EMDER ZEITUNG, NR. 128 Keine Gebärden mit Mundschutz€¦ · Maßnahmen so transparent zu machen,...

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Donnerstag, 4. Juni 2020 Emden und Ostfriesland 5 EMDER ZEITUNG, NR. 128 die Eingliederungshilfe des Bundes, erklärte Tim Vratz. Das ist eine Sozialleistung, die das Ziel verfolgt, Menschen mit einer Behinderung oder solche, die von einer Behinde- rung bedroht sind, unter die Arme zu greifen und sie wei- terhin an der Gesellschaft teil- haben zu lassen. „Wir helfen etwa beim Einkaufen gehen, oder bei der Post“, sagte Vratz. Im Moment dürfen Tim Vratz und seine Kolle- gen aber noch keinen Kunden- besuch in der Ysaac-Brons- Straße empfangen. Denn auch die Beratungsstelle selbst sieht sich in ihrer Arbeit durch die Corona-Maßnahmen ein- geschränkt. „Wir dürfen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr in den Außendienst“, sagte Vratz. Seither mache das Team daher das meiste vom Büro aus. Und da sich die Bü- roräume der Beratungsstelle in Emden im Gesundheits- amt befinden, dürfen bisher auch keine Kunden vorbei- kommen: „Die Türen sind eben zu“, sagte Vratz, und ein Ende sei noch nicht in Sicht. Doch die Beratung klappe ganz gut, per Skype, E-Mail, WhatsApp oder per Telefon. „Der Kontakt über diese Me- dien ist nichts Neues für uns“, sagte Vratz. Doch auf diesem Weg gemeinsam Anträge für verschiedene Behörden auszu- füllen, sei schwierig. Auch der persönliche Kontakte fehle. „Wir möchten die Menschen an die Hand nehmen und ih- nen helfen“, sagte Vratz. „Aber immer mit dem Ziel, dass sie später wieder selber zurecht kommen.“ sichtbar lasse. „Doch die sind natürlich viel teurer als Mund- schutze aus Stoff. Etwa acht bis zwölf Euro pro Stück.“ Problematisch seien die Mundschutze mit transparen- ten Einnähern, denn die be- schlagen schnell durch die At- mung des Tragenden und be- decken weiterhin einen gro- ßen Teil des Gesichts. „Ganz viel Mimik verschwindet trotzdem hinter der Maske“, sagte Vratz. Wenn es um stationären Schutz gehe, dann würden Spuckschutzscheiben, wie sie nun auch schon in den meis- ten Läden zu finden sind, gut funktionieren. Auch für die Beratungsstelle in Emden sol- len solche durchsichtigen Schutzscheiben installiert werden. Corona-Informationen nicht für alle verständlich „Es haben sich in dieser Zeit auch häufig Menschen bei uns gemeldet, die wissen wollten, was man noch machen darf und was das alles bedeutet“, sagte der Teilhabeberater. Denn die Informationen über das Corona-Virus und die Maßnahmen so transparent zu machen, dass sie jeder ver- steht, habe Zeit gebraucht. Die Gehörlosen-Gemeinschaft sei in Deutschland zwar gut ver- netzt, doch wegen der zum Teil gravierenden Unterschie- de je nach Bundesland gebe es Stolperfallen bei den Informa- tionen und Vorschriften. Doch das sei ja auch eine der Aufga- ben der Beratungsstelle. Diese laufe außerdem über VON ANN-KRISTIN HOGE EMDEN Wenn Mund und Nase in Geschäften, Arztpraxen und Behörden bedeckt sind, be- kommen viele Hörgeschädig- te und Gehörlose ein Problem. Lippenlesen ist unmöglich, und zur Gebärdensprache ge- hört mehr als die tanzenden Hände, die so mancher schon einmal gesehen haben mag. Es geht auch um Gestik und Mi- mik, um Emotionen und Kör- persprache. Menschen, die sich so verständigen, sehen sich seit der Corona-Pandemie und vor allen Dingen der da- mit verbundenen Masken- pflicht neuen Hürden im All- tag ausgesetzt. Die Emder Zei- tung sprach darüber mit Tim Vratz von der Beratungsstelle für hörgeschädigte Menschen in Emden. „Mimik und Gestik sind das A und O bei Gebärdenspra- che“, sagte Tim Vratz am Tele- fon gegenüber der EZ. „Es hilft nicht, wenn man nur mit den Fingern zappelt. Auch Emotio- nen müssen sichtbar sein.“ Ein Visier als Alternative für Mundschutze? Doch die Mund-Nasen-Schut- ze, die derzeit jeder trägt, ob aus Stoff oder in der klini- schen Variante, bedecken einen großen Teil des Ge- sichts. Für Menschen, die auf eine Kommunikation per Ge- bärdensprache oder aber auf das Lippenlesen angewiesen sind, macht das einen gravie- renden Unterschied. Doch einfach abnehmen könne man die Masken auch SOZIALES Hörgeschädigte und Gehörlose stehen mit den Masken im Alltag vor ganz neuen Problemen Keine Gebärden mit Mundschutz gen geben“, sagte Tim Vratz. Nach dem Motto: Was ist sinn- voll? Was ist umsetzbar? Im Ergebnis passe bisher am besten eine Art durchsich- tiges Visier, das mit Abstand zum Mund aufgesetzt werden kann und das ganze Gesicht ben ist.“ Da gebe es unter- schiedliche Ideen von Mund- Nasen-Masken mit transpa- renten Einnähern bis Schutz- visieren. „Wir können froh sein, dass wir in unse- rem Team zwei Gehörlose haben, die uns Rückmeldun- nicht, sagte Vratz. Diese seien immerhin Vorschrift. „Es geht nicht darum, wie man die Masken umgehen kann“, be- tonte der Teilhabeberater. „Es geht darum, welche Masken man auf dem Markt einführen kann, damit die Teilhabe gege- Tim Vratz kann derzeit niemanden in seinem Büro empfangen, doch online finden die Be- ratungen weiterhin statt. BILD: PRIVAT 1 2 3 Um Menschen, die per Gebärdensprache oder Lippenlesen kommunizieren nicht auszuschließen, sind Alternativen zum Mund-Nasen-Schutz (3) im Gespräch, wie ein Visier und eine Maske mit durchsichtigem Einnäher (1 und 2). GRAFIK: EZ/CS BERATUNGSSTELLE FÜR HÖRGESCHÄDIGTE Die Beratungsstelle für hör- geschädigte Menschen in Emden bietet mit ihrem vier- köpfigen Team unterschied- liche Angebote an. Dazu ge- hören eine Allgemeine So- zialberatung, Unterstützung im Arbeitsleben und eine rechtliche Vertretung. Das Angebot ist speziell auf Menschen mit Hörschädi- gungen abgestimmt und die Berater beherrschen die Deutsche Gebärdenspra- che. Bei Rückfragen ist Tim Vratz erreichbar unter t 04 921 / 871 677 und per E-Mail unter T.Vratz@os- hho.de. Die Anlaufstelle in Emden gehört zum Verein Heilpädagogische Hilfe Os- nabrück, der auch Standor- te in Hannover, Oldenburg und Osnabrück hat.

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Donnerstag, 4. Juni 2020 Emden und Ostfriesland 5 EMDER ZEITUNG, NR. 128

die Eingliederungshilfe des Bundes, erklärte Tim Vratz. Das ist eine Sozialleistung, die das Ziel verfolgt, Menschen mit einer Behinderung oder solche, die von einer Behinde-rung bedroht sind, unter die Arme zu greifen und sie wei-terhin an der Gesellschaft teil-haben zu lassen. „Wir helfen etwa beim Einkaufen gehen, oder bei der Post“, sagte Vratz.

Im Moment dürfen Tim Vratz und seine Kolle-gen aber noch keinen Kunden-besuch in der Ysaac-Brons-Straße empfangen. Denn auch die Beratungsstelle selbst sieht sich in ihrer Arbeit durch die Corona-Maßnahmen ein-geschränkt. „Wir dürfen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr in den Außendienst“, sagte Vratz. Seither mache das Team daher das meiste vom Büro aus. Und da sich die Bü-roräume der Beratungsstelle in Emden im Gesundheits-amt befinden, dürfen bisher auch keine Kunden vorbei-kommen: „Die Türen sind eben zu“, sagte Vratz, und ein Ende sei noch nicht in Sicht.

Doch die Beratung klappe ganz gut, per Skype, E-Mail, WhatsApp oder per Telefon. „Der Kontakt über diese Me-dien ist nichts Neues für uns“, sagte Vratz. Doch auf diesem Weg gemeinsam Anträge für verschiedene Behörden auszu-füllen, sei schwierig. Auch der persönliche Kontakte fehle. „Wir möchten die Menschen an die Hand nehmen und ih-nen helfen“, sagte Vratz. „Aber immer mit dem Ziel, dass sie später wieder selber zurecht kommen.“

sichtbar lasse. „Doch die sind natürlich viel teurer als Mund-schutze aus Stoff. Etwa acht bis zwölf Euro pro Stück.“ Problematisch seien die Mundschutze mit transparen-ten Einnähern, denn die be-schlagen schnell durch die At-mung des Tragenden und be-decken weiterhin einen gro-ßen Teil des Gesichts. „Ganz viel Mimik verschwindet trotzdem hinter der Maske“, sagte Vratz.

Wenn es um stationären Schutz gehe, dann würden Spuckschutzscheiben, wie sie nun auch schon in den meis-ten Läden zu finden sind, gut funktionieren. Auch für die Beratungsstelle in Emden sol-len solche durchsichtigen Schutzscheiben installiert werden.

Corona-Informationen nicht für alle verständlich

„Es haben sich in dieser Zeit auch häufig Menschen bei uns gemeldet, die wissen wollten, was man noch machen darf und was das alles bedeutet“, sagte der Teilhabeberater. Denn die Informationen über das Corona-Virus und die Maßnahmen so transparent zu machen, dass sie jeder ver-steht, habe Zeit gebraucht. Die Gehörlosen-Gemeinschaft sei in Deutschland zwar gut ver-netzt, doch wegen der zum Teil gravierenden Unterschie-de je nach Bundesland gebe es Stolperfallen bei den Informa-tionen und Vorschriften. Doch das sei ja auch eine der Aufga-ben der Beratungsstelle.

Diese laufe außerdem über

VON ANN-KRISTIN HOGE

EMDEN – Wenn Mund und Nase in Geschäften, Arztpraxen und Behörden bedeckt sind, be-kommen viele Hörgeschädig-te und Gehörlose ein Problem. Lippenlesen ist unmöglich, und zur Gebärdensprache ge-hört mehr als die tanzenden Hände, die so mancher schon einmal gesehen haben mag. Es geht auch um Gestik und Mi-mik, um Emotionen und Kör-persprache. Menschen, die sich so verständigen, sehen sich seit der Corona-Pandemie und vor allen Dingen der da-mit verbundenen Masken-pflicht neuen Hürden im All-tag ausgesetzt. Die Emder Zei-tung sprach darüber mit Tim Vratz von der Beratungsstelle für hörgeschädigte Menschen in Emden.

„Mimik und Gestik sind das A und O bei Gebärdenspra-che“, sagte Tim Vratz am Tele-fon gegenüber der EZ. „Es hilft nicht, wenn man nur mit den Fingern zappelt. Auch Emotio-nen müssen sichtbar sein.“

Ein Visier als Alternative für Mundschutze?

Doch die Mund-Nasen-Schut-ze, die derzeit jeder trägt, ob aus Stoff oder in der klini-schen Variante, bedecken einen großen Teil des Ge-sichts. Für Menschen, die auf eine Kommunikation per Ge-bärdensprache oder aber auf das Lippenlesen angewiesen sind, macht das einen gravie-renden Unterschied.

Doch einfach abnehmen könne man die Masken auch

SOZIALES Hörgeschädigte und Gehörlose stehen mit den Masken im Alltag vor ganz neuen Problemen

Keine Gebärden mit Mundschutz

gen geben“, sagte Tim Vratz. Nach dem Motto: Was ist sinn-voll? Was ist umsetzbar?

Im Ergebnis passe bisher am besten eine Art durchsich-tiges Visier, das mit Abstand zum Mund aufgesetzt werden kann und das ganze Gesicht

ben ist.“ Da gebe es unter-schiedliche Ideen von Mund-Nasen-Masken mit transpa-renten Einnähern bis Schutz-visieren. „Wir können froh sein, dass wir in unse-rem Team zwei Gehörlose haben, die uns Rückmeldun-

nicht, sagte Vratz. Diese seien immerhin Vorschrift. „Es geht nicht darum, wie man die Masken umgehen kann“, be-tonte der Teilhabeberater. „Es geht darum, welche Masken man auf dem Markt einführen kann, damit die Teilhabe gege-

Tim Vratz kann derzeit niemanden in seinem Büro empfangen, doch online finden die Be-ratungen weiterhin statt. BILD: PRIVAT

Grafik: EZ/C

S1 2 3Um Menschen, die per Gebärdensprache oder Lippenlesen kommunizieren nicht auszuschließen, sind Alternativen zum Mund-Nasen-Schutz (3) im Gespräch, wie ein Visier und eine Maske mit durchsichtigem Einnäher (1 und 2). GRAFIK: EZ/CS

BERATUNGSSTELLE FÜR HÖRGESCHÄDIGTE

Die Beratungsstelle für hör-geschädigte Menschen in Emden bietet mit ihrem vier-köpfigen Team unterschied-liche Angebote an. Dazu ge-hören eine Allgemeine So-zialberatung, Unterstützung im Arbeitsleben und eine rechtliche Vertretung. Das Angebot ist speziell auf Menschen mit Hörschädi-gungen abgestimmt und die

Berater beherrschen die Deutsche Gebärdenspra-che. Bei Rückfragen ist Tim Vratz erreichbar unter t 04 921 / 871 677 und per E-Mail unter [email protected]. Die Anlaufstelle in Emden gehört zum Verein Heilpädagogische Hilfe Os-nabrück, der auch Standor-te in Hannover, Oldenburg und Osnabrück hat.