Einführung in die Liturgie - uni-regensburg.de · 1 Einführung in die Liturgie Anthropologische...

67
1 Einführung in die Liturgie Anthropologische und theologische Grundlagen Der Zyklus der Hauptvorlesungen WS 2008/09 - Einführung in die Liturgie: Grundlagen (1 SWS) - Feiern im Rhythmus der Zeit I: Tagzeitenliturgie (1 SWS) SS 2009 - Feiern im Rhythmus der Zeit II: Feste in Woche und Jahr WS 2009/10 - Sakramentliche Feiern I: Eucharistie SS 2010 - Sakramentliche Feiern II: Initiation, Umkehr/Versöhung, Krankensalbung, Trauung, Ordinationen

Transcript of Einführung in die Liturgie - uni-regensburg.de · 1 Einführung in die Liturgie Anthropologische...

  • 1

    Einführung in die Liturgie

    Anthropologische undtheologische Grundlagen

    Der Zyklus der Hauptvorlesungen

    • WS 2008/09- Einführung in die Liturgie: Grundlagen (1 SWS)- Feiern im Rhythmus der Zeit I: Tagzeitenliturgie (1 SWS)

    • SS 2009- Feiern im Rhythmus der Zeit II: Feste in Woche und Jahr

    • WS 2009/10- Sakramentliche Feiern I: Eucharistie

    • SS 2010- Sakramentliche Feiern II: Initiation, Umkehr/Versöhung,

    Krankensalbung, Trauung, Ordinationen

  • 2

    Lehrangebot im WS 2008/09

    • Seminare:- Psalmodie in der Tagzeitenliturgie: Geschichte –

    Spiritualität – Vollzug (Mi 16.00–17.30)- Kirchenraum und Kirchenbild: Neue und erneuerte

    Gottesdienststätten in der Diözese Regensburg(Do 13.00–14.30; gemeinsam mit Dr. G. Zieroff)

    - „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete“: zur Theologie und Spiritualität des Gebets(Fr 13.00–14.30; Dr. G. Zieroff)

    Lehrangebot im WS 2008/09

    • Übungen:- Zur musikalischen Gestalt der Tagzeitenliturgie:

    Geschichte und Gegenwart (Mi 18.00–19.30)- Liturgie der Aufklärungszeit (Fr 8.30–10.00;

    Dr. G. Zieroff)

  • 3

    Einführung in die Liturgie: Gliederung

    (1) Die Liturgiewissenschaft und ihr Gegenstand

    (2) Hauptetappen der Liturgiegeschichte:Die Quellen in ihrem gesellschaftlichen und theologischen Kontext

    (3) Sacrosanctum Concilium: Theologische und anthropolongische Grundlagen der Liturgie nach dem II. Vatikanischen Konzil

    1 Die Liturgiewissenschaftund ihr Gegenstand

    1.1 Liturgie: Wort- und Sacherklärung

    1.2 Die Liturgiewissenschaft im Fächerkanon der Theologie

  • 4

    1.1.1 Zur Wortbedeutung

    • λειτουργία/λειτουργεῖν- Etymologie: λήϊτος (< λαός) + √ἔργον:

    ein das Volk betreffendes Werk (tun)- allgemeiner Sprachgebrauch der Antike: Arbeit für

    die Öffentlichkeit, Steuerzahlen, Dienstleistung→ NT: allgemein „dienen“ (Phil 2,30); speziell

    Sammlung für eine bedürftige Gemeinde (2 Kor 9,12; Röm 15,27)

    1.1.1 Zur Wortbedeutung

    • λειτουργία- kultisch-technischer Gebrauch

    vermutlich abgeleitet von der allgemein-politischen Bedeutung (Kult als Sache des Gemeinwesens)in diesem Sinn breit belegt in hellenistischer Zeit

    → LXX: Fachbegriff für den Gottesdienst (עבד ,עבודה)→ NT: für atl. Kult (Lk 1,23; Hebr 9,21; 10,11), auch im

    übertragenen Sinn (Phil 2,17; Hebr 8,6)im NT nur ein einziges Mal auf Gottesdienst einer christlichen Gemeinde übertragen (Apg 13,2)

  • 5

    1.1.1 Zur Wortbedeutung

    • λειτουργία- im Griechisch der christlichen Spätantike

    leben sämtliche genannten Bedeutungen fortkeineswegs nur für christlichen Gottesdienst verwendetim byzantinischen Sprachgebrauch mit der Zeit zunehmend eingeschränkt auf Eucharistiefeier

    - im Westen erst von Humanisten aufgegriffengriechisches Lehnwortzunächst im protestantischen Raum verbreitetErste Preußische Agende 1816 (Friedrich Wilhelm III.): Hauptgottesdienst = „Liturgie“

    1.1.1 Zur Wortbedeutung

    • λειτουργία- im katholischen Sprachgebrauch

    kirchenamtlich erstmals von Pius VI. 1794 (DS 2633)aufgegriffen im CIC 1917, can. 1257 (neben cultus)breit verwendet von Pius XII., Liturgie-Enzyklika „Mediator Dei“ (1947; DS 3840–3855)Durchbruch: Konstitution des II. Vatikanums „Über die heilige Liturgie“ Sacrosanctum Concilium

  • 6

    1.1.1 Zur Wortbedeutung

    • Liturgik/Liturgiewissenschaft- Liturgik

    erstmals bei Georg Cassander, Liturgica, de ritu et ordinatione coenae celebrandae. Köln 1558.breiter seit der Aufklärungszeit: Franz Xaver Schmid, Liturgik der christkatholischen Religion. Passau 1832/33.

    - Liturgiewissenschafterstmals bei Romano Guardini († 1968), Leo CunibertMohlberg OSB († 1963), Odo Casel OSB († 1948), Anton Baumstark († 1948)vgl. Jahrbuch für Liturgiewissenschaft ab 1921

    1.1.2 Verwandte Begriffe

    • Lateinische Äquivalenteministerium, officium, munus, servitium, obsequium, cultus, opus, actio, celebratio, sollemnitas, caeremonia, ritus, mysterium, sacramentum, sacrum …

    • Das deutsche Wortfeld- Kult- Gottesdienst- Sakrament- Gebet- Ritus/Ritual

    • Ein erstes Fazit

  • 7

    1.1.3 Vorläufige Sacherklärung

    • CIC 1917, Liber tertius: De rebus, Pars tertia: De culto divino

    c. 1256: Cultus, si deferatur nomine Ecclesiae a personis legitime ad hoc deputatis et per actusex Ecclesiae institutione Deo, Sanctis acBeatis tantum exhibendos, dicitur publicus; sinminus, privatus.

    c. 1257: Unius Apostolicae Sedis est tum sacramordinare liturgiam, tum liturgicos approbarelibros.

    1.1.3 Vorläufige Sacherklärung• Pius XII., Enzyklika „Mediator Dei“ (1947)

    Deshalb irren diejenigen vom wahren und echten Verständnis und Sinn der heiligen Liturgie völlig ab, die sie für einen lediglich äußeren und den Sinnen dargebotenen Teil der göttlichen Verehrung oder gewissermaßen für ein glänzendes Gepränge von Zeremonien halten;nicht weniger irren diejenigen ab, die sie für eine reine Zusammenfassung von Gesetzen und Vorschriften halten, durch die die kirchliche Hierarchie die heiligen Riten einzurichten und zu ordnen heißt. … (DS 3843)

  • 8

    1.1.3 Vorläufige Sacherklärung• Konstitution des II. Vatikanischen Konzils „Über die

    Hl. Liturgie“, § 7Merito igitur Liturgia habetur veluti Iesu Christi sacerdotalis muneris exercitatio, in qua per signasensibilia significatur et modo singulis proprioefficitur sanctificatio hominis, et a mystico IesuChristi Corpore, Capite nempe eiusque membris, integer cultus publicus exercetur.Proinde omnis liturgica celebratio, utpote opusChristi sacerdotis, eiusque Corporis, quod estEcclesia, est actio sacra praecellenter, cuiusefficacitatem eodem titulo eodemque gradu nulla aliaactio Ecclesiae adaequat.

    1.1.3 Vorläufige Sacherklärung

    • Dialog zwischen Gott und Mensch im kommunikativen Handeln der Gemeinde- „Heiligung des Menschen“ und „Verherrlichung

    Gottes“- „durch sinnenfällige Zeichen“- „Wirkung“ und „Bezeichnung“ nicht zu trennen- Subjekt: Christus und die Kirche („Haupt und

    Glieder des mystischen Leibes“)- theologische Bestimmung als „Vollzug des

    Priesteramtes Jesu Christi“- Bezug zum „anderen Tun der Kirche“

  • 9

    1.2 Die Liturgiewissenschaftim Fächerkanon der Theologie

    1.2.1 Wissenschaftsgeschichtliche Skizze1.2.2 Liturgiewissenschaft heute1.2.3 Einige wichtige Standardwerke

    Katechese und Wissenschaft:Zur Geschichte der Liturgieerklärung• Spätantike: Mystagogien, Katechesen und

    Homilien- Erschließung der Liturgie vor (Antiochia, z. T.

    Nordafrika …) oder nach der Taufe (Jerusalem, Mailand …)

    - im weiteren Sinne: Festhomilien• Mittelalter: allegorische Liturgiekommentare

    - erster Hauptvertreter Amalar († um 850)- nicht unumstritten- theologisch-methodische Vorläufer: liturgische

    und exegetische Hermeneutik der Kirchenväter

  • 10

    Katechese und Wissenschaft:Zur Geschichte der Liturgieerklärung• Zur Hermeneutik allegorischer

    Liturgieerklärung- typologisch- anagogisch- tropologisch- rememorativ

    • Seit dem Spätmittelalter: neben der Deutung Entfaltung der Rubrizistik

    1.2 Die Liturgiewissenschaftim Fächerkanon der Theologie

    1.2.1 Wissenschaftsgeschichtliche Skizze1.2.2 Liturgiewissenschaft heute1.2.3 Einige wichtige Standardwerke

  • 11

    Die Entstehung der Liturgikals akademischer Disziplin

    • Humanismus: Entstehung der Liturgik• Aufklärung: Lehrstühle für Liturgik

    - Rom 1748–1772, dann erst wieder 1922- im deutschen Sprachraum erstmals Prag 1754- Studienreformen unter Maria Theresia und Josef II.

    • 19. Jh.: Erste Handbücher der Liturgik• 20. Jh.: „Liturgiewissenschaft“

    Methodendiskussionendes 20. Jahrhunderts

    • systematisch:systematische Liturgiewissenschaft: Romano Guardini (†1968)

    • praktisch:Pastoralliturgik: Athanasius Wintersig / Ludwig A. Winterswyl

    (†1942)• historisch:

    - vergleichende Liturgiewissenschaft / Liturgie comparée: Anton Baumstark (†1948)

    - historisch-genetische Erklärung: J. A. Jungmann (†1975)- geistesgeschichtliche Forschung: Anton L. Mayer (†1982)- religionsgeschichtliche Forschung und Verhältnis zur

    nichtchristlichen Antike: Franz Josef Dölger (†1940), Theodor Klauser (†1984)

  • 12

    1.2.2 Liturgiewissenschaft heute

    • Aus der Liturgiekonstitution des II. Vatikanums• Die „Standortbestimmung“ von 1991

    2 Hauptetappen der Liturgiegeschichte: Die Quellen in ihrem gesellschaftlichen

    und theologischen Kontext

    2.1 Zur Liturgie in altkirchlicher Zeit2.2 Zur Vielfalt von Liturgien und Liturgiefamilien in Ost und West2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen

    Westen2.4 Frühneuzeitliche Reformen2.5 Liturgische Erneuerung im 19. und 20. Jahrhundert2.6 Die nachvatikanisch erneuerten Quellen

  • 13

    Vorbemerkungen: Epochengliederung

    • Epochengliederung nach Robert F. Taft(1) Herausbildung von Grundstrukturen (2./3. Jh.:

    frühe patristische Zeugnisse)(2) Auftauchen erster liturgischer Texte (ab 3. Jh.:

    erste Kirchenordnungen)(3) Entstehung von Liturgiefamilien („Riten“)

    (nach 313: Wechselwirkung von politischer Geschichte und liturgischer Kreativität und Vereinheitlichung)

    (4) Weitere Geschichte etablierter Riten (Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung von Liturgien und Liturgiefamilien)

    Vorbemerkungen:Quellenlage

    • Die Spätantike als „prähistorische Zeit“ der Liturgiegeschichte- ganze liturgische Bücher im engen Sinne sind erst aus dem

    Frühmittelalter erhalten- literarisch bezeugt ist liturgie-kodifizierende Tätigkeit von

    Bischöfen ab dem 5. Jh.- erhaltene Ausnahmen

    Jerusalemer Liturgie: ab 5. Jh. durch indirekte Tradition überliefertPapyri (Eucharistiegebete, Gesänge, Gebete, Stationslisten …)vereinzelte Palimpseste

    - ansonsten: nur indirekte Nachrichten

  • 14

    Zum jüdischen Umfeldurkirchlichen Gottesdienstes

    • problematische Quellenlage- AT: eine Quelle für den Kult des 2. Tempels?- Qumran: religionsgeschichtliche Zuordnung und Sitz im Leben?- rabbinische Literatur: Gefahr anachronistischer Rückprojektion- Philo, Josephus Flavius …- NT selbst

    • vielfältige Kontexte- Tempel: nur in Jerusalem- Synagoge: als Gottesdienststätte zunächst in der Diaspora

    bezeugt- Haus: vorrabbinisch schwer zu greifen

    Zum jüdischen Umfeldurkirchlichen Gottesdienstes

    • wechselnde Interpretationen- Kontrastmodell

    bis zur 1. Hälfte des 20. Jhs. verbreitetbetont die Neuheit des Christentums und den hermeneutischen Gegensatzhäufig antijüdisch zugespitzt (Substitutionstheorie)

    - „Mutter-Tochter“-ParadigmaPerspektivenwechsel in der 2. Hälfte des 20. Jhs.Kontinuitätsmodell (Eucharistie, Wortgottesdienst, Lesezyklen, Osterfeier und Pentekoste, Taufe, Gebet …)historisch problematisch (jüdische Quellenlage: Datierung, Gruppenzuordnung, Verbreitung)hermeneutisch offen für latente Substitutionstheorie

  • 15

    Zum jüdischen Umfeldurkirchlichen Gottesdienstes

    • wechselnde Interpretationen- „Zwillings“-Paradigma

    Christentum und rabbinisches Judentum stehen vor analogen Herausforderungen

    Zerstörung des Tempels und Ende des KultesNeukonstitution einer kultlosen Religion

    gemeinsames Erbe der Bibel (AT) und ihrer Kulttheologiebeide im hellenistisch-römischen Rahmen – analoge Entwicklungen und vielfache Interaktion

    Organisationsformen: KultvereineBauformen: Versammlungshäuser, Basilika-TypGottesdienstformen: Symposium, Initiation, Ordination …

    lange keine scharfen BruchlinienVielfalt religiöser Gruppen und Kontexte

    Zum Gottesdienst neutestamentlicher Gemeinden

    • Differenzierung nach Typen- klassisch (z. B. Ferdinand Hahn):

    aramäisch sprechende Gemeindefrühe griechisch sprechende Gemeinde („Hellenisten“)heidenchristliche Gemeinde

    - weiters:bis ins 4. Jh. vielfältige jüdisch-christliche und judenchristliche Gruppierungen

    faktische KontakteRekonstruktion aufgrund biblischer Texte

    unscharfe Bruchlinien zu „gnostischen“ Gruppen

  • 16

    Zum Gottesdienst neutestamentlicher Gemeinden

    • wenig konkrete liturgiehistorische Information- in Jerusalem zunächst selbstverständliche Teilnahme am

    Tempelkult- Entwicklung christlicher Gottesdienstformen und

    TextgattungenHerrenmahl und Eucharistiegebet, Taufe, tägliches Gebet, Osterfeier …Akklamationen (Amen, Halleluja, Hosanna, Maranatha …)„Psalmen, Hymnen, geistliche Lieder“ (Eph 5,19; Kol 3,16)teilweise in Transformation jüdischen Erbes (Problem: Quellenlage)häufig analoge Entwicklungen im gemeinsamen historischen und religiösen Rahmen (Kultvereine, Symposialkultur, Wortgottesdienst …)

    • Problematik überzogener Schlußfolgerungen aus formgeschichtlichen Hypothesen- Identifikation und Isolation urkirchlicher „Hymnen“- Rekonstruktion ganzer liturgischer Sequenzen

    Christliche Liturgie zwischen Kultkritik und Kultmetaphorik

    • Bedeutung des Christusereignisses für die christliche Liturgie- Überlieferungen über den irdischen Jesus

    Tempelworte und -aktion (Mk 11,15–17parr; Joh 2,13–17)Auseinandersetzung mit überkommenen FrömmigkeitsformenGebetspraxis und -lehreMahlgemeinschaften vor und nach Ostern

    - wichtigster anamnetischer Inhalt (vgl. 1 Kor 11,23–26)- fundamentale Relativierung kultisch vermittelter

    Gottesbegegnungnach dem Tod Jesu theologischnach 70/135 auch faktischnach Paulus vgl. v. a. Hebr

  • 17

    Christliche Liturgie zwischen Kultkritik und Kultmetaphorik

    • Kultmetaphorik und Kultkritik- Metaphorisierung des biblischen Kultes

    bei Paulus differenzierte metaphorische Anwendung von Kultbegriffen und -vorstellungen auf die Gemeinde, den einzelnen und auf das Christusereignis, aber nie auf die christliche LiturgieChristologie aus dem AT im Hebr, mit fundamentalen rückwirkenden Konsequenzen für den biblischen Kulthimmlischer Kult in Offb

    - scharfe Abgrenzung gegenüber paganen Kultenschon bei PaulusTopos der Apologeten des 2./3. Jhs. (Atheismusvorwurf: keine Opfer, Priester und Altäre)differenziertes Verhältnis gegenüber „Mysterienreligionen“

    2 Hauptetappen der Liturgiegeschichte: Die Quellen in ihrem gesellschaftlichen

    und theologischen Kontext

    2.1 Zur Liturgie in altkirchlicher Zeit2.2 Zur Vielfalt von Liturgien und Liturgiefamilien in Ost und West2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen

    Westen2.4 Frühneuzeitliche Reformen2.5 Liturgische Erneuerung im 19. und 20. Jahrhundert2.6 Die nachvatikanisch erneuerten Quellen

  • 18

    Vorbemerkungen: Epochengliederung

    • Epochengliederung nach Robert F. Taft(1) Herausbildung von Grundstrukturen (2./3. Jh.:

    frühe patristische Zeugnisse)(2) Auftauchen erster liturgischer Texte (ab 3. Jh.:

    erste Kirchenordnungen)(3) Entstehung von Liturgiefamilien („Riten“)

    (nach 313: Wechselwirkung von politischer Geschichte und liturgischer Kreativität und Vereinheitlichung)

    (4) Weitere Geschichte etablierter Riten (Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung von Liturgien und Liturgiefamilien)

    Christliche Liturgie zwischen Kultkritik und Kultmetaphorik

    • kultische Reinterpetation christlicher Liturgie- beginnend im 2. Jh., zunehmend im 3. Jh.

    Opferterminologie im Dienste der Eucharistietheologie (seit Didache)Sazerdotalisierung des Amtes, nicht nur der Gemeindebiblische Reinheitsvorschriften nicht nur ethisch, sondern mitunter auch kultisch angewandtWechselwirkung mit der allegorischen Exegesehermeneutisch differenziert zu betrachten

    - Durchbruch im 4. Jh.z. B. Eusebius, Kirchweihpredigt in Tyrus (h. e. 10,4; 313p): Sakralisierung und kulttypologisches Verständnis des Kirchenraumeskultischer, nicht exegetischer Mysteriencharakter der christlichen Liturgie (z. B. Johannes Chrysostomus)

    - Renaissance „archaischer Religiosität“ im Frühmittelalter (Arnold Angenendt)

  • 19

    Frühe patristische Hinweise

    • einige Namen- sporadische Zeugnisse der Märtyrerkirche

    Ignatius von Antiochien, Briefe (1. Hfte. 2. Jh.)Polykarp-Martyrium (2. Hfte. 2. Jh.)Plinius d. J., Brief 10,96 (Außenzeugnis; 111/112)

    - älteste römische ZeugnisseHirt des Hermas (Mitte 2. Jh.)Justin, Apologien (Mitte 2. Jh.)

    - älteste lateinische Zeugnisse Africa, 3. Jh.TertullianCyprian

    Frühe patristische Hinweise

    • einige Gattungen- Briefe- Apologien- Predigten

    Festpredigtenältestes Beispiel: Melito von Sardes, Paschahomilie (2. Jh.)breiter mit Entfaltung des Kirchenjahres im 4. Jh.

    exegetische Homilien

    - eine Gattung für sich: Apokryphe ApostelaktenJohannesakten (Ägypten? Syrien? Kleinasien?, 2./3. Jh.?)Thomasakten (Syrien, 3. Jh.?)erzählende und erzählte Zeit

  • 20

    Frühe patristische Hinweise

    • einige Inhalte- Taufe, Eucharistie, Buße- Symposien und „Agape“, tägliches Gebet- Sonntag und Ostern- beginnende Märtyrerverehrung- vereinzelt Hinweise auf Hochzeit und Bestattung

    von Christen …

    Nach der „Konstantinischen Wende“

    • veränderte Rahmenbedingungen- von der Freiheit der Kirche zur Staatsreligion- Einströmen der Massen in die Kirche- Funktionswandel zum öffentlichen Kult

    • beinahe explosionsartige Entwicklung- funktional: cultus publicus- räumlich: neues Format

    neue Bauformen (Basilika)rituelle Entfaltung

    - zeitlich: Entwicklung des Kirchenjahres

  • 21

    • einige Konsequenzen- Vereinheitlichungs- und Regulierungstendenzen

    auch im öffentlichen Interesse- Wechselwirkung mit Entwicklung des Dogmas- verstärkte kultische Reinterpretation des

    Gottesdienstes, seiner Institutionen und Rollen- Übernahme von Elementen aus dem Hof- und

    Beamtenzeremoniell- Mystagogie und Katechese: Blüte oder

    Zusammenbruch des katechumenalen Systems?- Notwendigkeit der Verbalisierung in der Liturgie

    aus katechetischen Gründen• aber: Diskontinuität nicht überschätzen

    Nach der „Konstantinischen Wende“

    Nach der „Konstantinischen Wende“

    • neue liturgische Quellengattungen und Inhalte- Katechesen und Mystagogien erschließen erstmals

    detailliert Initiation und Eucharistie- Zyklen von Festhomilien geben ein umfassendes

    Bild des Kirchenjahres

  • 22

    Spätantike Kirchenordnungen

    • gemeinsame Kennzeichen- ursprüngliche Entstehung im griechischen Osten- große Verbreitung

    zeitlich: von neutestamentlicher Zeit bis ins Mittelalterräumlich:

    lateinischer Westengriechischer Ostenorientalische Versionen (koptisch, äthiopisch, arabisch, syrisch, georgisch, z. T. bis nach China)

    - InhaltGemeindeverfassung (Ämter, Dienste, Stände)Liturgiekatechetisches und apokalyptisches Material, …

    Spätantike Kirchenordnungen

    • gemeinsame Kennzeichen- Zweck: autoritative Ordnung des Gemeindelebens- Legitimation des Anspruchs durch Vorgabe

    apostolischer VerfasserschaftTitel: „12-Apostel-Lehre“ (Didache), „Apostolische Überlieferung“ (,Traditio Apostolica‘), „Apostellehre“(Didaskalie), „Apostolische Konstitutionen“ …im Laufe der Zeit literarisch immer stärker ausgebaut

    zunächst bloßer Titel (Didache, ,Traditio Apostolica‘)literarische Fiktion als Rahmenhandlung (Didaskalie, Apostolische Konstitutionen)Gipfel: Testamentum Domini

    - Überlieferung: „lebende Literatur“

  • 23

    Spätantike Kirchenordnungen

    • gemeinsame Kennzeichen- historische Einordnung schwierig

    Was datiert man?Endredaktion?Einzeltraditionen?

    Wie geht man mit Elementen um, die nur in einzelnen Textzeugen erhalten sind?

    späte Zufügung?alte, sonst verlorengegangene Überlieferung?

    Spätantike Kirchenordnungen

    • liturgiegeschichtliche Bedeutung- älteste liturgische Quellen im engeren Sinn- aber: gattungsbedingt 2 Kautelen

    (1) Sammlung von Traditionen: Widersprüchliches steht mitunter unharmonisiert nebeneinander

    (2) präskriptiver Charakter→ methodisches Fazit: Sicherheit gibt es nur dort, wo ein

    Brauch oder Text auch unabhängig bezeugt ist

    - generell: Modellcharakter liturgischer Ordnungen der Frühzeit

  • 24

    Spätantike Kirchenordnungen

    „Der Bischof sage Dank (spreche ein eucharistisches Hochgebet), wie wir es oben gesagt haben. Es ist keineswegs nötig, daß er dieselben Worte vorträgt, die wir gebraucht haben, wie einer, der sich bemüht, Gott auswendig dankzusagen. Vielmehr soll ein jeder seinen Fähigkeiten entsprechend beten. Wenn einer fähig ist, mit einem ansehnlichen und feierlichen Gebet zu beten, ist es gut. Wenn einer aber ein kurzes Gebet vorträgt, hindert ihn nicht. Er soll nur gesund in der Rechtgläubigkeit beten.“

    ,Traditio apostolica‘ 9

    Die wichtigsten Kirchenordnungen

    Didache(Anfang 2. Jh.?)

    Didaskalie(3. Jh.?)

    Traditio Apostolica(3./4. Jh.?)

    Apostolische Konstitutionen(Ende 4. Jh.)

    weiteresMaterial

  • 25

    Didache: Titel und Text

    • Titel: doppelt überliefert- „Lehre der 12 Apostel“ (διδαχὴ τῶν δώδεκα ἀποστόλων) und- „Lehre des Herrn durch die 12 Apostel an die (Heiden-)

    Völker“ (διδαχὴ κυρίου διὰ τῶν δώδεκα ἀποστόλων τοῖςἔθνεσιν)

    • Text- vollständig nur in 1 Hs des 11. Jhs.- 2 griechische Papyrusfragmente (4. Jh., nur 1. Teil)- liturgische Teile: koptisches Papyrusfragment (4./5. Jh.)- Rezeption in Apostolischen Konstitutionen (spätes 4. Jh.)- weitere Übersetzungen (äthiopisch, georgisch, chinesisch …)

    Didache: Inhaltsüberblick• 1–6: Zwei Wege-Lehre

    - Topos in der altkirchlichen Literatur; jüdische Parallelen oder gar Herkunft (?)

    - durch 7, 1 als Taufunterweisung charakterisiert (redaktionell?)• 7–10: liturgische Bestimmungen

    - 7: Taufe- 8: Wochenfasten und tägliches Gebet (Vater Unser)- 9–10: Eucharistie (Anhang: Myroneucharistie [nur koptisch und

    Apostolische Konstitutionen])• 11–13: Aufnahme fremder Christen, u. a. Apostel und Propheten• 14–15: verschiedene Bestimmungen

    - Herrentag und Sündenbekenntnis- Wahl von Bischöfen und Diakonen- correctio fraterna

    • 16: eschatologischer Schluß / Apokalypse

  • 26

    Didache: Entstehungsort und -zeit

    • Entstehungsort- Ägypten?

    v. a. aufgrund der Wirkungsgeschichteaber: auch in Syrien rezipiert

    - syropalästinischerGroßraum?

    7, 2: wasserarme Gegend9, 4: „Brot auf den Bergen“WandercharismatikerNähe zur synoptischen Tradition

    • Entstehungszeit- Datierung bis heute

    umstrittenmeist: frühes 2. Jh.aber: bedeutend frühere und spätere Vorschläge

    - liturgische Teile sind vielleicht Traditionsstücke und eine Generation älter

    - Zeitrahmen: wohl vor den spätesten Schriften des NT

    ,Traditio apostolica‘

    • Die traditionelle Hypothese- „Traditio Apostolica“ als Schrift

    des römischen Presbyters Hippolyt- 217–235 schismatischer

    Gegenbischof gegen Calixtus, Urban und Pontianus

    - 235 gemeinsam mit Pontianus nach Sizilien verbannt und als Märtyrer hingerichtet

    - Werkliste auf einer antiken Statue

    „Statue des Hippolyt”, gefunden 1551heute: Eingang zur Vatikanischen Bibliothek

  • 27

    ,Traditio Apostolica‘: Probleme• Problemkreise

    - Zuschreibung der Schrift an Hippolyt nur aufgrund der unsicheren Kumulation von Indizien

    der Katalog der Werke Hippolyts auf der Vatikanischen Statue nennt περὶ χαρισμάτων ἀποστολικὴ παράδοσιςvgl. Epilog der Schrift: „… wenn alle die apostolische Überlieferung beachten …“ / Prolog: „Was wir über die Geistesgaben geschrieben haben …“Kapitelüberschriften in der Epitome von Buch 8 der Apostolischen Konstitutionen erwähnen „Hippolyt“

    - die historische und literarische Identität des „Hippolyt von Rom“ ist alles andere als sicher

    ein Schriftsteller (geboren im O, Wirkung in Rom), oderzwei Schriftsteller (einer im O, einer in Rom), odereine ganze Schule?

    ,Traditio Apostolica‘: Der Befund

    • Die griechische Originalfassung der „TraditioApostolica“ ist verloren und muß aus einer Reihe von sekundären Textzeugen rekonstruiert werden- keiner trägt den Titel „Traditio Apostolica“- lateinische Übersetzung des 4./5. Jhs. (Verona-Palimpsest:

    sicher vor 494, möglicherweise älter)- komplizierter orientalischer Überlieferungsstrang

    (koptische [sahidisch und bohairisch], arabische und äthiopische Übersetzungen und Überarbeitungen)

    - verschiedene Überarbeitungen in griechischen Kirchenordnungen, u. a. den „Apostolischen Konstitutionen“ (Syrien, Ende 4. Jh.)

  • 28

    ,Traditio Apostolica‘: Konsequenzen• Wie bei allen Kirchenordnungen, handelt es sich bei

    der „Traditio Apostolica“ um „lebende Literatur“.• Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß das

    Dokument von einem einzigen Verfasser im 3. Jh. in Rom redigiert oder gar abgefaßt wurde.

    • Was nur in einzelnen Überlieferungssträngen bezeugt ist, kann genausogut Teil des ursprünglichen Textes wie eine späte Zufügung der jeweiligen Tradition sein.

    • Auch bei Material, das sich in allen Zeugen findet, ist mit Überarbeitungen bis ins 4. Jh. zu rechnen.

    ,Traditio Apostolica‘: Inhalt

    • reiches liturgisches Material- 1–14: Ämter, Stände und deren Einsetzung,

    dazwischen diverse Naturaloblationen- 15–21: der Prozeß der Initiation: Katechumenat

    und Taufe- 22–43: weitere Gottesdienste, u. a.

    Fastenrituelle und disziplinäre Anordnungen für Mahlfeierntägliches Gebetvom Umgang mit der Eucharistie

  • 29

    Didaskalie• Ort und Zeit

    - generell: Syrien, 3. Jh.- im Detail zu überprüfen

    • Textzeugen- vollständig in syrischer

    Übersetzung- lateinisches Fragment

    (Verona-Palimpsest)- Überarbeitung des

    griechischen Textes in den Apostolischen Konstitutionen

    • verstreutes liturgisches Material- Bischof als Hoherpriester- Diakone und Diakoninnen- Initiation- Büßeraussöhnung- Paschafeier und Hohe

    Woche (literarisch)- Gottesdienstteilnahme am

    Sonntag- Kirchenraum und

    Platzordnung- …

    Die wichtigsten Kirchenordnungen

    Didache(Anfang 2. Jh.?)

    Didaskalie(3. Jh.?)

    Traditio Apostolica(3./4. Jh.?)

    Apostolische Konstitutionen(Ende 4. Jh.)

    weiteresMaterial

    Buch 1–6 Buch 7 Buch 8

  • 30

    Die Apostolischen Konstitutionen• Ort und Zeit

    - Syrien, gegen Ende 4. Jh.- heterodoxer Redaktor?

    ([semi-] arianisch?)

    • Text- vollständig griechisch

    erhalten- Übersetzungen: lateinisch,

    arabisch, äthiopisch

    • Kompilation auf Basis älterer Quellen- Buch 1–6: Didaskalie- Buch 7: Didache- Buch 8: Traditio Apostolica

    • sehr umfangreiches liturgisches Material- Initiation (mehrfach)- ältestes vollständiges

    Eucharistieformular- Ordinationen- Tagzeitenliturgie- Festkreis- Gebetsmaterial mit jüdischen

    Vorläufern?- …

    2 Hauptetappen der Liturgiegeschichte: Die Quellen in ihrem gesellschaftlichen

    und theologischen Kontext

    2.1 Zur Liturgie in altkirchlicher Zeit2.2 Zur Vielfalt von Liturgien und Liturgiefamilien in Ost und West2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen

    Westen2.4 Frühneuzeitliche Reformen2.5 Liturgische Erneuerung im 19. und 20. Jahrhundert2.6 Die nachvatikanisch erneuerten Quellen

  • 31

    Vorbemerkungen: Epochengliederung

    • Epochengliederung nach Robert F. Taft(1) Herausbildung von Grundstrukturen (2./3. Jh.:

    frühe patristische Zeugnisse)(2) Auftauchen erster liturgischer Texte (ab 3. Jh.:

    erste Kirchenordnungen)(3) Entstehung von Liturgiefamilien („Riten“)

    (nach 313: Wechselwirkung von politischer Geschichte und liturgischer Kreativität und Vereinheitlichung)

    (4) Weitere Geschichte etablierter Riten (Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung von Liturgien und Liturgiefamilien)

    Historische Eckdaten66–70: Erster Jüdischer Krieg- Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch Titus- Flucht der judenchristlichen Gemeinde nach Pella

    (Ostjordanland)132–135: Jüdischer Aufstand unter Bar Kochba- Jerusalem wird Garnisonsstadt „Colonia Aelia Capitolina“- Hadrianisches Bauprogramm: neuer Stadtplan,

    Repräsentationsbauten (Forum, Tripeltempel für die kapitolinische Trias …), Jupitertempel auf dem Tempelplatz

    - Verbot für Beschnittene, Jerusalem zu betreten- Beginn der rein heidenchristlichen Kirche von Jerusalem

  • 32

    Historische Eckdaten

    313/324: „Konstantinische Wende“ im Westen und Osten des Reiches326: Beginn des konstantinischen Bauprogramms: Anastasis („Grabeskirche“), Eleona-Basilika/Ölberg, Geburtskirche / Betlehem …335: Einweihung der Anastasis-Basilika, nach 340 Vollendung des Komplexes614: Persersturm638: Übergabe an die Araber durch Patriarch Sophronius

    Das christliche Jerusalem

    Mosaikkarte von Madaba (6. Jh.)Stadtvignette Jerusalem (geostet)

  • 33

    Frühe Pilger/-innen

    160/170: Melito von Sardesum 215/225 (?): Alexander von Kappadokien326/327: Helena (Mutter Konstantins)333: Pilger von Bordeaux (ältester erhaltener Pilgerbericht)381–384?: Egeriaab 386 Hieronymus bleibend in Betlehem

    Quellen: Überblick

    • erstmals alle Quellengattungen- liturgie-deskriptive Quellen: Pilgerberichte (Egeria etc.),

    monastisches Schrifttum- liturgie-präskriptive Quellen: Lektionare/Synaxare

    (armenisch, georgisch), Hymnar (georgisch)- liturgie-interpretative Quellen: Katechesen, Mystagogien

    und Festpredigten Jerusalemer Presbyter und Bischöfe von Cyrill († 386/7) bis Johannes Damascenus († vor 754)

    - archäologische und kunstgeschichtliche Monumente

  • 34

    Quellen: Cyrill/Johannes

    • 18 + 1 präbaptismale Katechesen: von Cyrill 348/350 als Presbyter

    • 5 postbaptismale „mystagogische Katechesen“: von Cyrill gegen Ende seines Lebens (386/7) oder von seinem Nachfolger Johannes († 417)

    Quellen: Egeria

    • Pilgerbericht in Briefform- ein einziges verstümmeltes Manuskript des 11. Jhs.- Verfasserin indirekt bezeugt: mehrere

    Namensformen (Egeria, Aetheria …)- hochgestellt, vermutlich nicht „Nonne“

    • Inhalt: 2 Teile(1) Reisebeschreibung (1–23)(2) Schilderung der Jerusalemer Liturgie (24–49)

    Die liturgische Woche: Tagzeitenliturgie an Wochentagen und SonntagenDas liturgische Jahr: Epiphanie bis Kirchweih

  • 35

    Quellen: Egeria

    • Datierung- termins post: 363: Nisibis bereits persisch- terminus ante: 527–557: vor den justinianischen

    Bauten des Sinaiklosters- weitere Argumente konvergieren auf 381–384- aber: nicht ohne Gefahr von Zirkelschlüssen

    Lektionare/Synaxare• „Armenisches Lektionar“

    - handschriftlich bezeugt ab dem 9./10. Jh.

    - 3 Rezensionen- verlorenes griechisches

    Original:nach 417 († Bischof Johannes/Jerusalem)vor 439 (Translation der Stephanusreliquien)

    - Feiern im Jahreslauf- bestätigt vielfach Egeria- dokumentiert weitere

    Entwicklung

    • „Georgisches Lektionar“- verlorenes griechisches

    Original: 5.–7. Jh.- etliche Textzeugen ab

    dem 10. Jh.; Fragment des 7. Jhs.

    - quantitatives und qualitatives Wachstum von Stationsprogramm, Kalender, Leseordnung und Gesängen

    • Ausblick: Das Georgische Hymnar

  • 36

    Inhalte• umfassendes Bild der

    Jerusalemer Liturgie- Initiation (Taufe und

    Ersteucharistie)- Tagzeitenliturgie- Kirchenjahr: Kalender,

    Stationen, Leseordnung- Gesänge- euchologisches Material

    (Jakobusliturgie, weiters z. B. Ordinationsgebete)

    • Trägergruppen- Pilger/-innen- Mönche und Nonnen- Ortsgemeinde

    • Sprachen- dreisprachige Feier

    (griechisch mit lateinischer und syrischer Übersetzung)

    - nationale Kolonien und Austauschbeziehungen mit anderen Ortskirchen

    Papyri• Beschreibstoffe:

    - v. a. Papyrus- aber auch Pergament, Tonscherben (Ostraka),

    Holztafeln, Tierknochen• Inhalt:

    - literarische Texte, hier v. a. Kirchenvätertexte- dokumentarische Texte: Briefe, Wirtschaftstexte etc.;

    hier v. a. Gebete, Amulette, magische Texte• ungeschminkter Blick auf Alltagsleben und -

    sprache auch von Liturgie und Frömmigkeit• illustriert die Vielfalt des konkreten kirchlichen

    und liturgischen Lebens

  • 37

    Papyri• Fragmente liturgischer Texte

    - v. a. frühe Textzeugen von Hochgebeten, die sonst handschriftlich erst im Mittelalter belegt sind

    Papyri

    Papyrus Strasbourg gr. inv. 254 recto (vor 380?)

  • 38

    Papyri• Fragmente liturgischer Texte

    - v. a. frühe Textzeugen von Hochgebeten, die sonst handschriftlich erst im Mittelalter belegt sind

    - Problem 1: Einordnung in die Entwicklungsgeschichte – Frage von Vielfalt und „Sonderformen“

    - Problem 2: Einordnung von Fragmenten – Frage der Vollständigkeit

    • christliche Gebete• Randgebiete: Amulette, magische Texte• aber auch z. B. Stationsverzeichnis aus

    Oxyrhynchus

    Methodische Regeln

    Paul BradshawThe Search for the Origins of Christian Worship

    1.Aufl. London 1992, 56–79:

    Ten Principles for Interpreting Early Christian Liturgical Evidence

  • 39

    Kirchenbau: Dura Europos

    Kirchenbau: Qirqbize

  • 40

    Kirchenbau: Qirqbize

    Liturgiefamilien

    • Liturgiefamilien- Außerhalb des byzantinischen Reichs: Die

    ostsyrische Liturgiefamilie- Das Patriarchat von Antiochia: Die westsyrische

    Liturgiefamilie- Was Pilger/-innen zu Hause erzählen: Die

    Sonderstellung Jerusalems- Die byzantinische Synthese- Ägypten und südlich davon: Das Patriarchat von

    Alexandria

  • 41

    2 Hauptetappen der Liturgiegeschichte: Die Quellen in ihrem gesellschaftlichen

    und theologischen Kontext

    2.1 Zur Liturgie in altkirchlicher Zeit2.2 Zur Vielfalt von Liturgien und Liturgiefamilien in Ost und West2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen

    Westen2.4 Frühneuzeitliche Reformen2.5 Liturgische Erneuerung im 19. und 20. Jahrhundert2.6 Die nachvatikanisch erneuerten Quellen

    Vorbemerkungen: Epochengliederung

    • Epochengliederung nach Robert F. Taft(1) Herausbildung von Grundstrukturen (2./3. Jh.:

    frühe patristische Zeugnisse)(2) Auftauchen erster liturgischer Texte (ab 3. Jh.:

    erste Kirchenordnungen)(3) Entstehung von Liturgiefamilien („Riten“)

    (nach 313: Wechselwirkung von politischer Geschichte und liturgischer Kreativität und Vereinheitlichung)

    (4) Weitere Geschichte etablierter Riten (Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung von Liturgien und Liturgiefamilien)

  • 42

    Liturgiefamilien

    • Liturgiefamilien- Außerhalb des byzantinischen Reichs: Die

    ostsyrische Liturgiefamilie- Das Patriarchat von Antiochia: Die westsyrische

    Liturgiefamilie- Was Pilger/-innen zu Hause erzählen: Die

    Sonderstellung Jerusalems- Die byzantinische Synthese- Ägypten und südlich davon: Das Patriarchat von

    Alexandria

    Liturgiefamilien• Bestimmende Faktoren

    - historisch-geographische und politische BedingungenMissionsgeschichte: räumliche und zeitliche Entfaltung der ChristenheitPilgerziele als Ausganspunkt von Ausstrahlungpolitische Rahmenbedingungen

    Überformung und Übernahme von Riten unter politischem DruckEntwicklung von Kirchen innerhalb und außerhalb des Reiches

    - doktrinäre Abgrenzungen und Zerwürfnisse: der Anspruch auf „Orthodoxie“

    - kirchenpolitische Motivehierarchische Konkurrenzneuzeitliche Unionen

  • 43

    Liturgiefamilien

    • Ergebnis: Kirchen – Riten – Sprachen• Die heutige Landschaft orientalischer

    Konfessionen und Kirchen• Zur liturgievergleichenden Methode

    2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen Westen

    2.3.1 Historische Vorbemerkungen2.3.2 Die Quellen im einzelnen

  • 44

    Zur Liturgiesprache• Griechisch im antiken Rom:

    - Bildungssprache- In der Spätantike machten griechischsprechende Orientalen

    einen Großteil der Einwohnerschaft aus• Die römischen Christengemeinden sprachen bis ins 4.

    Jh. selbstverständlich griechisch- Schrifttum (vgl. schon Röm; römisches Schrifttum ab 1 Clem)- Bischofsnamen

    1.–2. Jh.: bis Victor fast alle griechisch3. Jh.: etwa die Hälfte4. Jh.: nur mehr vereinzelt

    - Inschriften (Grabinschriften etc.)

    Zur Liturgiesprache• Übergang zur lateinischen

    Liturgiesprache im 4. Jh.- um 360: Marius Victorinus

    zitiert aus einer oratiooblationis: σῶσον περιούσιονλαὸν, ζηλωτὴν καλῶν ἔργων(Adversus Arium 2,8)

    - vor 382: ps-augustinischeQuaestiones Veteris et NoviTestamenti 109,20f: Melchisedek in der Bibel sacerdos appellatus estexcelsi dei, non summus, sicutnostri in oblationepraesumunt

    • Relikte griechischen Sprachgebrauchs: v. a. alte Formeln (Kyrie eleison etc.)

    • in späterer Zeit vereinzelte griechische Elemente- z. T. Erhaltung von Altem in

    liturgisch hochwertiger Zeit?- oder eher spätere

    Einführungen (z. B. in der byzantinischen Periode 6. Jh. und unter den orientalischen Päpsten des 7./8. Jhs.)

  • 45

    Zur Quellenlage in der Spätantike• in griechischsprachiger

    Zeit:- Justin

    Philosoph und Märtyrer (†um 165)Apologien an Antoninus Pius (um 150) und Marcus Aurelius (150/155)Schilderung von Initiation und Sonntagseucharistie

    - „Hirt“ des Hermas (Mitte 2. Jh.): Taufe und Buße

    - „Traditio Apostolica“: entfällt als verläßlicher Zeuge römischer Liturgie

    • in der lateinischen Zeit:- Korrespondenz

    Innozenz I., Brief an Decentius von Gubbio(416): zahlreiche liturgische FragenJohannes Diaconus (6. Jh.): detailliert zur InitiationBriefe verschiedener Päpste

    - Homilien zum Kirchenjahr

    Leo I. (440–461)Gregor I. (590–604)

    Die römische Liturgieim Kreis der westlichen Riten

    • Die römische Liturgie ist nicht die älteste lateinische Liturgie• Weitere lateinische Liturgien

    - Nordafrika: mit vandalischer und islamischer Eroberung untergegangen; keine liturgischen Texte erhalten

    - Gallien: (alt-) gallischer Ritus seit dem 8. Jh. durch den römischen verdrängt und teilweise mit diesem verschmolzen

    - Irland, England, Bretagne: keltische Liturgie im Lauf des Mittelalters von der römischen verdrängt

    - Spanien: westgotische oder hispano-mozarabische Liturgie unter Gregor VII. verboten; in Toledo bis heute

    - Mailand: „Ambrosianische“ Liturgie bis heute- italische Eigenliturgien von Ravenna, Benevent, Aquileia: im

    Mittelalter (Aquileia 1594) vom römischen Ritus verdrängt

  • 46

    Typen römischer Liturgie

    • Presbyterliturgie an den Titelkirchen, oft auch mißverständlich „Gemeindeliturgie“ genannt

    • Bischofs- (=Papst-) Liturgie in der Lateran-Basilika und in den Stationskirchen

    Karolingische Liturgiereform• Hintergrund: Romanisierung der Liturgie im 8. Jh.

    - Missionstätigkeit des Winfrid/Bonifatius († 754): u. a. vom Anliegen der Verbreitung der römischen Liturgie getragen (v. a. Taufritus)

    - unter Pippin († 768):erste nachweisbare Rezeption eines römischen SakramentarsÜbernahme der cantilena romana

    • Durchsetzung: politische Motivation und Staatsraison- Wille zur kirchlichen und damit liturgischen

    Vereinheitlichung im Dienst der Reichseinheit- rechte Gottesverehrung im Interesse des Wohlergehens von

    Reich und Kaiser (ähnlich der altrömischen religio publica)- Übernahme der päpstlichen Gebräuche und Texte

  • 47

    Karolingische Liturgiereform

    • kultureller Kontext: „karolingische Renaissance“- Blüte der Schrift- und Buchkultur- Rezeption römischer und byzantinischer Vorbilder

    • Umsetzung: Bemühen um gereinigte Texte und Vervielfältigung von Musterbüchern- Sakramentar- Bibel- Benediktsregel- Sammlung von Rechtsquellen

    • Ergebnis: „römisch-fränkische Mischliturgie“(problematischer Begriff)

    Römische Liturgie: Quellen

    • Rollen- Vorsteher: Bischof,

    Presbyter- Vorleser:

    Diakon (Evangelium), Mittelalter: Subdiakon (1. Lesung) / heute: Lektor/-in

    - VorsängerKantorChor/Schola

    - Zeremoniär- …

    • Gottesdienstformen- Eucharistiefeier- Sonderfeiern des

    Kirchenjahres (samt sakramentlichen Feiern)

    - Weitere sakramentlicheFeiern

    - Tagzeitenliturgie- …

  • 48

    Buchtypen römischer Liturgieim MittelalterEucharistiefeier

    VorstehertexteLektor/Subdiakon

    Diakon

    GesängeKantor

    PsalmistScholaBischof/Presbyter

    LesungenZeremoniär

    Tagesgebet

    Gabengebet

    Schlußgebet

    Sakramentar

    Hochgebet

    Epistel

    Evangelium

    EpistolarEvangeliarLektionar

    Resp. GradualeHalleluja/Tractus

    Cantatorium

    Meßbuch Kantorenbuch

    Ablauf

    Ordo

    Ordo (Romanus)Liber ordinarius

    RubrikenCaeremoniale

    Antiphonale

    Introitus

    Offertorium

    Communio

    Vollmissale

    GotteslobGraduale

    Buchtypen römischer Liturgieim Mittelalter

    • Tagzeitenliturgie- Psalter- Antiphonale- Hymnar- Lektionar- Homiliar- Kollektar- …- Brevier

    • bischöfliche Funktionen: Pontifikale

    • presbyterale Funktionen:- Rituale- Agenda- Sacerdotale- Manuale- Obsequiale- Benediktionale- …

  • 49

    2 Hauptetappen der Liturgiegeschichte: Die Quellen in ihrem gesellschaftlichen

    und theologischen Kontext

    2.1 Zur Liturgie in altkirchlicher Zeit2.2 Zur Vielfalt von Liturgien und Liturgiefamilien in Ost und West2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen

    Westen2.4 Frühneuzeitliche Reformen2.5 Liturgische Erneuerung im 19. und 20. Jahrhundert2.6 Die nachvatikanisch erneuerten Quellen

    2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen Westen

    2.3.1 Historische Vorbemerkungen2.3.2 Die Quellen im einzelnen

  • 50

    Sakramentare

    • Texte, die dem (bischöflichen oder presbyteralen) Vorsteher zukommen- Orationes (v. a. Tages-, Gaben- und Schlußgebete)- Preces (Eucharistisches Hochgebet,

    Ordinationsgebete, Benediktionen etc.)• Zuschreibung liturgieschöpferischer oder

    redaktioneller Tätigkeit an verschiedene, u. a. auch römische Bischöfe ab dem 5. Jh.

    Westliche Liturgiegeschichte: Sakramentare

    Presbyterliturgie 7. Jh.(Titelkirchen): GeV

    Bischofsliturgie7. Jh. (Papst): Gr

    Rom

    Fran

    ken-

    /Dt.

    Rei

    ch Karl d.Gr.

    div.

    Lib

    elli

    u. a

    . Ve

    gallische u. a.Lokalbräuche

    GrH

    östl.Einfluß

    GeV zah

    lreic

    heM

    isch

    litur

    gien

    Mis

    sale

    d. r

    öm.

    Kur

    ie (+

    OFM

    )

    13. Jh.(5.)–7. Jh. 8.–9. Jh.

    MR

    om15

    70ga

    nze

    Wel

    t

    viel

    fälti

    ge T

    radi

    tione

    n:O

    rden

    , Diö

    zese

    n …

    10. Jh.

    „röm.-fr.Mischlit.“

    Rom

    20. Jh.

    MR

    om19

    70

    fränk. Supplement

  • 51

    Veronense

    • ältestes Zeugnis der römischen Meßliturgie:- heute: Bibliothek des Domkapitels von Verona- kein Sakramentar im eigentlichen Sinn, sondern- Sammlung von etwa 300 ursprünglich einzeln oder

    in kleineren Gruppen tradierten Meßformularen (libelli) für den privaten Gebrauch eines Presbyters

    - geschrieben Anfang des 7. Jhs. außerhalb Roms- römisches Material des 5./6. Jhs.- Herkunft aus der Bischofs- und Presbyterliturgie- Anfang (Jänner bis April) fehlt

    Gelasianum Vetus

    • ältestes Sakramentar, das prinzipiell der römischen Presbyterliturgie entstammt: „Gelasianum Vetus“- kopiert um 750 im Kloster Chelles bei Paris- enthält bereits gallisches Material- römische Vorlage vermutlich im 7. Jh. redigiert- einzelne Formulare wohl älteren Ursprungs- Material schon im Gallien des späten 7. Jhs.

    verbreitet

  • 52

    GeV 4r

    GeV 172v-173r

  • 53

    Gregorianum (Hadrianum)

    • Sakramentar der römischen Bischofsliturgie- von Papst Hadrian (772–795) auf Bitten Karls d.

    Gr. ein unverfälschtes (inmixtum) Exemplar nach Aachen gesandt

    - dort zur Vervielfältigung aufgelegt- bald (810–815) um ein Supplement ergänzt

    gemäß den Bedürfnissen der fränkischen Liturgieredigiert durch Benedikt von Aniane

    - Aachener „Urexemplar“ ist verloren; aber:- direkte Abschriften: z. B. Sakramentar des

    Hildoard von Cambrai (811–812)

    Sakramentar des Hildoardvon Cambrai (812), 35v-36r

  • 54

    Canon (Sanctus)Elfenbeintafel

    (Metz, 10. Jh.?)

    Bücher für die Lesungen• ursprünglich Lesung aus Vollbibeln, ohne fixe

    Leseordnung• u. a. mit der Entfaltung der Festkreise: Entstehung

    regelmäßig wiederholter Formulare und Lesezyklen- Vermerk der Zuordnung bestimmter Texte zu gewissen

    liturgischen Anlässen am Rand der Bibelausgaben- Verselbständigung liturgischer Glossen (Incipit, Explicit)

    als Perikopenlisten (Capitulare lectionum)anfangs als Index am Anfang oder Ende einer Bibelhandschriftspäter als eigenes Buch

    - Extraktion der Perikopen in ihrer liturgischen Abfolge: Epistular, Evangeliar, Lektionar …

    - mitunter Integration der Lesetexte in Sakramentare

  • 55

    Bücher für die Lesungen• 4 Buchtypen bis ins 14. Jh. nebeneinander• Zusammenstellung von Lektionaren durch Bischöfe

    - für Gallien ab dem 5. Jh. bezeugt- nichts davon hat überlebt

    • während des Mittelalters große Vielfalt von Leseordnungen

    • älteste Lesungsliste der römischen Liturgie: Anfang 8. Jh., heute in Würzburg (Comes Würzburg)- Kalender mit römischen Stationsangaben- Epistelliste- Evangelienliste- spiegelt einen römischen Brauch des 7. Jhs.

    Comes Würzburg S. 1v-2r (Kalender)

  • 56

    Gesangsbücher (Messe)

    • ursprünglich mündliche Tradition• Gesangsstücke der römischen Messe:

    - Ordinarium (gleichbleibend)blieb relativ lange VolksgesangKyrie, Gloria, (ab 11. Jh.: Credo), Sanctus, Agnus Dei

    - Proprium (wechselnd)von der Schola vorgetragene Antiphonen zur Psalmodie, welche die Prozessionen begleitete (Introitus, Offertorium, Communio): Antiphonalevom Solisten vorgetragene Stücke (Gradualpsalm + Responsum, Halleluja + Vers, Tractus): Cantatorium

    Gesangsbücher (Messe)• 6 älteste erhaltenen Handschriften der Meßgesänge

    - 8. Jh.- nur Texte, keine Notation

    • „Gregorianischer“ Gesang- entsteht in der 2. Hälfte des 8. Jhs. im Frankenreich- auf der Basis altrömischer Gesänge- aber in kreativer Rezeption

    • ab dem 10. Jh.: Aufzeichnung von Grundzügen des Melodieverlaufes und feinsten Nuancen des textlichen Vortrags mit Hilfe von „Neumen“ (w.: „Winke“)

  • 57

    Cantatorium von Monza (Ende 8. Jh.) Cantatorium aus St. Gallen (1. Drittel 10. Jh.)

    Gesangsbücher(Tagzeitenliturgie)

    • Psalter• Antiphonale• Hymnar

    Antiphonale des Hartker(St. Gallen, Ende 10. Jh.)

  • 58

    Gesangsbücher(Tagzeitenliturgie)

    • Psalter• Antiphonale• Hymnar

    Antiphonale des Hartker(St. Gallen, Ende 10. Jh.) © www.cesg.unifr.ch

    Ordines

    • äußere Gestalt und der zeremonieller Ablauf- ursprünglich Handbücher für den bischöflichen

    Zeremoniär- mitunter auch bloße Beschreibungen (z. B. aus der

    Feder von Rompilgern)- tradiert u. a. zur autoritativen Verbreitung der

    (römischen) Musterliturgie

  • 59

    Nachbemerkung• Fast alle erhaltenen Quellen des Frühmittelalters

    stammen aus liturgischen Zentren - wichtige Bischofssitze- bedeutende Klöster

    • Aus der Praxis an Kirchen mit weniger personellen und materiellen Möglichkeiten sind kaum liturgische Bücher und wenige direkte Nachrichten überliefert

    • Die durchschnittliche Pfarrliturgie liegt weitestgehend im Dunkeln- vereinzelt Inventare und Quellen

    Eine Sammelhandschrift des späten 8./frühen 9. Jhs.Brüssel, Bib. Roy. 10127–10144 (olim Mont-Blandin)

  • 60

    Nachbemerkung• Fast alle erhaltenen Quellen des Frühmittelalters

    stammen aus liturgischen Zentren - wichtige Bischofssitze- bedeutende Klöster

    • Aus der Praxis an Kirchen mit weniger personellen und materiellen Möglichkeiten sind kaum liturgische Bücher und wenige direkte Nachrichten überliefert

    • Die durchschnittliche Pfarrliturgie liegt weitestgehend im Dunkeln- vereinzelt Inventare und Quellen - Regeln über die Mindestausbildung von Klerikern:

    z. B. admonitio generalis: Credo, Paternoster, lateinische Casusendungen; Psalmtöne (modi); Buß- und Festkalender

    2 Hauptetappen der Liturgiegeschichte: Die Quellen in ihrem gesellschaftlichen

    und theologischen Kontext

    2.1 Zur Liturgie in altkirchlicher Zeit2.2 Zur Vielfalt von Liturgien und Liturgiefamilien in Ost und West2.3 Die römische Liturgie und ihre Geschichte im mittelalterlichen

    Westen2.4 Frühneuzeitliche Reformen2.5 Liturgische Erneuerung im 19. und 20. Jahrhundert2.6 Die nachvatikanisch erneuerten Quellen

  • 61

    Zur Liturgiegeschichte desHoch- und Spätmittelalters

    • Quellen- Aufkommen und Verbreitung neuer Buchtypen

    Aufkommen neuer Rollenbücher für den VorsteherPontificale (ab 9./10. Jh.)Rituale (ab 12. Jh.)

    Verbreitung von Büchern für den EinzelzelebrantenVollmissaleBrevier

    - Die Vielfalt lokaler Traditionen wird durch Libriordinarii erschlossen

    Zur Liturgiegeschichte desHoch- und Spätmittelalters

    • Der Kern der römischen Liturgie wird ab den frühesten Quellen relativ stabil tradiert

    • Um diesen Kern legen sich aber verschiedene neue Schichten- Addition zusätzlicher Gebete (v. a. ab 10. Jh.):

    „Privatgebete“ im MeßordoVerdoppelungen und Zusätze in der Tagzeitenliturgie

    - Interpolation zusätzlicher Gesänge (ab 9. Jh.): Tropen, Sequenzen etc.

    - Explikation und Komplikation zusätzlicher Riten- Inflation bestimmter Feierformen

  • 62

    Zur Liturgiegeschichte desHoch- und Spätmittelalters

    • Zugleich reduziert sich die Beteiligung der Gemeinde- sprachliche Distanz- räumliche Distanz- theologische Distanz→ Die Frömmigkeit der Laien nährt sich kaum mehr

    direkt aus der Liturgie→ Im Gegenzug kollabieren sukzessive die

    liturgischen Rollen und Funktionen

    2.4 Frühneuzeitliche Reformen

    2.4.1 Die Herausforderung der Reformation2.4.2 Die Antwort des Konzils von Trient

  • 63

    Die Herausforderung der Reformation

    • einige gemeinsame Anliegen- Betonung der Schrift

    Wiederentdeckung der WortverkündigungForderung nach MutterspracheRevision der liturgischen Ordnungen im Namen der Schriftgemäßheitdabei mitunter auch Engführungen

    - Theo- und ChristozentrikBedeutung der RechtfertigungslehreKritik an Opfer, „Werkerei“ und SakramentalismusKritik am Heiligen- und Reliquienkult

    - Ernstnahme der Gemeindetheologische Wiederentdeckung des gemeinsamen PriestertumsPrinzipien der Verständlichkeit und evangelischen FreiheitBedeutung des Gesanges (M. Luther; Bapst’sches Gesangsbuch 1545)

    Die Herausforderung der Reformation

    • zur Durchführung der Reformen- sehr vielfältige liturgische Landkarte- mitunter durchaus konservativ

    grundsätzliche Beibehaltung vieler FeierformenMeßtyp der AbendmahlsordnungTagzeitenliturgiesakramentliche Feiernkeineswegs totalitär muttersprachlich

    häufig Ausgang von der mittelalterlichen Gestalt

  • 64

    Epitaph desAbraham von Nostiz(Schlesien, 1572)KulturhistorischesMuseum Görlitz

    Die Herausforderung der Reformation

    • zur Durchführung der Reformen- sehr vielfältige liturgische Landkarte- mitunter durchaus konservativ

    grundsätzliche Beibehaltung vieler FeierformenMeßtyp der AbendmahlsordnungTagzeitenliturgiesakramentliche Feiernkeineswegs totalitär muttersprachlich

    häufig Ausgang von der mittelalterlichen Gestalt

    - gelegentlich radikale Reform

  • 65

    Die Antwort des Konzils von Trient

    • am Konzil selbst: v. a. dogmatische Abgrenzung• Beauftragung einer Liturgiereform (1563)

    - Versuch einer restaurativen Reform ad pristinamsanctorum patrum normam ac ritum

    Rückgriff auf hoch- und spätmittelalterliche Quellen (v. a. Bücher der römischen Kurie des 13. Jhs.)Reduktion

    - Vereinheitlichung der liturgischen Bräuche- Zentralisierung der Herausgabe liturgischer Bücher

    (Zuständigkeit des Heiligen Stuhles)- universale Verbreitung der römischen Liturgie

    (Buchdruck)• Gründung der Ritenkongregation (Sixtus V., 1588)

    Liturgische Erneuerungim 19. und 20. Jh.

    • Vorgeschichte- „Ritenstreit“- „(Neo-) Gallikanismus“- Deutsche Aufklärung und

    Josephinismus- Synode von Pistoia 1786

    • Katholische Restauration des 19. Jhs.- Solesmes (gegr. 1832; Prosper

    Guéranger OSB)- Beuron (gegr. 1863), Maria

    Laach (gegr. 1893; Odo Casel† 1948)

    • Pastoralliturgische Bewegung- „Mechelner Ereignis“ (23. 9.

    1909; Lambert BeauduinOSB/Mont César)

    - Burg Rothenfels: Romano Guardini († 1968)

    - Klosterneuburg: Pius ParschCanReg († 1954)

  • 66

    Liturgische Erneuerungim 19. und 20. Jh.

    • Kirchenamtliche Rezeption- Pius X. (1903–1914)

    Motu proprio Tra le sollecitudini (1903)Brevierreform 1910

    - Pius XII. (1939–1958)Enzyklika Mediator Dei (1947)erste ReformschrittePastoralliturgischer Kongreß Assisi 1956

    Liturgische Erneuerungim 19. und 20. Jh.

    • Liturgische Reformschritte- Reform der Osternacht (1951) und der Hohen Woche (1955)- Vereinfachung der Rubriken (1955)- 1960 Codex Rubricarum; zugleich Ankündigung einer

    „allgemeinen Liturgiereform“

    • II. Vatikanisches Konzil (1962–1965)- 4. 12. 1963: Konstitution über die heilige Liturgie

    Sacrosanctum Conilium- 1964: Berufung des Consilium ad exsequendam

    Constitutionem de sacra Liturgia

  • 67

    Theologische Grundlegung

    Heiligung des Menschen Verherrlichung Gottes

    Vol

    lzug

    des

    Prie

    ster

    amte

    s Chr

    isti

    Haupt und Glieder

    … in sinnenfälligen Zeichen(= im kommunikativen Handeln der Gemeinde)

    Liturgie als Dialog zwischen Gott und Mensch …

    Aufbau des Leibes Christi