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PROF. DR. JUR. JÜRGEN WEIDEMANN Friedhof 6-8, 44135 Dortmund Telefon: 02 31 / 52 81 78 u. 52 81 70 E-Mail: [email protected] www.weidemann-pigorsch.de Einstieg ins Steuerstrafrecht

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PROF. DR. JUR. JÜRGEN WEIDEMANN Friedhof 6-8, 44135 Dortmund

Telefon: 02 31 / 52 81 78 u. 52 81 70

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Einstieg ins

Steuerstrafrecht

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Dies ist ein die Vorlesung zum Steuerstrafrecht begleitendes Skript. Es ersetzt

kein Lehrbuch. Wenn Sie ein solches suchen, das zudem noch erschwinglich ist,

greifen Sie auf das Steuerstrafrecht von Rolletschke (vgl. die nachfolgende

Literaturübersicht) zurück. Sie finden darin alle Wünsche erfüllt, die dieses

Skript offen lässt. Für die Richtigkeit der in diesem Skript vertretenen

Rechtsansichten, soweit sie von der h. M., so es eine solche gibt, abweichen,

übernimmt der Verf. keine Garantie, insbesondere nicht dafür, dass sie jemals

die Zustimmung der Rechtsprechung finden werden. Vorhandene Fehler zu

erkennen, daran arbeitet der Verf. beständig, wenn auch nicht immer

erfolgreich. Insofern betrachtet er das dauernde Bemühen, nicht den Erfolg, als

geschuldet.

Inhaltsverzeichnis

Weiterführende Literatur: .............................................................................. 3

A. Einleitung ................................................................................................... 10

I. Besteuerungsverfahren/Steuerstrafverfahren/Strafverfahren/Auswirkung auf

das materielle Strafrecht/Vorfragenkompetenz ................................................... 14

1. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren ............................................. 14

2. Auswirkungen des Steuerstrafverfahrens auf das materielle Strafrecht ............. 29

3. Steuerstrafrecht und Steuerverfahrensrecht ...................................................... 31

4. Steuerstrafverfahrensrecht und allgemeines Strafverfahrensrecht. .................... 32

5. Steuerrecht und Strafrecht: die Vorfragenkompetenz. ...................................... 34

II. Steuerstrafrecht: der achte Teil der Abgabenordnung ........................................ 41

III. Steuerbegriff und Steuern ..................................................................................... 45

IV. Begriff der Steuerstraftat ...................................................................................... 60

V. Organisation der Finanzverwaltung ..................................................................... 64

B. Allgemeine Lehren ..................................................................................... 72

I. Die Garantiefunktion der Tatbestände ................................................................. 72

1. Certa et stricta muss die lex sein. ..................................................................... 73

2. Die lex muss scripta sein.................................................................................. 76

3. Die lex muss praevia sein (von prae-vius, vorangehend). ................................. 78

II. Geltung ................................................................................................................... 79

1. Zeitliche .......................................................................................................... 79

2. Räumliche ....................................................................................................... 84

III. Beteiligungsformen ................................................................................................ 90

1. Mittelbare Täterschaft ...................................................................................... 92

2. Mittäterschaft und Beihilfe .............................................................................. 98

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IV. Die Entwicklungsstufen der Straftat ................................................................... 107

V. Verfolgungsverjährung ....................................................................................... 111

1. Dauer............................................................................................................. 111

2. Folgen der Verjährung ................................................................................... 112

3. Beginn ........................................................................................................... 114

4. Fortgesetzte Tat ............................................................................................. 121

5. Im Unterschied hierzu: die steuerliche Festsetzungsverjährung ...................... 124

C. Besonderer Teil ........................................................................................ 127

I. Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ................................................................... 127

1. Struktur des § 370 AO ................................................................................... 127

2. Das Merkmal ‚Steuern verkürzen’ ................................................................. 130

3. Die Verkürzung nach § 370 IV: Festsetzungsverkürzung ............................... 134

4. Die Verkürzung ―jenseits‖ von § 370 IV AO: ―Einnahmeverkürzung‖ ........... 146

5. Die Fälligkeit ist nicht Voraussetzung der Festsetzungsverkürzung ................ 151

6. Gesonderte Einnahmeverkürzung nach Entstehung der Steuerschuld? ........... 152

7. Voraussetzung: ein existierender Steueranspruch ............................................123

8. Die Steuer muss verkürzt sein. ....................................................................... 160

9. Das Kompensationsverbot ............................................................................. 166

10. Das Merkmal ―... Steuervorteile erlangt‖ ....................................................... 173

11. Das tatbestandsmäßige Verhalten .................................................................. 178

12. Der subjektive Tatbestand.............................................................................. 190

13. Versuch ......................................................................................................... 198

14. Unterlassung .................................................................................................. 206

15. Selbstanzeige ................................................................................................. 213

II. Bannbruch............................................................................................................ 221

1. Der einfache Bannbruch (§ 372 I AO) ........................................................... 221

2. Gewerbsmäßiger Bannbruch (§ 373 II AO) und weitere Qualifikationen........ 223

III. Steuerhehlerei ...................................................................................................... 224

IV. Die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des

Umsatzsteueraufkommens (§§ 26 b, c UStG)...................................................... 226

V. Der frühere Tatbestand der gewerbs- oder bandenmäßige Steuerhinterziehung, (§

370 a AO) .............................................................................................................. 234

VI. Konkurrenzen und Überschneidungen ............................................................... 237

1. Das Verhältnis zwischen § 370 a AO und § 373 AO ...................................... 238

2. Das Verhältnis der §§ 26 b, c UStG zu § 370 AO ........................................... 240

3. § 370 a AO und § 371 AO ............................................................................. 241

4. Auswirkungen auf § 261 StGB ...................................................................... 242

D. Verfahren ................................................................................................. 243

I. Der Gang des Strafverfahrens ............................................................................. 243

1. Das Ermittlungs- oder Vorverfahren .............................................................. 244

2. Das Zwischenverfahren ................................................................................. 251

3. Das Hauptverfahren ....................................................................................... 253

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4. Das Rechtsmittelverfahren ............................................................................. 254

5. Die klausurmäßige Situation .......................................................................... 257

II. Die Ermittlungszuständigkeit im Steuerstrafverfahren ..................................... 259

1. Allgemeines .................................................................................................. 259

2. Zuständigkeitsverteilung zwischen StA und Finanzbehörde .......................... 262

III. Die Fahndung ....................................................................................................... 264

1. Aufbau .......................................................................................................... 264

2. Steuer- und Zollfahndung (Abgrenzung) ........................................................ 268

3. Befugnisse der Fahndung ............................................................................... 269

E. Anhang ..................................................................................................... 285

Klausuren ..................................................................................................................... 285

1. Klausur .......................................................................................................... 285

Lösungsbemerkung zur 1. Klausur ......................................................................... 287

2. Klausur .......................................................................................................... 291

Lösungsbemerkung zur 2. Klausur ......................................................................... 294

3. Klausur .......................................................................................................... 303

Lösungsbemerkung zur 3. Klausur ......................................................................... 305

Weiterführende Literatur:

Zur Einführung (überfliegen Sie wenigstens einen dieser sehr instruktiven Beiträge): Webel,

Steuer und Studium, Beilage 2006, Nr. 3, S. 1 ff.; Feltes/Gehm, Steuer und Studium 2008,

19; Ebner, Steuer und Studium 2008, 577; Gaede, JA 2008, 88; Wulf, JuS 2008, 206.

Kohlmann, Steuerstrafrecht mit Ordnungswidrigkeitenrecht und Verfahrensrecht,

Loseblatt-Kommentar in zwei Bänden, zit.: Kohlmann

FGJ, Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten und Verfahrensrecht,

7. Aufl., 2009; zit.: FGJ

Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, Kommentar zum Steuerstrafrecht, hieß früher (er

kann als der älteste der Steuerstrafrechtskommentare gelten)

Leise/Cratz/Dietz; Besprechung durch Klapdor, wistra 2004, 216.

Heute nahezu im Alleingang von Rolletschke (kommt aus der

Landesfinanzverwaltung NRW, u. a. der Steufa, z. Zt.

Dienststellenleiter beim Landesrechnungshof) bearbeitet; Cratz

kommentiert noch mit, wird sich aber ebenso wie Dietz aus der

künftigen Bearbeitung zurückziehen. Loseblattkommentar, stets auf

neuestem Stand. Erkenntnisreiche Kommentierung, gutes

Nachschlagewerk.

Einen der drei „Großen― sollten Sie zu Rate ziehen, wenn Sie Steuerstrafrecht betreiben.

Günter Kohlmann war Ordinarius an der Universität Köln und Mitherausgeber der wistra,

FGJ ist begründet von dem ehemaligen Ministerialdirigenten im Bundesfinanzministerium

der Finanzen Franzen, hieß früher Franzen/Gast/Samson. Die Bearbeitung von Samson

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(zuletzt Kiel, jetzt Bucerius Law School, aus der Schule Grünwald, zuletzt Bonn) hat

nunmehr dessen Schüler Wolfgang Joecks, Ordinarius an der Universität Greifswald,

übernommen. Seit der 7. Aufl. kommentieren Lipsky, Markus Jäger (Mitglied des für

Steuerstrafsachen zuständigen 1. Strafsenats) und Randt (vgl. unten). Beide Werke sind nicht

nur dogmatisch fundiert, sondern profitieren auch von der praktischen Tätigkeit ihrer

Verfasser. Kohlmann hat in vielen Verfahren verteidigt, und auch der FGJ gewinnt durch die

praktische Erfahrung seiner Verfasser. Im Kohlmann finden Sie die Entscheidungen nicht nur

zitiert, sondern teilweise auch auszugsweise wiedergegeben, was den Umgang mit der

Rechtsprechung bedeutend erleichtert. Die fortlaufenden Ergänzungslieferungen halten den

Kommentar auf dem neusten Stand. Eine Würdigung von Kohlmann zum 70. Geburtstag

finden Sie bei Samson, wistra 2003, 361. Die Festschrift für Kohlmann zum 70. Geburtstag

ist in wistra 2005, 131 von Park besprochen. Günter Kohlmann ist am 1. 11. 2005

verstorben; vgl. den Nachruf von Brauns, wistra 2006, 1 ff.; Hirsch und Salditt, StuW 2006,

197 und 198. Der Kommentar wird nun von Hilgers-Klautzsch, Kutzner, Matthes, Ransiek

und Schauf weitergeführt.

Zu FGJ passen die weiteren Schriften von Joecks, nämlich:

Joecks, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., 2003. Einführung in Skriptform anhand von

Fällen; gut lesbar, vor allem mit vollständiger Falllösung (Tatbestand,

Rechtswidrigkeit, Schuld), zit.: Joecks, Steuerstrafrecht; leider seit 2003

nicht mehr aufgelegt.

Joecks, Praxis des Steuerstrafrechts, 1998, eine zusammenfassende Darstellung

von Problemen aus der Praxis; gut lesbar, anschaulich geschrieben, zit.

Joecks;

Bender, Das Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht mit Verfahrensrecht,

Loseblatt-Kommentar zum Zollstrafrecht (früher erkennbar schon am

„zollgrünen― Einband1), verfasst von einem Insider: Peter Bender war

zuletzt Finanzpräsident (Zoll) in Hamburg und hat sich nunmehr der

aktiven Jurisprudenz, gleichsam als „Renegat― zugewandt, hat die

Seiten gewechselt, indem er Rechtsanwalt geworden ist. Der

Kommentar hat bei weitem noch nicht die Verbreitung gefunden, die er

verdient. Wenn Sie in ihm lesen, benötigen Sie kein gesondertes

Lehrbuch zum Zollrecht, denn alle strafrechtlich interessierenden Seiten

dieses archaischen Rechtsgebiets sind im Bender verständlich erläutert.

Durch die jährlichen Ergänzungslieferungen ist der Kommentar stets

auf dem neuesten Stand. Den Verfasser finden Sie im Skript auch des

öfteren zitiert, denn er tritt durch prägnante Entscheidungsanmerkungen

und Aufsätze hervor. Bender hat auch die zollstrafrechtliche

Kommentierung in dem unten erwähnten Handbuch Müller-

Gugenberger/Bieneck übernommen.

Besprechung zum 40-jährigen Jubiläum des Werks durch Tully/

Harms, ZfZ 2008, 277.

Seit der 20. Aktualisierung 2009 in neuer Bearbeitung von Möller und

Retemeyer. Der Altmeister Peter Bender hat sich aus der

1 Leider inzwischen überholt: Der Einband ist jetzt "rot/weiß", ein Traditionsverlust, schlimmer, als wenn der

ZOLL plötzlich blaue Uniformen trüge.

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Kommentierung zurückgezogen. Man möchte hoffen, ihn jetzt öfter zu

Einzelfragen in diversen Zeitschriften zu lesen (wistra, ZfZ, AW-Prax).

Seit 2010 leuchtet am steuerstrafrechtlichen Himmel ein neuer Stern in Gestalt des

MK, Band 6/1, Nebenstrafrecht II mit materiellem Steuerstrafrecht in der Bearbeitung von

Schmitz/Wulf, Carsten Wegner und Eva Kohler. Auf knappem Raum

gut lesbare Darstellungen, die neue Perspektiven aufzeigen, indem sie

die Probleme ab ovo aufzäumen, und zwar durchweg sehr kritisch und

profund. Eine wirkliche Fundgrube.

Nicht zu vergessen die Kommentierung des Steuerstrafrechts in der Sammlung von

Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Loseblatt-Kommentar in mehreren

Bänden.

Hübschmann/

Hepp/Spitaler, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, Loseblatt-Kommentar. Zit.:

HHS-Bearbeiter.

Klein, Franz, Abgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl. 2006, der in der Bearbeitung

von Gast-de Haan eine zusammenfassende Darstellung des

Steuerstrafrechts enthält; die 10. Aufl. 2009 enthält eine komplette

Neubearbeitung des Steuerstrafrechts durch Markus Jäger, siehe oben.

Lippross, Otto- Basiskommentar Steuerrecht, Loseblattkommentar, enthält zum

Gerd, Steuerstrafrecht die konzise, das Wesentliche erfassende Darstellung

von Seibel.

Randt, Karsten, Der Steuerfahndungsfall – Beratung und Verteidigung in Steuerstraf-

Sachen, 2004. Gute Ergänzung zu FGJ.

Leitner/Toifl (Herausg.), Steuerstrafrecht International, 2007;

Dannecker (Herausg.) Steuerstrafecht in Europa und den Vereinigten Staaten, 2007.

Hin und wieder müssen Sie zu Spezialliteratur über das Zollrecht greifen, dann empfiehlt

sich

Witte/Wolffgang, Lehrbuch des europäischen Zollrechts, 5. Aufl. 2009.

Für das Verbrauchsteuerrecht finden Sie nichts Vergleichbares

gegenüber dem Kurzlehrbuch von

Peters/Bongartz/ Verbrauchsteuerrecht, 2. Aufl. 2007; ein Kurzlehrbuch, in dem Sie die

Fragen

Schröer-Schallen- zum Verbrauchsteuerrecht nachlesen können, die etwa bei der Lektüre

berg, des Bender noch offen bleiben sollten.

Als systematische Darstellung des Steuerstrafrechts einschließlich des Verfahrensrechts

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empfehlen sich die strafrechtlichen Kapitel in

Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2009, Steuerstrafrecht bearbeitet von Roman

Seer. Hier finden Sie, wie bei dem Standard des Tipke/Lang nicht

anders zu erwarten, die großen Linien und Zusammenhänge dogmatisch

fundiert, aber gleichwohl gedrängt und verständlich aufgezeigt. Zu

jedem Problem wird auf weiterführende Literatur (insbesondere

zahlreiche Dissertationen) hingewiesen. Wenn Sie diese Kapitel von

Seer wirklich durcharbeiten, haben Sie das Ziel des Kurses erreicht.

Pädagogisch wertvoll sind die Kurzlehrbücher:

Bilsdorfer/Weyand, Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht, Fälle und Lösungen,

1993 (pädagogisch geglückte Einführung anhand von Beispielen).

Lammerding/Hackenbroch, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2004, das durch die Vielzahl

von Beispielsfällen und gedrängte, aber sehr anschauliche Darstellung

besticht. Zit.: LH;

Mösbauer, Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht (einschließlich

Steuer- und Zollfahndung), 2. Aufl. 2000 (fundierte Einführung mit

zahlreichen Hinweisen auf weiterführende Literatur).

Rolletschke, Die Steuerhinterziehung, 3. Aufl. 2009; kompakte, gut lesbare

Darstellung (materielles und Verfahrensrecht); Bespr. der 1. Aufl.

durch Weyand, wistra 2005, 254, der 2. Aufl. durch Minoggio, wistra

2008, 216. Wenn Sie eine. sehr eingängige Darstellung, die vor allem

auf dem neuesten Stand ist, anschaffen wollen, dann greifen Sie zu

diesem Buch. Es lohnt sich.

Rönnau/Samson, Wirtschaftsstrafrecht aus Sicht der Strafverteidigung. 1. Aufl. 2003,

Sammlung von Seminararbeiten, Fall 14 befasst sich mit

Steuerstrafrecht; Besprechung durch Hellmann, wistra 2004, 254.

Wer sich mit Verfahrensrecht befasst, kommt an der Osnabrücker Habilitationsschrift von

Hellmann (aus der Schule Achenbach) nicht vorbei:

Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der Abgabenordnung, 1995. Sie finden

hier eine kritische Bestandsaufnahme des Steuerstrafverfahrensrechts;

an diesem Werk sehen Sie, was eine wirkliche Monographie ist. Hier

wird nichts ungeprüft übernommen, kein Stein bleibt auf dem andern.

Das ist das Steuerstrafverfahren aus einem Guss. - Hellmann ist auch

Bearbeiter - zusammen mit Rüping u.a.- des steuerstrafrechtlichen

Teils bei HHS (vgl. oben). -Zit.: Hellmann.

Daneben gibt es Handbücher für die Praxis:

Achenbach/ Beraterbuch des Steuer- und Wirtschaftsstrafrechts, Loseblatt-Ausgabe;

Wannemacher,

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Bilsdorfer/Greck/ Handbuch für das Steuerstraf- und Bußgeldverfahren, 3. Aufl. 1994;

Naumann,

Bornheim/ Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, 2. Aufl. 2003;

Birkenstock,

von Briel/ Steuerstrafrecht, herausgegeben vom DAV, 2. Aufl., 2001 (sowohl als

Ehlscheid, Nachschlagewerk als auch als Einführung hervorragend geeignet);

Flore/Dörn/ Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, 3. . Aufl. 2002;

Gillmeister,

Gast-de Haan, Handbuch des Steuerstrafrechts 2001 und folgende Jahre, Schriften des

Deutschen wissenschaftlichen Steuerinstituts der Steuerberater und

Steuerbevollmächtigten e. V., bearbeitet von der Kommentatorin von

FGJ, Brigitte Gast-de Haan; hier finden Sie die jeweilige „Tagesform―

des Gesetzes, zumindest in dem betreffenden Jahr, soweit nicht schon

wieder geändert; dieselbe Verfasserin hat auch den strafrechtlichen Teil

in dem AO-Kommentar von Klein (s. o.) bearbeitet.

Hild/Hild Im Fadenkreuz der Steuerfahnder, 2. Aufl. 2004;

Krekeler/

Tiedemann/

Ulsenheimer/

Weinmann, Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Loseblatt-

Ausgabe, leider seit einiger Zeit nicht fortgeführt, enthält wertvolle

Stichwortsammlungen zu einzelnen Begriffen.

Kuhn/Weigell Steuerstrafrecht (aus der Reihe Strafverteidigerpraxis), 2005, bespr.

durch Wirtz, ZIS 2006, 54 und Kudlich, HRRS 2006, 217

Müller-Gugen-

berger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl.2010. Die Gesamtdarstellung enthält auch

das Steuerstrafrecht; kompakte Bearbeitung von Muhler und Bender;

Bespr. der 2. Auflage durch Dannecker, wistra 2002, 216;

4. Auflage durch Kudlich, ZIS 2007, 192.

Müller/Wabnitz, Wirtschaftskriminalität, 4. Aufl., 1997; Bespr. durch Neuhaus, GA

2002, 356;

Quedenfeld/

Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, 3. Aufl., 2005;

Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2007; eine kompakte aber gleichwohl gut

verständliche und pädagogisch geglückte Darstellung. Der Verfasser

Vogelberg war lange Jahre als Richter mit Steuerstrafsachen befasst

und hat sich - insofern vergleichbar mit Bender - als Anwalt der

reizvollen aktiven Jurisprudenz zugewandt. Von Vogelberg finden Sie

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ebenfalls Ausführungen zum Steuerstrafrecht in der ZAP und in dem

von der Fernuniversität Hagen herausgegebenen Skript Steuerstrafrecht

(Teile hiervon sind kostenlos herunterzuladen);

Volk (Hrsg.) Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, Münchener

Anwaltshandbuch, bespr. durch Bock, ZIS 2008, 227;

Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. 2007;

Steuerstrafrecht bearbeitet von Kummer und Rödl, Zollstrafrecht von

Wamers; bespr. durch Hecker, ZIS 2007, 483;

Wannemacher, Steuerstrafrecht, 5. Aufl., 2004; Bespr. durch Rolletschke, wistra 2005,

20.

Zu Spezialthemen, beispielsweise zur Fahndung, gibt es besondere Literatur, beispielsweise

Reiß, Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren 1987;

Streck, Die Steuerfahndung, 3. Aufl., 1996; seit der 4. Aufl. 2006

Streck/Spatschek, Bespr. durch Weyand, wistra 2007, 95;

Vogelberg Durchsuchung und Beschlagnahme (im Lichte des Grundgesetzes, im

Spiegel der Rechtsprechung, unter Hervorhebung steuerstrafrechlicher

Aspekte), 2005;

Wamers/Fehn Handbuch Zollfahndung, 2006, bespr. von Wegner, wistra 2008, 18

Zu dem in vielen Punkten dem deutschen Steuerstrafrecht ähnliche österreichische

Finanzstrafrecht:

Seiler/Seiler, Leitfaden Finanzstrafrecht, 1. Aufl. 2008 (knappe und verständliche

Einführung);

Eder-Rieder, Einführung in das Wirtschaftstrafrecht, 1. Aufl. 2010 (enthält ein Kapitel

über Finanzstrafrecht).

Spezialzeitschriften, in denen Sie steuerstrafrechtliche Aufsätze und Rechtsprechung finden::

AW-Prax (Außenwirtschaftliche Praxis) mit zollstrafrechtlichen Beiträgen von Bender

DStR (Deutsches Steuerrecht)

DStZ (Deutsche Steuer- Zeitung) enthält u. a. Zeitschriftenübersichten von Rolletschke

KÖSDI (Kölner Steuerdialog)

NStZ (Neue Zeitschrift für Strafrecht), enthält speziell Rechtsprechungsberichte von Harms

(der jetzigen GenBAnwältin, früheren Vorsitzenden des damals für

Steuerstrafsachen zuständigen 5. Strafsenats in Leipzig) Harms/Jäger

bzw. neuerdings von Jäger (seinerzeit Mitglied 5. Strafsenats und jetzt

des 1. (nunmehr für Steuerstrafsachen zuständigen) Strafsenats des

BGH)

PStR (Praxis Steuerstrafrecht)

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RIW (Recht der Internationalen Wirtschaft)

Stbg (Die Steuerberatung), enthält Rechtsprechungsübersichten von Rolletschke

SteuerStud (Steuer und Studium)

StRR (SrafRechtsReport), veröffentlicht auch steuerstrafrechtliche Entscheidungen mit

Anmerkungen

StuW (Steuer und Wirtschaft)

wistra (Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht) mit Zeitschriftenübersichten von

Hardtke, steuerstrafrechtlichen Aufsätzen von Dörn, Joecks,

Rolletschke und zollstrafrechtlichen Aufsätzen von Bender.

ZfZ (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern), darin zollstrafrechtliche Aufsätze von

Bender

Aufsätze, Übersichten und Zusammenstellungen finden Sie in den NWB (Neue

Wirtschaftsbriefe), Fach 13, und in der ZAP (Zeitschrift für die

Anwaltspraxis), Fach 21.

Bemerkenswerte Dissertationen:

Ute Maria

von der Aa Die steuerstrafrechtliche Behandlung des einkommenslosen Ehegatten

bei der Zusammenveranlagung, 2002;

Jochen Bachmann Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im

Steuerstrafrecht, 19 (Kieler Dissertation);

Frank Hardtke Steuerhinterziehung durch verdeckte Gewinnausschüttung, 1995

(Greifswalder Dissertation);

Isabella Maria von

der Heide Tatbestands- und Vorsatzprobleme bei der Steuerhinterziehung nach §

370 AO (Bochumer Dissertation 1986);

Jens Lohmar Steuerstrafrechtliche Risiken typischer Bankgeschäfte (Potsdamer

Dissertation); Bespr. durch Löwe-Krahl, wistra 2003, 136;

Hans- Jürgen Lütt Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, 1988 (Kieler

Dissertation);

Sven Menke Die Bedeutung des sog. Kompensationsverbots in § 370 AO (Diss.

Hannover 2004); Bespr. durch Wegner, wistra 2005, 413;

Asmus Mihm Strafrechtliche Konsequenzen verdeckter Gewinnausschüttungen

(Diss. Köln 1997 betreut von Kohlmann);

Dorothee Nöhren Die Hinterziehung von Umsatzsteuer, 2005, Bespr. durch Rolletschke,

wistra 2006, 14;

Ulf Schillhorn Hinterziehung von Körperschaftsteuer (Kieler Dissertation); Bespr.

durch Rolletschke, wistra 2003, 55;

Sandra Schindhelm Das Kompensationsverbot im Delikt der Steuerhinterziehung, 2004;

Bespr. durch Wegner, wistra 2005, 413;

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Olaf Schmechel Zufallsfunde bei Durchsuchungen im Steuerstrafverfahren, 2004;

Besprechung durch Park, wistra 2005453;

Sabine Witte Gibt es eine Steuerhinterziehung nach einer vollendeten

Steuerhinterziehung? (Kieler Dissertation); Bespr. durch Wegner,

wistra 2005, 94;

Martin Wulf Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001 (Kieler

Dissertation); Besprechung durch Rolletschke, wistra 2008, 255

A. Einleitung

Motto: Überlasst das Strafrecht nicht den Steuerrechtlern, aber liefert das Steuerrecht auch nicht den

Strafrechtlern aus! (Steuerrechtler benötigen Strafrechtskenntnis nur zuweilen, Steuerstrafrechtler

Steuerrechtskenntnis stets).

Lit.: Vormbaum/Hild, Grundlagen des Strafrechts und des Steuerrechts, Skript der

Fernuniversität Hagen, steht auf deren homepage zum Herunterladen zur Verfügung.

Grundsätzliches:

―As long as self-reporting remains the basic pattern for the preparation of ... tax returns, the

temptation will exist for the unsupervised taxpayer to falsify his return. Consequently, the

government will continue to ferret out tax cheaters and punish them appropriately.‖(Harry

Graham Balter, Tax fraud and evasion, 5. Aufl. 1982, I.01). Mit andern Worten: je weniger

die Steuerverwaltung kontrolliert und stattdessen als Ausgleich für steuerrechtliche Defizite

auf das Strafrecht setzt, desto eher bleibt Ihr Arbeitsplatz als Rechtsbeflissener im

Steuerstrafrecht erhalten. Nicht jeder Pflichtige ist nämlich der Auffassung von Mr. Justice

Oliver Wendell Holmes, der sagte: „I like to pay taxes. With them I buy civilization.― 2 In der

Tat hebt ihn dies in olympische Höhen, wie Balter ausführt, vielleicht sogar auf einen Platz

neben den Aposteln Matthäus und Paulus, die schon vor 2000 Jahren zur Steuerehrlichkeit

mahnten (Matth., Kap. 22, Vers 21, Römerbrief, Kap. 13, Vers 5-7).

2 Zit. nach Balter, I, O1. -- O. W. Holmes war von Dez. 1902 bis Januar 1932 member of the Supreme Court of

the United States (ernannt durch Präs. T. Roosevelt).

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Das führt zu der Frage nach dem Sinn des Steuerstrafrechts.

Das Steuerstrafrecht wirkt – wie jedes Strafrecht – durch Sanktionen. Die Sanktionsdrohung

soll die Einhaltung einer Verhaltensnorm erzwingen. Jeder Sanktionsnorm liegt eine

Verhaltensnorm zugrunde, so z. B. im Fall der §§ 211 ff. StGB ("wer einen anderen tötet,

wird bestraft") die Verhaltensnorm: du sollst nicht töten. Im Fall des § 370 AO ("wer Steuern

hinterzieht, wird bestraft" die Veraltensnorm: du sollst nicht Steuern hinterziehen. Nun ist die

Sanktion nicht immer das beste Mittel, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. In

manchen Fällen ist die Sanktion sogar sinnlos. Wenn Sie Flugzeugabstürze durch Bomben

von Selbstmordattentätern verhindern wollen, nützt eine entsprechende Strafdrohung schon

deshalb nichts, weil der Attentäter bei Gelingen der Tat tot ist und bei Misslingen die

Strafdrohung für den Versuch ihn nicht an der Tat hindert. Also bleibt hier nur eins: nicht

Sanktion nach der Tat, sondern Kontrolle vor dem Flug. Beim Steuerrecht scheint sich die

entsprechende Erkenntnis noch nicht durchgesetzt zu haben. Hier setzt der Staat zunehmend

auf die Verstärkung nachträglicher steuerlicher Prüfungen (besonders eindrucksvoll der

zunehmende Abbau des Steuergeheimnisses (§ 30 ff. AO und des Bankgeheimnisses, das es

faktisch nicht mehr gibt) und letztlich auf die abschreckende Wirkung des Strafrechts. Dabei

wissen wir noch nicht einmal, warum Menschen Normen beachten – erst recht nicht, warum

sie sie brechen (Kerner, zit. nach Schwind, Kriminologie, 17. Aufl. 2007, § 9, TZ 1 (S.

162)). Dem Steuerstrafrecht scheint der Gedanke zugrunde zu liegen, der Täter stelle eine

Kosten/Nutzen-Analyse auf: je höher die Sanktionsdrohung, desto höher das

Vermeidungsbemühen potentieller Täter. Das Bild des homo oeconomicus wird auf das

Strafrecht übertragen, man tut so, als ob der Steuerkriminelle wie ein Kaufmann Risiko und

Gewinnmöglichkeiten gegeneinander abwäge. Die Wirklichkeit lehrt anderes. Manche

"Hinterziehungen" werden regelrecht "ohne Sinn und Verstand" begangen, "einfach so, aus

dem hohlen Bauch", in der Hoffnung, nicht einmal in der fundierten Erwartung, nicht

entdeckt zu werden. Für keinen Bereich der Kriminalität ist die Dunkelziffer so hoch wie bei

Steuerstraftaten (Fahrerflucht ca. 5 %, Mord und Totschlag ca. 10 %, Diebstahl ca. 50 %,

Steuerhinterziehung ca. 90 %, Zollhinterziehung im Reiseverkehr ca. 99 %). Konsequenz:

Sanktion wirkt nur, wenn Entdeckung sicher, darum bedarf es der nachträglichen Kontrolle.

Ist das so, fragt es sich, warum dann erst nachträglich kontrolliert und nicht vorab verhindert

wird.

Beispiel: Die Umsatzsteuer, ein Massengeschäft der Verwaltung. Sie verlockt zur

Erschleichung der Vorsteuer, ohne dass dem Staat die Umsatzsteuer zufließt. Wäre

sichergestellt, dass die Vorsteuer erst dann erstattet wird, wenn die Umsatzsteuer in der

Staatskasse ist, würden die Täter nicht etwa durch eine Sanktion vor der Steuerhinterziehung

abgeschreckt, vielmehr wäre die Hinterziehung a priori unmöglich.

Im Zivilrecht hatte der Gesetzgeber vor Jahrzehnten den richtigen Gedanken bei Einführung

der Registersperre. Die Handelsgesellschaften hatten die Verpflichtung, bestimmte

Eintragungen vorzunehmen. Kamen sie dem nicht nach, hatten sie insofern ein Problem, als

im Handelsregister bis zur Erfüllung dieser Auflagen nichts eingetragen wurde: Erst die

Angaben, dann weitere Eintragungen, mit der Folge, dass die Gesellschaften in bestimmten

Bereichen lahmgelegt waren, sofern sie der gesetzlichen Auflage nicht nachkamen.

Irgendwann waren sie auf Registereintragungen angewiesen und mussten dann zwangsläufig

die gesetzlichen Auflagen erfüllen. Gegenwärtig wird das Strafrecht als Büttel des

Steuerrechts missbraucht. Was bei der Veranlagung "verhudelt" wird, soll in Gestalt des

Strafverfahrens aufgearbeitet werden (auch wenn zwischen Veranlagung und Strafverfahren

zunächst steuerliche Prüfungen liegen und die Verwaltung bei prompter Steuernachzahlung

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in der Regel mittlere Fahrlässigkeit (also keine Leichtfertigkeit) unterstellt, so dass sich keine

strafrechtlichen/bußgeldrechtlichen Konsequenzen ergeben).

Vertiefend: Verf., "Klassik oder Funktionalismus im Strafrecht", Anwaltsblatt 1999, 621 ff.,

und Fschr. Schwind, 2006, 491 (zu A, die kriminologische Ausgangslage).

Was ist Steuerstrafrecht, Steuerrecht oder Strafrecht oder beides?

In der deutschen Sprache entscheidet bei zusammengesetzten Wörtern immer die letzte

Bezeichnung über die Gattungszugehörigkeit: Menschenaffen sind Affen, ein „Affenmensch―

ist ein Mensch. Steuerstrafrecht ist Strafrecht, und zwar nicht „auch―, sondern ausschließlich.

Es ist nur vom Steuerrecht geprägt, hat also „steuerrechtliche Züge―. Überholt ist die

Auffassung, Steuerstrafrecht sei Bestandteil des Steuerrechts, und das Steuerstrafverfahren ein

verlängertes Besteuerungsverfahren (so z. B. Mattern, DStZ 1957, 97 und ZStW 1955, 365

ff.). Das Steuerstrafrecht hat sich von einem vernachlässigten "enfant naturel" des

Steuerrechts – nicht zuletzt dank der Kommentierungen von Kohlmann, Joecks, Rolletschke

und Bender – zu einem legitimierten Abkömmling des Strafrechts entwickelt.

Wir unterscheiden:

Materielles Strafrecht formelles

Das Ob Das Wie

BGB ZPO, GVG

StGB StPO, GVG

§§ 369-384 AO und (ergänzend) StGB §§ 385-412 AO und

(ergänzend) StPO

Sie kennen die Unterscheidung aus dem Zivilrecht. Das materielle Recht bestimmt, ob

jemandem ein Anspruch zusteht, das formelle, wie er durchgesetzt wird. So regeln die

Vorschriften des BGB z. B., unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer vom Käufer den

Kaufpreis, der Vermieter vom Mieter den Mietzins verlangen kann. Wie Verkäufer, Mieter

usw. ihre Ansprüche durchsetzen können, bei welchem Gericht sie klagen, wie sie

vollstrecken können , ergibt sich aus der Zivilprozeßordnung und den sonstigen Gesetzen, die

das Verfahrensrecht enthalten, wie etwa dem Gerichtsverfassungsgesetz. Entsprechend

bestimmen die materiellrechtlichen Strafrechtsgesetze, ob ein Verhalten strafbar ist, ob es also

einen „Straftatbestand― erfüllt, und die Strafprozessordnung und das übrige Verfahrensrecht,

ob und wie der staatliche Strafanspruch verwirklicht wird. Das materielle Recht enthält das

„ob“, das formelle das „wie“.

Kernstrafrecht und Nebenstrafrecht

Als Kernstrafrecht bezeichnen wir das im Strafgesetzbuch (StGB) niedergelegte Strafrecht,

mitunter auch nur die im Besonderen Teil des StGB kodifizierten, die sog. „klassischen―

Straftatbestände. Nebenstrafrecht ist das in Gesetzen außerhalb des StGB enthaltene

Strafrecht, enger gefaßt, nur die in diesen Nebengesetzen enthaltenen Straftatbestände.

Bestrafung nach dem "Nebenstrafrecht" kann in den Folgen einschneidender sein als

Bestrafung nach Bestimmungen des "Kernsstrafrechts". Steuerstrafrecht ist Nebenstrafrecht,

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weil es nicht im StGB, sondern in der AO und anderen Steuergesetzen steht. Es wird gesagt,

die Verzahnung des Nebenstrafrechts mit den ihm zugrunde liegenden außerstrafrechtlichen

Regelungen, also etwa die Prägung des‚Steuerstrafrechts durch das Steuerrecht, stehe seiner

Aufnahme in das StGB entgegen.3 Diese Erwägungen haben den Gesetzgeber nicht gehindert,

beispielsweise die Insolvenzdelikte trotz deren Verzahnung mit der Insolvenzordnung, den

Tatbestand der Angestelltenbestechung trotz dessen Verzahnung mit dem Gesetz gegen den

unlauteren Wettbewerb in das StGB aufzunehmen.

Legalitätsprinzip und Opportunitätsprinzip

Ersteres (der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz) verpflichtet die StA zur Aufnahme der

Ermittlungen, sofern tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten vorliegen (§ 152

II StPO), und zur Anklageerhebung bei hinreichendem Tatverdacht (§ 170 I StPO). Letzteres

steht im Gegensatz hierzu, bedeutet aber nicht ein Handeln nach reinen

Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern nach pflichtgemäßem Ermessen. Ausfluß des

Opportunitätsprinzips sind die Bestimmungen über die Einstellung des Verfahrens, geregelt

in den §§ 153 – 154 e StPO, 398 AO.

Parteiprozeß und Untersuchungsprozeß

Im Parteiprozeß stehen sich Ankläger und Angeklagter – etwa wie im Zivilprozeß - als

Parteien gegenüber, so im anglo-amerikanischen Strfprozeß; im Inquisitionsprozeß wird von

Amts wegen ermittelt (untersucht).

Die Gesetzesmethode: Allgemeiner und Besonderer Teil

Der Allg. Teil zieht vor die Klammer, was für den gesamten nachgestellten Besonderen Teil

gilt. So arbeiten das BGB, das StGB, die Prozeßordnungen und die meisten Gesetze von

einigem Umfang, auch die AO.

Straftat ist

das vorsätzliche vollendete täterschaftliche

Begehungsdelikt

Auf dieses "Musterdelikt", den "Prototyp", ist die Fassung der Straftatbestände in der Regel

zugeschnitten. Gegenstücke sind:

zum vorsätzlichen das fahrlässige, vgl. § 15 StGB: strafbar ist nur vorsätzliches Handeln,

wenn nicht das Gesetz fahrlässiges ausdrücklich mit Strafe bedroht.

Zum vollendeten: das im Versuchsstadium steckengebliebene.

Zum täterschaftlichen: das als Teilnahme an der Tat eines andern begangene.

Zum Begehungsdelikt: das durch Unterlassung gegangene, vgl. § 13 StGB: wer es unterläßt,

einen tatbestandsmäßigen Erfolg abzuwenden, ist strafbar, wenn er rechtlich dafür einzutreten

hat, daß der Erfolg nicht eintritt... 3 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allg. Teil, 11. Aufl. 2003, § 3, TZ 79

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Strafbar ist

menschliches Handeln (also nicht das von Tieren oder juristischen Personen),

das vom Gesetz generell mißbilligt wird, also

- einen gesetzlichen Tatbestand

- objektiv (nullum crimen sine lege) und

- subjektiv erfüllt,

- nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt

Dabei sei hier schon angemerkt: Für die Erfüllung des (an sich schon komplizierten)

objektiven Tatbestandes des § 370 AO liegt die eigentliche "Musik" im blankettausfüllenden

Steuerrecht, das die "Steuererheblchkeit", die Steuerverkürzung usw. regiert.

und individuelll vorwerfbar (schuldhaft) ist. Schuld ist

- ausgeschlossen bei mangelnder Einsichtsfähigkeit, vgl. § 20 StGB, Schuldunfähigkeit

wegen seelischer Störungen, § 19 StGB, Schuldunfähigkeit des Kindes,

- bei unvermeidbarem Verbotsirrtum, § 17 StGB.

I. Besteuerungsverfahren/Steuerstrafverfahren/Strafverfahren/Auswirkung auf das

materielle Strafrecht/Vorfragenkompetenz

1. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren

Lit.: Judith Wenzel, Das Verhältnis von Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren, 2003 (Diss.

aus der Schule Dannecker)

a) Der Nemo-Tenetur-Grundsatz im Verhältnis zur steuerlichen Mitwirkungspflicht

Lit.: Rogall, Kohlmann- Festschrift 2003, 465; Joecks, daselbst, S. 451; Tipke, daselbst S.

555; Böse, wistra 2003, 47;Jäger, NStZ 2005,552 (156 (zu V).

Bild 1

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Das Strafverfahren ist von dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I, Art. 1 I

GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) resultierenden Grundsatz

nemo tenetur se ipsum accusare (prodere) geprägt.

Im Besteuerungsverfahren gelten dagegen Mitwirkungsgebote (§ 90 I AO, Pflicht zur

wahrheitsgemäßen Offenbarung der für das Besteuerungsverfahren erheblichen Tatsachen;

Vorlage von Urkunden, § 97 AO; Duldung von Zwangsmaßnahmen, § 328 AO;

Mitwirkungspflichten insbesondere bei der Außenprüfung, § 200 AO). Zwischen beiden

Grundsätzen besteht also ein Konflikt. Dieser könnte wie folgt gelöst werden (FGJ § 393, TZ

5) durch:

- Außerkraftsetzen von Mitwirkungspflichten, sobald ein strafrechtliches

Ermittlungsverfahren eingeleitet ist oder Belastungsgefahr besteht;

- Bestehenlassen der Mitwirkungspflichten, aber Verzicht auf Zwangsmittel;

- Bestehenlassen von Mitwirkungspflichten und deren Erzwingbarkeit, indessen

Schaffung eines strafrechtlichen Verwertungsverbots.

Die Lösung des Konflikts ist verfassungsrechtlich geboten, jedoch steht der Weg dem

Gesetzgeber offen, sofern das Ziel (Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung) erreicht wird.

§ 393 AO kombiniert die beiden letzten Lösungsmöglichkeiten:

Mitwirkungspflichten bleiben bestehen, aber der Einsatz von Zwangsmitteln bei

Belastungsgefahr ist unzulässig.

§ 393 I AO ist keine jederzeit revidierbare Großzügigkeit des Gesetzgebers, sondern die

Beachtung des verfassungsrechtlich gebotenen nemo-tenetur-Grundsatzes. Bedenklich ist

indessen die Ausnahme des § 393 II 2 AO (FGJ § 393, TZ 10).

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Fall 1:

Für den Außenprüfer ergeben sich während der Prüfung deutliche Hinweise dafür,

dass der Pflichtige nicht alle Einnahmen der Besteuerung unterworfen, sondern in

erheblichem Umfang Schwarzgeld eingenommen hat, das er nicht über die Bücher

laufen ließ. Es besteht der Verdacht der Verkürzung von Einkommen-, Umsatz- und

Gewerbesteuer. Wie muss sich der Prüfer verhalten?

Steuerverfahrensrechtlich ergibt sich die Mitwirkungsverpflichtung des

Pflichtigen aus § 200 AO. Hiernach hat der Steuerpflichtige bei der

Feststellung der steuerlich erheblichen Sachverhalte mitzuwirken und

Auskünfte zu erteilen usw.

Strafrechtlich kann demgegenüber die Mitwirkung des Pflichtigen nicht

erzwungen werden, was aus § 393 I AO folgt: Im Besteuerungsverfahren sind

Zwangsmittel unzulässig, wenn der Pflichtige dadurch gezwungen würde, sich

selbst zu belasten. Das gilt stets, soweit gegen ihn wegen einer solchen Tat das

Strafverfahren eingeleitet worden ist. Der Pflichtige ist hierüber zu belehren. Er

ist dann Beschuldigter, aber gleichwohl weiterhin Steuerpflichtiger. Was hat

Vorrang ? Die Mitwirkungs- und Auskunftspflicht oder das Recht, (faktisch)

die Aussage zu verweigern ?

Die obersten Finanzbehörden der Bundesländer haben am 31. 8. 2009 in

Übereinstimmung mit dem BMF einen Anwendungserlass zur Handhabung der

in § 10 BpO geregelten Unterrichtungspflicht beschlossen (BStBl I 09, 829) 4

,

um dem Prüfer die Bestimmung des Zeitpunkts zu erleichtern, in dem die

Mitteilungspflicht gegenüber der Strafsachenstelle besteht, dazu Bach, PStR

2009, 249; zu § 10 BPO allgemein Wegner, PStR 2009, 86.

§ 10 der Betriebsprüfungsordnung (BpO) bestimmt hierzu, dass der

Außenprüfer die „für die Bearbeitung dieser Straftat zuständige Stelle― zu

unterrichten hat und die Ermittlungen (§ 194 AO) beim Pflichtigen erst

fortgesetzt werden dürfen, wenn diesem die Einleitung des Strafverfahrens

mitgeteilt worden ist. § 10 BpO verweist auf § 393 I AO.5

Die allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung (Betriebsprüfungsordnung) ist

nicht Gesetz, sondern Verwaltungsvorschrift6,. Ihr entspricht für den Zoll die Prüfungs-

Dienstanweisung VSF (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung) 1310 (dazu 4 Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung wurden zuletzt mit der Verwaltungsvorschrift

vom 22. Januar 2008 (BStBl I S. 274) geändert. 5 § 10 – Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit

(1) Ergeben sich während einer Außenprüfung zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO), deren Ermittlung der Finanzbehörde obliegt, so ist die für die Bearbeitung dieser Straftat zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten. Dies gilt auch, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss.

Richtet sich der Verdacht gegen den Steuerpflichtigen, dürfen hinsichtlich des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht bezieht, die Ermittlungen (§ 194 AO) bei ihm erst fortgesetzt wer-den, wenn ihm die Einleitung des Strafverfahrens mitgeteilt worden ist. Der Steuerpflichtige ist dabei, soweit die Feststellungen auch für Zwecke des Strafverfahrens verwendet werden können, darüber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht mehr erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO). Die Belehrung ist unter Angabe von Datum und Uhrzeit aktenkundig zu machen und auf Verlangen schriftlich zu bestätigen (§ 397 Abs. 2 AO). (2) Absatz 1 gilt beim Verdacht einer Ordnungswidrigkeit sinngemäß.

6 Eine Verwaltungsvorschrift hat im Gegensatz zum Gesetz und zur Rechtsverordnung keinen Normcharakter,

sondern ist nicht mehr als eine interne Anweisung an die Verwaltung. Werden Verwaltungsvorschriften

tatsächlich praktiziert - was die Regel sein sollte - so kann ihnen Selbstbindungswirkung zukommen.

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Bender, TZ 119 zu 3 b, Abs. 3). Für den Zoll sind die die Betriebsprüfung regelnden

Bestimmungen durch Art. 78 ZK, wonach die Zollbehörden nach der Überlassung der Waren

eine Überprüfung der Anmeldung vornehmen können, überlagert (Witte/Wolffgang, S. 119).

Die Prüfungs-DA für den Zoll enthält in den Abschnitten 22 bis 26 eine dem § 10 BpO

entsprechende Regelung.

Weitere Unterschiede zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren:

- Schätzungen und steuerliche Vermutungen gelten nicht im Strafverfahren

(Bender/Möller/Retemeyer, D 1, Tz. 10-26, Beispiel 123).

- Durchsuchungen ohne Verdacht, ohne richterliche Anordnung, ohne Gefahr im Verzug nur

im Besteuerungs-, nicht im Strafverfahren Bender/Möller/Retemeyer, D III, Tz. 406-423).

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b) Die strafrechtliche Ermittlungspflicht der Finanzbehörde

Bild 2

§ 152 StPO: Die StA ist bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten – das ist der

„Anfangsverdacht― – verpflichtet (Legalitätsprinzip), wegen aller verfolgbaren Straftaten

einzuschreiten (sofern nicht gesetzlich anderes bestimmt ist, Ausnahmen vom

Legalitätsprinzip).

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§ 163 I StPO: Die Behörden des Polizeidienstes haben Straftaten zu erforschen und alle

keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung zu verhüten.

Das Gesetz könnte durch die Bestimmung des § 201 II AO zu der Ansicht verleiten, der

Prüfer genüge seiner Verpflichtung, wenn er den „strafrechtlichen Vorbehalt― i. S. des

§ 201 II AO ausspricht. Nach dieser Bestimmung „soll der Steuerpflichtige darauf

hingewiesen werden, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung einem besonderen

Verfahren vorbehalten bleibt―. Die Praxis begnügt sich deshalb in vielen Fällen damit, dass in

der Schlussbesprechung dieser Hinweis erteilt wird. Gleichwohl entspricht das nicht dem

Gesetz, denn der Prüfer hat nach § 399 II AO bei Verdacht einer Steuerstraftat den

Sachverhalt zu erforschen und alle unaufschiebbaren Anordnungen zu treffen, um die

Verdunkelung der Sache zu verhüten. Die in § 399 II 2 AO erwähnten Maßnahmen kann er

nach den für Ermittlungspersonen (bis 30. 9. 2004: Hilfsbeamte) der Staatsanwaltschaft

geltenden Vorschriften anordnen. Es kommt wegen § 399 II AO nicht darauf an, ob der

Außenprüfer Ermittlungsperson der StA ist.

Im einzelnen ist hier freilich vieles strittig, vgl. z. T. a. A. Bender/Möller/Retemeyer, D II,

Tz. 72 und D III, Tz. 413- 423).

Ermittlungspersonen der StA kraft Gesetzes sind nach § 404 S. 2 AO die Beamten der

Zoll- und Steuerfahndung. Im übrigen sind die Landesregierungen gemäß § 152 II

GVG ermächtigt, durch Rechtsverordnung Ermittlungspersonen zu bezeichnen. Für

NRW ist dies durch VO v. 30. 4. 1996 (GVBl NW, S. 180) geschehen.

Für den Außenprüfer gilt das in § 399 II AO in Verb. mit §§ 385 I AO, 152 II, 160 I StPO

niedergelegte Legalitätsprinzip. Auch wenn also für den Bereich mehrerer Finanzämter eine

gesonderte Strafsachenstelle oder gar ein Finanzamt für Strafsachen und Steuerfahndung

eingerichtet worden ist, so bleiben gem. § 399 II AO „das Recht und die Pflicht― dieser

Finanzbehörden unberührt, bei Verdacht einer Steuerstraftat den Sachverhalt zu erforschen

und alle unaufschiebbaren Anordnungen zu treffen. Der Prüfer muss deshalb bei Bestehen

eines Anfangsverdachtes auch selbständig alle strafrechtlichen Ermittlungs- und

Sicherungshandlungen vornehmen (Bender, TZ 119 3 b, am Ende, und Hellmann, S. 365

ff.). Er darf sich also nicht darauf beschränken, die Strafsachenstelle zu informieren, sondern

muss selbst die erforderlichen Maßnahmen treffen. Nur so verträgt sich § 10 BpO mit dem

Gesetz: Die Verwaltungsvorschrift darf keine Regelungen treffen, die vom Gesetz abweichen.

Nur wenn das Vorgehen gem. § 10 BpO in der konkreten Situation die Erforschung der

entdeckten Straftat sicherstellt, darf der Prüfer eigene Ermittlungsmaßnahmen i. S. von § 399

II AO unterlassen. Insbesondere darf er dann nicht die Außenprüfung länger unterbrechen,

wenn dadurch das Steuerstrafverfahren gefährdet würde (Hellmann, S. 372 f.).

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c) Strafrechtliche Verwertungsverbote

Literatur: Rogall, Kohlmann-Fschr., 2003, 465; Vogelberg, Durchsuchung und

Beschlagnahme, S. 89 ff. (zu V)); Salditt, PStR 2008, 84 (zu den Liechtenstein-Fällen)

Bild 3

Wie wird nun die Außenprüfung weitergeführt?

Angenommen:

Fall 2:

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Der Außenprüfer will sich die Kooperationsbereitschaft des Pflichtigen nicht

verscherzen und bittet ohne jede Belehrung um Aufklärung bezüglich der möglichen

Schwarzgeldeinnahmen. Der Pflichtige liefert nun Unterlagen, die ihn schwer

belasten, indem sie bisher nicht erklärte Einnahmen tatsächlich bestätigen. Der Prüfer

ermittelt jetzt selbst weiter. Das darf er, denn die Rechte der Finanzbehörde bleiben

auch im Fall des § 387 II AO unberührt (§ 399 II AO). § 399 II AO entspricht insoweit

§ 163 I StPO, der die entsprechenden Aufgaben der Polizei zuweist (Recht des ersten

Zugriffs): Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben Straftaten zu

erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die

Verdunkelung der Sache zu verhüten... . Die Erforschungspflicht beginnt, sobald die

Finanzbehörde Kenntnis von Tatsachen hat, die einen Anfangsbedacht begründen. Der

Prüfer darf also nicht nur, sondern er muss ermitteln.

Wenn der Prüfer also selbst weiter ermittelt und den Pflichtigen um Aufklärung bittet, dann

erfüllt das Auskunftsverlangen die Voraussetzung einer Vernehmung i. S. des § 163 a StPO

(Hellmann, S. 3757). Der Pflichtige kommt als Täter in Betracht, folglich ist es eine

Beschuldigtenvernehmung. Ist das so, dann ergibt sich aber aus § 163 a IV StPO die

Verpflichtung zur Belehrung:

Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist

dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Im übrigen

gelten § 136 I 2 - 4, II, III und § 136 a StPO.

Dem Beschuldigten (Pflichtigen) wäre also richtigerweise zu eröffnen gewesen, welche Tat

ihm zur Last gelegt wird, ferner hätte er über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt werden

müssen.

Angenommen:

Der Prüfer verfährt nach § 10 BpO und unterrichtet das Finanzamt für Strafsachen und

Steuerfahndung. Dieses leitet ein Ermittlungsverfahren ein. In diesem Fall ergeben sich die

Belehrungspflichten aus § 136 I StPO (über das Aussageverweigerungsrecht). Ferner gilt

dann § 393 I 2 AO (Unzulässigkeit von Zwangsmitteln).

Darüber hinaus folgt aus § 393 I 4 AO die Belehrungspflicht über die Unzulässigkeit von

Zwangsmitteln bei Belastungsgefahr.

Ein krasser Fall des Verstoßes gegen Belehrungspflichten liegt BGH vom 16. 6. 2005, 5 StR

118/05, NJW 2005, 2723 = wistra 2005, 381, zugrunde. Nach Einleitung eines

strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens leitet die Finanzbehörde eine Außenprüfung ein, ohne

dem Pflichtigen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mitzuteilen (§ 397 III AO) und

ohne ihn nach § 393 I AO zu belehren. Der BGH: Trotz Steuerstrafverfahrens durfte die

Außenprüfung angesetzt werden, denn der Behörde steht es frei, ob sie strafrechtlich oder

steuerrechtlich ermittelt; Außenprüfung (§ 193 AO) und Steuerfahndung (§ 208 AO)

schließen sich nicht aus. Aber der Prüfer hätte § 10 BpO (vgl. oben im Text) und § 393 I 2

AO beachten müssen. Im konkreten Fall hatte die Revision des Angeklagten deshalb keinen

Erfolg, weil eine Verfahrensrüge nicht wirksam erhoben war. Obiter verneint der BGH

allerdings auch die Beruhenseignung (§ 337 I StPO) der Verfahrensrüge, selbst wenn sie

7 Im Gegensatz zur StPO definiert die AO in § 397, wann ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Das geschieht

durch eine Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich

vorzugehen. Sie ist unabhängig von dem nach § 397 II AO erforderlichen Aktenvermerk (FGJ § 397, TZ 7).

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erhoben worden wäre. Die Entscheidung äußert sich ebenfalls zur Frage, ob eine

rechtsfehlerhaft angeordnete Außenprüfung die Möglichkeit der Selbstanzeige verhindert, vgl.

unten im Skript C I 14.

Fazit:

Die Belehrungspflichten sind in § 393 I 4 AO nur unvollkommen wiedergegeben, ergänzend

müssen die Bestimmungen über das allgemeine Strafverfahren stets herangezogen werden.

Lit. Krekeler, PStR 1999, 230

Aus § 393 AO folgt:

Das Steuerstrafverfahren wird nach Strafverfahrensvorschriften, das Besteuerungsverfahren

nach den hierfür geltenden Vorschriften weitergeführt (§ 393 I 1 AO), letzteres aber ohne die

Zulässigkeit von Zwangsmitteln bei Selbstbelastungsgefahr des Pflichtigen, § 393 I 2 AO.

Folge bei Verstoß gegen Belehrungspflichten?

Frage des Verwertungsverbots, entsprechend § 136 StPO. Verstoß begründet

grundsätzlich Verwertungsverbot, jedoch dann nicht, wenn feststeht, dass der

Beschuldigte sein Recht zu schweigen ohne Belehrung gekannt hat oder wenn

er in der Hauptverhandlung der Verwertung zugestimmt oder ihr nicht mehr

widersprochen hat (BGHSt 38, 214, vgl. im einzelnen: Kleinknecht/Meyer-

Goßner § 136 TZ 20 ff.). Näheres D III 2.

Entsprechendes muss auch für den Verstoß gegen § 393 AO gelten. Sie sehen also: Das

Besteuerungsverfahren führt Sie zu den Problemen des Steuerstrafverfahrens und damit zur

StPO.

Lit.: Braun, DStZ 01, 320; Thorsten Müller, DStZ 2001, 231; Bilsdorfer, PStR

2001, 238

Fälle:

Im Fall 2 sind also die Auskünfte des Pflichtigen und die von ihm beigebrachten Unterlagen

im Strafverfahren nicht verwertbar (ob sie im Steuerverfahren verwertbar sind, ist eine andere

Frage, dazu unten unter g).

Wie verhält es sich, wenn der Prüfer ein Ermittlungsverfahren einleitet und bei dieser

Gelegenheit dem Pflichtigen sagt, dieser müsse, auch wenn ein Steuerstrafverfahren gegen ihn

eingeleitet wird, wahrheitsgemäß aussagen und zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung

beitragen?

Das ist nicht nur eine unrichtige Belehrung, sondern eine Täuschung nach § 136 a

StPO, begründet ein Verwertungsverbot im Strafverfahren.

Wie ist es, wenn der Prüfer die Belehrungspflicht selbst nicht kennt, die Belehrung unterlässt

und (gutgläubig) den Pflichtigen im obigen Sinne „unterrichtet―?

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Für eine Täuschung fehlt es am Vorsatz seitens des Prüfers, denn Täuschung setzt

begrifflich voraus, dass derjenige, der die Erklärung abgibt, deren Unwahrheit kennt.

Letztlich spielt das aber keine Rolle, denn das Verwertungsverbot folgt aus § 136

StPO. In den Fällen unrichtiger Belehrung brauchen wir also den § 136 a StPO nicht.

Das Problem ist seit BGHSt 38, 214 in diesem Sinne gelöst.:

Ist der Vernehmung nicht der Hinweis vorausgegangen, dass es dem Beschuldigten

freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern, so dürfen Äußerungen, die der

Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, nicht verwertet werden. Anders,

wenn der Beschuldigte sein Recht zu schweigen gekannt hat oder wenn der –

verteidigte oder durch das Gericht belehrte – Beschuldigte der Vernehmung

zugestimmt bzw. bis zu dem in § 257 StPO erwähnten Zeitpunkt (d.h. im Anschluss an

die Beweiserhebung, die sich auf den Inhalt der ohne Belehrung abgegebenen Aussage

bezieht) der Verwertung nicht widerspricht

Teilt man die Auffassung des BGH nicht, dann kommt es freilich darauf an, ob eine

Täuschung i. S. des § 136 a StPO vorliegt. Praktisch hat diese Frage heute ihre

Bedeutung jedenfalls im Hinblick auf die Unterlassung von Belehrungspflichten

verloren.

Wie verhält es sich, wenn der Prüfer mit unverhältnismäßig hoher Schätzung, die jeder

Beschreibung spottet, droht?

Eine Schätzung ist grundsätzlich zulässig, vgl. § 162 AO. Indessen müssen natürlich

die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorliegen und insbesondere muss § 162 I 2

AO beachtet werden. Es sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung

von Bedeutung sind. Von Bedeutung sind auch die Umstände, die für die Höhe

maßgebend sind. Das Finanzamt darf also nicht willkürlich schätzen, und die Drohung

mit einer solchen Schätzung kann § 136 a StPO unterfallen. Wenn aber § 162 AO

korrekt beachtet wird, scheidet unzulässiger Zwang aus. Die Ankündigung einer

Schätzung, sofern diese gesetzmäßig erfolgt, ist keine Drohung i. S. des § 136 a StPO

und auch kein Zwangsmittel i. S. des § 399 AO (zum Problem: Krekeler PStR 1999,

232).

BGH vom 17. 3. 2005, 5 StR 328/04, wistra 2005, 228 = NStZ 2005, 517, hatte folgenden

Fall zu entscheiden: Ein Strafverfahren wegen unrichtiger USt-Voranmeldungen ist

eingeleitet. Nun erinnert das Finanzamt an die Abgabe der Jahreserklärung für dasselbe Jahr

mit dem Hinweis auf Zwangsgeld und Schätzung. Der BGH verneint Täuschung nach § 136 a

StPO "mangels Eignung", weil der Pflichtige einerseits steuerlich beraten, andererseits bei

Einleitung des Ermittlungsverfahrens ordnungsgemäß belehrt worden sei. Er sieht das

Erinnerungsschreiben "allenfalls" als "unbeabsichtigte Irreführung". Das sind zwei

unterschiedliche Erwägungen. Die Täuschung lässt sich schon mit der Begründung verneinen,

dass § 136 a III 2 StPO vor unabsichtlich hervorgerufenen Irrtümern nicht schützt, sondern

nur vor Handlungen, die darauf abzielen, einen Irrtum zu erregen (vgl. Putzke/Scheinfeld,

Strafprozessrecht, 1. Aufl. 2005, S. 97). Ein aus unrichtiger Belehrung resultierendes

Verwertungsverbot scheitert an der fehlenden Eignung zur Irreführung. Wäre der Pflichtige

im konkreten Fall nicht infolge steuerlicher Beratung und finanzamtlicher Belehrung

"kundig", könnte aus dem Schreiben des Finanzamts ein Verwertungsverbot aus § 136 StPO

hergeleitet werden, denn dies hängt nicht vom Täuschungsvorsatz des Belehrenden ab.

d) Fernwirkung:

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Schrifttum: Christian Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im

Strafprozess, 2003, S. 111 ff.

Im Ausgangsfall legt der Pflichtige ohne vorherige Belehrung ein Geständnis ab. Darauf

erwirkt die Finanzbehörde eine Durchsuchung und findet die inkriminierenden Quittungen,

die alle Schwarzgeldeinnahmen belegen.

Das Geständnis ist nicht verwertbar, gilt das auch für die Quittungen?

Die amerikanische Lehre vom fruit of the poisonous tree ist von der deutschen h. M.

nicht übernommen worden.

Die Fernwirkung wird generell verneint, nur in Ausnahmefällen, wenn „in grober Weise

gegen Recht und Gesetz― verstoßen wurde, bejaht. Kritisch Vogelberg, Durchsuchung und

Beschlagnahme, S. 95 ff. (zu V4).

FGJ bejahen Fernwirkung in „massiven Fällen der Täuschung― (§ 393 TZ 49).

e) § 393 II 1 AO

Ein besonderer Fall des Verwertungsverbots ergibt sich aus § 393 II 1 AO (mit den

bedenklichen Einschränkungen aus S. 2). Hierzu der anrührende Fall des

BayObLG vom 18. 2. 1998, 4 St RR 2/98, wistra 1998, 197 = PStR 1998, 121:

Ein Biologieprofessor kauft Bücher für private Zwecke, lässt sich indessen Quittungen über

„Fachbücher― erteilen. In diese blanko ausgestellten Quittungen trägt er selbst Titel von

Fachzeitschriften ein, um die berufliche Verwendung der Literatur noch zu untermauern.

Diese so ausgefüllten Quittungen fügt er der Einkommensteuererklärung bei und versucht

damit Steuern von ganzen 22,00 DM zu „ersparen―. Alles ist so naiv aufgezogen, dass es

misslingt. Der Professor wird wegen § 267 StGB verurteilt. Frage: Wie verhält es sich denn

hier mit dem aus § 393 II 1 AO resultierenden Verwertungsverbot? Es heißt doch im Gesetz,

Beweismittel, die der Pflichtige vor Einleitung des Strafverfahrens usw. in Erfüllung

steuerlicher Pflichten offenbart hat, dürfen wegen einer Straftat, die nicht Steuerstraftat ist,

nicht gegen ihn verwendet werden.

Logisch vorrangig ist die Frage, ob § 393 II AO nur den schützt, der sich bei

wahrheitsgemäßer Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten einer Nichtsteuerstraftat bezichtigt

oder auch den, der die steuerlichen Pflichten derart schlecht erfüllt, dass er damit zugleich

eine Tat begeht, die nach den allgemeinen Strafgesetzen strafbar ist. BGH vom 5. 5. 2004, 5

StR 548/03, NJW 2005, 2720 (2723) -- Kritik von Eidam, wistra 2004, 412 -- sagt: Wer

falsche Angaben gegenüber der Finanzbehörde macht, um ungerechtfertigte Steuervorteile zu

erlangen, erfüllt keine steuerlichen Pflichten, also: Urkundenfälschung in Erfüllung

steuerlicher Pflichten gibt es nicht (vgl. FGJ § 393, § TZ 54 b). Bestätigend BVerfG vom 15.

10. 2004, 2 BvR 131/04, wistra 2005, 175. Anders noch BayObLG vom 18. 11. 1997, 3 St

RR 227/97, wistra 1998, 117: Das Verwertungsverbot erfasst auch gefälschte Belege. Auf die

Konsequenzen der BGH-Rechtsprechung weist Esskandari, DStZ 2005, 811 (820) hin: Der

zu einer Selbstanzeige entschlossene Steuerpflichtige gerät in ein Dilemma, wenn er

gleichzeitig mit dem Steuervergehen eine Nichtsteuerstraftat begangen hat. Gibt er die

Selbstanzeige ab, setzt er sich damit zugleich der Strafverfolgung wegen des Allgemeindelikts

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aus. Letztlich gefährdet diese Auslegung des § 393 II AO den mit § 371 AO verfolgten

Zweck, bisher verschlossene Steuerquellen zu erschließen.

BayObLG, wistra 1998, 197, lehnt ein Verwertungsverbot mit anderer Begründung ab, und

greift dazu tief in die Trickkiste der AO. Es folgert nämlich aus § 150 IV AO, dass der

Pflichtige diese Quittungen nicht in Erfüllung steuerlicher Pflichten vorgelegt habe, denn §

150 IV AO verlange nur, dass der Steuererklärung „Unterlagen beigefügt werden, die nach

den Steuergesetzen vorzulegen sind―. Nach den Steuergesetzen sind aber nicht die

Einzelquittungen vorzulegen, folglich habe der Pflichtige nicht in Erfüllung steuerlicher

Pflichten gehandelt. Das scheint mir nun nicht stichhaltig. Es kommt nicht darauf an, ob die

Pflicht, die Unterlagen vorzulegen, tatsächlich bestand, sondern ob der Pflichtige in Erfüllung

steuerrechtlicher Pflichten handelte. Nicht das objektive Bestehen der Pflicht, sondern der

subjektive Wille, eine solche zu erfüllen, muss ausreichen - wenn man schon die Prämisse des

BayObLG teilt und das Verwertungsverbot nicht mit dem BGH an der logisch vorrangigen

Frage scheitern lässt.

Zu § 393 II 2 AO vgl. den Vorlagebeschluss des LG Göttingen v. 11. 12, 2007, 8 KLs 1/07,

mit Anm. Wegner, PStR 2008, 155, und die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer

v. 25. 9. 2009. Anhängig beim BVerfG unter 2 BvL 13/07: Im Rahmen einer Außenprüfung

übergibt der Pflichtige der Prüferin Unterlagen, aus denen sich der Verdacht der

Beitragsvorenthaltung nach § 266 a StGB ergibt. Die StA erhebt daraufhin Anklage. Das LG

Göttingen sieht sich gehalten, wenn die Unterlagen verwertbar sind, das Verfahren zu

eröffnen. Da die Unterlagen der Prüferin in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten (§ 393 II 1

AO) offenbart worden waren, hält sie das LG Göttingen an sich für unverwertbar – wenn

nicht die Ausnahme in Gestalt des § 393 II 2 existierte: Die Unverwertbarkeit gilt nicht für

Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Diese

Bestimmung hält das LG Göttingen für verfassungswidrig, u. a. auch deshalb, weil dem

Begriff des zwingenden öffentlichen Interesses die notwendige Konkretisierung fehlt

(zustimmend die Stellungnahme der BRAK), daher der Vorlagebeschluss.

f) Fazit

Die Verweisungsketten für die aus unterlassener Belehrung folgenden Verwertungsverbote

sehen also wie folgt aus:

Zum einen:

§ 393 I 4 AO § 136 (§ 136 a StPO).

Zum anderen:

Selbständiges Ermittlungsverfahren:

§ 386 II AO § 399 I AO § 163 a III StPO §§ 136 StPO (136 a) StPO.

Unselbständiges Ermittlungsverfahren der Finanzbehörde:

§ 386 I AO § 399 II AO, 402 I, II StPO § 163 a IV StPO §§ 136 StPO (136 a) StPO.

g) Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren?

BFH vom 23. 1. 2002, XI R 10 und 11/01, wistra 2002, 270:

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Der Pflichtige P beantragt Investitionszulagen für einen Umbau, der angeblich

ausschließlich betrieblich genutzt wird. Der Außenprüfer befragt den P, wo er gewohnt

habe, ohne ihn entsprechend § 393 AO zu belehren. Dadurch kommt heraus, dass der

P diesen Umbau privat nutzt. Frage: Resultiert daraus ein steuerrechtliches

Verwertungsverbot? -(Das Strafverfahren wurde eingestellt).

Der BFH: ein allgemeines Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von

Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, existiert im Besteuerungsverfahren nicht.

Das widerspricht dem Grundsatz der steuerlichen Belastungsgleichheit.

Demgegenüber FG Mecklenburg-Vorpommern vom 21. 8. 2002, 3 K 284/00, bei Wegner,

PStR 2004, 25: Strafrechtliches Verwertungsverbot wirkt im Besteuerungsverfahren.

Umgekehrt kann alles, was im Strafverfahren zulässigerweise ermittelt worden ist, im

Besteuerungsverfahren verwertet werden, auch wenn die betreffende Art der Sachaufklärung

im Besteuerungsverfahren unzulässig wäre (z. B Erkenntnisse aus einer TÜ): § 393 III AO,

eingefügt durch das Jahressteuergesetz v. 20. 12. 2007, BGBl I 3149, anders noch BFH v. 26.

2. 2001, NJW 2001, 2118.

FGJ, 393, TZ 50: Die Frage des Verwertungsverbots lässt sich nicht allgemein beantworten.

Es kommt darauf an, ob das Verwertungsverbot einem typisch strafprozessualen oder einem

allgemeinen Rechtsgedanken entspricht. Nur im letzteren Fall wirkt es sich auch im

Besteuerungsverfahren aus. Sind die Erkenntnisse rechtens wiederholbar, sind sie verwertbar,

denn der Steuerpflichtige darf nicht allein deshalb besser stehen, weil er zugleich

Beschuldigter ist. Das ist das Argument des BFH (Postulat der steuerlichen

Belastungsgleichheit). Anders Hellmann, S. 14, der aus dem strafrechtlichen

Verwertungsverbot die steuerrechtliche Unverwertbarkeit ableitet.

h) Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren: praktisch betrachtet

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Zu Ihnen als Anwalt kommt Mandant M. Ihm wird

vom Strafsachenfinanzamt Steuerhinterziehung in Form des Erschleichens von

Vorsteuererstattung vorgeworfen. Den von ihm dem Finanzamt vorgelegten(Fremd-)

Rechnungen, die die Vorsteuer ausweisen, sollen angeblich keine realen Lieferungen zu

Grunde liegen. Anklage ist noch nicht erhoben, aber das Veranlagungsfinanzamt hat für die

betreffenden Jahre schon korrigierte Steuerbescheide erlassen, gegen die M Einspruch

eingelegt hat, der auch schon beschieden ist. M sagt, zu jeder Rechnung könne er im Detail

nachweisen, welche Lieferungen und Leistungen seitens der jeweiligen Fremdfirma zu

Grunde liege. Leider hat nun die Fahndung alle diesbezüglichen Buchführungsunterlagen

beschlagnahmt und abtransportiert. Ohne Unterlagen kann M nichts Konkretes zu den

einzelnen Rechnungen sagen. Ihr Problem: die Klagefrist vor dem Finanzgericht läuft ab.

Aber das ist nicht das Schlimmste: Die Bescheide sind ja vollstreckbar, Einspruch und Klage

haben keine aufschiebende Wirkung. M sagt, wenn er die Steuern zahlen müsse, könne er

seinen "Laden zumachen", denn das überstehe der Betrieb nicht. Was tun Sie?

Sie müssen versuchen, die Aussetzung der Vollziehung zu ereichen. Muss das Finanzamt

diese bewilligen? Sie werden sagen, man kann nicht einerseits alle Unterlagen

beschlagnahmen und damit dem Pflichtigen die Möglichkeit nehmen, seinen

Aussetzungsantrag zu begründen, andererseits die Aussetzung ablehnen. Das Finanzamt

könnte Ihnen aber – im Einvernehmen mit der Fahndung -- Einsicht und Kopiermöglichkeit

der beschlagnahmten Unterlagen gewähren und zumindest die Aussetzung der Vollziehung --

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auch ohne Darlegung der Gründe, warum die Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide "ernstlich

zweifelhaft" ist (vgl. § 361 II 2 AO) zeitlich begrenzen. Sie müssen also verhandeln. Wenn

sich das Finanzamt sperrt, gibt es nicht wie früher die Beschwerde zur OFD, sondern nur die

Klage zum FG. Dazu müssten Sie aber etwas vortragen, was Sie aber nicht können mangels

Information des Mandanten, der sie Ihnen mangels Unterlagen aber nicht geben kann. Das

Gebot des fairen Verfahrens erfordert – auch ohne Darlegung der Voraussetzungen des § 361

II 2 AO -- zumindest befristete Aussetzung, um den Kläger in die Lage zu versetzen, die

Aussetzungsklage materiell zu begründen.

Folgende Konstellationen sind denkbar: Das Finanzamt setzt die Vollziehung der

Steuerbescheide aus. Es wird Klage zur Hauptsache (Anfechtungsklage) erhoben. Dort wird

die steuerliche Seite aufgeklärt. Stimmt es, was der Mandant sagt, verläuft auch die Strafsache

positiv. Verliert er den Steuerprozess, hat er strafrechtlich freilich nichts gewonnen, eher im

Gegenteil, weil das STRAFAFA -- wie auch das Strafgericht -- auf das Finanzgerichtsurteil

zurückgreifen werden, obwohl freilich Bindung nicht besteht vgl. unten A I 5. Sie dürfen

nicht hoffen, etwa durch lange Dauer des Steuerprozesses die Strafsache der Verjährung

zuzuführen. Dem wird das Gericht durch einen Aussetzungsbeschluss nach § 396 AO

vorbeugen. Während der Aussetzung ruht die Verjährung (nach der für das

Steuerstrafverfahren gegenüber dem allgemeinen Strafprozess besonderen Vorschrift des §

396 III AO).

Strafverfahren und Steuerverfahren können auch unabhängig voneinander betrieben werden.

Unter den Voraussetzungen des § 74 FGO kann auch der Finanzgerichtsprozess bis zur

Entscheidung des Strafverfahrens ausgesetzt werden, d.h. wenn die Entscheidung von dem

Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines

anderen Rechtsstreits bildet. Das Strafverfahren ist keine solches, vielleicht dann, wenn die

Besteuerungsfrage von einer strafrechtlichen Vorfrage abhängt, z.B. davon, ob Steuern

hinterzogen sind, z. B. im Rahmen der Verjährungsprüfung, vgl. § 169 I 2 AO. Aber richtig

betrachtet hängt hier auch nicht das Besteuerungsverfahren von dem strafrechtlichen

"Rechtsverhältnis" ab, weil keine Bindung besteht.

A propos Verhandlungen: mit wem verhandeln Sie über eine "Gesamtbereinigung"? Das

STRAFAFA ( Strafsachenstelle und Fahndung) ist nur für die Strafsache zuständig, muss sich

auch nicht an die Beurteilung der Veranlagungsstelle halten, erst recht ist der

Veranlagungssachbearbeiter nicht an die Auffassung der Strafsachenstelle gebunden (wie im

übrigen auch nicht an die rechtliche Beurteilung durch den Außenprüfer), vgl. näher unten zur

Vorfragenkompetenz A I 5. Steuerrechtlich müssen Sie auf jeden Fall das

Veranlagungsfinanzamt einbeziehen – und am besten die Bearbeiter der Strafsachenstelle

hinzunehmen.

i) Verwertungsverbot bei rechtswidrig erlangten Beweismitteln?

aa) Es ermittelt nicht die Finanzbehörde i. S. des § 386 I 2 AO, sondern der

Bundesnachrichtendienst, das Bundes- oder Landesamt für Verfassungsschutz, der

militärische Abschirmdienst und gewinnt Daten über Steuerhinterziehung konkreter Täter.

bb) Die Daten werden durch völkerrechtswidrige Ausspähung eines andern Staates

gewonnen.

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cc) Der Bundesfinanzminister sichert dem Straftäter, der den Tatbestand der Datenausspähung

(§ 202 a StGB) erfüllt hat, die Vorteile der Tat, indem er die Daten ankauft.

Frage des Verwertungsverbots weitgehend ungeklärt. Nach bisher h.M. begründet die

Rechtswidrigkeit der Erlangung allein wohl kein Verwertungsverbot. Stellt man streng auf

den Schutzzweck der verletzten Norm ab, ist die Sphäre des Beschuldigten nicht berührt. Zu

bb) vgl. BGHSt 37, 30: aus einer gegenüber einem andern Staat begangenen

Völkerrechtswidrigkeit kann ein Beschuldigter keine strafprozessualen Vorteile für sich

beanspruchen. Zu cc): Mit dem Hinweis, jedenfalls sei dies keine Hehlerei, weil Daten keine

"Sache" i.S. des § 259 StGB sind, kann das Verhalten nicht legitimiert werden, denn

immerhin kann es den Tatbestand des § 257 StGB erfüllen, u. U. auch Beihilfe zur Haupttat

sein, sofern diese als noch nicht beendet angesehen wird.

Überdies bleibt die Frage nach der Fernwirkung, wenn durch die rechtswidrigen Ermittlungen

weitere Beweismittel zu Tage gefördert werden.

Einfach handhabbar wäre der Grundsatz: der Staat darf sich auch um Preis der

"Wahrheitsfindung" nicht selbst rechtswidrig verhalten. Zum Problem vgl. Jentsch, Interview

in der Welt vom 19. 2. 2008, S. 3; Kölbel, NStZ 2008, 241; Göres/Kleinert NJW 2008,

1353; Schünemann, NStZ 2008, 305 und GA 2008, 314; Godenzi, GA 2008, 500;

Trüg/Habetha, NStZ 2008, 481; Jahn FAZ v. 29. 10. 2008 über einen Vortrag von Salditt,

"Zweierlei Maß nach dem Liechtenstein-Schock"; Spernath, NStZ 2010, 307 ff. (insbes. Zur

Nichtigkeit des Kauvertrages über Bankdaten); Ostendorf, ZIS 2010, 301 ff., hält die

ankaufenden Behördenmitarbeiter nicht für strafbar, den Ankauf allerdings für

politisch/moralisch verwerflich und die Daten für unverwertbar. Samson/Langrock, wistra

2010, 201 ff., insbesondere zur Strafbarkeit der deutschen Aufkäufer.

Den Schnellschuss in Gestalt Entscheidung des LG Bochum vom 7.8.2009, 2 Qs 2/09, die

die Verwertbarkeit der Daten bejaht, finden Sie in NStZ 2010, 351 abgedruckt, abl.

Besprechung durch Heine, HRR 2009, 540. Dazu die Zusammenfassung bei Juris:

Der Autor befasst sich in seiner Abhandlung mit den (steuer)strafprozessualen Folgen von Verstößen gegen das Völkerrecht bei

der Gewinnung der Beweise durch den Staat, wobei der Schwerpunkt

seiner Betrachtung auf der Problematik der Beweisverbote liegt.

Hintergrund des Aufsatzes sind verschiedene Entscheidungen des AG Bochum sowie des LG Bochum, welche sich mit den

(steuer)strafprozessualen Folgen der sogenannten "Liechtenstein-Affäre"

auseinandersetzten. Der Verfasser stellt zunächst den tatsächlichen

Sachverhalt dar, der den genannten Entscheidungen zugrunde liegt: der Ankauf von durch einen Privaten gestohlenen Kontodaten deutscher

Staatsbürger in Liechtenstein durch den BND und die Verwertung

derselben durch deutsche Behörden. Der Autor geht zunächst auf die

Frage ein, ob ein - für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes erforderlicher - Verfahrensverstoß vorliegt. In Bezug auf das deutsche

Recht kommt er insoweit zu dem Ergebnis, dass das geschilderte

Vorgehen des BND weder durch § 116 AO noch durch ein Verfahren der

Amtshilfe gedeckt sei. Auch in Bezug auf das Völkerrecht sieht er einen

dem deutschen Staat zurechenbaren Verstoß: zum einen seien die Souveränitätsrechte des Staates Liechtenstein verletzt worden, zum

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anderen habe das Staatsoberhaupt Liechtensteins sich gegen die

Verwendung der Daten in einem Strafprozess ausgesprochen. Auch sei der

Rechtshilfeweg umgangen worden. Er ist darüber hinaus der Ansicht, dass

die gewonnenen Beweismittel weder direkt noch indirekt als Beweismittel verwertet werden dürften. Hierfür führt er als Begründung im

Wesentlichen ein entsprechendes Verlangen des Staates Liechtenstein

sowie die fehlende Möglichkeit eines hypothetischen Ersatzeingriffes

seitens deutscher Behörden an. Dies habe insbesondere zur Folge, dass

auf den gewonnenen Daten basierende Maßnahmen (z.B. Durchsuchungen) rechtswidrig und die ihrerseits auf diesen Maßnahmen

beruhenden sonstigen Erkenntnisse bzw. erlangten Beweismittel wegen

dieses selbständigen Verfahrensverstoßes unverwertbar seien. Der Autor

lehnt die genannten Gerichtsentscheidungen ab und kommt zu dem Ergebnis, dass die vom BND gewonnenen Beweise weder direkt noch

mittelbar verwertbar seien.

Eine fundierte Entscheidung zu dieser Frage steht noch aus.

2. Auswirkungen des Steuerstrafverfahrens auf das materielle Strafrecht

Fall 3:

A gibt eine unrichtige USt-Voranmeldung in 1996 ab. Ein Ermittlungsverfahren wird

eingeleitet und dem A dies mitgeteilt. Die USt-Jahreserklärung gibt er nicht ab. Ist

dies strafbar ?

In Betracht kommt § 370 I Nr. 2 AO.

Wo besteht Anlass zu Zweifeln ? Bestand die Pflicht, die steuerlich erheblichen Tatsachen

(Jahreserklärung) mitzuteilen ? An sich ja, folgt aus dem UStG. Zweifel deshalb, weil

Aussageverweigerungsrecht nach § 393 I 2 AO besteht. Berührt das bereits das Bestehen der

Pflicht? Darüber könnte man diskutieren. Die Pflicht wird jedoch nach Ansicht von BGH

vom 26. 4. 2001, 5 StR 587/00, wistra 2001, 341, nicht berührt. Wohl aber die im Rahmen der

Schuld zu prüfende Zumutbarkeit. Die Pflicht ist, solange das Strafverfahren wegen

- derselben Steuer und

- desselben Besteuerungszeitraums

eingeleitet ist, suspendiert, nicht aber für andere Steuerarten oder andere

Besteuerungszeiträume (BGH vom10. 1. 2002, 5 StR 452/01, wistra 2002, 149).

- Vgl. im einzelnen: Jäger, PStR 2002, 49; Heinsius, DStZ 2001, 816;

Gotzens/Wegner, PStR 2003, 207; Wulf, wistra 2006, 89; Sahan, Keine

Steuererklärungspflicht bei Gefahr strafrechtlicher Selbstbelastung, 2006,

Besprechung durch Pelz, ZIS 2008, 113

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In diesem Fall hat also das Steuerstrafverfahren (dessen Einleitung) unmittelbar Auswirkung

auf das materielle Strafrecht.

Im Gegensatz hierzu folgender Fall:

A hat 1991 bis 1996 Einkünfte aus Kapitalvermögen verschwiegen. Im November

1998 wird ihm die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen dieser Tat

bekanntgegeben. Im folgenden gibt er die Erklärungen 97, 98 gar nicht erst ab.

Strafbar?

Nach BGH fehlt es hier an dem einheitlichen Zeitraum. Zwar ist die Einkommensteuer

betroffen, aber das Ermittlungsverfahren für die vorangegangenen Jahre suspendiert nicht die

Erklärungspflicht für das Folgejahr. Möglicher Einwand? Wenn der Pflichtige die

Folgejahre erklärt, befindet er sich in der gleichen „tragischen, d.h. ausweglosen― Lage wie

im vorangegangenen Fall. Gibt er die Erklärung richtig ab, kann das Finanzamt aus dieser

Erklärung Schlüsse für die vorangegangenen Jahre ziehen („weniger wird es kaum sein―).

Gibt er sie falsch ab, erfüllt er § 370 I Nr. 1 AO (unrichtige Erklärung). Man könnte also

einwenden, das Dilemma besteht im vorangegangenen Fall ebenso wie hier, so dass man also

nicht auf die formale Zusammenschau „gleicher Zeitraum― abstellen darf. Das kann man

diskutieren. Die Rechtsprechung ist aber z.Zt. anderer Auffassung.

Nicht berechtigt die Suspendierung der Erklärungspflicht, eine unrichtige Erklärung

abzugeben, BGH vom 17. 3. 2005, 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517 :

"In der Wiederholung der falschen Angaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen in der

Umsatzsteuerjahreserklärung liegt ... die Begehung neuen Unrechts, wozu weder das Recht

auf Selbstschutz ... noch das Zwangsmittelverbot ...berechtigen."

Zur Frage der Zumutbarkeit käme man, wenn man beim Begehungsdelikt im Rahmen der

Schuld die besondere Position Zumutbarkeit prüft und etwa davon ausginge, dass dieses beim

Unterlassungsdelikt bestehende Dilemma auch beim Begehungsdelikt im Rahmen der

Zumutbarkeit sich für den Pflichtigen günstig auswirke. Der Standpunkt der Rechtsprechung

ist dies freilich nicht.

Bisher geht lediglich das LG Frankfurt vom 31. 10. 2003, 5/13/KLs 75/94 Js 9639.0/99,

wistra 2004, 78 (und bei Vogelberg, PStR 2004, 81; dagegen Rolletschke, wistra 2004, 246),

den Weg in die oben beschriebene Richtung: Auch die unrichtige Jahreserklärung ist straflos,

jedenfalls dann, wenn sie im Verkürzungsumfang nicht über den der Voranmeldungen

hinausgeht.

BGH vom 12.1.2005, 5 StR 191/04, wistra 2005, 148 = NStZ 2005, 519: Verwendungsverbot

für die im Besteuerungsverfahren gemachten Angaben des Pflichtigen im Strafverfahren,

soweit sie für die zurückliegenden Zeiträume zu einer Selbstbelastung führen, dagegen keine

Suspendierung der Erklärungspflicht, soweit es sich um andere Steuerart oder andere

Besteuerungszeiträume handelt. Auch kann die Finanzbehörde (für die zurückliegenden

Zeiträume) auf andere Beweismittel (wie z. B. Kontrollmitteilungen) zurückgreifen, nur am

Rückgriff auf die Angaben des Pflichtigen (für späteren Besteuerungszeiträume oder andere

Steuerarten) ist sie gehindert. In concreto war das Strafverfahren wegen USt-Hinterziehung

eingeleitet und danach dieses auf Hinterziehung von EinkSt durch Nichtabgabe von EinkSt-

Erklärungen erweitert worden: also andere Steuerart, deshalb keine Suspendierung der

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Erklärungspflicht, nur Verwendungsverbot, aber nicht für die EinkSt-Hinterziehung, also die

andere Steuerart, sondern nur für die USt-Hinterziehung,.

Das in der geschilderten Weise durch das Verfahrensrecht beeinflusste materielle Strafrecht

wirkt nun seinerseits wieder auf das Verfahrensrecht ein. Stellen Sie sich folgende

Konstellation vor:

A wird wegen Nichtabgabe der USt-Jahreserklärung für 01 angeklagt. Die Anklage ist

bereits zugelassen und das Verfahren eröffnet. Sie sind Sitzungsvertreter der StA. In der

Hauptverhandlung sehen Sie es aufgrund der Beweisaufnahme als sicher an, dass das

Gericht zu einer Verurteilung gelangen wird. Allerdings stellt sich heraus, dass bei der

StA noch ein Verfahren wegen Abgabe unrichtiger USt-Voranmeldungen für die Monate

Januar bis November 01 anhängig ist. Was tun Sie?

Das anhängige Ermittlungsverfahren wegen der unrichtigen USt-Voranmeldungen kann die

Verurteilung wegen Nichtabgabe der Jahreserklärung torpedieren, weil die Erklärungspflicht

suspendiert ist (vgl. oben). Hier "droht" also Freispruch. Sie müssen folglich erreichen, dass

das Gericht nicht die Nichtabgabe der Jahreserklärung, sondern die unrichtigen

Voranmeldungen zum Verhandlungsgegenstand macht. Jetzt ergibt sich folgendes Problem:

Sind Voranmeldungen und Jahreserklärung eine Tat i. S. von § 264 StPO, dann reicht

rechtlicher Hinweis nach § 265 StPO. Anders, wenn es mehrere Taten sind. Dann bleibt nur

Nachtragsanklage, denn dann ist die Abgabe unrichtiger Voranmeldungen nicht von der

Anklage bezüglich der Nichtabgabe der Jahreserklärung erfasst. Ohne Nachtragsanklage

bestünde dann ein Verfahrenshindernis bezüglich der Einbeziehung der unrichtigen

Voranmeldungen. Angesichts der Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs und der

Betonung, dass Voranmeldungen und Jahreserklärung materiell verschiedene Taten sind,

könnte man zu der Annahme gelangen, sie seien auch prozessual verschieden. BGH vom 24.

11. 2004, 5 StR 206/04, NStZ 2005, 514 mit Bespr. Otto, sieht indessen Voranmeldungen

und Jahreserklärung (trotz materiell verschiedener Taten) als eine Tat im Sinne der StPO, also

i. S. von § 264 StPO, an. Sie regen also den rechtlichen Hinweis an. Das Gericht wird dem

folgen. Täte es dies nicht, würde es sich der Revision der StA aussetzen, denn dann hätte es

die Anklage nicht erschöpfend behandelt.

Falsch wäre es, wenn das Verfahren wegen unrichtiger Voranmeldungen etwa nach § 154 I

StPO eingestellt und nur noch die unrichtige Jahreserklärung weiterverfolgt würde. So war die

StA in dem Fall verfahren, der der oben erwähnten Entscheidung BGH vom 17. 3. 2005, 5

StR 328/04, NStZ 2005, 517, zugrundelag. Die StA hatte in jenem Fall nur das Glück, dass es

wegen der Jahreserklärung nicht um die Nichtabgabe (also den Tatbestand des § 370 I Nr. 2

AO), sondern um die unrichtige Abgabe, also um das Begehungsdelikt des § 370 I Nr. 1 AO

ging. Zwar war die Erklärungspflicht suspendiert, was den Pflichtigen (jedenfalls nach der

BGH- Rechtsprechung) aber nicht zur Abgabe einer falschen Erklärung berechtigte. Deshalb

konnte in dem Fall ohne Verletzung sachlichen Rechts wegen der unrichtigen Jahreserklärung

verurteilt werden. Obiter merkt der BGH allerdings an, dass die Verurteilung wegen

unrichtiger Voranmeldungen den Unrechtsgehalt der Tat "besser erfasst", es sich also

empfohlen hätte, umgekehrt zu verfahren und das Verfahren wegen unrichtiger

Jahreserklärung einzustellen und -- nach einem Hinweis gemäß § 265 StPO – wegen falscher

Voranmeldungen zu verurteilen.

3. Steuerstrafrecht und Steuerverfahrensrecht

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BFH vom 16. 7. 2001, VII B 203/00, wistra 02, 191, befasst sich mit der Frage, inwieweit ein

steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren die Mitwirkungspflicht zur Abgabe der

eidesstattlichen Versicherung (§ 284 AO) beseitigen könnte. Die Entscheidung verneint dies.

Im konkreten Fall hatte sich der Kläger gegen die Aufforderung zu Vorlage eines

Vermögensverzeichnisses und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung mit der Begründung

gewehrt, gegen ihn seien steuerstrafrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts der

Steuerhinterziehung eingeleitet. Wegen Steuernachforderungen und fruchtloser

Beitreibungsversuche war der Kläger zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung

aufgefordert worden. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Der BFH bestätigt die

Vorinstanz. Es ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 393 I AO), dass zwar staatlicher

Zwang zur Durchsetzung von Auskunftspflichten bei Gefahr der Strafverfolgung

ausgeschlossen sei, dass aber das Gesetz „nicht Schutz vor anderen im Steuerverfahren

begründeten Rechtsnachteilen― gewähre. M. E. ist dies eine petitio principii, weil ja gerade

die Frage ist, wie weit der nemo-tenetur-Grundsatz reicht und ob er zur Suspendierung der

Erklärungspflicht führt. Der BFH meint, der Zwangslage des Pflichtigen sei „durch das

strafrechtliche Verwertungsverbot nach § 136 a III StPO― ausreichend Rechnung getragen -

eine Erwägung, die die aus dem nemo-tenetur-Grundsatz folgende Suspendierung der

Erklärungspflicht natürlich nicht zu beseitigen vermöchte. Insofern kann dem BFH nicht

beigepflichtet werden (wie hier: Kohlmann, § 393 Tz 36.1: der Pflichtige könnte gezwungen

sein, auch strafrechtlich relevante Sachverhalte zu offenbaren). In concreto stützt der BFH

seine Entscheidung auch darauf, dass der nemo-tenetur-Grundsatz nicht berührt sei, weil der

im Steuerstrafverfahren zu ermittelnde Sachverhalt nichts mit der Offenbarung der

Vermögenslage zu tun habe (ein zutreffender Gedanke, wenn tatsächlich eine solche Identität

des Sachverhalts nicht besteht).

4. Steuerstrafverfahrensrecht und allgemeines Strafverfahrensrecht.

Fall 4:

Dem Pflichtigen P wird bekannt gegeben, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren

wegen Steuerhinterziehung eingeleitet wird. Der Fahnder entdeckt anlässlich einer

Fahndungsprüfung, dass P nicht nur diverse Einkünfte an der Steuer vorbei geführt

hat, sondern dass er darüber hinaus auch noch die Unterschrift seiner Ehefrau unter der

Anlage U, die die Ehefrau im Rahmen des Realsplittings ausgefüllt hat (§ 10 Abs. 1

Nr. 1 EStG), gefälscht hat.

Zum Verständnis: Der Pflichtige darf Unterhaltsleistungen an den Ehegatten

abziehen, wenn der Ehegatte den Unterhalt seinerseits versteuert. Dazu muss

der Ehegatte das Einverständnis erklären und auf der Anlage U dem Pflichtigen

mitteilen. Der Pflichtige legt dann die Anlage U, die die Unterschrift des

Unterhaltsempfängers trägt, beim eigenen Sonderausgabenabzug vor. Auf

dieser Anlage war die Unterschrift der Ehefrau gefälscht.

Verdacht des § 267 StGB (Urkundenfälschung). Also: allgemeine Straftat.

Darf der Fahnder ermitteln ?

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§ 386 II AO sagt in Abs. 2 Nr. 2: selbständige Ermittlungskompetenz besteht nur, wenn die

Verletzung der anderen Strafgesetze andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an

Besteuerungsgrundlagen pp. anknüpfen.

Bei dem Verdacht einer Steuerstraftat ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt (eigene

Ermittlungszuständigkeit), § 386 I 1 AO, selbständiges Ermittlungsrecht nach § 386 II Nr. 1

AO (wenn die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt).

Die „anderen Strafgesetze― i. S. des § 386 II Nr. 2 meinen den sog. „Abgabenbetrug― i.S. von

§ 263 StGB. Die Tat muss Kirchensteuern oder andere öffentlich-rechtliche Abgaben

betreffen, die an Besteuerungsgrundlagen anknüpfen. Zu letzteren gehören beispielsweise die

Beiträge zur IHK oder zu anderen berufsständischen Kammern. § 386 II Nr. 2 AO betrifft also

nach seinem Wortlaut nicht jede Allgemeinstraftat, sondern nur den Abgabenbetrug.

OLG Braunschweig vom 24. 11. 1997, ss (S) 70/97, wistra 1998, 71 mit abl. Bespr. Bender,

S. 93: Ein Bezirksschornsteinfegermeister hatte Steuern dadurch hinterzogen, dass er Erlöse

nicht in seiner Buchführung erfasste. Er fertigte zur Verschleierung falsche Rechnungen mit

überhöhten Preisen einer Herstellerfirma an. Das AmtsG verurteilte wegen

Steuerhinterziehung, nicht aber wegen Urkundenfälschung, da verjährt. In der

Ermitlungsbekanntgabe der FinBehörde sah es mangels deren Zuständigkeit keine wirksame

Unterbrechung. Anders das OLG, das der Revision der StA stattgab, da Steuerhinterziehung

und Urkundenfälschung dieselbe Tat nach § 264 StPO seien.

Zurück zu Fall 4:

Richtigerweise wird die Finanzbehörde den Fall also an die StA abgeben. Das

Steuergeheimnis steht nicht entgegen, da der Verdacht der Urkundenfälschung im Verfahren

wegen Steuerhinterziehung entstanden ist und keiner der Hinderungsgründe des § 30 IV Nr. 4

AO entgegensteht.

Gleichwohl lässt BGH vom 24. 10. 1989, 5 StR 238-239/89, NJW 1990, 845, die Ermittlung

durch die Finanzbehörde zu, wenn die Steuerstraftat entweder tateinheitlich mit einer

Allgemeinstraftat zusammentrifft oder wenn die Tat (im Sinne der StPO), also die prozessuale

Tat, zugleich den allgemeinen Straftatbestand erfüllt. Das wird – gegen die nahezu

überwiegende Meinung in der Literatur -- mit Praktikabilitätsgesichtspunkten begründet, die

aber von dem erfahrenen Praktiker aus der Zollverwaltung Bender nicht für stichhaltig

befunden werden. Der BGH hat nach Bender einen Irrweg beschritten, den er sobald wie

möglich korrigieren sollte (Bender, wistra 1998, 95, ebenso Kohlmann, § 386, Tz. 20.3).

Welche Praktikabilitätsgründe stehen hinter der dieser Rechtsprechung? Das beantwortet sich

aus den Konsequenzen, die die Ermittlungshandlungen haben können.

In erster Linie ist dies die Verjährungsunterbrechung. Schon wieder befinden Sie sich beim

allgemeinen Strafrecht.

Nach § 78 c StGB wird die Verjährung u.a. unterbrochen durch die erste Vernehmung des

Beschuldigten.

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Wenn der Steuerfahnder „rechtlich wirksam― ermittelt, dann unterbricht seine erste

Vernehmung des Beschuldigten die Verjährung - andernfalls nicht.

5. Steuerrecht und Strafrecht: die Vorfragenkompetenz.

Lit: Tipke, Kohlmann-Fschr., 555; Bernsmann, daselbst, 377; Ebner, PStR 2008, 119 (zu

2.)

Die Steuerstraftatbestände verweisen auf das Steuerrecht. Wer entscheidet über dessen

Auslegung ? Der Strafrechtsanwender ? Das ist die Frage nach der sog. Vorfragenkompetenz,

denn die steuerrechtliche Frage ist u. U. vorab zu beantworten, bevor man zu der eigentlichen

Strafrechtsfrage gelangt, d. h. sie ist „Vorfrage―, und der, der berechtigt ist sie zu

beantworten, hat die „Vorfragenkompetenz―.

Motto: Steuergesetze und -Richtlinien vergehn, aber das Steuerstrafrecht bleibt ewig

bestehn.

a) Vorfragenkompetenz des ordentlichen Gerichts.

Akzeptieren Sie als Arbeitshypothese: Die gesetzlichen Tatbestände des

Steuerstrafrechts sind Blankettstrafgesetze8,9 was heißt, das förmliche Gesetz

bestimmt (nur) die Strafbarkeitsvoraussetzungen sowie Art und Maß der Strafe, und

bedarf demzufolge ausfüllender Vorschriften (anderer Gesetze oder

Rechtsverordnungen oder Verwaltungsakte, die Gebote oder Verbote enthalten).

Blankettvorschrift und ausfüllendes Gebot oder Verbot ergeben zusammengenommen

die Vollvorschrift. Wenn Sie also beispielsweise den Tatbestand des § 370 I AO lesen

„wer den Finanzbehörden unrichtige Angaben macht und dadurch Steuern

verkürzt....―,

dann müssen Sie, um die „Vollform― des Tatbestandes zu ermitteln,

Steuerrechtsvorschriften mitlesen. In Betracht kommt die Gesamtheit der

Steuerrechtsbestimmungen, und Ihre Aufgabe ist es, die jeweils einschlägige

steuerrechtliche Bestimmung herauszufinden. Wenn sich also im o.g. Fall 4 der

8 Wir müssen öfter mit Hypothesen arbeiten, denn im Steuerstrafrecht ist vieles ungeklärt. Dass § 370 AO ein Blankettgesetz sei, ist nur die halbe Wahrheit, denn die h. M. macht mit dieser Auffassung nicht ernst, wie Seer

(bei Tipke / Lang, § 23 TZ 46), zu Recht ausführt. Wenn die Einzelsteuergesetze in den Straftatbestand des §

370 AO „hineingelesen― werden, dann ist ein Irrtum über die Steuerrechtslage nicht Tatbestandsirrtum (wie die

h. M. annimmt), sondern Verbotsirrtum, weil dann „der Steueranspruch― nicht zum Tatbestand gehört, sondern

nur die ihn begründenden Umstände. Zu diesem Ergebnis gelangt - folgerichtig - Maiwald in seiner

Monographie, Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, 1984, S. 15 ff. Gleichwohl hat sich die

Charakterisierung des § 370 AO als „Blanketttatbestand― in der Kommentarliteratur unverrückbar eingenistet.

9 Noch heute instruktiv und aktuell ist die Dissertation von Warda, Die Abgrenzung von Tatbestands- und

Verbotsirrtum bei Blankettstrafgesetzen, 1955. Aus der Tatsache, dass der Steuerhinterziehungstatbestand (schon

in der damaligen Form des § 396 RAO) ein Blankettstrafgesetz darstellt, folgt, dass vom Vorsatz des Täters

keineswegs die Kenntnis des Steueranspruchs umfasst werden muss. Warda lässt die Entscheidung auf sich beruhen, weil für den damaligen Tatbestand des § 396 RAO die „Steuerunehrlichkeit― zum objektiven

Tatbestand gehörte, und „Unehrlichkeit― ohne Kenntnis des Steueranspruchs natürlich nicht denkbar ist. Wir

kommen später auf die Sache zurück. Ich verweise auf C I 12 (Versuch und Wahndelikt) sowie auf C I 2. Die

Definition Enno Beckers verlangte „Hinterziehung―, „Erschleichen―.

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Unterhaltsleistende den Sonderausgabenabzug erschleicht, dann lautet die Vollform

des Tatbestandes

„wer der Finanzbehörde unrichtige Angaben über angeblich an den

geschiedenen Ehegatten gezahlte Unterhaltsleistungen macht, hierdurch einen

zu hohen Sonderausgabenabzug und damit eine zu niedrige Festsetzung der

Einkommensteuer bewirkt...―

Das ist die Vollform des gesetzlichen Tatbestandes. Aufgabe des

Steuerstrafrechtsanwenders ist nun, den konkreten Fall unter diesen Tatbestand zu

subsumieren, d.h. die Handlung zu konkretisieren, die den Tatbestand erfüllt. Die

Vollform ist gleichsam der logische Obersatz. Nun kommt der Untersatz:

„A hat Unterhaltsleistungen von 10.000,00 geltend gemacht, die in

Wirklichkeit nicht geleistet wurden, hat dadurch einen in gleicher Höhe zu

hohen Sonderausgabenabzug und damit die zu niedrige Festsetzung der

Einkommensteuer um 5.000,00 erreicht.―

Das Steuerstrafrecht gibt in Gestalt der Steuerstraftatbestände den „Topf―, der durch

die „Suppe― des Steuerrechts gefüllt wird. Der Topf bleibt immer derselbe, die Suppe

mag sich ändern. Deshalb muss nicht nach jeder neuen Tagesform der

Steuergesetzgebung das Steuerstrafrecht geändert werden. Sie müssen für das

Steuerstrafrecht nur die Methodik erfassen. Das Tagesgericht (Suppe) liefert uns das

Steuerrecht, und kraft unserer Methode vermögen wir es, selbst wenn es ranzig oder

bereits ungenießbar sein sollte, stets in unseren Topf zu füllen. Unser Modell des

Steuerstrafrechts taugt für gegenwärtige, historische und künftige Steuerformen,

könnte also sowohl den alten Ägypter, der die (damals steuererhebliche) Kerbe am

Wasserstandspegel des Nil verfälschte, als auch den Hinterzieher jeder neu

konzipierten Steuer, wie immer sie der Phantasie des Gesetzgebers entspringen mag,

erfassen: Egal wie die Steuer beschaffen ist: Sie passt immer als Hauptgericht in unser

Behältnis, den Steuerstrafrechtstopf.

Die Schwierigkeit für den Juristen liegt

- einmal im Aufspüren der einschlägigen Steuervorschrift. Das hängt damit

zusammen, dass er mit dem Steuerrecht in der Regel wenig vertraut ist. Er

bekommen zwar jeden Fall heraus, wenn man ihm die betreffenden

Bestimmungen sagt, hat aber meist nicht die Gesamtschau des Steuerrechts vor

Augen. Wenn Sie als Richter amtieren, haben Sie den Vorteil, dass die

Ermittler den Fall wenigstens insoweit vorbereitet haben, als die in Betracht

kommenden Ausfüllungsvorschriften des gesetzlichen Tatbestandes bereits

einer juristischen Aufarbeitung unterzogen wurden.

- Große Schwierigkeiten bereitet die Formulierung des Untersatzes,

insbesondere die konkrete Feststellung der Höhe der Verkürzung. Diese muss

der Strafrichter im Urteil aufgrund eigener Feststellungen ermitteln. Die Höhe

der Verkürzung muss im Urteil festgestellt, berechnet, im Vorverfahren

ermittelt und in der Anklageschrift mitgeteilt werden. Der BGH muss den

Instanzgerichten immer wieder ins Stammbuch schreiben, dass die

Rechtsanwendung dem Strafrichter und nicht dem als „Zeugen― oder

„Sachverständigen― gehörten Beamten der Finanzverwaltung obliegt.

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Steuerrecht ist für den ordentlichen Richter kein ausländisches Recht, über das

ein Sachverständigengutachten eingeholt werden könnte. Ein solches Vorgehen

zieht die Kostenfolgen des § 8 GKG nach sich (unrichtige Sachbehandlung!).

Tipke, NJW 1976, 2199.

Steuerstrafrecht setzt also die Beachtung der Gesamtheit der Steuerrechtsbestimmungen

voraus.

Das bedingt: Der ordentliche Richter hat die uneingeschränkte Vorfragenkompetenz bei

der Beurteilung steuerrechtlicher Fragen. Er ist insbesondere nicht gehalten, das

Strafverfahren auszusetzen, bis über die Besteuerungsfrage entschieden ist.

Wo spielte das Problem in der Vergangenheit eine tragende Rolle? In den

Parteispendenverfahren. Hier kam es zu strafgerichtlichen Verurteilungen, obwohl

steuerrechtlich noch gar nicht feststand, ob die betreffenden Spendenabzüge steuerrechtlich

wirksam waren oder nicht. Es fiel das Wort des früheren BFH-Präsidenten Klein vom „Mord

ohne Leiche― (zitiert nach Isensee, NJW 1985, 1007 ff.)

b) Erst recht entscheidet der Finanzrichter eigenständig über strafrechtliche Vorfragen

und hat hier die uneingeschränkte Vorfragenkompetenz:

- Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen (§ 235 AO);

- Hinterzogene Steuern verjähren erst in 10 Jahren (§ 169 II AO);

- der Hinterzieher haftet für die verkürzten Steuern (§ 71 AO).

- Steuerbescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, können nur

geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung vorliegt § 173 II AO).

Im einzelnen vgl.

Gast-de Haan, Strafverfehlungen als Grundlage von steuerlichen und anderen

Verwaltungseingriffen, in: Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht,

1983, S. 187 ff.; Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der Abgabenordnung,

1995, S. 91 ff.

Eine Zusammenstellung strafrechtlicher Entscheidungen der Finanzgerichte finden Sie

bei Ebner, PStR 2009, 258.

Tief in das Strafrecht einsteigen müssen Veranlagungsbeamte, Außenprüfer, Fahnder,

Finanzrichter bei der Anwendung einer neuen Kreation des Gesetzgebers, dem § 4 V 1 Nr. 10

EStG. Hiernach dürfen den Gewinn nicht mindern: die Zuwendung von Vorteilen, wenn diese

Zuwendung eine rechtswidrige Handlung darstellt, die ein Strafgesetz verwirklicht. Gemeint

sind damit die „nützlichen Aufwendungen― in Gestalt der Vorteilsgewährung i.S. von § 333

StGB und der Angestelltenbestechung nach § 299 II StGB, einer Vorschrift, die aus dem

UWG in das StGB überführt wurde. Die Bestimmung entspricht bei den Amtsdelikten dem §

334 StGB.

Der Steuerrechtsanwender muss prüfen, ob die betreffende Aufwendung einen Straftatbestand

erfüllt. Das Abzugsverbot des EStG ist nicht (mehr) an eine strafrechtliche Verurteilung

geknüpft, vielmehr muss die Finanzverwaltung über diese strafrechtliche Vorfrage in eigener

Kompetenz entscheiden, demzufolge auch der Finanzrichter, wenn der Pflichtige gegen den

die Abzugsfähigkeit verneinenden Bescheid klagt.

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Angenommen, Ihr Mandant, ein Bauunternehmer, schildert Ihnen, dass er einen

Millionenauftrag in Aussicht hat, den Bau einer Werkshalle in einem asiatischen Land, zu

diesem Zweck aber Schmiergelder an diverse dortige Mitarbeiter des Auftraggebers leisten

muss. Was sagen Sie ihm?

Filigran werden die Probleme, wenn es um Auslandstaten geht. Natürlich ist dem

Finanzbeamten geläufig, dass das Strafrecht hierfür die §§ 6 ff. StGB vorrätig hält, denen man

unschwer entnehmen kann, welche Auslandstaten vom deutschen Strafrecht erfasst sind.

Kundige werden sich sogleich des § 7 II StGB bedienen, so dass der Steuerbeamte dann nur

noch nachprüfen muss, ob die Bestechung in Bangladesch, den Vereinigten Emiraten oder auf

Taiwan mit Strafe bedroht ist. Der Durchschnittsfinanzbeamte weiß natürlich auch, dass man

vor Anwendung des § 7 II StGB zunächst einmal zu prüfen hat, ob die Auslandstat das

Rechtsgut des deutschen Straftatbestandes überhaupt verletzt. Bei § 334 StGB ist das ganz

einfach. Dort ist zwar von „Amtsträger― die Rede, und jeder Steuerbeamte weiß, dass dieser

Begriff in § 11 I Nr. 2 StGB definiert ist. Amtsträger ist danach nur, wer nach deutschem

Recht Beamter oder Richter (oder besonders Verpflichteter) ist. Natürlich lässt sich davon

kein Außenprüfer bluffen, denn er weiß, dass der Gesetzgeber „Tarnen und Täuschen―

betreibt, indem er wichtige Regelungen in Sondergesetzen versteckt. So besagen das EU-

Bestechungsgesetz und das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung das

Gegenteil von dem, was § 11 StGB anordnet. Sie stellen nämlich die ausländischen mit den

inländischen Amtsträgern gleich. Wo man diese camouflierten Regelungen findet, weiß der

Steuerbeamte: Sie sind im StGB-Komentar von Fischer (früher Tröndle/Fischer) unter Nr. 21

und 22 im Anhang abgedruckt. Natürlich ist klar, dass diese Bestimmungen nicht auf § 299 II

StGB anwendbar sind, weil § 299 II StGB nur die Bestechung Privater betrifft, aber nicht die

von Amtsträgern. Folglich muss der Finanzbeamte – wie gesagt vor Anwendung des § 7 II

StGB – prüfen, ob die Auslandstat überhaupt das Rechtsgut des innerdeutschen

Straftatbestandes verletzt. Die Meinungen gingen hier auseinander. Teilweise wurde

vertreten, dass der Auslandswettbewerb von der deutschen Strafbestimmung nicht erfasst sei.

Der Veranlagungsbeamte hat kurz die strafrechtliche Literatur verarbeitet und ist (vielleicht)

zu dem Ergebnis kommen, dass auch die Auslandstat das Rechtsgut des § 299 II StGB

verletzt. Heute ist das kein Problem mehr, denn der Gesetzgeber hat § 299 StGB um einen

Absatz 3 ergänzt, wonach die Absätze 1 und 2 auch dann erfüllt sind, wenn die Tat „im

ausländischen Wettbewerb― begangen wird.10

Diese Änderung war im August 2002. Sie

werden lange nach ihr suchen, denn auch hier betreibt der Gesetzgeber Camouflage. Sie

finden die Änderungen nicht in dem im August 2002 erlassenen x-ten

Strafrechtsänderungsgesetz, sondern Sie müssen weiter blättern, bis Sie auf ein Gesetz stoßen,

das eine mehrzeilige fettgedruckte Überschrift aufweist, von dem der Laie denkt, dass es

unmöglich um Strafrecht gehen kann. Nur Experten sehen, dass EU-Bestechungstatbestände

in Rede stehen, so dass es nicht fern liegt, die Änderung des § 299 III StGB hier zu vermuten.

Aber das ist ja nichts neues. Wenn die Änderung eines Verbrechenstatbestands in einem

Gesetz über die Ausbildung von Steuerbeamten versteckt wird (so bei einer weiteren

Missgeburt des Gesetzgebers, dem inzwischen aufgehobenen § 370 a AO geschehen), dann ist

es nicht außergewöhnlich, wenn der Gesetzgeber auch bei sonstigen gesetzlichen Regelungen

„Mimikry" betreibt. Man kann nur in die Forderung von Kirchhof einstimmen, dass die

Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes auch an eine zutreffende Hervorhebung des Inhalts

dieses Gesetzes in der Überschrift geknüpft wird.11

10 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Möhrenschlager, Bericht, wistra VII/2002 11 Kirchhof, NJW 2002, 2760: Sprachstil und System als Geltungsbedingung des Gesetzes

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Freilich wirft der § 299 III StGB wieder neue Fragen auf, so z. B. das Problem, ob er nur den

Schutzzweck des Tatbestands erweitert, oder ob er auch die Verfolgbarkeit von Auslandstaten

im Fall der Angestelltenbestechung neu regelt, also gleichsam eine Ausnahme von §§ 3 ff.

StGB schafft, mit der Folge, dass Auslandstaten eines Deutschen auch dann strafbar sind,

wenn sie am Tatort nicht mit Strafe bedroht sind. Letzterer Ansicht scheint Tiedemann,

Fschr. für Lampe, 2003, 759 (765) zu sein, denn er sieht den neuen § 299 III StGB als

Ermächtigungsgrundlage für die Erstreckung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten.

Ersterer Ansicht sind Fietz/Weidlich, RIW 2005, 423, und die Finanzverwaltung in dem

unten erwähnten BMF-Schreiben.

Nach Prüfung all dieser Fragen steht der Finanzbeamte vor dem Problem, ob die

Angestelltenbestechung etwa in Pakistan strafbar ist. Mit Hilfe des Auswärtigen Amts und der

ortsansässigen Botschaft wird er diese Auskunft leicht erhalten, muss dann allerdings prüfen,

ob der ausländische Straftatbestand dem deutschen „vergleichbar“ ist. Das sagt das Gesetz so

nicht. Das ist bereits Auslegung. Da es aber hierüber umfangreiches Schrifttum und vor allem

auch eine Dissertation gibt (Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB,

1995), sind die Dinge leicht zu klären, und der Veranlagungsbeamte wird, je nach dem,

welcher Ansicht er folgt, die Aufwendung als Betriebsausgabe zulassen oder nicht. Ich

komme auf dieses Problem bei der Erörterung der räumlichen Geltung des StGB zurück, vgl.

unten B II 2.

Wer also glaubt, mit dem Eintritt in die Finanzverwaltung den Staub des Strafrechts von den

Schuhen schütteln zu können, irrt sich gewaltig. Es ist aber alles nicht schwer, weil man zu

jedem Thema umfangreiche Literatur findet, die in jedem Finanzamt vorhanden ist, vor allem

was das internationale Strafrecht angeht.

Abhilfe würde hier eine Regelung schaffen, die das Gesetz schon in § 370 VI 4 AO anwendet.

Dort geht es um die Gegenseitigkeitsverbürgung der (wechselseitigen) Verfolgung. Wenn

man sich dazu entschließen könnte, die Strafbarkeit der betreffenden Verhaltensweise im

Ausland auch durch eine solche Rechtsverordnung konstituierend feststellen zu lassen, wäre

dem Steuerbeamten weitergeholfen. Immerhin hat sich der Bundesminister der Finanzen,

wenn auch spät, dazu bereit gefunden, durch BMF-Schreiben vom 10.10.2002 - IV A 6 - S

2145 - 35/02 eine gewisse Hilfestellung für das Abzugsverbot für Bestechungsgelder und

Schmiergeldzahlungen an die Hand zu geben (nachzulesen bei Stahl, KÖSDI 2003, 13874

und in NWB Fach 3, S. 1219312

; krit. Bürger, DStR 2003, 1421 ff.; insbes. zu § 299 III

StGB: Demuth/ Peykan, DStR 2003, 1426; Randt, BB 2002, 2252; Verf., wistra und RIW

). Die strafrechtliche Vorfrage, insbesondere § 7 StGB, das EU-BestG und das Int-BestG sind

hier erläutert. Zu Recht spricht das Schreiben von der „Feststellungslast―, die die

Finanzbehörde bezüglich der Strafbarkeit trifft. Lobenswert sind insbesondere die Hinweise,

dass bei Auslandstaten vorab geprüft werden muss, ob die konkrete Tat vom Schutzbereich

des deutschen Straftatbestands überhaupt erfasst wird. Für einen Steuerrechtsanwender steht

das Schreiben also schon auf beachtlich hohem Niveau. § 9 StGB ist auch erwähnt; um die

Sache noch vollends zu komplizieren, hätte das Schreiben auch noch auf die Beschränkung

der Akzessorietät, wie sie in § 9 II 2 StGB angeordnet ist, hinweisen müssen. Dazu später bei

der Frage des „internationalen Strafrechts―.

Wenn diese steuerlichen/strafrechtlichen Fragen im Rahmen des Steuerstrafrechts geprüft

werden müssen, ist der Gipfel der gesetzgeberischen Perfektion ist erreicht. Hat

beispielsweise der Pflichtige zu Unrecht „nützliche Ausgaben― abgezogen, und dies in seiner

Erklärung verschleiert, muss der Strafrichter prüfen, ob durch diese unrichtigen Angaben im

Sinne des § 370 AO Steuern verkürzt worden sind. Er prüft dann inzidenter § 4 V Nr. 10 12 Auch in BStBl I 2002, 1031; zum Problem Randt, C 552 ff.; FGJ, § 370, TZ 219 a ff. und TZ 294 a.

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EStG (steuerrechtliche Vorfrage), und in diesem Rahmen kehrt er zu seinem ureigensten

Gebiet zurück, indem er innerhalb der steuerlichen Vorfrage die strafrechtliche Vorfrage

untersucht, ob die Aufwendung einen Straftatbestand erfüllt. Ein schönes Zusammenspiel der

Kräfte, das sich die unendliche Weisheit des Gesetzgebers hier erdacht hat.

Lit.: Weidlich/Fietz, RIW 2005, 362 (Schmiergeldzahlungen in Asien); Fietz/Weidlich, RIW

2005, 423; Alexandra Schmitz, RIW 2003, 189; Rönnau, JZ 2007, 1084; Verf., DStZ 2002,

329, und RIW 2006, 370.

Im Ausgangsfall (Bau einer Werkshalle in Asien) weisen Sie also auf die Gefahr hin, dass die

Aufwendungen für Schmiergelder nicht abzugsfähig sind, wenn diese Zuwendungen einen

Straftatbestand, hier § 299 StGB, erfüllen. Stellt sie der Mandant gleichwohl als

Betriebsausgaben ein, macht er sich darüber hinaus wegen Steuerhinterziehung strafbar.

Werden die Vorteile i. S. von § 299 StGB von Deutschland aus gewährt, handelt der Mandant

im Inland, und es ist eine Inlandstat, so dass deutsches Strafrecht schon nach §§ 3, 9 I StGB

gilt. Dass § 299 StGB auch den ausländischen Wettbewerb schützt, ist nach Einführung des §

299 III StGB klar. Bei Auslandstaten kommt Strafbarkeit nach deutschem Recht gemäß § 7 I

StGB in Betracht, d. h. Sie müssen herausfinden, ob ein vergleichbarer Straftatbestand im

ausländischen Recht existiert.

Eine eigenartige Einschränkung der bisher als unbeschränkt angesehenen Vorfragenkompetenz tut sich

neuerdings in der Rechtsprechung des BFH auf. Der Anfangsverdacht wird vom BFH als Voraussetzung für die

steuerverfahrensrechtliche Kompetenz der Fahndung nach § 208 I Nr. 2 AO angesehen (vgl. unten D III 3), denn

das Tätigwerden der Fahndung nach dieser Vorschrift setzt die strafverfahrensrechtliche Befugnis nach Nr. 1 der

genannten Bestimmung voraus, die wiederum den Anfangsverdacht erfordert. Ob nun Anfangsverdacht vorliegt,

will der BFH aber der Beurteilung der ordentlichen Gerichte überlassen und sich auf die Überprüfung „grober

Fehlbeurteilung― beschränken ( BFH, wistra 2002,27). Die Vorfragenkompetenz für die Befugnis der Fahndung

auf steuerrechtlichem (nicht auf strafrechtlichem!) Gebiet liegt also nach der Ansicht des BFH bei den

ordentlichen Gerichten.

c) Besteht Bindung (Tatsachen- und/oder Rechtsbindung) der einen Gerichtsbarkeit an

die andere? Kann also der Strafrichter verurteilen, obwohl das Steuergericht eine

Steuerschuld (und damit eine Verkürzung) verneint?

§ 370 AO weist das Merkmal „dadurch― auf, deutet also auf eine Kausalität zwischen

Verkürzungshandlung und Erfolg hin. Wenn nun die maßgebende Stelle in der

Steuerfestsetzung, also die letzte rechtskräftig entscheidende Instanz, die Steuerschuld

verneint, dann ist durch die entsprechende „Verkürzungshandlung― die Steuerschuld

jedenfalls nicht kausal verkürzt worden, weil die Steuerverwaltung diese Steuerschuld

„ohnehin nicht― festgesetzt hätte. Dadurch kann die Kausalität entfallen, so dass es dann

allenfalls beim Versuch bleibt. Das ist aber nicht die herrschende Ansicht. Wenn man ihr

nämlich folgen würde, müsste zwangsläufig das Strafgericht die rechtskräftige

Steuerfestsetzung abwarten, bevor es wegen Vollendung verurteilen könnte.

Gleichermaßen kann der Finanzrichter beispielsweise die erhöhte Verzinsung für

hinterzogene Steuern annehmen, obwohl zuvor das Strafgericht die Verkürzung verneint hat.

Es kann also zu kontroversen Entscheidungen kommen.

Der „Bardamenfall“ des FG Köln (EFG 1985, 524 = NJW 1986, 2529) betrifft eine solche

Konstellation; dazu Reiss, StuW 1986, 68, Verf., DStZ, 1987, 64, und wistra 2010, 198.

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Der Pflichtige beschäftigte Bardamen, die der Prostitution nachgingen und dem Pflichtigen

einen Anteil ihrer Einnahmen abgaben, den dieser nicht erklärte. Der entsprechende

Steuerbescheid war schon bestandskräftig, und das Finanzamt änderte ihn nach § 173 II AO

ab. Dagegen hatte der Pflichtige Klage erhoben. Die Änderung der Bescheide war rechtlich

nur möglich, wenn die Nichterklärung dieser Einnahmen Steuerhinterziehung war. Dieses

steuerstrafrechtliche Problem hatte das FG als Vorfrage zu behandeln.

Nach der ständigen BGH-Rechtsprechung lag keine Verkürzung vor, weil der BGH den

Einnahmenanteil nicht als Umsatz des Pflichtigen ansah. So hatte der BGH auch im konkreten

Fall entschieden. Gleichwohl bejahte das FG Köln in Abweichung von der BGH-

Entscheidung die Steuerverkürzung.

Ist das rechtens? Antwort: Ja, zumindest nach h. M. hat das Finanzamt (und damit das

Finanzgericht) nicht deshalb Unrecht, weil es an die Rechtsprechung des BGH gebunden

wäre. Verschiedentlich wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (Einheit der Rechtsordnung) oder

aus anderen Gründen eine Bindung angenommen (so insbes. Gast-de Haan in dem o.a.

Aufsatz „Steuerverfehlungen...―, S. 194 ff.).

Zum Verständnis:

Stellen Sie sich den umgekehrten Fall vor: Nehmen Sie an, das Finanzgericht hat

rechtskräftig den Umsatzsteueranspruch verneint; der Strafrichter ist anderer Ansicht und will

die Umsatzsteuerverkürzung bejahen. Darf er das? Im Prinzip ja, denn er ist bei der

Beurteilung der steuerrechtlichen Vorfrage nicht an die Auffassung des Finanzgerichts (und

natürlich auch nicht an die der Finanzverwaltung) gebunden. Aber er muß die Verknüpfung

zwischen Handlung und Erfolg, die Kausalität, im Gesetzestext durch die Präposition

„dadurch― gekennzeichnet, feststellen. An der Kausalität fehlt es, da die Steuer auch bei

zutreffender Erklärung nicht festgesetzt worden wäre. Die Vorfragenkompetenz des

Strafrichters ist nicht berührt, allerdings muß er die Beantwortung der Steuerrechtsfrage durch

die Finanzgerichtsbarkeit (die Finanzverwaltung) gleichsam wie ein „Naturereignis― bei

seiner strafrechtlichen Subsumtion berücksichtigen.

FG Hamburg vom 14. 5. 2002, IV 296/99, PStR 2005, 181 bildet das Gegenstück zu der

Entscheidung des Kölner Bardamenfalls. Der Kläger ist rechtskräftig wegen Steuerhehlerei

verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts soll er unverzollte und unversteuerte

Zigaretten verkauft haben.

Gegen die daraufhin erlassenen Steuerbescheide verteidigt er sich damit, er sei an der

illegalen Einfuhr nicht beteiligt gewesen und tritt Beweis durch "Beiziehung der Strafakte"

an. Das Strafurteil habe er nur akzeptiert, weil es ihm gesundheitlich schlecht gegangen sei.

Die Klage vor dem FG blieb erfolglos. Mit der Verurteilung wegen Steuerhehlerei habe das

AmtsG inzidenter auch den für die Zollschuld nach Art. 202 III ZK relevanten Besitz an den

Zigaretten bzw. deren Erwerb und die Kenntnis der vorangegangenen

Einfuhrabgabenhinterziehung bejaht. Zwar sei das FG nicht an die Feststellungen des AmtsG

gebunden, es sei aber nicht gehindert, sich dessen Feststellung zu eigen zu machen, wenn

nach seiner freien Überzeugung diese Feststellungen zutreffend sind.

Das Urteil steht m. E. mit dem Gesetz nicht in Einklang, insbesondere wenn es ausführt, eine

Vernehmung der seinerzeit mitangeklagten Personen verspräche nur dann Erfolg, wenn mit

einer Änderung der strafgerichtlichen Aussagen zu rechnen sei, Dazu habe der Kläger

vortragen müssen. Seit wann muss eine Prozesspartei Erfolgsprognosen für die angebotenen

Beweismittel bringen? Fraglich ist nur, ob der Kläger Beweis durch Vernehmung der Zeugen

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angetreten hatte, was aus dem veröffentlichten Teil des Urteils nicht ersichtlich ist. Hat er sich

auf den Beweisantritt "Strafakte" beschränkt, durfte das FG trotz Amtsmaxime so verfahren.

d) Wie können solche divergierenden Entscheidungen verhindert werden? Vgl. § 396

AO. Hiernach kann das Strafverfahren ausgesetzt werden, bis das

Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Wohlgemerkt: es muss aber

nicht! BGH vom 9.6.2004, 5 StR 579/03, wistra 2004, 424 (426) weist in einem

besonders gravierenden Fall, in dem sich das Tatgericht mit der Rechtsprechung der

Stergerichte auch nicht ansatzweise auseinandergesetzt hat, auf die

Aussetzungsmöglichkeit hin (zustimmend die Besprechung durch

Gotzens/Walischewski NStZ 2005, 521).

Die Geschichte dieser Norm ist, wie Kohlmann ausführt, die Geschichte ihrer Demontage

(Klug-FSchr. II, 1983, S. 514). Vgl. dazu Bernsmann, Kohlmann- Fschr., 2003, S. 377.

Die Bestimmung sah in den früheren Fassungen Bindung an die im konkreten Fall ergangene

Entscheidung des Reichsfinanzhofs vor. Der moderne Gesetzgeber schaffte dies ab und

bildete die Regelung dem § 262 StPO mit dessen fakultativen Aussetzungsverfahren nach.

Fazit: Jede Gerichtsbarkeit entscheidet über Vorfragen des jeweils fremden Rechtsgebiets

eigenständig, der Finanzrichter über die strafrechtliche Vorfrage, der Strafrichter über die

steuerliche. Vgl. aber unten C I 10: Die steuerliche Veranlagung hat für die Kausalität

zwischen Tathandlung („Angaben machen pp.―) und Erfolg (Verkürzung) Bedeutung. Das

Gesetz deutet diese Verbindung mit dem Wörtchen „dadurch― in § 370 AO an.

Zum Wiederaufnahmeverfahren: Verf., wistra 2010, 198.

II. Steuerstrafrecht: der achte Teil der Abgabenordnung

Die AO ist der allgemeine Teil der Steuergesetze, gleichsam der "Mantel", der alles, was für

die gesamten Steuern von rechtlicher Bedeutung ist, "vor die Klammer zieht". Die geltende

AO ist am 1. 1. 1977 in Kraft getreten und hat die bis dahin geltende Reichsabgabenordnung

von 1919 abgelöst. Diese wiederum ging auf einen Beschluss des Reichschatzamts zurück,

ein Mantelgesetz für das Steuerrecht zu schaffen, in dem die Vorschriften der

Einzelsteuergesetze zusammengefasst werden sollten. Mit der Abfassung wurde Enno

Becker beauftragt (näher Tipke/Lang, § 2, "Überblick über die Gebiete und Gesetze der

Steuerrechtsordnung").13

Eine Übersetzung der AO ins Englische finden Sie auf der homepage des BMF. Mit dem

Französischen ist es schon schwieriger. Ich konnte bisher keine Übersetzung finden,

13 Eine Würdigung Enno Beckers, des Schöpfers der AO, die er als einzelner konzipierte, finden Sie bei Tipke,

StuW 1990, 74 und Pausch, DStZ 1980, 412: ursprünglich OLGRat in einem Zivilsenat des OLG Oldenburg,

nebenamtliches Mitglied des dortigen OVG (das mangels eigener Finanzgerichtsbarkeit auch für Steuersachen

zuständig war), 1918 in das damalige Reichsschatzamt (späteres RFM) berufen und mit dem Entwurf der RAO

beauftragt. Aus dem Vorwort zur 1. Aufl. des RAO-Kommentars von Enno Becker: "Da saß ich im

Reichsfinanzministerium, damals noch Reichsschatzamt, in einem kahlen Zimmer am Schreibtisch vor einem leeren Blatt Papier und hatte als einzigen Anhalt die Textausgaben der Steuergesetze. Draußen hatten die

öffentlichen Gebäude in der Wilhelmstraße und am Wilhelmplatz Halbmast rot geflaggt, weil an jenem Tage die

Leichen derer beigesetzt wurden, die bei der Revolution getötet waren. In dem großen Gebäude und Betriebe

kannte ich niemand. Dunkel und nebelhaft verschwommen wie die Zukunft lag auch meine Aufgabe vor mir."

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jedenfalls nicht vom BMF, auch nicht beim Dolmetscherdienst der EU. Die Fachausdrücke zu

übertragen, insbesondere die des § 370 AO, ist schwierig. Steuerhinterziehung: (en) tax

evasion, (fz) soustraction fiscale oder évasion fiscale; Steuerverkürzung (en) nur in verbaler

Form „who understates taxes―, (fz) „qui sous-estime les impots―; Steuervorteil (en) tax

advantage, (fz) avantage fiscal. Beim Zollkodex ist es leichter, denn hier können Sie die

deutsche Übersetzung mit dem französischen und englischen Urtext an Hand der Fassungen

der EG-VO Nr. 2913/92 des Rates vergleichen.

Die AO regelt im ersten Teil Grundbegriffe, im zweiten das Steuerschuldverhältnis, im dritten

bis siebten das Besteuerungsverfahren. Der uns interessierende Teil ist der achte.

Der achte Teil der AO enthält die materiellen Straf- und Bußgeldvorschriften und

Bestimmungen über das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren.

Bild 4

Keineswegs findet sich aber das gesamte Steuerstrafrecht im 8. Teil der AO, wie sich aus dem

vorhergehenden Erörterungen ergeben hat. Nach § 369 II AO gelten die allgemeinen Gesetze

über das Strafrecht. Aber selbst wenn die AO dies nicht anordnen würde, folgte dies aus dem

allgemeinen Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Das Spezialgesetz ist hier die AO

mit dem achten Abschnitt. Die leges generales sind die allgemeinen Gesetze.

Dass neben dem achten Teil der AO die Einzelsteuergesetze gelten, folgt aus dem bereits

oben angesprochenen blankettartigen Charakter der Tatbestände des Steuerstrafrechts. Es

gelten also die Einzelsteuergesetze. Die Übersicht finden Sie in Bild 5.

Bild 5

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Sie sehen aus Bild 5: das Steuerstrafrecht speist sich aus zwei „großen Zuflüssen―. Der eine

ist das Strafrecht - materielles und Verfahrensrecht - der andere sind die

Einzelsteuergesetze, und zwar betreffend erstens Besitz- und Verkehrsteuern, zweitens Zölle

und andere Einfuhrabgaben, Verbrauchsteuern, drittens alle Gesetze, die auf die Steuergesetze

verweisen, wie z.B. das Wasserabgabengesetz, die verschiedenen Kommunalabgabengesetze

der Länder, Investitionszulagengesetze. Nach § 8 InvZulG 1999 bzw. § 7 InvZulG 2005

finden nur die Vorschriften der AO über die Verfolgung von Steuerstraftaten entsprechende

Anwendung, nicht aber das materielle Steuerstrafrecht, hier gilt vielmehr " 264 StGB. Folge:

zwar leitet die Finanzbehörde bei Verstößen das Strafverfahren ein (§ 397 AO), aber es gibt

nicht die Möglichkeit der Selbstanzeige, da § 371 AO zum materiellen, nicht zum formellen

Steuerstrafrecht gehört.

Auf die AO -- und damit auch auf deren Straf- und Bußgeldbestimmungen – verweist § 12 I

MOG (Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation). Sachlich zuständige

Finanzbehörde sind die Hauptzollämter und die Zollfahndungsämter (§ 37 II MOG). Zur

Organisation der Fahndung vgl. unten im Skript, D III 2. Die Verweisungstechnik des MOG

verdeutlicht die Problematik von Blankettnormen vor dem Hintergrund des

Bestimmtheitsgebots der Art. 103 II, 104 I GG. Ein schönes Beispiel liefert die von Niehaus,

wistra 2004, 206, besprochene Entscheidung des LG Kassel vom 13. 5.2003, 7630 Js

29352/02 – 9 Ns:

Der Angeklagte belieferte über die ihm zugeteilte Referenzmenge hinaus mit Milch, wobei er für einen Teil der

Menge eine fremde Erzeugernummer verwandte, um so keine Milchmengengarantieabgabe zahlen zu müssen. Dadurch verkürzte er die Milchmengengarantieabgabe um über 30.000 DM.

Die EG- VO über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor regelt die

Milchmengengarantieabgabe dem Grunde nach, die Berechnung und Erhebung legen die

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Mitgliedstaaten fest. Die Bundesrepublik hat dies durch die MilchgarantieVO (MGV)

(mittlerweile ersetzt durch die ZusatzabgabenVO (ZAV) getan. § 12 I MOG erklärt die AO

für Abgaben zu Marktordnungszwecken, die "nach den Regelungen im Sinne des § 1 Abs. 2"

des MOG erhoben werden, für anwendbar. § 1 II MOG definiert als "Regelungen" in diesem

Sinne die Bestimmungen des EG-Vertrages sowie alle Rechtsakte des Rates und der

Kommission aufgrund des EG-Vertrages, verweist also auf das gesamte primäre und

sekundäre Gemeinschaftsrecht. Dessen Bestimmungen sind also die Ausfüllungsnormen zu §

370 AO. "Dynamisch" ist diese Verweisung, weil nicht nur auf bestimmte gerade geltende

Bestimmungen, sondern auch auf zukünftig zu erlassende verwiesen wird. Das LG Kassel

bejaht Erkennbarkeit und Zumutbarkeit der Auffindung der durch § 370 AO in Bezug

genommenen Ausfüllungsbestimmungen. Das berufliche Umfeld des Landwirts bringe

"erhöhte Informationspflichten" mit sich. Außerdem sei bei der Anlegung des

Bestimmtheitsmaßstabes auf die "gesetzgeberischen Schwierigkeiten einer weiteren

Konkretisierung" Rücksicht zu nehmen. Dagegen zu Recht Niehaus in der zitierten

Besprechung (wistra 2004, 206(209)).

Bei den Besitz- und Verkehrsteuern sind als Wichtigste das EStG, das

Körperschaftsteuergesetz und das Umsatzsteuergesetz hervorzuheben. Bezüglich der

Eingangsabgaben gelten die Verordnung des Rates der EG, der Zollkodex14

sowie die

diversen innerstaatlichen Verbrauchsteuergesetze.

Zur Modernisierung des Zollkodex und zur Auswirkung auf das Steuerstrafrecht vgl. Klötzer,

wistra 2007, 1. (Ein Weg zum europäischen Zollstrafrecht?)

Sie erkennen, dass einige Gesetze mehrmals in dieser Übersicht vorkommen. So enthält das

Jugendgerichtsgesetz sowohl materielle als auch verfahrensrechtliche Vorschriften ebenso das

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Materielles Ordnungswidrigkeiten- und -strafrecht finden

sich aber auch im Umsatz-, Tabak-, Bier- und Kaffeesteuergesetz, ferner im Abwasser-

abgabengesetz und in diversen Kommunalabgabengesetzen der Länder. Das

Abwasserabgabengesetz enthält zugleich Verfahrensvorschriften, also formelles

Ordnungswidrigkeitenrecht. Die besonderen Verbrauchsteuergesetze (UStG, TabStG,

MinÖStG ) finden sich also nicht nur bei den allgemeinen Gesetzen über die Steuern, sondern

ebenso unter der Rubrik der allgemeinen Gesetze über das Strafrecht (und das

Ordnungswidrigkeitenrecht), wie sich aus § 377 II AO ergibt, der für das

Ordnungswidrigkeitenrecht eine dem § 369 II AO entsprechende Regelung enthält.

Unter dem materiellen Teil der allgemeinen Straf- und Ordnungswidrigkeitengesetze finden

Sie auch das Zollverwaltungsgesetz, welches in seinem § 31 Ordnungswidrigkeiten-

tatbestände enthält.

14 Französisch: Code des douanes européen. Zur sprachgeschichtlichen Entwicklung des Wortes Douane - Sie

erinnern sich an das Schild an den Grenzübergängen „Zoll/Douane―. Das Wort Douane ist arabischen Ursprungs

und kommt von „Diwan― (Kanzlei, Büro, Amt). Die Araber hatten sich im 9. Jahrhundert in Sizilien festgesetzt.

Die Insel wurde im 11. Jahrhundert durch die Normannen erobert. Deren König Roger I. übernahm die

vorhandene arabische Verwaltung mit ihren verschiedenen „Diwanen―, vor allem das ausgeklügelte Steuer- und

Zollsystem (neben der Verwaltung übrigens auch den Oberbefehlshaber der Flotte, den Amir). Über das Reich

der Staufer (Friedrich II., der Staufer, schrieb und dichtete arabisch) gelangten Diwan Douane (und Amir

Admiral) nach Europa. Nebenbei bemerkt: Auch eine weitere Bezeichnung eines militärischen Dienstgrades hat

ihren Ursprung im Arabischen. Der "Fähnrich" (Offiziersanwärter im Rang eines Feldwebels) wird in Westeuropa mit den "Insignien" des Truppenteils, also der "Fahne", in Verbindung gebracht und heißt

"enseigne" (fz.), ensign (engl.), nur im Spanischen ist es der "alférez", von Al faaris, "der Reiter" (arab.)., wie

überhaupt das Spanische vielfach Verballhornungen des Arabischen enthält (z. B. Alhambra von Al hamraa,

arab. "die Rote").

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Fazit:

- Das Steuerstrafrecht ist im achten Teil der AO keineswegs abschließend geregelt;

- der Steuerstrafrechtsanwender muss sowohl kennen:

- die allgemeinen Gesetze über das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

als auch

- die Einzelsteuergesetze, wobei zu letzteren auch all die Gesetze gehören,

die auf die Einzelsteuergesetze verweisen;

- die einzelnen Regelungen über das Strafrecht und das Steuerrecht sind weit verstreut.

Der Name des Gesetzes, in dem sich die betreffende Regelung findet, besagt

grundsätzlich nichts über ihren Inhalt.

- ein einziges Gesetz kann sowohl strafrechtliche Vorschriften (materielle und

verfahrensrechtliche, wie z.B. das OWiG), darüber hinaus eine einzelsteuerliche

Regelung und zusätzlich materielles oder formelles Strafrecht

(Ordnungswidrigkeitenrecht) enthalten.

III. Steuerbegriff und Steuern

1. Steuerbegriff

Bild 6

Früher hieß es:

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„Zölle und Abschöpfungen sind Steuern i. S. der AO― (§ 3 I 2 AO a. F.). Abschöpfungen

sind in Zölle umgewandelt, so dass des keine „Abgaben zu Marktordnungszwecken― mehr

gibt (FGJ, § 373, TZ 6). Heute spricht das Gesetz nur noch von Einfuhrabgaben (zu denen

die Zölle gehören) und Ausfuhrabgaben (gibt es nach EG-Recht z. Zt. nicht, vgl. Bender, TZ

81.6), § 3 III AO.

Zur Geschichte des Steuerwesens und der entsprechenden Institutionen vgl. das instruktive

Werk von Alfons Pausch15

, Von der Reichsschatzkammer zum Bundesfinanzministerium,

1969; Kuriositäten stellt der Artikel von Horst Stein in der „Welt― vom 28. 6. 1986

zusammen („Harte Fakten und hübsche Legenden―).

Kirchensteuern sind Steuern i. S. von § 3 AO, denn die öffentlich-rechtlichen

Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind öffentlich-

rechtliche Gemeinwesen i. S. von § 3 I AO. Nach § 1 I AO gilt die AO nicht für

Kirchensteuern, da diese nicht durch Bundesgesetz, sondern durch die Kirchensteuergesetze

der Bundesländer geregelt sind. Die AO gilt allerdings, soweit die

Landeskirchensteuergesetze auf die AO verweisen. Aus § 4 III EGStGB folgt für die Länder

die Befugnis, auch die Strafvorschriften der AO auf Kirchensteuern für anwendbar zu

erklären. Davon hat nur Niedersachsen Gebrauch gemacht, hat allerdings das Verfahrensrecht

hiervon ausgenommen. § 386 II Nr. 2 AO, der die selbständige Ermittlungszuständigkeit der

Finanzbehörde regelt, läuft bezüglich der Kirchensteuern leer.

2. Einzelne Steuern

Die folgenden Ausführungen sind für diejenigen Teilnehmer bestimmt, die noch

nie etwas von Steuern gehört haben (wenn Sie es genauer wissen wollen,

nehmen Sie den Tipke/Lang zur Hand, dort insbes. § 8, Steuerarten). Die

anderen überschlagen diesen Teil.

Die hohe Kunst der Steuergesetzgebung ist die Fähigkeit, dem Bürger zu

verschleiern, wie viel er tatsächlich an den Staat abführt. So zahlen wir nicht nur

direkte Steuern (bei denen Steuerschuldner und Steuerträger, d. h. derjenige, der

durch die Steuer wirklich belastet ist, identisch sind), sondern auch indirekte

(bei denen diese Identität fehlt). Die Einkommensteuer (in der Mitte mit einem

"s" geschrieben, wie auch "Verbrauchsteuer") ist eine direkte Steuer, weil

Belasteter und Schuldner der einkommensteuerpflichtige Bürger ist. Die

Umsatzsteuer ist dagegen, wie es die Verbrauchsteuern sind, eine indirekte

Steuer, denn hier wird die Steuerschuld vom Steuerschuldner (dem

Unternehmer) auf den Endabnehmer überwälzt. Der Unternehmer im Sinne des

UStG schuldet die Steuer, getragen wird sie im Ergebnis vom Verbraucher. Es

gibt verschiedene Einteilungsmöglichkeiten der Steuern. Zur Einführung wollen

wir uns daran orientieren, wer die Steuer verwaltet, d. h. welche Behörde die

Steuern festsetzt und beitreibt (vollstreckt).

Die AO spricht in § 6 II AO von der "Finanzbehörde" und zählt hierzu – unter

Verweisung auf das Finanzverwaltungsgesetz – u. a. das BMF und die nach den 15 Er ist nicht der Erfinder der Pauschbeträge.

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Landesgesetzen für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden

(die nicht in allen Ländern ein Landesfinanzministerium sein müssen), ferner als

Mittelbehörden (soweit vorhanden) die Bundesfinanzdirektionen, die

Oberfinanzdirektionen und das Zollkriminalamt sowie die Hauptzollämter und

die Finanzämter.

Beachten Sie: der in § 6 II AO verwandte Begriff der Finanzbehörde ist weiter

als der strafrechtliche, der in § 386 I AO zugrundegelegt wird. So ist z.B. die

OFD oder auch die BFD keine Finanzbehörde im strafrechtlichen Sinn, der

Oberfinanzpräsident hat also nicht etwa ein Unterrichtungs- und Teilnahmerecht

im Sinne von § 403 AO. § 386 I AO ist gegenüber der allgemeinen Bestimmung

des § 6 II AO die Spezialregelung.

Zum Folgenden sehen Sie sich A V dieses Skripts das Bild 10 an, Aufbau der

Finanzverwaltung. Die Bundesfinanzbehörden verwalten Zölle und

Verbrauchsteuern (einschließlich Einfuhrumsatzsteuer und Biersteuer), die

Landesfinanzverwaltung Besitz- und Verkehrsteuern, die Gemeinden (durch

ihre Stadtsteuerämter) die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, wie z. B.

Hunde-, Jagd-, Zweitwohnungs-, Vergnügungsteuer). Bezüglich Gewerbe- und

Grundsteuer (letztere nicht zu verwechseln mit der Grunderwerbsteuer) erlassen

die Finanzämter den Grundlagenbescheid (z. B. bei der Gewerbesteuer den

Steuermessbescheid), die Gemeinden den Folgebescheid unter Anwendung des

Hebesatzes, vgl. § 184 AO.

a) Landesfinanzverwaltung

Zu den von der Landesfinanzverwaltung (den Finanzämtern mit der OFD als

Mittelbehörde) verwalteten Steuern gehören:

1. Die Einkommensteuer

Gesetzliche Grundlage: EStG mit EStDVO

Zentrale Vorschrift, die die Bemessungsgrundlage, d. h. die sieben

Einkunftsarten bestimmt: § 2 EStG.

Zunächst die Gewinneinkünfte, d. h. diejenigen, bei denen das Steuerrecht an

den "Gewinn" anknüpft:

§ 2 I Nr. 1-3 EStG:

Einkünfte aus - Land- und Forstwirtschaft,

- Gewerbebetrieb,

- selbständiger Arbeit (dazu zählen die freien Berufe wie

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Rechtsanwalt, Steuerberater, Architekt, Arzt, die also

kein "Gewerbe" betreiben, sondern einen freien

Beruf, infolgedessen auch keine Gewerbesteuer zu

zahlen haben).

Sodann die "Überschusseinkünfte". bei denen die Besteuerung an den

"Überschuss" anknüpft. Das sind nach § 2 I Nr. 4-7 EStG:

Einkünfte aus - nichtselbständiger Arbeit,

- Kapitalvermögen,

- Vermietung und Verpachtung (V+V),

- sonstige

Nach § 2 III EStG ergibt die Summe der Einkünfte minus

Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den

Freibetrag für Land- und Forstwirte (§ 13 III EStG) den Gesamtbetrag der

Einkünfte.

Mit dem nun folgenden komplizierten Weg, auf dem das Gesetz vom

Gesamtbetrag der Einkünfte zur Bemessungsgrundlage und schließlich zur

tariflichen und dann endlich zur festzusetzenden Einkommensteuer gelangt, soll

der Gerechtigkeitsanspruch diverser Gruppen (pressure groups) berücksichtigt

werden. Das geschieht mit der "Rabattmarken"- oder "Punktemethode". Anstatt

die Steuer gleich auf ein raisonables Maßzu fixieren, wird sie generell höher

angesetzt, allerdings erhalten einzelne Gruppen "Rabatte", so die Alten, die

Alleinerziehenden, Land- und Forstwirte; einiges wird allen gutgebracht, aber

auch nur unter bestimmten Voraussetzungen, so durch Berücksichtigung von

Sonderausgaben, wieder anderes soll allen zugutekommen, aber auch nur im

Prinzip, denn bei den außergewöhlichen Belastungen wird der Rabattt nach der

zumutbaren Eigenbelastung vergeben. Dieses Streben nach summum ius hat

summa iniuria erreicht, allein schon deshalb, weil der Normalbürger das

System nicht durchschaut. Man sehe sich die §§ 24 a, 24 b EStG einmal durch!

Oder: Versuchen Sie allein aus der Formulierung des § 34 EStG

herauszufinden, wie Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG versteuert werden. Oder

das komplizierte Realsplitting (§§ 10 I Nr. 1, 22 Nr. 1 a EStG: Der Staat müsste

sich entscheiden, ob er Unterhalt versteuert wissen will oder nicht. Das Gesetz

sagt "ja" aber "nicht so richtig", indem es gestattet, dass derjenige den

Unterhalt versteuert, der in einer niedrigeren Progression ist, was dazu führen

kann, dass er ihn gar nicht versteuern muss, weil sein Einkommen auch mit den

Unterhaltszahlungen steuerfrei ist. Die Regelung produziert einen ungeheuren

Aufwand, denn das eine Finanzamt (des Zahlenden) setzt dessen

Sonderausgaben an, das andere (des Empfängers) veranlagt dessen

Unterhaltseingänge. Damit nicht genug: es fördert die Konjunktur bei den

Familiengerichten, wenn sich der Empfänger vom Zahlenden auf Ausfüllung der

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"Anlage U" verklagen lässt, weil sich der Zahlende wiederum weigert, dem

Empfänger die Mehrsteuer zu erstatten. Unsere Steuergesetze haben "Fabrik"

und "Gegenfabrik" (nach der Erzählung von Hermann Kasack) verwirklicht. Die

einen richten die Ziegel auf (gewähren die Freibeträge), die anderen tragen sie

wieder ab (setzen die Steuern fest).So bleiben zumindest die Arbeitsplätze im

öffentlichen Dienst krisengesichert. Das Unglück des Systems liegt nicht zuletzt

in der lobby (Wandelgang des Parlaments), was sich noch stärker bei der

Umsatzsteuer zeigt. Die rationaler Überprüfung nicht standhaltenden vielen

Ermäßigungen und Befreiungen werden so lange nicht abgeschafft, wie sich

machtvolle Lobbyisten für die Beibehaltung stark machen. Der erste Weg zur

sinnvollen (nicht nur Steuer-) Gesetzgebung wäre also die Liquidierung der

Lobbyisten. Der moderne Gesetzgeber hat den entgegengesetzten Weg

eingeschlagen: er macht den Lobbyisten zum Formulierungsgehilfen der

Gesetzgebung oder gar eigenständigen Verfasser von Gesetzen. Haben die

Ministerien keine Juristen mehr, oder trauen die Spitzen nicht mehr dem

Sachverstand des eigenen Hauses?

Vom Gesamtbetrag der Einkünfte gehen ab der Verlustabzug nach § 10 d

EStG, die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen. Das

ergibt das Einkommen § 2 IV EStG). Also:

Gesamtbetrag der Einkünfte

./. Verlustabzug (natürlich nur, falls vorhanden)

./. Sonderausgaben

./. außergewöhnliche Belastungen

= Einkommen.

Davon ab Kinderfeibetrag, Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrag

(§§ 31, 32 VI EStG) ergibt das

zu versteuernde Einkommen.

Das sind Fachausdrücke, die das Gesetz verwendet und die sich der

Steuer(strafrechtsanwender) zu eigen machen sollte.

Nach dem zu versteuernden Einkommen bemisst sich die Steuer. Der Tarif

ergibt sich aus § 32 a EStG. Der Steuersatz ist den dem EStG beigefügten

Anlagen (Steuertabellen, d. h. Grundtabelle für den einzelnen, Splittingtabelle

für Ehegatten) zu entnehmen. Ist es Ihnen schließlich gelungen, die tarifliche

Einkommenstuer herauszufinden, sind Sie noch nicht am Ende, denn:

von der tariflichen Einkommensteuer gehen ab

- die anrechenbare Gewerbesteuer (35 EStG),

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- anrechenbare ausländische Steuern (34 c EStG),

- Steuerermäßigungen (§§ 34 e – g, 35 a EStG); es kommt hinzu

- Kindergeld (wenn Freibetrag steuerlich günstiger), so dass sich dann die

festzusetzende Einkommensteuer ergibt.

Eheleute können die Zusammenveranlagung wählen. Dann beträgt der Tarif

gemäß § 32 a IV EStG das Zweifache des Steuerbetrages, der sich für die Hälfte

ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens ergibt.

Beispiel: Ehefrau hat z.v.E. von 41.324, Steuer 9. 709,--

Ehemann 12.524, Steuer 937,--

Zusammen zahlen sie bei getrennter Veranlagung 10. 646,--

Zusammen haben sie ein z.v. E. 53.848

Davon 1/2 ergibt 26.924 Steuer = 4.849,--, mal 2 ergibt 9.698,--,

also weniger, als wenn beide getrennt veranlagt würden. Dass dies so ist, liegt an

der Progression. Höhere Einkommen werden prozentual (nicht linear) höher

besteuert als niedrige. Für 41.324 z.v.E. zahlen Sie prozentual mehr Steuern

(nämlich 9.709) als für zweimal 20.662, hier nur 3.041 mal 2 = 6.082.

Sie können den Steuerbetrag auch gleich in der Splittingtabelle nachschlagen,

indem sie bei 53.848 suchen, dann gelangen Sie zu 9.698 Steuer.

"Gewinn" definiert das EStG in § 4 I 1 als den Unterschiedsbetrag zwischen

Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahrs und dem Betriebsvermögen

am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs. Es hätte auch sagen können

zwischen Anfangsbestand am Jahrsanfang und Endbestand am Jahresende. Denn

wer am Jahresende mit einem Betrag aufhört, den Betrieb weiterführt, fängt am

1. 1. des Folgejahrs mit dem an, was er Silvester hatte. Oder auch: Gewinn ist

der Unterschied zwischen Anfangs- und Endvermögen. Wer mit 10.000 €

anfängt und am Ende immer noch 10.000 € hat, hat eben keinen Gewinn

gemacht, wer weniger hat, hat Verlust erwirtschaftet, nur wer mehr hat, hat

Gewinn.

Der Gewinn wird unterschiedlich ermittelt: Wir sprechen von einem

"Vierdreier", wenn der Pflichtige seinen Gewinn nach § 4 III EStG ermittelt, d.

h. durch die Einnahme-/Überschussrechnung: Er schreibt die Betriebseinnahmen

untereinander, ebenso die Betriebsausgaben. Hat er (was zu hoffen ist) mehr

Einnahmen als Ausgaben, ist der Überschuss der Gewinn, im umgekehrten Fall

der Verlust. Diese Gewinnermittlungsart gilt für alle, die nicht zur Buchführung

gesetzlich verpflichtet sind, wie z.B. die freien Berufe, Kleingewerbetreibende.

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Kaufleute sind nach HGB zur Buchführung verpflichtet. Für sie gilt § 5 EStG,

sie müssen den Gewinn durch "Bestandsvergleich" ermitteln, d. h. bilanzieren,

vgl. dazu die Fälle zu B I 7 und 11 des Skripts. Die Schlussbilanz des Jahres ist

zugleich die Eröffnungsbilanz des folgenden (Bilanzkontinuität).

Die Einkommensteuer ist Veranlagungsteuer. Das bedeutet, sie wird durch das

Finanzamt aufgrund einer Erklärung des Pflichtigen festgesetzt. Im Unterschied

dazu stehen die Fälligkeitsteuern, d h. Steuern, die ohne dass ein

Steuerbescheid ergeht mit Erfüllung des Steuerentstehungstatbestands auch

fällig werden. Beispiel Tabaksteuer (dazu C I 4 des Skripts).

Die EinkSt sagt zur Veranlagung in § 25:

Die EinkSt wird nach Ablauf des Kalenderjahrs -- das Kalenderjahr ist der

Veranlagungszeitraum – nach dem Einkommen veranlagt, das der Pfl. in dem

Veranlagungszeitraum bezogen hat. Die Steuern werden von der Finanzbehörde

(im Fall der EinkSt also durch das Finanzamt) durch Steuerbescheid festgesetzt,

§ 155 AO. Für bestimmte Kapitalerträge und Lohnsteuerpflichtige, die gewisse

Grenzen des Einkommens nicht überschreiten, findet eine Veranlagung nicht

statt. Nach § 25 III EStG hat der Pflichtige für den vorangegangenen

Veranlagungszeitraum eine Steuererklärung abzugeben. Nicht ist gesagt: bis

wann? Dies steht im Allgemeinen Teil des Steuerrechts, der AO. deren § 149 III

sagt: soweit andere Steuer(spezial)gesetze nichts anderes sagen: 5 Monate nach

Ablauf des Veranlagungszeitraums.

Daneben sind Vorauszahlungen zu leisten (§ 37 EStG), am 10. 3., 10. 6., 10.9.,

10. 12., also vierteljährlich. Hierüber ergeht ein Vorauszahlungsbescheid, der

sich nach den Verhältnissen in der Vergangenheit richtet (§ 37 III EStG).

Quellenabzug:

Die Lohnsteuer ist nichts anderes als eine im Vorwegabzug eingezogene

Einkommensteuer, vgl. § 38 ff. EStG. Der Arbeitgeber hält die Lohnsteuer vom

Entgelt, das er an die Arbeitnehmer auszahlt ab und hat sie an das Finanzamt

abzuführen. Sie ist für ihn durchlaufender Posten (ebenso wie z. B. die

Umsatzsteuer, die der Unternehmer vom Kunden einnimmt und an den Staat

abführen muss, weshalb die Hinterziehung von LSt und USt z.T. anders

bewertet wird als die Hinterziehung anderer Steuern, die keinen derartigen

Treuhandgedanken in sich tragen). Im Grunde sind es für den Arbeitgeber –

anders als die von ihm selbst zu entrichtende Einkommensteuer --

"Fremdgelder", die er einhält und abführt. In die Lohnsteuertabellen sind bereits

einige Freibeträge des EStG eingearbeitet, um eine möglichst gerechte

Abzugsbesteuerung zu ermöglichen. Der Arbeitgeber muss anmelden und

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abführen (§ 41 a I EStG). Die Lohnsteuer ist also ähnlich der USt konzipiert.

Sie ist Fälligkeitsteuer, aber zugleich Veranlagungsteuer (Anmeldesteuer, daher

"selbstveranlagend") dazu unten bei der USt).

Ebenso die Zinsabschlagsteuer, vgl. §§ 43 ff. , insbes. § 44 I EStG und die

Bauabzugsteuer, § 48 EStG.

2. Die Körperschaftsteuer ist die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaft.

Für sie gilt das KöStG.

3. Die Umsatzsteuer

Die USt ist "die allgemeine Verbrauchsteuer" (Reiß bei Tipke/Lang, § 14), das

Einkommen wird mehrmals besteuert, einmal bei seiner Entstehung durch die

EinkSt, zum andern bei seiner Verwendung durch die Verbrauchsteuern

(Tabaksteuer, Energiesteuer usw., näheres vgl. unten). Technisch hält sich das

UStG an den Unternehmer, der eine Lieferung oder Leistung ausführt. Getragen

wird sie dagegen vom Endverbraucher, denn der Unternehmer darf die USt

abwälzen.

Im ersten Abschnitt regelt das UStG den Steuergegenstand und den

Geltungsbereich. Zur Terminologie: Man unterscheidet zwischen steuerbaren

(solchen, die an sich der USt unterliegen) und steuerpflichtigen (steuerbaren,

die nicht von der USt befreit sind) Umsätzen.

Steuerbar sind nach § 1 UStG:

-Lieferungen und sonstige Leistungen

-erbracht durch einen Unternehmer

-gegen Entgelt

-im Inland

Unternehmer ist nach § 3 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche

Tätigkeit selbständig ausübt, also nicht nur der Gewerbetreibende, sondern auch

der Freiberufler.

Im zweiten Abschnitt des UStG sind die Steuerbefreiungen geregelt (eine

lange Liste, die den Einfluss der "pressure groups" auf die Gesetzgebung

verdeutlicht. Jeder Stand hat seinen Lobbyisten, der das Gesetz (natürlich auf

Kosten anderer) stets noch etwas "gerechter" zu gestalten sucht.

Der dritte Abschnitt regelt die Bemessungsgrundlage: das Entgelt (§ 10 UStG).

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Im vierten Abschnitt finden Sie den Kernbereich der USt als Mehrwertsteuer

geregelt.

Die Steuer beträgt für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 % und ermäßigt sich

für diverse Umsätze, ohne dass dies stets einsichtig wäre (§ 12 UStG). Sie

entsteht mit der Lieferung oder sonstigen Leistung, wobei zwischen der

Versteuerung nach vereinbarten (Sollbesteuerung) und der nach

vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung) unterschieden wird.

Die Sollbesteuerung ist die Regel (§ 16 I UStG), bestimmten Unternehmern

kann die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestattet werden, wie z. B.

dem Freiberufler (§ 20 UStG).

Der Vorsteuerabzug ist das Herzstück der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer (Reiß

bei Tipke/Lang). Nach § 15 UStG darf der Unternehmer die Vorsteuerbeträge

(im einzelnen in § 15 UStG definiert) abziehen. Der Vorsteuerabzug verhindert,

dass der Unternehmer endgültig mit der USt belastet wird, denn er darf die USt,

die er selbst an einen Unternehmer entrichten, seinerseits als Vorsteuer beim

Finanzamt geltend machen, also entweder mit der eigenen von ihm

abzuführenden USt saldieren oder, falls er keine USt zu entrichten hat, selbst

kassieren. Voraussetzungen:

-Empfang einer Lieferung/Leistung oder Einfuhr eines Gegenstands oder

innergemeinschaftlicher Erwerb;

-von einem Unternehmer (entfällt bei der Einfuhr);

-für das Unternehmen des Empfängers;

-Rechnung mit offenem Steuerausweis. Zivilrechtlicher Anspruch des

Empfängerunternehmers, § 14 II UStG. Was die Rechnung enthalten muss,

steht in § 14 IV UStG.

Von diesem System, das der BGH zutreffend als "Massengeschäft" ohne

mögliche hinreichende Kontrolle bezeichnet, leben Legionen von Hinterziehern.

Beispiele:

Leistungen werden vorgetäuscht mit fingierten Rechnungen. Es gibt "Firmen",

die "zu Steuerersparniszwecken" Rechnungen "vermitteln, vorzugsweise nicht

von inländischen, sondern von innergemeinschaftlichen;

Pseudounternehmer weisen Vorsteuer aus, obwohl sie keine Unternehmer i. S.

des UStG sind, also nicht vorsteuerabzugsberechtigt. "Abgabenrechtliche

Strafvorschrift": § 14 c II UStG, wer unberechtigt Vorsteuer ausweist, schuldet

der Finanzbehörde den ausgewiesenen Betrag.

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Vorsteuerabzug wird für Lieferungen geltend gemacht, die nicht betrieblich

bedingt sind ("Toilettenpapier für den Arzthaushalt" statt angeblich für die

Praxis; angebliche Büromöbel sind in Wahrheit für die eigene Wohnung des

Pflichtigen). Die Abgrenzung ist ähnlich wie bei der Vortäuschung von

Betriebsausgaben/Werbungskosten.

Die Auswirkung des Vorsteuerabzugs:

U 1 liefert für 1.000 € an U 2. Unternehmer unter sich, so die Rechtsprechung

der Zivilgerichte, vereinbaren, wenn nichts anderes gesagt wird regelmäßig

Nettopreise – eben weil die USt nur durchlaufender Posten ist. Wenn Sie als

Zivilanwalt en einem gerichtlichen Vergleich mitwirken, vergessen Sie nie die

steuerlichen Auswirkungen, insbesondere ob die Vergleichssumme inklusive

oder mit zusätzlicher USt gemeint ist (wenn Sie Unternehmer i. S. des UStG

vertreten). In unserm Fall stellt also U 1 dem U 2 in Rechnung 1.000 €

zuzüglich 19 % USt, insgesamt 1.190 €. Per Saldo bleiben an U 2 nur 1.000 €

hängen, da er 190 € vom Finanzamt zurückbekommt. U 1 hat von den 190 €

auch nichts, denn er muss diese an das Finanzamt abführen.

Bemessungsgrundlage ist das Entgelt i. S. von § 10 I UStG, also die 1.000 €.

U 2 liefert weiter an U 3, je nach dem, was der Markt so hergibt, nehmen wir an,

er kann einen Aufschlag von 100 % an den Mann bringen, also sagen wir für

2.000 €. Es fallen 380 € USt an, die U 3 vom Finanzamt zurückerhält und die U

2, wenn es nach dem Gesetz zugeht, an das Finanzamt abführt. Dieses bekommt

den Betrag also im Ergebnis erst einmal gar nicht, weil es ihn an U 3 erstattet.

U 3 liefert an den Endverbraucher E für sagen wir 3.000 € und berechnet diesem

3.000 zuzüglich 570 € USt, die U 3 an das Finanzamt abführen muss. Wenn es

ihm gelingt, die Ware für 3.570 an den Mann zu bringen, also die USt

weiterzugeben, dann sind in den 3.570 €, die der E an U 3 zahlt, 570 € USt

enthalten. Entgelt ist nach § 10 I 1 UStG alles, was der Empfänger aufwendet,

um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der USt. Sie müssen also aus

dem Entgelt die USt, wenn sie nicht gesondert ausgewiesen ist, herausrechnen.

Die 570 USt, die das Finanzamt von U 3 erhält, behält es endgültig, denn der E

kann keinen Vorsteuerabzug geltend machen, weil er nicht Unternehmer ist. Per

Saldo hat der Fiskus also aufgrund dieses Vorgangs die 19 % aus dem Entgelt,

das der Endverbraucher zahlen muss, zu beanspruchen. In allen vorherigen

Phasen heben sich USt-Leistung und USt-Erstattung auf.

Die USt heißt "Mehrwertsteuer", nicht weil die Ware mit jeder Phase an Wert

gewinnt (die Butter kann längst ranzig sein, bis sie zum Endverbraucher

gelangt), sondern weil jede Phase versteuert wird, der Fiskus letztlich vom

letzten Wert die USt unwiderruflich zu beanspruchen hat. Ob er sie erhält, ist bei

dem System fraglich, weil die Vorsteuer nicht beim für den leistenden

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Unternehmer zuständigen Finanzamt, sondern bei dem Finanzamt geltend

gemacht wird, das für den Vorsteuerabzugsberechtigten zuständig ist.

Die USt wird herkömmlich als "Fälligkeitsteuer" bezeichnet. Das ist im Prinzip

richtig, denn sie wird an einem bestimmten Tag fällig. Das UStG sieht vor, dass

die USt am Jahresende (Jahressteuer) gezahlt wird. Da der Staat aber –

ebensowenig wie bei der EinkSt -- nicht auf die erst nach Ablauf des Jahres

fällige USt warten kann, wird diese auch durch Vorauszahlungen erhoben. Den

Zeitraum, für die diese erhoben werden, nennt das Gesetz

Voranmeldungszeitraum, Voranmeldung nicht etwa, weil der Unternehmer die

von ihm einzunehmende USt "vorweg schätzen" müßte, sondern Voranmeldung

bezeichnet natürlich den Vorgriff auf das Kalenderjahr. Was

Voranmeldungszeitraum ist, steht in § 18 II UStG: entweder das

Kalendervierteljahr oder der Monat. Für unsere Zwecke gehen wir der

Einfachheit halber immer vom Monat aus. Zur Fälligkeit:

Für die Jahresteuer sagt § 18 III UStG:

Berechnet der Unternehmer die Steuer abweichend von der Summe der

Vorauszahlungen, so ist der Unterschiedsbetrag zugunsten des Finanzamts einen

Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig. Stimmt die Jahreserklärung

mit der Summe der Voranmeldungen überein, ergibt sich natürlich keine

Differenz, also ist auch nichts fällig.

Die Fälligkeit der Vorauszahlungen finden wir in § 18 I 3 UStG geregelt: sie ist

am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig, also für den Monat

Januar am 10. 2.

Konsequenz: die USt ist sicherlich Fälligkeitsteuer. Der Witz ist nur, dass diese

ihre Eigenschaft für uns als Strafrechtler ziemlich belanglos ist. Warum,

erfahren Sie im besonderen Teil des Skripts: Der Steuerhinterziehungstatbestand

des § 370 AO misst die Steuerverkürzung nämlich an der zu niedrigen

Festsetzung (Veranlagung). Die Fälligkeit der Zahlung ist im Prinzip für § 370

AO belanglos. Der nähere Blick ins Gesetz zeigt uns aber, dass die USt

durchaus auch Veranlagungsteuer ist, freilich eine solche besonderer Art, sie ist

nicht wie die EinkSt amtsveranlagt (also durch das Finanzamt festgesetzt),

sondern als Anmeldesteuer selbstveranlagend (die Erklärung ist der

Steuerbescheid). Das folgt aus § 18 I 1 für die Jahressteuer: Der Unternehmer

hat eine Voranmeldung abzugeben, in der er die Steuer selbst berechnet.

Derartige Steueranmeldungen stehen einer Steuerfestsetzung (wenn auch unter

dem Vorbehalt der Nachprüfung) gleich. Der Weg führt uns jetzt zum

Allgemeinen Teil des Steuerrechts, nämlich zu § 168 S. 1 in Verb. mit § 150 I 3

AO. Da steht es.

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Für die Vorauszahlungen ergibt sich das Entsprechende aus § 18 I 1 UStG:

Steueranmeldung bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums.

Die USt wird also sowohl hinsichtlich Zahlung als auch hinsichtlich Anmeldung

am selben Tag fällig. Steuerrechtlich mag die Zahlungsfälligkeit wichtig sein,

strafrechtlich ist die Erklärungspflicht (Steueranmeldungspflicht) das

Entscheidende.

b) Bundesfinanzverwaltung

Die Einfuhrabgaben ergeben sich aus folgendem Schaubild [nach Witte/Wolffgang (3.

Aufl.), TZ 163]

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Bild7

Das Abschöpfungserhebungsgesetz ist seit dem 01.01.1997 aufgehoben.

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Zu unterscheiden sind:

- harmonisierte Verbrauchsteuern (nach der Richtlinie 1992/12 EWG vom

25.02.1992 des Rates, Verbrauchsteuer-Grundlagenrichtlinie), die drei

Kategorien verbrauchsteuerpflichtiger Waren festlegt:

o Mineralöl,

o Alkohol und alkoholhaltige Getränke,

o Tabakwaren,

also harmonisierte Steuern:

o Bier-,

o Branntwein-,

o Tabak-,

o Schaumwein-,

o Mineralölsteuer. (Mineralölsteuergesetz v. 21.12.1992, zuletzt geändert durch Art.

16 des Ges. v.29.12.2003, BGBl I, 3076, Steuer fließt dem Bund zu, ermäßigter

Steuersatz für Heizöl, daher ist dieses rot durch Zusatz von Farbstoff (und

Markierstoff), um "Verdieselung" zu verhindern). Das Mineralölsteuergesetz ist

abgeschafft und durch das Energiesteuergesetz ersetzt, vgl. u. C I.

Die kleinen Verbrauchsteuern auf

o Leuchtmittel,

o Salz,

o Zucker,

o Tee

sind im Rahmen der Harmonisierung entfallen. Die älteste der

Verbrauchsteuern war die Salzsteuer.

- weitere Verbrauchsteuern, die die Mitgliedstaaten erheben:

In der Bundesrepublik sind dies

o Kaffee-,

o Strom-,

o Erdgassteuer,

in Italien die

o Bananensteuer,

in Dänemark die

o Pkw-Steuer.

Harmonisierte Verbrauchsteuern sind solche, die in allen EU-Mitgliedstaaten vorkommen.

Nicht harmonisiert sind die Verbrauchsteuern, die einzelne Mitgliedstaaten erheben.

Die Verbrauchsteuern werden als Einfuhrabgaben wie auch als Binnenabgaben erhoben -

vergleichbar der Umsatzsteuer.

Dies können Sie alles nachlesen in dem vorzüglichen Kurzlehrbuch über das

Verbrauchsteuerrecht von Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, 2000, TZ A 10 ff. und H

1 ff. sowie auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums unter dem Stichwort Zoll.

Bei dieser Gelegenheit können wir gleich auf § 370 VI AO eingehen, der gewisse Probleme

aufweist.

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Diese Bestimmung umfasst

- die EUSt (Einfuhrumsatzsteuer)

- alle Verbrauchsteuern (harmonisiert und nicht harmonisiert), soweit sie bei der

Einfuhr erhoben werden (Satz 1 der Vorschrift), insbesondere also auch die

Einfuhrabgaben der Efta-Staaten

- soweit die Verbrauchsteuern als Binnenabgaben erhoben werden, erfasst § 370

VI AO nur

o die Umsatzsteuer,

o harmonisierte Verbrauchsteuern,

diese beiden allerdings nur, sofern die in Satz 4 des § 370 VI AO erwähnte

Verordnung erlassen ist, was aber bis heute nicht geschehen ist. Außerdem

bezieht sich das nur auf die Steuern der EG-Mitgliedstaaten.

Satz 2 erfasst nicht

- nicht harmonisierte Verbrauchsteuern,

- die Efta-Verbrauchsteuern als Binnenabgaben.

Zum Problem Bender TZ 64 und ZfZ 2002, 146; Schmitz/Wulf, wistra 2001, 361.

Die AO hat den Begriff „Eingangsabgaben― durch den der „Einfuhrabgaben― ersetzt (auch in

§ 370 VI AO). Letzterer ist i. S. von § 1 I Zollverwaltungsgesetz zu verstehen, umfasst also

- Einfuhrabgaben nach Gemeinschaftsrecht (Art. 4 Nr. 10 ZK, Zölle und

zollgleiche Abgaben);

- die nationale EUSt und die Verbrauchsteuern, soweit sie bei der Einfuhr

erhoben werden.

Schmitz/Wulf versuchen den Satz 1 des § 370 VI AO unter der Einschränkung des Satzes 2

zu lesen, d. h. Strafbarkeit der Hinterziehung von Eingangsverbrauchsteuern soll nur

anzunehmen sein, soweit diese auch nach Satz 2 geschützt waren, also keine Strafbarkeit der

Hinterziehung von nicht harmonisierten Verbrauchsteuern, auch soweit es sich um

Einfuhrabgaben handelt. Satz 1 soll also restriktiv im Licht der „des Satzes 2― auszulegen

sein, einfach deshalb, weil ein vernünftiger Sinn für die Differenzierung zwischen

Binnenabgaben und Einfuhrabgaben bezüglich der Strafbarkeit nicht zu erkennen ist. Ob das

freilich alles so richtig ist, auch unter dem Blickwinkel, dass die AO nunmehr den

technischen Begriff Einfuhrabgaben verwendet (anstatt früher Eingangsabgaben), ist fraglich.

Bender TZ 64 wendet sich vehement gegen die Auffassung von Schmitz/Wulf.

Absatz 6 krankt daran, dass er die Hinterziehung aller Einfuhrabgaben bestraft, nicht aber die

Hinterziehung aller Binnenabgaben. Schmitz/Wulf haben versucht, diesen Widerspruch in

den Griff zu bekommen.

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Die Bundesfinanzverwaltung (Zollverwaltung) verwaltet also Zölle, Verbrauchsteuern und

Abgaben nach dem MOG (Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation),

vgl. auch unten im Skript zu V, Organisation der Finanzverwaltung).

Nebenbei bemerkt:

§ 370 VI 3 AO ist Ausfluss des völkerrechtlichen Reziprozitätsprinzips. Vgl. hierzu die

Schrift von Bruno Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher

Verträge, 1972.

Simma ist durch die UN zum Richter am internationalen Gerichtshof (IGH)16

in Den Haag

gewählt worden (Süddeutsche Zeitung vom 23.10.2002 und Spiegel Nr. 47/02 vom

25.11.2002).

IV. Begriff der Steuerstraftat

Praktische Bedeutung der Abgrenzung von Steuerstraftaten und anderen Straftaten:

Nur auf Steuerstraftaten finden die vom StGB abweichenden Bestimmungen der AO und des

Zollverwaltungsgesetzes Anwendung, z. B. die erweiterte Unterbrechung der Verjährung

nach § 376 AO, die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, Verjährungshemmung bei

Aussetzung nach § 396 III AO und das Verfahrenshindernis nach § 32 Zollverwaltungsgesetz

(hiernach werden Zollstraftaten und Zollordnungswidrigkeiten im Reiseverkehr unter

bestimmten Voraussetzungen nicht verfolgt, gilt aber nicht für Bannbruch / Steuerhehlerei).

Abgrenzung ist im übrigen wichtig für das Verfahrensrecht: Das Ermittlungsverfahren fällt

bei Steuerstraftaten unter den Voraussetzungen des § 386 II AO in die Zuständigkeit

Finanzbehörde anstelle der StA. Bei der Verfolgung von Steuerstraftaten haben die

Zollfahndungsämter, die Steuerfahndung, besondere Befugnisse. Im übrigen besteht die

gesonderte Aussetzungsmöglichkeit des § 396 AO, die freilich, wie in der ausführlichen

Diskussion im Rechtsausschuss nachzulesen ist, (auf einen Vorschlag von Dreher

zurückgehend) einfach dem § 262 StPO nachgebildet ist (wobei gleichzeitig die früher

bestehende Bindungswirkung des Strafrichters an die Entscheidungen des obersten

Finanzgerichts aufgehoben wurde).

Der Begriff der Steuerstraftaten (Zollstraftaten) ist in § 369 AO geregelt.

16 Nicht zu verwechseln mit dem internationalen Strafgerichtshof, ebenfalls in Den Haag.

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Bild 8

Steuerstraftaten (Zollstraftaten) sind

1. Taten, die nach den Steuergesetzen strafbar sind,

2. der Bannbruch,

3. die Wertzeichenfälschung pp.,

4. die Begünstigung einer Person, die eine Tat nach den Nr. 1 bis 3 begangen hat.

Abs. 2 dieser Vorschrift verweist sodann auf die allgemeinen Strafgesetze (soweit die

Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen).

Der Bannbruch ist bereits nach §§ 372, 370, 373 AO strafbar. Die zusätzliche Erwähnung in

§ 369 AO, bedeutet also, dass der Bannbruch auch dann Steuerstraftat ist, wenn er im

konkreten Fall nicht nach Steuergesetz, sondern nach der Strafnorm eines speziellen

Verbotsgesetzes strafbar ist (Bender TZ 59, 2 b und TZ 96, 6 g). § 372 I AO erfasst jede

verbotswidrige Verbringung als Bannbruch, also die Zuwiderhandlung gegen Ein-, Aus- oder

Durchführungsverbot. Diese sind in zahlreichen nicht steuerlichen Gesetzen und

Verordnungen normiert (Waffen, Kriegswaffen, Kernbrennstoffe, radioaktive Stoffe, Tiere,

die unter den Artenschutz fallen, im einzelnen FGJ § 372 TZ 27 ff.). Steuerstraftat ist auch

die Wertzeichenfälschung (soweit Steuerzeichen betroffen sind, z. B. die Zigarrenbanderole -

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eine mit Tabak gefüllte Steuerquittung -, so Meilicke, Steuerrecht AT, 1965, S. 3 oder früher

die Wechselsteuermarken) unter den Voraussetzungen der §§ 148 ff. StGB.

Warum darf der Zoll Taten nach dem KWKG (Kriegswaffenkontrollgesetz), AWG (Außenwirtschaftsgesetz) ermitteln, also etwa Container, die für das Ausland bestimmt sind, im Hafen von Hamburg überprüfen ? Weil Bannbruch eine Steuerstraftat ist (auch wenn keine Abgaben hinterzogen werden) und weil bei Steuerstraftaten die Finanzbehörde zuständig ist.

Keine Steuerstraftaten (kein Bannbruch) und keine Steuerordnungswidrigkeiten sind

Verbringungszuwiderhandlungen, die mit Bußgeld bedroht sind; gleichwohl werden sie von

der Zollverwaltung verfolgt mit zweifelhafter Kompetenz (Bender TZ 96 zu 6 g). Beispiel:

Heimliches Durchschmuggeln von Hund und Katze im Reiseverkehr ohne die

vorgeschriebenen Papiere bzw. Einfuhr über die EG-Binnengrenzen; zweifelhaft ist die

Kompetenz der Zollverwaltung, weil nach Vollendung des Binnenmarktes keine

Zollzuwiderhandlungen mehr möglich sind. Für diese OWI gilt nur noch das

Tierseuchengesetz i. V. mit der Hundeeinfuhrverordnung.

Bild 9

§ 369 AO spricht zum Teil Selbstverständliches aus, so die Feststellung, dass Taten, die nach

den Steuergesetzen strafbar sind, Steuerstraftaten sind. Dass hierunter auch der Bannbruch zu

zählen ist, erscheint nur selbstverständlich. Der Bannbruch (§ 372 AO) ist nämlich nur zum

Teil eine geborene Steuerstraftat (soweit der Bannbruch nach einem Steuergesetz, etwa nach

§ 372 II i. V. m. § 370 AO oder nach § 372 I i. V. m. § 373 AO strafbar ist). Insofern ist der

Bannbruch bereits nach § 369 I Nr. 1 AO Steuerstraftat. Soweit es sich um nichtsteuerliche

Verbote der Ausfuhr-, Durchfuhr handelt, ist der Bannbruch eine gekorene Steuerstraftat.

Insofern ist also § 369 I Nr. 2 AO konstitutiv. Hier besteht auch die besondere Beziehung (s.

Pfeil in der Zeichnung) zwischen § 373 AO zu § 374 AO. § 374 AO kann als Vortat eine

Tat nach § 373 AO (gewerbsmäßiger Bannbruch) haben, nicht aber nach § 372 AO - deshalb

nicht, weil § 372 (allein) nicht in § 374 I AO erwähnt ist, sondern, folgerichtig, nur i. V. m. §

373 AO. § 372 AO (allein) kann als Vortat der Steuerhehlerei (§ 374 AO) nicht herhalten,

weil an Erzeugnissen i. S. des § 372 AO keine Verbrauchsteuern oder Einfuhrabgaben

hinterzogen werden können, sondern weil die Vorschrift (außersteuerliche) Einfuhr-, Ausfuhr-

und Durchfuhrbestimmungen betrifft. Daher kommt die Beziehung zwischen „Bannbruch―

und § 374 AO nur unter Vermittlung des § 373 AO (gewerbsmäßiger Bannbruch) zustande.

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Daher in der Skizze bei dem Pfeil vom „Bannbruch― zu § 374 AO zusätzlich das Kästchen

„§ 373―.

Unter den natürlichen Steuerstraftaten finden Sie auch die Zollstraftaten. Das folgt aus der

Definition in § 3 III AO.

Steuerstraftat ist auch (letztes Kästchen rechts in der Zeichnung) die Begünstigung, die eine

Steuerstraftat nach den vorangegangenen Nummern 1 bis 3 als Vortat hat, also nicht jede

Begünstigung.

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V. Organisation der Finanzverwaltung

Die Länder verwalten die Besitz- und Verkehrsteuern, der Bund Zölle, EUSt und besondere

Verbrauchsteuern.

Das folgende Bild 10 ist sozusagen das „Idealbild― einer Oberfinanzdirektion, vgl. § 8 II FVG

in der bis zum 2. Änderungsgesetz vom 13. 12. 2007 geltenden Fassung. Im Zuge der

Sparmaßnahmen sind Bund und Länder von der bisherigen Organisation dazu übergangen,

Zoll und Steuern zum Teil zu trennen und nicht an jeder Oberfinanzdirektion eine Zoll- und

Steuerabteilung - von den Landesvermögensabteilungen und Bundesvermögensabteilungen

ganz zu schweigen - einzurichten. Nach § 8 III FVG (Finanzverwaltungsgesetz) können

Aufgaben einer OFD durch RechtsVO auf eine andere OFD übertragen werden. Das ist durch

die VO vom 04.03.1998 (BGBl I, 407) geschehen.

Die Zusammenfassung von Zoll und Steuern, also von Bundes- und Landesverwaltung in

einer gemeinsamen Mittelbehörde ist nicht durch Sachzwänge geboten, vielmehr historisch zu

erklären (hervorgegangen aus der „Reichsfinanzverwaltung―, die nach dem ersten Weltkrieg

die Reichszollverwaltung und die Reichssteuerverwaltung umfasste; die Ministerialdirektoren

der Länder mussten beim Oberfinanzpräsidenten der Reichsfinanzverwaltung gleichsam

„betteln gehen―, wenn sie Zuwendungen für die Länder abzweigen wollten). Erst ab 1. 1.

2008 hat der Gesetzgeber – bedingt durch Sparzwänge diesen Anachronismus der

Zusammenfassung von Bundes- und Landesfinanzverwaltung abgeschafft. Nicht Vernunft,

sondern Geldmangel hat dies bewirkt. Dazu vgl. unten.

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Bild 10

Überholt, was die Zollfahndung angeht, vgl. unten unter III 1.

Die Position des Oberfinanzpräsidenten (Behördenchef der Oberfinanzdirektion (OFD)) ist

nicht nur wegen der Besoldungsgruppe (B 7, jedenfalls was die großen OFDs angeht) beliebt,

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sondern auch beamtenrechtlich interessant, weil der OFP sowohl Bundes- als auch

Landesbeamter war (daher: „Januskopf―). Er wurde im Einvernehmen zwischen Bund und

Land ernannt, bekommt allerdings das Gehalt vom Land.

Für Bund und Länder ist der Behördenaufbau im FVG geregelt.

Oberste Behörde ist der Bundesminister der Finanzen, den Behörden nachgeordnet sind u. a.

das Bundesamt für Finanzen mit zentralen Aufgaben auf dem Gebiet der internationalen

Besteuerung. Die Oberfinanzdirektionen waren (Bundes- und Landes-) Mittelbehörden (auf

Landesebene vergleichbar den Regierungspräsidenten). Die Oberfinanzdirektion gliederten

sich regelmäßig in 4 Abteilungen (Vermögen Bund, Vermögen Land, Zollabteilung,

Steuerabteilung) mit jeweils einem Finanzpräsidenten an der Spitze. Der Oberfinanzpräsident

war zugleich Bundes- wie auch Landesbeamter und wurde im Einvernehmen zwischen Bund

und Land ernannt (Finanzpräsidenten Bund und Land ―wechseln sich ab‖). Den Finanzämtern

auf Landesebene entsprechen die Hauptzollämter, beide geleitet durch den „Vorsteher‖17

. Das

Finanzamt gliedert sich in Sachgebiete, geleitet durch ―Sachgebietsleiter‖ (meist Angehörige

des höheren Dienstes, zumindest für bestimmte herausragende Sachgebiete, wie z. B.

Körperschaften). Den Hauptzollämtern sind die Zollämter, Kommissariate nachgeordnet.

Die Oberfinanzdirektion (OFD) ist jetzt nur noch eine Mittelbehörde der

Landesfinanzverwaltung in Deutschland.

Die Oberfinanzdirektion steuert und unterstützt Finanzämter und Staatliche Hochbauämter in

ihrem Zuständigkeitsbereich als ihr nachgeordnete Ämter.

Übergeordnete Behörde ist das Landesfinanzministerium (bzw. der Senator für Finanzen) des

jeweiligen Bundeslandes. Im Zuge der Verschlankung der Verwaltung (vgl.o. § 8 III FVG)

wurden in einigen Bundesländern (beispielsweise Berlin, Hamburg, Mecklenburg-

Vorpommern) die Landesabteilungen der Oberfinanzdirektionen aufgelöst und deren

Aufgabengebiete direkt in die jeweilige Landesfinanzverwaltung eingegliedert. In Thüringen

wurde die ehemalige Oberfinanzdirektion Erfurt in die Thüringer Landesfinanzdirektion

überführt, in Bayern existiert anstatt der vorigen OFDen München und Nürnberg das

Bayerische Landesamt für Steuern.

Bis zum 31. Dezember 2007 waren die Oberfinanzdirektionen auch Mittelbehörden der

Bundesfinanzverwaltung und zuständig für die Hauptzollämter. Die entsprechenden

Bundesabteilungen wurden aufgelöst und fünf Bundesfinanzdirektionen eingerichtet. Die

Hauptzollämter werden diesen Bundesfinanzdirektionen, mit zum Teil geänderter

Zuständigkeit, angegliedert. Die verbliebenen Oberfinanzdirektionen werden dadurch reine

Landesbehörden. Quelle: BGBl 2007, I, S. 2897. Bereits zum 1. Januar 2005 waren die

Aufgaben der früheren Bundesvermögensverwaltung (mit den Bundesforst- und den

Bundesvermögensämtern) der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) übertragen

worden.

17 Eine liebenswerte traditionsreiche Bezeichnung, die sich nur noch die Finanzverwaltung für einen Amtsleiter

leistet (von den Anwärtern auch als „prostata communis―, der gemeine Vorsteher, bezeichnet). In Preußen gab es den „Amtsvorsteher― (verkörpert etwa in der Figur des „Wehrhahn― im Biberpelz von Gerhard Hauptmann).

Andere Verwaltungen sprechen von „Leiter―, „Direktor― pp. Seit Juli 2002 heißt der Vorsteher des

Hauptzollamts nicht mehr Vorsteher, sondern ―Leiter―, womit die Zollverwaltung ein Stück Tradition

aufgegeben hat.

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Verbliebene Oberfinanzdirektionen

Bundesland Oberfinanzdirektion

Baden-Württemberg Karlsruhe

Hessen Frankfurt am Main

Niedersachsen Hannover

Nordrhein-Westfalen Münster und Rheinland (Sitz: Köln)

Rheinland-Pfalz Koblenz

Sachsen Chemnitz

Sachsen-Anhalt Magdeburg

In NRW gliedert sich die Landesfinanzverwaltung in die OFD Rheinland mit dem Sitz in

Köln und die OFD Münster.

Nach dem zum 1. 1. 2008 in Kraft getretenen geänderten FVG18

werden als neue

Mittelbehörden der Bundesfinanzverwaltung neben dem ZKA "Bundesfinanzdirektionen"

als neue Mittelbehörden eingerichtet. Die OFD sind nur noch Landesfinanzbehörden. Die

bisherigen Bundesabteilungen der OFD Chemnitz, Cottbus, Hannover, Hamburg, Karlsruhe,

Koblenz, Köln und Nürnberg sind aufgelöst. Aufgaben und Personal gehen auf die BFDen

über. Eine BFD (gegliedert in eine Abteilung "Zentrale Facheinheit" und eine Abteilung

"Rechts- und Fachaufsicht") leitet in ihrem Bereich die Finanzverwaltung des Bundes mit

Ausnahme des Zollfahndungsdienstes.

Die Bundesfinanzdirektionen haben nach Beschluss des Grobkonzeptes zur Zukunft der

Bundesfinanzverwaltung des Bundesfinanzministeriums vom 6. November 2006 und der

Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes zum 1. Januar 2008 die Bundesabteilungen der

bisherigen Oberfinanzdirektionen ersetzt.

Die Standorte der 5 Bundesfinanzdirektionen sind:

Hamburg (BFD Nord)

HZÄ: Hamburg-Hafen, Hamburg-Jonas, Hamburg-Stadt, Itzehoe, Kiel, Stralsund, Oldenburg und

Bremen

18 Zweites Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze v. 13. 12. 2007, BGBl I, S.

2897

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Köln (BFD West)

HZÄ: Münster, Aachen, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Köln, Krefeld, Frankfurt am Main Flughafen

und Gießen

Neustadt an der Weinstraße (BFD Südwest)

HZÄ: Koblenz, Heilbronn, Karlsruhe, Lörrach, Singen, Stuttgart, Ulm, Saarbrücken und Darmstadt

Nürnberg (BFD Südost)

HZÄ: Erfurt, Landshut, München, Nürnberg, Regensburg, Rosenheim, Schweinfurt und Augsburg

Potsdam (BFD Mitte)

HZÄ: Berlin, Frankfurt an der Oder, Potsdam, Dresden, Hannover, Magdeburg, Braunschweig,

Bielefeld und Osnabrück.

Die bisherigen Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen der Oberfinanzdirektionen Chemnitz (in

Dresden), Hannover, Karlsruhe (in Freiburg im Breisgau), Koblenz (in Neustadt an der

Weinstraße), Cottbus (in Potsdam), Hamburg, Köln und Nürnberg wurden aufgelöst und die

angeschlossenen Hauptzollämter (HZÄ) auf die Bundesfinanzdirektionen neu aufgeteilt.

Teilweise wurden auch Hauptzollämter der Bundesfinanzdirektionen an andere

Bundesfinanzdirektionen abgegeben, um die Aufteilung der Bezirke gleichmäßiger zu

gestalten. Ziel war es, das Arbeitsaufkommen gleichmäßig auf die zukünftigen

Bundesfinanzdirektionen zu verteilen. Näher die Zusammenfassung von Möhrenschlager,

wistra 2008, VI (Bericht aus der Gesetzgebung).

Die Bundesfinanzdirektionen haben nicht nur horizontales (gegenüber ihren nachgeordneten

Behörden) sondern z. T. auch vertikales Weisungsrecht in Fachfragen gegenüber anderen

BFD. Wenn z. B. eine BFD federführend Zollrecht bearbeitet, ist sie gegenüber anderen BFD

weisungsbefugt. Andere bearbeiten wiederum Verbrauchsteuern und sind auf diesem Gebiet

weisungsbefugt gegenüber anderen BFD.

Die Bundesfinanzverwaltung:

―Der Zoll‖ - die Bundesfinanzverwaltung - verwaltet Zölle, die EUSt, besondere

Verbrauchsteuern und sonstige Einfuhrabgaben, die Ausfuhrabgaben. Die Finanzämter

verwalten Besitz- und Verkehrsteuern.

Daneben hat die Zollverwaltung vielfältige andere Aufgaben, wie z. B. nach dem

Außenwirtschaftsrecht, Kriegswaffenkontrollrecht, Mitwirkung beim Artenschutz (§

372 AO), Zollgrenzdienst, im Benehmen mit dem BGS bzw. der Bayerischen

Grenzpolizei; Ordnungsbehörde im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes,

Vollstreckungsbehörde für andere Bundesbehörden und -anstalten.

1. Zölle sind Abgaben, die nach Maßgabe des Zolltarifs bei der Warenbewegung über

die Grenze erhoben werden. Zweck der Erhebung ist es, die eingeführten Waren zu

verteuern (Schutzzollcharakter). Im Handel der EG-Staaten untereinander werden

Zölle nicht erhoben, wohl aber gegenüber Drittstaaten Einfuhrzölle nach Maßgabe des

gemeinsamen Zolltarifs der EG (Verordnung Nr. 2658/87 des Rates). Das frühere

Deutsche Zollgesetz und die Allgemeine Zollordnung gelten nicht mehr, statt dessen

der Z o l l k o d e x (Verordnung des Rates Nr. 2913/92, abgedruckt bei Dorsch,

Kommentar zum Zollrecht; Witte, Kommentar zum Zollkodex, 3. Aufl. 2002). Der

ZK erfasst alle Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, die auf EG-Recht beruhen.

Die bei der Einfuhr erhobene Umsatzsteuer (EUSt) wird vom Zoll, die Umsatzsteuer

vom Finanzamt verwaltet. Also: unterschiedliche Zuständigkeiten trotz wesensmäßig

gleichen Entstehungstatbestandes.

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2. Abgaben zu Marktordnungszwecken sind Einfuhr- und sonstige Abgaben zur

Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik für Waren landwirtschaftlicher Bereiche.

Dafür sind Marktordnungen geschaffen (MO), z. B. MO Getreide, Milch, Rindfleisch,

die durch Abschöpfungssysteme den Agrarmarkt in der EG regulieren sollten. Bei der

Einfuhr glichen die Abschöpfungen den Unterschied zwischen hohem EG-Preisniveau

und niedrigem Weltmarkt-Niveau aus. Die Differenz wurde bei der Einfuhr als

Abschöpfung erhoben und bei der Ausfuhr dem Exporteur erstattet. Hierfür galt das

Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG). Nach dessen

§ 12 I galt für Abgaben zu Marktordnungszwecken die AO und damit auch § 370 AO

entsprechend. Das MOG gilt weiter, nur Abschöpfungen werden derzeit nicht erhoben,

wohl aber andere Abgaben, vgl. den traurigen Fall des Landwirts, oben im Skript

hinter Bild 9. Auch derartige Abgaben wie die Milchmengengarantieabgabe, um die es

in der Entscheidung des LG Kassel ging, verwaltet der Zoll. Die Zollverwaltung führt

auch die Steueraufsicht, macht Kontrollbesuche zwecks Kontrolle der Milchmenge,

trifft z. B. den Landwirt u. a. Personen beim "Probemelken" an, vgl. BFH v. 4. 12.

2006, VII B 316/05, ZfZ 2007, 78.

Näher: Hellmann, S. 2 f.

3. Die Einfuhrumsatzsteuer wird im Gegensatz zur Umsatzsteuer durch das

Hauptzollamt verwaltet. Sie ist weder Zoll noch zollgleiche Abgabe, unterliegt daher

der nationalen Steuerhoheit. Der Zollkodex gilt nur für EG-Abgaben. Rechtsgrundlage

für die EUSt ist § 21 Umsatzsteuergesetz. Dessen Abs. 1 sagt: „Die

Einfuhrumsatzsteuer ist eine Verbrauchsteuer im Sinne der AO‖. Die Zollvorschriften

gelten sinngemäß (§ 21 UStG, selbst dann, wenn gar kein Zoll zu erheben ist).

Teilweise gelten die Zollvorschriften sogar unmittelbar für die EUSt, so z. B. die

Vorschriften über den Zollwert bei der Ermittlung des EUSt-Werts (§ 11 I UStG).

Einfuhrumsatzsteuer wird für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr seit

01.01.1993 nicht mehr erhoben, wohl aber bei Drittlandseinfuhren nach Deutschland.

Hier bleibt es bei der bisherigen Regelung, d. h. Zuständigkeit der Zollverwaltung.

4. Besondere Verbrauchsteuern

Das sind nationale Steuern, die an den Verbrauch bestimmter Waren im nationalen

Erhebungsgebiet geknüpft sind (Bier-, Branntwein-, Tabak-, Schaumwein-,

Mineralölsteuer) als EG-weit harmonisierte Steuern, ferner die Kaffeesteuer als nicht

harmonisierte Verbrauchsteuer in Deutschland. Die kleinen Verbrauchsteuern

(Leuchtmittel, Salz, Zucker, Tee), sind im Rahmen der Verbauchsteuerharmonisierung

aufgehoben worden.

Zum Vorstehenden vgl. Witte / Wolffgang TZ 129 ff.. Bei der Einfuhrumsatzsteuer

werden die Zollvorschriften nach § 21 II UStG sinngemäß angewandt, bei den

Sonderverbrauchssteuern gilt die sinngemäße Anwendung der EG-Vorschriften.

Die Landesfinanzverwaltung:

Die Finanzämter - also die Landesfinanzverwaltung - verwalten die Besitz- und

Verkehrsteuern.

1. Besitzsteuern sind:

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- Steuern vom Einkommen (Einkommen- und Körperschaftsteuer einschließlich

Solidaritätszuschlag). Lohnsteuer ist eine Unterart der Einkommensteuer (im

Lohnabzugsverfahren erhoben),

- Erbschaftsteuer,

- Vermögensteuer (abgeschafft)

2. Verkehrsteuern sind:

- Realverkehrsteuern (z. B. Kfz-Steuer)

- Rechtsverkehrsteuern wie z.B. die Grunderwerbsteuer, die (abgeschaffte)

Wechselsteuer).

Im übrigen weise ich Sie auf das Skript von Vormbaum/Haumann hin, herunterzuladen von

der homepage der FernUni Hagen (Weiterbildungsstudium Steuerstrafrecht), dort S. 20:

„Schließlich findet Steuerverwaltung auch in den Städten und Gemeinden statt. Dies

betrifft die kommunalen Steuern wie Gewerbesteuer, Grundsteuer und die kleineren

gemeindlichen Steuern (Hundesteuer).

In diesem Zusammenhang sollte man sich auch immer wieder vergegenwärtigen, dass

trotz dieser begrenzten tatsächlichen Bedeutung schon der Kämmerer jeder (!) mittelgroßen

Stadt in der Besoldung deutlich über einem Finanzpräsidenten angesiedelt ist,19

der für das Funktionieren dutzender Finanzämter mit einem zu verwaltenden Steueraufkommen

in Milliardenhöhe verantwortlich ist. Betrachtet man dies und die schon

zuvor kurz aufgeworfene Frage nach der tatsächlich verbliebenen Bedeutung der einzelnen

Länderparlamente, so kann man durchaus von einem – sich selbst versorgenden

– Apparat sprechen, in dem gewaltiges Einsparpotenzial vorhanden ist.“

Die Fahndung ist in Bund und Land unterschiedlich organisiert, vgl. Joecks,

Steuerstrafrecht, S. 121; Streck, Die Steuerfahndung, 2. Aufl. 1993, TZ 34 ff. Beim Zoll war

das Zollfahndungsamt gleichgeordnet mit dem Hauptzollamt und unterstand wie die

Hauptzollämter der OFD. Regelmäßig hatte eine OFD ein Zollfahndungsamt. Sie waren

selbständige Bundesbehörden (wie die Hauptzollämter) und als örtliche

Bundesfinanzbehörden in §§ 1 I Nr. 4, 12 I FVG und in § 6 II Nr. 5 AO (dort als selbständige

Finanzbehörden bezeichnet) erwähnt. Heute ist die Fahndung dem Zollkriminalamt (ZKA),

hervorgegangen aus dem früheren Zollkriminalinstitut, über dessen legendären einstigen

Leiter Franzheim noch heute Historien kursieren, zugeordnet. Für die Steuerfahndung

(Steufa) fehlt eine entsprechende Organisationsregelung im FVG und in der AO. Sie hat keine

Behördeneigenschaft und ist unselbständige Dienststelle der Landesfinanzbehörden. In NRW

ist die Steuerfahndung nunmehr mit den früheren Straf- und Bußgeldstellen zusammengefasst

in den Finanzämtern für Strafsachen und Fahndung, abgekürzt StraFAFA in NRW (im Bezirk

der OFD Münster in Bielefeld, Bochum, Hagen und Münster gelegen)20

, FaFuSt in Nds. In

anderen Bundesländern ist die Steufa als unselbständige Dienststelle in ein Finanzamt

eingegliedert. Die Finanzämter für Strafsachen und Fahndung umfassen den Bezirk mehrerer

Veranlagungsfinanzämter. Sie sind wie diese in Sachgebiete gegliedert.

19 Die gegenüber der staatlichen Verwaltung unverhältnismäßig höhere Besoldung der kommunalen

Wahlbeamten liegt (in NRW) an der Eingruppierungsverordnung, wonach z.B. Beigeordnete in Städten mit

einer Einwohnerzahl von über 500.000 in die Besoldungsgruppen B7 bis B9 einzugruppieren sind. 20 Die Bochumer Diss. Stefan Cassone, Die Zulässigkeit einer gesonderten Steuerstrafverfolgung, 2009, hält die StraFAFA unbedenklich für zulässig, weil sie unter "Steuerverwaltung" auch die Strafverfolgung

zählt. Damit ist das Strafsachenfinanzamt ein Finanzamt wie jedes andere, und Probleme hinsichtlich der

Zulässigkeit dieser Ämter lösen sich auf. M.E ist diese Argumentation aber m. E. nicht tragfähig, weil die

Voraussetzung nicht stimmt: Strafverfolgung ist nicht Teil der Steuerverwaltung

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Zur Stellung des ZKA seit dem ZFnrG vom 10.08.2002 vgl. im Skript D II 1.

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B. Allgemeine Lehren

Bild 11

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat in Art. 49 I 1 und 2 den Grundsatz

nulla poena sina lege übernommen. Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der Charta vgl.

Streinz, EUV / EGV, 2003, Vorbem. GR- Charta Tz. 4 ff. Folgt man dem BVerfG, ist die

obige Zeichnung falsch, denn nach der Entscheidung 2 BvR 1481/04 hat die MRK nicht

Verfassungsrang, sondern steht nur im Rang eines Bundesgesetzes, denn sie war durch Gesetz

in deutsches Recht zu transponieren.

I. Die Garantiefunktion der Tatbestände

Für das Steuerstrafrecht gelten die allgemeinen Gesetze über das Strafrecht und damit auch §

1 StGB:

„Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war,

bevor die Tat begangen wurde.―

Selbst wenn es § 1 StGB nicht gäbe, folgte dies aus Art. 103 II GG, der Art. 7 I EMRK

entspricht. In der folgenden Übersicht finden Sie deshalb zu oberst das höchstrangige Recht,

nämlich GG und MRK, die beide die Garantiefunktion der gesetzlichen Straftatbestände

festlegen, während der (einfachgesetzliche) § 1 StGB dies nur konkretisiert. Art. 49 I 1 und 2

der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthält den Grundsatz n. p. s. l. Zur

Frage der Rechtsverbindlichkeit der Charta vgl. Streinz, EUV/EGV, 2003, Vorbem. GR-

Charta, TZ 4 ff.

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Der Grundsatz

nulla poena sine lege scripta, stricta, certa, praevia

enthält zweierlei:

- nullum crimen sine lege,

- nulla poena sine lege (im engeren Sinn).

D. h.:

- keine Tat darf für strafbar erklärt werden (crimen), es sei denn, das Gesetz

ordne dies an;

- keine Strafe darf verhängt werden (poena), es sei denn, das Gesetz ordne dies

an.

Das Gebot richtet sich an den Richter und an den Gesetzgeber.

- Der Richter darf nur nach geschriebenem Gesetz (srcipta), nicht nach

Gewohnheitsrecht oder in Analogie bestrafen (verurteilen),

- der Gesetzgeber darf nur solche Strafgesetze erlassen, die das strafbare

Verhalten stricte et certe (also bestimmt und genau) umschreiben.

1. Certa et stricta muss die lex sein.

Kirchhof, StuW 2002, 185 (196): „Haben steuerrechtliche Normen nicht nur monetäre

Belastungskonsequenzen, sondern drohen auch strafrechtliche Folgen, sind dieselben

Anforderungen an die Präzision ihres Textes zu stellen wie an das Strafgesetz selbst, denn

beide wirken im Ensemble zur Bestrafung zusammen. Damit wird das Steuergesetz als

Bestandteil einer Strafrechtsnorm unter das strengere Regime des Art. 103 Abs. 2 GG gestellt.

Wenn Steuerrechtsnormen offene Rechtsbegriffe, Bewertungsleitlinien oder typische

Fallgruppen im Tatbestand verwenden, genügt das für die Begründung von Steuern, weil

lediglich monetäre Folgen ausgelöst werden. Sie reichen aber nicht mehr für eine Bestrafung

aus, denn die Ausübung staatlicher Strafgewalt bedarf eines präzisen Tatbestandes. In der

verfassungsrechtlichen Prüfung hat diese notwendige Differenzierung zwischen monetärer

und strafrechtlicher Rechtsfolge noch nicht Beachtung gefunden.― –

Kirchhof will also das Steuerrecht als sanktionsdurchzogenes Recht unter dem Vorbehalt des

NPSL-Grundsatzes stellen. Das ist in der Tat eine völlig neue Sicht. Es wäre aufschlussreich,

im Einzelfall zu untersuchen, welche steuerliche Ausfüllungsnorm dem strafrechtlichen

Bestimmtheitserfordernis nicht genügt. Setzt sich die Auffassung von Kirchhof durch, würde

gewiss der Anwendungsbereich des § 370 AO wesentlich eingeschränkt, weil dann bestimmte

Steuervorschriften als Ausfüllungsnormen nicht mehr taugten. – Der Landwirtfall nach dem

MOG (oben im Skript hinter Bild 5) müsste dann auch anders entschieden werden.

Zum Grundsätzlichen:

„Der Volksschädling wird bestraft...―.

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Klar ist, dass eine solche unbestimmte Regelung gegen Art. 103 II GG verstieße. Wie verhält

es sich mit:

„Der Steuerhinterzieher wird bestraft...―?

Umschreibt also „der Steuerhinterzieher― den gesetzlichen Tatbestand hinreichend? Man

könnte auch sagen: „Wer ... Steuern hinterzieht ...―. Frage also: Umschreibt „hinterziehen―

den Tatbestand ausreichend? Oder: „Wer Steuern verkürzt ...― ist also „Steuerverkürzung―

eine hinreichende Umschreibung des Tatbestandes?

Das ist nicht so ganz klar, denn schließlich haben wir lange Jahre mit einer solchen

Tatbestandsumschreibung gelebt, im alten § 359 AO hieß es nämlich:

„Wer ... bewirkt, dass Steuereinnahmen verkürzt werden, wird wegen

Steuerhinterziehung ... bestraft.―

Hier finden Sie die Begriffe „Verkürzung― und „Hinterziehung― zusammen, allerdings ist die

Hinterziehung nicht selbst definiert, sondern nur durch die Verkürzung umschrieben, so dass

letztlich nur übrig bleibt:

„Wer Steuereinnahmen verkürzt―.

Freilich enthielt das Gesetz wie auch heute (fast) eine Definition, weil es in einem der

folgenden Absätze hieß (ähnlich heute Abs. 4 des § 370 AO):

„Es genügt, dass ... ein geringerer Steuerbetrag festgesetzt ... wurde―.

Aus der Formulierung „es genügt―, war aber zu schließen, dass es einen weiteren,

möglicherweise einen Oberbegriff der Steuerverkürzung geben sollte, der eben nicht durch

die Festsetzungsverkürzung definiert war, so dass sich die Tatbestandsumschreibung letztlich

auf das Bewirken einer Steuerverkürzung beschränkte.

Der Abs. 1 des § 359 AO lautete vollständig:

„Wer zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen nicht gerechtfertigte

Steuervorteile erschleicht oder vorsätzlich bewirkt, dass Steuereinnahmen verkürzt

werden, wird wegen Steuerhinterziehung ... bestraft―.

Für Enno Becker, den Schöpfer der AO, folgte aus dem Zusammenspiel der Merkmale

„Erschleichen―, „Verkürzen― und „Steuerhinterziehung― eine gewisse Konkretisierung der

Tathandlung.

„Die Worte „verkürzen―, „erschleichen― und Steuerhinterziehung weisen darauf hin,

dass ein negatives Verhalten nicht genügt, sondern dass die Grundformen des

verbrecherischen Handelns vis ... oder fraus in irgendeiner Weise in die Erscheinung

treten müssen. Der Täter muss fraudulos in den natürlichen Gang der Dinge zum

Nachteil des Reichs eingreifen. ... grade die Tatbestandsmerkmale „verkürzen―,

„erschleichen― und „Hinterziehung― werden bei der Anwendung des § 359 AO

verhüten, das Fälle erfasst werden, die nicht mit diesem Namen belegt werden können.―

(Enno Becker, Reichsabgabenordnung, 3. Aufl. 1924, S. 688 f.)

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Der moderne Gesetzgeber hat versucht, dem Bestimmtheitsgebot dadurch gerecht zu werden,

dass die Tathandlung in § 370 I Nr. 1 bis 3 umschrieben wird und das Verkürzungsmerkmal

sein subjektives Unrechtselement (das Enno Becker in dem obigen Zitat anspricht) verloren

hat. Die Festsetzungsverkürzung ist zur Definition erhoben (Abs. 4 des heutigen § 370 AO),

leider mit der Einschränkung durch das Wörtchen „namentlich―, so dass das Gesetz davon

ausgeht, dass daneben ein erweiterter Verkürzungsbegriff existiert - von dem nur keiner sagen

kann, wie er aussieht.

Die Tatbestände der §§ 185 („die Beleidigung wird … bestraft―), 240 StGB sind ebenfalls

insoweit problematisch, als fraglich ist, ob sie dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen (Wessels

/ Beulke, Strafrecht AT, TZ 47); dasselbe gilt für die Fahrlässigkeitstatbestände (wenn man

der These anhängt, diese seien offene Tatbestände und müssten durch den Richter für den

konkreten Fall erst ausgefüllt werden).

Beispiel:

Nach § 222 StGB wird bestraft, wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen

verursacht. - Der Autofahrer A fährt durch eine geschlossene Ortschaft. Ein Kind

springt ihm vor den Pkw und wird tödlich verletzt. - Der Tatbestandserfolg (Tod eines

Menschen) ist durch die Handlung des A (Fahren mit dem Pkw) eingetreten. Das

Fahren ist conditio sine qua non für den Tod des Kindes. § 222 StGB bestraft aber nicht

das „Fahren mit dem Pkw―, sondern nur eine Handlung, die die im Verkehr

erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (und dadurch den Erfolg verursacht). Welche

Handlung dies ist, legt das Gesetz nicht fest, das kann es auch nicht, weil die möglichen

Sorgfaltsverletzungen, die den Tod eines Menschen nach sich ziehen können, so

vielfältig sind, dass ein Gesetz sie nicht im einzelnen zu umschreiben vermag. Aus

diesem Grund werden die Fahrlässigkeitstatbestände mit unter als „offene Tatbestände―

angesehen. Es obliegt dem Richter zu ermitteln, ob die konkrete Tathandlung die im

Verkehr erforderliche Sorgfalt objektiv missachtet hat, ob also z. B. das Fahren mit

30 km/h (oder erst mit 40, 50 oder mehr?) durch eine geschlossene Ortschaft, wenn die

Straßenränder durch parkende Fahrzeuge verdeckt (oder nur teilweise verdeckt) sind

sorgfaltswidrig und damit tatbestandsmäßig ist.

Beispiel aus dem Steuerstrafrecht:

Nach § 378 I AO handelt ordnungswidrig, wer ... § 370 I AO leichtfertig begeht. Die

Leichtfertigkeit ist eine besondere Form der Fahrlässigkeit. Auch hier kann die

jeweilige Tathandlung nicht im einzelnen certe et stricte umschrieben werden.

Fall 5 - nach Dörn, wistra 1994, 217:

Angestellter A eines Steuerbüros macht bei der Erstellung der Gewinn- und

Verlustrechnung für den Mandanten M einen groben Fehler. Den zu niedrig ermittelten

Gewinn trägt er in die Steuererklärung ein. Steuerberater S kontrolliert nur

überschlägig, merkt den Fehler nicht und versieht die Erklärung mit seinem

Mitwirkungsvermerk. Dadurch wird die Einkommen- und Gewerbesteuer des

Mandanten M zu niedrig festgesetzt. Hat S § 378 AO erfüllt? - Unterstellen Sie einmal,

dass die Unterzeichnung des Mitwirkungsvermerks conditio sine qua non für die zu

niedrige Festsetzung ist. Dann entsteht die Frage, ob es ordnungswidrig ist, als Berater

diesen Vermerk anzubringen, wenn ein Angestellter den Gewinn unrichtig ermittelt und

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diesen in die Erklärung eintragen hat? Oder beginnt die Leichtfertigkeit (grobe

Sorgfaltswidrigkeit) erst dann, wenn S schon aus vorangegangenen Fällen wusste, dass

A unsorgfältig arbeitet, er der Überwachung bedarf usw. D. h. auch hier muss im

konkreten Fall herauskristallisiert werden, welche Handlung leichtfertig ist, so dass der

gesetzliche Tatbestand (fallbezogen) lauten könnte:

„Ordnungswidrig handelt, wer als Berater von dem als bekannt schlampig

arbeitenden Steuerberatergehilfen M Zahlenmaterial ungeprüft übernimmt und

eine solche Erklärung, versehen mit dem Mitwirkungsvermerk, dem Finanzamt

einreicht.―

Sieht man die Konstruktion der Fahrlässigkeits- und natürlich der Leichtfertigkeitstatbestände

so, dann sind sie auch eine Art „Blankettvorschriften―, nur, dass die Ausfüllungsnorm erst

durch den Richter im konkreten Fall „gekoren― wird. Im Gegensatz zu den

Ausfüllungsnormen, den geborenen, die sich in Gesetzen und Verordnungen bereits

niedergelegt finden.

Lit.: Duttge, Zur Verantwortlichkeit des gutgläubigen Steuerberaters nach §

378 AO, wistra 2000, 201.

2. Die lex muss scripta sein.

Das bedeutet: Verbot der Analogie zum Nachteil des Täters (Analogie zugunsten ist stets

zulässig).

Verboten ist die Ausdehnung eines Strafgesetzes auf einen vom Gesetz nicht geregelten Fall,

auch wenn dieser dem Sachverhalt nach dem vom Gesetz geregelten so sehr ähnelt, dass eine

Anwendung des Gesetzes auf diesen Fall sinnvoll erscheint. Problem: Abgrenzung zur

Auslegung. Auslegung fragt nach der Reichweite einer Norm, dehnt sie aber nicht aus.

Theoretisch ist die Unterscheidung klar, in der Praxis aber schwierig.

Fall 6:

A injiziert dem todkranken B auf dessen dringende Bitte eine tödliche Dosis Morphium.

Strafbar nach § 216 StGB.

A übergibt dem B die Spritze. B injiziert sich selbst die tödliche Dosis.

Der Selbstmord des B ist nicht strafbar. Mangels Haupttat keine Bestrafung der Beihilfe

durch A.

Die Erwägung, daß die „Beihilfe zum Selbstmord― „analog― nach § 216 StGB zu bestrafen

sei, ist strafrechtlich unzulässig.

Fall 7 - aus dem Zollstrafrecht:

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A wohnt nahe der Schweizer Grenze und schmuggelt täglich bei Rückkehr von der

Arbeit aus der Schweiz Zigaretten ein. Dabei macht er gute Geschäfte.

Er hinterzieht Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Tabaksteuer, alles Einfuhrabgaben (§ 1 I

Zollverwaltungsgesetz). Da A gewerbsmäßig handelt, trifft ihn die schwere

Strafdrohung aus § 373 I AO. Hiernach wird bestraft, wer gewerbsmäßig

Eingangsabgaben hinterzieht.

Ein Kollege von A, nämlich F, macht im Prinzip das gleiche, nur dass er in der

Bundesrepublik in einer Zigarettenfabrik arbeitet. Er schmuggelt also die Zigaretten

nicht über die Grenze, sondern aus der Fabrik, d. h. er entfernt sie heimlich aus dem

„Herstellungsbetrieb―. Mit der Entfernung aus dem Herstellungsbetrieb entsteht aber die

Tabaksteuer (vom Diebstahl wollen wir hier nicht reden).

Merke für später: Die Tabaksteuer ist eine der wenigen Steuern, die ohne Festsetzung

entsteht und bei Erfüllung der Verbotstatbestände sofort fällig wird. Das

war früher beim Zoll auch der Fall, heute indessen ist der Zoll eine

reine Veranlagungsteuer. F hat also keine Eingangsabgaben

hinterzogen, allerdings die (innerstaatliche) Verbrauchsteuer in Gestalt

der Tabaksteuer und der Umsatzsteuer.

Sowohl A als auch F hätten die Einfuhrumsatzsteuer bzw. die Umsatzsteuer jeweils erklären

müssen (Verkürzung i. S. der Festsetzungsverkürzung, Abs. 4 des § 370 AO). Die

Tabaksteuer ist von Gesetzes wegen fällig geworden. Durch das Schaffen über die Grenze

bzw. aus dem Herstellungsbetrieb ist - ohne dass es auf eine Festsetzung ankäme - die Steuer

bereits verkürzt.

Zurück zum Fall:

A und F begehen also im wesentlichen gleiches Handlungsunrecht, dennoch wird F nicht wie

A nach § 373 AO bestraft, sondern nur nach der milderen Bestimmung des § 370 AO. Die

Strafschärfung für die gewerbsmäßige Begehungsart ist auf F nicht anzuwenden, weil F

keine Eingangsabgaben hinterzogen hat, sondern nur innerstaatliche (Beispiele von Bender,

TZ 2).

So sehr also die Gleichartigkeit der Fälle gleichartige strafrechtliche Behandlung „erheischt―,

so sehr muss sich der Strafrechtler, gestützt auf Art. 103 GG, die Analogie zu Ungunsten des

Täters versagen. Abhilfe konnte hier nur der Gesetzgeber schaffen. Das hatte er mit der

Einfügung des neuen (inzwischen wieder aufgehobenen) § 370 a AO a. F. getan, wonach

auch die gewerbsmäßige Steuerverkürzung qualifiziert war. Man könnte aber daran denken,

auf die Tat des A nicht § 373 AO, sondern nur § 370 AO anzuwenden, jedenfalls soweit es

sich um Tabak- und Einfuhrumsatzsteuer handelt, weil insoweit § 373 AO Gleiches ungleich

behandelt.

Nebenbei bemerkt: Sie werden sich aus dem allgemeinen Strafrecht daran erinnern, dass die

Bestimmung über die Strafbarkeit der Entziehung elektrischer Energie (§ 248 c StGB) in das

StGB eingefügt wurde, weil das RG Strom nicht als „Sache― i. S. von 242 StGB ansah (RGSt

29, 111); auch hier wurde der Gesetzgeber also aktiv, um der Gleichbehandlung elektrischer

Energie mit „Sachen― eine gesetzliche Grundlage zu verleihen.

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§ 370 a AO a. F. war allerdings nicht geschaffen worden, um diesen unseren Fall zu

lösen, sondern aus anderen Gründen. Die Probleme bestanden auch unter Geltung des

§ 370 a AO a. F. weiter, vgl. C IV.

Ein Beispiel dieser Fallkonstellation finden Sie bei BGH vom 22. 7. 2004, 5 StR 241/04,

wistra 2004, 475, dazu unten im Skript unter C I 4.

Analogie zugunsten des Täters ist zulässig.

Beispiele:

- Ausdehnung von Strafausschließungsgründen,

- Ausdehnung von Strafmilderungsgründen.

Nach § 371 AO (Selbstanzeige) wird straffrei, wer in den Fällen des § 370 AO unrichtige

Angaben berichtigt.

Gilt das auch für den Steuerhehler, d. h. für denjenigen, der sich nicht nach § 370 AO,

sondern nach § 374 strafbar gemacht hat, auch für den Bannbruch nach § 372, für die

Begünstigung einer Steuerstraftat (§ 369 I Nr. 4), für §§ 26 b c UStG?

In allen diesen Vorschriften fehlt eine Verweisung auf § 371. Die Analogie ist jedenfalls

nicht mit dem Hinweis auf Art. 103 II GG zu verneinen.

Die entsprechende Anwendung des § 371 I AO auf andere Bestimmungen als den darin

erwähnten § 370 AO wäre keine analogia in malam partem (weil nur Erweiterung von

Strafausschließungsgründen), vielmehr in bonam partem. Wohl aber wäre die Erweiterung

des § 371 II verboten (da zu Ungunsten des Täters, Einschränkung der darin aufgezählten

Strafausschließungsgründe).

Merke:

Einschränkung von Strafausschließungsgründen = Ausdehnung der Strafbarkeit = Analogie

zum Nachteil des Täters = unzulässig (Art. 103 II GG).

3. Die lex muss praevia sein (von prae-vius, vorangehend).

Das bedeutet: Verbot der Rückwirkung.

Das Rückwirkungsverbot gilt nicht

- für Verfahrensrecht.

Die Frage spielte eine Rolle bei der (rückwirkenden) Aufhebung der Verjährung für Mord und

Völkermord (vgl. jetzt: § 78 II StGB, „verjähren nicht―).

- Es gilt nicht für eine ständige höchstrichterliche Auslegung (str.).

Beispiele:

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Wenn der BGH (absolute) Fahruntüchtigkeit i. S. von § 316 StGB statt früher erst bei

1,5 Promille, später schon bei 1,3 Promille und heute bereits bei 1,1 Promille annimmt,

und den Begriff der so verstandenen Fahruntüchtigkeit auch auf Taten anwendet, die

vor diesem Wechsel der Rechtsprechung begangen wurden, dann ist dies nicht die

rückwirkende Änderung eines Gesetzes und verstößt nicht gegen Art. 103 II GG (aber

bestritten).

Entsprechendes würde gelten, wenn sich der BGH dazu entschlösse, den

Steueranspruch nicht mehr wie bisher zum Tatbestand des § 370 AO zu rechnen,

sondern den entsprechenden Irrtum als Verbotsirrtum zu behandeln.

- Fragen des allgemeinen Teils dürfen durch Richter- und Gewohnheitsrecht

auch zu Lasten des Täters ausgefüllt werden (Klärung durch Rechsprechung

und Wissenschaft).

Wie das Analogieverbot verbietet das Rückwirkungsverbot nur rückwirkende Änderungen in

malam partem. Rückwirkende Gesetze, die die dem Täter entstehende Rechtsfolge nicht

verschlechtern, sondern verbessern, verstoßen nicht gegen Art. 103 II GG.

Zur Dogmen-Geschichte des Grundsatzes n. p. s. l. vgl. die Schrift von Krey, Keine Strafe

ohne Gesetz, 1983.

Der Grundsatz ist eine Frucht der Aufklärung, seine lateinische Formulierung stammt von

Feuerbach (1775 – 1833) und unterstützt dessen Theorie vom „psychologischen Zwang―

(der „Triebfeder zur Tat― wird die „Triebfeder der angedrohten Strafe― entgegengesetzt).

Witzigerweise taucht die Argumentation Feuerbachs von der „Triebfeder― in der heutigen

Begründung des Gesetzgebers, bei der Motivierung des Geldwäsche-Paragraphen (261 StGB)

wieder auf: Der verbrecherischen „Triebfeder― soll hier die Vermögensabschöpfung

entgegengesetzt werden. Sie sehen also, auch im Strafrecht gibt es keinen Fortschritt, nur

Kreislauf. Was neu scheint, ist unter Umständen längst Schnee von gestern.

Apropos: Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach (1775-1833), Vater der psychologischen

Abschreckungstheorie (Lehre vom psychologischen Zwang), Prof. in Jena, Kiel, auf Betreiben des Ministers

Montgelas geheimer Referendar, später wirkl. geh. Rat im bayerischen Justiz- und Polizeidepartement

München, Entwurf des bayerischen StGB, das die Folter abschaffte und die Strafpraxis humanisierte, stv.

Präsident des Appellationsgerichts Bamberg (am OLG Bamberg hängt eine Gedenktafel), Präsident des

Appellationsgerichts Ansbach. Schrieb 1882 „Kaspar Hauser―.

Gesetze müssen bekannt, Tatbestände klar formuliert sein, Strafrahmen müssen von vornherein feststehen.

5 Söhne, der Archäologe Joseph Anselm hatte den Maler Anselm Feuerbach als Sohn, dieser ist also Enkel des

Juristen.

Lit: Gustav Radbruch: Paul Johann Anselm Feuerbach, herausgegeben von Erik Wolf 1969; Eberhard

Kipper: Johann Paul Anselm Feuerbach, 2. Aufl. 1989; Küper, GA 1993, 131.

II. Geltung

1. Zeitliche

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Fall 8:

Der Bundestag beschließt, dass die Einkunftsart aus Kapitalvermögen nicht mehr der

Besteuerung unterliegt, und zwar „erstmals für die Veranlagungszeiträume ab 03―. A

hat für 1999 / 2000 Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht angegeben und insofern eine

unrichtige Erklärung nach § 370 I Nr. 1 AO abgegeben. Strafbar?

Die zeitliche Geltung regelt § 2 StGB.

Bild 12, Teil 1

Bild 12, Teil 2

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Es kommt also in erster Linie auf die Tatzeit an. Wird die Strafdrohung danach (im Gesetz

heißt es lediglich „während der Begehung der Tat―) geändert, ist das für den konkreten

Einzelfall mildeste Gesetz (lex mitior) anzuwenden. Das gilt nur dann nicht, wenn es sich um

„Zeitgesetze― handelt, d. h. solche, die nur für einen bestimmten Zeitabschnitt gelten sollten.

In der linken Rubrik der obigen Übersicht beruht die Änderung auf einer gewandelten

Rechtsauffassung, bei den Zeitgesetzen dagegen auf dem Umstand, dass für gewisse

Zeitabschnitte jeweils etwas anderes gelten sollte.

Problem:

§ 370 AO ist im oben erwähnten Fall überhaupt nicht geändert worden, sondern nur die

blankettausfüllende Vorschrift, das EStG. Gleichwohl könnte damit der „Volltatbestand―, also

der aus Blankettnorm und Ausfüllungsnorm zusammengezogene Tatbestand, insgesamt

geändert sein.

Sie könnten wie folgt argumentieren:

Das Gesetz für die Altfälle hat sich nicht geändert. Die Frage, ob § 2 III oder IV StGB

anzuwenden ist, stellt sich nicht.

Wenn Sie dagegen (m. E. richtig) sagen: Änderung der blankettausfüllenden Norm ändert den

Volltatbestand, dann müssen Sie sich zwischen § 2 III StGB und § 2IV StGB entscheiden.

Richtig wäre im konkreten Fall § 2 IV StGB anzuwenden (also Zeitgesetz, da sich dies aus

dem Wortlaut ergibt).

Wie, wenn das Gesetz sagt: „§ 2 I Nr. 5 EStG wird gestrichen―, also Einkünfte aus

Kapitalvermögen werden nicht (oder nicht mehr?) besteuert? Dann müssen Sie im Wege der

Auslegung ermitteln, ob § 2 III oder IV StGB gilt. Vgl. unten das entsprechende Problem bei

der Vermögensteuer.

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Fall 9:

A hat bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen in 1999 und 2000 versehentlich nicht

angegeben, weil ihm die entsprechenden Zinsgutschriften nicht vorlagen und er schlicht

und einfach vergessen hatte, dass er auch aus Bausparguthaben Zinsen bezogen hatte.

Jedenfalls ist ihm im Strafverfahren eine entsprechende Kenntnis nicht nachzuweisen.

Nach Abgabe der Erklärung erkennt er den Irrtum, berichtigt jedoch seine unrichtige

Erklärung nicht. Er wird nach § 370 I Nr. 2 AO wegen Verstoßes gegen die

Berichtigungspflicht des § 153 I Nr. 1 AO angeklagt. Im Laufe des Prozesses beschließt

der Bundestag:

„ § 153 AO wird gestrichen.―

Ergibt die Auslegung, dass die Berichtigungspflicht nach § 153 I AO nicht nur für

bestimmte Veranlagungszeiträume, also Zeitabschnitte, aufgehoben, sondern

schlechthin beseitigt wurde, dann wäre in der Tat die in § 153 AO statuierte

Rechtspflicht entfallen, so dass A wegen Verstoßes gegen diese Verpflichtung nicht

bestraft werden könnte, A also straffrei ist, vorausgesetzt, es besteht nicht aus anderen

Gründen eine Handlungspflicht, beispielsweise aus Ingerenz.

Fall 10:

A hatte seit Jahren große Vermögenswerte bei einer Luxemburger Bank angelegt.

Kapitalerträge gab er bei der Einkommensteuererklärung nicht an. Auf die

Hauptveranlagungszeiträume 01.01.1993 und 01.01.1995 gab er keine VSt-Erklärungen

ab, obwohl sein Vermögen die Freibeträge bei Weitem überschritt.

BVerfGE 93, 121 hat die Tarifnorm des § 10 Nr. 1 VStG für mit der Verfassung unvereinbar

erklärt mit dem Tenor:

„Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31.12.1996 zu

treffen. Längstens bis zu diesem Zeitpunkt ist das bisherige Recht weiterhin

anzuwenden.―

Also: Ex nunc wirkende Unvereinbarkeitserklärung.

Ist A strafbar?

Hier interessiert nur § 2 III StGB.

BGH vom 07.11.2001, 5 StR 395/01, wistra 2002, 64 sieht das Vermögensteuergesetz wie

ein Zeitgesetz an, das infolge der ex nunc wirkenden Unvereinbarkeitserklärung bis zum

31.12.1996 fortgilt. Die Strafbarkeit ist also nicht nach § 2 III StGB entfallen, sondern besteht

für die Veranlagungszeiträume, für die das Gesetz zwar mit der Verfassung unvereinbar ist,

aber fortgilt, weiter. § 2 III StGB greift nicht ein. Der Tenor der Entscheidung des BVerfG

wirkt wie eine Überleitungsvorschrift. Erst mit dem 01.01.1997 entstehen keine neuen VSt-

Ansprüche mehr, folglich entfällt erst ab dann auch eine Verkürzung und damit die

Strafbarkeit. Alle früher liegenden Veranlagungszeiträume können auch noch nach der

Entscheidung des BVerfG und nach dem 01.01.1997 bestraft werden.

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Gegenargumente?

Nicht einzelne Besteuerungsmerkmale sind abgeschafft oder geändert, vielmehr hat das

BVerfG festgestellt, dass die VSt ab dem Veranlagungszeitraum 1983 materiell

verfassungswidrig ist. Sie ist also insgesamt verfassungsrechtlich „bemakelt―. Die

„Übergangsregelung―, die einen Anwendungszeitraum bis zum 31.12.1996 bestimmte, ist mit

den Erfordernissen verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung und gleichmäßigen

Verwaltungsvollzugs begründet worden, berührt also nicht die verfassungsrechtliche (und

damit strafrechtliche) Bemakelung. Es ist mit dem Gedanken des Schuldstrafrechts

unvereinbar, dass sich die mit einem Schuldspruch verbundenen Makelzuweisung auf ein

verfassungswidriges Gesetz bezieht, so Ulsamer/Müller, wistra 1998, 1. Weitere Literatur:

Jäger, PrStR 2002, 1; Wulf, wistra 2001, 41; grundlegend Nolte, Hinterziehung

verfassungswidriger und `verfassungswidrig´ genannter Steuern, 2005 mit Besprechung von

Heghmanns, GA 2007, Heft 9.

Das Folgende ist zwar, was den Tatbestand des § 370 a AO und dessen Verhältnis zu § 373

AO angeht, nach der "saisonbedingten" Aufhebung des § 370 a AO (letzter Fassung) nur

noch von historischem Interesse, aber methodisch auch heute noch instruktiv.

Bei der Beurteilung, welches Gesetz milder ist, muss die konkrete Betrachtungsweise

angewandt werden. Beispiel: BGH v. 19. 6. 2003 - 5 StR 160/03, wistra 2003, 389, die

Entscheidung ist ein Lehrstück zur Beurteilung des „mildesten― Gesetzes i. S. von § 2 III

StGB:

D hatte versucht, gewerbsmäßig Einfuhrabgaben zu hinterziehen. Nach der Tatzeit,

aber vor der Entscheidung, wurde § 370 a AO geändert, indem unter Beibehaltung der

Strafdrohung als zusätzliches Tatbestandsmerkmal das Erfordernis des „großen

Ausmaßes― eingefügt wurde. Das LG hatte dieses Merkmal - was sicherlich angesichts

der Höhe des versuchten Hinterziehungsbetrages unproblematisch war - bejaht und

nach der Neufassung des § 370 a AO verurteilt.

Wenn es nur um § 370 a AO gegangen wäre, wäre diese Entscheidung richtig, denn die

Neufassung dieses Tatbestands stellte sich durch das zusätzliche - einschränkende - Merkmal

des großen Ausmaßes als das mildere Gesetz dar. Nun gab und gibt es aber noch den

Tatbestand des § 373 AO. Dieser enthält eine weitaus mildere Strafdrohung. Da § 373 AO

bezüglich Einfuhrabgaben – vor Einführung des "großen Ausmaßes" stets lex specialis

gegenüber § 370 a AO war, war die Entscheidung des LG falsch und wurde vom BGH

korrigiert. Was das "mildere Gesetz" ist, muss anhand des gesamten konkreten

Rechtszustands geprüft werden, und dieser neue Rechtszustand ergab, dass der frühere

Rechtszustand, als § 370 a AO immer von der Spezialvorschrift des § 373 AO verdrängt

wurde, die lex mitior war. Nachdem nunmehr § 370 a zusätzlich das „große Ausmaß―

verlangt(e), stellt(e) sich das Verhältnis zwischen beiden Vorschriften anders, nämlich so

dar, dass § 370 a AO über ellen beiden Bestimmungen (§370 AO und § 373 AO) "schwebte":

Wer Einfuhr- oder Binnenabgaben hinterzieht, erfüllt § 37O AO, den Grundtatbestand

der Steuerhinterziehung, der auf Einfuhr- wie auch Binnenabgaben anzuwenden ist;

Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, hat dies für die

Hinterziehung von Binnenabgaben keine Verschärfung zur Folge, wohl aber für die

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von Einfuhrabgaben, denn dann erfüllt der Täter § 373 AO und unterliegt dessen

gegenüber § 370 AO höherer Strafdrohung;

Kam zusätzlich das große Ausmaß hinzu, galt sowohl für Einfuhr- wie auch

Binnenabgaben § 370 a AO.

Wir hatten - bis zur Aufhebung § 370 a AO (letzter Fassung) - eine Stufung der

Tatbestände, die halbwegs rational begründbar war. Nicht ersichtlich ist, warum nur

die Hinterziehung von Einfuhr- nicht aber von Binnenabgaben der höheren

Strafdrohung des § 373 AO unterliegen (vgl. die Ausführungen zu B I l).Unter der

Geltung des § 370 a AO a. F. war dies anders. Handelte der Täter damals

gewerbsmäßig, so erfüllte er nach dem Wortlaut beide Tatbestände sowohl § 370 a AO

als auch den milderen § 373 AO. Dazu sagt nun der BGH - m. E zu Recht - § 373 AO

war gegenüber § 370 a AO lex specialis, weil er sich nur auf Einfuhrabgaben bezog.

Wer also damals gewerbsmäßig - und sei es auch in großem Ausmaß - Einfuhrabgaben

hinterzog, erfüllte (nur) § 373 AO, nicht den Verbrechenstatbestand des § 370 a AO.

Als Ganzes betrachtet war die Regelung zur Tatzeit also dem Täter günstiger, weshalb

er gemäß § 2 III StGB nur nach § 373 AO zu bestrafen war.

Wandeln wir den Fall ab und nehmen wir an, der Täter hinterzieht gewerbsmäßig

Binnenabgaben, ohne ein „großes Ausmaß― zu erreichen: Wird nach der Tat § 370 a

AO durch Hinzufügen des Merkmals „großes Ausmaß― geändert, ist die Neufassung

das mildere Gesetz. Der Täter könnte dann nur nach § 370 AO wegen einfacher

Steuerhinterziehung bestraft werden. Die Frage nach dem milderen Gesetz ist also

nicht abstrakt an Hand der jeweiligen Strafnorm, sondern nach der konkreten

Auswirkung auf den Einzelfall zu beurteilen.

Ergänzung zur Frage der zeitlichen Geltung: BGH vom 12. 1. 2005, 5 StR 271/04, wistra

2005, 145, spricht den richtigen Grundsatz aus, dass bei der USt-Hinterziehung § 370 a AO

nur in Betracht kommt, wenn der gesamte zu beurteilende Besteuerungszeitraum vor

Inkrafttreten des § 370 a AO liegt, nicht nur die noch ausstehende Jahreserklärung.

Entsprechend BGH vom 11. 1. 2005, 5 StR 510/04, wistra 2005, 147: Auch die

Teilnahmehandlung, nicht nur die Haupttat, muss vor Inkrafttreten des § 370 a AO liegen.

erstaunlich, dass es zu so einer Frage einer höchstrichterlichen Entscheidung bedarf.

2. Räumliche

Es stehen sich gegenüber das Territorial-Prinzip und das Personal-Prinzip.

Seit dem 01.01.1975 gilt in Deutschland das Territorial-Prinzip.

Das Weltrechtsprinzip (§ 370 VII AO) läuft leer, soweit nicht Abgaben nach § 370 VI AO

betroffen sind. Tritt der Erfolg im Inland ein, ergibt sich die Strafbarkeit des im Ausland

Handelnden bereits aus § 9 I StGB21

. Das gilt auch für das Unterlassen. In diesen Fällen ist

darauf abzustellen, wo der Erfolg eintreten sollte. Daher gilt ebenfalls § 9 I StGB (FGJ § 370

TZ 32).

21

Es sei denn, Sie sagen mit Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 6 f., wenn der Steuerbescheid im Ausland

bekannt gegeben wird, trete der Erfolg dort und nicht im Inland ein. Für solche Fälle würde dann § 370 VII AO

auch für Inlandssteuern aktuell.

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§ 3 StGB:

Deutsches Strafrecht gilt für Inlandstaten (einschließlich der Taten auf deutschen Schiffen und

Flugzeugen (§ 4 StGB)).

§ 9 StGB bestimmt den Tatort.

Bezogen auf den Tatort ergibt sich:

Bild 13

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Bezogen auf den Täter ergibt sich:

Bild 14 (nach Bender)

Bei der Anwendung des § 370 AO bereitet das „internationale Strafrecht― regelmäßig keine

Probleme, weil der Erfolg, die Steuerhinterziehung, immer im Inland eintritt. Problematisch

kann es bei der Anwendung des § 4 V I Nr. 10 EStG (vgl. o. A I 5) im Zusammenhang mit

der Zahlung von Schmiergeldern ins Ausland werden. Ich erinnere daran: Sie als

Steuerrechtsanwender müssen kraft Ihrer uneingeschränkten Vorfragenkompetenz

selbständig prüfen, ob die Zuwendung einen Straftatbestand erfüllt. Ist das der Fall, sind die

Aufwendungen nicht abzugsfähig. Werden sie gleichwohl geltend gemacht, kann dies den

Tatbestand des § 370 AO erfüllen. Nicht wegen des Steuerhinterziehungstatbestands, sondern

wegen der Feinheiten des materiellen Steuerrechts, das seinerseits auf das materielle

Strafrecht verweist, müssen Sie sich (u. a.) auch mit der Frage der Tatortstrafbarkeit befassen.

Fall 11:

A schmiert einen leitenden Angestellten einer taiwanesischen Firma, um sich einen

Auftrag in Taiwan unter Ausschaltung eines britischen Konkurrenten zu verschaffen. §

299 II StGB?

- A übersendet das Geld von Deutschland aus.

Die Handlung ist in Deutschland vorgenommen, also Tatort Deutschland,

deutsches Strafrecht gilt. Frage nur: schützt § 299 StGB auch den

ausländischen Wettbewerb? Ja, klargestellt jetzt durch § 299 III StGB.

- A verhandelt in Taiwan, gibt von Taipeh aus seiner Sekretärin in Frankfurt die

telefonische Anweisung, 50.000,00 € an einen Agenten der taiwanesischen

Aktiengesellschaft in der Bundesrepublik zu überweisen.

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Die Handlung ist nicht in Deutschland vorgenommen (wenn Sie einmal von

der Frage der mittelbaren Täterschaft des A absehen wollen, anderenfalls ist

natürlich schon die Handlung in Deutschland vorgenommen).

Jedenfalls ist der Vorteil in Deutschland gewährt, also ist zumindest der (zum

Tatbestand gehörige Erfolg) in Deutschland eingetreten.

Fall 12:

A ist Deutscher und Angestellter einer taiwanesischen Firma. Er zahlt in Taipeh an

einen Deutschen, um seiner taiwanesischen Firma Vorteile auf dem Inlandsmarkt der

Bundesrepublik zu sichern unter Ausschaltung anderer Konkurrenten.

Tatort?

Die Vorteilsgewährung (Zahlung) einschließlich des dazu gehörenden Erfolges, nämlich das

Zufließen des Geldes, sind nicht in der Bundesrepublik vorgenommen.

Könnte man damit operieren, dass man sagt, aber die Absicht der Bevorzugung war doch auf

den deutschen Markt gerichtet? Gehört also die tatsächliche Verschaffung des Vorteils hier

zum tatbestandsmäßigen Erfolg i. S. des § 299 II StGB?

Die h. M. sagt: Völlig klar, Absicht ist nicht gleich Erfolg. Man muss den konkreten

Tatbestand ansehen. § 299 II StGB verlangt nur die Absicht, nicht aber den Eintritt des

Vorteils, folglich gehört der Erfolg nicht zum Tatbestand. Tatort ist nicht die Bundesrepublik

(ganz herrschende Auffassung, abweichend indessen Bernd Heinrich, GA 1999, 72).

Folglich müssen Sie weiter prüfen. In Betracht kommt noch § 7 II StGB.

Erste Voraussetzung ist gegeben: A ist Deutscher.

Vor der Weiterprüfung nicht gleich auf § 7 II StGB hüpfen, sondern zunächst prüfen, ob die

Tat das geschützte Rechtsgut des § 299 II StGB verletzt.

Das ist hier der Fall, denn der deutsche Markt wird von der Vorschrift geschützt, § 299 III

StGB.

Fall 13:

A, ebenfalls Angestellter einer chinesischen Firma, besticht in Taiwan wie in Fall 12,

nur dient die Vorteilsgewährung nicht der Bevorzugung auf dem deutschen Markt,

sondern auf dem taiwanesischen.

Rechtsgutsprüfung?

Wenn Sie der Meinung sind, § 299 II StGB schütze nicht den Auslandsmarkt, dann ist die

Prüfung damit beendet, und deutsches Strafrecht kommt nicht in Betracht. Angesichts der

Neuregelung (August 2002), die den § 299 III StGB eingeführt hat, ist die Ansicht nunmehr

überholt. § 299 StGB gilt auch für Taten im ausländischen Wettbewerb.

Ist dagegen nach Ihrer Auffassung der Auslandsmarkt, also der taiwanesische, durch die

deutsche Bestimmung ebenfalls geschützt, kommt es auf die Strafbarkeit am Ort an und

darauf, ob die dort erlassene Norm der deutschen „vergleichbar― ist.

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Fazit: Die Prüfung ob Auslandstaten dem deutschen Strafrecht unterliegen, ist sehr

kompliziert, allein schon von der rechtlichen Erwägung her, aber auch deshalb, weil die

Strafbarkeit am ausländischen Tatort zu ermitteln ist. Vgl. oben im Skript A I 5.

Zwei Fragen sind zu unterscheiden, wie man sich anhand von § 299 StGB leicht klarmachen

kann. Zum einen: Erfasst der Tatbestand die konkrete Handlung, richtet sie sich also gegen

ein Rechtsgut, das dieser Tatbestand schützt? Unter der alten Fassung des § 299 StGB (vor

Einfügung des Absatzes 3) musste die Frage beantwortet werden, ob die gegen den

ausländischen Wettbewerb gerichtete Handlung vom Tatbestand erfasst war. Antwort: nein.

Deshalb waren auch Inlandstaten, die (nur) den ausländischen Wettbewerb betrafen, straflos.

Beispiel: Der Täter überweist das Bestechungsgeld an den Privaten (also Nichtamtsträger)

von Deutschland aus, um einen ausländischen Konkurrenten auszustechen. Tatort

Deutschland, deutsches Strafrecht gilt, aber die Handlung erfüllte den Tatbestand des § 299

StGB nicht. Zum anderen die Frage, ob die Tat im Inland verfolgbar ist. Beispiel: Der Täter

überweist das Geld von einem Konto im Ausland Bestechungsgeld ins Ausland. Nach altem

Recht war schon der Tatbestand nicht erfüllt, weil der ausländische Wettbewerb nicht

geschützt war, also keine Veränderung zum ersten Fall. Ob es eine dem § 299 StGB

entsprechende Vorschrift in dem betreffenden ausländischen Staat gibt, war nicht erheblich.

Nach dem heutigen § 299 III StGB ist auch der ausländische Wettbewerb geschützt. Also ist

der Tatbestand erfüllt. Jetzt könnten Sie noch auf den Gedanken kommen zu fragen, ob etwa §

299 III StGB etwa eine Ausnahme von den Grundregeln der §§ 3 ff. machen will, ob also

Taten gegen den ausländischen Wettbewerb ohne Rücksicht auf den Tatort stets strafbar sind.

Der Frage gehen Fietz/Weidlich, RIW 2005,423 (425) nach. Die Antwort ist: § 299 III StGB

stellt nur den Schutzbereich des § 299 StGB klar, der bis zu dieser Gesetzesergänzung Taten

gegen den ausländischen Wettbewerb, jedenfalls nach überwiegender Meinung, nicht

erfasste. Also müssen Sie jetzt prüfen, ob die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 II

StGB). Dann geht es weiter wie oben im Skript unter A I 5 b geschildert. Zur Frage des

Tatorts bei der Angestelltenbestechung Verf., RIW 2006, 370.

BGH vom 8. 11. 2000, 5 StR 440/00, wistra 2001, 62:

Der US-Amerikaner U führte Diamanten für 8 Mio. DM aus den USA nach Italien ein,

ohne diese zu gestellen. Er hinterzog italienische EUSt von 3 Mio. DM. Strafbarkeit

nach deutschem Recht?

Frage:

Woraus ergibt sich die Anwendung deutschen Strafrechts?

Antwort: aus § 370 VII AO, denn diese Vorschrift statuiert eine Ausnahme von dem in §§ 3

ff. StGB niedergelegten Territorialprinzip (FGJ, § 369 TZ 34).

Es handelt sich um Einfuhrabgaben, die von einem anderen Mitgliedstaat (Italien) der EU

verwaltet werden. Unerheblich ist, ob der betreffende Staat die Abgaben für sich selbst oder

für die EU verwaltet.

Schmitz/Wulf, wistra 2001, 361, meinen, die italienische EUSt falle nicht unter § 370 VI 1

AO,22

sondern unter 2, und es fehle daher an den übrigen Tatbestandsmerkmalen (Erlass der

Verordnung). Die Einfuhrumsatzsteuer ist nur eine besondere Form der Umsatzsteuer, weil

22 Zur missglückten früheren Regelung vgl. BVerfG vom 19. 12. 2002, 2 BvR 666/02, wistra 2003, 255.

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der Staat einen Ausgleich dafür haben will, dass keine Umsatzsteuer erhoben wird mangels

steuerbaren Umsatzes im Inland. Das lässt sich hören, denn Umsatzsteuer und

Einfuhrumsatzsteuer sind in der Tat „verwandt―, so dass man im Wege der Auslegung den

§ 370 VI 1 AO nicht auf die in Form der Einfuhrabgabe erhobene USt (also auf die EUSt)

anwenden kann. Die EUSt soll also wie die USt nur dann von § 370 AO erfasst werden, wenn

die in § 370 VI 3 AO erwähnte Rechtsverordnung erlassen ist, woran es gegenwärtig fehlt.

Das ist das eine Problem. Es kommt aber noch ein weiteres hinzu:

Was hat der Täter eigentlich getan? Wenn er gegenüber italienischen Finanzbehörden die

erforderlichen Angaben nicht gemacht hat, dann sind dies jedenfalls keine Finanzbehörden i.

S. der Legaldefinition des § 6 II AO. Die ausländischen Stellen sind keine Finanzbehörden i.

S. der AO und auch keine „anderen Behörden― i. S. von § 370 I Nr. 1 AO, denn dies sind nur

solche, die befugt sind, Amtshandlungen für die Finanzbehörde vorzunehmen (Bender, Tz 62

2 e),also jedenfalls keine ausländischen. Das hat bis jetzt (abgesehen von Schmitz/Wulf)

noch niemand gesehen. Der Einwand scheint mir aber sehr plausibel und müsste zur

Straflosigkeit des U (jedenfalls vor deutschen Gerichten) führen.

Vergleichbare Konstellation bei BGH vom 30. 10. 2003, 5 StR 274/03, wistra 2004, 63

(Hinterziehung italienischer Einfuhrabgaben).

OLG Schleswig vom 17. 9. 1997 3 Ws 284/97, wistra 1998, 30 mit Anmerkung Döllel, wistra

1998, 70:

Steuermann S eines Schiffes, das unter deutscher Flagge fährt, leistet auf diesem

Schiff Beihilfehandlungen zur Tat eines Chilenen, der 200 Mio. unverzollter

Zigaretten nach Spanien einführt. Strafbarkeit des S?

Die Beihilfe ist auf deutschem Schiff vorgenommen, daher Tatortstrafbarkeit nach § 4 StGB

gegeben.

Wie ist es mit de Haupttat?

Der Chilene hatte als Hintermann vom spanischen Festland aus gehandelt, also Auslandstat

eines Ausländers. Diese ist nicht strafbar (nach deutschem Recht).

Aber auch hier wieder: die spanischen Zöllner sind keine Finanzbehörde (oder andere

Behörde) i. S. der deutschen AO. Die Haupttat ist also nach deutschem Recht nicht strafbar.

Wie kommen wir weiter? Beachten Sie die „doppelt― limitierte Akzessorietät gem. § 9 II 2

StGB:23

Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt (das ist hier der Fall,

denn S hat auf einem deutschen Schiff gehandelt), so gilt für die Teilnahme das deutsche

Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist. Hilft

uns das weiter? Nein! Es mag ja sein, dass die Haupttat nach spanischem Recht mit Strafe

bedroht ist. Aber darauf kommt es nicht an. Für uns geht es aber um das deutsche Strafrecht,

und dieses erfasst nicht die Hintergehung ausländischer Zollbehörden. Die Sache ist also gar

keine Frage des „internationalen― Strafrechts, sondern ein Problem des Tatbestandes des §

370 AO. Er erfasst nur die Handlung (Unterlassung) gegenüber deutschen Finanzbehörden,

23

„Doppelt― limitiert deshalb, weil die Beteiligungshandlungen an sich schon nur limitiert (begrenzt) zur

Haupttat akzessorisch sind, indem sie nicht eine „vollständige― sondern nur eine tatbestandsmäßige,

rechtswidrige, aber keine schuldhafte Haupttat verlangen, vgl. unten B III 1 und 2.

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nicht gegenüber ausländischen. Hier begründen weder § 370 VII AO, noch § 9 II 2 StGB

Strafbarkeit nach deutschem Recht (im Gegensatz zu der Auffassung des OLG Schleswig).

Die (doppelt) limitierte Akzessorietät des § 9 II 2 StGB spielt aber eine Rolle in folgendem

Fall:

Ein ausländischer Potentat schädigt das Vermögen seines Landes, indem er Millionen aus

Entwicklungshilfegeldern abzweigt und unter tatkräftiger Mithilfe eines deutschen

Bankvorstandes für sich in der Bundesrepublik bunkert. Eine dem § 266 StGB vergleichbare

Regelung existiert in dem betreffenden Staat nicht.

Wenn der Deutsche in der Bundesrepublik gehandelt hat, begeht er Beihilfe zu § 266

StGB (Missbrauchstatbestand, Treubruchstatbestand), auch wenn der ausländische

Staat eine solche Vorschrift nicht kennt. Es genügt, dass die Haupttat nach deutschem

Recht den deutschen Straftatbestand erfüllt.

Sehen Sie den Unterschied: Hier erfüllt die Haupttat den Straftatbestand des § 266 StGB, im

Fall des OLG Schleswig erfüllt die Haupttat den Straftatbestand des § 370 AO nicht. Das hat

nichts mit der Frage der Geltung deutschen Strafrechts zu tun. Diese folgt ja aus § 4 StGB, so

dass es auf § 370 VII AO nicht ankommt. Auch § 9 II 2 StGB führt m. E. nicht zur

Strafbarkeit, weil die Haupttat nach deutschen Recht (ausländische Behörde ist keine

"Finanzbehörde" i. S. des 8. Teils der AO) nicht strafbar ist.

Die §§ 3 ff. StGB werden herkömmlich als „internationales Strafrecht― bezeichnet. Das ist

genauso falsch, wie die Verwendung des Begriffs „internationales Privatrecht―.

Internationales Privatrecht heißt richtig „Internationalprivatrecht―, weil es kein internationales

Recht ist, sondern weil es die Frage regelt, welches (ausländische oder inländische) Recht

nach deutschem Recht anzuwenden ist. Internationalprivatrecht ist also innerstaatliches

Recht. Ebenso regeln die §§ 3 ff. StGB innerstaatliches Strafrecht. Das ist die

Gemeinsamkeit mit dem Internationalprivatrecht. Ein Unterschied: das

Internationalprivatrecht wendet unter Umständen auch ausländisches Recht an, je nachdem

wie die Kollisionsnormen dies regeln. Das deutsche Gericht wendet dagegen niemals

ausländisches Strafrecht an, sondern nur deutsches. Es gibt keine „Verweisung― auf

ausländisches Strafrecht und schon gar keine „Rückverweisung― wie etwa im

Internationalprivatrecht. Wenn Sie bei Anwendung der §§ 3 ff. StGB zu dem Ergebnis

kommen, dass deutsches Strafrecht nicht anzuwenden ist, dann sind Sie mit der Prüfung am

Ende. Sie müssen dann nicht noch erörtern ob Sie etwa nach ausländischem Strafrecht

„urteilen― müssen. Insofern haben Sie es einfacher, als Sie es bei der Prüfung, ob deutsches

Strafrecht für die entsprechende Tat gilt, bewenden lassen können.

III. Beteiligungsformen

Lit.: Harms/Jäger, NStZ 2004, 191 (zu I 1)

Fall 14:

Buchhalter B erklärt sich auf Drängen seines Chefs C bereit, nicht alle Zahlungen über

die Bücher laufen zu lassen und dem Steuerberater X die Zahlungseingänge nicht

vollständig zu übermitteln, so dass X für C einen zu niedrigeren Gewinn aus

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Gewerbebetrieb erklärt. Die Einkommensteuererklärung unterzeichnet C in Kenntnis

aller Umstände. Die Steuer wird dementsprechend zu niedrig festgesetzt.

Allen Beteiligungsformen ist gemeinsam:

- Verursachung der Rechtsgutsverletzung,

- der Wille, die Rechtsgutsverletzung zu verursachen.

Das Dilemma:

- Einerseits muss der Täter den Tatbestand erfüllen, vorausgesetzt ist also eine

Tathandlung.

Indessen: Bei der Mittäterschaft muss nicht zwingend jeder der Mittäter (eigenhändig)

die vom gesetzlichen Tatbestand geforderte Tathandlung begehen.

- Auch der Gehilfe fördert die Tat, kann also für den Erfolg kausal sein.

Indessen: Nicht jeder der ursächlich ist, ist zwangsläufig auch Täter.

Im Ordnungswidrigkeitenrecht geht das Gesetz vom Einheitstäterbegriff aus (§ 14

OWiG). Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, handelt jeder von ihnen

ordnungswidrig. Das ist insbesondere bei den Ordnungswidrigkeitstatbeständen der AO zu

beachten. So kommt es bei § 26 c UStG, einem Straftatbestand, auf die Unterscheidung

zwischen Täterschaft und Teilnahme an, nicht aber bei § 26 b UStG, einem

Bußgeldtatbestand. Täter kann zunächst einmal jeder sein, der die Umsatzsteuer schuldet,

aber auch jeder, der einen ursächlichen Beitrag zur Tatbestandsverwirklichung geleistet hat,

vgl. den zutreffenden Hinweis von Webel, PStR 2005, 259 (260).

Das StGB unterscheidet dagegen die Beteiligungsformen je nach dem Gewicht ihres

Tatbeitrags. Der Täter (Allein-, Mit-, mittelbarer) muss den gesamten Tatbestand erfüllen, d.

h. insbesondere die Tathandlung vornehmen und den Erfolg verursachen. Da auch der

Beteiligte den Erfolg mit verursacht, entstehen Abgrenzungsprobleme zwischen Täterschaft

(bloßer) Teilnahme. Das StGB lässt uns bei diesen Fragen im Stich. Es regelt in §§ 25 bis 31

„Täterschaft und Teilnahme―, ohne jedoch z. B. abzugrenzen, wann Täterschaft und wann

bloße Beihilfe vorliegt. Nach § 25 StGB wird als Täter bestraft, wer die Straftat selbst oder

durch einen anderen begeht. Abs. 2 regelt die Mittäterschaft. Wann aber jemand die Straftat

„selbst― oder „durch einen anderen― begeht, sagt uns die Bestimmung nicht.

Zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme stellt die animus-Theorie auf den Willen des

Betreffenden ab und unterscheidet „animus auctoris― und „animus socii―.

Vgl. RGSt 74,84 (Badewannenfall): Die G ertränkt eigenhändig das nichtehelich Neugeborene ihrer durch die Geburt geschwächten Schwester. Das RG verneinte Täterschaft der G mangels deren eigenen Interesses an der Tat und nahm nur Beihilfe zur Kindstötung (heute aufgehoben) an.

BGHSt18, 87: Der Agent Staschynski hatte im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes zwei russische Exilpolitiker eigenhändig und ungenötigt mit einer Giftpistole getötet. Trotz eigenhändiger Tatbegehung nahm der BGH mangels Täterwillens des S nur Beihilfe an.

Im Unterschied hierzu steht die überwiegend von der Lehre vertretene Tatherrschaftslehre.

Letztere verknüpft objektive und subjektive Merkmale. Täter ist hiernach, wer „das vom

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Vorsatz umfasste tatbestandsmäßige Geschehen in den Händen hält― (Maurach AT, 4. Aufl.

1971, § 49 II C 2).

Bild 15

Die Bestrafung als Teilnehmer (Anstifter bzw. Gehilfe) setzt eine vorsätzlich begangene

rechtswidrige Tat eines anderen, die sog. Haupttat, voraus. Die Tat des Teilnehmer ist

„akzessorisch― (von accedere, hinzukommen) zur Haupttat, d. h. an diese „angelehnt―. Ohne

Haupttat keine Teilnahme. A unterstützt den B bei dessen Selbstmord, indem er ihm Gift beschafft. A ist nicht strafbar, denn es gibt keine Haupttat, Selbstmord ist nicht mit Strafe bedroht.

Das Erfordernis der Akzessorietät kann zur völligen Straflosigkeit der Beteiligten führen.

Vgl. das von Wessels/Beulke, TZ 551, angeführte Beispiel: Der Treuhänder T verletzt unvorsätzlich seine Treupflicht gegenüber fremdem Vermögen. Der Hintermann H hat ihn zwar manipuliert, ihm fehlt aber die Vermögensbetreuungspflicht i. S. des § 266 StGB. Keiner von beiden ist nach § 266 StGB strafbar, T nicht mangels Vorsatzes, H als Täter nicht mangels eigener Betreuungspflicht, aber auch als Gehilfe zur Tat des T nicht, weil es insoweit an der (vorsätzlichen) Haupttat fehlt.

Diese Akzessorietät ist aber limitiert (begrenzt), denn die Haupttat muß nur vorsätzlich und

rechtswidrig, nicht aber auch schuldhaft begangen sein, vgl. den Wortlaut der §§ 26, 27 StGB.

Der nicht zurechnungsfähige A will den B verprügeln, C gibt ihm hierfür den Knüppel (Bender, TZ 37.3). B handelt nicht schuldhaft, weil er nicht schuldfähig ist (§ 20 StGB). C ist wegen Beihilfe zur Körperverletzung strafbar, obwohl der Haupttäter A straflos bleibt.

1. Mittelbare Täterschaft

Mittelbarer Täter ist, wer die Tat durch einen anderen begeht (§ 25 I StGB). Er lässt also die

tatbestandsmäßige Handlung von einem anderen vornehmen, den er Kraft überlegenen

Wissens oder überlegenen Willens beherrscht. Zum Problem: Beckemper, wistra 2002, 401.

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Mittelbare Täterschaft kraft überlegenen Wissens:

BGH vom 27. 11. 2002, 5 StR 127/02, NJW 2003, 907 = wistra 2003, 266 mit (lesenswerter

!) Anmerkung Bender, ZfZ 2003,255, insbesondere zu den zollrechtlichen Vorfragen, deren

Lösung durch den BGH Bender beanstandet :

A lässt in Containern unter „Tarnware― (Kleidung, Textilien) verborgene Zigaretten in

das Gemeinschaftsgebiet einschmuggeln, wobei die von ihm beauftragten

Transporteure (gutgläubig, weil sie von den verborgenen Zigaretten nichts wissen) nur

die Tarnware anmelden. Der BGH sagt: Mittelbarer Täter ist, wer eine Straftat durch

einen anderen begeht, also die Tatbestandsmerkmale nicht selbst verwirklicht,

sondern sich dazu eines „Werkzeugs―, des so genannten Tatmittlers, bedient.

Voraussetzung ist zum einen ein „ Defizit― des Vordermanns, zum anderen eine

überlegene, die Handlung des Tatmittlers steuernde Stellung des Hintermanns. Der

Angeklagte hatte die Tatherrschaft, weil er den Fahrern, die vom wahren Inhalt der

Container im Gegensatz zum Angeklagten keine Kenntnis hatten, zur Zollanmeldung

unrichtige Frachtpapiere zukommen lies. – Der BGH bedient sich also u.a. des

Kriteriums der Tatherrschaft Der Fall betrifft eine Konstellation der mittelbaren

Täterschaft durch Unterlassen. Leider übersieht der BGH, dass der Angeklagte keine

Erklärungspflicht hatte, die aber bei § 37O I Nr. 2 AO erforderlich ist. (Dazu vgl. im

Folgenden). Die Deklarationspflicht hat nach dem Zollrecht nur der unmittelbar

Handelnde, also der, der die Ware einführt, nicht der Hintermann. Sonst ist der Fall

ein Musterbeispiel für mittelbare Täterschaft – allerdings nur für die

Begehungsvariante.

Einen vergleichbaren Fall finden Sie in BGH vom 30. 10. 2003, 5 StR 274/3, NStZ-RR

2004, 56. Abgestellt wird auf eine Gesamtabwägung :

- eigenes Interesse an der Tat,

- Umfang der Tatbeteiligung,

- Tatherrschaft.

Die Touristenfälle (besser gesagt, die „Touristenfalle―):

A steckt dem B, als er durch den Zoll geht, Schmuggelgut ins Gepäck.

Auch in diesem Fall ergibt sich allerdings ein Problem im Zusammenhang mit der Gestellungspflicht. Diese obliegt nur dem B als dem unmittelbar Handelnden. Sehen Sie die Tat als Begehungsdelikt, kann A mittelbarer Täter sein, denn die Nr. 1 des § 370 I AO kann jedermann begehen. Anders, wenn Sie Begehung verneinen,

dann bleibt nur die Nr. 2 des § 370 I AO zu prüfen. Her fehlt es aber an dem Merkmal „pflichtwidrig― bei A, denn ihm obliegt nicht die Gestellungspflicht.

Ähnlich:

Prokurist P ermittelt den Umsatz irrig zu niedrig. Der Geschäftsführer G erkennt

dies und lässt P die Erklärung abreichen.

Fall 15:

A übergibt seinem Steuerberater S unrichtige Unterlagen, so dass S gutgläubig eine zu

niedrige Umsatzsteuervoranmeldung einreicht.

Mittelbare Täterschaft kraft überlegenen Willens:

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Im vorherigen Fall bedroht G den P mit Kündigung, wenn er die unrichtige Erklärung nicht

abgibt.

Fall 16:

A übergibt seinem Steuerberater S unrichtige Unterlagen. S weiß, dass die Unterlagen

unrichtig sind. A setzt den S mit massiven Drohungen unter Druck, die Unterlagen so

wie vorbereitet einzureichen. Anderenfalls werde er dem Finanzamt offenbaren, dass S

bei früheren Erklärungen die unrichtigen Angaben gekannt und bei der

Steuerhinterziehung des A mitgewirkt habe.

Fall 17:

V beauftragt seinen 6-jährigen Sohn S, im EG-Ausland Zigaretten einzukaufen und sich

mit diesen unbemerkt durch die Zollkontrolle zu schleichen.

Auch hier das Problem, ob der Vordermann S handelt oder unterläßt (vgl. vor Fall15).

Beihilfe (zur Abgrenzung von Täterschaft vgl. u.):

A kommt mit einer schweren Ladung Waren über die Grenze. Er trifft seinen Freund B,

der ihm hilft, das Schmuggelgut nach Hause zu tragen.

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Fall 18:

Buchhalter B erklärt seinem Chef U, alle Umsätze seien zu ermäßigtem Steuersatz

vorgenommen. U glaubt ihm und meldet gutgläubig die Umsatzsteuer zu niedrig an.

Strafbarkeit des B:

§ 370 I 1 AO in mittelbarer Täterschaft:

Infolge der Erklärung des B hat U eine zu niedrige Voranmeldung abgegeben: Festsetzungs-

verkürzung (die Voranmeldung steht der Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nach-

prüfung gleich, vgl. o. im Skript). - B selbst ist nicht tätig geworden. Aufgrund seines

überlegenen Wissens beherrscht B das Tatgeschehen. § 25 I StGB (―durch einen anderen‖) ist

erfüllt.

B wollte seinen Chef auf diese Weise bewegen, die Umsatzsteuer zu niedrig (mit dem er-

mäßigten Steuersatz) anzumelden. Ihm war bewusst, dass er durch einen anderen unrichtige

Angaben und damit einer Steuerverkürzung bewirkte. Damit ist der subjektive Tatbestand

gegeben, ebenso Rechtswidrigkeit und Schuld, so dass sich B der Steuerhinterziehung in

mittelbarer Täterschaft (§ 370 I 1 AO, § 25 I, 2. Alt. StGB) schuldig gemacht hat. - Zu einem

andern Ergebnis gelangen Sie allerdings, wenn Sie § 370 I Nr. 1 AO mangels

Rechtswidrigkeitszusammenhangs nicht für einschlägig halten. Dazu unten.

Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen

Vgl. Joecks, S. 48, 49

Fall 19:

Wie vorheriger Fall, jedoch erklärt B, es seien überhaupt keine Umsätze vorgenommen,

deshalb seien keine Voranmeldungen abzugeben. U gibt daraufhin keine

Voranmeldungen ab.

B hat durch seine Erklärung bewirkt, dass Voranmeldungen nicht eingereicht wurden.

Dadurch wurde das Finanzamt pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in

Unkenntnis gelassen und wurden Steuern nicht festgesetzt.

Problem:

Fraglich ist, ob B mittelbarer Täter sein kann. Täter einer Steuerhinterziehung durch Begehen

kann jeder sein, der ursächlich für unrichtige Angaben und die daraus resultierende (zu

niedrige) Festsetzung wird. Demgegenüber kann eine Steuerhinterziehung durch Unterlassung

nur von einer Person realisiert werden, die pflichtig im Sinne von §§ 34, 35 AO ist. Joecks

(S. 49) hält den B für straflos. Die Frage ist, ob B (nur) unterlassen hat oder ob nicht eine

Handlung vorliegt. Das Problem wird noch deutlicher an folgendem

Fall 20:

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U hat die Voranmeldungen bereits richtig ausgefüllt und ist unterwegs zum Finanzamt.

Als er gerade das Büro verlassen will, trifft er B, der ihm erklärt, alle Zahlen seien irrig.

Das seien die Zahlen vorangegangener Zeiträume. Es seien überhaupt keine Umsätze

vorgenommen und keine Voranmeldungen abzugeben. U glaubt dem B und gibt die

Voranmeldung nicht ab.

Es unterlässt der U. Wäre B nicht eingeschritten, hätte U die Voranmeldung abgegeben. B

sorgt also dafür, dass eine den Erfolg herbeiführende Kausalkette (Abgabe der richtigen

Voranmeldung seitens U und daraus sich ergebende richtige Festsetzung) abgebrochen wird.

Ist das lediglich ―Unterlassen‖? Zum Problem: Vgl. Armin Kaufmann, Dogmatik der

Unterlassungsdelikte, S. 201 f.). Für § 370 I Nr. 1 AO löst sich das Problem dadurch, dass

nicht jede Steuerverkürzung den Tatbestand erfüllt, sondern nur diejenige, die durch eine in §

370 I Nr. 1 AO bezeichnete Tathandlung herbeigeführt wird. Unrichtige bzw. unvollständige

Angaben macht nicht derjenige, der einen anderen davon abhält, richtige bzw. vollständige

Angaben zu machen. Vgl. auch die Dissertation von Martin Wulf, Handeln und Unterlassen

im Steuerstrafrecht, 2001, dazu später.

Die Bedeutung der Abgrenzung ist also ganz offensichtlich:

Hat B nur unterlassen, fehlt ihm die Handlungspflicht, und er ist nicht strafbar. Strafbar ist er

aber, wenn Begehung vorliegt, weil § 370 AO kein Sonderdelikt ist, vielmehr von dem

namenlosen Täter ―Wer‖, also von jedem, begangen werden kann.

Diese Lösung des Problems ist schon im allgemeinen Strafrecht umstritten, im

Steuerstrafrecht ganz besonders. So vertritt Bender, TZ 62 1 c, die Auffassung, die beiden

Tatbestandsvarianten müssten ―gleichgepolt‖ sein, und es komme nicht entscheidend darauf

an, ob dem Unterlassenden eine besondere Handlungspflicht obliege. Die Funktion der

Handlungspflicht in Nr. 2 entspreche der Unterlassungspflicht in Nr. 1. M. E. ist diese These

angreifbar, weil man bei der Unterlassungsvariante nicht auf die Handlungspflicht verzichten

kann.

Fall 21, nach BGHSt 23, 319:

Tiefbauunternehmer T behielt, um höhere Löhne zahlen zu können, keine Lohnsteuer

ein und gab keine Lohnsteueranmeldungen ab. Im Februar 1962 teilte er dem Finanzamt

mit, er habe das Gewerbe abgemeldet. In Wirklichkeit führte er es weiter.

Steuerrechtliche Vorfrage:

Wer ist Schuldner der Lohnsteuer? Vgl. § 38 II EStG, der Arbeitnehmer ist Schuldner. Das ist

aber für den zu prüfenden § 370 I Nr. 2 AO nicht entscheidend. Dem Unternehmer obliegt die

aus § 41 a EStG resultierende Handlungspflicht, er muss die Lohnsteueranmeldung abgeben.

Kommt es darauf an, ob er

- den Lohnsteueranteil voll an die Arbeitnehmer jeweils auszahlt oder ob er ihn

für sich behält?

- überhaupt Löhne auszahlt?

Nein: Entscheidend ist allein das Unterlassen der Anmeldung (nicht: der Zahlung).

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§ 370 I Nr. 1 AO, begangen durch die irreführende Mitteilung, er habe das Gewerbe

abgemeldet?

Ob Begehung oder Unterlassung vorliegt, ist von Bedeutung für die Frage, wer die Tat alles

begehen kann, so z. B. im folgenden

Fall 22

Wie vorheriger Fall, nur es geht um den Buchhalter B. Um dem Unternehmen

Ausgaben zu sparen,

- unterlässt er trotz Anweisung seines Chefs die Abgabe der Voranmeldung,

- erklärt er wahrheitswidrig, der Betrieb sei eingestellt.

Im einen Fall lediglich (straflose) Unterlassung, im zweiten Fall Begehung (?) in Gestalt der

unrichtigen Angabe, so dass Festsetzung verhindert wird.

Anstiftung (§ 26):

Fall 23:

Buchhalter B empfiehlt seinem Chef, künftig nur noch einen Teil der Umsätze

anzumelden. Der Chef folgt diesem Rat und meldet für Mai 1997 nur noch 70 % der

wirklichen Umsätze an (vgl. Joecks, S. 50).

Die vorsätzlich rechtswidrige Haupttat liegt in der zu niedrigen Steueranmeldung und der

damit unrichtigen Erklärung gegenüber dem Finanzamt seitens des C, woraus die

Festsetzungsverkürzung resultiert.

B hat den Tatentschluss bei C hervorgerufen. Er wollte damit den C zu dessen vorsätzlich-

rechtswidriger Haupttat bestimmen. Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben, so dass sich

B der Anstiftung zur Steuerhinterziehung schuldig gemacht hat.

Bei dieser Gelegenheit: Man macht sich einer Straftat schuldig, aber wegen

einer Straftat strafbar.

Man kann auch schreiben: Jemand macht sich „des Betruges usw. ... schuldig―.

Schreiben Sie aber bitte nicht, wie es oft in Klausuren zu lesen ist: in anderer

Kombination!

Fall 24:

Der Bankbeamte B empfiehlt seinem Kunden K, Geld in Luxemburg anzulegen, um die

Zinsabschlagsteuer zu sparen. K folgt dem Rat, geht aber noch einen Schritt weiter

(womit der B rechnet), indem er die in Luxemburg anfallenden Zinsen nicht bei seinen

Einkünften aus Kapitalvermögen erklärt.

Die Zinsabschlagsteuer fällt nur bei in Deutschland zugeflossenen Zinsen an. Auf die in

Luxemburg bezogenen Zinsen dagegen nicht, so dass insoweit der Rat des B völlig legal ist.

Indem jedoch K die Zinsen nicht bei den Einkünften erklärt und damit eine unvollständige

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Erklärung gegenüber dem Finanzamt abgibt, wodurch eine Steuerverkürzung bewirkt wird,

begeht er Steuerhinterziehung in der Form des § 370 I Nr. 1 AO. Frage der Anstiftung seitens

B.

Problem:

Der Rat, die Zinseinkünfte ins Ausland zu verlagern, so dass in Deutschland

Zinsabschlagsteuer nicht anfällt, bewirkt keine Steuerhinterziehung, denn durch die

Verlagerung ins Ausland fällt in Deutschland ZASt nicht an. Hat aber B den K zu dessen

vorsätzlich-rechtswidriger Tat, die Einkommensteuer zu hinterziehen, indem er die

ausländischen Zinseinkünfte bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht angab,

angestiftet? Zu dieser Frage vgl. unten bei der Beihilfe (Ist auch der ―professionell-adäquate‖

Rat bereits Anstiftung? Oder Beihilfe?

2. Mittäterschaft und Beihilfe

Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe

Bei der Begehung:

Grenzt man nach der Animus-Formel (animus auctoris oder socii) ab, wird nach der

Willensrichtung gefragt, ob der in Betracht Kommende die Tat „als eigene wollte―, so kann

die Tatsache, dass B sich auf Drängen des U zum Tatbeitrag bereiterklärt hat, ein Indiz dafür

sein, dass ihm der Täterwille fehlt.

Bei objektiver Betrachtungsweise käme es auf das Gewicht des Tatbeitrages an.

Die Tatherrschaftslehre kombiniert subjektive und objektive Elemente, indem sie den

Täterwillen und die objektiven Gesamtumstände berücksichtigt; dem Teilnehmer fehlt die

Beherrschung der Ausführungshandlung, die für den Erfolg ursächlich ist.

Im Fall 14 wird man also darauf abstellen müssen, ob

- der B an der Durchführung der gesamten Tat beteiligt war (oder nur im

Vorbereitungsstadium),

- er auch die Erklärung selbst abfasste und

- beim Finanzamt persönlich einreichte.

Kurzum: Die Art der Beteiligung ist nach subjektiven und objektiven Kriterium in einer

Gesamtwürdigung zu prüfen.

Bei der Unterlassung:

Jeder, der eine Handlungspflicht hat und diese nicht erfüllt, ist Täter. Das ist zwar umstritten

(a. A. z. B. Bottke, Rudolphi-Fschr., 2004, 15 ff.), aber h. M. Wenn also der Steuerberater S

unvorsätzlich für seinen Mandanten M unvorsätzlich eine unrichtige Erklärung abgibt, später

deren Unrichtigkeit erkennt, wenn man ferner daraus eine Offenbarungspflicht für S ableitet,

dann ist er, wenn er dieser Handlungspflicht nicht genügt, gleichsam automatisch Täter, nicht

etwa nur Gehilfe des M.

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99

Beihilfe als Fördern der Haupttat

Fall 25:

Die Sekretärin S gibt nach Diktat des Chefs C die Umsatzsteuervoranmeldung ab, von

der sie weiß, dass sie nicht alle Gewinne enthält. Dementsprechend überweist die

Firma einen zu niedrigen Umsatzsteuerbetrag.

Haupttat:

C hat die zu niedrige Festsetzung bewirkt.

Hat S Hilfe geleistet?

Sie ist insofern für den Erfolg (zu niedrige Steuerfestsetzung durch Einreichung der zu

niedrigeren Voranmeldung) ursächlich geworden, als sie die Voranmeldung geschrieben hat.

Das Schreiben ist also conditio sine qua non.

Mit BGH, wistra 1988, 261 könnte man die Tätigkeit der Sekretärin lediglich „als eine zur

Zielerreichung unerlässliche Vorbereitung der angestrebten Steuerhinterziehung― ansehen und

damit den Beihilfebegriff einschränkend interpretieren, und zwar in all den Fällen verneinen,

in denen das Verhalten des Dritten (hier: der Sekretärin) für die Haupttat ursächlich war,

dieses Verhalten aber geschäftstypisch ist. Das ist das Problem der

professionellen Adäquanz.

Die Grenze zur strafbaren Beihilfe wird erst überschritten, wenn die Hilfeleistungen „für den

Bereich der Profession neu sind― und fremd bleiben und deshalb als Voraussetzungen

- krimineller Zielverfolgung angesehen werden müssen,

- ein System aufgebaut wird, das nicht mit neutralen Zielen erklärt werden kann,

- die Regelungen an fremde deliktische Pläne angepasst werden.

Literatur hierzu:

Samson/Schillhorn, wistra 2001, 1; Harms/Jäger, NStZ 2004, 191 (192 zu 1b);

Samson/Langrock, wistra 2007, 161 (insbes. zur Abgrenzung Begehung ./. Unterlassung)

Samson/Schillhorn gehen in der Argumentation andere Wege und versuchen die Bankenfälle

durch Besinnung auf die allgemeinen Grundsätze der Beihilfedogmatik zu lösen. Sie

verneinen die Förderung der Haupttat, weil, jedenfalls solange die Aufbewahrungsfristen der

Banken dauern, das Entdeckungsrisiko nicht verringert wird.

Auch psychische Beihilfe scheidet aus, wenn der Täter ohnehin fest zur Haupttat entschlossen

war.

Mittlerweile hat der BGH zu der Frage Stellung genommen, inwieweit eine neutrale

Handlung als Beihilfe angesehen werden kann:

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BGH v. 18.6.2003, 5StR 489/02 mit Besprechung Wegner, PStR 2003, 194,

Harms/Jäger, NStZ 2004, 191 (192):

- Weiß der Hilfeleistenden, dass das Handeln des Haupttäters ausschließlich auf

eine Straftat abzielt, so verliert das Tun des Hilfeleistenden den Charakter des

Alltäglichen, sondern ist Solidarisierung mit dem Täter und daher strafbare

Beihilfe;

- Hält es der Hilfeleistende lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung

einer Straftat genutzt wird, handelt es sich nicht um strafbare Beihilfe, es sei

denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm

Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit der Hilfeleistung die Förderung

des erkennbar Tatgeneigten angelegen sein ließ.

-

Der BGH sieht das Problem also als Vorsatzfrage an, wobei die Nähe zur Herzbergschen

Vorsatzlehre (in dem Es -sei - denn- Satz) bemerkenswert ist.

BGH v. 15.3.2005, 5 StR 592/04, wistra 2005, 227:

Der Angeklagte hatte zum Doppelten des Üblichen Container vermietet, in

denen eine Schmuggelbande unversteuerte Zigaretten aus dem Freihafen

herausschmuggelte. Letzteres wusste der Angeklagte nicht, jedenfalls konnte

es ihm nicht nachgewiesen werden. Nach den Feststellungen des LG rechnete

der Angeklagte aber mit der Möglichkeit, dass sich in den Containern

Zigaretten befanden. Das LG hatte wegen "Beihilfe zum Grundtatbestand

des Schmuggels", §§ 27 II 2, 49 I StGB, 373 I AO verurteilt.

Auf die Revision verwies der BGH erstaunlicherweise nicht zurück, sondern änderte lediglich

den Schuldspruch:

1. Einen "Grundtatbestand des Schmuggels" gibt es nicht. Vielmehr stellen die

strafschärfenden Merkmale der Gewerbsmäßigkeit und Bandenzugehörigkeit

(deren Vorliegen das LG beim Angeklagten nicht feststellen konnte),

besondere persönliche Merkmale (§ 28 StGB) dar, so dass § 373 AO nur

erfüllt ist, wenn eines dieser Merkmale in der Person des Täters verwirklicht

ist. Grundtatbestand ist § 370 AO. Mindeststrafe war deshalb nicht 3 Monate,

wie das LG dem § 373 I AO zu entnehmen glaubte, sondern 1 Monat (§§ 49 I

Nr. 3, 38 II StGB): Es liegt kein "Mindestmaß i. S. von § 49 I Nr. 3 vor, § 370

AO setzt nur Höchstmaß fest, so dass (letzter Teilsatz des § 49 I Nr. 3 StGB)

das gesetzliche Mindestmaß gilt, und das ist nach § 38 II StGB 1 Monat.

2. Wieder einmal hatte das Tatgericht die Steuer nicht berechnet, sondern das

Urteil hatte sich darauf beschränkt, auf – noch dazu nicht richterlich

unterzeichnete – Anlagen zu verweisen. Da jedoch der Angeklagte keine

Einwendungen gegen die steuerlichen Berechnungen erhoben hatte, sah der

Senat trotz Bedenken von einer Urteilsaufhebung ab.

3. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Strafbarkeit der Beihilfe durch

"berufstypisch neutrale Handlungen" hatte das LG ebenfalls nicht beachtet. Es

genügt nicht, daß der Helfende strafbares Handeln des Haupttäters für

möglich hält, sondern das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des

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Unterstützten muß derart hoch sein, daß er sich die Förderung "angelegen

sein lässt." Der BGH entnahm nun "dem Gesamtzusammenhang der

Urteilsgründe," namentlich der außergewöhnlichen Höhe des Entgelts für die

Container, dass diese Voraussetzungen gegeben waren.

Fazit: Urteile sind Willens-, keine Wissensentscheidungen. Im konkreten Fall wollte man

einfach nicht zurückverweisen und änderte den Schuldspruch auf Beihilfe zur

Steuerhinterziehung.

Bild 16 (Nach Kohlmann)

Fallbeispiele

Fall 26 (nach BGH, wistra 1986, 236, Kohlmann, § 370 TZ 17.5 (Fehlen der Steuerpflicht

entscheidend?))

Eine GmbH betreibt unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung. A ist Angestellter. Er

- beschafft Aufträge,

- setzt Schwarzarbeiter ein,

- erstellt Scheinrechnungen für die Buchführung (die der falschen Erklärung

vorgelagert ist).

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Die Steuererklärungen selbst fertigt er nicht, es geht um Einkommen-, Lohn-, Umsatzsteuer.

Gleichwohl sieht der BGH den A als Mittäter an. Es kommt nicht darauf an, ob A Organ (war

er nicht, mangels Geschäftsführereigenschaft, A war nur Angestellter) oder

Verfügungsberechtigter der GmbH (§§ 34, 35 AO) war. Auch nicht darauf, dass er selber die

Steuererklärungen nicht unterzeichnet hatte und nur für die Auftragsbeschaffung pp.

zuständig war. ―Denn Mittäter einer Steuerhinterziehung kann auch sein, wer selbst weder

Steuerschuldner, noch sonst Steuerpflichtiger in Bezug auf die hinterzogenen Steuern ist. ...

Das folgt daraus, dass die Steuerhinterziehung - jedenfalls in der Form des § 370 I Nr. 1 AO -

kein Sonderdelikt ist, die Eigenschaft als Steuerpflichtiger also nicht voraussetzt, und bei

gemeinschaftlicher Tatbegehung jeder Beteiligte sich den Tatbeitrag des oder der anderen als

eigenen zurechnen lassen muss (§ 25 II StGB)‖.

Fall 27 (Gegenbeispiel, nach BGH, wistra 1982, 28):

Frau A und Herr J gründeten eine GmbH die sich ausschließlich mit Arbeitnehmer-

überlassung beschäftigte. Wären Lohn- und Umsatzsteuer abgeführt worden, hätte sich

das Ganze nicht ―gerechnet‖, denn die ausgezahlten Löhne hätten dann die den

jeweiligen Entleihern in Rechnung gestellten Beträge jeweils aufgezehrt. Um überhaupt

etwas ―Gewinn‖ zu machen, musste wenigstens die Steuer hinterzogen werden.

Der BGH verneint Mittäterschaft der A. Sie sei zwar formal Organ der GmbH

(Geschäftsführerin) gewesen, habe aber nur Weisungen des J ausgeführt, der allein über die

Gelder verfügt habe.

―Für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme kommt es zwar entscheidend

auf die innere Einstellung zur Tat an. Daneben sind aber auch der Umfang der

Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder doch wenigstens der Wille zur Tatherrschaft

bedeutsam ....‖ (Hier wird also die “Animus-Therorie” in Verbindung mit dem

Kriterium der Tatherrschaft verwandt, ebenso BGH vom 30. 10. 2003, 5 StR 274/03,

wistra 2004, 63: der Grad des eigenen Interesses, des Umfangs der Tatbeteiligung, die

Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu sind entscheidende

Beurteilungskriterien.).

BGH vom 30. 6. 2005, 5 StR 12/05, wistra 2005, 380: Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun

fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass

sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung

seines eigenen Tatanteils erscheint. Das beurteilt sich in wertender Betrachtung nach den

gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind. Es ging um die Frage der

Mittäterschaft einer Steuerberaterin bei der Umsatzsteuerhinterziehung im Rahmen eines aus

mehreren Firmen bestehenden "Umsatzsteuerhinterziehungssystems". (Fiktion

umsatzsteuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferungen durch Einbeziehung von

Scheinfirmen, sodann offener Ausweis der USt in Deutschland, um den VSt-Abzug zu

ermöglichen, ohne dass letztlich USt an das Finazamt bzw. an die ausländische

Finanzbehörde abgeführt wurde.) Die Mittäterschaft scheiterte nicht etwa daran, dass die

Beraterin nicht von Anfang an, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Tatplan

einbezogen war.

Letztlich gilt hier das Wort von Kohlmann, § 370, TZ 17, am Ende: mehr als

Orientierungshilfen lassen sich zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht geben.

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Alle theoretischen Lösungsversuche haben verbindliche Abgrenzungskriterien nicht

erarbeiten können.

Fall 28 (nach BGH, wistra 1990, 100, verschiedene Steuerarten):

A unterschreibt mit dem Namen der Ehefrau unrichtige (zu niedrige)

Umsatzsteuervoranmeldungen. Es ist ihm klar, dass die Ehefrau die Tatsache, dass die

Erlöse zu niedrig angegeben sind, dazu benutzt, auch die Einkünfte aus

Gewerbebetrieb in der Einkommensteuerjahreserklärung zu niedrig anzusetzen.

Mittäterschaft des A bezüglich der Einkommensteuerverkürzung?

BGH führt aus:

- Die Steuerhinterziehung ist kein Sonderdelikt. Auch ein Dritter kann Täter

sein; das gilt natürlich nur für das Begehungsdelikt. Das Unterlassungsdelikt

- setzt eine dem Täter obliegende Handlungspflicht (Erklärungspflicht) voraus.

Auch hier wieder das Problem: ist durch Handlung oder Unterlassung

hinterzogen? Sie merken, welche Auswirkungen die These von Martin Wulf

hat, wonach durch eine unrichtige Erklärung regelmässig keine Verkürzung

entsteht, sondern nur durch die Unterlassung der richtigen. Der

Anwendungsbereich des §370 I Nr. 1 AO wird wesentlich eingeschränkt. Die

Mehrzahl der Hinterziehungen würde dann durch Unterlassung begangen.

- Anhaltspunkte für die Mittäterschaft

- Umfang der Tatbeteiligung,

- Interesse an der Tat,

- Tatherrschaft bzw. der Wille hierzu.

- Indessen:

- Objektiv ist schon fraglich, welchen Einfluss die zu niedrigen

Umsatzsteuervoranmeldungen auf die (nachfolgende)

Einkommensteuerjahreserklärung hatte;

- der Tatrichter hatte keine Feststellungen zur Tatherrschaft getroffen.

Beihilfehandlungen

Fall 29:

A betreibt Automatenaufstellung und mehrere Verkaufsbuden, die nur zur Saison

eröffnet werden. Der Angestellte B leert auftragsgemäß die Automaten und benutzt

einen Teil des Bargeldes dazu, die in den Verkaufsbuden eingesetzten Verkäuferinnen

schwarz auszuzahlen. Lohnsteueranmeldungen werden nicht abgegeben. Die

Einnahmen aus der Automatenaufstellung, soweit sie zur Auszahlung verwendet

wurden, erklärt A nicht.

§ 370 I 1 AO des A (Festsetzungsverkürzung)

Beihilfe des B?

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Fall 30:

V verkauft eine Eigentumswohnung an K. Im notariellen Vertrag wird als Übergabe der

31.05. vorgesehen, jedoch darf V die Wohnung noch über diesen Zeitraum hinaus

nutzen gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung an K. Vereinbart sind 1.500,00

DM monatlich. K schlägt vor, den Betrag nur mit 500,00 DM im notariellen Vertrag

anzugeben, damit er nicht ―so hohe Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung‖ hat.

V ist einverstanden. Tatsächlich erklärt K nur die vereinbarten Beträge von jeweils

500,00 DM in der Einkommensteuererklärung.

§ 370 I 1 AO des K;

Beihilfe des V?

Fall 31:

Patient P, der keine Krankenversicherung abgeschlossen hat, so dass er keine Rechnung

benötigt, bezahlt den Arzt A bar und ohne Rechnung, wohl wissend, dass A die

Einnahmen bei der Einkommensteuer nicht erklärt. A zahlt die Beträge sogleich auf sein

Girokonto ein, dass allerdings nicht betrieblich, sondern privat geführt wird.

Fall 32:

A verlangt von P nicht den vollen Betrag als Honorar, sondern vereinbarungsgemäß nur

50 %, die P bar und ohne Rechnung bezahlt, wissend, dass A den Betrag nicht der

Einkommensteuer unterwirft.

Fall 33:

Der Bankangestellte B stellte eine unrichtige (zu niedrige) Bescheinigung über

Zinseinkünfte und Kontostände des A aus. Er weiß, dass A diese Bescheinigungen bei

der Einkommensteuererklärung verwendet, um zu geringe Beträge anzugeben.

Fall 34: (nach LG Düsseldorf, wistra 1985, 201):

Der Unternehmer U reicht Schecks von Kunden seiner Bank ein. Der Bankangestellte B

verbucht diese auftragsgemäß jedoch nicht auf dem (betrieblichen) Girokonto des U,

sondern auf einem CpD-Konto (Konto pro Diverse, d. h. ohne Namensnennung des

jeweiligen Einzahlers). U erhält die Beträge bar ausgezahlt. B weiß, dass U die Gelder

nicht der Einkommensteuer unterwirft.

Vgl. § 154 AO. Hierzu Kohlmann § 379, TZ 56 ff.

Die Pflicht zur Kontenwahrheit ist verletzt, wenn durch die unrichtige Namensbezeichnung

der wahre Verfügungsberechtigte (des Kontos oder des Schließfachs) nicht ermittelt werden

kann. Erdichtet ist ein Name, der dem Träger nicht zusteht und mit dem auch nicht eine

bestimmte Personenidentität verknüpft wird. Falsch ist der Name, wenn er dem, der ihn führt,

rechtlich nicht zusteht. Es braucht nicht der Name ―gemäß Geburtsurkunde‖ zu sein

(Künstlername, Name des Etablissements). Nummernkonten sind unzulässig (§ 154 II 1 AO).

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Nach dem Anwendungserlass zur AO, Nr. 3 zu § 154, ist die Abwicklung von

Geschäftsvorfällen über CpD-Konten verboten, wenn der Name des Beteiligten bekannt ist

oder unschwer ermittelt werden kann. Buchungen über CpD-Konten dürfen nur

vorgenommen werden, wenn im Zeitpunkt der Buchung der Name des Begünstigten nicht zu

ermitteln ist oder es sich nicht sofort klären lässt, ob der eingegangene Betrag dem

Begünstigten zusteht. Das CpD-Konto ist also ein Konto, auf welches ―umherfliegende

Beträge‖ ―geparkt‖ werden, bis der wirkliche Empfänger feststeht.

Das LG Düsseldorf sah im Verhalten des B eine Beihilfehandlung.

Fall 35:

Bankangestellter B ist dem U behilflich, private Gelder nach Luxemburg zu

transferieren. Das geschieht über bankinternes CpD-Konto an eine Tochtergesellschaft

der Bank in Luxemburg. B weiß, dass U die Zinsen nicht der Einkommensteuer

unterwirft.

- § 370 I 1 AO des U durch ―Vermeidung‖ der Zinsabschlagsteuer? Der

ZASt unterliegen nur Zinseinnahmen von Spargeldern, die in Deutschland

angelegt werden.

- Hier geht es um die unrichtige Erklärung der Einkünfte aus

Kapitalvermögen, nämlich der Zinseinnahmen in der Jahressteuererklärung.

Fall 36 - (nach Philipowski, Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht

(1983), S. 132):

K aus Hamburg eröffnet bei einer Düsseldorfer Bank ein Konto auf den Namen seines

minderjährigen Neffen, behält sich die Verfügungsberechtigung bis zu seinem Tode vor.

Der Neffe soll auch keine Kontoauszüge und keinerlei Bankbriefe erhalten, vielmehr

holt K diese Unterlagen jeweils selbst ab (vgl. auch Kohlmann, § 370 AO TZ 17.8). K

benutzt diese Methode, um an der Steuer vorbeigeleitete Betriebseinnahmen anzulegen.

Der Bankmitarbeiter B weiß dies.

Die Kontoeröffnung auf den Namen des Neffen ist zulässig, da die Existenz des Dritten

nachgewiesen wird, daher kein Verstoß gegen § 154 AO.

§ 370 I 1 AO seitens des K, indem er die Betriebseinnahmen nicht in die Gewinnermittlung

einbezogen und nur einen niedrigeren Gewinn erklärt hat, ferner dadurch, dass er die Zinsein-

nahmen nicht den Einkünften aus Kapitalvermögen unterwirft.

Beihilfe des B?

Das Bankgeschäft in dieser Form ist an sich neutral und statthaft. Es steht nicht außerhalb der

banktypischen Gepflogenheiten.

Gleichwohl Förderung der Haupttat?

- Tatbestandsreduktion?

- Soziale Adäquanz, professionelle Adäquanz?

- Erlaubtes Risiko?

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Wo liegt die Grenze?

In den vom Gesetzgeber erlassenen Schutzgesetzen, die der Durchsetzung des Steuer-

anspruchs dienen (z. B. § 154 AO)?

Literatur bei Kohlmann § 370, TZ 17.8; FGJ § 370, TZ 251.

Vgl. auch die Fälle 29 und 30 bei Joecks, S. 52, 53.

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IV. Die Entwicklungsstufen der Straftat

Lit.: Roland Schmitz, Kohlmann- Festschrift 2003, 517.

Wir unterscheiden die Vorbereitungshandlung, das Versuchsstadium, die Vollendung und die

Beendigung.

Vorbereitungshandlung: Die Handlung, durch die der Täter nach seiner Vorstellung noch

nicht unmittelbar zur Verwirklichung der Tat ansetzt. Die Vorbereitungshandlung ist straflos.

Beispiele:

A beschafft sich fingierte Belege, mit denen er Betriebsausgaben vorspiegeln will, die er

nicht gehabt hat.

Der Versuch beginnt erst, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur

Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB).

Die Rechtsanwälte A und B geben bei der einheitlichen und gesonderten

Gewinnfeststellung die Einnahmen zu niedrig an, weil sie bestimmte Zahlungen nicht

über die Bücher haben laufen lassen, so dass der Gewinn zu niedrig festgesetzt wird.

Vorbereitungsstadium überschritten?

Unmittelbares Ansetzen zur Tat könnte erst dann vorliegen, wenn der einheitlich und

gesondert (zu niedrig) festgesetzte Gewinn bei der persönlichen Einkommensteuererklärung

erklärt wird. Zur Festsetzung der Steuer bedarf es nämlich noch eines weiteren Schrittes, der

über die Erklärung des Gewinns im Rahmen der Gewinnfestsetzung hinaus geht: Der Gewinn

selbst muss in der Steuererklärung erklärt werden. Zu niedrige Festsetzung des Gewinns in

der gesonderten Festsetzung ist noch nicht „die Steuerverkürzung―.

Nach der jüngsten BGH-Rspr. (BGH v. 10. 12. 08, 1 StR 322/08, wistra 09, 114) vollendete

Steuerhinterziehung, zwar nicht in der Form der Steuerverkürzung, aber in Gestalt der Erzielung eines nicht

gerechtfertigten Steuervorteils, sofern auf die Erklärung hin der Feststellungsbescheid erlassen wurde,

andernfalls Versuch, jedenfalls kein straflose Vorbereitungshandlung. Die BGH-Rspr. ist zwar überraschend

und fällt aus dem Rahmen der bisherigen Rspr. (vgl. Blesinger, wistra 09, 294, und Verf., wistra 09, 354), aber

als Anwalt müssen Sie sie beachten.

Aber: A erklärt fälschlich Verluste, die sich nach den Vorschriften über den Verlustausgleich

erst in späteren Jahren auswirken können. - Hier unmittelbares Ansetzen, wenn die

Verlustberücksichtigung im Folgejahr ohne die Abgabe einer weiteren Steuererklärung

möglich ist. - Näher vgl. u. C I 7.

Vorbereitungshandlung bei den Eingangsabgaben: Umbau des Lkws zum

Schmuggelfahrzeug, Beschaffung der Schmuggelware im Ausland.

A will BTM im Pkw über die deutsch-niederländische Grenze schmuggeln. Einige

Kilometer vor dem Grenzübergang wird er von der niederländischen Polizei

aufgegriffen. Strafbar? - Ohne die Problematik der §§ 3 ff. zu prüfen.

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- § 370 AO scheidet aus, weil an verbotenen Waren keine Eingangsabgaben

entstehen;

- es bleibt nur Versuch des Bannbruchs (§ 372 AO), hier nur

Vorbereitungsstadium;

- möglich indessen Handeltreiben mit BTM.

Vollendung bedeutet, dass der Täter alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale

erfüllt hat. Was hierzu erforderlich ist, hängt von der Formulierung des gesetzlichen

Tatbestandes ab. Vgl. das o. g. Beispiel zu § 299 II StGB (o. B II 2): Zum Erfolg gehört die

Vorteilsgewährung an den Angestellten oder Beauftragten. Die Bevorzugung des Täters (oder

eines anderen) ist vom Tatbestand nicht gefordert.

Fall 37:

A hat ein Grundstück vor einem halben Jahr privat für 2 Mio. erworben. Er findet einen

Käufer K für 4 Mio. Beide kommen überein, dass im notariellen Kaufvertrag lediglich 2

Mio. beurkundet werden und der Rest schwarz gezahlt wird. Dem A kam es darauf an,

den Spekulationsgewinn (§§ 22 Nr. 2, 23 I Nr. 1 a EStG, steuerbar sind

Grundstücksveräußerungen, bei denen zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht

mehr als (früher) zwei, nach neuem Recht zehn Jahre bestehen) zu vermeiden. Die

Grunderwerbsteuer trägt K. So wird das Geschäft ¾ Jahre nach Erwerb durch A

abgewickelt. Wie die Notariatsbeteiligten wissen, übersendet der Notar pflichtgemäß

eine Kopie des Vertrages an das für die Grunderwerbsteuerfestsetzung zuständige

Finanzamt, damit nach Übersendung des Fragebogens und Abgabe der Erklärung

seitens des Pflichtigen der Grunderwerbsteuerbescheid erlassen und nach Zahlung des

festgesetzten Betrages die Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Umschreibung im

Grundbuch erteilt wird. Erwartungsgemäß wird die Grunderwerbsteuer nach der

Bemessungsgrundlage von 2 Mio. festgesetzt. Bevor A die Einkommensteuererklärung

einreicht, wird der Vorgang aufgedeckt.

Strafbarkeit des K:

Nach § 370 I Nr. 1 AO: Durch unrichtige Erklärung des Kaufpreises im notariellen Vertrag.

Maßgebend ist nach § 9 I Nr. 1 GrEStG der Kaufpreis zzgl. etwaiger Sonderbestandteile.

Welcher ―Kaufpreis‖ ist gemeint? Jedenfalls nicht der notariell beurkundete. Der Kaufpreis

stellt einen speziellen Fall der Gegenleistung dar. Diese wiederum ist definiert als die

Gesamtheit dessen, was der Erwerber für den Grunderwerb aufwendet. Aufgewendet wird

auch die Schwarzgeldzahlung. Daher rechnet sie zur Gegenleistung, ist also ―Kaufpreis‖ im

Sinne des Gesetzes. Auch mit anderer Überlegung kommt man zu diesem Ergebnis: Die

Parteien schließen ein Scheingeschäft nach § 117 II BGB ab. Steuerlich wird nicht das

Scheingeschäft besteuert (§ 41 II 1 AO), sondern nach § 41 II 2 AO das verdeckte. Vgl. Fall

39 bei Bachem, Fallsammlung Grunderwerbsteuer. Für den subjektiven Tatbestand kommt es

darauf an, ob A diese Zusammenhänge bekannt waren. Waren sie es nicht, kann Kenntnis des

Steueranspruchs fehlen und Vorsatz entfallen.

Strafbarkeit des A:

§ 370 I Nr. 1 AO, II, § 23 EStGB:

Tatentschluss: A müsste den Vorsatz gehabt haben, Steuern zu verkürzen.

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Nach der Vorstellung des A wäre die auf den Spekulationsgewinn entfallende Steuer (deren

Höhe richtet sich nach der Progression, in der sich A befindet) nicht festgesetzt worden.

Beginn der Ausführung:

Unmittelbares Ansetzen nach § 22 StGB?

- Übersendung der Urkunde an das Finanzamt durch den Notar? Nein, das ist

nur Grundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer

- Bei Veranlagungssteuern beginnt der Versuch erst, wenn der Täter zur Abgabe

der Erklärung ansetzt, hier also, wenn er die Einkommensteuererklärung

abgibt. Insbesondere genügen nicht die Vereinbarungen mit Lieferanten und

Kunden über den Austausch unrichtiger Rechnungen, grundsätzlich auch nicht

die Vornahme von Buchungen. Solche ―Machenschaften‖ sind so lange kein

Beginn der Ausführung, bis ihre Ergebnisse der Finanzbehörde zum Zweck der

zu niedrigen Festsetzung (förmlich oder formlos) erklärt sind. Dazu reicht die

Übersendung der Vertragsurkunde an die Grunderwerbsteuerstelle nicht aus.

Zum Problem: FGJ, § 370, TZ 261.

Beendet ist die Tat, wenn der Täter über die Verwirklichung des Tatbestandes hinaus das

eigentliche Ziel seiner Handlung erreicht und deshalb keine weitere Tätigkeit mehr zu

entfalten braucht. So ist im Fall des § 299 II StGB Beendigung erst eingetreten, wenn die

Bevorzugung auch tatsächlich geschehen ist. Das Stadium der Beendigung ist insofern

bedeutsam, als bis dahin Mittäterschaft und Beihilfe möglich sind, nach der Beendigung

hingegen Begünstigung und Hehlerei.

Mit der Beendigung beginnt die Verjährung (§ 78 a StGB).

A befördert mit seinem Lkw Zigaretten über die grüne Grenze. Unmittelbar hinter der

Grenze bleibt der Lkw in einem Graben stecken. Der Bauer B zieht ihn (in Kenntnis

aller Tatumstände) wieder heraus.

Die Steuerhinterziehung (der Eingangsabgaben) ist mit Verbringen der Ware über die Grenze

(Festsetzungsverkürzung) zwar schon vollendet (und strafbar), aber noch nicht beendet. B

begeht daher Beihilfe.

Veränderung:

A hat die Zigaretten bei einem Bauern in Grenznähe gelagert. Einige Zeit später

transportiert er die Ware mit einem Lkw weiter. Dabei gerät er in einen Graben. B zieht

ihn heraus (wieder in Kenntnis aller Umstände).

Hier war die Ware bereits zur Ruhe gekommen, Tat beendet, B begeht allenfalls §§ 257, 258

StGB.

Die Unterscheidung hat Konsequenzen. A und B sind Brüder. B befürchtet, dass der

festgefahrene Lkw von Zoll oder Polizei bemerkt und dadurch der Schmuggel entdeckt wird.

Deshalb hilft er seinem Bruder A.

Straflosigkeit des B wegen § 258 VI StGB (gilt nicht für § 257StGB). Dagegen bleibt es im

anderen Fall bei der Beihilfe. Keine entsprechende Vergünstigung wie bei § 258 VI StGB.

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Wieder anders:

B erfährt, dass A verhaftet worden ist. Er befürchtet, dass auch seine Mitwirkung raus

kommt und erstattet Selbstanzeige.

Ist er nur Gehilfe (also die Tat noch nicht beendet),erlangt er Straffreiheit nach § 371AO,

denn diese Vorschrift gilt auch für den Gehilfen. Dagegen kein Pendant für den Begünstiger

(Fälle nach Bender, TZ 36).

Zum nächsten Bild: Bis zum Eintritt der Vollendung ist Rücktritt möglich, danach nur noch

Selbstanzeige.

Bild 17

Was zur Vollendung gehört, sagt uns der jeweilige gesetzliche Tatbestand. Wäre § 263 StGB

so formuliert:

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„Wer vorspiegelt, dadurch schädigt und ... bereichert...―, dann träte Vollendung erst

mit der Bereicherung ein;

Dagegen so: „Wer in Schädigungs- und Bereicherungsabsicht... vorspiegelt―, dann

wäre das Delikt schon mit der Täuschungshandlung vollendet, vorausgesetzt, diese ist

von den Absichten getragen.

Das Gesetz fasst den Tatbestand nun so: „Wer in Bereicherungsabsicht vorspiegelt und

dadurch schädigt―; damit ist klargestelllt, dass zur Vollendung neben der

Irrtumserregung der Schaden, nicht aber die Bereicherung gehören.

V. Verfolgungsverjährung

1. Dauer

Bild 18

Nach Abschaffung des § 370 a AO a. F. konnte man anfangs wieder sagen, dass für

Steuerstraftaten generell eine Verjährungsfrist von 5 Jahren gilt, vgl. Joecks in FGJ (6.

Aufl.), § 376, TZ 9:

„Die Verfolgung von Steuerstraftaten der AO verjährt ausnahmslos in 5 Jahren, da die

Höchststrafe 5 Jahre nicht überschreitet.―

Das korrespondierte mit § 384 AO, der die Verfolgungsverjährung für

Steuerordnungswidrigkeiten gegenüber dem OWiG auf 5 Jahre verlängert. Maßgebend ist der

Gedanke, dass die Entdeckung von Steuerordnungswidrigkeiten von denselben Umständen

abhängig ist, wie die Entdeckung einer vorsätzlichen Steuerverkürzung (so die Materialien).

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§ 370 a AO a. F. zog wegen der Höchststrafe von 10 Jahren eine Verfolgungsverjährung von

10 Jahren nach sich. Das folgt aus § 78 III Nr. 3 StGB.

Dass das Haltbarkeitsdatum des Steuerrechts dem der Milch gleicht, wissen wir seit langem.

Dem hat sich das Steuerstrafrecht angeglichen. Kaum ist § 370 a AO abgeschafft und sind die

Änderungen in § 370 III AO (besonders schwere Fälle) eingespeist, ist auch schon § 376 AO

geändert, natürlich nicht gleichzeitig mit den genannten Bestimmungen, sondern sukzessive,

damit es auch spannend bleibt. Nach § 376 I AO beträgt die Verjährungsfrist in den in § 370

III 2 Nrn. 1 – 5 genannten Fällen zehn Jahre. Problem: die Qualifikation als "besonders

schwerer Fall" ist ein unbenannter Strafschärfungsgrund, also ein solcher, der die Deliktsnatur

nicht verändert. Ohne § 376 I AO würde sich also an der grundsätzlich fünf Jahre betragenden

Verjährungsfrist nichts ändern. Verfassungsrechtliche Bedenken bei Koops/Kossmann,

Steuerjournal 2009, Heft 7, S.19 ff. Anders Joecks, FGJ, § 376 Tz. 14 c. Zum Problem,

insbesondere zu BGH v. 2. 12. 2008, 1 StR 416/08, wistra 2009, 107, Salditt, PStR 2009, 15

ff. und 25 ff.; Rolletschke, wistra 2009, 219 ff., Bender, wistra 2009, 215 ff. (ein schlecht

gebackener Lebkuchen), MK- Schmitz/Wulf, § 370 AO, Tz. 446 ff. und MK-Wulf, § 376,

Tz. 4 ff. Bei Betrachtung derartiger Gesetzgebungselaborate fragt sich der Laie, wer in den

Gesetzgebungsorganen die Verantwortung für juristische Handwerksgerechtigkeit trägt. Das

BJM wirkt entweder nicht mit oder beschäftigt keine Juristen mehr. Daher wohl auch das

durch den BMWi veranstaltete „Outsourcing―. Die Gesetzgebung entwickelt sich mehr und

mehr zum Naturereignis. Gesetze entstehen und vergehen, wie sich Atolle nach plötzlichen

Erdbewegungen aus dem Ozean erheben und auch wieder verschwinden.

Eine zusammenfassende Würdigung dieses „Ruhmesblatts der Gesetzgebungskunst“

finden Sie bei Haas/Wilke, NStZ 2010, 297 (kein „Advokatengetöse―, sondern reine

Wahrheit und lautere Wissenschaft, denn der Beitrag stammt von einem

Hauptsachgebietsleiter BuStra und einem Öffentlichrechtler).

Beachte § 78 c III StGB: Ungeachtet Unterbrechungen verjährt die Tat, wenn das doppelte

der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist. Mitunter fragt man sich, was die

„Konfliktverteidigungen― sollen, in denen ein Ablehnungsantrag nach dem anderen gestellt

und die Sache verzögert wird. Diese „Taktik― hat mitunter das Ziel, die in § 78 c III StGB

genannte „absolute Verjährung― zu erreichen - wobei der Ausdruck „Konfliktverteidigung―

schon nicht mehr angemessen ist (besser: „Klamauk-Verteidigung―).

2. Folgen der Verjährung

Es besteht ein Prozesshindernis, oder:

Eine Prozessvoraussetzung fehlt. Was ist der Unterschied zwischen beiden? Das kommt auf

die Blickrichtung an. Prozesshindernis ist die negative Umschreibung der

Prozessvoraussetzung („ halbvolles― bzw. „halbleeres― Glas).

Ein Prozesshindernis ist von Amts wegen zu beachten.

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Bild 19

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3. Beginn

Lit.: Roland Schmitz, Unrecht und Zeit, 2001, S. 92 ff. und Kohlmann-Fschr. 2003, S. 517;

Jürgen R. Müller, wistra 2004, 11

§ 78 a StGB:

Mit der Beendigung nicht (schon) mit Vollendung.

Beispiel:

Der Betrugstatbestand ist mit dem Eintritt des Schadens vollendet.

Bild 20

Die Vorspiegelungshandlung führt zum Irrtum und sieht die vermögensschädigende

Verfügung nach sich. Erfolge des Vorspiegelns sind:

1. Irrtum,

2. Verfügung, die schädigt.

Der Einritt der Bereicherung gehört nicht zur Vollendung, wohl aber zur Beendigung.

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Weiteres Beispiel: Steuerhehlerei, § 374 AO

Bild 21

Die Tat ist mit dem Ankaufen vollendet.

Beendet ist sie erst, wenn die beabsichtigte Bereicherung eingetreten ist.

Vgl. den Gesetzeswortlaut:

„Wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchssteuern oder Zoll

hinterzogen ... worden ist, ankauft ..., um sich ..., zu bereichern ...―

Es ist klar, dass zum Tatbestand lediglich das Ankaufen gehört. Das Ziel, auf das es dem

Täter ankommt, gehört nicht mehr zum Tatbestand. Sie finden hier das ähnliche Problem wie

bei § 9 StGB. Dort ging es um den „zum Tatbestand gehörenden Erfolg―. ―Erfolge― sind bei

§ 263 StGB: Irrtum, Verfügung und Schaden. Damit ist die Vollendung eingetreten. Die

Realisierung der Absicht gehört nicht mehr dazu.

Erfolg ist bei § 374 AO beispielsweise das „Verschaffen― oder das „Ankaufen―. Die

Realisierung der Bereicherungsabsicht gehört nicht mehr zur Vollendung.

Zum Verjährungsbeginn bei den Bestechungsdelikten (§§ 332, 334 StGB) vgl. BGH

v. 19. 6. 2008, 3 StR 90/08, PStR 2008, 205: Beendigung und damit

Verjährungsbeginn erst mit Vornahme der Diensthandlung.

Beendigung > als Vollendung (ohne Vollendung keine Beendigung).

Für die Steuerhinterziehung ist dementsprechend die Vollendung festzustellen. Erst dann

kann man fragen, wie es mit der Beendigung bestellt ist, ob diese insbesondere weiter

hinauszuschieben ist.

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Zur Vollendung gehört jedenfalls der Erfolg, die Verkürzung.

Bild 22

Die Vollendung tritt ein:

Bei Steuerhinterziehung durch Handlung:

Bei Veranlagungssteuern mit der Bekanntgabe des unrichtigen Bescheides. Auch die USt ist

Veranlagungssteuer, wenn auch durch Selbstveranlagung, § 155 I 1, § 150 I 2 AO.

Die Tat ist also grundsätzlich mit der Abgabe der unrichtigen Erklärung vollendet und

beendet, denn die Steueranmeldung steht der Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der

Nachprüfung gleich (168 S. 2 AO). Anders verhält es sich dann, wenn eine Steuererstattung

(Vorsteuer) geltend gemacht wird. Dann kommt es nämlich auf die Zustimmung der FinB an,

deshalb tritt Beendigung erst in dem Zeitpunkt ein, in dem die Erstattung vorgenommen wird

(BGH vom 5. 4. 2000, 5 StR 226/99, wistra 2000, 219 (222)). Folgende Beispiele:

P gibt in der USt- Jahreserklärung die Umsätze zu niedrig an: beendet mit Abgabe der

Erklärung.

P macht nur (fingierte) Erstattung geltend: beendet mit Bekanntgabe des

Erstattungsbescheids.

P erklärt die Umsätze zu niedrig und macht darüber hinaus Erstattungen geltend:

beendet mit Bekanntgabe des Erstattungsbescheids.

Die nach § 168 S. 2 AO erforderliche Zustimmung bedarf nach Satz 3 dieser Vorschrift keiner

Form, so dass schon in der Auszahlung des Erstattungsbetrages die Zustimmung liegt, auch

wenn ein ausdrücklicher Bescheid nicht ergangen ist. Damit befindet sich die Tat nicht mehr

im Versuchsstadium sondern ist vollendet. Daran ändert sich auch nichts, wenn auf ein von

der StA gepfändetes Konto gezahlt wird (so dass der Täter auf den Erstattungsbetrag nicht

zugreifen kann). Letzteres ist nach BGH vom 24. 11. 2004, 5 StR 220/04, NStZ 2005, 516

(517) nur für die Strafzumessung von Bedeutung.

Bei Steuerhinterziehung durch Unterlassung:

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Vollendet bei der EinkSt mit dem Zeitpunkt „wesentlicher Abschluss der

Veranlagung―, denn erst dann ist die Unterlassung „quasi-

kausal― für die Verkürzung. Bevor die Veranlagungsarbeiten im

wesentlichen abgeschlossen sind, wäre auch bei früherer

Abgabe der Erklärung der Pflichtige nicht veranlagt worden.

Bei der USt. mit Ablauf der Fristen:

§ 18 I 1 UstG

§ 149 II 1 AO. Bei fristgerechter Abgabe der Erklärung

wäre die Steuer (qua Selbstveranlagung) mit Ablauf der

Frist festgesetzt worden. Hier wirkt sich also die

Unterscheidung zwischen Veranlagungssteuer und

Selbstveranlagungssteuer aus (Fälligkeitssteuer mit

Selbstveranlagung).

Bei der GewSt.: Das Finanzamt erlässt nur den

Steuermessbescheid

Den Folgebescheid (Steuerbescheid) erlässt die Gemeinde. Also

muss der fiktive Zeitpunkt für den Erlass des Folgebescheides

ermittelt werden (ähnlich wie bei der EinkSt.).

Dass der Vollendungszeitpunkt gegenüber dem Begehungsdelikt bei der Unterlassung weiter

hinausgeschoben ist, ist auf Kausalitätserwägungen zurückzuführen. Man fragt: Inwiefern ist

das Nichthandeln des Täters (quasi-)kausal für die unterbliebene Festsetzung

(Steuerverkürzung)? Hätte der Täter gehandelt, also die Erklärung abgegeben, wäre er

veranlagt, die Festsetzung also vorgenommen worden, die Steuerverkürzung unterblieben. Bei

Veranlagungssteuern (ohne Selbstveranlagung) wäre dies aber erst dann geschehen, wenn sich

der Veranlagungsbeamte die Akte vorgenommen hätte. Genau genommen, müsste also der

konkrete Zeitpunkt ermittelt werden, an dem sich der Finanzamtsachbearbeiter, hätte der

Pflichtige fristgemäß erklärt, dessen Steuerakte zur Veranlagung vorgenommen hätte. Dieser

Zeitpunkt lässt sich naturgemäß nicht feststellen Zugunsten des Täters wird daher unterstellt,

dass sich der Sachbearbeiter erst nach Abschluss aller Steuerfälle der Akte des Täters

zugewandt hätte. „Günstig― ist dies für den Täter deshalb, weil er bis zur Vollendung nur der

Versuchsstrafbarkeit unterliegt.

Bei der Selbstveranlagungssteuer (z. B. Umsatzsteuer) ist alles anders, weil schon mit Ablauf

der Frist die (Selbst-) Veranlagung erfolgt wäre, wenn der Täter rechtzeitig gehandelt hätte,

ebenso bei reinen Fälligkeitssteuern (z. B. Tabaksteuer), d. h. bei Steuern, die ohne

Festsetzungsakt, allein mit der Verwirklichung des Steuertatbestandes entstehen (z. B.

Verbringen der Zigaretten aus dem Herstellungsbetrieb). Hier entsteht die Verkürzung

gleichsam automatisch mit Fristablauf (bei der Selbstveranlagungssteuer) bzw. mit Erfüllung

des (Steuer-) Tatbestands (bei der reinen Fälligkeitssteuer), so dass der

Unterlassungstatbestand einen hypothetischen Festsetzungsakt des Finanzamts nicht erfordert.

Ist nun mit der Vollendung zugleich Beendigung eingetreten?

Man kann behaupten, für die Beendigung sei die Vollendung zwar eine notwendige, aber

keine hinreichende Voraussetzung, denn schließlich komme es dem Täter darauf an, keine

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Steuern zahlen zu müssen. Das würde zu der Konsequenz führen, dass Beendigung nicht vor

Erlöschen des Steueranspruchs eintreten kann, denn erst dann hat der Täter sein eigentliches

Ziel erreicht, OLG Köln, wistra 1988, 274 (276). Für das Unterlassen bedeutete dies:

Beendigung träte erst ein, wenn die Handlungspflicht erfüllt wird, wegfällt oder die Erfüllung

„gegenstandslos wird―, was immer das OLG damit meinen mag.

Diese Auffassung hat der BGH zwar verworfen (BGH, wistra 1991, 135), sagt aber in dem

Vermögensteuerbeschluss vom 07.11.2001, wistra 2002, 64 (67),

Die Tatvollendung fällt bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht

ohne weiteres mit der Tatbeendigung zusammen, denn mit der Vollendung

allein ist noch kein dauerhafter Taterfolg eingetreten, weil der Täter stets mit

der Möglichkeit der Veranlagung durch Schätzung zu rechnen hat, solange die

Veranlagungsarbeiten noch nicht abgeschlossen sind.

Der BGH geht also nicht so weit wie das OLG Köln in der oben zitierten Entscheidung, das

die Beendigung an das „Erlöschen des Steueranspruchs― knüpft, verlangt aber für die

Beendigung mehr als bloße Vollendung.

Ergebnis also: Nur beim Begehungsdelikt der Steuerhinterziehung (§ 370 I Nr. 1 AO) fallen -

jedenfalls nach der Rechtsprechung des BGH - Vollendung mit Beendigung zusammen. Bei

der Unterlassung wird unterschieden zwischen Amtsveranlagungsteuer (Beendigung tritt nach

der Vollendung ein, wie beim Begehungsdelikt) und Sebstveranlagungsteuer (Beendigung

fällt mit Vollendung zeitlich zusammen), dazu näher unten

Anders das OLG Hamm vom 2. 8. 2001, 2 Ws 156/01, wistra 2001, 474 = PStR 2001, 236

(bei Burhoff)

Es setzt Beendigung auch bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen mit

der Vollendung gleich.

Diese Ansicht führt das OLG zu einem weiteren

Problem: Führt der Grundsatz „in dubio pro reo― zur Annahme unterschiedlicher

(fiktiver) Vollendungszeitpunkte?

- Grundsätzlich: Zweifel wirken sich zugunsten des Angeklagten aus, wenn

nicht feststellbar ist, wann die Tat vollendet / beendet ist.

Bei der Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung ist es für den Täter günstiger, den

Vollendungszeitpunkt möglichst weit hinauszuschieben, dem umso länger ist (beispielsweise)

der Rücktritt möglich.

Handelt es sich um den Beginn der Verjährung, steht sich der Täter günstiger, wenn der

Beendigungszeitpunkt möglichst früh angenommen wird, denn umso eher ist er „ aus der

Verfolgung―.

Die unterschiedliche Interessenlage verdeutlicht :

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Bild 23

Das OLG Hamm sah sich in der zitierten Entscheidung veranlaßt, auf den Grundsatz „in

dubio pro reo― zurückzugreifen und bei der Frage des Verjährungsbeginns den Eintritt des

Hinterziehungserfolgs (der nach Ansicht des OLG zugleich die Beendigung darstellt)

zugunsten des Täters möglichst früh anzunehmen. Richtig ist natürlich, dass der Grundsatz

durchaus „mal so― und „mal so―, d. h. immer problembezogen nicht tatbezogen, anzuwenden

ist..24

. Wenn also Zweifel bestehen, ist es durchaus folgerichtig, bei der Beurteilung derselben

Tat für die Frage, ob Versuch oder Vollendung vorliegt, den Zeitpunkt hinauszuschieben, für

die Verjährungsfrage ihn aber nach vorne zu verlegen. Wird Beendigung mit Vollendung

gleichgesetzt, ist diese doppelte Anwendung nur folgerichtig.

Dagegen hält aber der BGH vom 7. 11. 2001, 5 StR 395/01, wistra 2002, 64 (67),

zustimmend Jäger, PrStR 2002, 3):

Er sagt: Voraussetzung für die Anwendung des Grundsatzes wäre, dass

beim Tatrichter überhaupt Zweifel über die Tatsachen bestehen, die die

Verjährung begründen. Weiß das Gericht hingegen, dass kein

Steuerbescheid ergangen ist, und kennt es den Zeitpunkt des

Abschlusses der Veranlagungsarbeiten durch das Finanzamt, sind ihm

die für die Tatbeendigung maßgeblichen Tatsachen bekannt; für die

Anwendung des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten― bleibt

dann kein Raum. Der hypothetische Zeitpunkt, zu dem das Finanzamt

einen Steuerbescheid erlassen hätte, wenn der Täter eine

Steuererklärung abgegeben hätte, ist für die Frage der Beendigung ohne

Bedeutung, da es insoweit auf die endgültige Nichtfestsetzung der

24 Zur doppelten Anwendung dieses Grundsatzes vgl. die BGH-Entscheidung zur Subsidiaritätsklausel des § 246

StGB: BGHSt 47, 243 mit Anm. Freund / Pütz, NStZ 2003, 242

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Steuer ankommt; die bloße Tatbestandsverwirklichung durch Bewirken

einer nicht rechtzeitigen Veranlagung reicht für die Tatbeendigung

nicht aus.―

Auch diese Entscheidung ist in sich konsequent, denn sie beruht auf einer gegenüber dem

OLG Hamm unterschiedlichen Voraussetzung: Vollendung schließt nicht zwingend die

Beendigung ein. Kennt das Gericht den Abschluss der Veranlagungsarbeiten, ist also die

Sache „sauber ausermittelt―, dann bleibt ein dubius nicht zurück

Die Prämisse des BGH ist indessen nicht unproblematisch. Sie läuft auf einer Linie mit der

oben abgelehnten Auffassung, dass man bei Unterlassungstaten praktisch nie zu einer

Verjährung kommt. Auch bei jener älteren Ansicht hat der Gedanke Pate gestanden, dass es

dem Pflichtigen ja letztlich darauf ankommt, „aus dem Schneider― zu sein, und das ist er erst,

wenn der Steueranspruch erloschen ist. So weit geht der BGH hier natürlich nicht, aber die

Argumentation ist doch immerhin verwandt.

Folgerichtig müsste der BGH seine Rechtsprechung zur Beendigung auf die

Selbstveranlagungssteuern übertragen. Er könnte sagen: Bei diesen tritt zwar Vollendung

schon mit Ablauf der gesetzlichen Frist ein, aber für die Beendigung gilt dasselbe wie bei den

Veranlagungssteuern. Erst mit Abschluss der Veranlagungsarbeiten braucht der Pflichtige

nicht mehr mit Schätzung zu rechnen. Das sagt der BGH aber gerade nicht, sondern er

behandelt die Selbstveranlagungsteuern in diesem Punkt anders als die

Amtsveranlagungsteuern (BGH wistra 1991, 215(21)): Freilich könnte man auch umgekehrt

argumentieren: die Rechtsprechung zur Sebstveranlagungsteuer, die Beendigung mit

Vollendung eintreten lässt, zeigt die Überholungsbedürftigkeit der BGH- Rechtsprechung

bezüglich der Amtsveranlagungsteuern , denn hier wie dort müssen Beendigung und

Vollendung zeitlich zusammen eintreten. Zum Problem: Schmitz in Kohlmann-Fschr., 2003,

S. 517 ff.

Die Verjährung der Teilname beginnt mit Vollendung (ggf. Beendigung) der Haupttat, §§ 27

78 a StGB. Vgl. Jäger, wistra 2000, 344 (347) und LG Oldenburg vom 18. 11. 2004, 13 Ns

436/04, wistra 2005, 69, auf Revision der StA abgeändert durch OLG Oldenburg vom 4. 4.

2005, Ss 8/05 (I 21), wistra 2005, 352:

Der Bankmitarbeiter B löst in 1995 für den Kunden K Zinskupons in Holland

zinsabschlagsteuerfrei ein, damit K die ESt für 1995 insoweit "erspart". Dem K wird der

Steuerbescheid für 1995 im Juli 1997 zugestellt. Im November 2002 wird gegen B das

Ermittlungsverfahren eingeleitet: Verjährt, da mit Zustellung des Steuerbescheids in 1997 die

Haupttat beendet ist und die 5 Jahre im Juli 2002 abgelaufen sind. Also: Einstellungsurteil

nach § 260 III StPO.

Das Unrecht des Gehilfen lässt sich, wie es BGH vom 1. 8. 2000, 5 StR 624/99, wistra 2000,

340 (die Entscheidung zu der Frage der Beihilfe durch "neutrale Handlungen") ausdrückt,

"nur aus dem Unrecht der Rechtsgutsverletzung der Haupttat ... ableiten."

Wie ist es, wenn B Beihilfe dadurch begeht, dass er dem K generell empfiehlt, die Papiere

stets in Holland steuerfrei einzulösen und K in den Jahren 95 und den folgenden so verfährt,

wovon B ausgeht? Hier stellt sich die Frage, ob bei einer Vielzahl von Haupttaten nach

einmaliger Hilfeleistung die Verjährung erst mit Beendigung der letzten Haupttat beginnt, so

in der Tat Jäger in der oben zitierten Urteilsanmerkung. Hiernach können einzelne

Haupttaten schon verjährt sein, während die Verjährung für die Beihilfe noch nicht einmal

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begonnen hat. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die Haupttat noch "gefördert" wird,

wenn die Beihilfehandlung Jahre zurückliegt. Anders FGJ, § 376, Tz. 35 b, im Anschluss an

Pelz, wistra 2001, 11 und Simon/Vogelberg, S. 97.

Zu den Unterbrechungshandlungen vgl. § 78 c StGB. Im Gegensatz zu dem früheren § 68

StGB a.F., wonach die Verjährung durch jede gegen den Täter wegen der Tat gerichtete

richterliche Handlung, unterbrochen wurde, zählt § 78 c StGB die Unterbrechungstatbestände

nunmehr enumerativ auf. Ergänzt für das Steuerordnungswidrigkeitsrecht durch § 376 II AO

(Bekanntgabe der Einleitung eines OWi-Verfahrens). Nach der Unterbrechungshandlung

beginnt die Verjährungsfrist neu.

Im Unterschied zur Unterbrechung wird beim Ruhen die bereits abgelaufene Verjährungszeit

mitgerechnet.

Grundlage: 78 b StGB, wichtige Ergänzung für das Steuerstrafverfahren: § 396 III AO

(Ruhen bei Aussetzung des Strafverfahrens wegen steuerrechtlicher Vorfrage).

Wird wegen mehrerer Taten im prozessualen Sinn ermittelt, erstreckt sich die

Unterbrechungshandlung auf alle Taten, es sei denn, die StA beschränkt ihren

Verfolgungswillen.

Beispiel :

Ein Durchsuchungsbeschluss wird wegen der Hinterziehung von USt 1990 bis 1994

beantragt. Das Gericht erlässt ihn - weitergehend - unter Einbeziehung von USt 1989. Hier ist

für letzteren Hinterziehungszeitraum die Verjährung nicht unterbrochen, weil die StA nur die

Hinterziehung ab 1990 verfolgen wollte (BGH wistra 2000, 219).

4. Fortgesetzte Tat

Früher:

Bei der fortgesetzten Tat wurde jeder Teilakt gesondert als beendigungsfähig angesehen.

Bild 24

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Jetzt nach Aufgabe dieser Rechtsfigur:

Bild 25

BGH vom 20. 6. 1994, 5 StR 595/93, wistra 1994, 266 hat die Rechtsfigur der fortgesetzten

Tat auch für das Steuerstrafrecht aufgegeben (im Anschluss an den Beschluss des BGH vom

3. 5. 1994, GSSt 2 und 3 /93, BGHSt 40, 182, für das allgemeine Strafrecht).

In der Rechtsprechung des BFH lebt sie allerdings fort. BFH, wistra 1998, 230, entnimmt dem

§ 208 I Nr. 2 AO eine steuerverfahrensrechtliche Kompetenz der Fahndung, vorausgesetzt, es

besteht ein strafrechtlicher Anfangsverdacht. (Zur Berechtigung dieser Rechtsprechung unten

bei der Erörterung der Fahndung D III). Besteht der Anfangsverdacht, so darf nach der

Ansicht des BFH die Steufa auch für vorangegangene Zeiträume ermitteln, weil es nicht auf

den Besteuerungsabschnitt - den wir strafrechtlich nach Aufgabe des Instituts des

Fortsetzungszusammenhangs jeweils für sich genommen betrachten - sondern auf den

„gleichen Lebenssachverhalt― ankomme. Ein Musterbeispiel für das Weiterleben nach dem

Tode: der Fortsetzungszusammenhang wechselt gleichsam den Aggregatzustand und lebt,

auch wenn er strafrechtlich tot ist, im Steuerrecht weiter.

Folgt man der Ansicht, dass es keine fortgesetzte Handlung mehr gibt, dann beginnt heute die

Verjährung mit der Beendigung eines jeden Teilaktes (wobei natürlich schon dieser Ausdruck

fehl am Platz ist, denn jeder Teilakt wird als Tat betrachtet).

Fall 38:

Sie sind Anwalt. Im April 2000 erscheint bei Ihnen ein Mandant, der ein Gewerbe als

reisender Teppichhändler betreibt und das seit 1990 - ohne jemals eine

Steuererklärung abgegeben zu haben. Die Gewerbemeldestelle der Stadt ist ihm, wie

er befürchtet, auf den Fersen. Für welche Zeiträume ist es taktisch richtig, zu einer

Selbstanzeige zu raten und für welche Steuern?

Die Steuerhinterziehung kann hier nur durch Unterlassen begangen sein. Für die Vollendung

ist entscheidend, wann die Handlungspflicht einsetzte. Bei der Umsatzsteuer ist dies bezüglich

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der Jahreserklärung der 31.05. des jeweiligen Folgejahres. Wenn wir also allein von § 370 AO

ausgehen, ergibt sich folgendes Bild:

1990 31.05.1991 bis (+ 5) 31.05.1996

1991 31.05.1992 bis (+ 5) 31.05.1997

1992 31.05.1993 bis (+ 5) 31.05.1998

1993 31.05.1994 bis (+ 5) 31.05.1999

1994 31.05.1995 bis (+ 5) 31.05.2000

Das bedeutet, die Verfolgung der Umsatzsteuerhinterziehung bezüglich 1994 ist jedenfalls

nicht vor dem 31. 5. 2000 verjährt, so dass es sich empfiehlt, insofern auf jeden Fall eine

Selbstanzeige abzugeben. Sind die vorangegangenen Jahre verjährt ? Die Jahresumsatzsteuer

ist - wie die USt-Voranmeldung - selbstveranlagend (§ 18 III UStG), aber: entscheidend ist

die Beendigung, und hier dürfte derselbe Gedanke gelten wie bei den Veranlagungssteuern.

Es kommt darauf an, ab wann der Täter ―sein Schäfchen endgültig ins Trockene gebracht―

hat, und das ist dann der Fall, wenn er nicht mehr mit einer Veranlagung zu rechnen hat, also

kommt es auch bei der Selbstveranlagungssteuer auf den Abschluss der Veranlagungsarbeiten

im Bezirk an. Selbst 1994 verjährt bei dieser Sicht nicht am 31.5.2000, sondern erst fünf

Jahre nach dem Abschluss der Veranlagungsarbeiten.

Würde man mit dem OLG Hamm zugunsten des Pflichtigen Beendigung mit Vollendung

gleichsetzen und annehmen, dass das Finanzamt sehr zügig arbeitet, dürfte man davon

ausgehen, dass die Erklärung für 1990, wenn sie denn bis 31.05.1991 eingereicht worden

wäre, in einem Monat, zwei Monaten, drei Monaten oder in irgendeiner nahen Zeit bearbeitet

worden wäre, so dass die Verjährung doch ziemlich frühzeitig beginnt. Dabei geht das OLG

Hamm nicht von der gesetzlichen Frist des § 149 II AO, sondern von der durch

Verwaltungsübung (regelmäßig gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der

Länder) auf den 30.9. verlängerten Frist aus. Das für Ihren Mandanten zuständige Gericht

wird dieser Auffassung aber nicht zwingend folgen, zumindest wenn die Revision nicht zum

OLG Hamm geht, sondern es wird im Anschluss an die BGH-Entscheidung darauf abstellen,

wann die Veranlagungsarbeiten abgeschlossen waren. Dabei muss man schon damit rechnen,

dass dies 1 ½ Jahre, zwei Jahre, bis drei Jahre (je nach der Konstellation beim konkreten Amt)

gedauert hätte. 1990 könnte also erst Ende 1992 oder Ende 1993 bearbeitet sein, so dass die

Verjährung dann 1997 oder 1998 abläuft. 1991 würde dann erst 1999 ablaufen.

Das ist deshalb so schwierig, weil es auf ein gewisses Wahrscheinlichkeitsurteil ankommt.

Wenn Sie für den Veranlagungszeitraum eine Bearbeitungsfrist von 3 Jahren unterstellen (je

nach Amt verschieden), ergibt sich:

ESt. zwei bis drei Jahre nach Fristende (Abschluss des Veranlagungsarbeiten).

1990 Ende 1992

Verfolgungsverjährung

Ende 1993 Ende 1998

Verfolgungsverjährung

1991 Ende 1995 Ende 1999

Man kann hier keine genauen Prognosen abgeben.

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124

Die ganze Überlegung wurde nach altem Recht natürlich hinfällig, wenn man § 370 a III a.

F. AO ins Kalkül zog. Hiernach betrug die Verjährung 10 Jahre, mit der Konsequenz, dass

noch alles „offen“ wäre. Selbstanzeige musste also für alles erstattet werden.

Die Beantwortung hing davon ab, ob der Mandant gewerbsmäßig gehandelt hatte.

Mit § 31 a ZollVG (früher § 12 c FVG) ist ein neuer Stern am Himmel der

Verjährungsprobleme erschienen. Diese einmalige Kreation des Gesetzgebers bestimmt, dass

sich die Höhe der Buße nach der Höhe des mitgeführten (nicht deklarierten) Geldbetrages

richtet, also „variabel ist― je nachdem, was der Betroffene mit sich führt. Das OLG Karlsruhe

(wistra 2002, 104) meint, der Bußgeldrahmen sei „im Einzelfall konkret bestimmt―, da er sich

nach der Höhe der mitgeführten nicht angezeigten Zahlungsmittel richtet. Der Betroffene

hatte Bargeld von 200.000,00 DM mit sich geführt, so dass sich der Bußgeldrahmen auf

mindestens „bis zu 100.000,0 DM― bei vorsätzlicher Tat bestimmte. Hieraus zieht das OLG

den Schluss, der Bußgeldrahmen sei also im Einzelfall konkret bestimmt. Bedenken bei

Kindshofer/Wegner, in der Anmerkung wistra 2002, 195. Die §§ 12 a bis d FVG sind

aufgehoben., finden sich jetzt in §§ 1 III a, 12 a bis c, 31 a ZollVG, dazu Wegner, PStR 2002,

246 (248).

5. Im Unterschied hierzu: die steuerliche Festsetzungsverjährung

Ablauf der Festsetzungsfrist, § 169 AO

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125

Bild 26

Einen besonderen Fall der Ablaufhemmung enthält § 171 IV AO. Wird vor Ablauf der

Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen (usw.), so läuft die Festsetzungsfrist für

die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt hat, nicht ab, bevor die (aufgrund der

Prüfung zu erlassenden) Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (usw.).

Weitergehend § 171 V AO: Hier setzt das Gesetz keine Frist für die Umsetzung des

Ermittlungsergebnisses. Beginnt die Fahndung (vor Ablauf der Festsetzungsfrist) mit

Ermittlungen, wird der Ablauf der Festsetzungsfrist „grenzenlos― gehemmt, es kann allenfalls

noch Verwirkung durchgreifen. So jedenfalls BFH vom 24. 4. 2002, I R 25/01, wistra 2002,

389. Dazu der folgende

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126

Fall 39:

Es ging um Steuern 1982 bis 1984.

Oktober 1986 Einleitung des Strafverfahrens (ESt, KöSt, GewSt)

Juli 1993 Bericht der Steufa

März 1996 Eröffnung durch das Landgericht abgelehnt

(rechtskräftig)

März 1997 Steuerbescheide

Festsetzungsfrist: 4 Jahre nach Entstehen der Steuer (§ 170 I AO)

Beginn: Bei Erklärungen mit Ablauf des Jahres der Einreichung,

spätestens drei Jahre nach Ablauf des Entstehungsjahres (§ 170

II AO).

Wann im konkreten Fall eingereicht, nicht feststellbar;

für 1982 Beginn also: 01.01.1983 + 3 Jahre

Beginn also: 01.01.1986

+ Dauer 4 Jahre, also Ende 31.12.1989 verjährt.

Alle Fristen aus § 170 I Nr. 1 AO sind abgelaufen.

Aber:

§ 171 V 1 AO: Im Oktober 1986 Fahndungsermittlungen, so dass Festsetzungsverjährung

grenzenlos gehemmt.

Keine entsprechende Anwendung des § 171 IV 3 AO, wonach die Festsetzungsfrist

spätestens endet, wenn seit der Schlussbesprechung bzw. der letzten Ermittlungshandlung die

Fristen des § 169 II AO verstrichen sind.

Hiernach: 3 Jahre nach Schlussbesprechung oder letzter Ermittlungshandlung. Spätestens Juli

1993 (hier war der Bericht übersandt), also Ende 1996 wäre hier die Festsetzungsfrist

abgelaufen. Der BFH lehnt die Anwendung des § 171 IV 3 AO aber ab.

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C. Besonderer Teil

I. Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO)

1. Struktur des § 370 AO

Seit dem 1. 8. 2006 ist das Mineralölsteuergesetz durch das EnergieStG (BGBl 2006 I, 1534) ersetzt. Mineralöl

wird neben anderen Energieerzeugnissen durch dieses Gesetz erfasst. Was die Heizölverdieselung angeht, so

sind die nach altem Recht anhängigen Strafverfahren noch nicht abgeschlossen. Für die strafrechtliche

Beurteilung enthält das neue Gesetz keine wesentlichen Änderungen. § 26 MinöStG entspricht § 21 EnergieStG,

im einzelnen vgl. die 18. Lieferung 2007 von Bender, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, C IV, Tz. 94 und Tz.

62.2b und c.

Die Verbrauchsteuern sind durch das Gesetz vom 15. 7. 2009, BGBl I 1870, neu geregelt.

Bild 27

§ 370 AO ist Erfolgsdelikt. Erfolg ist die Steuerverkürzung bzw. die Erlangung eines (nicht

gerechtfertigten) Steuervorteils. Die Tathandlung liegt im „Angaben machen― (§ 370 I Nr. 1

AO), in „Unkenntnis lassen― (§ 370 I Nr. 2 AO), „Verwendung unterlassen― (§ 370 I Nr. 3

AO). Tathandlung und Erfolg sind im gesetzlichen Tatbestand durch das Wörtchen „dadurch―

verbunden. Die Tathandlung muss die Steuerverkürzung verursachen. An der Kausalität fehlt

es, wenn die Finanzbehörde die Steuer in Kenntnis der Unrichtigkeit der Erklärung aus

anderen Gründen zu niedrig festsetzt (FGJ, § 369, TZ 43 und § 370, TZ 201).

Ausführlich Verf., Fschr. Schwind, 2006, 491.

Zwischen Begehung und Erfolg muss Kausalität, zwischen Unterlassung und Erfolg

„Quasikausalität“ bestehen.

Fall 40:

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128

P verschweigt bei der Angabe seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen Zinserträge auf

einem Konto in Luxemburg. Die Erklärung geht beim Finanzamt verloren. Ohne

Rückfrage bei P veranlagt das Finanzamt durch Schätzung entsprechend den Angaben

der Vorjahre, die ebenfalls diese Zinseinnahmen nicht enthielt.

Wenn Sie die Kausalitätsfrage ernst nehmen, verliert das Tatbestandsmerkmal „Angaben

machen― (also die Begehungsform des § 370 I Nr. 1 AO) an Bedeutung, denn die meisten

Steuerhinterziehungen geschehen durch Unterlassen, indem der Täter bestimmte Einkünfte

eben nicht erklärt. Dazu unten mehr.

Gehen Sie im Fall 40 davon aus, dass P nicht unterlassen, sondern gehandelt hat, indem er zu

niedrige Angaben gemacht hat, dann sind diese Angaben nicht kausal geworden, weil das

Finanzamt ohne diese Erklärung veranlagt hat. Schwieriger ist die Frage zu beantworten,

wenn Sie davon ausgehen, dass P unterlassen hat und demzufolge § 370 I Nr. 2 AO prüfen.

Hätte P nicht in Unkenntnis gelassen, wäre der Erfolg ausgeblieben, denn hätte er offenbart,

hätte das Finanzamt in der richtigen Höhe festgesetzt. Sie können in diesem Fall nicht so

argumentieren, die Erklärung sei auf jeden Fall nicht bis zum Finanzamt gelangt, und das

Finanzamt habe demzufolge ohne die Erklärung falsch geschätzt. Dann sind Sie nämlich

wieder bei der Prüfung der Nr. 1. Bei § 370 Nr. 2 AO kommt es dagegen nur darauf an, ob P

das Finanzamt in Unkenntnis gelassen hat und ob bei richtiger Erklärung der höhere Betrag

veranlagt worden wäre. Das ist hier zu bejahen.

Einen Fall der Begehung betrifft die Entscheidung

BGH vom 19. 10 1999, 5 StR 178/99, wistra 2000, 63 (64):

Der Angeklagte machte mit Hilfe von Scheinrechnungen, die die USt. offen

auswiesen, zu Unrecht Vorsteuer geltend, die ihm das Finanzamt auszahlte. Spielt es

eine Rolle, dass der Finanzbehörde, wie es in der Revisionsbegründung heißt,

„Tatsachen bekannt waren, die einen Anfangsverdacht― für diese Tat begründeten?

Nein,

denn der bloße Verdacht beseitigt nicht die Unkenntnis der Finanzbehörde. Die Frage, ob

§ 370 AO „Unkenntnis― der Finanzbehörde verlangt, brauchte also nicht entschieden zu

werden. Anders der BGH, der die Fallkonstellation zum Anlass für die allgemeine

Feststellung nimmt, § 370 AO setzte „keine gelungene Täuschung mit Irrtumserregung beim

zuständigen Finanzbeamten voraus―. Das ist der typische Fall eines obiter dictums, denn diese

Randbemerkung trägt nicht das Urteil, da es auf die Frage nicht ankam.

Zum Vergleich: Struktur des § 263 StGB

Bild 28

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Der Betrugstatbestand setzt mehrere „Erfolge― voraus: Zunächst den Irrtum als Erfolg des

Vorspiegelns, also der Tätigkeit, die Sie gemeinhin verkürzend als „Täuschungshandlung― zu

bezeichnen pflegen, sodann die daraus resultierende Verfügung, die schädigt, wenn aus dem

Vermögen etwas weggegeben (wegverfügt) wird, so dass in vielen Fällen die hierdurch

entstandene Vermögensminderung mit dem Schaden identisch ist. Das Problem der

Tatbestandserfüllung ist dann nicht (erst) beim Schaden zu suchen, sondern schon bei der

Verfügung zu erörtern. Zum Problem des Schadens kommt es erst dann, wenn die Minderung

(Einwirkung auf das Vermögen) zugleich eine Mehrung nach sich zieht. Dann entsteht das

Kompensationsproblem, und die Prüfung muss dann von der Verfügung zum Schaden

übergehen. Falsch ist es, etwa zu sagen: „A hat über sein Vermögen verfügt, indem er die

Leistung erbracht hat, die Frage ist, ob diese Verfügung das Vermögen schädigt, was davon

abhängt, ob die Leistung sein Vermögen gemindert hat.― Nein, so ist es nicht, denn wenn die

Leistung das Vermögen nicht gemindert hat, fehlt es an der Einwirkung auf das Vermögen

und damit schon am Merkmal der Verfügung.

Das Problem der Bereicherungsabsicht und des schadensgleich beabsichtigten Vorteils

(Stoffgleichheit) haben Sie bei § 370 AO nicht. Hier genügen Erfolg und Vorsatz.

Gemeinsamkeit:

Qualifizierte Handlung bzw. Unterlassung; Erfolg (beim Betrug der Schaden, bei § 370 AO

die Verkürzung bzw. Vorteilserlangung).

Unterschiede:

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Beim Betrug gleichsam ein „Dominoeffekt‖: Mehrere (Erfolgsstadien) werden bis zum

Schaden durchlaufen, das Ganze überlagert von der Absicht. Der Vorteil braucht nicht

realisiert zu werden. Demgegenüber bleibt bei § 370 AO zwar auch eine „Unkenntnis‖, aber

es ist keine Verfügung gefordert, also keine Mitwirkungshandlung der Finanzbehörde. Kein

„Dominoeffekt‖, keine Absicht.

Also:

Nur „entfernte Verwandtschaft‖ beider Delikte: Vor allem ist der Erfolg der „Steuerver-

kürzung‖ nicht gleichbedeutend mit Vermögensminderung, nicht einmal mit „Steuerausfall‖

(Tipke/Seer TZ 29).

§ 370 III AO listet besonders schwere Fälle auf (ohne dass hierdurch etwa die Deliktsnatur

verändert würde!). Nach OLG Brandenburg vom 3. 3. 2005, 2 Ss 10/05, PStR 2005, 232 =

wistra 2005, 315, liegt ein "Missbrauch der Amtsträgerstellung" i. S. des § 370 III Nr. 2 AO

nicht vor, wenn ein höherer BGS-Beamter in Uniform Zigaretten über die Grenze zu

schmuggeln, weil der Beamte nicht "unter Ausnutzung der ihm durch sein Amt verliehenen

Möglichkeiten" handelte, wenn er nur darauf vertraut, infolge seiner Bekanntheit werde er

von den Kollegen nicht kontrolliert.

Besonders schwere Fälle nach Art der Regelbeispieltechnik in § 370 III AO. Zur Neufassung

nach Abschaffung des § 370 a AO vgl. die Auswirkungen auf die Verjährungsfrage, o. A V 1.

2. Das Merkmal ‚Steuern verkürzen’

Der Begriff der Steuer

Anknüpfung an A II im Skript.

Die Kirchensteuer „geht ab‖;

Abgaben anderer Staaten kommen hinzu.

Kirchensteuern sind (wegen § 1 I 1 AO, wonach die AO nur für die durch Bundesrecht oder

Recht der Europäischen Gemeinschaften geregelten Steuern gilt) keine Steuern i. S. des § 370

AO. Art. 4 III EGStGB hat den Landesgesetzgeber ermächtigt, die §§ 369 ff. AO auf

Kirchensteuern anzuwenden. Davon hat bisher nur Niedersachsen Gebrauch gemacht (§ 6

KiStG Nds). Aber auch dort wird die Verkürzung der Kirchensteuer nur auf Antrag des

Steuerberechtigten (Religionsgemeinschaft) verfolgt.

BGH v. 19.12.1997, 5 StR 569/96, BGHR, AO § 370 Abs. 1, Beitreibungsverfahren 1: Eine

Abwendung der Beitreibung von Säumnis- und Verspätungszuschlägen und

Zwangsgeldern (steuerliche Nebenleistungen) durch Täuschung ist weder nach § 370 AO,

noch nach § 263 StGB strafbar. Der Beuge- und Sanktionscharakter steht im Vordergrund, sie

dienen nicht der Erzielung von Einnahmen. § 370 AO auf die Hinterziehung solcher

Leistungen anzuwenden, widerspricht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 GG. § 1 III AO

ist nicht hinreichend klar (spricht nicht deutlich aus, daß auch die Strafbestimmungen der AO

auf diese Leistungen anzuwenden sind).

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'Der Solidaritätszuschlag ist Steuer (dient der Erzielung von Einnahmen). Kindergeld ist

Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG), die Erschleichung also nach § 370 AO strafbar,

Entsprechendes gilt für die Erschleichung von Prämien nach den Prämiengesetzen, z. B. § 8 II

WoPG.

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Bild 29

§ 370 I AO erwähnt drei Tatmodalitäten

- die Handlung in Nr. 1 (Angaben machen) = Jedermannsdelikt, denn jeder hat

die Unterlassungspflicht,

- die Unterlassung in Nr. 2 = Delikt begehbar nur von Handlungspflichtigem,

und die Handlungspflicht hat nicht jeder, nur der, dem sie auferlegt ist,

- die Unterlassung der Verwendung von Steuerzeichen pp. in Nr. 3.

Erfolgsdelikt war schon die entsprechende Bestimmung in der Urfassung Enno Beckers. Im

Unterschied zu früher umschreibt der heutige § 370 AO die Tatmodalität (Handlung bzw.

Unterlassung) in Abs. 1 Nr. 1 bis 3. Die „Verkürzung― wird - im Gegensatz zur Urfassung -

zum „neutralen― Erfolg. Das „subjektive Unrechtselement―, von Enno Becker hervorgehoben

durch die Verbindung zwischen „Hinterziehung―, „Erschleichen― ist entfallen. Die

Tathandlung ist präzisiert („... Angaben machen―, „ in Unkenntnis lassen― oder „Verwendung

von ... Unterlassen―).

Wenn man jetzt noch wüsste, was „Verkürzen― bedeutet, könnte der Tatbestand als

hinreichend umgrenzt angesehen werden (i. S. von Art. 103 II GG). Das Gesetz gibt eine

Hilfestellung in Abs. 4. Dort geht es um die Festsetzungsverkürzung. Abgesehen von der

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eigenartigen Stellung dieser Definition innerhalb des § 370 AO (hinter der Anordnung der

Versuchsstrafbarkeit und den „besonders schweren Fällen―) enthält die Definition das

unglückselige Wort „namentlich―. Man kann daraus nur schließen, dass dem Gesetz außer der

Festsetzungsverkürzung noch eine weitere Art der Steuerverkürzung vorschwebt. So sind wir

heute genauso klug wie zur Zeit Enno Beckers, der immerhin insofern etwas prägnanter

formulierte, als er statt „namentlich― die Worte „es genügt, dass ...― verwendete. So war nach

der früheren Fassung klar, dass die Festsetzungsverkürzung einen Ausschnitt aus dem Bereich

des Verkürzungstatbestandes insgesamt darstellte. Heute ist die Frage, ob es einen

Oberbegriff der Verkürzung gibt, der als „Teilmenge― die Festsetzungsverkürzung umfasst,

oder ob die Festsetzungsverkürzung gleichrangig neben anderen Verkürzungsbegriffen steht.

Kurzum: Keiner weiß, was eigentlich Steuerverkürzung ist. Kohlmann begnügt sich mit der

Definition der Verkürzung als „technischem Begriff―.

Noch ein Weiteres: Handlung und Erfolg sind durch das Wörtchen „dadurch― verknüpft. Das

bereitet schon bei den Tathandlungen der Nr. 1 (Angaben machen pp.) Probleme.

Fall 41:

A erklärt, obwohl er 300.000,00 € Jahresgewinn aus Gewerbebetrieb erzielt hat, nur

200.000,00 €, woraufhin die Einkommensteuer um 50.000,00 € zu niedrig festgesetzt

wird. Festsetzungsverkürzung? § 370 I Nr. 1 AO?

Wie verhält es sich mit der Kausalität?

Auf den ersten Blick scheint diese nicht problematisch zu sein. Hat doch die zu niedrige

Erklärung des A bewirkt, dass das Finanzamt 50.000,00 € zu wenig festgesetzt hat, oder?

Prüfen Sie anhand der conditio-sine-qua-non-Formel:

Hätte A nicht diese Erklärung abgegeben, was wäre dann geschehen? Sie denken sich die

Erklärung hinweg und prüfen, ob der Erfolg entfällt. Wäre dann also richtig festgesetzt

worden? Wohl kaum, im Gegenteil, nichts wäre festgesetzt worden. Sie werden einwenden,

das stimmt nicht, denn das Finanzamt hätte geschätzt. Das mag sein, aber das war hier nicht

der Fall. Sie dürfen den Fall nicht verändern. Von Schätzung ist nichts gesagt.

Hätte A die Erklärung, die den Gewinn mit 250.000,00 € angab, nicht abgegeben, wäre nichts

geschehen, jedenfalls keine höhere (richtige) Festsetzung. Richtig wäre nur dann festgesetzt

worden, wenn A den höheren Gewinn erklärt hätte. Es fehlt offenbar die Kausalität, jedenfalls

ist dies die These der Dissertation von Wulf (vgl. o. Literaturverzeichnis).

Wo liegt der Gedankenfehler?

Sie müssen von den konkret verwirklichten Bedingungen ausgehen. A hat eine Erklärung

abgegeben. Auf diese Erklärung hin ist der Steuerbescheid (Festsetzung) ergangen. Das ist die

nüchterne Tatsachenfeststellung, d. h. der ontologische Bereich. Zum Normativen gehört die

Wertung: Die Erklärung des A war unrichtig (zu niedrig), und die Festsetzung war unrichtig

(zu niedrig). Das Gesetz vermengt oft Wertung und Tatsachen, mischt also den ontologischen

und den normativen Bereich auf, so z. B. wenn es in § 222 StGB davon spricht, dass der Tod

„durch Fahrlässigkeit― eingetreten sein müsse. Durch Fahrlässigkeit kann überhaupt nichts

eintreten. Kausal für den Tod kann eine Handlung sein. Diese kann (muss aber nicht) als

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fahrlässige gewertet werden. Auch Handlungen, die nicht fahrlässig sind, können den Tod

herbeiführen. Bestraft wird die Handlung nach § 222 StGB aber nur, wenn sie als fahrlässig

gewertet wird.

Für den Steuerrechtsfall bedeutet dies: Die Kausalität ist durchaus zu bejahen, denn hätte A

die Erklärung nicht abgegeben, wäre diese Festsetzung nicht erfolgt. Dass auf der anderen

Seite gar nichts festgesetzt wäre, wenn A nichts erklärt hätte, interessiert überhaupt nicht.

Sie merken aber: Irgendetwas kann hier nicht stimmen. Das ist richtig, es sind dieselben

Argumente, die zu dem Wust von Monographien um den Radfahrerfall (BGHSt 11, 1)

geführt haben. Es geht genauer gesagt um den Rechtswidrigkeits- oder

Relevanzzusammenhang. Der Tod muss gerade „durch― die Fahrlässigkeit eingetreten sein.

Damit meint das Gesetz, dass zwischen der normativ als fahrlässig zu wertenden Handlung

(der Fahrlässigkeit) und dem Tod ein besonderer Relevanzzusammenhang bestehen muss.

Eben dieser Relevanzzusammenhang muss auch zwischen der Festsetzung und der

Tathandlung (unrichtige Erklärung) bestehen. Insofern ist Wulf Recht zu geben, nur fehlt

nicht die Kausalität, sondern der Rechtswidrigkeitszusammenhang (Relevanzzusammenhang).

Das kann dazu führen, dass sehr viele Fälle, die wir gemeinhin als unrichtige Erklärungen

nach § 370 I Nr. 1 AO behandeln, in Wirklichkeit diesem Tatbestand nicht unterfallen,

sondern (allenfalls) unter Nr. 2 zu zählen sind, einfach deshalb, weil der an den Täter

gerichtete Vorwurf nicht der ist, dass der Täter etwas erklärt hat (den zu niedrigen Umsatz),

sondern dass er den höheren Umsatz nicht erklärt hat, also eine Unterlassung. Der Vorwurf

ist ein Unterlassungs- und kein Handlungsvorwurf. Das hat praktische Konsequenzen: Der

Begehungstatbestand des § 370 I Nr. 1 AO ist ein „Jedermannsdelikt―, die Erfüllung des

Unterlassungstatbestands des § 370 I Nr. 2 AO setzt dagegen eine Handlungspflicht (= hier:

Erklärungspflicht) voraus.

All dies sind aber Feinheiten, die die h. M. in ihrer holzschnittartigen Sicht des § 370 AO

nicht berücksichtigt. Die folgenden Ausführungen des Skripts legen, weil Sie ja in der Praxis

damit arbeiten müssen, die h. M. zugrunde, wonach in der unvollständigen Erklärung nicht

eine Unterlassung, sondern eine Begehung gesehen wird.

3. Die Verkürzung nach § 370 IV 1 AO: Festsetzungsverkürzung

Das Gesetz definiert die Verkürzung mit Hilfe der ―Festsetzung‖ (§ 370 IV 1 AO).

Also muss zunächst der Begriff der Festsetzung erläutert werden. Die Festsetzung ist ein

Abschnitt des Besteuerungsverfahrens:

Bild 30

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Ermittlungsverfahren:

Gemeinde erteilt Lohnsteuerkarte;

Gewerbemeldestelle registriert Gewerbebetrieb;

Finanzamt vergibt Steuernummer;

Anzeige- und ―Beistands-‖pflichten z. B. der Notare bei Beurkundung schon des

schuldrechtlichen Kaufvertrages;

Der Steuerpflichtige gibt eine Einkommensteuererklärung ab.

Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis

(Erhebungsverfahren) sind die in § 218 AO erwähnten Bescheide (Steuer-, Haftungs-

bescheide über Festsetzungen der Zinsen pp.). In § 218 AO finden wir einen Satz, der uns

zum Festsetzungsverfahren überleitet: § 218 I 2 AO: Die Steueranmeldungen stehen den

Steuerbescheiden gleich.

Bild 31

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Beispiele:

a) für Veranlagung durch Finanzbehörde ("Amtsveranlagung"):

Nach § 150 I 1 AO

sind die Erklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Muster abzugeben.

Nach § 25 III EStG (§ 56 EStDV) hat der Steuerpflichtige für den abgelaufenen

Veranlagungszeitraum eine ESt-Erklärung abzugeben.

Mitzulesen ist § 149 II AO (5 Monate nach Ablauf ist die Erklärung abzugeben).

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Ähnlich:

§ 49 I, II KStG,

§§ 14 a, 35 C 1 e GewStG,

§ 19 GEStG,

Artikel 217 ff. ZK

b) für Steueranmeldung (Selbstveranlagung):

§ 150 I 2 AO:

Der Steuerpflichtige hat in der Erklärung die Steuer selbst zu berechnen, soweit dies

gesetzlich vorgeschrieben ist.

gesetzlich vorgeschrieben:

§ 18 III UStG / § 149 II 1 AO

§ 18 I UStG,

§ 41 a I EStG für die Lohnsteuer,

§§ 9 I, 10 MinöStG (BGBl I 1992, 2185) (bei Verbrauchsteuern in dem auf die

Entstehung des Steueranspruchs folgenden Monat).

Bild 32

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Die Steuerverkürzung ist ein technischer Begriff (Kohlmann § 370 TZ 128), der durch § 370

IV 1 AO erläutert wird (allerdings nur unvollkommen: ―namentlich‖ ...)

Die Definition lautet:

Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht

rechtzeitig festgesetzt werden.

Bild 33

Die „Nichtfestsetzung‖, so könnte man meinen, ist in der „nicht rechtzeitigen‖ enthalten, denn

wenn die Steuer überhaupt nicht festgesetzt wird, ist sie auch nicht „rechtzeitig‖

festgesetzt. Des weiteren: Wird sie „nicht in voller Höhe‖ festgesetzt, dann ist dieser Teil der

Steuer „nicht‖ festgesetzt. Der weiteste Begriff wäre hiernach die nicht rechtzeitige

Festsetzung, darin ist enthalten die Nichtfestsetzung und darin wiederum die Festsetzung

nicht in voller Höhe, so dass sich folgendes Bild ergibt:

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139

Bild 34

Nach meiner Ansicht kennzeichnet indessen jeder dieser Begriffe – ohne Überschneidungen --

einen eigenen Tatbestand.

- Nichtfestsetzung und nicht rechtzeitige Festsetzung: Das Gesetz stellt beide Begriffe

nebeneinander. Folglich ist "Nichtfestsetzung" etwas anderes als die unterbliebene

Festsetzung zum gesetzlichen Termin. Wird etwa die Jahres-USt nicht am 31. 5. des

Folgejahres festgesetzt, so ist dies eine "nicht rechtzeitige" Festsetzung. Nicht-

festsetzung meint demgegenüber, dass die Steuerfestsetzung gänzlich ausbleibt, also

nicht mehr nachgeholt werden kann. Eine strafrechtlich verfolgbare Nichtfestsetzung

gibt es nicht, denn die steuerliche Festsetzungsverjährung läuft nach der

strafrechtlichen Verjährung ab, vgl. § 171 VII AO. Jede strafrechtlich verfolgbare

Nichtfestsetzung kann also steuerlich noch korrigiert werden. Alle von § 370 AO

erfassten Tatbestände sind also allenfalls Fälle der nicht rechtzeitigen Festsetzung.

Der Steuerschaden muss wie folgt ermittelt werden: Berechnung der nicht rechtzeitig

festgesetzten Steuer der Höhe nach (erster Schritt), Ermittlung, wann steuerlich

festgesetzt werden kann, wobei zugunsten des Pflichtigen (in dubio pro reo)

vorausgesetzt wird, wann die steuerliche Festsetzung frühestens vorgenommen

werden kann. Schaden ist immer nur der Zinsschaden (zur Höhe der Zinsen vgl.

Rolletschke, Die Steuerhinterziehung, Tz. 78 ).

- Nicht und nicht in voller Höhe: Die beiden Merkmale kennzeichnen die Relation

zwischen steuerlich festzusetzendem und festgesetztem Betrag. Es ist ein

Unterschied, ob etwa die nicht festgesetzten 50.000 € den gesamten geschuldeten

Steuerbetrag darstellt, oder ob er nur der Bruchteil aus einer Mio ist. Das muss im

Strafmaß zum Ausdruck kommen, weshalb m.E. die bei den OFD kursierenden

"Strafmaßtabellen", die von den STRAFAFA angewendet werden, mit dem Gesetz

schon deshalb nicht im Einklang stehen, weil sie auf den absoluten Betrag der

verkürzten Steuer abstellen. Abzulehnen ist hiernach auch die jüngste

Rechtsprechung des 1. Strafsenats des BGH, die selbst bei einer unstreitig

vorliegenden Verkürzung auf Zeit die Verkürzung stets im Nominalbetrag der

hinterzogenen Steuer sieht. BGH v. 17. 3. 2009, 1 StR 627/08, mit Bespr. Lipsky,

PStR 2009, 151 und Verf., wistra 2009, 440. Das LG hatte den Angeklagten wegen

USt- Hinterziehung durch Unterlassen in 7 Fällen, begangen durch Nichtabgabe von

USt-Voranmeldungen verurteilt. Bei der Bemessung der Einzelstrafen hatte das LG

lediglich den Zinsverlust als Hinterziehungsschaden angesehen, den es nach § 238 I

1 AO berechnet hatte. Auf die Revision der StA hob der BGH das Urteil im

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Strafausspruch auf. Zwar führt die Abgabe einer unrichtigen bzw. die Unterlassung

der Voranmeldung nach Ansicht des BGH nur zu einer Hinterziehung auf Zeit, und

erst die Nichtabgabe bzw. die Abgabe der unrichtigen Jahreserklärung zur

Verkürzung auf Dauer, jedoch soll hieraus – im Gegensatz zur früheren

Rechtsprechung -- nicht folgen, dass die tatbestandliche Verkürzung allein auf den

Zinsverlust zu beschränken sei. Die strafbewehrte Gefährdung des Steueranspruchs,

begangen durch Verletzung der Erklärungspflicht bestehe unabhängig davon, ob der

Pflichtige beabsichtigt, in der Jahreserklärung falsche Angaben zu berichtigen oder

nachzuholen. In jedem Fall habe der Täter die unrichtige Festsetzung bewirkt, die

es rechtfertige, in dieser Höhe von einer tatbestandsmäßigen Steuerverkürzung

auszugehen.

- Auch die Festsetzung "nicht in voller Höhe" kommt für § 370 AO nur in der Form

der nicht rechtzeitigen, Festsetzung vor, weil es keine strafrechtlich verfolgbare

Nichtfestsetzung gibt (s. oben). Es gibt also nur den Verspätungsschaden, nicht einen

strafrechtlich relevanten Schaden in Gestalt der Höhe der verkürzten Steuer.

Beispiel: P hat im Jahr 00 einen Jahresumsatz von 1 Mio € erzielt, meldet aber am 31. 5. 01

nur 975.000 € an, kürzt den wirklichen Umsatz also um 25.000 €. Die Fahndung hatte den

Fall so weit aufbereitet, dass das Veranlagungsfinanzamt am 1. 6. 02 hätte festsetzen können.

Verkürzungsschaden ist der Zinsschaden bezüglich der auf die nicht erklärten 25.000 €

entfallende Steuer für die Zeit vom 1. 6. 01 bis 31. 5. 02, also für ein Jahr. Berücksichtigt

werden muss ferner, dass die auf 25.000 € entfallende Steuer nur einen Bruchteil der – im

übrigen korrekt angemeldeten -- Steuer darstellt.

Diese Thesen sind nicht die gängige Meinung. Als Strafverfolger werden Sie sich diese nicht

zu eigen machen, als Richter nur dann, wenn sie Aufhebung in Kauf nehmen, als Verteidiger

sollten Sie sie vorbringen, denn nur so kann die eingefahrene h. M. einen Denkanstoß

erhalten.

Bezüglich der Vollendung der Verkürzung unterscheidet die h. M. zwischen

Fälligkeitssteuern und Veranlagungssteuern, so dass sich das folgende Bild 35 ergibt:

Bild 34

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(Vgl. aber Bild 39, wonach die Selbstveranlagungsteuern den Veranlagungsteuern -- nicht den Fälligkeitsteuern -

- zugerechnet werden.)

Fälligkeitsteuern sind vom Pflichtigen selbst zu errechnen und zu den gesetzlich bestimmten

Terminen anzumelden. Der geschuldete Betrag wird zu dem gesetzlich bestimmten Zeitpunkt

fällig und ist zu zahlen, ohne dass es einer Festsetzung oder Zahlungsaufforderung der

Finanzbehörde bedarf. Vielmehr steht die Steueranmeldung der Steuerfestsetzung unter dem

Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 S. 1 AO). Sie ist die Grundlage für die

Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis. Nach § 218 I 2 AO stehen

die Steueranmeldungen den Steuerbescheiden gleich. Der Pflichtige muss die Steuer selbst

berechnen, ―soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist ...‖; so definiert § 150 I 2 AO die

Steueranmeldung. Es ist also eine Selbstveranlagung. Gesetzlich vorgeschrieben ist dies für

die Lohnsteuer in § 41 a I EStG. Die Lohnsteuer ist nichts anderes als Einkommensteuer, die

im Lohnabzugsverfahren erhoben wird (ein einzigartiger Service, den der Arbeitgeber

kostenfrei gegenüber der Steuerverwaltung und den ―angeschlossenen‖ Religionsge-

meinschaften erbringt). Deshalb ist die gesetzlich vorgeschriebene Anordnung zur Selbst-

berechnung (§ 150 I 2 AO) im Einkommensteuergesetz enthalten (§ 41 a I EStG). Hiernach

hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-

anmeldezeitraums dem Betriebsstätten-Finanzamt eine Steuererklärung einzureichen, in der er

die Summe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuern angibt, und er hat die

im Anmeldungszeitraum einbehaltene Lohnsteuer an das Betriebsstätten-Finanzamt abzu-

führen. Anmeldungszeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat, kann jedoch unter

besonderen Voraussetzungen auch das Kalendervierteljahr oder das Kalenderjahr sein.

Ähnlich bei der Umsatzsteuer:

Die Anordnung i. S. von § 150 I 2 AO findet sich in § 18 I UStG. Hiernach hat der

Unternehmer bis zum zehnten Tag nach Ablauf jedes Kalendermonats (dieser wird als ―Vor-

anmeldungszeitraum‖ bezeichnet, obwohl es sich natürlich um den abgelaufenen, zurück-

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liegenden Monat handelt) eine Voranmeldung ... abzugeben, in der er die Steuer ... selbst zu

berechnen hat. Die Vorauszahlung ist am zehnten Tag nach Ablauf des Voran-

meldungszeitraums fällig (d. h. praktisch also mit der Voranmeldung, Selbstveranlagung).

Daher ist bei diesen Fälligkeitssteuern mit Selbstveranlagung der zehnte Tag nach Ablauf des

Vormonats (bzw. des sonstigen Voranmeldungszeitraums) ―der Fälligkeitstag‖.

Bei den Veranlagungssteuern tritt die Fälligkeit der Steuer nicht vor Festsetzung, d. h. vor

Bekanntgabe des Steuerbescheids ein (§ 220 II 2 AO). Hier ist also eine Handlung in Gestalt

der Veranlagung seitens der Finanzbehörde erforderlich.

Die unterschiedlichen Vollendungstermine haben also nichts mit der Unterscheidung

Fälligkeit-/Veranlagungsteuer zu tun, sondern sind auf die Wirkung der Steueranmeldung

zurückzuführen (§ 168 AO): Da die Anmeldung einem Steuerbescheid gleichsteht, ist sie die

Festsetzung, und ist sie zu niedrig, liegt darin die Verkürzung.

Fall 42:

U gibt die (zu niedrige) USt-Voranmeldung (Schwarzbetrag = von U an das Finanzamt

zu zahlender Betrag) am 01.02. beim Finanzamt ab. Vollendet?

Fall 43:

Wie oben, U zahlt aber dann doch den vollen Betrag rechtzeitig am 10.02. Vgl. Bild 36.

Bild 35

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Die h. M. sieht hier ein Problem. Die Steuer ist zu niedrig festgesetzt, so dass nach dem

Wortlaut des § 370 IV 1 AO die USt verkürzt wäre. U hat die Voranmeldung jedoch vorzeitig

abgegeben, so dass noch nicht einmal die Zahlung fällig war. Daraus wird geschlossen, dass

die vorzeitige (wenn auch zu niedrige) Erklärung unmöglich nach § 370 I Nr. 2 AO bestraft

werden könne. Die Zahlung bei Fälligkeit kann allerdings nach h. M. nur noch unter dem

Blickwinkel der Selbstanzeige berücksichtigt werden. Nach meiner Auffassung löst sich der

Fall mit Hilfe der oben wiedergegebenen Meinung zum Verhältnis der einzelnen

Verkürzungstatbestände. § 370 IV 1 AO kennt keinen Fall der "Nichtfestsetzung", sondern

nur die nicht rechtzeitige Festsetzung. Diese setzt aber das Verstreichen der Anmeldefrist

voraus. Verkürzung kann also nicht vor Ablauf des 10. 2. eintreten. Also ist schon der

Tatbestand des § 370 I Nr. 2 AO nicht erfüllt, Bestrafung scheitert nicht erst an § 371 AO.

Der Gedanke bezüglich der Zahlungsfälligkeit spielt überhaupt keine Rolle.

Was ist, wenn überhaupt keine Umsatzsteuer-Voranmeldung abgeben wird?

Vollendung mit Verstreichen des Anmeldezeitpunkts.

Ebenso, wenn die zutreffende Erklärung nach dessen Verstreichen abgegeben wird, denn dann

ist nicht rechtzeitig festgesetzt.

U gibt die Erklärung pünktlich ab, zahlt aber nicht: Keine Verkürzung, da rechtzeitig erklärt

(und damit festgesetzt) ist.

U gibt Erklärung 6/01 erst am 18.08. ab. Am 30.07. hatte das Finanzamt zutreffend geschätzt.

Vollendung: 10.07.

Fehlt Kausalität?

Ja. Verkürzung ist nicht eingetreten. Aber Versuch.

Fall 44:

a) Unternehmer U gibt die ESt-Erklärung nicht ab. Als Pflichtiger war er nicht

erfasst, was erst im übernächsten Jahr auffällt.

b) U gibt die USt-Voranmeldungen für keinen einzigen Monat des Jahres ab.

Man kann an folgende Lösung denken:

Bild 36

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Bei Selbstveranlagungsteuern soll die Verkürzung angeblich in der Nichtzahlung liegen. Der

Unterschied zur Verkürzung von Veranlagungsteuern soll nur in der Tatvollendung bestehen,

die bei Selbstveranlagungsteuern mit Fristablauf, bei Amtsveranlagungsteuern mit Abschluss

der Veranlagungsarbeiten im Bezirk eintritt.

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Andere Lösungsmöglichkeit:

Bild 37

Die Verkürzungshandlung wird also auch bei Fälligkeitssteuern mit Selbstveranlagung

nicht (erst) in der Nichtzahlung, sondern auch (wie bei Veranlagungssteuern) in der

Nichtabgabe der Erklärung gesehen. Nur der Vollendungszeitpunkt ist unterschiedlich:

Abschluss der Veranlagungsarbeiten bei Amtsveranlagungsteuern (weil ja zur

Festsetzung eine Handlung des Finanzamts hinzukommen muss), dagegen Verstreichen

der Anmeldefrist bei den Selbstveranlagungsteuern (Anmeldesteuern, weil bei diesen

mit Verstreichen des Anmeldezeitpunkts die Steuer verkürzt ist, denn sie wären schon

durch die rechtzeitige Erklärung festgesetzt worden, ohne dass es einer Handlung des

Finanzamts bedarf).

Anders bei Fälligkeitssteuern ohne Anmeldung:

Nach früherem Recht wurde die Zollschuld mit Entstehung fällig. Heute werden

Einfuhrabgaben nur durch Festsetzung fällig (Bender, TZ 63 und wistra 1997, 233)

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Art. 217 ZK lautet in Absatz 1:

Jeder einer Zollschuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag -

nachstehend ―Abgabenbetrag‖ genannt - muss unmittelbar bei Vorliegen der

erforderlichen Angaben von den Zollbehörden berechnet und in die Bücher oder in

sonstige statt dessen verwendete Unterlagen eingetragen werden (buchmäßige

Erfassung). ...

4. Die Verkürzung ―jenseits‖ von § 370 IV AO: ―Einnahmeverkürzung‖

Lit.: Zur Frage der Fälligkeit- und Veranlagungsteuern, insbes. bei Verbrauchsteuern, vgl.

Verf. ZfZ 2008, 97

Fall 45:

A stellt heimlich Zigarren her und vertreibt sie ohne Banderole an Bekannte.

Das Tabaksteuergesetz (BGBl I 2009, 1870) lautet:

§ 15

Abs. 1:

Die Steuer entsteht zum Zeitpunkt der Überführung der Tabakwaren in den

steuerrechtlich freien Verkehr, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an.

Abs. 2:

Tabakwaren werden in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt durch:

1. die Entnahme aus dem Steuerlager,...

2. die Herstellung ohne Erlaubnis nach § 6,

3. die Entnahme aus dm Verfahren unter Steueraussetzung bei Aufnahme in den Betrieb

des registrierten Empfängers,

4. eine Unregelmäßigkeit nach § 14 bei der Beförderung unter Steueraussetzung.

...

§ 17

Abs. 1:

Für Tabakwaren ist die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen zu entrichten. Die

Verwendung umfasst das Entwerten und das Anbringen der Steuerzeichen an den

Kleinverkaufspackungen. Die Steuerzeichen müssen verwendet sein, wenn die Steuer

entsteht.

Abs. 2:

Der Hersteller oder der Einführer hat die Steuerzeichen nach amtlich vorgeschriebenem

Vordruck zu bestellen und darin die Steuerzeichenschuld selbst zu berechnen

(Steueranmeldung)...Die Steuerzeichenschuld entsteht mit dem Bezug der Steuerzeichen

in Höhe ihres Steuerwertes. ...

Zölle in allen Formen sind Veranlagungssteuern

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Daraus erfolgt zweierlei:

Die Tabaksteuer ist Steuerzeichensteuer und wird nicht durch Steuerbescheid angefordert,

sondern ist durch Verwendung der Steuerzeichen zu entrichten (beispielsweise: ―Bauchbinde

der Zigarre‖). § 17 (früher § 13) Tabaksteuergesetz regelt die Fälligkeit der

Steuerzeichenschuld, d. h. er regelt, wann die angeforderten Steuerzeichen zu bezahlen sind.

Die Steuerzeichenschuld ist nicht zu verwechseln mit der Tabaksteuerschuld.

Dieser Gefahr ist offenbar das FG Düsseldorf in dem Vorlagebeschluss an den EuGH vom 6. 9. 2006, 4 K

6310/04 VTa, ZfZ 2006, 354, erlegen, dazu Jatzke ZfZ 2006, 355.

Die Tabaksteuerschuld entsteht in dem Augenblick, in dem einer der Tatbestände des § 15

TabStG verwirklicht wird, d. h. entweder mit der Entfernung aus dem Steuerlager oder mit

der Herstellung ohne Erlaubnis. Sie ist kraft der besonderen Regelungen des TabStG sofort

fällig. Damit ist der Tabaksteuertatbestand erfüllt. Die Anmeldung im Sinne von § 17 II 1

TabStG bezieht sich auf die Steuerzeichenschuld, nicht auf die Tabaksteuerschuld.

Somit haben wir hier eine Fälligkeitsteuer ohne Anmeldung (ähnliches galt für das Verdieseln

von Heizöl nach § 26 VI 4 a. F. MinÖStG). Andererseits musste für das Mineralöl, welches

rechtmäßig aus dem Steuerlager entfernt wird, eine Steueranmeldung abgegeben werden. Das

MinöStG kannte also die Steuer als Fälligkeitssteuer mit Anmeldung und als Fälligkeitsteuer

ohne Anmeldung). Dagegen kennt das EnergiesteuerG nur die Fälligkeitsteuer mit

Anmeldung.

Für die Tabaksteuer gelten folgende Besonderheiten: Das Gesetz unterscheidet zwischen Verbringung aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten und Einfuhr.

Bei unmittelbarer Einfuhr von Tabakwaren aus einem Drittland in das Gebiet des Bundesrepublik Deutschland

entsteht die Steuer anlässlich des Einfuhrvorgangs. Hierzu verweist § 21 III TabStG auf die sinngemäße

Anwendung der Zollvorschriften. Da der Zoll Veranlagungsteuer ist (Art. 217 I ZK, vgl. o. C I 3), wird die

anlässlich der Einfuhr entstehende Tabaksteuer ebenfalls zur Veranlagungsteuer. Eine entsprechende

Bestimmung enthält §§ 1 I Nr. 4, 21 II UStG für die USt. Die im Inland entstehende USt wird

Veranlagungsteuer, wenn sie als Einfuhrumsatzsteuer erhoben wird.

Anders ist es, wenn Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 17 I TabStG (d. h. ohne Anbringung der

entwerteten Steuerzeichen; Anbringung und Entwertung = Verwendung der Steuerzeichen, vgl. § 17 I 2 TabStG)

aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in die Bundesrepublik verbracht werden. In diesen Fällen entsteht die deutsche Tabaksteuer, wenn die Tabakwaren erstmals zu gewerblichen

Zwecken in Besitz gehalten werden. Steuerschuldner ist, wer die Lieferung vornimmt oder die Tabakwaren in

Besitz hält und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Danach scheint die so

entstehende Tabaksteuer Fälligkeitsteuer zu sein. Allerdings bestimmt § 23 I 3 (früher § 19 S. 3) TabStG, dass

der Steuerschuldner über Tabakwaren, für die die Steuer entstanden ist, unverzüglich eine Steuererklärung

abzugeben hat. BGH v. 1. 2. 2007, 5 StR 372/06, wistra 2007, 224 und v. 14. 3. 2007, 5 StR 461/06, wistra

2007, 262, sieht die Verkürzung zutreffend in der Missachtung dieser Erklärungspflicht (S. 227 li. Sp. und

264 r. Sp.).

Im obigen Fall 44 ist also nach § 11 III TabStG die Steuerschuld mit der Herstellung

entstanden. Steuerschuldner ist A. Er hat pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen

unterlassen, denn er hätte sie nach § 17 I TabStG durch Verwendung von Steuerzeichen

(Entwerten und Anbringen) entrichten müssen.

Unter Verwendung der Definition des § 370 IV AO ist eine Steuerverkürzung nicht

eingetreten, weil die Tabaksteuer nicht festgesetzt wird. Festgesetzt durch Selbstveranlagung

wird nur die Steuerzeichenschuld. Diese ist aber nicht entstanden, weil A Steuerzeichen nicht

―bezogen‖ hat. Hier können Sie nicht damit operieren, dass Sie sagen: Die Steuer ist zu spät

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festgesetzt worden oder nicht festgesetzt worden und dadurch verkürzt, denn die Steuer wäre

auch bei ordnungsgemäßem Verhalten (Bezug von Steuerzeichen) nicht festgesetzt worden.

Es fehlt also an der Kausalität zwischen Nichtverwendung und Nichtfestsetzung.

Daraus ersehen Sie, dass die Definition in § 370 IV 1 AO nicht ausreicht, um das Merkmal

der ―Verkürzung‖ zu erfassen.

Bei reinen Fälligkeitsteuern sieht es die h. M. als notwendig an, da die Nichtzahlung nicht

straflos bleiben soll, die Verkürzung anders zu definieren, nämlich als

(Also: Einnahmeverkürzung)

Damit ergibt sich folgendes Schaubild:

Bild 38

Hiernach verläuft die Unterscheidung nicht zwischen Veranlagungs- und Fälligkeitssteuern

schlechthin, sondern zwischen Veranlagungsteuern durch die Behörde

(Amtsveranlagungsteuern) und Selbstveranlagungsteuern einerseits und Fälligkeitssteuern

ohne Veranlagung andererseits. Das Bild 35 ist also insofern zu korrigieren, als die USt und

andere Selbstveranlagungsteuern nicht zu den Fälligkeit-, sondern zu den Veranlagungsteuern

gerechnet werden. Die USt ist zwar auch Fälligkeitsteuer, jedoch spielt dies für die Frage der

Verkürzung keine Rolle.

Allerdings ergibt sich bei den Selbstveranlangsteuern ein Problem, das von der h. M

vernachlässigt wird, wahrscheinlich deshalb, weil die Verkürzung in der Nichtzahlung (bei

Fälligkeit), anstatt in der Nichterklärung gesehen wird. Sie erinnern sich: Die Verkürzung

muss durch die Tathandlung kausal (oder die Unterlassung (quasikausal) herbeigeführt

werden. Bei den Selbstveranlagungsteuern entsteht aber die Verkürzung duch (unrichtige)

Unterschreiten der Soll-Einnahme durch die Ist-Einnahme

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Erklärung selbst. Sie ist die Verkürzung, führt diese also nicht erst (durch eine Festsetzung

der Finanzbehörde) herbei. Bei der Unterlassung: Geht am 31. 5. des Folgejahres die

Jahreserklärung nicht ein, ist die USt verkürzt, denn wäre sie eingegangen, wäre Festsetzung

erfolgt. Die Unterlassung selbst ist also die Verkürzung, bewirkt sie nicht erst, wie es bei den

Veranlagungsteuern der Fall ist. Das Problem entsteht in der heutigen Fassung des

Steuerhinterziehungstatbestands, weil wir jetzt – im Unterschied zu der Fassung Enno

Beckers – die Tathandlung umschrieben haben. Früher hieß es " wer Steuern verkürzt" d. h.

"egal wie". Heute erfordert der Tatbestand eine qualifizierte Tathandlung. Das Problem wird

von Schleeh , StuW 1972, 310 ff. erörtert, hat aber in der Rechtsprechung und Literatur keine

Beachtung erfahren: zu Unrecht.

Diese Verkürzung kann auch wieder in drei Formen eintreten (ähnlich wie bei der

Festsetzungsverkürzung):

Bild 39

Fall 46:

U stellt im Wert von 1.000,00 € Zigarren her. Für 750,00 € fordert er ordnungsgemäß

Banderolen an, für 250,00 € nicht, weil er sie schwarz verkaufen will.

Der auf den Wert von 250,00 € entfallende Steuerbetrag ist nicht (die Gesamtsteuer ist ―zu

gering‖) entrichtet.

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Zahlt U im Wert von 250,00 die Tabaksteuer nach, ist ―zu spät‖ entrichtet, d. h. für den

Tatbestand ist dies ohne Bedeutung, da die Steuer bei Herstellung zu zahlen war. Streng

genommen ist der Verspätungsschaden für die Tatbestandserfüllung irrelevant. Gleichwohl

wird generalisierend gesagt, dass ―außerhalb des Festsetzungsverfahrens‖ der Verkürzungser-

folg in einem mengenmäßigen wie auch in einem Verspätungsschaden bestehen könne (FGJ,

§ 370, TZ 51).

Inwieweit Verkürzung durch die Unterlassung nach Nr. 3 des Absatzes 1 eintreten kann, ist

unklar. Steuerzeichensteuern werden nicht festgesetzt, sondern Tabaksteuer, Wechselsteuer,

überhaupt die Steuern, die durch Steuerzeichen entrichtet werden, kennzeichnen sich gerade

dadurch, dass sie durch den Tatbestand selbst und nicht durch Festsetzung entstehen. Also

scheidet für § 370 I Nr. 3 AO die Definition des Absatzes 4 aus, weil bei dieser Art von

Steuer nichts festgesetzt wird. Folglich bleibt dann nur der andere Begriff der Verkürzung.

Wenn Sie auf dem Standpunkt stehen, dieser „technische Begriff― zeichne sich dadurch aus,

dass der Staat weniger Steuern einnimmt, als er einnehmen müsste, wenn alles rechtens

verliefe, dann kommt durch die Verwendung von Steuerzeichen keine Steuer mehr und durch

die Unterlassung der Verwendung keine Steuer weniger in die Staatskasse. 25

Vielmehr

werden bei der Tabaksteuer die Stempelzeichen vorab gekauft, und die Steuerverkürzung

durch ein Minus von Einnahmen kann allenfalls mittelbar entstehen: So etwa wie die Post

weniger einnimmt, wenn Briefe ohne Marken versandt werden. Man muss eben vorher

Marken kaufen, wenn man Briefe versendet, und wenn man dies tut, nimmt die Post mehr ein.

So sind Banderolen zu kaufen, bevor man die Zigaretten aus dem Herstellungslager gibt, und

dadurch nimmt der Staat ein. Verwendet der Pflichtige keine Steuerzeichen, hat er also zuvor

keine erworben, dann hat der Staat insoweit keine Einnahmen erzielt. Jedenfalls entsteht aber

durch die Nichtverwendung nicht unmittelbar eine „Verkürzung―. Der Tatbestand des § 370 I

Nr. 3 AO wird von der h. M. „faktisch― so gehandhabt, dass das Verkürzungsmerkmal leer

läuft. Man kann es wie folgt sehen: die Steuerzeichensteuer ist durch die Verwendung von

Steuerzeichen zu entrichten. Verwendung von Steuerzeichen ist also Zahlung. Dann ist

Unterlassen der Verwendung folglich Nichtzahlung. § 370 I Nr. 3 AO sagt also

"tautologisch": wer durch Nichtzahlung die Nichtzahlung herbeiführt. Das ist zwar

sprachlicher Unsinn, aber man weiß immerhin, was gemeint ist: Den Tatbestand erfüllt, wer

die Verwendung von Steuerzeichen unterlässt. Das Verkürzungsmerkmal läuft leer. Mit dieser

nachsichtigen Auslegung lässt sich die tatbestandliche Missgeburt am Leben erhalten.

Der BGH betont immer wieder, dass § 370 AO nicht die „Nichtzahlung von Steuern―

bestraft.26

Das gilt indessen nur für die Begehungsformen der Nr. 1 und 2 geht. Hier sind

bestimmte Tathandlungen (bzw. Unterlassungen) gefordert („Angaben machen― pp. bzw.

trotz Rechtspflicht zum Handeln „in Unkenntnis lassen―). Für die Nr. 3 sieht es aus den oben

angeführten Gründen anders aus, denn der Tatbestand erfasst gerade die Nichtzahlung der

Steuerzeichensteuer bei Fälligkeit, und festgesetzt wird nichts, Angaben werden auch nicht

gemacht.

Eine interessante Variante zur Tabaksteuer erörtert BGH vom22. 7.2004, wistra 2004, 475: A

befördert gewerbsmäßig unter Tarnladung von Dritten nach Griechenland eingeschmuggelte

25 Nach HH-Hellmann, § 370, TZ 206, bedarf die Steuerverkürzung bei der Nichtverwendung von

Steuerzeichen ―keiner näheren Erläuterung―. Hätte der Täter Steuerzeichen verwendet, so wäre die Steuerver- kürzung mit Sicherheit ausgeblieben. M. E. ist allenfalls die - durch den Kauf weiterer Steuermarken entstehende

Vermögensmehrung des Staatsvermögens ausgeblieben. Das ist aber noch keine Verkürzung. 26 Im Gegensatz hierzu sehen die durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz eingefügten § 26 b, c UStG

Bußgeld bzw. Strafe für das bloße Nichtzahlen von Umsatzsteuer vor. Näheres unten C IV,V

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Zigaretten per Lkw von Griechenland über Deutschland mit Ziel Großbritannien. Bei der

Durchfuhr durch Deutschland gestellt er sie nicht. Der Tatrichter hat nach § 370 AO

verurteilt, also wegen "gewöhnlicher" Steuerhinterziehung. Der BGH stellt den Schuldspruch

um auf § 373 AO, gewerbsmäßigen Schmuggel. Die TabSt war hier bei Durchfuhr

entstanden, also als Einfuhrabgabe geschuldet. Damit gelten die Vorschriften über

Einfuhrabgaben, mithin kommt wegen Spezialität § 373 AO zur Anwendung. Sie haben hier

die unter B I 1 mitgeteilte Fallkonstellation von Bender: wenn zwei das Gleiche machen, ist

es strafrechtlich nicht notwendig dasselbe. Im konkreten Fall hatte dies im Strafmaß keine

Auswirkungen, allerdings wären solche Auswirkungen möglich, da der Strafrahmen des § 373

AO höher als der des § 370 AO ist. Außerdem: Das Beispiel zeigt, dass die TabSt durchaus

nicht stets reine Fälligkeitsteuer ist, denn als Einfuhrabgabe folgt sie deren Vorschriften. Da

der Zoll Veranlagungsteuer ist, wird die TabSt als Einfuhrabgabe damit auch zur

Veranlagungsteuer.

Nach BGH vom 1. 2. 2007, 5 StR 372/06, wistra 2007, 224, und vom 14. 3. 2007, 5 StR

461/06, wistra 2007, 262, erfasst § 373 AO die Tabaksteuer als Einfuhrabgabe nur, wenn die

Zigaretten unmittelbar aus einem Nichtmitgliedstaat der EG in die Bundesrepublik

Deutschland verbracht werden. Wenn also jemand Zigaretten aus der Türkei auf dem

Landweg nach Deutschland transportiert, hinterzieht er keine Eingangsabgaben in Gestalt der

Tabaksteuer. § 373 erfasst nur das unmittelbare Verbringen aus einem Drittstaat in das Gebiet

der EG, nicht von einem andern EG-Staat in die Bundesrepublik Deutschland. Die Zollschuld

entsteht nur mit dem erstmaligen Verbringen aus dem Nicht-EG-Staat auf das Gebiet der EG.

Beim Transport nach Deutschland fällt sie nicht erneut an. Das Verbringen der Zigaretten in

das Gebiet der EG erfüllt allerdings § 370 I AO. Der BGH definiert den Begriff des

Verbringers d. h. desjenigen, dem die Gestellungspflicht nach dem Zollkodex obliegt,

(vermeintlich im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH), dahin, dass auch der nicht im

Fahrzeug anwesende Hintermann sein, sofern er die tatsächliche Herrschaft über das Fahrzeug

habe.

Zur Kritik dieser Rechtsprechung Bender, wistra 2007, 309 (vgl. auch unten im Text bei der

Unterlassung, C I 14); Bender: der BGH hat sich den Wortlaut des EuGH-Urteils vom 4. 3.

2004, wistra 2004, 376, das die Verbringereigenschaft definiert, "passend gemacht". Nach

EuGH sind Verbringer nur der Fahrer, d. h. derjenige, der das Fahrzeug lenkt, und der

Beifahrer oder Ersatzmann, sofern er sich im Fahrzeug befindet. Die "Herrschaft über das

Fahrzeug" begründet die Verbringereigenschaft nicht schlechthin, sondern nur bei

Anwesenheit im Fahrzeug. Daran gibt es, wie Bender zutreffend ausführt, nichts zu deuteln.

Der BGH hat also das Zollstrafrecht unter Missachtung der EuGH-Rechtsprechung ausgelegt.

5. Die Fälligkeit ist nicht Voraussetzung der Festsetzungsverkürzung

Fall 43:

Die nirgendwo erfasste V vermietet Wohnungen und gibt keine Einkommensteuer-

erklärung ab, obwohl sie in 1997 DM 24.000,00 Überschuss erzielt hat.

Zu derartigen Fallkonstellationen wird etwa gesagt (FGJ, § 370, TZ 37 a):

Verhindert der Täter, dass er veranlagt wird, wird seine Steuerschuld mangels

Bekanntgabe der Festsetzung auch nicht fällig (§ 220 II 2 AO). Eine Vollendung könnte

hier nie eintreten.

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Wird - entsprechend § 340 I Nr. 2 in Verbindung mit IV AO - allein auf die Festsetzung

abgestellt, kommt es auf die Fälligkeit nicht an, so dass der Unterlassungstatbestand erfüllt ist,

wenn die Steuer nicht festgesetzt wird. Die Bemerkung von FGJ ist zwar für sich genommen

richtig (natürlich wird die Einkommensteuer ohne Festsetzung nicht fällig), aber was hat das

mit der Verkürzung im Sinn des § 370 IV AO zu tun? Rein gar nichts ! Der Witz des § 370

IV AO ist doch gerade der, dass er nur auf die (zu niedrige, nicht rechtzeitige, überhaupt

unterbliebene) Festsetzung abstellt. Fälligkeit spielt hier keine Rolle.

Festsetzungsverhinderung genügt. Zur Frage der Kausalität (besser gesagt „Quasikausalität―,

denn es geht um Unterlassung: ex nihilo nihil fit) gehört es, ob die Steuer bei rechtzeitiger

Abgabe der Erklärung festgesetzt worden wäre. Die Vollendung tritt beim

Unterlassungsdelikt gerade wegen fehlender Festsetzung (Fälligstellung) ein.

Anders verhält es sich, wenn die Bemerkung von FGJ auf sonstige Verhinderung der

Festsetzung, also durch aktives Tun, angewandt wird. (P zerreißt beim Pförtner die schon

eingegangene Erklärung). In diesem Fall ist das Begehungsdelikt des § 370 I Nr. 1 AO nicht

erfüllt, da die Handlungsmodalitäten nicht gegeben sind: der Täter erklärt nicht unrichtig,

sondern verhindert die Veranlagung durch sonstiges Handeln, das durch die

Begehungsvariante des § 370 AO nicht erfasst wird.

6. Gesonderte Einnahmeverkürzung nach Entstehung der Steuerschuld?

Das Gesetz definiert die Steuerverkürzung durch die Beeinträchtigung der Festsetzung

hinreichend, soweit es sich um Veranlagungsteuern handelt, lediglich für die Fälligkeitsteuern

ohne Selbstveranlagung muss auf einen gesonderten Verkürzungsbegriff zurückgegriffen

werden. Heißt dies, dass dieser gesonderte Begriff (Einnahmeverkürzung) auch auf die

Veranlagungssteuern anzuwenden ist, nachdem die Steuerschuld bereits entstanden ist? Bei

den Begehungsformen der Nr. 1 und 2 kann nach h. M. der Verkürzungserfolg –

beispielsweise - auch im Vollstreckungsverfahren eintreten. Verkürzung bewirkt, wer sich

durch unrichtige Angaben die Stundung oder gegenüber dem Vollzieher

Vollstreckungsaufschub erschleicht oder die Vollstreckung vereitelt. Das ergibt sich nicht aus

der Definition des § 300 IV 1 AO, sondern nur aus der historischen Entwicklung des

Verkürzungsbegriffs. Dass derartige Verhaltensweisen den Tatbestand der

Steuerhinterziehung verwirklichen, war schon die Ansicht Enno Beckers. Aus heutiger

Sicht unter dem Blickwinkel des Verfassungsgebots genauer Umschreibung der Tatbestände

ist diese Ansicht problematisch. Zweifelhaft ist auch, ob ein Bedürfnis besteht, solche

Verhaltensweisen unter § 370 AO zu subsumieren - die Tatbestände des allgemeinen

Strafrechts (Vollstreckungsvereitelung beispielsweise) würden auch Schutz gewähren.

Rechtsstaatlicher Präzisierung würde es entsprechen, das Wörtchen „namentlich― zu streichen

und die Nr. 3 - ehrlicherweise - dahingehend zu umschreiben, dass die Nichtverwendung von

Steuerzeichen den Tatbestand erfüllt (unter Verzicht auf das praktisch leer laufende Merkmal

der Verkürzung für eben diese Nr. 3).

Fall 44:

Die S betreibt eine Boutique und hat Umsatzsteuerschulden von 20.000,00 €. Der

Vollzieher des Finanzamts erscheint und findet als pfändbare Habe 20 Nobelblazer vor,

die er auf der Stange zu pfänden gedenkt. Er hat bereits den Strick durch den Ärmel des

ersten Kleidungsstücks gezogen, als ihm die S einen Scheck über den geschuldeten

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Steuerbetrag nebst bisher entstandener Kosten überreicht, worauf der Vollzieher

erwartungsgemäß Pfändung unterlässt. Wie S wusste, war jedoch der Scheck ungedeckt.

Spätere Vollstreckungsversuche bleiben ohne Erfolg, weil S alle pfändbare Habe ―in

Sicherheit‖ gebracht hat.

Unrichtige Angaben ? Ja, denn in der Hingabe des Schecks liegt die konkludente

Behauptung, dass der Scheck gedeckt ist. Verkürzung ? Ja, weil ohne die unrichtigen

Angaben gepfändet worden wäre und sich der Fiskus hieraus hätte befriedigen können.

Fall 45:

Wie Fall 48. Der Scheck war bei Hingabe gedeckt, jedoch wird kurz danach das Konto

der S bei der bezogenen Bank gepfändet, bevor die Finanzverwaltung den Scheck

vorlegt.

Keine unrichtigen Angaben.

Fall 46:

Wie Fall 48. Jedoch hetzt die S den Ladenhund auf den Vollzieher, so dass dieser

flüchtet, bevor er die Pfändung zu Ende bringen kann.

Zwar Verkürzung, aber keine einschlägige Tathandlung (Angaben), sondern „vis

compulsiva―.

Fall 47:

Wie Fall 48. Die S gibt einen, wie sie weiß, ungedeckten Scheck. Der Vollzieher

unterlässt die Pfändung. Die Ware war jedoch bereits wirksam an den Anwalt der S

sicherungsübereignet.

Zwar unrichtige Angaben, aber keine kausale Verkürzung. Die Finanzverwaltung hätte

ohnehin nichts bekommen.

Fall 48:

Wie Fall 48. Der Vollzieher kann sein Werk ungestört vollenden, zieht also seine

Schnur vom Ärmel des ersten Kleidungsstücks bis zum letzten durch und verplombt das

Ganze. Später meldet sich der Anwalt der S beim Leiter der Vollstreckungsstelle des

Finanzamts und legt einen Sicherungsübereignungsvertrag mit Besitzmittlungsver-

hältnis vor, wonach die gesamte Ware ihm zur Sicherung der Honorarforderung

übereignet ist. Der Vertrag war jedoch rückdatiert und in Wirklichkeit erst nach der

Pfändung geschlossen. Das Finanzamt gibt frei. Andere pfändbare Habe ist nicht

vorhanden.

Unrichtige Angaben (beider, Anwalt und S), Verkürzung wie im Eingangsfall.

Fall 49:

Die S lässt den Vollzieher gewähren, schneidet jedoch, nachdem der Vollzieher den

Laden verlassen hat, die Pfandschnur einfach durch, zieht sie vom ersten bis zum letzten

Ärmel heraus und verkauft die Ware.

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Nicht § 370 I Nr. 1 AO, mangels Tathandlung.

Soweit in diesen Fällen Tathandlung zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob im

Vollstreckungsverfahren Steuerverkürzung (Zahlungsverkürzung) noch möglich ist, was die

h. M. bejaht: Verkürzung ist so lange möglich, wie der geschuldete Steuerbetrag nicht in

voller Höhe entrichtet ist (Kohlmann, § 370, TZ 149.2).

Zusammenfassend unterscheiden wir:

Bild 40

Fall 50:

A reist aus der Schweiz mit dem Pkw in die Bundesrepublik ein. Auf die Frage, ob er

etwas anzumelden habe, sagt er nein. In Wirklichkeit hat er Waren im Einkaufswert von

knapp 12.000,00 € im Fahrzeug, für die er die Einfuhrabgaben sparen wollte. Die

Zollbeamten nehmen jedoch das Fahrzeug auseinander (sie ―überholen‖ es) und

entdecken die Ware (Überholung = Maßnahme der zollamtlichen Überwachung am

Gestellungsort, beschränkt auf Beförderungsmittel, Packstücke und Waren, vgl. § 11

ZollVG, vgl. Bender, TZ 119, 3 d und Witte/Wolffgang, TZ 166 ff.).

Die Zollschuld ist nach Inkrafttreten von Art. 217 ff. ZK nur noch Veranlagungssteuer. Die

Abgabe wird nur nach Veranlagung fällig. Es kann sich also nur darum handeln, ob

Verkürzung durch ―zu späte‖ Festsetzung erfolgte. Zum Problem: Bender, wistra 1997, 233,

in der Anmerkung zu dem von Bender mit Recht abgelehnten Urteil des BayOLG. Im

Normalfall des Reiseschmuggels werden die Einfuhrabgaben praktisch auch nach unrichtiger

oder unterlassener Anmeldung im selben Zeitpunkt erhoben, in dem dies auch bei

steuerehrlichem Verhalten geschehen wäre. Also keine verspätete Festsetzung, sondern nur

Versuch. Zu beachten ist auch das bereits erwähnte Verfahrenshindernis in § 32 I ZollVG.

Steuerstraftaten und -Ordnungswidrigkeiten im grenzüberschreitenden Reiseverkehr werden

nicht verfolgt, wenn sich die Tat auf Waren bezieht, die weder zum Handel noch zur

gewerblichen Verwendung bestimmt sind und der Abgabebetrag, der verkürzt oder dessen

Verkürzung versucht wurde, 130 € nicht übersteigt, näher Bender, TZ 87.

Anders nur dann, wenn Sie jede Gefährdung als Verkürzung genügen lassen. Durch das

Verbergen hat A die Verwirklichung des Steueranspruchs gefährdet. Wenn Sie dies als

Verkürzungserfolg genügen lassen, ist der Tatbestand erfüllt, obwohl nicht einmal eine

verspätete Festsetzung vorliegt. Die Frage ist also, ob sich die Verkürzung so darstellt:

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Bild 41

oder so:

Bild 42

Es kommt darauf an, ob sich der Verkürzungserfolg in Gestalt der Gefährdung nur auf die

―qualifizierte‖ Gefährdung in Gestalt der Festsetzungsverkürzung und der Einnahme-

verkürzung bezieht, oder ob es neben der Festsetzungs- und der Einnahmeverkürzung einen

gesonderten Verkürzungserfolg in Gestalt jeder Gefährdung des Steueranspruchs gibt.

Nehmen Sie letzteres an, so spielt es keine Rolle, dass nach heutigem Recht Zölle nur

Veranlagungssteuern sind, denn dann würde wie bisher jeder Schmuggel an der Grenze die

Verwirklichung des Steueranspruchs gefährden und damit Vollendung darstellen.

Brauchen wir überhaupt einen Verkürzungsbegriff „kraft Herkommens“, also einen

Verkürzungstatbestand außer der Festsetzungsverkürzung des § 370 IV AO? M. E. nein,

denn die reinen Fälligkeitssteuern können Sie wirklich suchen. In den meisten Fällen – vor

allem auf dem Gebiet des Zolls und der übrigen Einfuhrabgaben, die früher von einem großen

Teil der Fälligkeitsverkürzungen betroffen waren - ist das Problem obsolet geworden, weil

die Einfuhrabgaben nach Einführung des Zollkodex nunmehr Veranlagungssteuern sind. Bei

der Nr. 3 des § 370 AO sollte man ehrlicherweise auf das Merkmal der Verkürzung

verzichten, denn faktisch wird schon heute durch § 370 I Nr. 3 AO die bloße Nichtzahlung

von Steuern erfasst. Die Verwendung von Steuerzeichen ist ein besonderer Zahlungsmodus,

den das Gesetz für die Bezahlung von Steuerzeichensteuer (heute nur noch die TabSt,

nachdem Wechselsteuer pp. abgeschafft wurden) vorschreibt. Wie unter C I 1, 2 gezeigt,

kommt es bei genauer Betrachtung durch die Nichtverwendung von Steuerzeichen gar nicht

zu einer Verkürzung.

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Es bleiben die Fälle der Vollstreckungsverkürzung, die aber ebenso gut durch die Tatbestände

des allgemeinen Strafrechts abgedeckt werden können, wie z. B. Betrug oder Vollstreckungs-

vereitelung. Die h. M. geht in diesen Fällen (vgl. nachfolgend unter 6) recht großzügig mit

dem Merkmal „steuererheblich― um. Steuererhebliche Tatsachen sind dann auf einmal solche,

die beispielsweise zum (erschlichenen) Vollstreckungsaufschub führen. Wenn der Pflichtige

etwa durch ein gefälschtes Attest, das eine Krankheit vorspiegelt, einen

Vollstreckungsaufschub erschwindelt, dann ist das Attest zunächst einmal für sich betrachtet

nicht „steuer―- , sondern nur „gesundheitserheblich―. Steuererheblich wird es erst, wenn man

das Merkmal der Verkürzung heranzieht und argumentiert: Weil ein Vollstreckungsaufschub

erzielt, also eine Verkürzung erreicht wurde, sind die Tatsachen, die dies bewirkt haben

(zwangsläufig) auch steuererheblich. Damit spricht man diesem Merkmal jede eigenständige

Bedeutung ab.27

Der Tatbestand wird damit auf die Herbeiführung einer Verkürzung durch

„Machen unrichtiger ... pp. Angaben ―reduziert. Alles, was die Verkürzung bewirkt, ist dann

steuererheblich. Ich bezweifle, dass eine solche Auslegung zulässig ist, bewege mich damit

aber nicht im Bereich der h. M.

Kurzum: Man sollte sich dazu durchringen, das „namentlich― aus Abs. 4 des § 370 AO zu

streichen und sich nur an der Festsetzungsverkürzung orientieren. Damit würde der

Tatbestand auf einen verfassungsmäßig akzeptabeln Bereich begrenzt, denn ein

Tatbestandsmerkmal, das nur „kraft Herkommens― aus der geschichtlichen wechselvollen

Entwicklung des Steuerhinterziehungstatbestands mühevoll herausdestilliert werden kann,

entspricht nicht dem heute zu fordernden Bestimmtheitsgrundsatz.

Nach meiner persönlichen Auffassung stellt sich die "Verkürzung" wie folgt dar:

Die AO hat den Verkürzungsbegriff der RAO übernommen, denn die Neufassung in Gestalt

des § 370 AO wollte sachlich keine Änderung herbeiführen, sondern nur

verfassungsrechtlichen Grundsätzen besser gerecht werden. Es spricht einiges dafür, dass die

RAO einen einheitlichen Verkürzungsbegriff für alle Steuern hatte, gleich ob Veranlagung-

oder Fälligkeitsteuern. Verkürzung war die Beeinträchtigung des Steueraufkommens in jeder

Lage des Verfahrens, daher auch im Beitreibungsstadium. Die RAO kannte – entgegen

verbreiteter Ansicht – keinen besonders gearteten Verkürzungsbegriff für Fälligkeitsteuern.

Zwar sind die gerichtlichen Definitionen insoweit irreführend, als sie des öfteren von der

"Nichtzahlung bei Fälligkeit" sprechen, indessen wird die Verkürzung in der von

Steuerunehrlichkeit getragenen Handlung und in der daraus resultierenden Reaktion

(Handlung oder Unterlassung, meist die letztere) der Finanzbehörde gesehen, auch bei

Fälligkeitsteuern, hier liegt sie in der unterlassenen "Einforderung". Die AO-Reform 1977

die zur Neufassung des Steuerhinterziehungstatbestands in Gestalt des § 370 AO geführt hat,

hat übersehen, daß es dann Probleme bezüglich der Kausalität gibt: Wenn schon die

Nichtzahlung bei Fälligkeit die Verkürzung darstellt, dann ist dies die Verkürzung, und diese

wird nicht erst "durch" unrichtige Angaben herbeigeführt. § 370 I Nr. 2 AO hätte formulieren

müssen: "wer bei Fälligkeit die Steuer nicht zahlt, ... wird bestraft". Nicht dagegen: "wer

durch unrichtige Angaben Steuern verkürzt, indem er bei Fälligkeit nicht zahlt... " Letzteres

geht nicht, wenn man wie es heute geschieht, infolge eines mißverstandenen

Verkürzungsbegriffs der RAO bei Fälligkeitsteuern die Verkürzung schon in der

Nichtzahlung sieht. Ein Ausweg bietet sich nur durch Rückkehr zu den Wurzeln an, indem

man den Verkürzungsbegriff auch für Fälligkeitsteuern erst in der durch die unrichtigen

Angaben hervorgerufenen Reaktion der Finanzbehörde sieht, wie es die RAO tat, also in der

Unterlassung der Einforderung. Aber die h. M. zu § 370 AO ist derart betoniert, daß hier ein

Umdenken in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. So soll sie also weiter mit den daraus 27 So in der Tat Hardtke, S. 30

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resultierenden Kausalitätsproblemen leben, schlimm ist nur, daß sie sich hierüber keine

Gedanken macht. Bei reinen Fälligkeitsteuern ist das Problem praktisch nicht gravierend, weil

wir – abgesehen von der Tabaksteuer, für die als Steuerzeichensteuer der besondere

Tatbestand des § 370 I Nr. 3 AO gilt – kaum noch reine Fälligkeitsteuer haben, so z. B die

Mineralölsteuer in besonderen Konstellationen (Verdieseln von Heizöl).

Bei den Selbstveranlagungsteuern stellt sich das Problem entsprechend und hätte, wenn man

der hier vertretenen Ansicht folgt, auch Auswirkungen. Die Erklärung ist hier die

Verkürzung, da das Gesetz die Selbstberechnung mit der Festsetzung gleichsetzt. Dann kann

sie nicht "durch" unrichtige Angaben ... pp." verursacht sein. Erkannt ist das Problem von

Schleeh, StuW 1972, 310 ff. allerdings haben seine Erörterungen kaum Resonanz gefunden.

Mit der hier geschilderten Ansicht können Sie nicht arbeiten, denn sie widerspricht der h. M.

Für Ihre praktische Tätigkeit verwenden Sie also die drei unterschiedlichen

Verkürzungsbegriffe aus Bild 41, also Festsetzungsverkürzung für Veranlagungsteuern

(Selbstveranlagung- und Amtsveranlagung), Zahlungsverkürzung für (reine)

Fälligkeitsteuern und die Verkürzung im Beitreibungsverfahren.

Für § 370 I Nr. 3 AO sieht es anders aus. Hier ist die Tathandlung nicht das "Angaben

machen... usw.", sondern die Nichtverwendung von Steuerzeichen. Auch hier ist die

Tathandlung mit der Verkürzung identisch, denn Nichtverwendung ist gleich Nichtzahlung

(weil das Gesetz die Zahlung durch Steuerzeichen vorschreibt). Der Tatbestand sagt "wer

Steuern nicht zahlt und dadurch die Nichtzahlung herbeiführt...". Das ist zwar eine

Tautologie, nimmt dem Tatbestand aber nichts von seiner Bestimmtheit. Hier haben wir keine

Kausalitätsprobleme, und der dafür oft belächelte Finanzausschuß hatte in Wirklichkeit gute

Gründe, auf der gesonderten Aufnahme des § 370 I Nr. 3 AO zu bestehen.

6. Voraussetzung für die Verkürzung ist ein existierender Steueranspruch.

Fall 51:

A kehrt aus Thailand zurück und führt mit sich

a) falsche Dollarnoten im Wert von 10.000,00 € ,

b) Heroin im Straßenverkaufswert von 15.000,00 €.

Auf die Frage des Zöllners am Hauptzollamt Flughafen, ob er etwas anzumelden habe,

sagt er ―nein‖.

§ 1 I Nr. 4 UStG 1980:

Der Umsatzsteuer unterliegen ... die Einfuhr von Gegenständen im Inland ... (EUSt).

Wir wissen, dass die Umsatzsteuer vom Finanzamt verwaltet wird, nur die EUSt vom HZA.

Zum Folgenden vgl. Witte/Wolffgang, TZ 174 ff.; Tipke/Lang/Reiß, § 14.

Bis 1967 Allphasen-Brutto-USt:

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Auf jeder Handelsstufe wurde Umsatz versteuert. Bei Einfuhren trat die

Ausgleichssteuer an die Stelle der USt mit dem Ziel, die durchschnittliche USt

auszugleichen.

Seit 1967 gibt es die USt in Form der Mehrwertsteuer. Das System funktioniert wie folgt:

Unternehmer U kauft eine Ware für 1.000,00 €

zzgl. 16 % MwSt. 160,00 € Vorsteuer ./. 160,00 €

insgesamt Kaufpreis 1.160,00 €

Der Unternehmer verkauft die Ware weiter

für 2.500,00 €

zzgl. 16 % MwSt. 400,00 € USt. + 400,00 €

Gesamtverkaufspreis 2.900,00 € Saldiert: 240,00 €

Ergebnis:

Der Unternehmer führt also per Saldo nur 240,00 € an das Finanzamt ab. Auf diese Weise

erklärt er bereits seine Umsatzsteuervoranmeldung. Das bedeutet, er trägt die 160,00 € als

Vorsteuer in seine Voranmeldung ein als Betrag, den er ―vergütet‖ erhält, und saldiert mit der

von ihm abzuführenden Umsatzsteuer, so dass per Saldo 240,00 € („Schwarzbetrag‖)

verbleiben, die er an das Finanzamt abführt.

Im Einzelfall kann sich natürlich auch ein ―Rotbetrag‖ ergeben, nämlich dann, wenn der

Unternehmer mehr Vorsteuer vergütet verlangen kann als er an Umsatzsteuer abführt.

Der Ausgleich wurde bei der EUSt bis zum 31.12.1992 wie folgt vorgenommen:

I bezog Ware aus Frankreich. Diese wurde in Frankreich von der USt entlastet. I zahlte

nur den Nettopreis in Höhe von 1.000,00 DM. Es fielen 15 % EUSt an, die I als

Vorsteuer beim Finanzamt abziehen konnte. Er verkauft nun weiter zu 2.500,00 DM. Es

entsteht USt von 15 % = 375,00 DM. Im Ergebnis führt I ab 375,00 DM

abzüglich Vorsteuer 150,00 DM

225,00 DM

ist = Differenz = Steuer für Wertzuwachs.

Die EUSt unterliegt der nationalen Steuerhoheit.

Seit 01.01.1993 wird sie nur noch für Drittlandseinfuhren erhoben. Nach § 21 II UStG gelten

die Vorschriften für Zölle sinngemäß.

Die USt auf Waren des kommerziellen innergemeinschaftlichen Verkehrs wird nun nicht mehr von den HZÄ als

EinfUSt erhoben, sondern von den Finanzämtern. Der Erwerb zu privaten Zwecken aus anderen Mitgliedstaaten

unterliegt nur der USt des Erwerbslands.

Ist nun in obigem Fall 55 ein Steueranspruch entstanden?

§ 370 V AO sagt:

Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren

Einfuhr/Ausfuhr/Durchfuhr verboten ist.

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Hiernach also auch EUSt für falsche Dollarnoten und Heroin.

Aber: Artikel 212 S. 2 ZK

Keine Zollschuld (daher auch keine EUSt-Schuld) für illegal eingeführte BTM,

(Suchtstoffe und –mittel) sowie für Falschgeld. Der ZK verwendet nicht den deutschen

Begriff Betäubungsmittel, sondern den Oberbegriff ―Suchtstoffe‖).

Nach dem Wortlaut des ZK ist nur die illegale Einfuhr betroffen, nach der

Rechtsprechung des EuGH, die durch den ZK umgesetzt werden soll, jegliches

Verbringen.

Vgl. schon die Ausführungen von Reiß, wistra 1983, 55 und Bender, TZ 63 (S. 17).

Das innerstaatliche deutsche Recht wird also durch die EG-Norm (Verordnung des

Rates), den Zollkodex, überlagert. § 370 V läuft insoweit leer.

Die Ausführungen von Reiß (wistra 1983, 55) zeigen sehr deutlich die Diskrepanz zwischen

der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit einerseits und der Steuerrechts-

anwendung (hier: ausnahmsweise nicht durch die Steuerrechtsprechung, sondern durch den

Bundesminister der Finanzen) andererseits. Der BdF hatte nämlich die Rechtslage richtig

erkannt und in einem Erlass die Verwaltung angewiesen, dass auf Betäubungsmittel, die bei

oder nach ihrer Einfuhr entdeckt und anschließend vernichtet werden, nicht nur keine Zölle,

sondern auch keine EUSt zu erheben sind. Das entsprach der damaligen Rechtsprechung des

EuGH, die sich freilich nur auf die Zollfrage bezog. Da aber die Erhebung der EUSt nach

§ 21 II 1 UStG an die Erhebung der Zölle gekoppelt ist, war die Rechtsprechung des EuGH

natürlich auch für die EUSt bei Betäubungsmitteln einschlägig. Der BGH setzt sich darüber

hinweg mit der Bemerkung, ein Erlass könne das Gesetz nicht ändern. Im konkreten Fall war

es allerdings so, dass nicht der Erlass das Gesetz änderte, sondern es richtig anwandte und

dass derjenige, der das Gesetz verkannte, der BGH war. Er hätte zumindest vorlegen müssen,

wenn er Zweifel hatte, ob die EuGH-Rechtsprechung sich auch auf die EUSt bezog (Merke:

Art. 177 EGV besagt, letztinstanzliche innerstaatliche Gerichte müssen, untere Instanzen

dürfen vorlegen, die Vorlagepflicht ist also anders geregelt als etwa nach Art. 100 GG). Art.

212 S. 2 ZK hat nunmehr die Rechtsprechung des EuGH in eine Rechtsnorm gegossen.

Art. 212 ZK (Verbote und Beschränkungen):

„Eine Zollschuld... entsteht auch, wenn sie Waren betrifft, für die Verbote und

Beschränkungen gleich welcher Art bei der Einfuhr... bestehen. Es entsteht jedoch

keine Zollschuld, wenn Falschgeld, Suchtstoffe... vorschriftswidrig in das Zollgebiet

der Gemeinschaft verbracht werden...―.

Fall 52:

G als Geschäftsführer einer Baufirma erteilt für bezugsfertige Bauobjekte Schluss-

rechnungen, nimmt diese aber nicht in die Umsatzsteuervoranmeldungen auf. Die

Abnahme des Bauwerks liegt nicht vor.

Das UStG unterscheidet die Versteuerung nach vereinbarten und nach vereinnahmten

Entgelten (§§ 16, 20 UStG). Bei der Versteuerung nach vereinbarten Entgelten kommt

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es darauf an, ob die Leistung in dem betreffenden Voranmeldungszeitraum ausgeführt

worden ist (§ 13 I Nr. 1 a UStG).

7. Die Steuer muss verkürzt sein.

Vorab ein kurzer Blick auf Buchführung und Bilanz (eine gute Zusammenstellung hierüber

finden Sie in dem Einkommensteuerrecht von Tiedtke, § 8 ff.).

Das Einkommensteuerrecht unterscheidet zwischen Gewinneinkünften (§ 2 I Nr. 1 – 3 EStG)

und Überschusseinkünften (§ 2 I Nr. 4 – 7EStG).

Die Gewinnermittlungsarten:

Die Einnahme- Überschuss-Rechnung nach § 4 III EStG

Fall 53:

A und B geben bei einheitlich / gesonderter Gewinnfeststellung den Gewinn zu niedrig

an, indem sie ―BAT‖-Zahlungen28

nicht erfassen. Das Finanzamt setzt den Gewinn zu

niedrig fest.

Erfolg?

Die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung ist keine Steuerfestsetzung. Die

Steuer wird erst durch den Steuerbescheid festgesetzt. Bei Erlass des

Gewinnfeststellungsbescheides steht nicht fest, ob dadurch tatsächlich Steuern verkürzt

werden, denn die Höhe der Steuern hängt auch von den übrigen Einkünften der

Beteiligten ab (Simon/Vogelberg TZ 2.7.4). Aber: Erschleichen eines Steuervorteils?

Vgl. Joecks, Steuerstrafrecht, S. 11 und FGJ, § 376 TZ 21. Dazu die oben erwähnte

BGH-Entscheidung vom 10.12.2008, 1 StR 322/08, wistra 2009, 114.

Vgl. § 180 I Nr. 2 a AO; auch den früheren § 47 KöStG, dazu Hardtke, S. 117 ff.

Nach § 47 KöStG (a.F.) wurden gesondert festgestellt:

- Nach Nr. 1:

die Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals,

- nach Nr. 2

der für Ausschüttungen verwendbare Teil des Nennkapitals.

War die Feststellung überhöht, stellte sie (in der Höhe, in der sie die rechtlich richtigen

Teilbeträge überstieg) einen ungerechtfertigten Steuervorteil dar.

Steuervorteile:

Steuervergünstigung, beruhend auf einer Bewilligung der Finanzbehörde, den

Steueranspruch beeinträchtigend. 28 BAT = ―Bar auf Tatze‖

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Fall 54

G verschweigt bestimmte Umsätze, wodurch seine Jahreseinkommensteuererklärung für

1988 zu niedrig ausfällt. Das Finanzamt erlässt den Einkommensteuerbescheid im Juni

1990 und setzt gleichzeitig die VZ III/90 niedriger fest (ohne ausdrücklichen Antrag des

G). Fall nach BFH NJW 1997, 2543.

Zwischenfrage:

Wieso entscheidet der BFH über eine Steuerstraftat und nicht der BGH?

(Im konkreten Fall strafrechtliche Vorfrage für die steuerliche Frage der Haftung, §§ 71,

191 AO. Der Angestellte des G, Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren, hatte bei der

Jahreserklärung 1988 mitgewirkt, und es war die Frage, ob er für die nicht entrichteten

Einkommensteuervorauszahlungen III/90 ff. vom Finanzamt zu Recht als

Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden war).

Problem:

Unrichtige Angaben nur in Bezug auf die Jahreserklärung 1988. Diese Angaben

bewirkten aber gleichsam automatisch die Minderung der Vorauszahlungsbeträge für

die folgenden Vorauszahlungszeiträume ab III/90. Das Finanzgericht erörtert sehr breit,

ob die Einkommensteuervorauszahlungen ―Steuern‖ im Sinne von § 370 I AO sind.

Dass Vorauszahlungsschulden auch Steuerschulden sind, läßt sich wohl im Ernst nicht

bezweifeln. Die Frage scheint mir eher in der Kausalität zu liegen, u. U. auch im

Vorsatz. Kohlmann (§ 370 TZ 141) sieht hier lediglich eine ―Fortentwicklung der

Straftat, die allein auf steuerrechtlichen Berechnungsvorschriften beruht‖. Anders der

BFH. Vgl. § 37 III 1 und 2 EStG.

Fall 55:

A erklärt 1990 Mieteinnahmen von 9.000,00 DM nicht. Die ESt-Erklärung wird so

übernommen und im ESt-Bescheid diese Einnahme nicht erfasst.

Und jetzt gehen Sie wie folgt vor:

1. Stufe, Ermittlung der Einkünfte:

Die 7 Einkunftsarten aus § 2 EStG:

1. Land- und Forstwirtschaft

2. Gewerbebetrieb

3. selbständige Arbeit (Nr. 1 – 3 = Gewinneinkünfte)

4. nicht selbständige Arbeit

5. Kapitalvermögen

6. Vermietung und Verpachtung

7. sonstige (§ 22 Nr. 1 - 4 EStG) (Nr.4- 7 = Überschusseinkünfte)

2. Stufe, Summe der Einkünfte, § 2 I EstG

3. Stufe, Gesamtbetrag der Einkünfte (Definition in § 2 III EStG)

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4. Stufe, Einkommen (d. h. vorherige Stufe abzüglich Sonderausgaben und abzüglich

außergewöhnliche Belastungen), § 2 IV EStG

5. Stufe, Das zu versteuernde Einkommen = Einkommen

./. Freibeträge und sonstiger vom Einkommen abziehbarer Beträge

(§ 2 V EStG)

Sie müssen also fiktiv die nicht erklärten Einnahmen der Einkunftsart hinzurechnen,

ermitteln, wie hoch unter dieser Hinzurechnung das zu versteuernde Einkommen gewesen

wäre und dann in der Tabelle (und zwar möglichst in der richtigen, d. h. es kommt dann

darauf an, ob A verheiratet war und mit seiner Ehefrau zusammen veranlagt wurde, ob also

Grundtabelle oder Splittingtabelle anzuwenden war) die zu zahlende Steuer ermitteln. Die

Verkürzung errechnet sich aus der Differenz zwischen der ermittelten fiktiven Steuer und der

tatsächlich festgesetzten.

Fall 56 - Realsplitting (§ 10 I Nr. 1 EStG):

M zahlt für seine getrennt lebende Ehefrau 1990 1.000,00 DM monatlich Unterhalt und

für zwei Kinder zusammen 500,00 DM. Er füllt die Anlage U aus mit

12 x 1.000,00 = 12.000,00

und

12 x 500,00 = 6.000,00

insgesamt 18.000,00

als angeblichen Ehegattenunterhalt.

Die Erklärung ist falsch, da das Realsplitting nur für Ehegattenunterhalt (nicht für

Kindesunterhalt) in Anspruch genommen werden darf.

Die Ehefrau unterzeichnet. M zieht 18.000,00 DM als Sonderausgaben ab.

Realsplitting bedeutet kurz gesagt folgendes: Der den Unterhalt zahlende Ehegatte darf die

Steuerlast für den Unterhaltsbetrag auf den empfangenden Ehegatten verlagern. Das wird er

dann tun, wenn er sich, also der Zahlende, in einer höheren Steuerprogression befindet, als der

den Unterhalt Empfangende. Der Staat will also von diesem Unterhaltsbetrag die Steuer nur

einmal, entweder vom Zahlenden (wenn er nicht vom Realsplitting Gebrauch macht) oder

vom Empfangenden, wenn die Steuerlast auf den Zahlungsempfänger durch das Realsplitting

verlagert wird.

Strafbarkeit des M?

1. Einkunftsart?

Sonstige, nach § 22 Nr. 1 a bei der E.

Ohne diese Vorschrift wäre der Betrag von E in 1990 nicht zu versteuern gewesen.

(Merke: Sie müssen natürlich die Steuertabelle für das Jahr nehmen, in welchem die Tat

begangen wird, also in dem die Steuer verkürzt worden sein soll).

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Bei M entsteht natürlich nicht die Frage nach der Einkunftsart, sondern nach der Höhe

des Einkommens.

Beispiel:

M hat ein zu versteuerndes Einkommen von 45.521,00 DM

darauf entfällt Steuer 9.693,00 DM

(hier natürlich nach der Grundtabelle, denn nur wenn die Eheleute getrennt veranlagt

werden, macht das Realsplitting Sinn; es ist also von Bedeutung für den Zeitraum nach

Trennung, und zwar ab dem Jahr, in dem sie nicht mehr einen Tag zusammen gelebt

haben)

hinzuzurechnen sind 6.000,00 DM

zu versteuern wären insgesamt 51.521,00 DM

hierauf entfällt Steuer 11.585,00 DM

verkürzt sind durch M 1.892,00 DM

Fall 57:

E zahlt auf die 6.000,00

den gleichen %-Satz ESt,

einen höheren %-Satz ESt (etwa weil sie selbst verdient und mit neuem

Ehemann zusammen veranlagt wird, den sie im Lauf des Veranlagungsjahrs

geheiratet hat)

Hat das Problem etwas mit § 370 IV 3 AO (Kompensationsproblem, vgl. unten unter 8.) zu

tun? Nein: Diese „anderen Gründe― hindern nicht die Erfüllung des Tatbestandes. Es kommt

also nicht darauf an, ob die E die gleichen Steuern oder gar höhere zahlen muss, denn das sind

andere Gründe i. S. des § 340 IV 3 AO, die strafrechtlich unberücksichtigt bleiben.

Um Klausuren zu vereinfachen, wird in Fällen meist ein prozentualer Steuersatz vorgegeben,

was die Subsumtion etwas erleichtert. Für die Ermittlungsarbeit in der Praxis muss immer die

fiktive Veranlagung gewählt werden, d. h. die fiktive Steuer muss durch konkrete Zurechnung

zu dem nicht, zu spät oder zu niedrig erklärten Einnahmenbetrag ermittelt werden. In den

seltensten Fällen bleibt es beim gleichen Steuersatz, vielmehr erhöht sich dieser, weil die

Steuer progressiv steigt.

Zwischenfrage:

An welchem Mangel leidet das Urteil, wenn die Berechnungsgrundlagen für die durch den

Tatrichter zugrunde gelegte hinterzogene Steuer nicht mitgeteilt werden? Sachrüge,

Verfahrensrüge?

Nach § 267 I StPO müssen im Fall der Verurteilung des Angeklagten die Urteilsgründe die

für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat

gefunden werden. Dazu bemerkt der BGH im Beschluss vom 04.05.1990 (wistra 1991, 27):

―Die Feststellungen des Landgerichts tragen den jeweiligen Schuldspruch wegen

Steuerhinterziehung ... nicht.‖

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Der Tatrichter hatte keine zusammenhängende Sachdarstellung gegeben, sondern sich im

wesentlichen auf einen Betriebsprüfungsbericht des Finanzamts bezogen, hatte dessen

steuerliches Mehrergebnis zugrunde gelegt, stichwortartig im Urteil aufgelistet und die

weiteren ―Feststellungen‖ im Urteil verstreut angesiedelt. Der BGH bemerkt hierzu:

―Eine solche, über das Urteil verstreute Sachdarstellung ist grundsätzlich fehlerhaft,

weil sie keine revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils zulässt. § 267 I 1 StPO

verlangt die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen

Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies erfordert eine in sich geschlossene

Darstellung aller äußeren und der damit im Zusammenhang stehenden inneren

Tatsachen, damit erkennbar wird, auf welcher Grundlage der Tatrichter die rechtliche

Beurteilung vorgenommen hat. Unklare und unübersichtliche Feststellungen, die

insbesondere nicht zwischen den Feststellung zum Tatgeschehen, der Beweiswürdigung

und der rechtlichen Würdigung unterscheiden, stellen einen sachlichrechtlichen Fehler

des Urteils dar ... für die Darstellung einer Steuerhinterziehung gem. § 370 AO ist es

erforderlich, dass das Urteil erkennen lässt, welches steuerlich erhebliche tatsächliche

Verhalten des Angeklagten im Rahmen welcher Abgabenart und ... in welchem

Besteuerungszeitraum zu einer Steuerverkürzung geführt hat, und welche innere

Einstellung der Angeklagte dazu hatte. Soweit der Angeklagte die ihm zur Last gelegten

Hinterziehungsbeträge nicht einräumt, muss das Urteil darüber hinaus auch die

Berechnung der hinterzogenen Steuer nachvollziehbar darstellen. ... Die Wiedergabe

eines gem. § 202 AO erstellten Betriebsprüfungsberichts ersetzt nicht die

zusammenhängende Darstellung des strafrechtlich erheblichen Tatgeschehens. ... Auch

soweit Mehrergebnisse auf Schätzungen gem. § 162 AO beruhen, darf sie der

Strafrichter nicht ungeprüft übernehmen, sondern muss die zugrunde liegenden

Schätzungsmethoden erkennbar nachprüfen und eine eigene Entscheidung treffen. ...

Die ungenügende Darstellung des Sachverhalts führt bei ... den Angeklagten zur

Aufhebung des Schuldspruchs wegen Steuerhinterziehung und des darauf beruhenden

jeweiligen Rechtsfolgeausspruchs...‖.

Im Klartext bedeutet dies: Die Sachrüge hat Erfolg.

Sie dürfen sich als Strafrichter nicht damit begnügen, Betriebsprüfungsberichte

abzuschreiben, eventuell den Prüfer ergänzend noch als Zeugen zu vernehmen, um dann

anhand dieser Zeugenaussage die ―Höhe der Verkürzung‖ ungeprüft ins Urteil zu

übernehmen. Vielmehr müssen Sie die Höhe der Verkürzung selbst ermitteln und sie in der

vom BGH geforderten geordneten Sachdarstellung auch im Urteil erscheinen lassen. Im

Einzelfall können Sie sogar genötigt sein, tiefer in die Steuerberechnung einzusteigen, als dies

beispielsweise das Finanzgericht nötig hat. Letzteres befasst sich mit steuerrechtlichen Einzel-

fragen (ob also beispielsweise ein Sonderausgabenabzug gerechtfertigt ist, ob Aufwendungen

für ein Arbeitszimmer einkommensmindernd zu berücksichtigen sind u. ä., arbeitet also

einzelne ―Punkte‖ ab und kann die Neufestsetzung der Steuer auch der Finanzbehörde

überlassen). Der Strafrichter muss zwingend die Höhe der hinterzogenen Steuer

nachvollziehbar ermitteln, ein Musterexemplar des judex calculans.

Die Höhe der Verkürzung muss im Urteil festgestellt, berechnet (und natürlich im

Vorverfahren ermittelt und in der Anklageschrift mitgeteilt) werden.

Dies eröffnet ein weites Feld für die Revisionsgerichte. Die Tatgerichte verkennen vielfach,

dass:

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Steuerrecht kein ―ausländisches‖ Recht ist und demzufolge durch den Strafrichter

―gewusst‖ und angewandt werden muss (vgl. die Glosse von Tipke, NJW 1976,

2199 und die Beispiele bei Späth, Die zivilrechtliche Haftung des Steuerberaters, 4.

Aufl. 1994, TZ 625 ff.);

die Höhe der Steuerverkürzung nicht mit Hilfe eines Sachverständigen (das wäre

unrichtige Sachbehandlung, die Kostenfolgen nach § 8 GKG auslöste!), sondern

aufgrund eigener Rechtskenntnis (nicht Sachkunde!) des Gerichts zu ermitteln ist.

Bemerkenswert: Der BGH muss die Instanzgerichte immer wieder darauf hinweisen, dass die

Rechtsanwendung dem Strafrichter (und nicht dem als Zeugen gehörten Beamten der

Finanzverwaltung) obliegt, vgl. BGH vom 15. 05. 1997, 5 StR 45/97, wistra 1997, 302; vom

25. 10. 2000, 5 StR 399/00, wistra 2001, 22; vom 27. 10 2004, 5 StR 368/04, wistra 2005, 33;

vom 15. 3. 2005, 5 StR 469/04, wistra 2005, 307; vom 14. 12. 2005, 5 StR 427/05, wistra

2006, 110 (bloßer "Verurteilungskonsens" reicht nicht aus, wenn der Angeklagte die

hinterzogenen Steuern gerade nicht eingeräumt und sich auch sonst nicht zur Sache

eingelassen hat)

Zum Problem vgl. Harms, Die Stellung des Finanzbeamten im Steuerstrafverfahren,

Schlüchter-Gedächtnisschrift, 2002, S. 451. In einer Mordsache schreiben Sie als Richter ja

auch nicht in die Urteilsgründe:

„ Nach den glaubhaften Bekundungen des ermittelnden Polizeibeamten Schulze hat

der Angeklagte seine Ehefrau aus niedrigen Beweggründen erwürgt...―,

sondern Sie werden sich aufgrund des Inbegriffs der Hauptverhandlung Ihre eigene

Überzeugung bilden und diese im Urteil auch wiedergeben. Entsprechend müssen Sie im

Steuerstrafprozess verfahren, was bedeutet, dass Sie Rechts- und Tatfrage, also einerseits

(infolge Ihrer uneingeschränkten Vorfragenkompetenz) das Steuerrecht, andererseits

Tathandlung und Erfolg selbst beurteilen müssen und nicht einfach die Wertung der

Finanzbehörde übernehmen können. Misslich ist es, was natürlich in praxi nie vorkommt,

wenn vom Beratungszimmer aus der Finanzamtssachbearbeiter telefonisch kontaktiert wird,

um vom ihm „ die anzuwendende Tabelle― erklärt zu bekommen, nach dem Motto: „Wie

berechnen Sie die Höhe der Steuerverkürzung?―

Lediglich die Darstellung der Berechnung der hinterzogenen Steuern darf "verkürzt und

ergebnisbezogen" wiedergegeben werden, wenn der Angeklagte geständig und "sachkundig

genug ist, um die steuerlichen Auswirkungen seines Verhaltens zu erkennen"; das gilt nicht

für die Ermittlung des steuerlichen Sachverhalts und dessen steuerliche Beurteilung, BGH

vom 9. 6. 2004, 5 StR 579/03, wistra 2004, 424 mit Anm. Bieneck, S. 470 (zu den

Voraussetzungen der Verständigung) = NStZ 2004, 577 mit Anm. Gotzens/Walischewski,

NStZ 2005, 521. Fazit also: keine Erleichterung dem Grunde, nur der Höhe nach und auch

dies nur beim geständigen und sachkundigen Angeklagten.

Außenprüfungs- und Fahndungsberichte dürfen auch bei geständigen Angeklagten nicht

unbesehen durch den Strafrichter übernommen werden, BGH vom 5. 2. 2004, 5 StR 580/03,

wistra 2004, 185 (mit Nachweis der früheren Rspr., auf die Bezug genommen wird).

Das Gegenbeispiel: Darstellungsmängel beim freisprechenden Urteil. Dieses muss aus sich

selbst heraus verständlich sein und so viele Angaben enthalten, dass dem Revisionsgericht

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eine sachlichrechtliche Prüfung ermöglicht wird. Vgl. BGH vom 17. 3. 2005, 5 StR 461/04,

wistra 2005, 311.

BGH vom 7. 6. 2004, 5 StR 554/03, wistra 2004, 348, setzt den Maßstab für die Berechnung

der Höhe der hinterzogenen Steuer: nicht nach den erzielbaren Schwarzmaktpreisen der

gehehlten oder geschmuggelten Ware, sondern nach der Höhe der bei legaler Einfuhr

festzusetzenden Abgaben: eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn es kommt darauf an,

welche Abgaben der Täter verkürzt hat, also ist fiktiv zu veranlagen. Bei Einfuhrabgaben

muss der Tatrichter also den Zollwert selbst ermitteln.

8. Das Kompensationsverbot

Lit: Menke, wistra 2005, 125 und wistra 2006, 167; Schindhelm, Das Kompensationsverbot

im Delikt der Steuerhinterziehung, 2004. Eine gute Zusammenstellung finden Sie in dem

Skript der Fernuniversität Hagen von Vogelberg, Kurseinheit Steuerstrafrecht, 03, das

Kompensationsverbot, erreichbar unter der Website der FU Hagen.

Nach § 370 IV 3 AO sind die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung auch dann erfüllt,

wenn die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden können. Sinn der

Bestimmung: Tatfremde Ermäßigungsgründe sollen aus der strafrechtlichen Betrachtung und

Bearbeitung ausgeklammert werden, so jedenfalls die h. M. Allerdings ist dies nur die halbe

Wahrheit, denn im Rahmen der Strafzumessung sind die „anderen Gründe― doch zu

berücksichtigen (vgl. BGH vom 17. 3. 2005, 5 StR 461/04, wistra 2005, 311 (312)), so dass

dem Strafrichter insoweit jedenfalls nicht die steuerliche „Gesamtaufrollung― des Falles

erspart bleibt.

Folge: Steuerverkürzung ist zu bejahen, obwohl ein steuerliches Mehrergebnis nicht vorliegt.

Faustregel:

Gründe aus einer anderen Besteuerungsgrundlage müssen als tatfremd ausscheiden. Innerhalb

einer Besteuerungsgrundlage ist ein innerer, enger wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem

tatbezogenen Steuervorteil erforderlich. Das Strafgericht soll, dies ist der Sinn der Regelung

nach BGHSt 7, 336, nicht den gesamten Steuerfall aufrollen müssen. Vielmehr soll der

Steueranspruch so berechnet werden, dass in die Steuererklärung des Täters lediglich anstelle

der unrichtigen die zutreffenden Angaben eingesetzt werden.

Fall 58:

U versorgt diverse Imbisshallen und Gaststätten mit Grillhähnchen. Seine besonders

günstigen Preise kann er deshalb halten, weil er nur einen Teil der Ware gegen

Rechnung liefert, den Rest aber gegen ―Plattmoos‖. Um das ganze System ―stimmig‖ zu

bekommen, setzt er natürlich nicht seinen gesamten Wareneinkauf als Betriebsausgaben

an und nimmt auch nicht für den gesamten Einkauf die Vorsteuer in Anspruch, sondern

eben nur so viel, wie es gerade geht, um bei der Betriebsprüfung noch im Rahmen der

―Richtsätze‖ zu liegen. Das ganze kommt raus, als er sich mit einem seiner Abnehmer

verkracht und dieser ihn anzeigt. Die Betrachtung sei zunächst auf die Umsatzsteuer

beschränkt. Der U hat in dem betreffenden Jahr die Umsatzsteuer auf 100.000,00 nicht

erklärt. Er hatte gleichzeitig zusätzlichen Wareneinkauf von netto 70.000,00 (brutto

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81.200,00), woraus er die Vorsteuer in Höhe von 11.200,00 bisher nicht in Anspruch

genommen hat (Beträge in geltender Währung).

Steuerlich sieht es so aus, dass der U an Umsatzsteuer entrichten muss 16.000,00

abzüglich Vorsteuer 11.200,00

Zahllast 4.800,00

Dies alles unter der Voraussetzung, dass ordnungsgemäße Rechnungen, also solche, die die

Umsatzsteuer gesondert ausweisen, vorliegen und dem Finanzamt eingereicht werden können

(§ 14 UStG i. V. m. § 15 I Nr. 1 UStG).

Strafrechtlich liegt eine Verkürzung (Festsetzungsverkürzung) der Umsatzsteuer in Höhe von

16.000,00 DM vor. Zweifelhaft ist, inwieweit er durch die in Anspruch zu nehmende Vor-

steuer kompensiert werden kann. Der BGH hat entschieden, dass das Kompensationsverbot

in diesen Fällen greift, eine Saldierung also nicht zulässig ist. Deshalb:

Umsatzsteuerverkürzung in Höhe von 16.000,00 (zum Problem vgl. Kohlmann, § 370, TZ

163.1 und die dort angeführte Entscheidung des BGH vom 18.04.1978, 5 StR 692/77, GA

1978, 278). Der BGH sagt, der Vorsteuerabzug stehe dem Unternehmer unabhängig vom

späteren Schicksal des Vorumsatzes und unabhängig vom Zeitpunkt der weiteren

Verwendung zu, sobald die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt sind, deshalb die

Betrachtung als ―anderer Grund‖ im Sinne des § 370 IV 3 AO:

"Wie der Senat bereits im Urteil vom 31. 1. 1978 – 5 StR 458/77 – ausgeführt hat, kann der Täter gegenüber dem

Vorwurf, die auf seine eigenen Umsätze entfallende Umsatzsteuer hinterzogen zu haben, nicht mit dem Einwand

durchdringen, dass er die Steuerschuld durch unterlassene Vorsteuerabzüge ausgleichen könne. Die Frage nach

den schädigenden Folgen des steuerunehrlichen Verhaltens darf nach § 392 Abs. 3 Halbsatz 2 RAbgO (§ 370

Abs. 4 Satz 3 AO 1977) nur im Rahmen der durch die unrichtigen Angaben des Täters geschaffenen

Besteuerungsgrundlagen geprüft werden (BGHSt 7, 336, 345). Auf neue Tatsachen, die der Täter dem

Finanzamt nicht vorgetragen hatte und die eine Ermäßigung des Steueranspruchs begründen würden, darf er

sich im Strafverfahren nicht berufen. Das schließt eine Berücksichtigung nicht angegebener Vorsteuerbeträge

bei der Berechnung der tatbestandsmäßigen Umsatzsteuerverkürzung aus. Dabei spielt es keine Rolle, ob der

Täter unrichtige oder überhaupt keine Steuererklärungen abgegeben hat. ...

Die Nichtabgabe oder die zu niedrige Angabe der abzugsfähigen Vorsteuern ist in aller Regel für die

Steuerverkürzung nicht ursächlich. Es besteht auch kein innerer Zusammenhang zwischen der auf die eigenen

Umsätze entfallenden Umsatzsteuer und den abziehbaren Vorsteuerbeträgen. Der Vorsteuerabzug ist

grundsätzlich bei allen für das Unternehmen ausgeführten Umsätzen und bei der Einfuhr jeder Art von

Gegenständen für das Unternehmen zulässig. Darauf, ob der Vorumsatz zu eigenen Umsätzen geführt hat,

kommt es nicht an. Im allgemeinen ist daher nicht zu unterscheiden, für welche Zwecke der für das Unternehmen

bezogene Gegenstand oder die für das Unternehmen in Anspruch genommene sonstige Leistung verwendet

wird. Der Vorsteuerabzug bleibt auch dann bestehen, wenn ein für das Unternehmen bezogener oder

eingeführter Gegenstand unter dem Einkaufspreis veräußert wird oder weder mittelbar noch unmittelbar der

Ausführung eigener Umsätze (z. B. bei Untergang der Ware) dient. Ferner kommt es für die Vornahme des Vorsteuerabzuges nicht darauf an, wann die Rechnung bezahlt worden ist, wann die Umsätze, für die dem

Unternehmer die Vorsteuern in Rechnung gestellt worden sind, zur Ausführung eigener Umsätze verwendet

werden oder welchem Steuersatz diese Umsätze unterliegen. Der Vorsteuerabzug steht vielmehr dem

Unternehmer unabhängig von dem späteren Schicksal des Vorumsatzes und unabhängig von dem Zeitpunkt der

weiteren Verwendung zu , sobald die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 UStG erfüllt sind. ...

Diese Umstände rechtfertigen es, unterlassene Vorsteuerabzüge als anderen Grund im Sinne des § 392 Abs. 3

Halbsatz 2 RAbgO (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977) anzusehen. Die Sache liegt hier anders als bei der

Gewinnermittlung für die Steuern vom Einkommen und vom Gewerbeertrag. Wenn der Täter durch

Verschweigen von Betriebseinnahmen seinen steuerlichen Gewinn zu niedrig angegeben hat, sind bei der

Ermittlung der verkürzten Ertragssteuern die mit den verschwiegenen Einnahmen unmittelbar

zusammenhängenden Betriebsausgaben (nicht aber Rückstellungen: vgl. Senatsurteil vom 28. 2. 1978 – 5 StR 432/77 --) gewinnmindernd zu berücksichtigen (BGHSt 7, 336, 345/346; Senatsurteil vom 31. 1. 1978 – 5 StR

458/77 --). Hier fehlt ein solcher Zusammenhang. Deshalb müssen nicht angegebene Vorsteuerbeträge bei der

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Berechnung des Umfangs der tatbestandsmäßigen Umsatzsteuerverkürzung außer Betracht bleiben. Sie können

allerdings bei der Strafzumessung unter dem Gesichtspunkt der verschuldeten Auswirkungen der Tat

berücksichtigt werden. ... "

Bestätigt durch BGH vom 11. 7. 2002, 5 StR 516/01, NStZ 2002, 549 (551 zu Tz. 7).

Andererseits hält der BGH den Grundsatz nicht uneingeschränkt durch (FGJ, § 370, TZ 67).

Erstreckt man jetzt die Betrachtung auf die Einkommensteuer, so werden die

Betriebseinnahmen von 100.000,00 teilweise durch die damit im wirtschaftlichen

Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben von 70.000,00 kompensiert. Der BGH sagt

nämlich in der oben zitierten Entscheidung gleichfalls, dass ein solcher wirtschaftlicher

Zusammenhang zwischen nicht gebuchten Erlösen und den Aufwendungen (Wareneinsatz)

für die Anschaffung der Ware, bezüglich derer die Verkaufserlöse verschwiegen wurden,

besteht. Hier also keine Anwendung des Kompensationsverbots. Das bedeutet, dem Gewinn

des U sind

hinzuzurechnen zusätzliche Betriebseinnahmen 100.000,00

abzüglich Betriebsausgaben 70.000,00

Mehrgewinn 30.000,00

Bezüglich dieser 30.000,00 müssen Sie den U also fiktiv veranlagen, die Einkünfte aus

Gewerbebetrieb also um 30.000,00 vermehren, wodurch sich das gesamte zu versteuernde

Einkommen um 30.000,00 erhöht, um dann in der richtigen Tabelle (je nachdem, ob er ledig

ist oder verheiratet bzw. getrennt lebt) für das richtige Jahr die Steuer aus der Tabelle

abzulesen.

Fall 59:

U verschweigt in seiner Einkommensteuererklärung irgendwelche Betriebseinnahmen

und wird ohne sie veranlagt. Nachträglich macht er noch irgendwelche

Betriebsausgaben geltend (nach LH, S. 51).

Hinterzogen ist die ESt aus den Betriebseinnahmen. Die Betriebsausgaben sind ―andere

Gründe‖ und außer Betracht zu lassen. Der Umstand, dass es sich um dieselbe Einkunftsart

handelt (Einkünfte aus Gewerbebetrieb), reicht für einen inneren engen wirtschaftlichen

Zusammenhang nicht aus. Der Unterschied zu Fall 62: Wareneinsatz und Verkaufserlös

hängen zusammen, so dass die Betriebsausgaben für den Einkauf der Ware unmittelbar mit

dem Verkaufserlös zusammenhängen.

Fall 60:

U erklärt gewisse Einnahmen weder als Umsätze zur Umsatzsteuer noch als

Betriebseinnahmen zur Einkommensteuer und Gewerbesteuer (LH, S. 52).

Wird die Verkürzung von Einkommensteuer und Gewerbesteuer gemindert durch den

Aufwand infolge des ―mehr‖ an Umsatzsteuer, wird die Einkommensteuer durch das ―mehr‖

an Gewerbesteuer gemindert? Hier sind keine tatfremden Umstände, sondern wirtschaftlich

eng zugehörige, kein Kompensationsverbot (BGH, wistra 1992, 103, 104).

―Auch für die im Hinblick auf die vereinnahmten Beträge geschuldete Gewerbesteuer

sind zunächst Feststellungen zum Bilanzergebnis der einzelnen Jahre erforderlich, da

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das Einkommen der Gesellschaft Grundlage für den gem. § 7 Gewerbesteuergesetz zu

ermittelnden Gewerbeertrag ist.‖ Der BGH weist dann daraufhin, dass die

Gewinnermittlung sowohl der Körperschaftssteuer als auch der Gewerbesteuer

zugrunde liegt und demzufolge die Umsatzsteuer, die ja jetzt nach entrichtet werden

muss, gewinnmindernd zu berücksichtigen ist.

Fall 61 - (LH, S. 52; Joecks, S. 36):

Unternehmer U beginnt seine gewerbliche Tätigkeit im Jahre 01. In diesem Jahr erzielt

er einen Verlust in Höhe von 500.000,00. Im Jahre 03 gibt er seinen Gewinn aus

Gewerbebetrieb um 200.000,00 zu niedrig an. Der Steuersatz sei 50 %, weshalb die

Einkommensteuer um 100.000,00 zu niedrig festgesetzt wird. Im Jahre 05 wird dies

entdeckt. Darauf macht U den Verlustvortrag nach § 10 d EStG aus dem Jahre 01

anteilig für das Jahr 03 geltend.

Vgl. einerseits BayObLG wistra 1982, 199 und andererseits BGH wistra 1984, 183.

Steuerrechtlich ist der Verlustabzug nach § 10 d EStG nicht antragsgebunden. Nach § 10 d I

EStG sind Verluste zunächst bei den vorangegangenen Jahren abzuziehen. Verluste, die in

dieser Weise nicht abgezogen worden sind, sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen

vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen (in beiden Fällen ―wie Sonderausgaben‖). Hier

hat der U seine Tätigkeit in 01 begonnen, weshalb die Verluste nicht in einem der

vorangegangenen Veranlagungszeiträume abgezogen werden konnten, so dass nur die

folgenden Veranlagungszeiträume in Betracht kommen. Wir gehen bei unserer Lösung davon

aus, dass steuerrechtlich der Verlustvortrag aus 01 in 03 rechtens gewesen wäre. Hätte U alles

richtig erklärt, hätte der Verlust aus 01 in 03 vorgetragen werden müssen. Ist dies nun ein

―anderer Grund‖ i. S. von § 370 IV 3 AO? Das BayObLG sagt ―nein‖, der BGH in der

späteren Entscheidung ―ja‖. Nach der einen Ansicht dürfen dem Pflichtigen nicht solche

Steuervorteile vorenthalten werden, die ihm ohne Weiteres von Rechts wegen zugestanden

hätten, wenn er anstelle der unrichtigen die richtigen Angaben gemacht hätte. Hiernach wäre

der Verlustabzug zu berücksichtigen, so dass eine Steuerverkürzung nicht eingetreten wäre.

Anders der BGH: Er stellt auf den unmittelbaren Zusammenhang ab. Zwischen den früheren

Verlusten und den Gewinnen der späteren Veranlagungszeiträume bestehe ―keinerlei

Zusammenhang‖. Das läuft auf das Argument bei der Umsatzsteuer hinaus: Kein Zusammen-

hang zwischen Vorsteuern und geschuldeter Umsatzsteuer. Hinter dieser Ansicht steht wohl

auch, dass das ―Arbeiten mit Netz und doppeltem Boden‖ verhindert werden soll (Joecks, S.

37). Wird die unrichtige Erklärung für 03 bemerkt, hat der Pflichtige den Verlustvortrag aus

01 ―in der Hinterhand‖, kann auf diese Weise die Verkürzung in 03 abwenden. Wird die

unrichtige Erklärung nicht bemerkt, bleibt der Verlustvortrag, weil er nicht ―gebraucht‖ wird,

für die Folgejahre erhalten. Daher ―anderer Grund‖ i. S. von § 370 IV 3 AO.

Problem:

Der Verlustvortrag wird, wie das BayObLG zu Recht bemerkt, nicht auf Antrag abgezogen,

sondern die Reihenfolge des Abzugs ist in § 10 d EStG geregelt. Der Abzug ist also ―von

Amts wegen‖ nach dem Regelwerk des § 10 d EStG vorzunehmen, also unter den Voraus-

setzungen des Abs. 1 für die vorangegangenen Jahre und unter den Voraussetzungen der

übrigen Absätze für die Folgejahre. Ob die Berücksichtigung gegen den Grundsatz der ―Ab-

schnittsbesteuerung‖, wie manche meinen, verstößt, ist auch fraglich, denn letztlich steht die

Festsetzung für 03 eben doch unter dem Stern des Verlustes in 01, der den Gewinn in 03

mindert; ob der Pflichtige oder das Finanzamt das wollen oder nicht, ist gleichgültig. Die

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Entscheidung hängt davon ab, ob man auf das schwer zu handhabende Merkmal des

―unmittelbaren Zusammenhangs‖ abstellt, das vom BGH beispielsweise bei der Umsatzsteuer

im Verhältnis zur Vorsteuer verneint, bei den Betriebsausgaben, soweit sie mit nicht erklärten

Betriebseinnahmen im Zusammenhang stehen, dagegen bejaht wird.

Fall 62 - (nach Joecks, S. 32):

Der Unternehmer U (der seinen Gewinn durch Bestandsvergleich nach § 5 EStG

ermittelt) gibt seine Betriebseinnahmen aus gewerblicher Tätigkeit um netto 100.000,00

zu niedrig an. Gleichermaßen hat U im Zusammenhang mit diesen Einnahmen stehende

Ausgaben von netto 70.000,00 nicht in der Buchführung erfasst. Dementsprechend hat

er die Umsatzsteuer auf 100.000,00 nicht erklärt; für den zusätzlichen Wareneinkauf

von netto 70.000,00 liegen ordnungsgemäße Rechnungen vor, aus denen Vorsteuern

jedoch bislang nicht geltend gemacht wurden. - U macht im Besteuerungsverfahren

zutreffend geltend, er habe es grob fahrlässig versäumt, Schuldzinsen für ein fremd

vermietetes Haus, dessen Einnahmen ordnungs- gemäß erklärt worden waren, in der

Steuererklärung anzugeben. Es handelt sich um Schuldzinsen in Höhe von 40.000,00 .

Wie hoch ist die Steuerverkürzung? (Der Steuersatz sei 50 % bei der ESt)

Reichweite des Kompensationsverbots? Sie müssen jetzt sortieren:

Im Verhältnis zwischen Betriebseinnahmen und damit zusammenhängenden

Betriebsausgaben greift es nicht ein (vgl. o. hinter Fall 62). Die Betriebseinnahmen von

100.000,00 werden also durch die 70.000,00 kompensiert.

Dagegen betreffen die Schuldzinsen eine andere Einkunftsart (Vermietung und Verpachtung).

Hier gilt das Kompensationsverbot. Damit liegt Verkürzung der Einkommensteuer in Höhe

von 30.000,00 vor.

Die Umsatzsteuer ist in Höhe von 16.000,00 verkürzt. Dass sie nicht durch die Vorsteuer

kompensiert werden kann, ist - jedenfalls wenn man der Auffassung des BGH folgt - oben

dargelegt. Es bleibt bei der Verkürzung von 15.000,00 bezüglich der Umsatzsteuer.

Tathandlung/Kausalität:

S hat gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben über die Höhe des Gewinns aus

Gewerbebetrieb gemacht (wenn er die Einnahmen zu niedrig angibt, dann ist damit auch

gleichzeitig der Gewinn zu niedrig angegeben). Des weiteren sind die Angaben über die Höhe

der steuerbaren Umsätze unrichtig, was zur unrichtigen Festsetzung sowohl der Einkommen-

als auch der Umsatzsteuer führt.

Subjektiver Tatbestand:

Der Vorsatz ist besonders sorgfältig zu prüfen, vgl. BGH wistra 1991, 107; LG Oldenburg

wistra 1994, 276. Es kommt darauf an, ob dem S bewusst war, dass er dem Finanzamt

gegenüber unrichtige Angaben über die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb und der

Umsätze machte. Bezüglich der Umsatzsteuer kann es sich anders darstellen als bei der

Einkommensteuer, da S zweifellos wusste, dass er bei ordnungsgemäßer Erfassung des

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Wareneingangs auch berechtigt war, die Vorsteuern abzuziehen. Es genügt allerdings, dass er

die Verkürzung von 16.000,00 für möglich hielt.

Es müssen dann Ausführungen zur Rechtswidrigkeit und Schuld folgen, die zumindest

festgestellt werden müssen.

Dass der tatsächlich dem Fiskus entstandene Schaden geringer war, ist bei der

Strafzumessung zu berücksichtigen (BGH wistra 1985, 225; 1988, 109).

Im Ergebnis bewirkt das Kompensationsverbot, dass ―versuchte‖ Steuerhinterziehung als

vollendete Tat bestraft wird.

Zum Irrtum über das Kompensationsverbot: Meine, wistra 2002, 361 und Menke, wistra

2006,167 ff. (170).29

Hierzu folgender Fall:

Der GmbH-Geschäftsführer G unterlässt es (u. a.), die Umsatzsteuervoranmeldung für

I/01 abzugeben. In diesem Quartal hatte die GmbH 3.400,00 € Umsatz, aber

Vorsteuern von 27.000,00 €.

Vollendete Umsatzsteuerverkürzung. Vorsteuer ist „anderer― Grund i. S. von § 370 IV

3 AO.

G lässt sich dahin ein, er sei zur Abgabe der Voranmeldung nicht verpflichtet

gewesen, weil er ohnehin vom Finanzamt „etwas zurückbekommen hätte―.

Im Ergebnis ist dieser Irrtum wie ein Irrtum über den Steueranspruch zu behandeln, also als

Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt, siehe dazu unter 11.

Der BGH hat das Kompensationsverbot in folgenden Fällen durchgreifen lassen:

BGH NJW 1962, 2311:

Eine Ausfuhrvergütung wurde zu Unrecht gewährt für die angebliche Ausfuhr von

Edelsteinen an nicht existente Schweizer Abnehmer. In Wirklichkeit war nach Belgien

geliefert worden. Ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil ist auch dann erzielt, wenn bei

wahrheitsgemäßen Angaben der Angeklagte für die Ausfuhr nach Belgien eine Vergütung

hätte beanspruchen können.

[M.E. ist in diesem Fall die Frage des Kompensationsverbots gar nicht berührt. Wenn die

Ausfuhrvergütung erschlichen ist, ist damit der Tatbestand (Verkürzung bzw.

Vorteilsgewährung) erfüllt. Alles andere sind rechtlich unerhebliche hypothetische

Erwägungen. Natürlich: Hätte sich der Täter rechtmässig verhalten, hätte er auch die

Ausfuhrvergütung beanspruchen können].

29 Schon BGH vom 24.10.1990, 3 StR 16/90, wistra 1991,107, (108) führt aus: „… die Abzugsberechtigung zählt

zu den ´`anderen Gründen´ im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO, deren Berücksichtigung durch das

Kompensationsverbot ausgeschlossen wird. … Das hindert es aber nicht, dass sich der Täter im Einzelfall im

Hinblick auf eine tatsächlich gegebene Vorsteuerabzugsberechtigung über das Bestehen des Steueranspruchs

irrt und sich infolgedessen bei der Tat in einem Tatbestandsirrtum befindet, der den Verkürzungsvorsatz ausschließt…. Ein solcher Irrtum liegt umso näher, als die nach § 16 Abs. 1 UStG berechnete Umsatzsteuer und

die in denselben Besteuerungszeitraum fallende Vorsteuer steuerrechtlich als bloße Rechnungsfaktoren nur

unselbständige Besteuerungsgrundlagen bilden, die zu saldieren sind. … Die Prüfung der Irrtumsfrage hat das

Landgericht unterlassen; sie muß nachgeholt werden.―

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BGH HFR 1991, 496:

Einsatz von Scheinrechnungen zur Verschleierung von Schwarzlohn- und

Schmiergeldzahlungen. Der Angeklagte setzte Scheinrechnungen gewinnmindernd ein, um

auf diese Weise nicht berücksichtigungsfähige Schwarzlohn- und Schmiergeldzahlungen

steuerlich geltend machen zu können. Die Schwarzlohnzahlungen wirken sich wegen des

Kompensationsverbots nicht auf den Schadensumfang aus, sind aber bei der Strafzumessung

berücksichtigungsfähig. Nur deshalb Aufhebung im Strafausspruch und Zurückverweisung.

BGH MDR 1979, 772:

A kauft Schrott schwarz und legt hierüber fingierte Rechnungen vor. Nach Entdeckung sagt

er, andere Geschäftsvorfälle, die er noch nicht in die Erklärung eingeführt habe, hätten den

Gewinn ohnehin gemindert (z. B. andere Schrottkäufe). Das Kompensationsverbot greift ein,

denn die tatsächlichen und die fingierten Käufer sind nicht ein und derselbe Sachverhalt.

Frage:

Wäre es anders, wenn der A bezüglich der Schwarzkäufe die „wirklichen― Ausgaben hätte

belegen können?

BGH vom 5. 2. 2004, 5 StR 520/03, bei Leißing, PStR 2004, 79 = wistra 2004, 147 mit zust.

Anm. Buse, wistra 2004, 267:

Gemeinnützige GmbH veranstaltet Kurse für Führerscheinbewerber und führte von 1996 bis

2001 Kurserlöse in Höhe von 1.3 Mio. nicht gemeinnützigen Zwecken zu. Damit entfiel die

Voraussetzung der Gemeinnützigkeit und der damit zusammenhängenden Steuerbefreiungen.

Gegenüber dem Vorwurf der USt-hinterziehung machte der Angeklagte geltend, die von der

GmbH erbrachten Leistungen unterlägen der USt-Befreiung nach § 4 Nr. 21 a bb UStG, und

legte die hierfür notwendigen Bescheinigungen vom 31.3.2003 der Bezirksregierung vor. Der

BGH: Es besteht kein untrennbarer Zusammenhang zwischen Steuerentstehungs- und -

befreiungstatbestand, denn der Befreiungstatbestand setzt ein gesondertes

verwaltungsrechtliches Prüfungsverfahren (hier: der Bezirksregierung) voraus. Erst nach

dessen (positiven) Abschluß steht die Steuerbefreiung fest, diese fällt also nicht mit dem

Entstehungstatbestand zusammen. Freilich ist die „Kompensation― im Strafmaß zu

berücksichtigen.

Das Kompensationsverbot wurde verneint in folgenden Fällen:

BGH HFR 1979, 207:

A stellte dem Mittäter manipulierte Rechnungen aus, die dieser zur Steuerhinterziehung

nutzte. Bei der Berechnung hatte das Landgericht (bei ESt und Kirchensteuer) nicht deren

Minderung durch Gewerbesteuer und Kirchensteuer-Anteile berücksichtigt. Dem Pflichtigen

dürfen solche Steuervorteile nicht vorenthalten werden, die ihm schon aufgrund seiner

richtigen Angaben oder jedenfalls ohne Weiteres auch dann zugestanden hätten, wenn er

anstelle der unrichtigen richtige Angaben gemacht hätte. Beträge der Gewerbesteuer und der

Kirchensteuer wären bei wahrheitsgemäßer Angabe zu berücksichtigen gewesen.

BGH MDR 1976, 770:

Der Architekt A gab Jahreshonorar (das er aus Nebentätigkeit neben seiner Pension bezog) in

Höhe von 200.000,00 DM als Entgelt für vieljährige hauptberufliche Tätigkeit in der

Einkommensteuererklärung nicht an. Der BGH: Der Vorteil des § 34 III a. F. EStG hätte hier

zugute kommen müssen („Streckung― der Einnahmen über mehrere Jahre).

BGH wistra 1991, 27:

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Verwendung von Schwarzeinnahmen für Löhne.

Der Täter verwendet Schwarzeinnahmen zur Zahlung zusätzlicher Löhne. Das

Kompensationsverbot greift nicht ein, weil sich wegen des wirtschaftlichen Zusammenhangs

bei der wahrheitsgemäßen Erklärung dieser Einkünfte die Steuerminderung ohne Weiteres

ergeben hätte. - Bedeutsam ist dieses Urteil auch, weil es die Anforderungen an die

Wiedergabe der Urteilsgründe herausstellt (§ 267 I 1 StPO: Erforderlich ist eine in sich

geschlossene Darstellung aller äußeren und inneren Umstände, damit die Grundlage für die

rechtliche Beurteilung erkennbar wird).

BGH wistra 1987, 139:

Parteispenden als Betriebsausgabe. Das Kompensationsverbot hindert nicht, eine verdeckte

Parteispende, die im Besteuerungsverfahren als Ausgabe zur Förderung als staatspolitischer

Zwecke geltend gemacht worden ist, im Strafverfahren darauf zu prüfen, ob es sich um

Betriebsausgaben handelt. Andere Gründe sind solche, auf die sich der Täter im

Strafverfahren beruft, obwohl er sie im Besteuerungsverfahren nicht vorgebracht hat. Es geht

um die rechtliche Beurteilung der Auswirkung ein und derselben Zahlung. Vgl. hierzu die

oben aufgeführte Entscheidung BGH MDR 1979, 772.

Eine interessante Variante ergibt sich aus der folgenden Entscheidung – nicht eines Straf-

sondern eines Finanzgerichts (Steuerverkürzung um Zweck der Erlangung von

Steuererstattungen):

FG München, Urt. v. 10. 11. 2005, 15 K 3231/05, wistra 2006, 470:

Die Kläger waren bestandskräftig zur EinkSt veranlagt worden, erklärten nach Ablauf

der gewöhnlichen Festsetzungsfrist Einkünfte aus KapV nach und gleichzeitig

Steuererstattungsbeträge aus KapErtrSt und KöSt, die gegenüber allen insgesamt

erklärten Einkünften zu einer Erstattung führen würden. Das FA hatte sich geweigert,

den Bescheid zu ändern wegen Festsetzungsverjährung. Das FG München gab der

Klage statt. Es sah das FA zur Änderung aufgrund von § 173 I AO zur Abänderung

verpflichtet. Die Festsetzungsfrist betrage 10 Jahre, da Steuer hinterzogen worden sei.

Dagegen Bedenken von Rolletschke in der Anmerkung wistra 2006, 471. Per saldo sei

keine Steuer verkürzt worden. Ob das stimmt, hängt davon ab, ob die Erstattungsbeträge

dem Kompensationsverbot unterliegen. Die zu erstattende KapErtrSt nicht, bei der KöSt

kann dies zweifelhaft sein.

Das hierzu ergangene Revisionsurteil BFH v. 26. 2. 2008, VIII R 1/07, wistra 2008,

436, sieht die Sache ganz anders. Es hebt die Vorentscheidung auf und weist die Klage

ab. Es lässt die strafrechtliche Frage, ob eine Steuerhinterziehung begangen ist,

dahinstehen und lässt die Klage an dem Sinn des § 169 II 2 AO scheitern, der

Ansprüche des Fiskus gegen den Pflichtigen, nicht aber dessen Erstattungsansprüche

schützen wolle, macht aber obiter Ausführungen zum Kompensationsverbot, derer es an

sich nicht bedürfte.

9. Das Merkmal ―... Steuervorteile erlangt‖

Fall 63:

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Unternehmer U erklärt in seiner Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 1998 Ausgangs-

umsatzsteuer in Höhe von 10.000,00, 8.000,00 Vorsteuer und demzufolge 2.000,00

Umsatzsteuer-Zahllast. Richtig beträgt die Vorsteuer, wie dem U bekannt ist, 7.000,00,

die Zahllast also 1.000,00 mehr, nämlich 3.000,00 .

USt. 10.000,00

VSt 8.000,00 ./. 1.000,00

2.000,00 1.000,00

Steuerverkürzung: 1.000,00

Fall 64:

Wie vorheriger Fall, nur setzt U die Vorsteuer, die richtig nur 7.000,00 beträgt, bewusst

mit 12.000,00 an, also 5.000,00 zu hoch. Das Finanzamt zahlt dem U antragsgemäß

2.000,00 aus.

USt. 10.000,00

VSt 12.000,00 ./. 5.000,00

./. 2.000,00 + 3.000,00

Steuerverkürzung 5.000,00? oder nur 3.000,00 Verkürzung und bezüglich des Restes

von 2.000,00 Steuervorteil? Oder insgesamt Steuervorteil 5.000,00?

Sie könnten argumentieren: Die Umsatzsteuer wird insgesamt festgesetzt. Vorsteuer ist nur

eine Besteuerungsgrundlage bei der Umsatzsteuer. Sie wird nicht selbständig hinterzogen,

auch nicht als Steuervorteil erlangt i. S. von § 370 IV 2 AO. Daher im Fall 67

Steuerverkürzung in Höhe von 1.000,00 im Fall 68 Steuervorteil aufgrund der falschen

Anmeldung und Zustimmung des Finanzamts (in Gestalt der Auszahlung von 2.000,00 ) und

im übrigen Festsetzungsverkürzung bezüglich des Betrages, in dessen Höhe die Vorsteuer die

angemeldete Umsatzsteuer nicht übersteigt, also 3.000,00.

Da die Vorsteuererstattung unabhängig davon vorgenommen wird, ob der Pflichtige

gleichzeitig Umsatzsteuer angemeldet hat, der Vorsteuererstattungsanspruch also selbständig

besteht, ist dieser immer als Steuervorteil anzusehen. Es kommt daher nicht darauf an, ob die

Vorsteuererstattung (zufälligerweise) mit einer Umsatzsteuerzahllast saldiert wird. Die

Erschleichung von Vorsteuer ist stets die Erschleichung eines Steuervorteils.

Fall 65:

Privatmann P hat bei der Gewerbemeldestelle des Ordnungsamts einen Betrieb

angemeldet und vom Finanzamt eine Steuernummer erhalten. Er gibt beim Finanzamt

eine Umsatzsteuervoranmeldung ab und macht Vorsteuerbeträge von 8.000,00 geltend.

Das Finanzamt erstattet dem P die Vorsteuer in dieser Höhe. In Wirklichkeit existiert

überhaupt kein Unternehmen, und die vorgelegten Rechnungen, die die Umsatzsteuer

gesondert auswiesen, waren frei erfunden.

vgl. BGH NJW 1994, 2302.

USt ----------------

VSt 8.000,00 ./. 8.000,00

8.000,00

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Betrug oder Steuerhinterziehung?

§ 370 IV 2 AO:

Steuervorteile sind auch Steuervergütungen.

Der BGH hielt ursprünglich die Umsatzsteuervergütung dann nicht für einen Steuervorteil,

wenn der gesamte Geschäftsvorgang vorgetäuscht war. Dann sei vielmehr Betrug

anzunehmen. Diese Rechtsprechung ist aufgegeben. In der oben zitierten Entscheidung heißt

es:

―Fälle, in denen die Existenz eines Unternehmens nur vorgetäuscht wird, für das sodann

ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze angemeldet und Vorsteuer-

erstattungen begehrt werden, sind nicht als Betrug, sondern als Steuerhinterziehung zu

beurteilen.‖ Ebenso BGH vom 5. 5. 2004, 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720 = wistra

2004, 309 und vom 24. 11. 2004, 5 StR 220/04, wistra 2005, 56 (57).

Der BGH grenzt § 370 AO von § 263 StGB danach ab, ob der vom Täter erstrebte Vorteil

ausschließlich auf steuerrechtlichen Regelungen beruht. Praktische Bedeutung dieser

Unterscheidung? Vgl. § 371 AO.

Die Definition des Steuervorteils ist ähnlich unvollkommen wie die der Steuerverkürzung.

Wir haben bei der ―Beispielsdefinition‖ des § 370 IV 2 AO angefangen. Was ist nun

schlechthin der “Steuervorteil”? Folgende Möglichkeiten:

a) Jede Verkürzung Steuervorteil

b) Materielle Abgrenzung, Normalsteuer /. Steuervergünstigung?

c) Antragserfordernis?

d) Unterscheidung nach Verfahrensabschnitten?

Etwa wie folgt:

Jede steuerliche Vergünstigung außerhalb des Festsetzungsverfahrens.

Damit geraten Sie in Schwierigkeiten mit der Definition der Verkürzung, sofern Sie dort

die Meinung vertreten, diese sei beispielsweise auch im Beitreibungsverfahren möglich.

Die Definition hat den Vorteil, dass Sie die Verkürzung auf das Festsetzungsverfahren

beschränken können und damit für die (dort wesensfremde) Verkürzung im

Beitreibungsverfahren kein Raum bleibt. Sie erreichen damit eine klare Abgrenzung beider

Merkmale.

Wer einerseits Steuerverkürzung auch im Vollstreckungsverfahren und andererseits

Vorteilserlangung auch im Festsetzungsverfahren bejaht, läuft Gefahr, beide

Tatbestandsmerkmale zu vermengen.

Andere Möglichkeit der Definition (Kohlmann, § 370 TZ 177):

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Besondere Vergünstigung, die nach den Steuergesetzen als Ausnahme von der sonst

eintretenden Regelsteuer gewährt wird [also wie oben Definition zu b), Versuch

einer materiellen Abgrenzung];

Negativ keine Festsetzungsverkürzung;

Vergünstigung spezifischer steuerlicher Art, also nicht etwa Wohnungsbauprämie o.

ä.

Zum Problem der Vorteilserlangung vgl. Hardtke, S. 113 - 117.

Beispiele:

Fall 66:

U erschleicht eine Stundung, indem er Zahlungsunfähigkeit vorspiegelt, während er in

Wirklichkeit liquide Mittel hat, die er dem Finanzamt verschweigt.

Vgl. § 222 AO, wonach die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

ganz oder teilweise stunden können, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche

Härte für den Schuldner bedeuten würde ... .

Fall 67:

Tiefbauunternehmer T erschleicht durch falsche Angaben Vergünstigungen im

Vollstreckungsverfahren (Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO, Aufhebung einer

Pfändung, Niederschlagung, § 261 AO): Ansprüche dürfen niedergeschlagen werden,

wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird.

Die Niederschlagung ist ein innerdienstlicher Rechtsakt und begründet kein Recht des

Pflichtigen. Sie bedeutet nur, dass innerdienstlich angeordnet wird, dass der Anspruch nicht

mehr beigetrieben wird. Sie kann jederzeit wieder aufgehoben werden. Also nicht etwa

„Erlass‖. Der Anspruch erlischt nicht. - Es ist also problematisch, allein in der

Niederschlagung einen Steuervorteil zu sehen, allenfalls dann, wenn Sie dies mit dem

Unterlassen von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen begründen.

„Nicht gerechtfertigt‖:

Fall 68:

U beantragt beim Finanzamt für das Jahr 1979 die Herabsetzung der

Einkommensteuervorauszahlung auf Null mit der - zutreffenden - Begründung, er habe

1969 ein Berlin-Darlehen über 100.000,00 DM begeben und hieraus die Vorauszahlung

deutlich übersteigende Steuerersparnis in Höhe von 20.000,00 DM erlangt. Die

Einkommensteuervorauszahlung wurde daraufhin antragsgemäß auf Null festgesetzt.

Tatsächlich verschwieg U, dass sich sein Einkommen im laufenden Jahr deutlich erhöht

hatte, so dass eine Herabsetzung der Vorauszahlung nicht in Betracht gekommen wäre.

Nicht gerechtfertigter Steuervorteil?

Sind die Angaben unrichtig? Ja, falls unvollständig. - Die Vorauszahlungen bemessen sich

grundsätzlich nach der Einkommensteuer der letzten Veranlagung (§ 37 III 1 EStG). Das

Finanzamt kann jedoch die Vorauszahlungen an die Einkommensteuer anpassen, die sich

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voraussichtlich ergeben wird (Satz 3 dieser Vorschrift). Frage also, muss der Täter, der

Tatsachen für Mindereinnahmen vorträgt, auch die inzwischen eingetretenen (nicht die

künftigen!) Erhöhungen bekanntgeben? Bejahend OLG Stuttgart, wistra 1987, 263.

Muss er dies auch, wenn er nicht selbst die Herabsetzung der Vorauszahlung beantragt hat,

diese vielmehr zutreffend nach dem letzten Veranlagungszeitraum festgesetzt sind und

lediglich eine Gewinnsteigerung zu erwarten ist? Dann keine Verpflichtung, Erhöhung der

Vorauszahlungen zu beantragen, so Bilsdorfer in der Anmerkung zu dem zitierten Urteil des

OLG Stuttgart.

Zusammenfassend zur Abgrenzung: Steuervorteil ist der Erfolg, der nicht auf die

Festsetzung einer Steuer zurückzuführen ist (aber gleichwohl durch eine Festsetzung das

Vermögen des Steuergläubigers schädigt oder gefährdet). Freilich ist damit nicht das Problem

gelöst, ob § 370 AO auch außerhalb des Festsetzungsverfahrens, etwa im Beitreibungs-

verfahren, begangen werden kann. Hier entsteht - wie bei der Steuerverkürzung - die

„Namentlich-Frage―, d. h. das Problem, ob neben der Erlangung des Steuervorteils durch

Festsetzung jede andere Erlangung eines (steuerlichen ) Vorteils durch § 370 AO erfasst wird.

Ich verweise auf C I 6. Gibt es die Verkürzung (Vorteilserlangung) „kraft Herkommens―?

Nach meiner Überzeugung kommt dem Begriff des Steuervorteils keine gesonderte

Bedeutung zu. Steuerverkürzung und Steuervorteil kennzeichnen ein und denselben

Tatbestand – nur aus verschiedenen Blickwinkeln: Steuerverkürzung aus der Sicht des

Steuergläubigers ist Steuervorteil aus der Sicht des "Begünstigten". Steuerverkürzung sind

daher auch die (unberechtigte) Erlangung von Vorsteuer, Kindergeld, kurzum von Leistungen,

die seitens des Pflichtigen nicht "vorenthalten", sondern vom Staat zu Unrecht gewährt

werden. Das ist die Auffassung von Seer bei Tipke/Lang, § 23,Tz. 35. Es ist also wie bei der

Unterscheidung zwischen Verfahrenshindernis und Prozessvoraussetzung: Das Glas ist

entweder halb voll oder halb leer, je nach der Sicht des Betrachters. Ich gebe aber zu, dass

man bei dieser Sicht Schwierigkeiten mit den Fällen hat, in denen sich der Täter Vergütungen

(z.B. Vorsteuer oder Kindergeld) erschleicht. Dies als Bewirken einer zu niedrigen

Festsetzung zu behandeln, bewegt sich in der Nähe einer unzulässigen Analogie in malam

partem. Ein Ausweg wäre, diese Konstellationen über § 263 StGB zu lösen, was freilich die

Konsequenz hätte, dass § 371 AO – mangels Steuerstraftat—hierauf nicht mehr anwendbar

wäre, was allerdings wiederum durch analogia in bonam partem geändert werden könnte. Ein

Patentrezept weiß ich nicht.

Völlig neu und aus dem Rahmen fallend ist die Entscheidung BGH v. 10. 12. 2008, 1 StR

322/08, wistra 2009, 114 (mit abl. Bespr. Blesinger, wistra 2009, 294, und Verf., wistra 2009

): die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (z. B. bei der einheitlichen und

gesonderten Gewinnfeststellung) kann einen Steuervorteil darstellen. Als ob "Steuervorteil"

der Auffangtatbestand für Verkürzung wäre! Der Wechsel vom 5. zum 1. Strafsenat ist dem

Steuerstrafrecht offenbar nicht bekommen.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist es nur ein kleiner Schritt zu der Auffassung von

Schützeberg, PStR 2010, 95 ff., der in der erschlichenen Wiedereinsetzung einen nicht

gerechtfertigten Steuervorteil sieht, dazu Verf., PStR 2010,143. Wenn schon die Gefährdung

des Steueranspruchs zur Annahme eines Steuervorteils genügen soll, dann ist jede

Besserstellung des Pflichtigen gegenüber der Finanzbehörde zugleich Steuervorteil i. S. des §

370 AO. Wer diese Ausuferung des Tatbestands durch Vorverlegung der Strafbarkeit beklagt,

muss bei der Grundsatzentscheidung des BGH v. 10. 12. 3008 ansetzen. Im Fall der

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Wiedereinsetzung kommt als Problem hinzu: welcher Steueranspruch muss gefährdet sein,

genügt es, dass er bestandskräftig, oder muss er zusätzlich materiellrechtlich zutreffend

festgesetzt sein? Rolletschke, PStR 2006, 163 ff., und Weyand, PStR 2007, 134 ff. nehmen

den zwar bestandskräftig aber materiell unzutreffend festgesetzten Steueranspruch aus dem

Schutzbereich des § 370 AO aus. – Das entsprechende Problem stellt sich bei der

Vollstreckungsverkürzung. Setzt diese voraus, dass der Steueranspruch zutreffend festgesetzt

ist? Entsprechende Fragen bei der erschlichenen Stundung.

10. Das tatbestandsmäßige Verhalten

Fall 69 - (BGH NStZ-RR 1997, 277): Tathandlung.

A gibt eine Gewerbesteuererklärung für 1990 in Höhe von 2 Mio. ab für die GmbH,

deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer er ist. Weder er noch die GmbH zahlen

indessen die Steuer. Tathandlung?

Die bloße Nichtzahlung ist keine Steuerhinterziehung.30

Es muss ein Verhalten im Sinne des

§ 370 I AO hinzukommen. Erstaunlich ist, dass der BGH dies immer wieder hervorheben

muss, weil die Tatgerichte den Tatbestand des § 370 AO verkennen. Der BGH:

―Vielmehr liegt ein tatbestandsmäßiges Verhalten nach § 370 I AO sowohl durch

Handeln als auch durch Unterlassung nur vor, wenn die Finanzbehörden über

steuerliche erhebliche Tatsachen getäuscht und dadurch Steuern verkürzt worden sind;

das strafbare Verhalten liegt folglich in der Verletzung von Erklärungspflichten, die

dem Steuerpflichtigen von Gesetzes wegen (vgl. § 90 I AO) auferlegt sind. Da der

Angeklagte ersichtlich eine Gewerbesteuererklärung 1990 ... abgegeben hatte, könnte

sich ein strafrechtlich relevantes Verhalten nur daraus ergeben, dass er vorsätzlich

falsche Angaben gemacht und dadurch bewirkt hätte, dass die GmbH auf dieser

Grundlage zur Gewerbesteuer zu niedrig veranlagt worden wäre. Dazu hätte es

allerdings wiederum der Mitteilung bedurft, welche unzutreffenden Angaben in der

Gewerbesteuererklärung 1990 enthalten waren und welche innere Einstellung der

Angeklagte dazu hatte.‖

Aus diesem Grunde hatte die Sachrüge Erfolg.

Die Tatsachengerichte scheinen das Gesetz und die darauf fußende Rechtsprechung des BGH

offenbar nur unzureichend zur Kenntnis zu nehmen, andernfalls hätte der BGH nicht laufend

Veranlassung, die Struktur des § 370 AO in Erinnerung zu rufen, vgl. etwa BGH wistra 2003,

262 (265):

„Maßgebend für den Verkürzungserfolg... ist aber die zu geringe Festsetzung der

Lohnsteuer, nicht ihre unzureichende Bezahlung.―

Das tatbestandsmäßige Verhalten ist im Gesetz ausdrücklich beschrieben. Vgl. Bild 5 (oben

im Skript). Sie müssen also, wenn Sie den Tatbestand prüfen, eine der Verhaltensvarianten

des § 370 I Nr. 1 - 3 AO feststellen.

30 Dieser gleichsam eherne Grundsatz des Steuerstrafrechts scheint allmählich untergraben zu werden. Der erste

Schritt, auch die bloße Nichtzahlung von Abgaben zu pönalisieren, war die Einführung des § 266 a StGB, der

das „Vorenthalten― von Beiträgen zur Sozialversicherung mit Strafe bedroht. Die §§ 26a,b UStG setzen die

Reihe fort, dazu unten, C IV.

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Die Begehungsvariante

Fall 70: Sind Angaben gemacht, ist die Behörde ―in Unkenntnis‖ gelassen?

Rechtsanwalt A, der seinen Gewinn nach § 4 III EStG durch Einnahme-/

Überschussrechnung ermittelt, gibt seinen Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit in 1996

mit 120.000,00 DM an. Die Einnahme-/Überschussrechnung

enthält nicht Einnahmen aus Verteidigung des S, die er schwarz erhalten und nicht

gebucht hat und die demzufolge nicht in der Einnahme-/Überschussrechnung

auftauchen;

enthält 25 % AfA für eine Computeranlage im Wert von 20.000,00 DM, die die

Ehefrau ausschließlich zu Hause privat nutzt.

In beiden Fällen sind unrichtige Angaben gemacht, nicht etwa ist I Nr. 2 zu prüfen (?).

Tatsache = Der erzielte Gewinn. Diese Angabe ist steuerlich erheblich und unrichtig, weil in

den Gewinn die Einnahmen nicht eingegangen sind und weil unzutreffend Betriebsausgaben

angesetzt worden sind, die nichts in der Einnahme-/Überschussrechnung zu suchen haben,

weil sie privat veranlasst sind.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Einnahme-/Überschussrechnung mit eingereicht wird oder

nicht, denn schon die Erklärung bedeutet, dass der Gewinn nicht höher liegt.

Das für die Gewinnermittlung nach § 4 III EStG Gesagte gilt entsprechend für die

Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich. Die Gewinn- und Verlustrechnung bildet

zusammen mit der Bilanz eine Einheit. Alles was in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht

auftaucht, ist im Gewinn nicht enthalten, so dass dieser unrichtig angegeben wird, wenn

Einnahmen, die dem Betrieb zuzurechnen sind, nicht gebucht werden,

Ausgaben, die nicht betrieblich veranlasst sind, gleichwohl gebucht werden.

Also: Wenn zu Unrecht die Einnahmen ―gedrückt‖ bzw. die Ausgaben ―hochgejubelt‖

werden.

Aber: Zur ersten Variante vgl. oben I: Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs.

Unerheblich sind dagegen die Geschäftsvorfälle, die gewinnneutral sind, das Betriebs-

vermögen also lediglich umschichten. Beispiel (Aktivtausch):

Unternehmer kauft einen Pkw für 20.000,00 DM und überweist den Kaufpreis vom

Bankkonto. Hier nimmt das Bankkonto um 20.000,00 DM ab, das Anlagevermögen in

der Position Fuhrpark um 20.000,00 DM zu. In der Position Fuhrpark wird also aktiviert

zzgl. 20.000,00 DM, in der Position Bank abzügl. 20.000,00 DM.

Wenn also weiteres nicht ―passiert‖, dann ist der Vorfall ergebnisneutral und kein Grund für

die Beanstandung des ausgewiesenen Gewinns. Es kommt also gar nicht darauf an, ob dieser

Pkw tatsächlich betrieblich genutzt wird oder rein privat. Interessant wird es erst, wenn der

Unternehmer in dem betreffenden Jahr beispielsweise AfA absetzt. Denn diese berührt ein

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Erfolgskonto. Erfolgskonto kann alles mögliche sein. Der Oberbegriff ist jedenfalls das

Kapitalkonto. Das Kapitalkonto kann dann in der Buchführung je nach Bedarf in diverse

Unterkapitalkonten aufgespalten werden. Wichtig ist, dass der Gewinn erst dann beeinflusst

ist, wenn ein Erfolgskonto berührt ist.

Nicht berührt ist das Betriebsergebnis gleichfalls beim Passivtausch.

Beispiel:

Eine Lieferantenschuld wird in ein Hypothekendarlehen umgewandelt.

War die Lieferantenschuld passiviert und wird das Hypothekendarlehen gleichfalls passiviert,

so findet lediglich auf der Passivseite eine Umschichtung statt, und die Bilanzsumme bleibt

dieselbe. Das Kapital (Erfolgskonto) ändert sich nicht.

Ebenso wenig beim Aktiv-/Passivtausch.

Beispiel:

Ein Pkw wird zum Preis von 20.000,00 DM auf Kredit gekauft. Hier vermehrt sich das

Aktivvermögen in der Position Anlagevermögen (Fuhrpark) um 20.000,00 DM,

während sich auf der Passivseite um den gleichen Betrag die Position Verbindlichkeiten

erhöhen.

Weder beim Aktivtausch, noch beim Passivtausch, noch beim Aktiv-/Passivtausch sind

Erfolgskonten berührt, die Bilanzsummen bleiben dieselben. Solange der Pkw aktiviert und

lediglich um die gleiche Summe die Verbindlichkeiten erhöht werden, hat die ganze Sache

das Betriebsergebnis nicht beeinflusst und ist sie kein Grund zur Beanstandung des steuerlich

ausgewiesenen Ergebnisses.

Das Problem spielt eine Rolle bei der verdeckten Gewinnausschüttung (vGA). Nach § 8 III

2 KStG mindern vGA das Einkommen der Körperschaft nicht (besser gesagt: sie dürfen das

Einkommen nicht mindern, BFH vom 4.9.2002, 1 R 48/01, HFR 2003, 347, Tz. 8 nach juris ).

Liegt nun eine vGA vor, so kann diese strafrechtlich nur dann relevant sein, wenn sie sich

gewinnmindernd ausgewirkt hat. Kauft eine GmbH Grundstücke zu überhöhtem Preis von

einem beherrschenden Gesellschafter, so kommt es darauf an, wie sie den Vorgang

buchmäßig behandelt hat. Hat sie das Grundstück mit den zu hohen Anschaffungskosten

bilanziert, hat sich der Vorgang auf den steuerlich zu erklärenden Gewinn nicht ausgewirkt

(nur Aktivtausch), sondern nur dann, wenn sie das Grundstück mit dem tatsächlich gezahlten

(zu niedrigen) Anschaffungspreis aktiviert und den Rest als sonstige Betriebsausgaben in die

Buchführung eingestellt hätte. Vgl. BGH vom 11.11.1988, 3 StR 335/88, NJW 1989, 1168.

Die Entscheidung hat zu der - m. E. unberechtigten -- Kritik von Wassermeyer, BB 1989,

1382 geführt: Der BGH setze sich mit der BFH-Rechtsprechung zur vGA in Widerspruch,

indem er nicht beachtet habe, dass die Gewinnminderung schon durch den Abschluss des für

die Gesellschaft nachteiligen Kaufvertrages eintrete, gleichgütig, wie der Vorgang später in

der Bilanz behandelt werde. Das ist sicher alles richtig, die vGA wird durch die gewinneutrale

Darstellung in der Bilanz nicht aufgehoben, doch der BGH denkt schon einen Schritt weiter:

wenn die Gesellschaft die Einkommensminderung durch gewinneutrale Darstellung des

Vorgangs in der Bilanz aus dem Weg räumt, liegen strafrechtliche Anknüpfungspunkte nicht

vor. Im Ergebnis interessiert dann strafrechtlich nicht, ob es eine vGA gibt oder nicht. Wie

hier Eppler, DStR 1990, 136.

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Anders wenn Erfolgskonten berührt werden. Das sind Vorfälle, die das Aktivvermögen

mindern (mehren), ohne dass sich gleichzeitig ein Posten der anderen Seite der Bilanz ändert.

Beispiel:

Der Unternehmer zahlt eine Vermittlungsprovision in Höhe von 10.000,00 DM durch

Banküberweisung.

Hier mindert sich auf der Aktivseite das Umlaufvermögen in der Position Bank um 10.000,00

DM. Auf der Passivseite werden die Verbindlichkeiten nicht berührt (wobei wir davon

ausgehen, dass die Provision bisher nicht als Verbindlichkeit passiviert war). Es wird also

nicht eine bestehende Verbindlichkeit abgelöst, sondern ein Aufwand entsteht. Infolgedessen

kann diese Position nicht auf der Passivseite zu einer Änderung der Verbindlichkeiten führen,

denn diese Verbindlichkeiten waren vorher dort nicht vorhanden. Die buchhalterische Lösung

sieht wie folgt aus:

Auf der Aktivseite mindert sich das Umlaufvermögen in der Position ―Bank‖ und auf der

Passivseite das Eigenkapital.

Jeder Geschäftsvorfall berührt mehrere Bilanzpositionen, zumindest zwei, entweder zwei

Positionen auf der Aktivseite oder zwei auf der Passivseite oder je eine Position auf der

Aktivseite und je eine Position auf der Passivseite.

Um einen Überblick über sein jeweiliges Vermögen zu haben, müsste der Unternehmer nach

jedem Geschäftsvorfall eine neue Bilanz erstellen. Dieses Verfahren wäre bei Weitem zu

umständlich, denn durch jeden Geschäftsvorfall wären ja nicht alle Bilanzpositionen berührt,

sondern nur wenige. Um sich die Sache zu vereinfachen, wird der Unternehmer deshalb wie

folgt verfahren:

Er splittet die einzelnen Positionen der Bilanz in Konten auf. Die Bilanz wird zerlegt in so

viele Konten, wie es Positionen in der Bilanz gibt. Für das Anlagevermögen wird

beispielsweise das Konto „Grund und Boden‖ („GruBo―), das Konto ―Gebäude‖ oder das

Konto „Fuhrpark‖ eingerichtet. Desgleichen die Konten für die übrigen Bilanzpositionen.

Es werden unterschieden Bestandskonten und Erfolgskonten.

Die Bilanz wird also in verschiedene Konten aufgelöst, und wenn dann der Abschluss

gemacht wird, werden diese Konten wieder in die Bilanz zurückgeführt. Der Gewinn beim

bilanzierenden Unternehmer (§ 5 EStG) ist der Unterschied zwischen dem Bestand am

Anfang und dem Bestand am Ende (daher Bestandsvergleich).

Das Geschäftsjahr beginnt mit einer Eröffnungsbilanz und schließt mit einer Schlussbilanz.

Die Schlussbilanz des vorangegangenen Jahres ist identisch mit der Eröffnungsbilanz des

Folgejahres. Das ist der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs.

Steuerlich erheblich ist eine unrichtige Buchung immer nur dann, wenn sie den Erfolg

berührt, wenn sich also etwas auf das Erfolgskonto Kapital auswirkt, obwohl es sich nicht

auswirken darf oder: Wenn es sich lege artis auswirken müsste, sich aber nach der

Buchführung des Pflichtigen nicht auswirkt.

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Es kommt daher darauf an, ob sich in dem gesamten Werk der Buchführung ein Fehler

eingeschlichen hat, der sich auf das Betriebsergebnis auswirkt. Daraus erklärt es sich, dass

das Endergebnis des Buchführungswerks (Kapital am 01.01. zzgl. Gewinn = Kapital am

31.12.) dann unrichtig erklärt ist, wenn in dem gesamten ―Räderwerk‖ von Gewinn- und

Verlustrechnung und Bilanz ein Fehler enthalten ist, der sich auf den Erfolg

(Betriebsergebnis) auswirkt.

In Entscheidungen heißt es mitunter verkürzt:

Eine Forderung ist ―nicht aktiviert‖ worden, oder eine Schuld ist zu Unrecht ―passiviert‖

worden. Derartige Schilderungen betreffen (natürlich) nur den letzten Akt, d. h. die

Darstellung in der Bilanz. Der Täter beschränkt sich demgegenüber keinesfalls darauf, einen

Aktiv- oder Passivposten in der Bilanz einfach nicht zu erwähnen (obwohl er in der

Buchführung vorhanden war). Die Technik ist selbstverständlich subtiler:

Die Bilanz ist nur die letzte Momentaufnahme. ―Corriger la fortune‖ wird in der

Buchführung betrieben. Die Buchführung arbeitet auf das ―rechnerisch richtige‖ Ergebnis in

der Bilanz hin. Das wesentliche ist also die falsche Buchung. In den meisten Fällen genügt es

deshalb nicht, einfach die Bilanz oder die G. u. V.- Rechnung zu betrachten, um festzustellen,

was hier ―geschönt‖ ist. Sie müssen wohl oder übel die einzelnen Buchführungsvorgänge

unter die Lupe nehmen und - selbstverständlich - die zugrundeliegenden Belege prüfen, um

Manipulationen zu entdecken, etwa die folgenden:

a) Verfälschung, Fälschung von Belegen, indem niedrigere Einnahmen, höhere Ausgaben pp.

vorgespiegelt werden;

b) Erfindung von Buchungsfällen (fiktiver Abgang von Anlage-/Umlaufvermögen, Erfindung

fremder Straftaten wie z. B. Einbruch und damit verbundene Verbuchung ―per a. o. Verlust

an Fuhrpark- bzw. Warenkonto‖);

c) Nichtverbuchung von Vorfällen (Geld kommt rein, ohne in der Kasse verbucht zu werden,

Waren kommen rein oder gehen ab, ohne in der Buchhaltung festgehalten zu werden).

Schwarzgeld können Sie natürlich nicht durch Buchungsbelege feststellen, jedenfalls nicht

direkt. Allenfalls durch entsprechende ―Verprobung‖, etwa wenn der Pflichtige private

Ausgaben vornimmt, die er nach seinem deklarierten Einkommen vorzunehmen gar nicht

in der Lage sein dürfte. Um die Verprobungen zu ―bestehen‖, wird häufig sogar auch

darauf verzichtet, Vorsteuerbeträge geltend zu machen, damit nicht auffällt, dass der

Wareneinkauf in Wirklichkeit höher ist und Schlüsse auf den wirklichen Umsatz gezogen

werden können;

d) Verheimlichen, Vernichten von Belegen und Büchern;

e) Falsche Inventur. Bei der Inventur wird ―gemessen, gewogen und gezählt‖. Inventur und

Buchführung müssen logischerweise zum selben Ergebnis kommen. Die Buchführung

weist den ―Sollbestand‖ auf, und der ordentliche Kaufmann überprüft, ob das ―Ist‖ damit

übereinstimmt. Daher die tatsächliche Bestandsaufnahme (Inventur) am Schluss des

Geschäftsjahres.

Alles in allem gilt für die Bilanz der Bikinigrundsatz:

What it reveals is nice,

what it conceals is VITAL.

Wer seinen Gewinn mit 120.000,00 DM angibt, sagt damit, dass alle betrieblichen

Einnahmen erfasst und nur betriebliche Ausgaben berücksichtigt sind, die tatsächlich

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betrieblich veranlasst sind. Wer also in die Rubrik ―Einkünfte aus gewerblicher

Tätigkeit‖ eine bestimmte Zahl einträgt, erklärt damit, dass diese Zahl buchhalterisch

richtig ermittelt worden ist.

Daher:

Nicht etwa in ―Unkenntnis lassen‖, wenn Betriebseinnahmen verschwiegen werden. Es

werden ja nicht die Betriebseinnahmen versteuert, sondern das Resultat zwischen

Einnahmen und Ausgaben, d. h. das Ergebnis des Rechenwerks, der Gewinn. Es kommt

also bereits die Begehungsvariante in Betracht, nämlich das ―Machen unrichtiger

Angaben‖. Das ist jedenfalls die h. M. Anders wenn Sie der oben zitierten Ansicht von

Wulf folgen.

Fall 71 - (BGHSt 25, 190): Gegenüber Finanzbehörde:

A führte Futtermittel in die Schweiz aus. Mit Hilfe fingierter Getreideproben erlangt er

unrichtige Untersuchungsatteste, aufgrund derer ihm die Einfuhr- und

Vorratsstellegenehmigungen zur abschöpfungsfreien Einfuhr von Getreide erteilt. Die

erschlichenen Genehmigungen legte er vor, so dass der Zoll von Erhebung von

Abschöpfungsbeträgen absah. Ausfall: 1. Mio. DM.

Abschöpfungserhebungsgesetz vom 25.07.1962 (aufgehoben durch Gesetz vom 20.12.1996

(BGBl I S. 2030).

Gewährt wurden Erstattungsbeträge für die Ausfuhr in der Form der Genehmigung zur

abschöpfungsfreien Einfuhr. Die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr kommt als

Steuervorteil in Betracht.

Gegenüber wem sind die Angaben gemacht? Nur gegenüber der EVSt?

Der BGH:

Der Steuervorteil (d. h. entweder das Erschleichen von Erstattungen oder das

Erschleichen von Genehmigungen zur steuerfreien Ausfuhr) war nicht gerechtfertigt, da

dieser Vorteil dem A nicht zustand. Der Vorteil war erlangt mit der abschöpfungsfreien

Einfuhr aufgrund erschlichener Genehmigung. Die verwaltungsrechtliche Wirkung der

Genehmigung sei unerheblich.

Demgegenüber:

Ist getäuscht nur die EVSt, die aber nicht Finanzbehörde ist?

Finanzbehörde = Zollverwaltung, und diese ist nicht getäuscht.

Der BGH sah einen einheitlichen Lebensvorgang, da anderenfalls eine Gesetzeslücke

entstehen würde. M. E. ist das kein zulässiges Argument.

Fall 72 - (nach BayObLG bei Kohlmann § 370 TZ 24): Was ist erklärt?

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Der Zollbeamte fordert den A bei der Einreise ins Inland auf, die mitgeführte Ware

anzumelden. A erklärt wahrheitswidrig, um sich die Entrichtung von Einfuhrabgaben zu

ersparen, er habe im Ausland nichts eingekauft.

Die Handlung fällt unter § 370 I Nr. 1 AO. Unkenntnis der Behörde ist für das

Begehungsdelikt nicht vorausgesetzt.

Wie ist es, wenn Sie Nr. 1 verneinen und Nr. 2 prüfen? Ist die Nichthinderung eines Irrtums

gleichzusetzen mit „in Unkenntnis lassen―?

BayObLG vom 14. 3. 2002, 4 St RR 8/2002, wistra 2002, 393.

Der Projektenwickler P gibt keine Einkommensteuer-Erklärung für 01 ab, und zwar bis zum

Abschluss der Veranlagungsarbeiten am 30.06.2003. Am 25.11.2003 wird P geschätzt mit

Gewinn von 150.000,00 €. Tatsächlich war der Gewinn wesentlich höher, nämlich

845.000,00 €. Er bestand im wesentlichen aus einer Maklerprovision, die er in Höhe von

brutto 1,77 Mio. € erhalten hatte, was eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgestellt hatte, und

zwar im September 2001, also weit vor Erlass des Schätzungsbescheides. Frage: Hat der P die

Finanzbehörde „in Unkenntnis gelassen―?

Keine Kenntnis der Finanzbehörde. Der Sonderprüfer ist nicht Veranlagungssachbearbeiter.

Maßgebend ist die Kenntnis des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten des

Finanzamts.

Fall 73 - Wer erklärt?

M und F wählen Zusammenveranlagung nach § 26 EStG. M hat seine Einkünfte aus

Kapitalvermögen um 10.000,00 DM zu niedrig angegeben, weil er Geld in Luxemburg

gebunkert hat. F weiß dies.

Jeder erklärte seine Einkünfte (?)

F erklärt auch Einkünfte von M (?)

Die gemeinsame Erklärung enthält nur eine formale Zusammenfassung beider.

Frage:

Ist § 370 I Nr. 2 AO durch F verwirklicht, indem sie es unterlässt, die Angaben des M richtig

zu stellen?

Zu verneinen, denn entsprechende Verpflichtung gilt nur für denjenigen, der die Einkünfte

erzielt und sie demzufolge auch erklären muss.

BFH vom 16. 4. 2002, IX R 40/00, wistra 2002, 353, sagt hierzu:

Beihilfe oder Mittäterschaft eines Ehegatten zur Steuerhinterziehung des jeweils anderen liegt

nicht schon dann vor, wenn er die Erklärung mit unterzeichnet, obwohl er weiß, dass die

Angaben des anderen unrichtig sind. Die bloße Unterzeichnung begründet noch keine

Mitverantwortung für die Erklärung des anderen. Der Erklärungsgehalt bezieht sich nur auf

die Tatsachen, die den jeweiligen Ehegatten betreffen.

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Zum Problem (unter zusammenfassender Darstellung der bisher ergangenen Entscheidungen

und der Literatur) vgl. Rolletschke, wistra 2002, 253 und 454 sowie die von Rolletschke

besprochene Münsteraner Dissertation von Ute Maria von der Aa, Die steuerstrafrechtliche

Behandlung des einkommenslosen Ehegatten bei der Zusammenveranlagung, 2002. Durch

seine Mitunterzeichnung leiste der Ehegatte einen kausalen Tatbeitrag, der auch zur

Täterschaft führen könne, zumindest zur Beihilfe, da sich der unterzeichnende mit dem

anderen Ehegatten „solidarisiere―. Ferner Rolletschke, HRRS 2008, 383 bei Besprechung

von BGH v. 3. 6. 2008, 3 StR 246/07; OLG Karlsruhe v. 16. 10. 2007, 3 Ws 308/07, NJW

2008, 162.

Zur Steuerhinterziehung durch Vorspiegeln des Nichtgetrenntlebens vgl. den Steufa-Fall,

PStR 2008, 221: Ein Finanzamtsvorsteher gibt bei seiner Steuererklärung an "verheiratet" und

"nicht dauernd getrennt lebend" an, lässt die Erklärung auch von seiner Ehefrau

unterzeichnen. In Wirklichkeit leben die Eheleute seit langem getrennt, was die

Sachbearbeiterin des Nachbarfinanzamts, die die Erklärung zu bearbeiten hatte, wusste.

Folge: Einleitung von Straf- und Disziplinarverfahren gegen den Beamten. Er wollte statt der

Grundtabelle die Splittingtabelle in Anspruch nehmen.

Fall 74 - Tatsachen:

U beantragt Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen. Er beabsichtige, den

von ihm betriebenen Holzhandel einzustellen und nur noch die Schalungsplatten-

fertigung weiterzuführen. Dadurch werde der Gewinn erheblich sinken. In Wahrheit

will er nur liquide Mittel gewinnen und hat nicht vor, einen Teil des Betriebes

einzustellen.

Tatsachenangabe?

Vermutungen, Verdachtsmomente und Wahrscheinlichkeiten sind keine Tatsachen, hier

jedoch innere Tatsache falsch angegeben.

Fall 75:

S, Sachbearbeiter der Lohnsteuerstelle, entspricht dem eingereichten Lohnsteuer-

jahresantrag des P, obwohl er weiß, dass der Antrag verspätet ist.

P:

Das Einreichen enthält nicht die Erklärung, dass der Antrag fristgerecht ist.

S:

Die positive Bescheidung des Antrages enthält keine Angaben über steuerlich erhebliche

Tatsachen gegenüber einer Finanzbehörde. Es sind auch keine Tatsachen verschwiegen.

Fall 76 - (nach BGH, wistra 1987, 27):

Der Buchhalter B der Finanzkasse hat Zahlungen und Steuerschulden in Sollkarten

einzutragen, die Rückstände zu überwachen und ggf. der Vollstreckungsstelle zu

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melden. Im Fall des Pflichtigen X unterlässt er es, die fällige ausgebliebene

Einkommensteuervorauszahlung I/98 anzuzeigen.

§ 266 StGB (Treubruchstatbestand):

Mangels Spielraumes für eigenverantwortliche Entscheidungen nicht gegeben.

§ 370 I Nr. 2 AO:

Ist in jedem Stadium des Besteuerungsverfahrens möglich, also auch im Bei-

treibungsverfahren.

Frage:

Warum hat im konkreten Fall der BGH nicht ―durchentschieden‖?

Vgl. § 265 StPO. Die Delikte der Steuerhinterziehung und der Untreue unterscheiden sich

wesentlich. Angeklagt und eröffnet war nur wegen § 266 StGB.

―Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte sich gegen den Vorwurf der

Steuerhinterziehung anders verteidigt hätte‖.

Die Unterlassungsvariante:

Die allgemeinen Garantenpflichten sind von untergeordneter Bedeutung, die aus Ingerenz hat

in Gestalt des § 153 AO für das Steuerrecht eine Sonderregelung erfahren. Hiernach hat der

Pflichtige bestimmte Anzeige- und Berichtigungspflichten, wenn er nachträglich vor Ablauf

der Festsetzungsfrist die Unrichtigkeit ihn betreffender Erklärungen erkennt. Steuerliche

Pflichten ergeben sich z. B. aus der Mitwirkung bei der Erfassung (§§ 134, 135 AO), aus der

Verpflichtung zur Abgabe von Steuervoranmeldungen (Umsatzsteuer, Lohnsteuer), von

Steuererklärungen bezüglich der einzelnen Steuerarten, Zusammenstellung bei FGJ. § 370,

Tz. 171 ff.

Das Merkmal “dadurch”:

Quasikausalität zwischen Handlung und Erfolg (Vorteilserlassung bzw. Steuerverkürzung)

muss bestehen.

Fall 77:

A verschweigt in seiner Einkommensteuererklärung Zinseinnahmen von 300,00 € aus

Bausparverträgen. Die Erklärung geht beim Finanzamt verloren. Ohne Rückfrage

veranlagt das Finanzamt den A durch Schätzungsbescheid um insgesamt 400,00 zu

niedrig.

Tathandlung:

Unrichtige Erklärung; Erfolg:

Festsetzungsverkürzung, denn die Steuer wäre richtigerweise höher festzusetzen gewesen.

Indessen fehlt die Kausalität, denn auch die zutreffende Erklärung wäre verloren gegangen

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und hätte keine Wirkung entfaltet. Es fehlt schon an der Kausalität. Auf den

Zurechnungszusammenhang kommt es nicht an.

Unterlassung:

A war verpflichtet, bis zum 31.05. des Folgejahres die Einkommensteuererklärung

abzugeben. Das schließt die Verpflichtung zur Erklärung der Zinseinnahmen ein.

Quasikausalität? Hätte a die Zinseinnahmen in dieser konkreten Erklärung angegeben, hätte

die Erklärung keine Wirkung entfaltet, weil sie verloren gegangen ist. Mithin Quasikausalität

nicht gegeben. Auch der Tatbestand des § 370 I Nr. 2 AO ist nicht erfüllt.

In Betracht kommt Versuch. Wenn Sie der hier vertretenen Auffassung zum Begehungsdelikt

(§ 370 I Nr. 1 AO) folgen, dann fehlt es am Zurechnungszusammenhang. So wie der Täter

sich die Tat vorstellte, wäre bei Unterlassung der unrichtigen Erklärung erst Recht nichts

festgesetzt worden. Sie prüfen dann, § 370 I Nr. 2 AO und gelangen zur Bejahung des

Versuchstatbestandes.

Fall 78:

A erklärt gewisse Einnahmen bewusst zu niedrig. Das Finanzamt hält diese fälschlich

für steuerfrei und veranlagt ohne sie.

Tathandlung:

Unrichtige Erklärung; Erfolg:

Festsetzungsverkürzung, jedoch keine Kausalität, denn auch bei richtiger Erklärung der

vollständigen Einnahmen hätte das Finanzamt so festgesetzt.

Unterlassung?

Hier fehlt die Quasikausalität, denn auch bei Offenbarung der Einnahmen hätte das Finanzamt

so wie geschehen festgesetzt.

Versuch liegt aber vor, wobei der Strafrichter nicht an die Beurteilung des Finanzamts (oder

des Finanzgerichts) gebunden ist. Er prüft die Frage der Soll-Festsetzung (also den

Steueranspruch) als Vorfrage selbst. Hält er die Einnahmen für steuerpflichtig, wird er den

Versuch bejahen, und zwar gleichgültig, ob man die Prüfung über § 370 I Nr. 1 AO (so die h.

M.) oder über den Unterlassungstatbestand der Nr. 2 laufen lässt.

Fall 79:

Unternehmer U erklärt die Einnahmen bewusst zu niedrig, indem er Betriebsausgaben

für einen Berufsverband vorspiegelt, der in Wirklichkeit ein politischer Verein ist, mit

der Folge, dass die Betriebsausgaben nicht als solche absetzbar waren und der Gewinn

zu Unrecht zu niedrig angegeben wurde.

Der Sachbearbeiter des Finanzamts erkennt die Zusammenhänge, veranlagt aber

gleichwohl erklärungsgemäß;

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Der Sachbearbeiter erkennt die Zusammenhänge nicht, wohl aber die OFD, die

wiederum Weisung vom Finanzminister hat, derartige Abzüge zuzulassen;

Der Betriebsprüfer erkennt bei der Außenprüfung die Zusammenhänge, schreibt aber

gleichwohl nichts davon in seinem Bericht und lässt die Betriebsausgaben als

abzugsfähig durchgehen, wofür ihm der U einige ―Aufmerksamkeiten‖ erweist.

Vgl. BGH wistra 1991, 138:

―Bei Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit mittelbarer Parteienfinanzierung, die

ein als Berufsverband auftretender politischer Verein betreibt, führt der Umstand, dass

höhere Finanzbehörden das tatsächliche Geschäftsgebaren des Vereins kennen und

dulden, für sich allein nicht zur Straflosigkeit der gegenüber dem Veranlagungs-

finanzamt begangenen Tat.‖

Der BGH geht davon aus, dass bei richtiger Erklärung die Steuern richtig festgesetzt worden

wären. Zur Kritik: vgl. Kohlmann, § 370 TZ 44 ff.: Dass es nicht auf das Wissen des

einzelnen Beamten ankommen kann, zeigt sich in Fällen, in denen der Steuerpflichtige mit

dem Finanzbeamten kollusiv zusammenwirkt (dritte Variante des obigen Falles). Kennt

beispielsweise der Mitarbeiter den wahren Sachverhalt, wirkt er mit dem Pflichtigen

zusammen (indem er etwa bei Lohnsteuer wahrheitswidrig bescheinigt ―Belege vorgelegen‖),

so ist auf die Unkenntnis des Vorgesetzen, also des Sachbearbeiters, abzustellen. Wirkt der

Pflichtige mit diesem zusammen, kommt es auf die Kenntnis des Sachgebietsleiters an usw.

bis zum Vorsteher, so dass Sie das Spielchen bis zur OFD oder gar zum Minister

―weitertreiben‖ können. Ob sich damit die Entscheidung zur Parteispendenproblematik

verträgt, wobei die Rechtsprechung den ―umgekehrten Weg‖ nach unten geht und auf die

Unkenntnis des Sachbearbeiters abstellt, ist in der Tat fraglich.

Der kollusiv mitwirkende Finanzbeamte begeht keine Steuerhinterziehung, sondern allenfalls

Untreue, vgl. FG Brandenburg vom 25. 11. 2003, 1 K 2687/02, wistra 2005, 274 mit

Besprechung von Rolletschke, wistra 2005, 250, aufgehoben durch BFH vom 25. 10.

2005,VII R 10/04, wistra 2006, 113 (mit harscher Kritik an der Vorinstanz). Dem BFH

zustimmend Tormöhlen, DStZ 2006, 262 ff. Zum Problem Rolletschke, wistra 2006, 249.

Wieso entscheidet der BFH über Steuerstrafrecht? Es ging um Haftung des

Steuerhinterziehers nach § 71 AO:

A war vom Finanzamt als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden, weil er einem

Mitarbeiter des Finanzamts geholfen hatte, zu Lasten des Finanzamts Gelder zu veruntreuen,

indem er für fiktive Steuerpflichtige Steuerkonten errichtete und durch Eingabe

entsprechender Daten in die EDV-Anlage des Finanzamts veranlasste, dass USt-Erstattungen

festgesetzt und ausgezahlt wurden. (A und der Sachbearbeiter waren aufgrund dessen wegen

Untreue bestraft worden). Der BFH sieht (mit problematischer Begründung) § 370 I Nr. 1 AO

als durch den Sachbearbeiter erfüllt und demzufolge den A als Mittäter an. --

Welche Bedeutung hat der Erlass eines Steuerbescheides?

Es besteht keine Bindung zwischen ordentlichem Gericht und Fachgerichten, lediglich

Aussetzungsmöglichkeiten, §§ 262 StPO, 396 AO. Früher statuierte der Vorläufer des § 396

AO eine (teilweise) Bindung der ordentlichen Gerichtsbarkeit an die Entscheidungen des

obersten Finanzgerichts (RFH), eine insofern zweckmäßige Lösung, als widersprechende

Entscheidungen verhindert wurden. Leider ist diese Bindungswirkung - offenbar wegen

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mangelnder Praktikabilität - aufgehoben worden, so dass es heute in der Tat zu einander

widersprechenden Entscheidungen kommen kann (Finanzamt oder Finanzgericht halten

Steuerpflicht nicht für gegeben, das ordentliche Gericht verurteilt trotzdem).

Einen völlig neuen, aber bislang vom juristischen Publikum noch nicht wohlwollend

aufgenommenen Weg geht Kirchhof, NJW 1985, 2977,31

wonach nicht das Gesetz, sondern

der Steuerbescheid die Höhe der Steuer festlegt, weil der Steuerbescheid

―Tatbestandswirkung‖ entfalte, eine Ansicht, die von der h. M. abgelehnt wird, was insofern

pikant ist, als Kirchhof später als Verfassungsrichter zuständig für das Finanz- und

Steuerrecht wurde (inzwischen jedoch als Verfassungsrichter ausgeschieden ist).

Dennoch:

Dem Steuerbescheid kommt eine gewisse Bedeutung zu. Setzt das Finanzamt nicht oder nicht

in voller Höhe fest oder wird der Steuerbescheid durch das Finanzgericht rechtskräftig

abgeändert, so berührt dies m. E. die Kausalität. Kommt es nämlich nicht zu einer

entsprechenden Festsetzung, hat die unrichtige Erklärung den Erfolg nicht herbeigeführt, so

dass Vollendung ausscheidet. Der Steuerbescheid hat also keine ―Tatbestandswirkung‖

dergestalt, dass er vom Strafrichter bei der Beurteilung der Festsetzungsverkürzung als

bindend zugrundegelegt werden müsste. Der Strafrichter darf und muss die Frage, welche

Steuer richtig festzusetzen gewesen wäre, eigenständig und ohne Bindungswirkung

beurteilen. Hat die Finanzbehörde (oder die Finanzgerichtsbarkeit) anders entschieden, so ist

dies jedoch für das Merkmal “dadurch” von Bedeutung, gleichsam wie ein ―Naturereignis‖,

denn damit ergibt sich, dass auch bei richtiger Erklärung die Finanzbehörde anders

entschieden hätte, es also zu einer vollendeten Festsetzungsverkürzung unter Zugrundelegung

der Steuerhöhe, wie sie sich der Strafrichter vorstellt, nicht gekommen wäre. Das muss sich

auf die Kausalitätsfrage auswirken. M. E. ergibt sich hieraus auch, dass der Strafrichter, wenn

es nicht geradezu offensichtlich ist, dass es über die Frage der Steuerhöhe keinen Streit geben

kann, bis zum Abschluss des Besteuerungsverfahrens zweckmäßigerweise aussetzen muss,

denn anderenfalls läuft er Gefahr, die Kausalitätsfrage unrichtig zu beurteilen.

Verändern Sie den eingangs (oben A I 5 c) erwähnten Bardamenfall. Das Strafgericht prescht

vor und verurteilt wegen Steuerhinterziehung. Später stellt sich heraus, dass die

Finanzrechtsprechung in letzter Instanz den Vorgang nicht für steuerbar hält und auf Klage

des Pflichtigen den Bescheid aufhebt. In diesem Fall wäre auch ohne die unrichtigen Angaben

des Pflichtigen nichts festgesetzt worden. Eine - vom Strafrichter nach seiner

Rechtsauffassung festgestellte - Verkürzung wäre nicht „dadurch―, nämlich durch die

unrichtigen Angaben eingetreten. Übrig bliebe allenfalls Versuch. Hier würde sich wiederum

die uneingeschränkte Vorfragenkompetenz des Strafrichters auswirken. Die „vorgestellte―

Verkürzung stellt er in eigener Auslegungskompetenz fest. An dem Fehlen der Kausalität

vermag auch die Vorfragenkompetenz nichts zu ändern.

Fall 80 - (nach FG Bremen, wistra 1994, 153):

U unterlässt es, die Vermögensteuerjahreserklärung zum festgesetzten Zeitpunkt

abzugeben. Das Finanzamt kennt seinen Betrieb und wäre in der Lage zu schätzen.

Das FG Bremen verneint die Kausalität. M. E. ist hier wohl zu unterscheiden. Bezüglich der

reinen Veranlagungssteuererklärungen mag die Ansicht zutreffen, denn es kommt darauf an,

ob in dem Zeitpunkt, in dem die Veranlagungsarbeiten im Bezirk (im wesentlichen)

31 Gegen ihn Rößler, NJW 1986, 972.

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abgeschlossen sind, das Finanzamt die Erklärung vorliegen hat und dann veranlagen kann.

Hat es sie nicht vorliegen und kann es schätzen, fehlt in der Tat die Kausalität. Bei

Fälligkeitssteuern (wie z. B. Umsatzsteuervoranmeldung) dürfte es anders sein, da dann der

Erfolg in Gestalt der Festsetzungsverkürzung schon mit Ablauf des Termins eintritt. [(Auch in

diesem Fall hatte das FG die strafrechtliche Frage als Vorfrage zu beantworten. Es ging um

die Verjährungsfrist, die bei hinterzogenen Steuern 10 Jahre beträgt (§ 169 II 2 AO)].

Im Ergebnis also keine Vollendung, allenfalls Versuch.

Fall 81 - (nach OLG Celle MDR 1965, 504):

Der Angeklagte hatte 1957 und 1958 keine Einkommensteuererklärung abgegeben -

trotz Androhung von Erzwingungsgeldern. Das Finanzamt schätzt. Bei späterer

Betriebsprüfung stellt sich heraus, dass die Schätzung zu hoch gewesen war.

Auch hier keine Vollendung. Selbst wenn das Finanzamt nicht zu hoch, sondern ―richtig‖

geschätzt hätte, fehlt Quasikausalität, daher allenfalls Versuch (wie im vorangegangenen

Fall).

11. Der subjektive Tatbestand

„Unkenntnis schützt vor Strafe nicht.― Diese Volksweisheit hat in unserem Strafrecht keine

Grundlage. Im Gegenteil:

§ 16 I 1 StGB sagt:

Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen

Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich.

Wer einen Tatumstand nicht kennt, befindet sich im Tatbestandsirrtum.

Andererseits heißt es in § 17 S. 1 StGB:

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er

ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.

Ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn der Täter nicht wusste, daß die begangene Handlung ver-

oder die unterlassene geboten war. Er bezieht sich also auf die Unterlassungspflicht bei

Begehungs- und auf die Handlungspflicht bei Unterlassungsdelikten. Er setzt voraus, daß der

Täter die Tatumstände kannte, spielt sich folglich nicht auf der Ebene des Tatbestands ab,

sondern auf einer anderen, nämlich der der Schuld.

Aus § 16 I 1 StGB folgt:

Vorsätzlich handelt nur, wer alle Tatumstände kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand

gehören.32

32 § 16 I 2 StGB: Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt. Man kann es nicht oft genug

betonen: Wer nicht vorsätzlich handelt, handelt nicht „deshalb― fahrlässig. Begehen Sie also bei Arbeiten nicht

den Fehler zu formulieren, „X fehlt der Vorsatz, also ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar―. Die Fahrlässigkeit ist

gegenüber dem Vorsatz kein Minus, sondern ein Aliud, wird also nicht durch „Subtraktion― begründet, sondern

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Dazu muss man wissen:

Was sind Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören?

Wir erörtern im folgenden nur das Wissenselement des Vorsatzes; ob darüber hinaus ein

Wollenselement bestehen muss, ist ein im allgemeinen Strafrecht streitiges Problem, das hier

nicht erörtert werden kann.

Zum folgenden müssen Sie sich an der Struktur des § 370 AO orientieren (C I 1). Zum

objektiven Tatbestand gehören:

- die Tathandlung,

- der Erfolg,

- Kausalität.

Notwendig ist also, dass der Täter weiß, dass

- er gegenüber der Finanzbehörde unrichtige Angaben macht bzw. diese in

Unkenntnis lässt, und zwar über steuerlich erhebliche Tatsachen;

- eine Steuerverkürzung bzw. ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil erzielt wird;

- und zwar kausal durch seine Angaben,

bzw. quasi-kausal durch seine Unterlassung.

Vorsatz bezüglich der Tathandlung:

Fall 82:

P setzt seine Unterschrift unter die Steuererklärung, glaubt aber, es handle sich um den

internen Abschluss, der lediglich den Mitgesellschaftern vorgelegt wird.

Der Vorsatz des P umfasst zwar das „Angaben machen―, aber nicht gegenüber der

Finanzbehörde.

Vorsatz bezüglich der Kausalität:

Fall 83:

P gibt die Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juni nicht ab, weil er meint, die

Finanzbehörde werde rechtzeitig und mindestens in der geschuldeten Höhe schätzen.

In Wirklichkeit unterbleibt die Schätzung.

Objektiv ist die Steuer verkürzt. Wenn Sie einmal der herkömmlichen Auffassung folgen, ist

die Unterlassung „quasi-kausal― für die Verkürzung, denn wäre gehandelt (die Erklärung

abgegeben) worden, hätte die Finanzbehörde zutreffend festgesetzt. P hat jedoch die Quasi-

Kausalität seines Unterlassens nicht in seinen Vorsatz aufgenommen, weil er glaubte, der

Erfolg (Festsetzung) trete auch ohne seine Erklärung ein.

muss positiv festgestellt werden. § 16 I 2 StGB sagt nur, was im Grunde selbstverständlich ist, dass die

Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehungsform (unter der Voraussetzung Strafbarkeit sei angeordnet) durch den

Mangel des Vorsatzes (natürlich) nicht ausgeschlossen wird.

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Vorsatz bezüglich des Erfolges:

Fall 84:

Studienrat S gibt Einkünfte von 2.000,00 € aus Nachhilfeunterricht nicht an, weil er

glaubt, Nebeneinnahmen seien steuerfrei.

Durch die unvollständigen Angaben ist die Steuer zu niedrig festgesetzt worden (nämlich um

den Betrag, der festzusetzen gewesen wäre, wenn die 2.000,00 € zusätzlich deklariert worden

wären). Zur Ermittlung des objektiven Tatbestandes müssen Sie die Steuer berechnen, d. h.

fiktiv veranlagen, ermitteln, welcher Gesamtbetrag der Einkünfte herausgekommen wäre,

wenn die 2.000,00 € deklariert worden wären. Dann müssen Sie Sonderausgaben und

außergewöhnliche Belastungen abziehen und somit das Einkommen und schließlich das zu

versteuernde Einkommen ermitteln, im einzelnen vgl. o. C I 7.

Wie hoch der Verkürzungsbetrag ist, hängt also vom Steuersatz ab, in den S gelangt, wenn er

die 2.000,00 € mit deklariert. Die Frage ist nun, ob S deshalb nicht vorsätzlich handelt, weil er

nicht weiß, dass auf die 2.000,00 € Einkommensteuer zu zahlen ist. Oder anders ausgedrückt:

Muss S den Steueranspruch kennen, oder genügt es, dass er die den Anspruch begründenden

Tatsachen kennt?

Zur Verdeutlichung aus dem Zollrecht der

Fall 85:

A hält sich zu einem Kurzurlaub in der Türkei auf und kauft dort wertvolle

Goldmünzen ein, die er als gesetzliches Zahlungsmittel für zoll- und

einfuhrumsatzsteuerfrei hält. Auf Befragen erklärt er deshalb gegenüber dem

Abfertigungsbeamten am Hauptzollamt Flughafen, er habe nichts zu deklarieren,

worauf ihn der Zöllner passieren lässt. Tatsächlich hatte sich A geirrt. Die

Umsatzsteuerbefreiung für Goldmünzen als gesetzliche Zahlungsmittel ist weggefallen

(vgl. § 4 Nr. 8 k UStG a. F.). Objektiv hat A durch seine unrichtige Angabe, er habe

nichts zu verzollen, die Veranlagung zu Zoll- und Einfuhrumsatzsteuer verhindert,

also eine Steuerverkürzung bewirkt. Subjektiv kennt er den Steueranspruch nicht.

Frage: Scheidet deshalb der Vorsatz bezüglich der Steuerverkürzung aus?

Das Problem wird von der h. M. unter der Flagge „Kenntnis des Steueranspruchs― erörtert.

Allerdings steht vom Steueranspruch nichts im Gesetz, und wir sollten uns ja an den

Gesetzeswortlaut halten. Das Problem spielt nicht erst bei der Steuerverkürzung eine Rolle,

sondern bereits bei der Tathandlung. Wenn die Einfuhr, wie A glaubt, nicht steuerbar (oder

nicht steuerpflichtig, d. h. zwar steuerbar aber steuerbefreit) wäre, oder wenn tatsächlich die

Nebeneinnahmen im vorangegangenen Fall nicht einkommensteuerpflichtig wären, dann

würden sich die jeweiligen Erklärungen nicht auf steuererhebliche Tatsachen beziehen. Das

Problem des „Steueranspruchs― stellt sich also, wenn man dem Gesetzeswortlaut folgt, bei

der Tathandlung (Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen) und bei der

Steuerverkürzung. Wenn man sich über diese Zusammenhänge klar ist, kann man das

Problem verkürzend umschreiben: Muss der Täter „den Steueranspruch― kennen? Oder reicht

es aus, dass er die ihn begründenden Tatsachen kennt?

Wenn wir uns bei den herkömmlichen Definitionen des § 370 AO als Blankettgesetz

begnügen und sagen, § 370 AO werde als Blankettgesetz durch die Steuergesetze ausgefüllt

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(„Suppentopf-These―, vgl. o. A I 5), dann lautet die Vollform des Straftatbestands, den der

Studienrat S erfüllt hat:

„Wer der Finanzbehörde über seine Nebeneinnahmen aus Nachhilfestunden

unvollständige Angaben macht und dadurch bewirkt, dass die Steuern um ... € zu

niedrig festgesetzt werden ...―.

Das ist die Begehungsvariante. Wenn Sie aber meinen, der Schwerpunkt liege auf der

Unterlassung, müssten Sie den Tatbestand wie folgt formulieren:

„Wer die Finanzbehörde über seine Einkünfte aus Nebeneinnahmen für

Nachhilfestunden in Unkenntnis lässt und dadurch bewirkt, dass die Steuern um ... €

zu niedrig festgesetzt werden ...―.

Im Zollgrenzfall lautet die Vollform des Tatbestandes, den A erfüllt hat:

„Wer gegenüber dem Zollbeamten bei der Grenzabfertigung unrichtige Angaben

darüber macht, dass er Goldmünzen im Wert von ... € einführt und dadurch bewirkt,

dass Zoll in Höhe von ... € und Einfuhrumsatzteuer in Höhe von ... € nicht festgesetzt

werden ...―.

Auch diese Tatbestand können Sie in die Unterlassungsvariante umformen, je nachdem, ob

Sie bei der Begehungsvariante Kausalität bejahen oder (mit Wulf) verneinen.

Welchem Tatbestand Sie dem Vorzug geben, hat auf die Problematik des Vorsatzes keinen

Einfluss.

Gliedern Sie den Tatbestand so auf in die auszufüllende Norm des § 370 AO (das

Blankettgesetz) und in die Ausfüllungsnormen (Steuergesetze), dann können Sie - wie bei

jedem Blankettgesetz - sagen: Es genügt, dass der Pflichtige die Tatsachen kennt. Die

Kenntnis der rechtlichen Wertung ist für den Vorsatz nicht erforderlich. Da S aus dem Fall 88

weiß, wie viel er durch Nachhilfestunden eingenommen, diese Beträge gegenüber dem

Finanzamt nicht erklärt hat, die Höhe der tatsächlichen Festsetzung kennt und demzufolge

weiß, dass die 2.000,00 € in diese Festsetzung nicht eingeflossen sind, hätte er den Vorsatz.

Alles andere wäre Wertung über die Rechtswidrigkeit (also Verbotsirrtum).

Im Zollfall gilt das entsprechende: Der A weiß, dass er nach Deutschland einreist, dass er

Goldmünzen mit sich führt, dass er diese nicht erklärt und dass demzufolge Zoll- und

Einfuhrumsatzsteuer nicht festgesetzt werden. Für den Vorsatz würde dies ausreichen.

Nach h. M. reicht es jedoch nicht, weil sich nach herkömmlicher Diktion der Vorsatz auch auf

die Kenntnis des Steueranspruchs erstrecken muss.

Wie ist diese Ansicht zu erklären?

Sie werden sagen, die heutige „Steueranspruchstheorie― übernimmt doch nur die Ansicht

Enno Beckers, der schon zur alten RAO ausführte:

„Vorsatz liegt nur vor, wenn der Täter weiß, dass Steuern geschuldet werden und dass

sein Verhalten dazu führt, die Steuerbeträge wider das Gesetz zu mindern oder

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wegfallen zu lassen. Jeder Irrtum über die Steuerpflicht, auch der unentschuldbare,

schließt den Vorsatz aus.―33

Indessen war der damalige Gesetzestext ein anderer als der heutige, denn er wies das (oben

unter C I 1 erwähnte) subjektive Unrechtselement der Steuerunehrlichkeit auf, das Enno

Becker damit umschreibt, der Täter müsse „fraudulos in den natürlichen Gang der Dinge zum

Nachteil des Reichs eingreifen―, was der Tatbestand durch die Worte „Erschleichen― und

„Hinterziehen― zum Ausdruck bringen sollte. Bei dieser Formulierung des Tatbestands ist

klar, dass Vorsatz nur dann vorliegt, wenn der Täter weiß, dass Steuern geschuldet werden,

denn nur unter dieser Voraussetzung kann er „fraudulos― handeln. Der heutige § 370 AO hat

jedoch auf das subjektive Unrechtselement verzichtet, so dass Sie auf die zur Urfassung des

Steuerhinterziehungstatbestands (§ 359 RAO) angestellten Erwägungen nicht mehr

zurückgreifen können, um die Steueranspruchstheorie zu rechtfertigen.

Die Ansicht lässt sich auf BGH v. 13. 11. 1953, 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90 (92)

zurückverfolgen. Die Entscheidung führt aus:

„Im vorliegenden Falle wird der Angeklagten durch das angefochtene Urteil zur Last

gelegt, sie habe durch ihr Verhalten den Haupttätern wissentlich Hilfe geleistet, so

dass diese eine Verkürzung von Steuereinnahmen bewirken konnten. Bei natürlicher

Betrachtung des § 396 RAbgO - wie er in ständiger und zutreffender Rechtsprechung

bisher ausgelegt wurde - ist nun aber Gegenstand der Verkürzungshandlung nicht die

tatsächliche Steuer e i n n a h m e, sondern der bestehende Steuer a n s p r u c h. Zum

Inhalt des Vorsatzes der Steuerhinterziehung gehört mithin auch, dass der Täter den

bestehenden bestimmten Steueranspruch kennt und ihn trotz dieser Kenntnis

gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will (vgl. Welzel in NJW 1953, 486). Nach

den Urteilsfeststellungen hat die Angeklagte aber nicht gewusst, dass für Kakaobutter

Zoll zu entrichten ist ... Durch ihren Irrtum über die einschlägige zollrechtliche

Vorschrift ist der Beschwerdeführerin mithin das Bestehen des Steueranspruches, also

eines 'Tatumstandes' des § 396 RAbgO verschleiert worden. Als Tatumstand des

gesetzlichen Tatbestandes´ muss nicht notwendig etwas 'Tatsächliches' angesehen

werden. Auch ein rechtliches Verhältnis, z B ein rechtlicher Anspruch, fällt hierunter

...―.

Die Angeklagte wusste also nicht, dass auf Kakaobutter Zoll zu entrichten war und hatte

deshalb nach Ansicht des BGH den Vorsatz nicht. Die Entscheidung bezieht sich auf den

Vorläufer des § 370 AO, nämlich auf § 396 RAO, der noch von der Verkürzung der

„Steuereinnahme― sprach. Hierzu hatte Welzel bemerkt, der gesetzliche Tatbestand sei

missverständlich formuliert, Tatobjekt könne nicht die Steuereinnahme sein, sondern nur der

Steueranspruch des Staates. Weil er Tatobjekt sei, werde der Steueranspruch selbst zum

Tatumstand.34

Das ist indessen nicht zwingend, denn dadurch, dass etwas zum Tatobjekt

33 Enno Becker, Reichsabgabenordnung, 3. Aufl. 1924, S. 687. 34 Vgl. Welzel, NJW 1953, 486. „Ist aber das Objekt der Verkürzungshandlung nicht die tatsächliche

Steuereinnahme, sondern der objektiv bestehende Steueranspruch, so schält sich damit überhaupt erst das

richtige Tatobjekt der Steuerhinterziehung heraus: eben der konkrete Steueranspruch des Staates gegen den

Steuerpflichtigen. Dadurch wird auch der Inhalt des Vorsatzes der Steuerhinterziehung erst bestimmbar: der

Täter muss den bestehenden konkreten Steueranspruch kennen und ihn gegenüber der Steuerbehörde in der oben

angegebenen irreführenden Weise verkürzen wollen. Wer aber den konkreten Steueranspruch nicht kennt, der befindet sich im Tatbestandsirrtum, der seinen Tatbestandsvorsatz ausschließt. Wenn also beispielsweise ein

Steuerpflichtiger nicht weiß, dass Sparkassenguthaben vermögensteuerpflichtig sind, irrt er sich über den

Steueranspruch, der gegen ihn aus seinem Sparkassenguthaben erwachsen ist, und befindet sich in einem den

Vorsatz der Steuerhinterziehung ausschließenden Tatbestandsirrtum. ...―

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wird, wird es nicht zum Tatumstand. Beispiel: In § 265 a StGB ist das Vermögen

Angriffsobjekt, aber deshalb nicht Tatbestandsmerkmal. Darauf hat schon Warda

hingewiesen (vgl. o. FN 6, S. 46 f.). Folgen wir indessen, wie es die h. M. tut, der von Welzel

ins Leben gerufenen „Steueranspruchslehre―, dann fehlt es in den Beispielsfällen dem

Studienrat S am Vorsatz, weil er „den Steueranspruch―, der aus seinen Einnahmen aus

Nachhilfestunden resultiert, nicht kennt. Ebenso fehlt es im Flughafen-Fall dem A am

Vorsatz, weil er meint, Zollanspruch und Anspruch auf Einfuhrumsatzsteuer auf die

Goldmünzen existierten nicht.

Die „Steueranspruchstheorie―, so wird gesagt, bezeichnet „steuererhebliche Tatsachen― und

„Steuerverkürzung― in § 370 AO als „normative Tatumstände― (FGJ, § 369, Tz. 52).

Der Täter muss also die „rechtlich-soziale Bedeutung― des Tatumstandes nach Laienart richtig

erfasst haben (Parallelwertung in der Laienssphäre, BGHSt 3, 248; 4, 437; 8, 321). Daraus

folgt:

„Wer unrichtige Angaben gegenüber einer Finanzbehörde macht, muss also die

steuerliche Erheblichkeit der Tatsache zwar nicht steuerrechtlich präzise, aber auch in

dem Sinne erkannt haben, dass er weiß, die Tatsache werde - möglicherweise (dolus

eventualis) - für seine Steuerschuld von Bedeutung sein.― (FGJ, § 369, Tz. 52).

Diese Definition auf die Steuerverkürzung angewandt: Notwendig ist die Kenntnis des Täters,

dass Steuern nicht, zu niedrig oder zu spät festgesetzt werden, wobei diese Kenntnis nicht

steuerlich präzise, aber doch nach Laienart erfasst werden muss. Wenn Sie diese Erkenntnis

allerdings schlagwortartig dahingehend zusammenfassen wollen, dass der Täter, um

vorsätzlich zu handeln, „den Steueranspruch kennen― müsse, gehen Sie möglicherweise zu

weit, denn es dürfte sich mit den Merkmalen „Steuererheblichkeit― und „Steuerverkürzung―

nicht anders verhalten als etwa mit der „Fremdheit― beim Diebstahlstatbestand des § 242

StGB. Um vorsätzlich eine fremde Sache wegzunehmen, braucht der Täter auch nicht zu

wissen, ob der „andere― i. S. des § 242 diesen Gegenstand durch Erbfall, Schenkung oder

entgeltlichen Übertragungsakt erworben hat. Entsprechend genügt für den Vorsatz des § 370

AO das Wissen, dass „irgendetwas an Abgabenschuld entstanden ist.―

Zu der Entscheidung AG Hamburg v. 11. 12. 2008, 238 Cs 182/08, 238 Cs 5000 Js 95/08,

das in einem derartigen Fall zu Unrecht (nur) Verbotsirrtum annahm, vgl. Wolsfeld, PStR

2009, 110 und Verf., PStR 2009, 257. Der BGH scheint in der Entscheidung v. 7.10.2009, 1

StR 478/09, NStZ 2010, 337, soweit es sich um die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung

handelt (was aus dem bei juris und in wistra 2010, 29, wiedergegebenen Sachverhalt

allerdings nicht hervorgeht), von der bisherigen Linie abzuweichen, indem er für die

Beurteilung, ob ein lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, allein auf die Kenntnis

der „tatsächlichen Gegebenheiten― abstellt. Die Entscheidung scheint wohl mehr von dem

Bemühen geprägt zu sein, die Unerheblichkeit der Einlassung, der Angeklagte habe seine

Arbeitgeberstellung nicht gekannt, zu begründen. Das mag für § 266 a StGB zutreffen, für §

370 AO aber nicht.

Wenn wir noch einmal auf § 370 AO als Blankettgesetz zurückkommen: Das Gegenstück

zum normativen Tatbestandsmerkmal ist das „Sammelmerkmal―, d. h. ein Merkmal, welches

auf die Ausfüllungsnormen (auf die „Suppe, die in den Topf des § 370 AO gegossen wird)

verweist. Sammelmerkmal deshalb, weil das Gesetz, wenn man es so betrachtet, die Begriffe

„steuerlich erheblich― und „Steuerverkürzung― lediglich als Sammelbegriff für das gesamte

ausfüllende Steuerrecht verwendet. Die h. M. versteht § 370 AO so nicht, sieht also

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„Steuerverkürzung― und „steuerlich erheblich― nicht als Sammelmerkmal, sondern als

normative Tatbestandsmerkmale. Die Definition wird uns erneut beschäftigen bei der

Abgrenzung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt.

Fall 86:

(LH, S. 57): T hatte mit und zu Gunsten seiner Tochter einen bestimmten

Nießbrauchvertrag über sein Kapitalvermögen geschlossen und durchgeführt.

Dementsprechend gab er keine Kapitaleinkünfte mehr an und wurde ohne sie veranlagt.

Später stellte sich durch die Rechtsprechung heraus, derartige Nießbrauchverträge seien

steuerlich nicht anzuerkennen.

Objektiv:

§ 370 I Nr. 1 AO durch Abgabe einer unrichtigen Erklärung über den Gesamtbetrag der

Einkünfte des T.

Subjektiv:

Irrtum über die steuerliche Erheblichkeit. Bereits daran scheitert unter Zugrundelegung der h.

M. der Tatbestand (nicht erst am Irrtum über das Tatbestandsmerkmal ―nicht in voller Höhe‖).

Problematisch ist natürlich die Feststellung des subjektiven Tatbestands in der

Hauptverhandlung. Hierzu

Fall 87:

(BGH, NSTZ-RR 1998, 185): A stellt an B Scheinrechnungen aus, mit deren Hilfe B zu

Unrecht Vorsteuern kassiert. Angeklagt ist A wegen Hinterziehung der nach § 14 III

UStG a. F. geschuldeten Umsatzsteuer.

Die Vorinstanz hatte freigesprochen, weil A diese Regelung nicht gekannt habe. Der BGH

hebt auf, weil er die ―ausreichende Gesamtwürdigung‖ vermisst.

§ 14 III UStG (heute § 14 c II UStG) fällt insofern aus dem Rahmen, als er

―Sanktionscharakter‖ hat, denn der Scheinunternehmer ist kein Unternehmer, schuldet aber

gleichwohl die Abführung der Umsatzsteuer (die er nicht erhalten hat), nur weil er sie

gesondert ausweist. Im konkreten Fall war dem A die Verpflichtung aus §§ 13, 18 UStG zwar

bekannt, nicht aber § 14 III UStG. Die Gesamtwürdigung muss nach Ansicht des BGH

berücksichtigen, dass dem A ―alles mögliche‖ bekannt war (er hatte gezielt Berlin wegen der

dortigen Überlastung der Finanzbehörden gewählt, war steuerlich beraten und auch sonst

nicht gerade unkundig). All dies hätte der Tatrichter in seine Abwägung einbeziehen müssen.

Die Entscheidung ist auch bemerkenswert zu der Frage, inwiefern die Beweiswürdigung des

Tatrichters überprüfbar ist.

Fall 88:

Hausfrau H betreibt im Wohnzimmer eine ―Boutique‖ und glaubt, weil im wesentlichen

Freunde und Bekannte kaufen, entstehe keine Umsatzsteuerschuld, deshalb müsse sie

keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben.

Objektiv:

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§ 370 I Nr. 2 AO durch Nichtabgabe der jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldung nach § 18

UStG.

Vorsatz:

Lautet der Tatbestand in der vollen Form, also unter Einbeziehung von §§ 2, 18 UStG:

‖Bestraft wird, wer eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen selbständig

ausübt und am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung nicht

abgibt ...‖, dann hat H Kenntnis der Tatumstände, glaubt aber, sie seien anders zu werten. Aus

dem Blickpunkt der h. M.: H kennt die steuerliche Erheblichkeit ihrer Tätigkeit nicht, also

einen Tatumstand, der die Handlungspflicht auslöst. Vorsatz ist zu verneinen (auf die Frage,

ob die Handlungspflicht zum Tatbestand zu rechnen ist, kommt es nicht an). Der Fall

unterscheidet sich in der Lösung nicht von der Begehungsvariante des § 370 I Nr. 1 AO.

Nicht alles, Was im gesetzlichen Tatbestand steht, ist Tatumstand. Das Merkmal

„pflichtwidrig― in § 370 I Nr. 2 AO ist kein Tatumstand. Es stellt nur klar, daß nicht jeder

bestraft wird, der eine Steuererklärung nicht abgibt, sondern nur der, der die Erklärungspflicht

hat. Niemand darf durch Handlung Steuern verkürzen, ebenso wenig, wie niemand durch

Handlung einen andern töten darf. Deshalb ist § 370 I Nr. 1 AO – wie etwa das Tötungsdelikt

– ein „Jedermannsdelikt: Der Tatbestand kann von jedermann erfüllt werden, weil jedermann

Tötungen und Steuerverkürzungen unterlassen muß. Ein Begehungsdelikt unterlassen muß

jeder. Die von einem Unterlassungstatbestand geforderte Handlung vornehmen muß aber

längst nicht jeder. Die 400 Millionen Chinesen unterlassen zwar, am 10. Tag nach Ablauf des

Voranmeldungszeitraums die USt-Voranmeldung für den Pflichtigen Schmitz aus Düsseldorf

abzugeben, aber sie kommen als Täter nicht in Betracht, weil sie keine Handlungspflicht

haben. Man könnte das Merkmal „pflichtwidrig― nun auch in die Begehungstatbestände

aufnehmen und schreiben: ―Wer pflichtwidrig einen andern tötet, wird bestraft.― Pflichtwidrig

ist nur ein anderes Wort für „rechtswidrig―. Daß derjenige, der nicht rechtswidrig einen

andern tötet, nicht bestraft wird, ist sehr wohl im Gesetz zum Ausdruck gelangt, aber nicht in

jedem der Einzeltatbestände, sondern vor die Klammer gezogen. Dafür haben wir den

Allgemeinen Teil des StGB, u. a. den § 32 StGB (wer eine durch Notwehr gebotene Tat

begeht, handelt nicht rechtswidrig). Das Merkmal „pflichtwidrig― legt also nur fest, was dem

Begehungsdelikt als Pendant selbstverständlich ist. Es ist ein anderes Wort für

„rechtswidrig―. Man bezeichnet es als allgemeines Verbrechensmerkmal. Daß sich der

Vorsatz nicht auf dieses Merkmal beziehen muß, steht in § 17 StGB. Der Irrtum über die

Rechtswidrigkeit („über das Erlaubtsein―) ist niemals ein Irrtum über Tatumstände, sondern

Verbotsirrtum, der nicht zur Verneinung des (subjektiven) Tatbestands, auch nicht der

Rechtswidrigkeit, sondern nur zum Schuldausschluß führt (wenn er unvermeidbar ist).

Tatumstand ist jedoch das, was die Pflichtwidrigkeit begründet, also z. B. die

Unternehmereigenschaft, die die Pflicht zur Abgabe von Voranmeldungen und

Jahreserklärungen auslöst.

Fall 89:

Wie oben: H weiß, dass sie Umsatzsteuer schuldet, ist aber der festen Ansicht, sie

müsse eine Erklärung erst dann abgeben, wenn sie hierzu durch das Finanzamt

aufgefordert werde.

§ 370 I Nr. 2 AO: Objektiv wie oben.

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Subjektiv:

H irrt lediglich über die Handlungspflicht, nicht über die sie begründenden Umstände. Nach

den oben dargelegten Grundsätzen gehört die Handlungspflicht nicht zum Tatbestand, so dass

sie vom Vorsatz nicht umfasst sein muss. Die H handelt vorsätzlich. Es stellt sich lediglich

die Frage des Verbotsirrtums.

12. Versuch

Lit.: Roland Schmitz, Kohlmann-Fschr., 517

Eingangs dieses Skripts sind wir vom „Prototyp“ der Straftat, dem vorsätzlichen,

vollendeten, täterschaftlichen Begehungsdelikt ausgegangen. Das Gesetz sanktioniert

allerdings nicht nur diesen Prototyp, sondern auch Taten, die nicht alle Merkmale des

Prototyps aufweisen. Sie haben schon gesehen, daß auch die „nichttäterschaftlich― begangene

Tat strafbar ist, so die des Gehilfen, des Anstifters. Zu diesen „notleidenden Prototypen―

gehört auch der Versuch. Die Versuchstrafbarkeit ist im Allgemeinen Teil des StGB geregelt

(§ 22 ff. StGB).

Lesenswert sind die Ausführungen von Herzberg, MK- StGB 2003, § 22 ff. Hier finden Sie

keine kompilierenden Aufzählungen herrschender Ansichten, sondern eine wirkliche

Kommentierung, die nichts ungeprüft übernimmt und teilweise auch mit Althergebrachtem

aufräumt, so etwa mit der üblichen Floskel, man habe bei der Prüfung des Versuchs zunächst

einmal die Nichtvollendung festzustellen (§ 22,TZ 1 ff).

Bild 43

Die vollendete Tat stellt sich als ein vom Vorsatz gesteuertes kausales Geschehen dar, die

Tatbestandshandlung mündet in den durch sie bedingten Tatbestandserfolg, und der Täter

weiß das.

Fall 90:

A sendet die unrichtige ESt-Erklärung an das FA ab. Der Veranlagungsbeamte

übernimmt die falschen Angaben und setzt die ESt zu niedrig fest. Dadurch tritt der

Erfolg in Gestalt der Festsetzungsverkürzung ein. Darauf kommt es dem A an.

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Die vollendete Tat setzt also den objektiven wie den subjektiven Tatbestand voraus. Fehlt

einer von beiden, scheidet die Tatbestandserfüllung aus.

Mangel im subjektiven Tatbestand: Der Täter will diesen Erfolg oder diese Handlung nicht

oder auch keines von beiden.

Bild 44

Hierzu

Fall 91:

A sendet die Erklärung ab, glaubt aber, sie sei vollständig. Ihm ist entfallen, dass er

Zinseinkünfte aus einem Bausparguthaben hatte. Objektiv ist die Erklärung unrichtig

und führt zum Verkürzungserfolg in Gestalt der zu niedrigen Steuerfestsetzung.

Subjektiv fehlt es am Vorsatz, so dass vorsätzliche Erfüllung des § 370 I Nr. 1 AO

entfällt. Damit ist die Prüfung dieses Tatbestandes beendet (in Betracht kommt § 378

AO).

Dagegen beim Versuch:

Mangel am objektiven Tatbestand: Der Täter verwirklicht nicht das, was er will.

Beispiel: Die unrichtige Erklärung geht auf dem Postweg verloren.

Bild 45

Unmittelbares Ansetzen:

A hat Quittungen über den Kauf von Briefmarken. Er setzt hinter den Zahlbetrag jeweils eine

Null, reicht aber die Quittungen dann doch nicht ein. Bloße Vorbereitungshandlung.

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A hat zwei Grundstücke. Für das eine sind ihm 100.000,00 €, für das andere 500.000,00 €

geboten. Das letztere hat er viel billiger erworben innerhalb der Frist des § 23 I Nr. 2 EStG, so

dass sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 2 EStG anfallen. Um diese zu verschleiern, lässt er den

Vertrag so beurkunden, dass auf das erste 500.000,00 € entfallen, und auf das zweite

100.000,00 €. Vor Einreichung der Einkommensteuererklärung wird der ganze Vorgang

aufgedeckt (Fall nach Joecks, S. 62, Fall 41).

Grunderwerbsteuer ist nicht hinterzogen. Für den Wert ist der gesamte Vorgang entscheidend

(§§ 8, 9 GrEStG).

Mit dem Versuch der Hinterziehung von Einkommensteuer hat A noch nicht begonnen, da er

zur Abgabe der Erklärung noch nicht unmittelbar angesetzt hat.

Vgl. BGHSt 31, 178: „... u. a. ..., wenn das Verhalten des Täters so eng mit der

tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft ist, dass es bei ungestörtem Fortgang ohne

längere Unterbrechung im Geschehensablauf unmittelbar zur Verwirklichung des gesamten

Tatbestandes führen soll. Dieser Ansatz muss also nicht notwendig in der Verwirklichung

eines Tatbestandsmerkmals liegen―.

Fall 92:

A erklärt seine Einkünfte und lässt die Zinsen aus Bausparguthaben aus, um „Steuern

zu sparen―. Diese Einkommensteuererklärung wirft er in den Briefkasten. Der an das

Finanzamt adressierte Brief kommt jedoch nicht an. Das Finanzamt hatte schon von

sich aus richtig ermittelt und die Steuer zutreffend festgesetzt.

Dem A kam es auf den Erfolg (Verkürzung durch zu niedrige Festsetzung) an. Diesen wollte

er durch unrichtige Angaben gegenüber der Finanzbehörde verwirklichen, indem er die

Erklärung absandte. Der subjektive Tatbestand ist also erfüllt. Was fehlt, ist der objektive, die

Verkürzung. Damit entfällt Vollendung des § 370 I Nr. 1 AO.

Zu prüfen sind §§ 22 StGB, 370 I Nr. 1 AO.

§ 22 StGB:

Eine Straftat versucht, wer

- nach seiner Vorstellung von der Tat

- zur Verwirklichung der Tat unmittelbar ansetzt.

Die Versuchstat erfordert also

- den vollständigen subjektiven Tatbestand,

- vom objektiven nur das unmittelbare Ansetzen.

Den subjektiven Tatbestand haben wir bereits bejaht.

Merke: Der subjektive Tatbestand ist bei Versuch wie Vollendung an dieselben

Erfordernisse gebunden.

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Was hat A objektiv verwirklicht? Indem er die Erklärung auf den Weg bringt, hat er mit der

Ausführung begonnen, genauer gesagt (aber das muss für § 22 StGB nicht festgestellt

werden), hat er alles nach seiner Ansicht Notwendige getan, um den Erfolg herbeizuführen.

Bedeutsam ist dies indessen lediglich für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der

Rücktritt noch möglich ist.

Gesetzt den Fall, dass A den Brief mit der unrichtigen Erklärung in den Postkasten geworfen

hat und am nächsten Morgen zur Posteingangsstelle des Finanzamts geht, wo es ihm gelingt,

sich den Brief zurückgeben zu lassen.

§ 24 I 1: Hat er die Ausführung der Tat aufgegeben?

Nein, denn er hatte schon alles getan, was er für nötig hielt.

Aber: Er hat die Vollendung verhindert, indem er sich seine Sendung zurückgeben

ließ. Stimmt das? Eigentlich hat A nicht die Vollendung verhindert, denn wenn

man genau ist, hat das Finanzamt ja von sich aus schon richtig ermittelt. A hat

also allenfalls die subjektiv vorgestellte Vollendung verhindert. Genügt das?

Vgl. § 24 I 2 StGB: Das ernsthafte Bemühen genügt.

Die Rücktrittsvorschriften gelten neben § 371 AO.

OLG Düsseldorf vom 4. 4. 2005, III 2 Ss 139/04, PStR 2005, 180: Das AmtsG hat den

Angeklagten für die Jahre 1993 und 1995 wegen versuchter Einkommensteuerhinterziehung

verurteilt. Vollendung sei nicht gegeben, weil das FA durch Schätzung höhere Beträge als

geschuldet festgesetzt habe. Aufhebung durch das OLG, weil dem Urteil nicht zu entnehmen

ist, ob die Schätzung vor oder nach Veranlagungsende für den betreffenden

Besteuerungszeitraum ergangen ist.

Es ging um Steuerhinterziehung durch Unterlassen. Diese ist bei Amtsveranlagungsteuern

vollendet, wenn der Veranlagungsbezirk die Arbeiten im wesentlichen abgeschlossen hat,

denn dann wäre der Pflichtige spätestens zu diesem Zeitpunkt veranlagt worden. Die

Nichtabgabe der Erklärung ist also quasikausal für die Verkürzung. Spätere Schätzung

beseitigt diesen Erfolg nicht. Es kommt also darauf an, wann die Schätzungsveranlagung

vorgenommen wurde. Nach dem Ende der Veranlagungsarbeiten: Vollendung, Versuch nur

dann, wenn vorher zutreffend (oder höher) geschätzt.

Fall 93:

A hat die Einkünfte aus Kapitalvermögen für 01 bis 03 zu niedrig erklärt. Für 01 ist er

bestandskräftig veranlagt. Die Veranlagungen für 02 und 03 stehen noch aus Es

erscheint der Außenprüfer mit Prüfungsauftrag für 01 und gleichzeitiger Überprüfung

der Erklärung 02 und 03.

Nun offenbart sich A für 02 und 03.

Für 01 ist vollendete Steuerhinterziehung eingetreten.

Die Selbstanzeige scheitert am Erscheinen des Prüfers, § 371 II 1 a AO.

§ 24 StGB?

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Rücktritt vom beendeten Versuch ist noch für 02 und 03 möglich.

Fall 94:

Studienrat S gibt seine Einkünfte (5.000,00 €) aus Nachhilfeunterricht in seiner

Einkommensteuererklärung bewusst nicht an. Er meint,

a) bis 8.000,00 € seien solche Einnahmen steuerfrei,

bzw.

b) sie seien nur zum halben Steuersatz zu versteuern.

Entsprechend wird die Einkommensteuer ohne diese Einkünfte festgesetzt. Der

Einkommensteuersatz beträgt 40 % (LH, S. 57).

Objektiver Tatbestand:

§ 370 I Nr. 1 AO: S hat gegenüber dem Finanzamt über steuerlich erhebliche Tatsachen,

nämlich den Gesamtbetrag der Einkünfte, nach § 2 IV EStG unrichtige Angaben gemacht.

Zum Gesamtbetrag der Einkünfte gehören nämlich die Einkünfte aus Nachhilfeunterricht, die

nach § 2 I Nr. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen. (Keinesfalls Unterlassungstat-

bestand prüfen, denn S hat Angaben gemacht, nicht etwa ―unterlassen‖, die jedenfalls so die

h. M. Anders, wenn Sie Wulf folgen). Dadurch kam es zur Festsetzungsverkürzung (§ 370

IV 1 AO), denn die Einkommensteuer ist um 2.000,00 zu niedrig (40 % von 5.000,00)

festgesetzt worden. Der objektive Tatbestand ist erfüllt.

Subjektiver Tatbestand:

S wusste, dass er den Gesamtbetrag der Einkünfte ohne die 5.000,00 aus Nachhilfeunterricht

erklärte. Hatte er den Vorsatz, dass die 5.000,00 Einkünfte aus Nachhilfeunterricht

―steuerlich erhebliche Tatsachen‖ waren? M. E. liegt das Problem bereits bei diesem

Tatbestandsmerkmal und nicht erst beim Merkmal der Verkürzung, auch nicht, wie es

landläufig heißt, bei der Kenntnis des ―Steueranspruchs‖, denn der kommt im Tatbestand des

§ 370 AO nicht vor. Auf den Punkt gebracht geht die Frage dahin, ob der Vorsatz schon dann

gegeben ist, wenn der Täter die ―nackten Tatsachen‖, die die steuerliche Erheblichkeit

begründen (hier also: den Umstand, dass S 5.000,00 durch den Nachhilfeunterricht

eingenommen hat), kennt, oder ob der Vorsatz darüber hinaus auch die Kenntnis der Wertung

dieser Tatsachen als ―steuerlich erheblich‖ erfordert. Die ganz h. M. geht im Steuerstrafrecht

dahin, dass sich der Vorsatz auch auf die Wertung der Tatsachen als steuerlich erheblich

erstreckt. Selbstverständlich ist dies keinesfalls, vor allem dann nicht, wenn man im gleichen

Atemzug den § 370 AO als Blankettgesetz bezeichnet. Blankettvorschrift und

Ausfüllungsnorm ergeben die Vollvorschrift. Diese würde im konkreten Fall lauten: „Wer den

Gesamtbetrag der Einkünfte i. S. von § 2 IV EStG zu niedrig angibt ...‖ oder, noch weiter

aufgegliedert, in Anlehnung an die §§ 13 ff. EStG: „Wer seine Einkünfte aus dem Betrieb von

Landwirtschaft, aus wissenschaftlicher, künstlerischer, erzieherischer Tätigkeit ... usw. zu

niedrig angibt ...‖. Sind die Normen der Einzelsteuergesetze Teil des Gesamttatbestandes der

Steuerhinterziehung (der Vollnorm), ist ein Irrtum über die Steuerrechtslage Verbotsirrtum.

Auf diese Konsequenz und den Widerspruch in der h. M. weist zu Recht Seer (bei

Tipke/Lang), § 23 B I 2, hin. Der BGH nimmt jedoch seit BGHSt 5, 90 in ständiger

Rechtsprechung an:

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―Zum Inhalt des Vorsatzes der Steuerhinterziehung gehört mithin auch, dass der Täter

den bestehenden bestimmten Steueranspruch kennt und ihn trotz dieser Kenntnis

gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will.‖

Im Fall a) hat S keinen Vorsatz, weil er die Steuererheblichkeit nicht kennt; im Fall b) hat er

Vorsatz nur bezüglich 1.000,00 € (20 % von 5.000,00 €) Verkürzung.

Verändern wir den Fall:

S gibt die Erklärung ab wie in Fall 98 a geschildert, jedoch veranlagt ihn das

Finanzamt richtig, weil der Sachbearbeiter eine Kontrollmitteilung berücksichtigt.

Auch hier wieder:

Den subjektiven Tatbestand haben wir bereits verneint im Fall a).

Merke: Wenn die vollendete Tat am Fehlen des subjektiven Tatbestandes scheitert,

versteht es sich von selbst, dass Versuch ebenfalls ausscheidet. Der in Klausuren in

derartigen Fällen geübte Brauch, „es ist nun Versuch zu prüfen―, beruht auf

prüfungsbedingter Vollständigkeitspsychose. Fehlt der Vorsatz, kommt allenfalls

fahrlässige Begehung in Frage (wenn es einen entsprechenden

Fahrlässigkeitstatbestand gibt, im Steuerstrafrecht kommt § 378 AO in Betracht,

leichtfertige Steuerverkürzung). Allerdings sollte der Bearbeiter dann nicht schreiben:

„Da der Vorsatz fehlt, scheidet Vollendung aus, also hat der S fahrlässig gehandelt

(oder leichtfertig).― Das „also― ist durch nichts gerechtfertigt, die Fahrlässigkeit

(Leichtfertigkeit) muss positiv begründet werden und folgt keinesfalls allein aus dem

Fehlen des Vorsatzes.

Zu prüfen ist bei dem Veränderungsfall das unmittelbare Ansetzen, und dieses liegt vor, sogar

mehr als das, weil S auch hier schon alles getan hat, was nach seiner Ansicht „zur

Steuerersparnis― nötig ist. Versuch also im Fall 94 a nicht, im Fall 94 b bezüglich 1.000,00 €.

Untauglicher Versuch und Wahndelikt

Zum Problem: Bachmann, Vorsatz und Rechtsirrtum im Allgemeinen Strafrecht und im

Steuerstrafrecht; Heidingsfelder, Der umgekehrte Subsumtionsirrtum, 1991; Herzberg, JuS

1980, 469 und Gedächtnisschrift für Schlüchter, 2202, S. 189 ff.; Verf., Fschr. für Herzberg,

2008, 299, FGJ § 370 TZ 258.

Fall 95:

A hielt sich zur Zeit des alten USt-Rechts, also vor Abschaffung des § 4 Nr. 8 k UStG,

der die Einfuhr von Goldmünzen von der USt befreite, zu einem Kurzurlaub in der

Türkei auf und kaufte dort ein wertvolles Goldarmband. Er war der Ansicht, dafür bei

der Einreise hohe Eingangsabgaben entrichten zu müssen. Diese wollte er sparen und

erklärte auf Befragen gegenüber dem Abfertigungsbeamten am Hauptzollamt

Flughafen, er habe nichts zu deklarieren. Der Zöllner ließ ihn passieren.

§ 370 I Nr. 1 AO: Die Erklärung über steuerlich erhebliche Tatsachen ist unrichtig, denn das

Verbringen von Goldschmuck in das Zollgebiet der Gemeinschaft löst Einfuhrumsatzsteuer

aus (§ 21 II UStG i. V. m. Art. 203 I ZK). Durch die unrichtige Erklärung unterblieb die

Festsetzung der Steuerschuld. (Beachte: Auch die Einfuhrumsatzsteuer entsteht (wie der Zoll)

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nicht durch Verwirklichung des Steuertatbestandes, sondern erst mit der Festsetzung. Hätte

der Zöllner im konkreten Fall den Schmuck gefunden und die Einfuhrumsatzsteuer

festgesetzt, schiede Vollendung aus, weil rechtzeitig festgesetzt worden wäre, vgl. die im

Skript bereits zitierte Urteilsanmerkung von Bender, wistra 1997, 233). Vorsatz ist gegeben.

Fall 96:

A führte nicht Goldschmuck, sondern eine Goldmünze ein, die gesetzliches

Zahlungsmittel ist. Im übrigen wie oben.

§ 370 I Nr. 1 AO: Objektiv betrifft die Erklärung keine steuererheblichen Umstände, denn die

Einfuhr von Goldmünzen war steuerbefreit (§§ 5 I Nr. 1, 4 Nr. 8 k UStG). Damit entfällt der

objektive Tatbestand.

Versuch?

Der objektive Tatbestand (unmittelbares Ansetzen) liegt unproblematisch vor35

.

Subjektiv:

Stellte sich A vor, dass er die Verwirklichung eines Steueranspruchs beeinträchtigte?

Problem:

Die vorgestellten Tatsachen führen nicht zur Entstehung eines Steueranspruchs (weil die

Einfuhr steuerbefreit ist); genügt es also, dass sich A den Steueranspruch lediglich

―einbildet‖?

Macht man Ernst mit der Auffassung, die § 370 AO als Blankettgesetz sieht, genügt

zum Vorsatz bereits die Vorstellung von Tatsachen, die zur Entstehung eines

Steueranspruchs führen. Hiernach wäre die Lösung einfach: Der Vorsatz wäre zu

verneinen, weil die von A vorgestellten Tatsachen wegen der Steuerbefreiung eine

Steuerschuld nicht entstehen lassen. Freilich hätte dies zur Konsequenz, dass der

Täter einer vollendeten Steuerhinterziehung schon dann vorsätzlich handelte, wenn

er nur die den Steueranspruch begründenden Tatsachen, nicht aber den

Steueranspruch selbst kennt. Dieses Ergebnis will die Steueranspruchstheorie aber

gerade vermeiden.

Das Problem entsteht dadurch, dass nach h. M. der Steueranspruch

Tatbestandsmerkmal sein soll. Daraus wird verschiedentlich die Konsequenz

gezogen, wenn die Unkenntnis des Steueranspruchs den Vorsatz ausschließt, dann

begründet seine irrtümliche Annahme den Vorsatz (Umkehrschluss). Diese

Argumentation ist nur dann richtig, wenn zum Vorsatz ausschließlich der Steueran-

spruch, nicht aber die ihn begründenden Tatsachen gehören. Das vertritt Samson

35 In einem solchen Fall mit dem objektiven Tatbestand zu beginnen, ist nicht ganz unproblematisch, da das

„unmittelbare Ansetzen― wiederum von der Vorstellung des Täters geprägt ist. Sie müssen also die Vorstellung

des Täters kennen, um festzustellen, wann die Gefährdung des Rechtsguts, welches er zu verletzen gedenkt, beginnt. Sie können also praktisch das unmittelbare Ansetzen erst bejahen, wenn Sie festgestellt haben, dass der

Täter einen strafrechtlich relevanten Vorsatz hat. Das unmittelbare Ansetzen gehört also eigentlich an den

Schluss, sofern Sie zu der Ansicht gelangen, dass nicht Wahndelikt, sondern Versuch gegeben ist. Ich habe

diesen Satz vorgezogen, um das Thema vorab zu erledigen.

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(Irrtumsprobleme im Steuerstrafrecht, in: Strafverfolgung und Strafverteidigung im

Steuerstrafrecht, 1983, herausgegeben von Kohlmann):

―Der Vorsatz bezüglich des normativen Tatbestandsmerkmales ‚Anspruch’ setzt

nie die Vorstellung bestimmter Tatsachen, die den Anspruch entstehen lassen,

voraus. Es genügt vielmehr, wenn sich der Täter die Rechtsfolge, dass der

Gläubiger vom Schuldner von Rechts wegen etwas fordern könne, vorstellt. ...

Dann genügt es aber auch für den Vorsatz, dass der Täter sich diese

Rechtsbeziehungen (sei es auch irrtümlich) vorstellt (S. 111 f.).‖

Verlangt man jedoch für den Vorsatz sowohl Kenntnis des Steueranspruchs als auch

Tatsachenkenntnis, genügt die irrtümliche Annahme des Steueranspruchs nicht, denn

dann hätte der Täter nur eine notwendige Vorstellung, nicht aber die hinreichende

Gesamtvorstellung. Der Umkehrschluss hilft nicht weiter, denn er ist nur tauglich,

wenn man ihn richtig anwendet. Wenn die Unkenntnis eines Tatumstands den

Vorsatz ausschließt, so lautet die Umkehr richtig: Dann führt die Kenntnis dieses

Tatumstands nicht zum Vorsatzausschluss (es ist aber möglich, dass der Täter einen

weiteren Tatumstand nicht kennt und dass aufgrund dessen der Vorsatz

ausgeschlossen ist).

Die Frage geht also dahin, ob der subjektive Tatbestand des § 370 I Nr. 1 AO neben

Annahme des ―Steueranspruchs‖ auch Annahme der ihn begründenden Tatsachen

verlangt.

Schließt man sich der h. M. an, die „Steuerverkürzung― und „steuerlich erheblich― als

normative Tatbestandsmerkmale erfasst, so stellt sich die Frage, wie man „nach Laienart―

eine Steuerverkürzung annehmen soll, ohne zugleich Tatsachen anzunehmen, die in

Wirklichkeit einen Steueranspruch begründen. Kann man wirklich sagen, dass derjenige, der

nach Abschaffung der Vermögensteuer glaubt, er müsse noch eine Vermögensteuererklärung

abgeben und Vermögensteuer zahlen, eine Steuerverkürzung versucht, d. h. stellt er sich

(wenn auch irrtümlich) einen Steueranspruch vor, den er beeinträchtigt? Ich meine, dass sich

das Problem der Abgrenzung zwischen Versuch und Wahndelikt im Steuerstrafrecht auf

besondere Weise stellt. Die „Fremdheit― einer Sache kann man „laienhaft― annehmen, auch

wenn man die Tatsachen des Eigentumserwerbs durch einen anderen nicht im einzelnen

kennt. Einen Steueranspruch, losgelöst von Tatsachen, die ihn wirklich begründen,

„parallelwertend in der Laienssphäre― anzunehmen, scheint mir nicht möglich zu sein. Was

bedeutet denn die sog. Parallelwertung in der Laienssphäre? Sie erfordert doch, dass der Täter

den Tatumstand „in seinem normativen Gehalt― im wesentlichen richtig erfassen muss. Wenn

sich aber jemand einen Steueranspruch einbildet, den es in Wirklichkeit nicht (oder nicht

mehr, wie bei der Vermögenssteuer) gibt, dann ist doch die „parallele― Wertung des Laien

notleidend, denn der soziale Gehalt dieses Merkmals ist fehlgedeutet. Eingebildete

Steueransprüche sind keine solchen, die man normativ richtig erfassen kann. Fazit also: Kein

Versuch, sondern nur Wahndelikt, wenn der Täter nur den Steueranspruch, nicht aber

Tatsachen annimmt, die ihn wirklich begründen würden.

Zum Problem:

.

Fall 97:

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(KG, wistra 1982, 196) Rechtsanwalt R gibt im Jahre 1976 keine

Einkommensteuererklärung ab. Mangels gesetzlicher Grundlage bestand in diesem

Zeitraum keine Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung. R hatte Einkünfte aus

freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 100.000,00 DM. Er glaubte allerdings, dass er

eine Erklärung abgeben müsse.

§ 370 I 1 Nr. 2 AO: Scheitert daran, dass eine Pflicht zur Abgabe der Einkommen-

steuererklärung nicht bestand.

Versuch?

Wird vom KG bejaht, allerdings mit wohl nach jeder Auffassung irrigen Begründung. Dazu

FGJ § 370 TZ 256:

―Im Ergebnis behandelt das Gericht damit das Merkmal ―pflichtwidrig‖ ... wie ein

normatives Tatbestandsmerkmal. Diese Einordnung kann jedoch nicht akzeptiert

werden.‖

In der Tat: Nur wenn die Handlungspflicht (und nicht lediglich die sie begründenden

Umstände) zum objektiven Tatbestand gehören und damit vom Vorsatz umfasst werden

müssen, stellt sich überhaupt die Frage eines untauglichen Versuchs. Nur dann kommt es auf

die vom KG angewandte Herzberg’sche Vorfeldtheorie an.36

Gehört aber die

Handlungspflicht nicht zum Tatbestand, unterliegt der Irrtum über die Pflicht selbst (im

Gegensatz zum Irrtum über die pflichtbegründenden Umstände) nicht dem § 16 StGB.

Strafbarkeit des Versuchs, § 23 StGB

Bild 46

13. Unterlassung

Definitionen (vgl. die Übersicht bei Otto, Grundkurs Strafrecht, § 4 II)

Unterscheidung nach Erfolgsbezug

36

Herzberg hat seine Auffassung geändert (Schlüchter-Gedächtnisschrift, 2002, 189) und MK-StGB 2003, §

22, TZ 67 ff. (75) und TZ 89-95. Herzberg spricht nicht mehr vom „Vorfeld―, sondern von der Auffächerung

des Sammelbegriffs.

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Bild 47

Echt: Der Tatbestand umschreibt das Unterlassen einer Handlung. Die echte

Unterlassung wird als Pendant zum Tätigkeitsdelikt gesehen.

Unecht: Der Tatbestand umschreibt das Herbeiführen eines Erfolges (der regelmäßig

durch ein aktives Tun erreicht wird). Das unechte Unterlassungsdelikt ist

Erfolgsdelikt.

In diesem Sinne wäre § 370 I Nr. 2 AO unechtes Unterlassungsdelikt, weil es einen Erfolg

(Verkürzung) voraussetzt, so auch BGH vom 7. 11. 2001, 5 StR 395/01 , wistra 2002, 64

(67) bei der Frage nach dem Verjährungsbeginn bei Hinterziehung von Veranlagungssteuern. 37

Nach Art des Tatbestandes

Bild 48

§ 370 I Nr. 2 AO wäre hiernach echtes Unterlassungsdelikt, weil sich die

Tatbestandsmäßigkeit bereits allein aus § 370 I Nr. 2 AO ergibt, ohne dass § 13 StGB

herangezogen werden muss.

Unechtes Unterlassungsdelikt wäre die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 370 I Nr. 1

AO i.V. mit § 13 StGB. Diese Sicht setzt allerdings voraus, dass es neben dem im Gesetz

niedergelegten Unterlassungstatbestand des § 370 I Nr. 2 AO auch noch den der Nr. 1 gibt,

37 Demgegenüber versteht die Beschwerdeentscheidung des OLG München vom 1. 10. 2001, 2 Ws 1070/01,

wistra 2002, 34, § 370 I Nr. 2 AO einerseits als echtes Unterlassungsdelikt, andererseits als Erfolgsdelikt und

meint auch noch, wobei sie sich im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung glaubt, Beendigung und Vollendung

fielen bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen zusammen. Da es den Erfolg und damit Vollendung in jedem Falle erst mit dem Abschluß der Veranlagungsarbeiten annimmt, ohne zu sehen, dass dies ein fiktiver

Zeitpunkt ist, der nur zugunsten des Täters so weit hinausgeschoben ist, gleicht ein Fehler den anderen aus, so

dass sich das Gericht im Ergebnis tatsächlich im Einklang mit dem BGH befindet, der die Verjährung jedenfalls

erst mit Abschluß der Veranlagungsarbeiten beginnen lässt. Vgl. o. B V 3.

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der durch Unterlassung zu verwirklichen wäre, falls eine Garantenstellung i. S. des § 13 StGB

vorliegt.

Fall 98:

Unternehmer U reicht am 10. des Folgemonats die USt für den

Voranmeldungszeitraum nicht ein. § 370 I Nr. 2 AO?

Die Handlungspflicht folgt aus §§ 18 I 1 UStG, 150 I 2 AO. U hätte am 10. des

Folgemonats die Umsatzsteuer-Voranmeldung abgeben müssen.

Dadurch ist Festsetzungsverkürzung eingetreten: Hätte er sie abgegeben, wäre

die Steuer festgesetzt worden (§ 370 Abs. 4 S. 1 Halbs. 2 AO).

Veränderung:

Der Prokurist P spiegelt dem U vor, im Voranmeldungszeitraum seien keine Umsätze

vorgenommen worden. U, schon auf dem Weg zum FA, um die Voranmeldung

abzugeben, die die richtigen Umsätze enthält, zerreißt das Papier und ist froh, dass ihn

P vor dem „Steuerschaden― bewahrt hat.

Strafbarkeit des U: § 370 I Nr. 2 AO?

Objektiv erfüllt, denn U hat die Umsätze trotz

Erklärungspflicht nicht angemeldet und hat dadurch

Steuern verkürzt.

Subjektiv fehlt es am Vorsatz.

Der Tatbestand ist also nicht erfüllt.

Strafbarkeit des P: §§ 370 I Nr. 2 AO, 26 StGB?

Es fehlt an einer tatbestandsmäßig rechtswidrigen

vorsätzlichen Haupttat. Daher keine Anstiftung.

Das gilt auch für § 27 StGB.

§ 370 I Nr. 2 AO?: Es fehlt an der Handlungspflicht des U, denn nur der

Unternehmer muss anmelden, nicht der Prokurist.

§ 370 I Nr. 1 AO?: Dieser Tatbestand setzt die Handlungspflicht nicht

voraus, Täter kann vielmehr jedermann sein, also auch P.

Hat P unrichtige Angaben gemacht?

- Selbst erklärt hat er gegenüber dem Finanzamt

nichts, hat auch keine Erklärung auf den Weg

gebracht oder sonst wie sich gegenüber dem

Finanzamt geäußert.

- Steht die „Hinderung― des U der positiven

Erklärung gleich?

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Die Lösung dieses Problems ist hoch umstritten. Sie könnten versuchen, wie folgt zu

argumentieren:

Ihnen ist die Ansicht Armin Kaufmanns geläufig, wonach die Abwendung einer „rettenden

Kausalkette― nicht Unterlassung, sondern Begehung darstellt.

Beispiel:

Der „rettende Balken― treibt auf den Ertrinkenden zu. Der Täter stößt den Balken weg,

um den Tod des Ertrinkenden herbeizuführen.

Arbeitet man hier mit der conditio-sine-qua-non-Formel, unterstellt man also, dass der Balken

den Ertrinkenden gerettet hätte, dann ist der Wegstoßende ursächlich für den Tod. Genauso

könnte man sagen: Hätte der P den U nicht „abgestiftet―, wäre U mit der richtigen Erklärung

zum Finanzamt marschiert und hätte die Umsätze vollständig und wahrheitsgemäß erklärt.

Durch diese Erklärung wären die Steuern richtig festgesetzt worden.

Diese Argumentation wäre an sich folgerichtig, immer unter der Voraussetzung, dass man die

Kausalität bei der Abwendung einer rettenden Kausalkette bejaht. Problematisch ist dies

deshalb, weil man ja dann die Hypothese aufstellen muss, dass der Balken den Tod

verhindert, der A zum FA gegangen und die Erklärung eingeworfen hätte. D. h. man denkt

sich weitere Bedingungen hinzu, die noch gar nicht verwirklicht worden sind. So schlimm ist

dieser Gedanke indessen nicht, denn auch bei Taten, die wir allgemein als Begehungstaten

ansehen, muss man vielfach das „Fortwirken― solcher rettender Kausalketten unterstellen.

Armin Kaufmann: „Wer denjenigen als Täter eines Tötungsdelikts ansieht, der den

Stromfluss eines Magnetkrans unterbricht, so dass das Metallteil herabstürzt und einen

anderen tötet, muss auch unterstellen, dass der Strom „fortgewirkt― und das Metallteil am

Kran festgehalten hätte.― Das ist also nicht das Problem. Im Fall des § 370 AO könnte

durchaus so argumentiert werden, wenn nicht das Gesetz bestimmte Handlungsmodalitäten

verlangte. Strafbar ist ja nicht „die Steuerverkürzung― schlechthin, sondern deren

Herbeiführung durch bestimmte Handlungsmodalitäten, das „Machen unrichtiger

Angaben―. Das bedeutet, nicht jeder, der eine Steuerverkürzung herbeiführt, ist Täter der Nr.

1, sondern nur derjenige, der die Steuerverkürzung dadurch herbeiführt, dass er gegenüber der

Finanzbehörde unrichtige Angaben macht. Damit bekommen Sie die Strafbarkeit auch nicht

mit der These von Armin Kaufmann begründet: Das Hindern des U durch den P mag zwar im

Ergebnis die Steuerverkürzung herbeiführen, weil P ursächlich ist dafür, dass die Steuer nicht

festgesetzt wird. Es bleibt aber der gesetzliche Wortlaut zu beachten, unrichtige Angaben

gegenüber dem Finanzamt. Solche Angaben hat der P nicht gemacht.

Im Unterschied hierzu die RAO 1919 in der Urfassung Enno Beckers: „Wer bewirkt, dass

Steuereinnahmen verkürzt werden...― Hiernach war jede ursächliche Handlung

tatbestandsrelevant. Nach dem heutigen § 370 AO sind nur bestimmte Handlungen

tatbestandsmäßig. Im Interesse einer Tatbestandspräzisierung sollte der Kreis der möglichen

Handlungen eingegrenzt werden.

Das Problem ist keinesfalls akademisch, sondern kehrt im Steuerstrafrecht in vielfältiger

Form wieder.

Beispiel:

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Der Vater veranlasst mit Täterwillen seine Kinder, beim Grenzübertritt ihrer

Gestellungspflicht nicht nachzukommen, ohne selbst die Grenze zu überschreiten.

Hier ist der Vater nicht gestellungspflichtig, muss also nichts erklären, weder die

Einfuhrumsatzsteuer noch den Zoll.

Demgegenüber Bender (TZ 38 Nr. 3, Beispiel 49): Bender erkennt an, dass die Zollschuld

gem. Art. 202 Zollkodex (nur) in der Person der Kinder (trotz deren Geschäftsunfähigkeit)

entsteht, weil das vorschriftswidrige Verbringen von einfuhrabgabepflichtigen Waren reine

Tathandlungen sind, die nur einen natürlichen Handlungswillen erfordern. Täter im

strafrechtlichen Sinn ist A. Bender meint, es reiche aus, dass A die Tat „als eigene gewollt―

habe. Letzteres ist richtig, es fehlt bei A aber die Handlungspflicht.

Zum Problem: FGJ, § 370 TZ 112 ff. (116):

In derartigen Fällen verursacht der Täter durch Handeln, dass die Finanzbehörde in

Unkenntnis bleibt. Den Begehungstatbestand erfüllt er auch in mittelbarer Täterschaft nicht,

da er gegenüber der Finanzbehörde keine unrichtigen Angaben macht. Das

Unterlassungsdelikt scheidet aus, weil der Täter zur Aufklärung selbst nicht verpflichtet ist.

Die Problematik finden Sie ausführlich dargestellt in der Dissertation von Martin Wulf,

Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2000, einer von Samson betreuten Kieler

Dissertation, S. 140 ff.

Insbesondere im Zollrecht kommt diese Konstellation häufiger vor, vor allem, wenn

zollrechtliche „Nichterhebungsverfahren― missbraucht werden. Das geschieht etwa beim

Missbrauch von Zolllagern / Steuerlagern oder auch beim Versandverfahren.

Im Zolllager, lagern Einfuhrwaren, deren endgültige Zweckbestimmung noch nicht feststeht,

oder die als „Kreditinstrument― dienen, d. h. es wird nur dann versteuert, wenn entnommen

wird (typisch beispielsweise: Mineralöl- oder Teppichlager). Wenn aus einem solchen Lager

unbefugt entwendet wird, fällt die Steuer an. Erklärungspflichtig ist nach Art. 101 Zollkodex

der Lagerhalter, nicht der Dieb.

Art. 101 ZK lautet:

„Der Lagerhalter ist dafür verantwortlich, dass

a) die Waren während ihres Verbleibs im Zolllager nicht der zollamtlichen

Überwachung entzogen werden,

b) die Pflichten, die sich aus der Lagerung der Waren im Zollagerverfahren

ergeben, erfüllt werden und

c) die in der Bewilligung festgelegten besonderen Voraussetzungen erfüllt

werden.―

Zum Versandverfahren vgl. den Fall des LG Marburg, vom 5. 9. 1991, wistra 1992, 36.

Dazu vgl. Bender, ZfZ 2003, 255.

Der Angeklagte hatte Herrenhemden, die durch die Bundesrepublik durchgeführt

werden sollten, aus diesem Versandverfahren entnommen, indem er die Lkws

umleitete und die Ware entladen ließ.

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Das Problem war, dass der Angeklagte selbst nicht gestellungspflichtig war. Das war

vielmehr der Hauptverpflichtete (Art. 96 ZK) des Versandverfahrens. Bei Grenzübertritt war

die Ware ordnungsgemäß mit Zollpapieren ausgestattet, so dass rechtens von der Gestellung

abgesehen werden durfte. Die Verkürzung trat erst dadurch ein, dass die Ware aus dem

Versandverfahren rechtswidrig „entnommen― wurde. Diese Gestellungspflicht oblag aber

nicht dem Angeklagten, sondern dem Hauptverpflichteten, so dass der Angeklagte nicht

gegen eine Handlungspflicht verstoßen hatte.

Nach EuGH vom 4. 3. 2004, C-238/02 und C-246/02, wistra 2004, 376 = ZfZ 2004, 159, mit

Bespr. Bender wistra 2004, 368 und im Anschluss daran BFH vom 20. 7. 2004, VII R 38/01,

wistra 2005, 69, sind nur solche Personen gestellungspflichtig, die die Ware in das Zollgebiet

unmittelbar verbracht haben (Fahrer, Beifahrer, nicht aber der die Lieferung "steuernde"

Hintermann). Fahrer und Beifahrer, die die gestellungspflichtige Ware (etwa Zigaretten) unter

"Tarnware" versteckt einführen, sind meist ahnungslos, zumindest kann man ihnen das

Gegenteil nicht nachweisen. Teilnahme der Hintermänner, die das "Kartell" steuern, kommt

mangels vorsätzlicher Haupttat nicht in Betracht. Sieht man die Nichtgestellung

(richtigerweise) als Unterlassung und nicht als Handlung an, scheidet auch mittelbare

Täterschaft aus, eben mangels Handlungs- (Gestellungs-)pflicht der Hintermänner, so dass

diese straflos bleiben müssten, daher der Titel des Aufsatzes von Bender: "Ist

Zigarettenschmuggel seit dem 4. März 2004 straffrei? Bender meint das natürlich nicht ernst,

weil er glaubt, die Konsequenz dadurch vermeiden zu können, dass er "den

Sonderdeliktscharakter" des § 370 I Nr. 2 AO aufheben und den Unterlassungstatbestand in

Angleichung an den Begehungstatbestand der Nr. 1 zum "Jedermannsdelikt" machen möchte.

Wie ich meine, zu Unrecht. Ein Unterlassungsdelikt erfordert nun einmal die

Handlungspflicht des Täters und lässt nicht – wie Bender meint -- die irgendeines Dritten

genügen. Wenn einem das aus den Besonderheiten des Steuerrechts resultierende

strafrechtliche Ergebnis nicht passt, muss man nicht die Strafrechtsdogmatik auf den Kopf

stellen, sondern ggf. über die Einzelausgestaltung des Steuerrechts nachdenken, was freilich

wegen des europäischen Charakters des Zollkodex auf Grenzen stößt. Zur Änderung der

Rechtsprechung des EuGH vgl. Bender, wistra 2006, 41: "Der EuGH und das

Zollstrafrecht"; Bender, wistra 2007, 309 (krit. Anm. zur BGH- Rechtsprechung). Neuerdings

vertritt Kuhlen, Fschr. für Heike Jung, 2007, S. 445 die Auffassung, § 370 I Nr. 2 AO sein

wie die Nr. 1 des § 370 AO ein Jedermannsdelikt. M. E. beruft er sich zu Unrecht auf die

Rechtsprechung des BGH, insbes. auf BGHSt 48, 108 = wistra 2003, 266. Diese

Entscheidung krankt daran, dass sie die Frage, ob Begehung oder Unterlassung vorliegt, offen

lässt und gleichsam eine "Wahlfeststellung" zugrundelegt.

Die Rechtsprechung des EuGH setzt sich steuerrechtlich durch. Eine der ersten einschlägigen

Entscheidungen ist FG Düsseldorf vom 1. 8. 2005, 4 V 2972/05 A, derzeit nur über Juris

veröffentlicht. Hiernach liegt dem Begriff des Verbringens i. S. von § 19 S. 1 TabStG ein rein

objektives Verständnis zugrunde. Verbringen liegt auch vor, wenn Fahrer oder Beifahrer eines

Lkws von der geschmuggelten Ware keine Kenntnis haben. Das führt zu der für die

Betroffenen traurigen Konsequenz, dass die Tabaksteuer rechtens gegen sie festgesetzt

werden kann. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte indem genannten Fall keinen

Erfolg, weil die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nicht ernstlich zweifelhaft war (§ 69 III

1, II 2 FGO). Der Fahrer war als Verbringer Schuldner der TabSt (§ 19 S. 2 TabStG, auf

subjektive Vorstellungen der Beteiligten komme es "nach dem eindeutigen Wortlaut der

Norm" nicht an.

Zur Frage der Abgrenzung Begehung ./. Unterlassung vgl. die folgende Entscheidung:

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BGH, Beschl. v. 7. 11. 2006 – 5 StRR 164/06, StRR 2007, 71 = wistra 2007, 112

Der 1. FC Kaiserslautern e. V. leistete an Spieler verdeckte Gehaltszahlungen, die nicht in die

Lohnsteueranmeldung aufgenommen wurden. Das LG hatte den mitangeklagten

Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. W., der an der Aushandlung der zugrundeliegenden

Scheinverträge maßgeblich beteiligt war, nur wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung

verurteilt und Täterschaft von vornherein deshalb verneint, weil Dr. W. nicht zugleich als

faktischer Mitvorstand des Vereins anzusehen war und ihm daher keine eigenen

Steuererklärungspflichten oblagen. Auf die Revision der StA änderte der BGH den

Schuldspruch in mittäterschaftliche Verurteilung ab. Die Begründung des BGH, Mittäter einer

Steuerhinterziehung nach § 37O I Nr. 1 AO könne jedermann sein, ist für sich genommen

richtig; der Begehungsvariante kommt in der Tat kein Sonderdeliktscharakter zu, nur ist die

Frage, ob es sich tatsächlich um Begehung und nicht vielmehr um Unterlassung handelte.

Welche Pflicht jeweils verletzt worden ist, hängt von der Ausgestaltung des Steuerrechts ab.

Nach § 41 a I EinkStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des

Lohnsteueranmeldungszeitraums dem Betriebsstättenfinanzamt auf amtlich vorgeschriebenem

Vordruck die Lohnsteuer-Anmeldung abzugeben. Die Lohnsteuer ist – entgegen verbreiteter

Definition – Veranlagungsteuer, nämlich „selbstveranlagend", d. h. sie ist verkürzt, wenn sie

zu niedrig angemeldet wird, denn die Lohnsteueranmeldung steht (anders als z. B. die

Einkommensteuererklärung) einer Steuerfestsetzung gleich (§§ 168 S. 1, 370 IV 1, 2. Halbs.

AO). Dass die Lohnsteuer darüber hinaus Fälligkeitsteuer ist, weil sie an bestimmten

Terminen zu zahlen ist (die vorangemeldete mit dem Termin, der für die Steueranmeldung

gilt, vgl. § 18 I 3 UStG: "Die Vorauszahlung ist am 10. Tag nach Ablauf des

Voranmeldungszeitraums fällig") ist für die Verkürzungsfrage ohne Belang. Ebensowenig ist

es von Bedeutung, ob Lohnsteuer abgeführt wird. Entscheidend ist alllein, dass, wie es § 41 a

I Nr. 1 EinkStG verlangt, in der Steuererklärung „die Summe der im

Lohnsteueranmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer"

angegeben wird. Dass § 41 a I Nr. 1 EinkStG eine Handlungs-, keine Unterlassungspflicht

statuiert, wird unstreitig für die Fälle anerkannt, in denen der Pflichtige überhaupt keine

Steuererklärung abgibt. Täter einer Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe der Erklärung

kann nur derjenige sein, dem die Handlungspflicht obliegt, d. h. der selbst erklärungspflichtig

ist.

Nun hatte in dem hier besprochenen Fall der e. V. die Lohnsteueranmeldung abgegeben,

allerdings ohne die verdeckten Zahlungen darin aufzunehmen. Daraus ließe sich herleiten, die

Vorstandsmitglieder hätten „die Handlungspflicht an sich" erfüllt, und es gehe nur noch

darum, die durch die unvollständige Anmeldung begangene „Verschleierung" zu erfassen.

Dass Aufsichtsrat und Vorstand des e. V. einiges getan haben, um die verdeckten Zahlungen

nicht auffallen zu lassen, ist sicherlich richtig. So wurden Scheinverträge abgeschlossen,

Briefkastenfirmen in das Komplott einbezogen, kurzum, der Aufsichtsratsvorsitzende

entwickelte im Zusammenspiel mit seinem Vorstand jene Kreativität, die Steuerbürger zu

entfalten in der Lage sind, wenn es darum geht, die Steuer zu minimieren.

Gelegentlich wird versucht, die Kausalität zwischen einer zu niedrigen/unvollständigen

Erklärung und dem von § 370 I AO vorausgesetzten Verkürzungserfolg zu verneinen (Wulf,

Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 1. Aufl. 2001, S. 45 ff.). Dass die konkret

abgegebene Steuererklärung eine Bedingung für die Festsetzung war, kann indessen nicht

zweifelhaft sein, denn hätte der Vorstand die konkrete unvollständige Lohnsteueranmeldung

nicht abgegeben, wäre diese Steuer so (d. h. in zu niedriger Höhe) nicht festgesetzt worden.

Bestraft wird nach § 370 AO aber nicht, wer den Finanzbehörden Angaben macht und

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dadurch eine Steuerfestsetzung bewirkt, sondern wer unrichtige/unvollständige Angaben

macht und dadurch Steuern verkürzt. Verkürzung, Unrichtigkeit, Unvollständigkeit sind

normative Begriffe, die § 370 I AO mit dem Wort "dadurch" verknüpft. Diese Relation wird

besser nicht als Kausalnexus, sondern treffender als normativer Zusammenhang bezeichnet.

Im Ergebnis trifft also Wulf das Richtige, wenn er sagt, dass eine zu niedrige/unvollständige

Erklärungshandlung nicht kausal für die Verkürzung ist, denn wäre sie ganz unterblieben,

wäre überhaupt nichts festgesetzt worden, so dass die Verkürzung bei Hinwegdenken der

Steueranmeldung nicht entfällt, sondern sogar "vergrößert" wird. Sie entfällt nur dann, wenn

die richtigen/vollständigen Angaben hinzugedacht werden. Dass die Strafbarkeit der

Vorstandsmitglieder des 1. FC Kaiserslautern nicht auf einer Handlung, sondern einer

Unterlassung gründet, kommt schließlich auch in den Feststellungen der Tatsacheninstanz

zum Ausdruck (wistra 2007, 112, 113 li. Sp.):

„Da die verdeckten Lohnzahlungen ... nicht auf dem ... Lohnkonto und damit nicht bei den

Lohnsteueranmeldungen erfasst wurden, bewirkte der Angeklagte F. die Verkürzung der

anfallenden Lohnsteuer..."

Anknüpfungspunkt ist hiernach die "Nicht"-Erfassung der verdeckten, nicht die Erfassung der

offenen Zahlungen. Nicht das Angabenmachen i. S. von § 370 I Nr. 1 AO, sondern das "In

Unkenntnis Lassen" i. S. von § 370 I Nr. 2 AO bewirkt die Verkürzung. Das – seinerseits

nicht erklärungspflichtige – Aufsichtsratsmitglied kam demnach als Täter nicht in Betracht,

das Urteil der Vorinstanz war im Ergebnis richtig, und der BGH hat den Schuldspruch zu

Unrecht korrigiert. Das ist aber nur meine persönliche Auffassung. Die h. M. sieht in

derartigen Fällen das Begehungsdelikt des § 370 I Nr. 1 AO verwirklicht, das von

"jedermann", also im konkreten Fall auch von dem Aufsichtsratsvorsitzenden W, der selbst

keine Erklärungspflicht hatte, begangen werden kann.

14. Selbstanzeige

Lit.: Eva Kohler in MK 6/1, zu § 371 (sehr lesenswerte Darstellung), Burhoff, PStR 1998, S.

79 f.; Keller/Kelnhofer, wistra 2001, 369; Stahl, Selbstanzeige und strafbefreiende

Erklärung, 2. Aufl. 2004; Bespr. durch Tormöhlen, wistra 2004, 175; zur Beratung für die

Selbstanzeige vgl. Wenzler, PStR 2007, 216.

Zur Selbstanzeige bei Bankfahndungen Wehrus, PStR 1998, S. 86 f.; Braun, PStR 2001, 34;

2002, 86 und 2003, 199.

Zur "gestuften Selbstanzeige" vgl. Webel, PStR 2007, 213;

Nach § 371 I AO ―wird insoweit straffrei‖, wer unrichtige oder unvollständige Angaben

bei der Finanzbehörde

berichtigt, ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt.

§ 371 AO enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Problem der Abgrenzung zu §

24 StGB:

Bei S wird eine Außenprüfung durchgeführt. Gegenstand der Prüfung ist die Einkommen-

steuer der Jahre 1993 bis 1995. Für das Jahr 1993 und 1994 ist S bereits bestandskräftig ver-

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anlagt; für das Jahr 1995 hat er bislang lediglich eine Steuererklärung eingereicht, die

nunmehr im Rahmen der Außenprüfung überprüft werden soll.

S hatte bei den Steuererklärungen für die Jahre 1993 bis 1995 jeweils unrichtige Angaben

über die Höhe seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen gemacht. Im Rahmen der Prüfung

beschließt er, sich insoweit dem Prüfer zu offenbaren, obwohl es zu diesem Zeitpunkt

keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Prüfer auf die Unrichtigkeit der Angaben zur

Höhe der Einkünfte aus Kapitalvermögen stoßen wird (Fall nach Joecks).

Erfüllt ist § 370 I Nr. 1 AO für die Jahre 1993 und 1994.

Die Selbstanzeige scheitert an § 371 2 Nr. 1 a AO, da in Gestalt des Außenprüfers ein

Amtsträger zur steuerlichen Prüfung erschienen ist.

Bezüglich 1995 scheidet Vollendung des § 370 1 Nr. 1 AO aus, da zwar die Erklärung

eingereicht, die Festsetzung aber noch nicht vorgenommen ist.

In Betracht kommen §§ 22 StGB, 370 I 1 AO, Versuch der Steuerhinterziehung. S

wollte durch die unrichtige Erklärung die Einkommensteuer verkürzen. Mit der

Ausführung hat er begonnen durch die Einreichung der Erklärung. Der

Versuchstatbestand liegt vor.

§ 371 AO scheitert wie bei der Vollendung am Erscheinen des Außenprüfers.

Zu prüfen ist § 24 StGB. Nach § 369 II AO gelten die allgemeinen Gesetze für das

Strafrecht auch für Steuerstraftaten, also auch die Bestimmungen über den

strafbefreienden Rücktritt (BGH vom 5. 5. 2004, 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720

(2721).

Bild 49

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Da T alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zum Erfolgseintritt notwendig ist (mehr als

die unrichtige Erklärung abzugeben, konnte er schließlich nicht tun), ist der Versuch beendet,

so dass T die Vollendung verhindern muss, wenn Strafaufhebung eintreten soll (§ 24 I 1 2.

Alt StGB). Indem er sich dem Prüfer gegenüber offenbart, berichtigt er seine unrichtige

Erklärung für 1995 und verhindert damit die unrichtige Festsetzung. Da er freiwillig

gehandelt hat, ist er strafbefreiend vom Versuch der Einkommensteuerhinterziehung für das

Jahr 1995 zurückgetreten.

Zurück zur Selbstanzeige:

Die Erklärung muss berichtigt werden. Es reichen nicht aus

die bloße Ankündigung der Selbstanzeige (sogar taktisch fehlerhaft, da sie beim

Finanzamt ―Sperrmaßnahmen‖ im Sinne des § 371 II AO provozieren kann);38

die bloße Anerkennung des Ergebnisses einer Ermittlungsmaßnahme als ―richtig‖: Es

fehlt an der Lieferung von ―Material‖ im Sinne des § 371 I AO; vgl. BGH vom

16.6.2005, 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 (2726) = NStZ 2006, 45, mit Bespr.

Salditt, PStR 2005, 233. Salditt hält die Selbstanzeige im konkreten Fall für wirksam

unter dem Gesichtspunkt der "Stufung" (vgl. FN 29): der Pflichtige hatte sich bereits

in der Prüfung offenbart und nicht erst ein durch den Prüfer ermitteltes Ergebnis nur

anerkannt.

die stillschweigende Zahlung der verkürzten Steuer. Auch hier fehlt das ―Material‖

in Gestalt der Berichtigung;

die Abgabe einer Selbstanzeige ohne Vertretungsmacht.

Beispiel:

Steuerberater S merkt anhand der Buchführungsunterlagen, dass sein Mandant M eine

Steuerhinterziehung begangen hat. Ohne Rücksprache erstattet er Selbstanzeige,

berichtigt die Erklärungen und glaubt, sich auf seine allgemeine steuerliche

Vertretungsmacht berufen zu können: Unwirksam für M, sogar gefährlich, da die

Sperrwirkung des § 371 II Nr. 2 AO eingetreten sein kann. Auch spätere Zustimmung

seitens M wirkt nicht ex tunc, sondern nur ex nunc, macht also die Selbstanzeige nur

dann wirksam, wenn im Zeitpunkt der Zustimmung noch keine Sperrwirkung

eingetreten ist.

Problem bei der Umsatzsteuer:

S hat, um sich „Liquidität zu schaffen―, bei den USt- Voranmeldungen jeweils um 20 % zu

niedrige Umsätze angegeben. Mit der Jahreserklärung fasst er die bisher erklärten - zu

niedrigen - Umsätze lediglich zusammen. Einige Monate später reicht er die korrigierte

zutreffende Jahreserklärung ein und leistet die Abschlusszahlung.

BGH vom 24. 11. 2004, 5 StR 206/04, wistra 2005, 66 = NStZ 2005,514: die (richtige)

Jahreserklärung ist Selbstanzeige auch bezüglich der Voranmeldungen.

Problem: Die unrichtigen Voranmeldungen sind 12, mit der unrichtigen Jahreserklärung sind

es 13 materiell selbständige Taten (aber eine Tat i. S. des § 264 StPO, so die zitierte BGH- 38 Vgl. aber die Erörterung der „gestuften Selbstanzeige―: Rolletschke, wistra 2002, 17; Burkhard, PStR 2000,

233 und PStR 2001, 46; Muster bei Simon/Vogelberg, Anhang, 4.3, S. 395.

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Entscheidung vom 24. 11. 2004, 5 StR 206/04, zu diesem Problem vgl. die Bespr. Otto NStZ

2005, 514). Berichtigt S lediglich die Jahreserklärung, ist damit noch längst nicht klar, wie

sich die Umsätze auf die einzelnen Monate verteilen, insbesondere der Verspätungsschaden

wird damit nicht beseitigt. Solange man mit dem Institut des Fortsetzungszusammenhangs

arbeitete, es sich also um eine Tat handelte, wurde die Berichtigung der

Umsatzsteuerjahreserklärung zugleich als Berichtigung der Voranmeldungen für die

einzelnen Monate angesehen. Hier zeigt sich die für den Pflichtigen negative Wirkung der

Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs. Für die Anwendung des § 371 AO spricht, dass

die Jahreserklärung jedenfalls die Summe der Voranmeldungszeiträume berichtigt, die

Zuordnung zu den einzelnen Monaten wäre ―übertriebene Förmelei‖ (Joecks, S. 77 und FGJ,

§ 371, Tz. 69 ). - Bei anderer Ansicht hat S 12 Steuerhinterziehungen durch unrichtige

Voranmeldungen abgegeben. Eingetreten ist ―Verspätungsschaden‖. Die Anwendung des

Strafmilderungsgrundes nach § 46 a StGB kann diskutiert werden (streitig).

Berichtigung muss ―bei der Finanzbehörde‖ vorgenommen werden. Was heißt dies?

Für Besitz- und Verkehrssteuern etwa auch beim Hauptzollamt?

Nur beim zuständigen Sachbearbeiter des Veranlagungsbezirks oder auch beim

Außenbeamten (etwa: beim Umsatzsteuersonderprüfer für die Einkommensteuer,

beim Lohnsteueraußenprüfer für die Umsatzsteuer und Gewerbesteuer)?

Bei der OFD, beim Bundesamt für Finanzen?

Die Behörden sind untereinander zur Amtshilfe verpflichtet, so dass davon ausgegangen

werden kann, dass die Selbstanzeige auch den zutreffenden Adressaten, der mit der Steuerer-

klärung befasst ist, erreicht. Es ist aber problematisch, wie ―genau‖ die Treffsicherheit

hinsichtlich der Zuständigkeit sein muss. Vor allem: Wann ist berichtigt? (Wichtig für die

Sperrwirkung). Die heutige Auffassung geht wohl dahin, dass "irgendein Amtsträger der

Finanzbehörde" jeweils der richtige Adressat der Selbstanzeige ist (LH, Tz. 5.1.1, S. 86).

Fall 99:

Der Pflichtige reicht am 10.02.1997 eine um 5.000,00 bewusst zu niedrig gehaltene

Umsatzsteuervoranmeldung für Januar ein.

a) Die 5.000,00 erklärt er in der Jahresanmeldung nach. (Wirkung der Selbstanzeige

fraglich; nur dann, wenn man die fehlende Zuordnung für den einzelnen Monat nicht

für geboten hält).

b) Die 5.000,00 zahlt er - nach Abgabe der unrichtigen Voranmeldung - fristgemäß,

aber ohne Erläuterung in der Voranmeldung für Februar. Hier keine wirksame

Selbstanzeige, da die Erklärung (―Material‖) fehlt.

Fall 100:

Der Pflichtige erklärt Umsätze von 100.000,00 in der Umsatzsteuerjahreserklärung

nicht. Vor Eintritt der Sperrwirkung erklärt er 60.000,00 nach.

Teil-Selbstanzeige möglich?

Ja, weil es im Gesetz heißt ―insoweit‖, so die m. E. zutreffende Auffassung von LH, S. 78, f. und der ganz h. M.

Anders der BGH, v. 20.5.2010, 1 StR 577/09. Der BGH versteht das Wörtchen „insoweit― falsch, wenn er

meint, es beziehe sich nur auf die Straffreiheit nach anderen Straftatbeständen. Schon Enno Becker (Komm.

zur RAO, 7. Aufl. 1930, § 374, zu Nr. 3) sah dies anders. Es handelt sich wieder um eines der Lehr-obiter-dicta

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des 1. Strafsenats, gleichsam um einen Hirtenbrief, der mit dem zu entscheidenden Fall nichts zu tun hat, aber

das bisher geltende Recht auf den Kopf stellt. Dazu Salditt, PStR 2010, 168; Meyberg, PStR 2010, 162; Verf.,

PStR 2010, 175, und Eva Kohler in den NWB 2010.

Sperrwirkung nach § 371 II Nr. 1 a AO (sachbezogene Sperrwirkung):

Amtsträger erscheint zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat.

Wer ist Amtsträger? Dazu Wolsfeld, PStR 2006, 25 ff., jedenfalls nicht der Staatsanwalt, der

eine Durchsuchung durchführt, wohl aber die die Durchsuchung begleitenden Beamten der

Steufa (LG Stuttgart vom 21.8.1989, wistra 1990,72).

Erscheinen „zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Straftat oder einer

Steuerordnungswidrigkeit―:

Die bloße Ankündigung löst Sperrwirkung nicht aus.

Beispiele nach LH, S. 81.

Außenprüfer A geht gelegentlich eines anderen Dienstgangs am Mittwoch zu dem

Steuerpflichtigen B und vereinbart mit ihm, dass er am nächsten Tag die zunächst für

einen späteren Zeitpunkt angekündigte Prüfung durchführt: keine Sperrwirkung, nur

Ankündigung, kein ―Erscheinen‖.

Außenprüfer A erscheint beim Pflichtigen zur Prüfung und trifft lediglich die

Ehefrau an der Haustür an, A liegt krank im Bett. Mit ihr vereinbart A, dass die

Prüfung in drei Wochen beginnen soll. Sperrwirkung eingetreten, da A ―erschienen‖

ist, gleichgültig, ob er mit der Prüfung beginnen konnte.

Ebenso, wenn der Außenprüfer zwar erscheint, aber niemanden antrifft.

Begrenzung durch den Prüfungsauftrag.

Keine Sperrwirkung für die Einkommensteuer, wenn der Umsatzsteuersonderprüfer erscheint,

keine Sperrung für die Umsatzsteuer, wenn der Lohnsteuerprüfer erscheint, keine Sperrung

für Einkommensteuer 1992, wenn lediglich ab 1994 nach vorn geprüft werden soll. Prüfungen

werden vorher angekündigt unter Mitteilung des Prüfungsauftrages. Hieraus ergibt sich der

Umfang der Sperrwirkung. Begrenzung also sowohl zeitlich als auch sachlich.

Ist die Prüfung abgeschlossen, kann Sperrwirkung nicht mehr eintreten. Die Möglichkeit zur

Selbstanzeige lebt also wieder auf. Hat der Prüfer nichts gefunden, kann immer noch Selbst-

anzeige erstattet werden (vorausgesetzt, es ist nicht aufgrund anderer Tatsachen Sperrwirkung

eingetreten).

Löst auch eine (formell oder materiell) rechtswidrige Außenprüfung Sperrwirkung aus? BGH

vom 16. 6. 2005, 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 (2725) sagt obiter, jedenfalls bei nichtiger

nicht aber bloß rechtswidriger Prüfungsanordnung (gegen diese Differenzierung mit Recht

Salditt, PStR 2005, 233), werde Sperrwirkung ausscheiden, lässt die Frage aber letztlich

offen, da eine wirksame Selbstanzeige in concreto nicht erstattet war. Die Lösung ist also

weiterhin strittig, Literaturnachweise in der zitierten BGH-Entscheidung.

Sperrwirkung nach § 371 II Nr. 1 b AO (tatbezogene Sperrwirkung):

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Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens

Umfang der Sperrwirkung auch hier sachlich begrenzt, aber: Problem der Tat.

Gegen P wird wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer auf Einkünfte

aus Kapitalvermögen für 1992 bis 1994 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet. Tatsächlich hat er

schon 1990 Steuern auf Einkünfte aus Kapitalvermögen hinterzogen. Weiterhin hat er 1994

Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (Provisionseinkünfte) nicht angegeben. Die USt-

Jahreserklärung 1992 und die Voranmeldung Februar 1995 sind zu niedrig. Inwieweit ist

Selbstanzeige möglich ?

Liegt hier eine Tat vor, wäre auch die Steuerhinterziehung für 1990 ff. erfasst. Nach Aufgabe

des Fortsetzungszusammenhangs ist aber nichts dafür ersichtlich. Im einzelnen ist hier vieles

streitig. Das beginnt schon bei der Definition der „Tat― (prozessual, materiellrechtlich? Oder

legt § 371 AO einen eigenen Tatbegriff zugrunde ?) Vgl. die Zusammenfassung bei

Kohlmann, § 371, TZ 206.

Die Provisionseinnahmen 1994 könnten aber von der Sperrwirkung umfasst sein, weil

insoweit eine Tat im strafprozessualen Sinn gegeben ist. Das trifft m. E. zu, weil für 1994 eine

Erklärung abgegeben worden ist, die unrichtig ist, indem sie sowohl Einkünfte aus

Kapitalvermögen als auch Provisionsentnahmen nicht enthält. Also ist wegen der unrichtigen

Abgabe der Erklärung für 1994 das Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dass sich dies nur auf

Einkünfte aus Kapitalvermögen bezieht, hindert die Sperrwirkung nicht, denn die

unterlassenen Provisionseinnahmen sind Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und hätten in

den Gesamtbetrag der Einkünfte eingehen müssen. Dadurch dass sie darin nicht enthalten

sind, ist die gesamte Erklärung 1994 unrichtig, und hierauf bezieht sich das

Ermittlungsverfahren. Die einzelnen Besteuerungsgrundlagen sind nur Teilakte der einen Tat

und keine Einzeltaten (so m. E. richtig auch LH, S. 83). - Lediglich die Berichtigung der

Umsatzsteuerjahreserklärung ist von der Sperrwirkung nicht umfasst.

Bild 50

Sperrwirkung nach § 371 II Nr. 2 AO (personenbezogene Sperrwirkung):

Entdeckung der Tat

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219

Hier stellt sich das gleiche Problem wie oben:

Fall 101:

Der Pflichtige hat für 1996 Einkommensteuer hinterzogen, indem er die Einkünfte aus

Kapitalvermögen in Höhe von 5.000,00 überhaupt nicht und die Einkünfte aus

Gewerbebetrieb um 50.000,00 zu niedrig angegeben hat. Die Einkünfte aus

Kapitalvermögen waren dem Finanzamt, was der Pflichtige wusste, durch eine

Kontrollmitteilung bekannt, als er beide Angaben berichtigte.

Selbstanzeige ist gesperrt wegen § 371 II Nr. 2 AO, weil die eine Tat in objektiver und

subjektiver Hinsicht entdeckt war und der Pflichtige dies wusste (so richtig LH, S. 85). Auch

hier kommt es auf den Tatbegriff an.

Wie bestimmt muss die Einleitungsverfügung sein?

Vgl. Jörg Burkhard, DStZ 2000, 592.

Fall 102:

Beim Finanzamt geht eine Kontrollmitteilung über 2.000,00 DM Verlagshonorar ein,

die der Pflichtige P in 1997 erhalten hat. P erklärt die bisher unterbauten 2.000,00 DM

für 1997 nach.

1. Variante:

In der Steuererklärung des P waren 5.000,00 DM Honorareinnahmen aus schriftstellerischer

Nebentätigkeit enthalten (nicht aber die 2.000,00 DM). Hier ist die Tat objektiv nicht

entdeckt, denn ohne Prüfung kann dem Finanzamt nicht bekannt sein, ob die 2.000,00 DM in

den erklärten Einnahmen enthalten sind oder nicht.

2. Variante:

P war ohne jegliche Honorareinnahmen veranlagt worden. Hier weiß das Finanzamt aufgrund

der Kontrollmitteilung, dass P objektiv etwas verschwiegen hat. Allerdings fehlen

Informationen zu Vorsatz und Schuld. Damit war die Tat auch hier nicht entdeckt (LH, S.

85).

Weitere Voraussetzung:

Entrichtung der zugunsten des Täters hinterzogenen Steuer.

a) Nur die zu seinen Gunsten hinterzogene Steuer muss der Täter entrichten.

Der Angestellte B, der im Auftrag seines Chefs die Automaten leert und die Verkäuferinnen

schwarz bezahlt, braucht also die vom Chef hinterzogenen Steuern nicht nachzuentrichten.

Auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass er seinen Arbeitsplatz erhalten wollte. Das ist nicht

ein Vorteil im Sinne des § 371 III AO. Ebensowenig ist der angestellte Geschäftsführer

verpflichtet, die Steuern der GmbH zu zahlen, anders nur beim

Gesellschaftergeschäftsführer.

b) Die Höhe des zu entrichtenden Betrages ist steuerrechtlich, nicht strafrechtlich zu

beurteilen, ist also nicht zwangsläufig mit dem Hinterziehungsbetrag identisch. So

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muss U im Fall 21 lediglich die 4.800,00 DM, also unter Berücksichtigung der

Vorsteuer, an Umsatzsteuer entrichten. Das Kompensationsverbot gilt steuerrechtlich

(also auch i. S. des § 371 AO) nicht, so dass der nachzuzahlende Betrag nicht mit dem

Hinterziehungsbetrag identisch ist. Dazu vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, 2. Auf.

2008, S. 187.

c) Er kann sich auch vom steuerlichen Haftungsbetrag unterscheiden. Nach § 71 AO

haften Täter und Teilnehmer einer Steuerhinterziehung (oder - Hehlerei) für die

verkürzten Steuern, die zu Unrecht gewährten Steuervorteile und für die

Hinterziehungszinsen (§ 235 AO).

d) Der Täter muss die zu seinen Gunsten hinterzogene Steuer innerhalb der ihm

bestimmten angemessenen Frist entrichten. Die Frist ist strafrechtlich, nicht

steuerrechtlich zu beurteilen. Die Fristsetzung ist nicht im Finanzrechtsweg anfechtbar

(keine Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 I FGO), so zutreffend BFH v. 17. 12.

1981,IV R 94/77, NJW 1982, 1720. Zuständig ist das jeweilige Verfolgungsorgan, im

strafrechtlichen Vorverfahren die Finanzbehörde, der die Ermittlungen obliegen, in

den Fällen des § 386 II AO (also im Fall der selbständigen Ermittlung) die

StraBuStelle der nach § 387 AO zuständigen Finanzbehörde, dazu OLG Karlsruhe

v. 22. 12. 2006, 3 Ss 129/06, wistra 2007, 159 mit Anm. Rolletschke StRR 2007, 74.

Fall 103:

LH, S. 86: A, B und C sind zu je 1/3 am Gewinn und Verlust und am Vermögen der

OHG beteiligt. A und B, die die Geschäfte führen, verkürzen gemeinsam 30.000,00

Umsatzsteuer 1997 der OHG. C weiß nichts davon. A und B erstatten Selbstanzeige.

Haftungsbetrag nach § 71 AO, § 128 HGB: 30.000,00 .

Nachzuentrichten nach § 371 III AO: A und B jeweils in Höhe von 10.000,00, denn dies

entspricht ihrem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Wenn A 10.000,00 zahlt, wird er

in vollem Umfang straffrei, haftet aber weiter für den Rest. Straffreiheit tritt auch dann ein,

wenn der Rest bei B und C nicht beizutreiben wäre.

Im Gegensatz zum Nachzahlungsbetrag ist die Zahlungsfrist strafrechtlich zu beurteilen,

d. h. sie wird von der für das Strafverfahren zuständigen Finanzbehörde gesetzt, nicht etwa

vom Veranlagungsbezirk. Wird allerdings die steuerrechtlich gesetzte Frist eingehalten,

tritt Straffreiheit ein. Wird sie nicht eingehalten, kommt es in der Praxis erst dann zur

strafrechtlichen Fristsetzung. Diese wiederum kann der Täter jedenfalls nicht über den

Finanzrechtsweg bekämpfen. Ob die Beschwerde nach § 304 StPO statthaft ist (so etwa

wenn die Frist nach Erhebung der Anklage durch ein Gericht gesetzt worden ist), halte ich

für überaus zweifelhaft, denn § 305 S. 1 StPO dürfte entgegenstehen. Denn die

Angemessenheit der Frist wird im Urteil geprüft: Der Strafrichter e n t s c h e i d e t , ob

die Frist angemessen war. Das ist eine materiellrechtliche Vorfrage bei der Prüfung des

Strafaufhebungsgrundes des § 371 AO. Allerdings dürfte das Gericht für die Fristsetzung

nicht zuständig sein, sondern vielmehr die Verfolgungsbehörde, also StA oder

Finanzbehörde, so dass § 305 StPO bei dieser Sicht ohnehin nicht einschlägig ist.

Anzeige zugunsten Dritter (§ 371 IV AO)

Fall 104:

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Vater V und Mutter M hinterziehen gemeinsam Einkommensteuer, indem sie Zinsen

nicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erklären. V stirbt und wird von Sohn S

allein beerbt. Dieser erkennt die Steuerhinterziehung. - S ist nach § 153 I 1 Nr. 1 S. 2

AO zur Berichtigungserklärung verpflichtet. Wirkt dies auch strafbefreiend für M?

Ablehnend OLG Stuttgart, wistra 1994, 190 gegen Samson wistra 1990, S. 245.

Das OLG Stuttgart orientiert sich zu streng am Wortlaut. Es spricht alles dafür, die

Strafaufhebung nicht nur zugunsten derjenigen durchgreifen zu lassen, die selbst nach § 153

AO verpflichtet sind, sondern auch denjenigen, die die ursprünglich unrichtige

Steuererklärung abgegeben haben.

Unter der heutigen Geltung des § 370 a S. 3 AO a. F. (wonach bei gewerbsmäßiger

Steuerhinterziehung die Selbstanzeige nicht zur Straflosigkeit, sondern nur zu einem minder

schweren Fall führt) war alles anders. Lesen Sie dazu Salditt, StraFo 2002, 181 und Joecks,

wistra 2002, 201. Die Versuchung war für die Verfolgungsbehörden groß, die Selbstanzeige

durch Rückgriff auf § 370 a AO zu torpedieren. Das LG Saarbrücken vom 10. 5. 2005, 5 Js

141/02, wistra 2005, 355, wehrt hier dankenswerterweise den Anfängen, indem es sagt, dass

bei mehreren in Tatmehrheit begangenen Verkürzungen die Beträge nicht zusammengezählt

werden dürfen, um ein "großes Ausmaß" i. S. von § 370 a AO zu erreichen. Nach

Abschaffung des § 370 a AO a. F. sind diese Fragen nicht mehr aktuell.

II. Bannbruch

1. Der einfache Bannbruch (§ 372 I AO)

Lit: Thoss, Abschied vom Bannbruch, 2004 mit Bespr. Wegner, wistra 2005, 134

a) Grundsätzliches

Bannbruch begeht, wer

- Gegenstände entgegen einem Verbot

- einführt, ausführt oder durchführt.

Gegenstände = körperliche bewegliche Sachen

Fall 105 - (BGH NJW 02, 1357):

Der Angeklagte kaufte echte irakische Dinar und führte sie in das Bundesgebiet ein.

Die EG-Verordnung Nr. 2465/96 untersagt die „Verbringung aller Rohstoffe und Erzeugnisse

mit Ursprung in oder Herkunft aus dem Irak in das Hoheitsgebiet der Gemeinschaft.― Damit

hätten wir also ein Verbot i. S. von § 372 I AO. Die Frage ist, ob echte Zahlungsmittel

„Erzeugnisse― i. S. dieser Vorschrift sind. Der BGH bejaht dies. Freilich stellt sich die

Strafbarkeit nach § 372 AO nicht, und zwar infolge der Subsidiaritätsklausel des Absatzes 2.

Die Tat wird nämlich nach § 34 IV Außenwirtschaftsgesetz (AWG) bestraft. Hiernach macht

sich strafbar, wer einer Vorschrift des AWG oder einem Rechtsakt der EG... zuwider handelt.

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Gegenstände i. S. des § 372 I AO ist auch Falschgeld. Die EuGH-Rechtsprechung, die BTM

und Falschgeld von Zoll- und Einfuhrumsatzsteuer ausnimmt, ist ohne Bedeutung für den

Bannbruch. Vgl. oben B I 6.

Einfuhr = Verbringen eines Gegenstandes aus einem fremden Gebiet in

das durch § 372 AO geschützte Gebiet (Banngebiet).

Durchfuhr = Verbringen eines Gegenstandes aus fremden Gebiet durch das

Banngebiet.

Ausfuhr = Verbringen eines Gegenstands aus dem Banngebiet in ein

anderes Gebiet (beispielsweise nach dem

Außenwirtschaftsgesetz oder dem Kriegswaffenkontrollgesetz).

Banngebiet = Ergibt sich aus dem das Blankett des § 372 AO ausfüllenden

Gesetz, ist insbesondere nicht zwingend identisch mit dem

„Zollgebiet―.

Beispiel: § 4 I Nr. 11 Fleischhygienegesetz verbietet das Verbringen von

Sachen aus Drittländern „in den Geltungsbereich des Gesetzes―

(sprich: „des Fleischhygienegesetzes―). Dann ist Banngebiet die

Bundesrepublik Deutschland, wozu auch Helgoland und

Büsingen gehören, obwohl diese vom Zollgebiet der

Gemeinschaft ausgeschlossen sind (Art. 3 I ZK), nicht dagegen

gehören dazu die österreichischen Gebiete von Jungholz und

Mittelberg (Klein- Walsertal), obwohl sie Zollgebiet der

Gemeinschaft sind (früher: Deutsches Zollanschlussgebiet).

Zur Bestimmung des Banngebiets muss also die Ausfüllungsnorm herangezogen werden.

Eine Auflistung findet sich in der Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung (VSF)

„Verbote und Beschränkungen― (VUB). Die Schutzgüter reichen von der öffentlichen

Ordnung, Umwelt, Gesundheit, Artenschutz (Tier- und Pflanzenwelt) bis hin zum Schutz des

geistigen Eigentums und des gewerblichen Rechtsschutzes („Rolexuhr― made in Taiwan);

Kulturgutes (Archive, Bibliotheken).

Die Verbote können auch aus dem StGB (oder anderen Strafgesetzen) geschlossen werden,

wie z. B. aus § 29 I Nr. 1 BetMG. Nach FGJ, § 372, TZ 6, hat der Gesetzgeber jedoch die

Rechtsfolgen derartiger Taten im StGB abschließend geregelt, so dass nicht zusätzliche

Bestrafung nach § 372 AO möglich ist.

b) Subsidiaritätsklausel (§ 372 II AO)

- Keine Bestrafung, wenn die Tat nach anderen Vorschriften mit Strafe oder

Geldbuße bedroht ist. Gilt auch für Owi-Tatbestände (Umkehrung von § 12 I

OwiG) - selbst wenn Verwaltungsbehörde von Ahndung absieht.

- Konkurrenz mit § 370 AO ist möglich, wenn zugleich Eingangsabgaben

hinterzogen sind.

c) Der Bannbruch ist Steuerstraftat (gekorene und geborene, vgl. o., Einleitung A IV).

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2. Gewerbsmäßiger Bannbruch (§ 373 II AO) und weitere Qualifikationen

Wassmann, ZfZ 2001, 31 und 141.

a) Der Tatbestand

Der Tatbestand des gewerbsmäßigen Bannbruchs, geregelt in § 373 I, 2. Begehungsform, AO,

ist nur anwendbar, wenn Bannbruch durch Zuwiderhandlungen gegen Monopolvorschriften

begangen wird, also gegen § 3 BrandwMonG, denn das Gesetz sagt:

„Wer gewerbsmäßig durch Zuwiderhandlungen gegen Monopolvorschriften

Bannbruch begeht ...―.

Abwandlung von BGH NJW 2002, 1357:

A hat sich dem irakischen Staat als „Wechselstube― angedient und führt, um sich eine

regelmäßige Einnahmequelle zu verschaffen, wiederholt irakische Dinar in das

Bundesgebiet ein.

A handelt gewerbsmäßig (wiederholte Begehung von Straftaten, um sich eine regelmäßige

Einnahmequelle zu verschaffen, BGH 1, 383; wistra 1987, 30; das Gesetz definiert den

Begriff der Gewerbsmäßigkeit nicht, vgl. FGJ, § 373 TZ 11).

A hat § 372 AO erfüllt (vgl. oben zu § 372 AO). Die Gewerbsmäßigkeit führt jedoch nicht zur

Qualifikation nach § 373 AO, da A nicht Monopolvorschriften, sondern nur die EG-

Verordnung verletzt hat. Wegen § 372 II AO verbleibt es bei der Strafbarkeit nach § 34 IV

AWG.

Gewerbsmäßiges Handeln kann im Rahmen der „anderen Vorschriften― i. S. des § 372 II AO

berücksichtigt werden, wenn diese es unter Strafschärfung stellen, so z. B. § 29 II Nr. 1 BtMG

(Regelbeispiel besonders schweren Falles unerlaubter Einfuhr, Durchfuhr i. S. von § 29 I Nr.

1 BtMG bei gewerbsmäßigem Handeln).

b) Gewaltsamer bzw. bandenmäßiger Bannbruch

A führt die irakischen Dinare ein, indem er sie über die deutsch-schweizer Grenze

trägt und dabei eine Pistole mit sich führt.

Strafbar nach § 373 II Nr. 1 AO.

Der Grundtatbestand ist erfüllt (s. o. zu § 372 AO).

Schließt § 372 II AO den § 373 II Nr. 1 AO aus?

Nein, die Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn das Verbotsgesetz i. S. von §

372 II AO die Tat erfasst (Bender TZ 96; FGJ § 372 TZ 94; BGHSt 25, 215; 25, 137:

Wird die Tat auf eine besonders gefährliche Weise oder gewerbsmäßig begangen, so

steht die Subsidiaritätsklausel der Anwendbarkeit der erhöhten Strafdrohung nicht

entgegen.). Die Subsidiaritätsklausel erfasst nur den Grundtatbestand. Die

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Strafvorschriften aus anderen Gesetzen erfassen nicht die Qualifikation. Würde man

die Subsidiaritätsklausel auch auf die Qualifikationen anwenden, bliebe eine

Strafbarkeitslücke. Wäre durch das Gesetz beabsichtigt, dass die Subsidiaritätsklausel

für alle Bannbruchvorschriften gilt, hätte die Klausel an das Ende der Vorschriften

gesetzt werden müssen.

Schutzzweck: Grenzbeamte zu schützen.

Läuft leer, wenn es sich um die Binnengrenze handelt, so könnte man jedenfalls meinen, weil

es an den Binnengrenzen keine Grenzbeamte (mehr) gibt. Das trifft aber nicht zu, denn

beispielsweise an der Grenze zu Luxemburg wird der Grenzverkehr durchaus überwacht,

wenn auch nicht aus zollrechtlichen, sondern aus steuerrechtlichen Gründen (Überwachung

des Geldverkehrs, denken Sie an den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § ).

Fall 106:

A führt BTM über die deutsch-niederländische Grenze ein und trägt Pistole bei sich.

Einfuhr = Verletzung der Verbotsnorm des BetmG.

Banngebiet = Bundesrepublik

Qualifiziert nach § 373 II Nr. 1 AO.

Abweichend: FGJ, § 373 TZ 6:

Die Qualifizierung soll nicht anzuwenden sein, wenn die spezielle

Verbotsnorm für erschwerende Umstände erhöhte Strafe androht, auch

wenn nicht genau die identischen Umstände erfasst werden. Es genügt

also irgendeine Qualifikation. So würde z. B. die gewerbsmäßige

Begehung nach § 29 III Nr. 1 BtmG die Anwendung des § 373 für

Begehung mit Schusswaffen ausschließen.

Der von Bender für die Gegenansicht angeführte Gesichtspunkt (Schutz des Zollbeamten)

greift zumindest für die Binnengrenzen nicht.

Rönnau, NStZ 2000, 513 (518):

Ein Tatbestand, der Elefanten, Bienen und Kakadus nur gemeinsam mit

Grenzbeamten schützt, dürfte nicht dem Stand der deutschen

Gesetzgebungskunst entsprechen. – Man kann es nicht schöner sagen.

III. Steuerhehlerei

Vortat des § 374 ist

- Hinterziehung von Verbrauchsteuer oder Zöllen;

- Bannbruch in der Qualifikationsform.

Daher die Pfeile links unten in der Zeichnung zu § 370 nach oben (allerdings nicht die

Steuerhinterziehung insgesamt betreffend, sondern nur Zoll- und Verbrauchsteuern); und nach

rechts zu § 373, dem qualifizierten Bannbruch. Dieser umfasst:

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- den gewaltsamen Schmuggel

- mit Schusswaffe,

- mit Waffe und „Absicht―,

- in Bandenform,

- die gewerbsmäßige Monopolverletzung.

Der einfache Bannbruch ist nicht Vortat von § 374 AO, deshalb führt kein Pfeil von § 374 AO

zu § 372 I AO. Der Bannbruch kann nur durch die Qualifikation nach § 373 AO zur Vortat

des § 374 AO werden.

Bild 51

Die Bedeutung des einfachen Bannbruchs als Strafvorschrift ist insofern gering, als die

Zuwiderhandlung gegen das Verbot in den meisten Fällen durch die besondere Straf- oder

Bußgeldbestimmung des Verbotsgesetzes erfasst wird und daher die Subsidiaritätsklausel des

§ 372 II AO greift. Praktisch findet sich die direkte Anwendung des § 372 I AO nur bei

Verstößen gegen das Brandweinmonopolgesetz, das keine eigene Strafdrohung für verbotene

Einfuhr enthält. Gleichwohl ist die Tat Steuerstraftat (gekorene) kraft § 369 I Nr. 2 AO.

Ob auch § 370 AO eine „andere Vorschrift― i. S. von § 372 II AO darstellt, ist fraglich, daher

das Fragezeichen unter dem Wort „subsidiär― beim gestrichelten Pfeil von § 372 II AO zu §

370 AO. Oben im Skript und in der Literatur, z. B. Bender, TZ 59 zu II und Kohlmann, §

369 TZ 16, ist gesagt, dass Bannbruch bereits nach §§ 370, 372 II AO natürliche (geborene)

Steuerstraftat sei. Das hat Bedeutung für die Frage, ob Selbstanzeige nach § 371 AO bei

§ 372 AO möglich ist. § 372 AO ist in § 371 AO nicht erwähnt, was zur Folge hätte, dass

beim Schmuggel die Selbstanzeige zwar die Steuerstraftat, nicht aber den Bannbruch straflos

machte. Wird dagegen § 370 AO als „andere Vorschrift― i. S. von § 372 II AO gesehen, wäre

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mit der Selbstanzeige auch der Bannbruch straflos, da dessen Strafbarkeit entfällt, wenn die

Tat nach der besonderen Vorschrift nicht geahndet wird. Diese Auslegung wäre praktisch,

allerdings vom Wortlaut her problematisch, da § 370 AO nicht die unerlaubte Einfuhr,

sondern die Hinterziehung von Steuern erfasst, so dass Bender und Kohlmann, obwohl sie

eingangs die §§ 370, 372 AO als natürliche Steuerstraftatbestände ansehen, an anderer Stelle

Tateinheit zwischen Bannbruch und Steuerhinterziehung annehmen.

Nur das Brandweinmonopolgesetz enthält keine eigene Strafdrohung, weshalb es direkt unter

dem Stichwort „Ausfüllung― erscheint mit rückverweisendem Pfeil auf § 372 AO. Für die

anderen Verbote gelten die in jenen Gesetzen enthaltenen Straftatbestände, wobei beispielhaft

das BTMG, das KWKG, das WaffG, das AWG angeführt sind. Enthalten sie selbst eine - wie

immer geartete - Qualifikation, ist § 373 AO ausgeschlossen, daher das Fragezeichen bei dem

Pfeil von VUB zu § 373 AO.

Soweit die Strafe den besonderen Vorschriften entnommen wird (VUB), ist § 372 AO

gekorene Steuerstraftat.

Sieht man die Dinge anders, wird der Tatbestand nach den VUB bei Qualifikation Vortat des

§ 374 AO.

Erwirbt also im obigen Fall, in dem A mit Schusswaffe BTM aus den Niederlanden in die

Bundesrepublik einführt, B die Ware, begeht er Steuerhehlerei - es sei denn, man folgt der

Auffassung von Joecks, wonach die eigene Qualifikation des § 29 I Nr. 1 BTMG die

Anwendung des § 373 AO ausschließt.

Auf jeden Fall können Ordnungswidrigkeiten durch die besondere Begehungsform des § 373

AO zu schweren Delikten werden und damit zur geeigneten Vortat für § 374 AO.

Allerdings kann § 374 AO durch die Einfügung der spezielleren Ordnungswidrigkeiten-

tatbestände ausgeschlossen sein, wie z. B. durch § 30 a Tabaksteuergesetz.

Fall 107 - (OLG Düsseldorf, wistra 2001, 157):

A hilft beim Absetzen von nicht mehr als 1000 Zigaretten.

Hier ist § 30 a Tabaksteuergesetz einschlägig. Der Erwerb von Tabakwaren im

Schwarzhandel von nicht mehr als 1000 Zigaretten ist bloße Ordnungswidrigkeit, so dass die

§§ 369 bis 374 AO nicht anzuwenden sind.

IV. Die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens

(§§ 26 b, c UStG)

Der Umsatzsteuersatz beträgt gegenwärtig 19 %. In Strafsachen ist – selbstverständlich – die zur Zeit der Tat

geltende Steuer bei der Berechnung der Verkürzung zugrundezulegen.

Motto: Der Krieg ist der Vater aller Dinge (Heraklit). Abgewandelt: Die Einführung

einer Steuer ist die Mutter ihrer Hinterziehung.

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Sie erinnern sich: Die Umsatzsteuer ist „Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug― (zum

Folgenden vgl. Tipke/Lang/Reiß, § 14; speziell zu r Hinterziehung von Umsatzsteuer

Harms/Jäger, NStZ 2004, 191 (192, zu 2); Jäger, NStZ 2205, 152.

Beispiel:

Unternehmer U 1 liefert an U 2 für 100,00 €. Der Umsatz ist mit 16 % Umsatzsteuer

belastet. U 1 stellt dem U 2 neben dem Kaufpreis die 16,00 € in Rechnung, d. h. er

weist die Umsatzsteuer „offen aus―.

U 1 führt, wenn es mit rechten Dingen zugeht, die 16,00 € an das Finanzamt ab. Für U 2 sind

die 16 € Vorsteuer i. S. von § 15 UStG. Er kann die Vorsteuer nach § 15 I Nr. 1 UStG

gegenüber dem Finanzamt als Vorsteuerbeträge „abziehen―. Selbst wenn er in dem

betreffenden Zeitabschnitt selbst keine Umsätze erzielt hat und dementsprechend keine eigene

Umsatzsteuer abführen muss, kann er die Vorsteuer vom Finanzamt erstattet verlangen. So

geht es dann weiter bis zum Endverbraucher, dem Kunden K. Dieser zahlt mit dem Kaufpreis

die Umsatzsteuer mit [(ob sie offen ausgewiesen ist oder nicht, ist dem K egal, denn er kann

ohnehin keinen Vorsteuerabzug geltend machen, weil er nicht Unternehmer (§ 15 UStG)

ist)]. Die Umsatzsteuer ist deshalb als Verbrauchsteuer konzipiert, auch wenn im UStG nicht

ausdrücklich steht „Achtung, dies ist eine Verbrauchsteuer!― (Tipke/Lang/Reiß, § 14, TZ 1).

Der Fiskus erzielt erst mit dem letzten Umsatz, d. h. mit der Lieferung an den

Endverbraucher, ein Umsatzsteueraufkommen, denn bis zu diesem gleichen sich alle USt-

Zahlungen mit den Vorsteueranmeldungen aus. Zugute kommt dem Fiskus per saldo daher

erst die USt, die aufgrund der Lieferung an den Endverbraucher anfällt. Hier führt der letzte

Lieferant die USt ab, und dem steht keine Vorsteuererstattung gegenber, weil der

Endverbraucher nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist.

Einer der Gründe, alle Phasen der Umsatzkette von U 1 über U 2 bis U n bis zum Kunden K -

und nicht nur die letzte Phase von U n bis zum Kunden - zu besteuern, beruhte unter anderem

auf der Erwägung des Finanzausschusses: Wer die Vorsteuer reklamiert, wird auch genötigt

sein, seine eigenen Umsätze richtig zu deklarieren, da durch Aufschläge auf die Vorumsätze

auf die Höhe der Umsätze geschlossen werden kann (vgl. den Nachweis bei

Tipke/Lang/Reiß, § 14, TZ 4). Letzteres ist im Prinzip richtig, aber eben nur im Prinzip,

denn „die Praxis― hilft sich, indem sie, wenn sie schon hinterzieht, für die Vorumsätze nur

insoweit Vorsteuer (und natürlich Betriebsausgaben) in Anspruch nimmt, als es sich Rahmen

der Richtsatzsammlungen hält (vgl. den oben erwähnten „Grillhähnchen-Fall―).

Die Regelung der Umsatzsteuer im Verkehr mit dem EG-Ausland wie im Europäischen

Binnenmarkt folgt dem Bestimmungslandprinzip. Das bedeutet, der Endverbraucher ist

nicht mit der Steuer des Ursprungslands, sondern mit der seines eigenen, des

Bestimmungslandes, zu belasten.

Der Exportumsatz, also die Lieferung in das EG-Ausland, ist steuerfrei (§§ 4 Nr. 1a, 6

UStG). Der Vorsteuerabzug bleibt dabei erhalten (§ 15 III UStG). Dadurch gelangt die

Lieferung unbelastet mit inländischer USt auf den Auslandsmarkt. Sie unterliegt dort der

ausländischen Einfuhrumsatzsteuer. Das entspricht der Regelung in § 1 I Nr. 4 UStG: die

Einfuhr unterliegt der (von den Zollbehörden verwalteten) Einfuhrumsatzsteuer. Während im

Inland ist nur die von einem Unternehmer ausgeführte Lieferung/Leistung steuerbar ist (§ 1 I

Nr. 1), kann einführen jedermann. Ist er Unternehmer, kann er die Einfuhrumsatzsteuer als

Vorsteuer geltend machen, ist er Endverbraucher, bleibt er auf ihr "sitzen", eine konsequente

Lösung, denn die USt soll ja im Ergebnis (als Verbrauchsteuer) vom Endverbraucher getragen

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werden. Wenn die Einfuhrumsatzsteuer vom Gesetz als Verbrauchsteuer bezeichnet wird (§§

1 I Nr.4, 21 I UStG), so heißt dies nicht, dass die Binnenumsatzsteuer materiell etwa keine

Verbrauchsteuer sei. Die ausdrückliche Einordnung der EUSt als Verbrauchsteuer "im Sinne

der Abgabenordnung" hat die "abgabentechnische Funktion", die Verwaltung dieser Steuerart

dem Zoll zuzuweisen, was im Hinblick auf die der Zollverwaltung zugeschriebenen anderen

Einfuhrabgaben sinnvoll ist. Vgl. o. die Ausführungen zu Bild 10.

Lieferungen innerhalb der Gemeinschaft sind ebenfalls von der USt befreit (§§ 4 Nr. 1 b,

6a UStG). Da – wie bei der Exportlieferung – der Vorsteuerabzug erhalten bleibt (§ 15 III Nr.

1 UStG), wird die Lieferung von der deutschen Umsatzsteuer entlastet. Damit korrespondiert

die Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland, so auch in Deutschland durch §§ 1 I Nr. 5,

1a ff. UStG). So wird das Ergebnis erzielt, dass der Endverbraucher nicht mit der (u. U.

höheren oder niedrigeren) USt des Ursprungs-EG-Landes, sondern mit der seines eigenen

belastet wird, das Bestimmungslandprinzip also (fast) verwirklicht. Die Einschränkung

deshalb, weil die Steuerbefreiung der Lieferung im Ursprungsland voraussetzt, dass der

Abnehmer im Bestimmungsland entweder juristische Person ist oder die Lieferung für sein

Unternehmern erwirbt und überdies der Vorgang der Erwerbsbesteuerung im

Bestimmungsland unterliegt (§ 6a UStG). Das Problem ist, dass diese Voraussetzungen vom

(in das andere Land des Binnenmarktes liefernden) Unternehmer buch- oder belegmäßig

nachgewiesen werden müssen (§ 6 a III UStG in Verb. mit § 17a ff. UStDV). Als Nachweis

kommt praktisch nur der Hinweis auf die dem Abnehmer in dem anderen Mitgliedstaat

verliehene Umsatzsteueridentifikationsnummer in Betracht. Hat der Lieferant das

Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG (Bestätigung durch das Bundesamt für Finanzen)

durchgeführt, genießt er nach § 6a IV UStG Vertrauensschutz (vgl. Tipke/Lang/Reiß, § 14

Tz. 21). Einige OFD sehen dies anders, indem sie dem Lieferanten das volle Risiko für die

Richtigkeit der Angaben nach § 6a UStG aufbürden, womit der Vertrauensschutz des § 6a IV

UStG praktisch leer läuft, dagegen mit Recht Hellmann, wistra 2005, 161; dazu DB, PStR

2005, 173.

„Die Praxis― hat sich das Prinzip der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer voll zu Eigen gemacht, ja

es sogar weiterentwickelt durch die „Karussellgeschäfte―39

, eine wahrhaft Heraklitsche

Erfindung.

Die Hinterzieher machen sich dabei die Allphasen-Besteuerung zu Nutze, d. h. sie ziehen den

Vorteil gerade aus dem Umstand, dass Umsatzsteuer immer dann anfällt, wenn die Ware den

Besitzer wechselt, dass dabei die Vorsteuer nicht nur gegengerechnet, sondern auch ohne

eigene umsatzsteuerbare Lieferung vom Finanzamt erstattet verlangt werden kann, dass der

Vorsteuerabzug nicht bei dem für den Leistenden zuständigen Finanzamt geltend gemacht

wird, also bei dem des U 1, sondern bei dem Finanzamt des U 2, nämlich bei demjenigen, der

die Lieferung und die die Umsatzsteuer offen ausweisende Rechnung erhält.

Wenn der Finanzausschuss die Konzeption der Umsatzsteuer als Allphasen-Umsatzsteuer

damit begründet, dass die Einzelhandelssteuer (also die Besteuerung nur der letzten Phase von

U n bis zum Endabnehmer K) „erhebliche Steuerhinterziehungsmöglichkeiten― eröffne, so hat

er die Kreativität der „Praxis― unterschätzt. Kein System ist so dicht, dass es

missbrauchssicher ist. Es ist wie beim Computer: Kein Firewall hält allen Viren stand - wenn

er nicht der jeweils jüngsten Bedrohung angepasst wird. Wie die Finanzverwaltung die

„Nettobesteuerung― täglich sicherstellt, d. h. also, wie sie bewirkt, dass tatsächlich beim Staat

etwas hereinkommt, nämlich per Saldo die letzte Phase der Umsatzsteuer - und dass nicht im

Gegenteil hierzu der Staat mehr Vorsteuern erstattet, als er in der Endphase an Umsatzsteuer 39 Zum Folgenden vgl. Kohlman, § 370 a, TZ 19.

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einnimmt -, erklärt in schöner Offenheit die Entscheidung des BGH vom 11. 7. 2002, 5 StR

516/01,NStZ 2002, 549 (550):

Das Umsatzsteuererhebungssystem sei „überwiegend auf Vertrauen aufgebaut... der

Steuerpflichtige errechnet seine Umsatzsteuerschuld selbst; er legt allenfalls die Rechnungen

vor. Eine Prüfung des hinter einer Rechnung stehenden Sachverhalts ist der Finanzbehörde im

Rahmen des Massengeschäftes, welches die Umsatzsteuererhebung darstellt, grundsätzlich

nicht möglich.―

Lit. zum Folgenden: Walter Tiedtke, UR 2004, 6 (Umsatzsteuerbetrug in Theorie und

Praxis); Hellmann, UR 2005, 161; Hentschel, wistra 2005, 371, empfiehlt zur Bekämpfung

des (grenzüberschreitenden) USt-Betrugs auch den Rückgriff auf Bußgeldbestimmungen wie

z. B. § 26 a UStG (der Verstöße gegen Formvorschriften u. a. Pflichten des Unternehmers

ahndet), § 379 II Nr. 1 in Verb. mit § 138 II AO, § 379 I Nr. 1 AO (die Verletzung von

Mitteilungspflichten im Zusammenhang mit Auslandsgründungen bzw. das Ausstellen

unrichtiger Belege sanktionieren). Vgl. auch Ott, Süddeutsche Zeitung vom 19. 10. 2005:

Keine Zeit für schwere Fälle (Umsatzsteuer-Kriminelle haben leichtes Spiel, weil viele

Ermittler und Gerichte komplizierte Verfahren scheuen).

Das machen sich die Hinterzieher zu Nutze, indem sie über Scheinfirmen europaweit

Lieferketten ohne tatsächliche Warenlieferung fingieren, um sich im Ursprungsland die

Umsatzsteuer erstatten zu lassen (Kohlmann, § 370 a TZ 19; Braun, PStR 2005, 58,

Kemper, PStR 2005, 143). Das System funktioniert wie folgt:

U 1 im Inland liefert an U 2 im EG-Ausland (der seinerseits der Erwerbsbesteuerung

analog dem deutschen § 1a UStG unterliegt) steuerfrei.

U 2 liefert an U 3 im Inland steuerfrei. Dieser unterliegt zwar der deutschen

Erwerbsbesteuerung nach § 1a UStG, bleibt aber wegen des gleichermaßen

bestehenden Vorsteuerabzugs im Ergebnis umsatzsteuermäßig nicht belastet.

U 3 liefert an U 1 im Inland und weist die Umsatzsteuer offen aus.

U 1 kassiert diese Umsatzsteuer als Vorsteuer.

Bevor - durch Prüfungen oder Kontrollmitteilungen - nachgehalten werden kann, ob U 3 an seinem

Wohnsitzfinanzamt die Umsatzsteuer gezahlt oder auch nur erklärt hat, ist U 3 vom Markt verschwunden. Man

nennt ihn deshalb den „missing trader―. Das System erlangt seine höchste Perfektion, wenn es sich nur auf dem Papier und keinerlei Ware bewegt. Das ist gleichsam die Abstraktion, d. h. die totale Vergeistigung des

Allphasen-Netto-Prinzips, welches sich in seiner virtuellen Vollendung zu einem „Einphasen-Plus-Prinzip―

(nämlich zu Gunsten des Hinterziehers) fortentwickelt hat.

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Bild 52

Diesen Umstand machen sich die „Kartellmitglieder― zu Nutze. Der virtuelle Austausch

könnte sich natürlich auch zwischen U 1 und U 3 vollziehen, wäre aber weniger genial, weil

erst die Lieferung über die Binnengrenze eine „handwerksgerechte― Verschleierung darstellt.

Der BGH hatte sich in mehreren Fällen mit derartigen Konstellationen zu befassen:

BGH vom 22. 5.2003, 5 StR 520/02, wistra 2003, 344: Unternehmer K kauft von (dem in

einem anderen Verfahren verfolgten) V elektronische Bauteile. V hatte diese umsatzsteuerfrei

-- vorfinanziert durch K -- aus einem anderen EG-Staat eingeführt. V stellt dem K USt in

Rechnung, führt aber – wie zwischen K und V abgesprochen -- selbst die Vorsteuer nicht ab.

Dem K kommt es darauf an, die Ware um den USt-Anteil zu "verbilligen". Die kassierte

Vorsteuer teilt sich K mit V.

Die Tatsacheninstanz hatte K (nur) wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des V erurteilt,

weil V keine USt-Voranmeldungen abgegeben hatte. Die StA erstrebte mit ihrer Revision die

Verurteilung wegen Mittäterschaft an der Steuerhinterziehung durch Unterlassen seitens V.

Das war rechtlich unhaltbar, weil K keine Erklärungspflicht hatte. Der BGH: Täter des

unechten Unterlassungsdelikts nach § 370 I Nr. 2 AO kann nur der sein, den die konkrete

Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung trifft.

Zum Problem des "Umsatzsteuerkarussells": Eine Beihilfe des K zur USt-hinterziehung

des V kommt nicht in Betracht, da die Handlung des V eine dem K zuzurechnende

Vorbereitungshandlung für seine eigene Steuerhinterziehung ist.

Der BGH sieht nämlich eine (täterschaftliche) Steuerhinterziehung des K darin, dass er die

Vorsteuer aus den Rechnungen des V geltend gemacht hatte. V war nur vorgeschobener

Strohmann. Rechtswirkungen des "Geschäfts" sollten gerade nicht zwischen K und V

eintreten. Vielmehr war V nur als Hilfsperson dem Lager desjenigen zuzurechnen, in dessen

Interesse er handelte, also des K. Er hatte keine Unternehmerstellung in der Lieferkette, denn

seine Aufgabe bestand nur darin, durch Hinterziehung der USt den Gewinn zu ermöglichen.

Dass K vorsätzlich handelte, war angesichts der Absprache zwischen K und V nicht

zweifelhaft.

Prozessuales Problem: Der BGH stellt den Schuldspruch um und verurteilt wegen

täterschaftlicher Steuerhinterziehung. Durfte er das? Ja, wenn diese Tat durch die Anklage

erfasst war. Der BGH bejaht dies, weil K wegen täterschaftlicher Steuerhinterziehung

angeklagt war. Der gesamte Komplex war also "die Tat" i. S. des § 264 StPO.

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BGH vom 16. 3. 2004, 5 StR 346/03, wistra 2004, 229 befasst sich mit der Strafbarkeit der

"in die Lieferwege" eines Umsatzsteuerkarussells rechnungsmäßig eingebundenen

Unternehmerin, ohne dass man erfährt, wie diese Einbindung konkret aussah. Jedenfalls

betrieben Scheinfirmen, zu denen offenbar auch die Angeklagte gehörte, tatsächlich keinen

Handel, sondern erstellten lediglich Rechnungen mit ausgewiesener Mehrwertsteuer (die sie

selbst nicht abführten), um anderen Unternehmern den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Die

Empfänger dieser Rechnungen beantragten zu Unrecht Vorsteuererstattung (insofern liegt die

gleiche Konstellation wie im vorangegangenen Fall in Bezug auf K vor). Die Angeklagte

wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung der andern Unternehmer und eigener

täterschaftlicher Steuerhinterziehung verurteilt, vermutlich wegen Nichtabgabe der

Vorsteueranmeldungen. Der BGH empfiehlt obiter, derartige Verfahren auf die

"täterschaftlichen Steuerhinterziehungen zu beschränken" und den Gesamtschaden lediglich

in Strafzumessungserwägungen einzubeziehen, "weil sich der Tatrichter damit nicht nur eine

im Einzelfall schwierige Abschichtung des jeweils eigenständigen Schuldumfangs der

miteinander verzahnten Taten, sondern auch zusätzliche Feststellungen zu den

Steuererklärungen der übrigen Beteiligten des `Umsatzsteuerkarussells´ erspart." Wie das

gehen soll, ist fraglich, denn wenn diese Dinge in Strafzumessungserwägungen berücksichtigt

werden sollen, müssen sie vorher ermittelt sein. Die Erwägungen gleichen denen zum Sinn

des Kompensationsverbots: auch hier soll der Strafrichter angeblich nicht den gesamten

Steuerfall aufrollen müssen, aber bei den Strafzumessungserwägungen spielt es dennoch eine

Rolle, wie hoch der wirkliche (d h. ohne Kompensationsverbot eingetretene) Steuerschaden

war.

Weitere Einzelheiten sind aus dem veröffentlichten Teil des Urteils nicht ersichtlich; es ging

um eine Revision der StA, die – erfolglos – die Verurteilung auch wegen Bildung einer

kriminellen Vereinigung erstrebte.

BGH vom 12. 5. 2005, 5 StR 36/05, wistra 2005, 308, betrifft die Strafbarkeit des

inländischen Lieferanten, der an Abnehmer in einem andern Mitgliedstaat liefert und diese

Lieferungen zu Unrecht als innergemeinschaftliche steuerfreie erklärt, obwohl er in

Absprache mit den ausländischen Vertragspartnern die Rechnungen auf in diesem

Mitgliedstaat ansässige Scheinunternehmer ausstellt. Tatsächlich ist die Lieferung nicht

steuerfrei, so dass Umsatzsteuer verkürzt ist (wobei es auf die im Urteil enthaltene

Feststellung, dass der Lieferant die ihm bei Ankauf der Ware im Inland in Rechnung gestellte

USt als Vorsteuer liquidierte, nicht ankommt, denn die Verkürzung lag nicht in der zu

Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuer, sondern in der Nichtabführung der USt für die

Auslandslieferung, die zu Unrecht als steuerfreie deklariert wurde).

Bemerkenswert ist, dass der BGH nicht auf die materielle Qualität der Auslandslieferung

abstellt, diese vielmehr dahinstehen lässt und die Versagung der Steuerfreiheit allein mit dem

Fehlen des buchmäßigen Nachweises begründet. Das mag steuerlich richtig sein. Der BGH

erläutert auch bei dieser Gelegenheit sehr einleuchtend die Funktion dieses Nachweises, der

dazu dient, dem andern Mitgliedsstaat die Durchsetzung des eigenen Umsatzsteueranspruchs

zu erleichtern und so die Neutralität des gemeinsamen Umsatzsteuersystems gewährleistet.

(dazu auch Dannecker, NWB Fach 13, S. 1013 und Tiedtke, UR 2004, 6).

Richtig ist auch, dass damit der inländische Lieferant nicht etwa wegen Hinterziehung

ausländischer USt des anderen Mitgliedstaates bestraft wird. – Hellmann, wistra 2005, 161

(162) weist zu Recht darauf hin, dass eine solche Bestrafung schon deshalb ausscheidet, weil

§ 370 VI AO (Verbürgung der Gegenseitigkeit, die in einer VO des BMF festgestellt werden

muss, vgl. o. im Skript A III) nicht gewahrt ist. -- Strafrechtlich greift diese Erwägung aber

m. E. zu kurz, weil der Täter ja den Steueranspruch kennen muss. Das Inkriminierende dieses

Verhaltens ist doch gerade, dass der inländische Unternehmer zwar in einen andern

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Mitgliedsstatt liefert, aber als Empfänger nicht den wirklichen, sondern Scheinunternehmer

benennt, um, wie im Urteil festgestellt, die USt in dem andern Mitgliedsstaat hinterziehen zu

helfen. Also kommt es doch auf den materiellen Gehalt dieser Lieferung, d. h. auf den

Strohmanncharakter des ausgewiesenen Empfängers an, so dass die Strafbarkeit nicht allein

mit dem fehlenden buchmäßigen Nachweis begründet werden kann. Das gilt umso mehr, als

der BGH betont, dass diese Geschäfte – im Gegensatz zu anderen Fallkonstellationen – nicht

"an sich steuerehrlich aufgebaut" sind. Daraus und nicht bloß aus dem Fehlen des

buchmäßigen Nachweises wäre die Verneinung der Steuerbefreiung herzuleiten gewesen. Der

materielle Gehalt der Lieferung konnte nicht dahinstehen, sondern war das Essentiale für die

Steuerverkürzung. Der Charakter als Scheingeschäft – und nicht bloß die Nichterfüllung von

Formalien des Nachweises -- schließt die Steuerbefreiung aus.

In BFH vom 29. 11. 2004, V B 78/04, bei Wegner, PStR 2005, 104, ging es um den

Vorsteuerabzug für einen Leistungsempfänger, wenn der Vorsteuerabzug aus

Lieferempfängen in "Umsatzsteuerkarussellen" geltend gemacht wird, in denen Waren nach

einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und ggf. an den Lieferungsempfänger

zurückgeliefert werden. Nach den Feststellungen der Fahndung hatte sich der

Lieferungsempfänger an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell beteiligt.

Der Unternehmer, der den VSt-Abzug geltend machte, war als sog "Buffer II" (Strohmann)

aufgetreten, hatte die Ware von einem anderen Buffer "Buffer I" bezogen und an andere an

dem Karussell beteiligte weitere Firmen verkauft. Es ging um den Antrag auf Aussetzung der

Vollziehung, genauer gesagt um die Frage, ob eine Sicherheitsleistung anzuordnen war (§ 69

II 3 FGO) und der BFH hielt es – mit Rücksicht auf zwei beim EuGH schwebende Vorlagen –

für zweifelhaft, ob diese Art der Betätigung "wirtschaftliche Tätigkeit" i. S. der EG-Richtlinie

77/388 (steuerbare Tätigkeit i. S. des UStG) darstellt. Jedenfalls war nach Auffassung des

BFH nicht mit großer Wahrscheinlichkeit ein Obsiegen der Antragstellerin im Hauptprozess

zu erwarten, so dass der BFH von einer Sicherheitsleistung nicht absah.

Der Gesetzgeber hat auf derartige Missbräuche, die aus dem Ineinandergreifen von

Umsatzsteuervoranmeldung und Vorsteuererstattung resultieren, mit der ihm eigenen

Schlagkraft reagiert, nämlich durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz.40

Bekämpfungsgesetze signalisieren Tatkraft und Effektivität, vor allem wenn im Rahmen des

Kampfes das Strafrecht eingesetzt wird, denn Strafrecht ist bekanntlich billig, weshalb unter

solchen Gesetzentwürfen zu stehen pflegt „Kosten: keine―.

Das StVBG hat (u. a.) die §§ 26 b und c in das Steuergesetz eingefügt.

Nach § 26 b UStG handelt ordnungswidrig, wer die in einer Rechnung ausgewiesene

Umsatzsteuer zu den in § 18 I 3 oder IV 1 oder 2 UStG genannten Fälligkeitszeitpunkt nicht

oder nicht vollständig entrichtet.

Nach § 26 c UStG macht sich strafbar, wer in den Fällen des § 26 b UStG gewerbsmäßig

oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Handlungen

verbunden hat, handelt.

Von diesen Vorschriften wird erfasst:

- nur die in Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer,

- nur die Nichtzahlung der angemeldeten Umsatzteuer. 40 Vom 28.12.2001, BGBl. I 2001, 3922.

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Vieles ist in diesem Zusammenhang streitig, vgl. Fahl, wistra 2002, 10.

Beispiele:

Der Pflichtige P erklärt Jahresumsätze von 120.000,00 € nicht.

- § 26 b, c UStG sind nicht verwirklicht, weil die Umsatzsteuer nicht fällig ist.

Die Jahresumsatzsteuer wird nämlich erst einen Monat nach dem Eingang der

Steueranmeldung fällig (§ 18 IV 1 UStG).

P gibt eine falsche (zu niedrige) Jahreserklärung ab und zahlt den erklärten Betrag.

- §§ 26 b, c UStG sind nicht verwirklicht, weil P zahlt.

- Wohl aber ist § 370 I Nr. 1 (oder, je nachdem, welcher Auffassung Sie folgen,

Nr. 2) AO verwirklicht, weil entweder unrichtige Angaben gemacht wurden

oder Angaben unterlassen wurden.

P zahlt nicht, den Teil, den er angemeldet hat:

- Bezüglich des erklärten Teils sind §§ 26 b, c UStG verwirklicht,

- bezüglich des nicht erklärten Teils ist § 370 AO verwirklicht.

Beide stehen in Realkonkurrenz.

Es ergeben sich keine „Überschneidungen―, der Fall bietet auslegungsmäßig keine Probleme.

Der Sachverhalt steht unter der Prämisse, dass P gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande

handelt. Anderenfalls ist nur der OWI-Tatbestand des § 26 b UStG verwirklicht.

Probleme bietet der folgende Fall:

P gibt die Umsatzteuervoranmeldung nicht ab. Unterstellen Sie, er handelt gewerbsmäßig.

Auf diesen Fall kommen wir später zurück. Wir müssen zunächst die gewerbsmäßige

Steuerhinterziehung besprechen.

§§ 26 b, c UStG stellen erstmals die Nichtzahlung der Steuer unter Strafe. Im Gegensatz

dazu haben wir bei § 370 AO stets betont, dass es bei dieser Vorschrift

- auf die Zahlung oder Nichtzahlung der Steuer gar nicht ankommt, weil es nur

um die Steuerverkürzung geht und die Verkürzung ein „technischer Begriff―

ist,

- dass ferner die Verkürzung allein nicht genügt, sondern dass diese durch

besondere Tatmodalitäten („Angaben machen―, „Angaben unterlassen―)

begangen sein muss.

Ein erster Schritt in dieser Richtung war bereits § 266 a StGB, wonach bestraft wird, wer

„Beiträge vorenthält―, d. h. wer Beiträge bei Fälligkeit nicht bezahlt. Die Kaffeesatzleser

könnten aus dieser Entwicklung einen „Trend― herauszulesen versuchen: Wann kommt die

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Zeit, die die §§ 26 b, c UStG auf alle Steuern erstreckt und damit „ganze Bibliotheken zu

Makulatur― macht?41

V. Die gewerbs- oder bandenmäßige Steuerhinterziehung (§ 370 a AO a. F. )

Der durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz (BGBl I, 3920) eingefügte

Verbrechenstatbestand der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung, § 370 a AO a. F., ist durch

das Telekommunikationsüberwachungsneuregelungsgesetz abgeschafft. Dieser Vorgang zeigt

wieder einmal mehr das Ephemere der heutigen, vor allem der (Straf-)gesetzgebung. Manche

Bestimmungen sind offenbar saisonbedingt und nur symbolisch. Verurteilungen nach § 370 a

AO a. F. sind nicht bekannt. Die Bestimmung war eine gesetzgeberische Missgeburt, und

der Gesetzgeber folgte mit der Abschaffung den Stimmen der Vernunft aus der Literatur.

Ergänzt ist § 370 AO in Abs. 5, dazu Wegner, PStR 2007. 240. Diejenigen Parlamentarier,

die – wie es üblich ist, fallbedingt -- nach einer Verschärfung der Steuerstrafgesetzgebung

rufen, scheinen vergessen zu haben, dass sie mit der Abschaffung des § 370 a AO gerade den

umgekehrten Weg eingeschlagen haben.

Lit.: Monika Harms, Kohlmann-Festschrift, 2003, S. 413. Die Verf. (jetzt

Generalbundesanwältin) war die Vorsitzende des (in Leipzig tagenden) 5. Strafsenats, der bis

zum 31. 5. 2008 für Steuerstrafsachen zuständig war. Ab 1. 6. 2008 ist dies der in Karlsruhe

tagende 1. Strafsenat (PStR 2008, 212). Zu den Änderungen durch das Gesetz zur

Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung pp. (schon der Name ist wieder ein

Monstrum) vgl. Bender, ZfZ 2008, 145.

Bild 53

Nach (der letzten Tagesform des) § 370 a AO a. F. wurde mit Freiheitsstrafe von einem Jahr

bis zu 10 Jahren bestraft, wer in den Fällen des § 370 AO

- 1. gewerbsmäßig oder

- 2. als Mitglied einer Bande die sich zur fortgesetzten Begehung solcher

Taten verbunden hat,

in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte

Steuervorteile erlangt. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei

Monaten bis zu fünf Jahren. Ein minder schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn die

Voraussetzungen des § 371 AO erfüllt sind.

Was „großes Ausmaß“ bedeutet, weiß niemand genau. Die Meinungen reichen von 50.000,00

bis 500.000,00 (so FGJ, § 370 a TZ 15). M. E. genügt dies Merkmal nicht dem

Bestimmtheitserfordernis des Art. 103 II GG (so auch Park, wistra 2003, 328 und Gast-de

Haan, DStR 2003, 12 ff., die darüber hinaus aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift

auch deren formelle Verfassungswidrigkeit herleitet, zum Problem ferner Langrock, wistra

2004, 241).

41 Zitat aus der - durchaus ernstgemeinten - Schrift Julius von Kirchmanns, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, zitiert nach dem Neudruck 1960, S. 25: „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers, und

ganze Bibliotheken werden zu Makulatur― .Und:„Die Juristen sind durch das positive Gesetz zu Würmern

geworden, die nur von dem faulen Holz leben; von dem gesunden sich abwendend, ist es nur das kranke, in dem

sie nisten und weben.― – Wie wahr, liefert uns doch der moderne Gesetzgeber reichen Vorrat an krankem Holz !

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Das LG Saarbrücken vom 10. 5. 2005, 5 Js 141/02, wistra 2005, 355, Bespr. durch Wulf,

PStR 2005, 249, sagt jedenfalls:

- unterhalb von 50.000 € kein großes Ausmaß,

- mehrere in Tatmehrheit verkürzte Beträge (in concreto: mehrere LSt-Hinterziehungen) sind

nicht zusammenzurechnen, um "großes Ausmaß" begründen zu können.

Das war eine Entscheidung über eine Eröffnung. Es lag wirksame Selbstanzeige vor, die nur

bei Annahme des § 370 a AO die Strafbarkeit nicht ausschloss (vgl. § 370 a S. 3 AO). Die

Verneinung von § 370 a AO führte dementsprechend zur Eröffnungsablehnung. Die

Entscheidung ist durch die Beschwerdeinstanz, Saarländisches OLG vom 9. 12. 2005, 1 Ws

101-103/05, wistra2006, 117, bestätigt worden.

Ähnlich schon BGH vom 28. 10. 2004, 5 StR 276/04, wistra 2005, 30 (31): nicht nur jeder

Besteuerungszeitraum, sondern auch jede Steuerart und (bei Beteilung Dritter: jede Tat eines

Steuerpflichtigen) sind gesondert als selbständige Taten i. S. von § 53 StGB zu prüfen. Das

gilt auch für die Steuerhinterziehung durch Unterlassen und hat zur Folge, dass nicht etwa in

einer "Gesamtschau" die Steuerverkürzungsbeträge zusammengerechnet werden dürfen, um

damit etwa das "große Ausmaß" i. Sinne von § 370 a AO zu bejahen. (Auch hier wieder ein

Fall, in dem der Tatrichter § 370 a AO anwandte, der BGH aber die

Verfassungsmäßigkeitsfrage durch Verneinung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen

dieser Vorschrift vermied).

Am Strafmaß sehen Sie, dass der Tatbestand Verbrechen ist.

Wenn Sie die unterschiedlichen Strafmaße vergleichen, ergibt sich zunächst folgende Tabelle:

Tabelle 1:

§ 370 AO bis 5 Jahre

§ 370 a AO 1 Jahr bis 10 Jahre

Nun enthält aber § 370 AO nach der Regelbeispielstechnik in Absatz 3 besonders schwere

Fälle und § 370 a AO im letzten Satz minderschwere Fälle. Diese minderschweren Fälle

rücken im Strafmaß unter die besonders schweren Fälle des § 370 AO. Damit ergibt sich

Tabelle 2:

§ 370 AO bis 5 Jahre

§ 370 a S. 2 AO 3 Monate bis 5 Jahre

§ 370 III AO 6 Monate bis 10 Jahre

§ 370 a AO 1 Jahr bis 10 Jahre

Nun haben wir auch den gewerbsmäßigen Bannbruch (§ 373 AO) kennen gelernt und können

ebenfalls die §§ 26 b, c UStG in die Tabelle einordnen, so dass sich Tabelle 3 ergibt:

Tabelle 3:

§ 370 AO,

§§ 26 b, c, UStG bis 5 Jahre

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§ 370 a S. 2 AO,

§ 373 AO 3 Monate bis 5 Jahre (minder schwerer Fall der

gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung)

§ 370 III AO 6 Monate bis 10 Jahre (besonders schwerer Fall

der einfachen Steuerhinterziehung)

§ 370 a AO 1 Jahr bis 10 Jahre

Sie sehen also: Die Straftatbestände des UStG knüpfen im Strafmaß an § 370 AO an. Die

(gewerbs- oder bandenmäßige) Nichtzahlung von Umsatzsteuer wird also mit der Verkürzung

der übrigen Steuern „harmonisiert“.

Minder schwere Fälle der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung stehen auf einer Stufe mit

dem gewerbsmäßigen Bannbruch, wobei man sich fragt, warum dann die gewerbsmäßige

Steuerhinterziehung (§ 370 a AO), sozusagen ein „Bürokratendelikt“, härter bestraft wird als

der bandenmäßige Schmuggel des § 373 AO.

Allein auf weiter Flur steht das Strafmaß der besonders schweren Fälle der (einfachen)

Steuerhinterziehung des § 370 III AO.

Die minder schweren Fälle des § 370 a AO, der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung, rücken

vor die besonders schweren Fälle des § 370 AO, also der einfachen Steuerhinterziehung. Sie

dürfen dann vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen, ob es sich um einen besonders

schweren Fall der einfachen Steuerhinterziehung oder um einen minderschweren Fall der

„schweren“ Steuerhinterziehung des § 370 a AO handelt. Bei der Festlegung des Strafmaßes

wird der Tatrichter gut daran tun, sich gleichsam eine „Strafmaßtabelle“ nach dem Vorbild

der Einkommensteuertabelle zu zeichnen, um sich in diesem Gestrüpp der

Strafmaßbestimmungen zurechtzufinden.

Beachten Sie:

Die Regelbeispielstechnik lässt den Deliktscharakter unberührt. Die einfache

Steuerhinterziehung bleibt Vergehen, obwohl sie höher bestraft wird als der minder schwere

Fall der „schweren“ Steuerhinterziehung; der minder schwere Fall der „schweren“

Steuerhinterziehung bleibt Verbrechen, obwohl er minder bestraft wird als die schwere Form

der einfachen Steuerhinterziehung. Passen Sie auf, dass Sie sich bei der Strafmaßberechnung

nicht im Wortdickicht verhaspeln (minder schwerer Fall der schweren Steuerhinterziehung,

schwerer Fall der einfachen Steuerhinterziehung), etwa nach der Methode „how much wood

would a woodchuck chuck if a woodchuck would chuck wood?“

Im übrigen:

Bandenmäßige Begehung ist nicht gleich bandenmäßige Begehung, denn bei § 373 II Nr. 3

AO muss ein Mitglied der Bande die Tat ausführen. Bei § 370 a AO ist das nicht notwendig.

Wir Juristen sind dem Gesetzgeber dankbar für diese Neuerungen, denn es ergeben sich viele

Zweifelsfragen, die der Gesetzgeber in weiser Voraussicht offengelassen hat, damit sie in

Aufsätzen und Kommentaren „ausgebreitet“ und letztlich durch die Rechtsprechung

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entschieden werden. Dass dies alles auf Kosten der Betroffenen geschieht, die u. U. mit einem

nicht gerechtfertigten Ermittlungsverfahren überzogen werden, interessiert niemanden.42

VI. Konkurrenzen und Überschneidungen

Das Beziehungsgeflecht ergibt sich aus der nachstehenden Übersicht:

Bild 54

42 Lesen Sie die 1966 erschienene Streitschrift des damaligen LG-Rats, späteren OLG-Rats beim OLG Köln,

Rasehorn, (unter Pseudonym verfasst): Xaver Berra, Im Paragraphenturm, insbes. S. 110 ff.

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1. Das Verhältnis zwischen § 370 a AO und § 373 AO

a) Gewerbsmäßige Begehung

Bild 55

Der bandenmäßige Schmuggel und die bandenmäßige Steuerhinterziehung (§ 373 bzw. § 370

a AO) unterscheiden sich wie oben ausgeführt.

Sie haben aber eine gemeinsame Schnittmenge, nämlich Gewerbsmäßigkeit. Liegt

Gewerbsmäßigkeit vor, dann muss zu § 370 a AO noch das „große Ausmaß“ hinzukommen.

Nun kann es aber Fälle geben, in denen jemand gewerbsmäßig und in großem Ausmaß

Einfuhrabgaben hinterzieht, so dass die Frage entsteht, ob dies unter § 373 AO oder unter §

370 a AO oder unter beide Tatbestände fällt.

Ich erinnere an den von Bender gebildeten oben wiedergegebenen Fall :

A hinterzieht gewerbsmäßig in großem Ausmaß Zoll, EUSt und Tabaksteuer, B

Tabaksteuer. Der eine schmuggelt über die Grenze, der andere aus dem

Herstellungsbetrieb.

Vor Einführung des § 370 a AO hatten wir die Ungleichbehandlung in Form der

Besserstellung des „Inlandschmugglers“ beklagt. Nach Einführung des § 370 a AO ist das

Prinzip der Ungleichbehandlung geblieben, nur dass das Strafmaß für den

„Inlandschmuggler“ höher ist als das für den Schmuggler über die Grenze.

Wie ist das Problem zu lösen?

- Einerseits können Sie sagen, die Hinterziehung von Einfuhrabgaben ist

gegenüber der Hinterziehung von Binnenabgaben privilegiert, so dass der

Schmuggler nach § 373 AO, der Hinterzieher von Binnensteuern, qua

Qualifizierung, nach § 370 a AO bestraft wird. Begründet würde dies mit der

„Spezialität“ des § 373 AO gegenüber § 370 a AO.

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Überzeugend ist dies nicht, vor allem, wenn man im Beispielsfall bedenkt, dass der

„Binnenschmuggler aus dem Herstellungsbetrieb“ nur die Tabaksteuer, der Hinterzieher von

Einfuhrabgaben aber außer der Tabaksteuer auch noch EUSt und Zoll hinterzieht.

- Sie könnten andererseits sagen, lex posterior derogat legi anteriori. Die

jüngste Vorschrift ist die des § 370 a AO. Wer also Einfuhrabgaben

gewerbsmäßig verkürzt, wird nach § 373 I Nr. 3 AO bestraft, wer darüber

hinaus in großem Ausmaß steuern verkürzt, auch Einfuhrabgaben, wird nach

§ 370 a AO bestraft. Diese Argumentation böte den Vorzug einer gewissen

Schlüssigkeit, wenn auch nicht vollständiger Überzeugungskraft.

Sie mögen sich vielleicht damit trösten, dass die Verkürzung von Eingangsabgaben in großem

Ausmaß selten vorkommen wird, vor allem deshalb, weil nach Aufgabe des Instituts des

Fortsetzungszusammenhangs mehrere „Grenzgänge“ nicht zusammengerechnet werden

dürfen, selbst wenn sie mit Gesamtvorsatz vorgenommen wurden. Vorab fragt man sich

allerdings, was „großes Ausmaß“ bedeutet. Einige Autoren legen jedenfalls bei Besitz- und

Verkehrsteuern Beträge fest.43

Sie könnten sagen, bei Einfuhrabgaben sieht alles anders aus.

Wer sich hier ein Kartell aufbaut mit einer „Holding“, die alles steuert, die einzelnen

Grenzgänger leitet und für den Absatz sorgt, hinterzieht schon deshalb „in großem Ausmaß“,

weil er entsprechende kriminelle Energie entfaltet. Gleiche Erwägungen würden aber

beispielsweise für die Umsatzsteuer gelten, wenn die Holding ein Umsatzsteuerkarussell

dirigiert.

b) Bandenmäßige Begehung

Fall 108:

A, B und C betreiben bandenmäßig den Zigarettenschmuggel über die Außengrenze.

Sie planen und organisieren gemeinsam. Die Grenzgänge macht jeder für sich allein.

§ 373 II Nr. 3 AO ist nicht erfüllt, da ein anderes Bandenmitglied nicht mitwirkt.

§ 370 a AO wäre erfüllt (vorausgesetzt, es wird „in großem Ausmaß“ hinterzogen).

Fall 109:

Wie Fall 112, nur das A, B und C Zigaretten-„Schmuggel“ aus der Zigarettenfabrik

betreiben.

Hier genügt, daß jeder die Gänge aus dem Herstellungsbetrieb selbst unternimmt, sie aber

bandenmäßig zusammenwirken. Es muss nicht an jedem Außengang ein anderes Mitglied der

Bande mitwirken.

Mit Bender wird das Verhältnis der Bestimmungen wie folgt zu sehen sein44

: Hinterziehung

von Einfuhrabgaben fällt unter § 370 AO, die gewerbsmäßige oder bandenmäßige unter

Mitwirkung eines weiteren Bandenmitgliedes unter § 373 AO, bei großem Ausmaß unter §

370 a AO. Wir haben also eine dreistufige Qualifizierung. Ganz unproblematisch ist dies

43 Nachweise bei Kohlmann, § 370 a, TZ 12, 50.000,00 €; 150.000,00 €. 44 Bender, ZfZ 2002, 366 (368).

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nicht, denn § 370 a AO verweist nur auf § 370 AO, nicht auf § 373 AO. Wenn aber letzterer

eine Qualifizierung von § 370 AO ist, dann können Sie die Verweisungskette damit schließen.

BGH vom 19. 6. 2003, 5 StR 160/03, wistra 2003, 389, sieht § 373 AO gegenüber der alten

Fassung des § 370 a AO als die speziellere Norm an. Diese Ansicht beruht darauf, dass die

frühere Fassung des § 370 a AO das Merkmal „großes Ausmaß“ noch nicht enthielt. Es

standen sich nur die Tatbestände der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Einfuhr- einerseits

und von Binnenabgaben andererseits gegenüber. Deshalb war zweifelsfrei § 373 AO die

speziellere Norm. Ob das auch im Verhältnis zum neugefassten § 370 a AO gilt, lässt der

BGH offen. Angesichts der Hinzufügung des neuen Merkmals „großes Ausmaß“ wird man

hier jedoch eine Stufung vornehmen müssen, wie auch Bender sie vorschlägt (vgl. oben). Die

Klugheit des 5. Strafsenats hat § 370 a AO (a. F.) vor der Feuerprobe bewahrt; hätte nämlich

der BGH nicht § 373 als lex specialis angesehen, hätte er zur Frage der

Verfassungsmäßigkeit Stellung beziehen müssen. So konnte er diese dahinstehen lassen.

BGH vom 22.7.2004, 5 StR 85/04, hat nun die Verfassungsmäßigkeit des § 370 a AO verneint,

aber die Vorlage an das BVerfG vermieden, indem er einfach die Strafverfolgung gemäß §

154 a StPO auf den durch die Tat verwirklichten (und sonst hinter § 370 a AO

zurücktretenden) § 370 I Nr. 1 AO beschränkt hat, ein recht eigenartiges Verfahren, zur

Kritik vgl. Jäger / Birke, PStR 2004, 204 ff.

BGH vom 12.1.2005, 5 StR 271/04, wistra 2005, 145: Anwendung des § 370 a AO auf USt-

Hinterziehung nur, wenn der gesamte zu beurteilende Besteuerungszeitraum von der

Verbrechensnorm erfaßt wird, nicht nur die noch ausstehende Jahreserklärung.

BGH vom 11.1.2005, 5 StR 510/04, wistra 2005, 147: Teilnahme an dem Delikt des § 370 a

AO, wenn nicht nur die Haupttat, sondern auch die Teilnahmehandlung nach Inkrafttreten

des § 370 a AO begangen wurde.

Hentschel, wistra 2005, 371 (372), meint, zur Vermeidung einer sicheren Revision werde

kaum noch ein Staatsanwalt oder Richter § 370 a AO anwenden.

2. Das Verhältnis der §§ 26 b, c UStG zu § 370 AO

Das Verhältnis von § 370 AO zu § 370 a AO:

Aus der Entstehungsgeschichte sucht Wegner45

herzuleiten, dass § 370 a AO teleologisch zu

reduzieren und nur auf die (gewerbs- oder bandenmäßige) Hinterziehung von Umsatzsteuer

anwendbar ist. Die These ist schlüssig begründet, überzeugt aber angesichts des eindeutigen

Wortlauts des § 370 a AO wohl nicht, vor allem, weil niemand genau nachvollziehen kann,

wodurch sich diese Bestimmung in die einzelnen Entwürfe „eingeschlichen“ hat. Die

Urgewalten des Gesetzgebungsverfahrens haben gleichsam mitten in der See die Insel des §

370 a AO durch Eruption entstehen lassen. Dieses durch Naturereignisse des

Gesetzgebungsverfahrens entstandene Neuland ist noch unbewohnt, so dass nichts anderes

übrig bleibt, als es anhand seines Urgesteins, d. h. anhand des Wortlauts, auszulegen.

45 wistra 2002, 205.

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§ 370 a AO muss als Qualifizierung des § 370 AO angesehen werden, und zwar für alle

Steuerarten, auch für die Einfuhrabgaben, so dass sich folgendes Bild ergibt:

Bild 56

Das entspricht der oben wiedergegebenen Benderschen Auffassung: Hinterziehung von

Binnen- und Einfuhrabgaben fällt unter § 370 AO, Hinterziehung von Einfuhrabgaben,

banden- oder gewerbsmäßig (unter Mitwirkung eines Bandenmitglieds) betrieben, unter §

373 AO, werden Einfuhrabgaben und Binnenabgaben in großem Ausmaß hinterzogen, wird

dies durch § 370 a AO erfasst.

Die Frage, warum Einfuhrabgaben im Verhältnis zu Binnenabgaben anders behandelt

werden, bleibt. Wird nicht in „großem Ausmaß“ hinterzogen, bleibt es bei der

Ungleichbehandlung wie oben unter B 1 (Fall 7) geschildert.

Zum Verhältnis der §§ 26 b, c UStG zu §§ 370, 370 a AO näher Joecks, §§ 26 b, c UStG, TZ

6:

§§ 26 b, c UStG betreffen nur die in Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer, aber

auch nur, soweit fällig. Daher ist zwischen der Voranmeldungssteuer (die mit

Fristablauf fällig wird) und der Jahressteuer, die zur Fälligkeit die Erklärung

voraussetzt, zu unterscheiden.

§§ 26 b, c UStG sollen Lücken schließen, erfassen also a priori nicht die angemeldete

Steuer (teleologische Reduktion).

3. § 370 a AO und § 371 AO

Im Verhältnis zur (einfachen) Steuerhinterziehung des § 370 AO eröffnet § 371 AO einen

persönlichen Strafausschließungsgrund. Im Gegensatz hierzu wirkt die Selbstanzeige im

Verhältnis zu § 370 a AO nur als persönlicher Strafmilderungsgrund. Zu der letzteren

Regelung vgl. die Ausführungen von Seer, BB 2002, 1677 (1679):

„Die Bundessteuerberaterkammer zeigt sich nun „erleichtert“ über den

Kompromissvorschlag und meint, die Selbstanzeige sei „jetzt möglich“. Worauf sich

diese Begeisterung gründet, bleibt mir unerklärlich. ... In den Fällen des § 370 a AO

wird eine strafbefreiende Selbstanzeige i. S. des § 371 AO also keineswegs wieder

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„möglich“ sein. Vielmehr mutiert der bisherige persönliche Strafaufhebungsgrund

hier plötzlich zu einem persönlichen Strafmilderungsgrund. Welche sonstigen „minder

schweren Fälle“ es außerdem noch geben kann, bleibt völlig im Dunkeln. Zeigt sich

der gewerbsmäßige Steuerhinterzieher selbst an, fällt die Strafbarkeit der dritten Stufe

also auf ein Niveau, das zwischen der ersten und zweiten Stufe liegt. Der dreistufige

Sanktionsaufbau wird damit um eine bewegliche vierte Stufe ergänzt. Ob dies mit den

rechtsstaatlichen Grundsätzen der Vorherseh- und Kalkulierbarkeit des Rechts

vereinbar ist, erscheint mir sehr fraglich.“

4. Auswirkungen auf § 261 StGB

Zum "Herrühren" vgl. Petropoulos, wistra 2007, 241

Nach § 261 StGB wird bestraft, wer einen Gegenstand, der aus einer in dieser Vorschrift

genannten rechtswidrigen Tat herrührt, u. a. sich oder einem Dritten verschafft.

Der Straftatbestand gehört zu den Edelzüchtungen moderner Gesetzgebungskunst. Allein der

Wortlaut benötigt im Tröndle/Fischer fast zwei volle Seiten. Zu den Vortaten gehört - qua

Qualifikation als Verbrechen - auch § 370 a AO. „Gegenstand“ i. S. des § 261 StGB sind im

Fall des § 370 a AO die durch die Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen (das von

Bittmann, wistra 2003, 161, so bezeichnete „gegenständliche Nichts“ als geldwäsche-

relevante Infektionsquelle) und unrechtmäßig erlangten Steuererstattungen und -vergütungen.

Im Fall des § 373 AO und des § 374 AO gilt dies „auch für einen Gegenstand, hinsichtlich

dessen Abgaben hinterzogen worden sind.“ Die jetzige Luxusfassung wollte vermeiden, dass

durch die gewerbsmäßige Steuerhinterziehung bzw. durch Erfüllung der beiden anderen

Tatbestandsmerkmale das gesamte Vermögen „kontaminiert“ wird.

Hierzu das Beispiel von Kohlmann (§ 370 a, TZ 37):

S hat über Jahre hinweg Dividenden aus Aktien und Mieteinnahmen in seinen

Einkommensteuererklärungen nicht angegeben. Außerdem hat er jahrelang bezüglich

mehrerer Grundstücke eine zu niedrige Grundsteuerfestsetzung bewirkt. Dabei wurden

Steuern in Höhe von jeweils 20.000,00 € hinterzogen. Sind die Aktien, das Mietobjekt

und die Grundstücke „Gegenstände“ i. S. des § 261 I 3 StGB? Gilt das auch dann,

wenn ihr jeweiliger Wert weit höher als die Verkürzungsbeträge liegt?

Damit wäre die Veräußerung dieser Werte für S letztlich blockiert. Sie würden

„unveräußerlich“.

Literatur zu Kapitel VI:

Komprimiert und eindrucksvoll die Kommentierung von Kohlmann zu § 370 a AO; zu dem

letzten Stand des § 370 a AO a. F. (auch Verhältnis zu §§ 26 a, b, c UStG): Fahl, wistra

2002, 10; zur Entwicklungsgeschichte insbesondere Seer, BB 2002, 1677. Die

Gesetzgebungsmaschine wirft ihre Produkte aus, wie die Couturiers ihre jahreszeitliche Mode

auf den Markt bringen. Die Aufsätze können mit der Tagesform des jeweiligen Machwerks

nicht mithalten. So erörtert Bender „Neuigkeiten für die Zollverwaltung in ZfZ 2002, 146“,

die aber schon im gleichen Jahrgang, nämlich ZfZ 2002, 366 ff. (als nicht geplanter Teil 2)

neu dargestellt werden müssen, weil inzwischen § 370 a AO neu geklont wurde.

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Die Entstehungsgeschichte dieser gesetzgeberischen Kreationen können Sie nachlesen in:

Joecks, wistra 2002, 101; derselbe, DStR 2001, 2184; Rüping, DStR 1001, 1417; derselbe,

FAZ vom 25.05.2002; Küffner, DStR-aktuell, Nr. 30/2002, S. 8; Salditt, StV 2002, 214. Ein

vollständiges Literaturverzeichnis finden Sie bei Kohlmann und HH- Hellmann, jeweils zu §

370 a AO und bei FGJ zu § 370 a AO.

Andrej Klein, StV 2005, 459 (eine Diskussion ohne Ende?); Lorenz Schulz, ZIS 2006, 499

(508 ff.).

D. Verfahren

Literatur: Putzke/Scheinfeld, Strafprozeßrecht, 2005 (orientiert sich am Ablauf des

Verfahrens, zur Auffrischung der Kenntnisse im Strafprozeßrecht besonders geeignet)

§ 385 I AO entspricht für das Verfahren der materiellrechtlichen Regelung des § 365 II AO:

Es gelten die allgemeinen Grundsätze über das Strafverfahren.

I. Der Gang des Strafverfahrens

Bild 57

Die obige Zeichnung sieht aus wie ein Schaltplan. Sie ist auch einer, denn wenn Sie im

Strafverfahren tätig sind, müssen Sie die „Schaltung― kennen, sonst „wursteln― Sie, „löten― an

der falschen Stelle und erreichen allenfalls einen Kurzschluss oder zerstören das Ganze.

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Rechts im Bild mit den zwei senkrechten Strichen bezeichnet, der „Kondensator―, der Dreh-

und Angelpunkt des Verfahrens, die Eröffnung. Dahinter liegt das Hauptverfahren, davor das

Zwischen- und Vorverfahren.

Im einzelnen:

1. Das Ermittlungs- oder Vorverfahren

Sofern „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte― für eine „verfolgbare Straftat― vorliegen, hat die

Staatsanwaltschaft den Sachverhalt zu erforschen (§§ 152 II, 160 I StPO). Das Ermittlungsverfahren setzt den in

§ 152 II StPO umschriebenen Anfangsverdacht voraus und dient der Erforschung des Sachverhalts. Bild 58

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245

Der Anfangsverdacht muss in konkreten Tatsachen bestehen. Bloße Vermutungen reichen

nicht aus.

BFH vom 15. 6. 2001, VII B 11/00, wistra 2002, 27, und BVerfG vom 1. 3. 2002, 2 BvR

972/00, wistra 2002, 298, bejahen den Anfangsverdacht einer Steuerstraftat, wenn der

Kunde einer Bank, obwohl er bei dieser Konten und Depots unterhält, Tafelgeschäfte durch

Bareinzahlungen und -abhebungen durchführt.

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Bloße Inhaberschaft von Tafelpapieren allein begründet noch keinen Anfangsverdacht,

allerdings ist dieser gegeben, wenn die „gezielte Anonymisierung― hinzukommt.

Wieso entscheidet der BFH über einen strafverfahrensrechtlichen Begriff, das wäre doch

Sache der ordentlichen Gerichte, oder?

Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Frage des Anfangsverdachts inzidenter für die

Ermittlungskompetenz der Fahndung im Rahmen von § 208 I 1 Nr. 2 AO Voraussetzung.

Besteht ein Anfangsverdacht oder hat er bestanden, so gilt § 208 I Nr. 1 AO, d. h. dann durfte

die Fahndung ermitteln („Erforschung von Steuerstraftaten... usw.―). Ist das der Fall, dann

darf sie „in den in Nr. 1 bezeichneten Fällen― die Besteuerungsgrundlagen auch dann

ermitteln, wenn der strafrechtlichen Verfolgung Verfahrenshindernisse entgegenstehen (z. B.

Verjährung). Zur Kritik dieser Rechtsprechung vgl. D II 4.

In der Zeichnung sehen Sie zwischen den Stufen „bloße Vermutung― und „Anfangsverdacht―

eine weitere Stufe, die allerdings mit dem Strafverfahren - jedenfalls nach h. M. - nichts zu

tun hat. Es ist die Stufe „hinreichender Anlass― zum Tätigwerden der Steufa nach § 208 I 1

Nr. 3 AO (Aufklärung unbekannter Steuerfälle). BFH vom 28. 10. 1997, VII B 40/97,wistra

1998, 110, sieht in der Bestimmung eine Ermächtigung der Steufa zur Tätigkeit im

Besteuerungsverfahren, verlangt aber dazu konkrete Anhaltspunkte (die sich aus der

Besonderheit des Objekts, der Höhe des Wertes oder aufgrund allgemeiner Erfahrung ergeben

können) für die Möglichkeit einer Steuerverkürzung. Ermittlungen ins Blaue hinein,

Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen werden für unzulässig gehalten.

Hellmann, der § 208 I 1 Nr. 3 AO dem Strafverfahren (nicht dem Besteuerungsverfahren)

zuordnet, setzt den „hinreichenden Anlass― mit dem Anfangsverdacht gleich.

Das Ermittlungsverfahren kommt in Gang

a) durch Strafanzeige

= Mitteilung des Verdachts einer strafbaren Handlung = Anregung, es möge geprüft

werden, ob Anlass zur Verfolgung besteht.

Bild 59

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statt "Hilfsbeamte" jetzt "Ermittlungspersonen der StA"

§ 158 I StPO: Strafanzeige und Strafantrag können erstattet/gestellt werden

bei:

StA Polizei Amtsgericht

ergänzend bestimmt § 386 I AO: Bei dem Verdacht einer Steuerstraftat

ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt, also können

Anzeigen auch bei dieser erstattet werden.

§ 386 I AO:

Die Finanzbehörde

Finanzamt Zollamt Bundesamt f. Finanzen Familienkassen

§ 404 AO: Fahndung

Da die Fahndung im Verfahren wegen Steuerstraftaten die Rechte und Pflichten der

Polizei hat, können Anzeigen auch bei der Zollfahndung oder der Steuerfahndung

erstattet werden.

Strafantrag, § 158 II StPO

im weiteren Sinn liegt vor, wenn der Erstatter über die bloße Anzeige hinaus erkennen

lässt, dass er die Straftat verfolgt wissen will.

Strafantrag im engeren Sinn ist der Antrag des Berechtigten i. S. der Antragsdelikte

(§§ 77 bis 77 d StGB) auf Strafverfolgung. Wer strafantragbefugt ist, ergibt sich aus

dem jeweiligen gesetzlichen Tatbestand.

Beispiel:

Prüfer verletzt Steuergeheimnis.

§ 355 StGB.

Die Verletzung des Steuergeheimnisses wird nur auf Antrag

- des Dienstvorgesetzten oder

- des Verletzten

verfolgt.

Vgl. § 355 S. III StGB.

b) Von Amts wegen

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§ 160 I StPO:

Sobald die StA ... „auf anderem Wege― von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis

erhält, hat sie den Sachverhalt zu erforschen. Diese „anderen Wege― können sein:

- eigene Wahrnehmung des Staatsanwalts;

- amtliche Wahrnehmung: Selbst bei Antragsdelikten i. S. von § 77 ff. StGB

kann die StA das Verfahren von Amts wegen einleiten;

- durch Mitteilung seitens der Polizei [(die nach § 163 StPO das „Recht des

ersten Zugriffs― hat, anschließend aber die Sache unverzüglich an die StA

abzugeben hat (§ 163 II 1 StPO)];

- Mitteilung anderer Behörden [(z. B: Insolvenzgericht, das der StA die Akten

zur Prüfung, ob Insolvenzstraftatbestände erfüllt sind, übersendet; Zivilgerichte

übersenden die Akten an die StA wegen während des Verfahrens begangener

Straftaten (Aussagedelikte, Prozessbetrug) oder wegen Straftaten, auf die in

den Schriftsätzen hingewiesen wird)].

Im Steuerstrafverfahren insbesondere: Kontrollmitteilungen, Mitteilungen anlässlich

der Grenzkontrolle.

§ 397 AO definiert (im Unterschied zur StPO) die „Maßnahme―, durch die das

Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Das Verfahren ist eingeleitet, sobald die

Finanzbehörde, Polizei, StA, Strafrichter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf

abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen.

c) Folgen der Einleitung

- Unterbrechung der Verjährung;

- Ausschluss der Selbstanzeige (§ 371 II Nr. 1 b AO (bei Bekanntgabe));

- Die Mitwirkung des Pflichtigen ist nicht mehr erzwingbar (§ 393 I 3 AO).

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Bild 60

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d) Die Abschlussverfügung

Mit ihr endet das Vorverfahren.

Bild 61

Möglich sind

- die Erhebung der öffentlichen Klage bei hinreichendem Tatverdacht (§ 170 i.

V. mit § 203 StPO. § 170 StPO spricht vom „genügenden Anlass zur Erhebung

der öffentlichen Klage―. Bei Einreichung der Anklageschrift muss der

Staatsanwalt aber die erstrebte Eröffnung des Hauptverfahrens im Auge

behalten, diese wird nur beschlossen, wenn der Angeschuldigte der Straftat

„hinreichend verdächtig erscheint―. Genügender Anlass zur Anklage besteht

also dann, wenn das Gericht den hinreichenden Tatverdacht bejahen wird),

- Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 II

StPO),

- Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO, § 398 AO,

- Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (§ 407 StPO).

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Bei Einspruch gegen den Strafbefehl mündet das Verfahren in die Hauptverhandlung (§ 411

StPO).

2. Das Zwischenverfahren

Es beginnt mit Eingang der Anklageschrift und endet mit der Entscheidung über die

Eröffnung.

Nach Eingang der Anklageschrift, die mit Akten bei dem für das Hauptverfahren zuständigen

Gericht eingeht, teilt dessen Vorsitzender dem Angeschuldigten die Anklageschrift mit und

„fordert ihn zugleich auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die

Vornahme einzelner Beweiserhebungen ... beantragen oder Einwendungen gegen die

Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle― (§ 201 I StPO). Über diese Einwendungen

befindet das Gericht in einer unanfechtbaren Entscheidung (§ 201 II 1, 2 StPO). Es kann auch

einzelne Beweiserhebungen anordnen (§ 202 S. 1 StPO).

Bejaht das Gericht den hinreichenden Tatverdacht, erlässt es den Eröffnungsbeschluss. Damit

wird die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen (§ 207 I StPO). Verneint das Gericht den

hinreichenden Tatverdacht, ergeht ein Nichteröffnungsbeschluss (§ 204 StPO).

Der Eröffnungsbeschluss enthält nur eine vorläufige Tatbewertung, die sich aufgrund des

Hauptverfahrens als falsch erweisen oder bestätigen kann. Er ist nur ein Prozessstadium im

Laufe des auf das Urteil abzielenden Verfahrens. Dem „Tatverdacht― entspricht beim Urteil

die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten. Der Eröffnungsbeschluss

enthält die Vorprüfung der Anklage, die endgültige Bewertung nimmt das Urteil vor. Die

Bejahung des Tatverdachts wird durch die Entscheidung des Urteils über Schuld oder

Nichtschuld „überholt―. Der Eröffnungsbeschluss ist Grundlage des weiteren Verfahrens,

sozusagen Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren. Wie fehlerfrei er sein muss, welche

Mängel zur Nichtigkeit und welche zur bloßen Anfechtbarkeit führen, und inwieweit Fehler

geheilt werden können, ist im einzelnen streitig. Aus der aus § 210 StPO folgenden

„Unanfechtbarkeit― schließt die h. M., dass der Eröffnungsbeschluss auch der Revision nicht

unterliege (§ 336 S. 1 StPO). Nach meiner Überzeugung schließt indes § 210 stopp nur die

Beschwerde, nicht aber die Revision aus, § 336 S. 2 StPO gilt hier nicht.

Sie tun jedenfalls gut daran, gleichgültig aus Sicht welchen Verfahrensbeteiligten Sie

argumentieren, dem Eröffnungsbeschluss hinreichende Aufmerksamkeit in jedem Stadium

des Verfahrens zu widmen, also nicht erst in der Revisionsinstanz, sondern schon im

Erkenntnisverfahren.

Mit der Eröffnung wird das Gericht zum erkennenden. Das bedeutet, seine Entscheidungen

unterliegen wegen § 305 S. 1 StPO bis zur Urteilsfällung nicht der Beschwerde. Das hat das

OLG Hamm unter Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung erst kürzlich wieder

feststellen müssen (OLG Hamm vom 25. 4. 2002, 2 Ws 85/02, NStZ-RR 2002, 238):

Nach Eröffnung aber vor der Hauptverhandlung lehnt der Angeklagte den

Kammervorsitzenden sowie einen Beisitzer als befangen ab. Das Ablehnungsgesuch

wird zurückgewiesen. Hiergegen legt der Angeklagte Beschwerde ein. Diese ist

unzulässig wegen § 28 II 2 StPO. Das Gericht wird mit der Eröffnungsentscheidung

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erkennenden. § 28 II 2 StPO entspricht vom Sinn her dem § 305 S. 1 StPO. Die

Bestimmung ist notwendig, um den Effekt des § 305 S. 1 StPO zu erzielen

(Entziehung der Beschwerde zum Zweck der Revisionsunterwerfung), weil die

Ablehnungsentscheidung nicht vom erkennenden Gericht stammt (sondern von dem

Richter, der über die Ablehnung zu entscheiden hat). Daher war es notwendig, eine

dem § 305 S. 1 StPO entsprechende Bestimmung einzufügen, wodurch die

Rechtsmittelfähigkeit der (versagenden) Ablehnungsentscheidungen, soweit

erkennende Richter betroffen werden, so geregelt wird, als seien sie vom erkennenden

Gericht getroffen, also als Vorentscheidungen des Urteils nicht beschwerdefähig,

sondern revisibel. –

Der Angeklagte hat noch einen weiteren Beisitzer erfolglos abgelehnt. Hiergegen war

die Beschwerde zulässig, weil dieser weitere Beisitzer nicht erkennender war. Die

Kammer hatte nämlich von der Möglichkeit des § 76 II 1 GVG Gebrauch gemacht und

einen Beschluss gefasst, wonach die Kammer in der Hauptverhandlung mit zwei

Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt ist, also ohne den

zweiten Beisitzer. Dieser war zwar Kammermitglied, sollte aber nach dem zusammen

mit der Eröffnung ergangenen Besetzungsbeschluss nicht an der Hauptverhandlung

teilnehmen, was zwangsläufig dazu führt, dass er nicht in der Sache „erkennt―, also

das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch nicht vom Beschwerdeausschluss des § 28

II 2 StPO betroffen ist.

Die Entscheidungen des erkennenden Gerichts unterliegen der Mitüberprüfung in der

Revision gem. § 336 S. 1 StPO. Die §§ 210 I und II StPO einerseits und § 305 S. 1 StPO

andererseits haben im Hinblick auf die Revision eine entsprechende Funktion. Sie entziehen

die Entscheidungen des erkennenden Gerichts der Beschwerde - damit § 336 S. 1 StPO sie der

Revision unterwerfen kann.

Gibt das Beschwerdegericht der sofortigen Beschwerde der StA statt, so erlässt das

Beschwerdegericht den Eröffnungsbeschluss (unter den Voraussetzungen des § 210 III StPO

vor einer anderen Abteilung oder einer anderen Kammer des Gerichts, das den

Nichteröffnungsbeschluss erlassen hat). Ist die Beschwerde nicht erfolgreich oder verstreicht

die Beschwerdefrist fruchtlos, so tritt gem. § 211 StPO beschränkter Strafklageverbrauch

ein: Die Klage kann „nur aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen

werden―.

Mit der Einreichung der Anklage, also dem Beginn des Zwischenverfahrens, wird die Sache

bei Gericht anhängig, der Beschuldigte wird zum Angeschuldigten, der Prozessgegenstand

wird festgelegt.

Mit dem Ende des Zwischenverfahrens, dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses und dem

Beginn des Hauptverfahrens wird die Sache rechtshängig. Die Anklage kann nicht mehr

zurückgenommen werden. Der Angeschuldigte wird zum Angeklagten.

Eine groteske Lösung bietet die allseits abgelehnte Entscheidung des LG Nürnberg-

Fürth, NStZ 1983, 136: Das Gericht hatte eröffnet und stellte nach mehreren

Hauptverhandlungstagen fest, dass vor der Eröffnungsentscheidung nicht alle im

Ermittlungsverfahren eingeholten Zeugenaussagen zu der Gerichtsakte gelangt waren.

Daraufhin hob es den Eröffnungsbeschluss auf und lehnte die Eröffnung des

Hauptverfahrens „in analoger Anwendung des § 33 a StPO― ab. Die Entscheidung ist

falsch. Vielmehr hätte das Hauptverfahren fortgeführt werden müssen. Wenn das LG

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253

schon den Tatverdacht (durch Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses) verneinte, hätte

es das Verfahren mit einem Freispruch abschließen müssen. Diskutabel wäre vielleicht

auch noch die Einstellung durch Urteil wegen Verfahrenshindernisses - falls der

Eröffnungsbeschluss als unheilbar nichtig (oder nach anderer Auffassung) unheilbar

fehlerhaft angesehen wurde.

Im einzelnen ist im diesem Bereich vieles umstritten. Die Natur des Eröffnungsbeschlusses ist

keinesfalls vollständig geklärt. Instruktiv Nelles, NStZ 1982, 96.

3. Das Hauptverfahren

Das Hauptverfahren beginnt mit dem Eröffnungsbeschluss.

Es gliedert sich in

a) das die Hauptverhandlung vorbereitende Verfahren (§§ 226 - 275 StPO)

§ 213 StPO: Terminsbestimmung durch den Vorsitzenden, der auch die Ladungen anordnet (§

214 StPO).

Der Eröffnungsbeschluss wird „spätestens mit der Ladung― zugestellt (§ 215 StPO).

Fehlt eine Prozessvoraussetzung (besteht ein Prozesshindernis), stellt das Gericht das

Verfahren durch Beschluss ein (§ 206 a StPO). Das ist das Verfahren vor der

Hauptverhandlung.

b) Die Hauptverhandlung

Das Urteil ergeht aufgrund der (also einer einzigen) Hauptverhandlung. Sie beginnt mit dem

Aufruf der Sache und endet mit der Urteilsverkündung.

Es ist eine Hauptverhandlung, auch wenn sie an mehreren Tagen stattfindet. § 229 I StPO

erlaubt eine 10-tägige Unterbrechung der Hauptverhandlung. Wird sie nicht am 11. Tag

fortgesetzt, ist sie nicht mehr unterbrochen, sondern muss neu beginnen (Aussetzung oder

Vertagung). Es beginnt dann also eine neue Hauptverhandlung, in welcher der früher

verhandelte Stoff nicht berücksichtigt werden darf. Das ganze muss also neu aufgerollt

werden (Aber dennoch muss nicht erneut angeklagt werden, die Anklage bleibt dieselbe).

Sanktionen:

Werden die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO überschritten, so ist dies kein absoluter

Revisionsgrund (vgl. § 338 StPO). Was bedeutet dies? Die Revision kann das Urteil nur zu

Fall bringen, wenn es auf der Verletzung des § 229 StPO beruht. Hier gilt also die

Grundregel des § 337 I StPO, die Fiktion (bzw. die unwiderlegbare Vermutung) der absoluten

Revisionsgründe des § 338 StPO greift nicht.

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4. Das Rechtsmittelverfahren

Die StPO kennt förmliche und nicht förmliche Rechtsbehelfe. Unter den förmlichen

unterscheidet sie ordentliche und außerordentliche. Zu den förmlichen Rechtsbehelfen

gehören die ordentlichen Rechtsmittel (Berufung, Revision und Beschwerde).

Bild 62

Vgl. im einzelnen die Übersicht bei Schlüchter, Strafprozessrecht, 3. Kapitel.

Revisionsgericht für Steuerstrafsachen ist der 5. Strafsenat in Leipzig, dessen Vorsitzende

lange Jahre die jetzige Generalbundesanwältin Harms war. Das Präsidium des BGH hat

allerdings am 21. 4. 2008 wegen Überlastung des 5. Strafsenats beschlossen, dass die nach

dem 31. 5. 2008 eingehenden Revisionen in Steuerstrafsachen nunmehr dem 1. Strafsenat in

Karlsruhe zugewiesen werden, vgl. PStR 2008, 212.

a)

Die Berufung eröffnet eine zweite Tatsacheninstanz. Es wird also nicht nur geprüft, ob das

angefochtene Urteil sachlich und rechtlich richtig ist, sondern auch neue Tatsachen und

Beweismittel können eingeführt werden (§ 323 III StPO).

b)

Im Gegensatz hierzu kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das Urteil auf einer

Verletzung des Gesetzes beruhe, wie es § 337 I StPO ausdrückt. Der Fall wird also nicht in

tatsächlicher Hinsicht „neu aufgerollt―, sondern das Revisionsgericht prüft nur,

- ob das Gesetz verletzt ist und

- ob hierauf das Urteil beruht.

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§ 337 StPO erweckt den Eindruck, als gäbe es „die Revision― als einheitliches Rechtsmittel,

gerichtet auf die Urteilsüberprüfung. In Wahrheit sind zwei völlig verschiedene

Revisionsarten voneinander zu unterscheiden (die aber selbstverständlich miteinander

verbunden werden können):

- Die Verfahrensrevision und

- die Sachrevision.

Sie unterscheiden sich gravierend.

Bild 63

Die Unterschiede liegen zunächst in den an die Revisionsbegründung zu stellenden äußeren

Anforderungen. § 344 II 2 StPO verlangt, dass bei der Verfahrensrüge „die den Mangel

enthaltenen Tatsachen― angegeben werden müssen. Geschieht dies nicht, ist die Revision

unzulässig. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Revisionen an dieser Vorschrift

scheitern.

Vgl. z. B den traurigen Fall BGH vom 16. 6. 2005, 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723: Die

Revision scheitert, weil die Verfahrensrüge bezüglich des aus der Verletzung von

Belehrungspflichten resultierenden Verwertungsverbots nicht wirksam erhoben ist.

Das Revisionsgericht muss aufgrund des Revisionsvorbringens in der Lage sein, sich ein Bild

über die Beruhenseignung des Verfahrensfehlers zu machen, ohne das Urteil oder den

Akteninhalt ergänzend heranziehen zu müssen. Dies als „Schlüssigkeitserfordernis― zu

bezeichnen, kann in die Irre führen. In erster Linie kommt es nämlich nicht darauf an, dass

rechtlich die Verletzung des Gesetzes dargelegt wird, sondern wichtig ist vor allem der

Tatsachenvortrag. Zur Beruhensfrage, heißt es, brauche der Revisionsführer keine

Ausführungen zu machen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., § 345, TZ 27 unter

Hinweis auf Rechtsprechung). Im Gegensatz hierzu legt z. B. BGH, StV 1997, 169, dem

Revisionsführer eine Art „Darlegungslast― auf, indem die Entscheidung nicht sagt, es fehle

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am Beruhen, sondern die Revision habe dazu nichts vorgetragen, so als müsse der

Revisionsführer nicht nur die Tatsachen beibringen, aus der sich die Gesetzesverletzung

ergeben, sondern auch noch die für das Beruhen. Davon sagt das Gesetz nichts!

Sofern Sie eine Revisionsbegründung fertigen, sollten Sie sich allerdings bei Erhebung der

Verfahrensrügeunbedingt nicht nur mit

- den Tatsachen beschäftigen, die die Gesetzesverletzung begründen, sondern

darüber hinaus auch

- mit den Tatsachen, aus denen sich das Beruhen ergibt und

- mit der rechtlichen Bewertung der den Fehler begründenden Tatsachen, also

mit Rechtsausführungen, die den Rechtsfehler normativ erkennen lassen.

Vgl. im einzelnen den Aufsatz von Burhoff, Prozessrecht Aktiv 2003, 101 ff.: Die formelle

Revisionsrüge sicher beherrschen. Ferner Birkenstock, Verfahrensrügen im Strafprozess,

Rechtsprechungssammlung in zwei Bänden, 2004; Besprechung durch Brauns, wistra 2005,

374.

All dies brauchen Sie bei der Sachrevision nicht. Ihre Ausführungen müssen nur ergeben, dass

das Urteil wegen Verletzung „einer anderen Rechtsnorm― angefochten wird. Dazu genügt es,

dass Sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Damit ist die Revision zulässig. Begründet

ist sie freilich erst, wenn das Revisionsgericht die materielle Rechtsverletzung auch feststellt.

Sie tun deshalb gut daran, auch hierzu Ausführungen zu bringen.

Abgesehen von diesen äußerlichen Formerfordernissen ergibt sich der Unterschied zwischen

beiden Revisionsarten daraus, dass der Beruhenszusammenhang (§ 337 I StPO) bei der

Verletzung sachlichen Rechts gleichsam automatisch aus der Rechtsverletzung folgt. Wenn

das Gericht etwa den Straftatbestand des Betruges unter Verzicht auf den Vermögensschaden

annimmt, so ist das eine Verletzung des § 263 StGB. Der Beruhenszusammenhang ergibt sich

von selbst, denn wenn das Gericht den Angeklagten verurteilt, obwohl er keinen Schaden

verursacht hat, dann ist diese Verurteilung infolge dieses Rechtsfehlers zustande gekommen,

d. h. dann beruht das Urteil automatisch auf dieser Gesetzesverletzung. Der materielle

Rechtsfehler ist ein Fehler innerhalb des Subsumtionsschlusses des Urteils. Die Verletzung

materiellen Rechts trägt den Beruhenszusammenhang „in sich―. Ganz anders im Fall der

Verletzung von Verfahrensrecht: Das Verfahren ist nur der Weg, auf dem das Urteil zustande

kommt. Die Rechtsverletzung liegt hier nicht in der conclusio, im Subsumtionsschluss des

Urteils, sondern im „Vorfeld―. Das Urteil ist auf einem rechtsverletzenden Weg ergangen. Es

ist nicht selbst fehlerhaft, sondern Grund für seine Aufhebung ist die Fehlerhaftigkeit seines

Zustandekommens. Das ist die ratio, warum das Gesetz die Darlegung der Tatsachen verlangt,

die den Verfahrensfehler begründen sollen. Pointiert ausgedrückt: Die Sachrevision bekämpft

den Subsumtionsfehler, die Verfahrensrevision die Art der Urteilsfindung. Das

verfahrensrechtlich fehlerhaft zustande gekommene Urteil kann materiellrechtlich richtig sein

- und umgekehrt. Die Verfahrensrevision betrifft den Erkenntnisweg, die Sachrevision das

Erkenntnisergebnis. Formelles und materielles Recht i. S. von § 344 II StPO unterscheiden

sich nicht abstrakt danach, ob der Rechtssatz dem Verfahrens- oder dem materiellen Recht

angehört, sondern danach, ob der Rechtssatz Teil des Urteilssyllogismus ist (dann materielles

Recht) oder den Weg der Urteilsgewinnung regelt (dann Verfahrensrecht). Auch ein Urteil

über Verfahrensfragen kann materielles Recht verletzen, so etwa wenn im Verwerfungsurteil

nach § 329 StPO der Begriff der „genügenden Entschuldigung― verkannt wird. Näher Verf.,

Die Stellung der Beschwerde im funktionalen Zusammenhang der Rechtsmittel des

Strafprozesses, 1999, S. 112 ff.

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Daraus folgt, dass auch ein Prozessurteil der Sachrüge zugänglich ist. Ein Beispiel:

Nach § 329 I StPO hat das Gericht die Berufung, wenn der Angeklagte - als Berufungskläger

- unentschuldigt nicht erscheint, zu verwerfen. Ein solches Urteil ist Prozessurteil, d.h. es

entscheidet nicht über Schuld und Strafe, sondern über die Verwerfung im Fall des

unentschuldigten Ausbleibens. Das ist die „Sache― im Sinne dieser Entscheidung. Will der

Angeklagte als Revisionsführer geltend machen, die Verwerfung sei rechtsfehlerhaft, kann er

sich auf die Sachrüge beschränken, denn er greift damit den Subsumtionsschluß des Gerichts

vom Obersatz (bei unentschuldigtem Fehlen ist zu verwerfen) über den Untersatz (der

Angeklagte fehlt unentschuldigt) zur conclusio (das Rechtsmittel des Angeklagten ist zu

verwerfen) an. Eine Verfahrensrüge ist nicht notwendig, da die Revision nicht den

Erkenntnisweg, sondern die Entscheidung selbst betrifft. Welche Tatsachen im Sinne des §

344 II 2 StPO sollte der Revisionsführer auch darlegen? Es gibt keine, die außerhalb des

Urteils lägen und die er demzufolge beibringen müsste. Vielmehr kann das Revisionsgericht

die Frage der Gesetzesverletzung (Verkennung des § 329 StPO) an Hand der Entscheidung

selbst nachprüfen. Materielles Recht im Sinne des § 344 StPO ist also das Recht, das die

tragenden Gründe der Entscheidung stützt. Das kann, wenn die Entscheidung Prozessrecht

betrifft, auch eine Rechtsnorm des Prozessrechts sein.46

Aus dem Gesagten folgt, dass es nicht Aufgabe der Revision ist, den Fall in tatsächlicher

Hinsicht neu aufzurollen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters.

Aber: sie ist auf Rechtsfehler überprüfbar. Rechtsfehlerhaft ist sie, wenn sie in sich

widersprüchlich, lückenhaft, unklar ist oder gegen Denkgesetze verstößt. BGH vom 8. 12.

2004, 5 StR 331/04, wistra 2005, 106, sagt: Einlassungen des Angeklagten können nicht

durch bloße Vermutungen des Tatrichters widerlegt werden.

Beschwerde ist gegen Beschlüsse und Verfügungen statthaft (§ 304 StPO, also kein

Urteilsrechtsmittel). Sie findet sich in den Verfahrensabschnitten, die vor dem

Eröffnungsbeschluss liegen, denn mit dem Eröffnungsbeschluss ist das Gericht das

erkennende, so dass seine Entscheidungen nach § 305 StPO von der Beschwerde

ausgenommen, stattdessen der Revision unterworfen sind, § 336 S. 1 StPO. Ausgenommen

sind die Fälle, in denen das Gesetz auch im Erkenntnisverfahren das Rechtsmittel der

(sofortigen) Beschwerde ausdrücklich eröffnet. Das geschieht, um diese Teile des

Hauptverfahrens „vorab― mit Bindungswirkung zu entscheiden und sie der Revision zu

entziehen, denn hierzu sagt § 336 S. 2 StPO, dass jene Entscheidungen, die mit sofortiger

Beschwerde anfechtbar sind, der Überprüfung des Revisionsgerichts nicht unterliegen. Daraus

wird verschiedentlich der Schluss gezogen, dass die bloße Fehlerhaftigkeit des

Eröffnungsbeschlusses mit der Revision nicht überprüft werden könne, weil gegen den

Eröffnungsbeschluss seitens der StA sofortige Beschwerde gegeben und er für den

Angeklagten unanfechtbar ist. M. E. ist diese Auffassung nicht haltbar, vielmehr ist der

Eröffnungsbeschluss nur „um der Revision willen― der sofortigen Beschwerde entzogen, er

kann also durchaus auf Fehlerhaftigkeit überprüft werden (nicht nur auf Nichtigkeit). Das ist

aber nicht h. M.

5. Die klausurmäßige Situation

46 Die hier dargelegte Auffassung ist nicht die herrschende. Sie entspricht OLG Dresden, NJW 2000, 3295;

anders jedoch OLG Köln, NJW 2001, 1223 und OLG Hamm

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Bis zum ersten Staatsexamen waren Sie es gewöhnt, dass Ihnen Fälle vorgelegt wurden, in

denen danach gefragt wurde, ob sich A, B oder C „strafbar gemacht― haben. Ein derartiges

Gutachten, wie Sie es für eine solche Klausur anzufertigen hatten, wird in der Praxis von

niemandem benötigt, weder der Staatsanwalt noch der Verteidiger noch der Richter stellen

derartige Überprüfungen an.

a) Der Staatsanwalt prüft den hinreichenden Tatverdacht, d. h. er sieht sich an, ob die

ermittelten Tatsachen zu einer Verurteilung führen werden, zumindest zur Eröffnung.

Wenn Sie anhand eines Ermittlungsergebnisses die Frage der Anklageerhebung

prüfen, ist es kein Fehler, wenn Sie sagen: „Für die Eröffnung, also den hinreichenden

Tatverdacht, reicht es aus, das Nähere muss die Hauptverhandlung bringen―. Mit dem

„Näheren― meinen Sie dann die Gewissheit der Überzeugung des Gerichts von der

Schuld des Angeklagten. Wenn Sie so etwas schreiben, zeigen Sie zumindest Sinn für

die Praxis.

b) Der Richter der Tatsacheninstanz prüft, ob die ermittelten Tatsachen eine Verurteilung

erfordern. Er befindet sich also in einer ähnlichen Situation wie der Staatsanwalt, nur

dass er sich nicht mit dem hinreichenden Tatverdacht wie bei der Eröffnung begnügen

darf, sondern eine sichere Überzeugung gewinnen muss. Hat er sie nicht, gilt „in dubio

pro reo―. Es ist falsch zu sagen, das Gericht muss sich eine sichere Überzeugung von

Schuld oder Unschuld bilden. Es muss sich nur eine sichere Überzeugung von der

Schuld bilden. Hat es diese nicht, so ist freizusprechen - und nicht etwa erst, wenn das

Gericht die sichere Überzeugung von der Unschuld hat. Freilich operiert die Praxis

zuweilen anders.

c) Der Revisionsrichter geht wieder anders vor und prüft, ob die durch die Vorinstanz

festgestellten Tatsachen die Verurteilung rechtfertigen. Das ist oftmals mehr Willens-

als Wissensentscheidung. Böse Zungen sagen, es hänge vom „Gusto― des

Revisionsrichters ab, wie weit er die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale „aufzuspalten

gedenkt―. Fezer hat einmal geschrieben, keinesfalls gehe der Revisionsrichter so vor,

dass er wie ein Student subsummiere. Vielmehr prüft er, ob ihm die festgestellten

Tatsachen „reichen―. Wie viel von diesen Tatsachen das Tatgericht liefern müsse,

bestimme der Revisionsrichter. Er überprüfe also die „Feststellungen―.

d) Ähnlich der Verteidiger bei der Abfassung der Revisionsschrift: Wie der Staatsanwalt,

bevor er die Anklage einreicht, überlegt, ob das Gericht wohl seine Auffassung über

den hinreichenden Tatverdacht teilen wird, fragt sich der Verteidiger, ob das

Revisionsgericht zu der Annahme gelangen wird, dass die Tatsacheninstanz

Feststellungen unterlassen hat. Einfach sind dagegen die Fälle falscher rechtlicher

Würdigung (also die Verkennung des gesetzlichen Tatbestands wie etwa in dem oben

erörterten Beispiel, wo der Schaden bei § 263 StGB außer Acht gelassen wird).

Folgerung:

Wenn Ihnen eine Klausur vorgelegt wird, in der etwa gefragt wird, „Eröffnen Sie das

Hauptverfahren?―, dann müssen Sie - aus der Position des Strafrichters - ausführen, ob Sie

aufgrund der Aktenlage zum hinreichenden Tatverdacht gelangen. Das kann Tatsachen- und

Rechtsauführungen nach sich ziehen. Fragt man Sie als Verteidiger, ob die Revision Aussicht

auf Erfolg hat, dann müssen Sie von § 337 StPO ausgehen und die Gesetzesverletzung prüfen

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(Verfahrensrecht oder materielles Recht), erörtern, worin diese liegen könnte, und ob Sie sie

zur Begründetheit führen können.

Die abstrakte Frage, ob sich der A „strafbar gemacht― hat, kommt in keinem Fall in Ihrem

Gutachten vor, sondern Sie segeln immer „hart am Wind―, indem Sie entweder von § 337

StPO ausgehen (für die Revision), von § 210 II StPO, wenn es sich um eine sofortige

Beschwerde gegen einen Nichteröffnungsbeschluss handelt, wobei Sie dann natürlich auch im

Vorgriff auf die Entscheidung des Gerichts § 203 StPO ins Kalkül ziehen müssen und etwa so

beginnen: Die sofortige Beschwerde hat Erfolg, wenn im Gegensatz zur angefochtenen

Entscheidung der hinreichende Tatverdacht zu bejahen ist. Dann geht es weiter. Es folgen

Einzelausführungen. Im Revisionsfall sagen Sie: Die Revision hat Aussicht auf Erfolg, wenn

eine Gesetzesverletzung vorliegt und das Urteil hierauf beruht. Die Gesetzesverletzung könnte

in Folgendem liegen … . Wenn ein absoluter Revisionsgrund vorliegt, können Sie sich die

Ausführungen zum Beruhen natürlich schenken, aber dies wird in einer Klausur eher die

Ausnahme sein. Es folgen Einzelausführungen. Für die Beruhensfrage gilt …

(Einzelausführungen zur materiellen oder verfahrensrechtlichen Gesetzesverletzung).

Erforderlich ist also, Ihre Ausführungen auf die jeweilige Verfahrenssituation abzustellen.

Ich sage das so ausführlich, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele Referendare sich

von den Klausuren im ersten Staatsexamen offenbar nicht lösen können und immer wieder in

die abstrakte Fragestellung zurückfallen, ob sich „der A strafbar gemacht hat …―.

II. Die Ermittlungszuständigkeit im Steuerstrafverfahren

1. Allgemeines

Bild 64

Eine Übersicht über Zuständigkeiten und Befugnisse der einzelnen Dienststellen der

Finanzverwaltung gibt Vogelberg, PStR 2005, 20.

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Bild 65

Sie sehen in obigem Bild links die Staatsanwaltschaft, rechts die Finanzbehörde. Zwischen

beiden besteht das jederzeitige Abgaberecht der Finanzbehörde und das jeweilige

Revokationsrecht (von revocare, zurückrufen, wieder an sich ziehen) der StA. Die

Finanzbehörde ermittelt nur in den Fällen des § 386 II AO selbständig.

Statt BAF heißt es nun: Bundeszentralamt für Steuern

Wer Finanzbehörde ist, haben wir oben erörtert. Sie sehen es nochmals in der Übersicht:

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Dem Finanzamt entspricht das Hauptzollamt, ferner das Bundesamt für Finanzen, die

Familienkasse der Bundesanstalt für Arbeit.

Lit. zur Familienkasse: Blesinger, wistra 1996, 255, Braun, PStR 2008, 37

Die Steuerfahndung (Zollfahndung) hat die polizeilichen Befugnisse (§ 404 AO).

Insbesondere nicht Finanzbehörde sind (auch wenn sie zum Teil als Finanzbehörden i. S. des

materiellen Steuerrechts gelten und in § 6 AO erwähnt sind):

Zoll- und Steuerfahndung (letztere hat ohnehin keine eigene Behördenqualität, nur die

Zollfahndungsämter sind in § 6 II Nr. 5 AO erwähnt), die Bundes- bzw.

Landesfinanzminister, das Zollkriminalamt, die Oberfinanzdirektionen.

Es besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass Finanzbehörden insbesondere nicht sind:

Der BND (Bundesnachrichtendienst), der MAD (militärische Abschirmdienst), die Bundes-

und Landesämter für Verfassungsschutz, auch dann nicht, wenn der Bundesfinanzminister

deren Ermittlungsergebnisse dankend in Anspruch nehmen sollte. Sollten diese Stellen

Beweismittel durch zielgerichtete Ausspähung gewonnen haben, hätten sie sich außerhalb des

Gesetzes bewegt. Die Frage ist, ob dies Verwertungsverbote bezüglich der gewonnenen

Beweismittel begründet, insbesondere wie es mit der Fernwirkung bestellt ist. Dürfen auch

fruits of a poisonous tree verwendet werden, insbesondere Geständnisse, die ohne diese

rechtswidrig ermittelten Beweismittel nicht zustandegekommen wären? Zu den Liechtenstein-

Fällen vgl. Salditt, PStR 2008, 84. Folgt man dem Grundsatz, dass sich der Staat auch um

den Preis der Wahrheitsfindung nicht selbst rechtswidrig verhalten darf, würde dies für die

Annahme von Verwertungsverboten sprechen, vgl. o. A I 1 i.

Die den Finanzbehörden eingeräumte Sonderstellung wird herkömmlich mit

- der besonderen Sachkunde der Finanzbehörde,

- der Prozessökonomie und

- dem Schutz des Steuergeheimnisses

begründet (z. B. FGJ, § 386, TZ 8). Diese Gründe sind jedoch nicht stichhaltig. Ebensogut

könnte man anderen Fachbehörden (wie z. B. der Gewerbeaufsicht im Bereich des

Umweltstrafrechts) eigene Ermittlungskompetenzen einräumen. Der Hinweis auf die

Sachkunde zieht nicht, weil erstens Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen worden sind

und zweitens die Sachkunde der Finanzbehörde durch Amtshilfe genutzt werden kann. Erst

recht kann der Schutz des Steuergeheimnisses nicht herhalten, da ohnehin heute eine

Informationspflicht seitens der Finanzbehörde gegenüber der StA besteht (vgl. nur die unter A

I 5 b erörterte Bestimmung des § 4 V S. 1 Nr. 10 EstG mit den darin wechselseitig

festgelegten Informationspflichten). Die Sonderstellung der Finanzbehörde ist vielmehr

historisch zu erklären, vgl. hierzu Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der

Abgabenordung, 1994, S. 14 ff.: Die Vorschrift entstammt einer Epoche, in der die

Übertragung von staatsanwaltschaftlichen und sogar richterlichen Befugnissen auf

Verwaltungsbehörden keine Ausnahme war. Erst das Bundesverfassungsgericht hat durch die

Entscheidung vom 06.06.1967 (BVerfGE 22, 49) die Übertragung der Strafgewalt auf die

Finanzämter für verfassungswidrig erklärt. Bis dahin gab es das sog.

Unterwerfungsverfahren, in welchem sich der Beschuldigte einer durch das Finanzamt

festgesetzten Strafe unterwerfen konnte. Die Unterwerfungsverhandlung stand einem

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rechtskräftigen Strafurteil gleich, wurde also beispielsweise auch in das Strafregister

eingetragen. In der Zeit der RAO 1919 hatten noch andere Behörden (wie z. B. die

Oberpostdirektionen, die Seemannsämter) Strafgewalt. Der Verstoß gegen Art. 92 GG (die

rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut) ist mit der Aufhebung der Strafgewalt

der Finanzbehörden zwar beseitigt, deren archaische Sonderstellung durch die ihnen

eingeräumte Ermittlungsbefugnis jedoch nicht. Sie ist ein Relikt aus einer gegenüber dem

Gewaltenteilungsprinzip wenig sensiblen Zeit.

2. Zuständigkeitsverteilung zwischen StA und Finanzbehörde

a) § 386 I 1 AO:

Unselbständige Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde. Bei Verdacht einer

Steuerstraftat hat die Finanzbehörde eine allgemeine (unselbständige)

Ermittlungskompetenz, d. h. sie hat die Stellung der Polizei in einem allgemeinen

Strafverfahren, ergänzt um einzelne Befugnisse (§§ 402 I, 399 II 2 AO).

- Voraussetzung: Verdacht einer Steuerstraftat. Was Steuerstraftat ist, ergibt sich

aus § 369 I AO (vgl. im Skript A IV).

b) § 386 II AO:

Selbständige Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörde

Lit.: Mösbauer, wistra 1996, 252

Die unselbständige Ermittlungskompetenz des § 386 I 1 AO ist in § 386 II AO

erweitert zur selbständigen Führung der Ermittlung, wenn die Tat

- ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt oder

- mit einer steuerabhängigen Straftat zusammenhängt.

Mit letzteren ist der sog. „Abgabenbetrug― gemeint (es müssen Abgaben betroffen

sein, die an Besteuerungsgrundlagen pp. anknüpfen (§ 386 II Nr. 2 AO)). Das betrifft

Kirchensteuern (soweit überhaupt verfolgbar, vgl. im Skript C I 1). Ferner andere

öffentlich-rechtliche Abgaben, wie z. B. Beiträge zur IHK (§§ 3 III, 4 Nr. 4 IHKG),

zur Handwerkskammer (§§ 106 I Nr. 4, 113 Handwerksordnung), denn beide knüpfen

an den Gewerbesteuermessbetrag an, ähnlich Beiträge zu anderen Kammern

(Landwirtschafts- bzw. Steuerberater-). Zusammenstellung bei Kohlmann, § 386, TZ

18.

- Keine selbständige Ermittlungsbefugnis, wenn Haft- oder Unterbringungs-

befehl erlassen ist (§ 386 III AO).

c) Ausschließliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft

Zum Problem: vgl. im Skript A I Nr. 4.

Streitig ist, ob die Finanzbehörde auch selbständig ermitteln darf, wenn tateinheitlich

mit dem Steuerdelikt ein allgemeiner Straftatbestand verwirklicht worden ist (vgl. das

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im Skript angeführte Beispiel: Zusammentreffen der Urkundenfälschung mit der

Steuerhinterziehung).

Nach dem Wortlaut des Gesetzes keine selbständige Ermittlungskompetenz.

Gleichwohl hält sie der BGH für zulässig.

Richtiger Ansicht nach hat die Finanzbehörde nur die unselbständige

Ermittlungsbefugnis (§ 402 I AO). Sie kann beschlagnahmen, Notveräußerungen,

Durchsuchungen, sonstige Maßnahmen nach den für Hilfsbeamte der

Staatsanwaltschaft geltenden Vorschriften anordnen (§ 402 I, § 399 II 2 AO).

Wichtig: Recht des ersten Zugriffs, Anordnungsbefugnis zu allen

Maßnahmen, die geeignet sind, Verdunkelung der Sache zu

verhindern (§ 163 I StPO).

Die Ermittlungen werden indessen von der Finanzbehörde nur für die StA geführt,

letztere bleibt eigentliche Herrin des Verfahrens.

Vgl. das Beispiel von Kohlmann, § 386, TZ 20.1:

A behauptet gegenüber der Finanzbehörde wahrheitswidrig, er habe seine

Steuererklärung rechtzeitig abgegeben, diese sei aber von dem Postbeamten P

unterschlagen worden. Eine Steuerfestsetzung unterbleibt deshalb.

A erfüllt § 370 I Nr. 2 AO i. V. m. § 187 StGB (Verleumdung). Das Schwergewicht

der Tat liegt bei der Steuerhinterziehung (allein schon vom Strafmaß her). Gleichwohl

liegt die Zuständigkeit für die Ermittlungen bei der StA. Sie kann die Finanzbehörde

um Durchführung der Ermittlung ersuchen (§ 402 I AO, § 161 StPO).

Zweckmäßigerweise wird die StA so vorgehen, weil der steuerstrafrechtliche Aspekt

eindeutig überwiegt.

Fazit also:

Bei Zusammentreffen mit Allgemeinstraftaten keine selbständige Ermittlungsbefugnis

der Finanzbehörde.

Die Frage ist keinesfalls akademisch, wichtig beispielsweise für das Problem, ob die

Ermittlungsmaßnahme die Verjährung unterbrochen hat.

Unterschiede zwischen selbständiger und unselbständiger Ermittlungsbefugnis der

Finanzbehörde:

Ermittelt die Finanzbehörde selbständig, kann die StA die Ermittlungen zwar an sich

ziehen, aber keine Weisungen erteilen. Anders, wenn die Finanzbehörde mit ihren

Beamten als Hilfsbeamte der StA tätig wird. Ferner: Führt die Finanzbehörde die

Ermittlungen selbständig, kann sie auch selbständig Erlass eines Strafbefehls

beantragen (§ 400 AO).

Auch im Fall unselbständiger Ermittlungsbefugnis hat die Finanzbehörde das Recht,

an Ermittlungen (§ 403 AO) und an der Hauptverhandlung teilzunehmen (§ 407 AO)

und Fragen zu stellen.

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Wenn Sie also als Verteidiger einen Termin in einer Steuerstrafsache wahrnehmen, müssen

Sie sich nicht wundern, wenn von der Anklagebank unangenehme, weil sachkundige Fragen

gestellt werden, die jedenfalls nicht vom Staatsanwalt kommen. Wegen der „fiskalischen

Nähe― des Vertreters der Finanzbehörde sind aus der Sicht der Verteidigung

„Einstellungsverhandlungen― oftmals schwieriger, als wenn Sie nur den Staatsanwalt als

Widerpart hätten! Vgl. unten, III 1.

III. Die Fahndung

1. Aufbau

Die Behördenorganisation im Bereich der Fahndung ist in der AO nicht geregelt.

Steuerfahndungsämter sind weder im Finanzverwaltungsgesetz noch in der AO als

selbständige Behörden erwähnt. Sie sollen nach dem Willen des Gesetzgebers keine

selbständigen Behörden, sondern lediglich Dienststellen der Landesfinanzverwaltung sein.

Dementsprechend war die Steuerfahndung früher in NRW unmittelbar der OFD unterstellt.

Heute sind in NRW (ebenso wie in Niedersachsen) besondere Finanzämter für

Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (StraFAFA, in Niedersachsen Finanzämter für

Fahndung und Strafsachen, FAFuSt) geschaffen, die die früheren „StraBuStellen― (seinerzeit

eingerichtet bei einem Finanzamt und zuständig für mehrere Finanzämter) mit der

Steuerfahndung zusammenfassen. Im Klartext heißt dies, dass „Steuerstaatsanwaltschaft―

(Bußgeld- und Strafsachenstelle) und „Steuerpolizei― (Steuerfahndung) in einem Amt

zusammengelegt sind.

In der Praxis sieht es so aus, dass die Sachbearbeiter eines Strafsachenfinanzamts zwar ihren

Sitz am StraFaFa haben, aber gleichzeitig in dem jeweiligen Veranlagungsfinanzamt, für da

sie zuständig sind, ihren Arbeitsplatz haben. Auf dem Briefkopf finden Sie bereits die beiden

Telefonnummern, so das sie schon hieraus erkennen können, wo Sie den Sachbearbeiter

érreichen können und wer wofür zuständig ist.

Wie jedes Finanzamt ist auch das StraFAFA in Sachgebiete gegliedert mit den

Sachgebietsleitern (Beamten des höheren oder höheren Dienstgraden des gehobenen

Dienstes) an der Spitze. Geleitet wird auch das StraFAFA durch den Vorsteher. Der

Vorsteher ist sogleich Sachgebietsleiter meist eines Sachgebiets. Es kann durchaus sein, dass

der Vorsteher „die Steuerfahndung hat―, dass aber die Sachgebiete der Strafsachenstelle

anderen Sachgebietsleitern unterstehen, mithin der Vorsteher als „Leiter der Steuerpolizei―

zugleich Vorgesetzter des Sachgebietsleiters der „Staatsanwaltschaft― ist: Für das allgemeine

Strafrecht ein undenkbarer Zustand. Oder was würden Sie davon halten, wenn der

Polizeipräsident zugleich Leiter der Staatsanwaltschaft wäre?

Zur Kritik: Streck, Die Steuerfahndung, A III

Es gibt andere Organisationsmöglichkeiten, die nicht zur Zusammenfassung von Fahndung

und Strafsachenstelle in einem Amt führen - beispielsweise Zusammenlegung der

Prüfungsdienste (AmtsBP, KonzernBP) mit der Steuerfahndung in einem

Prüfungsfinanzamt (so z. B. in Hamburg).

Auch die Eingliederung der Steuerfahndung in ein Finanzamt vermeidet die wenig glückliche

Zusammenfassung von Staatsanwaltschaft und Polizei in einem Amt.

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Die Schaffung der Strafsachenfinanzämter (StraFAFA, FAFust) zieht noch andere – von der

h. M. allerdings vernachlässigte -- Probleme nach sich:

Dem Strafsachenfinanzamt fehlt jede steuerverwaltende Tätigkeit. § 208 I 2 AO regelt die Befugnisse der

Zollfahndungsämter und "der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden". Das

sind, sofern die Fahndung darin eingebunden ist, Veranlagungsfinanzämter. Diese können folglich auch

abgabenrechtlich begründete Verwaltungsakte wie etwa (steuerverfahrensrechtlich motivierte) Auskunftsersuchen erlassen; die Befugniserweiterung des § 208 I 2, 3 AO gilt nicht für "die Steuerfahndung"

(der im Unterschied zur Zollfahndung Behördeneigenschaft nicht zukommt), sondern für die allgemeine

Finanzbehörde. Das Strafsachenfinanzamt kann also keine Abgabenbescheide und sonstige Verwaltungsakte

auf abgabenrechtlichem Gebiet erlassen. Indem die in Niedersachsen (und anderen Bundesländern, z. B. NRW)

geschaffene Neuordnung die Steuerfahndung nicht einem Veranlagungsfinanzamt zuordnet, torpediert sie nicht

nur die abgabenrechtliche Zuständigkeit der Fahndung, sondern die Ausübung der in § 208 AO vorgesehenen

abgabenrechtlichen Befugnisse schlechthin, denn es gibt keine Behörde, die diese Befugnisse in rechtlich

zulässiger Weise ausüben könnte: das Veranlagungsfinanzamt nicht, weil ihm die Fahndung nicht zugeordnet ist,

das Strafsachenfinanzamt nicht, weil abgabenrechtliche Tätigkeit außerhalb seiner Kompetenz liegt. Die "mit

der Steuerfahndung betrauten Dienststellen" sind als Strafsachenfinanzämter für den Erlass von

(Steuer)verwaltungsakten nicht zuständig. Näher Verf., wistra 2007, 396 (397).

Sind StraFAFA und FaFuSt überhaupt Finanzbehörden im Sinne von § 386 I AO? Es heißt dort:

"Finanzbehörden im Sinne dieses Abschnitts sind ... das Finanzamt ...". Nach § 387 I AO ist "sachlich

zuständig" (für die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen) die Finanzbehörde, welche die Steuern "verwaltet".

"Verwaltung" ist Ermittlung, Erhebung, Festsetzung (Veranlagung) und Beitreibung der Steuer. Dem

Strafsachenfinanzamt obliegt aber nichts dergleichen. Hellmann,

Im Gegensatz zur Steuerfahndung sind die Zollfahndungsämter im Gesetz als Behörden

erwähnt, so z. B. in § 1 Nr. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes (ebenso in § 12 I FVG, in § 404

S. 1 AO und in § 6 II Nr. 5 AO). Diese Bestimmungen sprechen von „den

Zollfahndungsämtern―. Demgegenüber spricht § 208 AO nur von den Aufgaben „der

Zollfahndung―. Die Zollfahndungsämter sind zwar Finanzbehörden i. S. der AO, nicht aber

Behörden i. S. des dritten Abschnitts (vgl. § 386 I 2 AO). Darin heißt es: „Finanzbehörde i. S.

dieses Abschnitts sind ...― usw. Dazu gehören die Zollfahndungsämter nicht.

Hier finden Sie ein Beispiel für den Grundsatz „lex specialis derogat legi generali―.

Die spezielle Regelung ist § 386 I 2 AO, denn sie gilt nur für den dritten Abschnitt

(Strafverfahren). § 6 II Nr. 5 AO ist die allgemeine Vorschrift. Sie gilt für die gesamte

AO mit Ausnahme des dritten Abschnitts des achten Teils der AO.

Da die Zollfahndungsämter in § 386 II 2 AO nicht mit aufgezählt sind, sind sie keine

Finanzbehörden i. S. der strafverfahrensrechtlichen Vorschriften der AO. Wenn von

Finanzbehörde die Rede ist, sind im Bereich des Zolls nur die Hauptzollämter (nicht die

Zollfahndungsämter) angesprochen. Die Zollfahndung ist (wie die Steuerfahndung) „nur―

Kriminalpolizei des Zolls (vgl. Möller/Retemeyer bei Bender, D, TZ 76: Die ZFÄ verwalten

keine Steuern, so dass aus § 387 AO für sie keine Zuständigkeit zur Verfolgung von

Steuerstraftaten abgeleitet werden kann), die Beamten der Zollfahndungsämter sind

Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, und das Amt ist keineswegs zur Ermittlung nach

§ 386 AO befugt. Sie haben also keine andere Stellung als die Dienststellen der Steufa (die

als selbständige Ämter weder in der AO noch im FVG erwähnt sind).

Bild 7 ist, worauf ich schon unter A V hingewiesen habe, insofern überholt, als die

Zollfahndungsämter nicht mehr der OFD angegliedert sind, sondern dem ZKA. Auf der

Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen ist eine jeweils mehrseitige

Zusammenstellung über den Zollfahndungsdienst und das ZKA abrufbar (übrigens auch auf

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englisch und französisch, was Ihnen eine hervorragende Gelegenheit bietet, Ihre

fachspezifischen Sprachkenntnisse zu polieren!). Der BMF verwendet folgendes Schaubild:

Bild 66

Die Zollfahndungsämter sind seit Mitte 2002 organisatorisch an das ZKA angebunden. Es

gibt derzeit 8 Zollfahndungsämter mit 24 Außenstellen, in unserem Bereich NRW das

Zollfahndungsamt Essen mit den Außenstellen Aachen, Kleve, Köln, Münster und Nordhorn

(Sie sehen also, noch nicht einmal ein einziges Zollfahndungsamt „nimmt Rücksicht― auf die

Ländergrenzen). So unterstehen beispielsweise dem Zollfahndungsamt Hamburg die

Außenstellen Bremerhaven, Kiel und Rostock. Berlin hat gleichsam den Anschluss an

Brandenburg bereits vollzogen, denn dem Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg unterstehen

die Außenstellen Forst, Frankfurt/Oder und Pomellen. Wie ein Finanzamt oder Hauptzollamt

wird ein Fahndungsamt durch den „Vorsteher― (neuerdings „Leiter―, vgl. o. A V) geführt und

gliedert sich wie ein Finanzamt in „Sachgebiete―, so z. B. „Zölle, Marktordnung,

Außenwirtschaft― oder „Verbrauchsteuern― oder „VuB― (Verbote und Beschränkungen inkl.

Rauschgift). Das ZKA untersteht also keineswegs der OFD, sondern unmittelbar dem

Bundesministerium der Finanzen. Es kann Ermittlungen an sich ziehen, lenkend eingreifen.

Im übrigen koordiniert es, sammelt Daten und verarbeitet Informationen. Das ist die

„Zentralstelle des deutschen Zollfahndungsdienstes―.

Das ZKA war im Gegensatz zur OFD, die nur Bundesmittelbehörde ist, Bundesoberbehörde

(so das FVG ab 15.07.1992 in § 1 Nr. 2). Bis dahin unterstand es lediglich der Fachaufsicht

des BMF, hing aber organisations-, haushalts- und personalmäßig von der OFD Köln ab. Dies

ist nun anders. Es hat besondere Befugnisse nach §§ 39 - 43 AWG zur Verhütung von

schwerwiegenden Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz und dem

Kriegswaffenkontrollgesetz. Durch das AWG-Änderungsgesetz vom 28.02.1992 hat das ZKA

Befugnisse zum Eingriff in den Fernmelde- und Briefverkehr im außerstrafprozessualen

Bereich erhalten, also allein zur präventiven Wirkung, mit dem Ziel Verletzungen des AWG

frühzeitig zu erkennen. Einzelheiten über das ZKA finden Sie auf der Internetseite des BMF.

Interessant vor allem die zusammenfassende „Chronik des Zollkriminalamts―.

Durch das Zollfahndungsneuregelungsgesetz vom 16.08.2002, BGBl I, S. 3202, ist die

Stellung des ZKA neu geregelt. Es ist jetzt Bundesmittelbehörde (§ 6 II Nr. 4 AO in der

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neuen Fassung), kann in Fällen besonderer Bedeutung die Aufgaben der Zollfahndungsämter

selbst durchführen (§ 4 I ZFnrG) und den Zollfahndungsämtern generell fachliche

Weisungen erteilen (§ 6 ZFnrG). Vgl. Möhrenschlager, Berichte, wistra I/2002 und X/2002,

Wamers, ZfZ 2003, 259 (Das Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG).

Sie sehen, dass die Fahndung bezüglich Zoll (Bund) und Steuer (Länder) höchst

unterschiedlich organisiert ist. Eine Oberbehörde (wie im Bund das ZKA) hat kein

Bundesland eingerichtet.

Eine gewisse zentrale Bedeutung kommt der beim Finanzamt Wiesbaden II eingerichteten

Informationszentrale für den Steuerfahndungsdienst (IZ-Steufa) zu. Diese Stelle erfasst

Fahndungsfälle von überregionaler Bedeutung und nimmt (in etwa) die Aufgaben wahr, die

dem des ZKA vergleichbar waren, bevor es seinen jetzigen Status erhielt. Die Stelle hat

jedoch keine eigene Ermittlungsbefugnis und keine Weisungsrechte gegenüber anderen

Fahndungsstellen. Steuerrechtlich relevante Daten mit Auslandsbezug sammelt die

Informationszentrale Ausland (IZA) des Bundesamts für Finanzen.

In den meisten Ländern ist die Steufa unselbständige Dienststelle eines Finanzamts. Auch die

Organisation der Steufa in NRW und Niedersachsen lässt sich mit der des Bundes nicht

vergleichen. Beide Länder haben mehrere selbständige Finanzämter für Strafsachen und

Steuerfahndung, NRW für den Bereich der OFD Düsseldorf die Ämter Düsseldorf, Essen,

Wuppertal, für den Bereich der OFD Köln, Aachen, Bonn und Köln, für den Bereich der OFD

Münster Bielefeld, Bochum, Hagen und Münster. Es gibt keine Landesoberbehörde für die

Steuerfahndung. Andererseits sind im ZKA nicht „Staatsanwaltschaft― und „Polizei―

zusammengeführt. Die „Staatsanwaltschaft des Zolls― ist dessen Finanzbehörde, das

Hauptzollamt, welches wiederum der OFD (Zoll) untersteht. Da das Zollfahndungsamt nicht

„Finanzbehörde― i. S. des § 386 I 2 AO ist, kann sie auch nicht wie in NRW oder

Niedersachsen das Finanzamt für Strafsachen - die Funktion der Staatsanwaltschaft i. S. des §

399 I AO ausüben. Es ist vielmehr nur Steuerpolizei, indem es in Fällen besonderer

Bedeutung die Aufgaben der Fahndung selbst übernehmen kann (§ 4 I ZFnrG).

So gilt insbesondere § 407 AO nicht für die Zollfahndung und die Steufa. Vertretern der

Zollfahndungsämter (oder der Steufa) steht insbesondere nicht das Recht auf Teilnahme an

der Hauptverhandlung zu. Dieses Recht (§ 407 I 4 AO) hat nur der Vertreter „der

Finanzbehörde―, also der Vertreter „des Finanzamts― oder „des Hauptzollamts― - wobei dann

die praktische Frage auftaucht, ob der Vorsteher des Finanzamts oder des Hauptzollamts nicht

einen Beamten der Fahndung bevollmächtigen darf. M. E. geht dies nicht, vielmehr muss der

Vertreter ein Mitglied „der Finanzbehörde―, also des Finanz- oder Hauptzollamts sein. Daraus

folgt, dass insbesondere ein Beamter der OFD (etwa der Oberfinanzpräsident, der

Finanzpräsident oder ein Referatsleiter) keineswegs die Rechte des § 407 AO wahrnehmen

können - auch nicht mit einer Vollmacht des jeweiligen Amtsvorstehers der „Finanzbehörde―.

Alles was nicht zur Finanzbehörde gehört, kann allenfalls Zeuge oder Zuhörer sein, aber nicht

die aktiven Rechte der §§ 406 ff. AO ausüben. Die Tatsache, dass in NRW die Fahndung mit

der Strafsachenstelle in einem „Finanzamt― (StraFAFA) zusammengefasst ist, macht dieses

Finanzamt natürlich nicht zur „Finanzbehörde― i. S. des § 386 I AO. Als Verteidiger könnten

Sie sich also dagegen verwahren, dass diese Rechte durch einen amtsfremden Vertreter der

Finanzverwaltung wahrgenommen werden, wobei die interessante Frage auftaucht, welches

Rechtsmittel statthaft ist - m. E. (auch in der Hauptverhandlung) Beschwerde, da diese

mangels Revisibilität der Entscheidung auch nicht durch §§ 305 S. 1, 336 StPO

ausgeschlossen ist.

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2. Steuer- und Zollfahndung (Abgrenzung)

Ausdrücklich abgegrenzt ist die Zuständigkeitsverteilung zwischen Zoll- und Steuerfahndung

kraft Gesetzes nicht. Sie ergibt sich vielmehr aus der Aufgabenverteilung zwischen

Hauptzollämtern und Finanzämtern (vgl. einerseits § 12 I FVG, andererseits § 208 I AO).

Welche Fahndung zuständig ist, hängt also davon ab, welche Finanzbehörde welche Steuer

verwaltet, folglich ist die Steufa für die Fahndung auf dem Gebiet der Besitz- und

Verkehrsteuern, die Zollfahndung auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern

einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer, die vom Hauptzollamt verwaltet wird, der Biersteuer

und der Abgaben im Rahmen der europäischen Gemeinschaften zuständig. Die Zollfahndung

ist für die Überwachung des Warenverkehrs über die Grenze, die Grenzaufsicht und für die

sonst dem Zoll übertragenen Aufgaben (Washingtoner Artenschutzübereinkommen,

grenzüberschreitender Waffenhandel, Rauschgiftkriminalität, AWG, EG-Marktordnungsrecht,

Bekämpfung international organisierter Geldwäsche (durch § 12 a FVG den

Zollfahndungsämtern übertragen)).

Nach § 12 a FVG (jetzt § 31 a ZollVG, Strafvorschrift in Abs. 4) wird zur

Verhinderung und Verfolgung der Geldwäsche die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr in

das, aus dem und durch das Zollgebiet der EG sowie das sonstige Verbringen von

Bargeld ... zollamtlich überwacht. Nach Absatz 2 haben Personen, die in das

bestimmte Gebiet gebrachtes Bargeld von 30.000,00 DM oder mehr anzuzeigen pp.

Nach Absatz 3 können die Zollbehörden Bargeld bei Verdacht der Geldwäsche

sicherstellen usw.

Demgegenüber hat die Steufa Informationen über Geldbewegungen im Rahmen der §§

10, 11 GWG zu sammeln und auszuwerten. Die Bestimmungen regeln die

Informationserteilung gegenüber der Finanzbehörde und bestimmen, dass

Aufzeichnungen i. S. des § 9 GwG auch für Besteuerungszwecke und für

Strafverfahren wegen Steuerstraftaten verwendet werden dürfen. Der

Informationsaustausch zwischen Finanzbehörden und Polizei- und Justizbehörden

läuft über die Steufa (im einzelnen vgl. Wannenmacher/Maurer, Steuerstrafrecht,

TZ 2184).

Die Feststellung von FGJ, § 404, TZ 16, Zoll- bzw. Steuerfahndung zur Aufklärung von

Sachverhalten einzusetzen, die ausschließlich in das Gebiet der jeweils anderen Fahndung

fallen, also „vice-versa― Fahndung zu betreiben, sei nicht zulässig, hat wohl nur noch

theoretischen Aussagewert. Reine Zollermittlungen oder reine Besitz- und

Verkehrsteuerermittlungen wird es kaum geben, denn alle Steuerarten sind miteinander

verzahnt - auch bevor es die Ermittlungen zur Geldwäsche gab. So ermittelt die Zollfahndung

auf dem Gebiet der Einfuhrumsatzsteuer, die sich aber wiederum zugleich auf die

(innerstaatliche) Umsatzsteuer auswirkt, wie natürlich auch auf dem Sektor der Einkommen-

und Gewerbesteuer. Umgekehrt gilt das entsprechende. Nach dem Geldwäschegesetz ist erst

recht alles verzahnt. Die Steufa wertet innerstaatliche Informationen aus, der Zoll dagegen

grenzüberschreitend. Selbst Ermittlungen nach dem Artenschutzabkommen sind nicht ohne

Einfluss auf die Besitz- und Verkehrsteuern, so dass der Zoll sich nicht darauf beschränkt, die

grenzüberschreitenden Papageien zu zählen, sondern die Informationen auch an die

Finanzämter weiterzugeben, die dann die Hinterziehung von Besitz- und Verkehrsteuern

prüfen.

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Hierzu die Rubrik „Steufa-Praxis", PStR 2002, 39.

Ein Ehepaar wurde von den Zollbeamten an der Grenze befragt, ob es 30.000,00 DM

oder mehr mit sich führe, was dieses wahrheitswidrig verneinte. Die Zollbeamten

förderten 100.000,00 DM zutage, informierten die Steufa und die

Erbschaftssteuerstelle. Die Steufa erwirkte noch am selben Tag einen

Durchsuchungsbeschluss und erwartete das heimkehrende Ehepaar vor dessen Haus.

Durch die Einschaltung der Steufa und der Erbschaftsteuerstelle war auch die

wirksame Selbstanzeige ausgeschlossen.

3. Befugnisse der Fahndung

Die Fahndung ist ein aus den Anfängen der Reichsfinanzverwaltung überkommenes

archaisches Instrument, deren rechtliche Grundlagen weitgehend ungeklärt sind. Die Praxis

klammert derartige Probleme weitgehend aus und nimmt den Istzustand als von der

Schöpfungsgeschichte vorgegeben hin. Problematisch sind insbesondere:

-- Was darf die Fahndung abgabenrechtlich und steuerstrafrechtlich, und wie sind beide

Tätigkeiten zu trennen?

-- Wann darf die Fahndung abgabenrechtlich überhaupt eingeschaltet werden?

Lit.: Breuer: Das weite Netz, wistra 2002, 241.

Heranzuziehen ist nicht nur § 404 AO, also die Vorschrift aus dem Abschnitt Steuerstrafrecht,

sondern auch § 208 AO. Die gesetzliche Regelung zeichnet sich durch

- Zersplitterung in der Darstellung und

- Konfusion zwischen strafrechtlicher und steuerrechtlicher Regelung aus.

Die Fahndung hat Doppelfunktion, einerseits Strafverfolgung und -Ermittlung, andererseits

steuerliche Ermittlung und -Festsetzung.

Woraus sich das im einzelnen ergibt, und welche Vorschrift was regelt, ist fraglich und

streitig.

Die h. M. sieht die Bestimmungen, die die Befugnisse der Fahndung regeln, so wie die

folgende Übersicht:

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Bild 67

Nach § 208 I 1 AO ist Aufgabe der Fahndung:

Nr.1 Die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten.

Das scheint sich als eine reine straf- und bußgeldrechtliche Aufgabe darzustellen. Das

ist jedenfalls die h. M. Sie dürfen jedoch nicht aus dem Blick verlieren, dass

steuerstrafrechtliche Fragen auch für das Besteuerungsverfahren von Bedeutung sind

(z.B. für die längere Festsetzungsverjährung nach § 169 II 1 AO). Die Erforschung

von Steuerstraftaten kann also durchaus Bedeutung für das Steuererhebungsverfahren

haben - auch wenn strafprozessual eine Verfolgungsmöglichkeit nicht mehr besteht.

Das Problem, inwiefern die Fahndung außerhalb des Strafverfahrens Steuerstraftaten

ermitteln darf, stellt sich insbesondere nach Aufgabe des Instituts des

Fortsetzungszusammenhangs, wodurch nunmehr strafrechtlich - nicht aber

abgabenrechtlich - für die einzelnen Besteuerungszeiträume gesondert Verjährung

eintreten kann. Die Frage ist daher, ob die Fahndung nicht schon aufgrund von § 208 I

1 Nr. 1 AO (und nicht erst aufgrund der Nr. 2) abgabenrechtliche

Ermittlungskompetenz hat, denn es geht keineswegs nur um die

Besteuerungsgrundlagen, sondern auch um die Frage, ob eine rechtswidrig-schuldhafte

Steuerhinterziehung vorliegt, so dass sich das Problem schon bei § 208 I 1 Nr. 1 AO

stellt. Auf diesen Gesichtspunkt weist Noack, wistra 1997, 175 f., zu Recht hin.

Nr.2 Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in den in Nr. 1 bezeichneten Fällen.

Zur Ermittlung der Straftat gehört auch die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen,

denn wie wir unter A I 5 gesehen haben, ist das Steuerstrafrecht keineswegs vom

steuerrechtlichen Denken befreit, vielmehr hat der Strafrichter die uneingeschränkte

Vorfragenkompetenz, d. h., er muss Besteuerungsgrundlagen ermitteln und es nicht als

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unter seiner Würde ansehen, auch die Besteuerungsgrundlagen entgegen dem

Grundsatz „judex non calculat― festzustellen; anderenfalls läuft er in das Messer der

Revision, die ihm das Urteil aufheben und zurückverweisen wird. Entnehmen Sie §

208 I 1 Nr.1 AO auch eine abgabenrechtliche Kompetenzgrundlage zugunsten der

Fahndung, dann gilt dies auch für Nr. 2, denn wenn für Zwecke des

Erhebungsverfahrens Steuerstraftaten zu ermitteln sind, gehören (wie bei der

steuerstrafrechtlichen Ermittlung ) die Besteuerungsgrundlagen dazu.

Wer der Fahndung das Ermittlungsrecht von Besteuerungsgrundlagen nicht nur für das

Strafverfahren, sondern auch für das Besteuerungsverfahren gibt, müsste also folgerichtig bei

§ 208 I 1 Nr. 1 AO und nicht erst bei Nr. 2 ansetzen.

Nr. 3 Die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle.

Sie betrifft zwei Varianten (Kohlmann, § 404, TZ 41.1):

- Bei bekannten und unbekannten Steuerpflichtigen die Nachforschungen nach

unbekannten Sachverhalten, die sich steuerlich auswirken können,

- die Nachforschungen nach unbekannten Steuerpflichtigen.

Inwiefern § 208 I 1 Nr. 1-3 AO der Fahndung nicht nur strafrechtliche sondern auch

abgabenrechtliche Kompetenz eröffnet, ist letztlich nicht abschließend geklärt. Hellmann, S.

297 ff., will die Bestimmung auf die strafrechtliche Kompetenz begrenzen.

Wird die Fahndung strafverfahrensrechtlich tätig,

Folge:

- keine Mitwirkungspflicht des Beschuldigten (Betroffenen),

- keine Pflicht zum Erscheinen vor der Fahndung,

- keine Pflicht zur Herausgabe,

- keine Pflicht zur Aussage,

- natürlich Befugnis zur Hinzuziehung eines Verteidigers.

Rechte der Fahndung:

- Wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes.

Wird die Fahndung steuerverfahrensrechtlich tätig, gilt die Befreiung des § 208 I 3 AO.

Folge:

Von den nachstehenden Einschränkungen ist die Fahndung befreit.

- nach § 93 I 3 AO hat die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligen Vorrang

vor der Auskunftseinholung bei anderen Personen,

- nach § 93 II 2 AO haben Auskunftsersuchen auf Verlangen des Pflichtigen

schriftlich zu ergehen,

- nach § 97 II und III AO hat die Auskunft Vorrang vor der Vorlage von

Büchern pp.

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Bezüglich der Kompetenzen der Fahndung finden Sie Entscheidungen der ordentlichen

Gerichte wie auch der Finanzgerichtsbarkeit. Das liegt an der - von der h. M. vorausgesetzten

- Doppelfunktion der Fahndung. Für den strafprozessualen Teil sind die ordentlichen, für

den abgabenrechtlichen die Finanzgerichte zuständig. Letztere befassen sich mit Klagen

gegen Verwaltungsakte, wobei die einzelnen Rechtsfragen schon im Verfahren der

Aussetzung der Vollziehung erörtert zu werden pflegen (§ 361 II AO). Nur wenn es nicht um

einen Verwaltungsakt, sondern um sonstiges Verwaltungshandeln geht (z.B. Versenden von

Kontrollmitteilungen), kommt das Verfahren der einstweiligen Anordnung in Betracht.

Fall 110 - (einerseits FG Kassel vom 8. 11. 1996, 4 V 3735/96, wistra 1997, 118 (mit

Anmerkung Noack, S. 175); LG Köln vom 21. 4. 1997, 110 Qs 5/97, wistra 1997, 237;

andererseits BFH vom 16. 12. 1997, VII B 45/97, wistra 1998, 230 - dazu der Fall bei Joecks,

Steuerstrafrecht, 9.2.4, Fall 68 (S. 122) und Kohlmann, § 404, TZ 40.5).

Gegen S wird ein Steuerstrafverfahren eingeleitet.

1. Das Amtsgericht erlässt einen Durchsuchungsbeschluss. Im Rahmen der

Durchsuchung nehmen die Fahnder Unterlagen des S aus strafrechtlich verjährter Zeit

mit. Hat ein Rechtsmittel des S Aussicht auf Erfolg?

2. Die Fahndung fordert die Bank des S durch Bescheid mit Zwangsmittelandrohung auf,

alle Erträgnisse Kapitalvermögen aus strafrechtlich verjährter Zeit mitzuteilen. Was

kann die Bank dagegen unternehmen?

In beiden Fallalternativen geht es um die Frage der Ermittlungskompetenz der

Fahndung bezüglich der strafrechtlich verjährten Zeit.

Zu Nr. 1:

Hier handelt es sich um die strafprozessuale Ermittlungsbefugnis, so dass der

Finanzrechtsweg unzulässig ist. In Betracht kommt Beschwerde (einfache nach § 304

StPO). Diese ist gegen Beschlüsse und Verfügungen des Gerichts statthaft. Der

Durchsuchungsbeschluss ist nicht angefochten. Die „Mitnahme― der Unterlagen fällt

nicht unter § 304 StPO. Welches Rechtsmittel käme weiter in Betracht?

Antrag auf richterliche Entscheidung nach § 98 II 2 StPO.

Die Stufenleiter der Rechtsmittel sieht also wie folgt aus:

- Gegen die Beschlagnahmeanordnung durch den Richter ist die Beschwerde

statthaft. Dies ist also immer dann gegeben, wenn die weggenommenen

Unterlagen bereits im Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss

bezeichnet sind.

- Wird ohne richterliche Anordnung beschlagnahmt (also entweder bei Gefahr

im Verzug durch die StA, die Finanzbehörde oder Ermittlungspersonen der

StA), ist der Antrag auf richterliche Entscheidung (§ 98 II 2 StPO) gegeben.

Dieser steht nicht nur dem Pflichtigen zu, dem gegenüber „weggenommen―

wurde, sondern auch der Finanzbehörde, falls Streit über die

Beschlagnahmefähigkeit besteht. So hat im Fall des LG Köln, wistra 1997,

237, das Finanzamt die richterliche Entscheidung bezüglich der

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Beschlagnahmefähigkeit der bereits weggenommenen Unterlagen beantragt.

Der Beschuldigte hatte die Unterlagen ursprünglich freiwillig herausgegeben,

die Zustimmung aber später widerrufen, so dass die Gegenstände freiwillig in

den Besitz der Behörde gelangt waren, infolge des Widerrufs der Zustimmung

aber richterliche Entscheidung notwendig war.47

Gegen diese richterliche Entscheidung ist dann die Beschwerde nach § 304

StPO (unbefristet) gegeben (selbst wenn die Durchsuchungsmaßnahme

inzwischen abgeschlossen ist, BVerfGE 49, 329 = NJW 1979, 154).

Erfolgreich ist die Beschwerde, wenn die Gegenstände nicht

beweisbedeutsam i. S. des § 94 StPO sind, denn § 94 StPO gestattet nur die

Wegnahme von Gegenständen, „die als Beweismittel für die Untersuchung

von Bedeutung sein können―.

Die Bestimmung gewinnt mit der Aufgabe der Rechtsfigur des

Fortsetzungszusammenhangs Bedeutung. Heute ist jeder

Besteuerungsabschnitt strafrechtlich gesondert zu prüfen. Unter der Geltung

des Instituts des Fortsetzungszusammenhangs kam es auf den Gesamtvorsatz

und die gleichartige Begehungsweise an, so dass Verjährung seltener eintrat.

Ist die Straftat verjährt, besteht ein Verfolgungshindernis, so dass zwangsläufig

die Gegenstände, die nur der Aufklärung von verjährten Straftaten dienen,

nicht mehr beweiserheblich sein können. Nur am Rande spielt die Frage eine

Rolle, inwieweit verjährte Straftaten bei der Strafzumessung berücksichtigt

werden können. Das gilt nach der BGH-Rechtsprechung dann, wenn sie bereits

vollständig ausermittelt sind, eine Rechtsprechung, die insbesondere nach

Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs von Bedeutung ist. So waren

beispielsweise im Fall BGH, wistra 1990, 146 und BGH NStZ 1995, 227 die

verjährten Taten bereits ausermittelt. Um die Ermittlungen vorzunehmen fehlt

der Verfolgungsbehörde die Befugnis, weil ein Prozesshindernis besteht.

Folglich hat „die Beschwerde― als Antrag auf richterliche Entscheidung nach

§ 98 II 2 StPO Erfolg. Die Beschlagnahme ist abzulehnen.

Zu Nr. 2:

In diesem Fall geht es um die abgabenrechtliche Befugnis der Fahndung. Auch hier

47 Durchsuchung und Beschlagnahme sind jeweils eigenständige Anordnungen. In der Regel wird ein

Durchsuchungs- mit einem Beschlagnahmebeschluss verknüpft. Ausnahmsweise geschieht dies nicht, wenn der

Ermittlungsrichter glaubt, die zu beschlagnahmenden Gegenstände nicht in einer den Anforderungen des BverfG

genügender Weise bezeichnen zu können. Das kann die vollziehenden Beamten in eine schwierige Lage bringen,

wenn die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führt, die der Gewahrsamsinhaber nicht freiwillig

herausgibt. Hier bleiben nur erstens die unmittelbare Beschlagnahme nach Auffinden des Beweismittels (nicht

durchführbar, wenn keine Gefahr im Verzug und der Richter nicht zu erreichen ist), zweitens die nachträgliche

Beschlagnahme (die zum Verlust des Beweismittels führen kann), die Aufforderung zur Herausgabe nach § 95

StPO (bedarf zwar nicht der richterlichen Anordnung, kann vielmehr durch die StA oder deren

Ermittlungspersonen angeordnet werden, eröffnet aberkeine Mitnahmemöglichkeit gegen den Willen des

Berechtigten, kann nur mit Zwangsgeld, also mit mittelbaren Zwangsmitteln durchgesetzt werden), drittens

"Sicherung" im Rahmen der Durchsuchung, Mitnahme zum Zweck der Durchsicht und damit verbunden Herausschieben des Endes der Durchsuchung (also Sicherstellung "durch die Hintertür", d. h. eine von der StPO

gerade nicht vorgesehene Maßnehme). Zum Problem: Kemper, wistra 2006, 171 ff., der empfiehlt, dass der

Durchsuchungsbeschluss zur Vermeidung derartiger Probleme stets mit einem Beschlagnahmebeschluss

einhergehen sollte. Als Verteidiger sollten Sie nie mit einer freiwilligen Herausgabe einverstanden sein.

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spielt die strafrechtliche Verjährung eine Rolle, zwar nicht unter dem Blickwinkel eines

strafrechtlichen Verfahrenshindernisses, sondern bezüglich der Ermittlungskompetenz der

Fahndung.

Das Herausgabeverlangen ist Verwaltungsakt (§ 93 AO), so dass die Bank mit dem Einspruch

allein nicht zum Ziel käme. Sie muss gleichzeitig den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung

stellen. Dieser ist erfolgreich, wenn „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des

angefochtenen Verwaltungsakts bestehen― (§ 361 II 2 AO). Das FG Kassel hat „ernstliche

Zweifel― bezüglich der Ermittlungskompetenz der Fahndung nach § 208 I 1 Nr. 1 u. 2. Es

sieht Nr. 2 eng an Nr. 1 angelehnt,48

so dass die Vorschrift der Fahndung keine gesonderte

(weitergehende) Ermittlungsbefugnis gibt, hält aber Nr. 3 für einschlägig, indem es dieser

Bestimmung die abgabenrechtliche Zuständigkeit der Fahndung entnimmt. Dementsprechend

weist es den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück.

In derartigen Bankenfällen hat anfangs das Problem des § 40 II FGO (Vortrag der

eigenen Rechtsverletzung) eine Rolle gespielt. So verneint das FG Baden-

Württemberg, wistra 1997, 158, die Klagebefugnis der Bank mangels Beschwer.49

Der BFH hat jedoch das FG Baden-Württemberg aufgehoben und die Klagebefugnis

mit ausführlicher Begründung bejaht (BFH, wistra 1998, 110). Er sieht die Bank, da

diese nicht nur durch Wegnahme, sondern auch durch Anfertigung von Kopien,

Abschreiben der Papiere oder sonstiges Vervielfältigen, kurzum durch Verwerten des

„Gedankenguts― betroffen wird, in ihren Eigentumsrechten beeinträchtigt. Dazu wird §

1004 BGB herangezogen, eine nicht ganz unproblematische Begründung, wenn nur

auf das Eigentum abgestellt wird. Vielleicht hätte man die Rechtsprechung zum

Eingriff in den ausgeübten Gewerbebetrieb heranziehen können.

3. Dürfen die Steuerbescheide aus strafrechtlich verjährter Zeit aufgrund der Auswertung

der (rechtswidrig) beschlagnahmten Beweismittel geändert werden?

Nach herkömmlicher Auffassung zu den Verwertungsverboten kommt es darauf an, ob

die Möglichkeit bestünde, „auf legale Art und Weise durch eine

Wiederholungsprüfung entsprechende Erkenntnisse zu erlangen― (Joecks,

Steuerstrafrecht, 9.2.2.4, S. 103).

- Aus § 208 I 1 Nr. 1 bis 3 ergibt sich keine derartige Möglichkeit, es sei denn,

man folgert aus Nr. 2 eine abgabenrechtliche Ermittlungsbefugnis der Steufa

(so Tormöhlen, wistra 1993, 174). Das ist abzulehnen, weil sich Nr. 2 nur aus

Nr. 1 speist und keine abgabenrechtliche Befugnis der Steufa begründet.50

Im

Ergebnis wie hier Hellmann, S. 198 ff.

- Nach § 208 II AO? Es fehlt die schriftliche Prüfungsanordnung (§ 196 AO).

Die Unterlagen hätten im normalen Besteuerungsverfahren angefordert und im

Rahmen einer ordnungsgemäß (schriftlich) angeordneten Außenprüfung

geprüft werden können. Bei Anwendung der „Kausalitätsfrage―, insbesondere

der Prüfung der „hypothetischen Kausalität― bezüglich der Erzielung der durch

die rechtswidrige Beweisgewinnung erreichten Ergebnisse wäre wohl die

Gewinnung „auf andere Weise― zu bejahen, so dass nach meiner Auffassung

bei dieser Betrachtung daraus kein Verwertungsverbot folgen würde. Anders

48 Wobei das FG Kassel, der h. M. folgend, aus § 208 I 1 Nr. 1 AO nur eine strafprozessuale, nicht aber eine

abgabenrechtliche Befugnis der Fahndung ableitet. 49 An der Beschwer zweifelt ebenfalls Hellmann, S 269. 50 Es sei denn, Sie leiten schon aus § 208 I 1 Nr. 1 AO eine abgabenrechtliche Befugnis ab.

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offenbar Joecks, S. 225. Sieht man die „Kausalitätsfrage― anders, verzichtet

man insbesondere auf die Prüfung der hypothetischen Kausalität, sieht es

wieder anders aus. Dann kommt es nicht darauf an, ob die Ergebnisse auch

rechtmäßig hätten gewonnen werden können, sondern allein darauf, ob sie

rechtswidrig gewonnen worden sind und ob das entsprechende Verbot nach

seinem Rechtswidrigkeitszusammenhang gerade die Gewinnung dieser

Ergebnisse zu verhindern sucht. Aber alle diese Fragen sind selbst bei der

Prüfung der strafrechtlichen Verwertungsverbote ungeklärt, erst recht im

Besteuerungsverfahren.

Fall 111:

Wie Fall 114.2, nur ziehen sich die Fahnder die gewünschten Unterlagen über die

strafrechtlich verjährte Zeit selbst und kündigen an, sie dem Veranlagungsfinanzamt

zur Auswertung weiterzureichen.

Ein Einspruch (und damit auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung) wären mangels

Verwaltungsakts unzulässig. Hier geht es nicht um eine rechtliche Regelung, sondern um

sonstiges Verwaltungshandeln, das mit einer Leistungsklage (hier: Unterlassungsklage)

anfechtbar ist. Allerdings ist mit einer Klage allein der Bank nicht gedient,

zweckmäßigerweise muss sie im Rahmen des Klageverfahrens eine einstweilige Anordnung

nach § 114 FGO beantragen.

Die materiell-rechtliche Lösung hängt von den gleichen Fragen wie im vorangegangenen Fall

ab.

Eine besondere Kapriole schlägt BFH vom 16. 12. 1997,VII B 45/97, wistra 1998, 230: Die

Entscheidung entnimmt § 208 I 1 Nr. 2 AO die abgabenrechtliche Ermittlungsbefugnis der

Steufa, indem sie dieser Bestimmung

„eine eigenständige, über den Rahmen der Nr. 1 hinausgehende Bedeutung―

zumisst und lediglich verlangt, dass zwischen Steuerstraftat und Ermittlung der

Besteuerungsgrundlagen ein „enger und unmittelbarer Zusammenhang― bestehen muss. Der

Begriff „Steuerstraftat― in Nr. 1 bezeichne nur den „nach dem Gesetz unter Strafe gestellten

Lebensvorgang―, verlange aber nicht, dass dieser noch strafrechtlich verfolgt werden könne.

Warum dieser Umweg! Ehrlicher wäre es gewesen, die enge Verknüpfung zwischen Nr. 1 und

Nr. 2 zu akzeptieren, dann aber die Konsequenz zu ziehen, dass bereits Nr. 1 die

abgabenrechtliche Ermittlungsbefugnis der Fahndung eröffnet.

Zurück zum Auskunftsfall:

Wenn Sie in den Bankenfällen eine Ermittlungskompetenz der Fahndung nach § 208 I AO

bejahen, so hat die Fahndung nach § 93 I 1 AO das Recht, von den Beteiligten und anderen

Personen die zur Feststellung des Besteuerungssachverhalts erforderlichen Auskünfte zu

verlangen. Die Bank ist eine „andere Person― in diesem Sinne, weil sie nicht am

Besteuerungsverfahren beteiligt ist. Die Auskunftsverpflichtung ist auch nicht nachrangig

(etwa nach § 93 I 3 AO), denn für die Fahndung gelten die Befreiungen nach § 208 I 3 AO.

Daher kann sich die Fahndung direkt an die „Dritten― halten und muss nicht zuvor den

Pflichtigen um Auskunft ersuchen. Dieses Ergebnis ergibt sich jedenfalls bei direkter

Anwendung des § 93 I AO. Jedoch: Bezüglich der Auskunftsersuchen enthält § 30 a V AO

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eine Spezialvorschrift. Satz 1 verweist zwar auf § 93 AO, also auch auf dessen Absatz 1 Satz

3. § 30 V 2 AO enthält jedoch eine Spezialvorschrift bezüglich der Bankauskünfte.

Ist die Person des Pflichtigen bekannt und gegen ihn kein Verfahren wegen einer

Steuerstraftat eingeleitet, ist die Bankauskunft gegenüber dem Ersuchen an den

Pflichtigen nachrangig.

Dies wiederum ist eine Spezialregelung zu der Nachrangigkeitsregelung des § 208 I 3 AO.

Die Nachrangigkeit entfällt nach dieser Spezialvorschrift nur dann, wenn gegen den

Pflichtigen ein Verfahren wegen einer Steuerstraftat (-Ordnungswidrigkeit) eingeleitet ist. Der

BFH, wistra 1998, 230 (233), schlägt bei der Erörterung dieser Frage einen Salto mortale,

wenn er sich über die Nachrangigkeit des Ersuchens gegenüber der Bank hinwegsetzt. Die

AO verlangt nun einmal klar die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Schon bei der

Erörterung des § 208 I 1 Nr. 2 AO argumentiert der BGH (s. o.) insofern eigenartig, als er

einen „unmittelbaren Zusammenhang― (wie immer dieser auch geartet sein soll) zwischen

Steuerstraftat und Ermittlungen der Fahndung genügen lässt. Darüber könnte man im

Ergebnis hinwegsehen, wenn man der Ansicht ist, dass § 208 I Nr. 1 AO schon die

abgabenrechtliche Ermittlungsbefugnis der Fahndung enthält. § 30 a V 2 AO verlangt aber

nach seinem klaren Wortlaut die Einleitung eines Verfahrens wegen einer Steuerstraftat.

Wenn aber jenes Verfahren an einem Prozesshindernis scheitert, ist es m. E. nicht richtig,

auch in diesem Zusammenhang, wie es der BFH tut, den „engen Zusammenhang― zwischen

Auskunftsersuchen und Strafverfahren genügen zu lassen. Hier offenbart sich wirklich die

Strafrechtsferne der Finanzrechtsprechung. Das ist keine zulässige Auslegung des § 30 V 2

AO mehr, sondern eine Eigenproduktion contra legem. Immerhin hat der BFH die Probleme

des § 30 a AO wenigstens gestreift, während sie das FG Kassel (wistra 1997, 118), das sich

viel Mühe mit § 208 I 1 Nr. 1 und 2 AO macht, nicht gesehen hat.

Fall 112:

1. Anlässlich von Ermittlungen gegen X stoßen die Fahnder in der Bank B auf

Unterlagen über Kapitalanlagen anderer (am Ermittlungsverfahren nicht

beteiligter) Bankkunden. Die Fahnder kündigen an, diese Unterlagen

abzuschreiben und durch Kontrollmitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter der

anderen Kunden weiterzugeben, damit sie dort auf steuerlich korrekte

Behandlung überprüft werden können. (FG Baden-Württemberg vom 25. 11.

1996, 3 V 37/96, wistra 1997, 158 mit Anmerkung Pütz, wistra 1998, 54 und

der aufhebenden BFH-Entscheidung, wistra 1998, 110).

2. Es geht den Fahndern nur um

- Unterlagen anonymisierten Kapitaltransfers, d. h. solcher Kunden, die

zwar bei der Bank ein Konto unterhalten, gleichwohl aber die

Geschäfte „anonym―, d. h. nicht von Konto zu Konto, sondern (z. B.)

bar oder durch Pseudonym vorgenommen haben. Vgl. BFH wistra,

2002, 27.

- Unterlagen über Kapitalanlagen am neuen Markt während eines

eingegrenzten Zeitraums, in dem die Kursgewinne sprunghaft

anstiegen, gleichwohl aber nach den der Fahndung vorliegenden

zuverlässigen Daten die erklärten Einkünfte aus Spekulationsgewinnen

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in dem betreffenden Bezirk nur mäßig anstiegen. BFH wistra 2002,

308.

3. Es geht nicht um eine Bank, sondern umeine Wertpapierdienstleistungs-AG,

die sich mit Beratung im Anlagengeschäft befasst. BFH vom 28. 10. 1997, VII

B 40/97, wistra 1998, 110 (113, zu bb).

4. Die Fahnder wollen die Unterlagen nicht selbst bei der Bank durchsehen und

abschreiben, sondern richten ein entsprechendes Auskunftsersuchen an die

Bank. BFH, wistra, 1998, 110 (113, zu cc).

Was kann die Bank bzw. die Wertpapierdienstleistungs-AG tun?

In den Fällen zu 1, zu 2 und zu 3 kommen Einspruch und Klage i. V. m. Aussetzung der

Vollziehung mangels Verwaltungsakts nicht in Betracht, sondern nur der Erlass einer

einstweiligen Anordnung, im Fall 4 dagegen Einspruch und ein entsprechender Antrag auf

Aussetzung der Vollziehung.

Die Erfolgsaussicht hängt davon ab, ob die Ermittlungstätigkeit rechtswidrig ist bzw. im Fall

des Einspruchs und des Vollziehungsaussetzungsantrages, ob der Verwaltungsakt ernstlich

zweifelhaft ist.

Der BFH verlangt Aufgabenzuweisung und entsprechende Befugnis (BFH vom 28. 10. 1997,

VII B 40/97, wistra 1998, 110 (112 zu c)).

Als Befugnis kommt jeweils § 208 I 1 Nr. 3 AO (Aufdeckung und Ermittlung unbekannter

Steuerfälle) in Betracht.

Zulässig sind hiernach nicht Fahndungen ins Blaue hinein, sondern es muss hinreichender

Anlass für die Aufnahme der Ermittlung bestehen. Dieser dürfte mit Hellmann, S. 255, dem

strafprozessualen Anfangsverdacht gleichzusetzen sein (obwohl das der BFH so

ausdrücklich nicht sagt). Im Fall 1 wäre dieser zu verneinen, so dass die einstweilige

Anordnung im Fall 1 vor dem BFH erfolgreich war.

Im Widerspruch dazu dürfte wohl FG Baden-Württemberg vom 18. 7. 2005, 4 V 24/04, bei

Wegner, PStR 2005, 229, stehen. Die Entscheidung bejaht den hinreichenden Anlass für ein

Sammelauskunftsersuchen der Fahndung zur Herausgabe von Daten über Kunden, die

Bonusaktien der DT erhalten haben. Im Zuge von Ermittlungen gegen einen einzelnen

Pflichtigen hatte die Fahndung festgestellt, dass die Kunden der Bank bei der Einbuchung

zwar auf die ESt-Pflicht hingewiesen wurden, die Aktien aber nicht in die Erträgnisse der

Bank aufgenommen worden waren. Grundlage für das Ersuchen: § 208 I Nr. 3 AO. Das seien

noch keine Ermittlungen "ins Blaue". Die vom BFH geforderten "konkreten Anhaltspunkte"

(Besonderheit des Objekts, Höhe des Wertes pp.) scheinen mir hier nicht vorzuliegen. Allein

die Nichtaufnahme in die "Erträgnisaufstellung" gibt keinen solchen Anlass ab.

Im Fall 2 hat der BFH den hinreichenden Anlass für beide Unterfälle bejaht und die Gründe

für eine einstweilige Anordnung dementsprechend verneint, wobei in beiden Entscheidungen

eine Unklarheit auftaucht. Es ging wie berichtet um „sonstiges― Verwaltungshandeln

(weshalb ja auch die einstweilige Anordnung zur Debatte stand und nicht die Aussetzung der

Vollziehung). Gleichwohl setzt sich der BFH in der Entscheidung wistra 2002, 308 mit der

Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchens auseinander, indessen wollte die Bank doch

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„weiteren Ermittlungen vorbeugen―, insbesondere deren Auswertung. Es lag deshalb m. E.

nicht ganz fern, sich mit den Erwägungen, die der BFH in der Entscheidung wistra 1998, 110

(113), zu cc, zu § 30 a III AO anstellt, auseinander zu setzen. Grundsätzlich darf die

Fahndung Unterlagen auswerten (§ 194 III AO). Deshalb greifen die folgenden Erwägungen

im Fall 3, wo es sich nicht um eine Bank handelt, nicht. Geht es aber um eine Bank, ist die

Auswertungsbefugnis durch § 30 a III AO begrenzt. Danach dürfen Guthabenkonten pp., bei

deren Errichtung eine Legitimationsprüfung nach § 154 II AO vorgenommen wurde,

anlässlich einer Außenprüfung nicht abgeschrieben werden, und Kontrollmitteilungen sollen

unterbleiben. Diese Erwägung greift im Fall 4 nicht, denn hier kommt es nur auf die

Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchen an.

BFH vom 15. 6. 2001, VII B 11/00, wistra 2002, 27 (31), verneint die Voraussetzungen des §

30 a III AO bei Bestehen eines „Anfangsverdachts― (selbst wenn diesem ein

Verfahrenshindernis entgegensteht) „aus prinzipieller Erwägung―. Näher begründet dies BFH

vom 2. 8. 2001, VIIB 290/99, wistra 2002, 71, für die Außenprüfung.

Zusammenfassend:

Im Fall 1 fehlt der hinreichende „Anlass―.

Im Fall 2 ist der hinreichende Anlass gegeben. Im Gegensatz zu BFH wistra 2002, 308 hätte

allerdings dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben werden müssen,

weil die Unterlagen nicht „abgeschrieben― werden dürfen. Der BFH entschied anders.

Im Fall 3 gilt diese Einschränkung nicht, weshalb der Antrag auf den Erlass der einstweiligen

Anordnung (hinreichenden Anlass unterstellt) nicht durchgeht.

Im Fall 4 gelten die Einschränkungen des § 30 a AO auch nicht, weil es nur auf die

Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchen ankommt. Besteht hinreichender Anlass (also bei den

Unterfällen zu 2.), hat der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keine Aussicht.

Alles in allem sind die mit der Befugnis der Fahndung zusammenhängenden Problemkreise

gesetzlich unübersichtlich geregelt und in ihrer Lösung höchst umstritten. Ich versuche

folgende Zusammenfassung:

Bezüglich § 208 I 1 Nr. 1 AO besteht offenbar Einigkeit darüber, dass diese Bestimmung der

Fahndung nur eine strafverfahrensrechtliche Kompetenz gibt. Das wird aus dem Wortlaut

gefolgert. M.E. könnte man hier noch am ehesten einsetzen und sich fragen, ob nicht schon

die Nr. 1 auch eine steuerrechtliche Aufgabenzuweisung enthält - wenn man mit dem BFH

über so etwas schon zu reden gedenkt. Die steuerliche Aufgabenzuweisung aus Nr. 2

herauszulesen, scheint mir gänzlich verfehlt. Ich neige zu der Auffassung von Hellmann,

wonach Nr. 2 im Grunde überflüssig ist, jedenfalls nicht über die Nr. 1 hinausgeht.

Was die Nr. 2 angeht, so sehen Kohlmann und Joecks hierin ebenfalls nur eine

strafrechtliche Aufgabenzuweisung. Die Ermächtigung nach Nr. 2 geht nicht weiter als die

aus Nr. 1 folgende. Anders betrachtet es der BFH, der in der Nr. 2 eine strafrechtliche und

eine steuerverfahrensrechtliche Zuweisung sieht, so dass die Fahndung etwa in den Fällen, in

denen strafrechtlich nichts mehr zu ermitteln ist (etwa wegen Eintritt der strafrechtlichen

Verjährung = Verfahrenshindernis) gleichwohl steuerverfahrensrechtlich weiter ermitteln

werden darf (die steuerliche Festsetzungsverjährung für hinterzogene Steuern ist länger als die

normale steuerliche Verjährungsfrist und vor allem länger als die strafrechtliche), so dass die

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Finanzbehörde durchaus ein Interesse an der weiteren Ermittlung haben kann. Hinzukommt

die eigenartige Auffassung, wonach zwischen dem „Lebensvorgang― Straftat und den

steuerlichen Ermittlungen lediglich ein sog. „unmittelbarer Zusammenhang― bestehen müsse,

es insbesondere nicht darauf ankommt, ob wegen der Straftat noch strafrechtlich ermittelt

werden darf.

Die Nr. 3 gibt nach der Rechtsprechung des BFH eine steuerrechtliche Befugnis. Diametral

entgegengesetzt ist die Auffassung von Hellmann, der in der Bestimmung nur eine

strafverfahrensrechtliche Kompetenz sieht, woraus sich beispielsweise das Erfordernis des

Anfangsverdachts ergibt (den Hellmann auch tatsächlich verlangt, indem er ihn mit dem von

der Rechtsprechung des BFH aufgestellten Erfordernis des „hinreichenden Anlasses―

gleichsetzt) Nach Joecks eröffnet die Nr. 3 der Fahndung keine Möglichkeit der

Vorfeldermittlung, auch keine steuerrechtliche. Allenfalls mit Mitteln der Aussenprüfung

(und deren besonderen Zulässigkeitsvorausstzungen, z. B. Ankündigung) seien

Vorfeldermittlungen durchzuführen.

Niedersächsisches FG vom 11. 11. 2005, 6 K 21/05, wistra 2006, 194: Die Betriebsprüfung

stellt bei mehren Fachärzten fest, dass diese die Erlöse aus dem Verkauf eines bestimmten

Medikaments nicht vollständig versteuert hatten, und schaltet daraufhin das Finanzamt für

Strafsachen ein. Dieses ermittelt, dass die betroffenen Ärzte das Medikament von mehreren

auswärtigen Apotheken bezogen, während sie den Einkauf ihrer sonstigen Pharmaprodukte

meist über ortsansässige Apotheken abwickelten. Darauf fordert das Strafsachenfinanzamt,

gestützt auf § 208 I 1 Nr. 3 AO den Hersteller des Medikaments, das Pharmaunternehmen X,

durch Bescheid auf, die 50 Apotheken im Bundesgebiet, an die das Unternehmen in den

Jahren 1999 bis 2003 das Medikament geliefert hat, und die pro Jahr gelieferten Einheiten

mitzuteilen. Gegen dieses Auskunftsersuchen richtet sich die (nach erfolglosem Einspruch)

erhobene Klage.

Das FG hält das Auskunftsersuchen für rechtmäßig. Indem sich das Strafsachenfinanzamt

(das das FG offensichtlich mit der Steuerfahndung gleichsetzt) auf § 208 I 1 Nr. 3 AO stütze,

habe es zum Ausdruck gebracht, dass es nicht im Strafverfahren sondern im

Besteuerungsverfahren zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle tätig werde. Den

"hinreichenden Anlass" sieht das FG in den Ermittlungsergebnissen der Außenprüfung und

des Strafsachenfinanzamts. Aufgrund dieser Erkenntnisse konnte das Finanzamt davon

ausgehen, dass auch andere Fachärzte ihre Einnahmen aus dem Verkauf des Medikaments

nicht vollständig versteuerten. Die geforderte Auskunft sei geeignet, eine mögliche

Steuerverkürzung aufzudecken. Die Ermittlung der vertreibenden Apotheken sei zwar nur ein

Zwischenschritt; dieser ermögliche aber (wenn auch durch weitere Schritte, wie etwa

Auskunftsersuchen an die Apotheken), die zu überprüfenden Fachärzte ausfindig zu machen.

Das FG steht mit der Rechtsprechung des BFH (und der h. M.) in Einklang.

Nach meiner Ansicht (mit der Sie in der Praxis keine Zustimmung ernten werden) ist der

Entscheidung nicht zu folgen, weil § 208 I AO für dieses -- strafrechtlich begründete --

Auskunftsersuchen keine Grundlage bildet. Das FG hätte der Klage stattgeben und den

Verwaltungsakt aufheben müssen. Das Finanzamt hätte nicht abgabenrechtlich, sondern

steuerverfahrensrechtlich nach §§ 94 ff. StPO vorgehen müssen, weil der Finanzbehörde eine

strafverfahrensrechtliche Ermittlungspflicht obliegt, die sie nicht durch abgabenrechtliches

Vorgehen erfüllen kann.

Abgesehen davon vermag § 208 I 1 Nr. 3 AO als eine rein abgabenrechtliche Bestimmung

nicht die Tätigkeit des Strafsachenfinanzamts zu rechtfertigen: oder anders ausgedrückt: das

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Strafsachenfinanzamt hatte sich auf abgabenrechtliches Gebiet begeben, ist aber dazu nicht

legitimiert, weil es keine steuerverwaltende Tätigkeit ausübt. (Vgl. o. zu III 1). Diesem

Gesichtspunkt wird aber von der h. M. keine Bedeutung beigemessen.

BFH vom 5. 10. 2006, VII R 63/05, wistra 2007, 189 hat die Entscheidung des Nds FG

bestätigt. Wie in den Entscheidungsgründen des BFH berichtet, hatte die Fahndung

mittlerweile die begehrten Daten aufgrund eines durch das AmtsG erlassenen Durchsuchungs-

und Beschlagnahmebeschlusses erfahren, den das LG auf Beschwerde allerdings mit dem

Hinweis aufgehoben hat, die Stufe eines "vagen Anfangsverdachts" sei nicht überschritten,

und die Fahndung sei auf die aus § 208 I 1 Nr. 3 AO resultierende Kompetenz verwiesen. Die

Beschwerdeentscheidung ist in wistra 2007, 399 veröffentlicht (LG Hildesheim vom 27. 7.

2006, 21 Qs 1/06). Zum Anfangsverdacht in derartigen Fällen vgl. Randt, Der

Steuerfahndungsfall, 2004, C 302 ff. (S. 218 ff.). Es kommt aber m. E. nicht darauf an, ob der

Anfangsverdacht zu bejahen ist, entscheidend ist vielmehr, dass ihn das Strafsachenfinanzamt

bejaht hat, indem es den Beschlagnahmebeschluss beantragte. Dann ist dadurch der

abgabenrechtliche Weg versperrt ("Umgehungssperre" des § 397 I AO, dazu

Putzke/Scheinfeld, Strafprozessrecht, S. 27), gleichgültig, ob objektiv betrachtet der

Anfangsverdacht tatsächlich vorlag. Zum Problem Verf., wistra 2006, 452 und wistra 2007,

396.

Demgegenüber argumentiert Matthes, wistra 2008, 10 (17 f.), anders herum: beschreitet die

Steufa den abgabenrechtlichen Weg, gebe sie damit zu erkennen, dass ein strafprozessualer

Anfangsverdacht nicht vorliege. Das ist m. E. nicht der richtige Ansatz, weil es nicht im

Belieben der Steufa liegt, einen Anfangsverdacht zu verneinen, um sich so den

steuerverfahrensrechtlichen Weg offen zu halten. Wenn sie den Anfangsverdacht allerdings

selbst bejaht (etwa indem sie Durchsuchungs- bzw. Beschlagnahmeanordnung beantragt),

scheidet schon deswegen der abgabenrechtliche Weg aus.

Generell zum hinreichenden Anlass für Vorfeldermittlungen vgl. die

Rechtsprechungsübersicht von Vogelberg, PStR 2007, 244.

BFH v. 14. 7. 2008, VII B 92/08, wistra 2008, 434: Der Betriebsprüfer gelangt zu der

Ansicht, dass bestimmte Zahlungen den Tatbestand des § 299 II StGB erfüllen, und

beabsichtigt, diese Erkenntnisse an die StA weiterzuleiten. Der Antrag auf Erlass einer

einstweiligen Anordnung, dem Finanzamt die Weitergabe zu untersagen, blieb erfolglos.

Nach § 4 V Nr. 10, so der BFH, ist die Finanzbehörde ohne eigene Prüfung, ob eine

strafgerichtliche Verurteilung in Betracht kommt, ur Weiterleitung verpflichtet.

____________

Da die Fahndung von § 93 AO befreit ist, muss sie sich nicht – wie etwa das Finanzamt – vor

dem Auskunftsersuchen gegenüber Dritten zunächst an die betroffenen Fachärzte selbst

wenden.

Aus dem folgenden Bild sehen Sie die Kompetenz der Fahndung, wie sie sich nach meiner

Ansicht darstellt. § 404 AO regelt die strafrechtlichen Befugnisse, § 208 AO die

steuerverfahrensrechtlichen. Diese Sicht entspricht nicht der h. M., die zumindest den § 208 I

S. 1 Nr. 1 AO dem Strafverfahrensrecht zuordnet. Man muss sich jedoch fragen, was wäre

denn, wenn es diese Bestimmung nicht gäbe? Dann wäre die Fahndung doch auch

Steuerpolizei und hätte, abgeleitet aus § 404 AO, die Aufgabe, Steuerstraftaten zu ermitteln.

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51Die strafverfahrensrechtliche Kompetenz der Fahndung benötigt also den § 208 AO nicht.

Sie folgt vielmehr schon aus § 404 AO.

Wenn § 208 AO überhaupt eine Funktion hat, dann jedenfalls keine strafrechtliche, allenfalls

eine abgabenrechtliche. Aber auch letztere ist fraglich. Die Tätigkeit der Fahndung bedeutet

für Pflichtige wie Dritte einen belastenden Eingriff, denn die Fahndung ist von gewissen

Beschränkungen, die die AO der Verwaltung auferlegt, befreit.

Insbesondere nicht abschließend geklärt ist die Frage, welche Anforderungen an den

"hinreichenden Anlass" für das Tätigwerden der Fahndung zu stellen sind, vgl. o. C I 1, "die

Treppenleiter des Verdachts". Ist die Ermittlungstätigkeit der Fahndung zulässig, ergibt sich

daraus auch die Zulässigkeit des Auskunftsverlangens gegenüber Dritten (ohne vorherige

Befragung des in Betracht kommenden Steuerpflichtigen). So dürfte das

Veranlagungsfinanzamt in dem Fall des Niedersächsischen FG die Auskunft gegenüber dem

Pharmaunternehmen nicht verlangen, weil die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten

Vorrang hat. Das FA müsste also zunächst bei den ins Visier genommenen Ärzten ermitteln

(auch die Apotheker wären Dritte, so dass auch ihnen gegenüber die Auskunft nicht verlangt

werden könnte). Mit welchem Recht – und vor allem unter welchen Voraussetzungen – sollen

der Fahndung Sonderermittlungsbefugnisse zustehen?

Bild 68

51

Vgl. Hellmann, Das Neben-Strafverfahrensrecht der Abgabenordnung, S. 324: Da die Ermittlung der

Besteuerungsgrundlagen einen notwendigen Bestandteil eines Steuerstrafverfahrens bildet, formuliert § 208 I 1

Nr. 2 AO keine Aiufgabe, die sich nicht schon aus § 404 AO ergäbe.

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Die Doppelfunktion der Fahndung führt zu folgendem Instanzenzug:

Zu unterscheiden sind der abgabenrechtliche und der strafverfahrensrechtliche

Zuständigkeitsstrang. Abgabenrechtlich setzt das Veranlagungsfinanzamt fest,

Rechtsmittelgericht ist das Finanzgericht. Die Fahndung hat die Funktion einer

Steuerprüfung.

Strafrechtlich hat die Fahndung die Funktion einer Steuerpolizei. Die Beamten sind

Hilfsbeamte

- der Staatsanwaltschaft oder

- der Finanzbehörde (sofern diese selbständig ermittelt und damit die Stellung

der Staatsanwaltschaft einnimmt).

Strafverfahrensrechtlich ist also das StraFAFA gegenüber der Steufa weisungsbefugt. Die

Weisungsbefugnis des StraFAFA besteht natürlich auch abgabenrechtlich (wenn die Steufa

wie in NRW geschehen, einem gesonderten Strafsachenfinanzamt untersteht). Untersteht sie

der OFD als selbständige Stelle, tritt an die Stelle des Strafsachenfinanzamts die OFD.

Strafverfahrensrechtlich ist aber auch das Amtsgericht für die Steufa zuständig, beispielsweise

in in den Fällen, in denen die Steufa aufgrund eines Beschlagnahmebeschlusses (der die

Unterlagen nicht im Detail beschreibt) bestimmte Unterlagen wegnimmt und dann Antrag auf

gerichtliche Entscheidung nach § 98 II 2 StPO gestellt wird.

Streck (Steuerfahndung, TZ 46) gelangt zu der Feststellung, vier vorgesetzte anweisungs-

und ersetzungsbefugte Dienststellen überlagerten die Fahndung. Nach meiner Ansicht sind es

sogar mehr:

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1. Das Strafsachenfinanzamt (sowohl für den strafrechtlichen (in welchem die Fahnder

Hilfsbeamte sind) als auch für den abgabenrechtlichen Teil (in dem der Vorsteher des

Strafsachenfinanzamts die Fahnder anweisen kann)).

2. Das Veranlagungsfinanzamt, denn dieses braucht den Steufa-Bericht nicht zu

übernehmen, sondern kann anderweitig festsetzen; „Verhandlungen― mit der Steufa

bezüglich des abgabenrechtlichen Teil sind „form-, frist- und zwecklos―, weil das

Finanzamt an derartige Absprachen nicht gebunden ist. Man muss also das

Veranlagungsfinanzamt „mit einbeziehen―.

3. Das Finanzgericht, weil es abgabenrechtlich über die Festsetzung, aber auch über die

Anforderung von Besteuerungsunterlagen (siehe obigen Fall) entscheidet (hebt das

Finanzamt den Verwaltungsakt gegenüber der Bank nicht auf, entscheidet im Wege

der Klage (mit der Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung) das Finanzgericht).

4. Die Staatsanwaltschaft (strafverfahrensrechtlich weisungsbefugt), soweit die Steufa als

Hilfsorgan tätig wird;

5. das Strafgericht, beispielsweise soweit es über Beschlagnahmen entscheidet.

6. Schließlich die OFD (auch soweit die Steufa dem Strafsachenfinanzamt angeschlossen

ist). Das Weisungsrecht in strafverfahrensrechtlicher Angelegenheit ist zwar

umstritten, man könnte Parallelen zur Frage der Weisungsbefugnis des

Generalstaatsanwalts gegenüber der Staatsanwaltschaft ziehen, jedenfalls soweit die

Finanzbehörde selbständig tätig wird. Weisungsbefugnis besteht aber zumindest in

abgabenrechtlicher Hinsicht, entweder direkt gegenüber der Steufa, soweit diese der

OFD angegliedert ist, aber auch über das Strafsachenfinanzamt, wenn die Fahndung

darin organisiert ist.

Zusammenfassend:

Die Zuständigkeits-, Weisungs-, Ersetzungsstufenleiter ist alles in allem höchst diffus, schwer

zu durchschauen und insbesondere für den Pflichtigen (Beschuldigten, Betroffenen) ein Buch

mit sieben Siegeln. Man kann es graphisch wie Streck an folgender Übersicht darstellen, die

die Dinge aber auch nur ansatzweise wiedergibt:

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Bild 69

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E. Anhang

Probeklausuren finden Sie jeweils auf der Homepage des Weiterbildenden

Studiengangs.

Klausuren

1. Klausur

1. Sie sind Staatsanwalt und reichen bei Gericht eine Anklage gegen den A ein, worin dieser

der Hinterziehung von Einkommensteuer in Höhe von 1.000,00 für das Jahr 2001

beschuldigt wird, indem er bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht angegeben

hat. Das Gericht lehnt die Eröffnung mangels hinreichenden Tatverdachts ab, weil es an

einem bestandskräftigen Steuerbescheid fehle. Das Finanzamt habe zwar inzwischen die

angeblich hinterzogene Einkommensteuer festgesetzt, aus den Akten sei aber ersichtlich,

dass A Einspruch eingelegt habe, der noch nicht beschieden sei (was tatsächlich zutrifft).

Steht der StA ein Rechtsmittel gegen diesen Nichteröffnungsbeschluss zu, und wie ist es

zu begründen ?

2. Sie sind Strafrichter und stellen während der Zeugenvernehmung in der

Hauptverhandlung (den Eröffnungsbeschluss hatte Ihr Urlaubsvertreter erlassen) fest,

dass die angeklagte Steuerstraftat verjährt ist. Das teilen Sie den Beteiligten mit. Der

Sitzungsvertreter der StA erklärt, da man nun schon einmal mit der Beweisaufnahme

begonnen habe, müsse man damit fortfahren, es werde sich schon zeigen, ob der

Angeklagte schuldig oder nicht schuldig sei. Der Verteidiger rügt „das skandalöse

Verhalten der StA―, die einen Unschuldigen verfolge, und beantragt, sofort die

Beweisaufnahme zu schließen und den Angeklagten freizusprechen.

Was tun Sie und warum?

Was hätten Sie getan, wenn Ihnen die Verjährung beim Aktenstudium vor der

Hauptverhandlung aufgefallen wäre?

3. Zu Ihnen als Rechtsanwalt kommt Mandant M. Er ist in erster Instanz wegen

Steuerhinterziehung verurteilt worden. Sein bisheriger Verteidiger hat frist- und

formgerecht Revision eingelegt. B will von Ihnen wissen, ob diese Aussicht auf Erfolg

hat. Das Urteil ist soeben zugestellt. M hat es gleich mitgebracht. Das Gericht hat

folgenden Sachverhalt festgestellt:

„Der Angeklagte (M) ließ in der Zeit vom ... bis ... in arbeitsteiliger Weise

durch den Zeugen Z 5 Mio. unverzollter Zigaretten über die deutsch/polnische

Grenze in die Bundesrepublik schmuggeln und verkürzte dadurch Steuern

(Zoll) in Höhe von 1,1 Mio. € (wird näher ausgeführt). Der Angeklagte hat sich

der Steuerhinterziehung nach § 370 I Nr. 2 AO i. V. m. Art. 217 I des

Zollkodex schuldig gemacht, und zwar als Mittäter nach § 25 II StGB. Da der

Angeklagte durch die von ihm jeweils aufgegebene Bestellung sowohl Menge

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und Marke der zu schmuggelnden Zigaretten als auch den Zeitpunkt des

Schmuggels bestimmte und als Weiterverkäufer in besonderem Maße ein

eigenes Interesse am Gelingen der Schmuggelfahrten hatte, ist er als Mittäter

des Zeugen Z anzusehen. Dieser hat den Tatbestand des Schmuggels in eigener

Person verwirklicht. Der Mittäterschaft steht nicht entgegen, dass der

Angeklagte die Zigaretten nicht selbst über die Grenze brachte. Der Verstoß

gegen die aus Art. 40 ZK nur den Zeugen treffende Gestellungspflicht ist

nämlich dem Angeklagten als Mittäter zuzurechnen, denn bei § 370 I Nr. 2 AO

handelt es sich nicht um ein Sonderdelikt, das nur durch den unmittelbar

pflichtwidrig Handelnden verwirklicht werden könnte. Mittäter kann auch sein,

wer den Schmuggel als Hintermann steuert, auch wenn er selbst keine

Gestellungspflicht hat. Das trifft auf M zu ...―

Art. 40 ZK lautet:

„Waren ... sind von der Person zu gestellen, welche die Waren in das

Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat...―

Art: 217 I ZK lautet:

„Jeder einer Zollschuld entsprechende ... Abgabenbetrag ... muss

unmittelbar bei Vorliegen der erforderlichen Angaben von den

Zollbehörden berechnet und in die Bücher ... eingetragen werden. ...―

4. S betreibt einen Partydienst und gibt in 2001 Einnahmen aus gewerblicher Tätigkeit

um netto 100.000,00 zu niedrig an. Um nicht aufzufallen, hat er die damit

verbundenen Ausgaben für die entsprechenden Wareneinkäufe in Höhe von 70.000,00

ebenfalls nicht in der Buchführung erfasst. Als alles auffällt, stellt sich heraus, dass S

Sonderausgaben in Höhe von 3.000,00 € und außergewöhnliche Belastungen von

2.000,00 (beides voll abzugsfähig) geltend machen kann, was er bisher irrtümlich

unterlassen hat. Der Einkommensteuersatz sei 40 %.

Hat S den objektiven Tatbestand des § 370 I Nr. 1 AO erfüllt, wenn ja, wie

hoch ist der Verkürzungsbetrag?

5. Zu Ihnen als Rechtsanwalt kommt heute der Mandant M, der seit 1992 ein

Nummerkonto in der Schweiz hat, das jährlich 50.000,00 € abwirft. M hat seine

Einkommensteuererklärung jeweils zum 31.05. des dem Veranlagungsjahr folgenden

Jahres eingereicht, und die 50.000,00 € dabei nicht erklärt. Er wurde jeweils bis Ende

November für das vorangegangene Jahr veranlagt. M will von Ihnen wissen, was zu

tun ist, denn länger halte er das nicht mehr durch.

Was raten Sie? Begründung?

6. Sie sind Strafrichter. Die StA erhebt vor Ihnen als Einzelrichter Anklage gegen A

wegen Steuerhinterziehung. Der Vorwurf: Verkürzung der Umsatzsteuer 2001 und

2000 durch Nichtabgabe der Jahreserklärung am 31.05.2002 bzw. 31.05.2001 sowie

wegen Verkürzung der Einkommensteuer 2001, begangen ebenfalls durch

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Nichtabgabe der Jahreserklärung. Aus den Beiakten ergibt sich, dass gegen A

anderweitig ein Ermittlungsverfahren wegen Abgabe zu niedriger

Umsatzsteuervoranmeldungen Januar bis Mai 2000 läuft, was dem A nach Einleitung

Mitte Juni 2000 bekannt gegeben wurde.

Eröffnen Sie das Verfahren? Begründung?

7. Sie sind Staatsanwalt und haben folgendes ermittelt: Der Geschäftsführer Schulze der

Wohnbau GmbH hat für die Gesellschaft in der jeweiligen Jahreserklärung 2001 die

Umsätze und den Gewinn aus Gewerbebetrieb zu niedrig angegeben, was bei einer

Außenprüfung rausgekommen ist. Nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen

Schulze haben die Gesellschafter der Wohnbau GmbH den Schulze als

Geschäftsführer abgelöst und Herrn Redlich als neuen Geschäftsführer bestellt, was

bereits ins Handelsregister eingetragen ist. Redlich hat sofort für Schulze und die

Gesellschaft „Selbstanzeige― erstattet und sowohl die Umsätze 2001 und die Gewinne

aus Gewerbebetrieb richtig angegeben und alle Steuern nachgezahlt.

Erheben Sie Anklage gegen Schulze? Wenn ja, wegen welcher Delikte?

Lösungsbemerkung zur 1. Klausur

Frage 1:

In Betracht kommt sofortige Beschwerde (§ 210 II StPO). Vermeiden Sie die übliche Floskel,

dass das Rechtsmittel „zulässig und begründet sein muss―. Das ist Richterperspektive. Zur

Zulässigkeit können Sie doch überhaupt nichts sagen, allenfalls zur Statthaftigkeit. Zulässig

ist die sofortige Beschwerde, wenn Sie sie fristgerecht eingelegt haben. Das soll aber doch

erst geschehen. Entsprechendes gilt für die Frage 3. Auch dort können Sie zur Zulässigkeit

der Revision nichts sagen, denn die soll ja erst aufgrund der zu fertigenden Begründung

zulässig werden. Anders ist es, wenn Sie als Gericht ein bereits eingelegtes Rechtsmittel zu

prüfen haben. Die Beschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den hinreichenden

Tatverdacht i. S. des § 203 StPO zu Unrecht verneint hat. Sie können davon ausgehen, dass

die Ermittlungen an sich ausreichend sind und dass nur die fehlende Bestandskraft des

Steuerbescheids zur Verneinung des Tatverdachts führte. Übrigens: Der Steuerbescheid ist

natürlich nicht bestandskräftig mit Erlass (wie es ein Bearbeiter schreibt), sondern erst dann,

wenn die Rechtsbehelfe bzw. die Rechtsmittel erschöpft sind! Der Bearbeiter verwechselte

Vollziehbarkeit mit Bestandskraft. 3 Punkte waren anzusprechen: Zum einen die

uneingeschränkte Vorfragenkompetenz des Strafrichters, zum anderen die Schwierigkeiten, in

die das Gericht geraten könnte, wenn es verurteilt, ohne die Steuerfestsetzung abzuwarten. Es

kann dann Probleme mit dem Wörtchen „dadurch― und der „Kausalität― in § 370 AO geben.

Es könnte, wenn die Finanzverwaltung die Steuerfrage anders beurteilt als der Strafrichter nur

Versuch gegeben sein. Aber das sind Fragen, deren Beantwortung die Hauptverhandlung

bringen muss. Der hinreichende Tatverdacht kann nicht versagt werden. Notfalls kann sich

das Gericht, worauf auch einige Bearbeiter hingewiesen haben, mit § 396 AO (Aussetzung)

helfen. Im übrigen könnten Sie noch „staatspolitische― Gründe anführen und die

Vorfragenkompetenz einzuschränken versuchen. Letztlich hätte diese Erwägung aber in der

AO keine Grundlage, wenngleich in der Literatur solche Versuche unternommen werden,

zumindest den Strafrichter in die Entscheidungen des Finanzgerichts zu binden. Vollständig

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hat die Frage 1.) niemand bearbeitet, aber die Benotung hat großzügig darüber

hinweggesehen, weil man in zwei Stunden so etwas wohl nicht bringen kann.

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Frage 2:

Die Gesetzeslage ist einfach: § 206 a StPO und § 260 III StPO, gleichwohl von einigen

Bearbeitern nicht gesehen. Man hätte die Ausnahmefälle aufzeigen können, in denen die

Hauptverhandlung soweit gediehen ist, dass die Unschuld des Angeklagten bereits feststeht,

dann Anspruch auf Freispruch. Falsch war es jedenfalls, ohne nähere Begründung die

Verpflichtung des Gerichts zum Erlass eines freisprechenden Urteils zu bejahen.

Frage 3:

Der Fall ist LG Hamburg, wistra 2001, 68, nachgebildet. Die Entscheidung fällt völlig aus

dem Rahmen. Bender stimmt ihr in der Anmerkung zu, wohl wissend, dass er mit seiner

Ansicht allein auf weiter Flur steht. Aber man muss sich eben mit diesen abweichenden

Ansichten auseinandersetzen. Vgl. im Skript C I 13. Im Zollrecht besteht eine Vorliebe, die

Handlungspflicht des § 370 I Nr. 2 AO kursorisch zu handhaben.

Frage 4:

Hier fehlt im Sachverhalt die Angabe, ob das Finanzamt entsprechend den unrichtigen

Angaben festgesetzt hat. Da es sich um eine Außenprüfung handelt, konnte man davon

ausgehen. Sehen Sie das anders, kommt Versuch in Betracht. Sodann prüfen Sie richtig das

Kompensationsverbot. Man musste herausstellen, was für ein qualitativer Unterschied

zwischen Einnahmen im Verhältnis zu Betriebsausgaben einerseits und zu Sonderausgaben /

außergewöhnlichen Belastungen anderseits besteht. Es kommt nicht darauf an, ob

„irrtümlich― etwas nicht geltend gemacht worden ist, sondern allein darauf, wie eng der

Zusammenhang zwischen der Verkürzung und dem Grund sein muss, der zu einer Minderung

der Steuerlast führt. Sie versuchen es, mit dem Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs

in den Griff zu bekommen. Inwieweit dies alles logisch ist, ist eine andere Frage. Sie hätten,

um die Unterschiede pointiert vor Augen zu führen, auf das Verhältnis

Umsatzsteuer/Vorsteuer verweisen und dem das Verhältnis Betriebseinnahmen/Ausgaben

gegenüber stellen können. Die Vorsteuer kann eben gesondert geltend gemacht werden, die

Betriebsausgabe nicht. Dies alles war zu diskutieren. Unglücklich ist es, wenn Sie wie viele

Bearbeiter einfach auf „den BGH― verweisen. Die Verweisung auf eine h. M. ersetzt niemals

eine eigene Begründung.

Frage 5:

Die Verjährung für § 370 AO beträgt 5 Jahre (und nicht 10, wie verschiedentlich

angenommen). 1995 (veranlagt Ende 1996) verjährt dann Ende 2001, also muss bis

einschließlich 1996 zurückliegend noch Selbstanzeige abgegeben werden. Beginn der

Verjährung ist das Ergehen des Bescheides. Man hätte noch kurz auf § 370 a AO eingehen

können, was manche Bearbeiter tun (allerdings übersehen diese, dass § 370 a AO natürlich

nicht für die früheren Jahre gilt, sondern erst in 2002). - Die Bearbeiter wenden fast

ausnahmslos § 370 I Nr. 1 AO an, ohne auch nur zu diskutieren, ob das Begehungsdelikt

überhaupt einschlägig ist. Wir haben in der Vorlesung ausführlich darüber gesprochen. Aber

in der Klausur kann man dies wahrscheinlich doch nicht leisten.

Frage 6:

Hier ging es um die Frage der Suspendierung der Erklärungspflicht. Die Bearbeiter erörtern

zum großen Teil alles mögliche, einige auch die Frage der Tatidentität: diese zu verneinen, ist

aber nicht haltbar, denn die unrichtige Voranmeldung ist eben eine andere Tat als die

Jahreserklärung. Wer es anders sieht, müsste dies zumindest ausführlich begründen. Die

Frage war, inwieweit die Erklärungspflicht suspendiert ist. Nach der Ansicht des BGH für

dieselbe Steuer und denselben Veranlagungszeitraum, also für 2000, Umsatzsteuer, nicht

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dagegen für Umsatzsteuer 2001. Letzteres war aber zu diskutieren. Außerdem: Bei Beginn der

Erklärungspflicht war dem A das Ermittlungsverfahren noch nicht bekannt, sondern erst Mitte

Juni. Steht dieser Umstand der Suspendierung der Erklärungspflicht entgegen? Fehlt hier etwa

ein subjektives Element?

Frage 7:

Es ging um die Fremdanzeige nach § 371 IV AO. Frage: Gilt diese nur für die

Erklärungspflicht nach § 153 AO oder schlechthin?

Allgemein:

Man macht sich wegen ... strafbar oder auch gemäß ... strafbar aber eines Vergehens schuldig. Noch

zur Richterperspektive: Es ist erstens überflüssig und zweitens auch noch falsch, wenn Sie bei der

Frage der sofortigen Beschwerde mitteilen, dass das Gericht prüfen muss, inwieweit es abhilft. Das

interessiert denjenigen, der prüft, ob er die Beschwerde einlegt, überhaupt nicht, und außerdem ist die

Aussage falsch, weil das Gericht bei sofortiger Beschwerde eben nicht abhelfen darf.

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2. Klausur

1. Sie sind Staatsanwalt und erhalten vom Finanzamt für Steuerstrafsachen eine Akte

vorgelegt, in der folgender Sachverhalt ermittelt worden ist:

M hat im Jahr 01 – neben anderen Einkünften - Einkünfte aus Zinserträgen bei einer

Luxemburger Bank erzielt. Wie in jedem Jahr füllt er auch für 01 die

Einkommensteuererklärung für sich und seine Frau F selbst aus, kreuzt dabei

„Zusammenveranlagung― an, unterschreibt und legt die Erklärung mit Anlagen seiner

Frau F zur Mitunterschrift vor. Diese, frühere Steuerinspektorin, die sich als Hausfrau

und Mutter aus dem aktiven Berufsleben zurückgezogen hat, erkennt sofort, dass in

der Anlage betreffend die Einkünfte aus Kapitalvermögen sämtliche Zinsbeträge des

M aus dem Luxemburger Konto fehlen. Das sind im Jahr 01 tatsächlich 30.000,00 €,

wobei die F allerdings nur weiß, dass M einmal eine Zinsgutschrift von 10.000,00 €

erhalten hat. Sie stellt den M zur Rede, wie er ihr zumuten könne, eine solche

Erklärung zu unterzeichnen. Als M droht, wenn sie weiterhin Theater mache, zöge er

sofort aus, schmisse alles hin, so dass sie dann sehen könne, wo sie und die Kinder

bleiben, bekommt sie es mit der Angst, weil sie fürchtet, ihre Ehe und den damit

verbundenen Lebensstandard zu verlieren, unterschreibt die Erklärung und wirft sie

auf Geheiß des M auch noch persönlich in den Nachtbriefkasten des Finanzamts.

Entsprechend der Erklärung des M ergeht der Bescheid. Der Steuersatz ist 50 %.

Das Finanzamt schlägt vor, Anklage gegen M und F wegen § 370 AO zu erheben. Was

tun Sie?

2. Zu Ihnen als Rechtsanwalt kommt die völlig aufgelöste Mutter des Syrers Ahmed und

berichtet: ihr Sohn ist von der schweizer Polizei aufgegriffen worden, als er in Zürich

gerade mit seinem PKW nach Deutschland abfahren wollte. Sie fürchtet, dass er eine

größere Menge Haschisch bei sich gehabt hat, das er nach Freiburg, wo er lebt,

bringen und an dortige Dealer verkaufen wollte – natürlich ohne irgendwelche

Einfuhrabgaben zu entrichten, die, wie sie von ihrem Sohn gehört hat, so horrend hoch

seien. Was die Schweizer mit ihm vorhaben, weiß sie nicht. Sie fürchtet aber, dass er

an die deutschen Behörden überstellt wird. Ob er etwas zu befürchten habe, will sie

wissen. Sie erklären ihr, dass Sie für BTM-Strafrecht nicht gerade Spezialist sind, Sie

könnten wohl etwas zu den „Fiskalstraftaten― sagen, insbesondere zu §§ 370 und 372

AO. Was erklären Sie der Frau zur Strafbarkeit des Ahmed nach diesen Vorschriften?

Veränderung:

Ahmed wird mit seiner Fracht nicht in Zürich, sondern 500 m vor der deutschen

Grenze von der schweizer Polizei aufgegriffen, bevor er über die Grenze fahren kann.

3. Sie sind Sachgebietsleiter beim Finanzamt. Der Sachbearbeiter eines Ihrer

Veranlagungsbezirke berichtet über folgenden Fall:

Der Unternehmer U hat Fristverlängerung für die Abgabe der Einkommen-

Steuererklärung 01 beantragt, und zwar um drei Monate nach Ablauf der Abgabefrist.

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Er hat dazu ein Attest des Arztes Dr. A vorgelegt, worin bescheinigt wird, dass sich

der U wegen des Verdachts einer lebensbedrohenden Erkrankung überraschend einer

Operation unterziehen müsse, die ihn für Monate außer Gefecht setze. In Wirklichkeit

war alles frei erfunden. Dr. A hat zugegeben, die Bescheinigung gefälligkeitshalber

erteilt zu haben, wohlwissend, zu welchem Zweck. U hat mittlerweile die Erklärung

abgegeben, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Veranlagungsarbeiten noch in vollem

Gange waren. Wäre das unrichtige Attest nicht aufgefallen, hätte man ihn noch gar

nicht veranlagt. So hat ihn der Bezirk vorgezogen und manuell veranlagt, wobei sich

eine Nachzahlungsverpflichtung in Höhe von 10.000,00 ergab, deren Erfüllung U

hinauszögern wollte. Ihr Sachbearbeiter will wissen, ob man den Fall an das

Finanzamt für Strafsachen abgeben solle.

Veränderung:

U hatte sich vertan. In Wirklichkeit erhält er eine Erstattung von 1.000,00.

4. Sie sind Amtsrichter. Die Staatsanwaltschaft reicht eine Anklageschrift gegen U

herein, wonach sich dieser wegen Betruges strafbar gemacht hat, indem er im März

01 beim Finanzamt Bochum die Erstattung von Vorsteuerbeträgen in Höhe von

30.000,00 € durch Vorlage von mehreren gefälschten Rechnungen erschlich, die er

samt Briefkopf der jeweils anderen – tatsächlich existenten - Firmen auf seinem

eigenen Computer ausgedruckt hatte. Nach der Anklageschrift hat er durch den Antrag

auf Vorsteuererstattung verbunden mit der Vorlage dieser gefälschten Rechnungen das

Vermögen des betreffenden Steuergläubigers dadurch geschädigt, dass das Finanzamt

aufgrund dieses Irrtums die Vorsteuern erstattete. Wegen der bereits eingetretenen

Vollendung vermochte ihn nicht zu entlasten, dass ihm nach Erhalt der Erstattungen

Bedenken kamen, er sich dem Finanzamt bereits offenbart und mit Hilfe von

Geldmitteln, die ihm ein Verwandter zur Verfügung gestellt hatte, die Erstattungen

mittlerweile zurückgezahlt hatte. Die Ermittlungen haben ergeben, dass U niemals

Umsätze ausgeführt, nur eine Scheinfirma angemeldet und das Ganze von seinem

Wohnzimmer aus betrieben hatte.

Lassen Sie die Anklage zu, und eröffnen Sie das Hauptverfahren?

5. Zu Ihnen als Rechtsanwalt kommt der Mandant M. Er ist wegen Steuerhinterziehung

verurteilt. Sein bisheriger Verteidiger hat frist- und formgerecht Revision eingelegt. M

will von Ihnen wissen, ob diese Aussicht auf Erfolg hat. Das Urteil ist soeben

zugestellt. M hat es gleich mitgebracht. Das Gericht hat folgenden Sachverhalt

festgestellt:

Der Angeklagte (M) hat für das 1. Quartal 01 trotz Verstreichens der

Frist eine Umsatzsteuervoranmeldung nicht abgegeben. Er hat damit

den Tatbestand des § 370 I Nr. 2 AO erfüllt, denn als Unternehmer war

er zur Abgabe verpflichtet. Er hat im 1. Quartal 01 Umsätze in Höhe

von 10.000,00 € erzielt und dementsprechend Umsatzsteuer in Höhe

von 1.600.00 € hinterzogen. Dass diesem Hinterziehungsbetrag

Vorsteuern in Höhe von 2.000,00 € entgegenstanden, vermag den

Angeklagten nicht zu entlasten, denn der Vorsteuererstattungsanspruch

ist ein „anderer Grund― im Sinne des § 370 Abs. IV AO. Auch wenn

der Angeklagte selbst glaubte, wie er sich einlässt und ihm nicht

widerlegt werden konnte, gegenüber der Umsatzsteuerforderung des

Finanzamts „aufrechnen― zu können und dementsprechend zur Abgabe

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der Voranmeldung nicht verpflichtet zu sein, hätte er doch bei

Anwendung größerer Sorgfalt erkennen können, dass diese

Verpflichtung bestand. Schließlich ist M seit Jahren im Gewerbe tätig

und müsste über seine steuerlichen Verpflichtungen unterrichtet sein.

Zumindest hätte er sich, wenn er sich schon nicht sicher ist, steuerlichen

Rat einholen und auf diese Weise seinen Irrtum vermeiden

können......Es folgen Ausführungen zum Strafmaß.

Hat die Revision Aussicht auf Erfolg ?

6. Sie verteidigen als Rechtsanwalt den S in einem Verfahren wegen

Steuerhinterziehung. In der Hauptverhandlung missfällt Ihnen, dass die neben dem

Staatsanwalt sitzende „Vertreterin der Finanzbehörde― (so das Protokoll) dauernd

„quer schießt―, während Sie mit dem Gericht und dem Staatsanwalt die Einstellung

des Verfahrens nach § 153, ggfls. Buchstabe a, StPO erörtern. Sie stellen schließlich

den Antrag, besagte Frau V von der weiteren Teilnahme an der Hauptverhandlung

auszuschließen, weil sie hier nichts zu suchen habe und allenfalls Zeugin sein könne,

aber dann nur reden könne, wenn sie gefragt sei. Das Gericht lehnt Ihren Antrag durch

Beschluss ab. Frau V sei als Sachgebietsleiterin der Steuerfahndung des Finanzamts

für Steuerfahndung und Strafsachen zur Teilnahme an der Hauptverhandlung

berechtigt. Das ergebe sich aus der AO. Sie wollen sich damit nicht abfinden. Können

gegen Sie gegen diesen Gerichtsbeschluss mit Aussicht auf Erfolg Rechtsmittel

einlegen ?

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Lösungsbemerkung zur 2. Klausur

Frage 1:

Verfahrensrechtlich gehen Sie von § 170 I StPO aus und prüfen (mit Blick auf § 203 StPO)

den hinreichenden Tatverdacht. Das setzt voraus, dass Verurteilungswahrscheinlichkeit

besteht.

M:

§ 370 I Nr. 1 AO?

- Hat M Angaben gemacht?

In diesem Zusammenhang sehen einige Bearbeiter ein Problem darin, dass er den Brief nicht

selbst zur Post gebracht hat und spalten die einheitliche Handlung auf in das „Unterzeichnen―

und das „zur Post bringen― durch F. In Wirklichkeit ist es eine einheitliche Handlung. M. E.

brauchen Sie noch nicht einmal zu erwähnen, dass die Handlung der Botin F dem M

zuzurechnen ist, denn schließlich ist es gleichgültig, ob er den Brief durch den Briefträger,

durch seine Ehefrau oder durch Ehefrau und Briefträger übersendet. Hier lag also kein

Problem. Das er Angaben gemacht hat, ist zweifelsfrei.

- Waren die Angaben unrichtig:

Ja, wobei es gleichgültig ist, ob Sie sagen „unvollständig― oder „unrichtig―.

- Steuerverkürzung?

Ja, weil die auf die Zinseinkünfte entfallende Einkommensteuer nicht festgesetzt worden ist,

also Festsetzungsverkürzung in der Form „zu niedrig―, § 370 IV 1 AO.

- Jetzt erst kommt das Problem in Gestalt des Wörtchens „dadurch―. Kausalität?

Herkömmliche Kausalitätsprüfung nach der Conditio-sine-quo-non-Formel: Denkt man sich

die Handlung hinweg, entfällt dann der Erfolg? Jetzt dürfen Sie nicht den Fehler machen, die

konkrete (verwirklichte) Handlung des M hinwegzudenken und gleichzeitig die richtige

Handlung, nämlich die Angabe der 30.000,00 als Zinsen, hinzuzudenken. Das verstößt gegen

die Kausalitätsprüfungsmethode, denn es dürfen keine Bedingungen hinzuphantasiert werden,

die nicht verwirklicht worden sind. Die Kausalitätsprüfung sieht so aus: Denkt man sich die

unrichtige Erklärung des F hinweg, wäre dieser konkrete Erfolg, nämlich die konkrete

Steuerfestsetzung entfallen. Erfolg ist: Die tatsächlich ergangene Steuerfestsetzung, dass diese

unrichtig ist, spielt bei der Kausalitätsprüfung noch keine Rolle. Handlung ist die tatsächliche

Erklärungshandlung. Dass sie unrichtig ist, spielt bei der Kausalitätsprüfung ebenfalls keine

Rolle. Folge: Hätte M diese Erklärung nicht abgegeben, wäre diese Steuerfestsetzung nicht

erfolgt, also ist Kausalität gegeben. Das Ergebnis befriedigt nicht, denn wir sagen uns

natürlich, wenn der M überhaupt nichts gemacht hätte, wäre überhaupt nichts festgesetzt

worden, also kann doch irgendetwas nicht stimmen. Das ist aber keine Kausalitätsfrage,

sondern eine Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs. Hätte nämlich M diese konkrete

Handlung unterlassen, hätte er also gar nichts gemacht, wäre jedenfalls keine höhere Steuer

festgesetzt worden, sondern gar nichts. Erst bei der Frage des

Rechtswidrigkeitszusammenhang bringen wir die Seins-Ebene und die normative Ebene

zusammen. Wir fragen also, und hier denken wir dann wirklich etwas hinzu (was bei der

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Kausalitätsprüfung nicht statthaft ist): Was wäre geschehen, wenn sich M dieser seiner

Erklärung enthalten hätte, wäre es dann nicht zu der Steuerverkürzung gekommen? Antwort:

Dann wäre es auch zur Steuerverkürzung gekommen, also ist die Steuerverkürzung jedenfalls

nicht durch die unrichtige Erklärung zustande gekommen. Damit sind Sie mit Nr. 1 am Ende.

Das Ergebnis entspricht freilich nicht h. M. Die h. M. macht es vielmehr wie die meisten der

Bearbeiter, sie prüft weder Kausalität noch Rechtswidrigkeitszusammenhang und sagt

einfach, der Pflichtige hat etwas unvollständig erklärt, dadurch ist die Verkürzung zustande

gekommen, basta. Sehen Sie es jedoch wie hier, dann müssen Sie jetzt übergehen zu

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO:

M hat es unterlassen, die Zinseinkünfte zu erklären, hat also unvollständige (unrichtige)

Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht. Wie ist es mit dem Merkmal

pflichtwidrig? Die Pflicht zur Angabe ergibt sich aus § 20 I Nr. 7 EStG, 25 I, II EStG.

Steuerverkürzung wie oben. Das Merkmal „dadurch―: Hätte er die Zinseinkünfte erklärt, wäre

die Steuer festgesetzt worden. „Quasi-Kausalität― („quasi―, weil es bei der Unterlassung keine

wirkliche, sondern eben nur eine fiktive Kausalität gibt) liegt vor.

Anklage gegen F?

Wenn Sie § 370 I Nr. 1 AO bei M verneinen, brauchen Sie bei F damit nicht von vorn

anzufangen, sondern gehen gleich zu Nr. 2 über. Handelte sie bezüglich der Einkünfte des

Ehemannes pflichtwidrig? Es kommt also darauf an, ob sie die Einkünfte des Ehemannes

offenbaren muss. Der BFH (wistra 2002, 353) sagt, bei der Zusammenveranlagung erklärt

jeder Ehegatte nur seine eigenen Einkünfte. Das Problem kann hier dahinstehen, jedenfalls hat

die F keine Pflicht, die Einkünfte des Ehemanns zu erklären. Es bleibt noch die Frage nach

§ 370 I Nr. 2 AO, § 27 StGB:

Beihilfe zur Unterlassung seitens des M?

Positiv zu fördern ist bei der Unterlassung nichts, in Betracht kommt nur psychische Beihilfe.

Diese hat die F gerade nicht geleistet.

Fazit also:

Anklage gegen M wegen § 370 I Nr. 2 AO, Einstellung gegen F nach § 172 II StPO.

Einige Bearbeiter lassen sich regelrecht aus der Kurve tragen. Wenn man bei M das

Begehungsdelikt bejaht, kann man nicht erst bei F auf die Frage der Unterlassung zu sprechen

kommen. Wenn schon, dann gehört diese Problematik in die Bearbeitung von M. Man kann

auch schlecht bei M Kausalität bejahen, bei F aber verneinen mit dem Hinweis, dass die

Angaben letztlich nicht die Festsetzungsverkürzung bewirkt hätten. Wenn Sie mit dem BFH

argumentieren, dann hat M § 370 I Nr. 1 AO (Angaben machen) begangen, F hat zwar auch

Angaben gemacht, aber nicht bezüglich der Einkünfte des M, so dass ihre Angaben nicht

„unrichtig― oder „unvollständig― sind. Von diesem Standpunkt aus bleibt dann nur noch § 27

StGB (Beihilfe) an der Begehungstat des M zu prüfen. Objektiv hat sie die Haupttat

gefördert. Beim Vorsatz unterläuft manchen Bearbeitern der schwere Fehler, dass sie auf eine

„Steuerhinterziehung schlechthin― abstellen und nicht sehen, dass genau wie beim objektiven

Tatbestand natürlich auch die Höhe der Steuerverkürzung vom Vorsatz umfasst sein muss. Es

ist also rechtlich nicht unerheblich, das M nur von 10.000,00 € Zinsen weiß, aber nichts vom

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Rest. Wenn also schon Beihilfe angenommen wird, dann Vorsatz nur bezüglich 10.000,00 €.

Die Rechtswidrigkeit scheitert nicht an § 24 StGB und auch nicht an § 35 StGB

(rechtfertigender bzw. entschuldigender Notstand), auch nicht an schuldausschließender

Pflichtenkollision oder an einer allgemeinen Unzumutbarkeit (vgl. die Schriftumsnachweise

im Skript, insbesondere Rolletschke, wistra 2000, 253). Diese feinen Verästelungen brauchten

Sie in der kurzen Zeit, die zur Bearbeitung zur Verfügung stand, natürlich nicht zu sehen. Ich

wollte Ihnen nur verdeutlichen, was in einem so einfachen Fall alles stecken kann. Die ganze

Diskussion, die neuerdings wieder über die Strafbarkeit des mitunterzeichnenden Ehegatten

aufflammt, krankt daran, dass die Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs beim

Begehungsdelikt nicht gesehen wird. Dabei liegt es doch nahe, das schreiben auch einige

Bearbeiter, dass die Erklärung deshalb unrichtig ist, weil die Zinsen „nicht― erklärt werden,

also heißt dies doch, dass nicht die Erklärung, also die Handlung, sondern die Nichterklärung,

also das Unterlassen, die Festsetzungsverkürzung herbeigeführt hat. Wenn man das so sieht,

dann entstehen auch bei dem mitunterzeichnenden Ehegatten nicht die Probleme, ob er nur

seine eigenen oder auch die Einkünfte des anderen miterklärt. Was auch immer er erklärt: Für

die Festsetzungsverkürzung ist diese Erklärung nicht relevant, sondern nur die Unterlassung

der Erklärung, nämlich das Unterbauen der in Wirklichkeit erzielten Zinsen, und hier kommt

es dann eben nicht auf die Erklärung an, sondern auf die Frage, ob die F die Verpflichtung hat

(i. S. des § 370 I Nr. 2 AO) die Steuern des Ehemanns mit zu erklären, und diese

Verpflichtung hat sie nicht! Damit löst sich die ganze Diskussion einschließlich der

Beihilfefrage des mitunterzeichnenden Ehegatten in Luft auf!

Frage 2:

Dem Sohn droht in der Bundesrepublik nur dann etwas, wenn er sich nach deutschem

Strafrecht strafbar gemacht hat.

1. Variante:

§ 370 I Nr. 2 AO?

Hüpfen Sie nicht gleich auf den Tatbestand, sondern prüfen Sie - logisch vorrangig - erst

einmal die Anwendung deutschen Strafrechts.

Die Frage ist, ob Sie mit § 307 VII AO oder mit den Bestimmungen über das „internationale

Strafrecht― des StGB beginnen sollen. § 370 VII AO ist Spezialvorschrift. Man kann damit

anfangen. Im Verhältnis zu den §§ 3 ff. StGB gelangen Sie ohnehin, wie Sie sehen werden, zu

den gleichen Ergebnissen, weil § 370 VII AO, wie im Skript gesagt, leer läuft. Ich beginne

einmal mit den §§ 3 ff. StGB.

Einige sagen, zu prüfen sei § 7 II StGB. Die Bestimmung scheidet erkennbar aus, weil A

weder Deutscher noch im Inland betroffen ist. Wenn es eine Auslandstat ist, ist deutsches

Strafrecht nicht auf sie anwendbar. Es bleibt also nur die Frage des § 3 StGB zu prüfen,

Inlandstat. Hier kommt § 9 StGB in Frage. Jetzt müssen Sie inzidenter prüfen, ob ein Erfolg

eingetreten ist. Zur Klarstellung: Sie sind immer noch bei der vorrangigen Frage, ob deutsches

Strafrecht überhaupt anwendbar ist. Sie erörtern also nicht wie sonst zunächst einmal die

Tathandlung usw., sondern springen gleich auf den „Erfolg― i. S. des § 9 I StGB. Erfolg wäre

bei § 370 AO die Steuerhinterziehung. Nun ist Ihnen bekannt, dass auf Suchtstoffe

Eingangsabgaben nicht erhoben werden. Im Skript ist das ausführlich erörtert. Also kein

Erfolg; damit scheitert die Bestrafung bereits an § 9 StGB (§ 212 ZK). Damit sind wir aber

noch nicht am Ende, denn zu prüfen sind nunmehr

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§ 370 I Nr. 2 AO, §§ 22, 23 StGB.

Der Versuch ist strafbar nach § 370 II AO.

Frage, Inlandstat?

Einschlägig ist jetzt § 9 I StGB, in der Variante „nach der Vorstellung des Täters eintreten

sollte―. Jetzt müssen Sie nicht auf das objektive Vorliegen einer Steuerverkürzung abstellen,

sondern darauf, ob die Verkürzung in der Bundesrepublik eintreten sollte. D. h., Sie müssen

die Versuchsproblematik jetzt im Rahmen des § 9 StGB abhandeln. Das Problem liegt darin,

dass hier allenfalls ein untauglicher Versuch in Frage kommt, denn nach den Tatsachen, die

der A zu verwirklichen gedachte, konnte wegen § 212 ZK eine Steuerschuld nicht entstehen

und dementsprechend auch keine Verkürzung. Sie entnehmen aber dem Sachverhalt, dass der

A davon ausging (er glaubte an horrende Abgaben), dass Steuern entstehen, dass er mithin

auch diese Steuern hinterziehen werde. Frage, ob der schlichte Glaube an den Steueranspruch

den untauglichen Versuch bereits verwirklicht oder ob der Täter zusätzlich Tatsachen

annehmen muss, die, wenn sie vorlägen, einen Steueranspruch begründen würden. Es geht

also um die Abgrenzung zwischen Wahndelikt und Versuch. Erkannt hat das niemand.

Stattdessen haben sich die Bearbeiter auf alle möglichen Abwege begeben. Ob es zu diesem

Punkt eine h. M. gibt, ist schwer zu sagen. Folgen Sie der Ansicht, die Tatsachen- und

Rechtskenntnis (Annahme des Steueranspruch) verlangt, dann würden Sie einen Versuch

verneinen, weil A den Steueranspruch nur im luftleeren Raum sieht, aber keine Tatsachen

annimmt, die ihn wirklich zur Entstehung bringen würden. Folgen Sie der Meinung die sagt,

wenn die Unkenntnis des Steueranspruchs den Vorsatz ausschließt, dann führt umgekehrt die

irrtümliche Annahme eines Steueranspruchs zur Bejahung des Vorsatzes, dann müssten Sie

untauglichen Versuch annehmen. Dieser Erfolg wäre nach der Vorstellung des A in der

Bundesrepublik eingetreten, und der A würde deutschem Recht unterfallen, weil es sich um

eine Inlandstat handelt (§§ 3, 9 I StGB).§ 370 VII AO führt zum selben Ergebnis. Damit sind

Sie aber erst über die Frage der Anwendung deutschen Strafrechts hinweg. Nun kommt die

Detailprüfung anhand des Tatbestandes: Der Versuch hat bekanntlich einen subjektiven Teil

(mit dem könnten Sie jetzt anfangen, weil Sie ihn ja oben schon erörtert haben; haben Sie

dagegen oben Wahndelikt gesagt, dann sind Sie natürlich mit der Bearbeitung am Ende, weil

dann § 9 I StGB nicht zum Zuge kommt). Erst jetzt kommen Sie zum objektiven Teil des

Versuchstatbestandes, nämlich dem unmittelbaren Ansetzen. Das ist zu verneinen, weil er

noch nicht mit dem Überqueren der Grenze begonnen hat. Man kann über diese Frage

diskutieren, weil andererseits zum Teil gesagt wird, schon das Absenden der Ware sei Beginn

des Versuchs. Das Absenden ist aber etwas anderes, als wenn man viele Kilometer von der

Grenze entfernt das Auto besteigt. Also nach meiner Ansicht: Kein Ansetzen. Damit also in

dieser Variante keine Strafbarkeit nach § 370 AO.

Nebenbei bemerkt scheidet damit auch § 370 VII AO aus.

§ 372 AO?

§ 370 VII AO gilt nicht für § 372 AO.

Wieder beginnen Sie mit dem deutschen Strafrecht, §§ 3, 9 I StGB. Vollendung scheidet

erkennbar aus, weil die Ware nicht in die Bundesrepublik gelangt ist.

Versuch?

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Einige Bearbeiter meinen, bei § 372 AO sei der Versuch nicht strafbar. Ein Blick ins Gesetz

hätte hier die Rechtskenntnis gefördert, denn § 372 II AO verweist auf § 370 II AO, der die

Versuchsstrafbarkeit anordnet.

Sollte der Erfolg in der Bundesrepublik eintreten? Herkömmlich wird § 372 AO als

Tätigkeits- und nicht als Erfolgsdelikt angesehen. Sie könnten aber erwägen, dass zur Einfuhr

schließlich ja doch ein gewisser Erfolg gehört, nämlich das Verbringen der Ware in die

Bundesrepublik. Ich halte das aber nicht für richtig, denn die Einfuhr ist vollendet, wenn die

Grenze überschritten wird, also in der logischen Sekunde, in der der Täter den „Grenzgraben―

überschreitet. Erfolg tritt also in dieser logischen Sekunde und nicht erst „in der

Bundesrepublik― also im Inland, ein, folglich gibt es bei § 372 AO keinen Erfolg, der nach

der Vorstellung des Täters im Inland eintreten sollte, so dass § 9 I StGB und damit die

Strafbarkeit nach § 372 AO ausscheiden.

Sollten Sie - m. E. unrichtig - § 372 AO als Erfolgsdelikt ansehen in Gestalt der „Einfuhr―

und sollten Sie diesen „Erfolg― der mit Grenzübertritt in dieser logischen Sekunde eintritt, als

im Inland eingetreten sehen, dann kommt § 372 AO dennoch nicht zum Zuge, denn dann

greift die Subsidiaritätsklausel des Absatzes 2. Hier ordnet nämlich § 29 I Nr. 1 BtMG die

Strafbarkeit des Einführens an. Aber wenn Sie das nicht beachtet haben, ist dies nicht negativ

bewertet worden, weil ich ja sagte, von Betäubungsmittelstrafrecht brauchen Sie hier „nichts

zu verstehen―.

2. Variante:

Für § 370 I Nr. 2 AO ergibt sich insofern eine Veränderung, als man bei dieser Variante das

Ansetzen bejahen muss. Wenn Sie also alle übrigen Merkmale des (untauglichen) Versuchs

bejaht haben, dann hätte sich in dieser Variante der A tatsächlich nach deutschem Strafrecht

mit einer Inlandstat strafbar gemacht nach § 370 I Nr. 2, II AO, §§ 22, 23 StGB. Hier würde

ihm dann tatsächlich etwas drohen in der Bundesrepublik.

Frage 3:

Sie geben ab, wenn Strafbarkeit gegeben.

U:

§ 370 I Nr. 1 AO?

U hat Angaben gemacht, die auch unrichtig sind. Über steuererhebliche Tatsachen? Ja, auch

die Bewirkung einer Fristverlängerung zur Abgabe ist steuererheblich, weil ja dadurch die

Festsetzung hinausgeschoben würde. So würde die h. M. argumentieren. Sie geht mit dem

Merkmal „steuererheblich― allerdings sehr salopp um, indem sie sagt „steuererheblich ist

alles, was mit der Verkürzung zu tun hat―, misst das Tatbestandsmerkmal also an dem der

Verkürzung. Damit wird „steuererheblich― faktisch entwertet. Man könnte es bei dieser Art

der Auslegung ebensogut weglassen. Ich meine, wenn das Merkmal schon im Tatbestand

steht, muss es auch eine Bedeutung haben, also einen Sinn, der sich aus ihm selbst erschliesst

- und nicht aus einem andern Tatbestandsmerkmal . Täuschung über die „Gesundheit― wäre

hiernach keine falsche Angabe über steuererhebliche Tatsachen. Nach h. M. müssten Sie dies

aber anders sehen. Tathandlung also gegeben.

Verkürzung?

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Nein, denn es ist richtig festgesetzt worden. Verkürzung etwa deshalb, weil zu spät festgesetzt

wurde? Auch das nicht, denn der Antrag des U hat die Festsetzung nicht hinausgezögert,

sondern eher beschleunigt, so dass auch kein Verspätungsschaden eingetreten ist.

Versuch?

U stellte sich vor, dass die Festsetzung hinausgeschoben würde. Nach seiner Vorstellung wäre

also eine Verkürzung eingetreten. Unmittelbar angesetzt hat er auch.

Dr. A, Strafbarkeit nach §§ 370 I Nr. 1 AO, §§ 22, 23, 27 StGB, Beihilfe zum Versuch des A.

2. Variante: Strafbarkeit des U:

Vollendung scheitert aus denselben Gründen wie in der ersten Variante. Ob er nun tatsächlich

eine Steuererstattung erhält, macht keinen Unterschied. Entscheidend ist, dass jedenfalls die

Tathandlung die Festsetzung nicht hinausgezögert hat.

Versuch?

Nach seiner Vorstellung wollte U die Festsetzung hinauszögern. Ob er sich nur über den

Steueranspruch geirrt hat, oder ob er auch irrtümlich Tatsachen annahm, die zur

Steuerverkürzung geführt hätten, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Wenn er nur falsch

gerechnet hat, dann ging er davon aus, dass bei seinen Einkünften ein Steueranspruch

entsteht, nahm also nicht nur den Steueranspruch im luftleeren Raum an, sondern auch

Tatsachen. Für ein Wahndelikt scheint hier nichts zu sprechen, also auch hier Versuch und

entsprechend wie oben Beihilfe des Dr. A, Fazit also: In beiden Fällen Abgabe an die

Strafsachenstelle.

Richtigerweise haben Sie natürlich bei Dr. A nicht § 267 StGB geprüft, denn in der

Ausstellung einer Lüge in Gestalt des falschen Attestes liegt natürlich keine Herstellung einer

unechten Urkunde.

In beiden Fällen hätte hier jedoch § 371 AO geprüft werden dürfen. Immerhin könnte die

Selbstanzeige erfolgreich sein, wenn U die festgesetzten 10.000,00 € in der ersten Variante

innerhalb der Frist zahlt. In der zweiten Variante hat er die Angaben nachgeholt, und eine

Nachzahlungsverpflichtung ist überhaupt nicht entstanden, so dass § 371 AO die Strafbarkeit

in beiden Varianten ausschließen könnte und Sie die Sache gar nicht erst abzugeben brauchen.

Bei U liegt § 279 StGB vor, bei Dr. A § 278 StGB. Wer das gesehen hat, gleicht andere

Fehler aus, wird also honoriert. Nachteilig ist dies Nichterwähnung nicht bewertet worden.

Frage 4:

Sie gehen von § 203 StPO aus und prüfen den hinreichenden Tatverdacht. Es läuft darauf

hinaus, ob Betrug oder § 370 AO verwirklicht ist. Nur im letzteren Fall kommt § 370 AO in

Betracht. Das haben Sie alle im wesentlichen richtig erkannt.

Nur die Gründe gehen etwas kraus durcheinander. Der Tatbestand des Betruges lässt sich

durchaus bejahen. Entscheidend ist die Spezialität der Steuerstrafrechtsbestimmung, die §

263 StGB ausschließt, so der BGH.

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Wenn Sie das verneinen und Betrug annehmen, dann müssten Sie schon begründen, warum

im Gegensatz zur Rechtsprechung nicht § 370 AO einschlägig sein soll. (BGHSt 36, 101 und

weitere Nachweise bei Tröndle/Fischer, § 263, TZ 137. Leider weisen die

Steuerstrafrechtskommentare, also Kohlmann und FGJ, auch nur darauf hin, dass der BGH §

370 AO annimmt, sagen aber nicht, aus welchen Gründen § 263 StGB ausscheidet).

Das Verhalten des U kann allerdings § 267 StGB erfüllen, so dass das Gericht nach § 207 II

Nr. 3 StPO vorgehen und die Anklage nur in veränderter Form (also mit rechtlich

abweichender Würdigung) zulassen wird.

Der Schwerpunkt lag bei der Frage, ob die Vorspiegelung nicht existenter Umsätze einen

steuererheblichen Vorgang i. S. des § 370 AO darstellt, so dass die Frage bei § 370 AO und

nicht erst bei den Konkurrenzen zu erörtern war. Wenn Sie nämlich die Steuererheblichkeit

bejahen, sind alle Fragen damit beantwortet, denn dass § 370 AO wegen Spezialität den

§ 263 StGB ausschließt und dass dann § 371 AO greift, ist klar. Es ist also nicht richtig, in

einem Satz festzustellen, dass § 370 I Nr. 1 AO erfüllt ist und anschließend mit viel Pomp

§ 263 StGB zu erörtern und § 371 AO. Diese Fragen sind nämlich dann schon beantwortet,

wenn Sie die „Steuererheblichkeit― bejahen. Manche Arbeiten sind also kopflastig, indem sie

eine Scheinproblematik abhandeln, und das Problem nach unten, in den § 263 StGB und in

den § 371 AO verlegen.

Frage 5:

Die Revision hat Aussicht auf Erfolg, wenn das Urteil des Gesetz verletzt und hierauf beruht.

Ausgangspunkt ist also § 337 StPO. In Betracht kommt nur eine Verletzung materiellen

Rechts, so dass die Beruhensfrage sich bei Gesetzesverletzung von selbst ergibt. Dann

brauchen Sie nichts darüber zu sagen, dass ein anderes Urteil zu erwarten wäre. Das ist

natürlich bei materiellen Rechtsverletzungen gleichsam selbstverständlich und kann in einem

Satz mitgeteilt werden. Richtig ist, dass die Vorsteuer ein anderer Grund i. S. des § 370 IV

AO ist. Die Frage ist, ob der Vorsatz gegeben ist. Wenn Sie sagen, er M irrt lediglich über die

Handlungspflicht, nämlich über die Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung, die er als

nicht gegeben ansieht, weil er „aufrechnen― könne, dann haben Sie noch nicht das wesentliche

gesagt. Der Irrtum über die Pflicht ist nämlich typischer Verbotsirrtum und schließt jedenfalls

den Vorsatz nicht aus. Irrtum über die Garantenpflichten sagen zum Vorsatz überhaupt nichts

aus, entscheidend ist die Garantenstellung (wie bei allen unechten Unterlassungsdelikten). Mit

dem Irrtum über die Pflicht zur Abgabe ist also bezüglich des Vorsatzes nichts gewonnen.

Bedeutsam ist aber, dass M den Steueranspruch für ausgeschlossen hält. Das Entscheidende

ist nun, dass steuerrechtlich tatsächlich der Steueranspruch ausgeschlossen ist, weil der M ja

hätte saldieren können. Strafrechtlich ist er nicht ausgeschlossen, eben wegen § 370 IV AO.

Das kann aber nichts ändern, eher im Gegenteil. Wenn sich schon steuerlich kein Rotbetrag

des Finanzamts ergab, der Steueranspruch also schon fehlte, dann ist der Vorsatz (gleichsam

erst Recht) ausgeschlossen. Das gilt jedenfalls, wenn man der h. M. dahingehend folgt, dass

der Steueranspruch zum Tatbestand gehört. Literatur bei Meine, wistra 2002, 361. Hiernach

hat die Revision also Aussicht auf Erfolg.

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Frage 6:

In Betracht kommen Beschwerde und Revision und zwar keineswegs alternativ, sondern unter

Umständen auch kumulativ.

§ 304 StPO:

Frage, ob die Beschwerde wegen § 305 StPO ausgeschlossen ist. Das hängt davon ab, wie Sie

den Begriff „vorausgehend― definieren. Sehen Sie das Merkmal im Licht des § 336 StPO,

dann kommt es darauf an, ob die Entscheidung revisibel ist. Dann müssten Sie im Rahmen

der Beschwerde die Revisibilität prüfen, insbesondere die Beruhenseignung. Das gehört alles

zur Frage der Statthaftigkeit (und ist logisch voranging, bevor Sie die Begründetheit prüfen).

Sehen Sie zeitlich als vorausgehend an, dann ist die Beschwerde wegen § 305 S. 1 StPO

ausgeschlossen. So sieht es die h. M. Gleichwohl würden Sie als Verteidiger natürlich die

Beschwerde einlegen in der Hoffnung, dass das Gericht sie vielleicht doch als statthaft

ansieht, weil die Meinungen ja umstritten sind. Dann kommen Sie zur Begründetheit der

Beschwerde: Teilnahmeberechtigt ist nach § 407 AO „die Finanzbehörde―, wozu die

Fahndung nicht gehört. Die Fahndungsmitarbeiterin ist also nicht teilnahmebefugt und

müsste von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Insofern hätte die Beschwerde, wenn man

sie als statthaft ansieht, Erfolg.

Revision?

Dass die Revision gegen das am Ende der Hauptverhandlung ergehende Urteil statthaft ist, ist

keine Frage. Hierüber brauchen Sie keine Worte zu verlieren. Die Frage ist, ob die Revision

begründet ist. Hier handelt es sich um die Verfahrensrevision, so dass Sie etwas zur

Beruhenseignung i. S. des § 337 StPO sagen müssen.

Zur Gesetzesverletzung gilt das zur Beschwerde gesagte. Das Gesetz ist verletzt, wenn das

Gericht die Fahndung hat teilnehmen lassen, und zwar unabhängig davon, ob nur der

Tatrichter oder auch das Beschwerdegericht diesen Rechtsfehler gemacht haben. Wenn das

Beschwerdegericht die Beschwerde als statthaft angesehen, aber als unbegründet

zurückgewiesen hat, dann kann gleichwohl die Revision die Gesetzesverletzung bejahen

(selbst wenn sie vom Beschwerdegericht „gedeckt― worden ist). Es gilt also dasselbe wie

oben. Die Gesetzesverletzung liegt vor, und zwar gleichgültig ob der Revisionsführer zuvor

Beschwerde eingelegt hat oder nicht. Er muss keine Beschwerde einlegen. Auch wenn er sie

eingelegt und verloren hat, dann berührt das nicht die Gesetzesverletzung, selbst wenn der

Tatrichter durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist.

Entscheidend ist aber die Beruhensfrage. Die Problematik ist ähnlich wie bei der

Nebenklägerteilnahme. Ältere Entscheidungen stellen darauf ab, ob der Nebenkläger

„wesentlich auf die Verhandlung eingewirkt hat―, indem er Anträge stellte usw. Andere

Entscheidungen bejahen die Beruhenseignung stets, wieder andere stellen darauf ab, was der

Sinn der Nebenklägerzulassung ist. Dient die Nebenklägerteilnahme nur der

„Genugtuungsfunktion―, dann hat das mit der „Urteilsrichtigkeit― nichts zu tun, so dass die

Gesetzesverletzung nicht beruhensgeeignet ist. Bei der Fahndungsteilnahme wird es etwas

anders aussehen, denn die Teilnahme der Finanzbehörde dient ja schließlich der

Wahrheitsermittlung. Wenn nun statt der Finanzbehörde eine nicht befugte Person mitwirkt,

dann könnten Sie sagen, ist die Wahrheitsermittlung eingeschränkt. Die Argumentation ist

aber m. E. schief, denn die Wahrheitsermittlung wird allenfalls dadurch beeinträchtigt, dass

die Finanzbehörde nicht mitwirkt. Wirkt jemand anders mit, dann wird die Wahrheit dadurch

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nicht „verfälscht―. Kurzum: Es kommt auf den Sinn des § 407 AO an. Dieser liegt darin, die

Wahrheitsermittlung durch die Teilnahme der Finanzbehörde zu fördern. Beeinträchtigt ist

sie, wenn der Finanzbehörde die Teilnahme verwehrt wird. Beeinträchtigt ist sie aber nicht,

wenn eine nicht befugte Person an dem Verfahren teilnimmt, vor allem wenn dies durch die

Finanzbehörde bewirkt wird. Fazit also: Nach dieser Auffassung wäre die Gesetzesverletzung

nicht beruhensgeeignet, die Revision also ohne Aussicht, Beruhenseignung läge vor, wenn

man darauf abstellt, ob die betreffende Person durch Anträge das Urteil „beeinflusst haben

kann―. Im Ergebnis konnten Sie hier alles vertreten. Sie brauchten das in der Klausur auch

nicht in diesen Details nachzuzeichnen. Entscheidend ist, dass Sie § 305 und § 336 StPO

gesehen haben.

§ 305 S. 2 ist falsch verstanden worden. Es heißt dort, dass die Beschwerde statthaft ist, wenn

von der Entscheidung dritte Personen betroffen werden. Damit ist natürlich nicht die

„Betroffenheit der Sitzungsvertreterin durch die vom Angeklagten eingelegte Beschwerde

gemeint, sondern die dritte Person muss durch die Entscheidung verletzt sein, so heißt es ja

auch im Gesetz. Es geht also insbesondere um die Beschwerde von Zeugen. Diese sind

Dritte, weil am Verfahren nur mittelbar beteiligt. Ob bereits der Nebenkläger Dritter ist, ist

fraglich. Die Vertretung der Finanzbehörde könnte vielleicht Dritte sein, aber das brauchen

Sie nicht zu entscheiden, denn das gilt natürlich nur, wenn „die dritte Person― die Beschwerde

eingelegt hat.

Allgemeines:

Sprechen Sie bei § 370 AO nicht immer von „Täuschung―. Davon sagt das Gesetz nichts. Es

ist auch sehr fraglich, ob bei der Finanzbehörde ein Irrtum erregt werden muss. Verwenden

Sie doch die gesetzliche Formulierung „unrichtige oder unvollständige Angaben machen―

bzw. über steuerlich erhebliche Tatsachen in „Unkenntnis lassen―.

Bei der Frage 3 brauchten Sie nicht die Streitfrage zu erörtern, ob die Finanzbehörde nur bei

bestimmten Allgemeinstraftaten zuständig ist oder bei jeder allgemeinen Straftat, wenn sie

nur mit einer Steuerstraftat zusammenfällt (so der BGH). Sie hätten sagen können: Abgabe,

wenn eine Steuerstraftat verwirklicht ist. Das andere hätte dann das Strafsachenfinanzamt

selbst prüfen können. So hätten Sie sich bezüglich der Allgemeinstraftaten aus der Affäre

ziehen können. Es war ja nur die Frage, wie Sie sich als Sachgebietsleiter verhalten.

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303

3. Klausur

Beträge sind in geltender Währung zu verstehen. Angegebene Kalenderdaten sind Werktage

1. In Ihrer Anwaltssozietät erscheint der Mandant M. Er lebt von seiner Frau F dauernd

getrennt. Beide Eheleute haben in den letzten zwei Jahren vom Realsplitting nach § 10

I Nr. 1 EStG Gebrauch gemacht. F hat auf der Anlage U bestätigt, von M 13.000 an

Ehegattenunterhalt erhalten zu haben. F hat diese Einkünfte erklärt. Andere Einkünfte

hatte sie nicht, so dass bei ihr Einkommensteuer nicht anfiel. M hat den Betrag als

Sonderausgaben abgezogen. In Wahrheit hat M nur 3000 Unterhalt für F gezahlt.

Diese war damit zufrieden und hat dem M den Sonderausgabenabzug ermöglicht, weil

sie M zurückzugewinnen hoffte. Als sie sich in dieser Hoffnung endgültig enttäuscht

sah, kündigte sie dem M an, ihn beim Finanzamt „hochgehen― zu lassen. M fragt, was

er tun soll. Ihr Sozius meint, M könne ruhig warten. Schließlich sei die F ja Mittäterin.

Wenn sie den M anzeigt, sei dies auch gleichzeitig eine Selbstanzeige, die auch dem

M zu Gute komme. Was müssen Sie von Ihrem Mandanten sinnvollerweise erfragen,

und was raten Sie? Erreichbar: 2 Punkte

2. Sie sind Staatsanwalt und erheben am 02.05.2001 Anklage gegen den Pflichtigen P

wegen Einkommensteuerhinterziehung, begangen 1993 (in welchem Jahr der P

200.000 Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit hatte) durch Nichtabgabe einer

Erklärung und 1994 durch Abgabe einer zu niedrigen Erklärung (30.000 aus

selbständiger Tätigkeit hat P „unterbaut―). Der Amtsrichter erlässt einen

Nichteröffnungsbeschluss mit der Begründung, die Taten seien verjährt. Die

Einleitung der Ermittlungen ist dem P wegen beider Taten am 02.11.2000 bekannt

gegeben worden. Weitere Unterbrechungshandlungen sind nicht feststellbar. Die

Ermittlungen haben ergeben, dass der Veranlagungsbezirk personalmäßig

ausgesprochen gut besetzt und mit den Veranlagungsarbeiten stets auf der Höhe war.

Nach den glaubhaften Erklärungen des Sachgebietsleiters wäre P, hätte er im Jahre

1994 die Erklärung für 1993 abgegeben, im Lauf von 3 Wochen veranlagt worden. Die

Veranlagungsarbeiten für 1993 sind im Bezirk am 30.11.1996 abgeschlossen worden.

Soweit keine Erklärungen vorlagen, waren die Pflichtigen geschätzt. P blieb davon

lediglich deshalb verschont, weil das Finanzamt von der (neu aufgenommenen)

Tätigkeit des P nichts wusste. P hat die Erklärung für 1994 am 30.09.1995 abgegeben

und hat am 31.10.1995 den ESt-Bescheid erhalten. Haben Sie ein Rechtsmittel gegen

den Nichteröffnungsbeschluss, und ist es erfolgversprechend? Erreichbar: 3 Punkte

3. Ihnen als Staatsanwalt wird am 16.07.2003 eine Akte vorgelegt, aus der sich folgendes

ergibt:

Der Pflichtige P reichte die Umsatzsteuerjahreserklärung für 1996 (nach diversen

Mahnungen) am 08.04.1998 beim Finanzamt ein. Die angemeldeten Umsätze von

100.000 erfaßten alle von P erzielten vollständig und wichen nicht von der Summe

der Vorauszahlungen ab. Die (erstmals in der Jahreserklärung) beantragten

Vorsteuererstattungen von 150.000 waren in Höhe von 50.000 fingiert, weil es die

entsprechenden Firmen nicht gab. Das Finanzamt stellte dem P am 29.04.1998 einen

Bescheid zu, wonach dem P die 50.000 erstattet wurden. Als alles herauskam, leitete

das Finanzamt für Strafsachen ein Ermittlungsverfahren gegen P ein, was diesem am

28. 4. 2003 bekannt gegeben wurde. Ihr Urlaubsvertreter hat in der Akte einen

Vermerk hinterlassen, wonach sich weitere Ermittlungen erübrigen, weil alles verjährt

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sei, und schlägt eine Einstellung nach § 170 II StPO wegen Verfahrenshindernisses

vor. Teilen Sie diese Sicht ?

Zusatzfrage: Ändert sich Ihre Beurteilung, wenn die von P erklärten Jahresumsätze

höher als die Summe der Vorauszahlungen war ? Erreichbar: 3 Punkte

4. P hat in 1997 in Höhe von 100.000 Einkommensteuer hinterzogen und erstattet frist-

und formgerecht Selbstanzeige beim Finanzamt. Dieses verfügt eine Frist von 3

Monaten zur Nachzahlung. P zahlt nicht und wird in 2001 angeklagt. Er äußert sich

nicht zur Sache. Das Hauptverfahren wird eröffnet. Erst in der Hauptverhandlung fällt

auf, dass die Fristsetzungsverfügung den P nicht erreicht hat, weil sie vom FinA nicht

abgesandt wurde. Das Gericht unterbricht das Verfahren. Die StA setzt eine Frist zur

Nachzahlung „von 14 Tagen ab heute―.

a) Erste Variante:

P zahlt nicht und wird verurteilt. Mit der Revision rügt er Verletzung sachlichen

Rechts. Die Frist sei zu kurz bemessen, außerdem sei die StA nicht zuständig gewesen,

allenfalls das Finanzamt. Der Generalstaatsanwalt beantragt Verwerfung der Revision

als unzulässig. Verletzung materiellen Rechts liege nicht vor. Ein möglicher

Verfahrensfehler sei nicht formgerecht gerügt. Im übrigen sei die Fristsetzung, selbst

wenn zu kurz bemessen, in erster Instanz nicht angefochten und daher rechtskräftig.

Wie wird das Revisionsgericht entscheiden?

b) Zweite Variante:

P will im Grunde zahlen, ist aber einkommensschwach und kann innerhalb der kurzen

Zeit den Betrag nicht aufbringen. Ihm schwebt vor, die Fristsetzung anzufechten. Mit

Aussicht auf Erfolg? Erreichbar: 3 Punkte

5. Sie sind Sachgebietsleiter Vollstreckung beim Finanzamt und haben in ihrem

Sachgebiet neben der Vollstreckungsstelle auch einen Veranlagungsbezirk. Dessen

Sachbearbeiter und ein Sachbearbeiter aus der Vollstreckungsstelle sprechen bei Ihnen

vor und schildern Ihnen folgendes Problem: Die Vollstreckungsstelle hat einen

„Stammkunden― (S), der stets zu spät zahlt und die Vollzieher gleichsam als

„Inkassostelle― benutze. Die Erklärungen gingen zwar immer pünktlich ein, nur die

Zahlungen nicht. Jetzt steht wieder die Umsatzsteuerzahlung für April 2003 aus. S hat

die Voranmeldung pünktlich abgegeben, aber wieder nicht gezahlt. Die Vollzieher

bearbeiten den Fall zwar gerne, weil S ihnen immer problemlos die angeforderten

Zahlung mitgibt und keine Schwierigkeiten macht. Es werde aber der

Vollstreckungsbetrieb behindert, weil die Vollzieher besser anders eingesetzt werden

sollten. Die Sachbearbeiter fragen an, ob man den Fall nicht der Strafsachenstelle

melden sollte.

Bei dieser Gelegenheit berichtet Ihr Vollstreckungssachbearbeiter, dass ein anderer

Pflichtiger, nämlich P, dem Vollzieher kürzlich einen Scheck mitgegeben habe, der

nicht gedeckt war. Der Vollzieher habe sich schon gewundert, dass er überhaupt etwas

bekam, denn bekanntermaßen war bei P nichts zu holen. Er ist unpfändbar. Die

Vollstreckungsstelle habe nur noch versuchsweise einen Vollzieher herausgeschickt.

Ob man nicht wenigstens diesen Fall der Strafsachenstelle abgeben könne.

Was tun Sie ? Erreichbar: 2 Punkte

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6. Notiz aus dem Handelsblatt, Mai 2003: „Die Steuerfahndung hat ein neues

Ermittlungsfeld entdeckt. Die Jagd auf Aktionäre, die über größere Beteiligungen

verfügen, denn nur wenige dieser Anteilseigner geben Gewinne aus

Beteiligungskäufen beim Finanzamt an. Diese Gewinne sind steuerpflichtig, wenn der

Verkäufer innerhalb der letzten 5 Jahre vor dem Verkauf „wesentlich― an der

Gesellschaft beteiligt war. Die Fahndung verlangt Auskunft darüber, wie sich der

Aktionärsbestand im Laufe der Jahre verändert hat, wer also gekauft und wer verkauft

hat.― Dementsprechend fordert die Steufa den Vorstand der X-AG durch Bescheid mit

Zwangsmittelandrohung auf, die Aktionärsverzeichnisse, die den

Jahreshauptversammlungen in den Jahren 1998 bis 2002 zugrundegelegen haben, der

Steufa vorzulegen. Die X-AG will diesem Verlangen nicht nachkommen; was kann

sie dagegen unternehmen? Erreichbar: 2 Punkte

Lösungsbemerkung zur 3. Klausur

Frage 1:

Sie müssen erfragen, ob schon veranlagt worden ist, denn nur dann ist schon Steuer verkürzt

(vgl. § 371 IV AO). Ist schon veranlagt, bleibt nur § 371 AO. Fraglich ist, ob Absatz 4 zum

Zuge kommt. Dann müsste M ihrer Berichtigungspflicht nach § 153 AO nicht nachgekommen

sein. Schon das ist fraglich, denn sie war ja Mittäterin. Ist dann die Erklärungspflicht

aufgehoben, suspendiert oder war sie nur nicht erzwingbar ? Oder kommt § 371 IV AO nur

dann in Betracht, wenn der Anzeigende ―nur― die Pflicht aus § 153 AO verletzt hat ? Ferner

müsste M „Dritter― im Sinne dieser Vorschrift sein. Daran fehlt es, wenn man als „Dritten―

nur den ansieht, der seinerseits „nur― die Berichtigungspflicht nach § 153 AO nicht erfüllt und

sich erst damit strafbar gemacht hat. M. E. kommt § 371 IV AO schon im Ansatz nicht zum

Zuge, weil die Bestimmung nur bei Verletzung der aus § 153 AO folgenden

Berichtigungspflicht eingreift, nicht aber, wenn sich sowohl Anzeigender als auch Dritter

schon bei Abgabe der Erklärung strafbar gemacht haben. Soweit noch nicht veranlagt wurde,

ist die Tat noch im Versuchsstadium, so dass § 24 StGB in Betracht kommt. Dann muss M

lediglich die Vollendung der Tat verhindern, also berichtigen. Ist schon veranlagt, muss er,

wenn er einer Anzeige durch F zuvorkommen will, seinerseits Selbstanzeige erstatten - mit

der ihn im Fall des Rücktritts nach § 24 StGB nicht treffenden - Folge aus § 371 III AO. Man

kann an die (fakultative) Einstellungsmöglichkeit seitens der StA nach § 154 c StPO

(Erpressungsopfer) denken. Abgesehen davon, dass M nur dann genötigt würde, wenn die F

die Anzeigendrohung als Mittel benutzte. um M zur Rückkehr zu zwingen, ist die Hoffnung

auf Einstellung für M wegen des der StA eingeräumten Ermessens allerdings eine unsichere

Variante. - Es ist überflüssig , in extenso wie in einer Strafrechtsklausur im 5. Semester die

Strafbarkeit des M oder der F zu prüfen. Gehen Sie doch von der Fragestellung aus. Dass §

370 I Nr. 1 AO erfüllt ist, kann in einem Satz gesagt werden, und nicht auf drei Seiten. Die

Kunst des Juristen ist, Wesentliches vom Belanglosen zu unterscheiden. Die Probleme lagen

bei der Fremdanzeige und der Frage des § 153 AO. Als leichten Hohn wird es Ihr Mandant

empfinden, wenn Sie ihm empfehlen, zu seiner Frau zurückzukehren. Sie setzen den M doch

damit der Höchststrafe (lebenslänglich) aus!. - Manche erörtern die Frage einer

Zusammenveranlagung und was wer in einem solchen Fall erklärt. Wenn aber vom

Realsplitting Gebrauch gemacht wird, ist doch ersichtlich, dass dann keine gemeinsame

Erklärung abgegeben wurde.

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Frage 2:

Rechtsmittel ist die sofortige Beschwerde (§ 210 II StPO). Sie ist begründet, wenn der

Amtsrichter jedenfalls mit dieser Begründung die Eröffnung nicht ablehnen durfte.

Vermeiden Sie einen falschen Zungenschlag (etwa: der hinreichende Tatverdacht ist gegeben,

wenn die Tat nicht verjährt ist. Das ist Unsinn, weil allein die Nichtverjährung nicht den

Tatverdacht begründet. Sie meinen: wenn verjährt, dann jedenfalls kein Tatverdacht.

Verjährung als Prozesshindernis hindert also den Tatverdacht - für den im übrigen natürlich

weitere Voraussetzungen notwendig sind). Fraglich ist, wann die Verjährung begonnen hat.

1994 ist, weil es um das Begehungsdelikt geht, mit der Bekanntgabe des Bescheides voll- und

zugleich beendet, also am 31.10.2000 verjährt. Bezüglich 1993 kommen als

Beendigungszeitpunkt in Betracht: der gesetzliche Abgabetermin 31.5.1994 (zu verneinen),

die verwaltungsmäßig verlängerte Frist auf den 30.9.1994, verbunden mit der Anwendung des

Grundsatzes in dubio pro reo (Veranlagung unter den ersten). Das wäre hier der 30.9.1994

plus Karenzzeit für die Veranlagung, jedenfalls nicht vom 30.9.99 bis zum 2.11.2000, der

Einleitung des Ermittlungsverfahrens, also bei dieser Betrachtungsweise verjährt. Wenn aber

die Dinge so ausermittelt sind wie hier, kann es keinen „Zweifel― geben, so dass der

Grundsatz nicht anwendbar ist. Hätte P bis 30.9.1994 erklärt, wäre er zwar innerhalb von 3

Wochen veranlagt worden, womit wir beim 21.10.1995 wären. Ist das die Beendigung, ist am

21.10.2000, also vor der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens, Verjährung eingetreten.

Allerdings ist die Tat erst beendet, wenn P nicht mehr mit Veranlagung rechnen muss, und

das ist erst ab1.12.1996 der Fall, so dass Verjährung im Zeitpunkt der Anklageerhebung nicht

eingetreten ist. Wenn Sie im Gegensatz hierzu auf das voraussichtliche Ergehen des

Bescheides abstellen, sollten Sie dies schon ausführlich begründen, warum dies zugleich die

Beendigung ist und nicht nur die Vollendung.

Frage 3:

Fraglich ist der Verjährungsbeginn. Auch die Jahreserklärung ist selbstveranlagend (§ 18 III

UStG), so dass an sich der 8.4.1998 einschlägig wäre. Für die Vollendung trifft dies zu, für

die Beendigung ist indessen der Wegfall des Vorbehalts entscheidend, weil P Erstattungen

geltend macht. Hier kann er sich nicht „endgültig― selbst veranlagen, so dass Beendigung erst

mit Bescheidung eintritt, also am 29.4.1998. Verjährung tritt erst 29.4.2003, ist also

rechtzeitig, nämlich mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens am 28.4.2003,

unterbrochen. - Manche werfen sinnlos mit Begriffen um sich. Was soll man damit anfangen,

wenn geschrieben wird: Nach dem Grundsatz in dubio... war die Tat erst mit dem Abschluss

der Veranlagungsarbeiten beendet. Ich kann nicht erkennen, dass hier etwas zugunsten des

reus angewandt worden wäre. Außerdem: wenn schon angewandt, dann richtig. Das bedeutet

bei der Verjährungsfrage kommt es auf einen möglichst frühen Zeitpunkt der Veranlagung an

und nicht auf den spätesten ! Der Bearbeiter, der so schreibt, hat etwas läuten hören, aber

letztlich nichts verstanden.

Sind die Umsätze höher als die Summe der VZ, hat dies nur Bedeutung für die

Fälligkeitsregelung (§ 18 IV UStG), nicht aber für die Festsetzungsverkürzung, so dass sich

Voll- und Beendigung für diese Variante nicht ändern. Manche erwähnen hier das

Kompensationsverbot. Das war nicht das Problem. Die Frage war vielmehr, ob die geänderte

Fälligkeit des § 18 IV UStG einen geänderten Beendigungszeitpunkt nach sich zieht. Da die

Vorsteuererstattung wie im Ausgangsfall bleibt, ändert sich nichts, denn auch in der zweiten

Variante kann sich der Pflichtige nicht „selbst― veranlagen, so dass in dem Fall ebenfalls die

Umsatzsteuer - wegen der Vorsteuererstattung - wie eine Veranlagungssteuer zu behandeln

ist.

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Frage 4:

Erste Variante:

Die Verkennung des § 371 III AO ist kein formeller, sondern ein materieller Fehler, für den

demzufolge § 344 II StPO nicht gilt. Das Revisionsgericht muss die Voraussetzungen dieses

Strafausschließungsgrundes (angemessene Frist = unbestimmter Rechtsbegriff) selbst prüfen.

Klar, dass 14 Tage zu kurz sind, vor allem, wenn das FinA zuvor 3 Monate gesetzt hatte,

worauf im übrigen nur wenige Bearbeiter abstellen, dabei liegt dieser Gedanke doch so nahe.

Auf die Frage, ob die StA setzungsbefugt war, kommt es dann nicht mehr an. M.E. war sie

befugt, weil sie Verfolgungsorgan ist, und jedenfalls nicht weniger darf als die FinB. Klar ist

auch, dass die Frist nicht „rechtskräftig― gesetzt ist. P brauchte sie also nicht gesondert

anfechten. Bei der Revision geht manches durcheinander. Bei der Zulässigkeit (hier müssen

Sie ausnahmsweise wie in einer Studentenklausur Zulässigkeit und Begründetheit

untersuchen, denn Sie prognostizieren ja die Entscheidung des Gerichts) müssen Sie erörtern,

ob Sach- oder Verfahrensrüge, denn letzterenfalls ist die Revision mangels Einhaltung der

Voraussetzungen des § 244 II StPO unzulässig. Aber nicht zu breit, Sachrüge ist klar. Mit der

Bejahung der Zulässigkeit sind Sie aber nicht am Ende, denn jetzt müssen Sie sagen wie es

mit der Begründetheit ist. Manche Bearbeiter hören hier einfach auf.

Zweite Variante:

Einspruch? Nein, weil Finanzrechtsweg verschlossen. Beschwerde? Fraglich, weil keine

Entscheidung des Gerichts (304 StPO), wenn Sie sie dennoch - etwa analog - zulassen

wollen, müssen Sie auch den § 305 StPO mit übernehmen, denn Beschwerde gegen

gerichtliche Entscheidung würde spätestens hieran scheitern. Er kann also nur auf die

Urteilsrechtsmittel (Berufung und Revision) hoffen. Es genügt natürlich nicht, dass Sie den P

auf einen Stundungsantrag verweisen. Dann müssen Sie schon sagen, wie es dann weitergeht

(Einspruch ?), nur ist die grosse Preisfrage, ob Stundungsantrag und steuerlicher Rechtsbehelf

gegen diese strafrechtliche Frist überhaupt statthaft sind. Statthaftigkeit ist die Zulässigkeit im

weiteren Sinn, und die müssen Sie natürlich prüfen, wenn Sie fragen, ob ein Rechtsmittel in

Betracht kommt.

Frage 5:

Erster Fall:

Nichtzahlung ist keine Verkürzung. Sie könnten § 26 b UStG erwähnen, Bußgeldtatbestand,

also im Hinblick hierauf Abgabe. Hier haben Sie in der Tat eine Bestimmung vor sich, die die

Nichtzahlung von Steuern bebußt. Der im Skript so oft hervorgehobene Grundsatz, dass allein

die Nichtzahlung strafrechtlich irrelevant sei, ist also durch die neuen Umsatzsteuer- Straf-

und Bußgeldvorschriften überholt. Für § 26 c UStG fehlt es an Anhaltspunkten. Allenfalls

könnte das Wort „immer― auf Gewerbsmäßigkeit hindeuten.

Zweiter Fall:

Verkürzung im Beitreibungsverfahren ist grundsätzlich möglich, setzt aber die Solvenz des

Schuldners voraus. Wenn ohnehin nichts zu holen ist, ist auch nichts verkürzt Das

Entsprechende gilt, wenn Sie § 263 StGB prüfen sollten. Nach h. M. kommt diese

Bestimmung allerdings nicht in Betracht, da auch im Beitreibungsverfahren Hinterziehung

(wenn auch nicht in der Form der Festsetzungsverkürzung) begangen werden kann. Es fehlt

jedenfalls am Schaden, wenn der Schuldner ohnehin nichts hat, denn worin sollte die

Verschlechterung der Vermögenslage des Fiskus liegen, wenn der Vollzieher mit einem

ungedeckten Scheck abzieht, doch nur in der Unterlassung erfolgversprechender

anderweitiger Beitreibung, und an deren Möglichkeit fehlt es bei Vermögenslosigkeit des

Schuldners. Natürlich scheidet auch Versuch aus, denn der Schuldner setzt ja nicht nach

seiner Vorstellung zu einem Straftatbestand an, er kennt doch seine Lage!

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Frage 6:

Frage des Rechtswegs. Hier keine Strafrechtsmaßnahme, daher nur Finanzrechtsweg.

Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, gegen deren Ablehnung nicht mehr

Beschwerde zur OFD wie früher, sondern Klage. Bei den Bearbeitung geht hier manches

durcheinander. Man kann nicht vorn auf strafrechtliche Tätigkeit der Steufa abstellen und

dann hinten Rechtsmittel des Steuerverfahrens prüfen. Wenn Sie von strafrechtlicher Tätigkeit

der Steufa ausgehen, kommen doch nur die Rechtsmittel des Strafprozesses in Frage. Aber die

Steufa ist hier eben nicht, was doch aufgrund des Sachverhalts einsichtig sein dürfte,

strafrechtlich tätig geworden, sondern im Besteuerungsverfahren. Das alles müssen Sie vorab

in der Frage des Rechtswegs erörtern. Natürlich ist hier alles rechtlich umstritten, aber Sie

müssen sich für eine in sich konsequente Lösung entscheiden. Aus dem Umstand, dass die

Steufa einen Verwaltungsakt mit Zwangsgeldandrohung erlässt, kann man doch nichts

anderes schließen, als dass die Steufa im Steuerverfahren tätig wird, dass somit nur

Rechtsmittel des Besteuerungsverfahrens in Betracht kommen, also § 347 AO. Wenn Sie nun

auf dem z. B. von Hellmann vertretenen Standpunkt stehen, dass die Steufa nur eine

strafrechtliche Kompetenz habe, dann ist für einen Steuerwaltungsakt kein Raum. Ergeht er

dennoch, ist er nicht statthaft, aber das muss man gleichwohl mit dem Rechtsmittel der AO

nachprüfen lassen. Sachlich ist die Frage, ob die Kompetenz aus § 208 I 3 AO folgt. Fraglich

ist, ob ein hinreichender Anlass besteht, oder ob es sich um Ermittlungen ins Blaue handelt,

die dann unzulässig wären. Der BFH, der die Schwelle sehr niedrig ansetzt, könnte aufgrund

des Kriteriums „Einschätzung eines erfahrenen Prüfers― zur Zulässigkeit gelangen. Nach

meiner Einschätzung fehlen im Sachverhalt hierzu Angaben. Wenn etwa die Einkünfte aus

Beteiligungen in dem betreffenden Gebiet wesentlich zurückgegangen sind (vorausgesetzt,

man verfügt über die entsprechende Statistik), die Verkaufbewegungen aber zugenommen

haben, ist dies noch kein Indiz dafür, dass zunehmend nicht versteuert wird. Allerdings dürfte

es der Verwaltung gelingen, Besonderheiten aufzutun, die zum begründeten Anlass reichen.

Grundsätzliches:

Sie könnten sich viel Schreibarbeit ersparen, wenn Sie nicht den Sachverhalt wiederholen.