Ellen Gould White - Das Leben Jesu

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3 Inhalt Vorwort ......................................................................................... 5 JESU GEBURT UND JUGENDZEIT 1. „Gott mit uns“ ................................................................................ 9 2. Das auserwählte Volk .................................................................... 18 3. „Als aber die Zeit erfüllet ward …“ ...................................................... 23 4. „Euch ist heute der Heiland geboren“ ................................................ 30 5. Jesu Darstellung ............................................................................. 35 6. „Wir haben seinen Stern gesehen“ ................................................. 43 7. Jesu Kindheit .................................................................................. 51 8. Auf dem Passahfest ........................................................................ 59 9. Tage der Auseinandersetzung ........................................................ 68 JESU WIRKEN IN DEN TAGEN DER VERHEIßUNG 10. Die Stimme in der Wüste ............................................................... 79 11. Die Taufe ....................................................................................... 92 12. Die Versuchung ............................................................................. 97 13. Der Sieg ......................................................................................... 109 14. „Wir haben den Messias gefunden“ ............................................... 116 15. Auf der Hochzeit zu Kana ............................................................. 129 16. In seinem Tempel .......................................................................... 140 17. Nikodemus .............................................................................................. 152 18. „Er muß wachsen …“ ..................................................................... 162 19. Am Jakobsbrunnen ................................................................................ 167 20. „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht …“ ............................. 180 21. Bethesda und der Hohe Rat .......................................................... 185 22. Gefangenschaft und Tod des Johannes .......................................... 201 23. „Das Reich Gottes ist herbeigekommen“ ....................................... 215 24. „Ist er nicht des Zimmermanns Sohn?“ .......................................... 220 25. Die Berufung am See ..................................................................... 229 26. In Kapernaum ................................................................................ 236 27. „So du willst, kannst du mich wohl reinigen …“ ............................. 247 28. Levi-Matthäus ................................................................................. 259 29. Der Sabbat ..................................................................................... 269 30. Die Erwählung der Zwölf ............................................................... 278 31. Die Bergpredigt .............................................................................. 287 32. Der Hauptmann ............................................................................. 305 33. Wer sind meine Brüder? ................................................................ 311 34. Die Einladung ................................................................................ 319 35. „Schweig und verstumme!“ ............................................................ 324 36. Ein lebendiger Glaube ................................................................... 334 37. Die ersten Evangelisten .................................................................. 339 38. „Ruhet ein wenig!“ ......................................................................... 351 39. „Gebt ihr ihnen zu essen!“ ............................................................. 357 LICHT UND SCHATTEN ÜBER DEN WEGEN DES HEILANDES 40. Eine Nacht auf dem See ................................................................ 367 41. Die Entscheidung in Galiläa ........................................................... 374

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"Das Leben Jesu" offenbart die Details aus dem Leben Christi von der Krippe an bis zu seiner Himmelfahrt. Ein Muss für jeden Christen und Interessierten am Leben Jesu!

Transcript of Ellen Gould White - Das Leben Jesu

InhaltVorwort ......................................................................................... JESU GEBURT UND JUGENDZEIT 1. Gott mit uns ................................................................................ 2. Das auserwhlte Volk .................................................................... 3. Als aber die Zeit erfllet ward ...................................................... 4. Euch ist heute der Heiland geboren ................................................ 5. Jesu Darstellung ............................................................................. 6. Wir haben seinen Stern gesehen ................................................. 7. Jesu Kindheit .................................................................................. 8. Auf dem Passahfest ........................................................................ 9. Tage der Auseinandersetzung ........................................................ JESU WIRKEN IN DEN TAGEN DER VERHEIUNG 10. Die Stimme in der Wste ............................................................... 11. Die Taufe ....................................................................................... 12. Die Versuchung ............................................................................. 13. Der Sieg ......................................................................................... 14. Wir haben den Messias gefunden ............................................... 15. Auf der Hochzeit zu Kana ............................................................. 16. In seinem Tempel .......................................................................... 17. Nikodemus .............................................................................................. 18. Er mu wachsen ..................................................................... 19. Am Jakobsbrunnen ................................................................................ 20. Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht ............................. 21. Bethesda und der Hohe Rat .......................................................... 22. Gefangenschaft und Tod des Johannes .......................................... 23. Das Reich Gottes ist herbeigekommen ....................................... 24. Ist er nicht des Zimmermanns Sohn? .......................................... 25. Die Berufung am See ..................................................................... 26. In Kapernaum ................................................................................ 27. So du willst, kannst du mich wohl reinigen ............................. 28. Levi-Matthus ................................................................................. 29. Der Sabbat ..................................................................................... 30. Die Erwhlung der Zwlf ............................................................... 31. Die Bergpredigt .............................................................................. 32. Der Hauptmann ............................................................................. 33. Wer sind meine Brder? ................................................................ 34. Die Einladung ................................................................................ 35. Schweig und verstumme! ............................................................ 36. Ein lebendiger Glaube ................................................................... 37. Die ersten Evangelisten .................................................................. 38. Ruhet ein wenig! ......................................................................... 39. Gebt ihr ihnen zu essen! ............................................................. LICHT UND SCHATTEN BER DEN WEGEN DES HEILANDES 40. Eine Nacht auf dem See ................................................................ 41. Die Entscheidung in Galila ........................................................... 5

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79 92 97 109 116 129 140 152 162 167 180 185 201 215 220 229 236 247 259 269 278 287 305 311 319 324 334 339 351 357

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42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59.

berlieferungen ............................................................................. Die Schranken werden niedergerissen ........................................... Das wahre Zeichen ........................................................................ Im Schatten des Kreuzes ................................................................ Die Verklrung .............................................................................. Fhig zum Dienst ........................................................................... Wer ist der Grte? ....................................................................... Auf dem Laubhttenfest ................................................................ In der Schlinge ............................................................................... Das Licht des Lebens ..................................................................... Der gute Hirte ................................................................................ Die letzte Reise von Galila ........................................................... Der barmherzige Samariter ............................................................ Nicht mit uerlichen Gebrden ............................................... Jesus segnet die Kinder .................................................................. Eines fehlt dir .............................................................................. Lazarus, komm heraus! ............................................................... Die Anschlge der Priester .............................................................

388 393 399 406 416 421 427 440 448 458 473 480 492 499 505 511 516 529

DIE VERWERFUNG UND KREUZIGUNG DES MESSIAS 60. Das Gesetz des neuen Knigreichs ................................................ 61. Zachus .......................................................................................... 62. Das Fest im Hause Simons ............................................................. 63. Dein Knig kommt! ....................................................................... 64. Ein verurteiltes Volk ...................................................................... 65. Der Tempel wird wieder gereinigt ................................................. 66. Kampf ............................................................................................ 67. Weh euch, Schriftgelehrte und Phariser ................................ 68. Im Vorhof des Tempels ................................................................. 69. Auf dem lberg ............................................................................ 70. Der Geringste dieser meiner Brder .............................................. 71. Aller Diener ................................................................................... 72. Zu meinem Gedchtnis ........................................................... 73. Euer Herz erschrecke nicht ............................................................... 74. Gethsemane ............................................................................................ 75. Jesus vor Hannas und Kaiphas ............................................................. 76. Judas ........................................................................................................ 77. Bei Pilatus ................................................................................................ 78. Golgatha .................................................................................................. 79. Es ist vollbracht! .................................................................................. JESUS CHRISTUS HEUTE, MORGEN UND IN EWIGKEIT 80. In Josephs Grab ...................................................................................... 81. Der Herr ist auferstanden! ..................................................................... 82. Was weinest du? ................................................................................. 83. Der Gang nach Emmaus ....................................................................... 84. Friede sei mit euch! ............................................................................ 85. Noch einmal am See Genezareth ........................................................ 86. Gehet hin und lehret alle Vlker! ..................................................... 87. Zu meinem Vater und zu eurem Vater ........................................... 4

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DAS LEBEN JESU

VorwortIn einer Zeit, in der verantwortungsbewute Mnner und Frauen immer eindringlicher darauf hinweisen, da der entwurzelte Mensch der Gegenwart in erster Linie eines festen Haltes bedarf, um nicht in dem materialistischen Taumel unserer Zeit unterzugehen, und da dieser Halt allein in der Begegnung mit Jesus Christus gefunden werden kann, erscheint das vorliegende Buch ber das Leben Jesu. Seine Aufgabe ist es nicht, die Evangelienberichte zu harmonisieren oder etwa Begebenheiten aus dem Leben des Nazareners in genau chronologischer Reihenfolge aufzuzeichnen, sondern dieses Buch soll vielmehr die in seinem Sohn Gestalt gewordene, unergrndliche Liebe Gottes offenbaren und daher ein Zeugnis sein. Denn wir sind immer erneut aufgerufen zu erkennen, da in diesem Christus wohnt die ganze Flle der Gottheit leibhaftig (Kolosser 2,9) und da der Weg zum Vater allein ber den fhrt, der da bekannte: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. (Johannes 14,6) In diesem Buch ist Jesus Christus nicht nur der barmherzige Heiland der Snder, sondern auch die Sonne der Gerechtigkeit, der gndige Hohepriester, der groe Arzt fr Leib und Seele, der liebevolle, mitfhlende Freund, der bestndige, hilfsbereite Gefhrte, der Friedefrst, der kommende Knig, die Hoffnung und Erfllung des Sehnens aller Zeitalter. Die Grundzge seines Lebens, Inhalt und Bedeutung seiner Worte und Werke finden in diesem Buch beredten Ausdruck. In einer anschaulichen, untheologischen Sprache, die jedem sofort verstndlich ist, vermittelt die Verfasserin auf warmherzige Weise ein einprgsames Bild jenes Einen, der allein fhig ist, uns in die Gegenwart des gttlichen Vaters zu fhren.

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DAS LEBEN JESU Der Wrdename Jesu Christi, Heiland, bedeutet der Heilbringende, Heilwirkende und Heilende. Whrend seines Erdenwandels verdankten unzhlige Menschen seinem heilwirkenden Wort die krperliche und seelische Genesung. Der Mensch ist ja eine Einheit aus Leib, Seele und Geist. Gesundung in einem dieser Bereiche wirkt sich daher verstndlicherweise auf den ganzen Menschen aus. Auch heute noch ist Jesu Wort Lebensbrot und Lebenswasser, denen wir, wenn wir uns ihrer bedienen, die Neuordnung unseres Seelenlebens wie die Gesundung unseres Leibes verdanken knnen. Wer dieses Buch aufmerksam liest, dessen Denken und Handeln wird davon nicht unbeeinflut bleiben. So ist diese Darstellung des Lebens Jesu zugleich ein Aufruf an jeden einzelnen, das Wagnis des Glaubens auf sich zu nehmen, das Wagnis eines Glaubens, der sein Ziel findet im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Unter allen Groen der Geistesgeschichte, unter allen Religionsstiftern und Trostpropheten ist er der einzige, der das gttliche Siegel trgt, nmlich Gottes Sohn zu heien und von ihm gesandt zu sein, auf da alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Johannes 3,16). Aus der Begegnung mit ihm empfangen wir die Kraft, die wir zur Bewltigung unseres Lebens brauchen, und seine barmherzige Liebe ist uns die Brgschaft seiner Gegenwart heute, morgen und in Ewigkeit. Der Verleger

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DAS LEBEN JESU

Jesu Geburt und Jugendzeit

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DAS LEBEN JESU

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DAS LEBEN JESU

1. Gott mit uns,Sie werden seinen Namen Immanuel heien, das ist verdolmetscht: Gott mit uns. Matthus 1,23. Die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes strahlte in dem Angesicht Jesu Christi. 2. Korinther 4,6. Von Ewigkeit an war der Herr Jesus eins mit dem Vater. Er war das Ebenbild Gottes, (2. Korinther 4,4) das Ebenbild seiner Gre und Majestt, der Abglanz seiner Herrlichkeit. Hebrer 1,3. Er kam auf die Erde, um diese Herrlichkeit zu bezeugen, in diese sndendunkle Welt, um das Licht der Liebe Gottes zu offenbaren um Gott mit uns zu sein. Deshalb auch wurde von ihm geweissagt: Sie werden seinen Namen Immanuel heien. Matthus 1,23. Durch sein Leben mitten unter uns sollte Jesus das Wesen Gottes den Menschen und den Engeln kundtun. Er war das Wort Gottes, durch ihn wurden Gottes Gedanken vernehmbar gemacht. In seinem hohepriesterlichen Gebet sagt Jesus: Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan (barmherzig und gndig und geduldig und von groer Gnade und Treue) , damit die Liebe, mit der du mich liebst, sei in ihnen und ich in ihnen. Johannes 17,26; 2. Mose 34,6. Doch diese Offenbarung wurde nicht nur seinen erdgeborenen Kindern geschenkt, vielmehr ist unsere kleine Welt zugleich das Lehrbuch fr das Weltall. Gottes wunderbares Gnadenziel, das Geheimnis seiner erlsenden Liebe ist das Thema, das auch die Engel gelstet zu schauen, (1. Petrus 1.12) und sie werden sich damit die ganze Ewigkeit hindurch beschftigen. Die Erlsten wie auch die sndlosen Wesen werden in dem Kreuz Christi den Hauptgegenstand ihres Forschens und Preisens sehen. Dann werden sie erkennen, da die Herrlichkeit, die vom Antlitz Jesu widerstrahlt, der Abglanz seiner aufopfernden Liebe ist. Im Lichte Golgathas wird es deutlich, da das Gesetz der entsagenden Liebe das auf Erden und im Himmel gltige Lebensgesetz

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DAS LEBEN JESU ist; da die Liebe, die nicht das Ihre (1. Korinther 13,5) sucht, dem Herzen Gottes entspringt, und da in dem, der sanftmtig und von Herzen demtig war, (Matthus 11,29) sich das Wesen dessen zeigt, der da wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann. 1. Timotheus 6,16. Am Anfang offenbarte sich Gott in einem jeden Schpfungswerk. Christus war es, der die Himmel ausbreitete und auch den Grund der Erde legte. Seine Hand wies den Welten im Universum ihren Platz an und formte die Blumen auf dem Felde. Von ihm heit es: Der du die Berge festsetzest in deiner Kraft. Psalm 65,7. Sein ist das Meer, und er hats gemacht. Psalm 95,5. Er war es, der die Erde mit Schnheit und die Lfte mit Gesang erfllte. Und auf jedes seiner Schpfungswerke auf Erden, in den Lften und am Himmel, schrieb er die Botschaft von der Liebe des Vaters. Die Snde hat zwar das vollkommene Werk Gottes verdorben, die gttliche Handschrift aber ist an ihm erhalten geblieben. Selbst heute noch kndet die Schpfung von der Herrlichkeit und Gte Gottes. Nichts, abgesehen von dem selbstschtigen Herzen der Menschen, lebt fr sich selbst. Jeder Vogel in den Lften, jedes Tier auf der Erde dient einem anderen Leben. Jedes Blatt im Walde; jeder bescheidene Grashalm erfllt einen Dienst. Jeder Baum und Strauch, ja, jedes Blatt gibt von jener Lebenskraft weiter, ohne die weder Mensch noch Tier leben knnte. Und auch Mensch und Tier ihrerseits dienen dem Leben von Baum, Strauch und Blatt. Durch ihren Duft und ihre Schnheit werden die Blumen der Welt zum Segen. Die Sonne verstrmt ihr Licht und schenkt dadurch tausend Welten Freude. Selbst der Ozean, der Ursprung aller Quellen und Flsse, nimmt die Strme aller Lnder wieder in sich auf. Doch er nimmt nur, um erneut zu schenken. Die Dunstschleier, die von ihm aufsteigen, fallen als Regen auf die Erde nieder, damit sie neue Lebenskeime hervorbringe. Die heiligen Engel freuen sich, wenn sie schenken knnen, wenn sie gefallenen, sndhaften Menschen Liebe darbieten und unermdlich ber sie wachen knnen. Himmlische Wesen werben um die Herzen der Menschen und bringen himmlisches Licht in diese dunkle Welt. Durch geduldiges und sanftes Wirken beeinflussen sie das Gemt, um verlorene Menschen in die Gemeinschaft mit Christus zu fhren, die viel fester ist, als sie es sich vorstellen knnen.

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DAS LEBEN JESU Doch wenden wir uns von all diesen geringeren bildlichen Darstellungen ab, dann schauen wir Gott in Jesus Christus. Sehen wir auf Jesus, dann erkennen wir, da Schenken zur Herrlichkeit Gottes gehrt. Jesus sagt von sich, da ich nichts von mir selber tue. Johannes 8,28. Der Vater, von dem alles Leben kommt, hat mich gesandt, und ich lebe durch ihn. Johannes 6,57 (Gute Nachricht). Ich suche nicht meine Ehre, (Johannes 8,50) sondern die Ehre dessen, der mich gesandt hat. Johannes 7,18. Diese Worte erlutern den erhabenen Grundsatz, auf dem das Leben des Alls beruht. Christus erhielt alles von Gott, er nahm aber lediglich, um seinerseits zu schenken. So wird auch in den himmlischen Vorhfen verfahren, das gilt auch fr Jesu Dienst fr alle Geschpfe: durch den geliebten Sohn wird das Leben des Vaters allem zuteil; ber den Sohn kehrt es als Lobpreis und frhlicher Dienst wieder zum Vater zurck, eine Flut der Liebe gleichsam, die zum erhabenen Ursprung aller Dinge zurckstrmt. Durch Christus wird somit der Kreislauf des Segens geschlossen, das Wesen des Gebers aller Dinge und das Gesetz des Lebens enthllt. Dieses Gesetz wurde ausgerechnet im Himmel bertreten. Die Snde entsprang der Selbstsucht. Luzifer, der schirmende Cherub, wollte der Erste im Himmel sein. Er trachtete danach, die himmlischen Wesen zu beherrschen, sie dem Schpfer abspenstig zu machen und ihre Huldigung fr sich zu gewinnen. Deshalb verleumdete er Gott und schrieb ihm den Wunsch nach Selbsterhhung zu. Die eigenen blen Wesenszge versuchte er dem liebevollen Schpfer anzudichten. So tuschte er Engel und Menschen. Er verleitete sie, an Gottes Wort zu zweifeln und seiner Gte zu mitrauen. Weil Gott ein Gott der Gerechtigkeit und furchterregender Hoheit ist, veranlate Satan sie, ihn fr hartherzig und unvershnlich zu halten. Dadurch verfhrte er die Menschen, sich seiner Rebellion gegen Gott anzuschlieen. Eine Nacht der Leiden brach damit ber unsere Erde herein. Durch das Miverstehen der Absichten Gottes wurde die Welt verfinstert. Damit die dunklen Schatten erhellt und die Schpfung zu Gott zurckgefhrt wrde, mute Satans trgerische Macht vernichtet werden. Das aber konnte nicht durch Gewaltanwendung geschehen. Gewaltausbung steht den Grundstzen der Herrschaft Gottes entgegen. Er erwartet lediglich einen Dienst aus Liebe. Sie aber kann man weder befehlen noch durch Machteinsatz oder Amtsgewalt erzwingen. Nur

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DAS LEBEN JESU Liebe erzeugt Gegenliebe. Gott erkennen heit ihn lieben. Der Gegensatz seines Charakters zu dem Charakter Satans mute deshalb geoffenbart werden. Nur einer im ganzen Universum konnte dies tun; nur er, der die Hhe und Tiefe der Liebe Gottes kannte, konnte sie auch verknden. ber der dunklen Erdennacht sollte die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen voller Heil unter ihren Flgeln. Maleachi 3,20;4,2. Der Erlsungsplan wurde nicht nachtrglich erdacht und kam nicht nach Adams Fall zustande. Er war vielmehr die Offenbarung des Geheimnisses, das ewige Zeiten hindurch verschwiegen geblieben war. Rmer 16,25 (Menge). Er legte die Grundstze dar, auf denen von Ewigkeit her Gottes Thron ruhte. Gott und Christus hatten von Anbeginn an vorausgesehen, da Satan von ihnen abfallen und den Menschen durch die Macht des Betruges in den Fall hineinziehen werde. Gott hat die Snde nicht gewollt, er hatte sie aber kommen sehen und fr diesen schrecklichen Notfall bereits seine Vorkehrungen getroffen. So sehr liebte er die Welt, da er beschlo, seinen eingeborenen Sohn dahinzugeben, auf da alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Johannes 3,16. Satan hatte gesagt: Ich will meinen Thron ber die Sterne Gottes erhhen und gleich sein dem Allerhchsten. Jesaja 14,13.14. Von Christus dagegen heit es: Er war wie Gott. Aber er betrachtete diesen Vorzug nicht als unaufgebbaren Besitz. Aus freiem Entschlu gab er alles auf und wurde wie ein Sklave. Er kam als Mensch in die Welt und lebte wie ein Mensch. Philipper 2,6.7 (Gute Nachricht). Diese Tat war ein freiwilliges Opfer. Jesus htte an der Seite des Vaters bleiben, er htte an der Herrlichkeit des Himmels und der Huldigung der Engel festhalten knnen. Doch aus eigenem Antrieb legte er die knigliche Macht in die Hnde des Vaters zurck und stieg vom Thron des Universums herab, damit er Licht zu denen brchte, die im Dunkeln sind, und Leben zu den Verdammten. Vor fast 2000 Jahren erschallte im Himmel, vom Throne Gottes ausgehend, eine Stimme von geheimnisvoller Tragweite: Siehe, ich komme! Opfer und Gaben hast du nicht gewollt; einen Leib aber hast du mir bereitet Siehe, ich komme im Buch steht von mir geschrieben , da ich tue, Gott, deinen Willen. Hebrer 10,5-7. Diese Worte knden von der Erfllung des Planes, der von Ewigkeit an verborgen war.

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DAS LEBEN JESU Christus stand im Begriff, auf unserer Erde zu erscheinen und Mensch zu werden. Deshalb sagt er auch: Einen Leib hast du mir bereitet. Wre er in der Herrlichkeit erschienen, die er bei dem Vater vor der Schpfung der Welt besa, dann htten wir das Licht seiner Gegenwart nicht ertragen knnen. Damit wir ihn anschauen konnten, ohne vernichtet zu werden, wurde seine Herrlichkeit verhllt. Seine Gttlichkeit lag unter dem Schleier der menschlichen Natur verborgen die unsichtbare Herrlichkeit wurde sichtbar in menschlicher Gestalt. Dieser erhabene Plan war in Ur- und Sinnbildern vorgedeutet worden. Der brennende Busch zum Beispiel, in dem Christus dem Mose erschien, offenbarte Gott. Zum Sinnbild fr die Darstellung der Gottheit wurde ein armseliger Busch gewhlt, der offensichtlich keinerlei Anziehungskraft hatte. Dennoch verhllte er den Unendlichen. Der barmherzige Gott verbarg seine Herrlichkeit unter einer recht bescheidenen Erscheinungsform, damit Mose ihn schauen und dennoch weiterleben konnte. Mit Israel war Gott bei Tag durch die Wolkensule und bei Nacht durch die Feuersule verbunden. So offenbarte er den Menschen seinen Willen und lie ihnen seine Gnade zuteil werden. Gottes Herrlichkeit wurde abgemildert und seine Majestt verhllt, damit die schwache Sehkraft des Menschen sie wahrnehmen konnte. Genauso sollte Christus im nichtigen Leib unserer menschlichen Gestalt erscheinen. Philipper 1,21. Nach dem Urteil der Welt verfgte er ber keine Schnheit, die ihn angenehm gemacht htte; dennoch sollte er Gott, das Licht des Himmels und der Erde, verkrpern. Seine Herrlichkeit war verhllt und seine Erhabenheit und Majestt waren verborgen, damit er den mhseligen und versuchten Menschen recht nahe kommen konnte. Durch Mose befahl Gott den Israeliten: Sie sollen mir ein Heiligtum machen da ich unter ihnen wohne. 2. Mose 25,8. In diesem Heiligtum mitten unter seinem Volk lie er sich nieder. Whrend der gesamten beschwerlichen Wstenwanderung war das Sinnbild seiner Gegenwart stets bei ihnen. Ebenso schlug Christus seine Htte inmitten der Wohnstatt der Menschen auf. Er errichtete sein Zelt gleichsam neben unsern Zelten, um unter uns wohnen und uns mit seinem gttlichen Wesen und Leben vertraut machen zu knnen. Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Johannes 1,14.

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DAS LEBEN JESU Seit Christus kam, um unter uns zu weilen, wissen wir, da Gott mit unseren Versuchungen vertraut ist und mit unseren Leiden mitempfindet. Jeder Nachkomme Adams kann nun begreifen, da unser Schpfer die Snder liebt. In jedem Gnadenerweis, in jeder Freudenverheiung, in jeder Liebestat, in jedem Lockreiz, der vom Leben des Heilandes auf Erden ausgeht, erkennen wir den Gott mit uns! Satan stellt Gottes Gesetz der Liebe als ein Gesetz der Selbstsucht dar. Er behauptet, es sei unmglich, seinen Vorschriften zu gehorchen. Den Fall des ersten Elternpaares mit allem Leid, das daraus hervorging, lastet er dem Schpfer an und verfhrt die Menschen dazu, in Gott den Urheber der Snde, des Leides und des Todes zu sehen. Jesus sollte diesen Betrug aufdecken. Als Mensch wie wir sollte er ein Beispiel an Gehorsam geben. Deshalb nahm er unsere menschliche Natur an und machte unsere Erfahrungen. Daher mute er in allen Dingen seinen Brdern gleich werden. Hebrer 2,17. Falls wir etwas erdulden mten, was Jesus nicht zu erdulden brauchte, wrde Satan dies so deuten, als reiche die Kraft Gottes nicht fr uns aus. Deshalb auch wurde Jesus versucht allenthalben gleichwie wir. Hebrer 4,15. Er ertrug jede Versuchung, der auch wir ausgesetzt sind, und er benutzte zu seinen Gunsten keine Kraft, die nicht auch uns uneingeschrnkt angeboten wird. Als Mensch trat er der Versuchung entgegen und berwand sie mit der Kraft, die ihm von Gott verliehen wurde. Er sagt: Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz hab ich in meinem Herzen. Psalm 40,9. Als er von Ort zu Ort zog, Gutes tat und die vom Satan Gepeinigten heilte, da ffnete er den Menschen das Verstndnis fr das Gesetz Gottes und fr die Art seines Dienstes. Sein Leben bezeugt, da es auch uns mglich ist, dem Gesetz Gottes zu gehorchen. Durch sein Menschsein kam Christus der Menschheit nahe, durch seine Gttlichkeit blieb er mit dem Throne Gottes verbunden. Als Menschensohn gab er uns ein Beispiel des Gehorsams, als Sohn Gottes schenkte er uns die Kraft zu gehorchen. Christus war es gewesen, der aus dem Busch auf dem Berge Horeb zu Mose gesprochen hatte: Ich werde sein, der ich sein werde So sollst du zu den Kindern Israel sagen: ,Ich werde sein, der hat mich zu euch gesandt. 2. Mose 3,14. Das war die Brgschaft fr die Befreiung Israels. Als er nun in menschlicher Gestalt zu uns kam, erklrte er sich als der Ich bin. Das Kind in Bethlehem,

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DAS LEBEN JESU der bescheidene, demtige Heiland ist Gott, offenbart im Fleisch. 1. Timotheus 3,16. Zu uns sagt er: Ich bin der gute Hirte. Johannes 10,11. Ich bin das lebendige Brot. Johannes 6,51. Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Johannes 14,6. Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Matthus 28,18. Ich bin, das ist die Beteuerung jeder Verheiung. Ich bin habt deshalb keine Furcht. Gott mit uns, das sichert uns Befreiung von der Snde zu und die Kraft, dem Gesetz Gottes zu gehorchen. Als Christus sich demtigte und menschliche Gestalt annahm, offenbarte er einen Charakter, der dem Satans entgegengesetzt ist. Ja, er ging den Weg der Demtigung sogar noch weiter: Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Philipper 2,8. Wie der Hohepriester die prchtigen Priestergewnder ablegte und im weien Leinenkleid des einfachen Priesters seinen Dienst versah, so nahm Christus die Gestalt eines Dienenden an und brachte ein Opfer dar, sich selbst, Priester und Opfer zugleich. Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Snde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf da wir Frieden htten. Jesaja 53,5. Christus wurde so behandelt, wie wir es verdient haben. Damit wollte er erreichen, da uns die Behandlung zuteil wrde, die eigentlich ihm zukam. Er wurde um unserer Snde willen, an der er keinen Teil hatte, verdammt, damit wir durch seine Gerechtigkeit, an der wir keinen Teil haben, gerechtfertigt wrden. Er erlitt den Tod, den wir htten erleiden mssen, damit wir sein Leben empfangen konnten. Durch seine Wunden sind wir geheilt. Jesaja 53,5. Durch sein Leben und Sterben hat Christus mehr erreicht als nur die Rettung aus dem durch die Snde verursachten Untergang. Satan hatte eine ewige Trennung zwischen Gott und Mensch erreichen wollen. Durch Christus aber werden wir enger mit Gott verbunden, so als htten wir niemals gesndigt. Dadurch, da er unser Wesen annahm, hat sich der Heiland unlslich mit uns Menschen verbunden. Fr alle Ewigkeit gehrt er zu uns. Also hat Gott die Welt geliebt, da er seinen eingebornen Sohn gab. Johannes 3,16. Er gab ihn nicht nur, damit er unsere Snden tragen und fr uns als Opfer sterben sollte, er schenkte ihn dem gefallenen Menschengeschlecht. Um uns seiner unwandelbaren Friedensgesinnung zu versichern, lie Gott seinen eingeborenen Sohn Mensch werden, damit er fr immer Mensch bliebe. Das ist das Unter-

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DAS LEBEN JESU pfand dafr, da Gott seine Verheiung auch erfllen wird. Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Jesaja 9,5. Durch seinen Sohn nahm auch Gott menschliche Natur an, die er damit in den Himmel aufnahm. Der Menschensohn hat Anteil an der Herrschaft ber die Welt. Als Menschensohn heit er: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, FriedeFrst. Jesaja 9,5. Der Ich bin ist der Mittler zwischen Gott und Mensch und legt seine Hnde auf beide. Er, der da ist heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sndern abgesondert, schmt sich nicht, uns Brder zu heien. Hebrer 7,26;2,11. Durch Christus wird die Familie auf Erden mit der des Himmels verbunden. Der in die Herrlichkeit aufgenommene Christus ist unser Bruder. Der Himmel ist eingeschlossen in die menschliche Natur, und menschliches Wesen seinerseits entfaltet sich im Herzen dessen, der die unendliche Liebe ist. Gott sagt von seinem Volk: Wie edle Steine werden sie in seinem Lande glnzen. Denn wie gro ist seine Gte und wie gro ist seine Huld! Sacharja 9,16.17. Die Erhhung der Erlsten wird zu einem ewigen Zeugnis der Gnade Gottes werden. ln den kommenden Zeiten wird er den berschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Gte gegen uns in Christus Jesus erweisen, auf da kundwrde den Mchten und Gewalten im Himmel die mannigfaltige Weisheit Gottes. Diesen ewigen Vorsatz hat Gott ausgefhrt in Christus Jesus, unsrem Herrn. Epheser 2,7;3,10.11. Durch Christi Erlsungstat steht Gottes Herrschaft gerechtfertigt da. Der Allmchtige wird als ein Gott der Liebe geoffenbart. Satans Anschuldigungen sind widerlegt, sein Wesen entlarvt. Niemals wieder kann es zu einem Aufruhr kommen, und nie wieder wird die Snde Eingang in die Schpfung finden. Fr alle Ewigkeit sind die Geschpfe vor Abfall geschtzt. Christi Opfer aus Liebe hat die Bewohner der Erde und des Himmels unauflslich mit ihrem Schpfer verbunden. Das Erlsungswerk wird vollstndig sein. Dort, wo einst die Snde herrschte, wird die Gnade Gottes berreich vorhanden sein. Die Erde die Satan als sein Eigentum beansprucht, soll nicht nur losgekauft sondern erhht werden. Unserer kleinen Welt, die unter dem Fluch der Snde der einzige dunkle Fleck in Gottes herrlicher Schpfung war, soll mehr als allen anderen Welten im Universum Ehre erwiesen wer-

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DAS LEBEN JESU den. Hier, wo einst der Sohn Gottes unter den Menschen Wohnung nahm, wo der Knig der Herrlichkeit lebte, litt und starb, soll dereinst die Htte Gottes bei den Menschen stehen, wenn er alles neu gemacht haben wird. Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott, wird mit ihnen sein. Offenbarung 21,3. Wenn die Erlsten in der Ewigkeit im Lichte des Herrn wandeln, werden sie ihn fr seine unaussprechliche Gabe preisen, fr Immanuel Gott mit uns.

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2. Das auserwhlte Volkber tausend Jahre lang hatten die Juden auf die Ankunft des Heilandes gewartet. Auf dies Ereignis grndeten sich ihre lebhaftesten Hoffnungen. Im Lied, in der Weissagung, im Tempeldienst und im tglichen Gebet war sein Name enthalten. Doch als er unter ihnen erschien, erkannten sie ihn nicht. Der Geliebte des Himmels war fr sie nur eine Wurzel aus drrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit, und sie erblickten keine Schnheit an ihm, die ihn fr sie begehrenswert gemacht htte. Jesaja 53,2. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Johannes 1,11. Dennoch hatte Gott die Israeliten erwhlt; er hatte sie dazu berufen, die Kenntnis seines Gesetzes, der Sinnbilder und Weissagungen, die auf den Heiland hinwiesen, unter den Menschen zu bewahren. Seinem Wunsche entsprechend sollten sie Heilsbrunnen fr die Welt sein. Was Abraham in seiner Umgebung, Joseph in gypten und Daniel am Hofe zu Babel war, das sollte das Volk der Hebrer unter den heidnischen Vlkern sein. Es sollte den Menschen Gott offenbaren. Als der Herr Abraham berief, sagte er: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. 1. Mose 12,2.3. Das wurde auch von den Propheten wiederholt. Sogar als Israel durch Krieg und Gefangenschaft verheert worden war, galt ihm die Verheiung: Es werden die briggebliebenen aus Jakob unter vielen Vlkern sein wie Tau vom Herrn, wie Regen aufs Gras, der auf niemand harrt noch auf Menschen wartet. Micha 5,6. ber den Tempel zu Jerusalem kndigte der Herr durch Jesaja an: Mein Haus wird ein Bethaus heien fr alle Vlker. Jesaja 56,7. Doch die Israeliten richteten ihre Hoffnungen auf weltliche Gre. Seitdem sie das Land Kanaan betreten hatten, wichen sie von den

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DAS LEBEN JESU Geboten Gottes ab und folgten heidnischen Bruchen. Vergeblich warnte Gott sie durch seine Propheten. Vergeblich wurden sie auch dadurch bestraft, da heidnische Vlker sie unterdrckten. Jeder Sinnesnderung folgte ein um so tieferer Abfall. Wren die Kinder Israel Gott treu geblieben, htte er sein Ziel erreichen und sie ehren und erhhen knnen. Wren sie gehorsam geblieben, so htte er sie zum hchsten ber alle Vlker gemacht, die er geschaffen hat, und sie wren gerhmt, gepriesen und geehrt worden. 5. Mose 26,19. Mose sagt: Alle Vlker auf Erden werden sehen, da ber dir der Name des Herrn genannt ist, und werden sich vor dir frchten. 5. Mose 28,10. Wenn alle Vlker diese Gebote hren, mten sie sagen: Ei, was fr weise und verstndige Leute sind das, ein herrliches Volk! 5. Mose 4,6. Weil sie aber treulos waren, konnte Gottes Ziel nur durch stndige Trbsal und Demtigung erreicht werden. Sie wurden von Babylon unterjocht und unter die Heiden zerstreut. Im Elend erneuerten viele ihren Glauben an den Bund mit Gott. Als sie ihre Harfen an die Weiden zu Babel hingen und um den heiligen Tempel, der verwstet lag, Leid trugen, (Psalm 137,1-3) da ging von ihnen das Licht der Wahrheit aus, und sie verbreiteten die Erkenntnis Gottes unter den Heiden. Die heidnischen Opferbruche waren ein Zerrbild des von Gott festgelegten Opferdienstes. Viele, die es mit den heidnischen Bruchen ernst nahmen, erfuhren durch die Juden, was es mit dem von Gott vorgeschriebenen Opfer auf sich hatte, und nahmen im Glauben die Verheiung eines Erlsers an. Viele Verbannte erduldeten Verfolgung, nicht wenige bten sogar ihr Leben ein, weil sie sich weigerten, den Sabbat zu miachten und an den heidnischen Festen teilzunehmen. Als die Gtzendiener angestachelt wurden, die Wahrheit auszulschen, stellte der Herr seine Diener vor Herrscher und Knige, damit diese und deren Untertanen erleuchtet wrden. Von Zeit zu Zeit wurden die gewaltigsten Monarchen dazu gebracht, die berlegenheit des Gottes zu verknden, den ihre hebrischen Gefangenen anbeteten. Durch die Babylonische Gefangenschaft wurden die Kinder Israel wirksam von der Anbetung der Gtzenbilder geheilt. In den folgenden Jahrhunderten erduldeten sie die Unterdrckung durch heidnische Feinde, bis sie zu der festen berzeugung gelangten, da ihre Wohl-

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DAS LEBEN JESU fahrt vom Gehorsam gegenber dem Gesetz Gottes abhinge. Bei allzu vielen Juden beruhte dieser Gehorsam jedoch nicht auf Liebe. Sie handelten aus selbstschtigen Beweggrnden und dienten Gott nur uerlich, um dadurch zu nationaler Gre zu gelangen. Daher wurden sie nicht zu einem Licht der Welt, sondern sie sonderten sich von der Welt ab, um so der Versuchung zum Gtzendienst zu entgehen. In den Unterweisungen, die Gott ihnen durch Mose erteilt hatte, war der Umgang Israels mit Gtzenanbetern eingeschrnkt worden. Diese Belehrungen wurden nun falsch ausgelegt. Israel sollte zwar durch sie daran gehindert werden, sich nach heidnischen Bruchen zu richten; doch jetzt dienten sie dazu, zwischen sich und den Heiden einen Wall aufzubauen. Jerusalem war in den Augen der Juden der Himmel, und Eifersucht erfllte sie bei dem Gedanken, Gott knnte den Heiden Gnade erweisen. Nach ihrer Rckkehr aus Babylon widmeten die Juden der religisen Unterweisung groe Aufmerksamkeit. berall im Lande errichteten sie Synagogen, in denen Priester und Schriftgelehrte das Gesetz auslegten. Sie grndeten auch Schulen, auf denen neben den Knsten und Wissenschaften angeblich auch die Grundstze wahrer Frmmigkeit gelehrt wurden. Diese Institutionen gerieten jedoch in Verfall; denn whrend der Gefangenschaft hatten viele Israeliten heidnische Vorstellungen und Bruche bernommen, die sie nun in den Gottesdienst einschleusten. In vielen Dingen paten sie sich den Gewohnheiten der Gtzendiener an. Als sich die Juden von Gott abwandten, verloren sie weitgehend das Verstndnis fr die Bedeutung des Opferdienstes, der von Christus selbst eingefhrt worden war. In allen seinen Teilen war dieser Dienst ein Sinnbild auf Jesus hin und von Kraft und geistlicher Schnheit erfllt. Den Juden kam nun die geistliche Sinngebung ihrer Zeremonien abhanden, und so klammerten sie sich an tote Formen. Sie setzten ihr Vertrauen auf die bloen Opfer und Bruche statt auf den, auf den diese hinwiesen. Um diesen Verlust zu ersetzen, vervielfltigten die Priester und Rabbiner die eigenen Anforderungen, und je strenger diese wurden, desto weniger fand sich die Liebe Gottes in ihnen. Gradmesser ihrer Frmmigkeit war die Anzahl ihrer kultischen Handlungen, ihre Herzen aber waren voller Stolz und Heuchelei.

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DAS LEBEN JESU Bei all diesen peinlich genauen und lstigen Vorschriften war es unmglich, das Gesetz wirklich zu halten. Wer Gott dienen und dabei den Regeln der Rabbiner gehorchen wollte, plagte sich unter einer schweren Last ab. Er konnte vor den Anklagen seines gengsteten Gewissens nicht zur Ruhe kommen. Auf diese Weise versuchte Satan, das Volk mutlos zu machen, die Vorstellung vom Wesen Gottes zu verflschen und den Glauben Israels in Verruf zu bringen. Er hoffte, beweisen zu knnen, was er bei seinem Aufruhr im Himmel behauptet hatte, nmlich da Gottes Forderungen ungerecht seien und man ihnen nicht gehorchen knne. Selbst die Kinder Israel, so versicherte er, hielten das Gesetz nicht. Die Juden sehnten zwar die Ankunft des Messias herbei, aber sie hatten dennoch keine richtige Vorstellung von seiner Aufgabe. Sie wollten nicht von ihrer Sndenschuld erlst, sondern vom Rmerjoch befreit werden und hielten nach einem Messias Ausschau, der als Eroberer kommen, die Macht ihrer Unterdrcker zerbrechen und Israel zur Weltherrschaft verhelfen sollte. So wurde der Weg fr sie bereitet, den Heiland zu verwerfen. Zur Zeit der Geburt Christi hrmte sich das Volk unter der Fremdherrschaft ab, auerdem war es von innerem Hader zerrissen. Obwohl den Juden erlaubt worden war, eine eigene Regierung zu behalten, konnte nichts die Tatsache verbergen, da sie von den Rmern unterjocht wurden und da sie sich mit der Beschneidung der eigenen Macht nicht abfinden konnten. Die Rmer behielten sich das Recht vor, den Hohenpriester zu ernennen und abzusetzen. Oftmals erhielt man dieses Amt nur durch List, Bestechung, ja sogar durch Mord. Dadurch griff die Korruption unter den Priestern immer strker um sich. Doch noch bten sie eine groe Macht aus, die sie fr selbstschtige und gewinntrchtige Ziele einsetzten. Das Volk war ihren hartherzigen Forderungen ausgeliefert und mute auerdem noch hohe Steuern an die Rmer zahlen. Deshalb herrschte berall Unzufriedenheit. Hufig kam es zu Volksaufstnden. Geldgier und Gewalttat, Mitrauen und Gleichgltigkeit im religisen Leben zehrten am Mark des Volkes. Ha auf die Rmer, nationaler Stolz und geistlicher Hochmut lieen die Juden noch immer streng den religisen Formen anhangen. Die Priester versuchten, den Schein der Heiligkeit aufrechtzuerhalten,

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DAS LEBEN JESU indem sie peinlich genau die kultischen Vorschriften beachteten. Das bedrngte und in geistlicher Finsternis lebende Volk wie auch seine machthungrigen Beherrscher ersehnten den Einen, der die Feinde besiegen und das Knigreich Israel wiederherstellen wrde. Die Weissagungen hatten sie erforscht, doch ohne geistliche Erleuchtung. Sie bersahen daher jene Schriftworte, die auf die Erniedrigung Christi bei seiner ersten Ankunft hinwiesen, und miverstanden jene anderen, die von der Herrlichkeit seines zweiten Kommens sprechen. Ihr Hochmut verdunkelte ihre Erkenntnis, so da sie die Weissagungen nach ihren eigenen selbstschtigen Wnschen auslegten.

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3. Als aber die Zeit erfllet ward Als aber die Zeit erfllet ward, sandte Gott seinen Sohn auf da er die, so unter dem Gesetz waren, erlste, damit wir die Kindschaft empfingen. Galater 4,4. Das Kommen des Heilandes wurde bereits im Garten Eden vorhergesagt. Als Adam und Eva zum ersten Mal die Verheiung hrten, warteten sie auf deren rasche Erfllung. Voller Freude empfingen sie ihren erstgeborenen Sohn in der Hoffnung, da er der Erlser sein mchte. Doch die Erfllung dieser Verheiung lie auf sich warten. Jene, die sie zuerst empfingen, starben, ohne erlebt zu haben, da sie sich erfllt htte. Von den Tagen Henochs an wurde diese Verheiung durch Patriarchen und Propheten weitergegeben und die Hoffnung auf seine Erscheinung am Leben erhalten, und dennoch kam er nicht. Erst die Weissagung Daniels offenbarte die Zeit seines Kommens, doch nicht alle verstanden diese Botschaft richtig zu deuten. So ging ein Jahrhundert nach dem andern vorber, und die Stimmen der Propheten verstummten. Die Hand der Unterdrcker lastete schwer auf Israel, und viele sprachen nun: Es dauert so lange, und es wird nichts aus der Weissagung. Hesekiel 12,22. Wie die Gestirne unbeirrbar ihre ewige Bahn ziehen, so erfllen sich auch die Absichten Gottes. Einst hatte der Herr unter den Sinnbildern einer groen Finsternis und eines rauchenden Ofens Abraham die Knechtschaft Israels in gypten kundgetan und dabei seinem Diener erklrt, da ihr Aufenthalt dort vierhundert Jahre whren wrde; danach aber sollten sie ausziehen mit groem Gut. 1. Mose 15,14. Das stolze Reich der Pharaonen bekmpfte leidenschaftlich diese Verheiung Gottes. Doch vergebens; denn als die Zeit der Erfllung gekommen war, an eben diesem Tage zog das ganze Heer des Herrn aus

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DAS LEBEN JESU gyptenland. 2. Mose 12,41. Mit der gleichen Sicherheit war im Rate Gottes auch die Zeit des ersten Advents Christi bestimmt worden. Als die Weltenuhr diese Stunde anzeigte, wurde Jesus in Bethlehem geboren. Als die Zeit erfllet ward, sandte Gott seinen Sohn. Galater 4,4. Er hatte in seiner Vorsehung die Bewegungen der Vlker, die Wogen menschlicher Bestrebungen und Einflsse gelenkt, bis die Welt fr das Kommen des Erlsers reif war. Damals waren die Vlker unter einer Herrschaft vereinigt; sie redeten allgemein eine Sprache, die auch berall als Schriftsprache galt. Von weither kamen die zerstreut wohnenden Juden nach Jerusalem, um gemeinsam die jhrlichen Feste zu feiern. So konnten sie auch nach der Rckkehr in ihre Heimatorte berall die Kunde von der Ankunft des Messias verbreiten. Zu der gleichen Zeit lie der Einflu des Heidentums auf das Volk nach. Man war des groartigen heidnischen Geprnges und der Fabeln berdrssig geworden und sehnte sich nach einer Religion, die das Herz befriedigen konnte. Wohl schien das Licht der Wahrheit von den Menschen gewichen, doch gab es immer noch Seelen, die nach diesem Licht verlangten und die mit Sorge und Unruhe erfllt waren. Diese Seelen hungerte und drstete nach der Erkenntnis des lebendigen Gottes, und sie sehnten sich nach der Gewiheit eines Lebens jenseits des Grabes. Die Juden hatten sich von Gott abgewandt; der Glaube war verblat und die Hoffnung auf das ewige Heil fast erloschen. Man verstand die Worte der Propheten nicht mehr. Dem grten Teil des Volkes war der Tod ein schreckliches Geheimnis; die Vorstellungen ber das Jenseits waren dunkel und ungewi. Man hrte nicht nur das Klagen der Mtter von Bethlehem, sondern es erfllte sich, was gesagt ist von dem Propheten Jeremia, der da spricht: ,Zu Rama hat man ein Geschrei gehrt, viel Weinen und Heulen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trsten lassen, denn es war aus mit ihnen. Matthus 2,17.18. Ohne Trost saen die Juden am Ort und Schatten des Todes. Matthus 4,16. Sehnsuchtsvoll schauten sie nach dem Erlser aus, dessen Erscheinen die Dunkelheit vertreiben und das Geheimnis der Zukunft offenbaren sollte. Auerhalb des jdischen Volkes gab es Angehrige fremder Stmme, die das Erscheinen eines gttlichen Lehrers vorhersagten. Diese such-

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DAS LEBEN JESU ten ernstlich die Wahrheit, und darum schenkte Gott ihnen den Geist der Weissagung. Gleich Sternen am dunklen Nachthimmel waren solche Lehrer, einer nach dem andern, aufgetaucht. Mit ihren Seherworten hatten sie in den Herzen vieler Heiden frohe Hoffnungen entfacht. Seit Jahrhunderten waren die heiligen Schriften ins Griechische bersetzt worden, die damals ber weite Gebiete des Rmischen Reiches verbreitete Sprache. Dazu kam noch, da die Juden berallhin verstreut waren und ihre Messiaserwartung in gewissem Grade von den Heiden geteilt wurde. Unter jenen, von den Juden Heiden genannt, befanden sich Mnner, die ein besseres Verstndnis der gttlichen Weissagungen ber den Messias besaen als die Schriftgelehrten Israels. Sie erwarteten in dem Messias einen Erretter von der Snde. Philosophen bemhten sich, das Geheimnis der hebrischen Heilsgeschichte zu erforschen. Aber die Verblendung der Juden verhinderte die Ausbreitung des Lichtes. Sie wollten die Kluft, die zwischen ihnen und anderen Vlkern bestand, um keinen Preis berbrcken und waren nicht gewillt, ihre Erkenntnis ber den Opferdienst anderen mitzuteilen. Zuerst mute ihr Messias, der wahre Lehrer, kommen und die Bedeutung aller biblischen Schattenbilder erklren. Durch die Natur, durch Bilder und Gleichnisse, durch Patriarchen und Propheten hatte Gott zur Welt gesprochen. Diese Unterweisungen muten der Menschheit auch in einer menschlichen Sprache gegeben werden. Der Engel des Bundes sollte diese Aufgabe bernehmen. Seine Stimme sollte in seinem eigenen Tempel gehrt werden. Christus mute kommen, um jene Worte zu sprechen, die klar und deutlich verstanden werden konnten. Er, der Schpfer der Wahrheit, mute die Wahrheit von der Spreu menschlicher uerungen trennen, die ohne Wirkung geblieben waren. Nicht nur muten die Grundstze der Herrschaft Gottes und der Erlsungsplan auf das sinnflligste erklrt, sondern auch die Texte des Alten Testamentes sollten den Menschen ausfhrlich dargelegt werden. Dennoch gab es unter den Juden standhafte Seelen, Nachkommen jenes geheiligten Geschlechtes, das die Erkenntnis Gottes in sich bewahrt hatte, die noch auf die Erfllung der den Vtern gegebenen Verheiung warteten. Diese glubigen Juden strkten und belebten ihren

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DAS LEBEN JESU Glauben immer wieder durch die Worte Moses: Einen Propheten wird euch der Herr, euer Gott, erwecken aus euren Brdern gleichwie mich; den sollt ihr hren in allem, was er euch sagen wird. Apostelgeschichte 3,22. Oder sie lasen, da Gott den Einen salben und auf die Erde senden werde, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkndigen den Gefangenen die Freiheit zu verkndigen ein gndiges Jahr des Herrn. Jesaja 61,1.2. Oder sie hrten davon, da er wird nicht verlschen bis er auf Erden das Recht aufrichte, da die Inseln warten auf seine Weisung und da die Heiden zu seinem Licht und die Knige zum Glanz, der ber ihm aufgeht, ziehen wrden. Jesaja 42,4;60,3. Besonders aber belebten sie die Worte des sterbenden Jakob: Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Fen, bis da der Held komme, und ihm werden die Vlker anhangen. 1. Mose 49,10. Die Tatsache der dahinschwindenden Macht Israels zeugte fr das nahe bevorstehende Kommen des Messias. Die Weissagung Daniels schilderte die Herrlichkeit seiner Herrschaft ber ein Reich, das allen irdischen Reichen folgen sollte und das ewig bleiben wrde. Daniel 2,44. Whrend nur wenige die Sendung Christi wirklich verstanden, war die Erwartung weit verbreitet, da er als mchtiger Frst kommen werde, um in Israel sein Reich aufzurichten und den Vlkern die ersehnte Freiheit zu bringen. Die Zeit war erfllt. Die Menschheit, durch Jahrhunderte der bertretung immer tiefer gesunken, verlangte nach dem Erlser. Satan hatte alles getan, um die Kluft zwischen dem Himmel und der Erde tief und unberbrckbar zu machen. Durch seine Lgen hatte er die Menschen ermutigt, zu sndigen. Es war seine Absicht, die Langmut Gottes zu erschpfen und dessen Liebe zu den Menschen so zu verdunkeln, da er schlielich die Welt seiner satanischen Oberhoheit berlassen wrde. Satan suchte den Menschen die Erkenntnis Gottes unmglich zu machen und ihre Aufmerksamkeit vom Tempel Gottes abzuwenden, um sein eigenes Reich aufrichten zu knnen. Es schien sogar, als wre seinem Streben nach der hchsten Gewalt ein voller Erfolg beschieden. Zwar hatte Gott in jeder Generation seine Werkzeuge; selbst unter den Heiden gab es Mnner, durch die Christus wirken konnte, das

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DAS LEBEN JESU Volk aus ihrer Snde und Erniedrigung herauszufhren. Doch diese Mnner wurden verachtet und verabscheut. Viele von ihnen starben eines gewaltsamen Todes. Der dunkle Schatten, den Satan ber die Welt geworfen hatte, wurde lnger und lnger. Satan hatte durch das Heidentum zu allen Zeiten die Menschen Gott abspenstig gemacht; aber seinen grten Sieg erlangte er, indem er den Glauben in Israel verflschte. Wie den Heiden, die durch ihren Gtzendienst die Gotteserkenntnis verloren und immer verderbter wurden, so erging es auch Israel. Die Auffassung, da der Mensch sich durch seine eigenen Werke selbst erlsen knne, war die Grundlage jeder heidnischen Religion; auch in Israel hatte dieser Grundsatz, von Satan eingepflanzt, Boden gewonnen. Wo immer man ihn befolgt, berauben die Menschen sich selbst jeder Schutzwehr gegen die Snde. Die Heilsbotschaft wird den Menschen durch menschliche Werkzeuge bermittelt. Doch die Juden wollten das ausschlieliche Recht auf die Wahrheit, die das ewige Leben bedeutet, fr sich allein. Sie hatten das lebendige Manna gehortet und es dadurch dem Verderben ausgeliefert. Die Religion, die sie fr sich allein in Anspruch zu nehmen gedachten, geriet ihnen zum rgernis. Sie beraubten Gott seiner Herrlichkeit und betrogen die Welt, indem sie das Evangelium verflschten. Die Weigerung der Juden, sich Gott zu weihen und der Welt zum Heil zu werden, machte sie zu Werkzeugen Satans, die Verderben ber die Welt brachten. Das Volk, das Gott erwhlt hatte, Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit zu sein, war zu Beauftragten Satans geworden. Sie erfllten die Aufgabe, die Satan ihnen zugedacht hatte, indem sie Mittel und Wege fanden, das Wesen Gottes falsch darzustellen, und die Welt veranlaten, ihn als Tyrannen zu betrachten. Sogar die Priester, die ihren Dienst im Tempel versahen, hatten die Bedeutung der gottesdienstlichen Handlungen aus den Augen verloren. Sie hatten lngst aufgehrt, hinter deren Symbolcharakter den eigentlichen Sinn zu sehen. Im Ablauf des Opferdienstes waren sie zu Akteuren in einem Schaustck geworden. Die Ordnungen, die Gott selbst eingesetzt hatte, wurden zu einem Mittel, die Sinne zu betren und die Herzen zu verhrten. Auf diesem Wege konnte Gott nichts mehr fr die Menschheit tun. Dieses ganze System mute beseitigt werden.

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DAS LEBEN JESU Der Betrug der Snde hatte seinen Hhepunkt erreicht. Alle Wirksamkeit, die Seelen der Menschen moralisch zu verderben, war in vollem Gange. Der Sohn Gottes sah, als er auf die Welt blickte, nur Not und Elend. Mit tiefem Erbarmen erkannte er, wie Menschen Opfer der satanischen Grausamkeit wurden. Voller Mitgefhl blickte er auf jene, die verfhrt oder gettet wurden und verlorengingen. Sie hatten sich einen Obersten gewhlt, der sie gleichsam als Gefangene vor seinen Karren spannte. Irregeleitet und betrogen, bewegten sie sich in einer traurigen Prozession ihrem ewigen Untergang entgegen, dem Tod, in dem keine Lebenshoffnung ist, der Nacht, die keinen Morgen kennt. Satanisches Wirken vermischte sich mit menschlichem Tun. Die Leiber menschlicher Wesen, dazu geschaffen, da Gott darin wohnte, wurden zu einer Behausung der Teufel. Die Sinne, Nerven, Triebe und Organe der Menschen wurden durch bernatrliche Krfte angestachelt, der niedrigsten Begierde zu frnen. Den Angesichtern der Menschen war geradezu der Stempel der Dmonen aufgeprgt. Sie spiegelten die Legionen des Bsen wider, von dem sie besessen waren. Solcherart war der Anblick, der sich dem Erlser der Welt bot. Welch ein Schauspiel fr den unendlich Reinen, das zu sehen! Die Snde war zu einer systematisch betriebenen Kunst geworden, und das Laster wurde als Teil der Religion geheiligt. Die Emprung wider Gott war tief in den Herzen verwurzelt, und die Feindseligkeit der Menschen gegen den Himmel war auerordentlich heftig. Vor dem ganzen Universum zeigte es sich, da die menschliche Natur, von Gott getrennt, sich nicht ber das Menschliche emporschwingen kann. Ein neues Element der Lebensgestaltung und Kraft mu erst durch jenen Einen verliehen werden, der die Welt geschaffen hat. Voller Spannung hatten die nichtgefallenen Welten erwartet, da sich der Herr aufmachen und die Bewohner der Erde hinwegraffen wrde. Und wenn Gott dies getan htte, dann wre Satan bereit gewesen, seinen Plan auszufhren, um sich die Ergebenheit der himmlischen Wesen zu sichern. Er hatte erklrt, da die Grundstze der Herrschaft Gottes eine Vergebung unmglich machten. Wrde Gott die Welt vernichtet haben, so htte der Teufel behauptet, da seine Anklagen gegen Gott wahr seien. Er lauerte darauf, Gott anzuklagen und auch andere Welten in die Emprung hineinzuziehen.

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DAS LEBEN JESU Aber statt die Welt zu vernichten, sandte Gott seinen Sohn, sie zu retten. Obwohl berall Verderbtheit und Trotz herrschten, wurde ein Weg der Erlsung der Menschheit vorbereitet. Im entscheidenden Augenblick, gerade da Satan zu triumphieren schien, brachte der Sohn Gottes die frohe Botschaft von der gttlichen Gnade. In allen Zeiten, in jeder Stunde ist die Liebe Gottes dem gefallenen Menschengeschlecht nachgegangen. Ungeachtet seiner Bosheit, empfing es bestndig sichtbare Zeichen seiner Gnade. Und als die Zeit erfllt war, offenbarte die Gottheit ihre Herrlichkeit, indem sie die Flle heilsamer Gnade ber die Welt ausschttete. Diese Gnade sollte nie aufgehalten oder der Welt entzogen werden, bis die Durchfhrung des Heilsplanes vollendet wre. Satan frohlockte, da es ihm gelungen war, das Bild Gottes bei den Menschen herabzusetzen. Darum kam Jesus auf diese Erde, um im Menschen das Bild seines Schpfers wiederherzustellen. Niemand auer Christus kann den Charakter, der durch die Snde zugrunde gerichtet worden war, erneuern. Er kam, die bsen Geister zu vertreiben, die den Willen beherrscht hatten. Er kam, um uns aus dem Staub aufzuhelfen, um unseren entstellten Charakter nach dem Vorbild seines gttlichen Wesens umzuformen und ihn mit seiner eigenen Herrlichkeit zu schmcken.

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4. Euch ist heute der Heiland geborenDer Knig der Herrlichkeit lie sich herab, Knechtsgestalt anzunehmen und unter harten und widrigen Verhltnissen auf Erden zu leben. Seine Herrlichkeit wurde verborgen, damit nicht die Majestt seiner ueren Erscheinung die Aufmerksamkeit der Welt auf ihn lenken sollte. Er vermied allen ueren Glanz und Aufwand; denn er wute, da weder Reichtum noch weltliche Ehren noch Ansehen bei den Menschen eine Seele vom Tode erretten knnen. Jesus wollte keine Anhnger, die ihm um des Irdischen willen nachfolgten. Nur die Gre der gttlichen Wahrheit sollte die Menschenherzen zu ihm fhren. Von dem Wesen des Heilandes war von den Propheten lange zuvor geweissagt worden; und auf das Zeugnis des Wortes Gottes hin sollten die Menschen Jesus als Messias annehmen. Die Grozgigkeit des Erlsungsplanes hatte die Engel in Verwunderung versetzt. Sie beobachteten das Volk Gottes, um zu sehen, wie es den Sohn des Himmels in Menschengestalt aufnehmen wrde. Ihrer etliche begaben sich in das Land des auserwhlten Volkes. Andere Vlker glaubten Fabeln und beteten Gtzen an. Die Engel aber kamen in das Land, in dem die Herrlichkeit Gottes offenbart worden war und in dem das Licht der Weissagung geschienen hatte. Unbemerkt gelangten sie nach Jerusalem und kamen zu den berufenen Auslegern der heiligen Schriften und zu den Dienern des Hauses Gottes. Dem Priester Zacharias war bereits, als er vor dem Altar diente, verkndigt worden, da die Menschwerdung Christi bevorstehe; auch war schon der Vorlufer des Herrn geboren und dessen Sendung durch Wunder und Weissagung besttigt worden. Die Kunde von seiner Geburt und der wunderbaren Bedeutung seiner Aufgabe hatte sich berall verbreitet. Dennoch rstete sich Jerusalem nicht, seinen Erlser zu begren.

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DAS LEBEN JESU Mit Erstaunen nahmen jetzt die Boten des Himmels die Gleichgltigkeit des Volkes wahr, das Gott berufen hatte, der Welt das Licht der heiligen Wahrheit mitzuteilen. Das jdische Volk war bewahrt worden, um zu bezeugen, da Christus dem Samen Abrahams und dem Hause Davids entstammte; dennoch wute es nicht, da die Ankunft des Heilandes jetzt unmittelbar bevorstand. Selbst im Tempel, wo die Morgenund Abendopfer tglich auf das Lamm Gottes hinwiesen, traf man keine Vorbereitungen, ihn zu empfangen; denn auch die Priester und Lehrer des Volkes wuten nichts davon, da nunmehr das grte und wichtigste Ereignis aller Zeiten eintreten sollte. Gedankenlos leierten sie ihre Gebete herunter und gengten den frmlichen Vorschriften des Gottesdienstes, um den Menschen zu gefallen; in ihrem Streben nach Reichtum und weltlicher Ehre waren sie jedoch nicht auf die Offenbarung des Messias vorbereitet. Diese Gleichgltigkeit durchdrang das ganze jdische Land. Eigennutz und Weltsucht machten die Herzen unempfnglich fr die Freude, die den Himmel bewegte. Wenige nur sehnten sich danach, den Unsichtbaren zu schauen, und nur diesen wenigen offenbarte sich der Himmel. Engel begleiteten Joseph und Maria auf ihrer Reise von ihrem Heim in Nazareth nach der Stadt Davids. Das Gebot des kaiserlichen Rom, da sich alle Vlker in seinem ausgedehnten Gebiet schtzen lieen, erstreckte sich auch auf die Bewohner der Berge Galilas. Wie einst Cyrus zur Weltherrschaft berufen wurde, damit er die Gefangenen des Herrn freiliee, so diente jetzt Kaiser Augustus als Werkzeug, um die Absicht Gottes auszufhren, indem er den Anla gab, der die Mutter Jesu nach Bethlehem fhrte. Sie stammte aus dem Geschlecht Davids, und der Sohn Davids mute in Davids Stadt geboren werden. Aus Bethlehem, so hatte der Prophet gesagt, soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Micha 5,1. Doch in der Stadt ihrer kniglichen Vorfahren kannte und beachtete man Joseph und Maria nicht. Mde und ohne ein Obdach zu haben, zogen sie die lange, enge Strae entlang von einem Ende bis zum andern und suchten vergebens eine Unterkunft fr die Nacht. Es gab fr sie keinen Platz mehr in den berfllten Herbergen der Stadt. Endlich gewhrte ihnen ein drftiger Stall Obdach fr die Nacht, und hier wurde der Erlser der Welt geboren.

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DAS LEBEN JESU Obschon die Menschen nichts davon wuten, vernahm es der Himmel mit Jauchzen. Mit tiefer, immer inniger werdender Anteilnahme fhlten sich die himmlischen Wesen zur Erde hingezogen. Die ganze Welt schien durch die Gegenwart des Erlsers erhellt. ber den Hhen von Bethlehem sammelte sich eine unzhlbare Engelschar. Sie erwartete das Zeichen, um der Welt die Freudenbotschaft mitzuteilen. Wren die Obersten Israels ihrer Berufung treu geblieben, dann htten sie an der groen Freude teilhaben drfen, die Geburt des Heilandes zu verkndigen. So wurden sie jedoch bergangen. Der Herr spricht: Ich will Wasser gieen auf das Durstige und Strme auf das Drre. Jesaja 44,3. Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis. Psalm 112,4. So werden denen, die das Licht suchen und es freudig annehmen, helle Lichtstrahlen vom Throne Gottes leuchten. Auf den Feldern, auf denen einst der junge David seine Schafe geweidet hatte, hteten auch jetzt Hirten des Nachts ihre Herden. In den stillen Nachtstunden sprachen sie miteinander von dem verheienen Heiland und beteten um das Kommen des Knigs auf Davids Thron. Siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie frchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: ,Frchtet euch nicht! Siehe, ich verkndige euch groe Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Lukas 2,911. Bei diesen Worten zogen Bilder von groer Herrlichkeit an dem inneren Auge der lauschenden Hirten vorber. Der Erlser Israels war gekommen! Macht, Erhhung und Sieg wrden die Folge seines Eintritts in die Welt sein. Aber der Engel mute sie darauf vorbereiten, ihren Heiland auch in Armut und Niedrigkeit zu erkennen. Das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Lukas 2,12. Der Bote des Himmels besnftigte die Furcht der Hirten. Er sagte ihnen, wie sie Jesus fnden. Mit zarter Rcksicht auf ihre menschliche Schwche gab er ihnen Zeit, sich an die gttliche Herrlichkeit zu gewhnen. Dann aber lieen sich Freude und Lobpreis nicht lnger halten. Die himmlischen Heerscharen erhellten die ganze Ebene mit ihrem Glanz. In das tiefe nchtliche Schweigen der Erde tnte der

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DAS LEBEN JESU Jubelgesang: Ehre sei Gott in der Hhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Lukas 2,14. Wenn doch die Menschen heute noch diesen Jubelchor vernehmen knnten! Jene Ankndigung, der damals erklungene Schall, wrde sich fortpflanzen bis ans Ende der Zeit und Widerhall finden bis an die Enden der Erde. Und wenn einst die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen wird mit Heil unter ihren Flgeln dann wird dieser Gesang vielfltig widertnen von der Stimme einer groen Schar, gleich dem Rauschen groer Wasser: Halleluja! denn der Herr, unser Gott, der Allmchtige, hat das Reich eingenommen! Offenbarung 19,6. Als sich die Engel entfernten, schwand auch das Licht, und die Schatten der Nacht breiteten sich aufs neue ber die Hhen von Bethlehem. Aber das prchtigste Bild, das Menschenaugen je wahrgenommen haben, blieb im Gedchtnis der Hirten. Da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lat uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen. Lukas 2,15.16. Mit groer Freude im Herzen gingen sie wieder fort und verkndeten, was sie gesehen und gehrt hatten. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott. Lukas 2,1820. Himmel und Erde sind heute nicht weiter voneinander entfernt als damals, da die Hirten dem Gesang der Engel lauschten. Und der Himmel lt heute den Menschen seine Frsorge nicht weniger angedeihen als damals, da einfache Leute bei ihrer gewhnlichen Beschftigung zur Mittagszeit Engeln begegneten und in den Weingrten und auf den Feldern mit den Boten Gottes redeten. So kann auch uns auf allen unseren Wegen der Himmel nahe sein. Gott wird seine Engel senden, damit sie die Schritte derer bewahren, die nach seinen Geboten wandeln. Die Geschichte von Bethlehem ist ein unerschpfliches Thema. In ihr verborgen liegt die Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Rmer 11,33. Wir staunen ber das Opfer des Heilandes, der den Himmelsthron mit der Krippe und die Gesellschaft der anbe-

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DAS LEBEN JESU tenden Engel mit jener der Tiere im Stall vertauschte. Tief beschmt stehen vor ihm der Stolz und der Eigendnkel der Menschen. Die armselige Geburt des Heilandes war erst der Anfang seiner auerordentlichen Erniedrigung. Htte der Sohn Gottes Menschengestalt angenommen, als Adam noch unschuldig im Paradiese lebte, dann schon wre solche Tat eine geradezu unbegreifliche Herablassung gewesen; nun aber kam Jesus auf die Erde, nachdem das Menschengeschlecht bereits durch vier Jahrtausende im Dienst der Snde geschwcht worden war. Und dennoch nahm er wie jeder andere die Folgen auf sich, die das unerbittliche Gesetz der Vererbung zeitigte. Das Erleben seiner irdischen Vorfahren lehrt uns, worin diese Folgen bestanden. Mit einem solchen Erbteil belastet, teilte er unsere Nte und Versuchungen und gab uns das Beispiel eines sndlosen Lebens. Satan hatte Christus im Himmel wegen seiner Stellung vor Gott gehat. Dieser Ha steigerte sich, als er entthront wurde. Er hate den, der es auf sich nahm, ein Geschlecht von Sndern zu erlsen. Dennoch sandte Gott seinen Sohn in diese Welt, ber die Satan zu herrschen begehrte, er sandte ihn als ein hilfloses, aller menschlichen Schwachheit unterworfenes Kindlein. Er erlaubte ihm, sich zusammen mit jeder Menschenseele den Gefahren des Lebens auszusetzen und, wie jedes andere Menschenkind auch, den Lebenskampf zu fhren mit dem Wagnis, zu versagen und auf ewig verlorenzugehen. Ein menschlicher Vater ist herzlich besorgt um seinen Sohn. Wenn er seinem Kind ins Auge schaut, so erzittert er bei dem Gedanken an die Gefahren, die das Leben mit sich bringt. Er mchte seinen Liebling vor der Gewalt Satans bewahren und Anfechtung und Kampf von ihm fernhalten. Gott aber sandte seinen eingeborenen Sohn in einen viel heieren Kampf und in bedeutend grere Gefahren, damit unseren Kleinen der Pfad zum Leben gesichert wrde. Darin steht die Liebe: nicht, da wir Gott geliebt haben, sondern da er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Vershnung fr unsre Snden. 1. Johannes 4,10. Darber wundere dich, o Himmel, und staune, o Erde!

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5. Jesu DarstellungEtwa vierzig Tage nach der Geburt Christi brachten Joseph und Maria das Kind nach Jerusalem, um es dem Herrn zu weihen und ein Opfer zu bringen. Dies entsprach dem jdischen Gesetz, und als Stellvertreter der Menschen mute Christus in jeder Hinsicht dem Gesetz nachkommen. So wurde durch seine Beschneidung das Gesetz erfllt. Als Opfergabe der Mutter verlangte das Gesetz ein einjhriges Lamm zum Brandopfer und eine junge Taube oder Turteltaube zum Sndopfer. Fr den Fall aber, da die Eltern zu arm waren, ein Lamm zu bringen, erlaubte das Gesetz, ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben, die eine als Brandopfer, die andere als Sndopfer, anzunehmen. Die dem Herrn dargebrachten Opfer muten ohne Fehl sein. Sie versinnbildeten Christus. Daran erkennen wir, da Jesus frei war von krperlichen Gebrechen. So entsprach er auch der Ankndigung eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. 1. Petrus 1,19. Sein makelloser Krper war stark und gesund. Sein ganzes Leben hindurch lebte er in vlliger bereinstimmung mit den Naturgesetzen. Geistig und krperlich gab er ein Beispiel dafr, was alle Menschen nach dem Willen Gottes sein knnten, wenn sie seinen Geboten gehorchen. Die Sitte, den Erstgeborenen im Tempel darzustellen, stammte aus uralter Zeit. Gott hatte verheien, den Erstgeborenen des Himmels fr die Rettung der Snder dahinzugeben. Diese Gabe sollte von jeder Familie durch das Darbringen des Erstgeborenen anerkannt werden. Dieser sollte gleichsam als Vertreter Christi unter den Menschen dem Priestertum geweiht werden. Bei der Befreiung Israels aus gypten wurde die Darstellung des Erstgeborenen aufs neue geboten. Whrend die Kinder Israel sich in

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DAS LEBEN JESU der Knechtschaft der gypter befanden, empfing Mose vom Herrn den Befehl, zum Pharao gyptens zu gehen und zu ihm zu sagen: Israel ist mein erstgeborener Sohn; und ich gebiete dir, da du meinen Sohn ziehen lt, da er mir diene. Wirst du dich weigern, so will ich deinen erstgeborenen Sohn tten. 2. Mose 4,22.23. Mose entledigte sich seiner Botschaft, erhielt jedoch von dem stolzen Knig die Antwort: Wer ist der Herr, da ich ihm gehorchen msse und Israel ziehen lasse: Ich wei nichts von dem Herrn, will auch Israel nicht ziehen lassen. 2. Mose 5,2. Daraufhin trat der Herr mit Zeichen und Wundern fr sein Volk ein, indem er schreckliche Gerichte ber Pharao verhngte. Schlielich wurde dem Wrgeengel befohlen, alle Erstgeburt der gypter Menschen und Tiere umzubringen. Damit die Israeliten dabei verschont blieben, sollten sie ihre Trpfosten mit dem Blut eines geschlachteten Lammes bestreichen. Wo immer die Huser der Israeliten derart gezeichnet wren, wrde der Engel bei der Ausfhrung seines Auftrages daran vorbergehen. Nachdem der Herr dieses Gericht ber gypten gebracht hatte, sagte er zu Mose: Heilige mir alle Erstgeburt alles, was zuerst den Mutterscho durchbricht bei Mensch und Vieh, das ist mein. 2. Mose 13,2. Und weiter: An dem Tage, da ich alle Erstgeburt schlug in gyptenland, da heiligte ich mir alle Erstgeburt in Israel, vom Menschen an bis auf das Vieh, da sie mir gehren sollen. 4. Mose 3,13. Als aber der Dienst in der Stiftshtte eingesetzt wurde, erwhlte sich Gott den Stamm Levi, damit dieser an Stelle der Erstgeborenen Israels den Dienst im Heiligtum vershe. Dennoch sollte der Erstgeborene weiterhin als des Herrn Eigentum gelten und deshalb durch ein Lsegeld zurckgekauft werden. So hatte das Gesetz der Darstellung des Erstgeborenen eine besondere Bedeutung gewonnen. Whrend diese einerseits einen Gedchtnisbrauch an die wunderbare Befreiung der Kinder Israel durch den Herrn bedeutete, wies sie anderseits auf die noch wichtigere Erlsung durch den eingeborenen Sohn Gottes hin. Wie das an die Trpfosten gesprengte Blut der Opfertiere die Erstgeborenen Israels vor dem leiblichen Tode bewahrte, so hat das Blut Christi Macht, die Welt vom ewigen Verderben zu erretten. Welche Bedeutung kam demnach der Darstellung Christi zu! Doch der Blick des Priesters vermochte den Schleier nicht zu durchdringen;

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DAS LEBEN JESU ihm blieb das dahinterliegende Geheimnis verborgen. Die Darstellung der Suglinge im Tempel war fr ihn ein ganz gewhnlicher Vorgang. Tag fr Tag nahm er, wenn man die Kinder dem Herrn weihte, das Lsegeld entgegen und waltete gewohnheitsmig seines Amtes, ohne dabei besonders auf Eltern oder Kinder zu achten, es sei denn, uere Anzeichen lieen auf Wohlstand oder eine hohe Stellung der Eltern schlieen. Maria und Joseph aber waren arm; und als sie mit ihrem Kind kamen, sah der Priester nur ein in einfachste Gewnder gekleidetes Elternpaar aus Galila. Nichts an ihrer ueren Erscheinung erweckte besondere Aufmerksamkeit, zudem brachten sie auch nur die Opfergabe der Armen zum Tempel. So versah der Priester lediglich die Frmlichkeiten, die ihm sein Amt vorschrieb. Er nahm das Kind auf seine Arme und hielt es vor dem Altar empor; dann gab er es seiner Mutter zurck und trug den Namen Jesus in die Liste der Erstgeborenen ein. Er ahnte nicht, da das Kindlein, das er eben noch auf seinen Armen gehalten hatte, der Herr des Himmels, der Knig der Herrlichkeit war. Noch weniger kam ihm der Gedanke, da dieses Kind es war, von dem Mose geschrieben hatte: Einen Propheten wird euch der Herr, euer Gott, erwecken aus euren Brdern gleichwie mich; den sollt ihr hren in allem, was er euch sagen wird. Apostelgeschichte 3,22. Er ahnte auch nicht, da dieses Knblein es war, dessen Herrlichkeit schon Mose zu sehen begehrt hatte. Ein Grerer als Mose lag in seinen Armen, und als er den Namen des Kindes in die Liste eintrug, da schrieb er den Namen des Einen nieder, auf dem die ganze jdische Heilsgeschichte ruhte. Mit seinem Erscheinen verlor der Opfer- und Gabendienst seine Geltung, fand das Vorbild seine Erfllung wich der Schatten dem Wesen. War auch die Wolke der Herrlichkeit vom Heiligtum gewichen, so verhllte sich doch jetzt in dem Kind von Bethlehem die Herrlichkeit, vor der sich die Engel beugten. Dieses sich seiner noch gar nicht bewute Kind war nichts anderes als der verheiene Same, auf den schon der erste Altar an der Pforte des Paradieses hinwies. Es war der Held der Friedefrst. Es war der, welcher sich gegenber Mose als Ich bin bezeichnet und der hernach in der Wolken- und Feuersule das Volk Israel gefhrt hatte. Lngst war er von den Sehern angekndigt worden als der Ersehnte aller Vlker, als Wurzel und Reis

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DAS LEBEN JESU Davids, als der helle Morgenstern. Der Name des hilflosen Kindes, eingetragen in die Stammesliste Israels, zum Zeichen, da Er unser Bruder ist, war die Hoffnung der gefallenen Menschheit. Wie jetzt fr ihn das Lsegeld gezahlt werden mute, so wollte er dereinst die Shne fr die Snden der ganzen Welt auf sich nehmen. Er war der wahre Hohepriester ber das Haus Gottes, (Hebrer 10,21) das Haupt eines unvergnglichen Priestertums, (Hebrer 7,24) der Frsprecher zu der Rechten der Majestt in der Hhe. Hebrer 1,3. Geistliches kann nur geistlich beurteilt werden. Whrend der Sohn Gottes im Tempel zu der Aufgabe geweiht wurde, die zu erfllen er gekommen war, erblickte der Priester in ihm nicht mehr als in irgendeinem anderen Kind. Obgleich er selbst weder etwas Besonderes sah noch fhlte, wurde die Tatsache, da Gott seinen Sohn in die Welt gab, dennoch wohlbekannt. Diese Gelegenheit durfte nicht vorbergehen, ohne da Christus erkannt wrde. Siehe, ein Mensch war zu Jerusalem, mit Namen Simeon; und derselbe Mensch war fromm und gottesfrchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm. Und ihm war eine Antwort geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christ des Herrn gesehen. Lukas 2,25.26. Als Simeon den Tempel betrat, sah er ein Elternpaar ihren erstgeborenen Sohn dem Priester darreichen. Ihr Aussehen zeugte von Armut; Simeon aber verstand die Ankndigungen des Geistes, und er war tief ergriffen, als er erkannte, da dieses Kindlein, das jetzt dem Herrn geweiht wurde, der Trost Israels war, den zu sehen er sich gesehnt hatte. Dem erstaunten Priester hingegen erschien Simeon wie von Sinnen. Als Maria das Kind zurckerhalten hatte, nahm Simeon es auf seine Arme und stellte es Gott dar. Dabei berkam ihn eine Freude, wie er sie noch nie zuvor empfunden hatte. Er hielt das Christuskindlein hoch und sprach: ,Herr, nun lssest du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Vlkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volks Israel. Lukas 2,29-32. Der Geist der Weissagung erfllte diesen Gottesmann, und whrend Maria und Joseph sich ber seine Worte wunderten, segnete er das Paar und sprach zu Maria: Siehe, dieser wird gesetzt zum Fall und

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DAS LEBEN JESU Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen , auf da vieler Herzen Gedanken offenbar werden. Lukas 2,34.35. Auch die Prophetin Hanna kam hinzu und besttigte Simeons Zeugnis ber Jesus. Whrend Simeon noch redete, erstrahlte ihr Angesicht von dem Glanz der Herrlichkeit Gottes, und sie dankte aus vollem Herzen dafr, da sie noch Christus, den Herrn, hatte schauen drfen. Diese demtigen Anbeter hatten nicht vergeblich in den heiligen Schriften geforscht. Die aber Oberste und Priester in Israel waren, wandelten nicht in den Wegen des Herrn, obgleich auch sie die kstlichen Aussprche der Propheten kannten. Darum vermochten ihre Augen nicht das Licht des Lebens zu schauen. So ist es noch heute. Es finden Ereignisse statt, auf die der ganze Himmel seine Aufmerksamkeit richtet; aber bei den geistlichen Fhrern und den Anbetenden im Hause Gottes finden sie kein Verstndnis nicht einmal ihr Auftreten wird beachtet. Man lt wohl einen historischen Christus gelten, wendet sich aber von dem lebendigen ab. Der Christus, der sowohl durch sein Wort als auch durch die Armen und Leidenden, die um Hilfe flehen, und durch die gerechte Sache, die Armut, Mhsal und Schmach einschliet, zur Selbstverleugnung auffordert, wird heute ebensowenig aufgenommen wie vor zweitausend Jahren. Maria bewegte die vielsagende und tiefgrndige Weissagung Simeons in ihrem Herzen. Sooft sie beim Anblick des Kindes in ihren Armen der Worte der Hirten von Bethlehem gedachte, erfllte sie dankbare Freude und frohe Hoffnung. Nun riefen Simeons Worte ihr die Prophezeiung Jesajas ins Gedchtnis: Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Strke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hften. Jesaja 11,1.2.5. Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein groes Licht, und ber denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell Denn uns ist ein Kind geboren und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heit Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Frst. Jesaja 9,1.5.

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DAS LEBEN JESU Und doch begriff Maria die Sendung Christi nicht. Simeon hatte von ihm geweissagt, da er ein Licht sei, das die Heiden erleuchten und gleichzeitig Israel zum Preis gereichen sollte. In diesem Sinne hatten die Engel die Geburt des Heilandes als eine Freudenbotschaft fr alle Vlker verkndigt. Gott wollte die Juden von der engstirnigen Vorstellung, die sie von der Aufgabe des Messias hatten, abbringen und sie dazu befhigen, ihn nicht nur als den Befreier Israels, sondern auch als den Erlser der Welt zu betrachten. Doch viele Jahre muten erst noch vergehen, ehe selbst die Mutter Jesu seine Aufgabe erkannte. Wohl erwartete Maria die Herrschaft des Messias auf dem Thron Davids, doch erkannte sie nicht, da er erst ber eine Leidenstaufe dazu gelangen sollte. Durch Simeon wurde offenbar, da der Messias einen beschwerlichen Lebensweg vor sich hatte. In den Worten an Maria: Durch deine Seele wird ein Schwert dringen (Lukas 2,34.35) deutete Gott deshalb rcksichtsvoll und barmherzig der Mutter Jesu an, welche Pein sie seinetwegen zu erleiden haben wrde. Simeon hatte gesagt: Siehe, dieser wird gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. Lukas 2,34.35. Ein Aufstehen ist erst nach einem Fall mglich. Wir alle mssen auf den Fels des Heils fallen und zerbrechen, ehe wir durch Christus erhht werden knnen. Unser Ich mu entthront und unser Stolz gedemtigt werden, wenn wir die Herrlichkeit des geistlichen Reiches erfahren wollen. Die Juden wiesen diese Ehre von sich, die man erlangt, indem man sich demtig hlt; deshalb wollten sie ihren Erlser nicht aufnehmen. Er erwies sich als das Zeichen, dem widersprochen wurde. Da vieler Herzen Gedanken offenbar werden. Lukas 2,34.35. Im Lichte des Lebens Christi werden die Herzen aller, selbst vom Schpfer bis zum Frsten der Finsternis, offenbar. Satan hat Gott als eigenntzig und gewaltttig hingestellt, als einen Herrn, der alles fr sich verlange und nichts gebe, der den Dienst seiner Geschpfe zu seiner eigenen Verherrlichung beanspruche, selber aber um ihretwillen keine Opfer bringe. Doch die Gabe Christi offenbart, was im Herzen des Vaters ist; sie bezeugt, da Gott nur Gedanken des Friedens und nicht des Leides (Jeremia 29,11) fr uns hat. Sie bekundet, da Gottes Abscheu gegen die Snde zwar stark ist wie der Tod, seine Liebe zum Snder aber noch

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DAS LEBEN JESU strker. Er wird, nachdem er die Aufgabe, uns zu erlsen, in Angriff genommen hat, alles daransetzen, koste es, was es wolle, um diese Aufgabe zu vollenden. Er wird uns die ganze zu unserem Heil notwendige Wahrheit kundtun, alle Barmherzigkeit erweisen und alle Hilfe von oben gewhren, die wir brauchen. Er huft Wohltat auf Wohltat, Gabe auf Gabe. Die Schatzkammer des Himmels steht denen offen, die bereit sind, sich von ihm retten zu lassen. Alle Schtze des Weltalls und alles Vermgen seiner unbegrenzten Macht stellt er Christus zur Verfgung mit der Erklrung, da alles fr den Menschen sei, und er solle diese Gaben benutzen, ihn zu berzeugen, da es weder im Himmel noch auf Erden grere Liebe gebe als die seine. Der Mensch solle erkennen, da es kein greres Glck fr ihn gebe, als Gott immer zu lieben. Am Kreuz von Golgatha standen Liebe und Selbstsucht einander gegenber. Hier offenbarten sich beide am deutlichsten. Christus hatte nur gelebt, um zu trsten und zu segnen; Satan dagegen bekundete die ganze Bosheit seines Hasses gegen Gott, indem er den Herrn ttete. Er lie deutlich werden, da die von ihm entfachte Emprung nur dem einen Zweck dienen sollte, Gott zu strzen und den zu vernichten, durch den die Liebe Gottes offenbar wurde. Durch Christi Leben und Sterben werden auch die Gedanken der Menschen enthllt. Von der Krippe bis zum Kreuz war das Leben Jesu eine bestndige Aufforderung, uns selbst zu verleugnen und an seinen Leiden teilzuhaben. An ihm wurden die Absichten der Menschen offenbar. Jesus kam mit der Wahrheit des Himmels und zog alle zu sich, die der Stimme des Heiligen Geistes Gehr schenkten, wohingegen sich die Anbeter des eigenen Ich's zum Reiche Satans bekannten. Ihre Haltung gegenber Christus erwies bei allen, auf wessen Seite sie standen. So spricht sich jeder selbst sein Urteil. Am Tage des Weltgerichts wird sich jede verlorene Seele ber die Schwere ihrer Verwerfung der Wahrheit klar sein. Jeder, der bis dahin durch die bertretungen abgestumpft war, wird angesichts des Kreuzes dessen wahre Bedeutung erkennen. Vor seinem inneren Auge wird Golgatha mit seinem geheimnisvollen Opfer erstehen, und die Snder werden sich verdammt sehen. Jede lgenhafte Ausflucht bricht dort zusammen, und der Abfall des Menschen kommt in seiner ganzen

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DAS LEBEN JESU Abscheulichkeit ans Licht. Jeder sieht dann, welche Wahl er getroffen hat. Jede Frage nach Wahrheit und Irrtum whrend des langandauernden Kampfes wird beantwortet sein. Gott wird gerechtfertigt dastehen und frei sein von dem Vorwurf, fr das Vorhandensein oder die Fortdauer der Snde die Verantwortung zu tragen. Es wird sich zeigen, da die gttlichen Verordnungen nicht zur Snde gefhrt haben. Es wird sich weiterhin erweisen, da der Herrschaft Gottes kein Makel anhaftete und da sie keinen Anla zur Unzufriedenheit gegeben hat. Wenn dann die Gedanken und Herzen aller offenbar geworden sind, werden die Getreuen und die Emprer gemeinsam ausrufen: Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du Knig der Vlker. Wer sollte dich nicht frchten, Herr, und deinen Namen preisen: denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden. Offenbarung 15,3.4.

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6. Wir haben seinen Stern gesehenDa Jesus geboren war zu Bethlehem im jdischen Lande zur Zeit des Knigs Herodes, siehe, da kamen Weise vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene Knig der Juden: Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten. Matthus 2,1.2. Die Weisen aus dem Osten waren Philosophen. Sie gehrten einer groen und einflureichen Schicht an, die viele Edle, Wohlhabende und Gebildete zu den Ihren zhlte. Unter diesen nutzten viele die Leichtglubigkeit des Volkes aus; andere hingegen waren aufrichtige Mnner, die auf die Zeichen der Vorsehung in der Natur achteten und die wegen ihrer Rechtschaffenheit und Weisheit groes Ansehen genossen. Dazu gehrten auch die Weisen, die zu Jesus kamen. Zu allen Zeiten lie Gott sein Licht in die Finsternis der Heidenwelt hineinleuchten. So durften diese Magier, als sie den gestirnten Himmel beobachteten und das leuchtende Geheimnis des Schpfers zu ergrnden suchten, die Herrlichkeit des Herrn schauen. Auf der Suche nach grerer Erkenntnis wandten sie sich den hebrischen Schriften zu. Ihr eigenes Land barg Schtze der Weissagung, die von dem einstigen Kommen eines gttlichen Lehrers Kunde gaben. Hatte doch ein Bileam, obwohl eine Zeitlang Prophet des lebendigen Gottes, ebenfalls zu den Magiern gehrt. Er hatte durch den Heiligen Geist das Gedeihen Israels und das Erscheinen des Messias vorhergesagt, und seine Weissagungen waren durch berlieferung von Jahrhundert zu Jahrhundert weitergetragen worden. Im Alten Testament aber war das Kommen des Heilandes noch deutlicher angekndigt. Mit Freuden ersahen daher die Magier, da seine Ankunft nahe bevorstehe und die ganze Welt von der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes erfllt werde.

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DAS LEBEN JESU In jener Nacht, da die Herrlichkeit Gottes die Hhen von Bethlehem berflutete, sahen die Weisen ein geheimnisvolles Licht am Himmel. Als es verblate, erschien ein leuchtender Stern und blieb am Himmelsgewlbe stehen. Es war weder ein Fixstern noch ein Planet; deshalb erweckte diese Erscheinung die grte Aufmerksamkeit. Davon, da jener Stern eine weit entfernte Gruppe strahlender Engel war, konnten die Weisen natrlich nichts wissen. Doch sie gewannen den Eindruck, da dieser Stern von besonderer Wichtigkeit fr sie sei. Sie befragten daraufhin Priester und Philosophen und durchforschten auch selbst die alten Schriften. Dabei fanden sie die Weissagung Bileams: Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen. 4. Mose 24,17. Konnte nicht dieser fremdartige Stern als Vorbote des Verheienen gesandt sein? Sie, die das Licht der Wahrheit vom Himmel schon freudig begrt hatten, erhielten es nun in noch grerem Mae und wurden durch Trume angewiesen, den neugeborenen Frsten zu suchen. Wie Abraham einst auf den Ruf Gottes hin glubig auszog, ohne zu wissen, wo er hinkme, (Hebrer 11,8) und wie Israel glubig der Wolkensule nach dem verheienen Lande folgte, so zogen auch diese Heiden aus, den verheienen Heiland zu suchen. Die Lnder des Ostens waren reich an Kostbarkeiten, und so traten auch die Magier ihre Reise nicht mit leeren Hnden an. Der Sitte entsprechend, Frsten oder anderen hochgestellten Persnlichkeiten zum Zeichen der Huldigung Geschenke zu berreichen, nahmen sie die erlesensten Erzeugnisse des Landes mit als Weihegabe an den, in dem alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollten. Um den Stern im Auge behalten zu knnen, muten die Weisen des Nachts reisen. Die Zeit verkrzten sie sich mit einem Gedankenaustausch ber die mndlichen und schriftlichen Aussprche der alten Propheten bezglich des Einen, den sie suchten. Whrend jeder Ruhepause durchforschten sie die Prophezeiungen, und darber verstrkte sich in ihnen immer mehr die berzeugung, da sie von oben geleitet wurden. So gesellte sich zu dem Stern als uerem Zeichen von innen das Zeugnis des Heiligen Geistes, der ihre Herzen beeinflute und ihre Hoffnung belebte. Dadurch wurde die lange Reise fr sie zu einem frohen Erlebnis, das sie den mhsamen, langwierigen Weg vergessen lie.

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DAS LEBEN JESU Als sie endlich das Land Israel erreichten und, Jerusalem vor ihren Blicken, den lberg hinabstiegen, da verweilte der Stern, der auf dem beschwerlichen Weg vor ihnen hergezogen war, ber dem Tempel, um nach einiger Zeit ihren Blicken zu entschwinden. Eilenden Schrittes gingen sie nun vorwrts in der zuversichtlichen Erwartung, da die Kunde von der Geburt des Messias berall Begeisterung ausgelst hatte. Aber alle ihre Nachforschungen blieben ohne Erfolg. Unmittelbar nachdem sie die Stadt betreten hatten, begaben sie sich zum Tempel. Doch zu ihrem Erstaunen fanden sie niemanden, der etwas von dem neugeborenen Knig zu wissen schien. Ihre Fragen riefen keine Freudenausbrche hervor, eher das Gefhl einer unangenehmen berraschung und Furcht, bisweilen sogar ein Gefhl der Geringschtzung. Die Priester vergruben sich in die berlieferung. Ihre religise Auffassung und ihre Art der Frmmigkeit ging ihnen ber alles, whrend sie die Griechen und Rmer als beraus sndige Heiden bezeichneten. Auch die Weisen galten, obschon sie keine Gtzendiener waren und in Gottes Augen weit hher standen als diese seine angeblichen Anbeter, bei den Juden als Heiden. Selbst bei den berufenen Htern der heiligen Schriften fand ihr eifriges Fragen keine Gegenliebe. Die Ankunft der Weisen wurde in Jerusalem schnell bekannt. Ihre ungewhnliche Botschaft brachte viel Aufregung unter das Volk, die bis in den Palast des Knigs Herodes drang. Der listige Edomiter erschrak schon bei der bloen Erwhnung eines mglichen Nebenbuhlers. Ungezhlte Mordtaten hatten seinen Weg zum Thron besudelt. Dazu war er fremdstmmig und beim Volk, das er regierte, verhat. Seine einzige Sicherheit war die Gunst Roms. Dieser neue Frst aber hatte sich auf mehr zu berufen; er war geboren, das Reich einzunehmen. Herodes hatte die Priester in Verdacht, da sie mit den Fremdlingen gemeinsame Sache machten, um einen Volksaufstand heraufzubeschwren und ihn zu entthronen. Zwar verbarg er sein Mitrauen, doch er beschlo, sie bei der Ausfhrung ihrer Plne zu berlisten. Er lie die Hohenpriester und Schriftgelehrten zu sich rufen und erkundigte sich bei ihnen, was ihre heiligen Bcher ber den Ort lehrten, wo der Messias geboren werden sollte.

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DAS LEBEN JESU Diese Erkundigungen des Thronrubers, noch dazu durch die Fremden angeregt, verletzten den Stolz der jdischen Lehrer. Die offenkundige Gleichgltigkeit wieder, mit der sie sich an die Durchsicht der prophetischen Schriften begaben, erregte die Eifersucht des Herrschers, glaubte er doch, sie suchten nur zu verbergen, was sie von dieser Sache wuten. Mit einer Bestimmtheit, ber die sie sich nicht hinwegzusetzen wagten, befahl er ihnen deshalb, genaue Nachforschungen anzustellen und ihm den Geburtsort des von ihnen erwarteten Knigs zu nennen. Sie sagten ihm: Zu Bethlehem im jdischen Lande; denn also steht geschrieben durch den Propheten: ,Und du Bethlehem im jdischen Land bist mitnichten die kleinste unter den Stdten in Juda; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der ber mein Volk Israel ein Herr sei. Matthus 2,5.6. Hierauf lud Herodes die Weisen zu einer vertraulichen Unterredung ein. Obgleich Zorn und Furcht sein Inneres durchtobten, bewahrte er nach auen seine Ruhe und empfing die Frem