitsmigranten im Nordseesystem, vor

allem bei Grasarbeiten und zur Torfgewinnung in den Mooren eingesetzt. Allerdings wa-

ren auch die Seefahrt und die handwerklichen Berufe Zielbereiche der Migranten. Die

Arbeitsbedingungen sowohl in den Mooren, wie auch zur See waren hart und führten

nicht selten zum Tode. Die zu bestimmten Jahreszeiten ablaufende Hollandwanderung

spielte sich über Jahrhunderte in denselben festen Gegenden ab, was wiederum wirt-

schaftliche Auswirkungen auf das Gewerbe entlang dieser Routen hatte. So profitieren

nicht nur Gastwirte, sondern auch Fähr- und Schifffahrtsbetriebe, beispielsweise auf der

Vechte.

Ebenfalls zur Erwerbsmigration werden die Wanderhändler gezählt, welche einen Kon-

trast zur Arbeitswanderung darstellen. Die Wanderhändler handelten entweder mit selber

produzierten oder mit zugekauften Produkten. Verkauft wurden dabei mehrheitlich Güter

des täglichen Bedarfs, „besonders Haushaltsgeräte aus Holz und Ton, aber auch Texti-

lien-, Eisen- und Stahlwaren, wobei im Bereich der Textilwaren auch Güter des gehobe-

nen Bedarfs, z.B. Spitzen vorkamen.“14 Wanderhändler stammten in der Regel ähnlich

wie die Wanderarbeiter aus wirtschaftlich benachteiligten Gebieten, z.B. in Frankreich aus

den Gebirgsregionen, wie den Alpen, Pyrenäen oder dem Zentralmassiv, in Italien aus

dem Gebiet der drei grossen lombardischen Seen oder in Deutschland aus dem Gebiet

Westfalens, dem Schwarzwald oder dem östlichen Schwaben. Anders als bei den Wan-

derarbeitern sind die Wanderungsdistanzen bei den Wanderhändlern viel grösser. Dis-

tanzen bis 500 Kilometer und mehr waren keine Seltenheit. Besonders gut erforscht ist

das Tödden-System in Westfalen. Tödden kommt vom niederdeutschen todden und be-

deutet schleppen. Diese Wanderhändler handelten mit Leinen, Garnen, Litzen, Knöpfen

und Eisenwaren. Die soziale Schichtung innerhalb des Töddensystems war sehr komplex

und tiefgestaffelt. Die Verdienstmöglichkeiten im Wanderhandel waren bedeutend höher

als mögliche Erträge aus Erwerbsalternativen des Ausgangsraums. Während die Ar-

beitsmigranten wie die Hollandgänger mit ihrem Herkunftsgebiet verwurzelt blieben, lös-

ten sich die Wanderhändler immer stärker von ihrer Heimat. Tödden waren jährlich meist

mehr als neun Monate unterwegs. Die Verschärfung von Handelsbestimmungen führte

vielerorts auch dazu, dass sich Wanderhändler existenzbedrohenden Gefahren gegenü-

bersahen. Somit veränderte sich der Wanderhandel. Die anfänglich langen Besuche der 14 Bade, Europa in Bewegung, 44.

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Wanderhändler am Herkunftsort wurden immer kürzer. Der existenzsichernde Erwerb von

Bürgerrechten und Gildemitgliedschaften in den Zielgebieten band die Händler immer

stärker an den Zielraum. Gleichzeitig setzte eine Verschärfung der wirtschaftlichen Situa-

tion ein. Die günstigere Baumwolle bewirkte im 19. Jahrhundert eine Verdrängung des

proto-industriellen Hausgewerbes. Gerade das Leinen, eines der Hauptprodukte des

Hausgewerbes, war aber eine der wichtigsten Handelswaren der Tödden. „Für viele der

wirtschaftlich stärksten Töddenfamilien an der Spitze der […] Sozialpyramiden bahnte

sich, beschleunigt durch die Umstände, in den Zielgebieten der Übergang vom ländlichen

Wanderhandel zum städtischen Unternehmertum an.“15 Viele Wanderhändler überschul-

deten sich in der Folge völlig und verarmten.

3.2 Migration im 19. Jahrhundert

Bade gliedert die Migration vom 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert in vier Teile. Erstens

werden die Arbeitswanderungen und Unternehmensreisen beschrieben. Mit der Industria-

lisierung veränderte sich die Migration deutlich. So entstanden neue Migrationssysteme,

welche oft grösser waren als diejenigen vor dem 19. Jahrhundert. Die neuen Städte zo-

gen grosse Menschenmassen an. Die rasanten Veränderungen, welche die industrielle

Revolution mit sich brachte, hatten unter anderem auch Armut und Verelendung, den so

genannten Pauperismus zur Folge. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelten

sich die jahrhundertealten Routen der Wanderarbeiter. Im Einzugsgebiet beispielsweise

des alten Nordseesystems gab es vermehrt „industrielle Magnete“16, die den Arbeits-

migranten finanziell interessantere Perspektiven boten. In der Folge begann das alte

Nordseesystem zu erliegen. Viele Routen blieben transnational. Das Ruhrgebiet zog neu

Holländer und Polen an. Neben den montanindustriellen Zielgebieten benötigte auch die

Baubranche grosse Mengen an Bauarbeiter. Gerade hier verlangten die Arbeitsplätze

eine grosse Flexibilität der Arbeitskräfte, besonders „beim Eisenbahn- und Strassenbau,

beim Tunnel-, Brücken- und Kanalbau, bei denen dauerhafte Ansiedlung ohnehin nicht in

Frage kam“17. Der im 19. Jahrhundert zunehmende Bevölkerungsanstieg führte dazu,

dass die Landwirtschaft immer mehr Menschen ernähren musste. Die Kapitalisierung der

Landwirtschaft bedingte gleichzeitig eine „Konzentration von Land und Produkten in eini-

15 ebd., 57. 16 ebd., 86. 17 ebd., 94.

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15

gen wenigen landwirtschaftlichen Grossbetrieben“ 18. Die auf dem heimischen Hof nicht-

beschäftigten Personen arbeiteten meist im Akkord und mussten dabei weite Distanzen

zurücklegen. Die Ziele und auch die Herkunftsorte der Wanderarbeiter wechselten nun

ständig. „Die Industrialisierung hatte die alten Subsistenzformen auf Bauernhöfen und in

Handwerksbetrieben zerstört…“19 Damit fehlte vielen Arbeitsmigranten der Hof, in den sie

zurückkehren konnten.

Die Grenzen zwischen Flüchtlingen und Wanderarbeitern, die noch im 18. Jahrhundert

klar definiert waren, begannen sich zu verwischen. Mobilität wurde zunehmend zu einem

„Akt der Verzweiflung“20. Eine grosse Anzahl von Notleidenden flüchtete weiterhin nach

Übersee. Bade spricht in diesem Zusammenhang von einem „Massenexodus in die Neue

Welt“. Allerdings brach das Redemptioner-System bereits am Anfang des 19. Jahrhun-

derts zusammen, da die gewaltigen Mengen von Auswanderern in den Jahren um

1816/17 nicht mehr bewältigt werden konnten. „Die Passagefinanzierung nach der Reise

(Redemptioner-System) wurde zunehmend von der Vorauszahlung vor der Überfahrt

(‚Remittance’) abgelöst.“21 Das bedeutet, dass vor allem Kontakte zu und Mittel von be-

reits ausgewanderten Europäern genutzt wurden. Die aufkommenden technischen Errun-

genschaften erleichterten nun die Transatlantiküberfahrt. Damit veränderte sich auch das

Wanderungsverhalten. Wanderten im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert noch religi-

ös-sozial motivierte Gruppen kam es immer mehr zur Wanderung ganzer Familien und

später sogar zu Einzelwanderungen. Auch der Faktor Zeit änderte sich mit der Industriali-

sierung. „Im Wanderungsverhalten gab es einen Wandel von der definitiven Aus- bzw.

Einwanderung zu einem starken Aufrücken von Arbeitswanderungen auf Zeit bis hin zu

transatlantischen Pendelwanderungen.“22 Im Allgemeinen kann die transatlantische Aus-

wanderung aber als Ausstiegschance von sozial und ökonomisch benachteiligten Grup-

pen angesehen werden. Rund 60 Millionen Menschen aus Europa dürften diese Chance

zwischen 1820 und dem Ersten Weltkrieg genutzt haben. Allerdings scheint heute klar,

dass die Migration nach Übersee für viele Menschen nicht zum entscheidenden Aufstieg

geführt hat. Für die Ursprungsregionen der Auswanderer bedeutete die Abwanderung

nach Übersee eine Entlastung. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg stieg das Er-

werbsangebot in den westeuropäischen Zentren stärker an. Viele Arbeitskräfte waren a-

ber bereits nach Übersee abgewandert. Damit liess die Auswanderung aus West- und 18 Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge, 54. 19 ebd., 48. 20 ebd., 49. 21 Bade, Europa in Bewegung, 133. 22 ebd., 146f.

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Mitteleuropa nach und an ihre Stelle trat die Migration in die aufstrebenden Industriezent-

ren. Der Mehrbedarf an Arbeitskräften in den Industriezentren wurde auch durch zurück-

kehrende transatlantische Auswanderer und durch Migranten aus „süd- und südosteuro-

päischen, ostmittel- und osteuropäischen Gebieten gedeckt“23.

Bade nennt als dritten Migrationsbereich im 19. und frühen 20. Jahrhundert die „euroko-

loniale Migration im Hochimperialismus’“. Im 19. Jahrhundert insbesondere nach 1880

wurden den kolonialen Imperien viele neue Gebiete in Übersee einverleibt. Damit ent-

standen verschiedene Wanderungssysteme, welche in drei Gruppen kategorisiert werden

können. Erstens sieht Bade dabei einen Kolonialdienst und eine koloniale Siedlung von

Europäern in Übersee auf Zeit oder auf Dauer. Hierzu gehören „Gruppen mit mehr oder

minder befristeten Aufenthalten“24, welche zum Beispiel als europäisches Schiff- und Ha-

fenpersonal, im Militärbereich, als Verwaltungs- oder Missionspersonal und als Aufsichts-

personal in Firmen beschäftigt wurden.25 Eine zweite Kategorie umfasst einheimische

Migranten, welche sich in der Folge der europäischen Kolonialexpansion innerhalb der

Kolonien als Arbeitskräfte anheuern liessen. Daneben gab es drittens aber auch „Umset-

zungen“ nichteuropäischer Arbeitskräfte und Bevölkerungsgruppen innerhalb oder zwi-

schen europäischen Kolonien und Interessengebieten. Die Formen dieser Migration sind

sehr unterschiedlich und reichen von Sklaven bis zu Kontraktarbeitern.

Ein nicht zu unterschätzender vierter Migrationsbereich wird durch die Nationalisierung

des 19. Jahrhunderts begründet. „Kehrseite dieser Entwicklung war die Geschichte von

Verfolgung und Flucht aus politischen Gründen.“26 Ein politischer Flüchtling und ein politi-

sches Exil wurden als Terminologien für „gebildete, kultivierte Menschen, die ihr Heimat-

land aus politischen Gründen verlassen mussten“27, verwendet. Dabei geschah vor allem

ein „Wandel von der Flucht aus Glaubensgründen zur Flucht aus akuter Bedrohung“28.

Hauptursächlich für die Fluchtbewegungen waren mehrheitlich, die unzureichend geklär-

ten Grenzenverläufe der Staaten, die aus dem napoleonischen Grossreich hervorgegan-

gen waren. „Das Verhältnis zwischen den europäischen Nationen blieb häufig von Herr-

schaftsansprüchen der einen Nation über die andere bestimmt.“29 Die Gruppe der Flücht-

linge setzte sich äusserst heterogen zusammen. Während die verhältnismässig wenigen

23 ebd., 167. 24 ebd., 171. 25 vgl. ebd., 171. 26 ebd., 186. 27 Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge, 50. 28 Bade, Europa in Bewegung, 187. 29 Kaelble, Wege zur Demokratie, 38.

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Flüchtlinge in den Jahren vor 1848 als „keine ernsthafte Bedrohung“30 angesehen wur-

den, änderte sich die Situation nach 1860 stark. „Die nationale Idee […] steigerte sich in

den ‚Weltanschauungen’ und Ideologien der Jahrzehnte des Hochimperialismus vor dem

Ersten Weltkrieg zu aggressiven nationalistischen Vorstellungs- und Bewertungsmus-

tern…“31 Damit wurden weitaus grössere Massen von Menschen in die Flucht geschla-

gen. „Die Menschen waren nicht mehr bereit, unter ‚fremder’ Herrschaft zu leben“32 Diese

Problematik spiegelt sich auch im Erwerb der Staatsangehörigkeit wieder, bei dem bis

heute grundsätzlich zwei Formen unterschieden werden. Beim ius solis (Territorialprinzip)

ist massgebend, auf welchem Staatsgebiet der Geburtsort liegt. Diesem steht das ius

sanguinis, das Vererbungs- bzw. Abstammungsprinzip gegenüber, bei dem die Staatsan-

gehörigkeit des Vaters – bei unehelichen Kindern der Mutter – zählt, ohne Rücksicht auf

welchem Staatsgebiet der Ort der Geburt liegt. Deutschland entschied sich für die ius

sanguinis-Form. Damit können auch heute noch Auslanddeutsche die deutsche Staats-

angehörigkeit weitervererben. Grund für die Wahl des ius sanguinis-Prinzips in Deutsch-

land war vor allem die Angst vor einer „Flucht aus dem Osten“33.

3.3 Migration im kurzen 20. Jahrhundert

3.3.1 Migration im Zeitalter der beiden Weltkriege

Was sich bereits seit Jahrzehnten anbahnte, sollte sich im 20. Jahrhundert noch massiv

verstärken. „Der Erste Weltkrieg war dabei für die Entwicklung des Wanderungsgesche-

hens in Europa und im atlantischen Raum Epochenzäsur und Schrittmacher zugleich: Er

beendete die Epoche liberaler Wanderungspolitik, die die relative Eigendynamik der ‚pro-

letarischen Massenwanderungen’ des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ermöglicht hat-

te.“34 Getrieben vom Glauben an einen kurzen Konflikt mobilisierten die am Krieg beteilig-

ten europäischen Länder im August 1914 ohne Rücksichtnahme auf die Wirtschaft insge-

samt rund 74 Mio. Soldaten. Knapp die Hälfte sollte in den kommenden drei Jahren ent-

weder verwundet oder getötet werden. Für Europa bedeutete der Kriegsausbruch zuerst

einmal eine Rückreisewelle. Die zusammenbrechende Wirtschaft führte Anfang 1915 zur

Einführung der Kriegswirtschaft. Es fehlten vor allem Arbeitskräfte – jene Menschen, wel-

30 Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge, 51. 31 Bade, Europa in Bewegung, 209. 32 Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge, 52 33 Bade, Europa in Bewegung, 215 34 ebd., 232

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che sich nun im Schützengraben befanden. So beschäftigten die europäischen Staaten,

allen voran Frankreich und Deutschland hunderttausende Kriegsgefangene. Nicht alle

Ausländer waren allerdings als Arbeitskräfte willkommen. Die Stimmung war äusserst xe-

nophob. Allen voran England, Deutschland und Frankreich internierten nicht willkommene

Ausländer und schoben diese wieder ab. Die Gräuel des Krieges liessen hunderttausen-

de Menschen zu Flüchtlingen werden. Weit mehr als 10 Mio. Menschen dürften in den

Jahren nach dem Ersten Weltkrieg auf der Flucht gewesen sein. Dies waren zum einen

Juden, Polen und ethnische Deutsche in Osteuropa und zum anderen Personen, welche

die falsche Nationalität innerhalb der Balkanstaaten besassen. Die katastrophale Lage in

Russland, die die russische Armee mit der Politik der verbrannten Erde verursachte, führ-

te dazu, dass fast 3 Mio. Menschen unterwegs waren. Die russische Revolution 1917, der

Bürgerkrieg und die Hungersnot Anfang der 20er Jahre lösten heftige Flüchtlingswellen

aus. Gleichzeitig wurden die osteuropäischen und russischen Juden im russischen Bür-

gerkrieg von beiden Seiten massivst verfolgt. Die Verfolgung in den westlichen Grenzge-

bieten Russlands, die Kämpfe im Pale-Gebiet […] sowie Pogrome in Russland, Polen,

Ungarn und der Ukraine trieben Hunderttausende Juden zur Flucht.“35 Rund 600’000 Ju-

den wurden deportiert und ausgewiesen. Bis 1924 wanderten viele Juden in die USA ab.

Mit dem Johnson Readact 1924, der eine Einwanderungssperre vorsah, schlossen die

USA allerdings dieses Tor für die vertriebenen Bevölkerungsgruppen. Sie blieben nun

verstärkt in Europa zurück. Weitere Flüchtlingsströme bildeten sich im Raum des ehema-

ligen osmanischen Reichs. Der Genozid an den Armeniern 1915 und verschiedene krie-

gerische Auseinandersetzungen auf dem Balkan führten zu weiteren grossen Flüchtlings-

strömen. Nach der Niederlage der Türken gegen die Griechen 1921 kam es zu einer eth-

nischen Trennung, welche zu massiven Zwangsumsiedlungen von rund einer Million

Menschen entlang der Glaubensgrenzen führte. Neben den USA war Frankreich das

wichtigste Auffangland von Flüchtlingen aus Osteuropa und dem Balkangebiet. In der

Zwischenkriegszeit ging der Bruch weiter, allerdings veränderte sich die Situation. Es ent-

standen verschiedene neue Staaten, wodurch Minderheiten zu Mehrheiten wurden und

umgekehrt. Im Ersten Weltkrieg hatten die kriegstreibenden Staaten Erfahrungen mit den

verschiedensten Interventionen, so auch in Bezug auf die Arbeitsmigration gesammelt.

Die Versuche, diese zu beschränken, schürte die xenophobe Stimmung. Das Fremde

wurde noch stärker als Gefahr wahrgenommen. Die massiven Probleme der Hyperinflati-

on und die damit verbundene Arbeitslosigkeit führten dazu, dass Staaten wie zum Bei- 35 Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge, 103.

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spiel Deutschland sich bemühten, an erster Stelle ihren eigenen Staatsangehörigen eine

Arbeit zu verschaffen. Deshalb war Deutschland nicht an ausländischen Arbeitskräften

interessiert. Durch die willkürliche Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg wurden re-

gelrecht Minderheiten produziert, welche nicht selten in die Flucht geschlagen wurden.

„Sie förderten unter Wilsons Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker die Begrün-

dung neuer Nationalstaaten, innerhalb derer ethnokulturelle und religiöse Gruppen da-

durch endgültig zu Minderheiten wurden, dass ihnen der Charakter der Nation vorbehal-

ten blieb.“36 Neben den Flüchtlingen aus den Gebieten in Ost- und Südosteuropa kamen

rund eine halbe Million spanische Republikaner dazu, welche aus Franco-Spanien nach

Frankreich flohen.

Die Gräuel des Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit sollten sich erst als „An-

laufen des Schreckens“ herausstellen, die im Zweiten Weltkrieg noch weit übertroffen

wurde. „Jenseits, aber in vielen Überschneidungen mit der militärischen Dimension präg-

ten Flucht und Vertreibung, Deportationen und Zwangsarbeit das Gesicht des Zweiten

Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit.“37 Es muss von rund 50-60 Millionen

Menschen ausgegangen werden, die infolge des Krieges irgendwie in eine Fluchtbewe-

gung hineingezogen wurden – also rund 10% der Bevölkerung Europas. Bade unter-

scheidet im Wesentlichen vier verschiedene Gruppen von Flüchtlingen: Flüchtende aus

Kampfzonen sind jene Personen, die unmittelbar vor dem Krieg flüchteten. Unter Depor-

tierte und Festgehaltene werden besonders Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene einge-

teilt. Eine dritte Gruppe stellen „Displaced Persons“ dar, womit vor allem deportierte

Fremdarbeiter in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft gemeint sind. Viertens gab

es Vertriebene, welche vor allem nach dem Kriegsende aus den Ostgebieten in Richtung

Westen geflohen sind. Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, hier alle

Fluchtbewegungen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und in der unmittelbaren Nach-

kriegszeit aufzuzeigen. Deshalb sollen in Anlehnung an Bade vor allem die Arbeitskraft

als Beute in Verbindung mit Nationalsozialismus und die Siedlungspolitik in Verbindung

mit Rassen kurz angeschnitten werden. Zwangsarbeit war keine nationalsozialistische

Erfindung. Allerdings erreichte die Dimension ein bis dahin nie da gewesenes Maximum.

Grundsätzlich können zwei Gruppen von Zwangsarbeitern im Nazi-Deutschland unter-

schieden werden. Westarbeiter waren in den ersten Jahren besser gestellt als Ostarbei-

ter, weil Osteuropäer als Untermenschen und somit ideologisch als minderwertig galten.

36 Bade, Europa in Bewegung, 275. 37 ebd., 274.

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Während in den ersten Jahren vor allem Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt

wurden, deportierte man ab 1943 auch zivile Zwangsarbeiter aus der UdSSR ins Deut-

sche Reich. Gleichzeitig siedelte die Regierung in den eroberten Gebieten Volksdeutsche

an. „Zugunsten der neu anzusiedelnden ‚Volksdeutschen’ wurden 1940/41 z.B. ca. 1,2

Millionen Polen, darunter 500-550’000 Juden, aus den ehemals polnischen, nunmehr

dem Reich angegliederten ‚Reichsgauen’ ‚Wartheland’ und ‚Danzig-Westpreussen’ ver-

trieben.“38 Mit dem Kriegsende schlug die Fluchtbewegung auf Deutsche über, von denen

viele aus den Ostgebieten wegwanderten. Im Westen gab es nicht weniger als rund 11

Millionen Displaced Persons, welche wieder abgeschoben wurden und rund 10 Millionen

Binnenflüchtlinge, welche ihr gesamtes Hab und Gut verloren hatten. Ausserhalb von

Deutschland waren ebenfalls Millionen Menschen in Bewegung. Stalin bemühte sich sehr

darum, die leeren Gebiete wieder zu füllen. Diese Bewegungen blieben weit über das

Kriegsende hinaus bis in die 50er Jahre bestehen.

3.3.2 Migration in der Zeit des Kalten Krieges

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich das Migrationsverhalten ein weiteres Mal zu

verändern. In den ersten Jahren nach dem Krieg war die wirtschaftliche Situation sehr

angespannt. Dies wandelte sich Anfang der 50er Jahren recht rasch. Plötzlich wurden

grosse Mengen von Arbeitskräften gebraucht, um das zerstörte Europa wiederaufzubau-

en. Dabei gab es viele Formen von verschiedenen Wanderungstypen. So wurde ab dem

Zweiten Weltkrieg die Gastarbeitermigration bedeutend. Die Gastarbeiter bauten Europa

wieder auf und begünstigten damit die wirtschaftliche Blüte Europas. Zuerst erfasste die-

se Migrationsform Süditalien und später auch Spanien und Portugal. Noch später folgten

Arbeiter aus dem heutigen Ex-Jugoslawien und der Türkei. Seit den späten 50er Jahren

kann eine starke Süd-Nordbewegung beobachtet werden. Der Begriff Gastarbeiter impli-

ziert mit Gast, dass dieser Arbeitnehmer temporär arbeitet und danach wieder zurück-

reist. So wurden in den 50er Jahren willkommene Arbeitskräfte aus dem Ausland geholt.

Mit dem Nachzug ihrer Familien in den 60er Jahren wandelte sich die freundliche Stim-

mung gegenüber den Gastarbeitern nicht selten in eine fremdenfeindliche. In den 70er

Jahren brach die Gastarbeitermigration infolge der Wirtschaftskrise zusammen. Häufig

wird vergessen, dass auch wohlhabende Berufsgruppen migrierten, so Manager, Künstler

und Ingenieure. Daneben gab und gibt es bis heute auch Rentnerwanderer.

38 ebd., 293,

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Eine weitere wichtige Migrationsform war die koloniale- und postkoloniale Wanderung,

welche vor allem in Frankreich, Grossbritannien, Spanien, Portugal und den Beneluxstaa-

ten beobachtet werden konnte. Diese war unter anderem auch durch die politische Situa-

tion im Kolonialland begründet, so zum Beispiel in Algerien, Indien, Indonesien, Ägypten

usw. Auf der Iberischen Halbinsel fand diese koloniale und postkoloniale Wanderung be-

reits etwas früher, nach dem Sturz der Diktatoren, statt.

Bei der dritten Form, der ethnischen Wanderung migrierten vor allem Menschen mit glei-

cher ethnischer Zugehörigkeit. Das waren zum Beispiel ethnische Volksdeutsche, welche

aus der Sowjetunion auswanderten, Menschen, die aus der DDR in die BRD umsiedelten

und Juden, welche aus der Sowjetunion in die USA oder Israel immigrierten.

Zuletzt soll hier noch eine vierte Migrationsgruppe erwähnt werden, die so genannten

Flüchtlingswanderer. Allerdings war diese Gruppe im Kalten Krieg relativ klein. Die meis-

ten Ostblockstaaten hatten ihre Grenzen geschlossen und liessen nur kleine Gruppen

ausreisen. Der Westen war dagegen sehr offen, denn wenn überhaupt Immigranten aus

solchen Ländern kamen, so waren dies Antikommunisten, welche im kapitalistisch orien-

tierten Europa freundlich empfangen wurden.

3.4 Migration an der Schwelle zum 3. Jahrtausend

Obwohl Europa in den 50er und 60er Jahren immer noch ein Auswanderungskontinent

war, stagnierte die Emigration in den 70er Jahren und dann erst recht um 1980. Europa

wandelte sich als Ganzes vom Auswanderungs- zum Einwanderungsgebiet. Staaten wie

Spanien und Portugal sahen sich plötzlich selber mit Einwanderer konfrontiert und be-

gannen, nach immer schärferen Zuwanderungsbeschränkungen zu suchen. „Dabei traten

zunehmend Züge eines Eurorassismus mit exklusiven Selbstbildern und rassistisch ge-

prägten Fremdbildern hervor...“39 Bade beschreibt das Ende des Kalten Krieges als Zäsur

in der Migration und der Migrationspolitik Europas: „Migrationsbeobachtungen, Projektio-

nen und Visionen wurden am Ende des 20. Jahrhunderts handlungsbestimmend für die

Migrationspolitik in einer Europäischen Union, deren Integration und Öffnung mit grenz-

freiem Binnenmarkt im Inneren einhergingen mit gemeinsamer Abgrenzung einer ‚Fes-

tung Europa’ gegen unerwünschte Zuwanderungen von aussen.“40 Heute sind primär vier

Bereiche von Zuwanderern in Europa von Bedeutung. Der Familiennachzug bildet dabei

39 ebd., 310. 40 ebd., 378.

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einen bedeutenden Bereich, welcher nur jene Menschen berücksichtigt, welche bereits

Verbindungen zum Zielland haben. Ein weiterer wichtiger Bereich sind gut ausgebildete

Arbeitnehmer, welche in Europa gesuchte Arbeitskräfte darstellen. Eine dritte Form der

Zuwanderung nach Europa bildet heute die Einreise von Flüchtlingen und Vertriebenen.

Eine vierte grosse Kategorie „umschliesst traditionell privilegierte Migrationsbeziehungen,

zum Teil noch in Gestalt von postkolonialen Zuwanderungen, seit der Öffnung des Eiser-

nen Vorhangs, aber vor allem in Gestalt von ‚ethnischen’ bzw. Minderheitenwanderungen

im Zusammenhang der Ost-West-Wanderungen“41. Durch Einschränkungen auf die vier

legalen Zuwanderungsformen wurden weitere Zugänge systematisch geschlossen, so

dass nach illegalen Möglichkeiten gesucht werden muss, um nach Europa zu migrieren.

Auch im illegalen Bereich sind die Formen der Zuwanderung vielfältig und in dieser Arbeit

nicht detailliert aufführbar. Heutige Herkunftsgebiete sind vor allem Ost- und Südosteuro-

pa und die Dritte Welt. Dabei geht es für die meisten Einreisewilligen darum, den restrikti-

ven Einreisebestimmungen zu entsprechen. Zuwanderern aus der Dritten Welt sind dabei

äusserst wenige Möglichkeiten geblieben, legal einzureisen. Bade schreibt in diesem Zu-

sammenhang: „Solange das Pendant der Abwehr von Flüchtlingen aus der Dritten Welt,

die Bekämpfung der Fluchtursachen in den Ausgangsräumen fehlt, bleibt diese Abwehr

ein historischer Skandal, an dem künftige Generationen das Humanitätsverständnis Eu-

ropas im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert bemessen werden.“42

41 ebd., 398. 42 ebd., 452.

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3.5 Fazit

Die Migrationssituation hat sich in den letzten 150 Jahren grundlegend verändert. Gab es

im 19. Jahrhundert „weniger oder kaum Grenzkontrollen“43, wurden ab dem Ende des 19.

Jahrhunderts nationalstaatliche Sichtweisen immer wichtiger. Damit wurden Ausländer als

Fremde stigmatisiert. Mit dem Zusammenbruch des Ostblockes und dem Erstarken der

Europäischen Union hat sich der Umgang gegenüber Migranten nochmals verändert. Die

Globalisierung und die damit verbundenen Zusammenschlüsse von Staaten zu Bündnis-

sen führten dazu, dass die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik immer weniger zu den

Aufgaben des Gliedstaates gehören, sondern vermehrt Bündnissache wurden. Es bleibt

festzuhalten, dass die Zahl der Migranten bei weitem immer viel kleiner ist, als die Zahl

der Gesamtbevölkerung eines Ausgangslandes. Saskia Sassen fügt dazu an: „Sobald

akzeptiert wird, dass Migration nicht einfach Folge individueller Entscheidungen, sondern

ein Prozess ist, der durch vorhandene politisch-ökonomische Systeme strukturiert und

geformt wird, werden Faktoren der Kontrolle und Regulierung lösbar.“44 Es werden Wege

gefunden werden müssen, vernünftig mit Migration umzugehen. Nur so wird es möglich

sein, die immer latente Ausländerfeindlichkeit innerhalb der Bevölkerung zu bekämpfen

und ein friedliches Zusammenleben aller, im Staat lebenden Personen unterschiedlicher

Herkunft, zu erreichen.

43 Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge, 174. 44 ebd., 174.

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4 Auswanderung aus der Schweiz

4.1 Einleitung

Die schweizerische Migrationsgeschichte verläuft in groben Zügen ähnlich, wie die euro-

päische. Die einzigartige geografische Lage und die spezielle Position innerhalb Europas

führten allerdings dazu, dass die schweizerische Migrationsgeschichte verschiedene Ei-

genheiten aufweist. Im Folgenden soll sie vor allem als militärische Wanderung und als

Siedlungsmigration näher beleuchtet werden. Dabei wird es im Wesentlichen um die Ziel-

gebiete und den Anlass der Migration, zum Teil aber auch um die Herkunftskantone ge-

hen.

4.2 Militärische Auswanderung

Während Jahrhunderten bildeten Schweizer Söldner, die so genannten Reisläufer, die

grösste Gruppe an schweizerischen Migranten. Die Spuren des Söldnerdienstes gehen

bis ins 13. Jahrhundert45 zurück. Zu Beginn gab es vor allem zwei Formen der militäri-

schen Migration. Bei der einen erfolgte die Anwerbung über den Abschluss einer Kapitu-

lation, also mit der Bewilligung der Obrigkeit. Die andere Form war ein wildes Söldnertum,

bei dem Mann für Mann einzeln angeheuert wurde. Aus heutiger Sicht ist es schwierig,

die Ursprünge der Reisläuferei zu erforschen. Dies zeigt sich auch bei der päpstlichen

Garde. Dort sollen erste Schweizer bereits im 14. Jahrhundert46 in fremden Diensten ge-

standen sein. Die eigentliche Schweizer Garde wurde aber erst 1506 durch Papst Julius

II. gegründet.

Schelbert betont, dass sich hinter dem Söldner ein Handwerker verbirgt und dass das

Söldnerwesen somit als Spezialform der Erwerbsmigration gesehen werden muss. Aller-

dings führt Reinhardt aus, dass der Sold für die Reisläufer nicht nur Lebensunterhalt war,

„sondern auch Ausdruck von Reputation“47 . Dabei war das Söldnerwesen nicht politisch

ausgerichtet, sondern „an einer durch Ehr-, Rach- und Beutesucht geprägten, von der

eidgenössischen Obrigkeit nur schwach steuerbaren Eigengesetzlichkeit“48 gelenkt. Das

Anheuern von Soldaten veränderte sich über die Jahrzehnte: „Um 1500 hatte sich der

schweizerische Söldnerdienst aus einer privaten Angelegenheit in eine öffentliche Einrich- 45 vgl. Henry, Fremde Dienste. 46 vgl. Krieg, Die Schweizer Garde in Rom, 13. 47 Reinhardt, Geschichte der Schweiz, 51. 48 Furrer, Die Nation im Schulbuch, 145.

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tung umgewandelt.“49 Die ausländischen Staaten forderten jeweils bei der Tagsatzung

Soldaten an. Die Kantone entsandten in der Folge eine bestimmte Anzahl Reisläufer.

Zahlen über die Anzahl der Schweizer, welche in fremden Diensten standen, können nur

geschätzt werden. Meist wird angegeben, dass zwischen 1400 und 1500 rund 50'000 bis

100'00050 Mann mit militärischen Absichten ausgewandert sind. Im 16. und 17. Jahrhun-

dert dürften sich je 250'000-300’000 Menschen und im 18. Jahrhundert sogar von

300’000-400'000 Mann als Reisläufer aufgemacht haben. Addiert man diese Zahlen, so

kann davon ausgegangen werden, dass sich zwischen 1400 und 1850 an die 900'000 bis

1'100'000 Männer in den Solddienst begeben haben. Schelbert und Bickel schätzen, dass

die zivile Auswanderung in den Jahren 1500 bis 1600 nur rund 10% und bis 1800 etwa

15-20% ausgemacht haben. Klar scheint damit auch, dass das Söldnerwesen die Bevöl-

kerungszahlen reguliert hat: „Bis 1800 reduzierte der Verlust durch die Söldnertätigkeit

das natürliche Bevölkerungswachstum scharf.“51 Das grösste Kontingent an Fremden

Diensten ging jeweils an Frankreich. Dieses war aber bei weitem nicht das einzige Land,

welches Schweizer für seine Armee anheuerte. Weitere Destinationen waren u.a. Spa-

nien, Savoyen, die Niederlande, Venedig, Neapel, England, Österreich, Genua, der Vati-

kan-Staat, Brandenburg, Modena, Rheinpfalz und Schweden. „Die Soldaten waren weit

verstreut, und viele fanden ihre namenlosen Gräber in Russland oder Ungarn, in Italien,

Savoyen, Malta oder Spanien, an den Küsten Afrikas oder Indiens, auf den Westindi-

schen Inseln oder auf dem amerikanischen Festland.“52 Rund 50% dürften im Solddienst

gefallen sein.53 So kann davon ausgegangen werden, dass allein in den napoleonischen

Feldzügen rund 50'000 Reisläufer ihr Leben verloren. Später dienten Schweizer vor allem

in Frankreich, Holland, Preussen, Neapel und dem Vatikan. Allerdings kamen mit dem

Aufstieg der liberalen Kräfte im 19. Jahrhundert grosse Vorbehalte gegen die Reisläuferei

auf. Die Ideen von Volkssouveränität und Rechtsgleichheit schufen im Bereich der Kapitu-

lationsfrage eine verschärfte prinzipielle Gegnerschaft, die durch den aussenpolitischen

Konfliktstoff des Söldnerwesens erhöht wurde.“54 Aussenpolitisch hatte sich die Situation

für das schweizerische Söldnerwesen verschlechtert, u.a. deshalb, weil die Schweizer

Reisläufer 1792 auf der Seite der Bourbonen gekämpft hatten und die Schweiz vielerorts

mit Monarchisten gleichgesetzt wurden. Ausserdem hatten die Söldner nicht selten im

49 Schelbert, Die Wanderung der Schweizer, 404. 50 vgl. Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 91. 51 Schelbert, Die Wanderung der Schweizer, 406. 52 ebd., 406 53 vgl. Schelbert, Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte, 155. 54 Aellig, Die Aufhebung, 62.

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Auftrag der Könige die Aufstände von Liberalen niederzuschlagen. „Ausser Bern und

Graubünden haben nach 1815 nur noch die wirtschaftlich rückständigen katholischen

Kantone Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Luzern, Solothurn, Freiburg, Appenzell-IRh.

und Wallis Kapitulationen abgeschlossen.“55 Die Widerstände gegen die Entsendung von

Söldnern wurden durch eine unglückliche Kriegsführung im Königreich Neapel immer

stärker. Dem jungen Bundesstaat gelang 1849 nach langen Verhandlungen ein Verbot

zum „Abschluss neuer Bundes- und Kantonskapitulationen“56. 1859 folgte das Bundesge-

setz, „das dem Schweizerbürger unter Androhung gewichtiger Strafen verbot, ohne Er-

laubnis des Bundesrates, der eine solche Bewilligung nur zum Zweck der militärischen

Ausbildung erteilen durfte57. Die päpstliche Garde stellt heute die letzte Möglichkeit dar,

sich in fremden Dienst zu begeben. Nach dem Verbot der Reisläuferei schloss Papst Pius

IX. 1858 einen Vertrag direkt mit der Schweizer Garde. Seither werden keine Soldaten

vom Vatikan direkt angeworben, sondern nur noch über persönliche Kontakte. Mehrfach

wurde festgehalten, dass die päpstlichen Soldaten heute nicht mehr eine Armee, sondern

eine „Hausgarde mit polizeilichem Charakter“ darstellen und damit dieser Dienst für

Schweizer legitim sei.

4.3 Destinationen der Beruf- und Siedlungswanderung

4.3.1 Einleitung schweizerische Berufs- und Siedlungswanderung

Lässt man die Wanderungsbewegungen der Walser ausser Acht, kann davon ausgegan-

gen werden, dass Migration im grösseren Stil in der Schweiz erst mit der Reformation ein

Thema wurde. Vor allem religiöse Splittergruppen, welche in gewissen Gebieten unter-

drückt wurden, wanderten in Gruppen aus. Im 16. und 17. Jahrhundert kam dabei für

Schweizer fast ausschliesslich das europäische Ausland als Destination in Frage. Zielge-

biete waren Mähren, später das Elsass, die Rheinpfalz, Holland, Preussen, Dänemark

und Russland. Daneben waren die Wanderjahre für viele Handwerksberufe ein fester Be-

standteil der Ausbildung. Ausserdem gab es zahlreiche Künstler, Kaufleute, Unternehmer

und Gelehrte, welche zum Teil einige Jahre, zum Teil ihr ganzes Leben im Ausland ver-

bracht haben. Im Vergleich zur militärischen Auswanderungen waren es aber äusserst

kleine Gruppen von Menschen, die im 17. und 18. Jahrhundert auswanderten. Bickel

55 Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 160. 56 Aellig, Die Aufhebung, 131. 57 ebd., 143.

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schreibt: „Alles in allem glauben wir, nicht über 40'000 bis 50'000 Auswanderer im 17. und

18. Jahrhundert und 20'000 – 25'000 im 16. Jahrhundert hinausgehen zu dürfen.“58 Dies

änderte sich dann im 18. Jahrhundert, als vermehrt auch Überseegebiete zu Zieldestina-

tionen wurden. Allerdings hatten viele Kantone Angst, durch die Auswanderung Arbeits-

kräfte zu verlieren und so war „die Haltung der Kantone gegenüber der Auswanderung

nicht einheitlich“59. Mehrere Kantone verboten die Auswanderung, „andere Kantone hiel-

ten sich mehr an blosse Warnungen und Mahnungen und wieder andere liessen der Sa-

che ihren Lauf“60. Zum Teil wurde die Auswanderung armer Gemeindebürger gar von den

Kommunen organisiert und finanziert61. So reisten z.B. von Rothrist 1855 rund 300 Per-

sonen62 aus, wovon bei weitem nicht alle diesen Schritt freiwillig in Betracht gezogen hat-

ten.

4.3.2 Umliegendes Europa

Neben der Migration aus Glaubensgründen nahm aber auch die Arbeitsmigration schon

früh eine zentrale Stellung innerhalb der Siedlungsmigration ein. Bündner und Tessiner

Handwerker, vor allem Baumeister, Maurer, Gipser, Stukkateure und Steinhauer zogen in

die europäischen Handelszentren, so zum Beispiel nach Italien, Spanien, Österreich, Un-

garn und Russland und fanden dort Arbeit. Bekannt sind auch die Tessiner und Süd-

bündner Kaminfeger und Ofenbauer, welche ebenfalls nach ganz Europa, vor allem aber

nach Südeuropa, auszogen. Im 15. Jahrhundert wanderten vom Tessin auch Menschen

aus dem Bleniotal nach Mailand. Sie verdienten dort in erster Linie Geld mit „gebrannten

Marroni, später auch mit Zuckerwerk und Schokolade“63. Die Auswanderer aus einem

Gebiet siedelten meist an einem bestimmten Zielgebiet an und übten dort auch einen be-

stimmten Beruf aus.

In Preussen entstanden Schweizer Kolonien, als im Auftrag von Kurfürst Friedrich Wil-

helm nach Familien gesucht wurde, welche sich in der „verwüsteten Mark Brandenburg“64

niederlassen sollten. In verschiedenen Gruppen zogen in der Folge einige 100 Personen

vor allem aus Bern nach Brandenburg und Ostpreussen. Im späten 16. und frühen 17.

Jahrhundert wanderten Ostschweizer nach Hessen aus, um dort als Melker und Vieh- 58 Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 296. 59 Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 99. 60 Karrer, Das schweizerische Auswanderungswesen, 7. 61 vgl. Ziegler, Schweizer statt Sklaven, 91f. 62 vgl. Sauerländer, Fretz, Armut, Angst und Hoffnung, 14. 63 Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 102. 64 vgl. Schelbert, Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte.

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züchter Arbeit zu finden. In der Regel entstanden im Ausland jeweils kleine Schweizer

Siedlungen, so genannte Kolonien. Dies war ab 1350 in Venedig, zu Beginn des 17.

Jahrhunderts in Bergamo, später auch in Lyon der Fall. Die Auswanderung in erster Linie

von Bündnern nach Venedig hatte schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts begonnen.

Die Bündner Zuckerbäcker spielten in Venedig eine ganz besondere Rolle und besassen

ab 1493 sogar eine eigene Zunft. Dank den venezianisch-bündnerischen Allianzverträgen

wurden den „Graubündnern aussergewöhnliche Privilegien zur Ausübung ihrer Gewerbe

gewährt“65. Es folgten dann bis 1764 mehrere Hundert Zucker- und Pastetenbäcker,

Schuhmacher, Scherenschleifer und Branntweinhändler. Die Bündner konnten im Gegen-

satz zu Menschen aus anderen Kantonen relativ frei migrieren. Ab dem späten 18. Jahr-

hundert wanderten etwa 10'000 Personen nach Spanien in die Sierra Morena aus. Auch

Russland war schon früh, ca. ab dem 14. Jahrhundert, eine bedeutende Migrationsdesti-

nation für Schweizer. So fanden dort viele Tessiner Bauleute ein „reiches Wirkungsfeld“66.

Bühler beschreibt im Wesentlichen drei Wanderungsepochen. Erstens benötigte Russ-

land schon früh viele Spezialisten, welche ab dem 15. Jahrhundert bis Mitte des 18. Jahr-

hunderts vor allem in Form von Einzelwanderung nach Russland übersiedelten. Dies wa-

ren vor allem militärische Spezialisten, Geistliche, Steinmetze, Architekten und Baumeis-

ter. Im späten 18. Jahrhundert waren es dann vermehrt ganze Gruppen und Kolonisten,

welche sich im Zarenreich niederliessen. So sollen zwischen 1763 und 1772 etwa 1’000

Schweizer an die Wolga gezogen sein67. Mit der merkantilistischen Wirtschaftspolitik Ka-

tharinas II. stieg der Bedarf an ausländischen Hand- und Kunsthandwerkern Ende des 17.

und Anfang des 18. Jahrhunderts. Es folgten unter anderem Uhrmacher, Juweliere, Stoff-

und Kattundrucker dem zaristischen Bedürfnis. Schweizer Siedlungen entstanden im Za-

renreich bis ins 19. Jahrhundert, so zum Beispiel Zürichtal auf der Halbinsel Krim oder

das Weinbauerndorf Schaba in Bessarabien. Infolge Landknappheit, der neu verordneten

Militärdienstpflicht und des steigenden Nationalismus in Russland am Ende des 19. Jahr-

hunderts verschlechterte sich die Situation für die ausländischen Siedler. So „sahen viele

Nachkommen von Kolonisten, nicht zuletzt Mennoniten, ihr Heil nur in einer neuen Aus-

wanderung – diesmal nach Übersee…“68 Die Gesamtzahl aller Schweizer und Schweize-

rinnen, die jemals in Russland gelebt haben, ist nur schätzbar. Roman Bühler geht davon

65 Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 101. 66 Schelbert, Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte, 205. 67 vgl. Bühler, Schweizer im Zarenreich, 48. 68 vgl. ebd. 66.

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aus, dass es sich um zwischen 38'000 und 57'500 Personen handeln dürfte69. Dabei sind

relativ viele Bündner nach Russland ausgezogen. Bühler nennt eine Zahl von ca. 1’00070

berufstätigen Bündnern, die ins Zarenreich migriert sind. Diese arbeiteten vor allem als

Zuckerbäcker, aber auch in der Industrie, als Kaufleute, als Käser, in Lehr- und Erzieher-

berufen, in Staatsdiensten, als Juristen und Ärzte, als Kunstschaffende oder als Landwir-

te.

In starkem Kontrast zur dauerhaften Auswanderung steht die Saisonwanderung. Vor al-

lem Bewohner aus Graubünden und dem Tessin wanderten saisonal aus. Zu ihnen ge-

hörten unter anderem auch die Schwabengänger. Dies waren vor allem Jugendliche und

Kinder aus dem romanischen Teil Graubündens, welche in Württemberg jeweils im Som-

mer Arbeit auf den Feldern fanden. Wegen der Hungersnot 1817 beantragten im Bünd-

nerland rund 985 Personen Pässe, um sich im nahen Ausland verdingen zu lassen. „Seit

der Mitte der 1840er Jahre stieg die Anzahl von 714 (1845) auf 1’095 (1847) und 1’144

Schwabengänger (im Jahre 1851).“71 Die Schwabengängerei verlor ab den 1860er Jah-

ren immer mehr an Bedeutung, insbesondere durch den erhöhten Auswanderungsstrom

nach Nordamerika. Eine ähnliche Form wie die Schwabengänger stellten die Tessiner

Kaminfegerkinder, die „Spazzacamini“ dar. Diese Wanderungstradition kann bereits ab

dem 16. Jahrhundert nachgewiesen werden. Während die Tessiner Kinder in den ersten

Jahrzehnten vor allem nach Italien, Österreich, Deutschland, Frankreich und Holland ver-

dingt wurden, rückte im 19. Jahrhundert fast ausschliesslich Norditalien als Zielgebiet in

den Vordergrund. Eingesetzt wurden die Kinder und Jugendlichen meist von November

bis April als Kaminfeger in den engen Schornsteinen. Wie auch bei den Schwabengän-

gern endete diese Migrationsform mit dem Ersten Weltkrieg praktisch vollständig.

Mit dem Aufkommen der Überseewanderung, vor allem im 19. Jahrhundert, trat ein regel-

rechter Auswanderungsboom ein. Die europäischen Ziele boten keine sicheren Aussich-

ten mehr. Nur Russland konnte sich bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts als Destina-

tion halten, ehe es mit aufkommendem Nationalismus ebenfalls an Bedeutung einbüsste

69 Bühler, Schweizer im Zarenreich, 86f. 70 Bühler, Bündner im Russischen Reich, 471. 71 Linus Bühler, Die Bündner Schwabengänger und die Tessiner Kaminfegerkinder, 167.

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4.3.3 Nordamerika

Die mit Abstand wichtigste überseeische Auswanderung aus der Schweiz hatte das Ziel

Nordamerika. Besonders das gemässigte Klima und der wirtschaftliche Aufschwung in

Nordamerika wirkten als Pullfaktoren. Ausserdem gab es eine Vielzahl von Agenten, die

um Amerikagänger warben. Nicht selten bereicherten sich diese jedoch widerrechtlich an

den Auswanderern, oder nahmen sie sogar regelrecht finanziell aus. Für Romands stellte

die Übersiedelung nach Nordamerika allerdings kaum eine valable Alternative zu den

Destinationen in Südamerika dar. Schelbert teilt die schweizerische Auswanderung nach

dem Gebiet der heutigen USA, die bereits ab dem 16. Jahrhundert nachgewiesen ist, in

drei „Hauptphasen“ ein. Dabei sieht er in der Phase der Jahre 1600 und 1790 einen ers-

ten Höhepunkt. Im 17. Jahrhundert begann die Auswanderung eher zaghaft. Im 18. Jahr-

hundert gab es neben den ersten Siedlungswanderer eine Reihe von Schweizer Söld-

nern, welche auf der Seite von England für die Sicherung der englischen Gebiete einge-

setzt waren. Daneben wanderten auch viele Anhänger religiöser Minderheiten aus. „Zwi-

schen 1707 und 1756 wanderten rund 4’000 Täufer schweizerischer Herkunft nach Penn-

sylvanien aus.“72 Hinzu kamen Jesuitenmissionare, Künstler, Landwirte, Weinbauern und

Kaufleute. „Vor 1790 hatten sich schätzungsweise 25’000 Schweizer an der nordameri-

kanischen Ostküste angesiedelt.“73

Die Jahrzehnte zwischen 1790 und 1920 sieht Schelbert als zweite Hauptphase, in der

rund 200'000 Schweizer nach den Vereinigten Staaten migrierten. Dazu gehörten unter

anderem wiederum die Täufer, deren Wanderung sich im 19. Jahrhundert erneut steiger-

te: „Zwischen 1817 und 1860 dürften etwa 600 Täufer direkt aus der Schweiz in die Ver-

einigten Staaten übersiedelt sein.“74 Im grossen Stil begann die Auswanderung um 1830.

„Alles in allem hielt sich die Auswanderung bis in die Mitte der vierziger Jahre aber doch

wohl in verhältnismässig bescheidenen Grenzen und schwoll erst mit der Verschlechte-

rung der wirtschaftlichen Lage stärker an.“75 Ab 1850 waren die Kantone Graubünden,

Tessin, Aargau, Schaffhausen und Wallis die Hauptausgangspunkte in der Schweiz.76 Die

Zahl der Schweizer Auswanderer steigerte sich nun kontinuierlich. So sollen sich nach

Karrer 1854 12’098 Personen in Le Havre zur Überfahrt eingeschifft haben. Die Überfahrt

72 Schelbert, Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte, 233. 73 ebd., 230. 74 ebd., 236. 75 Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 162. 76 Ritzmann-Blickenstorfer bemerkt, dass die Zahlen für die Jahre 1850-1866 äusserst unvollständig sind.

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war gefährlich. Viele Menschen starben an Krankheiten. Einmal in Nordamerika ange-

kommen, hatten viele Migranten Mühe, von den Ausschiffungshäfen weiterreisen zu kön-

nen. Zum einen fehlte ihnen das Geld, zum anderen waren keine Transportkapazitäten

vorhanden. Der Konsul in Highland schrieb 1851 an den Bundesrat: „Leider haben diese

Maßregeln jezt einen Zusammendrang in Neu-Orleans zur Folge gehabt, wo Tausende

auf die Gelegenheit warten, weiter fahren zu können.“77 Kurz, die Auswanderung aus der

Schweiz war gefährlich und viele Menschen verarmten völlig oder bezahlten die Strapa-

zen sogar mit ihrem Leben. Andererseits konnte aber auch ein sozialer Aufstieg erlebt

werden. Robert Baumgärtner, einer jener Rothrister, welcher 1855 im Alter von fünf Jah-

ren nach Hermann auswanderte, schrieb 1921: „Wenn unsere Eltern und Geschwister

auch zu harter Arbeit genötigt waren, so hat doch keins von ihnen oder ihren Angehörigen

Hunger leiden müssen, und die Fleissigsten und Sparsamsten von ihnen können einem

sorgenfreien Lebensabend entgegensehen…“78

Der Sezessionskrieg führte zwar zu einem leichten Rückgang der schweizerischen Aus-

wanderungen nach Nordamerika, konnte sie aber nicht aufhalten. „Ohne Zweifel sind vie-

le Schweizer mit der Absicht, in Kriegsdienst zu treten, hinübergegangen.“79 Es schossen

auch immer weitere Siedlungen in den Vereinigten Staaten aus dem Boden. Ab 1867

„zeichnet sich […] der Gürtel von Bezirken, der vom Oberlauf der Saane bis zu den St.

Galler Voralpen reicht, […] aus, dass hier der Anteil Nordamerikas am Auswanderungsto-

tal fast durchweg bei 95-100% lag.“80 Aus Graubünden und aus dem Tessin wanderten

zwar auch Migranten nach Nordamerika aus, allerdings scheinen für Bündner und Tessi-

ner andere Destinationen attraktiver gewesen zu sein. Zwischen 1880 und 1900 blieb das

Bild recht ähnlich: Die Auswanderer aus den Gebieten in den Voralpen und Alpen emig-

rierten fast zu 100% nach Nordamerika, wogegen es im Mittelland auch noch andere

Destinationen gab. Allerdings ist der Anteilswert in den Gebieten im Mittelland im Ver-

gleich zur Vorperiode eher leicht angestiegen. Die Westschweizergebiete verfügten über

einen recht niedrigen Prozentsatz an Nordamerikaauswanderern. „Die auffallend tiefen

Anteilswerte, auf die wir in den meisten Bezirken der Romandie stossen, rufen uns die

Relevanz der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprachkultur in Erinnerung.“81 Im Tessin

erlebte der Anteil der Nordamerikagänger vor der Jahrhundertwende einen leichten Auf- 77 Bundesblatt 1851, II, 553. 78 Sauerländer, Fretz, Armut, Angst und Hoffnung, 27. 79 Karrer, Das schweizerische Auswanderungswesen, 25. 80 Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 267. 81 ebd., 270.

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schwung. Vor allem Menschen aus dem Sottoceneri bevorzugten aber nach wie vor Ge-

biete in Lateinamerika und Afrika. Auch nach 1910 blieb die Herkunft der Nordamerika-

auswanderer in etwa ähnlich und erlebte nur vereinzelte, lokale Veränderungen. So gin-

gen von da an weniger als neun von zehn Auswanderern aus dem Glarnerland, den St.

Galler Voralpen und dem Prättigau nach Nordamerika. Hingegen stieg aber die Anzahl in

der Region um Bellinzona und im Kanton Obwalden auf über 90% aller Auswanderer.

Obwohl gegen 1890 die Vereinigten Staaten bereits die grösste Ausdehnung erreicht hat-

ten – die Expansionsphase war beendet – konnten weitere Menschen in die Vereinigten

Staaten immigrieren. „So begaben sich nach amerikanischen Angaben in den ersten zwei

Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch über 58'000 Einwanderer aus der Schweiz in die

Vereinigten Staaten.“82 Die Situation blieb auch um 1920 vergleichbar. Allerdings treten

nach Ritzmann-Blickenstorfer gewisse Änderungen in den Herkunftsgebieten innerhalb

der Schweiz auf: So „verzeichneten 1920 neben dem Berner Oberland, der alpinen Inner-

schweiz und dem westlichen Sopraceneri auch Teile des mittleren und oberen Wallis so-

wie verschiedene Bündner Täler, darunter auch Misox und Puschlav, Anteilswerte von

über 95%. Im Berner Jura suchten neun von zehn und im Neuenburger und Waadtländer

Jura sieben von zehn Auswanderern eine in den Vereinigten Staaten gelegene Destinati-

on auf.“83 Die USA begannen ab 1921 die Zuwanderungszahlen einzuschränken, so auch

diejenige der Schweizer zunächst auf 3’745 pro Jahr. „1924 wurde diese Zahl auf 2’081,

1929 auf 1’707 und 1952 auf 1’698 reduziert.“84 Eine dritte Auswanderungsphase nach

dem Norden Amerikas sieht Schelbert in den Jahren nach 1920. Hier wanderten bis Mitte

der 70er Jahre rund 20'000 Schweizer nach Westen. Es handelte sich hier besonders um

eine Karrierewanderung, welcher sich Gewerbetreibende, Studierende, Geschäftsleute

und Wissenschaftler anschlossen. Es sind meist Pendelwanderer, welche sich nur einige

Jahre in den USA aufhielten oder auch heute noch aufhalten.

Im Vergleich zu den USA wanderten im 17. Jahrhundert nur wenige Schweizer nach Ka-

nada. Auch für die Romands war das teilweise französischsprechende Kanada keine Al-

ternative: „Das französischsprachige Kanada konnte der Abgelegenheit seiner noch uner-

schlossenen Landreserven wegen bis zur Jahrhundertwende schwerlich als Alternative zu

den Vereinigten Staaten wahrgenommen werden.“85 Dies änderte sich allerdings im 18.

82 Schelbert, Einführung in die Schweizerische Auswanderungsgeschichte, 239. 83 Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 274. 84 Schelbert, Einführung in die Schweizerische Auswanderungsgeschichte, 239. 85 Ritzmann, Homo migrans, 70.

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Jahrhundert, als Kanada mit dem Frieden von Paris 1763 vollständig englisch wurde.

England setzte bis 1815 in Kanada Schweizer Regimenter ein. Nach der Truppen-

Auflösung liessen sich mehrere Hundert dieser ehemaligen Soldaten in Kanada nieder.

Im 19. Jahrhundert nahm die Schweizer Auswanderung nach Kanada verstärkt zu. Leb-

ten 1871 noch knapp 3’000 in der Schweiz geborene Personen in Kanada, waren es 1881

4’588, 1901 3’967, 1911 6’625 und 1921 3’479 Personen. Die Einwanderungszahlen in

Kanada schwanken nach 1900 recht stark und sollen in den Jahren zwischen 1924 und

1929 und ab 1950 besonders hoch gewesen sein. Im Gegensatz zu anderen Gebieten in

der Welt waren die Auswanderungszahlen aus der Schweiz nach Kanada in der Zeit der

Wirtschaftskrise recht tief.

4.3.4 Mittel- und Südamerika

Bereits im 16. und 17. Jahrhundert waren Mittel- und Südamerika mögliche Überseedes-

tinationen für potentielle schweizerische Migranten, wie Bauern, Missionare und Forscher.

Allerdings erst im 18. Jahrhundert wurde die Mittel- und Südamerikawanderung aus der

Schweiz bedeutender. Die Auswanderer waren vor allem mit wirtschaftlichen und missio-

narischen Aufgaben beschäftigt. Höhere Emigrationszahlen nach Mittel- und Südamerika

wurden erst im 19. Jahrhundert erreicht. Hauptziele waren Süd-Brasilien, Argentinien,

Uruguay und Chile. 1819, also unmittelbar nach der Hungersnot, sollen 2’003 Menschen,

mehrheitlich Romands nach Brasilien übergesiedelt sein86. Karrer betont, dass den

schweizerischen Behörden diese Auswanderungen sehr gelegen kamen: „Diese Unter-

nehmung wurde gemacht hauptsächlich zu dem Zweck, um sich der Heimatlosen (des

gens sans patrie) zu entledigen.“87 Die Auswanderungszahlen nach Brasilien sind nach

diesem ersten Schub wieder abgeflaut. Das Bedürfnis nach Arbeitskräften in Brasilien war

aber weiterhin hoch und die Situation weniger gefährlich als im politisch unstabilen Nord-

amerika. Somit etablierte sich Brasilien neben Nordamerika als weitere Destination von

Schweizer Auswanderern. „Nach der Jahrhundertmitte mutierte das unbedeutende Rinn-

sal, das die schweizerische Brasilienwanderung bis anhin dargestellt hatte, unversehens

zu einem reissenden Strom, dessen Hauptziel die in der Provinz São Paolo gelegenen

Halbpachtkolonien des skrupellosen Kaffeeplantagenbesitzers Vergueiro waren.“88 Dabei

86 vgl. Karrer, Das schweizerische Auswanderungswesen, 4. 87 ebd., 4. 88 Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 326.

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sollen noch mal rund 2’00089 Schweizer, diesmal vor allem Deutschschweizer nach Brasi-

lien aufgebrochen sein, um ihr Glück im Halbpachtsystem zu suchen. Allerdings häuften

sich bald kritische Stimmen gegen dieses System. In einem Bericht im Bundesblatt heisst

es: „Ueber das Ergebniß der Auswanderung nach Brasilien sind mehrseitige und vielfälti-

ge Klagen eingegangen, die theils gegen einzelne Agenten, theils gegen den Senator

Vergueiro gerichtet waren, der aus der Anwerbung von Halbpachtkolonisten und aus der

Abtretung von solchen an andere große Grundeigenthümer ein Geschäft macht.“90. Den-

noch blieben die Auswanderungszahlen recht hoch und gingen erst mit der Zeit wieder

zurück. In den 1870er Jahren gab es eine dritte Welle nach Südamerika migrierender

Schweizer, die vor allem den Kanton Wallis betraf und jedoch wesentlich weniger stark

war, als die ersten Beiden. Es folgte dann rund zehn Jahre später eine nochmals schwä-

chere Auswanderungswelle aus den Ostschweizer Kantonen. Auch aus dem Kanton Ob-

walden wanderten vermehrt Menschen nach Brasilien aus. Im Gegensatz zu den anderen

Migranten schienen die Sarner und Giswiler recht erfolgreich gewesen zu sein. Jürg Mül-

ler bewertet ihre Siedlung 1972, also rund 80 Jahre nach dem Entstehen wie folgt: „Unter

den schweizerischen Koloniegründungen in Brasilien steht die Helvetia, was den Erfolg

und das Fortbestehen anbetrifft, sicher an der Spitze.“91 Nachdem Brasilien um die Jahr-

hundertwende und kurz danach nur relativ wenig Schweizer aufnahm (1889: 39 und

1909: 7292) stiegen die Zahlen für die Jahre nach 1922 wieder etwas an. Beatrice Ziegler

bemerkt aber, dass die Auswanderung nach Brasilien – mit Ausnahme weniger Familien

– über alles gesehen ein Misserfolg war93.

Argentinien wurde ab 1850 ebenfalls eine Destination für Schweizer Migranten. „Zwi-

schen 1850 und 1890 waren 20’573 Schweizer dorthin gezogen, zwischen 1890 und

1928 folgten diesen weitere 18’703 nach.“94 Die Herkunftsgebiete lagen im ländlichen

Kanton Wallis. Die ursprüngliche Hauptdestination von Auswanderern aus dem Wallis

waren mehrheitlich die Vereinigten Staaten. Die unsichere Situation nach dem Sezessi-

onskrieg führte aber dazu, dass sich die Migration aus dem Wallis etwas stärker nach Ar-

gentinien verlagerte, „wo sich die Auswanderer vorerst in San José de Urquiza und in

Esperanza in den Provinzen Entre Rios und Santa Fé niederliessen“95. So emigrierten

89 vgl. Schelbert, Einführung in die Schweizerische Auswanderungsgeschichte, S. 219. 90 Bundesblatt 1857, I, 519. 91 Müller, Die Schweizersiedlung Helvetia im Staat São Paulo, Brasilien, 26. 92 vgl. Schelbert 93 vgl. Ziegler, Schweizer statt Sklaven, 360. 94 Schelbert, Einführung in die Schweizerische Auswanderungsgeschichte, 220. Nach Zbinden, Auswande-rung p204-205. 95 Anderegg, Oberwalliser Emigration nach Übersee, 185.

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mehrheitlich Bauern in ländliche argentinische Gegenden. Allerdings nahm vor der Jahr-

hundertwende auch die Auswanderung ins Ballungszentrum Buenos Aires zu. Um 1868

verschlechterte sich die Situation für Auswanderer in Argentinien vorübergehend.96 Die

Situation in Argentinien dürfte aber im grossen und ganzen recht ordentlich gewesen

sein. So schreibt der schweizerische Konsul in Buenos Aires: „In Argentinien aber sind

die Aufgaben leichter als in Brasilien, wo Urwälder, oder Nordamerika, wo Fieber die Ar-

beitskraft lähmen. Fruchtbarer Boden, schönes Klima zeichnen es aus.“97 So war die

Auswanderung aus der Schweiz über viele Jahre recht hoch. „Die Metropole am Rio Plata

dürfte ungefähr ab 1880 in den Grossstädten Zürich und Genf und etwa von der Jahrhun-

dertwende an auch in anderen Schweizer Städten bei der auswanderungswilligen Bevöl-

kerung auf wachsendes Interesse gestossen sein.“98 Weitere Gebiete, in denen die Ar-

gentinienwanderung während längerer Zeit auf über 20% kam, waren Genf, der Südtes-

sin, das Engadin, Genf und Freiburg.

Die übrigen Gebiete in Südamerika zogen nur wenige Schweizer an. Nach Ritzmann-

Blickenstorfer sind zwischen 1882 und 1939 7’239 Personen aus der Schweiz nach Süd-

amerika ohne Brasilien und Argentinien ausgewandert. Die Hauptdestinationen waren

dabei Uruguay, Chile und Kolumbien. In den Jahren zwischen 1887 und dem Ersten

Weltkrieg lagen die Zahlen zwischen 300 und 350 je Jahr. Nach dem Krieg stiegen sie auf

knapp 600 und in der Wirtschaftskrise sogar auf über 900 Personen an. Nach 1931 pen-

delten sich die jährlichen Auswanderungszahlen bei 400-440 Personen ein. Auch in die-

sen Gebieten stammten die Immigranten noch um die Mitte und am Ende des 19. Jahr-

hunderts mehrheitlich aus der Romandie und aus dem Tessin. „In den 1930er Jahren ver-

lagerte sich die Hauptquelle des in die übrigen südamerikanischen Länder führenden

Auswanderungsstroms von der Romandie in die Zentral- und Ostschweiz hinein.“99

Zentralamerika war in den 1860er, 1870er und 1920er Jahren ein bedeutender Anzie-

hungsmagnet für Schweizer. Während noch zum Beginn der Wanderungswelle vor allem

Basel und Zürich als Herkunftsgebiete dienten, „verlagerte sich ihre Hauptquelle in die

romanische Schweiz hinein“100. Zwischen 1887 und 1939 siedelten 1’809 Personen aus

der Schweiz nach Zentralamerika über. Die stärkste Welle fällt in diesem Zeitraum auf die

1920er Jahre. Zwischen 1919 und 1930 emigrierten 883 Personen nach Zentralamerika.

Hauptzielland war um die Jahrhundertwende Mexiko mit über 40%. Die Anteilszahlen für 96 vgl. Inserat in Bundesblatt 1868, II, 763. 97 Karrer, Das schweizerische Auswanderungswesen, 81d 98 Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 323f. 99 ebd., 331. 100 ebd., 337.

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Mexiko gehen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs auf nur 4% zurück. Diejenigen für

die Antillen sind allerdings für den ersten Drittel des 20. Jahrhunderts fast konstant bei

knapp 30% und stiegen vor dem Kriegsausbruch auf 65%. Dieser markante Anstieg hat

nach Ritzmann-Blickenstorfer mit dem Aufblühen einer Kubaauswanderung im Kanton

Zürich zu tun.

4.3.5 Afrika

Afrika rückte erst spät ins Blickfeld europäischer Zuwanderer. Lange Zeit ist der schwarze

Kontinent vor allem ein „Tätigkeitsfeld für Forschungsreisende, Handelsleute, Verwalter,

Techniker und Missionare“101. Nachdem Frankreich 1830 Algerien erobert hatte, besiedel-

ten Schweizer verschiedene Gebiete Nordafrikas. So begann die Saisonwanderung vieler

Tessiner nach Algerien, wo sie Arbeit als Maurer, Marmorschneider, Ziegler, Gipser und

Weissfärber fanden. Um 1855 wurde die Schweizer Gemeinschaft in Algerien von Dürren,

einer Heuschreckenplage und Erdbeben heimgesucht. Dazu kam, dass viele Schweizer

am Sumpffieber starben. Dies tat der saisonalen Wanderung der Tessiner keinen Ab-

bruch, allerdings gingen die dauerhaften Auswanderungen nach Algerien massiv zurück.

Die Schweizerische Kolonie in Algerien wuchs bis 1865 auf geschätzte 3’000102 Perso-

nen. Die Situation in Algerien war für die schweizerischen Immigranten aber nicht ideal.

Der schweizerische Konsul in Algier schreibt in seinem Jahresbericht an den Bundesrat

1865: „Das verflossene Jahr war für Algerien kein günstiges. Unaufhörliche Aufstände

störten die öffentliche Sicherheit, hielten die Geschäfte danieder und erfüllten fast alle

seine Bewohner mit Entmuthigung.“103 Darauf wanderten einige Schweizer Auswanderer

nach Alexandrien104 weiter. Die Verhältnisse verbesserten sich bis in die 80er Jahre und

die Auswanderungszahlen nahmen wieder zu, ehe sie bis zum Ersten Weltkrieg kontinu-

ierlich zurückgingen. Es wird geschätzt, dass während des Krieges etwa 2’000 Schweizer

in Algerien und ebenso viele in Marokko lebten. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg

lagen die Auswanderungen nach Algerien einerseits und Marokko und Tunesien anderer-

seits mit je rund 10% im Verhältnis zu allen schweizerischen Afrikaemigranten recht nied-

rig. Bis zum Zweiten Weltkrieg migrierten wieder mehr Schweizer nach Afrika105.

101 Schelbert, Einführung in die Schweizerische Auswanderungsgeschichte, 208. 102 vgl. Karrer, Das schweizerische Auswanderungswesen, 51. 103 Bundesblatt 1866, III, 42. 104 vgl. Karrer, Das schweizerische Auswanderungswesen, 52. 105 vgl. Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 358.

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Neben Marokko und Algerien wuchs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch eine

Schweizer Gemeinschaft in Ägypten. In Alexandrien wurden ab 1850 viele Niederlassun-

gen schweizerischer Handelsfirmen eröffnet. Um 1870 lebten etwa 800 Schweizerinnen

und Schweizer in Ägypten. Die Folgejahre führten aber aufgrund von Finanzkrisen und

einer Choleraepidemie zu einer Rückwanderung, so dass 1882 nur noch 412 Schweize-

rinnen und Schweizer in Ägypten lebten. Bis zur Jahrhundertwende blieb diese Zahl recht

konstant und nahm nur leicht zu. In Ägypten fanden viele Schweizer in der aufstrebenden

Baumwollindustrie eine Beschäftigung. Zwischen 1919 und 1928 erlebte Ägypten einen

regelrechten Boom als afrikanisches Zielland von Schweizer Migranten. Über 60% aller

Afrikaauswanderer zogen in diesen Jahren nach Ägypten. Die Zahlen waren dann aber

bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs rückläufig und fielen bis 1939 auf 20%. Die Si-

tuation für die Ausländer in Ägypten änderte sich mit dem Abkommen von Montreux 1936

recht abrupt. Viele Schweizer waren in der Folge in die Schweiz zurückgewandert, ehe

Gamal Abd el Nasser 1954 an die Macht kam. Zwischen 1961 und 1964 wurden jene

ausländischen Firmen, welche noch im Besitz von Ausländern standen, durch den Ägyp-

tischen Staat enteignet und verstaatlicht, was auch die meisten der noch in Ägypten ver-

bliebenen Schweizer zur Abwanderung bewog.106

Südafrika gewann ab Mitte des 19. Jahrhunderts als schweizerisches Auswanderungs-

land in Afrika ebenfalls an Bedeutung. Vor der Jahrhundertwende und während des Ers-

ten Weltkrieges war Südafrika mit über 50%107 sogar das grösste afrikanische Auffangbe-

cken für schweizerische Immigranten. Allerdings ging das Schweizer Interesse an Südaf-

rika nach dem Ersten Weltkrieg abrupt zurück. Die Zahl der Schweizer Südafrikaauswan-

derer pendelte sich bei ca. 10% aller Schweizer, die nach Afrika auswanderten, ein. Erst

in den Jahren 1933 bis 1939 gewann Südafrika als schweizerisches Auswanderungsland

wieder an Bedeutung.

Wenn zum Schluss die restlichen Gebiete Afrikas kurz betrachtet werden, so fällt auf,

dass diese im Verhältnis unbedeutend waren. Nach Ost-, West- und Zentralafrika wan-

derten ab 1887 nur etwa 5% der Schweizer Afrikagänger. Die Verhältniszahl stieg bis

zum Ersten Weltkrieg leicht und blieb dann mehrere Jahre recht konstant. Erst unmittel-

bar vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die Emigration nach Ost-, West- und Zentralafrika

etwas bedeutender und erreichte mit knapp einem Fünftel der schweizerischen Afrika-

auswanderer rund 400 Personen. Die Westafrikanischen Inseln sind dermassen unbe-

106 vgl. von Andrian, Alfred Reinhart. 107 vgl. Ritzmann-Blickensdorfer, Alternative Neue Welt, 358.

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deutend, dass sie mit jedem hundertsten Afrikagänger aus der Schweiz kaum erwäh-

nenswert erscheinen.

4.3.6 Asien

„Genfer Goldschmiede in Konstantinopel und Missionare in China waren im frühen 16.

Jahrhundert die ersten Schweizer in Asien.“108 1592 wurde die Genfer Uhrmacher- und

Goldschmiedekolonie in Konstantinopel erstmals erwähnt. Diese bildete „einen Brücken-

kopf für den Verkauf und den Service von Erzeugnissen aus der Heimatstadt“.109 Ab Mitte

des 16. Jahrhunderts können „Kaufleute, Soldaten oder Missionare in Indien, Südost-

asien, China und Japan“110 nachgewiesen werden. Daneben gab es eine Anzahl von

Reisläufern, welche zuerst auf Seiten der holländischen Ostindien-Kompanie, später auf

Seiten der Engländer gegen südindische Fürsten kämpften oder Garnisonsdienste in

Ceylon leisteten. Bis 1840 waren es aber äusserst wenige Schweizer, welche sich nach

Asien begaben. Asien hatte als Zielgebiet für die Auswanderer aus der Schweiz die

schwächste Anziehungskraft. „Die vier den schweizerischen Überseeauswanderern offen

stehenden Erdteile sandten Lockrufe von unterschiedlicher Lautstärke aus. Der amerika-

nische klang am vernehmlichsten, der asiatische am gedämpftesten.“111 Ab 1840 wurde

die Asienwanderung etwas bedeutender. Einige Auswanderer arbeiteten bis weit ins 20.

Jahrhundert als Missionare. Zwischen 1887 und 1939 migrierten nur rund 4’600 Schwei-

zer nach Asien. Zwischen 1887 und 1899 waren es erst 56 Personen. Davon entfielen die

meisten auf Indien und Hinterindien, nämlich 83%, der Rest verteilte sich auf Vorder- und

Mittelasien und auf China und Japan. Dieser Wanderungsstrom wuchs zwischen der

Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg und erreichte innerhalb von 15 Jahren ins-

gesamt 437 Personen. Indien und Hinterindien blieben die stärksten Destinationen. Die

Auswanderung nach China und Japan erhöhte sich auf rund 20%. Zwischen dem Ersten

Weltkrieg und 1923 folgte die stärkste Zeit der Asienwanderung. Während dieser vier

Jahre verliessen rund 1’080 Personen die Schweiz und reisten nach Osten. Weiter wirk-

ten Indien und Hinterindien als Anziehungsmagnet, wenn sie auch, relativ betrachtet,

rückläufig waren. Bis 1933 nahm die Bedeutung Palästinas kontinuierlich zu und erreichte

mit der Machtergreifung Hitlers rund einen Drittel aller Asiengänger. Ritzmann-

108 Sigerist, Schweizer in Asien, 9. 109 Sigerist, Schweizer im Orient, 12. 110 Schelbert, Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte, 212. 111 Ritzmann-Blickensdorfer, Alternative Neue Welt, 364.

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Blickensdorfer hat anhand der ausgewerteten Zählkarten herausgefunden, dass es sich

bei den Palästinaauswanderern mehrheitlich um Juden handelte, welche dem aufkom-

menden Nationalsozialismus zu entkommen versuchten. Diese These wird von der Tat-

sache gestützt, dass mehrheitlich ganze Familien nach Palästina auswanderten, was in

die übrigen asiatischen Länder viel weniger der Fall war.

Herkunftsgebiete der schweizerische Asienwanderer waren über die ganze Zeitspanne

vor allem Ballungszentren. Bis 1900 war Neuenburg ein Zentrum der Auswanderung in

den östlichen Kontinent, danach vor allem der Kanton Zug. Dies dürfte vor allem damit

zusammenhängen, dass viele Schwestern aus dem Kloster Menzingen in der Mission

tätig waren. Vor dem Zweiten Weltkrieg nahm die Abwanderung in Richtung Asien aus

Basel und Genf zu, da vermehrt deutsche Juden auswanderten, welche „nach ihrer Ver-

treibung oder Flucht aus dem Dritten Reich in der Grosstadt am Rheinknie wohnhaft ge-

worden waren“112.

4.3.7 Australien und Pazifische Inseln

Ab ca. 1840 wanderten erste Schweizer nach Australien und liessen sich im Raum Mel-

bourne nieder. „Als 1853 die Entdeckung von Gold in der Schweiz bekannt wurde, mach-

ten sich in der Folge gegen 4’000 Schweizer, darunter 2’000 Tessiner in diesen entfern-

ten Weltteil auf.“113 Der Kanton Tessin litt in jenen Jahren ganz besonders stark unter ei-

ner österreichisch-lombardischen Wirtschaftsblockade, weil der Tessin einem lombardi-

schen Revolutionär Asyl gewährte. Diese Tatsache dürfte mitverantwortlich sein, dass in

jenen Jahren im Tessin ein regelrechter Massenexodus in Richtung Pazifik einsetzte. Die

Frage, wieso ausgerechnet Australien als Zielgebiet eine starke Anziehung auf die Tessi-

ner ausgeübt hat, kann nicht eindeutig geklärt werden. Klar ist allerdings, dass ein starker

Zusammenhang zwischen dem Herkunfts- und dem Zielgebiet bestanden hat. Wanderte

eine Person in ein spezifisches Gebiet, zogen andere Personen aus dem gleichen Her-

kunftsraum ebenfalls in jenes Gebiet nach.

Bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts war immer Victoria die Hauptdestination

schweizerischer Migranten. 1871 befanden sich 1’240 Schweizer in Victoria und 169 in

Queensland114. In den folgenden Jahren finden sich als Destinationen auch New South

Wales, Gebiete in Süd- und Westaustralien und Tasmanien. Offenbar gab es aber um

112 Ritzmann-Blickensdorfer, Alternative Neue Welt, 370. 113 Schelbert, Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte, 214. 114 vgl. J. Lyng, Non-Britishers in Australia, 235.

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Sydney, welches zu New South Wales gehört, für die Schweizer grössere Probleme: „Von

1887 an verschlimmerten sich in Sidney die Verhältnisse in dem Masse, dass auf einge-

gangene Nachrichten hin der Bundesrath öffentlich warnte vor der Auswanderung den

australischen Kolonien‚ ohne Hülfsmittel und ohne Halt und Ziel’, weil die Auswanderer oft

in ihren Hoffnungen getäuscht und hülflos werden.“115 In den 1880er Jahren verringerte

sich die Zahl der Schweizer in Australien leicht von 2’408 im Jahr 1881 auf knapp über

2’000 in den Jahren 1891-1901. Nach der Jahrhundertwende kann nochmals ein Rück-

gang festgestellt werden, nämlich auf 1’659 Schweizer im Jahr 1921116. Im gleichen Jahr

sollen sich in Australien 7’772117 Personen als Nachkommen von schweizerischen Ein-

gewanderten aufgehalten haben.

Zwischen 1887 und 1939 sind nach Ritzmann-Blickenstorfer insgesamt 3’002 Personen

aus der Schweiz auf die südpazifischen Inseln ausgewandert. Die durchschnittliche jährli-

che Auswanderungszahl stieg von 1887-1904 bis unmittelbar vor Ausbruch des Ersten

Weltkrieges etwas an. Zwischen 1924 und 1932 liegt sie sogar bei fast 140 Schweizern je

Jahr118. Die Mehrzahl dieser Migranten ging in ländliche australische Gebiete: „The prin-

cipal contribution by the Swiss towards the economic development of Australia is in con-

nection with the wine-industry.“119 Neuseeland als zweite Destination in Ozeanien wirkte

meist als schwächerer Einwanderungsmagnet, erlebte aber zwischen 1905 und 1910 ei-

nen ersten starken Anstieg bis fast 50% der Ozeaniengänger und zwischen 1919 und

1924 einen Zweiten mit rund 20%. In den übrigen Jahren zog Australien aber jeweils fast

90 und mehr Prozent aller schweizerischen Ozeanieneinwanderer an sich. Erst vor dem

Zweiten Weltkrieg erlebte auch die dritte Destination im südlichen pazifischen Ozean eine

gewisse Bedeutung: Neukaledonien, Tahiti und die Fidschiinseln nahm zwischen 1933

und 1939 etwa 5% der schweizerischen Ozeaniengänger auf.

Die Herkunft der schweizerischen Ozeanienauswanderer veränderte sich im Laufe der

Jahre nur leicht. In den späten 60er und den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts stammten

viele Migranten aus den Kantonen Graubünden, Zug, Zürich, Baselland und Aargau. Zug

blieb bis zum Zweiten Weltkrieg bedeutender Lieferant von Migranten, welche sich auf

dem 5. Kontinent niederliessen. Allerdings wird nach der Jahrhundertwende die Auswan-

derung nach Ozeanien auch aus dem Kanton Nidwalden bedeutender. Für eine genauere 115 Karrer, Das schweizerische Auswanderungswesen, 92. 116 vgl. Lyng, Non-Britishers in Australia, 235. 117 vgl. ebd., 247. 118 vgl. Ritzmann-Blickenstorfer, 342. 119 Lyng, Non-Britishers in Australia, 125.

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Betrachtung erscheinen die drei Kantone Zug, Tessin und Graubünden besonders span-

nend. Neben Zuger Gemeinden waren verschiedene Nachbargemeinden in den Kanto-

nen Zürich, Schwyz, Aargau und Luzern betroffen. „Die Entwicklung der Ozeanienwande-

rung im Kanton Zug liefert einen eindrücklichen Beleg dafür, dass auf lokaler Ebene fami-

liäre oder freundschaftliche Beziehungen für die Zielwahl der Auswanderer einen grösse-

ren Stellenwert haben konnten als rein wirtschaftliche Überlegungen.“120 Im Kanton Tes-

sin war in den 1850er und 1860er Jahren Australien das überseeische Hauptauswande-

rungsland. Meldungen über Goldvorkommen haben diese Destination gefördert. Nach-

dem aber klar wurde, dass die Goldreserven doch nicht so immens sind und verschiede-

ne Tessiner Auswanderer wieder zurückkehrten, fiel der Auswandereranteil im südlichs-

ten Kanton der Schweiz massiv zurück. Nach 1880 „trocknete der Fluss gänzlich aus“121.

Ganz ähnlich wie im Kanton Tessin reagierte auch der Kanton Graubünden, allen voran

der Bezirk Puschlav im Süden auf die Meldungen über Goldfunde. Allerdings setzte die

Auswanderung erst Ende der 50er Jahre und somit rund 5 Jahre später ein. So sollen in

den Jahren 1854 bis 1861 rund 150-200 Personen ausgewandert sein. Im Gegensatz

zum Tessin sanken die Auswanderungszahlen in den 60er Jahren im Graubünden nur

kurz, stiegen in den 70er und 80er Jahren wieder massiv und blieben bis zum Ersten

Weltkrieg auf einem erwähnenswerten Niveau. Allerdings wurden im frühen 20. Jahrhun-

dert vielmehr weiter entfernte Destinationen in Ozeanien aufgesucht, als in den 1850er

Jahren. „Die Frage, weshalb (die Ozeanienwanderung) anders als im Tessin nicht schon

viel früher aufgegeben wurde, kann nur lauten, dass sich die Puschlaver den Unkenrufen

der Zeitgenossen zum Trotz mit den Lebensverhältnissen in Australien bedeutend besser

zurecht fanden als die Tessiner.“122

4.3.8 Fazit

Betrachtet man die schweizerische Auswanderungsgeschichte, so findet man starke regi-

onale Schwankungen. Diese betreffen sowohl die Zusammensetzung der Auswande-

rungsgruppen als auch die Destinationen. Die Gründe für diese regionalen Unterschiede

sind recht komplex und können an dieser Stelle nicht näher beschrieben werden. Neben

der ökonomischen Situation der einzelnen Regionen spielen auch die unterschiedlichen

Glaubenszugehörigkeiten, politischen Gesinnungen und die Sprache eine wichtige Rolle.

120 Ritzmann, Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 346. 121 ebd., 350. 122 ebd., 354.

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So beschreibt Ritzmann-Blickenstorfer den ‚homo migrans’ als ein facettenreiches

menschliches Wesen, das neben materiellen auch emotionale Ziele verfolgt und dessen

Motive und Handlungen einer gewissen Vorprägung durch regionale Kultureinflüsse un-

terliegen. Damit steht er im Kontrast zum ‚homo oeconomicus’, der sich ausschliesslich

auf Veränderungen des relativen Einkommens reagiert und kühl kalkuliert123.

4.4 Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland

Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, wenn die Einwanderungsge-

schichte in die Schweiz hier detailliert dargelegt würde. Vielmehr soll kurz aufgezeigt wer-

den, wie die Einwanderung zunahm und sich die Eidgenossenschaft vom Aus- zum Ein-

wanderungsland wandelte.

Im 14. und 15 Jahrhundert wanderten einige „oberitalienische und savoyardische Bauern

in einzelne Landesgegenden“124. Daneben soll es auch kleine Handelswanderungen im

Norden gegeben haben. Die Situation änderte sich im 16. Jahrhundert. Aus Frankreich

und Italien wanderten Tausende von Glaubensflüchtlingen in die Schweiz. Erst mit dem

Edikt von Nantes 1598 endete diese Zuwanderung. Doch bereits mit der Aufhebung des

Ediktes 1685 sahen sich in Frankreich zwischen 100'000 und 150'000 Hugenotten ver-

folgt, welche zu einem grossen Teil in die Schweiz immigrierten. Die Glaubensflüchtlinge

nutzten die Schweiz vor allem als Durchgangsstation auf dem Weg in Richtung Norden.

Wegen dieser Einwanderungswelle, welche bis ins 18. Jahrhundert dauerte, wurden in

der Schweiz die Einwanderungsbestimmungen ab dem 17. Jahrhundert erstmals ver-

schärft. Die Anzahl der Ausländer in der Schweiz im 18. und 19. Jahrhundert kann kaum

beziffert werden. Klar ist aber, dass gleichzeitig zur Auswanderung auch grössere Zahlen

von Ausländern in die Schweiz kamen. Um 1837 sollen 56'344125 Ausländer in der

Schweiz gelebt haben. Diese Zahl stieg in der Folge kontinuierlich. „Aber erst die starke

Einwanderung seit 1888 – über 14'000 Köpfe jährlich – hat die ‚Fremdenfrage’ geschaf-

fen.“126 Danach sollen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges knapp 600'000 Ausländer in

der Schweiz gelebt haben. Diese kamen zu einem grossen Teil aus den angrenzenden

Staaten Süddeutschland, Frankreich und Italien und lebten mehrheitlich in den städti-

schen Gebieten. Es wurde nach einer Lösung der Einbürgerungen gesucht. Dies geschah

123 vgl. Ritzmann-Blickenstorfer, Der Homo migrans und die Macht der Tradition, 77. 124 Bickel, Bevölkerungsgeschichte, 88. 125 vgl. ebd., 166. 126 ebd, 166.

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im Wesentlichen im 19. Jahrhundert mit verschiedenen Kantonsgesetzen. Erst 1876 wur-

de die Erteilung des Schweizerbürgerrechts Bundessache. „Durch den Kriegsausbruch

wurde die Einwanderung von Ausländern abgestoppt, und es setzte im Gegenteil eine

starke Rückwanderung ein.“127 Mit dem Ersten Weltkrieg wurden auch die Massnahmen,

die den Einwanderungen entgegenwirken, immer schärfer. In der Schweiz wurde zu die-

sem Zweck 1925 ein Fremdenpolizeirecht durch eine Verfassungsrevision geschaffen.

Offenbar waren bis 1920 rund 25% der 1914 in der Schweiz ansässigen Ausländer wie-

der in ihre Heimat gezogen, so dass 1941 nur noch 223'553 Ausländer gezählt wurden.

Viele dieser Abnahmen sind auch mit Einbürgerung, zum Teil auch mit Heirat, die eine

Einbürgerung nach sich zogen, zu erklären. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die

Situation. Zu Beginn der 50er Jahren wurde der Bedarf an Arbeitskräften in Mitteleuropa

immer grösser. In diesen Jahren wanderten kaum mehr Schweizer ab und die Zuwande-

rung erst von Italienern, Spaniern, Portugiesen und später auch noch von Personen aus

dem heutigen exjugoslawischen Raum nahm derart zu, dass die Einwanderung die Ab-

wanderung erheblich übertraf.

127 ebd., 213.

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5 Migration im Geschichtsunterricht

5.1 Geschichtsbilder und Geschichtsbewusstsein

Viele Menschen verbinden Geschichte mit Jahrzahlen, Schlachten und Personen, meist

in Form von Heldenfiguren. Der aktuelle Lehrplan der Zentralschweiz ist eher auf Einzel-

ereignisse, welche mehr oder weniger klar auf einem Zeitenstrahl eingetragen werden

können, ausgerichtet. Darin ruht das Problem, Migration als Thematik zu verorten. Migra-

tion kann im Zusammenhang mit verschiedenen Themenbereichen behandelt werden. Im

7. Schuljahr könnte die Reisläuferei, im 8. Schuljahr die Siedlungsauswanderung und im

9. Schuljahr die Zuwanderung in die Schweiz thematisiert werden. Da die Migration aber

vielmehr als epochen-, formen- und länderübergreifendes Phänomen128 verstanden wer-

den kann, wäre es durchaus sinnvoll, die Migrationsgeschichte im Längsschnitt zu be-

trachten. Die Schülerinnen und Schüler hätten damit die Gelegenheit, sich bewusst zu

werden, wie sich Migration im Laufe der Jahrhunderte überhaupt verändert hat und könn-

ten gleichzeitig, die Weltgeschichte repetieren.

Entsprechend des Lehrplanes hat das Schulfach Geschichte die Aufgabe, „zum Nach-

denken über die Möglichkeit der menschenwürdigen Bewältigung von Gegensätzen und

Problemen“129 anzuregen. Dabei wird klar, dass diese Aufgabe einem zeitlichen Wandel

unterliegt. Für die vorliegende Untersuchung wurden die, in verschiedenen Schulge-

schichtsbüchern enthaltenen, Geschichtsbilder im Zusammenhang mit der Auswanderung

aus der Schweiz untersucht. Ein Geschichtsbild ist allerdings nicht zwingend deckungs-

gleich mit den historischen Begebenheiten. Vielmehr ist es „charakterisiert durch Aus-

und Weglassungen, durch Umdeutungen und Glättungen des Geschichtsablaufs“130. Dies

beginnt oft schon bei der Geschichtswissenschaft. Anne-Lise Head-König hat aufgezeigt,

wie diese die Migration im Kontext der Schweiz behandelt hat: „Die schweizerische Ge-

schichtswissenschaft hat die verschiedenen Formen von Auswanderung höchst unter-

schiedlich behandelt und dabei Aspekte in den Vordergrund gestellt, welche die Interes-

sen der Führungsgruppen sowie nationale oder regionale Präferenzen widerspiegeln.“131

Weiter fügt sie an, dass die Zahl der Publikationen in den letzten 30 Jahren stark zuge-

nommen hat und dass viele Aspekte der Auswanderung erst in jüngster Zeit untersucht

128 vgl. Bade, Europa in Bewegung, 14. 129 Lehrplan, 4. 130 Schneider, Geschichtsbild, 290. 131 Head-König, Auswanderung.

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wurden. Ein solcher Umstand hat wiederum Einfluss auf das Geschichtsbild, welches im

Schulgeschichtsbuch vermittelt wird. Das Geschichtsbild hilft dem Individuum, sich im ge-

schichtlichen Ablauf zu orientieren und wirkt so auch auf die „Einschätzung und Bewer-

tung historischer Sachverhalte“ 132. Geschichtsbilder haben Einfluss auf das Geschichts-

bewusstsein133, das „nicht etwa nur Kenntnisse und Interessen, sondern auch Deutungen

und Parteinahmen, Urteile und Identifikationen, Folgerungen und Orientierungen um-

fasst“134. Dabei stehen Vergangenheitsdeutung, Gegenwartswahrnehmung und Zukunfts-

erwartung in einer komplexen Wechselwirkung135. Es scheint nahe liegend, dass die im

Geschichtslehrbuch vermittelten Darstellungen eine zentrale Bedeutung fürs Zustande-

kommen eines korrekten Geschichtsbildes und auf das Geschichtsbewusstsein aufwei-

sen. Die Auseinandersetzung mit historischen Formen der Migration dürfte mithelfen, bei

den Schülerinnen und Schülern ein differenzierteres Verständnis für die neuzeitlichen

Wanderungsformen aufzubauen. Insbesondere wegen der grossen Brisanz, die die Struk-

turen der Migration heute auslösen, scheint dies wünschenswert.

So schrieb Jeismann: „Mehr als blosses Wissen oder reines Interesse an der Geschichte

umgreift Geschichtsbewusstsein den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Ge-

genwartsverständnis und Zukunftsperspektive.“136

5.2 Das Schulgeschichtsbuch

Verschiedene Didaktiker gehen nach wie vor davon aus, dass das Schulbuch den Unter-

richtsaufbau immer noch stärker beeinflusst als das eigentliche Curriculum137. Damit

kommt dem Aufbau des Geschichtslehrmittels eine entscheidende Bedeutung zu. Bereits

in den 70er Jahren hat Wolfgang Hug durch eine Befragung herausgefunden, dass das

Schulgeschichtsbuch „das wichtigste und am häufigsten verwendete Hilfs- und Arbeitsmit-

tel im Geschichtsunterricht ist…“138 Neuere Untersuchungen liegen keine vor. Der „Wan-

del der Machart der Geschichtsbücher, die sich mehr und mehr als multifunktional ver-

wendbare Medienpakete präsentieren, lässt eher eine Zunahme als eine Abnahme der

132 vgl. ebd., 290. 133 vgl. Furrer, Nation im Schulbuch, 20, der sich auf Jörn Rüsen bezieht. 134 Borries, Geschichtsbewusstsein – Empirie, 45. 135 vgl. Furrer, Nation im Schulbuch, 19 und Borries von, Geschichtsbewusstsein – Empirie, 45. 136 Jeismann, Geschichtsbewusstsein – Theorie, 42. 137 vgl. Furrer, Die Nation im Schulbuch, 81. 138 Fröhlich, Schulbucharbeit, 422.

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Benutzungshäufigkeit des Buches in allen Phasen des Unterrichts erwarten.“139 Die

Schulgeschichtsbücher vermitteln bestimmte Geschichtsbilder. „Ihren vermittelten Ge-

schichtsbildern kann eine Bedeutung beigemessen werden, die über die Schulstuben hi-

nausgehen dürfte. Schulbücher sind in diesem Sinne auch Spiegel eines breiten zeitge-

nössischen Bewusstseins.“140 Das Schulgeschichtsbuch hat sich in den letzten 150Jahren

massiv verändert. So wurde noch im 19. Jahrhundert vom Lesebuch141 gesprochen. Das

Hinterfragen war im noch jungen Bundesstaat undenkbar142. Nach heutiger Auffassung

geht man davon aus, dass der Geschichtsunterricht Teil eines komplexen staatlichen So-

zialisationsmechanismus ist, „mit dem der Aufbau von Geschichtsbewusstsein in ord-

nungs- und gesellschaftsstabilisierender Absicht betrieben werden kann.“143 Kurt Messer

beschrieb die folgenden drei Epochen, anhand deren der Wandel in der Geschichtserzie-

hung deutlich wird144:

• Geschichtsunterricht am Ende des 19. Jahrhunderts: Vaterlandskunde als nationale

Erziehung.

• Geschichtsunterricht zwischen 1920 und 1970: Reformen, aber kein Durchbruch

• Geschichtsunterricht am Ende des 20. Jahrhunderts: Neuorientierung um 1970 als

Anstoss für einen grundlegenden Wandel

Es muss hervorgehoben werden, dass die vermittelten Inhalte der Geschichtserziehung

nicht einfach „verteufelt“ werden dürfen. Markus Furrer weist darauf hin, dass die jeweili-

gen Geschichtsbilder vom öffentlichen Bewusstsein getragen wurden und nicht allein von

den „einflussreichen Geschichtsschreibern“ kreiert wurden145.

1970 geht mit dem Beginn der dritten Epoche eine grundlegende Neuausrichtung der Di-

daktik im Allgemeinen und der Geschichtsdidaktik im Speziellen einher. Dabei ist das

Schulbuch nicht mehr einfach nur Wissensvermittler, sondern soll vermehrt mit Grafiken

und Quellen ausgestattet, ein differenziertes und hinterfragbares Bild vermitteln146. Es ist

nicht mehr nur ein „Lesebuch“, sondern gibt der Schülerin und dem Schüler die Gelegen-

heit, sich mittels Arbeitsaufträgen teilweise selbstgesteuertes Wissen zu konstruieren.

Dabei wird das Schulgeschichtsbuch oft als eine Kombination von Lehr- und Arbeitsbuch

zusammengestellt. Es wäre aber falsch, zu behaupten, dass die Geschichtsbücher plötz- 139 ebd. 140 Furrer, Die Nation im Schulbuch, 16. 141 vgl. Messmer, Geschichtsunterricht in der Zentralschweiz, 52. 142 vgl. Furrer, Die Nation im Schulbuch, 76. 143 ebd., 57. 144 vgl. Messmer, Geschichtsunterricht, 41. 145 vgl. Furrer, Die Nation im Schulbuch, 71. 146 vgl. Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, 310ff.

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47

lich ein objektives Bild vermitteln. Rohlfes beschreibt den monolithischen Charakter vor

allem der älteren Schulbücher: „Es enthält nur solche Tatsachen und Interpretationen, die

in das gewählte Konzept passen, und setzt sich nicht der Relativierung und Kritik durch

gegenläufige Quellen oder wissenschaftliche Lehrmeinungen aus.“147 Bei den ganz neuen

Schulbüchern ist diesbezüglich ein Wandel feststellbar148, welcher sich auch bei „Durch

Geschichte zur Gegenwart“ und „Geschichten in Zeit und Raum“ abzeichnet. In den bei-

den eben erwähnten Werken wird sehr wohl auch das sich über die Jahre veränderliche

Geschichtsbild thematisiert149. Es bleibt wohl abzuwarten, wie sich der eingeschlagene

Trend in den nächsten Jahren fortsetzen wird.

5.3 Schulbuchanalyse

In den letzten Jahrzehnten hat die Schulbuchforschung an Bedeutung gewonnen. Die

Schulgeschichtsbücher können auf verschiedenen Ebenen untersucht werden. Allerdings

gibt es dazu unzählige verschiedene Vorgehensvorschläge. Rohlfes empfiehlt u.a. ein

handliches Untersuchungsschema von drei analytischen Ebenen150. Auf der Ebene des

Inhalts wird dabei untersucht, was und auf wie vielen Seiten etwas dargelegt wird. Auf der

Ebene der Urteile soll untersucht werden, welche Werturteile vorhanden sind und wie die-

se allenfalls begründet werden. Als dritter Untersuchungsbereich wird betrachtet, wie das

Buch den Stoff vermittelt. Dabei stellen sich vor allem Fragen nach dem Aufbau des

Schulbuches. Damit wurde aber noch nichts über die Methode der Schulbuchanalyse

ausgesagt. Rohlfes unterscheidet im Wesentlichen zwei verschiedene Methoden151. Bei

der deskriptiv-hermeneutische Methode werden sehr wohl auch subjektive Empfindungen

toleriert. Es entsteht so ein „Wechselspiel von Tatsachenfeststellung und Erklärungsver-

such, Hypothese und Bestätigung, Antizipation des Ganzen und Erfassung des Einzel-

nen.“152 Da aber hermeneutisch gewonnene Ergebnisse schwer zu verallgemeinern sind,

fordert er, dass dieses Verfahren zwingend auf quantitativ-messende Methoden ausge-

dehnt wird. Diese sind streng wissenschaftlich orientiert und messen nur das, was objek-

tiv vorhanden ist. Dabei wird auf subjektive Aspekte völlig verzichtet und auf diese Weise

eine Vergleichbarkeit erreicht. Ein häufiges Beispiel dafür ist die Raumanalyse, welche

147 ebd., 312. 148 vgl. ebd. 149 vgl. Durch Geschichte zur Gegenwart II, 147. 150 vgl. Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, 323. 151 vgl. ebd., 328ff. 152 ebd. 328.

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einfach den Platz der entsprechenden Passagen quantifiziert. Rohlfes hält allerdings fest:

„Das ideologiekritische Vorgehen dürfte keine Methode sui generis sein, sondern eine

Ingredienz jeglichen kritisch-analytischen Umgangs mit historisch-politischen Sachverhal-

ten.“153

Die Schulbuchanalysen wurden und werden oft heftig kritisiert. „Eine ausformulierte Theo-

rie und Methodik der Schulbuchanalyse und Schulbuchkritik fehlt bisher ebenso, wie eine

Theorie des Schulbuches.“154 Durch das in den letzten Jahren stark gestiegene Medien-

angebot ist die Bedeutung des Schulbuches bereits als solches kontrovers diskutiert wor-

den. Höhne hält fest, dass das Schulbuch sowohl auf der medieninternen Mikroebene,

wie auch auf der medienexternen Makroebene analytisch untersucht werden kann.155 Bei

der medienexternen Makroebene geht es vor allem darum, anzuschauen, in welchem

Verhältnis das Schulbuch zu anderen Medien verwendet wird und wie es auf den Schüler

resp. die Schülerin wirkt. Dies wurde bis heute allerdings selten bis praktisch gar nicht

untersucht. Damit ist die Schwierigkeit verbunden, dass aufgrund einer rein inhaltlichen

Analyse, „keine Aussagen über zu vermutende Effekte von Diskursen gemacht wer-

den“156 können. Wenn diese dennoch gemacht würden und unter Umständen auch nicht

völlig unbegründet sind, können „diese möglichen Effekte (…) nicht mit der ‚Praxis’

gleichgesetzt werden“157.

Auf einer anderen Ebene wird aber gleichzeitig verschiedentlich angeführt, dass die Zu-

lassung des Schulgeschichtsbuches staatlich – also durch einen politischen Akt – ge-

steuert wird. Höhne spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Kennzeichnung von

Schulbuchwissen als kanonisch“ und meint damit „das Zusammenwirken von expliziter

institutioneller Kontrolle von Wissen einschliesslich der Kontrolle der Lesarten“158. Damit

ist die Aufgabe der Schulbuchforschung recht klar umrissen. Sie „stellt (…) die Reflexi-

onsform von sozial formiertem Schulbuchwissen dar, die Schulbuchwissen aufgrund all-

gemeiner, wissenschaftlicher Standards beobachtet, analysiert und korrigiert.“159 Auch

wenn die vorliegende Untersuchung nicht die Wirkung der betreffenden Schulgeschichts-

bücher auf den Unterricht untersuchen kann, soll sie aufzeigen, wie sich die Darstellung

der Auswanderung aus der Schweiz im Schulbuch des 20. Jahrhunderts verändert hat.

153 ebd. 154 Scholle, Schulbuchanalyse, 369. 155 Höhne, Schulbuchwissen, 156. 156 ebd., 52. 157 ebd. 158 ebd., 169f. 159 ebd., 170.

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49

6 Untersuchung der Auswanderung im Lehrmittel

6.1 Methode der Untersuchung

Es wurden verschiedene Schulgeschichtsbücher des 20. Jahrhunderts ausgewählt, wel-

che über mehrere Jahre bzw. Jahrzehnte in der Sekundarstufe I eingesetzt waren. In ei-

nem ersten Schritt wurde nach Passagen gesucht, welche sich mit der Auswanderung

aus der Schweiz seit der frühen Neuzeit beschäftigen. Die entsprechenden Abschnitte

waren quantitativ zu erfassen und zu vergleichen. Es sollte nicht untersucht werden, ob

alle Teilaspekte ausführlich behandelt wurden160. Vielmehr interessierte die Frage, in wel-

chem Verhältnisse, die unterschiedlichen Wanderungsformen zueinander stehen. In ei-

nem zweiten Schritt versuchte der Autor, die Aussagen inhaltlich zu vergleichen. Dabei

kam eine deskriptiv-hermeneutische Verfahrensweise161 zur Anwendung. Da die Aus-

wanderung aus der Schweiz in einigen Lehrmitteln nur sehr knapp dargestellt ist, bot ins-

besondere das weiterführende Kategorisieren bei der Siedlungsauswanderung erhebliche

Schwierigkeiten. Die Textpassagen gaben nur wenige Informationen her, so dass ein wei-

ter unterteilter Vergleich kaum noch aussagekräftige Resultate ergeben hätte. Deshalb

sind die Dagten nur nach Zielkontinenten gegliedert. Die Analyse orientiert sich im We-

sentlichen am Fragenkatalog, den Scholle162 vorschlägt, allerdings mit gewissen themen-

bedingten Anpassungen und Vereinfachungen.

160 Die von Rohlfes beschriebene Problematik in Zusammenhang mit der fachlichen Untersuchung sollte hier bewusst umgangen werden. Vgl. Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, 317f. 161 vgl. Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, 328. 162 Scholle, Schulbuchanalyse, 372.

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50

6.2 Die gewählten Lehrmittel

Die fünf für diese Arbeit untersuchten Lehrmittel decken mit ihrer zeitlichen Verwendung

das 20. Jahrhundert mehrheitlich ab. In der Tabelle sind die fünf Geschichtslehrbücher

aufgeführt, welche für diese Arbeit untersucht wurden163.

Abbildung 1: Untersuchte Schulgeschichtsbücher

Name untersuchte Ausgabe Stufe Verwendung

Wilhelm Oechsli, Bilder aus

der Weltgeschichte, Winter-

thur.

Band 1: Winterthur, 101940. Band 2: Winterthur, 111943. Band 3: Winterthur, 91939.

Sek. I. 1890er bis-1940er Jahre

Eugen Halter, Vom Strom der

Zeiten. Geschichtsbuch für die

Sekundarschule, St. Gallen

St. Gallen, 1965. Sek. I. 1930er bis 1960er Jahre

Franz Meyer, Wir wollen frei

sein, Aarau.

Band 1: Aarau, 31973. Band 2: Aarau, 21971. Band 3: Aarau, 1974.

Primar

Sek. I

1960er bis 1990er Jahre

Meyer, Schnebeli, Durch

Geschichte zur Gegenwart,

Zürich.

Band 1: Zürich, 72003. Band 2: Zürich, 62002. Band 3: Zürich, 52002. Band 4: Zürich, 52003.

Sek. I ab späte 1980er Jahre

Geschichte in Zeit und Raum,

Buchs.

Band 7: Buchs, 2006.

Band 8: Buchs, 2006.

Band 9: Buchs, 2005.

Sek. I ab 2006

Interessant ist, dass die drei älteren Geschichtsschulbücher von Alleinautoren (alles

Männer) geschrieben wurden, während an den beiden neueren jeweils Autorenteams be-

schäftigt waren, in denen auch Frauen vertreten waren. Die Untersuchung wurde durch

die Dichotomie zwischen einer Schweizergeschichte und einer allgemeinen Geschichte

erschwert164. So steht bei Franz Meyer die Schweiz im Zentrum. Dagegen behandelt

Oechsli die Weltgeschichte zentral und geht oft gar nicht auf die Schweiz ein. Der Autor

dieser Untersuchung sah sich mit dem Problem konfrontiert, dass die Passagen im Kon-

text der Schweiz oft nicht eindeutig untersuchbar waren. Während Oechsli die Auswande-

rung aus europäischer Sicht beschrieb, war diese Darstellung nicht weit von dem entfernt,

was auch im Schweizer Kontext gestanden hätte. War die Schweiz nicht explizit erwähnt,

wurde mehrheitlich auf die Aufnahme in die Untersuchung verzichtet.

Die Arbeit soll aufzeigen, wie die Thematik der Auswanderung aus der Schweiz im Schul-

geschichtsbuch des 20. Jahrhunderts165 dargestellt wird. Damit werden vor allem die

zweite und dritte Epoche nach Kurt Messmer themenspezifisch näher betrachtet.

163 Die Angaben über Stufe und Verwendung stammen aus: Furrer, Die Nation im Schulbuch, 83ff. 164 vgl. Furrer, Die Nation im Schulbuch, 74. 165 Dabei orientiert sich die Zeitspanne am „Kurzen 20. Jahrhundert“ von Eric Hobsbawm.

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51

6.3 Geografische und zeitliche Eingrenzung

Eigentlich scheint der Auftrag äusserst simpel. Man nimmt einige Schulbücher und sucht

nach Passagen, welche sich mit der Auswanderung aus der Schweiz beschäftigen. Spä-

testens jetzt stösst man aber auf erste Probleme. Auswanderung ist zweifelsohne nicht

exakt definierbar. Zuallererst sieht man sich mit geografischen Schwierigkeiten konfron-

tiert. Aus heutiger Optik scheint klar, Auswanderung hat etwas mit dem Übertritt von

Grenzen zu tun. Betrachtet man die schweizerische Situation am Ende des 15. und zu

Beginn des 16. Jahrhunderts ist dies weitaus schwieriger. Der schweizerische National-

staat existierte weder politisch noch in seiner räumlichen Ausdehnung. So hat man sich

mit Fragen zu befassen, ob ein Reisläufer, der vom französischen König angeheuert wur-

de und auf dem Gebiet, des heutigen Genfs, als Migrant im heutigen Sinn bezeichnet

werden kann oder nicht. Da für die vorliegende Untersuchung nur Lehrmittel aus dem

Zeitalter des Nationalstaates verwendet wurden, liegt der Fokus auf jenen Passagen,

welche die Auswanderung aus dem Territorium der heutigen Schweiz behandeln. Obwohl

die Geschichte der Reisläuferei weit zurückgeht, soll der Burgunderkrieg 1474-1477 für

diese Arbeit als Startpunkt der schweizerischen militärischen Auswanderung angesehen

werden. Zum einen wurden frühere Reisläufer häufig auf dem Gebiet der heutigen Eidge-

nossenschaft eingesetzt, zum anderen untersucht diese Arbeit das Phänomen der Aus-

wanderung bewusst erst ab der frühen Neuzeit.

6.4 Quantitative Analyse

6.4.1 Vergleich der absoluten Werte

Ein quantitativer Vergleich der untersuchten Lehrmittel ist äusserst heikel, da dieser nur

eine mengenmässige Aussage zulässt und der vermittelte Inhalt im Dunkeln bleibt. Somit

kann die quantitative Untersuchung nur Tendenzen wiedergeben. Wenn hier zu Beginn

dennoch eine quantitative Bestandesaufnahme über die Auswanderung aus der Schweiz

folgt, soll diese aufzeigen, wie viel Platz welcher Form der Auswanderung zugestanden

wird. In den fünf untersuchten Lehrmitteln wurden zu den acht Unterthemen (Migration im

Kontext der Schweiz allgemein, militärische Migration, Siedlungsmigration nach Europa,

Siedlungsmigration nach Nordamerika, Siedlungsmigration nach Mittel- und Südamerika,

Siedlungsmigration nach Afrika, Siedlungsmigration nach Australien und Ozeanien und

Siedlungsmigration nach Asien) die entsprechenden Passagen in den Lehrmitteln in An-

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zahl Seiten gezählt. Auf den ersten Blick fällt bei diesen absoluten Zahlen auf, dass die

Auswanderungsunterthemen mehrheitlich auf weniger als 10 Seiten wiedergegeben wer-

den.

Eine allgemeine schweizerische Auswanderungsgeschichte kommt nur in den beiden

jüngeren Lehrmitteln „Durch Geschichte zur Gegenwart“ (eine Seite) und in „Menschen in

Zeit und Raum“ (zweieinhalb Seiten) vor. Bei der allgemeinen Schweizer Auswande-

rungsgeschichte handelt es sich dabei um Kapitel, die die Auswanderung aus der

Schweiz im zeitlichen Wandel beschreiben und schliesslich darauf eingehen, dass sich

die Schweiz vom Aus- zum Einwanderungsland wandelte. In beiden Schulbüchern wird in

diesem Teil der Fokus stark auf die USA gelegt. In „Durch Geschichte zur Gegenwart“

wurde nur eine Seite gezählt, obwohl das Kapitel in Wirklichkeit sieben Seiten umfasst.

Die übrigen sechs thematisieren nur die Siedlungsauswanderung nach Nordamerika und

werden dort mitgerechnet.

Abbildung 2: Absolute Werte unter Berücksichtung des Lehrmittels von Franz Meyer

0

10

20

30

40

50

60

CH-Migrationallgemein

Reisläuferei Siedlungsmigrationnach europ. Zielen

Siedlungsmigrationnach Nordamerika

Siedlungsmigrationnach Mittel- und

Südamerika

Siedlungsmigrationnach Afrika

Siedlungsmigrationnach Asien

Siedlungsmigrationnach Ozeanien

Themen

Anz

ahl S

eite

n

Oechslin Halter Meyer Durch Geschichte zur Gegenwart Menschen in Zeit und Raum

Bei der Analyse fällt Franz Meyers dreibändiges Werk „Wir wollen frei sein“ sofort aus

dem Rahmen. Es behandelt die Auswanderung nach europäischen Destinationen auf

13.25 Seiten und die militärische Migration sogar auf 49.5 Seiten. Gleichzeitig existiert

aber für Meyer die überseeische Migration nicht. Dieses krasse Ungleichgewicht verzerrt

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das Bild nachhaltig. Daneben sind vor allem die beiden ersten Bände in einer sehr gros-

sen Schrift geschrieben, was die Erfassung zusätzlich erschwert. Aus diesen Gründen

wurde die Grafik insofern angepasst, als dass Meyers Lehrmittel weggelassen wurde. In

Abbildung 3 wird das Bild nun deutlich übersichtlicher.

Abbildung 3: Absolute Werte ohne Berücksichtigung des Lehrmittels von Franz Meyer

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

CH-Migrationallgemein

Reisläuferei Siedlungsmigrationnach europ. Zielen

Siedlungsmigrationnach Nordamerika

Siedlungsmigrationnach Mittel- und

Südamerika

Siedlungsmigrationnach Afrika

Siedlungsmigrationnach Asien

Siedlungsmigrationnach Ozeanien

Themen

Anz

ahl S

eite

n

Oechslin Halter Durch Geschichte zur Gegenwart Menschen in Zeit und Raum Es fällt auf, dass die Reisläuferei in allen untersuchten Schulgeschichtsbüchern mit zwi-

schen einer und fünf Seiten vertreten ist. Auffällig ist dabei aber, dass ihr in neueren Wer-

ken weniger Seiten zugestanden werden, als in früheren Schulgeschichtsbüchern. Es

erstaunt, dass die Siedlungsmigration nach europäischen Destinationen neben Meyer nur

in „Menschen in Zeit und Raum“ und dort nur auf einer Drittelseite behandelt wird. Diese

Form der Auswanderung bildet wie bereits weiter oben beschrieben, eine Vorform der

Migration nach Übersee.

Bei den überseeischen Zielen werden vor allem Nordamerika und Afrika als Migrations-

destinationen besprochen. In Abbildung: 3 fällt auf, dass bei der Siedlungsmigration nach

Nordamerika Eugen Halter nicht aufgeführt ist. Er erwähnt sie im Kontext der Schweiz nur

in einem Satz auf S. 119 explizit. Daneben behandelt Halter aber die europäische Migra-

tion nach Nordamerika auf den Seiten 125ff. Hier kommt die Schweiz so gut wie nicht zur

Sprache. Da in der vorliegenden Untersuchung der Fokus speziell auf ausgewanderte

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Schweizer gerichtet wurde, konnten diese Passagen deshalb nicht mitgezählt werden. Im

Gegensatz zur militärischen Migration kommt der Auswanderung nach Nordamerika in

neueren Geschichtsbüchern eine etwas stärkere Bedeutung zu, als in älteren. Eine Aus-

nahme bietet hier Franz Meyer, welcher die Überseeauswanderung nicht beschreibt. Afri-

ka ist (ausser bei Franz Meyer) als Destination auf zwischen 0.2 und 2 Seiten vertreten.

Die Zielgebiete auf den anderen drei Kontinenten Mittel- und Südamerika, Asien und O-

zeanien werden nicht oder höchstens auf einer halben Seite beschrieben. Dies dürfte vor

allem damit zusammenhängen, dass die Bedeutung dieser Destinationen wesentlich

niedriger eingeschätzt werden kann, als jene nach Nordamerika, welche scheinbar exem-

plarisch besprochen wird.

6.4.2 Vergleich der relativen Werte

Während der Vergleich mit absoluten Werten nichts über den Anteil der entsprechenden

Passagen am Gesamtwerk aussagt, soll in einem zweiten Schritt noch mit relativen Wer-

ten verglichen werden (Abbildung 4). Diese wurden als Prozentangaben an der Gesamt-

seitenzahl des entsprechenden Werkes errechnet. Hierbei zeigte sich rasch die nächste

Schwierigkeit: Was wird unter dem Gesamtwerk verstanden. Wilhelm Oechslis erster

Band behandelt die Urzeit und das Altertum bis 476 n. Chr. und ist somit für die vorlie-

gende Untersuchung irrelevant. Dennoch hat sich der Verfasser dieser Arbeit entschlos-

sen, jeweils alle Bände eines Lehrmittels zu berücksichtigen. Dies hat vor allem damit zu

tun, dass sich der Geschichtsunterricht in den letzten Jahren verändert hat. So wurde ab

den späteren 70er Jahren mehr Gewicht auf die neuere Geschichte gelegt.166 Da in jün-

geren Schulgeschichtsbüchern auch die Geschichte der Urzeit und des Altertums behan-

delt wird, macht es Sinn, jeweils immer das Gesamtwerk zu berücksichtigen, um ein ver-

gleichbares Resultat zu erhalten.

166 vgl. Kurt Messmer, Geschichtsunterricht in der Zentralschweiz, 65ff.

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Abbildung 4: Relative Werte unter Berücksichtigung des Lehrmittels von Franz Meyer

0.000

1.000

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3.000

4.000

5.000

6.000

CH-Migrationallgemein

Reisläuferei Siedlungsmigrationnach europ. Zielen

Siedlungsmigrationnach Nordamerika

Siedlungsmigrationnach Mittel- und

Südamerika

Siedlungsmigrationnach Afrika

Siedlungsmigrationnach Asien

Siedlungsmigrationnach Ozeanien

Themen

Rel

ativ

er A

ntei

l

Oechslin Halter Meyer Durch Geschichte zur Gegenwart Menschen in Zeit und Raum Es bleibt grundsätzlich festzuhalten, dass der Vergleich mit relativen Zahlen kaum zusätz-

liche Erkenntnisse liefert. Wiederum stechen bei Meyers Lehrmittel die Bereiche Sied-

lungsmigration nach europäischen Destinationen (rund 1.3%) und Reisläuferei (5%) her-

aus. Deshalb wurde auch hier Franz Meyers Lehrmittel wieder weggelassen (Abbildung

5). Der auffälligste Unterschied gegenüber den relativen Werten ist die militärische Aus-

wanderung bei Eugen Halter, die mit rund 1.6% einen relativ grossen Bestandteil – zu-

mindest im Vergleich mit den übrigen Bereichen – einnimmt. Das hat vor allem damit zu

tun, dass Eugen Halters Schulbuch nur zwei Bände aufweist. Bei Wilhelm Oechsli neh-

men die militärische Migration und die Siedlungsmigration zusammen nur knapp 0.2%

ein. Nordamerika als Zieldestination kommt bei ihm mit knapp 1% und Asien und Ozea-

nien mit etwas weniger als 0.5% etwas kürzer zur Sprache. Die beiden jüngeren Werke

weisen, wie bereits erwähnt, einen wesentlich stärkeren allgemeinen Auswanderungsteil

auf. Die Reisläuferei verliert im Gegensatz zur Siedlungsmigration an Bedeutung. So er-

reicht die militärische Migration in „Durch Geschichte zur Gegenwart“ und „Menschen in

Zeit und Raum“ nur noch gut 0.15%. Gleichzeitig gewinnt aber die Auswanderung nach

Amerika an Bedeutung.

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Abbildung 5: Relative Werte ohne Berücksichtigung des Lehrmittels von Franz Meyer

0.000

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0.400

0.600

0.800

1.000

1.200

1.400

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1.800

CH-Migrationallgemein

Reisläuferei Siedlungsmigrationnach europ. Zielen

Siedlungsmigrationnach Nordamerika

Siedlungsmigrationnach Mittel- und

Südamerika

Siedlungsmigrationnach Afrika

Siedlungsmigrationnach Asien

Siedlungsmigrationnach Ozeanien

Themen

Rel

ativ

er A

ntei

l

Oechslin Halter Durch Geschichte zur Gegenwart Menschen in Zeit und Raum

6.5 Qualitative Analyse

6.5.1 Allgemeine schweizerische Migrationgeschichte

Wie bereits bei der quantitativen Untersuchung besprochen, kommen allgemeine ausführ-

lichere schweizerische Migrationsbeschreibungen nur in den beiden neueren Lehrmitteln

„Durch Geschichte zur Gegenwart“ und „Menschen in Zeit und Raum“ vor. Dennoch geht

Eugen Halter, wenn auch nur in aller Kürze, darauf ein, dass Migration ein zeitübergrei-

fendes Phänomen ist. In Band 2 auf Seite 119 finden wir ein Kapitel „b) Die Schweizer in

der Fremde“. Darin wird in wenigen Sätzen darauf eingegangen, dass sich Schweizer

mangels Alternativen als Söldner anheuern liessen und nach den Krisenjahren 1816/17

nach Amerika auswanderten. Interessanterweise stellt Halter dieses Kapitel einem Tou-

rismuskapitel nach. Kapitel „a)“ heisst nämlich „das Ferienland der Völker“. Halter be-

schreibt aber nicht, dass sich der Auswanderungsstrom im 20. Jahrhundert stark zurück-

bildete und die Zuwanderungsbilanz positiv wurde. Auf die Einwanderung in die Schweiz

geht Halter damit praktisch nicht ein.

Ende der 80er, Anfang 90er Jahre kommt „Durch Geschichte zur Gegenwart“ auf den

Markt und setzte die Forderung der Geschichtsdidaktiker der späten 70er Jahre teilweise

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um. Neben der Aufteilung von Lesetexten und Aufgaben verändert sich auch das Ge-

schichtsbild. Migration wird vermehrt als zeitübergreifende Phänomen besprochen: In

Band 2 wird mehrfach vom Wandel gesprochen, mit dem sich die Schweiz vom Auswan-

derungsland zum Einwanderungsland veränderte. In einem ersten Satz wird dies im Kapi-

tel „Die soziale Lage wird besser“ erwähnt: „Während früher jedes Jahr Tausende von

Schweizern wegen Armut und Arbeitslosigkeit ausgewandert waren, wanderten jetzt Aus-

länder auf der Suche nach Arbeit in die Schweiz ein.“167 Ab Seite 209 widmen die Autoren

ein ganzes Kapitel, insgesamt sieben Seiten, der Auswanderungsgeschichte, den Be-

weggründen, die zur Auswanderung geführt haben, Einzelschicksalen und der heutigen

Situation der Ausgewanderten. Obwohl praktisch ausschliesslich die USA als Migrations-

destination dargestellt werden, weist das Kapitel dennoch allgemeine Gültigkeit auf. An

das Auswanderungskapitel fügt sich ein Einwanderungskapitel an, in welchem die Situati-

on nach dem Zweiten Weltkrieg thematisiert wird. Es zeigt sich, dass Migration im Lehr-

mittel neu vermehrt als Teil der Sozialgeschichte der Schweiz verstanden wird. Dieser

Trend setzte sich im jüngsten Geschichtslehrmittel „Menschen in Zeit und Raum“ fort. Ei-

ne erste Nennung gibt es in Band 8 auf Seite 34 im Kapitel „Leben neben dem Touris-

mus“. Dieses Kapitel setzt sich mit der Geschichte von Zermatt auseinander und erklärt,

dass sich das Klima in Europa zwischen dem 17. und Mitte des 19. Jahrhunderts abkühl-

te, weshalb viele Bewohner Zermatts auswandern mussten. Hier wird, wenn auch nur an-

satzweise und sehr kurz die Auswanderung als Gesellschaftsgeschichte dargestellt. Im

Band 9 ab Seite 142 nimmt sich das Lehrmittel „Menschen in Zeit und Raum“ dem Thema

„Grenzen überschreiten“ an. Das 32-seitige Kapitel befasst sich am Anfang mit der Ein-

wanderung in die Schweiz und erst auf Seite 156 finden wir einen Rückblick in jene Zeit,

als die Schweiz noch ein Auswanderungsland war. Damit geht „Geschichte in Zeit und

Raum“ den umgekehrten Weg als „Durch Geschichte zur Gegenwart“. Zuerst wird das

aktuelle Problem ins Zentrum gerückt und danach mit einer Rückschau das Zustande-

kommen des Phänomens beschrieben. Wie bei „Durch Geschichte zur Gegenwart“ legt

„Geschichte in Zeit und Raum“ den Fokus fast ausschliesslich auf die USA als Zielland.

Erstaunlich ist an diesem Kapitel „5 Grenzen überschreiten“ das quantitative Ungleichge-

wicht zwischen der Ein- und der Auswanderung aus der Schweiz von etwa 29:3. Damit

wird die Einwanderungsthematik stärker gewichtet, als jene der Auswanderung.

167 Durch Geschichte zur Gegenwart II, 101.

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Als Fazit über die fünf untersuchten Lehrmittel kann festgehalten werden, dass in den

neueren Lehrmitteln eine „Gesamtmigrationsgeschichte“ vertreten ist und diese in den

Älteren praktisch völlig fehlt.

Abbildung 6: Allgemeine Schweizer Migration in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 119 • Die Schweizer in der Fremde

• Ansehen der Schweizer „Die Weltkriege haben zahlreichen Landsleuten in der Fremde schwere Tage gebracht.“

Abbildung 7: Allgemeine Schweizer Migration in „Durch Geschichte zur Gegenwart“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 101 • Nennung: Wandel vom Auswanderungs- zum

Einwanderungsland Kurze Nennung

2 209 • Allgemeine Beschreibung der Siedlungsmigra-tion im 19. Jahrhundert

• Übergang von der temporären zur festen Auswanderung

„Die Fabrikindustrie schuf lange Zeit hindurch nicht genügend neue Arbeitsplätze. Viele Schweizer sahen im eigenen Land für sich keine Zukunft mehr und entschlossen sich zur Aus-wanderung.“

2 217 • Beschreibung, wie die Schweiz vom Auswan-derungs- zum Einwanderungsland wurde

Als Einleitung für die Thematik Einwanderung

2 290 • Beschreibung der Bevölkerung in den Kolo-nien (Vergleich Einwanderer, Eingeborene)

Abbildung 8: Allgemeine Schweizer Migration in „Menschen in Zeit und Raum“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 8 34 • Wandel von Zermatt zum Touristenort

• Transportwesen Auswanderung wegen Eis • Landwirtschaft Tourismus

9 156 • Wandel vom Auswanderungs- zum Einwande-rungsland

• Regionale Unterschiede bei der Herkunft der Migranten (Bsp. Bergdörfer)

• Auswanderungsagenturen • Umgang in den einzelnen Kantone

6.5.2 Militärische Migration/Reisläuferei

6.5.2.1 Problem der militärischen Migration

Kein anderer Migrationsunterbereich wird in den fünf untersuchten Schulgeschichtsbü-

chern so ausführlich und so widersprüchlich dargestellt wie die Reisläuferei. Wie weiter

oben beschrieben, waren die Strukturen der Reisläuferei vor der frühen Neuzeit oft unklar

und längst nicht so geordnet wie nach 1500. Die Zuordnung der Reisläuferei zur militäri-

schen Migration birgt gewisse Probleme. So hatte nicht jede militärische Handlung der

frühen Eidgenossenschaft etwas mit Migration, aus Sicht des heutigen schweizerischen

Nationalstaates zu tun. Der Verfasser hat sich deshalb entschlossen, nur jene Stellen zu

berücksichtigen, bei denen das Territorium der heutigen Schweiz explizit verlassen wur-

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de. Allerdings sind die Trennlinien zwischen Reisläuferei innerhalb des Territoriums der

heutigen Schweiz und internationaler militärischer Migration bis Ende des 15., Anfang des

16. Jahrhunderts oft nicht abgrenzbar. Mit der gewählten Methode zeigt sich zwar ein

Bild, das auf Migration im heutigen Sinn zugeschnitten ist, andererseits lässt sich damit

aber nicht mehr die gesamte Geschichte der Reisläuferei im Schulgeschichtsbuch erfas-

sen.

Es ist interessant, dass Franz Meyer von zwei Millionen Reisläufern ausgeht, während die

anderen untersuchten Lehrmittel auf Zahlenangaben verzichten. Die aktuelle Geschichts-

forschung spricht von nur rund einer Million Schweizer Männer, die sich in fremde Dienste

begeben haben. Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, alle Aspekte,

die mit militärischer Migration verbunden sind, genauer zu untersuchen. Eine Auswahl

von drei relevanten Themen soll die Veränderung der Darstellung der militärischen Migra-

tion im Schulbuch der Nachkriegszeit aufzeigen. Eine vollständige Zusammenstellung168

aller aussagekräftigen Passagen gibt die hier folgende tabellarische Übersicht.

Abbildung 9: Militärische Migration in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 160 • Entwicklung des Söldnerwesens „Aber der Bund war mündig geworden und stand als Eidgenossenschaft

der 13 Orte (1513) abgeschlossen da, nun ein eigenes Staatswesen geworden, von deutschen, französischen und italienischen Fürsten wegen seiner militärischen Schlagfertigkeit bewundert und umworben. So entwickelte sich, gleichzeitig mit ihrem Ruhm, das verhängnisvolle Söldnerwesen. Es brachte den auf den Schlachtfeldern Frankreichs und Italiens tapfer kämpfenden Schweizern wohl Ansehen und Reichtum, aber darüber nahm das Volk an Haupt und Gliedern den schwersten Schaden; denn Hohe und Niedere gewöhnten sich daran, um fremdes Gold Ehre, Heimat und Leben zu Markte zu tragen. Die Sitten, einst von vorbildlicher Einfachheit, verwilderten zusehends und die Schweiz ging einem raschen Zerfall entgegen, obschon sie zu Beginn des 16. Jahr-hunderts kurze Zeit durch ihre militärischen Erfolge in der Lombardei das Zünglein an der Wage der europäischen Politik bildete. 200 Jahre nach Morgarten machte die Niederlage bei Marignano (1515) der glänzenden äusseren Stellung des Bundes auf einmal ein Ende und von jetzt an war er froh, im Schutze Frankreichs sein Dasein zu erhalten.“

2 169 • Kurze Erwähnung der Modernisie-rung des Kriegswesens

„… ihre Kriege vorzugsweise mit Söldnern zu Ross und zu Fuss zu führen, die sie im eigenen Lande oder auch in der Fremde mit teurem Gelde mieteten.“

2 175 • Burgunderkriege „… Damit besorgten sie in erster Linie die Geschäfte Ludwigs von Frank-reich, der sie mit raffinierter diplomatischer Kunst gegen seinen Feind aufgehetzt hatte und nun die Frucht seiner Politik erntete…“ „Auch sonst wusste Ludwig die kriegerische Tüchtigkeit der Eidgenossen trefflich auszunutzen und sicherte sich durch ein Bündnis mit ihnen das Recht, nach Belieben in der Schweiz Truppen zu werben.“

2 258 • Krieg zwischen Spanien und Frank-reich

„Im Jahre 1522 schlug der deutsche Söldnerführer Georg Frundsberg 16’000 Schweizer […], wobei diese 3’000 Mann in der Schlacht verlo-ren.“

2 267 • Zwingli, als Gegner der Reisläuferei „Als echter Sohn einer Republik kümmerten diesen aber die Schäden des Vaterlandes ebenso sehr, wie die der Kirche. Die Bündnisse mit den fremden Fürsten, worin die schweizerischen Regierungen diesen das Recht einräumten, nach Belieben im Lande Söldner zu werben, schienen ihm ein Schandfleck und ein Unglück der Schweiz.“

3 120 • Bastillesturm „30'000 Soldaten, darunter zahlreiche Schweizer und andere fremde

168 entsprechend der besprochenen Kriterien

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Söldner, wurden um Paris und Versailles angesammelt, unter dem Vor-wand, die Ruhe zu erhalten.“ „Da die Truppen, namentlich die einheimischen, sich unzuverlässig zeigten und zum Teil offen zum Volke übergingen, wagten ihre Befehls-haber keinen ernstlichen Angriff auf die Hauptstadt und überliessen diese sich selbst.“

3 133 • Tuileriensturm „Dennoch erfolgte der Angriff auf die aus 750 Schweizern bestehende Schlosswache. Durch die wuchtigen Ausfälle trieben die tapfern Söldner die Menge der Angreifer zurück, da erhielten sie vom König den Befehl, das Feuer einzustellen, und mussten sich beim Rückzug wehrlos nie-dermetzeln lassen“

3 152 • Abhängigkeit durch Verträge und Söldnerdienst

„Die Schweiz war seit der Reformationszeit ein in sich zerrissenes Staatswesen, nur locker zusammengehalten durch die gemeinsamen Untertanenlande und längst durch Verträge und Söldnerdienst in eine bedenkliche Abhängigkeit von Frankreich geraten.“

3 177 • Napoleon in Russland Nennung von Schweizern im Heer

Abbildung 10: Militärische Migration in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 1 107 • Herzog von Lothringen wendet sich

1476 an die Eidgenossen, um Schweizer Söldner anzuwerben.

„Der Lothringer wandte sich an die Eidgenossen, und einige tausend Schweizer Söldner zogen über Basel nach Lothringen. In der Schlacht bei Nancy fand der Burgunderherzog kämpfend den Tod.“

1 109 • Fremdes Gold innere Wirren: „Pen-sionen und Reislauf“: Erklärung des Söldnerwesens

„...machten sich die Eidgenossen zum ersten Kriegsvolk Europas.“ „Um ihren Einfluss besser zu sichern, gaben der französische König, das Haus Habsburg-Österreich, die Herzöge von Mailand und Savoyen den führenden Männern in den eidgenössischen Orten reiche Geschenke oder sogar regelmässige Jahrgelder… Man ahmte fremden Luxus nach.“ „Die Burgunderbeute weckte beim Volk die Kriegslust noch mehr.“ „Manche kehrten mit vollen Taschen zurück, andere aber oft sogar ohne den vereinbarten Sold.“

1 114 • Die Mailänderzüge 1499-1515 • Geschichte, in der Schweizer gegen

Schweizer kämpfen

Die Schweizer (auf Seiten der Mailänder), die den Herzog von Mailand retten wollten, ein Urner (auf Seiten Frankreichs), der ihn entdeckt und verrät. Danach heisst es die Schweizer hätten den Herzog „schändlich verraten und verkauft.“

1 115 • Schweizer Garde beim Papst „Der Heilige Vater beschenkte die Schweizer mit Bannern und Prunkwaf-fen, er nannte sie mit dem Ehrennamen ‚Befreier der Kirche’“

1 115 • Novara und Marignano • West- und Ostorte sind sich nicht

einig über das Angebot von König Franz überhasteter Angriff

„Bei den Schweizern herrschte eine überschäumende Kampfstimmung.“ „Der Kriegsruhm der Schweizer erstrahlte im hellsten Glanz; die eidge-nössischen Haufen galten für unbesiegbar.“ „… die Schweizer konnten trotz ihrer Tapferkeit den Sieg nicht erringen.“ Franz, der dennoch die Eidgenossen als Freunde will (=Söldner)

1 118 • Aufgabe der Tagsatzung, die Sold-verträge abzuschliessen.

2 21 • Zwingli, der gegen den Solddienst ist.

„Fortan kämpfte er gegen den verrohenden Solddienst.“

2 30 • Soldbündnis mit SpanienKönig kann im Gegenzug für Jahr-gelder und Waffenhilfe (bei Angriff wegen Glauben) Truppen anwerben

• Soldvertrag mit Frankreich = wich-tigstes Bündnis

Heldengeschichte des Luzerners Ludwig Pfyffer:„Keine Rettung schien mehr möglich, da eilte in einem Gewaltmarsch Oberst Pfyffer mit den Schweizern heran … Durch diese Glanzleistung erwarb Pfyffer das volle Vertrauen des Königs; er wurde von ihm ‚roi des Suisses’ genannt und mit Geschenken und Pensionen überhäuft.“Kampf für den Glauben

2 37f • Bündner Wirren Jürg Jenatsch auf Seiten der Franzosen, später auf Seiten der Spanier.

2 41 • Beschreibung der Schweizerre-gimenter am Französischen Hof

6’000-16'000 Soldaten

2 54 • Beschreiung des fremden Sold-dienstes

70’000-80'000 Soldaten „Anstelle des einst so lustigen Landsknechtlebens traten schärfste Dis-ziplin und trockener Paradedienst...“ „Entsetzlich war es, wenn im Kampfe Schweizer auf Schweizer stiessen. Kehrten auch nicht selten Söldner und Offiziere ohne Sold und verbittert heim, der Fremde Kriegsdienst füllte doch die Taschen der Patrizier und die Kassen der Orte mit Gulden und Kronen.“

2 63 • Schweizergarde bei der französi-schen Revolution

„Ich bin für mein Verhalten den Schweizer Kantonen, meiner Regierung, verantwortlich; nie werde ich die Waffen niederlegen.“ „Der König befiehlt den Schweizern die Waffen niederzulegen und sich in die Kasernen zurückzuziehen (…) Doch wie sie aus dem Garten treten, stürzt sich der Pöbel auf sie und metzelt die meisten nieder. Viele haben den Ruf der Sammlung nicht vernommen; sie kämpfen weiter, einer gegen hundert, und fallen. Schrecklich werden die Leichen verstümmelt. Nur wenige Schweizer finden ein Versteck bei gutherzigen Pariser Fami-lien und sehen die Heimat wieder.“

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Abbildung 11: Militärische Migration in Franz Meyers „Wir wollen frei sein“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 24ff • Beschreibung der Ritteruniform

(insbesondere Harnisch) Klagen, dass Eidgenossen den Harnisch nicht tragen.

2 138 • Bündnis mit Ludwig XI. Bern, das ohne das Wissen der übrigen Orte Zusagen macht. Die Eidgenossen werden als käuflich dargestellt.

2 170ff • Heimkehrende Söldner werden als Problem dargestellt

„Die heimgekehrten Söldner bereiteten der Obrigkeit die grössten Sor-gen. Sie brachten Laster und Krankheiten heim, hielten sich an keine Ordnung mehr und schreckten nicht zurück vor Raum und Totschlag. Sie hielten eigene Tagungen ab und zogen auf eigene Faust zu offenen Kriegszügen aus. Es war ein tolles Leben!

2 182 • Geschichte des Pensionenbriefs

„Um das Jahr 1500 haben schon mehr als 30'000 Schweizer auf frem-den Schlachtfeldern für fremde Herren ihr Leben geopfert.“ „Die fremden Jahrgelder, die Pensionen, brachten Zwietracht in unser Land. Einzelne Orte wurden abhängig… Ihre Söhne begegneten sich auf fremder Erde in grausigen Schlachten als Todfeinde.“ „Aber das Franzosengeld war stärker. Schon 2 Jahre später fiel Bern vom ‚Pensionenbrief’ ab.“ „Dieses Beispiel wirkte verheerend. Innert sechs Jahren bezogen die meisten Orte wieder fremde Pensionen, die Reisläufer fremden Sold, und das Verderben nahm seinen Fortgang.“

2 183ff • Franzosengold! Mailändergold! Verrat!

„Die Schweizer waren wenig beliebt aber sehr geachtet und noch mehr gefürchtet.“ „Innert kürzester Zeit erschien Ludwig XII. wieder mit einem Söldnerheer und schloss Lodovico in Novara ein: 10'000 Schweizer bei Ludwig, 6'000 Schweizer bei Lodovico! Brüder gegen Brüder! Sie mussten wählen zwischen Verrat und Bruderkrieg. … Nun sollten sich die Söldner selber sich insgesamt für die eine oder für die andere Seite entscheiden. Das war keine saubere Sache!“ Verräter (Turmann aus Uri): „Die Schweizer hatten Lodovico treulos im Stich gelassen.“

2 187 • Matthäus Schiner, der bei den Eidgenossen ein Bündnis für Papst Julius II. abschliesst

„Darauf ernannt Julius II. den Bischof von Sitten zum Kardinal, zum Kriegskardinal!“

2 188f • Pavier Zug „Julius war nun seiner Sache sicher und eröffnete den Kampf gegen die Franzosen. Ludwig XII. hatte inzwischen die Eidgenossen derart gereizt, dass sie aus eigenem Antrieb, nicht bloss als Helfer des Papstes aus-rückten. – Und nicht bloss 6’000 rückten aus, sondern 18'000.“ „Julius überhäufte seine ‚geliebten Söhne mit Geschenken und Aus-zeichnungen. Die kunstvoll gearbeiteten Julius-Banner werden heute noch mit Stolz in den Museen gezeigt.’“ „Das genügte den Eidgenossen noch nicht. Sie verlangten das Recht, den neuen Herrn in Mailand selbst zu bestimmen. Ihr Mann war Maximi-lian Sforza, der Sohn des unglücklichen Lodovico. Hatten sie den Vater verraten, so wollten sie den Verrat am jungen, noch nicht 20jährigen Sohne wieder gutmachen. Und sie setzten ihren Willen durch.“

2 190ff • Novara 1513 • Schweizer, die Maximilian Sforza

helfen wollen • Tagsatzung schickt von sich aus

eine Versteckungstruppe

„Sie liessen 1’500 Mann auf dem Felde zurück, der Gegner verlor 6’000 Tote. Ein italienischer Chronist schrieb darüber: ‚Nie fasste ein schweize-risches Heer einen stolzeren und kühneren Entschluss. Es waren so wenige gegen so viele, sie traten an ohne Reiter ohne Geschütz gegen ein in diesen Dingen äusserst starkes Heer’. Die Zeitgenossen stellten diesen Sieg höher als die Heldentaten der Griechen und Römer.“

2 194ff • Marignano 1515 • Schweizer, die verlieren, weil sie

nicht einig sind

Kriegskardinal, der wie ein „Fuchs, den Hühnern predigt.“ Schweizer werden als Riesen dargestellt, die eigentlich gewonnen hät-ten, wenn nicht die Venezianer gekommen wären. Die Übermacht der Franzosen wird noch in Zahlen formuliert (Infanterie 3:1, Artillerie 12:1 und Reiterei 50:1) „Nun besannen sich die Eidgenossen auf die Worte ihres verstorbenen Bruder Klaus: ‚Mischt euch nicht in fremde Händel!’“

2 236ff • Zwingli, als Gegner der Reisläuferei • Berufung auf Bruder Klaus

„Ihr sollt euch keiner Partei annehmen. Fürsten sollen Fürsten, und Eidgenossen sollen Eidgenossen bleiben!“

3 47f • Ein heisses Eisen (Einführung) • Marignano, als Bruch • Bezug auf Bruder Klaus • Zitat von General Guisan

„Dieser Abschnitt aber zwingt uns, eine heikle Frage so zu behandeln, dass wir uns die Finger nicht verbrennen, auch wenn die persönliche Auffassung des einen mit der Ansicht des andern nicht übereinstimmen sollte.“ „Es gab eine Zeit, da liefen diese kraftstrotzenden Burschen auf eigene Faust in fremde Länder. Als wilde Reisläufer schlugen sie sich für fremde Herren. Verwildert kehrten sie heim: eine elende Plage für das ganze Land.“ „Jeder gibt, was er hat! Weizen und Salz, freie Strassen und Fässer voll Gold wurden unsern Vätern vom Ausland geboten. – Was konnten die Eidgenossen dafür hergeben? – Es klingt hart: die Jugend des Vol-kes!!...“ „Dieser Eid leistete jeder: Wir dienen in der Fremde für unser Vaterland.“

3 49ff • Es wird von 2’070’700 Soldaten „Ein böses Wort wird diesen Soldaten nachgesagt: ‚Die Schweizer sind

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gesprochen • Lange Geschichte des Reislaufs • Reisläufer, die ihr Geld oft nicht

erhielten • 15 Heldenbeispiele • Im Dienste Englands • Treue und Ehre

käuflich! – Kein Geld, keine Schweizer!’ – Dieses Wort ist eine Lüge! – Der Soldatenberuf war damals ein Handwerk wie jedes andere auch.“ „Ihr Leitspruch lautete nicht ‚Geld und Ehre’, sondern ‚Treue und Ehre’“

3 53ff • Kapitulationen • Sankt Jakob an der Birs Friede

von Ensisheim • Marignano • Söldner der militärischen Kapitulati-

on sind der Gerichtsbarkeit der Heimat unterstellt, eigenwillige Söldner unterwarfen sich den Ge-setzen der fremden Macht.

• Abhängigkeitsverhältnis zwischen Frankreich und der Schweiz

„An diesem denkwürdigen Tage siegten sich 1’500 entfesselte Eidge-nossen gegen 40'000 Armagnaken zu Tode.“ „Ich besiegte jene, die nur von Cäsar besiegt wurden!“ Diese helvetisch-eidgenössischen Gegner musste er als Verbündete gewinnen.“ „Die Schweizer setzten aus alter Gewohnheit stur und blind auf die französische Karte und der Ambassador brachte es sogar fertig, dass die Boten der beiden Bekenntnisse sich nach 113 Jahren zum erstenmal zur gemeinsamen Tagsatzung versammelten. (…) Das Wunder war gesche-hen…, und nochmals wurde eine Kapitulation unterzeichnet: die letzte!“ „Das Bündnis war geschlossen, das Fest verrauscht, das Königtum in Frankreich brach zusammen: die Schweizer hatten das sinkende Schiff nicht verlassen! Das ist die Treue dieses Volkes!“

3 56ff • insgesamt 3 Seiten • Könige von Frankreich und ihre

Kapitulationen

3 59ff • 1527 Sacco di Roma Gardekom-mandant Kaspar Röist

• Eid auf die Fahne • Geschichte von Papst Clemens VII.,

der die Garde verkleinert. • Angriff der Deutschen • Reformation in Zürich und Auftrag

an Zürcher Gardisten heimzukehren

„Mit knapper Not retteten die Schweizer ihn durch den Fluchtgang in der alten Stadtmauer vom Vatikan in die Engelsburg hinüber. Von den 189 blieben nur diese 42 am Leben.“ „Die Schweizergardisten, die heute im Vatikan vor den Toren Wache stehen, sind das getreue Zeugnis einer ruhmreichen Geschichte. – Schweizergardist! Du bist der letzte Vertreter der Millionen, die in der Fremde dienten: pflichtbewusst und tapfer, weltenweit und heimattreu!“

3 62 • 1567 Meaux! Schweizer König rettet den Franzosenkönig

• Hinweis, dass der Sold nicht bezahlt wurde.

„Die 20 Kompanien zu 300 Mann bildeten den gefürchteten Schweizer-igel.“ „Das Schicksal der französischen Krone lag nun in den Fäusten der rauhen Schweizer.“

3 62f • 1757 Rossbach: Diesbach und Planta! „Was sind das für rote Mau-ern?“

„Sie standen im Hagel der Preussischen Kugeln… und rannten nicht davon.“ „Was sind das für rote Mauern, die meine Artillerie nicht niederlegen kann? Eure Majestät, das sind die Schweizer! Der König zog den Hut. – Er schwieg.“

3 64ff • 1763 Im Wilden Westen Schweizer gegen Pontiac!

• Geschichte des Krieges der Schweizer gegen die Indianer

• Bouquet, der Schweizer Held wird am Schluss von einem unbekann-ten Fieber getötet.

„Bouquet war kein Indianerfeind und gerade er musste in die Geschichte eingehen als jener Mann, von dem es heisst, er habe die Rothäute des Ohio-Staates vollständig ausgerottet.“ „Die Weissen, von allen Seiten in die Enge getrieben, konnten dem Ansturm nicht widerstehen. Der unfassbare Feind zog die Schlinge immer enger. Bouquet stand hinter einem Baumstamm, in den 15 Kugeln eingeschlagen hatten.“

3 68ff • 1792 Tuilerien Revolution in Frank-reich

„Der König befiehlt den Schweizern, ihre Waffen sofort niederzulegen und sich in ihre Kasernen zurückzuziehen. Nun sind die Schweizer waffenlos ihren Feinden ausgeliefert. (…) Die Schweizer wurden wie Tiere abgeschlachtet, zerhackt und geschändet.“

3 71f • 1812 Beresina „Wir haben stand-gehalten“

„Der Männerchor der Schweizer an der Beresina schwoll an und sang über die weisse, russische Ebene: Tagwacht! – Gruss an die ferne Hei-mat! – Abschied vom Leben!“ „Der Kampf gegen die russischen Truppen war mörderisch. Die Schwei-zer standen im Kugelregen, schossen bis zur letzten Patrone, stürmten achtmal mit blankem “Bajonett gegen russische Dragoner und sibirische Jäger: 1’600 Schweizer gegen 40'000 Russen.“ „Es waren 300 Mann, die mit ‚Hier!’ antworteten. Sie waren von Säbel-hieben zerhackt und von Kugeln durchlöchert.“

3 73 • Bei Strafe verboten • Verbotenes Lied der Heimat

3 74ff • Die letzten Regimenter • Verbot in der BV 1848 • 1859 Ablauf der Kapitulation mit

Neapel • Gründung des Roten Kreuzes

„Es ist eine sinnvolle Fügung der Geschichte, dass das amtliche Todes-jahr 1859 des Fremdendienstes den ersten Lebenskeim zur Gründung des Roten Kreuzes in sich birgt. Dass weisse Kreuz im roten Feld ist zum roten Kreuz im weissen Feld geworden.“

3 77ff • Geschichte des Löwendenkmals 3 235 • Verbot des fremden Kriegsdienstes

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Abbildung 12: Militärische Migration in „Durch Geschichte zur Gegenwart“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 1 81 • Huldrych Zwingli, als Gegner des

Reislaufs • Geld verdienen als Söldner oder

Vermittler • Kampf Schweizer gegen Schweizer

„Viele Schweizer zogen damals nämlich als Berufskrieger in fremde Heere, andere verdienten viel Geld dadurch, dass sie solche Krieger an fremde Herrscher vermittelten. Gelegentlich kämpften auf den europäi-schen Schlachtfeldern Schweizer gegen Schweizer. Viele Söldner kehr-ten krank oder verkommen zurück und konnten sich dann nicht mehr in die heimische Ordnung einfügen.“

1 137 • Nur Nennung 1 174 • Augenzeugenbericht über Schwei-

zer Garde beim Tuileriensturm • Schweizer als Opfer, welche von

der Nationalgarde im Stich gelassen und niedergemetzelt werden

„Die Schweizer bestürmt von allen Seiten, überwältigt von der Menge, streckten endlich die Waffen… Aber jetzt nachdem sie sich ergeben hatten, fiel man jämmerlich über sie her, zwanzig über einen, und ermor-dete sie. Man hat sie totgeschlagen, wo man sie fand…, man hat sie lebendig ins Feuer geworfen, man hat sie geschunden und verstüm-melt… Selbst die toten Körper blieben von keiner Art der Misshandlung frei.“

1 198 • Kampf an der Beresina • 13'000 Schweizer

Schweizer müssen die nachdrängenden Russen aufhalten. „Sie selbst durften sich erst als Letzte zurückziehen.“

2 142 • Nur Nennung • Erfolgreiches Eingreifen in die

Kämpfe zwischen dem König von Frankreich und dem Herzog von Burgund (Burgunderzüge und euro-päische Kriege in Oberitalien)

2 146 • Eidgenössische Gemeinsamkeit: die erfolgreichen Kriege

„Entscheidend war vielmehr, dass man auf der gleichen Seite stand, tapfer aushielt und den Mut nicht verlor.“ Gemeinsamkeit, die über den Krieg gesucht wird.

3 112 • Militärische Erfolge beliebte Söldner

„Durch eine lange Reihe militärischer Erfolge qualifizierten sich die eid-genössischen Krieger als die besten ihrer Zeit. Daher wurden sie auch gerne von fremden Herrschern als Söldner angeworben.“

Abbildung 13: Militärische Migration in „Menschen in Zeit und Raum“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 7 149 • Zwingli „Nun trat er für die Abschaffung des Söldnerwesens ein.“ 7 154 • Tabelle: Zusammensetzung des

bayerischen Regiments (Tessiner ca. 5%)

• Kurzer Text mit Beschreibung des Söldnerwesens

„Die jahrelangen Feldzüge stumpften die Männer gegenüber grausamer Gewalt ab. In den Kriegslagern herrschten üble Verhältnisse. Krankhei-ten und Seuchen grassierten. Viele Söldner blieben als Verwundete zurück und mussten ihren Lebensunterhalt mit Betteln bestreiten.“

7 162f • eher allgemeine Beschreibung der preussischen Armee.

• Quelle: „Ein Toggenburger in der preussischen Armee“

„Wir mussten oft ganze fünf Stunden lang in unserer Montur einge-schnürt, wie angeschraubt stehen, kreuz und quer, pfahlgerad marschie-ren und ununterbrochen blitzschnelle Handgriffe machen, und das alles auf Geheiss eines Offiziers…“

8 22 • Kurze Nennung „Menschen suchten seit jeher nach Wegen, der Unterbeschäftigung und dem Hunger zu entfliehen. Viele junge Schweizer verdingten sich als Söldner.“

6.5.2.2 Einendes Element – der Schweizer Held auf fremdem Feld

Die fünf untersuchten Schulgeschichtsbücher sind allesamt Lehrmittel, welche in der Zeit

des Nationalstaates entstanden sind. Im Nationalismus fühlt sich das Individuum zur Na-

tion zugehörig. Diese ist allerdings nicht einfach gegeben: „Die Nation ist (…) keineswegs

eine naturwüchsige und eindeutige Ordnung des sozialen Lebens, sie ist über die Zeit

veränderlich und an die realen Machtkonstellationen der geschichtlichen Entwicklung an-

passungsfähig.“169 Weichlein beschreibt, dass in der Schweiz gerade auch die „zuneh-

169 M. Rainer Lepsius, Nationen und Nationalismus in Deutschland. In: Interessen, Ideen und Instutionen, Opladen 1988, 232-246, 233; zit. in: Weichlein, Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa, 2.

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mend idealisierten historischen Ursprünge der Eidgenossenschaft“170 eine gemeinsame

Identität begründen. Diese Tatsachen erklären diverse Stellen, die in den untersuchten

Schulgeschichtsbüchern die militärische Migration behandeln. So wird in den drei älteren

untersuchten Schulgeschichtsbüchern die Reisläuferei verschiedentlich als Element ver-

wendet, welches die Nation im Kontext des 16. Jahrhunderts eint. Wilhelm Oechsli

schreibt: „Aber der Bund war mündig geworden und stand als Eidgenossenschaft (1513)

abgeschlossen da, nun ein eigenes Staatswesen geworden, von deutschen, französi-

schen und italienischen Fürsten wegen seiner militärischen Schlagfertigkeit bewundert

und umworben.“171 Die Schweiz ist somit zu Beginn des 16. Jahrhunderts jene Nation,

welche „durch ihre militärischen Erfolge das Zünglein an der Waage der europäischen

Politik bildete“172. Für Oechsli stellt die Niederlage von Marignano das Ende „der äusse-

ren Stellung des Bundes“ dar und die Reformation ist ein Ereignis, welches „die politische

Einheit auf Jahrhunderte hinaus fast völlig zerstört“173. Er weist mehrfach darauf hin, dass

die Schweiz durch den Schutz Frankreichs in eine „bedenkliche Abhängigkeit“174 geraten

war. Wilhelm Oechsli beruft sich somit auf eine Einigkeit, welche vor allem bis vor der Re-

formation bestanden habe.

Auch Eugen Halter spricht von einer ‚Schweizer Armee’: „Das war der gefürchtete Gevi-

derthaufen der Schweizer.“175 Er geht dabei sogar noch weiter und spricht vom „ersten

Kriegsvolk Europas“176. Dabei wird in den drei älteren Schulgeschichtsbüchern eine Ein-

heit konstruiert, welche in Tat und Wahrheit wohl wesentlich komplexer war. Schliesslich

konnte die Tagsatzung zwar übers Entsenden von Soldaten beraten, vollzogen werden

musste dieser Entscheid aber von den entsprechenden Obrigkeiten der Orte. Somit war

es durchaus möglich, dass auf dem Felde bei mehreren Kriegsparteien Schweizer unter

Vertrag standen und so gegeneinander kämpfen mussten. Eine Vorstellung, die in der

Zeit des Nationalstaates undenkbar ist. Während der Nationalismus auch als eine Form

von „Integrationsideologie“177 verstanden werden kann, wirkt die Tatsache des Kampfes

von Schweizern gegen Schweizer eher kontraproduktiv.

Markus Furrer betont, dass Nationen erfunden werden. „Nationen sind Produkte der Ge-

schichte und werden insofern ge- und auch erfunden, indem Völker ihre nationale Bin-

170 Weichlein, Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa, 2. 171 Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte, Band 2, 160. 172 ebd. 173 ebd. 174 Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte, Band 3, 152. 175 Eugen Halter, Vom Strom der Zeiten, Band 1, 108. 176 ebd, 109. 177 vgl. Markus Furrer, Die Nation im Schulbuch, 22.

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dung entdecken und schaffen.“178 Betrachtet man das Gebilde der Schweiz im frühen 16.

Jahrhundert etwas genauer, dann stellt sich die Frage, ob es nicht etwas übertrieben ist,

in diesem Zusammenhang von einer Nation zu sprechen. Schliesslich war die Eidgenos-

senschaft Teil des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation: „Auch im 16. Jahrhun-

dert blieb noch eine partielle Repräsentation eidgenössischer Orte im Reich gewahrt, al-

lerdings mit stetig abnehmender Tendenz; so dünnte die faktische wie rechtliche Zugehö-

rigkeit zum Reich allmählich aus.“179 Hobsbawm hat die Veränderung des Begriffs Nation

beschrieben: „Vor 1884 bedeutete das Wort ‚nación’ einfach ‚die Gesamtheit der Einwoh-

ner einer Provinz, eines Landes oder eines Königreiches’ und daneben ‚ein Fremder’. (…)

Die nação in der (jüngsten) Enciclopédia dia (sic!) Brasileira Mérito (1958-1964) ist‚ die

Gemeinschaft der Bürger eines Staates, die unter derselben Regierung oder Regierungs-

form leben und eine Interessengemeinschaft haben; die Gesamtheit der Einwohner auf

einem Territorium mit gemeinsamen Traditionen, Zielen und Interessen und einer Zent-

ralgewalt unterworfen, der die Wahrung der Einheit der Gruppe obliegt…’.“180 Wenn auch

die ältere Form noch halbwegs für die Schweiz benutzt werden könnte, so scheint rasch

klar, dass die neuere Definition des Begriffs Nation wenig auf die Schweiz der frühen

Neuzeit passt. Die Eidgenossenschaft war unbestritten ein loser Staatenbund. Die

Tagsatzung konnte zwar „Beschlüsse fassen, deren Durchsetzung vor Ort jedoch nicht

erzwingen.“181 Volker Reinhardt betont auch, dass die einzelnen Orte sehr wohl ihre eige-

nen Interessen verfolgten.182 Unter diesem Gesichtspunkt scheint das Sprechen von „der

einen Schweiz“ etwas heikel und für die Schülerinnen und Schüler, die die heutigen Ver-

hältnisse kennen, verwirrend.

Bei Franz Meyer kommt das einende Element weniger klar zum Ausdruck. Bereits in

Band 2 auf Seite 138 weist er darauf hin, dass die Kantone auch mal eigenmächtig han-

delten: „Bern hatte eigenmächtig erklärt, die Eidgenossen würden, so oft es der König

verlange, ihm mit 6’000 Mann bei seinen Kriegen helfen. Nicht einmal die Tagsatzung

kannte diese Abmachung!“183 Einige Seiten weiter zeigt er auch auf, dass die Kantone

nicht immer gleicher Meinung waren. So heisst es im Zusammenhang mit der Schlacht

von Marignano: „Und nochmals trennten sich die Söldner in zwei streitende Parteien. Zü-

rich und Zug bereiteten den Heimmarsch vor. Es blieben noch die waghalsigen Inner-

178 ebd., 35. 179 Volker Reinhardt, Geschichte der Schweiz, 45. 180 Eric Hobsbawm, Nationen und Nationalismus, 25f. 181 Volker Reinhardt, Geschichte der Schweiz, 33. 182 vgl. ebd., 47. 183 Franz Meyer, Wir wollen frei sein, Band 2, 138.

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schweizer, Glarner und Ostschweizer.“184 Würde Franz Meyer die Föderalismusproblema-

tik allerdings sauber durchziehen, so wäre auf Seite 185 nicht beschrieben, dass die

Schweizer Lodovico „treulos im Stich“ gelassen hatten. Vielmehr kämpften ja auf beiden

Seiten der Fronten Eidgenossen. Die aufmerksamen Schülerinnen und Schüler müssten

hier eigentlich fragen: „Welche Schweizer haben Lodovico im Stich gelassen?“ Es wäre

bei weitem verfehlt, zu behaupten, Franz Meyer konstruiere keinen nationalen Mythos um

die Reisläufer. Auf Seite 198 zitiert er einen französischen Heerführer namens Trivulzio,

welcher „von einem Kampf gegen Riesen“185 berichtet. Die Schweizer sollen ausserdem

ganz massiv in der Unterzahl gewesen sein: „In Marignano standen die Schweizer dann

vor einer Übermacht, die sie nicht besiegte, aber erdrückte.“186 Betrachtet man die zah-

lenmässige Übermacht, die Franz Meyer hier schildert (Infanterie 3:1, Artillerie 12:1 und

Reiterei 50:1), so stellt sich dem Schüler resp. der Schülerin hier wohl die Frage, was die

Schweizer dann besiegte, wenn eben nicht genau diese Ungleichverteilung der Soldaten.

Das Element der Übermacht verwendet Meyer noch einmal und zwar beim Kampf an der

Beresina 1812, wo 1’600 Schweizer gegen 40'000 Russen kämpften187. Er lässt es auch

nicht aus, sich auf Heilige zu berufen: „Nun besannen sich die Eidgenossen auf die Worte

ihres verstorbenen Bruder Klaus: ‚Mischt euch nicht in fremde Händel’.“188 Dieses Zitat,

welches in den letzten Jahren auch immer wieder von rechtspopulistischen Parteien ver-

wendet wird, wenn es darum geht, internationalen Organisationen nicht beizutreten, soll

wohl die schweizerische Neutralitätsvorstellung begründen. Das hier dargestellte Bild des

Schweizers, der neutral ist, geht aber nicht auf, wenn man dem Geschichtsbuch weiter-

folgt. Es werden immer weitere Beispiele bis Mitte des 19. Jahrhunderts von Schweizer-

söldnern im fremden Diensten aufgeführt. Also mischte sich die Schweiz – sofern das

Gebilde wirklich so genannt werden kann – sehr wohl auch weiter in fremde Händel. Spä-

testens bei der Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg vermerkt Franz Meyer die

Schweiz hätte „getreu der alten Überlieferung“189 gehandelt. Die Verweisung auf Bruder

Klaus kann aber sehr wohl unter nationalstaatlichen Gesichtspunkten geklärt werden. Bei

Markus Furrer gehört der „Bezug und der Verweis auf das Christentum“190 zu jenen Nati-

onalismen, die stark wirken. Franz Meyer scheint im Allgemeinen sehr bemüht, die militä-

184 ebd., 195. 185 ebd., 198. 186 ebd., 199. 187 Franz Meyer, Wir wollen frei sein, Band 3, 71. 188 Franz Meyer, Wir wollen frei sein, Band 2, 199. 189 vgl. Franz Meyer, Wir wollen frei sein, Band 3, 275. Vgl. auch Furrer, Die Nation im Schulbuch, 258. 190 Markus Furrer, Die Nation im Schulbuch, 23.

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rische Migration in ein positives Licht zu stellen. So schreibt er: „Ein böses Wort wird die-

sen Soldaten nachgesagt: ‚Die Schweizer sind käuflich! – Kein Geld, keine Schweizer’ –

Dieses Wort ist eine Lüge.“191 Die in der Folge angeführte Begründung, dass der Söldner

damals ein gewöhnlicher Handwerker war, mag zwar stimmen, widerlegt aber die Aussa-

ge nicht plausibel. Franz Meyer nutzt die Reisläuferei im Gegensatz zu seinen beiden

Vorgängern weit weniger als einendes Element. Vielmehr konstruiert er aber Schweizer

Helden, welche tapfer für fremde Herrscher kämpfen.

Die beiden jüngeren Lehrmittel benutzen die militärische Migration weniger im national-

staatlichen Kontext und behandeln die Reisläuferei, wie bereits erwähnt, kürzer. „Durch

Geschichte zur Gegenwart“ thematisiert dabei die Problematik des Geschichtsbewusst-

seins in den verschiedenen Jahrhunderten sogar explizit. Dadurch sei heute kaum mehr

feststellbar, was wirklich stimmt und was nicht. „Für die Eidgenossen war vor allem wich-

tig, dass ihre Vorväter genauso heldenhaft gewesen waren wie sie selbst. Auch mussten

diese immer im Recht, ihre Gegner (…) dagegen immer im Unrecht gewesen sein.“192

Damit wird auch auf eine heroisierte Darstellung der Söldner verzichtet. Vielmehr ver-

sucht das Autorenteam, ihren Erfolg durch objektive Faktoren zu erklären, eine Forderung

der geschichtsdidaktischen Neuorientierung nach 1970193. So wird in „Durch Geschichte

zur Gegenwart“ der Erfolg vor allem auf die eidgenössische Taktik zurückgeführt: „Ihre

ganz auf Angriff ausgerichtete, oft tollkühne Kampfweise enthüllte die Unbeweglichkeit

der Ritter, besonders dort, wo auch das Gelände für diese ungeeignet war.“194 Das jüngs-

te Geschichtslehrbuch „Menschen in Zeit und Raum“ behandelt die Reisläuferei noch

knapper. In Band 8 auf Seite 22 heisst es, dass sich die jungen Schweizer als Söldner

verdingten. Durch das Wort „verdingen“ verliert der Mythos des tapferen Helden, der auf

dem fremden Feld kämpft, noch zusätzlich an Wirkung.

6.5.2.3 „Arm ausgezogen – verroht zurückgekehrt“

Sehr unterschiedlich wird in den fünf Lehrmitteln auch die Frage nach der Motivation der

jungen Schweizer, sich als Söldner anheuern zu lassen, dargestellt. Wilhelm Oechsli

schreibt: „Es brachte den auf den Schlachtfeldern Frankreichs und Italiens tapfer kämp-

fenden Schweizern wohl Ansehen und Reichtum (…); denn Hohe und Niedere gewöhnten

191 Franz Meyer, Wir wollen frei sein, Band 3, 50. 192 Durch Geschichte zur Gegenwart II, 147. 193 vgl. Kurt Messmer, Geschichtsunterricht in der Zentralschweiz, 57ff. 194 Durch Geschichte zur Gegenwart III, 112.

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sich daran, um fremdes Gold Ehre, Heimat und Leben zu Markte zu tragen.“195 Er stellt

damit die Tätigkeit des fremden Dienstes auf die Stufe einer normalen handwerklichen

Tätigkeit, welche gefährlich war und vom Soldaten foderte, für eine fremde Macht zu

kämpfen. Junge Schweizer erhalten dafür Geld, dass sie unter fremden Fahnen kämpfen.

Dabei zeigt sich, dass die Tatsache auf fremdem Feld im Dienst zu stehen, in der Zeit des

Nationalstaates erklärungsbedürftig ist. Auch Franz Meyer versucht den Dienst auf frem-

dem Feld zu erklären. Dabei nimmt er vermehrt ökonomische Gesichtspunkte zu Hilfe:

„Jeder gibt, was er hat! Weizen und Salz, freie Strassen und Fässer voll Gold wurden un-

seren Vätern vom Ausland geboten. – Was konnten die Eidgenossen dafür hergeben? –

Es klingt hart: die Jugend des Volkes!!...“196 Damit liefert er eine Rechtfertigung, weshalb

Soldaten aufgeboten wurden.

Für die beiden neueren Schulgeschichtsbücher scheint der Umstand, dass Schweizer im

Ausland kämpfen viel weniger ein Problem zu sein. „Durch Geschichte zur Gegenwart“

hält fest, dass sich die schweizerischen Krieger „durch eine lange Reihe militärischer Er-

folge“197 als „die Besten ihrer Zeit“198 hervortaten, weshalb sie ins Interesse der fremden

Herrscher stiessen. Auch das Lehrbuch „Menschen in Zeit und Raum“ geht ganz ähnlich

vor. Im Gegensatz zu „Durch Geschichte zur Gegenwart“ wird aber nur über die wirt-

schaftliche Not begründet, weshalb die Schweizer begehrte Krieger waren. Damit unter-

lassen es beide Geschichtsbücher, darauf einzugehen, dass der Reisläufer in irgendeiner

Weise seine Ehre erkämpft oder seine Heimat verraten hätte. Vielmehr wird von einem

ökonomischen Ursache-Wirkungsprinzip ausgegangen, das die militärische Migration er-

klärt.

So einträglich wie zum Teil geschildert, scheint aber die Reisläuferei nicht gewesen zu

sein. Während die meisten Lehrmittel diese Problematik ausser Acht lassen, äussert sich

Eugen Halter recht deutlich: „Manche kehrten mit vollen Taschen zurück, andere aber oft

sogar ohne den vereinbarten Sold.“199 Gleichzeitig wird auch darauf hingewiesen, dass

der „fremde Kriegsdienst (…) die Taschen der Patrizier und die Kassen der Orte“200 füllte.

Unumstritten ist allerdings in allen untersuchten Schulgeschichtsbüchern, dass die zu-

rückgekehrten Reisläufer oft ein Problem darstellten. Wilhelm Oechsli nennt mehrmals,

dass viele Söldner umkamen oder verletzt wurden: „darüber nahm das Volk an Haupt und

195 Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte, 160. 196 Franz Meyer, Wir wollen frei sein 3, 48. 197 Durch Geschichte zur Gegenwart 3, 112. 198 ebd. 199 Eugen Halter, Strom der Zeiten 1, 109. 200 Eugen Halter, Strom der Zeiten 2, 54.

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Gliedern den schwersten Schaden.“201 Franz Meyer beschreibt die heimgekehrten Reis-

läufer. „Sie brachten Laster und Krankheiten heim, hielten sich an keine Ordnung mehr

und schreckten nicht zurück vor Raub und Totschlag.“202 Ganz ähnliche Probleme werden

auch in „Menschen in Zeit und Raum“203 erwähnt.

Die negativen Auswirkungen kommen insbesondere auch in der Beschreibung Huldrich

Zwinglis zum Ausdruck. Dieser wird in allen fünf Lehrmitteln als Gegner des Reislaufs

beschrieben. Allerdings wird die Motivation Zwinglis doch deutlich unterschiedlich darge-

stellt. Wilhelm Oechsli sieht in der Tatsache, dass fremde Herrscher „nach Belieben im

Land Söldner“204 werben können, Zwinglis Grund, sich gegen den Reislauf einzusetzen.

Oechsli nennt somit eine rein politische Ursache. Dagegen sieht Eugen Halter Zwinglis

Erlebnisse in Marignano205 als Hauptgrund, während sich Zwingli bei Franz Meyer auf

Bruder Klaus206 beruft, damit also religiös argumentiert. Die beiden aktuellen Lehrmittel

begründen Zwinglis Haltung ähnlich wie Eugen Halter in den Grausamkeiten, die der Re-

formator in Marignano erlebte. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass es in Tat

und Wahrheit vor allem religiöse Überlegungen waren, welche Zwingli dazu bewogen,

sich gegen die Anheuerung von Söldnern einzusetzen. In einem Brief schreibt er 1522 an

die Schwyzer: „Die Solddienste (…) höhlen durch den ins Land strömenden Luxus die

Schweiz von innen her aus; sie zerstören die einfachen Sitten, die Bedürfnislosigkeit und

die genossenschaftliche Solidarität. Dadurch aber werde die Eidgenossenschaft ihres

göttlichen Schutzes verlustig gehen, der die ununterbrochene Reihe ihrer Schlachtensie-

ge gegen übermächtige Gegner gewährleistet habe. Allein die Rückbesinnung auf die

unveräusserlichen Werte intakter Moral und brüderlichen Zusammenhalts garantiere den

Fortbestand des Bundes untereinander und mit Gott.“207

Es erstaunt, dass obwohl die drei älteren Lehrmittel immer wieder‚ den Schweizer Hel-

den’208 auf dem fremden Feld konstruieren, die verschiedenen Probleme der militärischen

Migration doch auch immer andeuten. Gerade damit wird den Reisläufern die bereits er-

wähnte Ehre wieder abgesprochen. Die neueren Lehrmittel geraten weniger in diese

Problematik. „Durch Geschichte zur Gegenwart“ spricht das Thema des sich wandelnden

Geschichtsbildes sogar explizit an.

201 Wilhelm Oechsli, Bilder der Weltgeschichte 2, 160. 202 Franz Meyer, Wir wollen frei sein, 170ff. 203 vgl. Menschen in Zeit und Raum 7, 154. 204 Wilhelm Oechsli, Bilder der Weltgeschichte 2, 267. 205 vgl. Eugen Halter, Vom Strom der Zeiten, 21. 206 vgl. Franz Meyer, Wir wollen frei sein 2, 236. 207 Volker Reinhardt, Geschichte der Schweiz, 51. 208 vgl. vorhergegangenes Kapitel

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6.5.2.4 Der Schweizer Söldner in der Französischen Revolution

Der König von Frankreich gehörte seit jeher zu den grössten Abnehmern von Schweizer

Söldnern. So standen auch zu Beginn der französischen Revolution zahlreiche Schweizer

im französischen Dienst. Diese Reisläufer kamen bei den Aufständen zwischen die Fron-

ten der aufgebrachten Bevölkerung einerseits und des Königshauses andererseits. Be-

trachtet man die Schilderungen in den fünf untersuchten Lehrbüchern, stellt man fest,

dass die betreffenden Vorfälle recht unterschiedlich gewichtet werden. Bei Wilhelm

Oechsli werden die Söldner beim Sturm auf die Bastille erst von den einheimischen Trup-

pen im Stich gelassen209, beim Tuileriensturm dann auch noch vom König: „Dennoch er-

folgte der Angriff auf die aus 750 Schweizern bestehende Schlosswache. Durch die

wuchtigen Ausfälle treiben die tapferen Söldner die Menge der Angreifer zurück; da er-

hielten sie vom König den Befehl, das Feuern einzustellen, und mussten sich beim Rück-

zug wehrlos niedermetzeln lassen.“210 Bei einer solchen Darstellung stellt sich aus didak-

tischer Sicht rasch die Frage nach der Vermittlung von Feindbildern211. Es wird wohl

kaum davon ausgegangen werden können, dass die Schweizer Söldner nur Opfer waren,

dagegen die französischen Aufständischen grausame Unmenschen. Eugen Halter be-

schreibt die chaotische Situation dezenter, indem er Kommunikationsprobleme für das

Gemetzel mitverantwortlich macht: „Doch wie sie aus dem Garten treten, stürzt sich der

Pöbel auf sie und metzelt die meisten nieder. Viele haben den Ruf der Sammlung nicht

vernommen; sie kämpfen weiter, einer gegen hundert, und fallen. Schrecklich werden die

Leichen verstümmelt.“212 Auch wenn die Unterschiede gering anmuten, so scheint bei

Oechsli, der König die schweizerischen Söldner zu opfern, während in Eugen Halters

Darstellung vielmehr unglückliche Umstände die Situation verursachten. Franz Meyer

schliesst sich Oechsli an und beschreibt die französischen Aufständischen allerdings

noch skrupelloser: „Nun sind die Schweizer waffenlos ihren Feinden ausgeliefert. (…) Die

Schweizer wurden wie Tiere abgeschlachtet, zerhackt und geschändet.“ Somit entsteht

auch hier ein Bild des Königs, der seine treuen Söldner den bestialischen Franzosen ü-

berlässt und sie opfert. „Durch Geschichte zur Gegenwart“ geht ebenfalls davon aus,

dass die Schweizer Söldner von der Nationalgarde im Stich gelassen wurden. Anhand

eines Augenzeugenberichtes kommt die Grausamkeit der Franzosen zum Ausdruck: „A-

209 vgl. Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte 3, 120. 210 ebd., 133. 211 vgl. Schmid, Vorurteile und Feindbilder, 315ff. 212 Eugen Halter, Vom Strom der Zeiten 2, 63.

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ber jetzt nachdem sie sich ergeben hatten, fiel man jämmerlich über sie her, zwanzig über

einen, und ermordete sie. Man hat sie totgeschlagen, wo man sie fand…, man hat sie

lebendig ins Feuer geworfen, man hat sie geschunden und verstümmelt… Selbst die to-

ten Körper blieben von keiner Art der Misshandlung frei.“213 Die französischen Aufständi-

schen in „Durch Geschichte zur Gegenwart“ könnten kaum grausamer dargestellt werden

und schrecken dabei selbst vor Leichenschändung nicht zurück. Allerdings werden hier

keine weiteren Umstände angegeben. Die Darstellung der gefallenen Soldaten kann als

deutliches Zeichen des Nationalismus verstanden werden. Weichlein zeigt auf, wie zent-

ral die „Demokratisierung des Gefallenengedenkens“ und damit auch die Kriegsmythen214

für die nationale Einheit waren.

Das jüngste Lehrmittel „Menschen in Zeit und Raum“ geht das Thema der Französischen

Revolution viel dezenter an und behandelt diese nur auf drei Seiten. Damit kommt die

schweizerische Präsenz am französischen Hofe mit keinem Wort zum Zug. Die Frage ist

aus didaktischer Sicht äusserst brisant. Welche Schlachtdarstellungen im Zusammen-

hang mit dem Kampf um den Tuilerienpalast sind notwendig. Die Französische Revoluti-

on steht mehr als irgendein anderes geschichtliches Ereignis für die Demokratisierung

Europas und das, obwohl die von der Französischen Revolution verkörperten Werte kei-

nes Falls neu waren. Das Wissen um die Schweizer Söldner am Hofe Frankreichs hilft

dem Schüler, der Schülerin, z.B. die Existenz des Löwendenkmals in Luzern zu erklären.

Allerdings bleibt festzuhalten, dass diese Söldner sicherlich nicht als besonders zentrale

Aspekte der Französischen Revolution angesehen werden können. Wäre die königliche

Garde aus Bulgaren oder Spaniern zusammengesetzt gewesen, wären diese wohl eben-

so wie die Schweizer Söldner zwischen die Fronten geraten.

6.5.3 Siedlungswanderung nach europäischen Zielen

Die Siedlungsauswanderung von Schweizerinnen und Schweizer nach europäischen Zie-

len kann als Vorform der überseeischen Auswanderung, insbesondere auch der transat-

lantischen Wanderung angesehen werden. In den untersuchten Schulgeschichtsbüchern

wird aber nur sehr vereinzelt auf die europäische Auswanderung eingegangen. Eine Aus-

nahme dazu stellt Franz Meyers „Wir wollen frei sein“ dar, welches die schweizerische

Siedlungsmigration nach Europa auf insgesamt 13.25 Seiten darstellt. Er beginnt mit ei-

213 Durch Geschichte zur Gegenwart, 175. 214 vgl. Weichlein, Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa, 92-94 und 128-131.

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ner eher kurzen Beschreibung der Hugenottenauswanderung215 nach Frankreich zu Be-

ginn der Reformation und leitet dabei auch die Herkunft des Begriffs Hugenotten aus Eid-

genossen her. Nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes sind nach Meyer wieder eini-

ge dieser Hugenotten in die Schweiz zurückgekehrt.

Meyer widmet sich weiter auf zwölf Seiten der Auswanderung aus dem Tessin. Die Einlei-

tung dieses Kapitels mutet eher eigenwillig an. Anhand eines fiktiven Briefes eines Do-

menicos schildert Meyer das Heimweh, das die Tessiner hatten, welche ausserhalb einer

Erwerbsbeschäftigung nachgingen. Es folgt die Begründung für die Auswanderung aus

dem Tessin. Dabei wird das Bild eines Kastanienbraters zu Hilfe genommen: „Jeder kennt

den Kastanienbrater. Sein Feuerchen spendet Wärme, seine braunen Früchte knistern,

duften in unseren kalten Händen: ‚Maroni! Eissi Maroni!’ Dieser liebenswürdige Tessiner

erinnert uns jeden Winter an Tausende seiner Landsleute, die seit Jahrhunderten Täler

und Dörfer verlassen, um in der Fremde das Brot zu verdienen, das ihnen die Heimat

nicht geben kann.“ Die Passage mutet wie ein Vorspiel eines Theaters an, bei dem mit

viel Kolorit eine pseudoromantische Stimmung hergezaubert wird. Meyer beschreibt die

verschiedenen Herkunftsräume im Tessin und schafft dabei als einziger der untersuchten

Lehrmittel den Zusammenhang zwischen Herkunfts-, Zieldestination und ausgeführtem

Handwerk. Auch wenn die einzelnen Gruppen eher beschönigt216 werden, gibt dieses Ka-

pitel einen sehr ausführlichen Überblick über das Wandergeschehen im Tessin wieder.

Nach zwei Seiten ist aber dieser Überblick auch schon zu Ende. Nun widmet sich Franz

Meyer der Darstellung von sieben Architekten, welche aus dem Tessin auswanderten und

in ganz Europa – vor allem aber in Italien und St. Petersburg – grossen Ruhm erlangten.

Das mengenmässige Ungleichgewicht zwischen den sieben erfolgreichen Architekten und

der allgemeinen Auswanderung aus dem Tessin im Verhältnis 2:1 verzerrt die Realität

doch mehr, als dass sie aufklären würde. Besonders unter der Tatsache, dass Franz

Meyer auf die überseeische Siedlungsmigration praktisch gar nicht eingeht, stellt sich die

Frage, ob die Schweizer Auswanderer nur oder mehrheitlich aus erfolgreichen Tessiner

Bauherren und einigen „Marronibratern“ bestand. Die Architekten werden in ein glorrei-

ches Licht gestellt und beinahe heroisiert. So heisst es zum Beispiel von Domenico Trez-

zini, der im Geschichtsbuch übrigens gleich an zwei Stellen behandelt wird: „Sie starben

wie Fliegen! Trezzini hielt durch! Trezzini baute, baute 30 Jahre lang! Kein anderer Tessi-

215 vgl. Franz Meyer, Wir wollen frei sein 3, 29. 216 So wird z.B. im Zusammenhang mit den Spazzacamini nicht erwähnt, dass die Kinder mehrheitlich von ihren Eltern verdingt wurden und zum Teil unter widerlichsten Bedingungen arbeiten mussten.

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ner hat je eine solche Bauarmee beherrscht wie er.“217 Nach dem Kapitel über die Tessi-

ner Bauherren folgt noch die Beschreibung von zehn „Forschern und Gelehrten“. Darun-

ter sind einige, welche für ihre Studien ebenfalls innerhalb von Europa auswanderten. Da

die Passagen für die allgemeine schweizerische Migrationsgeschichte eher unbedeutend

sind, wird hier nicht weiter darauf eingegangen.

Weder Wilhelm Oechsli noch Eugen Halter gehen wirklich auf die schweizerische Sied-

lungsmigration nach europäischen Destinationen ein. Oechsli beschreibt in Band 2 auf

Seite 302 nur ganz kurz, dass Wiedertäufer aus der Schweiz nach Holland und seinen

Kolonien auswanderten. Die Auswanderung innerhalb von Europa wird in „Durch Ge-

schichte zur Gegenwart“ ebenfalls nur am Rande erwähnt. Im Zusammenhang mit gros-

sen Schweizer Industriellen kommt zum Ausdruck, dass z.B. Johann Jakob Sulzer im eu-

ropäischen Ausland studierte218. Allerdings ist auch diese Passage äusserst kurz und gibt

für die Auswanderungsthematik fast nichts her. Im Gegensatz zu den älteren Geschichts-

büchern kommt die europäische Siedlungsauswanderung aus der Schweiz aber beim

jüngsten untersuchten Schulgeschichtsbuch „Menschen in Zeit und Raum“ qualitativ et-

was breiter vor, wenn sie auch quantitativ immer noch sehr knapp gehalten wird. Im Zu-

sammenhang mit dem aufgeklärten Absolutismus in Preussen beschreibt das Autoren-

team, dass König Friedrich II. die Einwanderung förderte: „60'000 Menschen wurden

deswegen umgesiedelt und die Einwanderung nach Preussen gefördert. “219 Auch wenn

die explizite Erwähnung der Schweiz fehlt, könnte hier die schweizerische Auswanderung

nach Preussen zwischen die Zeilen hineingelesen werden. Im Band 9 widmet sich das

Lehrmittel dem Übergang von der Auswanderung nach Europa zur überseeischen Sied-

lungsmigration. Dabei wird auch auf düstere Kapitel eingegangen: „Arme Bauernfamilien

in der Schweiz schoben auch Kinder ins südliche Deutschland ab, wo sie als Knechte und

Mägde auf grossen Höfen nördlich des Bodensees arbeiten mussten.“220 Die Wanderjah-

re, welche früher ein Handwerksgeselle absolvieren musste, werden ebenfalls in „Men-

schen in Zeit und Raum“ thematisiert221 und anhand einer Beispielkarte eines Charles

Baumann aus Thun verbildlicht. Auch wenn die drei Beispiele aus „Menschen in Zeit und

Raum“ immer noch relativ kurz sind, muss doch festgehalten sein, dass sie ein Bild über

unterschiedliche europäische Ziele und die Gründe aufzeigen, weshalb Menschen sich

entschlossen, zu migrieren. 217 Franz Meyer, Wir wollen frei sein 3, 89. 218 vgl. Durch Geschichte zur Gegenwart 2, 60. 219 Menschen in Zeit und Raum 7, 163. 220 Menschen in Zeit und Raum 8, 22. 221 vgl. ebd., 184.

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Sieht man vom eben besprochenen jüngsten Lehrmittel ab, muss festgehalten werden,

dass der schweizerischen Siedlungswanderung nach Europa zu wenig resp. kein Platz

eingeräumt wird, oder die Thematik nur einseitig gewichtet wird, was besonders bei Franz

Meyer der Fall ist.

Abbildung 14: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in Oechslis „Bilder aus der Weltge-schichte“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate

2 302 • Nennung der Widertäufern, welche sich in Holland ansiedelten; u.a. auch aus der Schweiz

Abbildung 15: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in Franz Meyers „Wir wollen frei sein“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 3 29f • Hugenottenwanderung

• Wortherleitung „Hugenotten“ aus Eidgenossen

3 40f • Geschichte des Tessiners Baumeisters Trez-zini aus Astano in St. Petersburg.

„Trezzinis spitze Türme überragten das weite Häusermeer. Als goldenes Tor öffnete sich Petersburg gegen Westen. Hier liefen die Hauptverkehrswege zu Land und zur See zusam-men.“

3 80f • Ein Brieflein und ein Wandbild • Steinhauer, der am St. Petersdom in Rom

arbeitet. • Wandbild „Der Auswanderer in Chiasso“

3 81f • Gründe für die Auswanderung • Keine Verdienstmöglichkeiten im Tessin • Unterdrückung durch die Gnädigen Herren

Schweizer

„Begabung und Unternehmergeist trieben sie zu eigener Ar-beit, zur Übernahme eigener Verantwortung.“

3 82ff • Talschaften und Bruderschaften • 8 Gebiete und ihre Ziele

3 84 • Pietro Solari: Er baute die Kremltürme 3 85f • Domenico Fontana: Er versetzt Obelisken

• Sixtinische Kapelle, Vatikanische Bibliothek, Kuppel des Petersdoms, Obeliskenverschie-bung, Restaurierung der Triumphsäulen des Trajan und des Marc Aurel etc.

„Er zeichnete unermüdlich Pläne für Paläste und Strassen. Er baute Wasserleitungen, Brunnen und Brücken.“

3 87 • Carlo Maderno: Die Fassade von Sankt Peter • Neffe von Domenico Fontana • Nachfolger von Domenico Fontana

3 87f • Francesco Borromini: Das ist Barock • Ebenfalls verwandt mit Maderno • Streit mit Madernos Nachfolger Bernini

„Als Vater des schwungvollen Barockstils ging er seiner Zeit voraus. Und das ertrugen viele seiner Rivalen nicht.“

3 88f • Domenico Trezzini: Petersburg, das bin ich „Sie starben wie Fliegen! Trezzini hielt durch! Trezzini baute, baute 30 Jahre lang! Kein Tessiner hat je eine solche Bauar-mee beherrscht wie er.“

3 89f • Petro Morettini: Festungen und Tunnels • Militäringenieur in Holland, Schweiz und

Genua

3 90f • Gaetano Pisoni: Ein fremder Fötzel • Pisoni wird als Fremder betrachtet und ange-

griffen. Danach gibt er auf. • Auf Gaetano folgt sein Neffe Antonio Pisoni • Am Schluss folgt noch ein Dialog zwischen

Antonio und einem Handwerker.

Abbildung 16: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in „Durch Geschichte zur Gegenwart“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 60 • Studium von Industriellen im Ausland nur Nennung

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Abbildung 17: Siedlungsmigration nach europäischen Zielen in „Menschen in Zeit und Raum“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 7 163 • Kurze Nennung, dass Preussen Menschen

umsiedelten und die Einwanderung förderte.

8 22 • Abschiebung von Kindern ins südliche Deutschland

8 184 • Wanderjahre nach der Lehre mit Karte von Charles Baumann

„Die Wanderjahre dienten vor allem der Weiterbildung. Die Gesellen reisten zum Teil durch ganz Europa. Wer eine solche Lehre ausserhalb des Hauses machte, musste sich in den Haushalt des Lehrmeisters einfügen…“

6.5.4 Siedlungswanderung nach Nordamerika

Die Siedlungswanderung nach Nordamerika stellt zweifelsohne den grössten Auswande-

rungsstrom aus der Schweiz dar. Bereits Wilhelm Oechsli geht mehrfach auf die transat-

lantische Siedlungswanderung ein. Allerdings sind beim ihm die Passagen, welche die

Siedlungswanderung nach Nordamerika im Kontext der Schweiz beschreiben, selten.

Oechsli erwähnt zu Beginn die Wiedertäufer222, welche im 17. und 18. Jahrhundert auch

aus der Schweiz nach dem Gebiet der heutigen USA auswanderten. Im Kapitel223, das

sich mit den Vereinigten Staaten befasst, nennt Oechsli immer wieder die ausgewander-

ten Europäer, allen voran Franzosen, Engländer und Deutsche. Schweizer kommen prak-

tisch nicht zur Sprache. Hier zeigt sich das bereits angesprochene Problem der Dichoto-

nie zwischen einer Schweizer- und einer Weltgeschichte. Oechsli setzt den Fokus sehr

stark auf die Welt und schafft für den Schüler, die Schülerin den Bezug zur Schweiz nur

selten. Einzig im Zusammenhang mit Goldfunden auf dem Grundstück des „Schweizers

Suter“224 kann zumindest eine Beteiligung der Eidgenossen abgeleitet werden. Auf die

sozialen Probleme, die die Immigranten in Nordamerika erlebten, wird nicht eingetreten.

Als Schwierigkeiten für die Einwanderer kommen lediglich die Puritaner, welche keine

„Unduldsamkeit“225 akzeptierten, „skrupellose Rothäute“226, die Sklaverei als unrühmli-

ches Kapitel227 und die „Kultur des Wilden Westens“228 zur Sprache. Gleichzeitig wird auf

Seite 261 mit dem Heimstättengesetz sogar ein Bild vermittelt, das impliziert, dass das

Fussfassen in Amerika ökonomisch einfach war: Jeder „amerikanische Bürger oder jeder

Einwanderer, der es werden wollte, erhielt unentgeltlich Land angewiesen, und wenn er

es fünf Jahre lang bebaut hatte, ging es in seinen Besitz über. So wurde es auch unbe-

222 vgl. Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte 3, 71. 223 ebd., 256ff. 224 vgl. ebd., 261. 225 vgl. ebd., 100. 226 ebd. 227 ebd. 228 vgl. ebd., 261.

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mittelten Einwanderern möglich, sich eine neue Heimat durch Arbeit zu erwerben.“229

Heute wissen wir, dass es weitaus komplexer ist, als den Erfolg der Auswanderer pau-

schal zu klassifizieren. Während einige durch harte Arbeit durchaus einen sozialen Auf-

stieg erlebten, endete für andere der Entschluss, ein neues Leben anzufangen, in einem

ökonomischen Desaster. Diese Frage wurde auch in der Literatur höchst kontrovers be-

handelt. Es ergäbe wohl eine eigene Masterthese, möchte man diese Fragestellung

schlüssig untersuchen. Dennoch soll hier auf Ritzmann-Blickenstorfer hingewiesen wer-

den, der die Frage nach dem Erfolg wie folgt beantwortet: „Nachdem sich die schweizeri-

sche Migrationsforschung ausgiebig mit den Schattenseiten der Überseeauswanderung

befasst hat, scheint es uns an der Zeit, daran zu erinnern, dass es selbst unter den

‚Landmännern’ und ‚Landfrauen’ viele gab, die nicht zu bereuen brauchten, dass sie die

Courage aufgebracht hatten, über ihren eigenen Schatten zu springen und die Flucht

nach vorn anzutreten.“230

Ähnlich wie Oechsli geht auch Eugen Halter vor und berichtet nur kurz über die Schwei-

zer Auswanderer nach Nordamerika: „Nach den Hungerjahren 1816/17 und in späteren

Krisenzeiten verliessen Scharen die enge Heimat, um in den weiten Ländern Amerikas

Haus und Hof zu erbauen.“231 Weitere Ausführungen insbesondere im Kontext der

Schweiz fehlen. Auch hier wird ein einseitiges Bild vermittelt, welches einen einfachen

Aufstieg darstellt und die lange harte Arbeit oder die geografischen und sozialen Proble-

me, mit denen sich Immigranten oft konfrontiert sahen, verschweigt.

Bei Franz Meyer wird die Nordamerikawanderung gar nicht thematisiert. Erst in den bei-

den aktuellen Lehrmitteln finden sich wirklich übersichtlichere und differenziertere Darstel-

lungen der Auswanderung über den Atlantik. „Durch Geschichte zur Gegenwart“ widmet

im zweiten Band gleich sieben Seiten232 der Auswanderung nach Nordamerika. Neben

Sekundärtexten werden auch mit Hilfe von zahlreichen Quellen soziokulturelle Hinter-

gründe vermittelt. Dabei kommen sowohl Migranten, wie auch Daheimgebliebene zu

Wort. Anhand einer Tabelle ist das quantitative Ausmass der Nordamerikawanderung

dargestellt. Dieses Kapitel wäre eigentlich ein allgemeines Schweizer Auswanderungska-

pitel, thematisiert jedoch praktisch nur die Nordamerikawanderung. Dennoch ist das Kapi-

tel äusserst vielschichtig und ermöglicht dem Leser differenzierte Einsichten über den

Wanderungsentscheid, die Überfahrt und den Neuanfang in der Neuen Welt. Zum

229 Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte 3, 262. 230 Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 621. 231 Eugen Halter, Vom Strom der Zeiten 2, 119. 232 Durch Geschichte zur Gegenwart 2, 210.

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Schluss des Kapitels wird der Bogen mit der Geschichte von 400 Bauernfamilien, die zwi-

schen 1973 und 1980 nach Kanada auswanderten bis in die heutige Zeit geschlossen.

Das andere neuere Lehrmittel, „Geschichte in Zeit und Raum“ verfügt über ein ähnliches

Kapitel, das die überseeische Auswanderung thematisiert. Allerdings ist es mit drei Seiten

wesentlich kürzer233. Der Fokus wird auch hier stark auf die USA als Destination gelegt.

Weitere Beschreibungen der Auswanderung nach Nordamerika findet man in Band 8 auf

den Seiten 22 und 23 sowie ab Seite 76. Es bleibt festzuhalten, dass im letztgenannten

Abschnitt, bei dem es um die „Entstehung des modernen Staates“ geht, die Schweizer

kaum erwähnt werden234 und vielmehr die gesamteuropäische Migration im Zentrum

steht. Als einziges Lehrmittel zeigt „Menschen in Zeit und Raum“ auf, dass die Amerika-

wanderung die Siedlungsmigration innerhalb von Europa235 ablöste. Bei den Gründen, die

die Migration begünstigten, werden vor allem Pushfaktoren angeführt. Es wird darauf hin-

gewiesen, dass die Menschen oft nur unzuverlässige Nachrichten über die Situation in

den USA hatten. Es heisst: „So lockte z.B. der Bahnbau mit Tausenden neuer Stellen

nicht mehr Menschen in die USA.“236 Gleichzeitig findet sich rund 58 Seiten weiter hinten

eine Aufgabe zum Thema „Schema: Auswanderungsgründe“. Anhand der Quelle 15 wird

der Schüler, die Schülerin die Bedeutung des Eisenbahnbaus für die nordamerikanische

Auswanderung herausarbeiten. Damit widerspricht sich das Lehrmittel gleich selbst. Der

Einfluss des Eisenbahnbaus auf die Einwanderung in den USA ist in den letzten 130 Jah-

ren von den Historikern kontrovers diskutiert worden. Ritzmann stellte die schweizerische

Überseeauswanderung in einer Grafik237 den amerikanischen Gleisbauinvestitionen ge-

genüber und stellt fest, dass beide Grössen korrelieren. So schreibt er: „Erst durch den

Eisenbahnbau wurden ja die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die in den ‚Great

Plains’ gelegenen Bundesstaaten und Territorien auch besiedelt werden konnten, nach-

dem sie zunächst nur formal in Besitz genommen worden waren.“238 Die konträren Aus-

sagen im „Menschen in Zeit und Raum“ dürften hier eher verwirren. Allerdings bieten sie

gleichzeitig die Möglichkeit, mit den Schülerinnen und Schülern Geschichtsbilder zu hin-

terfragen und sich Gedanken zu machen, was objektiv ist und was nicht. Für eine vertiefte

Auseinandersetzung fehlen in „Menschen in Zeit und Raum“ Zitate von Schweizerinnen

233 vgl. Geschichte in Zeit und Raum 8, 22; verknüpfbar mit S. 26 234 Eine Ausnahme bildet Seite 80 in Band 8 auf der steht: „Wähle Europa, weil Deutschland und die Schweiz in Europa liegen.“ 235 vgl. ebd., 22. 236 ebd., 23. 237 vgl. Ritzmann, Alternative Neue Welt, 59. 238 ebd., 259.

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und Schweizern, mit denen der Schüler resp. die Schülerin in der Lage wäre, das Emp-

finden von Migranten zu verstehen. Somit wird die Frage, was die Schweizerinnen und

Schweizer in ihrer neuen Heimat vorgefunden haben, offen bleiben. Die Autoren be-

schränken sich darauf, von „Risiko“ und „Gefahren“ zu sprechen, ohne diese weiter aus-

zuführen.

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass insbesondere die beiden neueren Lehrmit-

tel recht vielschichtig auf die schweizerische Auswanderung nach Nordamerika eingehen.

In beiden Geschichtsbüchern wird die USA stellvertretend als Zielgebiet in Übersee be-

sprochen. Die Aussagen entsprechen mehrheitlich dem aktuellen Stand der Geschichts-

wissenschaft. Durch den Bezug zur Gegenwart wird ein zeitübergreifendes und vertieftes

Migrationsverständnis geschaffen. Die drei älteren Lehrmittel gehen nur sehr knapp und

wenig strukturiert auf diesen Aspekt der Geschichte ein. Das vielseitigste und umfas-

sendste Angebot macht „Durch Geschichte zur Gegenwart“. Das breite Quellenangebot

und die übersichtliche Tabelle stellen viele soziale Facetten der Migration breit gefächert

dar. Dennoch fehlt hier der Vergleich mit anderen Destinationen. Dies würde womöglich

die Vorzüge eines Zielraums gegenüber einem anderen verdeutlichen oder die regionalen

Herkunftsunterschiede mit den unterschiedlich gewählten Zielgebieten aufzeigen.

Abbildung 18: Siedlungsmigration nach Nordamerika in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltge-schichte“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 3 71 • Nennung Wiedertäufer „In der Schweiz kam es noch zweimal, 1656 und 1712, zu Religionskrie-

gen, und die Wiedertäufer, die sich der Staatsreligion nicht fügen wollten, wurden z.B. in Bern durch Jahrhunderte verfolgt und vertrieben.“

3 100 • Allgemeine Geschichte der Entste-hung der USA

„Immer mehr europäische Auswanderer, namentlich Religionsflüchtlinge aller Nationen, neben Engländern und Iren, zahlreiche Deutsche und Franzosen kamen herüber, um in dem rauhen, aber freien Farmerleben das Glück zu finden, das man ihnen zu Hause verkümmerte, und bevöl-kerten den Küstenraum der Alleghanies mit freundlichen Gehöften, Dörfern und Städten.“

3 261 • Beschreibung der Einwanderung durch Europäer

• Goldfunde, die 1848 auf dem Gute eines Schweizers gemacht wurde.

Vor allem Fokus auf Deutsche, Schotten und Iren „…jeder Einwanderer … erhielt unentgeltlich Land angewiesen“ nach 5 Jahren Schenkung

3 265 • Beschränkung der Zulassung • Kein Bezug zur Schweiz

Abbildung 19: Siedlungsmigration nach Nordamerika in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 119 • Kurze Erwähnung „Nach den Hungerjahren 1816/17 und in späteren Krisenzeiten verlies-

sen Scharen die enge Heimat, um in den weiten Ländern Amerikas Haus und Hof zu erbauen.“

2 125/6 • Ableitbar, aber keinerlei Erwähnung der Schweizer

„Bis zur Jahrhundertmitte suchten die meisten Auswanderer eine neue Heimat in den Vereinigten Staaten; in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-hunderts fuhren immer mehr Ansiedler nach Kanada, Südafrika, Austra-lien oder Neuseeland. Das gemässigte Klima dieser Gebiete eignet sich vortrefflich für Europäer.“

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Abbildung 20: Siedlungsmigration nach Nordamerika in „Durch Geschichte zur Gegenwart“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 35 • Nennung: Auswanderung als Alter-

native zur Heimarbeit „In die Stadt ziehen und dort ein Handwerk ausüben, durfte man nicht, weil die Zünfte dies verhinderten. Dagegen begann schon im 18. Jahr-hundert die Auswanderung in andere Länder vor allem nach Nordameri-ka.“

2 209 • 7-seitiger Beschrieb über die Aus-wanderung nach Nordamerika

• Anstieg 1820 (1820-1910 = 260000 CH)

• 3 Zitate von Auswanderern • Zitat von CH Konsul in Ohio • Grafik: Vergleich Gesamtübersee –

Nordamerika • Auswandern – eine Lösung der

sozialen Probleme: Förderung durch Gemeinden

• Der Weg der Auswanderer • Die neue Heimat • Auswanderung

• S. 209 ältester Sohn der vorausgeht Rest zieht nach

4 11 • Grafik der Einwanderer in den USA, allerdings ohne, dass die Schweizer explizit erwähnt wären.

Abbildung 21: Siedlungsmigration nach Nordamerika in „Menschen in Zeit und Raum“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 8 22f • Auswanderung aus Not oder aus

Hoffnung? • Auswanderung als Flucht vor dem

Hunger • Gründe und Art der Auswanderung • Dazu eine Grafik der Auswande-

rung aus der Schweiz nach Über-see (nicht spezifisch Nordamerika)

S. 23 viele Aussagen, die Pro- und Contra-Argumente aufzeigen. z.T. verknüpfbar mit Inhalten bis S. 26 „Die Arbeitslage hatte kaum Einfluss auf die Zahl der in die USA Ein-wandernden. So lockte z.B. der Bahnbau mit Tausenden neuer Stellen nicht mehr Menschen in die USA.“

8 76ff • Sechs Seiten über die europäische Auswanderung nach Nordamerika.

• Die Schweiz als Ausgangsraum wird nicht erwähnt.

„Für die Besiedlung des amerikanischen Westens spielte die Eisenbahn in dreifacher Hinsicht eine bedeutende Rolle. Erstens benötigen die Eisenbahngesellschaften für den Streckenbau (…) tausende von Ar-beitskräfte (sic!). Dabei zahlten sie erst noch höhere Löhne als in Euro-pa.“

9 156f • Allgemeines Kapitel: Die Schweiz: von der Auswanderung zur Einwan-derung

6.5.5 Siedlungswanderung nach Mittel- und Südamerika

Obwohl Mittel- und Südamerika nach Nordamerika239 dasjenige Gebiet war, welches am

häufigsten von Schweizer Auswanderern besiedelt wurde, existierte die Wanderung in

diesen Teil der Erde in den fünf untersuchten Schulgeschichtsbüchern so gut wie nicht.

Besonders viele Schweizer zogen in die lateinamerikanischen Staaten Brasilien und Ar-

gentinien. Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte Band 3“ thematisiert die Neu-

bildungen in Nord- und Südamerika. So schreibt er: „Je besser diese Länder verwaltet

wurden, desto mehr Auswanderer lockten sie aus dem überbevölkerten Europa an, be-

sonders aus den Völkern lateinischer Rasse.“240 Wie bereits mehrfach erwähnt, lässt es

239 vgl. Ritzmann, Alternative Neue Welt, 259. 240 Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte Band 3, 258.

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Oechsli auch hier aus, die Schweizer zu nennen. Eugen Halter geht ebenfalls nicht expli-

zit auf die Schweizer Auswanderung nach Mittel- und Südamerika ein. Einmal erwähnt er

allerdings, dass überall auf der Welt „Schweizerkolonien, oft mit blühenden Schweizer-

schulen“241 existierten. Im Band 2 von „Durch Geschichte zur Gegenwart“ findet man den

bereits mehrfach angesprochenen Abschnitt zum Thema „Eine neue Heimat – Auswande-

rung und Einwanderung“. Ausser der Erwähnung von Mexiko in der Grafik242 werden hier

Mittel- und Südamerika allerdings nicht behandelt.

Damit kann wohl gesagt, werden, dass die schweizerische Auswanderung nach Mittel-

und Südamerika in den untersuchten Geschichtsbüchern so gut wie nicht behandelt wird.

Die Gründe dafür könnten vor allem darin liegen, dass sich diese Migrationsform in ihren

Strukturen wohl nur wenig, von jener der Nordamerikawanderung unterscheidet. Wohl

aus Platzgründen wurde die Wanderung nach Nordamerika exemplarisch beschrieben.

Die ähnlichen Strukturen der beiden Wanderungssysteme erklären es auch, weshalb Mit-

tel- und Südamerika besonders in den Jahren des Sezessionskrieges ein interessantes

Auswanderungsgebiet wurden. Damals büsste die USA leicht an Bedeutung als Auswan-

derungsland ein.

Abbildung 22: Siedlungsmigration nach Mittel- und Südamerika in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 3 258 • CH als Herkunftsland praktisch inexistent „Je besser diese Länder verwaltet wurden, desto mehr Aus-

wanderer lockten sie aus dem überbevölkerten Europa an, besonders aus den Völkern lateinischer Rasse.“

Abbildung 23: Siedlungsmigration nach Mittel- und Südamerika in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 119 • Allgemeine Nennung, dass überall auf der

Welt Schweizer Kolonien bestehen.

Abbildung 24: Siedlungsmigration nach Mittel- und Südamerika in „Durch Geschichte zur Gegen-wart“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 209f • Aus der Tabelle S. 210 ableitbar („Mexiko“) allerdings praktisch inexistent

241 Eugen Halter, Strom der Zeiten 2, 119. 242 vgl. Durch Geschichte zur Gegenwart 2, 210.

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6.5.6 Siedlungswanderung nach Afrika

Obwohl aus der quantitativen Untersuchung ersichtlich wird, dass Afrika als überseeische

Destination nach Nordamerika am zweithäufigsten beschrieben wird, fehlen konkrete An-

gaben zur schweizerischen Auswanderung nach Afrika in allen Lehrmitteln. Wilhelm

Oechsli beschreibt die protestantische äussere Mission recht ausführlich243. Allerdings

fehlt jede nur erdenkliche Erwähnung, dass die Schweizer an dieser Mission beteiligt wa-

ren. Beispiele, wie die Basler Mission, gäbe es mehrere. Oechsli nennt nur in kleinsten

Passagen, dass sich Schweizer auf den afrikanischen Kontinent begaben. Die kurze Be-

schreibung des Menschen, der Afrika überflogen hat, gibt genau sowenig Aufschluss über

das schweizerische Auswanderungswesen auf den schwarzen Kontinent, wie die kurze

Nennung, von Johann Ludwig Burckhardt alias Scheich Ibrahim, der im 19. Jahrhundert

Forschungsreisen unternahm. Viel ausführlicher werden die beiden Engländer David Li-

vingstone und Henry Stanley beschrieben. Daneben wird einmal Alfred Ilg genannt, ohne

allerdings nähere Angaben über sein Leben zu machen. Oechsli fokussiert seine Betrach-

tung des schwarzen Kontinents auf die eigentlichen Kolonialstaaten England und Frank-

reich ohne dabei auf die Schweiz einzugehen. Bei Eugen Halter kommt der Migrations-

destination Afrika noch weniger Bedeutung zu. Eine kurze Erwähnung im Zusammenhang

mit Südafrika244, bei der aber nichts von Schweizern geschrieben steht und eine Nen-

nung, dass Henry Dunant mit seinem Projekt in Algerien gescheitert sei, ist alles. Franz

Meyer lässt wie bereits gehört die gesamte überseeische Siedlungsmigration weg. Somit

bleiben die drei älteren Lehrmittel äusserst oberflächlich. „Durch Geschichte zur Gegen-

wart“ geht aber kaum weiter. Es wird lediglich ein Einzelschicksal in Person von Alfred Ilg

beschrieben. Im allgemeinen Migrationskapitel fehlt sogar eine Erwähnung afrikanischer

Destinationen. Bei der Beschreibung der Bevölkerung der Kolonien245 werden lediglich

Europäer erwähnt. „Menschen in Zeit und Raum“ geht gar nicht auf die schweizerische

Auswanderung nach Afrika ein. Lediglich eine Passage zu Algerien kann gefunden wer-

den: „Um 1880 lebten bereits 350’000 Europäerinnen und Europäer in Algerien, Damals

etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.“246 In diesem Zusammenhang wird die Schweiz

als Ausgangsland sogar ausdrücklich erwähnt.

In den untersuchten Lehrmitteln können vor allem Pioniere im Zusammenhang mit der

schweizerischen Auswanderung nach Afrika gefunden werden. Beschreibungen der Kul-

243 vgl. Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte 3, 299. 244 Eugen Halter, Vom Strom der Zeiten 2, 125f. 245 vgl. Durch Geschichte zur Gegenwart 2, 189f. 246 Menschen in Zeit und Raum 8, 166.

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tur- und Alltagsgeschichte von Migranten fehlen gänzlich. Man muss sich den schweizeri-

schen Auswanderungsstrom nach Afrika vor Augen führen, um dieses Ergebnis einord-

nen zu können. Zum einen beginnt die Auswanderung nach Afrika erst sehr spät, nämlich

gegen 1880, also in der Zeit des Imperialismus. Zum anderen ist sie zahlenmässig eher

bescheiden. Als mengenmässig erwähnenswerte Destinationen dienten fast ausschliess-

lich Algerien, Ägypten und Südafrika. Wer die komplexen Strukturen des Imperialismus

beschreiben möchte und dafür nur begrenzten Platz zur Verfügung hat, der wird wohl

gerne auf die ausführliche Darstellung der schweizerischen Auswanderung nach Afrika

verzichten. Vielmehr müsste diese wohl im allgemeinen Migrationteil untergebracht wer-

den. Da die Schweizer in Afrika zum Teil grosse Bedeutung erlangt haben, wäre dies si-

cherlich wünschenswert. So darf zum Beispiel nicht vergessen werden, dass in Ägypten

der Baumwollexport mehrheitlich in den Händen von Schweizer Familien lag.

Abbildung 25: Siedlungsmigration nach Afrika in Wilhelm Oechslis „Bilder aus der Weltgeschichte“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 302 • Nennung der Widertäufer, u.a. auch aus der

Schweiz

3 285 • Praktisch unbedeutende Erwähnung, dass ein Schweizer, als erster Afrika überflogen hat.

3 299 • Geschichte der äusseren Mission • gemeinsame Beschreibung: Mission nach

Afrika, Polynesien und Indien (Asien) • Nicht CH-spezifisch • Die Mission wird als Gegengewicht zur „heil-

losen Ausbeutung durch gewissenlose, bruta-le Kolonisten und Regierungen“ dargestellt.

• Dabei habe das Christentum auch dazu bei-getragen, dass sich die Völker zu befreien versuchen.

• „So kamen durch Glaubensboten, die von sich aus oder im Auftrag von Missionsgesellschaften die ferns-ten Länder aufsuchten, sowohl primitive Naturvölker wie die Neger und Polynesier, als auch Angehörige al-ter, hoch entwickelter Kulturen wie die Inder und Chi-nesen mit dem Christenglauben in lebendige Fühlung, und es bildeten sich da und dort hoffnungsvolle Ge-meinden, deren Glieder heute noch Millionen zählen und in dem Volksleben jener Länder eine bedeutsame Rolle spielen. “

3 328 • Entdeckung Afrikas • auf S. 329 Erwähnung von Scheich Ibrahim

(J.L. Burckhardt)

3 331 • Ägypten, Besiedelung unter dem Schutz der Briten

• „Städte schossen wie Pilze aus dem Boden“

3 333 • Alfred Ilg • Nur Nennung

Abbildung 26: Siedlungsmigration nach Afrika in Eugen Halters „Vom Strom der Zeiten“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 120 • Dunant und der Kauf von Getreidegebieten in

Algerien kurze Erwähnung, inkl. Scheitern des Projektes

2 125/6 • Ableitbar, aber keinerlei Erwähnung der Schweizer

„Bis zur Jahrhundertmitte suchten die meisten Auswanderer eine neue Heimat in den Vereinigten Staaten; in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fuhren immer mehr Ansiedler nach Kanada, Südafrika, Australien oder Neuseeland. Das gemässigte Klima dieser Gebiete eignet sich vortrefflich für Europäer.“

2 192 • Kurze Erwähnung des Elsässers Albert Schweitzers

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Abbildung 27: Siedlungsmigration nach Afrika in „Durch Geschichte zur Gegenwart“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 1 97 • Geschichte des Elsässers Albert Schweitzer Beschreibung seiner Tätigkeit mit Zitat 2 209 • evtl. Ableitbar aus der Grafik, aber nicht er-

wähnt

2 257 • Beschreibung Alfred Ilgs 2 290 • Bevölkerung der Kolonien ohne Bezug zur

Schweiz

Abbildung 28: Siedlungsmigration nach Afrika in „Menschen in Zeit und Raum“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 8 166 • Ab S. 166 „Neue Siedlungsräume für Europä-

er“ ableitbar, Schweizer aber nicht explizit er-wähnt

„Um 1880 lebten bereits 350’000 Europäerinnen und Europäer in Algerien, damals etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.“

6.5.7 Siedlungswanderung nach Ozeanien und Asien

Während die Auswanderung nach Asien zahlenmässig wirklich nur sehr bescheiden war,

wanderten nach Ozeanien immerhin mehrere tausend Schweizer aus. Umso mehr er-

staunt, dass sowohl die Auswanderung nach Asien, wie auch jene nach Ozeanien in den

untersuchten Schulgeschichtsbüchern kaum dargestellt werden, ja gar praktisch ine-

xistent sind. Man findet nur einige wenige Hinweise, die gewisse Ableitungen zulassen.

Wilhelm Oechsli schildert in Band 3 auf Seite 299 die Geschichte der protestantischen

äusseren Mission. Dabei fasst er die Destinationen Afrika, Polynesien und Indien zusam-

men. Allerdings erwähnt Oechsli, wie bereits beschrieben, in diesem Zusammenhang

nicht, dass auch Schweizerinnen und Schweizer zu diesen Missionaren gehörten. Da a-

ber gerade zum Beispiel Zuger Schwestern eine rege Missionarstätigkeit ausübten, wäre

diese hier sicherlich erwähnungswürdig. Auch bei Eugen Halter findet man eine kurze

Nennung, bei der man eine schweizerische Auswanderung nach Australien ableiten könn-

te. Allerdings wird die Schweiz auch hier nicht explizit erwähnt: „Bis zur Jahrhundertwen-

de suchten die meisten Auswanderer eine neue Heimat in den Vereinigten Staaten; in der

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fuhren immer mehr Ansiedler nach Kanada, Südafri-

ka, Australien oder Neuseeland.“247 Bei den neueren Lehrmitteln gibt es nur zwei kurze

Stellen in „Durch Geschichte zur Gegenwart“, bei denen eventuell ein Zusammenhang

zwischen Schweizer Auswanderer und Australien resp. Asien hergeleitet werden könnte.

In Band 2 auf Seite 210 findet man eine Grafik, auf der die Schweizer Auswanderern

nach Übersee eingetragen sind. Obwohl beide Ziele nicht erwähnt sind, wird bei genauem

Studium der Grafik klar, dass neben den USA, Kanada und Mexiko in gewissen Jahren

247 Eugen Halter, Vom Strom der Zeiten 2, 125f.

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noch weitere Destinationen von Bedeutung gewesen sein mussten. Im gleichen Band auf

Seite 290 wird erwähnt, dass Europäer nach Amerika oder Australien auswanderten. Hier

fehlt aber wieder der direkte Bezug zur Schweiz.

Es wäre durchaus wünschenswert, wenn die schweizerische Auswanderung insbesonde-

re nach Australien etwas ausführlicher thematisiert würde. Dabei bieten insbesondere die

Ausgangsräume im Tessin und Graubünden für Schülerinnen und Schüler vielseitige

Möglichkeiten, um sich mit der Frage von Push- und Pullfaktoren einerseits und dem Ver-

hältnis von Herkunftsort und Zieldestination andererseits zu befassen.

Abbildung 29: Siedlungsmigration nach Ozeanien und Asien in Oechslis „Bilder aus der Weltge-schichte“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate

3 299 • Geschichte der äusseren Mission • Gemeinsame Beschreibung: Mission nach

Afrika, Polynesien und Indien (Asien) • Nicht CH-spezifisch • Die Mission wird als Gegengewicht zur „heil-

losen Ausbeutung durch gewissenlose, bruta-le Kolonisten und Regierungen“ dargestellt.

• Dabei habe das Christentum auch dazu bei-getragen, dass sich die Völker zu befreien versuchen.

• „So kamen durch Glaubensboten, die von sich aus oder im Auftrag von Missionsgesellschaften die ferns-ten Länder aufsuchten, sowohl primitive Naturvölker wie die Neger und Polynesier, als auch Angehörige al-ter, hoch entwickelter Kulturen wie die Inder und Chi-nesen mit dem Christenglauben in lebendige Fühlung, und es bildeten sich da und dort hoffnungsvolle Ge-meinden, deren Glieder heute noch Millionen zählen und in dem Volksleben jener Länder eine bedeutsame Rolle spielen. “

Abbildung 30: Siedlungsmigration nach Ozeanien und Asien in Eugen Halters „Vom Strom der Zei-ten“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate

2 125/6 • Schweizer Auswanderung nach Ozeanien ableitbar.

• Aber keine explizite Erwähnung der Schweiz

„Bis zur Jahrhundertmitte suchten die meisten Auswanderer eine neue Heimat in den Vereinigten Staaten; in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fuhren immer mehr Ansiedler nach Kanada, Südafrika, Australien oder Neuseeland. Das gemässigte Klima dieser Gebiete eignet sich vortrefflich für Europäer.“

Abbildung 31: Siedlungsmigration nach Ozeanien und Asien in „Durch Geschichte zur Gegenwart“

Bd Seite Inhalt Ausführung, Zitate 2 209 • evtl. Ableitbar aus der Grafik, aber nicht er-

wähnt

2 290 • Nennung der europäischen Wanderung nach den USA und Australien

„Wer aus Europa auswanderte, zog weiterhin nach Amerika oder Australien“

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7 Schlussbetrachtung

7.1 Ergebnisse

Betrachtet man die schweizerische Auswanderungsgeschichte, so fällt auf, dass sie in

groben Zügen vergleichbar ist mit jener Europas. Die spezielle Situation der Schweiz führ-

te allerdings auch zu gewissen Eigenheiten. So ist die schweizerische Siedlungsemigrati-

on lange Zeit unbedeutend. Über Jahrhunderte prägten dagegen Reisläufer das Bild des

schweizerischen Auswanderers. Rund eine Million junge Schweizer dürften sich dieser

Beschäftigung hingegeben haben. Diese standen praktisch in ganz Europa und später

zum Teil sogar in Amerika oder Asien in fremden Diensten, die Meisten auf Seiten Frank-

reichs. Viele dieser Menschen kehrten verkrüppelt oder gar nicht mehr nach Hause zu-

rück. Über alle Jahrhunderte hinweg gab es immer wieder kritische Stimmen, welche sich

gegen die Reisläuferei wandten. Erst die liberale Bewegung im 19. Jahrhundert läutete

dann aber das Ende der militärischen Migration ein. 1848 wurden der Abschluss neuer

Kapitulationen und 1859 dann der fremde Dienst an sich verboten. Verblieben ist einzig

der Vatikan, welcher in Form der päpstlichen Garde bis in die Gegenwart schweizerische

Söldner beschäftigen darf.

Die Siedlungsmigration in der Schweiz wurde im Gegensatz zur militärischen Migration

erst spät bedeutend. Über Jahrhunderte liess die eingeschränkte Mobilität nur Ziele im

europäischen Umland als Migrationsdestinationen zu. Dies waren vor allem Deutschland,

Italien und Russland, zum Teil auch Frankreich und Nordafrika. Herkunftsgebiete und

Zielregionen korrelierten oft ganz stark miteinander. Dies ist insbesondere im Tessin und

in Graubünden beobachtbar, wo in vielen Dörfern immer wiederkehrende oft saisonale

Wanderzyklen zu beobachten waren. Neben den verschiedenen Formen von periodischer

Wanderung gab es aber auch Menschen, die definitiv in eine neue Heimat migrierten. Im

17. und dann erst recht im 18. Jahrhundert rückte die Siedlungsauswanderung nach Ü-

bersee an die Stelle derjenigen nach europäischen Destinationen. Auch hierbei wider-

spiegelte sich eine starke Korrelation zwischen den Herkunfts- und Zielregionen. So wan-

derten zum Beispiel Leventiner nach Kalifornien, während Puschlaver vornehmlich nach

Australien übersiedelten. Entscheidend ist dabei vor allem der schon von Ritzmann-

Blickenstorfer herausgearbeitete Erklärungsansatz, wonach es sich beim Homo migrans

nicht um einen kühl kalkulierenden Homo oeconomicus handelt, sondern um ein „facet-

tenreiches menschliches Wesen (…), das neben materiellen auch emotionale Ziele ver-

folgt und dessen Motive und Handlungen einer gewissen Vorprägung durch regionale

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Kultureinflüsse unterliegen.“248 In der Schweiz migrierten die Menschen nicht aus allen

Gebieten gleich stark nach Übersee. Besonders die Alpenkantone Wallis, Berner-

Oberland, Tessin, Urkantone, Glarus, St. Gallen, Appenzell und Graubünden waren stär-

ker als das Mittelland von der Auswanderung betroffen. Nordamerika war dabei die am

häufigsten gewählte Destination, gefolgt von Mittel- und Südamerika und Ozeanien. Afrika

wirkte erst relativ spät und vor allem auch weniger als Anziehungsmagnet. Asien sendete

die schwächsten Lockrufe aus. In der Mitte des 20. Jahrhundert wendet sich die Situation

in der Schweiz. Während über Jahrhunderte hinweg die Schweiz stets über eine positive

Auswanderungsbilanz verfügte, stiegen die Zuwanderungen stark an, so dass die

Schweiz vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland wandelte. In jüngster Zeit

kennen wir die Emigration fast ausschliesslich im Bereich der Karrierewanderung. Dabei

handelt es sich allerdings oft um Pendelwanderungen.

Betrachtet man die einzelnen Passagen im Schulbuch, so stellt man relativ rasch fest,

dass sich die Darstellungen in den letzten Jahrzehnten verändert haben und zwar sowohl

quantitativ, wie auch qualitativ. Migration wird offenbar erst in jüngster Vergangenheit als

ein eigenes zeitübergreifendes Phänomen verstanden, denn erst in den beiden jüngsten

Lehrmitteln finden sich Kapitel, welche den Völkerbewegungen gewidmet sind. Darin

kommen jeweils die Aus- und auch die Einwanderung (letztere vor allem ab der zweiten

Hälfte des 20. Jahrhunderts) im Kontext der Schweiz zur Sprache. Diese Kapitel befassen

sich meist mit Siedlungsmigration und besprechen dabei mehrheitlich die Destination

nach den Vereinigten Staaten exemplarisch. Dies überzeugt über weite Strecken nicht, da

die Wanderungsstrukturen wesentlich komplexer waren.

Bei den unterschiedlichen Migrationstypen kommt die militärische Migration als einzige in

sämtlichen Schulgeschichtsbüchern vor. Allerdings wird diesem Themenbereich unter-

schiedlich viel Platz eingeräumt. Während im jüngsten Lehrmittel eine Seite der Reisläu-

ferei gewidmet wird, behandelt Franz Meyer diese auf fast 50 (!) Seiten. Dieses krasse

Ungleichgewicht widerspiegelt sich auch in der qualitativen Analyse. Einzelne Lehrmittel

konstruieren regelrecht einen Schweizer Helden, welcher ruhmreich auf dem fremden

Feld kämpft. Dieses Bild ist oft nicht restlos klar und die Frage, weshalb ein Schweizer

gegen einen Schweizer sein Leben aufs Spiel setzen musste, kann aus dieser Sichtweise

kaum oder gar nicht geklärt werden. Interessanterweise wird in den älteren Schulbüchern

immer vom Schweizer Söldner gesprochen, obwohl die Schweiz im heutigen national-

staatlichen Verständnis noch gar noch nicht existierte. Es erstaunt, dass trotz der ganzen 248 Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 620.

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Heroisierung der Reisläuferei in den älteren drei untersuchten Geschichtsbüchern den-

noch auf negative Aspekte eingetreten wird. So wird vom „verrohenden Solddienst“249 und

den Schweizern, die Lodovico „treulos im Stich“250 gelassen haben, gesprochen. Die bei-

den jüngeren Lehrmittel gehen kürzer auf die militärische Auswanderung ein und „Durch

Geschichte zur Gegenwart“ thematisiert daran sogar das sich im Laufe der Zeit wandeln-

de Geschichtsbild.

Schwieriger wird ein Fazit im Bereich der schweizerischen Siedlungswanderung. Kein

Bereich wird in allen untersuchten Lehrmitteln behandelt. Die Siedlungswanderung nach

europäischen Destinationen wird nur in „Menschen in Zeit und Raum“ und in Franz Mey-

ers „Wir wollen frei sein“ besprochen. Das neue Aargauer Lehrmittel „Menschen in Zeit

und Raum“ geht auf verschiedene Facetten der Schweizer Wanderung innerhalb Europas

ein. Dabei werden in aller Kürze verschiedene Aspekte aufgezeigt, wie z.B. die Wander-

jahre, welche fester Bestandteil einer ganzen Reihe von Ausbildungen war. Franz Meyer

hingegen beschreibt die Schweizer Emigration nach europäischen Zielen auf über 13 Sei-

ten (also auf rund 40-mal mehr als in „Menschen in Zeit und Raum“) und beschränkt sich

dabei fast ausschliesslich auf Tessiner, welche sich als Architekten und Bauherren euro-

paweit verdient gemacht haben. Das zweiseitige allgemeine Kapitel über die Tessiner

Auswanderung, welches schön die Korrelation zwischen Herkunfts- und Zielgebieten auf-

zeigt, steht dazu quantitativ in einem krassen Missverhältnis. Da die europäische Sied-

lungswanderung als Vorform der transkontinentalen Wanderung verstanden werden kann

und damit über eine nicht zu unterschätzende Bedeutung verfügte, stellt die minime Ab-

handlung im Schulbuch ein augenfälliges Defizit dar.

Bei der Siedlungswanderung nach Übersee war diejenige nach Nordamerika mit Sicher-

heit die Stärkste. Es erstaunt damit auch nicht, wenn ihr zumindest in den beiden jünge-

ren Lehrmitteln ordentlich Platz zugestanden wird. Gleichzeitig befremdet allerdings das

Ergebnis in den ältern Lehrmitteln. Obwohl immer wieder Europäer zur Sprache kommen,

welche nach den USA eventuell auch nach Kanada auswanderten, wurde nur selten bis

praktisch gar nie auf den Kontext der Schweiz eingegangen. Die älteren Lehrmittel klären

mehrheitlich auch nicht die Frage, was ein Schweizer (oder ein Europäer) in der Neuen

Welt vorgefunden hat. Wenn sie darauf eingehen, so wird aufgezeigt, dass die Immigran-

ten ein besseres Leben gefunden haben. Aus heutiger Sicht muss hierbei wohl differen-

249 Halter, Vom Strom der Zeiten 2, 21. 250 vgl. Meyer, Wir wollen frei sein 2, 183.

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ziert werden. Wie jüngere Forschungsergebnisse251 zeigen, haben einige Auswanderer

einen sozialen Aufstieg erreicht, während andere ihr Glück vergeblich suchten. Die neue-

ren Schulgeschichtsbücher dokumentieren die Geschichte der Auswanderung nach

Nordamerika wesentlich breiter. Insbesondere „Durch Geschichte zur Gegenwart“ über-

zeugt mit seinem achtseitigen Kapitel „Nicht für alle eine Heimat! – Schweizer wandern

aus“. Darin erlebt der Schüler, die Schülerin verschiedene Vor- und Nachteile der Aus-

wanderung und kann sich recht differenziert mit den Beweggründen des Wanderungsent-

scheides vertraut machen. Dabei wird der Bogen auch in die jüngste Vergangenheit ge-

zogen. Ähnlich packt auch das neue Aargauer Lehrmittel (Menschen in Zeit und Raum)

die Thematik an. Verschiedene Aspekte sollen die Gründe, die zur Migration bewegten,

verdeutlichen. Dabei kommen – getreu den Forderungen der Geschichtsdidaktik der spä-

ten 70er Jahren – sowohl Text wie auch Aufgabenteile zur Anwendung.

Besonders erstaunlich, ist hingegen, dass die Siedlungswanderung nach Mittel- und Süd-

amerika in keinem der untersuchten Lehrmittel thematisiert wurde. Da insbesondere

Menschen aus der französischsprachigen Schweiz nach Süd- und Mittelamerika auswan-

derten, bleibt hier zu untersuchen, wie dieses Kapitel der schweizerischen Migrationsge-

schichte in einem Westschweizer Lehrmittel behandelt wurde. Leider kann die hier vorlie-

gende Arbeit dieser Fragestellung nicht weiter nachgehen.

Auch die Schweizer Auswanderung nach Ozeanien, welche mengenmässig nach Nord-,

Mittel- und Südamerika an dritter Stelle kommt, wird nicht näher beleuchtet. Die kurze

Passage bei Wilhelm Oechsli, welche sich mit der äusseren Mission befasst und die

Schweiz mit keinem Wort erwähnt, wird dieser Destination nicht gerecht. Die zahlreichen

Schweizer, allen voran viele Puschlaver, welche nach Australien auswanderten, kommen

ebenfalls nirgends zur Sprache.

Aus der quantitativen Analyse wird ersichtlich, dass die meisten untersuchten Lehrmittel

die Auswanderung nach Afrika besprechen. Qualitativ ist aber auch dieses Migrationsziel

äusserst einseitig beschrieben. Es kommen fast nur schweizerische Pioniere zur Spra-

che. Das dürfte wohl damit zu tun haben, dass die schweizerische Auswanderung nach

Afrika zahlenmässig recht bescheiden war und nur wenige Länder auf dem schwarzen

Kontinent betraf. Daneben setzte die Migration nach Afrika erst in der Zeit des Imperia-

lismus ein. Dabei wird Afrika zwar als europäische Destination in fast allen Schulge-

schichtsbücher ausführlich besprochen, allerdings im Kontext der grossen imperialen

Mächte England, Frankreich, Deutschland, Belgien und Italien. 251 vgl. z.B. Ritzmann-Blickenstorfer, Alternative Neue Welt, 620f.

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Die schweizerische Auswanderung nach Asien bleibt in den untersuchten Geschichtsbü-

chern völlig unerwähnt. Da diese jedoch zahlenmässig kaum ins Gewicht fiel, erstaunt

dies nicht weiter. Die nachfolgende Tabelle soll abschliessend nochmals einen kurzen

Überblick darüber geben, welcher Migrationsbereich in welchem der untersuchten Lehr-

mittel wie vertreten ist.

Abbildung 32: Übersicht über alle fünf untersuchten Geschichtslehrmittel

Oechsli 1939-40

Halter 1965

Meyer 1971-74

DGZG 2002/03

Menschen in Zeit und Raum 2005/06

Reisläuferei - Viele, aber kurze Nennungen

- Schweizer=Held

- Innere Uneinig-keit der Schwei-zer wird erwähnt

- „Erstes Kriegs-volk Europas“

- Fast 50 Seiten - Heroische Dar-

stellung

- Diverse Nen-nungen

- Thematisierung des Wandels des Geschichts-bildes

- Sehr kurze Be-schreibung

- Aber ohne Migrati-onshintergrund

Siedlungsmigration Europa

-- -- - Über 13 Seiten - Nur Tessiner - Fast nur Archi-

tekten und Bau-herren

- Äusserst kurz - Kurz - Aber verschiedene

Aspekte

Siedlungsmigration Nordamerika

- Kurz - Kaum im Kontext

der Schweiz

-- -- - Sehr übersicht-lich

- Exemplarisch für gesamte Über-seeauswande-rung

- Ausführliche Dar-stellung im allge-meinen Kapitel

Siedlungsmigration Mittel- und Südame-rika

- Eine Nennung, aber ohne Bezug zur Schweiz

-- -- -- --

Siedlungsmigration Afrika

- Wenig bis kaum Bezug zur Schweiz

- Äusserst kurz - Kaum Bezug zur

Schweiz

-- - Vor allem Pionie-re, darunter Alf-red Ilg

- Kurz - Wenig Bezug zur

Schweiz Siedlungsmigration Ozeanien

- Nur Beschrei-bung der Mission

- Kein Bezug zur Schweiz

-- -- - Eine Erwähnung in einer Grafik

- Aber nicht weiter beschrieben

--

Siedlungsmigration Asien

- Nur Beschrei-bung der Mission

- Kein Bezug zur Schweiz

-- -- -- --

Allgemeine Migrati-onsgeschichte

-- - Äusserst kurz -- - Sehr übersicht-lich

- Fokus liegt stark auf den USA als Ziel

- Übersichtlich - Fokus liegt stark auf

den USA als Ziel

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7.2 Schlussfolgerungen

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Behandlung der Auswanderung aus

der Schweiz in den untersuchten Schulgeschichtsbüchern quantitativ und qualitativ mehr-

heitlich nicht zufrieden stellend ist. Nur die beiden neueren Lehrmittel schaffen es über-

haupt, die Migration als epochenübergreifendes Phänomen darzustellen und ihr damit

eines resp. mehrere eigene Kapitel zu widmen. Nach dieser Feststellung steht der Ver-

fasser dieser Arbeit sogleich in einer heiklen Situation. Rohlfes hält fest, dass fachliche

Untersuchungen bedenklich werden, „wo sie vorwiegend auf die Quantitäten abstellen

und alles Heil von einer ausführlicheren Behandlung ‚ihres’ Themas erwarten“252. Rohlfes

verweist auf den Lehrplan und den gedrängten Platz in den Schulgeschichtsbüchern.

Würde man sich mit Rohlfes Votum begnügen, müsste hier der Schluss gezogen werden,

dass die vorliegende Untersuchung „ärgerlich“ ist und die Forderungen des Lehrplans

ausser Acht lässt. Der Verfasser dieser Arbeit ist allerdings überzeugt, dass dies ein Feh-

ler wäre. Die Thematik Migration – heute vor allem in Form von Zuwanderung und Asyl-

wesen – weist eine überaus grosse und vor allem auch aktuelle Brisanz auf. Somit

scheint es unabdingbar, dass die Schülerinnen und Schüler die historischen Zusammen-

hänge der Migration kennen. Auf einer anderen Ebene fordern verschiedene Geschichts-

didaktiker,253 dass der Geschichtsunterricht stärker auf die Kultur- und Alltagsgeschichte

fokussiert wird, um der Genderproblematik gerecht zu werden. Die Behandlung der Mig-

ration im Längsschnitt könnte doch gerade diese beiden Aspekte berücksichtigen. Hier

könnten zwei Punkte in einem Aufwasch erledigt werden. Thematisiert man die Auswan-

derung aus der Schweiz, so muss man fast zwangsläufig auch auf die Kultur- und All-

tagsgeschichte vergangener Jahrhunderte eingehen und gelangt dann unumstösslich auf

die Gegenwart. Gleichzeitig wird es dabei möglich, den Schülerinnen und Schülern auf-

zuzeigen, dass sich die Formen der Migration in den letzten Jahrhunderten veränderten.

Damit sollte es möglich sein, dass die Schülerinnen und Schüler eine Grundhaltung auf-

bauen, bei der sie Wanderung als natürliches Ereignis der Kulturgeschichte verstehen

und damit die aktuellen Geschehnisse im Migrationsbereich sachlich deuten können.

Da Geschichtsdidaktiker nach wie vor davon ausgehen, dass dem Geschichtslehrmittel

eine curriculare Bedeutung zukommt, scheint ein eigenes Migrationskapitel im Schulge-

schichtsbuch sicherlich sinnvoll, wenn nicht sogar zwingend. Ansätze dafür finden sich

252 Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, 317f. 253 vgl. Gautschi, Es braucht Identifikationsfiguren.

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bereits in den beiden neueren untersuchten Lehrmitteln, welche allerdings noch verfeinert

werden könnten. Es scheint unabdingbar, dass in einem ersten Teilkapitel die militärische

Migration behandelt wird, bildet sie doch die Basis der schweizerischen Auswanderung.

Dabei sollte möglichst objektiv aufgezeigt werden, worum es bei der militärischen Migrati-

on gegangen ist und dabei möglichst auf stereotype Darstellungen zu verzichten. Beson-

ders wünschenswert scheint in diesem Bereich auch eine Auseinandersetzung mit dem

sich wandelnden Geschichtsbewusstsein, wie es in „Durch Geschichte zur Gegenwart“

vorgezeigt wird. Ein zweiter Teil könnte den verschiedenen Facetten der Siedlungsmigra-

tion nach europäischen Destinationen gewidmet werden. Hier sollten verschiedene For-

men, wie zum Beispiel die Wanderjahre von Handwerkern oder temporäre Wanderungen

(Schwabengänger, Spazzacamini usw.) der dauerhaften Wanderung gegenübergestellt

werden. Der Autor dieser Untersuchung wünscht sich dabei auch eine Gegenüberstellung

der Herkunfts- und Zieldörfer254. Ein dritter Teil behandelt dann die Auswanderung nach

Übersee in drei Aspekten. Verschiedene Destinationen und ihre Auswanderungsintensität

könnten erstens gut in einer Übersichtsgrafik dargestellt werden. Dazu könnte man sich

an der Grafik in „Durch Geschichte zur Gegenwart“ orientieren und diese auf sämtliche

Überseekontinente erweitern. Eine spezielle Passage mit Quellen und Sekundärtexten

könnte zweitens die Beziehung zwischen Herkunfts- und Zieldestination beschreiben und

dabei gleichzeitig Bezüge zur Kultur- und Alltagsgeschichte darlegen.

Abbildung 33: Möglicher Aufbau eines allgemeinen Schweizer Migrationskapitel

Unterkapitel Inhalt Militärische Migration • Prinzip der militärischen Migration

• Gründe für die Reisläuferei (Verknüpfung Kultur- und Alltagsgeschich-te)

• Sich veränderndes Geschichtsbewusstsein Siedlungsmigration (euro-päische Ziele)

• Verschiedene Formen (temporäre vs. dauerhafte Migration) • Verschiedene Destinationen • Korrelation von Herkunfts- und Zieldörfern (resp. Berufsgattungen)

Überseewanderung • Verschiedene Zielkontinente und ihre Auswanderungsintensität • Herkunfts- und Zieldestinationen • Soziokulturelle Aspekte (Kultur- und Alltagsgeschichte)

Einwanderung • Wandel von der Auswanderung zur Einwanderung • Integration, Rassismus (evtl. Verknüpfung mit Drittem Reich) • Politische Situation heute

254 Ansatzweise beschreitet Franz Meyer in „Wir wollen frei sein 3“ auf S. 82f diesen Weg im Zusammen-hang mit den Tessinern.

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In einem dritten Bereich müssten der Übergang zum Einwanderungsland und die heutige

Situation (Integration, soziokulturelles Umfeld gegenwärtiger Migranten und politische

Situation heute) dargelegt werden. Auch hier bieten die beiden neueren Lehrmittel „Durch

Geschichte zur Gegenwart“ und „Menschen in Zeit und Raum“ eine gute Basis. Die Kapi-

tel sollten so gehalten sein, dass sich die Schülerinnen und Schüler anhand von Sekun-

därtexten orientieren können, darüber hinaus aber an einer Vielzahl von Quellen, Grafi-

ken und Karten selbständig Wissen aneignen können und dabei gleichzeitig ihre Vorstel-

lungen und Eindrücke reflektieren müssen. Thematisch scheint dem Verfasser dieser Ar-

beit eine Behandlung in ca. drei bis allerhöchstens fünf Wochen am Ende des neunten

Schuljahres sinnvoll. Damit kommen gleichzeitig fast alle bisher behandelten Eckpfeiler

im Fach Geschichte noch einmal vor und dienen, im Längsschnitt nochmals angespro-

chen, gleichzeitig als Repetition. Die Begleitung mit einem Zeitenstrahl drängt sich regel-

recht auf. Unter dem zeitlichen Aspekt dürfte auch das eben postulierte Kapitel über ma-

ximal etwa zehn bis fünfzehn Seiten verfügen. Der spezielle Vorteil der Behandlung am

Schluss des eigentlichen Geschichtsunterrichtes liegt aber darin, dass die Schülerinnen

und Schüler bereits einiges an Vorwissen mitbringen. Auf diese Weise kann das Haupt-

problem des historischen Längsschnittes umgangen werden, nämlich die Tatsache, dass

„sie den Gegenstand isolieren müssen und nicht das ganze Bedingungs- und Bezie-

hungsgeflecht aufzeigen können.“255 Mit einer solchen Sequenz könnte in einer Zeit, in

der häufig „Ausplämpelstimmung“ herrscht, nochmals ein Thema behandelt werden, wel-

ches über einen grossen Gegenwartsbezug verfügt, und insbesondere die Bereiche

Grundwissen, Grundfertigkeiten und Grundhaltungen mit bisherigem Wissen abrundet

und ergänzt.

255 Umgang mit Geschichte, 46.

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8 Quellen

8.1 Sekundärliteratur

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Luitpold von Andrian-Werburg, Alfred Reinhart und seine Firma. Geschichte einer Schwei-

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Béatrice Ziegler, Schweizer statt Sklaven. Schweizer Auswanderer in den Kaffee-Plantagen von São Paulo (1852-1866), in: Beiträge zur Kolonial- und Überseege-schichte, Band, 29. Stuttgart, 1985.

8.2 Untersuchte Schulgeschichtsbücher

Wilhelm Oechsli, Bilder aus der Weltgeschichte. Band 1: Urzeit und Altertum, Winterthur, 101940. Band 2: Mittelalter und Neuere Zeit (1-1648), Winterthur, 111943. Band 3: Neuere und Neuste Zeit (1650-1939), Winterthur, 91939.

Eugen Halter, Vom Strom der Zeiten, Geschichtsbuch für Sekundarschulen. Urzeit, Alter-

tum, Mittelalter, Neuzeit. St. Gallen, 1965. Franz Meyer, Wir wollen frei sein.

Band 1: Eine Schweizergeschichte von der Urzeit bis zur Reichsfreiheit, Aa-rau, 31973. Band 2: Schweizergeschichte von 1415 bis 1648, Aarau, 21971. Band 3: Weltenweit und heimattreu, Aarau, 1974.

Helmut Meyer et al. Durch Geschichte zur Gegenwart.

Band 1: Die Zeit der Entdeckungen. Die Zeit der Kirchenspaltung. Die Zeit des Abso-lutismus. Die Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution. Zürich 72003. Band 2: Die Zeit der Industrialisierung. Zürich, 62002. Band 3: Die Zeit zwischen den Weltkriegen. Zürich, 52002. Band 4: Der Ost-Westgegensatz (1945-1989). Reicher Norden – armer Süden (seit 1945). Die Welt der Gegenwart (seit 1989). Zürich, 52003.

Menschen in Zeit und Raum.

Band 7: Begegnungen. Entdeckungen bis Aufklärung, Buchs, 2006. Band 8: Unterwegs zur Moderne. Industrialisierung bis Imperialismus, Buchs, 2006. Band 9: Viele Wege – eine Welt. Erster Weltkrieg bis Globalisierung, Buchs, 2005.

8.3 Lehrplan

Bildungsplanung Zentralschweiz. Lehrpläne für die Sekundarstufe I. Geschichte und Poli-tik. Luzern, 2002.

Bildungsplanung Zentralschweiz. Geschichte und Politik. Lehrplananpassungen 2006.

Luzern, 2006.

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9 Anhang

9.1 Tabelle quantitative Erfassung

Anzahl Seiten

Oechsli Halter Meyer Durch Ge-

schichte zur Gegenwart

Menschen in Zeit und

Raum

Schweizer Migration allgemein 0 0.25 1 4Reisläuferei 2 5.5 49.5 1.5 1Siedlungsmigration nach europ. Zielen 13.25 0.3Siedlungsmigration nach Nordamerika 1 8 3Siedlungsmigration nach Mittel- und Süd-amerika Siedlungsmigration nach Afrika 2 0.2 2 Siedlungsmigration nach Asien 0.5 0.5 Siedlungsmigration nach Ozeanien 0.5 Anzahl Seiten gesamtes Werk 1103 332 990 1000 654 Prozent Schweizer Migration allgemein 0.000 0.075 0.000 0.100 0.612Reisläuferei 0.181 1.657 5.000 0.150 0.153Siedlungsmigration nach europ. Zielen 0.000 0.000 1.338 0.000 0.046Siedlungsmigration nach Nordamerika 0.091 0.000 0.000 0.800 0.459Siedlungsmigration nach Mittel- und Süd-amerika 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000Siedlungsmigration nach Afrika 0.181 0.060 0.000 0.200 0.000Siedlungsmigration nach Asien 0.045 0.000 0.000 0.050 0.000Siedlungsmigration nach Ozeanien 0.045 0.000 0.000 0.000 0.000

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9.2 Inhaltliche Analyse

9.2.1 Zeichenerklärung

Zeichenerklärung eher ausführlich nur kurz erwähnt ableitbar Kursiv: kein Migrationshin-tergrund

A E: Vom Auswanderungs- zum Ein-wanderungsland

9.2.2 Wilhelm Oechsli „Bilder aus der Weltgeschichte“

Schulbuch-Titel

Lehrmittel Bd. Seite Sch

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1600 nicht CH

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1600 2 302 am Rand 2 3 55 Russland 3 71 Wiedertäu-

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99

fer 3 94-

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3 120 franz. Rev. 3 133 franz. Rev. 3 153 Abhängig-

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ckung

3 298 Mission nicht CH-Spezifisch

Mission nicht CH-Spezifisch

Mission nicht CH-Spezifisch

Mission nicht CH-Spezifisch

3 307ff Kurze Nen-nung

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Burckhardt

3 333 Bsp. Alf. Ilg

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100

9.2.3 Eugen Halter „Vom Strom der Zeiten“

Schulbuch-Titel

Lehrmittel Bd. Seite Sch

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Eugen Halter 1 107 1 109f 1 114 1 114 1 115 Garde 1 116 1 118 2 21 Zwingli 2 31f Frankreich 2 36f 30-j-K 2 37f Graubün-

den

2 41 2 46 Hugenotten 2 54 2 63 Franz. R. 2 117 Überfremd. 2 119 2 124 Europäer 2 124 Europäer Europäer 2 126 Frankreich 2 134ff Europäer

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101

9.2.4 Franz Meyer „Wir wollen frei sein“

Auswanderung aus der Schweiz Schulbuch-Titel

Lehrmittel Bd. Seite Sch

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Asi

en

Franz Meyer 1 2 24 2 33 2 67 2 93 2 138 2 170 2 182 2 183f 2 187 2 188ff 3 29 Hugenotten 3 40 Russland 3 47 ff 3 80ff 3 235

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102

9.2.5 Durch Geschichte zur Gegenwart

Auswanderung aus der Schweiz Schulbuch-Titel

Lehrmittel Bd. Seite Sch

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en

DGZG I 97 Schweitzer I 81 I 137 I 174 I 198 II 35 II 60 II 101 Nenn. A E II 142 II 209ff II 210 Grafik Grafik Grafik Grafik Grafik II 217 Nenn. A E II 257 A. Ilg II 258 Volkart II 259 B. Mission B. Mission II 290 II 290 III 112 S. 209: 1.5 III 117ff 30-j-K

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103

9.2.6 Menschen in Zeit und Raum

Themen

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en

Menschen in Zeit und Raum

7 154f

7 163 8 22f 8 8 34 sehr allg. 8 76-79 nicht CH 8 80 8 83ff nicht CH 8 150 nicht CH nicht CH 8 167f Algerien 8 184 Wander-

jahre

9 157ff 9 158

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104

9.3 Quantitative Analyse

9.3.1 Willhelm Oechsli „Bilder aus der Weltgeschichte“

Auswanderung aus der Schweiz Schulbuch-Titel

Lehrmittel Sch

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Asi

en

Oechsli, Bilder aus der Weltgeschi-te, Band 1: 306 S.

Oechsli, Bilder aus der Weltge-schichte, Band 2 (362 S. )

S. 160: 0.25 S. 169: 0.1 S. 175: 0.25 S. 258: 0.5 S. 267: 0.2

S. 302: Nenn. Wiedertäufer

Oechsli, Bilder aus der Weltge-schichte, Band 3 (435 S. )

S. 120: Nenn. S. 133: Nenn. S. 153: Nenn. S. 177: Nenn.

S. 71 Nen-nung Wieder-täufer S.94: nicht CH S. 261: Euro-pa: 1

S. 258: Nenn. nicht CH

S. 285: Nenn. im Zusammenh. mit Entdeckung S. 327: 1.5 + 4.5 allg. S. 299 Missi-on: 0.5*

S. 299 Missi-on: 0.5*

S. 299 Missi-on: 0.5*

Total (1103 S.) ca. 2 ca. 1 2 0.5 0.5 Zeichenerklärung * = insgesamt 0.5 Seiten

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105

9.3.2 Eugen Halter „Strom der Zeiten“

Auswanderung aus der Schweiz Schulbuch-Titel

Lehrmittel Sch

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Eugen Halter Band 1 (128 S.) S. 107: Nenn. S. 109: 0.5 S. 114: 0.5 S. 115: 0.5 S. 115f: 1 S. 118: Nenn.

Eugen Halter Band 2 (204 S.) 119: 0.25 S. 21: 0.3 S. 30ff: 1 S. 37f: 0.75 S. 41: 0.25 S. 54: 0.5

S. 119: Nenn. S. 125: Ab-leitbar

S. 120: 0.2 S. 125: Ab-leitbar.

S. 125: Ab-leitbar

Total (332 S.) 0.25 ca. 5 0.2

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9.3.3 Franz Meyer „Wir wollen frei sein“

Auswanderung aus der Schweiz Schulbuch-Titel

Lehrmittel Sch

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Wir wollen frei sein Band 1 (304 S.)

Wir wollen frei sein Band 2 (302 S.)

S. 24: 3 S. 33: 10+ S. 67: 0.25 S. 93: Nenn. S. 138: 0.25 S. 170: 0.5 S. 182: 1 S. 183: 3 S. 187: 0.25 S. 188: 13

Wir wollen frei sein Band 3 (384 S.)

S.47: 31 S. 235: 0.5

S. 29: 1 Hug. S. 40: 0.25 S. 80: 12

Total (990 S.) 49.5 13.25 Zeichenerklärung Hug. = Hugenotten + eher mehr, z.T. nur schwer eingrenzbar kursiv = eher kein Bezug zur Migration

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9.3.4 Durch Geschichte zur Gegenwart

Auswanderung aus der Schweiz Schulbuch-Titel

Lehrmittel Sch

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Milit

äris

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DGZG Band I (216 S.) S. 81: 0.125 S. 137: Nenn. S. 174: 0.25 S. 198: 0.25

S. 97: 0.5 + B

DGZG Band II (304 S.) S. 101: A E S. 209: 0.75 S. 217: A E S. 290: 0.25

S. 142: 0.25 S. 146: 0.5

S. 60 Nenn. S. 209: Nen-nung

S. 35: Nenn. S. 209f: 8 S. 290: Nenn.

S. 209f: Ab-leitbar

S. 257: 1 S. 209: 0.5*

S. 290: Nenn. S. 209: 0.5*

DGZG Band III (196 S.) S. 112: Nenn. DGZG Band IV (284 S.) S. 11: Ableit-

bar

Total (1000 S.) ca. 1 ca. 1.5 ca. 8 ca. 2* ca. 0.5* Zeichenerklärung A E = Übergang v. Ein- zum Auswanderungsland B = Bild * = zusammen 1.5 Seiten (Afrika und Asien)

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9.3.5 Menschen in Zeit und Raum

Themen

Lehrmittel Sch

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Mig

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Menschen in Zeit und Raum Band 7 (Total 214 S.)

S. 154: 0.5 S. 162: 0.5

S. 163: Nenn. Einw. Preus-sen

Menschen in Zeit und Raum Band 8 (Total 216 S.)

S. 22ff: 1+ S. 34 Nen-nung S. 76ff*

S. 22 Nen-nung

S. 184: 0.3 S. 22: 1 S. 80: 2 AA

S. 166*

Menschen in Zeit und Raum Band 9 (Total 224 S.)

S. 156ff: 3+

S. 156ff: ca. 1

Total (654 S.) 4 1 0.3 3 Zeichenerklärung AA = Arbeitsauftrag + = Fokus stark auf die USA gerichtet! * = kein od. kaum Bezug zur Schweiz