Entlassungsmanagement zur Ausgestaltung und Optimierung ... · Nursing Needs Assessment Instrument...

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Entlassungsmanagement zur Ausgestaltung und Optimierung der Verzahnung ambulanter und stationärer Pflege Prof. Dr. Barbara Hellige Fachhochschule Hannover Fakultät V Abteilung Pflege und Gesundheit Fachtagung 30.11.2009 Patientenbeteiligung und Patientenautonomie im Krankenhaus

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Entlassungsmanagement zur Ausgestaltung und Optimierung der

Verzahnung ambulanter und stationärer Pflege

Prof. Dr. Barbara HelligeFachhochschule Hannover

Fakultät VAbteilung Pflege und Gesundheit

Fachtagung 30.11.2009Patientenbeteiligung und

Patientenautonomie im Krankenhaus

Bedarf nach Entlassungsplanung

Verkürzung der Verweildauer führt auch bei akut Kranken zu medizinischem u. pflegerischem Betreuungsbedarfmultimorbide und pflegebedürftige PatientInnen nehmen zudurchgehende Rehabilitation und Gesundheitsförderung und/oder um Lebensqualität zu erhalten (z.B. bei Schmerzen)

Gesetzlicher Rahmen PÜ/Entlassungsmanagement

§ 12 SGB XI: Aufgabe Pflegekassen: Koordinierung der Hilfen, nahtloser Übergang§ 45 SGB XI: Pflegeberatung, Schulung von Angehörigen§ 11 (4) SGB V Versicherte haben einen Anspruch auf Versorgungsmanagement§ 112 SGB V nahtloser Übergang von der Krankenhausbehandlung zur Rehabilitation oder Pflege

Merkmale der Entlassungsplanung

Verfahren : Verbindlichkeit, Start, Ende, Richtlinien, KooperationsgradeZeitlicher Rahmen: vor Aufnahme, bei Aufnahme, unmittelbar vor E-TerminTätigkeiten: nur verwaltend im Sinne reibungslosen Ablaufs oder

Beratung, Schulung, Anleitung, Information, Vermittlung, Begleitung

Merkmale der Entlassungsplanung b

Zuständigkeit: zentral, dezentral, Umfang Einbeziehung anderer Berufsgruppen

Inhaltliche Ausrichtung: alle PatientInnen, bestimmte Zielgruppen, Krankheitsbilder

Berufe: ausschließlich durch Pflege, Sozialarbeit oder multidisziplinär

Tätigkeitsprofil Entlassungsplanung

Mit spezifischen Methoden und Instrumenten den Versorgungsbedarf ermitteln

Basierend darauf eine Planung erstellen

Maßnahmen einleiten, koordinieren, delegieren oder selbst durchführen

Evaluation des Entlassungsprozesses

Indikation: Vulnerable PatientInnen

Mehrfache Krankenhausaufenthalte innerhalb des letzten JahresDauerhafte Pflegebedürftigkeit vor Krankenhaus Hohes Alter und/oder praestationär geschwächte GesamtkonstitutionNach Entlassung voraussichtlich andauernde therapiebedingte AnforderungenMultimorbidität, einschließlich stark begrenzte LebenserwartungFehlende informelle Hilfen bei andauerndem UnterstützungsbedarfPrekäre Versorgungssituation (z.B. Wohnungslose)Ungeklärte Leistungsansprüche

Expertenstandard Entlassungsmanagement (DNQP)

BMG gefördert, Modellprogramm zur Förderung der medizinischen Qualitätssicherung12 ExpertInnenLiteraturauswertung basierend auf 263 wiss. Veröffentlichungen2002 konsentiert, 2003 veröffentlichtWissenschaftlich begleitete Implementation 1/03-6/03 in 20 Einrichtungen2009 1. überarbeitete Auflage

8 grundlegende Aspekte (angelehnt an Schaeffer) zum Entlassungsmanagement

(EM)EM geht nicht ohne Einbeziehung der Pflege, d.h. beinhaltet cure und carePatientenorientierte Entlassung geht nicht ohne integratives Denken und Handeln aller ProfessionenKooperation ist aufgabenorientiert zu gestaltenEntlassung beginnt bei Aufnahme, bei elektiven Patienten vor der Aufnahme

8 grundlegende Aspekte (angelehnt an Schaeffer) zum EntlassungsmanagementIntegrierte Versorgung ist sektorübergreifend zu gestaltenPatientIn/Angehörige (Versorgungsverläufe) sind Ausgangspunkt, sie sind CoproduzentInnen, Transitionen sind beratend zu begleitenSystematisierung der Entlassung ist unabdingbarEvaluation der Programme ist notwendig

Pflegetheoretische Einordnung

Ziel: Abstimmung/Koordination der nachstationär notwendigen Unterstützungs-und Versorgungsleistungen in Aushandlung mit den BetroffenenStärkung der Selbststeuerung- und Selbstmanagementfähigkeiten bei PatientInund Angehörigen

Pflegetheoretische Einordnung

Trajectmodell Strauss-CorbinUnterstützungsbedarf PatientIn u. Angehörige bezüglich

pflege- und krankheitsbezogener BewältigungAlltagbiografischer RekonstruktionSelbstmanagement und Koordination der Hilfeleistungen

Aufbau

Struktur, Prozess, ErgebnisJe 6 KriterienPhasen des Entlassungsprozesses wie vier Phasen des Pflegeprozess: Assessment, Planung, Durchführung, Evaluation

als Teil des Pflegeprozessesals paralleler Prozess

Strukturelle Voraussetzungen

Multidisziplinärer Prozess, aber: Verantwortung bei Pflege (S1, S4)ausschließlich zentrale E-Planung nicht im Sinne des E-StandardsQualifikation der Pflegenden, erfordert methoden-und instrumentengeleitetes Handeln (S1b, S2, S3,S4)Zusammenarbeit der Berufsgruppen muss verbindlich geregelt werden, z.B. Verantwortungen, Abstimmung Beginn/Ende E-ProzessAkzeptanz und Unterstützung durch die Leitungsebene

Strukturelle Voraussetzungen

Bereitstellung von zeitlichen u. finanziellen RessourcenBereitschaft der Leitung zu UmstrukturierungenFestlegung des Verfahrens, der Verantwortlichen, Weisungsberechtigung, Instrumente, Art der Einbeziehung von PatientIn u. AngehörigenÜberlegungen zur Kompensation des zusätzlichen Arbeitsaufwandes, der internen Umstrukturierung, der KooperationenErarbeiten eines Ablaufdiagramms mit Zuständigkeiten (in Teilprozessen, z.B. Assessment)Verfahrensregeln mit ÄrztInnen kommunizieren,

Assessment (S1 a, S 1 b, P1, E 1)

Keine Vorgabe durch Expertenstandard, hausinterne Verfahrensregeln erarbeitenGgf. auf jeweilige PatientInnengruppeabstimmen (S 1b)Weitere Formulare: Dokumentation der E-Planung, der Kooperation, Überleitungsbögen, EvaluationsinstrumenteIn Deutschland keine „eigenen“ Instrumente zur Bestimmung des Pflegebedarfes

Assessment

Initiales Assessment (Screening)Risikoerfassung, keine Bedarfseinschätzunghäufig in Aufnahmegespräch (Aufnahmemanagement) integriertEntfällt bei besonders vulnerablen PatientInnen

Z.B. BRASS-Index (Blaylock Risk Assessment Screener)

Gute MesseigenschaftenLeicht zu händeln, geringer Zeitaufwand, schnell erlernbar

Differenziertes Assessment

Einschätzung des Unterstützungsbedarfs der Angehörige genauso wichtig wie der PatientIn

Viele Instrumente, selten in deutsch verfügbar

Geläufig sind Barthel, FIM, MMS, SturzrisikoerfassungNursing Needs Assessment Instrument praxistauglich, wenig zeitintensiv

Keine Empfehlung für Deutschland

Mindesterfordernisse nach recherchierten Guidelines

Gesundheitszustand, funktionelle FähigkeitenFähigkeit für sich selbst zu sorgen, Möglichkeit versorgt zu werdenSoziale und räumliche UmgebungUnterstützungsbedarf der AngehörigenInformation, Beratung, AnleitungsbedarfBeurteilung der Compliance

Planung (S2, P2, E 2)

Gemeinsam Planung mit PatientIn u. Angehörigen, abgepasst an häusliche Situation, die UnterstützungspotenzialeLaufende Dokumentation, Überprüfung, AktualisierungGgf. Vermittlung an SozialdienstKontakte zu Kostenträgern, ambulanten Diensten etc..

Durchführung 1Beratung, Edukation (S3, P3, E3)

Bezogen auf PatientIn u. AngehörigeEinschätzung der Kenntnisse und FähigkeitenPlanung der Beratung, EdukationGgf. Entwicklung/Nutzung standardisierter Schulungspläne (flexibel)LernerfolgskontrolleEntweder durch verantwortliche Pflegekraft oder Delegation

Prozess der Beratung/Edukation

Verstehen: Information u. Aufklärung: Z.B. Krankheitsbild, Pflegephänomenen,Komplikationen, Ernährungsverhalten etc.Deuten/Klären: Bedeutung für Alltag/Biografie klärenHandeln: Schulen, ggf. delegierenEvaluation

Durchführung 2Koordination (S4, P4, E4)

Durch E-Pflegekraft, aber immer mit Einbeziehung der Bezugspflegekraft

Termin abgestimmt mit PatientIn, Angehörigen, Team und externer Weiterversorgung

Am besten in direktem Kontakt mit nachsorgendem Pflegedienst/Altenpflegeeinrichtung

Evaluation (S5, P5, E5, S6, E6)

2 Meßzeitpunkte:24 Std. vor der Entlassung24-48 Std. nach der Entlassung24 Std. vor Entlassung: Checkliste u. Pflegeüberleitungsbogen

Welche und inwieweit Maßnahmen durchgeführt wurden Überprüfung der Fähigkeiten/Kenntnisse der PatientIn, der Angehörigen

BeispielKlinikum Region Hannover

Vertragsabschluss kooperierender ambulanter Pflegedienste (8) auf Basis § 45 SGB XI mit KassenMax. 5% der PatientInnen dürfen als KundInnen weiter betreut werdenPflegeüberleitungsmitarbeiterInnen verantworten Überleitung in häusliche PflegeBeratung im Krankenhaus und bei Bedarf Schulungen in der häuslichen Umgebung

Positive Ergebnisse PatientInnenbefragung

• Frühzeitige und gemeinsame Abstimmung und Informationüber den Entlassungstermin

• Keine Wochenendentlassung

• Einbeziehung der PatientInnen und Angehörigen

• Frühzeitige Hilfebedarfsplanung aus PatientInnenperspektive

• Zugewandte Interaktion, gekennzeichnet durch Respekt

• Die Versorgung ist auf die Alltagsroutinen abgestimmt

• Pünktliche Lieferung der Hilfsmittel

Ergebnisse ExpertInneninterviews• Große Variationsbreite bei Größe, Anzahl der PatientInnen,

aufgewendeter Arbeitszeit, somit kaum vergleichbar

• Nationaler ExpertInnenstandard ist konzeptuelle Grundlage,nur wenige schriftlich fixierte Verfahrensweisen

• Entlassungsentscheidung findet nicht berufsgruppenüber-greifend statt, nicht immer bedarfsorientiert

• Pflegeberatungskenntnisse nicht basierend auf handlungs-theoretischer Grundlage

• Dreitägige Fortbildung nicht ausreichend

• Zu viele Leistungen sind nicht abrechenbar (SGB V- Patienten)

Resümee• Einführung neuer Schnittstelle heißt auch Geschäftsprozesse und Verantwortungen insgesamt zu überdenken, Macht/Hierarchie sind in Frage zu stellen

• Es bedarf eines Initialassessments (z.B. BRASS-Index)• Bezugspflegekraft sollte bei erstem Überleitungsgespräch

anwesend sein (Advocacy)• Aufnahmetag muss spätester Entlassungsplanungsbeginn sein• Entscheidung für Entlassungstag bedarf fachlicher Kriterien• Entwicklung von Leitlinien/Algorhythmen• Einrichtung einer PatientInnenhotline•Kostenträger müssen bei reduzierten Verweildauern für die

ambulante Nachsorge (SGB V) mehr Verantwortung übernehmen

Beispiel California Pacific Medical Center(modifiziert nach Hellige)

Bonding Working

Changing1. Hausbesuch

• Vertrauensaufbau (Insider)• Beginn Assessment• Einschätzen der Bedingungen/

Ressourcen• Information (Experte)• Deuten/Klären

2. Hausbesuch• Informationen• Entlassungsplanung1 Tag vor OP• Koordinieren des

Krankenhausaufenthaltes• Informationen durch OP-TeamOP-Tag• Emotionale Unterstützung1. Post-OP-Tag• Anleitung der Eltern2. Post-OP-Tag• Einbeziehung der Eltern

Stabile Phase KriseNormalisierungsphase

3. Post-OP-TagAbschluss der Entlassungsplanung

1. Woche n. Entl.Follow-up Besuch(Monitoring)1 Monat n. Entl.Follow-up BesuchAbschlussevaluation

Kooperatives Prozessmanagement (KOPM®)

Forschungsschwerpunkt der HAW Hamburg, Abteilung Pflege & Management (Dahlgaard, Stratmeyer) in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfZiel:

Gestaltung der unmittelbaren Kooperation zwischen Medizin und PflegeAusgestaltung von Organisations- und FührungsstrukturenKrankenhausübergreifende Kooperation

Kooperatives Prozessmanagement

Prozesse

Mana gem

en t

Kooperation

Patientenorientierung

Qualität der Prozesse Effizienz der Prozesse

Zufriedenstellende Arbeitsbedingungen

Der Prozess der PatientInnenversorgung im KoPM ®

Medizin als LeitprofessionIdentische Modelle, Prozeduren, Verfahren

Strauss/Corbin Pflege- und KrankheitsverlaufskurvePathwaysEBM/EBNQualitätsstandardsKooperative Qualifizierung

Managementaufgaben der Pflege im K0PM

Pflegeprozess an den Gesamtversorgungsprozess einpassenUnterstützung des Medizinprozesses: Aufgaben der Diagnostik/TherapieZentrale Steuerungs- und Überwachungsfunktion von der Aufnahme bis zur Entlassung

Rolle der Pflege

Stärkere Orientierung auf psychosoziale Leistungen

Körperfunktionsorientierte Pflege: therapeutisch, präventiv, rehabilitativEmotionale Unterstützung und und biografische ArbeitAushandeln selbst bestimmter Handlungsziele (Empowerment)Schulung und Beratung

KoPM Rolle der Pflege, Krankenhaus Umschau 1/2007

Entlassungsprozess

Beginnt mit der AufnahmeSo früh wie möglich festzulegenTerminplan wird regelmäßig überprüftPrüfung des Bedarfs der PatientInnen im Hinblick auf Selbst- und Weiterversorgungsbedarf

Voraussetzungen für kooperativen

Entlassungsprozess

Alle Berufsgruppen benötigen krankenhausübergreifende PerspektiveVerfahrensbeschreibung (Entlassungsstandard Pflege)Formalisierung der Zuständigkeiten

Kennzeichen eines produktiven Entlassungsmanagements

Fachliche Verantwortung bei ÄrztInnenPflegedienst ermittelt Unterstützungsbedarf mithilfe von AssessmentinstrumentenPflege organisiert und koordiniert den E-ProzessPflege übernimmt Information, Beratung, Schulung

Merkmale eines funktionalen Entlassungsprozesses

Poststationärer Unterstützungsbedarf ist systematisch eingeschätztPatientInnen und Angehörige werden frühzeitig einbezogenKrankenhausaufenthalt ist auf Anforderungen nach der Entlassung ausgerichtetSelbstversorgung bleibt in Krankenhaus weitmöglichst gewahrt

Verwendete Literatur:Cumberbatch, M. et al. (2007): Pflegeüberleitung auf der Basis des § 45 SGB XI im Klinikum Hannover. Evaluation der Angehörigenzufriedenheit. Unveröffentlichter Praxisbericht, Fachhochschule HannoverDaalgard, K.; Stratmeyer, P. (2005-2008): Kooperatives Prozessmanagement im Krankenhaus. Luchterhand: Neuwied u.a.Dahlgaard, K.; Schürgers, G.; Stratmeyer, P.; Stubenvoll, M. (2007): Kooperatives Prozessmanagement. Eine konzeptionelle Basis für das störungsfreie Zusammenspiel von Ärzten und Pflegenden. In: Führen & wirtschaften, 3, S. 272-276Deutsches Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege (Hrsg.) (2009): Expertenstandard „Entlassungsmanagement in der Pflege“. 1. AktualisierungHellige, B.; Hüper, C. (2003a): Unterstützung der Ganzheitlichkeit durch theoretischen Hintergrund. Behandlungspfade für chronisch Kranke. Teil 2. In: Pflege-Zeitschrift, Hft. 6, S. 495-497Hellige, B.; Hüper, C. (2003a): Wege, die das Leben geht. Behandlungspfade für chronisch Kranke. Teil 1. In: Pflege-Zeitschrift, Hft. 6, S. 429-433Stratmeyer, P. u.a. (2007): Vom Pflege- zum Versorgungsmanagement. Erweiterte Managementaufgaben von Pflegenden im integrierten Behandlungs- und Pflegeprozess. In: Krankenhaus Umschau, 1, S. 21-24Turley, K.; Tyndall, M.; Roge, C. et al. (1994): Critical Pathway Methodology: Effectiveness in Congenital Heart Surgery. In: Annals of Thoracic Surgery 58 S. 57-65