EKG Grundlagen Skript

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Stephan Dönitz - Fachkrankenpfleger / Rettungsassistent Dieses Skript wurde ausgeteilt im Zusammenhang mit Unterricht von: Stephan Dönitz (Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin, Rettungsassistent) Mühlenredder 3 – 21493 Schwarzenbek (www.luftrettung-hamburg.de) EKG Grundlagen für Rettungsdienst und Klinik Einleitung Das Ableiten eines Elektrokardiogramms, allgemein bekannt unter den drei Buchstaben EKG, ge- hört bei Notfallpatienten im Rettungsdienst heutzutage zu den Standard-Routinemaßnahmen. Es dient der Diagnostik, Therapie und vor allem auch der lückenlosen Rhythmusüberwachung des Pa- tienten von der Notfallstelle bis zur Übergabe im Krankenhaus. Damit nicht genug. Mit der Einfüh- rung der fünfpoligen Patientenkabel (und sogar Dreikanalschreibern) könn(t)en alle 12 EKG-Stan- dardableitungen bereits am Notfallort abgeleitet werden. Dies ist von Bedeutung, um z. B. eine präklinische Lyse durchzuführen (in Lübeck derzeit nicht), da die übliche Einkanalableitung ledig- lich einen Einblick in die Rhythmusfolge und die Beurteilung schwerster vitaler Rhythmus- störungen bietet. Sowohl als Partner des Notarztes als auch mit zunehmender Erweiterung der Kompetenzen von Rettungssanitätern und -assistenten (Frühdefibrillation, Medikamentengabe bei Reanimationen im Rahmen der Notkompetenz) ist es erforderlich, dass auch der RS/RA sich mit den Ableitungs- techniken und der Systematik der EKG-Interpretation auseinandersetzt und diese zumindest weit- gehend beherrscht. Angemerkt sei noch, dass die allgemeinen anatomischen und physiologischen Grundlagen des Herzens und Kreislaufsystems (kardiovaskuläres System) geläufig sein sollten. Warum ein EKG für alle Notfallpatienten? Es gibt eine unglaubliche Vielzahl von Ursachen für Herzrhythmusstörungen, die in fast jedem me- dizinischen Fachgebiet liegen können. Es seien hier einige genannt, ohne dass ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Kardiale Ursachen (also vom Herzen ausgehend) Herzinfarkt, koronare Herzerkrankung, Endokarditis (Herzinnenschichtentzündung), Myo- karditis (Herzmuskelentzündung), Kardiomyopathie (meist angeborene Herzmuskelschädi- gung), Herzinsuffizienz, Links- oder Rechtsschenkelblockbilder, Herzklappendefekte, u.v.m. erstellt von S. Dönitz Seite 1 von 22

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Stephan Dönitz - Fachkrankenpfleger / Rettungsassistent

Dieses Skript wurde ausgeteilt im Zusammenhang mit Unterricht von:

Stephan Dönitz (Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin, Rettungsassistent)

Mühlenredder 3 – 21493 Schwarzenbek (www.luftrettung-hamburg.de)

EKG Grundlagen für Rettungsdienst und Klinik

Einleitung

Das Ableiten eines Elektrokardiogramms, allgemein bekannt unter den drei Buchstaben EKG, ge-hört bei Notfallpatienten im Rettungsdienst heutzutage zu den Standard-Routinemaßnahmen. Es dient der Diagnostik, Therapie und vor allem auch der lückenlosen Rhythmusüberwachung des Pa-tienten von der Notfallstelle bis zur Übergabe im Krankenhaus. Damit nicht genug. Mit der Einfüh-rung der fünfpoligen Patientenkabel (und sogar Dreikanalschreibern) könn(t)en alle 12 EKG-Stan-dardableitungen bereits am Notfallort abgeleitet werden. Dies ist von Bedeutung, um z. B. eine präklinische Lyse durchzuführen (in Lübeck derzeit nicht), da die übliche Einkanalableitung ledig-lich einen Einblick in die Rhythmusfolge und die Beurteilung schwerster vitaler Rhythmus-störungen bietet.

Sowohl als Partner des Notarztes als auch mit zunehmender Erweiterung der Kompetenzen von Rettungssanitätern und -assistenten (Frühdefibrillation, Medikamentengabe bei Reanimationen im Rahmen der Notkompetenz) ist es erforderlich, dass auch der RS/RA sich mit den Ableitungs-techniken und der Systematik der EKG-Interpretation auseinandersetzt und diese zumindest weit-gehend beherrscht. Angemerkt sei noch, dass die allgemeinen anatomischen und physiologischen Grundlagen des Herzens und Kreislaufsystems (kardiovaskuläres System) geläufig sein sollten.

Warum ein EKG für alle Notfallpatienten?

Es gibt eine unglaubliche Vielzahl von Ursachen für Herzrhythmusstörungen, die in fast jedem me-dizinischen Fachgebiet liegen können. Es seien hier einige genannt, ohne dass ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.

• Kardiale Ursachen (also vom Herzen ausgehend) Herzinfarkt, koronare Herzerkrankung, Endokarditis (Herzinnenschichtentzündung), Myo-karditis (Herzmuskelentzündung), Kardiomyopathie (meist angeborene Herzmuskelschädi-gung), Herzinsuffizienz, Links- oder Rechtsschenkelblockbilder, Herzklappendefekte, u.v.m.

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• Andere internistische Ursachen Anämie (Blutarmut), Fieber, Lungenembolie, Elektrolytentgleisungen, Asthma bronchiale, Cor pulmonale (chronische Druckerhöhung im Lungenkreislauf), arterieller Hypertonus, Schockformen, Stoffwechselentgleisungen, Leukämien und Tumorleiden, Änderungen des Blut-pH-Wertes, u.v.m.

• Chirurgische Ursachen Schädel-Hirn-Trauma, Spannungspneumothorax, jede Form des akuten Abdomens, Volu-menmangelschock u.a.

• Neurologische Ursachen Meningitis, Enzephalitis, Subarachnoidalblutung, Hirnmassenblutung, Schlaganfall, Zustand nach epileptischem Anfall.

• Akute oder chronische Vergiftungen Digitalis, Atropin, Kokain, Weckamine, Speed, Ecstasy, Antiarrhythmika (!), Betablocker, chronischer Alkoholabusus, Koffein, Nikotin, Theophyllin.

• Physikalische Schäden Strahlenfolge, Hitzeschäden, Kälteschäden und Stromunfall.

• Physiologisch Herzrhythmusstörungen in Stresssituationen, bei körperlicher Belastung und in der Schwan-gerschaft.

Aus diesen vielen möglichen (wenn auch teilweise seltenen) Ursachen resultieren zwei wichtige Grundsätze für die rettungsdienstliche Praxis:

1. Bei jedem Notfallpatienten wird ein EKG abgeleitet.

2. Das EKG muss im Hinblick auf seine Aussagefähigkeit stets im Zusam-menhang mit der Grunderk

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Grundlagen

Um zu verstehen, wieso überhaupt ein EKG entsteht und aufgezeichnet werden kann, muss man sich damit vertraut machen, wie im Organismus Impulse in Muskel- und Nervenbahnen weiter-geleitet werden. In etwas vereinfachter Form soll dies hier betrachtet werden. Schon GALVANI entdeckte 1791, dass die Erregbarkeit der Zelle mit elektrischen Vorgängen verknüpft ist. Diese Vorgänge wurden später im Experiment genauer untersucht: Dabei wurde eine Elektrode in das Zellinnere angelegt, eine andere Elektrode an die Zellwand (Membran) außen angelegt. Die beiden Elektroden wurden an einen Spannungsmesser (Potentiometer) angeschlossen. Tatsächlich zeigte er eine Potentialdifferenz von 50 - 90 mV, wobei das Zelläußere gegenüber dem Zellinneren eine posi-tive Ladung aufwies, also eine messbare elektrische Differenz [sogenannte Potentialdifferenzen].

Nach heutiger Vorstellung kommt dies durch die ungleiche Verteilung verschiedener Ionen im Zell-inneren (intrazellulär) und Zelläußeren (extrazellulär) zustande. Hauptsächlich beteiligt sind die po-sitiv geladenen Kalium- und Natriumionen und die negativ geladenen Chloridionen. Im unerregten Zustand der Nervenzelle ist die Anzahl der Natriumionen im Extrazellulärraum wesentlich höher als im Intrazellulärraum. Die Konzentration der Kaliumionen ist dagegen intrazellulär rund 40- bis 50mal höher als extrazellulär.

Konzentration der wichtigsten Ionen intra- und extrazellulär (in mmol/l):

intrazellulär extrazellulär Natrium (Na+) 12 145

Kalium (K+) 155 4

Chlorid (Cl-) 4 120

Depolarisation und Repolarisation

Herzmuskelzellen sind im Ruhezustand negativ geladen oder “polarisiert", bei elektrischer Reizung "depolarisieren" sie und kontrahieren. (Depolarisation nennt man die Umladung der Zelle durch ei-nen elektrischen Reizimpuls). Genau genommen ist bei einer ruhenden polarisierten Zelle das Zell-innere negativ geladen, während die Zelloberfläche außen positiv geladen ist. Der Einfachheit hal-ber soll im folgenden nur das Zellin-nere in Betracht gezogen werden.

Die Depolarisation kann als eine fort-schreitende Erregungswelle betrachtet werden, die zu einer positiven Ladung des Zellinneren führt. Durch den elek-trischen Reiz der Depolarisation wird eine mechanische Antwort, nämlich die fortlaufende Kontraktion der Herzmus-kelzellen bewirkt. (Abbildung 1., rechts).

Abbildung 1.

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Wie kann nun die Nervenzelle Informationen weiterleiten? Dies geschieht mit Hilfe von elektri-schen Signalen. Durch eine Reihe von Erregungen kann das sogenannte Ruhepotential einer erreg-baren Faser bis zu einem bestimmten Schwellenwert erniedrigt werden. Wird dieser Schwellenwert erreicht, treten Prozesse auf, durch die dann die Erregung an der Nervenfaser entlanggeleitet wird. Dieser Vorgang wird als Aktionspotential bezeichnet. Die Nervenfaser spricht nur dann auf be-stimmte Reize an, wenn diese eine bestimmte Stärke (Intensität) besitzen. Geht die Reizstärke über den Schwellenwert hinaus, so erfolgt immer eine Antwort: das Aktionspotential.

Diese folgt dem sogenannten Alles-oder-nichts-Gesetz. Entweder reicht die Reizstärke aus und es erfolgt gleichförmig die Antwort (Aktionspotential) oder es reicht nicht aus, dann erfolgt keine Ant-wort, die Erregung wird nicht weitergeleitet, weil der Reiz zu schwach war. Auf jeden Reiz erfolgt eine kurze Phase, in der der Nerv unerregbar (refraktär) ist. Dies ist die Refraktärphase. Sie dauert nur etwa eine Millisekunde.

Während der "Repolarisation" wird der ur-sprüngliche Zustand - Zellinneres wieder negativ - hergestellt. Merke: Sowohl De-polarisation als auch Repolarisation sind rein elektrische Phänomene der Herzmus-kelzelle. Die Erregung des Herzens, d. h. die Depolarisation und der Erregungsrück-gang, d. h. die Repolarisation werden im EKG wie in der Abbildung 2. (rechts) re-gistriert.

Dieser Absatz kann zunächst gerne über-sprungen werden, er muss für den Einstieg ins Thema nicht zwingend verstanden wer-den. Dieser Zustand der plötzlichen La-dungsveränderung lässt sich vereinfacht folgendermaßen erklären: (Siehe hierzu auch Abbildung 3., rechts).

Durch den ankommenden Reiz kommt es, sofern der Schwellenwert erreicht wird, zu einer Depolarisation. Diese wird erreicht durch ein Öffnen der Natriumkanäle an der Zellmembran. Dadurch strömen die im Überschuss im Extrazellulärraum befindli-chen Natriumionen gemäß dem Konzen-trationsgefälle in das Zellinnere und verur-sachen daher die kurzfristige Umkehr der Ladung (1). Der recht langen Dauer des Herz-Aktionspotentials, dem sogenannten "plateau", liegt ein langsamer Kalziumeinstrom zugrunde (2). Diesen einwärts gerichteten Ionen-strömen steht ein Kalium-Ausstrom (3) gegenüber, den wir im Oberflächen EKG als ST-Strecke er-kennen können.

Abbildung 3.

Repolarisation

Depolarisation

Abbildung 2.

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Die Herzmuskelzelle kann bis zum Ende der T-Welle nicht mehr erregt werden. Daher spricht man von der absoluten Refraktärzeit. Kurz vor dem Ende der T-Welle aber wird die Herzmuskelzelle "übersensibel" und Erregungsimpulse können in dieser relativen Refraktärzeit schnelle und gefähr-liche Depolarisationsfolgen auslösen. Wir sprechen dann vom R-auf-T-Phänomen in der verletzli-chen oder “vulnerablen Phase”.

Aufgrund des Potentialgefälles zwischen erregtem und unerregtem Nachbarbezirk kommt es zu ei-ner Ausbreitung der Erregung. Durch aktive Transportvorgänge wird jedoch schnell wieder das ur-sprüngliche Ruhepotential erreicht, indem Natrium aus der Zelle gepumpt und Kalium zurückgeholt wird (Ionenpumpe). Wie gesagt, bezeichnet man diese Phase der Erregungsrückbildung als Repola-risationsphase oder Refraktärphase, in dieser Zeit ist die Nervenzelle nicht erregbar.

Die elektrische Aktivität des Herzens kann über die Haut mit Hilfe einer entsprechenden Verstär-kereinrichtung registriert werden. Eine fortschreitende, depolarisierende Welle kann als eine Welle von positiven Ladungen betrachtet werden. Bewegt sich diese Welle positiver Ladungen auf eine positive Hautelektrode zu, entsteht im Registriersystem ein positiver Ausschlag. Wenn im EKG eine aufwärts gerichtete Zacke (Welle) auftritt, bedeutet das, dass eine depolarisierende Erregung auf ei-ne positive Hautelektrode zuläuft.

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Reizbildung- und Leitung

Im sogenannten Sinusknoten be-ginnt die Erregung. Von ihm geht die Welle der Depolarisation aus und erregt beide Vorhöfe. Unter physiologischen Bedingungen ist der Sinusknoten das primäre, selbständig agierende Auto-matiezentrum des Herzens. Man spricht auch vom sog. physiolo-gischen Schrittmacher (Abbil-dung 4., rechts).

Abbildung 4.

Während diese Depolarisations-welle über die Vorhöfe läuft, ruft sie in beiden Vorhöfen eine ent-sprechende Welle der Kon-traktion hervor. Im EKG wird die Erregung der Vorhöfe als P-Wel-le registriert. Die P-Welle stellt also sowohl Depolarisation als auch Kontraktion der Vorhöfe dar. (Abbildung 5., rechts). An-merkung: wie man auf der Abbil-dung sieht, verwenden manche Autoren die Bezeichnung „P-Zacke“ statt „P-Welle“. Dadurch nicht irritieren lassen.

Abbildung 5.

Die Erregung gelangt nun zum sogenannten AV-Knoten (Atrioventrikular-Knoten = Vor-hof-Kammer-Knoten), wo sie um etwa 1/10 Sekunde verzögert wird, so dass das durch die Kon-traktion der Vorhöfe ausgewor-fene Blut in die Kammern (Ven-trikel) einströmen kann. Dadurch entsteht auch im EKG eine Pau-se (Abbildung 6., rechts).

Abbildung 6.

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Nach der Verzögerung der Er-regungsleitung um etwa 1/10 Sekunde (oder auch 100 mil-lisec.) ist der AV-Knoten er-regt. Die Erregung wird vom AV-Knoten über das soge-nannte HIS`sche Bündel in die Schenkel des spezifischen Lei-tungssystems weitergeleitet. (Abbildung 7., rechts).

Ab-bildung 7.

(Kurze Zwischenzusammenfassung und vertiefende Informationen: Der Sinusknoten ist im rechten Vorhof an der Ein-mündungsstelle der Vena cava superior lokalisiert, im sogenannten sulcus terminalis. Er ist ein spezialisiertes Nerven-gewebe von 10 - 20 mm Länge und 2 bis 3 mm Breite. Der von ihm ausgehende Reizimpuls pflanzt sich über besonde-re Leitungsbahnen [sog. Vorhofbündel] der Vorhöfe zur nächsten Schaltstelle zwischen Vorhöfen und Kammern, dem Atrioventrikular- (= AV-) knoten fort. Der AV-Knoten liegt an der rechten Vorhofwand, nahe am Übergang zur Kammerscheidewand [Septum].

In Wirklichkeit erfolgt die Kontraktion später als die Depolarisation, doch sollen hier beide Vorgänge als gleichzeitig ablaufend angenommen werden. Der Sinusknoten ist nicht willentlich kontrollierbar und wird stattdessen vom vegetati-ven Nervensystem beeinflusst, das ebenfalls nicht willentlich steuerbar ist. Im vegetativen Nervensystem unterscheiden wir den Sympathikus und Parasympathikus. Der Sympathikus bewirkt einen schnelleren, der Parasympathikus einen langsameren Herzschlag. Der AV-Knoten hat die Aufgabe, die Informationen aus dem Vorhof zu sammeln, kurzfristig „abzubremsen“ und dann ans HIS`sche Bündel weiterzuleiten. Die Verzögerung im AV-Knoten bewirkt, dass nicht alle tachykarden Reize, die vom Vorhof ausgehen, auf die Kammern übergeleitet werden. Darüber hinaus ist der AV-Knoten sekundäres Automatiezentum und somit in der Lage, bei Ausfall des Sinusknotens das Herz mit einer Frequenz um 40 bis 50 pro Minute zu steuern).

Nach der Weiterleitung des Erre-gungsimpulses über den AV-Kno-ten beginnt die Depolarisation der Kammern. Der sogenannte QRS-Komplex (Kammer-Komplex) er-scheint im EKG als Ausdruck der Erregungsausbreitung vom AV-Knoten zu den Purkinje-Fasern. (Abbildung 8., rechts).

Abbildung 8.

QRS-Komplex Purkinjefasern

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Die dünnen Purkinje-Fasern leiten den elektrischen Reizimpuls direkt zu den Herzmuskelzellen. Wenn der Reizimpuls die Herzmus-kelzellen der Kammern erreicht, werden diese depolarisiert und kon-trahieren sich. Der QRS-Komplex entspricht daher der elektrischen Erregung und der Kontraktion der Kammern. (Abbildung 9., rechts).

Abbildung 9.

QRS

(Vertiefende Informationen: Das HIS`sche Bündel, das sich an den AV-Knoten anschließt, spaltet sich innerhalb des oberen Anteils des interventrikulären Septums (= Herzscheidewand) in einen rechten und linken Schenkel auf. Genau genommen, teilt sich der linke Schenkel nochmals weiter in einen vorderen [links anteriorer] und hinteren [links poste-riorer] Ast auf. Diese Unterteilung wollen wir im folgenden jedoch nicht weiter beachten. Physiologisch gesehen hängt dies übrigens damit zusammen, dass der linke Ventrikel über mehr Muskelmasse verfügt.

Die Purkinjefasern haben die Aufgabe, die Information des Reizleitungssystems an das Myokard der Herzkammern weiterzugeben. Darüber hinaus sind sie in der Lage, als tertiäres Automatiezentrum das Herz mit einer Frequenz von 20 bis 30 pro Minute zu stimulieren, wenn der Sinusknoten als erstes und der AV-Knoten als zweites Reizbildungssystem ausgefallen sind.

Das Erregungsleitungssystem [ELS] des Herzens besteht aus spezialisierten, die Erregung schnell leitenden Muskelfa-sern. Es setzt sich zusammen aus dem AV-Knoten, dem HIS`schen Bündel mit rechtem und linkem Schenkel und den Endigungen in den sehr feinen Purkinje-Fasern. Normalerweise verläuft die Erregung vom AV-Knoten aus im Erre-gungsleitungssystem. Sie verläuft hier viel schneller als in den Zellen der Arbeitsmuskulatur des Herzens. Der QRS-Komplex im EKG beschreibt die Erregung der Ventrikel, die zu deren Kontraktion führt. Er sagt jedoch nichts über die Kraft der Kontraktion aus. Die Kontraktion dauert wesentlich länger als die elektrische ventrikuläre Erregung, aber ver-einfacht können wir den QRS-Komplex als ein Zeichen der mechanischen Aktivität der Ventrikel betrachten.)

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Bezeichnung der Wellen und Zacken

Die Q-Zacke, die nicht immer auftritt, ist definitionsgemäß die erste nach unten gerichtete (= negative) Zacke in der EKG-Ableitung. Zur Entstehung des QRS-Komplex sei verwiesen auf das Ende des Skripts, dort wird näher darauf eingegangen. (Abbildung 10., rechts).

Abbildung 10.

Ab-bildung 11.

R-Zacke

Ihr folgt die nach oben gerichtete (= positive) R-Zacke. Darauf folgt die nach unten gerichtete (= negative) S-Zacke. Der gesamte QRS-Komplex beschreibt die ven-trikuläre Depolarisation mit nachfolgender Kontraktion. Merke: Jede nach oben gerichtete Zacke ist eine R-Zacke. Ob man bei nach unten gerichteten Zacken von einer Q- oder S-Zacke spricht, hängt davon ab, ob diese

Zacke vor oder nach der R-Zacke auftritt: Eine Q-Zacke liegt stets vor, eine S-Zacke stets hinter ei-ner R-Zacke. (Abbildung 11., links oben).

S-Zacke

Auf den QRS-Komplex folgt eine Pause, an die sich die T-Welle anschließt. Die Erregungspause nennt man S-T-Strecke (Abbildung 12., rechts). Die ST-Strecke (auch isoelektrische Strecke ge-nannt) verläuft im normalen EKG als Grundlinie zwischen QRS-Komplex und T-Welle; wie wir später sehen werden, ist sie außerordentlich wich-tig.

Abbildung 12.

Die T-Welle entspricht der Repolarisation der Kammern, die nach Ende der T-Welle neu erregt werden können. Während der Repo-larisation werden die Herzmuskel-zellen wieder umgeladen (innen ne-gativ), erst dann können die Zellen wieder depolarisiert werden. Ein Herzzyklus besteht aus P-Welle, QRS-Komplex und T-Welle. Dieser Zyklus wiederholt sich andauernd. (Abbildung 13., links).

P = Vorhofkontraktion QRS = Kammerkontr. T = Kammer-Repolarisation

Abbildung 13.

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(Zusatzinformation: Mit der Repolarisation der Kammern ist kein weiterer mechanischer Vorgang der Ventrikel ver-knüpft, sie ist ein rein elektrischer Vorgang. Am Ende der T-Welle beginnt die diastolische Erschlaffung der Herz-kammern. Auch die Vorhöfe zeigen eine Repolarisation. Deren Repolarisationswelle ist jedoch sehr klein und fällt zeit-lich mit dem QRS-Komplex zusammen, so dass sie nicht zu sehen ist. Ein Herzzyklus besteht aus P-Welle, QRS-Komplex und T-Welle. Merke: Physiologisch gesehen umfasst ein Herzzyklus die Vorhofsystole, die Ventrikelsystole und die Diastole, die Erholungsphase zwischen zwei Herzschlägen. Siehe auch Abbildung 13., Seite 9 unten).

Aufzeichnung des EKG

Das EKG wird fortlaufend auf einem langen Streifen Millimeterpapier (sogenanntes Koordinaten-papier) aufgezeichnet. Die kleinsten Einheiten sind Quadrate, die 1 mm hoch und 1 mm lang sind. Zwischen zwei etwas stärker ausgezogenen Linien befinden sich jeweils fünf kleine Quadrate. Die dadurch gebildeten Kästchen haben also eine Kantenlänge von 5 Millimetern, in Abbildung 14, unten, ist ein echtes EKG abgebildet, in Abbildung 15. (darunter) ist das ganze schematisch in extremer Vergrößerung dargestellt. In einem Abstand von fünf solchen Kästchen finden wir wie-derum noch dickere Trennlinien, die also alle 2,5 cm auftreten. (Nämlich 5 Kästchen à 5 mm Kan-tenlänge). Auf dem EKG hier unten sind diese jedoch nicht zu sehen.

Abbildung 14.

Die Höhe oder Tiefe einer EKG-Zacke (die so-genannte Amplitude) wird in Millimetern gemes-sen und ist ein Maß für die Spannung. Die Ver-stärkung des EKG-Registriergerätes wird norma-lerweise so eingestellt, dass 10 Millimeter einem Millivolt (10 mm = 1 mV) entsprechen (sog. Eichzacke).

Abbildung 15.

Positiv Abbildung 16.

Wie gesagt, Auslenkungen im EKG nach oben nennt man "positive" Zacken oder Wellen. Auslenkungen nach unten nennt man "negativ". Abbildung 16, rechts. Merke: Verläuft eine Erregung (depolarisierende Welle) in Richtung auf eine positive Hautelektrode, so entsteht im EKG eine positive, nach oben gerichtete Zacke.

negativ

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Zacke bei der Markierung “100”, es liegt also eine Herzfrequenz von 100 pro Minute vor.

Für den Erregungsablauf im EKG gelten bestimmte Zeitmarken. Besonders bei der EKG-Befundung im Krankenhaus mit Hilfe eines EKG-Lineals interessieren diese. Auch für die Beurtei-lung des EKG im Rettungsdienst sind sie nicht uninteressant. Sie seien hier für den interessierten erwähnt. (Siehe auch Abbildung 18, unten). Hinweise für den Umgang mit dem EKG-Lineal:

P-Welle: Anfang P bis Ende P Ab-bildung 18.

PQ-Dauer: Beginn P bis Anfang Q

QRS-Komplex: Anfang Q bis Ende S

QT-Dauer: Anfang Q bis Ende T

ST-Strecke: Ende S bis Anfang T

T-Welle: Anfang T bis Ende T

Das P, welches der Vorhoferregung entspricht, sollte kleiner als 0,1 Sekunden sein.

Die PQ-Dauer sollte nicht länger als 0,2 Sekunden sein. (Norm: 0,12 - 0,2 Sekunden = 3-5 kleine Kästchen). Eine Verlängerung dieses Intervalls deutet auf einen AV-Block hin.

Der QRS-Komplex ist Ausdruck der Depolarisation der Herzkammern. Ein normaler QRS-Komplex ist schmal mit spitzen, scharfen Zacken und fast gleich langen Schenkeln. Er dauert in der Regel weniger als 0,1 (bis 0,12) Sekunden = etwa 2,5 bis 3 kleine Kästchen.

Die ST-Strecke sollte isoelektrisch sein. Ist sie über oder unter dem normalen Null-Linienniveau, kann dies Ausdruck einer myocar-dialen Ischämie sein. Unter Ischä-mie versteht man eine stark ver-minderte Blutversorgung. (Anwen-dung des 5-Pol-Kabels empfohlen zwecks Infarktdiagnostik!). In Ab-bildung 19. (rechts) ist eine ST-Hebung, wie sie beim Herzinfarkt auftreten kann, zum besseren Vor-stellungsvermögen dargestellt. (Dies gehört eigentlich erst ins Skript Herzrhythmusstörungen, a-ber es schadet nicht, es schon mal gesehen zu haben).

Abbildung 19.

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Ableitungsmöglichkeiten im Rettungsdienst

Die schnellste und einfachste (aber nicht sicherste) Möglichkeit ist die bi-polare Ableitung über die Defibrillator-Elektroden (Paddles), die alle heutzutage im Rettungsdienst eingesetzten, modernen Geräte gestatten. Fest auf die Stellen an der vorderen Brustkorbwand angedrückt, die auch zum De-fibrillieren benutzt werden (Herzachse), ermöglicht dieses Verfahren auch ohne Elektroden-Gel ei-ne rasche Differenzierung der bei Kreislaufstillstand so entscheidenden Fragen:

1.) Liegt eine Asystolie/ pulslose elektrische Aktivität (PEA) vor?

2.) Besteht ein Kammerflimmern/pulslose Kammertachykardie?

Werden hierdurch keine befriedigend hohen Amplituden erreicht, muss man die Elektroden verset-zen. Nicht vergessen: Bei der Reanimation muss immer mit Gel gearbeitet werden, um bei einer Defibrillation einen Energieverlust sowie Hautverbrennungen zu vermeiden! Vor Anwendung einer Defibrillation oder sonstiger Reanimationsmaßnahmen muss immer beidseits der Karotispuls getas-tet werden. Aus Gründen der Sicherheit wird aber empfohlen, die sichere Ableitung mittels Klebe-elektroden zu wählen. Im Rahmen der Frühdefibrillation werden ja ohnehin die Klebeelektroden zu verwenden. O.g. Hinweise verstehen sich für Anwender manueller Defibrillatoren, wie sie die NEF’s oder RTH’s mitführen.

Die Ableitung per Drei-Pol Kabel + Fünf-Pol Kabel

Im Rettungsdienst wohl am weitesten verbreitet ist die EKG-Ableitung über dreipolige Überwa-chungskabel. Die Ableitung erfolgt hier über zwei Elektroden (rot = negativ, gelb = positiv), die schwarze Elektrode dient der Bereinigung von das Bild störenden Artefakten, also quasi als "Er-dung". Die rote Elektrode wird im Bereich der rechten Schulter, die schwarze im Bereich der linken Schulter geklebt. Die gelbe Elektrode wird so platziert, dass sie links seitlich am Brustkorb klebt. Dabei sollte man nicht die Stellen zum Kleben benutzen, auf die zum defibrillieren die Defi-Paddles gepresst werden! Weil die genaue EKG-Deutung immer 12 Ableitungen voraussetzt, beschränken sich die Anwendungsmöglichkeiten des Dreipol-Kabels auf Rhythmusdiagnostik und Monitoring. Beides ist auch mit dem Fünfpol-Kabel durchführbar.

Das Standard-EKG mit 12 Ableitungen

Theoretisch können Herzaktionsströme an den beliebigsten Stellen der Körperoberfläche abgeleitet werden. Aus Gründen der Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit haben sich in der klinischen Routine jedoch die sogenannten 12 Standardableitungen fest eingebürgert (die ggf. noch durch Zusatz-ableitungen ergänzt werden können):

Die Extremitätenableitungen I, II und III nach EINTHOVEN,

die mit Verstärkung (augmented Voltage) aufgenommenen Extremitätenableitungen aVR, aVL und aVF nach GOLDBERGER

sowie die Brustwandableitungen V1 bis V6 nach WILSON.

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In Abbildung 20. (unten) ist eine Übersicht der 12 Standardableitungen dargestellt. Im Rettungs-dienst können diese mit dem Fünfpoligen Kabel geschrieben werden, um z. B. die Herzinfarktdiag-nose frühzeitig zu sichern.

Abbildung 20.

Das Fünfpolige-Kabel wird dabei so am Patienten befestigt, wie in der Abbildung. 20, unten rechts, dargestellt. (Gleiches gilt selbstverständlich für die EKG-Geräte im Krankenhaus.) Als Gedächtnis-stütze dienen die Ampelfarben rot-gelb-grün, beginnend am rechten Arm im Uhrzeigersinn oder der Spruch: "Schwarzer Fuss auf grüner Wiese" im Zusammenhang mit der Farbkombination der Bun-desflagge schwarz-rot-gold, beginnend am rechten Fuß, ebenfalls im Uhrzeigersinn.

Abbildung 21.

Rote Elektrode am rechten Arm

Schwarze Elektrode am rechten Bein

Gelbe Elektrode am linken Arm

Grüne Elektrode am linken Bein

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Die Ableitungen nach EINTHOVEN

Die Extremitäten-Ableitungen nach EINTHOVEN erhält man durch Elektroden am rechten und lin-ken Arm sowie am linken Fuß. Diese Anordnung der Elektroden bildet ein Dreieck, das man als "EINTHOVEN`sches Dreieck" bezeichnet. (Abbildung 21, unten links). Jede Seite dieses Dreiecks entspricht einer Ableitung, die mit den römischen Ziffern I, II und III bezeichnet werden. Für jede Ableitung werden verschiedene Elektrodenpaare benutzt. Sieht man sich das Elektrodenpaar an, so ist stets eine Elektrode positiv, die andere negativ. (Abbildung 22, unten rechts.).

Abbildung 21 und 22.

Für die Belange des Rettungsdienstes können die Klebeelektroden jedoch auch an den Schultern, bzw. rechtem und linkem Unterbauch platziert werden. Die zum Defibrillieren benötigten Stellen sind hierbei freizulassen! Aus dem "EINTHOVEN`schen Dreieck" kann man die sogenannten Ab-leitungslinien konstruieren, indem man die Seiten des Dreiecks parallel in Richtung zum Mittel-punkt verschiebt. Diese Ableitungslinien schneiden sich in einem Winkel von 60 Grad. (Abbildung 23, unten).

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S

Abbildung 23.

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Die Ableitungen nach GOLDBERGER

Eine weitere Ableitung ist die Ableitung aVR. Bei dieser Ableitung wird der rechte Arm als positi-ve Elektrode angesehen, während alle anderen Extremitäten-Elektroden zusammengeschaltet wer-den und eine negative Elektrode ergeben. Die Ableitungen aVL und aVF erhält man auf ähnliche Weise. Bei der Ableitung aVL liegt die positive Elektrode am linken Arm, bei der Ableitung aVF liegt die positive Elektrode am linken Fuß. Entsprechend sind die Elektroden an den übrigen Extre-mitäten zu einer gemeinsamen negativen Elektrode zusammengeschlossen. (Abbildung 24 a-c, un-ten).

Merke: Diese Art der Ableitung wurde ursprünglich in unveränderter Form von Frank Wilson ge-

wählt, um eine sogenannte echte Nullpunktelektrode zu erhalten. Da die hierbei erhaltenen Span-nungen sehr gering waren, entwickelte Goldberger diese Ableitungsart weiter. Der Buchstabe “a" ist die Abkürzung von "augmented" (verstärkt), da größere Spannungen registriert wurden. Der Buchstabe "V" steht für "voltage" (Spannung) und die Buchstaben "R", "L" und "F" stehen für den rechten, bzw. linken Arm bzw. den linken Fuß.

Abbildung 24 a - c.

Ähnlich wie für die Ab-leitungen I, II und III kann man auch für die Ableitungen aVR, aVL und aVF "Ableitungsli-nien" konstruieren, die sich auch in einem Win-kel von 60 Grad schnei-den, aber zwischen den Ableitungslinien der Ab-leitungen I, II und III lie-gen. (Abbildung 25, rechts).

Abbildung 25.

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Legt man die sechs Extremitäten-Ableitungen I, II, III, aVR, aVL und aVF durch einen gemeinsa-men Zentralpunkt, so erhält man einen symmetrischen Stern der Ableitungslinien mit Winkeln von 30 Grad, dargestellt in der Abbildung 26. (unten). Dieser Stern aus den Ableitungslinien der Extre-mitäten-Ableitungen liegt in der Projektion in einer Ebene auf der Brust des Patienten. Die pro-jizierte Ebene nennt man auch die Frontalebene.

Abbildung 26.

Jede der sechs Extremitäten-Ableitungen registriert im EKG die gleiche elektrische Aktivität des Herzens, jedoch jede unter einem anderen Winkel. (Abbildung 27., unten links). Die einzelnen Zacken haben in den verschiedenen Ableitungen ein unterschiedliches Aussehen, da die elektrische Aktivität aus verschiedenen Positionen registriert wird.

Betrachtet man ein Auto aus sechs ver-schiedenen Richtungen, so kann man bei diesem Auto Aussagen über z. B. Länge, Breite oder Einzelheiten der Rückfront machen, d. h., man kann es wesentlich genauer beschreiben, als wenn man nur eine Vorderansicht hätte. Entsprechend erhält man ein wesentlich umfassenderes Bild, wenn man die Ak-tivität des Herzens aus sechs verschie-denen Richtungen betrachtet. Bei der Registrierung nur einer Ableitung kön-nen Veränderungen der elektrischen Aktivität in bestimmten Teilen des Her-zens nicht erfasst werden.

Abbildung 27.

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Die Ableitungen nach WILSON

Zur Registrierung der sechs Brustwand-ableitungen wird mittels einer positiven Elektrode an sechs verschiedenen Stellen am Brustkorb abgeleitet. Die auf dem Brustkorb verwendeten Elektroden, die mit V1 bis V6 bezeichnet werden, werden also als positiv angesehen. (Abbildung 28, rechts). Merke: Da es sich um positive Elektroden handelt, verursacht eine Depo-larisation, die sich auf die Elektrode zube-wegt, eine POSITIVE oder nach oben ge-richtete Zacke im EKG.

Abbildung 28.

Abbildung 29. Die Brustwandableitungen haben

einen genauen topographischen Be-zug zum Herzen. Diese Stellen sind exakt definiert:

V1 wird im 4. Interkostalraum (ICR) = Zwischenrippenraum rechts parasternal (= neben dem Brustbein)platziert,

V2 im 4. ICR links parasternal.

V3 wird genau zwischen V2 und V4 platziert, nachdem man V4 im 5. ICR links in der Medioclavicularli-nie befestigt hat. (Medioclavicular-linie = eine von der Mitte des Schlüsselbeins nach unten gedachte Linie).

V5 und V6 werden genau im rech-ten Winkel von V4 weitergeklebt und zwar V5 zwischen V4 und V6 auf der vorderen Axillarlinie, V6 auf der mittleren Axillarlinie. (Ab-bildung 29., links).

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Betrachtet man die Ableitungslinien V1 bis V6 als Speichen eines Rades, dann liegt die Radnabe im AV-Knoten. Die Brustwandableitungen haben am Rücken des Patienten ihren negativen Pol. (Die drei "bunten" Extremitätenkabel werden hier über sehr große Widerstände zusammengeschaltet, wodurch ein "Pseudo-Minuspol" entsteht, den man sich hinten am Rücken vorstellen kann, Abbil-dung 30., unten). Die Ebene, in der die Ableitungslinien der Brustwandableitungen liegen und so den Körper in eine obere und untere Hälfte teilen, nennt man die Horizontalebene.

Abbildung 30.

Das EKG-Bild der Brustwandableitungen zeigt fortschreitende Veränderungen von V1 nach V6. In Ableitung V1 ist der QRS-Komplex normalerweise überwiegend negativ, d. h., die Zacken liegen zum größten Teil unterhalb der Null-Linie. In Ableitung V6 ist der QRS-Komplex überwiegend positiv. Das be-deutet, dass die POSITIVE Welle der Depolarisation des Ventrikels, die sich im QRS-Komplex darstellt, auf die POSITIVE Elektrode von V6 zuläuft. (Abbildung 31. und 32., unten und rechts).

Abbildung 32.

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Der QRS-Komplex in den Brustwandableitungen

Wenn auch im Rettungsdienst die Brustwandableitungen (noch) häufig nicht geschrieben werden, so ist es zum Verständnis doch interessant, sich deutlich zu machen, wie der QRS-Komplex ent-steht. Wie kommt es, dass ein und die selbe elektrische Aktivität in der Ableitung V1 ganz anders aussieht als in der Ableitung V6? Dies wollen wir uns jetzt genauer ansehen. Die Form des QRS-Komplex in den Brustwandableitungen wird durch zwei Faktoren bestimmt:

1. Das Septum interventriculare (Herzscheidewand) wird als erster Bereich der Ventrikel depolarisiert. Die Erregungsfront breitet sich in Ihm von links nach rechts aus.

2. Normalerweise ist die Muskelmasse des linken Ventrikels größer als die des rechten. Somit beeinflusst der linke Ventrikel die Form des EKG’s mehr als der rechte.

Die Ableitungen V1 und V2 betrachten den rechten Ventrikel. Die Ableitungen V3 und V4 sind auf das Septum und V5 und V6 auf den linken Ventrikel ausgerichtet. In den rechtsventrikulären (= rechtspräcordialen) Ableitungen wird bei der Erregung des Septums der Schreiber zunächst nach oben gelenkt (R-Zacke), in den linksventrikulären Ableitungen zeigt sich genau das ent-gegengesetzte Bild: Es gibt eine kleine Ablenkung nach unten (septales Q). Abbildung 33, rechts.

Abbildung 33.

In den rechtsventrikulären Ableitungen V1 und V2 folgt dann mit der Erregung der Hauptmuskelmasse eine Ablen-kung des Schreibers nach unten (S-Zacke). Die Erregungsfront im mas-sigeren linken Ventrikel, die sich von den rechtspräcordialen Ableitungen weg bewegt, überwiegt über diejenige im muskelschwächeren rechten Ven-trikel, in welchem sie sich auf die E-lektroden zu bewegt. In den links-ventrikulären (linkspräcordialen Ablei-tungen folgt mit der Erregung der Ven-trikelmuskulatur eine positive, nach oben gerichtete Zacke (R-Zacke), Ab-bildung 34, rechts.

Abbildung 34.

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Ist die gesamte Muskulatur erregt, be-findet sich der Schreiber des EKG’s wieder in der Null-Lage. Abbildung 35, rechts.

Abbildung 35.

In den Brustwandableitungen verändert sich somit der QRS-Komplex kontinu-ierlich von V1, wo er eine überwie-gend negative Ablenkung zeigt, bis V6, wo der Ausschlag überwiegend positiv ist. Die Übergangszone, in der die R-Zacke gleich groß ist wie die S-Zacke, gibt die Lage des Septum inter-ventriculare an.

Bravo, wer bis hier gekommen ist, hat es geschafft. (Jetzt kommt aber bald noch Teil 2. mit den Herzrhythmusstörungen)!

Folgende Bücher kamen zur Anwendung bei der Anfertigung dieses Skripts. Fast alle Bilder stammen aus dem erstgenannten, einige aus dem zweitgenannten.

„Schnellinterpretation des EKG“ (Dale B. Dubin, Springer)

„EKG leicht gemacht“ (John R. Hampton, Urban & Fischer, 8. Auflage)

„Rhythmusstörungen – Kompaktwissen für den Rettungsdienst“ (W. Kösters, Stumpf & Kossendey, 2. Auflage)

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Inhaltsverzeichnis Einleitung........................................................................................................................................... 1

Warum ein EKG für alle Notfallpatienten? ....................................................................................... 1

Grundlagen......................................................................................................................................... 3

Konzentration der wichtigsten Ionen intra- und extrazellulär (in mmol/l):....................................... 3

Depolarisation und Repolarisation..................................................................................................... 3

Reizbildung- und Leitung .................................................................................................................. 6

Bezeichnung der Wellen und Zacken ................................................................................................ 9

Aufzeichnung des EKG ................................................................................................................... 10

Abschätzen der Herzfrequenz .......................................................................................................... 11

Ableitungsmöglichkeiten im Rettungsdienst ................................................................................... 13

Die Ableitung per Drei-Pol Kabel + Fünf-Pol Kabel ...................................................................... 13

Das Standard-EKG mit 12 Ableitungen .......................................................................................... 13

Die Ableitungen nach EINTHOVEN .............................................................................................. 15

Die Ableitungen nach GOLDBERGER........................................................................................... 16

Die Ableitungen nach WILSON...................................................................................................... 18

Der QRS-Komplex in den Brustwandableitungen........................................................................... 20