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2 akkordeon magazin #42 Liebe Akkordeonfreunde! Pentatonik eignet sich besonders gut, erste und auch weitere Schritte in Richtung „freies Spiel“, also der Improvisation, zu machen. Und das hat folgende Gründe: 1. Pentatonik beschränkt sich auf wenige Töne und fördert so den kreativen Umgang mit dem reduzierten Material. 2. Pentatonik gibt das Gefühl der Sicherheit, „nichts Falsches“ spielen zu können und lässt so das eigene Spiel mutiger werden. Dieser Mut wird mit den ersten eigenen Stücken belohnt werden. „Penta“ bedeutet in der griechischen Sprache die Zahl fünf. Musikalische Pentatonik bedeutet die Anordnung von fünf beliebigen Tönen. Am häufigsten ist der Gebrauch von fünf- tönigen Folgen, die aus Ganztonschritten und kleinen Terzen bestehen. Es gibt keine Halbtonschritte! Diese Tonfolgen heißen Modi und nicht Tonleitern. Im Gegensatz zu Dur- oder Molltonleitern haben diese Modi keinen festen Grundton und im allge- meinen werden sie auch nicht mit Akkorden begleitet. Sie haben einen schwebenden Charakter. Es gibt fünf Grundformen: Im folgenden Beispiel beginnen alle Modi von D. Am besten prägt man sich die Stellung der Terzen ein, um die verschiedenen Modi zu behalten. In der Pentatonik ist die Terz kein „Sprung“, sondern ein größerer Schritt zur Sekunde! Die Klangwelt der Pentatonik singend zu erfassen, erweist sich als besonders wertvoll! Wenden wir uns nun dem Anspruchsvollsten, der einstimmigen Improvisation, zu. Ja, Sie haben richtig gelesen. Man kann vielleicht schon die anspruchsvollsten Stücke spielen, aber in der Einstimmigkeit offenbaren sich alle Stärken und Schwä- chen, denn es gibt so viele Dinge zu beachten wie Phrasierung, Pausen, Dynamik und musikalische Form. Aber jetzt bitte nicht verzagen. Eines nach dem anderen... Als Basis nehmen wir den Modus III: Einstieg in die Improvisation Workshop von und mit Thilo Plaesser

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Liebe Akkordeonfreunde!Pentatonik eignet sich besonders gut, erste und auch weitere Schritte in Richtung „freies Spiel“, also der Improvisation, zu machen. Und das hat

folgende Gründe: 1. Pentatonik beschränkt sich auf wenige Töne und fördert so den kreativen Umgang mit dem reduzierten Material. 2. Pentatonik gibt das Gefühl der Sicherheit, „nichts Falsches“ spielen zu können und lässt so das eigene Spiel mutiger werden. Dieser Mut wird mit den ersten eigenen Stücken belohnt werden. „Penta“ bedeutet in der griechischen Sprache die Zahl fünf. Musikalische Pentatonik bedeutet die Anordnung von fünf beliebigen Tönen. Am häufigsten ist der Gebrauch von fünf­tönigen Folgen, die aus Ganztonschritten und kleinen Terzen bestehen. Es gibt keine Halbtonschritte! Diese Tonfolgen heißen Modi und nicht Tonleitern. Im Gegensatz zu Dur­ oder Molltonleitern haben diese Modi keinen festen Grundton und im allge­meinen werden sie auch nicht mit Akkorden begleitet. Sie haben einen schwebenden Charakter. Es gibt fünf Grundformen:

Im folgenden Beispiel beginnen alle Modi von D. Am besten prägt man sich die Stellung der Terzen ein, um die verschiedenen Modi zu behalten. In der Pentatonik ist die Terz kein „Sprung“, sondern ein größerer Schritt zur Sekunde! Die Klangwelt der Pentatonik singend zu erfassen, erweist sich als besonders wertvoll!

Wenden wir uns nun dem Anspruchsvollsten, der einstimmigen Improvisation, zu. Ja, Sie haben richtig gelesen. Man kann vielleicht schon die anspruchsvollsten Stücke spielen, aber in der Einstimmigkeit offenbaren sich alle Stärken und Schwä­chen, denn es gibt so viele Dinge zu beachten wie Phrasierung, Pausen, Dynamik und musika lische Form. Aber jetzt bitte nicht verzagen. Eines nach dem anderen...

Als Basis nehmen wir den Modus III:

Einstieg in die ImprovisationWorkshop von und mit Thilo Plaesser

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Praxis

Wenn Sie die Finger auf den Tasten/Knöpfen positioniert haben, prägen Sie sich dieses Gefühl ein, ohne jedoch hinschauen zu müssen. Spielen Sie die Töne langsam rauf und runter. Benutzen Sie verschiedene Register und Lagen. Variieren Sie das Tempo. Nun ist es an der Zeit zu entscheiden, was für ein Stück Sie spielen wollen. Ich schlage eine „Asiatische Meditation“ vor. Jetzt haben wir die musikalische Form, die uns vorab eine gewisse Tempo­ und Charaktervorstellung gibt. Die Noten­beispiele haben keine Taktstriche. Dies unterstreicht den „fließenden“ Charakter unserer Meditation. Es gibt keinen Takt im herkömmlichen Sinne. Es gibt einen Puls. Dieser sollte in Form von halben Noten empfunden werden. Der Grundpuls wird also in halben Noten „gemessen“. Wir beschränken uns auf zwei Werte: Halbe­ und Viertelnoten.

Aufgabe: Spielen Sie die Töne des Modus und wechseln Sie dabei die Richtung, jedoch ohne zu „springen“. Experimentieren Sie auch in den folgenden Beispielen mit verschiedenen Tempi, verschiedenen Lagen und Registerwechseln.

Nun achten Sie auch auf verschiedene Tondauern. Ich möchte es noch einmal in Erinnerung rufen: Es gibt keinen „Takt“, son­dern einen Puls, der variabel ist.

Nun kommen noch Pausen hinzu, die ebenfalls „gefühlt“ länger oder weniger lang sein können. Bedenken Sie aber, dass es sich um eine (asiatische) Meditation handelt.

Form und Motiv: Nun wollen wir der Melodie noch eine Form geben. Die bekannteste ist die A­B­A­Form. In Liedern kennen wir diese Form mit der Abfolge: Refrain, Strophe, Refrain. In der instrumentalen Form spielen wir in Teil A ein Motiv, in Teil B eine freie Linie und zum Schluss wieder den Teil A. Vor allem muss das Motiv einprägsam sein. Es sollte kurz, prägnant und leicht wie­derzuerkennen sein. Hier ein Beispiel:

Das Beispiel ist kurz, prägnant und durch den punktierten Rhythmus leicht wiederzuerkennen. Wichtig ist auch die Fermate (das Zeichen über der letzten Note), die uns anregt, diesen Ton länger auszuhalten. Jetzt können wir schon eine klassische dreigeteilte Form (A­B­A) spielen: Das Motiv ist Teil A. Teil B ist eine frei gespielte Linie, ähnlich wie in dem vorhergehenden Beispiel. Der Schluss ist wieder das Motiv (Teil A).

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Interessant ist es, wenn im Teil B der prägnante punktierte Rhythmus des Motivs verwendet wird, ohne dass die Töne des Motivs gespielt werden. Durch den Anklang an das Motiv, rücken die beiden Teile dichter zusammen. Im Teil B sind einige Sprünge zu hören. Das ist durchaus legitim, wenn sie sparsam und an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Lassen Sie Ihr Ohr entscheiden...

Artikulation und Dynamik Artikulation und Dynamik sind keine „Zugaben“, sondern elementare Bestandteile der Musik und somit auch unserer Medita­tion. Die Noten am Ende des Legatobogens werden immer kurz (wie eine Achtelnote) gespielt.

Es folgen zwei weitere Beispiele für die Artikulation:Aufgabe: Spielen und erweitern

Nun haben wir schon viele Elemente, die zu einer (einstimmigen) Improvisation gehören: Stil: asiatische Improvisation / Form: A B A / Motiv und freie Linie / Artikulation / Dynamik / Pausen. Im nächsten Beispiel kommen noch Verzierungen (Triller) und eine Sequenz (das Wiederholen eines Motivs auf einer anderen Tonstufe) dazu.

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Praxis

Der Zentralton als BegleittonWie schon erwähnt haben die pentatonischen Modi keinen Grundton. Die Melodieführung ist offen und strebt nicht unbe­dingt einen bestimmten (Grund­)Ton an, um einen Abschluss herbeizuführen. Allerdings gibt es einen Ton, um den eine Linie (Melodie) kreisen kann. Das ist der Zentralton. In längeren Stücken können durchaus mehrere Zentraltöne vorkommen.

Auch wenn in diesem Beispiel der Zentralton in der „Mitte“ liegt, ist das nicht unbedingt die Regel. Allerdings liegt der Zen­tralton nie außen! Der Zentralton kann als Begleitton dienen:

Dem Zentralton kann als Begleitton auch eine Quinte hinzugefügt werden. Dies lässt sich auch im Standardbass einfach reali­sieren.

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Andere Begleittöne / Zusammenspiel:Die ursprüngliche (asiatische) Pentatonik kennt keine Akkordbegleitungen. Die Zusammenklänge entstehen durch das poly­phone Spiel mehrerer Instrumente. Aber dazu später mehr. Zusammenklänge mehrerer Töne aus dem jeweiligen Modus eig­nen sich sehr gut zur Begleitung. Dies im Standardbass umzusetzen wird schon etwas schwieriger. Einfacher ist es im Melodie­bass (MIII) und so richtig Spaß macht es, zu zweit oder dritt zu spielen.

Polyphone Begleitformen – Zusammenspiel:Polyphones Zusammenspiel bedeutet, dass zwei oder mehrere Einzelstimmen sich zu einem Gesamtkonzept zusammenfügen. Verwendet werden nur die Töne aus dem Modus. Das Beispiel zeigt die fast unveränderte Übernahme des Modus für den zwei­ten Spieler. Diese folgenden Beispiele eignen sich hervorragend für das MIII­Spiel. Beim Spiel zu zweit ist es besonders wich­tig, aufeinander zu hören – „Blick­ und Ohrenkontakt“ zu haben...

Imitation:Das Imitieren von Melodien, Motiven oder Spielfiguren erfordert eine besondere Aufmerksamkeit des Hörens. In nächsten Beispiel wird Imitation „wörtlich“ genommen, das heißt, die zweite Stimme antwortet exakt auf die erste. Das muss und kann im Zusammenspiel nicht immer so sein. Je länger eine Phrase ist, umso schwieriger wird es exakt zu antworten. Oft reicht es schon, die ersten drei bis vier Töne exakt nachzuahmen und dann „ähnlich“ weiterzuspielen. Das ist meistens sogar interessan­ter als das tongetreue Imitieren. Mein Tipp: Wenn Sie diese Form zu zweit ausprobieren, spielen Sie erst einmal nur zwei oder drei Töne vor, auf die der andere „antworten“ soll. Dann steigern Sie sich, indem Sie einsteigen, während der andere noch spielt. Diese Form kann man auch zu dritt, als Trio, probieren...

Noch ein Beispiel:

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Praxis

Der dritte Mann:...oder auch die dritte Frau kann einen „Begleitpart“ übernehmen:

Mit einem Ostinato:

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Zwei- bis fünfstimmige „Akkordik“Zu Beginn habe ich erwähnt, dass es in der Pentatonik keine Begleitung durch Akkorde gibt. Wie immer gibt es die berühmte Ausnahme. Beim Gebrauch von Akkorden, oder besser ausgedrückt von mehrstimmigen Klängen, handelt es sich nicht um eine Harmonik im Sinne der I. IV. oder V. Stufe, so wie wir sie aus der Harmonielehre kennen. Man kann in einem pentatoni­schen Modus zwei­, drei­, vier­ oder fünftönige Klänge bilden. Hier einige Beispiele, ebenfalls im Modus III:

Dreistimmige Klänge mit ihren Umkehrungen: Die durchgestrichenen Klänge sind zwar die logische Folge der Umkehrungen, passen aber klanglich nicht in das Bild, da „normale“ Dur­Moll­Klänge zu vermeiden sind.

Vierstimmige Klänge mit ihren Umkehrungen:

AusblickDie Verwendung der Pentatonik beschränkt sich nicht auf die asiatische oder andere traditionelle Musikkulturen, wie zum Beispiel die keltischen. Auch moderne, zeitgenössische Klänge sind damit möglich. Hindemith oder Strawinsky haben die Pentatonik, wenn auch in anderer Form, in ihren Kompositionen verwendet. Ich möchte Ihnen einige Anregungen geben, wie Sie Ihre pentatonischen Improvisationen erweitern und expressiver gestalten können. Eine Möglichkeit ist, verschiedene Modi in einem Stück zu verwenden. Bedenken Sie, dass jeder Modus von jedem Ton aus gespielt werden kann. Das führt zu zahl reichen Varianten.

Fünfstimmige Klänge:

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Praxis

Zwei verschiedene Modi mit unterschiedlichen Anfangstönen:

Die fünf Töne können auch in einer ganz anderen, freitonalen Kombination verwendet werden. Die Möglichkeiten der Kom­binationen, Zusammenklänge und Begleitungen bleiben die gleichen:

Auch weiterhin freue ich mich über Ihre Rückmeldungen, Anregungen und Fragen unter:www.bellowspirit.com – [email protected] – Telefon 0 28 22 / 98 17 49

Improvisations-Workshops 2015 mit Thilo Plaesser

28. Februar 2015, Akkordeon Centrum Brusch, HamburgWorkshop II: Einstieg in die Improvisation II

7. März 2015, Akkordeon Centrum Brusch, MünchenWorkshop II: Einstieg in die Improvisation II

14. März 2015, Akkordeon-Service-Center B. Zimmermann, PforzheimWorkshop II: Einstieg in die Improvisation I

21. März 2015, Akkordeon Centrum Brusch, BerlinWorkshop II: Einstieg in die Improvisation II

20. Juni 2015, Akkordeon-Service-Center B. Zimmermann, PforzheimWorkshop II: Einstieg in die Improvisation III

10. Oktober 2015, Akkordeon Centrum Brusch, BerlinWorkshop II: Einstieg in die Improvisation III

24. Oktober 2015, Akordeon Centrum Brusch, MünchenWorkshop II: Einstieg in die Improvisation III

7. November 2015, Akkordeon Centrum Brusch, HamburgWorkshop II: Einstieg in die Improvisation III

Beschreibung der Workshops und weitere Informationen unter:www.bellowspirit.com

Anmeldung: E­Mail: [email protected], Telefon 0 28 22 / 98 17 49

Hier wird der Modus III zweimal verwendet: