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Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte 87 • Das LkEv hat unter den Evangelien insofern eine Sonderstellung, als es das erste Buch eines zweiteiligen Werkes ist: Die Apg stammt zweifelsfrei vom selben Autor. > • Dass der Verfasser sein Werk von vornherein in zwei Teilen konzipiert hat, kann man durch zwei Beobachtungen begründen: Das lukanische Doppelwerk I – Zur Zusammengehörigkeit von LkEv und Apg - Lk hat bei der Abfassung des Evangeliums sein zweites Werk bereits im Auge. Im Prozess gegen Jesus lässt er das Tempelwort Mk 14,58 aus, weil er es in der Stephanus- Tradition verwendet. Das Streitgespräch über rein und unrein (Mk 7,1-23) übergeht er mit Rücksicht auf die Erzählung in Apg 10, wo Petrus in einer himmlischen Vision erfährt, dass es keine unreinen Speisen gebe (angewandt auf die Frage der Heidenmission). - Das Vorwort des LkEv hat wahrscheinlich bereits die Apg mit im Blick. Die Diener des Wortes beziehen sich auf die urkirchlichen Verkündiger, von deren Wirken die Apg erzählt. Mit den Ereignissen, die sich unter uns erfüllt haben, ist auch auf die Zeit der Kirche angespielt, die für Lk ebenfalls Erfüllungszeit ist. Er nimmt hier nicht speziell auf das

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Einleitung in das Neue Testament IIEvangelien und Apostelgeschichte

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• Das LkEv hat unter den Evangelien insofern eine Sonderstellung, als es das erste Buch eines zweiteiligen Werkes ist: Die Apg stammt zweifelsfrei vom selben Autor. >

• Dass der Verfasser sein Werk von vornherein in zwei Teilen konzipiert hat, kann man durch zwei Beobachtungen begründen:

Das lukanische Doppelwerk I – Zur Zusammengehörigkeit von LkEv und

Apg

- Lk hat bei der Abfassung des Evangeliums sein zweites Werk bereits im Auge. Im Prozess gegen Jesus lässt er das Tempelwort Mk 14,58 aus, weil er es in der Stephanus-Tradition verwendet. Das Streitgespräch über rein und unrein (Mk 7,1-23) übergeht er mit Rücksicht auf die Erzählung in Apg 10, wo Petrus in einer himmlischen Vision erfährt, dass es keine unreinen Speisen gebe (angewandt auf die Frage der Heidenmission).

- Das Vorwort des LkEv hat wahrscheinlich bereits die Apg mit im Blick. Die Diener des Wortes beziehen sich auf die urkirchlichen Verkündiger, von deren Wirken die Apg erzählt. Mit den Ereignissen, die sich unter uns erfüllt haben, ist auch auf die Zeit der Kirche angespielt, die für Lk ebenfalls Erfüllungszeit ist. Er nimmt hier nicht speziell auf das Wirken Jesu Bezug. >

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Das lukanische Doppelwerk II – Aufbau des LkEv

Vorwort (1,1-4)Vorgeschichte: „Kindheitsgeschichte“ und Vorbereitung des Wirkens

Jesu (1,5-4,13) 1,5-2,52: Empfängnis und Geburt Johannes des Täufers und Jesu3,1-4,13: Vorbereitung des Wirkens Jesu: Auftreten des Täufers, Taufe Jesu,

Stammbaum, Versuchung Jesu1. Hauptteil:Das Wirken Jesu in Galiläa (4,14-9,50)

4,14-5,16: Beginn des Wirkens Jesu5,17-6,11: Galiläische Streitgespräche6,12-9,50: Weitere Verkündigung Jesu in Wort und Tat

2. Hauptteil: Jesus auf dem Weg nach Jerusalem (9,51-19,27)9,51-13,21: Erster Abschnitt13,22-17,10: Zweiter Abschnitt („Jerusalem“ in 13,22)17,11-19,27: Dritter Abschnitt („Jerusalem“ in 17,11)

3. Hauptteil: Jesu Wirken, Leiden und Tod sowie Auferweckungsverkündigung, Erscheinungen und Himmelfahrt in Jerusalem (19,28-24,53) 19,28-21,38: Das Wirken Jesu in Jerusalem22,1-23,56: Jesu Passion24,1-53: Auferweckungsverkündigung, Erscheinungen und Himmelfahrt

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Das lukanische Doppelwerk III – Verfasser und Adressaten• Nach der altkirchlichen Tradition stammen LkEv und Apg von „Lukas, der

Gefolgsmann des Paulus“ (Irenäus); vgl. Phlm 24; Kol 4,14 (Lukas, der Arzt); 2Tim 4,11.

• Diese Tradition lässt sich aus dem Werk nicht bestätigen. Ein spezifisch ärztliches Interesse oder eine ärztliche Fachsprache ist nicht zu belegen.

• Gegen die Verfasserschaft durch einen Paulusbegleiter spricht: - In der Apg wird Paulus nur in 14,4.14 der Titel „Apostel“ zugesprochen. Ansonsten ist der Begriff reserviert für die Zwölf. Dies würde überraschen bei einem Paulusbegleiter, der den Kampf des Paulus um seinen Apostolat erlebt hat.

- Die Darstellung des paulinischen Wirkens in der Apg entspricht nicht dem Bild, das wir aus den Paulusbriefen erhalten. Es gibt auch unvereinbare Widersprüche zwischen Paulusbriefen und der Apg (vgl. Gal 1f; Apg 9-15). • Warum kam die altkirchliche Tradition gerade auf Lukas als Verfasser? - Das Ende der Apg erweckt den Eindruck, noch vor dem Tod des Paulus

geschrieben zu sein.- Der 2Tim ist als Testament des Paulus kurz vor seinem Tod gestaltet.

Nach 2Tim 4,11 ist „allein Lukas noch bei mir“.- Der Name „Lukas“ erscheint nicht in den Wir-Passagen der Apg zur

Bezeichnung von Personen, die Paulus begleiten.

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• Das Werk verrät eine hellenistische Perspektive (s. z.B. Vorwort; keine genaue Kenntnis der Geographie Palästinas; „Judäa“ für ganz Palästina).

• Lukas hatte zwar einerseits Kontakt zu judenchristlichen Traditionen (LXX-Sprache; Rolle von Jerusalem; judenchristlich geprägte Sondertraditionen). Andererseits gibt es starke Einwände gegen ein spezifisch judenchristliches Milieu, v.a. die Formulierungen Apg 10,9-15; 15,10 und die fehlerhafte Wiedergabe jüdischer Reinigungsriten Lk 2,22. >

• Lukas und seine Adressaten sind also Heidenchristen. Es gibt keine aktuelle Auseinandersetzung mehr um spezifisch judenchristliche Belange. Die Kirche aus Juden und Heiden ist selbstverständlich, und die Frage, wie die Judenchristen damit zurechtkommen, schlägt in der Darstellung nicht durch.

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Das lukanische Doppelwerk IV – Zeit und Ort der Abfassung• Die Redaktion der Endzeitrede durch Lk bestätigt die Einschätzung, die sich

durch die Quellenlage ergibt: Das LkEv ist nach 70 entstanden (v.a. 21,10-24/Mk 13,14-20; s.a. 19,43f). >

• Die Obergrenze ist schwieriger zu bestimmen. Da Lukas keine Kenntnis des MtEv verrät, dieses sich also noch nicht verbreitet hat, kann man für das LkEv mit einer ähnlichen Abfassungszeit rechnen (um 90). Die Apg ist etwas später entstanden; wie viel später, ist aber kaum genauer zu ermitteln.

• Zum Abfassungsort werden viele verschiedene Vorschläge gemacht (Caesarea, Dekapolis, Antiochien, Ephesus, Rom u.a.m.). Dies zeigt die Ungenauigkeit der möglichen Anhaltspunkte. Am meisten spricht, wenn man die Zuordnung zum hellenistischen Christentum präzisieren will, wohl für Ephesus.

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Das lukanische Doppelwerk V – Literarischer Charakter des LkEv

Übernahme und Erweiterung des Mk-Fadens• Lk hat den Mk-Aufriss übernommen, ihn aber auch entscheidend umgestaltet

durch die Einfügung des „Reiseberichts“ (9,51-19,27). • So ergibt sich eine klarere Dreiteilung des Werkes als im Fall des MkEv.

Vorgeschaltet werden die „Kindheitsgeschichten“; angefügt die Erscheinungen; das nicht aus Mk stammende Material wird in zwei Einschaltungen eingebracht (6,20-8,3; 9,51-18,14).

Der Evangelist als Schriftsteller und Historiker• Mit dem Vorwort erhebt Lk literarischen Anspruch und führt sein Werk nach Art

hellenistischer Historiker ein. Dennoch war Lk mehr Theologe als Historiker im Sinne seiner Zeit. Er ordnet das Material nach seinem theologischen Konzept (s. v.a. Lk 4,14-30; Apg 10f).

• Trotzdem kann man zeigen, dass sich Lukas auch an Vorbildern aus der zeitgenössischen Geschichtsschreibung orientierte:

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- Vorwort Lk 1,1-4;- Bezüge der Geschichte Jesu auf die Weltgeschichte (Lk 2,1; 3,1f);- „Historisierungen“: Darstellung, die von konkreten Geschehnissen

geprägt ist (Mk 1,7f/Lk 3,15f; Lk 7,21: 7,18-23/Mt 11,2-6). - Lk erweckt den Eindruck eines fortlaufenden Geschehens, indem er

den bei Mk nur lose verbundenen Stoff stärker verknüpft (z.B. Lk 5,33/Mk 2,18; Lk 8,40/Mk 5,21) und den Stoff durch Vor- und Rückverweise verklammert (z.B. Lk 1,80-3,1; 2,51-4,16).

• Lk nimmt sachliche Korrekturen vor und ist auf genaueren Ausdruck bedacht (Herodes Antipas als Tetrarch: Lk 3,1.19; 9,7; See Genezareth: Lk 5,1f; 8,22f). Bisweilen kürzt Lk mk Geschichten, doch für Mt ist dieser Zug wesentlich charakteristischer.

• Lk verbessert Mk sprachlich und schreibt unter den Evangelisten das beste Griechisch. Trotzdem kennt er Semitismen (Ausdrucksweise, die sich dem Hebräischen oder Aramäischen verdankt). Denn er orientiert sich sprachlich an der Septuaginta (LXX), der griechischen Übersetzung des hebräischen Bibel, und ahmt deren Stil und Ausdrucksweise nach.

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(1) Das Stichwort erfüllen erhält einen besonderen Stellenwert.• Der Reisebericht steht unter der Überschrift der Erfüllung (Lk 9,51).• Die Gemeinde ist in die Erfüllung eingeschlossen (Lk 1,1; Apg 2,1). • Christusereignis und Geistausgießung an Pfingsten erscheinen als

Erfüllung von Schriftworten (z.B. Apg 2,17-21.25-28.30f; 3,22f; 4,11). • Verheißungszeit vor der Erfüllung (Lk 16,16; Apg 7,2-52; 13,17-22). • Apg 13,32f bezeugt direkt das Bezugspaar „Verheißung – Erfüllung“. >

(2) Die Epochen der Heilsgeschichte• Verheißungs- und Erfüllungszeit lassen sich deutlich voneinander

absetzen (Lk 16,16; Schema der Missionsreden in der Apg; „Erfüllung“). • Die Erfüllungszeit kann man in zwei Abschnitte unterteilen: Zeit Jesu –

Zeit der Kirche (zwei Bücher; deutlicher Anfang der Kirche; Jesus-Geschichte als „Grundgeschichte“).

Das lukanische Doppelwerk VI – „Heilsgeschichte“

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(3) Lukas stellt die Kontinuität der einen Heilsgeschichte dar:• Zusammenhang zwischen der Verheißungs- und Erfüllungszeit:

– Jerusalem: Ort der Erscheinungen; Ausgang der Christusbotschaft.– Anlehnung an die Sprache der LXX.

• Zusammenhang zwischen der Zeit Jesu und der Kirche: – Kriterium bei der Nachwahl des Matthias (Apg 1,21f). – Unterweisung der Apostel über das Reich Gottes zwischen Ostern und

Himmelfahrt (Apg 1,3); Reich Gottes als Inhalt der urkirchlichen Botschaft (Apg 19,8; 20,25; vgl. auch Apg 8,12; 28,23.30). >

• Zusammenhang innerhalb der Zeit der Kirche: – enge Anbindung des Paulus an die Urgemeinde (Apg 9,27). – Heidenmission wird durch Petrus legitimiert (Apg 10,1-11,18).

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(4) Die Naherwartung tritt zurück • Die Unkenntnis über „Zeiten und Fristen“ kommt ausdrücklich zur

Sprache (Apg 1,7). • Im Verhör vor dem Hohen Rat sagt Jesus nicht, dass der Menschensohn

komme (Lk 22,69 diff Mk 14,62). • Die Rede von der Nähe des Endes wird ausdrücklich als falsch

gekennzeichnet (Lk 21,8 diff Mk 13,6; 19,11). >

(5) Die heilsgeschichtliche Rolle Israels wird nicht durch die Ablehnung Jesu bestimmt.

• Israel bleibt Adressat der Predigt (Apg 2,14ff; Bild des pln Wirkens). • Juden nehmen den Glauben an Christus an, vor allem in der Zeit der

Jerusalemer Verkündigung (Apg 2,41.47; u.ö.), später mit abnehmender Tendenz und zunehmend feindlicher Reaktion.

• Einerseits hängt die Adressierung des Evangeliums an die Heiden mit der Ablehnung durch die Juden zusammen (z.B. Apg 13,46); andererseits ist sie unmittelbar im Willen Gottes begründet (z.B. Apg 10). Die Spannung wird nicht aufgelöst.

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• Das Jesusbild des dritten Evangelisten hat zwei Seiten: Er betont die hoheitsvollen Züge (Lk 7,11-17; Hoheitstitel „Herr“ auch in erzählenden Partien), aber auch die menschlichen (z.B. Lk 4,18; 6,20f; 7,36-50; 14,12-14). Im Lk 7,11-17 hat er beides miteinander verbunden (V.13: „der Herr bekam Mitleid“).

• Häufig wird Jesus betend gezeigt (z.B. Lk 5,16; 6,12; 9,18 ; 3,21; 22,42; [22,43f; 23,34: textlich unsicher]).

• Die Passion Jesu zeichnet Lk als das Leiden des zu Unrecht Verfolgten: die Unschuld Jesu wird herausgestellt (s. Pilatus [23,4.14.20.22]; Herodes [23,6-12.15]; Hauptmann unter dem Kreuz [23,47]). Der Beitrag der jüdischen Obrigkeit wird stärker akzentuiert, um das Christentum vom Verdacht politischen Aufrührertums befreien.

• Im Blick auf die Deutung des Todes Jesu drängt Lukas den Sühnegedanken zurück (nur Lk 22,19f; Apg 20,28). Jesus stirbt als der unschuldige Gerechte, in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes; Heil entsteht aus dem ganzen Weg Jesu. Anteil an dem von Jesus gewirkten Heil kann man gewinnen, wenn man der Botschaft des Evangeliums glaubt und den Weg Jesu im eigenen Leben mitgeht (A. Weiser).

Das lukanische Doppelwerk VII – Jesusbild

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• Die Jünger Jesu werden an vielen Stellen gegenüber dem MkEv geschont (vgl. Petrus: Mk 8,31-33/Lk 9,22; Mk 14,71/Lk 22,60; s.a. 22,31f; 22,61; außerdem: Mk 4,13/Lk 8,11; Mk 10,26/Lk 18,26;).

• Über die Jünger ist auch die Kirche der späteren Zeit mit dem Ursprung verbunden, mit der Geschichte Jesu und der Ursprungszeit der Kirche. Diese Zeit wird der eigenen Gegenwart als Ideal vorgestellt.

• Die Verbindung mit dem Ursprung hat die Dimension des Geistes. – Jesus verdankt seine Existenz dem Wirken des Geistes (1,35) und ist

Geistträger (Lk 4,1.14; s.a. 4,18; Apg 10,38). – Die urkirchliche Verkündigung wird vom Geist initiiert (Lk 24,49;

Apg 1,8; 2,1ff) und geleitet (Apg 4,8; 6,10; 10,19f; 16,6 u.ö.). – Der Geist eröffnet auch den Blick in die Zukunft. Die späteren

Amtsträger sind eingesetzt vom heiligen Geist (Apg 20,28).

Das lukanische Doppelwerk VIII – Die Jünger und die Kirche

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• Der Autor selbst gibt in seinem Vorwort Auskunft über seine Absicht. Er sei allem sorgfältig nachgegangen, damit sich Theophilus überzeugen kann von der Zuverlässigkeit der Lehre, in der er unterwiesen wurde.

• Was Theophilus durch LkEv und Apg gesagt wird, gilt einem weiteren Kreis; es zeigt letztlich das Problem der dritten christlichen Generation am Ende des 1. Jh.: Sie muss eine Antwort finden auf das Ausbleiben der Wiederkunft Christi; und sie steht vor der Frage, wie sie die Kontinuität zum Anfang und damit ihre Identität wahren kann. Auf diese Herausforderung antwortet Lukas mit seinem Doppelwerk.

Das lukanische Doppelwerk IX – Anlass und Zweck

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Einleitung: Die Vorbereitung des Zeugnisses von Christus (1,1-26)1,1-11: Belehrung durch den Auferstandenen; Himmelfahrt1,12-26: In der Erwartung des Geistes; Nachwahl des Matthias

1. Hauptteil: Das Zeugnis von Christus in Jerusalem (2,1-8,3)2,1-47: Pfingstereignis; Pfingstpredigt; Gemeindebildung3,1-6,7 Das Zeugnis der Apostel in Wort und Tat; Gemeindeleben

6,8-8,3: Das Zeugnis des Stephanus

2. Hauptteil: Das Zeugnis von Christus in Samaria, Judäa, Antiochia und Kleinasien (8,4-15,35)

8,4-40: Mission in Samaria und Taufe des Äthiopiers9,1-31 Bekehrung des Paulus; Flucht aus Damaskus9,32-43 Petrus in Lydda und Joppe10,1-11,18: Petrus und Kornelius: Heiden können in die Gemeinde

aufgenommen werden11,19-14,28:Die Gemeinden von Antiochia und Jerusalem; Mission des

Paulus und Barnabas von Antiochia aus15,1-35: Das Apostelkonzil in Jerusalem

3. Hauptteil: Das Zeugnis von Christus bis an die Grenzen der Erde (15,36-28,31)

15,36-19,20: Die Mission des Paulus in Kleinasien und Griechenland19,21-21,17: Paulus auf dem Weg nach Jerusalem21,18-23,22: Paulus in Jerusalem; Verhaftung und Verhör23,23-26,32: Paulus in Caesarea: Haft und Verhöre27,1-28,31: Paulus auf dem Weg nach Rom; Verkündigung in Rom

Das lukanische Doppelwerk X – Aufbau der Apg

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Die Quellen der Apg• Da das LkEv nachweislich durch Quellenbenutzung entstanden ist, kann man

ein ähnliches Verfahren auch für die Apg erwarten. Das Vorwort in Lk 1,1-4, auf beide Werke bezogen, bestätigt diese Vermutung ebenso wie die Existenz paralleler Überlieferungen in einigen Fällen.

• Adolf von Harnack hat für Apg 1-15 drei Quellenstränge unterschieden: – historisch zuverlässige Quelle zu Ereignissen in Jerusalem und Caesarea;– legendarische Quelle zum Pfingstereignis und dem Geschick der Apostel in

Jerusalem; – Quelle mit Traditionen aus der Gemeinde von Antiochia. Während die Annahme einer antiochenischen Quelle bis heute Zustimmung

findet, wird die Existenz von zusammenhängenden Quellensammlungen für die Stoffe von Kap. 1-12 meist abgelehnt.

• Zu dem Material, das Lk in Apg 13-28 verarbeitet hat, werden vor allem vier Fragen diskutiert: (1) Wie sind die Wir-Passagen (Apg 16,10-17; 20,5-15; 21,1-18; 27,1-28,16)

quellenkritisch zu beurteilen? – Geben diese Passagen den Teil der Paulusreisen wieder, an denen der

Verfasser der Apg teilgenommen hat?

Das lukanische Doppelwerk XI – Literarischer Charakter der Apg

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Aber: Auch wenn man die Augenzeugenschaft auf jene Ausschnitte begrenzt, bleibt die Annahme schwierig, dass die Apg einen Augenzeugen des

Wirkens des Paulus zum Verfasser hat. Außerdem hätte der Autor seine Augenzeugenschaft sehr unbetont eingebracht.

– Übernimmt Lk die Formulierung einer vorgegebenen Quelle oder bringt er selbst die Wir-Form ein?

Das erste lässt sich zwar nicht ausschließen, wahrscheinlicher aber ist die redaktionelle Lösung. Er bringt so Reise-Erfahrung ins Spiel und hat die

Wir-Form wohl in der Seefahrts-Erzählung vorgefunden, die er in Kap. 27f verarbeitet hat.

(2) Hat Lk ein Itinerar (Verzeichnis mit Reisestationen) benutzt? Für eine bejahende Antwort sprechen zwei Beobachtungen: – Die Gestalt der Kap. 16-21 erklärt sich am besten, wenn Lk in ein

vorgegebenes Gerüst Einzeltraditionen und redaktionelle Abschnitte eingefügt hat.

– Da Lk die Paulusbriefe nicht erkennbar benutzt hat, ist die Übereinstimmung der Reisestationen durch Quellenbenutzung zu erklären.

Dass es keine antiken Gattungsparallelen zu einem solchen Itinerar gibt, ist zwar ein bedenkenswerter Einwand, entkräftet die vorgetragenen Argumente aber nicht.

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(3) Hatte Lk für die Erzählung von Inhaftierung und Prozess gegen Paulus eine zusammenhängende Quelle?

Positive Hinweise dafür sind eher dürftig. Jacob Jervell führt die Beobachtung an, dass der Bericht zusammenhängend und ungewöhnlich breit sei. Dies lässt sich auch der schriftstellerischen Leistung des Lk zuschreiben. Der Verfasser hatte

wohl nur einzelne Nachrichten zur Verfügung und hat diese selbst in einen Erzählzusammenhang gebracht.

(4) Gab es für die Reden in der Apg Vorgaben oder sind sie als Schöpfung des Autors zu werten?

Die zweite Annahme ist eindeutig besser zu begründen: – Ausgestaltete Reden sind nicht überlieferbar. – Die Reden enthalten vor allem lk Theologie und zeigen kein Profil des

jeweiligen Redners. – Dass der Autor selbst die Reden der auftretenden Personen gestaltet,

entspricht den Gattungsgepflogenheiten. – Die Verteilung der Reden in der Apg erweist sie in kompositioneller

Hinsicht als Werk des Autors.

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Die Gattung der Apg• Der Titel des Werkes („Taten der Apostel“) ist nicht ursprünglich und

entspricht auch nicht dem tatsächlichen Inhalt. • Unter den formgebenden Elementen ist vor allem der dramatische

Episodenstil hervorzuheben, der einer bestimmten Art der antiken Historiographie zugehört: der tragisch-pathetischen Geschichtsschreibung. Wegen ihres thematisch beschränkten Gegenstandes wird die Apg zumeist als historische Monographie bezeichnet.

• Trotz solcher Gattungszuordnung behält die Apg auch ihre literarischen Eigenheiten. Konsequenter als antike Historiker hat Lukas seine Darstellung vom Gegenwartsbezug bestimmen lassen. Außerdem zeigt sich in der neueren Forschung ein Trend, demzufolge die Gattungsgrenzen in der Antike nicht scharf gezogen werden können.

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Der Geschichtswert der Apg• Die Apg selbst gibt bisweilen durch Widersprüche Anlass, an ihrer

historischen Zuverlässigkeit zu zweifeln. • In den Passagen, die mit anderen Quellen vergleichbar sind, wird die

Darstellung der Apg zum Teil bestätigt, zum Teil ergeben sich Widersprüche.

– Gut informiert scheint Lukas über die politischen und rechtlichen Zusammenhänge beim Prozess gegen Paulus; ebenso über die verschiedenen Titel städtischer und kaiserlicher Beamter (s.a. die Erwähnung Gallios in Apg 18,2).

– Falsch ordnet Lukas das Auftreten des Theudas ein (Apg 5,36f); die italische Kohorte dürfte erst zur Zeit des Lukas in Syrien stationiert und für Caesarea abrufbar gewesen sein (s. Apg 10,1).

– Zum Wirken des Paulus ergeben sich Widersprüche (s.o. zur Verfasserfrage), aber auch Übereinstimmungen (vgl. 2Kor 11,32/Apg 9,24f; Streitpunkt des Apostelkonzils und grundsätzliche Lösung; Route der 2. Missionsreise; Namen von Paulusbegleitern).

• Eine Reihe von Angaben aus der Paulus-Vita, die als historisch angenommen werden können, sind nur durch die Apg bezeugt (z.B. Herkunft aus Tarsus; Saulus-Paulus).

Weder blindes historisches Zutrauen noch grundsätzliche Skepsis.

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Gemeinsamkeiten• Joh betreibt, wie die Synoptiker, Christusverkündigung als Erzählen der

Geschichte Jesu. Näherhin zeigt sich eine Übereinstimmung in der Struktur: vom Auftreten Johannes des Täufers über das Wirken in Galiläa und Judäa/Jerusalem bis zur Passion.

• Inhaltliche Gemeinsamkeiten: – gemeinsame Worte (z.B. Jes 40,3 in Joh 1,23; Joh 2,19/Mk 14,58) – vergleichbare Erzählungen (Tempelreinigung, Heilung des Sohnes eines

königlichen Beamten, Speisung der Fünftausend, Seewandel Jesu, Salbung in Bethanien, Einzug in Jerusalem, Passionsgeschichte).

– ähnliche Erzählmotive (Bekenntnis des Petrus Joh 6,68: vgl. Mk 8,29; Erscheinung vor Maria von Magdala: vgl. Mt 28,8-10 u.a.m.).

Das Johannesevangelium I – Vergleich mit den synoptischen Evangelien

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Unterschiede• Topographische und chronologische Struktur:

– Im JohEv wirkt Jesus in Jerusalem und Galiläa (Schwerpunkt eher Jerusalem).

– Die Dauer des Wirkens Jesu beträgt nach dem JohEv mindestens zwei Jahre (drei Pascha-Feste sind erwähnt).

– Der Todestag Jesu ist nach Joh der Rüsttag zum Pascha. • Nur wenige Wundererzählungen sind vergleichbar (Speisung der 5000;

Seewandel; Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten).– Vier Geschichten haben keine Entsprechung bei den Synoptikern (Hochzeit

zu Kana 2,1-11; Heilung eines Gelähmten am Teich Bethesda 5,1-9; Heilung eines Blindgeborenen 9,1-7; Auferweckung des Lazarus, 11,1-45).

– Das JohEv kennt keine Exorzismen und Aussätzigenheilungen.• Der Redestoff ist bei Joh in Form großer Offenbarungsreden und Dialoge

gestaltet, nicht mehr in relativ knappen aneinandergereihten Logien. • Der Inhalt der Botschaft Jesu wird im JohEv konsequent christologisch gefasst.

Jesus verkündet nicht das Reich Gottes, sondern sich selbst.

Joh hat wahrscheinlich eines oder mehrere der synoptischen Evangelien gekannt, er hat sie aber nicht als Quelle benutzt. Eine literarische Abhängigkeit im eigentlichen Sinn besteht nicht.

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Prolog: Der Logos-Hymnus (1,1-18)

1. Hauptteil: Die Offenbarung des Sohnes vor der Welt (1,19-12,50)1,19-51 Das Zeugnis des Täufers und die ersten Jünger2,1-3,36 Der Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa und Jerusalem2,1-22 Hochzeit von Kana, Tempelreinigung 2,23-3,21 Nikodemus3,22-36 Noch einmal: Zeugnis des Johannes 4,1-6,71 Rückkehr nach Galiläa (ohne Kap. 5)4,1-42 Jesus in Samaria4,43-54 In Galiläa: Heilung des Sohnes des „Königlichen“ 6,1-71 Speisung der 5000, Seewandel, Brotrede; Abfall von Jüngern5,1-7,24 Wirken und Botschaft in Jerusalem (ohne Kap. 6; 7,1-14) 5,1-47; 7,15-24 Heilung eines Gelähmten und Offenbarungsrede 7,1-11,54 Aufenthalt in Galiläa und Rückkehr nach Jerusalem7,1-14.25-8,59 Auseinandersetzungen beim Laubhüttenfest9,1-41 Heilung des Blindgeborenen 10,1-21 Rede vom guten Hirten 10,22-42 Konflikt mit „den Juden“11,1-45 Auferweckung des Lazarus11,46-54 Der Todesbeschluss gegen Jesus

Das Johannesevangelium II – Aufbau

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11,55-12,50 Rückzug und Rückkehr nach Jerusalem11,55-12,11 Suche nach Jesus in Jerusalem; Salbung in Bethanien12,12-19 Einzug in Jerusalem12,20-36 Die „Hellenenrede“12,37-50 Abschließende Kommentare

2. Hauptteil: Die Offenbarung des Sohness vor den Seinen (13,1-20,31)13,1-17,26 Das letzte Mahl mit den Jüngern 13,1-30 Fußwaschung und Ansage des Verrates13,31-14,31 Abschiedsrede I15,1-16,33 Abschiedsrede II17,1-26 Das Gebet Jesu für die Seinen 18,1-20,31 Passion und Ostern18,1-19,42 Die Passion Jesu20,1-29 Die Erscheinungen des Auferstandenen20,30f Ursprünglicher Buchschluss

Nachtrag: Erscheinung in Galiläa; Buchschluss (21,1-25)

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• Die altkirchliche Tradition hält Johannes, den Bruder des Jakobus, zugleich der „Jünger, den Jesus liebte“, für den Verfasser des JohEv.

• Diese Tradition lässt sich am Werk selbst nicht erweisen:– Dass der „Lieblingsjünger“ das Evangelium geschrieben hat, wird

erst im Nachtragskapitel gesagt (21,24), nicht im ursprünglichen Text.

– Dieser Jünger wird im JohEv nicht identifiziert. Die Gleichsetzung mit dem Zebedaiden Johannes beruht auf einer harmonisierenden Kombination mit Angaben aus den synoptischen Evangelien.

• Gegen diese Tradition spricht auch der Vergleich mit den Synoptikern. Wenn aus diesen die Botschaft Jesu zu rekonstruieren ist, kann man den anderen Inhalt und die andere Sprache der Predigt des joh Jesus nicht auf einen Augenzeugen der Geschichte Jesu zurückführen.

Das Johannesevangelium III – Verfasser

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• Die Sonderstellung der joh Literatur lässt sich am besten mit der Annahme erklären, dass das JohEv und die drei Joh-Briefe aus einem relativ selbstständigen Gemeindeverband stammen.

• Ursprünglich kommen diese Gemeinden aus dem Judenchristentum. Die früher bestehende Verbindung zur Synagoge wurde durch den Ausschluss gekappt (Joh 9,22; 12,42; 16,2). Zu Täufergruppen scheint eine Rivalität bestanden zu haben.

• Hinter 6,60-66; 8,31ff könnte ein kritisches Ereignis aus der joh Gemeindegeschichte stehen: das Abwandern von Gemeindemitgliedern, vielleicht nach dem Synagogenbann.

• Aus den Joh-Briefen lässt sich das Wirken von Gegnern erschließen. Deren genauere Rekonstruktion ist strittig; es wird auch grundsätzlich Kritik an solchen Versuchen geübt. Überwiegend aber rechnet man wohl mit einem konkreten Konflikt und sieht diesen in einer gnostisierenden Interpretation der joh Christologie begründet (zur Gnosis s.u.).

Das Johannesevangelium IV – Adressaten

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Hinweise auf nachträgliche Bearbeitung• Kap. 21 erweist sich recht deutlich als Nachtrag: Die Formulierung in 20,30f

kann nicht anders denn als Schluss des Evangeliums gedacht gewesen sein; das erneute Einsetzen mit Erscheinungstradition wirkt deplatziert. Die Aussage in 21,24 stammt nicht vom Autor des Werkes.

• Als späterer Zusatz können auch die Kapp. 15-17 gewertet werden. 18,1 schließt nämlich unmittelbar an 14,31 an, dagegen befremdet die Fortsetzung der Abschiedsrede nach 14,31 („steht auf, lasst uns von hier fortgehen“) in 15,1 („Ich bin der wahre Weinstock“).

Einwand: der Redaktor hätte durch die Einfügung vor 14,30 „alle Schwierigkeiten umgehen können“ (U. Schnelle).

Aber: Der Redaktor wollte die Abschiedsreden mit dem Gebet Jesu beschließen und vom vorgegebenen Textbestand nichts wegnehmen. Wäre der Text von Anfang an auf das Gebet Jesu ausgerichtet gewesen, dann hätte 14,30f anders gelautet.

• Als weitere Einschübe werden diskutiert: 3,31-36; 5,28f; 6,51b-58; 10,1-18 u.a.

• Die Redaktion dürfte im Rahmen der joh Gemeinde erfolgt und nicht als Korrektur des Evangeliums verstanden worden sein.

Das Johannesevangelium V – Einheitlichkeit

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Die Reihenfolge von Kap. 5-7• Mehrere Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass die überlieferte

Reihenfolge der Kapp. 5-7 nicht ursprünglich ist: >- Die Aussage von Joh 6,1 passt schlecht als Fortsetzung von 5,47. - Kap. 7 folgt besser auf Kap. 5 als auf Kap. 6. - Innerhalb von Kap. 7 sind VV.15-24 besser vor 7,1-14 zu lesen. Kap. 4

folgt Kap. 6, dann Kap. 5 und 7,15-24.1-14.25ff. • Die Blattvertauschungshypothese rechnet mit einem Versehen beim

Originalkodex (daher in allen Handschriften die schlecht passende Reihenfolge) und hat dies durch die durchschnittliche Buchstabenmenge auf einem Papyrusblatt zu begründen versucht. Eine bessere Erklärung des Befundes ist nicht in Sicht.

7,53-8,11 (Jesus und die Ehebrecherin) ist in den besten Handschriften nicht bezeugt, also aus textkritischen Gründen unsicher. Meist gilt die Geschichte als sekundär, doch wird auch ihre Ursprünglichkeit vertreten: die nachgiebige Haltung zum Ehebruch sei später anstößig gewesen und habe zur Tilgung geführt.

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Judentum• Vertrautheit mit jüdischen Verhältnissen zeigt Joh in der Kenntnis der

jüdischen Feste, der Ortskenntnis in Jerusalem, der Bezugnahme auf pharisäisch-rabbinische Tradition (Sabbat; Messiaserwartung; Synagogenbann) und weisheitliche Überlieferung (1,1-18).

• Strittig ist die Frage, ob der joh Dualismus auf die jüdische Apokalyptik im Allgemeinen oder Qumran im Besonderen zurückzuführen ist. Zu beiden Größen gibt es neben Übereinstimmungen auch Unterschiede.

– Das JohEv betont, anders als die Apokalyptik, dass das Heil im Glauben an Jesus Christus bereits in der Gegenwart zugänglich ist.

– In Qumran steht der Dualismus nicht in Zusammenhang mit der Messiaserwartung, sondern dem rechten Verständnis der Tora.

Das JohEv ist judenchristlich geprägt, doch bleibt fraglich, ob seine Besonderheit allein aus dieser Prägung erklärt werden kann.

Das Johannesevangelium VI – Religionsgeschichtlicher

HintergrundDie Eigenart des JohEv in Sprache und Theologie provoziert die Frage nach besonderen religionsgeschichtlichen Einflüssen.

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Gnosis• Mit „Gnosis“ (= Erkenntnis) wird eine religiöse Strömung bezeichnet, deren

charakteristisches Merkmal Erlösung durch Erkenntnis ist. Der Mensch muss (durch Offenbarung) erkennen, dass er ein aus der oberen Lichtwelt gefallener Lichtfunke ist, gefangen in der materiellen Welt, bestimmt zur Rückkehr in die Lichtwelt.

• Das JohEv ist in einigen Punkten mit dem Denken der Gnosis vergleichbar (v.a. der individuellen Ausrichtung der Erlösung), dennoch bleiben Unterschiede:

– Der Dualismus der Gnosis ist ohne Einschränkung durchgeführt; das JohEv sieht die Schöpfung nicht negativ.

– Die Menschheit Jesu und die Bedeutung seines geschichtlichen Wirkens, auch der Wundertaten, wird von Joh nicht in Zweifel gezogen.

• Für den inneren Zusammenhang mit der Gnosis spricht die Rezeption des JohEv bei Gnostikern. Dagegen lässt sich nicht die Tatsache anführen, dass literarische Zeugnisse der Gnosis erst aus dem 2. Jh. stammen.

Das JohEv ist im Milieu einer beginnenden Gnosis entstanden. Es übernimmt manche Denkstrukturen, aber nicht das ganze „System“.

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Der Motivkreis von senden, kommen, zurückkehren• Jesus wird im JohEv wesentlich dadurch bestimmt, dass er der vom Vater

gesandte Sohn ist (z.B. 13,3; 16,5.28). Er ist also nicht als Gestalt dieser Welt zu sehen. Die Bedeutung dieses Motivkreises zeigt sich

- in der Häufigkeit der entsprechenden Aussagen, - in der Tatsache, dass die Sendung Gegenstand des Glaubens sein

kann (z.B. 11,42; 17,8; s.a. das negative „Gegenstück“ 8,14), - darin, dass Gott durch die Sendung Jesu bestimmt wird (5,24.30 u.ö.).

• Die Sendung des Sohnes ist Ausdruck der Liebe Gottes zur Welt; die Welt soll gerettet, nicht gerichtet werden (3,16f).

• In der Sendung des Sohnes ereignet sich das endzeitliche Gericht, in der Stellung zu Jesus entscheidet sich Heil und Unheil (3,18). >

Das Johannesevangelium VII – Theologie: Der Gesandte

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Die Ich-bin-Worte• Nur im JohEv wird die Bedeutung Jesu ausgedrückt durch Ich-bin-Worte, die um

ein Bild erweitert sind: Brot des Lebens (6,35); Licht der Welt (8,12); Tür (10,9); guter Hirt (10,11); Auferstehung und Leben (11,25f); Weg, Wahrheit und Leben (14,6); (wahrer) Weinstock (15,1.5).

• Die Bilder und Begriffe sind durchweg als Heilsbegriffe geprägt. • Die Ich-bin-Worte bringen zum Ausdruck, dass Jesus in seiner Person das Heil ist.

Geber und Gabe des Heils sind identisch (deshalb hat Jesus im JohEv nichts anderes zu verkünden als sich selbst).

Christologische Titel• Der wichtigste Titel ist das absolut gebrauchte der Sohn. Er steht in

Korrespondenz zur Rede vom „Vater“ oder „meinem Vater“. • Die Sohn-Christologie wird zum einen im Blick auf die Sendung zur Welt entfaltet

(s.o.), zum andern im Blick auf das Verhältnis Jesu zu Gott. Dabei steht der Gedanke der Einheit von Vater und Sohn im Vordergrund. Die Einheit zeigt sich als

- Einheit des Wirkens (z.B. 5,19.30; s.a. 8,29.38.40; 12,50);- Einheit des „Seins“ (z.B. 10,30), nicht gedacht als innertrinitarische

Spekulation. Es geht um die Eröffnung des Wegs zu Gott (14,9). So sind die Glaubenden in die Einheit einbezogen (14,20) – doch bleibt dies geöffnet auf die Welt und ihre Rettung hin (17,21.23).

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Die Zeichen• Im JohEv begegnet die Rede von Zeichen nicht nur im negativen Horizont

der Zeichenforderung (vgl. Mk 8,11-13). Der Begriff ist positiv besetzt und bezeichnet die Wundertaten Jesu, die in einzelnen Geschichten erzählt oder summarisch erwähnt werden (z.B. 2,23; 6,2).

• Joh bevorzugt den Begriff „Zeichen“, weil er so den Verweis-Charakter des Geschehens deutlich machen kann: Die Wundertaten verweisen auf Jesus selbst. Deshalb ist die angemessene Reaktion der Glaube an Jesus.

• Der symbolische Sinn der Wunder kann durch Jesusworte eigens geklärt werden (Brotrede; 9,5; 11,25f).

• Als Teil der Geschichte Jesu sind die Zeichen Vergangenheit, gebunden an die „Fleischwerdung des Logos“. Insofern aber in den Zeichen die Bedeutung Jesu grundsätzlich aufscheint, ist die Dimension des Vergangenen auch überstiegen und eine Botschaft entfaltet, die in die Gegenwart der Glaubenden reicht.

Das Johannesevangelium VIII – Theologie: Weg und Wirken des Gesandten

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Die Passion Jesu• Der Beginn der Passionsgeschichte ist nicht eindeutig zu bestimmen. In

einem weiteren Sinn kann man an 13,1 denken (letztes Mahl), in einem engeren Sinn an 18,1 (Verhaftung Jesu).

• Joh beschreibt die Passion als Siegeszug, als den von Jesus selbst bestimmten Hingang zum Vater. Die gegen Jesus antretenden Mächte haben keine wirkliche Gewalt über ihn. Dieses Verständnis von Jesu Leiden wird

- vorbereitet durch entsprechende Hinweise im Evangelium (7,30.44; 8,20; 10,18);

- ausdrücklich gesagt im Verhör vor Pilatus (19,11); - inszeniert in den einzelnen Abschnitten. Beispiele:

die Gefangennahme geschieht auf die Initiative Jesu hin; im Verhör vor Pilatus bleibt Jesus souverän, während der

Gerichtsherr ängstlich ist, schwankt und schließlich auf Druck der Ankläger hin das Urteil fällt;

Jesus scheint den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen.

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Die Bedeutung des Glaubens• Das Thema des Glaubens spielt bei Joh eine viel größere Rolle als in den

übrigen Evangelien (98 Belege; 34 bei allen Synoptikern zusammen). • Inhaltlich ist der Glaube christologisch bestimmt. Im Glauben wird Jesu

Anspruch anerkannt, endgültiger Offenbarer Gottes und Heilbringer zu sein („an Jesus glauben“). Das Moment des Vertrauens ist nicht betont.

• Der Glaube ist außerdem soteriologisch bestimmt. Im Glauben ist die Rettung des Menschen begründet, der Glaube führt zum Leben (z.B. 3,14f; 5,24; 11,25; 20,31). Dieser Grundzug des Glaubens ergibt sich aus der Einheit von Geber und Gabe des Heils, die für Joh kennzeichnend ist. Indem sich der Glaube auf Jesus richtet, hat er das Leben.

Das Johannesevangelium IX – Theologie:

Glauben und Leben

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Johanneische Eschatologie• Eine apokalyptische Endzeitrede wie Mk 13parr fehlt im JohEv. Ansatzpunkte für

solche Vorstellungen (wie 5,28f oder 14,2f) könnten Zusatz sein oder werden im JohEv in einen neuen Verständnis-Rahmen gestellt.

• Die Eschatologie des JohEv ist individuell ausgerichtet. Im Zusammenhang mit dem Aufruf zum Glauben, der an Einzelne ergeht, ist vom Lebensgewinn die Rede (z.B. 11,25: mit Blick auf den je eigenen Tod).

• Die Eschatologie des JohEv ist präsentisch ausgerichtet. Im Glauben gewinnt man das Leben: Wer glaubt, hat das ewige Leben (5,24). Eine futurische Dimension des Heils folgt zwar aus der individuellen Lebensspanne bis zum Tod. Der Akzent liegt aber ganz darauf, dass man im Glauben jetzt das Leben gewinnt, um im Tod nicht zu vergehen.

• Angesichts dieser starken Akzente sind die Bezüge auf die „Auferweckung am letzten Tag“ rätselhaft (in Joh 6; 12,48). Alle Notizen stehen am Ende von Sätzen, zumindest einige sind schlecht in den Zusammenhang eingebunden – so kann man an sekundäre Zusätze denken. Ginge es darum, jetzt im Glauben das Leben haben, um am letzten Tag auferweckt zu werden, stellt sich die Frage, was der Lebensgewinn in der Gegenwart bedeuten soll.

• Durch den Paraklet (der Herbeigerufene, auch: der Beistand im Gericht, Fürsprecher, Tröster), den heiligen Geist, wird die Welt bleibend mit der Jesus-Offenbarung konfrontiert. Der Aufruf zum Glauben bleibt durch das Zeugnis der Jünger über das Wirken des irdischen Jesus hinaus erhalten.