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Erosionsschutz und Begrünung von Böschungen im Verkehrswegebau Erosionsschutz und Begrünung von Böschungen im Verkehrswegebau: Optimierung durch Rohbodenbegrünung statt Oberbodenandeckung Stephan Bloemer Allein in Deutschland werden jährlich schätzungsweise weit über hundert Hektar Böschungsflächen entlang von Straßen zur Begrünung mit Oberboden angedeckt. Hieraus ergeben sich umfangreiche Probleme hinsichtlich Hangsicherung und Erosion, Standorteignung, Ökologie, Ästhetik und Wirtschaftlichkeit. Mit Hilfe der Hydroseeding-Technik (Nassansaat) können Rohböden unter Verzicht auf die Oberbodenandeckung begrünt werden. Das Verfahren führt zu eindrucksvollen Resultaten im Hinblick auf Erosionsschutz sowie Qualität und Beständigkeit der Vegetation. Der große Vorteil der Methode liegt in der Möglichkeit, z. B. auf extrem mageren Sanden, Schotterflächen sowie technogenen Substraten wie Bauschutt nicht nur blütenreiche Rasengesell- scheiten, sondern auch Gehölze zu etablieren. Obwohl die Rohbodenbegrünung unter Verzicht auf Oberbodenandeckungen seil vielen Jahren erfolgreich eingesetzt wird, scheint das Verfahren und dessen Potenzial noch immer nicht hinreichend bekannt zu sein. 1. Ausgangssituation Im Rahmen von verkehrsinfrastrukturellen Baumaßnahmen entstehen jährlich allein in Deutschland einige hundert Hektar Böschungsflächen. Hierbei handelt es sich um Lärm- und Sichtschutzwälle, Trassen- und Seitendämme, Landschaftsbauwerke, Einschnitte sowie Mulden und Gräben. Diese Flächen werden aus sicherungs- technischen, aber auch ökologischen, landschaftspflegerischen und ästheti- schen Gründen gewöhnlich einer Begrü- nung zugeführt. Zu diesem Zweck werden die zuvor auf der Baustelle gesicherten Oberbodenmassen auf die aus humus- freiem Rohbodenmaterial bestehenden Böschungen aufgetragen und anschlie- ßend eingesät (Oberbodenandeckung). Bei Oberböden handelt es sich meist um humus- und nährstoffreiche, oberflächen- nahe Bodenhorizonte ("Ackerkrume") aus Obis 30 crn Tiefe. Diese Art der Begrü- nung zieht - je nach Bodenart, Neigung, technischer Bodenbearbeitung und Witte- rung - teilweise gravierende Problema- spekte nach sich. Im Folgenden werden boden- und vegeta- tionskundliehe Grundlagen sowie Erfah- rungen hinsichtlich der Problematik von Oberbodenandeckungen vorgestellt. 2. Kritische Betrachtung der Oberbodenandeckung Oberbodenandeckungen zum Zwecke an- schließender Begrünungen sind kosten- aufwändig und erfahrungsgemäß nicht geeignet, einen langfristigen Erosions- schutz, eine ausreichende Böschungs- stabilität sowie eine vitale, standortgerechte, ökologisch angepasste und ästhetisch ansprechende Vegetation hervorzubrinqen. Diese Feststellung wird in den Abschnit- ten 4.1 bis 4.5 eingehend begründet. Als Alternative bietet sich die oberboden- lose Begrünung bzw. Rohbodenbegrü- nung an, deren Vorzüge bei Planern und Bauunternehmen längst bekannt sein sollte. Dennoch werden immer wieder großflächig Böschungen auch dort mit Oberboden angedeckt, wo umfangreiche Erosions .., Rutschungs- und Begrünungs- probleme mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersag bar oder gar unausweichlich sind (Bild 1). In diesem Beitrag werden Nachteile der Oberbodenandeckung auf Böschungen den Vorzügen der oberbodenlosen oder Rohbodenbegrünung in standortkundli- eher, ökologischer, sicherungstechnischer, ästhetischer und wirtschaftlicher Hinsicht gegenüber gestellt. Umfangreiche Erfah- rungen der Firma RecuTec an vielen Groß- projekten (z. B. ICE-Trassen Köln-Rhein/ Main, Nürnberg-Ingolstadt, Hannover- Berlin, Autobahnabschnitte an den BAB Ag, A4, A3 etc), bei denen z. T. extreme Rohböden aus reinen Sanden, Schottern, Tonen, bindigem Material und selbst Bau- schutt erfolgreich begrünt wurden, doku- mentieren die Effizienz des Verfahrens der oberbodenlosen Begrünung. Rohbodenböschungen werden per Nass- ansaat (Hydroseeding) mit speziellen, oft aufwändigen Rezepturen mit bis zu zehn und mehr Komponenten aus standort- gerechtem Saatgut, speziellen Langzeit- düngern, Bodenverbesserungsstoffen. Mulchmitteln, Bodenfestigern und weiterer, Zusätzen begrünt. Auf diese Weise kann selbst auf extremsten Standorten eine dichte, ingenieurbiologischen Anforderun- gen gerecht werdende Vegetationsdecke etabliert werden (Bilder 2 bis 5). 3. Die oberboden lose Begrünung bzw.Rohbodenbegrünung 3.1 Definition Die entlang von Verkehrswegen entste- henden Böschungen bestehen - sofern nicht angedeckt - meist aus Roh- uno Skelettböden, hin und wieder auch aus technogenem Substrat, wie z.B. Bauschuf (Bild 4). Sie sind zunächst frei von hurno ser Substanz und entwickeln sich durch physikalische und chemische Verwitterung sowie geringe Humusanreicherung zu den Initialformen der Bodenbildung, den Syrosemen und Lockersyrosemen. Der Chemismus des jeweiligen Ausgangs- materials, die Bodentextur und die meist steile Böschungslage bedingen die sehr häufig anzutreffende Nährstoffarmut und Trockenheit solcher Standorte. Bei schluff- und tonmineralreichen Rohböden werden die Bedingungen partiel! entschärft, datu: wächst die Erosionsgefahr. Auf solchen , aus standortkundlicher Sicht extremen Standorten siedeln sich im Laufe der Zeit -- oft werden Jahre benötigt - spontane spezialisierte Pflanzengesellschaften an. Diese unterliegen -- bei unterbleibender Mahd - langfristig der natürlichen Suk- zession bis zum finalen Waldstadium. Diese Vorgänge dauern in der Natur viele Jahre oder Jahrzehnte und bedürfen aus

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Erosionsschutz und Begrünung von Böschungen im Verkehrswegebau

Erosionsschutz und Begrünung von Böschungenim Verkehrswegebau: Optimierung durchRohbodenbegrünung statt Oberbodenandeckung

Stephan Bloemer

Allein in Deutschland werden jährlich schätzungsweise weit über hundert Hektar Böschungsflächen entlang von Straßen zurBegrünung mit Oberboden angedeckt. Hieraus ergeben sich umfangreiche Probleme hinsichtlich Hangsicherung und Erosion,Standorteignung, Ökologie, Ästhetik und Wirtschaftlichkeit. Mit Hilfe der Hydroseeding-Technik (Nassansaat) können Rohbödenunter Verzicht auf die Oberbodenandeckung begrünt werden. Das Verfahren führt zu eindrucksvollen Resultaten im Hinblick aufErosionsschutz sowie Qualität und Beständigkeit der Vegetation. Der große Vorteil der Methode liegt in der Möglichkeit, z. B. aufextrem mageren Sanden, Schotterflächen sowie technogenen Substraten wie Bauschutt nicht nur blütenreiche Rasengesell-scheiten, sondern auch Gehölze zu etablieren. Obwohl die Rohbodenbegrünung unter Verzicht auf Oberbodenandeckungen seilvielen Jahren erfolgreich eingesetzt wird, scheint das Verfahren und dessen Potenzial noch immer nicht hinreichend bekannt zusein.

1. Ausgangssituation

Im Rahmen von verkehrsinfrastrukturellenBaumaßnahmen entstehen jährlich alleinin Deutschland einige hundert HektarBöschungsflächen. Hierbei handelt es sichum Lärm- und Sichtschutzwälle, Trassen-und Seitendämme, Landschaftsbauwerke,Einschnitte sowie Mulden und Gräben.Diese Flächen werden aus sicherungs-technischen, aber auch ökologischen,landschaftspflegerischen und ästheti-schen Gründen gewöhnlich einer Begrü-nung zugeführt. Zu diesem Zweck werdendie zuvor auf der Baustelle gesichertenOberbodenmassen auf die aus humus-freiem Rohbodenmaterial bestehendenBöschungen aufgetragen und anschlie-ßend eingesät (Oberbodenandeckung).Bei Oberböden handelt es sich meist umhumus- und nährstoffreiche, oberflächen-nahe Bodenhorizonte ("Ackerkrume") ausObis 30 crn Tiefe. Diese Art der Begrü-nung zieht - je nach Bodenart, Neigung,technischer Bodenbearbeitung und Witte-rung - teilweise gravierende Problema-spekte nach sich.Im Folgenden werden boden- und vegeta-tionskundliehe Grundlagen sowie Erfah-rungen hinsichtlich der Problematik vonOberbodenandeckungen vorgestellt.

2. Kritische Betrachtung derOberbodenandeckung

Oberbodenandeckungen zum Zwecke an-

schließender Begrünungen sind kosten-aufwändig und erfahrungsgemäß nichtgeeignet, einen langfristigen Erosions-schutz, eine ausreichende Böschungs-stabilität sowie eine vitale, standortgerechte,ökologisch angepasste und ästhetischansprechende Vegetation hervorzubrinqen.Diese Feststellung wird in den Abschnit-ten 4.1 bis 4.5 eingehend begründet.Als Alternative bietet sich die oberboden-lose Begrünung bzw. Rohbodenbegrü-nung an, deren Vorzüge bei Planern undBauunternehmen längst bekannt seinsollte. Dennoch werden immer wiedergroßflächig Böschungen auch dort mitOberboden angedeckt, wo umfangreicheErosions .., Rutschungs- und Begrünungs-probleme mit hoher Wahrscheinlichkeitvorhersag bar oder gar unausweichlichsind (Bild 1).In diesem Beitrag werden Nachteile derOberbodenandeckung auf Böschungenden Vorzügen der oberbodenlosen oderRohbodenbegrünung in standortkundli-eher, ökologischer, sicherungstechnischer,ästhetischer und wirtschaftlicher Hinsichtgegenüber gestellt. Umfangreiche Erfah-rungen der Firma RecuTec an vielen Groß-projekten (z. B. ICE-Trassen Köln-Rhein/Main, Nürnberg-Ingolstadt, Hannover-Berlin, Autobahnabschnitte an den BABAg, A4, A3 etc), bei denen z. T. extremeRohböden aus reinen Sanden, Schottern,Tonen, bindigem Material und selbst Bau-schutt erfolgreich begrünt wurden, doku-mentieren die Effizienz des Verfahrens deroberbodenlosen Begrünung.Rohbodenböschungen werden per Nass-ansaat (Hydroseeding) mit speziellen, oftaufwändigen Rezepturen mit bis zu zehnund mehr Komponenten aus standort-gerechtem Saatgut, speziellen Langzeit-

düngern, Bodenverbesserungsstoffen.Mulchmitteln, Bodenfestigern und weiterer,Zusätzen begrünt. Auf diese Weise kannselbst auf extremsten Standorten einedichte, ingenieurbiologischen Anforderun-gen gerecht werdende Vegetationsdeckeetabliert werden (Bilder 2 bis 5).

3. Die oberboden lose Begrünungbzw.Rohbodenbegrünung

3.1 Definition

Die entlang von Verkehrswegen entste-henden Böschungen bestehen - sofernnicht angedeckt - meist aus Roh- unoSkelettböden, hin und wieder auch austechnogenem Substrat, wie z.B. Bauschuf(Bild 4). Sie sind zunächst frei von hurnoser Substanz und entwickeln sich durchphysikalische und chemische Verwitterungsowie geringe Humusanreicherung zuden Initialformen der Bodenbildung, denSyrosemen und Lockersyrosemen. DerChemismus des jeweiligen Ausgangs-materials, die Bodentextur und die meiststeile Böschungslage bedingen die sehrhäufig anzutreffende Nährstoffarmut undTrockenheit solcher Standorte. Bei schluff-und tonmineralreichen Rohböden werdendie Bedingungen partiel! entschärft, datu:wächst die Erosionsgefahr. Auf solchen

, aus standortkundlicher Sicht extremenStandorten siedeln sich im Laufe der Zeit --oft werden Jahre benötigt - spontanespezialisierte Pflanzengesellschaften an.Diese unterliegen -- bei unterbleibenderMahd - langfristig der natürlichen Suk-zession bis zum finalen Waldstadium.Diese Vorgänge dauern in der Natur vieleJahre oder Jahrzehnte und bedürfen aus

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sicherungstechnischen, aber auch ökolo-gischen und ästhetischen Gründen derBeschleunigung durch entsprechendeBegrünungsmaßnahmen.

Bild 1:GroßflächigerBöschungsschadendurch Abrutschendes Bodenauftragsmitsamt derVegetation

3.2 Begrünungsziel auf Rohböden

Die im Rahmen von Verkehrswegebautenentstehenden Einschnitte und Dämmesowie die damit verbundenen Eingriffe indie Landschaft und den Naturhaushaltmachen eine anschließende Sicherungder Böschungen durch eine fachgerechteBegrünung und Rekultivierung erforder-lich. Ziel dieser Maßnahmen ist in ersterLinie die langfristige ingenieurbiologischeSicherung der Einschnittböschungen undDämme gegen Erosion und Rutschungen.Daneben ist die Einbindung der Infra-strukturadern in die bestehende Natur-und Kulturlandschaft sowie die Schaffungökologischer Ausgleichsflächen eine wei-tere wichtige Intention.Begrünungsziel ist meist die Etablierungtrockener und nährstoffarmer, artenreicherGras- und Krautfluren, die mit einem dich-ten und möglichst tiefreichenden Wurzel-werk eine langfristige und zuverlässige

Sicherung der z. T. stark geneigten Roh-bodenböschungen gewährleisten. SolcheTrocken- und Halbtrockenrasen sind inunserer intensiv genutzten Forst-, Agrar-und Kulturlandschaft selten geworden,weshalb sich hier die Chance bietet, diedurch den Verkehrswegebau entstehendenBöschungen zur Etablierung entsprechen-der, linear verbundener Biozönosen zunutzen.Gehölz-Nassansaaten, die aktuell einezunehmende Popularität erfahren, sind

ausschließlich auf Rohböden möglich undversprechen auf Oberböden und auf zuwuchsfreundlichen, bindigen Rohbödenauf Grund des Konkurrenzdrucks durchdie krautige Vegetation keinen Erfolg.

3.3 Herausforderungen bei derRohbodenbegrünung

Die rasche Sicherung und Begrünungvon Rohbodenböschungen ist nur durcheine Ansaat standortgerechter Arten mög-

Bilder 2 und 3: Oberbodenlose Begrünung von Böschungen aus quartärem Sand (ICE Köln-Rhein/Main,Anbindung zum Rughafen Frankfurt/Main)

Bilder 4 und 5: Begrünung einer Rohbodenböschung aus grobem Schotter vor der Begrünung und nach einerVegetationsperiode im Winter

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lieh. Die oft sehr ungünstigen Eigenschaf-ten des Bodensubstrates und häufig steileBöschungslagen mit Neigungen bis 1 : 1(45°) führen zu extremen Standortbedin-gungen, weshalb eine konventionelle Ein-saat nicht möglich ist:- Skelett- und sandreiche Rohböden

enthalten kaum Feinanteile wie Schluffund Ton, so dass die Wasserspeicher-Kapazität stark eingeschränkt ist

- die Nährstoffgehalte im Boden sind aufGrund des geringen Verwitterungs-grades und der fehlenden Humusan-teile oft sehr gering

- die Kationenaustauschkapazität (KAK)-die Fähigkeit des Bodens, Nährstoffepflanzenverfügbar zu speichern - ist aufGrund geringer bzw. fehlender aktiverTonminerale und Humusanteile niedrig

- das mikrobielle Bodenleben ist nichtoder nur schwach ausgebildet

- die durchwurzelbare Bodenschicht ist -v.a. bei Festgestein - oft flachgründig,der verfügbare Wurzelraum daher sehrbegrenzt

- die Einstrahlung auf den Böschungenerreicht im Sommer z. T. extreme Werteund führt zu starker Aufheizung desBodens

- auf Grund der Böschungslage bestehtErosionsgefahr unbewachsener Flächen

- Böschungsneigung und Bodeneigen-schaften erlauben keine herkömmlichenAnsaattechniken.

Rohbodenböschungen weisen somitStandorteigenschaften in Bezug auf Boden,Wasserhaushalt, Mikroklima, Expositionund Neigung auf, auf die mit geeigneterTechnik und adäquaten Mitteln reagiertwerden muss. In begrünungstechnischerHinsicht spricht man von Extremflächen,die mit Hilfe spezieller, standortspezifischer.Beqrünunqsrezepturen" in einen funktio-nierenden Pflanzenstandort umgewandeltwerden können.

Bild 6:Wurzelbild einesHalbtrockenrasens,der mit standorthei-mischen Arten ausdem Heudrusche-Verlahren etabliertwerden kann (Mahn,1957)

3.4 Durchführung von Rohboden-begrünungen

Die hydraulische Nassansaat (Hydro-seeding) bietet sich als einzig sinnvolleMaßnahme zur Rohbodenbegrünung an.Hierbei werden die für eine erfolgreicheAusführung erforderlichen Komponentenin wässriger Suspension mit einer Hoch-druckkanone von einem Spezialfahrzeugauf die Böschungen aufgesprüht.Voraussetzung für die erfolgreiche Etablie-rung einer standortgerechten und dauer-haften Trocken- und Halbtrockenrasen-Gesellschaft ist die exakte Kenntnis derstandörtlichen Gegebenheiten. Nur sokönnen Begrünungsrezepturen inklusivegeeigneter Saatgutmischungen erarbeitetwerden, die sowohl sicherungstechnischen,ökologischen und ästhetischen Anforde-rungen gerecht werden. Solche Begrü-nungsrezepturen sind - je nach Standortund Begrünungsziel - teilweise sehr um-fangreich und enthalten z. B. folgendeKomponenten:

- Startdünger zum Ausgleich akutenNährstoffmangels in der wichtigen Keim-und Entwicklungsphase. Dieser mussin Abhängigkeit der Bodentextur undder Vegetationsbedeckung in jedemFalle so bemessen sein, dass Aus-waschungsverluste begrenzt und da-mit Grundwasserbelastungen möglichstvermieden werden

- organischer Langzeitdünger, der einelangsam fließende, mittel- und länger-fristige Nährstoffquelle darstellt und aufdie Bedürfnisse magerer Rasengesell-schaften abgestimmt ist

- Bodenverbesserungsmittel zur Erhö-hung der Nährstoff- und Wasserspei-eher-Kapazität des Bodens und zurStabilisierung des pH-Wertes

- Bodenfestiger ("Kleber"), der oxidativaushärtet und für ca. 8 bis 10 Monate

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eine wasserdurchlässige, erosionshem-mende Bodenschicht ausbildet sowieSaatgut und die übrigen Komponentenauf der Böschungsoberfläche fixiert;hier kommen nur bewährte, wirksameProdukte wie Mittel auf Polybutadien-basis in Frage

- organische Erosionsschutzfasern (z. B.Holzfasern, Zellulose), welche die Wir-kung des BOdenfestigers durch ihrearmierende Wirkung unterstützen undverstärken

- Mulchfasermischung organisch-pflanz-licher Herkunft, die in einem zweiten,der Ansaat nachgeschalteten Arbeits-gang appliziert wird. Diese bedecktBoden und Saatgut und schützt sovor extremen Witterungseinflüssen wiestarker Sonneneinstrahlung, Schlag-regen, Wind und Frost. Die Mulch-fasern tragen außerdem zur Humusbil-dung bei

- standortgerechtes Saatgut als wich-tigste Komponente.

Grundsätzlich werden trocken- und mager-keitsliebende, kräuterreiche Mischungenverwendet. Nicht nur aus ökologischenGründen sollte mit dem Heudrusch=-Ver-fahren gewonnenes Saatgut dem üblichenHandelssaatgut vorgezogen werden. Beidem Heudruschs'-vertahren finden aus-schließlich standortheimische Arten Ver-wendung, die von geeigneten Spender-flächen der betroffenen Region stammen.Da diese Arten dem jeweiligen Naturraumentnommen werden, sind sie außerordent-lich gut an die lokalen Gegebenheitenangepasst und entwickeln besondersrasch eine dichte, zuverlässig böschungs-sichernde Narbe (Bild 6).Zum Zwecke einer zusätzlichen Beschleu-nigung der Vegetationsentwicklung undBöschungssicherung werden kurzlebigeAmmengräser, meist verschiedene Ge-treidearten und annuelle Wildgräser, aus-gesät. Diese sind durch eine kurze Auf-laufzeit gekennzeichnet, sie wachsen sehrschnell und bilden binnen kurzer Zeit einintensives, bodenkonservierendes Wurzel-werk aus, das einen sehr guten Erosions-schutz bietet. Die längerfristig zu etablie-renden Gräser und Kräuter entwickeln sichim Schutz der Ammengräser besondersgut und setzen sich bereits nach einerVegetationsperiode - mit dem weitgehen-den Verschwinden der Ammengräser -durch.

4. Vorzüge der Begrünung vonRohböden gegenüberOberbodenandeckungen

4.1 Boden- und StandortkundlicheAspekte

Der Oberbodenauftrag auf zu begrünende

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Oberbodenandeckung:Rutschungsgefahr derAndeckung durch mangelndeVerzahnung undflachgründigesWurzelwachstum(Blu me ntopfeffekt)

Böschungsflächen lässt folgenden Aspektaußer Acht: Je nach Ausgangssubstrat undStandort entwickeln sich durch Verwitte-rung und Bodenbildung ganz spezifischeBodentypen mit ihren charakteristischenHumusformen und dem ihnen eigenenEdaphon (Boden leben).

Bei nährstoff- und mineralreichen Bödenund ausreichender Feuchtigkeit wird sichein sehr guter biologischer Bodenzustandmit hohem Regenwurmbesatz und regermikrobieller Aktivität entwickeln. Die sichbildende Humusform ist der Mull mitraschem mikrobiellem Abbau der Streu.Böden mit weniger guten Eigenschaftenweisen einen schlechteren biologischenBodenzustand mit Moder als Humusformauf, der durch langsamere Streuzersetzung,saurere Reaktion, geringeren Regenwurm-besatz und geringere mikrobielle Aktivitätgekennzeichnet ist. Auf mineralarmenBöden, wie z. B. Sanden mit entsprechendschlecht verwertbarem Bestandsabfall(z. B. Nadelstreu), schließlich bildet sichder Rohhumus mit sehr langsamer Zer-setzung und dicker, organischer Auflage-schicht. Hier fehlen Bodenwühler fast voll-ständig. Die Bodenreaktion ist stark sauer,die Nährstoffgehalte sind gering.

Mit dem Aufbringen von Oberboden, dersehr häufig wenig geneigten, landwirt-schaftlichen Flächen entstammt und daherentsprechend hohe Nährstoffgehalte auf-weist, wird dem Böschungsstandort einBodenhorizont "aufgezwungen", die er andiesem Standort von selbst nicht hervor-gebracht hätte und die weder aus Sichtder Bodenökologie noch der Begrünungsinnvoll ist. Steile Böschungen aus humus-freien Rohbodensubstraten sind meisttrockene, magere und abtragsgeprägteStandorte, auf denen sich nie ein z. B.kolluvialer (aus der Akkumulation abge-schwemmter Bodenbestandteile entstan-

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Bild 7:Schematische Dar-stellung des Prinzipsder Instabilität vonBöschungen mitOberbodenan-deckungen

dener), nährstoffreicher Boden mit derentsprechenden Vegetation entwickelnwürde.

Das Aufbringen von Oberboden auf steileBöschungsflächen ist die künstliche Her-stellung eines Pflanzenstandortes, den esin der Natur in der Regel nicht gibt undder daher viele Nachteile bis hin zu groß-flächiger Erosion und umfangreichen Ab-rutschungen in sich birgt (Bild 1).

Rohbodenbegrünung bedeutet, einen sichselbst tragenden Kreislauf aus ProduktionAbsterben, Humifizierung und Mineralisa~tion auf zunächst niedrigstem Niveau zuinitiieren. Der Natur wird die Möglichkeiteingeräumt, eine dem Ausgangssubstratentsprechende Bodenbildung über ver-schiedene Entwicklungsstadien zu durch-laufen. So wird der Aufbau einer demStandort entsprechenden Oberboden- undHumusform ermöglicht.

4.2 Vegetationsökologische Aspekte

Auf Böschungen mit Oberbodenan-deckung herrscht in den meisten Fällenein Ungleichgewicht zwischen Nährstoff-angebot und Wasserversorgung: HohenNährstoffgehalten steht ein geringes Was-serangebot gegenüber. Geneigte Stand-orte erhalten weniger Niederschläge undspeichern diese schlechter; sie sind daherrelativ trocken. Spätestens während derersten Trockenperiode, also oft schon imMai und Juni, kann die auf dem nährstoff-reichen Substrat während des feuchterenFrühjahrs gebildete, üppige (mastige)Blattmasse nicht mehr ausreichend mitWasser versorgt werden. Diese Mastigkeitder Vegetation hat dann häufig großflächigeGelb- und Braunfärbungen zur Folge.

Der .Blurnentopteftekt" mit flachgründigerWurzelbildung auf Oberbodenandeckun-

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Bild 8:Beispiel eines aufRohboden etablier-ten artenreichenHalbtrockenrasensmit reichem Blüh-aspekt

gen verstärkt die Dürreempfindlichkeit derPflanzen, weil die Wurzeln nicht in aus-reichender Intensität den nährstoffarmen,aber feuchteren Unterboden durchwurzeln,sondern ihr Wachstum vorwiegend in derwenige Zentimeter starken Andeckungkonzentrieren (Bild 7).Auch ein ökologisch wertvoller Mager-rasenstandort mit differenziertem, blüten-reichem Artenspektrum lässt sich aufBöschungen mit Oberbodenandeckungnicht herstellen, weil es dazu eines mage-ren, nährstoffarmen Substrates (z. B. hu-musarmen, sandigen Rohbodens) bedarf.Auf nährstoffreichen Andeckungen ver-drängen die anspruchslosen, ubiquitärenGräser und einige Kräuter mit ihrem ein-heitlichen Aspekt (Schlagwort "Einheits-grün") die schwachwüchsigeren, mager-keitsliebenden Arten mit blütenreichemAspekt.Bei Rohbodenbegrünungen besteht keinUngleichgewicht von Nährstoff- und Was-serangebot. Nährstoffknappheit begrenztdas Wachstum der Blattmasse, nicht je-doch das der Wurzeln, die keine GrenzeOberbodenauftrag/Rohboden zu über-winden haben (Bild 7). Trockenperiodenwerden schadlos überstanden. Hier könnensich magere, artenreiche Trocken- oderHalbtrockenrasen entwickeln (Bild 8).Gehölzansaaten lassen sich ausschließ-

Bild 9:Nassansaat aufsteile, felsige Roh-boden böschung

lieh auf mageren Rohböden erfolgreichrealisieren. Grund ist der starke Aufwuchsder krautigen und konkurrenzstarkenVegetation auf nährstoffreichen Standortenwie Oberböden, die das Aufkommen derGehölze weitgehend unterdrückt. BindigeRohböden mit günstigerer Wasser- undNährstoffversorgung können den Erfolgvon Gehölzansaaten gleichfalls vereiteln.Auch Begrünungen mit dem Heu-drusch=-verfahren, bei dem autochtho-nes Saatgut regionaler Herkunft in einerspeziellen Methode gewonnen und aus-gesät wird, um der genetischen Überfor-mung lokaler Pflanzengesellschaftendurch uniformes Handelssaatgut entge-gen zu wirken, sind vorwiegend für nähr-stoffarme Rohböden geeignet, da es sichbei den interessantesten Spenderflächenmeist um magere, extensiv genutzteStandorte mit entsprechender pflanzen-soziologischer Ausprägung handelt.

4.3 Sicherungstechnische Aspekte

Auf ungesichert mit Oberboden ange-deckten Böschungen besteht kurz-, mittel-und langfristig die Gefahr des Abrutschensund Wegschwemmens der Andeckungmangels Verzahnung mit dem Unter-grund. Der angedeckte Oberboden bildetals bloße Auflage keine dynamische Ein-

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heit mit der Böschung, findet daher häufigkeinen Halt und ist extrem erosions- undrutschungsgefährdet (Bilder 1 und 9).Auf Grund des oben beschriebenen.Blurnentopfeftektes" wird auch nach derBegrünung eine Verzahnung des auf-gebrachten Oberbodens mit dem Bö-schungskörper nur sehr begrenzt stattfin-den. Dieser aus der Rekultivierungspraxiswohl bekannte Effekt betrifft besondersauch Gehölze und hat eine unzureichendeSicherung der Oberbodenandeckung zurFolge.

Vor allem in der kalten Jahreszeit kanneine auftauende Oberbodenandeckungauf dem noch gefrorenen Untergrundmitsamt der flachwurzelnden Grasdeckeabgleiten. Einen ähnlichen Effekt könnenanhaltende Niederschläge, v. a. auf bindi-gen Böden mit hohem Schluff- und Ton-anteil, auslösen. Das Ergebnis dieserSzenarien sind kleinflächige Schollen-rutschungen bis hin zu großflächigenVersatzbewegungen, Böschungsschädenalso, die sehr häufig und eindrucksvollentlang von Verkehrswegen beobachtetwerden können. Diese Schäden müssenmit erheblichem Aufwand beseitigt wer-den.

Flechtzäune und Böschungsbänder ver-mögen die Rutschungsgefahr zwar dras-tisch zu reduzieren, bewirken aber - überden reinen Sicherungsaspekt hinausge-hend - keinerlei Standortverbesserung.

Rohbodenbegrünungen bedeuten eineoptimale Böschungssicherung. Sie stelleneinen zuverlässigen Erosionsschutz durcheine standortgerechte, dauerhafte undtiefwurzelnde Vegetationsdecke dar. Aufmageren, trockenen Rohbodenböschun-gen bleibt die oberirdische Biomasse-erzeugung geringer, die Pflanzen bildenaber ein besonders tiefes und dichtesWurzelwerk aus, um Wasserreserven unddie geringeren Nährstoffvorräte zu erschlie-ßen (Bild 9). Auf diese Weise wird eineoptimale Böschungssicherung erzielt. Einhoher Masseaufwuchs auf Oberboden-andeckungen bedeutet keineswegs eindichtes und tiefreichendes Wurzelwerk,sondern deutet vielmehr auf mastigenWuchs hin, wobei das Wurzelwachstumauf ein Minimum beschränkt bleibt.

4.4 Ästhetische Aspekte

Wie bereits erwähnt, lassen sich auf mitOberboden angedeckten Böschungenkeine arten- und blütenreichen Beständewie Trocken- oder Halbtrockenrasen eta-blieren. Solche Flächen bleiben langfristigartenarm und tragen zur Uniformierungunserer Landschaft mit .Einheitsqrun" bei.

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