Erziehung zur Nachhaltigkeit in der Volksschule als gesellschaftliche Aufgabe. Eine Analyse mit...
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DIPLOMARBEITzur Erlangung des akademischen Grades einer
“Magistra der Sozial- und
Wirtschaftswissenschaften” im Diplomstudium
Sozialwirtschaft.
Erziehung zur Nachhaltigkeit in der
Volksschule als gesellschaftliche
AufgabeEine Analyse mit besonderer Berucksichtigung des Schulbuchs
Betreuer: a.Univ.-Prof. Dr. Reinhold Priewasser
eingereicht von
Elisabeth Puhringer
Stefan-Fechter-Weg 10; 4020 Linz
0657281 / 130
Linz, im September 2012
2
Eidesstattliche Erklarung
Ich erklare an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbststandig und
ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel
nicht benutzt bzw. die wortlich oder sinngemaß entnommenen Stellen als solche
kenntlich gemacht habe.
Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch ubermittelten Textdoku-
ment identisch.
I
Vorwort
Die Wahl fur dieses Thema hat vor allem sehr personliche Grunde: Ich kenne einige
Lehrerinnen und Lehrer, die an Themen einer nachhaltigen Entwicklung interessiert
sind und Wert darauf legen, ihren Schulerinnen und Schulern gewisse Grundsatze
eines nachhaltigen Lebens auf den Weg mitzugeben, und die mit entsprechenden
Lehrmethoden und Materialien arbeiten. Als im Herbst 2011 mein Sohn in die Schule
kam, stellte sich fur mich die Frage, was er wohl zum großen Thema Nachhaltigkeit
lernen wird. Vor allem, wenn seine Lehrerin ihren/ sein Lehrer seinen Unterricht
am Lehrplan und den Inhalten der Schulbucher orientiert, und sich nicht mit
außerschulisch angebotenem Lehrmaterial eindeckt. Im Rahmen dieser Diplomarbeit
mochte ich die Rolle der Volksschulen, insbesondere die Rolle der Schulbucher,
bei der Hervorbringung einer neuen, nachhaltigkeitsfahigen Gesellschaft, einer
Gesellschaft mit nachhaltiger Lebensfuhrung, naher betrachten.
Am Gelingen dieser Arbeit waren viele Menschen beteiligt, von denen ich einige
hier namentlich erwahnen mochte.
Mein erster Dank gilt meinem Betreuer a.Univ.-Prof. Dr. Reinhold Priewasser,
der mich von Anfang an in meinem Vorhaben unterstutzte, der mir bei Fragen und
Unsicherheiten stets mit kompetenten Ratschlagen zur Seite stand und mir vor
allem großes Vertrauen fur die Umsetzung dieser Arbeit entgegenbrachte.
Weiters mochte ich meinen Vater Josef Puhringer erwahnen, der großes Interesse
an meinem Thema zeigte, mir die Schulbucher fur die Analyse zur Verfugung stellte,
mir in vielen Gesprachen Mut zusprach, und dessen wertvolle Anregungen mir vor
allem in padagogischen Fragen eine große Hilfe waren.
Besonderer Dank gebuhrt all jenen, die sich wahrend meiner gesamten Studienzeit
sehr liebevoll um meinen Sohn Niklas gekummert haben, allen voran meiner Mutter
Erika Puhringer, sowie meiner Familie und meinen FreundInnen fur ihre emotionale
Unterstutzung.
II
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 1
I. THEORETISCHER TEIL 3
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung 4
2.1. Das Konzept Nachhaltige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 5
2.2. Umsetzungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.2.1. E!zienzstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.2.2. Konsistenzstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.2.3. Su!zienzstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.2.4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung 15
3.1. Zusammenhang Umweltbewusstsein und Umweltverhalten . . . . . 15
3.2. Theoretische Erklarungsansatze zur Verhaltensdeskription . . . . . 17
3.2.1. Rational-Choice-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3.2.2. Dilemma-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
3.2.3. Wohlbefindensforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.2.4. Lebensstilforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3.3. Handlungsmodell nach Matthies als integrativer Ansatz mit Blick
auf Verhaltensintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.3.1. Normaktivations-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.3.2. Motivations-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.3.3. Evaluations- und Aktions-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.3.4. Gewohnheiten und Routinen . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4. Die Rolle von Bildung und Sozialisation 29
4.1. Wissen, Kenntnisse und Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4.2. Werte, Normen und Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4.3. Verhaltensgewohnheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
III
Inhaltsverzeichnis
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit 33
5.1. Historischer Blick auf Umwelterziehung in der Schule . . . . . . . . 35
5.1.1. Umwelterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
5.1.2. Okopadagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
5.1.3. Weitere Ansatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
5.1.4. Bildung fur nachhaltige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . 37
5.2. Politische Programme zur Forderung von Umwelterziehung . . . . . 38
5.2.1. Agenda 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
5.2.2. OECD-Projekt “Environment and School Initiatives” . . . . 40
5.2.3. Die UN-Dekade Bildung fur Nachhaltige Entwicklung . . . . 40
5.2.4. Osterreichische Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung . . . 41
5.2.5. FORUM Umweltbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
5.2.6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
5.3. Rechtsgrundlagen fur den Umwelterziehungsauftrag . . . . . . . . . 45
5.3.1. Umwelterziehung im Lehrplan der Volksschule . . . . . . . . 46
5.3.1.1. Erster Teil: Allgemeines Bildungsziel . . . . . . . . 46
5.3.1.2. Zweiter Teil: Allgemeine Bestimmungen und Un-
terrichtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
5.3.1.3. Siebter Teil: Bildungsaufgaben der Pflichtgegenstande 48
5.3.2. Grundsatzerlasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
5.4. Wandel in der Unterrichtsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
5.4.1. Ansatz der Gestaltungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . 51
5.4.2. Rolle der Lehrpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
5.4.3. Didaktische Methoden: Frontalunterricht vs. handlungsori-
entierter, facherubergreifender, ganzheitlicher Unterricht . . 55
5.4.4. Die Rolle des Schulbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
II. EMPIRISCHER TEIL 60
6. Forschungsfragen und Hypothesen 61
7. Methodischer Zugang 62
7.1. Erhebungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
7.1.1. Desk Research . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
7.1.2. Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring . . . . . . . . . . . 62
7.1.2.1. Festlegung des Materials . . . . . . . . . . . . . . . 65
7.1.2.2. Analyse der Entstehungssituation . . . . . . . . . . 65
7.1.2.3. Formale Charakteristika des Materials . . . . . . . 66
7.1.2.4. Richtung der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . 66
7.1.2.5. Theoretische Di"erenzierung der Fragestellung . . . 66
IV
Inhaltsverzeichnis
7.1.2.6. Bestimmung der Analysetechnik . . . . . . . . . . 68
7.1.2.7. Festlegung und Definition des deduktiven, theorie-
geleiteten Kategoriensystems . . . . . . . . . . . . 69
7.2. Analyse- und Interpretationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
7.2.1. Analyse der vorhandenen Sekundarliteratur . . . . . . . . . 71
7.2.2. Analyse und Interpretation der mittels Inhaltsanalyse erho-
benen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
7.3. Dokumentationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse 73
8.1. Umweltschutz allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
8.1.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
8.1.2. Sachunterricht und Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . 74
8.2. Demokratielernen, Verantwortlichkeit und Handlungskompetenz . . 74
8.2.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
8.2.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
8.2.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
8.3. Biodiversitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
8.3.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
8.3.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
8.3.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
8.4. Emissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
8.4.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
8.4.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
8.4.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
8.5. Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
8.5.1. Deutsch und Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
8.5.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
8.6. Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
8.6.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
8.6.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
8.6.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
8.7. Mobilitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
8.7.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
8.7.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
8.7.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
8.8. Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
8.8.1. Abfall und Recycling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
8.8.1.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
8.8.1.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
8.8.1.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
V
Inhaltsverzeichnis
8.8.2. Energieverbrauch und Energiegewinnung . . . . . . . . . . . 94
8.8.2.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
8.8.2.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
8.8.2.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
8.8.3. Gewasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
8.8.3.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
8.8.3.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
8.8.3.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
8.8.4. Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
8.8.4.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
8.8.4.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8.8.4.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8.8.5. Rohsto"verbrauch, Knappheit und Verfugbarkeit . . . . . . 103
8.8.5.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
8.8.5.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
8.8.5.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
8.9. Soziale Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
8.9.1. Gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
8.9.1.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
8.9.1.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
8.9.1.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.9.2. Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.9.2.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.9.2.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
8.9.2.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
8.9.3. Nord-Sud-Beziehungen und Fair Trade . . . . . . . . . . . . 109
8.9.3.1. Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
8.9.3.2. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
8.9.3.3. Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
8.10. Umweltrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
8.10.1. Sachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
9. Zusammengefasste Erkenntnisse 113
10.Fazit und Anregungen 123
Literaturverzeichnis 127
VI
Abbildungsverzeichnis
3.1. Integratives Einflussschema umweltgerechten Alltagshandelns . . . . 25
7.1. Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell . . . . . . . . . . . . 64
8.1. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Umweltschutz allgemein” . 73
8.2. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Demokratielernen, Verant-
wortlichkeit und Handlungskompetenz” . . . . . . . . . . . . . . . . 74
8.3. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Biodiversitat” . . . . . . . 76
8.4. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Emissionen” . . . . . . . . 77
8.5. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Klimaschutz” . . . . . . . 79
8.6. Eines der wenigen Beispiele zum Thema Erderwarmung . . . . . . . 80
8.7. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Konsum” . . . . . . . . . . 81
8.8. Kritischer Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
8.9. Lebensmittel aus der Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
8.10. Vorzuge biologischer Lebensmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
8.11. Notwendigkeit von Import . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
8.12. Verteilung der Zuteilungen zur Kategorie Mobilitat auf einzelne
Themenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
8.13. Verteilung auf Verkehrsteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
8.14. Ausbau der Verkehrswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
8.15. Umweltfolgen von Mobilitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
8.16. Vergleich von Verkehrsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
8.17. Umweltfreundliches Auto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
8.18. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Abfall und Recycling” . . 93
8.19. Mulltrennung fur eine Woche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
8.20. Recycling-Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
8.21. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Energieverbrauch und Ener-
giegewinnung” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
8.22. Wirtschaftliche Bedeutung von Kohle . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
8.23. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Ressourcen - Gewasser” . 102
8.24. Bucher mit Zuteilungen zur Kategorie “Ressourcen - Wasser” . . . . 103
8.25. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Ressourcen - Rohsto"ver-
brauch, Knappheit und Verfugbarkeit” . . . . . . . . . . . . . . . . 104
8.26. Endlichkeit fossiler Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
VII
Abbildungsverzeichnis
8.27. Vergleich Flugzeug - Heizung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
8.28. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Soziale Nachhaltigkeit -
Gender” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
8.29. Klischees diskutieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
8.30. Geschlechtsneutrale Aufgabenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.31. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Soziale Nachhaltigkeit -
Generationen” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.32. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Soziale Nachhaltigkeit -
Nord-Sud-Beziehungen und Fair Trade” . . . . . . . . . . . . . . . . 110
8.33. Fair Trade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
8.34. Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Umweltrisiken” . . . . . . 111
8.35. Gefahrliche Sto"e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
8.36. Keine Atomkraft in Osterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
9.1. Verteilung samtlicher Zuordnungen auf Themengebiete/Kategorien . 114
VIII
Abkurzungsverzeichnis
Abs. Absatz
BiNEUniversitatslehrgang “Bildung fur nachhaltige Entwicklung -
Innovation in der Lehrer/innenbildung”
BNE Bildung fur nachhaltige Entwicklung
ENSI Environment and School Initiatives
IPN Leibniz-Institut fur die Padagogik der Naturwissenschaften und Mathematik
NGO Non-governmental organization
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
OKOLOG Okologisierung von Schulen
SchUG Schulunterrichtsgesetz
UN United Nations
UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UMILE Umwelt - Innovation - LehrerInnenbildung
WCED World Commission on Environment and Development
IX
1. Einleitung
Faktum ist, dass sowohl naturliche Ressourcen als auch die Aufnahmefahigkeit der
Umwelt begrenzt sind, und eine Wirtschafts- und Lebensweise - wie sie derzeit
vor allem in der westlichen Welt praktiziert wird - nicht dauerhaft unbeschadet
weitergefuhrt werden kann. Fakt ist auch, dass es fur einen Wandel Richtung
Nachhaltigkeit einen gravierendenWandel unseres Verhaltens, unserer Einstellungen,
Werte und Normen bedarf. Eine wichtige Institution, in der ein Grundstein unserer
Sozialisation gesetzt wird, wo also unter anderem Bewusstseins- und Wertebildung
stattfinden, ist die Volksschule, durch die der Staat ein großes Einflusspotential fur
die Mitgestaltung einer umweltgerechten”new generation“ hat.
Herauszufinden ist, inwieweit dieses Potential zur Erziehung zu Nachhaltigkeit be-
reits ausgeschopft wird, oder ob die Kritik, wonach Umwelterziehung vor allem von
umweltengagierten Lehrkraften abhangig ist, gerechtfertigt ist, oder zuruckgewiesen
werden kann. Hierfur werden in dieser Arbeit die im Lehrplan festgelegten und von
o"entlicher Hand mittels Schulbuch bereitgestellten Lehrinhalte zum Thema Nach-
haltigkeit naher betrachtet. Naturlich stellen Schulbucher, welche hier untersucht
werden, nur einen Teil des in den Volksschulen verwendeten Unterrichtsmaterials
dar. Eine umfassende Lehrmaterial-Untersuchung wurde jedoch den Rahmen dieser
Diplomarbeit sprengen. Daruber hinaus interessiert hier weniger, was SchulerInnen
von an Nachhaltigkeit interessierten Lehrpersonen (welche auch auf entsprechendes
außerschulisches Lehrmaterial zuruckgreifen) vermittelt bekommen, sondern viel-
mehr, wie all die Kinder, deren Lehrer und Lehrerinnen kein besonderes Interesse
an so genannter”Bildung fur nachhaltige Entwicklung“ haben, durch die vom Staat
bereitgestellten Schulbucher gepragt werden.
Das Ziel dieser Diplomarbeit besteht darin, aufzuzeigen, was fur die erfolgreiche
Umsetzung nachhaltiger Lebensfuhrung notwendig ist, was die Schulbucher in der
Volksschule hierfur bereits leisten, und was sie in Zukunft leisten konnten.
Es existiert bereits eine Vielzahl von Arbeiten zum Thema Umwelterziehung,
Okopadagogik oder Bildung fur nachhaltige Entwicklung (BNE), in denen die große
Bedeutung der Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen fur eine nachhaltige
Entwicklung argumentiert werden, und in denen unterschiedliche methodische Her-
angehensweisen aufgezeigt werden. Auch die Rolle der Schule und des Schulbuches
wird bereits von mehreren AutorInnen behandelt, jedoch wurden bisher der Bereich
der Volksschulen beziehungsweise Kinder bis zehn Jahren beinahe kategorisch aus-
1
1. Einleitung
geschlossen. Da ich davon uberzeugt bin, dass auch Sechs- bis Zehnjahrige bereits
Grundlagen von nachhaltigem Verhalten lernen konnen und in diesem Alter bereits
Grundsteine des routinierten Alltagsverhaltens gelegt werden, mochte ich versuchen,
mit meiner Diplomarbeit einen kleinen Teil dieser Lucke zu schließen.
Nach dieser Einleitung soll Kapitel 2 thematisch in die Arbeit einfuhren und
einen groben Rahmen fur das Thema “Bildung fur nachhaltige Entwicklung” geben.
Zuerst wird der Begri" der Nachhaltigkeit in seinen Grundgedanken, seinen Dimen-
sionen sowie seine historische Entwicklung kurz umrissen. Anschließend werden
drei Umsetzungsstrategien und ihre Rolle fur eine zukunftsfahige Entwicklung
beschrieben.
Kapitel 3 befasst sich mit verhaltenstheoretischen Ansatzen und soll aufzeigen,
wovon umweltkonformes oder nicht-umweltkonformes Verhalten abhangig ist und
wie Verhalten gelenkt, beeinflusst oder verandert werden kann. Hierfur werden
einige theoretische Modelle und entsprechende Ansatzpunkte fur Bildung fur nach-
haltige Entwicklung vorgestellt, wobei auf das Handlungsmodell von Matthies naher
eingegangen wird.
In Kapitel 4 wird der Versuch unternommen, mithilfe von Sozialisations- und
Bildungstheorien zu erklaren, wo und wie die in Kapitel 3 identifizierten subjektiven,
verhaltensrelevanten Faktoren gebildet oder gelernt werden.
Kapitel 5 befasst sich schließlich mit der Schule als wichtigem Akteur bei der
Erziehung zu Nachhaltigkeit. Nach einem historischen Blick auf das Thema Um-
welterziehung wird die Bedeutung (internationaler) politischer Programme und
gesetzlicher Rahmenbedingungen fur Erziehung zur Nachhaltigkeit in der Schule
diskutiert. Danach wird untersucht, inwiefern Erziehung zur Nachhaltigkeit im
Lehrplan der Volksschule verankert ist und welche Rolle didaktische Methoden,
Lehrpersonen und insbesondere Lehrmaterialien und Schulbucher spielen.
Der empirische Teil der Arbeit beginnt mit den Kapiteln 6 und 7, in denen die
Forschungsfragen und das methodische Vorgehen der Untersuchung dargestellt und
beschrieben werden.
In Kapitel 8 werden schließlich die Ergebnisse der durchgefuhrten Schulbuch-
analyse dokumentiert und ausfuhrlich dargestellt und in Kapitel 9 erfolgt eine
zusammengefasste Darstellung der Erkenntnisse.
Ein Fazit und einige Anregungen runden die Arbeit in Kapitel 10 schließlich ab.
2
Teil I.
THEORETISCHER TEIL
3
2. Nachhaltigkeit als
gesellschaftliche Herausforderung
Dass die naturlichen Ressourcen knapp sind und die Umwelt nur begrenzt Stof-
feintrage aufnehmen und in naturlichen Regelkreisen verarbeiten kann, wird seit
den ersten Studien zu den Grenzen des Wachstums als unbestrittene Tatsache
anerkannt. Bereits im 1972 vom Club of Rome vero"entlichten Bericht “Die Grenzen
des Wachstums” wird eine Gefahrdung der Lebensraume, der Welternahrung und
der nutzbaren Ressourcen vorausgesagt, sollte sich die Weltbevolkerung und die
Wirtschaft unverandert weiterentwickeln. Daraus ergibt sich eine weitere hinlanglich
anerkannte Tatsache: ein Lebens-, Konsum- und Wirtschaftsmodell - und die damit
einhergehende gesellschaftliche Anspruchsentwicklung an die Natur - wie sie in
den westlichen, hochindustralisierten Gesellschaften betrieben wird, ist als globales
Modell fur die naturliche Umwelt auf Dauer nicht tragbar. Bei einer Entwicklung
wie bisher zeichnet sich fur die Zukunft eine dramatische Verscharfung ab. Wenn
die Reproduktions-, Regenerations- und Pu"erleistungen von Boden, Luft, Was-
ser und Biosphare weiter in diesem Ausmaß uberstrapaziert werden, kann diese
Uberforderung des Naturhaushalts im Extremfall zu einem Zusammenbruch des
Oko-Systems - mit schwerwiegenden okologischen, wirtschaftlichen und sozialen
Folgen - fuhren. Um das zu verhindern und das Ungleichgewicht zwischen Na-
turverbrauch auf der einen Seite und begrenzter Leistungsfahigkeit der Umwelt
auf der anderen Seite auszugleichen oder zumindest zu stabilisieren, wurden viele
Umweltschutz-Strategien entwickelt. Die Umweltschutz-Konzepte wurden stetig wei-
terentwickelt und sind vom nachsorgenden Umweltschutz uber die Umweltvorsorge
mittlerweile beim Ansatz der Nachhaltigkeit angekommen.1 Das Nachhaltigkeitskon-
zept wird als aktuelle Antwort auf die globalen okologischen und sozialen Probleme
gesehen und gilt als Leitbild fur eine zukunftsfahige Entwicklung auf allen Ebenen.2
In diesem Kapitel soll das umfangreiche Thema Nachhaltigkeit nicht ausfuhrlich
diskutiert werden, sondern lediglich die Grundbegri"e, -gedanken und -dimensionen
nachhaltiger Entwicklung geklart werden, um einen Rahmen fur Bildung fur nach-
haltige Entwicklung zu geben.
1Vgl. Priewasser 2010b, S. 1, Ders. 2007, S. 1, Kleinhuckelkotten 2005, S. 25 und De Haan undKuckartz 1996, S. 272.
2Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 13.
4
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
2.1. Das Konzept Nachhaltige Entwicklung
Von der WCED (World Commission on Environment and Development) wurde im
Jahre 1987 der Zukunftsbericht”Our Common Future“, auch bekannt unter dem
Namen”Brundtland-Report“, vero"entlicht. Die Definition fur nachhaltige Entwick-
lung lautet in diesem Bericht:”Sustainable development is development that meets
the needs of the present without compromising the ability of future generations to
meet their own needs.“3 Nachhaltige Entwicklung wird also als gesellschaftlicher
Gestaltungsprozess zur Sicherung der heutigen und zukunftigen Lebensqualitat
verstanden.4 Spatestens seit der Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und
Entwicklung im Jahre 1992 in Rio de Janeiro ist das Konzept der nachhaltigen
Entwicklung fixer Bestandteil der politischen und wissenschaftlichen Diskussion um
Wachstum, Entwicklung, Fortschritt und Umwelt.5 Hier bekannten sich 178 Staaten
zur gemeinsamen Verantwortung und beschlossen das Aktionsprogramm”Agenda
21“, in dem mit Nachhaltigkeitszielen, Handlungsempfehlungen und Maßnahmen
auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene ein weltweiter Rahmen
fur einen Ubergang ins 21. Jahrhundert gesetzt wurde. Da ein zentrales Ziel der
Agenda 21 der gerechte Ausgleich zwischen dem globalen Norden und dem globalen
Suden ist, wird sie sowohl als umwelt- als auch als entwicklungspolitisches Doku-
ment verstanden.6 Das Leitbild “Nachhaltige Entwicklung” mochte drei Ziele in
Einklang bringen: erstens die Gewahrleistung einer dauerhaften Reproduktion von
Naturressourcen und Okosystemen, zweitens eine voranschreitende Wohlstandsent-
wicklung und drittens mehr Verteilungsgerechtigkeit sowohl zwischen heutigen als
auch zwischen heutigen und zukunftigen Generationen. Demnach beschrankt sich
nachhaltige Entwicklung nicht auf Ressourcenschonung und Umweltschutz, sondern
umfasst auch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung und deren Beziehungen
zueinander. Alle drei Faktoren stehen in engem Zusammenhang und beeinflussen
sich gegenseitig, weshalb eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Faktors meist
nicht aussagekraftig und zielfuhrend ist, sondern eine dauerhafte Stabilisierung
des Gesamtsystems Natur - Gesellschaft - Wirtschaft angestrebt wird.7 Diese drei
Saulen, auf denen das Konzept aufbaut, lassen sich durch folgende Zielsetzungen
konkretisieren:8
• Okologische Saule
3WCED 1987.4Vgl. Heinrich et al. 2007, S. 7.5Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 13.6Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 32, Ebner 2011, S. 3 und Schober 2002, S. 80 f.7Vgl. Huber 2001, S. 172 f, Kleinhuckelkotten 2005, S. 13, Schober 2002, S. 80 f und Ebner 2011,S. 4.
8Vgl. Priewasser 2010b, S. 5, Krondorfer 2007, S. 4 !, Kleinhuckelkotten 2005, S. 48 f, De Haanund Kuckartz 1996, S. 272, Hauenschild und Bolscho 2005, S. 35 ! und Aachener StiftungKathy Beys o. J..
5
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
– Substitution nicht-erneuerbarer Rohsto"e und Energietrager durch erneu-
erbare unter Beachtung der Regenerationsrate erneuerbarer Ressourcen
– Minimierung der Nutzung von nicht erneuerbaren Ressourcen und Ein-
satz moglichst nur in dem Umfang, in dem (zukunftig) Substituti-
onsmoglichkeiten gescha"en werden konnen
– Minimierung samtlicher Emissionen in die naturliche Umwelt und An-
passung von Sto"eintragen in die Umwelt an die Aufnahme- und As-
similationsvermogen und die Zeitdimensionen von Okosystemen und
naturlichen Regelkreisen
– Vermeidung von Risiken aus okonomisch-technischen Prozessen fur den
Menschen und die Umwelt
• Okonomische Saule
– Wirtschaftliche Aktivitaten dienen der Befriedigung menschlicher Grund-
bedurfnisse
– Wirtschaftswachstum unter naturschonenden und verteilungsgerechten
Rahmenbedingungen
– Forderung umweltfreundlicher Innovationen und Produktionsprozesse
– Forderung einer verantwortungsbewussten Unternehmerschaft
– Forderung nachhaltiger Konsumgewohnheiten
• Soziale Saule
– Armutsbekampfung und Befriedigung der Grundbedurfnisse, um allen
Mitgliedern verschiedener Gesellschaften ein Leben in physischer und
psychischer Gesundheit zu ermoglichen
– Gerechtigkeit bei Erwerbs- und Bildungschancen
– Friedenssicherung und Sicherung der sozialen Stabilitat sowie Moglichkeit
zur Teilnahme und Mitbestimmung an wichtigen gesellschaftlichen Ent-
scheidungsprozessen
– Sicherung der individuellen Freiheit und Wahrung der Menschenrechte
– Gesundheitsforderung
– Chancengleichheit, Gleichberechtigung und gerechter Zugang zu so-
wohl naturlichen als auch gesellschaftlichen Ressourcen wie politischen
Amtern, Kultur und Mobilitat
! innerhalb der Industrielander (unter anderem zwischen den Ge-
schlechtern)
6
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
! zwischen Landern des globalen Nordens und des globalen Sudens
! zwischen den heutigen und zukunftigen Generationen (= intergene-
rative Gerechtigkeit)
Um dies zu erreichen, ist laut Brundtland-Bericht “ein Prozess der Veranderung
[erforderlich], in dem die Nutzung der Ressourcen, die Struktur der Investitionen,
die Orientierung des technischen Fortschritts und die institutionellen Strukturen
konsistent gemacht werden mit den zukunftigen und gegenwartigen Bedurfnissen.”9
Durch die Starkung von Rechts- und Gerechtigkeitssinn, Toleranz, Solidaritat und
Kompetenz zur gewaltfreien Konfliktlosung soll der soziale Zusammenhalt - die
Grundlage fur das Solidaritatsprinzip und den Generationenvertrag - gestarkt
werden.10 Denn “fur eine nachhaltig zukunftsvertragliche Entwicklung ist die Schaf-
fung einer solidarischen Gesellschaft, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit,
soziale Gerechtigkeit, Wohlstand und okologische Verantwortung gewahrleistet,
unerlaßliche Voraussetzung.”,11 so die Enquete-Kommission “Schutz des Menschen
und der Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsver-
traglichen Entwicklung” des deutschen Bundestages in ihrem Abschlussbericht.
2.2. Umsetzungsstrategien
Ein Wandel in Richtung nachhaltiger Produktions- und Konsumvorgange erfordert
neben entsprechenden Technologien vor allem auch veranderte, umweltschonende
Entscheidungs- und Verhaltensmuster, sowohl von den ProduzentInnen als auch
den KonsumentInnen. In der Nachhaltigkeitsdebatte werden zur Umsetzung der
Nachhaltigkeits-Ideen vor allem drei strategische Ansatze diskutiert,12 die Priewas-
ser13 mit folgenden Beispielen konkretisiert und veranschaulicht, und auf die im
Anschluss naher eingegangen werden soll:
• E!zienzstrategie: materielle Anspruche werden, durch Erhohung der Ressour-
cenproduktivitat, mit geringerem Umweltverbrauch erzielt. Beispiele waren
verbrauchsarme Autos oder Wirkungsgradverbesserungen bei Heizsystemen.
• Konsistenzstrategie: unveranderte Anspruche werden durch umweltvertragliche
(nicht giftige, abbaubare, erneuerbare) Sto"e beziehungsweise Produkte, wie
zum Beispiel Produkte aus umweltvertraglicher Produktion, Solaranlagen
zur Warmwasserbereitung, energie- und wassersparende Waschmaschinen
oder okosystemschonende Haushaltschemikalien, gedeckt. Die erforderlichen
9zit. n. Ebner 2011, S. 3.10Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 49.11Deutscher Bundestag 1998.12Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 40 und Kleinhuckelkotten 2005, S. 53.13Vgl. Priewasser 2010a, S. 4.
7
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
Sto"- und Energiestrome werden also qualitativ und quantitativ an die
Regenerations- und Assimilationsfahigkeit der Umwelt angepasst.
• Su!zienzstrategie: erfordert eine Anspruchsveranderung, Genugsamkeit und
Anderung des Lebensstils. Bevorzugung von saisonalen Gutern der Region,
Nutzen statt Besitzen, Qualitat statt Quantitat oder Einkauf im Ort konnen
als beispielhafte Schlagworter genannt werden.
Sowohl die wissenschaftliche als auch die politische Diskussion konzentrieren sich
bisher hauptsachlich auf die E!zienz- und etwas seltener auf die Konsistenzstrategie,
da beide (okologische) Verbesserungen versprechen, ohne dass dafur grundlegende
gesellschaftliche Veranderungen notwendig waren.14
2.2.1. E!zienzstrategie
Die großten Erwartungen werden in die E!zienzstrategie gesetzt. Neben dem
Bereich des personlichen Konsums und der Haushaltsfuhrung, wie beispielsweise
der Wassernutzung, bezieht sich E!zienz vor allem auf den Bereich der Produktion.
Durch die Herstellung und Nutzung von Produkten und Dienstleistungen mit einem
immer geringer werdenden Ressourcenverbrauch (Rohsto"en, Energie, Wasser),
sowie der Minimierung jeglicher Emissionen an die Umwelt, soll die Ubernutzung
der naturlichen Umwelt minimiert werden. E!zienzsteigerung bedeutet, das Input-
Output-Verhaltnis, die Ressourcenproduktivitat, den Sto"- und Energieeinsatz pro
Produkt- oder Dienstleistungseinheit zu verbessern, das heißt, unter gegebenen
Umstanden und Mitteln den hochsten Ertrag zu erzielen oder einen gegebenen
Ertrag mit dem geringsten Mitteleinsatz zu erreichen, um eine moglichst sparsame
Ressourcennutzung zu gewahrleisten.15
Die E!zienzstrategie wird hauptsachlich als technische (durch Innovationen
konne die Ressourcenproduktivitat vervierfacht werden)16 und wirtschaftliche Stra-
tegie betrachtet, und findet insbesondere in der Wirtschaft großen Anklang, da sie
scheinbar verspricht, ohne Ruckgang des Guterkonsums bzw. ohne Einschrankung
des Wirtschaftswachstums einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten zu
konnen.17
Sowohl der Material- als auch der Energieeinsatz pro Produktionseinheit wurde in
den letzten Jahrzehnten stetig verringert. Um den gleichzeitig durch Bevolkerungs-
und Wirtschaftswachstum enormen Bedarfsanstieg zu decken, reichten diese E!-
zienzsteigerungen jedoch nicht aus. Um die angestrebte Halbierung des Umwelt-
verbrauchs bis 2025 zu erreichen, musste die E!zienz jahrlich um sechs Prozent
14Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 13.15Vgl. Prammer 2009, S. 61, Priewasser 2010b, S. 7 f, Ebner 2011, S. 8 f, Hauenschild und
Bolscho 2005, S. 40 f und Kleinhuckelkotten 2005, S. 54 f.16Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 40 f.17Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 13 und 54 f.
8
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
steigen. Das Faktor-4-Konzept geht von einer erforderlichen Halbierung des Natur-
verbrauchs bei gleichzeitiger Wohlstands-Verdoppelung aus, was eine Verringerung
des spezifischen Umweltverbrauchs pro Produktionseinheit um 75 Prozent bedeu-
ten musste. Noch weiter geht das Faktor-10-Konzept, das daruber hinaus auch
die Anspruche auf Mehrbedarf aufgrund eines Nachholprozesses von sogenannten
Entwicklungs- und Schwellenlandern berucksichtigt, und deshalb fur westliche In-
dustriestaaten eine Verringerung des spezifischen Material- und Energieverbrauchs
pro Wirtschaftseinheit um 90 Prozent vorsieht.18
Neben Wohlstands- und Bevolkerungswachstum stellt der Rebound-E"ekt ein
weiteres Problem dar. Selbst wenn der spezifische Ressourcenbedarf entsprechend
verringert werden kann, fuhrt die verbesserte E!zienz alleine nicht zwangslaufig zur
Erreichung der umweltpolitischen Zielsetzungen, sondern kann unter Umstanden so-
gar kontraproduktiv wirken. Denn eine gesteigerte E!zienz fuhrt nicht automatisch
zu einer Verminderung, sondern oftmals zu einer Ausweitung des Konsums, wodurch
der Einsparungs-E"ekt durch die E!zienzsteigerung teilweise wieder aufgehoben
wird.19 Rebound-E"ekte entstehen als direkte Folge von E!zienzgewinnen und
beschreiben das veranderte (Nachfrage-)Verhalten aufgrund von E!zienzeinsparun-
gen. So fuhrt e!zienterer Transport und die Moglichkeit, schnell und relativ billig
zu reisen dazu, dass mehr Menschen haufiger und weitere Reisen unternehmen,
dass mit dem sparsamen Auto mehr gefahren wird oder dass aufgrund der neuen
Warmedammung weniger auf richtiges Heiz- und Luftungsverhalten geachtet wird.
Indirekte Rebound-E"ekte ergeben sich dadurch, dass durch E!zienzsteigerungen
eingespartes Kapital zusatzlichen Konsum in anderen Bereichen ermoglicht, und
so der Gesamtverbrauch erhoht wird. Diese auf Verhaltensanderungen beruhen-
den E"ekte durfen in der vorherrschenden E!zienzeuphorie nicht ausgeblendet
werden.20
Der schweizer Journalist Marcel Hanggi bringt die Problematik folgendermaßen
auf den Punkt: “Technik wird e!zienter seit es sie gibt; noch nie ging deshalb
jedoch der globale Energieverbrauch zuruck. Wie e!zient (fossile) Energie genutzt
wird, ist fur das Klima vollkommen irrelevant: Es kommt allein darauf an, wie viel
davon verbraucht wird.”21
2.2.2. Konsistenzstrategie
Wie die E!zienzstrategie wird auch die Konsistenzstrategie meist als rein techni-
sche beziehungsweise wirtschaftliche Strategie gesehen, wobei beide als einander
erganzende Konzepte verstanden werden. Wahrend die E!zienzstrategie ein quan-
18Vgl. Priewasser 2010b, S. 7 f.19Vgl. Lechner 2011b.20Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 54 f und Lechner 2011b.21Hanggi 2009, S. 29.
9
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
titatives Ziel verfolgt - namlich die Mengen des Ressourcenbedarfs beziehungsweise
der Emissionen zu reduzieren - soll durch die Konsistenzstrategie die Vereinbarkeit
von Okonomie und Okologie durch qualitative Veranderungen verbessert werden.
Durch Basisinnovationen in der Technik und der Produktentwicklung sollen die
Qualitat der von der Umwelt entnommenen und an sie abgegebenen Sto"e verandert
und die Sto"- und Energiestrome qualitativ und quantitativ an die Regenerati-
onsfahigkeit der naturlichen Umwelt angepasst werden. Das meint einerseits den
vorrangigen Einsatz erneuerbarer Rohsto"e und Energietrager und andererseits die
Umweltvertraglichkeit der abgegebenen Sto"e.22 Ein wichtiger Ansatz dieser Strate-
gie ist jener der”Zero Emissions“. Dabei sollen “alle in einem Prozess zum Einsatz
kommenden Sto"e vollstandig in ein Endprodukt einfließen oder zu Inputs fur
andere wertscha"ende Prozesse werden und es somit keine unerwunschten Neben-
oder Kuppelprodukte”23 geben. Eine solche, im Idealfall abfall- und emissions-
freie, Produktion wird beispielsweise durch geschlossene, betriebsinterne Kreislaufe
oder in Form von Oko-Parks, in denen Reststo"e wieder- und weitergenutzt und
Abfalle und Abwasser moglicherweise noch in Kompostier- und Biogasanlagen
weiterverarbeitet werden, moglich.24
Bei einer kritischen Betrachtung mussen jedoch auch folgende Aspekte bedacht
werden:25
• Der aufgrund von Bevolkerungs- und Wirtschaftswachstum stetig steigende
Material- und vor allem Energiebedarf kann nur teilweise durch die Umsetzung
der aktuell verfugbaren, technologischen Innovationen im Sinne einer E!zienz-
und Konsistenzstrategie kompensiert werden, beziehungsweise liegt die dafur
notwendige “neue industrielle Revolution” noch in ferner Zukunft.26
• Neben der Industrie sind vor allem auch KonsumentInnen gefordert, im Sinne
eines bewussten Konsums umweltfreundliche (langlebige, ungiftige, energie-
sparende, erneuerbare, recyclierbare, biologisch erzeugte, fair gehandelte, etc.)
Produkte zu bevorzugen und nachzufragen.
• E!ziente und konsistente Technik fuhren oft nur zusammen mit entspre-
chendem Verhalten zum erwunschten Ergebnis. So kann beispielsweise das
technische Potential eines mit erneuerbaren Energien betriebenen Heizys-
tems nur in Zusammenhang mit e!zienzsteigender Warmedammung und
entsprechendem Heiz- und Luftungsverhalten voll ausgeschopft werden.
22Vgl. Priewasser 2010b, S. 8 !, Ders. 2007, S. 10 f, Kleinhuckelkotten 2005, S. 13 und 55 undHauenschild und Bolscho 2005, S. 41.
23Priewasser 2010b, S. 8.24Vgl. ebd., S. 8 !.25Vgl. Rogall 2008, S. 181, Kleinhuckelkotten 2005, S. 55 und Lechner 2011b.26Kleinhuckelkotten 2005, S. 13.
10
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
Obwohl Linz und Scherhorn27 E!zienz- und Konsistenztechnologien fur einen
Systemwechsel in der Energieversorgung fur unumganglich halten, kritisieren sie
den vorherrschenden Technologie-Optimismus. In allen 15 von ihnen untersuchten
Energie-Szenarien wird eine technologische Energiewende allein durch E!zienzstei-
gerung und Durchsetzung erneuerbarer Energien angestrebt und erreicht. Der feste
Glaube an das Gelingen eines solchen technischen Wandels macht einen Wandel der
vorherrschenden Lebens- und Wirtschaftsweisen, eine Veranderung des individuellen
Verhaltens aller, scheinbar uberflussig.
2.2.3. Su!zienzstrategie
Mit der zentralen Frage, wie viel Wohlstand sich insbesondere die westliche Welt aus
okologischen und sozialen Uberlegungen leisten kann, zielt die Su!zienzstrategie auf
Nachfrageverzicht, ein freiwilliges Maßhalten, Selbstbegrenzung und Genugsamkeit
bei Kauf und Nutzung von Gutern und Dienstleistungen ab, um so eine unmit-
telbare, absolute Verringerung des Umweltverbrauchs zu erreichen.28 Wahrend
bei der E!zienzstrategie die gleiche Leistung mit weniger Material- und Ener-
gieeinsatz erzeugt wird und bei der Konsistenzstrategie die gleiche Leistung mit
qualitativ verandertem Einsatz bereitgestellt wird, geht es bei der Su!zienzstrate-
gie um individuellen Verzicht auf die Leistung, beziehungsweise um strukturelle
Anderungen, durch die sich die Leistung erubrigt.29 Wie bereits festgestellt wur-
de, beschaftigt sich der politische und wissenschaftliche Nachhaltigkeitsdiskurs
bisher hauptsachlich mit der E!zienz- und der Konsistenzstrategie, obwohl die
Berucksichtigung von individuellen und sozialen Veranderungsprozessen, genauer
von veranderten Verhaltens- und Einstellungsmustern, zusatzlich als unumganglich
angesehen werden muss. Die Su!zienzstrategie setzt vor allem bei den Konsumen-
tInnen und ihren moglichst nachhaltigen Lebens- und Konsumstilen an. Von ihnen
werden Anderungen bei Einstellungen und Werten, sowie Verhaltensanderungen bei
Konsum, Energienutzung und Mobilitat erwartet.30 Laut Stengel31 muss weniger
Konsum weder fur die Individuen noch fur die Gesellschaft schlechtere Lebensqua-
litat bedeuten. In seinem schwacher gefassten Su!zienzbegri" wird nicht gefordert,
auf das Notwendige, sondern auf das Uberflussige zu verzichten. Zur Kritik, dass
Konsum und Wirtschaftswachstum fur eine funktionierende Marktwirtschaft un-
erlasslich seien, schreibt er, dass sich nach der schwacheren Su!zienz-Definition
hauptsachlich die Nachfrage nach umweltschadigenden Produkten (Individualver-
kehr, fossile Energien) andern musse und dafur Branchen wachsen, die den Energie-
27Vgl. Linz und Scherhorn 2011, S. 3 !.28Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 54, Priewasser 2010b, S. 6 f, Ders. 2007, S. 7 ! und Hauenschild
und Bolscho 2005, S. 41.29Vgl. Rogall 2004, S. 126.30Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 54 und Lechner 2011b.31Vgl. Stengel 2011a und Ders. 2011b, S. 140 !.
11
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
und Rohsto"verbrauch senken. Dies fuhre auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht
zu Verzicht, sondern lediglich zu einer Veranderung des Wirtschaftswachstums.
Auf der Ebene der Individuen beruft er sich auf Befunde der Happiness-Forschung,
wonach ein hoheres Konsum- und Einkommensniveau nicht automatisch zu einem
Zuwachs an Lebensqualitat fuhren. “Weniger ist mehr”, “Gut leben statt viel
haben”, “Zeitwohlstand statt Guterwohlstand” lauten die entsprechenden Leitsatze
dazu. Beispielhaft macht er folgende konkrete Su!zienzvorschlage: regionale Ur-
laubsziele, eingeschrankter Mode- und Elektronikkonsum, langlebige Produkte,
gemeinsame Nutzung, bewusste Wohnraumbeheizung, Energiebewusstsein bei Kauf
und Nutzung von Elektrogeraten oder Vermeidung /Verringerung von Flug- und
Autoverkehr.
Rogall32 nennt neben den individuellen Verhaltensanderungen auch eine Reihe
von Ansatzpunkten auf gesellschaftlich-struktureller Ebene:
• Regionalisierung der Okonomie,
• ortliche Reintegration der Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit,
• Moglichkeit der kooperativen Nutzung von Maschinen und Fahrzeugen,
• gunstige Siedlungspolitik die ein Leben ohne Auto ermoglicht, etc.
Eine rigider gefasste Definition von Su!zienz begreift sie hingegen als eine neue
Qualitat von Wohlstand, als einen gesamtgesellschaftlichen kulturellen Wandel hin
zu einer Kultur der Nachhaltigkeit. Sie geht uber den Verzicht auf einzelne Produkte
hinaus und fordert eine Anderung des aktuellen Wohlstandsmodells der Indus-
triestaaten. Diese Kultur der Nachhaltigkeit wird nicht als “Kultur des Verzichts”
sondern als “Kultur des Genießens” verstanden, in der durch ein Besinnen auf das
Wesentliche eine hohere Lebensqualitat versprochen wird. Durch eine reflektierte,
bewusste Lebensfuhrung - in der personliche Weiterentwicklung, intellektuelles
Wachstum, Selbstverwirklichung, zwischenmenschliche Beziehungen, Solidaritat
und Gerechtigkeit wichtiger sind als materieller Besitz - soll eine Entmaterialisierung
von Bedurfnissen erzielt werden. Dies erfordert eine enorme Weiterentwicklung
oder Trendumkehr der traditionellen Okonomie, die bisher einzig auf ein Maxi-
mum an Konsum abzielt. Leitbilder wie “Gut leben statt viel haben”, “Klasse
statt Masse” oder “Nutzen statt besitzen” weisen auf die geforderte Ablosung des
aktuellen Wohlstandsmodells hin.33 Hierbei stellt sich die Frage, wie viel Besitz
fur Zufriedenheit und Gluck notwendig ist. Denn die Lebensqualitat nimmt in den
hoch entwickelten Landern mit hohem materiellen Wohlstand trotz stetig steigen-
dem Guterkonsum nicht weiter zu sondern teilweise sogar ab, wenn aufgrund der
Fokussierung auf Konsum und materielle Bedurfnisbefriedigung andere Elemente
32Vgl. Rogall 2004, S. 126 f.33Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 60 ! und Rogall 2008, S. 181 !.
12
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
des Wohlbefindens, wie Selbstverwirklichung, soziale Beziehungen, Zuwendung und
Verstandnis, vernachlassigt werden.34
Da Su!zienz meist als Verzicht, Genugsamkeit oder Einschrankung begri"en wird
meinen Kritiker, dass dies den vorherrschenden Vorstellungen von “gutem Leben” -
das haufig mit materieller Nutzenmaximierung gleichgesetzt wird - widerspreche,
und deshalb unrealistisch und nicht durchsetzbar sei.35 Kleinhuckelkotten36 halt
diese Kritik fur durchaus zutre"end, sofern die Su!zienzstrategie darauf beschrankt
wird, allgemeine, “positiv verpackte” Appelle an die Konsumgewohnheiten des
Einzelnen zu richten. Solange sie auf die private Ebene beschrankt bleibt und nicht
das Denkgebaude in Politik und Wirtschaft - in dem der Gedanke, von etwas genug
zu haben, bisweilen nicht vorhanden ist - geandert wird, sei die Su!zienzstrategie
wirkungslos. Laut Kleinhuckelkotten herrscht in der heutigen Konsumgesellschaft
die Meinung vor, dass Wohlstand von Wirtschaftswachstum abhangig sei, und
dass menschliche Bedurfnisse nie gestillt werden konnen. Ein “Genug” ist im so
genannten Knappheitstheorem nicht vorgesehen.
In diesem weiter gefassten Verstandnis erfordert die Su!zienzstrategie ein we-
sentlich großeres Umdenken und wurde bisher hauptsachlich von Umweltverbanden
und entwicklungspolitischen Einrichtungen gefordert. In der 2008 vom Wuppertal
Institut vero"entlichten Studie “Zukunftsfahiges Deutschland” nahm sie erstmals
einen wichtigen Stellenwert ein.37
Ein weiterer Kritikpunkt an Strategien, die auf individueller Ebene angesie-
delt sind, ist, dass die damit einhergehenden Ziele der Einstellungs- und Verhal-
tensanderungen als Manipulation angesehen werden und damit unter Ideologiever-
dacht stehen.38
2.2.4. Fazit
An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie diese Strategien, die angesichts der Kom-
plexitat nachhaltiger Entwicklung nur in Kombination wirklich zielfuhrend sind,
vollstandig entfaltet und durchgesetzt werden konnen. Entscheidend ist, dass eine
nachhaltige Entwicklung auch mehrheitsfahig und vor allem gewollt wird. Nur wenn
sich alle zentralen Akteursgruppen entsprechend verhalten, hat das umfassende
Konzept nachhaltige Entwicklung reale Chancen auf Umsetzung. Auch in der
Agenda 21 wird die Bedeutung der Integration aller gesellschaftlichen Gruppen
betont: “Ein wesentlicher Faktor fur die wirksame Umsetzung der Ziele, Maßnah-
men und Mechanismen, die von den Regierungen in allen Programmbereichen
der Agenda 21 gemeinsam beschlossen worden sind, ist das Engagement und die
34Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 64 und Priewasser 2007, S. 7 !.35Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 13 f und 56, Priewasser 2010b, S. 6 f und Ders. 2007, S. 7 !.36Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 13 f und 58 !.37Vgl. Lechner 2011b und Kleinhuckelkotten 2005, S. 54 und 64.38Vgl. Hunecke 2008, S. 95.
13
2. Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung
echte Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen.”39 Ohne veranderte mentale
Strukturen, ohne der Voraussetzung einer positiven Grundhaltung und intrinsischer
Motivation der handelnden Personen wird es nicht moglich sein, diese zuvor skiz-
zierten Strategien umzusetzen. Die große Bedeutung der Bereitschaft der Menschen,
der individuellen Umwelteinstellungen und des Umwelthadelns erfordert deshalb
Prozesse der Bewusstseinsbildung, die zielgerichteter, fordernder Kommunikations-
und Bildungsprozesse bedurfen.40
39Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung 1992, S. 240.40Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 272 und Priewasser 2009, S. 63 f.
14
3. Verhaltenstheoretische Ansatze
und die Rolle der Umweltbildung
Da fur eine tatsachlich nachhaltige Zukunft die Steigerung der Konsistenz, der E!-
zienz und der Su!zienz in einen Gesamtprozess eingebunden werden mussen, sind
neben technischen auch soziale Innovationen im Sinne von verandertem Verhalten
und veranderten Alltagspraktiken notwendig (vgl. Kapitel 2: Nachhaltigkeit als
gesellschaftliche Herausforderung).
Will man das VerbraucherInnenverhalten in Hinblick auf Nachhaltigkeit uberprufen,
muss man das strategische Konstrukt der Nachhaltigkeit auf konkrete Hand-
lungen und Handlungsalternativen im Alltagshandeln - die direkt oder indirekt Um-
weltwirkungen nach sich ziehen - herunter brechen, da letztlich nur das tatsachliche
Verhalten einen e"ektiven Beitrag zum Umweltschutz leistet.41 Empirische Befunde
zeigen eine relativ hohe und weiter steigende Sensibilitat fur Umweltprobleme.
In umweltfreundliches Verhalten wird diese - auch vom kulturellen und sozialen
Kontext abhangige und in vielen Bereichen bereits zur sozialen Norm gewordene42
- Sensibilitat jedoch nur selektiv umgesetzt.43
Auf dieser Ebene stellt sich dann auch die wesentliche Frage nach den Ent-
scheidungsgrundlagen fur umweltfreundliches (oder eben nicht umweltfreundliches)
Verhalten, nach dem Zusammenhang von Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
und nach Ansatzpunkten, das Verhalten positiv zu beeinflussen.
3.1. Zusammenhang Umweltbewusstsein und
Umweltverhalten
Umweltbewusstsein ist kein wissenschaftlich festgelegter und klar definierter Begri".
Fietkau und Kessel44 beantworten die Frage, was Umweltbewusstsein meint, auf
zwei Ebenen: auf gesellschaftlicher Ebene meint Umweltbewusstsein eine aufge-
klarte Gesellschaft, die politischen Druck und politische Unterstutzung fur eine
an nachhaltigen Zielen orientierte Politik moglich machen soll. Die individuelle
41Vgl. Huber 2001, S. 392, Sehrer 2004, S. 188 und Wimmer 2001, S. 90.42Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 97.43Vgl. Sehrer 2004, S. 188 und Brand 2003, S. 199.44Vgl. Fietkau und Kessel 1984, S. 34.
15
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
Ebene meint den Aufbau von Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Ein-
zelnen, die sich okologisch vernunftig verhalten sollen. Auf dieser individuellen
Ebene setzte auch bereits die 1978 formulierte Definition des Sachverstandigenrates
fur Umweltfragen an, die einerseits die kognitive Komponente “Einsichten in die
Gefahrdung der naturlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst”
und andererseits mit “Bereitschaft zur Abhilfe” den Handlungswillen als eigene
Komponente nennt.45
Der oft aufgestellten und auf der Aufklarungsidee (Sieg der Vernunft) basie-
renden These”Je umweltbewusster jemand ist, desto umweltgerechter verhalt
er/sie sich auch“, wonach Umweltbewusstsein einen maßgeblichen Ein-
fluss auf das Umweltverhalten hat - bei der also eine Wirkungskette Wissen -
Einstellung - Verhalten unterstellt wird - kann nicht zugestimmt werden.46 Ver-
schiedene Studien stellen seit den 1980er Jahren fest, dass auf Umweltwissen nicht
zwangslaufig Umweltverhalten folgt, aber auch, dass umweltfreundliches Verhalten
auch ohne Umweltbewusstsein stattfinden kann.47 Kuckartz zeigt in seiner Studie
auf, dass sich mit einem solchen Modell nicht mehr als 15 bis 20 Prozent der Varianz
des Umweltverhaltens erklaren lassen.48 Umweltkenntnisse und umweltbewusste
Denkmuster sind scheinbar keine hinreichenden Bedingungen fur durchgangig nach-
haltiges Verhalten.49 Dass zwischen Umweltbewusstsein und -verhalten statistisch
kein immenser Zusammenhang festzustellen ist bedeutet jedoch nicht, dass es fur
die Bereitschaft zu entsprechendem Handeln nicht wichtig ware, sondern lediglich,
dass vor allem in high-cost-Situationen fur die tatsachliche Ausfuhrung das bloße
Wissen oder Bewusstsein einen zu schwachen Einflussfaktor darstellen. Obwohl
Umwelthandeln vielfach nicht auf ein bestimmtes - geschweige denn ein ganzlich
bewusstes und verbal außerbares - (Umwelt-)Wissen oder Umwelt- und Normbe-
wusstsein zuruckgefuhrt werden kann, bildet es laut Huber50 dennoch ein gewisses
Realisierungspotential. Außerdem verweist er auf das in der bisherigen Umwelt-
bewusstseinforschung kaum beachtete Phanomen der sozialen Erwunschtheit, was
die in Befragungen angegebene Umwelteinstellung und Handlungsbereitschaft noch
einmal in ein anderes Licht ruckt.
Im Umweltbereich scheint die aus der Einstellungsforschung bekannte Kluft
zwischen Bewusstsein und Verhalten besonders groß zu sein.51 Ein Grund fur
das Auseinanderkla"en ist, dass umweltrelevantes Handeln meist nicht isoliert
45Zit. n. De Haan und Kuckartz 1996, S. 36 und Huber 2001, S. 214.46Vgl. Erb 2007, S. 25, De Haan und Kuckartz 1996, S. 103 f, Kuckartz 1998, S. 2 und Paeßens 2008,
S. 6.47Vgl. Spahn-Skrotzki 2008, S. 49, De Haan und Kuckartz 1996, S. 104 ! und Paeßens 2008, S. 6.48Vgl. Kuckartz 1998, S. 2 und De Haan und Kuckartz 1996, S. 127 f.49Vgl. Waldmann 1992, S. 71.50Vgl. Huber 2001, S. 213 !.51Vgl. Hunecke 2008, S. 99.
16
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
stattfindet,52 was darauf verweist, neben dem Umweltbewusstsein auch andere
Einflusse auf das Individuum zu berucksichtigen.
Fur die Erklarung dieser Kluft und ihrer Große lassen sich mehrere individu-
elle, gruppen- und kontextspezifische Faktoren anfuhren. Einerseits spielen psy-
chische Faktoren (individuelles Gefuhl der Verpflichtung, Kontrolluberzeugung,
wahrgenommene Eigenverantwortlichkeit, wahrgenommene Wirksamkeit des ei-
genen Verhaltens) eine wichtige Rolle, andererseits sind auch objektiv gegebene
Rahmenbedingungen und Handlungsalternativen entscheidend.53 In alteren um-
weltpsychologischen Untersuchungen wurde noch angenommen, dass die objektiven
Bedingungen (Zeit-, Geld-, Weg- und Informationsaufwand) entscheidend seien,
weshalb besonderes Augenmerk auf die Beseitigung dieser Hemmnisse gelegt wur-
de, wahrend jungere Studien eher die Kombination von Beseitigung objektiver
Barrieren mit bewusstseinsbildender Werte- und Einstellungsformung als Erfolg
versprechend ansehen.54
Neben der Frage nach der Wirkung von Umweltbewusstsein auf individueller
Ebene, wo sie eine intrinsisch motivierte Verhaltensanderung anstrebt, mussen auch
Fragen nach der Wirksamkeit auf der gesellschaftlichen Ebene gestellt werden.55 So
soll nachhaltiges Verhalten durch politische Verhaltenssteuerung erreicht werden,
wobei man davon ausgeht, dass sich gesellschaftliches Umweltbewusstsein erheblich
auf die Akzeptanz politischer Maßnahmen und Rahmenbedingungen auswirkt, die
eine entscheidende Voraussetzung fur ein nachhaltiges Leben darstellen.56
3.2. Theoretische Erklarungsansatze zur
Verhaltensdeskription
Die sozialwissenschaftliche und umweltpsychologische Forschung sucht aus verschie-
densten Perspektiven nach Erklarungsmustern fur umweltorientiertes Handeln und
Grunden fur die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
und anderen Einflussfaktoren auf umweltrelevantes Verhalten. Aus unterschied-
lichsten Wissenschaftsdisziplinen wurden verschiedene Ansatze ausgearbeitet. Nach
Kuckartz und de Haan gibt es folgende vier Erklarungsansatze, wobei sie betonen,
dass keiner dieser Ansatze”den Konigsweg zur Erklarung“ darstellt, aber je-
der fur bestimmte Bereiche gute Erklarungen liefern kann:57
• Kosten-Nutzen-Erwagungen und finanzielle Motive,
52Vgl. Erb 2007, S. 32.53Vgl. Brand 2003, S. 199 und Wimmer 2001, S. 91.54Vgl. Priewasser 2010b, S. 12.55Vgl. Fietkau und Kessel 1984, S. 34.56Vgl. Bogun 2006, S. 28 f.57Vgl. Kuckartz 1998, S. 78 und De Haan und Kuckartz 1996, S. 260 f.
17
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
• okologisch-soziale Dilemmata und die Kollektivgutproblematik,
• personliches Wohlbefinden und
• Lebensstilmotive.
Nach einer kurzen Darstellung dieser vier Ansatze soll noch auf ein relativ jun-
ges, integratives Handlungsmodell der Umweltpsychologin Ellen Matthies naher
eingegangen werden.
3.2.1. Rational-Choice-Ansatz
Viele Erklarungen des Umweltverhaltens beziehen sich auf eine okonomische, uti-
litaristische Verhaltenstheorie, die jedes Verhalten als Resultat einer rationalen
Kosten-Nutzen-Abwagung sieht, und deren Menschenbild das des Nutzen maxi-
mierenden, auf egoistische Eigeninteressen hin orientierten Individuums ist. Die-
sem Homo Oeconomicus wird unterstellt, dass er uber konsistente und stabile
Praferenzen verfugt und sich nach einer Abwagung dieser Praferenzen im vorhan-
denen Handlungsspielraum zielgerichtet, Nutzen maximierend verhalt. Demnach
konnen Verhaltensanderungen lediglich durch eine Veranderung des Handlungsspiel-
raums, der Restriktionen, Anreize und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
erreicht werden.58
Laut Kuckartz59 ist dieser Ansatz umso erklarungskraftiger, je starker - wie
beispielsweise im Bereich Konsum - tatsachlich finanzielle Aspekte eine Rolle
spielen. Laut Diekmann und Preisedorfer wirkt sich das Umweltbewusstsein vor
allem in Low-Cost-Situationen positiv auf das Verhalten aus. Sie ist eine sozialpsy-
chologische Variante der okonomischen Rational-Choice-Theorie und geht davon
aus, dass okologisches Wissen und Handlungswissen umso mehr Wirkung zeigen
und umweltfreundliches Verhalten eher ubernommen wird, je geringer die dafur
erforderlichen Kosten sind, beziehungsweise je weniger es vom Normalverhalten
abweicht. Kosten und Nutzen werden in diesem Falle weiter gefasst und bein-
halten auf Seiten der Kosten neben finanziellem Mehraufwand auch Mehrarbeit,
Zeitaufwand, Unbequemlichkeiten, Such- und Informationsaufwand, sowie Verhal-
tensanderungen und die Scheu vor unkonventionellem Verhalten. Auf Seiten des
Nutzens stehen neben der reinen Bedurfnisbefriedigung auch soziale Anerkennung
und Normen, sowie intrinsische Motivationen wie Einstellungen, Angste, Werte
oder Umweltbewusstsein.60
58Vgl. Huber 2001, S. 340, Diekmann 1996, S. 90 f, Hauenschild und Bolscho 2005, S. 92, De Haanund Kuckartz 1996, S. 219 !.
59Vgl. Kuckartz 1998, S. 78.60Vgl. Huber 2001, S. 395 f, Hauenschild und Bolscho 2005, S. 92, Diekmann 1996, S. 90 f,
De Haan und Kuckartz 1996, S. 219 f, Kromer und Oberhollenzer 2004, S. 5, Erb 2007, S. 33und Brand 2003, S. 201.
18
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
Grasel61 verweist darauf, dass Kosten und Nutzen nicht nur vorhanden, sondern
vor allem auch in den entscheidenden Situationen in individuellen Interpretations-
und Bewertungsprozessen wahrgenommen und Handlungsalternativen entsprechend
bewertet werden mussen.
Grundsatzlich werden die fur die Einschatzung des Nutzens relevanten individu-
ellen Praferenzen in dieser Theorie als Fixum angesehen und die Frage nach der
Herkunft dieser Praferenzen wird nicht beantwortet.62 Erziehungswissenschaftliche
Varianten der Rational-Choice-Theorie gehen davon aus, dass die angenommenen
Praferenzen im Rahmen der Sozialisation entstehen und uber Erziehungs- und Bil-
dungsmaßnahmen beeinflusst werden konnen. Jedoch konne auch durch Erziehung
niemand zu nicht rationalen Entscheidungen gebracht werden.63 Solche Maßnahmen
konnten einerseits intrinsische Anreize wie umweltfreundliche Einstellungen und
Werte starken, aber auch durch die Vermittlung von Zusammenhangswissen die
Wahrnehmung und Interpretation von Kosten und Nutzen beeinflussen.
3.2.2. Dilemma-Ansatz
Ahnlich wie die Rational-Choice-Ansatze geht auch der Dilemma-Ansatz vom
rational handelnden, Nutzen maximierenden Individuum aus. Wahrend bei pri-
vaten Gutern das Ausschlussprinzip gilt, kann von der Nutzung des o"entlichen
Gutes Umweltqualitat niemand ausgeschlossen werden. Die Kluft zwischen Um-
weltbewusstsein und Umwelthandeln wird mit dem Zusammenspiel von Kosten, die
umweltfreundliches Verhalten fur jeden einzelnen mit sich bringen, und dem Nutzen
aus dem “Kollektivgut Umwelt” erklart. Jemand, der sich nicht am Umweltschutz
beteiligt, kommt in der so genannten okologisch-sozialen Dilemmasituation trotz-
dem in den Genuss der - durch das Verhalten anderer geschutzten - Umwelt.64 In
umweltpsychologischen Arbeiten wird so die Bedeutung der Faktoren Werthaltung,
wahrgenommene Verhaltenskonsequenz, Zuschreibung der Verantwortung und Ver-
trauen untersucht und eine Dilemmasituation zwischen Egoismus und Gemeinschaft
gesehen.65 Kleinere Gruppen mit hoherer gegenseitiger Kontrollchance, Gruppen-
mitglieder die uber Zusammenhangswissen und Systemkompetenz verfugen, sowie
Kommunikation sind forderlich fur freiwillige Kooperation, wahrend in großen,
unuberschaubaren Gruppen der Egoismus des Einzelnen nicht au"allt und der
“Trittbrettfahrer” keine negativen sozialen Folgen fur sein Verhalten erwarten muss.66
Kromer und Oberhollenzer schließen aus dem Dilemma-Ansatz, “dass Menschen
61Vgl. Grasel 1998, S. 83 f.62Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 229.63Vgl. ebd., S. 222 f.64Vgl. Spahn-Skrotzki 2008, S. 50, De Haan und Kuckartz 1996, S. 224,Diekmann 1996, S. 90 und
Kromer und Oberhollenzer 2004, S. 5 f.65Vgl. Kuckartz 1998, S. 2 und Brand 2003, S. 200.66Vgl. Huber 2001, S. 343 f, De Haan und Kuckartz 1996, S. 228 f und Spahn-Skrotzki 2008, S. 50.
19
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
keineswegs nur nach egoistischen Prinzipien handeln, sondern auch zu Koopera-
tionen bereit sind. Das soziale Verhalten anderer wird dabei standig beobachtet,
wobei nicht das Verhaltensmuster des Trittbrettfahrers strukturell gefordert und
belohnt wird, sondern sich weitaus haufiger eine kollektive Moral des Typs ’Wenn,
dann mussen alle mitmachen’ herausbildet.”67
Vor allem Zusammenhangswissen, System- und Kommunikationskompetenzen,
sowie das Lernen von Denk- und Handlungsansatzen die sich an Kooperation statt
Konkurrenz orientieren, sind Punkte, an denen Bildung fur Nachhaltigkeit ansetzen
konnte.
3.2.3. Wohlbefindensforschung
Die Wohlbefindensforschung versucht, das Umweltverhalten mit der Frage nach
den Praferenzen der Individuen zu erklaren. Sie stellt die handelnden Personen in
den Mittelpunkt und fragt nach Grunden fur bestimmte Praferenzen, von denen
das Verhalten abhangig ist, und erklart diese mit einem Katalog von subjektiven
Wahrnehmungen, Erwartungen, Ho"nungen und Wunschen, die sich auf die in-
dividuell wahrgenommene Lebensqualitat, das Wohlbefinden, die Zufriedenheit
und das Gluck beziehen.68 Ungeachtet der außerst schwierigen Definition dieser
umfassenden, subjektiven Kategorien wird der Begri" Wohlbefinden in psychisches
und physisches, sowie in aktuelles und habituelles Wohlbefinden unterteilt.
Aktuelles Wohlbefinden kann mit Freude, intensiven Glucksgefuhlen, Begeiste-
rung, Erregung oder Lust beschrieben werden. Ob man den Gemutszustand wahrend
umweltgerechtem Verhalten wie richtiger Mullentsorgung oder der Benutzung
o"entlicher Verkehrsmittel mit intensiven Glucksgefuhlen oder Begeisterung be-
schreiben kann erscheint fraglich. Aktuelles Wohlbefinden wird daher als kein
starker Einflussfaktor auf umweltfreundliches Verhalten betrachtet. Die Vorstellung,
dass Menschen “innere Zufriedenheit verspuren, wenn sie umweltfreundlich gehan-
delt haben”69 erscheint jedoch nicht abwegig. So wird habituelles Wohlbefinden
sehr wohl als relevanter Faktor bei der Erklarung umweltfreundlichen Verhaltens
verstanden. Es ist Ausdruck aggregierter emotionaler Erfahrungen, die relativ stabil
sind und sich auch durch situatives Unwohlsein nur schwer verandern lassen und
wird beschrieben durch Stimmungen, Zufriedenheit und Freiheit von Belastungen.70
Bezuglich der Rolle von Bildung fur Nachhaltigkeit lasst sich sagen, dass Personen
mit einer positiven okologischen Einstellung, einer subjektiven Wertvorstellung
und entsprechenden moralischen Norm, sowie einer wahrgenommenen individuellen
67Kromer und Oberhollenzer 2004, S. 9.68Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 247 !, Paeßens 2008, S. 13 f, Kromer und Oberhollenzer 2004,
S. 8 f und Kuckartz 1998, S. 70 !.69Paeßens 2008, S. 13.70Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 249 !.
20
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
Verantwortlichkeit eher ein ’gutes Gefuhl etwas fur die Umwelt getan zu haben’
verspuren werden.71
3.2.4. Lebensstilforschung
Einen weiteren und in den letzten Jahren verstarkt forcierten Erklarungsansatz
stellt die Lebensstilforschung, ein soziologischer Di"erenzierungsansatz, dar.
“Lebensstile sind gruppenspezifische Formen der alltaglichen Le-
bensfuhrung, -deutung und -symbolisierung und gelten als Verhaltens-
muster, durch die Habitualisierungen, A!nitaten und strukturelle Lagen
zu Tage treten, wobei auch umweltrelevante Verhaltensweisen Teil eines
komplexeren Verhaltensmusters mit identitats- und sozietatsstiftender
Funktion sind.”72
Umweltbezogene Lebensstilforschung gliedert die Bevolkerung hinsichtlich ihres
Umweltbewusstseins und -verhaltens insbesondere in den Bereichen Konsum, Mobi-
litat und Energieverbrauch in verschiedene Umwelttypen, um so einerseits die Kluft
zwischen Einstellung und Verhalten di"erenzierter und damit besser untersuchen
zu konnen und andererseits typenspezifische, zielgruppenorientierte politische Maß-
nahmen zur Erhohung des Umweltverhaltens aufzeigen zu konnen.73 Laut Kuckartz
sind Lebensstile besonders fur das Konsumverhalten aussagekraftig.74 Die jeweili-
gen Lebensstile werden durch verschiedene Faktoren wie verfugbare Ressourcen,
Lebensphase, geografische Lage, Werteinstellungen, etc. beeinflusst und sind meist
verknupft mit sozio-kulturellen Mustern, wo sie dann auch in den verschiedenen
sozialen Kreisen reproduziert werden.75 Kleinhuckelkotten76 charakterisiert einen
idealtypisch nachhaltigen Lebensstil mit Werten wie Bescheidenheit, Gerechtigkeit
und Verantwortung gegenuber der Natur und ein Handeln, das sich durch Gestal-
tungskompetenz auszeichnet und sich an Umwelt- und Sozialgerechtigkeit orientiert.
Gleichzeitig stellt sie fest, dass es derzeit keinen “Nachhaltigkeits-Pionier”-Lebensstil
gibt, der sich durch durchgangiges, konsequent nachhaltiges Bewusstsein oder Ver-
halten in allen relevanten Alltagsbereichen auszeichnet, sondern ein Pluralismus an
nachhaltigkeitsrelevanten Lebensstilen besteht und es einerseits in den einzelnen
Milieus sehr unterschiedliche Auspragungen von Einstellungen und Verhaltens-
weisen gibt und andererseits umweltgerechtes Verhalten auch ohne entsprechende
Umwelteinstellung stattfindet. Verschiedene Studien unterscheiden verschiedene
Lebensstile, Kleinhuckelkotten verweist beispielsweise auf die folgenden sieben
71Vgl. Priewasser 2009, S. 72 f.72Hauenschild und Bolscho 2005, S. 93.73Vgl. Erb 2007, S. 35, De Haan und Kuckartz 1996, S. 246 f und Kleinhuckelkotten 2005, S. 104.74Vgl. Kuckartz 1998, S. 2.75Vgl. Borgstedt, Christ und Reusswig 2010, S. 13.76Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 5, 75, 89 und 102 !.
21
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
Typen zu umweltfreundlichem Verhalten, die im Rahmen der Studien ’Dialoge 4’
und ’Dialoge 5’ fur Deutschland entwickelt wurden:77
• Konsequent Umweltaktive (16 Prozent): okologisches Denken und Verhaltens-
bewusstsein in allen abgefragten Bereichen, verhalten sich vorbildlich und
sind besonders sensibel fur neue Risiken; hoher Frauenanteil
• Oko-Sensible (11 Prozent): uberdurchschnittlich hohes Umweltbewusstsein
und entsprechendes Verhalten, Schwerpunkt im Bereich Konsumverhalten,
hohe Sensibilitat in Bezug auf Umwelt- und Gesunheitsgefahren, zum Beispiel
durch Konservierungsmittel und Schadsto"e; viele junge Frauen
• Garantie-Interessierte (17 Prozent): umwelt- und gesundheitsbewusstes Kon-
sumverhalten, orientieren sich vor allem an Gutesiegeln, Garantieurkunden
und Firmenimages; mannlich dominiert
• Schadsto"bewusste (13 Prozent): wollen mit ihrem Verhalten in den Bereichen
Straßenverkehr und Haushaltsgerate zu einer Schadsto"entlastung der Umwelt
beitragen, sind bemuht, ihren Energieverbrauch zu verringern; vor allem altere
BurgerInnen
• EnergiesparerInnen (16 Prozent): Einsicht, Energie sparen zu mussen, nutzen
gelegentlich o"entliche Verkehrsmittel
• MullentsorgerInnen (18 Prozent): bei Mulltrennung aktiv, insgesamt wenig
Interesse am Umweltschutz; hauptsachlich mannlich
• Umwelt-Passive (10 Prozent): weisen umweltfreundliches Handeln in der Regel
weit von sich, ihnen fehlt nicht die Einsicht, sondern die Motivation, was auf
Bequemlichkeit und Protest zuruckgefuhrt wird; hoher Anteil junger Manner.
Brand beschreibt, als zweites Beispiel, den Umgang mit Barrieren von funf Menta-
litatsmustern folgendermaßen:78
• Personliches Entwicklungsprojekt: Die Selbstwahrnehmung und das Handeln
werden auf Umweltfreundlichkeit hin strukturiert, umweltfreundliches Verhal-
ten wird aufgewertet, Hemmnisse stehen unter Rechtfertigungsdruck, wobei
die grundsatzliche Bereitschaft zur Uberwindung von Barrieren betont wird.
• BurgerInnenpflicht: Vor allem klare, eindeutige Handlungsanweisungen (Bei-
spiel Mulltrennung) werden befolgt, sofern diese Regeln auch fur alle anderen
gelten und eingehalten werden, die okologische Motivation wird also von
außen (Politik, gesellschaftliche Normen) erzeugt.
77Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 90 f.78Vgl. Brand 2003, S. 208.
22
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
• System-/ Staatsorientierung: Das individuelle Handeln erscheint als unbe-
deutend, die eigentliche Verantwortlichkeit fur Umwelt wird bei kollektiven
Akteuren (Politik, Wirtschaft) gesehen.
• Indi"erenz: Umweltfreundliches Verhalten ist kein relevantes Kriterium bei
der Wahl von Handlungsalternativen sondern ergibt sich allenfalls nebenbei,
ein generelles Misstrauen gegenuber der Politik und Wirtschaft oder eine
Ablehnung von normativen Anforderungen wird als Begrundung fur die
Nichtbeachtung von Umweltkriterien herangezogen.
• Weiter-so: Das Thema Umwelt erscheint insgesamt als unbedeutend, die
Unterscheidung zwischen forderlichen und hemmenden Faktoren ist somit
hinfallig.
Als drittes Beispiel beschreibt Huber eine Typologie in der Komsumgewohnheiten
mit Wertorietierungen und Bewusstseinauspragungen kombiniert werden:79
• Uninteressierte Materialisten (12 Prozent): geringes Einkommen, Wunsch nach
mehr Komfort, kein Umweltbewusstsein, kein umweltorientiertes Verhalten,
Neigung zu Billigkauf.
• Sparsam-Bescheidene (10 Prozent): wenig kostspielige Aktivitaten, Sparsam-
keit und knapper Konsum, kaum Recycling, keine Zahlungsbereitschaft fur
Umweltschutz.
• Lustbetonte (14 Prozent): Spaßkonsum, Geselligkeit und Genussorientierung,
großes Reisebudget, umweltbewusstes Verhalten kaum vorhanden.
• Umweltaktivierbare (7 Prozent): Personliche Unabhangigkeit ohne soziales
Engagement, befriedigende Arbeit wichtiger als hohes Einkommen, gesund
leben, viel reisen, Okokonsum sofern Geld reicht.
• Aufgeschlossene Wertepluralisten (23 Prozent): Materialismus, Leistungs- und
Karriereorientierung, hohes Maß an beruflichen und privaten Aktivitaten,
hohes Konsumniveau mit Okokonsum (Naturkostladen, stromsparende Gerate,
Energiebewusstsein,...)
• Konservativ- Umweltbewusste (19 Prozent): Soziale Verantwortung und har-
monisches Familienleben, Wirtschaftswachstum wichtig, Umweltschutz auch,
preisbewusst und umweltfreundlich kaufen, Verpackungen vermeiden, Energie
sparen.
79Huber 2001, S. 394.
23
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
• Alternativ-Umweltbewusste (15 Prozent): Selbstverwirklichungswerte mit
sozialer Verantwortung, kunstlerisch und kulturell interessiert, geringere
Einkommens- und Konsumorientierung, gesunde Ernahrung, umweltbewuss-
tes Verhalten.
Da Bildung ein starker Faktor fur die Ausbildung okologischer Orientierungen
im Lebensstil zu sein scheint,80 wird die Erziehung und Motivation zu einem
umweltfreundlichen Lebensstil als Teil des Bildungsauftrages verstanden. Bildungs-
einrichtungen und politische Steuerungsmaßnahmen sind dazu aufgerufen, einen
nachhaltigen Lebensstil zu etablieren beziehungsweise einzelne umweltfreundliche
Komponenten in den verschiedensten Lebensstilen zu fordern.81 Bildung fur nach-
haltige Entwicklung soll Wissen, Fertigkeiten, Bereitschaft und Visionen entwickeln,
sowie Handlungsweisen und Alltagsgewohnheiten verandern, um einen nachhaltigen
Lebensstil zu erreichen.82
3.3. Handlungsmodell nach Matthies als integrativer
Ansatz mit Blick auf Verhaltensintervention
Ein Erklarungsansatz auf den hier naher eingegangen werden soll, ist das integrierte
Handlungsmodell von Ellen Matthies, in dem sie zahlreiche weitere Einflussfaktoren
(wahrnehmungsbezogene, soziale, moralische, situative und Gewohnheitsaspekte) fur
das individuelle Handeln identifiziert, beschreibt und in Zusammenhang setzt und
daraus Ansatzpunkte fur Interventionsstrategien (neben Wissensvermittlung und
Aufklarung zum Beispiel auch normzentrierte Interventionsstrategien wie Selbstver-
pflichtung oder Feedback; Situationsveranderungen, Belohung, Bestrafung, etc.)
ableitet. Menschen verhalten sich in verschiedenen umweltrelevanten Bereichen,
in unterschiedlichen Situationen mit verschiedensten Rahmen- und Handlungs-
bedingungen, aus außerst heterogenen - und nicht allein auf Umweltbewusstsein
basierenden - Motivlagen heraus nachhaltig oder nicht nachhaltig.83 In ihrem
neuen, integrativen Rahmenmodell vereint Matthies die Theorie des geplanten
Verhaltens (Ajzen) und die Theorie moralischer Entscheidungen - das weiterent-
wickelte Normaktivationsmodell von Schwartz und Howard - und berucksichtigt
zusatzlich den Faktor Verhaltensgewohnheiten, und vereint somit Modell- und
Interventionsforschung.84
Das Handlungsmodell ist in vier Phasen unterteilt, wobei der Fokus auf einem
standigen Reflexionsprozess zwischen Normaktivation, Motivation, Evaluation und
80Vgl. Degenhardt 2006, S. 35.81Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 230.82Vgl. Langner o. J..83Vgl. Fliegenschnee und Schelakovsky 1998, S. 68 !, Huber 2001, S. 400, Liedtke, Kristof und
Parlow 2009, S. 7, Lenßen 2011, S. 15 f und Matthies 2005, S. 62 ! und 70 f.84Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 7 und 9, Matthies 2005, S. 64 und 70.
24
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
Abbildung 3.1.: Integratives Einflussschema umweltgerechten Alltagshandelns
Quelle: Grafik nach Matthies 2005, S. 70.
Aktion liegt. Die einzelnen Phasen und die daran anschlussfahigen Ansatzpunkte
fur Interventions- und Bildungsmaßnahmen werden im Anschluss kurz beschrieben.
Insbesondere Liedtke, Kristof und Parlow haben die notwendigen personlichen Kom-
petenzen herausgearbeitet, die jedeR Einzelne braucht, um relevante Informationen
auszuwahlen und zu reflektieren, um uber einen entsprechenden Gestaltungsrahmen
- von dem in diesem Modell ausgegangen wird - zu verfugen.85
3.3.1. Normaktivations-Phase
Die erste der vier Phasen einer Handlung ist die Normaktivations-Phase. Sie setzt
an der kognitiven Ebene (Wissen, Denken und Wahrnehmung) an und wird in
folgenden drei wesentlichen Faktoren beschrieben: Bewusstheit des Umweltpro-
blems, Bewusstheit der Relevanz des eigenen Verhaltens und Bewusstheit eigener
Fahigkeiten (siehe Abbildung 3.1). Das bedeutet, dass es in der zweiten Phase
nur dann zu einer Aktivierung moralischer Motive kommen kann, wenn jedeR
Einzelne nicht nur uber ein grundsatzliches Problembewusstsein verfugt (etwa das
Wissen und das Bewusstsein uber die negativen Folgen der globalen Erderwarmung),
sondern auch Informationen und Wissen uber alternative Handlungsmoglichkeiten
(wie Kenntnisse uber umweltschonende Mobilitatsarten und deren Verfugbarkeit in
der jeweiligen Situation), sowie eine Wahrnehmung der eigenen Moglichkeiten und
der Konsequenzen des eigenen Verhaltens (zum Beispiel richtiges Einschatzen des
85Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 7 !.
25
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
Ausmaßes, in dem die PKW-Nutzung an der gesamten CO2-Produktion beteiligt
ist) hat. Nicht nur Fakten- und Zusammenhangswissen sind notig, sondern auch
Handlungswissen, also Informationen uber Strukturen oder Verfahrensweisen, aus
denen man schließen kann, wie in der jeweiligen Situation vorgegangen werden
kann.86
In dieser Phase sollten laut Matthies verschiedene Techniken der Informations-
vermittlung anknupfen, um Problem- und Handlungswissen zu vermitteln und zu
starken.87 Liedtke et. al. schreiben, dass vor allem die individuelle Aufmerksamkeit
und eine Sensibilitat fur die Problematik als Ganzes, sowie die Bedeutung des
eigenen Verhaltens gescha"en, und gleichzeitig Handlungswissen und Handlungsal-
ternativen beziehungsweise auch die Bedeutung der eigenen Verhaltensanderungen
aufgezeigt werden mussen. Hierbei sind einerseits methodische Kompetenzen fur
das Verstandnis und die Aufbereitung von Wissen und Informationen, sowie soziale
Kompetenzen wie Empathie und Kommunikation von Bedeutung. Außerdem verwei-
sen sie darauf, dass personliche Erfahrungen und eine Informationsvermittlung mit
Bezug zur eigenen Lebenswelt eine entsprechende Wahrnehmung und ein Bewusst-
sein uber Probleme und vor allem eigene Fahigkeiten und Handlungsalternativen
begunstigen.88
3.3.2. Motivations-Phase
In der zweiten Phase, der Motivationsphase, nennt Matthies Faktoren wie die
personliche okologische Norm, die soziale Norm und weitere Motive (zum Bei-
spiel Verhaltenskosten), die auf das Verhalten wirken. Die moralische, personliche
okologische Norm, die “erlebte personliche Verpflichtung, sich umweltschonend
zu verhalten“89 ist ein Kernpunkt ihres Modells. Hier werden die Faktoren der
ersten Phase wirksam, denn nur wem ein Problem und seine Handlungsalternativen
bewusst sind, kann ein Gefuhl der Verpflichtung zu umweltgerechtem Verhalten
entwickeln. Auch Lenßen sieht in diesem Gefuhl personlicher Verantwortung und
Verpflichtung eine große Bedeutung, da dies eine intrinsisch motivierte und von
außeren Anreizen unabhangigere Handlung ermoglicht.90 Denn “mit der Zurech-
nung von Verantwortung ist immer gleichzeitig auch eine Handlungserwartung
verknupft. Der- oder diejenige, die sich selbst fur etwas verantwortlich fuhlen oder
von anderen fur etwas verantwortlich gemacht werden, sind aufgefordert, fur die
Folgen seines oder ihres Handelns einzustehen, sich zumindest zu rechtfertigen und
zur Verhinderung negativer Folgen oder zur Losung der durch Tun oder Nichtstun
86Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 7 f, Matthies 2005, S. 70 ! und Lenßen 2011, S. 16 f.87Vgl. Matthies 2005, S. 72.88Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 17.89Matthies 2005, S. 72.90Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 7 f und Lenßen 2011, S. 16 f.
26
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
verursachten Probleme aktiv zu werden.”91
Weiters werden in dieser Phase der Handlung soziale Normen, also ein gewisser
Erwartungsdruck von Freunden, Familien, dem Schulumfeld, dem gesellschaftlichen
Mainstream und sonstige Faktoren wie beispielsweise Kosten-Nutzen-Uberlegungen
wirksam (siehe Abbildung 3.1).
Als mogliche Ansatzpunkte auf dieser Ebene nennen Matthies und Liedtke et.
al. eine Aktivierung und Starkung von relevanten sozialen Normen (zum Beispiel
konnten Kampagnen mit gesellschaftlichen Vorbildern das Prestige von umwelt-
freundlichem Verhalten erhohen), die Minimierung von Verhaltenskosten (beispiels-
weise durch besseres Angebot von o"entlichem Verkehr) oder die Betonung und
Verbreitung von Informationen uber die Vorteile der erwunschten Verhaltenswei-
sen. Wird durch solche Maßnahmen eine Verhaltensanderung einer “kritischen
Masse” erreicht, wird dieses Verhalten zu einem neuen gesellschaftlichen Stan-
dard, einer neuen sozialen Norm.92 Hier verweist allerdings Huber93 darauf, dass
Wertorientierungen an sich zwar vom Menschen gemacht seien, sie willentlich zu
verandern und zu lenken aber noch um ein vielfaches schwieriger sei, als beispiels-
weise technische Innovationen, eine Wirtschaftsordnung, Gesetzesstrukturen oder
einen Wissenskanon zu verandern.
3.3.3. Evaluations- und Aktions-Phase
In der anschließenden Evaluationsphase werden die einzelnen Einflussfaktoren im
Rahmen des jeweiligen Kontextes schließlich bewertet und Kosten und Nutzen, sowie
die moglichen Folgen der Entscheidungen abgewogen,94 bevor in der abschließenden
Aktionsphase die entsprechende Handlung gesetzt wird.
Ein weiterer relevanter Punkt, den dieses Modell beinhaltet, ist “eine Redefiniti-
onsschleife, die im Falle einer nicht moralkonformen Entscheidung in Gang gesetzt
wird um Schuldgefuhle abzuwehren.”95 So verweist Matthies darauf, die objektive
Situation (etwa die entsprechende Infrastruktur) bei der Planung von Interventi-
onsmaßnahmen mitzubedenken und weist auch auf das Risiko von normzentrierten
Strategien hin: “Sind Normen aktiviert, konnen aber aufgrund von starken konkur-
rierenden Motiven nicht umgesetzt werden, fuhrt dies zu Verantwortungsabwehr
und Redefinitionsprozessen.”96
91Waldmann 1992, S. 62.92Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 17 und Matthies 2005, S. 73.93Vgl. Huber 2001, S. 51.94Vgl. Matthies 2005, S. 70 und Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 7 f und 17.95Matthies 2005, S. 70.96Ebd., S. 71.
27
3. Verhaltenstheoretische Ansatze und die Rolle der Umweltbildung
3.3.4. Gewohnheiten und Routinen
Da jeder Entscheidungsprozess außerdem durch die Variablen Gewohnheiten und
Handlungssituation beeinflusst wird97 und der Großteil des umweltrelevanten Ver-
haltens im Alltag verankert und damit durch Routinen gekennzeichnet ist, wurde
auch der Faktor Verhaltensgewohnheiten in das Modell integriert. Sehr haufig
wird Alltagshandeln nicht immer wieder neu bewusst entschieden, sondern von
Routinehandlungen bestimmt. Alltagshandlungen werden als Verhaltensgewohn-
heiten und Verhaltensmuster automatisiert und habitualisiert und zur”kogniti-
ven Entlastung“ wird in alltaglichen Situationen auf bekannte Handlungsmuster
zuruckgegri"en. Diese automatisierten Handlungen sind sehr anderungsresistent
und bedurfen gewichtiger Umstandsanderungen oder Wahrnehmungen als Anstoß
fur das Uberdenken der gewohnten Verhaltensmuster.98 Routinen konnen in meh-
reren Handlungsphasen des Modells wirksam werden. Einerseits konnen in der
ersten Phase, der Normaktivationsphase, kognitive Prozesse blockiert und nicht alle
verfugbaren Handlungsalternativen mit entsprechenden Handlungskonsequenzen
wahrgenommen werden. Andererseits konnen Gewohnheiten als Verhaltenskosten
(gewohntes Verhalten ist leichter ausfuhrbar als neues, ungewohntes) in der Moti-
vationsphase interpretiert werden. Ein dritter Punkt, an dem Routinen wirksam
werden, ist, wenn keine bewusste Entscheidung stattfindet, also das gesamte (be-
wusst wahrgenommene) Handlungsmodell”ubersprungen“ wird, und sofort die
routinierte Aktion stattfindet.99
Auch hier sieht Matthies Ansatzpunkte fur Interventionsmaßnahmen: so konnten
etwa durch temporar starke Veranderungen der Rahmenbedingungen oder Hand-
lungssituationen oder durch die Moglichkeit, alternatives Verhalten zu erproben
(beispielsweise Freitickets fur o"entliche Verkehrsmittel), Gewohnheiten aufgebro-
chen werden und die Wahrnehmung und Neu-Bewertung von Handlungsalternativen
beeinflussen und unterstutzen.100
97Vgl. Lenßen 2011, S. 17.98Vgl. Priewasser 2010b, S. 12 und Erb 2007, S. 32.99Vgl. Matthies 2005, S. 71.
100Vgl. ebd., S. 73.
28
4. Die Rolle von Bildung und
Sozialisation
Nach der Frage, wovon umwelt- oder nachhaltigkeitskonformes Verhalten abhangig
ist, stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Rolle der Bildung. Von den
in Kapitel 3 beschriebenen verhaltenstheoretischen Erklarungsansatzen wurden
bereits verschiedene Ansatzpunkte zur Forderung von an Nachhaltigkeit orientier-
tem Verhalten abgeleitet. Es lassen sich nicht nur notwendige Veranderungen der
außeren Bedingungen, sondern - insbesondere von den in Kapitel 3.3 identifizierten
Wirkungsfaktoren - auch Anknupfungspunkte auf individueller Ebene ableiten, wo
Bildung fur nachhaltige Entwicklung an verschiedenen Punkten einer Handlung Ein-
fluss nehmen und damit entscheidungsformend wirken kann.101 In diesem Kapitel
soll geklart werden, wie Menschen zu dem in der Normaktivationsphase bedeut-
samen Wissen kommen, wie die in der Motivationsphase wirksamen personlichen
und sozialen Normen gelernt werden und wie Verhaltensgewohnheiten entstehen
und beeinflusst werden konnen.
4.1. Wissen, Kenntnisse und Kompetenzen
Ziel von BNE (vgl. Kapitel 5.1.4: Bildung fur nachhaltige Entwicklung) ist es
nicht, einzelne Handlungen zu fordern oder konkrete Handlungsanleitungen zu
geben - was angesichts der Komplexitat, Vielschichtigkeit und Ungewissheit des
Themenkomplexes auch unmoglich erscheint - sondern zu zeigen, dass ein Großteil
der Alltagshandlungen vielfaltige Auswirkungen mit sich bringen, die mitbedacht
werden sollten.102 Auch wenn der statistische bzw. faktisch-reale Zusammenhang
zwischen Kenntnissen, Einstellungen und Verhalten relativ gering ist (vgl. Kapitel
3.1: Zusammenhang Umweltbewusstsein und Umweltverhalten), nicht geklart ist,
was genau man wissen und konnen muss, um sich nachhaltig zu verhalten, und sich
Bildung fur nachhaltige Entwicklung hauptsachlich darauf konzentriert, erforderliche
Kompetenzen zu vermitteln, sind Fakten- und Systemwissen sowie Machbarkeits-
und Verantwortungsgefuhle grundlegende Voraussetzungen fur umweltgerechtes
101Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 18 und Priewasser 2009, S. 70 !.102Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 36.
29
4. Die Rolle von Bildung und Sozialisation
Verhalten, und deren Vermittlung wichtiger Bestandteil von BNE.103 Schober nennt
dafur vier Grunde:
1. Bewusstes, an Nachhaltigkeit orientiertes Handeln ist ohne Wissen uber
bestehende Probleme, die Folgen des eigenen Handelns und moglicher Hand-
lungsalternativen nicht moglich,
2. das Erlernen von Fahigkeiten und Kompetenzen (vgl. Kapitel 5.4.1: Ansatz
der Gestaltungskompetenz) ist auf konkrete Inhalte und einen Sinn stiftenden
Kontext angewiesen,
3. Verantwortungsgefuhl und Erwartungshaltungen gegenuber anderen konnen
erst entwickelt werden, wenn die Konsequenzen des eigenen und fremden
Handelns und bestehende Handlungsalternativen bekannt sind und
4. Basiskenntnisse sind Voraussetzung fur die Teilhabe an einem gesellschaftli-
chen Diskurs uber nachhaltige Entwicklung, der aufgrund bisher fehlender
Losungen auch in Zukunft gefuhrt werden muss.
Ohne Wissen uber den Ist-Zustand der Umwelt, vorherrschende Menschen- und
Weltbilder, Lebens- und Denkweisen, uber Auswirkungen von Handlungen und
bestehende Handlungsalternativen ist eine Reflexion daruber nicht moglich.104
Mit dem Verweis auf ipsative Restriktionen gibt die Wahrnehmungspsychologie
dem Faktor Wissen eine weitere Bedeutung: Ipsative Restriktionen meinen jene
Einschrankungen, die aufgrund des “nicht in den Sinn kommens” auf samtliche
Entscheidungen und Handlungen wirken. Erstens schranken sie die im entschei-
denden Moment bedachten Handlungsalternativen ein und zweitens haben sie
Auswirkungen darauf, welche Konsequenzen diesen Alternativen im Entscheidungs-
moment zugeschrieben werden und wie die einzelnen Optionen demnach bewer-
tet werden. Die Wahrnehmung von Gegebenheiten, den tatsachlich verfugbaren
Handlungsmoglichkeiten und bestehenden Restriktionen, sowie die Bewertung der
verschiedenen Optionen und deren Konsequenzen sind nicht nur von den objek-
tiv gegebenen Rahmenbedingungen und Einschrankungen abhangig, sondern es
mussen auch ipsative Restriktionen berucksichtigt werden. Nur mit einem ent-
sprechenden Wissen uber verschiedene konkrete Handlungsalternativen und deren
Auswirkungen kann einem dieses Wissen im entscheidenden Moment auch einfallen
und angewendet werden.105
Die Umwelt- und Bildungspsychologie zeigt zudem, dass fur handlungsrelevantes
Lernen - den Aufbau und die Stabilisierung neuen Verhaltens - der Kontext des
Wissenserwerbs mitentscheidend ist. Wissen muss einen Gebrauchswert haben,
103Vgl. Schober 2002, S. 16 f.104Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 283 f.105Vgl. Tanner und Foppa 1996, S. 245 ! und Preisendorfer und Franzen 1996, S. 231.
30
4. Die Rolle von Bildung und Sozialisation
die Vermittlung von Fakten alleine reicht nicht aus, sondern es muss sich auf
Zusammenhange und konkrete, lebens- und praxisnahe Prozesse beziehen, eige-
ne Handlungs- und Mitgestaltungsmoglichkeiten und deren Relevanz aufzeigen
und Emotionalitat und Sinnhaftigkeit miteinbeziehen.106 Auch das Sichtbar- oder
Erfahrbarmachen der Handlungskonsequenzen, die aus einzelnen Handlungen resul-
tieren, und das Erkennen der Bedeutung des Themas auch fur das eigene Leben,
werden als bedeutend angesehen. Die SchulerInnen mussen sich uber ihren Einfluss
und ihre Moglichkeiten bewusst sein, was aufgrund der oft nicht direkt wahrnehm-
und abschatzbaren Folgen und Entwicklungen schwierig ist.107 Diese Schwierigkeit
verweist aber gleichzeitig darauf, dass die von einer BNE angestrebten Schlussel-,
Handlungs- und Gestaltungskompetenzen anhand konkreter Beispiele gelehrt und
gelernt werden mussen, um die erforderliche Handlungsrelevanz des Wissens- und
Kompetenzenerwerbs herzustellen.
4.2. Werte, Normen und Einstellungen
Die Sozialisationstheorie bettet Erziehung und Bildung in einen gesamtgesell-
schaftlichen Kontext, indem sie zeigt, dass jeder Mensch - sein Wissen und seine
Werthaltungen - vom jeweiligen Kontext, in dem er aufwachst, gepragt wird. In
verschiedenen Institutionen - wie auch in der o"entlichen Pflichtschule als eine
der wichtigsten Bildungsinstitution - werden gesellschaftlich gewollte, kulturelle
Grunduberzeugungen, Werthaltungen und Normen an die heranwachsende Generati-
on weitergegeben, und deren Nicht-Einhaltung sanktioniert, um den Fortbestand der
Gesellschaft zu gewahrleisten.108 Laut Verhaltensforschung haben auch personliche
Einstellungen, Werte und Normen - so wie Faktenwissen - nur begrenzten Einfluss
auf das tatsachliche (Umwelt-)Verhalten.109 Sie haben jedoch Auswirkungen auf
die eigene Nutzenwahrnehmung (Umweltfreundlichkeit als Zusatznutzen),110 auf
den ipsativen Moglichkeitsraum (“Art und Anzahl der Handlungsalternativen [...]
die einem im gegebenen Moment in den Sinn kommen”111), auf Sensibilitat, Auf-
merksamkeit, Deutung und Bewertung bestimmter Themen und die Akzeptanz
unterschiedlicher Maßnahmen,112 auf Verantwortungszuweisung und Erwartungs-
haltung,113 sowie auf intrinsische Motivation und Handlungsbereitschaft bezuglich
nachhaltigem Verhalten.114 Durch (vor allem fruhkindliche) Sozialisation werden
106Vgl. Lechner 2011a.107Vgl. Engartner 2010, S. 29 und Fietkau und Kessel 1984, S. 41.108Vgl. Fend 2008, S. 14, 19 und 29 f und Ebner 2011, S. 8.109Vgl. Preisendorfer und Franzen 1996, S. 233.110Vgl. Priewasser 2009, S. 72.111Tanner und Foppa 1996, S. 259.112Vgl. ebd.113Vgl. Schober 2002, S. 16.114Vgl. Priewasser 2009, S. 66 f.
31
4. Die Rolle von Bildung und Sozialisation
all diese Werte und Normen vermittelt und gelernt. Gleichzeitig ist jedes Bildungs-
systeme “Instrument des sozialen Wandels, wenn es darauf ausgerichtet wird, neue
Qualifikationen zu vermitteln, um zukunftige Aufgaben bewaltigen zu konnen.”115
Vollzieht sich dieser angestrebte Wertewandel bei einer “kritischen Masse”, so
werden viele individuelle Normen zu neuen sozialen Normen116 und wirken dann
ebenfalls sowohl direkt (durch Erwartungshaltungen, Orientierungshilfen im Alltag
oder soziale Anreize wie positives oder negatives Feedback) als auch indirekt (uber
das Meinungsbild in der Bevolkerung und die dadurch beeinflusste Akzeptanz
von beispielsweise politischen Entscheidungen oder technischen und okonomischen
Entwicklungen) auf das individuelle Verhalten.117
Werte- und Einstellungsformung im Rahmen der Umweltbildung wirken damit
sowohl auf die/ den einzelneN SchulerIn, als auch auf ihr/ sein soziales Umfeld.118
Dieses soziale Umfeld - weiter gefasst der gesamte kulturelle Kontext mit seinen
Menschen- und Weltbildern, Normen, Werten und Grunduberzeugungen - wirkt
bewusst und unbewusst im Sinne von Sozialisation ebenfalls auf jedeN Einzel-
neN, was eine bewusste Reflexion dieser verinnerlichten Bilder und Normen als
entscheidenden Teil der Bildung fur nachhaltige Entwicklung (BNE) erscheinen
lasst.119
4.3. Verhaltensgewohnheiten
Eine entscheidende Rolle im individuellen Verhalten, insbesondere im Alltagsverhal-
ten, spielen Routinen und Verhaltensgewohnheiten, da der Großteil der Handlungen
nicht aufgrund immer wieder von Neuem bewusst getro"ener Entscheidungen,
sondern aufgrund von unreflektierten, gewohnten Verhaltensmustern bestimmt wird120 (vgl. Kapitel 3.3.4: Gewohnheiten und Routinen). Bewusste Entscheidungen
und bewusst gesetzte Handlungen konnen sich langfristig zu selbstverstandlichen
Routinen verfestigen.121 An diesem Punkt kann auch BNE ansetzen, da der Grund-
stein vieler dieser Verhaltensweisen bereits in fruhen Sozialisationsphasen der
Kindheit gelegt wird und jede Gewohnheit einmal durch bewusst getro"ene Ent-
scheidungen entstanden ist.122 Durch bereits fruh ansetzende BNE lernen die Kinder
nachhaltigkeitskonforme Handlungsalternativen kennen und konnen entsprechende
Handlungsmuster erlernen und verfestigen.
115Fend 2008, S. 49.116Vgl. Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 18.117Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 67, Tanner und Foppa 1996, S. 266 und Preisendorfer und
Franzen 1996, S. 220 und 235.118Vgl. Priewasser 2009, S. 70 !.119Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 67.120Vgl. Priewasser 2009, S. 70 ! und Tanner und Foppa 1996, S. 248.121Vgl. Schober 2002, S. 13 f.122Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 72 f und Priewasser 2009, S. 70 !.
32
5. Die Schule als wichtiger Akteur
bei der Erziehung zu
Nachhaltigkeit
Die konkrete Umsetzung des komplexen Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung
ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die veranderte Einstellungen, Werte, Nor-
men, Denk- und Handlungsweisen, sowie Veranderungen in den institutionellen
und infrastrukturellen Rahmenbedingungen braucht. Dazu bedarf es vor allem
fahiger, verantwortungsbewusster und motivierter Gesellschaftsmitglieder, die den
damit einhergehenden Diskurs und Meinungsbildungsprozess nicht nur verfolgen
und entsprechende politische Entscheidungen mittragen, sondern die sich aktiv
daran beteiligen.123 Dies erfordert von allen Beteiligten unter anderem ein gewisses
Maß an Orientierungswissen, die Fahigkeit, Systemzusammenhange zu verstehen
und zu reflektieren und einen Mix an kooperativen, kommunikativen und kreativen
Schlusselkompetenzen, die oft unter dem Stichwort Handlungs- oder Gestaltungs-
kompetenz diskutiert werden.124 In der Agenda 21 wird Bildung als wesentlicher Teil
des Nachhaltigkeitsprozesses, als “eine unerlaßliche Voraussetzung fur die Forderung
einer nachhaltigen Entwicklung und die Verbesserung der Fahigkeit der Menschen,
sich mit Umwelt- und Entwicklungsfragen auseinanderzusetzen”125 beschrieben.
“Sowohl die formale als auch die nichtformale Bildung sind unabdingbare Voraus-
setzungen fur die Herbeifuhrung eines Bewußtseinswandels [!] bei den Menschen”
sowie “von entscheidender Bedeutung fur die Scha"ung eines okologischen und
eines ethischen Bewußtseins [!] sowie von Werten und Einstellungen, Fahigkeiten
und Verhaltensweisen, die mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar sind”126
Schule ist in der westlichen Welt eine wesentliche Sozialisationsinstanz und soll
junge Menschen dazu befahigen, sich unter anderem mit “Schlusselproblemen der
modernen Welt”127 auseinanderzusetzen und Grundlagen fur den Umgang damit
123Vgl. Kleinhuckelkotten 2005, S. 34, Bundesministerium fur Land- und Forstwirtschaft, Umweltund Wasserwirtschaft 2002, S. 12, De Haan und Kuckartz 1996, S. 282 f und Waldmann 1992,S. 93.
124Vgl. Kyburz-Graber und Hogger 2000, S. 153, Kromer und Oberhollenzer 2004, S. 3 f, De Haanund Kuckartz 1996, S. 283 f und Kleinhuckelkotten 2005, S. 34.
125Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung 1992, S. 281.126Ebd.127Klafki 2004, S. 68.
33
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
vermitteln. Das Bildungssystem im Allgemeinen und die Schule im Speziellen stellen
nur einen von vielen verhaltensformenden Faktoren dar. Schule kann nicht allein fur
diese erwunschte Entwicklung verantwortlich gemacht werden, aber sie muss als Teil
eines gesamtgesellschafltichen Prozesses einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung
einer nachhaltigen Gesellschaft leisten.128 Weiters ist zu bedenken, dass BNE nicht
nur direkt, sondern vor allem auch indirekt, langfristig und nicht-linear wirkt, was
eine Wirksamkeits-Messung schwierig macht.129 Schober130 verweist zudem darauf,
dass es aufgrund der Fulle und Komplexitat der von BNE betro"enen Themen fur
eine erfolgreiche Umsetzung in der Schule eine strukturelle Neuorganisation, sowie
ein verandertes Wissensspektrum in der LehrerInnenbildung und in den Unter-
richtsmaterialien braucht. Anhand konkreter Beispiele131 lasst sich aber zeigen, dass
mit entsprechendem Interesse und Engagement bereits jetzt (auch in Volksschulen)
viele Themen erfolgreich bearbeitet und vermittelt werden konnen. In seiner Exper-
tise “Bildung fur nachhaltige Entwicklung in der Grundschule” greift De Haan132
mehrere Bedenken, BNE bereits in der Grundschule zu unterrichten, auf, und zeigt
Chancen und Moglichkeiten, das Konzept der Gestaltungskompetenz bereits in der
Primarstufe umzusetzen (vgl. Kapitel 5.4.1: Ansatz der Gestaltungskompetenz).
Den Vorwurf, dass Umweltbildung auf “Manipulation der Individuen” hinauslau-
fe und eine “von außen oktroyierte Umweltmoral” forciere, lassen De Haan und
Kuckartz nicht gelten. Erstens beruhe jede bewusste Handlung auf bestimmten Ent-
scheidungskriterien, die naturlich durch Bildung, Sozialisation und gesellschaftlichen
Diskurs zuganglich gemacht werden mussten, und zweitens sei auch umweltrele-
vantes Verhalten von - naturlich erlernten - Lebens- und Denkstilen im jeweiligen
kulturellen Kontext abhangig.133
Wie genau sich die Rolle der Schule in Bezug auf Umweltbildung entwickelt hat,
wie die umweltpolitische Aufgabe der Schule in der osterreichischen Gesetzgebung
verankert ist und wie die einzelnen Komponenten der Schule im Einzelnen wirken
(konnen), soll in den nachstehenden Kapiteln beleuchtet werden.
128Vgl. Schober 2002, S. 1 und 25, Posch, Rauch und Kreis 2000, S. 7 und Kromer und Oberhol-lenzer 2004, S. 2.
129Vgl. Schober 2002, S. 23 f und Priewasser 2009, S. 66 f und 69.130Vgl. Schober 2002, S. 18.131Siehe dazu unter anderem: De Haan 2009, Kunzli David 2007, Kunzli David et al. 2008 oder
Engartner 2010, S. 34 und 56 !.132Vgl. De Haan 2009.133Vgl. De Haan und Kuckartz 1996, S. 283 f.
34
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
5.1. Historischer Blick auf Umwelterziehung in der
Schule
Weder der Begri" der Bildung fur Nachhaltige Entwicklung noch die Begri"e Um-
welterziehung oder Umweltbildung sind klar definiert.134 Seit Anfang der 1970er
Jahre gibt es eine padagogische Debatte uber die konkrete Umsetzung des Auftrags
der Umweltbildung beziehungsweise der spateren Bildung fur nachhaltige Ent-
wicklung in der Schule und es wurden eine Vielzahl von verschiedenen Konzepten
entwickelt.135 Im Folgenden sollen einige dieser Konzepte kurz vorgestellt werden.
5.1.1. Umwelterziehung
Der seit den 1970er Jahren am Leibnitz-Institut fur die Padagogik der Naturwissen-
schaften (IPN) in Kiel unter anderem von Bolscho, Eulefeld und Seybold entwickelte
Ansatz der problem- und handlungsorientierten Umwelterziehung kann als morali-
sierender Ansatz bezeichnet werden. Ausgehend von der damals vorherrschenden
Annahme, dass Umwelthandeln mit Umweltwissen und Umweltbewusstsein in
engem Zusammenhang steht (eine aktuelle und di"erenzierte Darstellung siehe
Kapitel 3.1: Zusammenhang Umweltbewusstsein und Umweltverhalten), wird in
diesem Konzept vordergrundig versucht, den Schulerinnen und Schulern entspre-
chendes Wissen und ein Grundverstandnis uber die Umwelt, sowie die okologischen
Problemlagen mitsamt den biologischen, okonomischen, sozialen und kulturellen Zu-
sammenhangen zu vermitteln. Ziel des Konzeptes ist einerseits eine Sensibilisierung
fur Umweltprobleme, sowie das Wecken von Betro"enheit und Verantwortungs-
gefuhl, durch die entsprechendes Umweltbewusstsein entwickelt und veranderte
Wertvorstellungen gefordert werden. Andererseits soll vor allem die okologische
Handlungskompetenz der heranwachsenden Generationen gestarkt werden, um mit
diesen Fahigkeiten zukunftige Umweltprobleme losen zu konnen. Didaktisch soll
diese Handlungsfahigkeit vor allem durch facherubergreifenden, interdisziplinaren,
auf Situation und Lebenswelt der Kinder bezogenen, handlungsorientierten Un-
terricht - wozu zum Beispiel Projektunterricht als Paradebeispiel zahlt - moglich
werden.136 De Haan137 fasst das Konzept der Umwelterziehung folgendermaßen
zusammen:
“Der Umwelterziehung fallt allgemein die Aufgabe zu, Problembe-
wußtsein [!] bezuglich der okologischen Krise zu wecken, Kenntnisse uber
ihre Ursachen und Gegenmaßnahmen zu vermitteln, moralische Hand-
134Vgl. Heinrich 2005, S. 34.135Vgl. Waldmann 1992, S. 93 und Schreiber 2010, S. 7.136Vgl. ebd., Heinrich 2005, S. 34 ! und Hauenschild und Bolscho 2005, S. 28.137De Haan 1984, S. 78.
35
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
lungsbereitschaft gegen die drohende Katastrophe zu erzeugen, Hand-
lungsfahigkeit und Handlungswillen bei der Bevolkerung zu fordern.”
5.1.2. Okopadagogik
Mitte der 1980er Jahre entwickelten unter anderem Beer und De Haan ein gesell-
schaftskritisches Gegenkonzept zur Umwelterziehung. Fur die aus der Okologiebewegung
hervorgegangene Okopadagogik liegt die Wurzel des Problems - und damit der
angestrebte Ansatzpunkt fur Losungen - tiefer. Ernst gemeinte okologische Bil-
dung musse mehr Abstand zur Industriegesellschaft wahren und eine vollig neue
Mensch-Natur-Beziehung anstreben. Sie kritisieren die Verankerung der klassischen
Umwelterziehung in vorherrschenden Denk-, Wirtschafts- und Gesellschaftsstruk-
turen und die Beschrankung auf rein technologisch-pragmatische und vor allem
anthropozentrische, utilitaristische Losungen,138 welche De Haan als “die versuch-
te Perfektionierung der Naturbeherrschung”139 bezeichnet. Stattdessen setzt die
Okopadagogik auf Reflexion der eigenen Personlichkeit und selbstandiges, selbst-
bestimmtes Handeln in den Mittelpunkt ihres Lernprozesses. Neben der radikalen
Anderung der Gesellschaft, der Grundeinstellung zur Natur und der Beziehung
zwischen Natur und Mensch steht der Ansatz der Okopadagogik fur Dezentralisie-
rung und das Agieren in uberschaubaren, selbst gestaltbaren Lebensraumen, fur
Machtabbau und Partizipation. Lernen bedeutet in diesem durchgangig ganzheitli-
chen Konzept nicht Erziehung, sondern vor allem O"enheit gegenuber sinnlichen
Erfahrungen mit sich selbst, in der Natur, in sozialen Beziehungen und im konkreten
und politischen Leben. Dies konne jedoch nicht im derzeitigen Schulsystem, sondern
vielmehr im Rahmen von Gruppierungen wie Friedens- und Frauenbewegungen,
Burgerinitiativen oder Selbsthilfegruppen stattfinden.140
5.1.3. Weitere Ansatze
Bis heute wurde in der Padagogik eine breite Palette an unterschiedlichsten Kon-
zepten und Ansatzen entwickelt. Um die Bandbreite der Debatte aufzuzeigen,
sollen einige Ansatze hier nur beispielhaft aufgezahlt werden, ohne naher darauf
einzugehen:141
• Ansatz der okologischen Bildung
• Lebensweltansatz
• Padagogik der okologischen Orientierung
138Vgl. Schreiber 2010, S. 7, Heinrich 2005, S. 37 ! und Hauenschild und Bolscho 2005, S. 28 f.139De Haan 1984, S. 78.140Vgl. ebd., S. 83 und 86 und Heinrich 2005, S. 39 f.141Vgl. Waldmann 1992, S. 93 und Schreiber 2010, S. 7.
36
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
• Die naturbezogene Padagogik
• Okologisches Lernen
• Naturnahe Erziehung
• Umweltlernen
• Innovatives Lernen
5.1.4. Bildung fur nachhaltige Entwicklung
Seit der 1992 bei der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio beschlossenen Agen-
da 21 wird Umweltbildung als Bildung fur Nachhaltige Entwicklung konzipiert,
und soll zur Realisierung des gesellschaftlichen Leitbildes einer nachhaltigen Ent-
wicklung beitragen.142 Die Einbeziehung der Bildungsebene in ein gesellschaftliches
Entwicklungskonzept wie das der Nachhaltigkeit geht auf die Annahme zuruck, dass
durch Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen Verhaltensanderungen von Individuen
und damit der gesamten Bevolkerung erreicht werden konnen. Da jedoch kein
geradliniger Kausalzusammenhang zwischen bestimmten Bildungsinhalten, Lehrme-
thoden oder Erziehungsmaßnahmen und den gewunschten Verhaltensanderungen
besteht, wird BNE eher als Prozess und fortwahrende Suche nach neuen Inhal-
ten und didaktisch-methodischen Prinzipien begri"en.143 Wahrend man in den
Vorlaufer-Ansatzen (unter anderem Umweltbildung und entwicklungspolitische
Bildung) noch davon ausging, dass die Menschen vor allem durch entsprechendes
Wissen aufgeruttelt werden mussten - und entsprechend viel mit Bedrohungs- und
Elends-Szenarien gearbeitet wurde - konzentriert sich die von De Haan als Moder-
nisierungskonzept bezeichnete BNE eher auf erreichbare Ziele, auf konstruktive
Kritik und positive Entwicklungsmoglichkeiten. Sie will unter anderem Chancen
und Moglichkeiten von Eigeninitiative und deren Wirksamkeit aufzeigen und dazu
anregen, seine eigene und die Zukunft der Welt in einem nachhaltigen Sinne selbst
positiv zu gestalten.144
Weiters versteht sich BNE als ein viel weiter reichender Ansatz, der neben vormals
okologischen Fragestellungen nun auch eine soziale, politische und gesellschaftlich-
kulturelle Dimension - hinter der die Grundidee einer globalen und generatio-
nenubergreifenden Verteilungsgerechtigkeit steht - sowie eine okonomische Kom-
ponente – etwa im Rahmen von Mobilitats- und Konsumerziehung im Sinne einer
nachhaltigen Entwicklung - in seine Bildungsziele integriert.145
142Vgl. Heinrich 2005, S. 46 !, Schober 2002, S. 10,Hauenschild und Bolscho 2005, S. 43 f undRauch und Kreis 2000, S. 26 f.
143Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 43 f.144Vgl. De Haan 2009, S. 21 f.145Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 43 f, Schreiber 2010, S. 9, Heinrich 2005, S. 46 und 51
und Priewasser 2009, S. 66.
37
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Der BNE wird die Aufgabe zugeschrieben, einen wesentlichen Beitrag zur Um-
setzung des Nachhaltigkeits-Gedankens auf individueller Ebene zu leisten. Sie
soll die heranwachsenden Generationen “zur aktiven Gestaltung einer okologisch
vertraglichen, wirtschaftlich leistungsfahigen und sozial gerechten Umwelt un-
ter Berucksichtigung globaler Aspekte”146 befahigen. Bildung bedeutet in die-
sem Zusammenhang die Befahigung zur “reflexiven, verantwortungsbewussten
Mitgestaltung der Gesellschaft”, also die Fahigkeit, “in konkreten Handlungsfel-
dern Fragen zu bearbeiten, wie sich die Zukunft nachhaltig gestalten lasst”.147
Durch die Vermittlung von Wissen und Kulturtechniken sollen Kompetenzen wie
Demokratie-, Kommunikations-, Reflexions- und Problemlosefahigkeit, Selbstbe-
wusstsein, Selbstbestimmung und Eigeninitiative - die unter anderem unter dem
Schlagwort Gestaltungskompetenz diskutiert werden - erlangt werden, um die
Kinder und Jugendlichen fur den Umgang mit den Herausforderungen der Zukunft
zu wappnen.148
Nach De Haan und Gerhold kann BNE “als Fahigkeit des Individuums, aktiv
an der Analyse und Bewertung von nicht nachhaltigen Entwicklungsprozessen
teilzuhaben, sich an Kriterien der Nachhaltigkeit im eigenen Leben zu orientieren
und nachhaltige Entwicklungsprozesse gemeinsam mit anderen lokal wie global in
Gang zu setzen” definiert werden, und ist somit “ein wesentlicher Bestandteil der
Allgemeinbildung”.149
Welche konkreten Kompetenzen hierfur notig sind und deshalb in der Schule
vermittelt werden sollten wird im Kapitel 5.4.1 naher erlautert.
5.2. Politische Programme zur Forderung von
Umwelterziehung
Seit der Antike gilt die Lernfahigkeit des Menschen als wichtiger Motor fur gesell-
schaftliche Veranderungen. Auch im Bereich des Umweltschutzes beziehungsweise
des spateren Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung wurde neben ordnungs-
politischen Maßnahmen und Steuerungsinstrumenten des Staates schon fruh die
Umweltbildung - mit ihrem informierenden und appellierenden Charakter - als
wichtiges umweltpolitisches Instrument erkannt.150 Auch der Rat der Europaischen
Union betrachtet Bildung auf allen Ebenen des Bildungssystems als eine Grundvor-
aussetzung fur die Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung.151
Im Folgenden soll lediglich eine knappe Auswahl an internationalen und na-
146Hauenschild und Bolscho 2005, S. 43.147Heinrich 2005, S. 51.148Vgl. ebd. und Schober 2002, S. 9.149De Haan und Gerhold 2008, S. 5.150Vgl. Langner 2010, S. 14 ! und 45 und Fischer 2008, S. 1.151Vgl. Rat der Europaischen Union 2010.
38
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
tionalen umwelt- und bildungspolitischen Programmen und Dokumenten zur Un-
terstutzung von BNE skizziert werden.
5.2.1. Agenda 21
Die Agenda 21 ist das Abschlussdokument des 1992 in Rio de Janeiro stattgefun-
denen Weltgipfels der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung, das von
mehr als 170 Staaten unterzeichnet wurde, die sich damit verpflichteten, dieses
Aktionsprogramm zur Forderung einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung in
ihren Staaten umzusetzen.152 In der Agenda 21 wird der Bildung ausdrucklich ein
zentraler Stellenwert fur die erfolgreiche Umsetzung, Verbreitung und Verankerung
einer nachhaltigen Entwicklung zugewiesen.153 Laut Kapitel 25 der Agenda 21 ist
es fur einen langfristigen Erfolg entscheidend, Kinder und Jugendliche auf allen fur
sie relevanten Ebenen aktiv in umwelt- und entwicklungspolitische Entscheidungs-
prozesse und die Umsetzung von Programmen mit einzubeziehen.154 Weiters sollen
die Regierungen sicherstellen, dass “in allen Lehrplanen Konzepte zur Scharfung
des Umweltbewußtseins [!] und fur eine nachhaltige Entwicklung enthalten sind.”155
Im Kapitel 36 wird die Rolle des Bildungssektors thematisiert und anhand eines
Maßnahmenkataloges konkretisiert:156
Da “immer noch ein erheblicher Mangel an Bewußtsein [!] im Hinblick
auf die Wechselbeziehung zwischen der Gesamtheit der anthropogenen
Aktivitaten und der Umwelt” besteht, bedarf es laut Agenda 21 “einer
weltweiten Bildungsinitiative zur Starkung von Einstellungen, Wert-
vorstellungen und Handlungsweisen, die mit einer nachhaltigen Ent-
wicklung vereinbar sind”, um “die Aufgeschlossenheit der Bevolkerung
gegenuber Umwelt- und Entwicklungsfragen und ihre Beteiligung an
der Losungsfindung zu steigern und ein Bewußtsein [!] fur die eigene
Verantwortung fur die Umwelt, sowie eine bessere Motivation und ein
starkeres Engagement fur eine nachhaltige Entwicklung zu fordern.”157
Bildungspolitisches Ziel ist es, “zum fruhestmoglichen Zeitpunkt
uberall in der Welt und in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Umwelt-
und Entwicklungsbewußtsein [!] zu entwickeln”, Umwelt- und Entwick-
lungskonzepte in alle Bildungsbereiche zu integrieren und somit “allen
Bevolkerungsgruppen vom Primarschul- bis zum Erwachsenenalter den
152Vgl. Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung 1992, S. 1.153Vgl. Kromer und Oberhollenzer 2004, S. 3, Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 31 f und
De Haan und Gerhold 2008, S. 5.154Vgl. Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung 1992, S. 244.155Ebd., S. 245.156Vgl. ebd., S. 281 !.157Ebd., S. 281.
39
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Zugang zur umwelt- und entwicklungsorientierten Bildung/ Erziehung
im Verbund mit der Sozialerziehung zu ermoglichen.”158
5.2.2. OECD-Projekt “Environment and School Initiatives”
Seit 1986 beschaftigt sich das OECD-Projekt “Environment and School Initiatives”
(ENSI), ein internationales Forschungs- und Entwicklungsnetzwerk, mit den Themen
Umwelterziehung, Schul- und Qualitatsentwicklung und Bildung fur nachhaltige
Entwicklung. Das ENSI-Netzwerk unterstutzt Erfahrungsaustausch (Workshops,
Seminare und Konferenzen) und Bildungsinnovationen zur Forderung einer nach-
haltigen Entwicklung, gibt bildungspolitische Empfehlungen und Stellungnahmen
ab, publiziert Forschungsergebnisse und gibt damit Impulse fur Schulentwicklung
und LehrerInnenbildung. Die osterreichischen Schwerpunkte liegen in den Bereichen
Schulentwicklung (OKOLOG - Okologisierung von Schulen) und LehrerInnenbil-
dung (UMILE).159 Bei allen Schulinitiativen im Rahmen des Projektes wird die
Entwicklung von Handlungskompetenz in den Mittelpunkt gestellt und es gelten
folgende vereinbarten Prinzipien:160
• Personliche Erfahrung und Anteilnahme der Lehrenden und Lernenden,
• Interdisziplinares Lernen und Forschen,
• Generierung ’lokalen Wissens’, das in der Lebensumwelt der Kinder und
Jugendlichen erarbeitet und wirksam wird,
• Erwerb von ’dynamischen Fahigkeiten’ wie Kooperations- und Problemlosungsfahigkeit,
Eigeninitiative und Eigenstandigkeit oder selbstandiger Wissenserwerb,
• Gesellschaftlich bedeutsames Handeln,
• Ubertragung von Gestaltungsverantwortung an die SchulerInnen durch Ein-
beziehung in Entscheidungsprozesse uber Problemdefinition, Problembearbei-
tung und Qualitatskontrolle,
• Systematische Reflexion und Dokumentation der Initiativen.
5.2.3. Die UN-Dekade Bildung fur Nachhaltige Entwicklung
2002 wurden von der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Johannesburg
die Jahre 2005 bis 2014 zur UN-Weltdekade “Bildung fur nachhaltige Entwicklung”
ausgerufen, im Rahmen derer unter anderem die Anliegen der Agenda 21 auf
158Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung 1992, S. 284.159Vgl. Pfa!enwimmer o. J..160Vgl. Rauch und Kreis 2000, S. 23 und Heinrich 2005, S. 42 !.
40
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Bildungsebene weitergefuhrt und vertieft werden sollen. Ziel der Dekade ist es,
einen Paradigmenwechsel Richtung nachhaltiger Entwicklung global einzufuhren
und eine nachhaltige Entwicklung dauerhaft zu gewahrleisten. Dies soll durch
weltweite Bildungsmaßnahmen unterstutzt werden. Hierfur verpflichten sich die
Mitgliedsstaaten, Nachhaltigkeit in ihrem Bildungssystem zu verankern und natio-
nale Bildungsstrategien zu entwickeln, in denen alle Beteiligten auf allen Ebenen
des Bildungsbereiches zur aktiven Mitarbeit aufgerufen werden. Hierzu zahlen
neben dem Schulsystem vom Kindergarten bis zur Hochschule und Erwachsenenbil-
dung unter anderem auch im Bildungsbereich engagierte NGOs oder Medien. Die
UNESCO wurde als Koordinationsstelle beauftragt, internationale und nationale
Aktivitaten zur BNE auszulosen und zu bundeln, forderliche Rahmenbedingungen
zu scha"en, die Staaten bei der Umsetzung ihrer Bildungsstrategien zu unterstutzen
sowie selbst internationale Bildungsaktionen durchzufuhren.161
Im Zentrum der Dekade stehen die Themenfelder Armutsbekampfung, Gender
Equality, Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz, Stadt-Land-Ausgleich, Menschen-
rechte, Interkulturelle Verstandigung und Frieden, Nachhaltige Produktion und
Konsum, Kulturelle Vielfalt sowie Bildungszugang und Alphabetisierung.162
In Osterreich wurde hierfur 2005 vom Bundesministerium fur Land- und Forstwirt-
schaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und dem Bundesministerium fur Wissenschaft
und Forschung eine ExpertInnengruppe beauftragt, ein Rahmenkonzept fur eine
nationale Strategie zu entwickeln, in dem Grundlagen, Bedingungen, Perspektiven
und strategische Konzepte einer osterreichischen Bildungsstrategie erarbeitet und
dargestellt wurden.163
Bei der Konferenz”Bildung fur Nachhaltige Entwicklung“, die 2009 mit uber
700 Teilnehmern aus 150 Landern in Bonn stattfand, wurde die bisherige Imple-
mentierung der UN-Dekade resumiert und die Bonner Erklarung verabschiedet, in
der zur weltweiten Neuausrichtung der Bildungssysteme aufgerufen wird.164
5.2.4. Osterreichische Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung
Im April 2002 wurde von der Bundesregierung die “Osterreichische Strategie zur
Nachhaltigen Entwicklung” beschlossen. In 20 Leitzielen wird dargelegt, wie alle ge-
sellschaftlichen Akteure zu einer nachhaltigen Entwicklung in Osterreich beitragen
sollen. Die Schule, als einer der gesellschaftlichen Akteure, wird dazu aufgefordert,
bei der Umsetzung des gesamtgesellschaftlichen Auftrages einer nachhaltigen Ent-
wicklung mitzuwirken und dabei folgende Grundprinzipien bei ihren Entscheidungen
161Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 85 f, Heinrich et al. 2007, S. 7 f, Heinrich 2005, S. 15 undOsterreichische UNESCO-Kommission 2011.
162Vgl. Heinrich 2005, S. 15.163Vgl. Heinrich et al. 2007, S. 7 f.164Vgl. Osterreichische UNESCO-Kommission 2011.
41
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
zu berucksichtigen:165
• Das Vorsorgeprinzip umsetzen: den Schutz der naturlichen Ressourcen, wirt-
schaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Stabilitat fur kunftige Generationen
garantieren.
• Vielfalt erhalten: kontinuierliche Weiterentwicklung durch Vielfalt in Natur,
Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft gewahrleisten.
• Integrative Losungen anstreben: durch ganzheitliches Denken, Inter- und
Transdisziplinaritat okologische, okonomische und soziale Herausforderungen
bewaltigen.
• Raum fur Innovationen scha"en: soziale, institutionelle und technische Innova-
tionen durch Starkung der Selbstorganisationskrafte und Selbstlauferprozesse
in kreativen Freiraumen fordern.
• Gerechtigkeit und Solidaritat vorleben: auch durch Abgelten gesamtgesell-
schaftlich erwunschter Leistungen kann Gerechtigkeit auf internationaler
Ebene, zwischen Generationen, sozialen Gruppen, Altersgruppen und zwi-
schen den Geschlechtern gescha"en werden.
• Wissen und Wollen starken: einen zukunftsorientierten Wertewandel und eine
nachhaltige Zukunft durch eine an den Lebenswelten der Menschen orientierte
Uberzeugungsarbeit ermoglichen.
• Qualitat und Gesundheit sichern: einen neuen Lebensstil fordern, der sich an
Werten wie soziale Beziehungen, sinnstiftende und motivierende Arbeitsplatze,
qualitatives Wachstum und Zeitwohlstand orientiert.
• Regionalitat und Subsidiaritat fordern: unter Beachtung der unterschiedlichen
lokalen Voraussetzungen soll das vielfaltige, regionale Wissen genutzt und
so die Zukunftskompetenz der regionalen und kommunalen Ebene gestarkt
werden.
• Lokale Identitat starken: fur den Erhalt von Vielfalt und Unverwechselbarkeit
in einer globalisierten Welt muss das Bewusstsein fur lokale Identitat, Kultur
und Tradition gestarkt werden.
• Partizipation und Vernetzung unterstutzen: durch die Scha"ung entspre-
chender struktureller Voraussetzungen und die Starkung von Partizipati-
onsmoglichkeiten die Teilhabe an politischen Entscheidungs- und Gestaltungs-
prozessen ermoglichen und fordern.
165Vgl. Bundesministerium fur Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2002,S. 11 f.
42
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
• Klare Signale setzen: unterschiedliche Politiken mussen klare und abgestimm-
te Zielsetzungen verfolgen, durch langfristige und konsistente Signale die
Planungssicherheit erhohen und sich gegenseitig starken.
• E!zienz und E"ektivitat durch Kostengerechtigkeit erreichen: durch Interna-
lisierung der Sozial- und Umweltkosten sollen deutliche finanzielle Anreize
gesetzt werden und soll sich zukunftsvertragliches Verhalten auch individuell
lohnen.
• Weiterentwicklung und permanentes Lernen garantieren: durch Prozessori-
entierung, Reflexivitat und einen konstruktiven Umgang mit Interessens-
gegensatzen soll eine als dynamischer, gesamtgesellschaftlicher Lern- und
Gestaltungsprozess verstandene nachhaltige Entwicklung moglich werden.
Im Leitziel 4 - “Bildung und Forschung scha"en Losungen” dieser osterreichischen
Strategie wird der explizite Auftrag an das gesamte osterreichische Bildungssystem
noch einmal unterstrichen.166
5.2.5. FORUM Umweltbildung
FORUM Umweltbildung, das Osterreichisches Portal zur Umweltbildung und Bil-
dung fur nachhaltige Entwicklung, wurde vom Bundesministerium fur Land- und
Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und vom Bundesministerium fur
Unterricht, Kunst und Kultur als umweltpolitisches Instrument zur Etablierung und
Integration des Nachhaltigkeits-Leitbildes in der osterreichischen Bildungslandschaft
eingerichtet. Das Forum versteht sich als Informations- und Koordinationsstelle, als
Innovations- und Projektagentur und entwickelt, plant und unterstutzt unterschied-
lichste Bildungsprogramme fur verschiedene Zielgruppen (Schulen, Universitaten,
Gemeinden, Okopadagoginnen, LehrerInnen,...).167 Im Leitbild des Forums heißt
es:
“Die Tatigkeit des FORUM Umweltbildung ist geleitet durch die
enge Kooperation mit VertreterInnen aus thematisch relevanten Bil-
dungsorganisationen und -institutionen, der Verwaltung, NGOs, der
außerschulischen Jugendbildung und von Medien.”168
Arbeitsschwerpunkte waren unter anderem:169
• Okologisierung von Schulen und Aufbau des OKOLOG-Netzwerkes
166Vgl. Bundesministerium fur Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2002,S. 35 !.
167Vgl. FORUM Umweltbildung o. J.a.168Ders. o. J.b.169Vgl. ders. o. J.a.
43
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
• Umweltzeichen fur Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen
• Jugendliche und Schulen in der Lokalen Agenda 21
• Projektforderungen durch den Bildungsforderungsfonds fur Gesundheit und
Nachhaltige Entwicklung
• Innovationen in der LehrerInnenausbildung durch den BiNE-Lehrgang.
5.2.6. Fazit
In den vorgestellten Programmen und Strategien wird zwar ausdrucklich die Bedeu-
tung der Bildung betont, die angestrebten Ziele - etwa Umwelt und Entwicklung
in alle Bildungsbereiche einzuarbeiten - und geplanten Maßnahmen sind jedoch
durchgehend sehr weitreichend und o"en formuliert.
Auch die osterreichische Strategie zur Bildung fur nachhaltige Entwicklung ist
sehr allgemein gehalten und das Kapitel”Umsetzung - Primarstufe“ fallt mit einem
einzigen Satz sehr kurz aus. Hier heißt es lediglich:”Die ganzheitliche Ausrichtung
und Gestaltung des Lehrens und Lernens in der Primarstufe ist um die Dimension
der Bildung fur nachhaltige Entwicklung zu reflektieren und zu erweitern.”170 Laut
Huber171 werden Beitrage der Politik aber erst dort relevant und interessant, wo es
um konkrete Regelungen und Maßnahmen geht.
In dem von einer ExpertInnengruppe ausgearbeiteten Rahmenkonzept fur eine
osterreichische Bildungsstrategie heißt es hierzu:
“Eine Bildung fur Nachhaltige Entwicklung, die ihrem Anspruch
gerecht werden will, muss daher die Strukturen verandern, welche die
Einlosung dieser bereits als rechtlich verbindlich formulierten Ziele ver-
hindern. Derzeit scheint hierfur ein konsensfahiger politischer Wille
jedoch zu fehlen. Eine Strategie einer Bildung fur Nachhaltige Entwick-
lung wird daher auch dafur Sorge tragen mussen, dass diese Di"erenz
zwischen politischen Willensbekundungen und fehlendem politischen
Umwetzungswillen uberwunden wird. Eine Politik, die sich eine Strate-
gie einer Nachhaltigen Entwicklung ’auferlegt’, muss sich selbst in die
Pflicht nehmen und bereits verankerte Ziele umsetzen.”172
170Bundesministerium fur Land- und Forstwirschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Bundesmi-nisterium fur Unterricht, Kunst und Kultur und Bundesministerium fur Wissenschaft undForschung 2008, S. 16.
171Vgl. Huber 2001, S. 336.172Heinrich et al. 2007, S. 17.
44
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
5.3. Rechtsgrundlagen fur den
Umwelterziehungsauftrag
Fur Funk besteht kein Zweifel daran, dass es Aufgabe der Bildungspolitik ist,
“Nachhaltigkeitswissen im Bildungssystem rechtlich zu verankern und tatsachlich
zu gewahrleisten.”173 Diese Verankerung findet in den nachfolgend beschriebenen
Rahmenbedingungen auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Reichweiten und
unterschiedlicher Intensitat statt.174 Bereits 1979 fand Umweltbildung durch das
“Unterrichtsprinzip Umweltbildung” Eingang in die ersten Lehrplane. 1984 wurden
okologische Themen in die neuen Lehrplane der Pflichtschulen aufgenommen und
ein Jahr spater wurden durch den vom Bundesministerium fur Unterricht und
Kunst herausgegebenen Erlass “Umwelterziehung in der Schule” inhaltliche und
didaktische Hinweise fur die Umsetzung der Umwelterziehung verfasst.175 Laut
Schober176 sind diese auf Umwelterziehung abgestellten Bestimmungen ausreichend
allgemein, um auch als Legitimation fur BNE interpretiert werden zu konnen.
Uber gesetzliche Normierungen, die Entwicklung von Bildungsprogrammen, die
Bereitstellung materieller und personeller Ressourcen und die LehrerInnenausbil-
dung werden uber das Schulsystem in jeder Gesellschaft erwunschte Lernprozesse
arrangiert, organisiert und systematisiert, um die Interessen der Gesellschaft fried-
lich durchzusetzen.177 So wird politisch definiert und direkt gesteuert, was als
unverzichtbares, lehr- und lernwurdiges Wissen gilt und in welchen Deutungsrah-
men es eingeordnet werden soll.178 Mit seinen Ausfuhrungen uber die Schule als
“Teil des staatlichen Herrschaftsverbandes, also eines durch Regeln konstruierten
Ordnungsrahmens, der mit einem wirksamen Sanktionierungsapparat ausgestattet
ist”179 betont der Bildungsforscher Helmut Fend die große potenzielle Bedeutung
der Schule fur die Gesellschaft. Mit dem Verweis darauf, dass sie sich uber Jahre
hinweg an alle Kinder (in beeinflussbarem Alter) einer Gesellschaft richtet - und
damit auch als missbrauchbares Manipulationsinstrument betrachtet werden kann -
betont er zugleich die große Verantwortung, Inhalte und Ziele des schulischen - in
den Lehrplanen abgebildeten - Wissenskanons zu analysieren und die Scha"ung
kultureller Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen zu gestalten, zu legitimieren
und zu kontrollieren.180
173Funk 2009, S. 19.174Vgl. Thonhauser 1993, S. 33.175Vgl. ebd., S. 27.176Vgl. Schober 2002, S. 11.177Vgl. Fend 2008, S. 31.178Vgl. Lassig 2010, S. 204.179Fend 2008, S. 165.180Vgl. ebd.
45
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
5.3.1. Umwelterziehung im Lehrplan der Volksschule
Der gesondert fur jeden Schultyp erlassene Lehrplan - bezuglich BNE als rechtlich
verbindlichste Vorgabe181 - gliedert die Lernziele, Methoden und Lerninhalte und
konkretisiert damit die gesellschaftlichen Wertvorstellungen, Erwartungen und
Anforderungen.
Auch in der Agenda 21 wird zur Umsetzung ihrer Ziele direkt die grundliche
Uberarbeitung der Lehrplane angesprochen, so dass “ein multidisziplinarer Ansatz”
und die Berucksichtigung von “Umwelt- und Entwicklungsfragen, sowie ihre sozio-
kulturellen und demographischen Aspekte und Verknupfungen”182 gewahrleistet
werden.
Der osterreichische Lehrplan ist ein Rahmenlehrplan, der nur das allgemeine
Bildungsziel, Inhalte von Lehrsto" und Bildungsaufgaben, sowie allgemeine didak-
tische Grundsatze als Grundlagen und Leitlinien vorgibt und ansonsten sowohl
inhaltlich als auch methodisch den Lehrkraften viel Spielraum zur individuellen
Gestaltung des Unterrichts lasst.183 Aufgrund dieses Rahmencharakters konnen
LehrerInnen relativ frei uber die Konkretisierung und Interpretation des allgemei-
nen Bildungsziels, die Auswahl der konkreten Lernziele und -sto"e, sowie deren
zeitliche Verteilung, Strukturierung und Gewichtung, wie auch die Festlegung der
angewandten Unterrichtsmethoden und verwendeten Unterrichtsmittel entschei-
den.184 Dies bedeutet jedoch auch, dass die Umsetzung von BNE, deren konkrete
Verankerung im Lehrplan nachfolgend betrachtet wird, stark vom Engagement der
Lehrpersonen abhangig ist. (vgl. Kapitel 5.4.2: Rolle der Lehrpersonen)
Der Auftrag fur BNE findet sich im Lehrplan der Volksschule sowohl in den
allgemeinen Bestimmungen als auch in den speziellen Ausfuhrungen zu einzelnen
Unterrichtsgegenstanden.
5.3.1.1. Erster Teil: Allgemeines Bildungsziel
Bereits im ersten Teil des Lehrplans, dem allgemeinen Bildungsziel, lasst sich
der Nachhaltigkeitsgedanke uber die Vermittlung von ethischen und moralischen
Werten, kritischer Reflexionsfahigkeit und Verantwortungsubernahme erkennen:
Die Kinder sollen zu “verantwortungsbewussten Gliedern der Gesell-
schaft” werden, zu “selbststandigem Urteil und sozialem Verstandnis
gefuhrt” werden, “dem politischen und weltanschaulichen Denken an-
derer aufgeschlossen” sein, “am Wirtschafts- und Kulturleben” Anteil
nehmen und “in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Auf-
gaben der Menschheit mitwirken. Humanitat, Solidaritat, Toleranz,
181Vgl. Thonhauser 1993, S. 33.182Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung 1992, S. 282.183Vgl. Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 2010b, S. 9.184Vgl. ebd., S. 12.
46
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Frieden, Gerechtigkeit und Umweltbewusstsein sind tragende und hand-
lungsleitende Werte in unserer Gesellschaft. Auf ihrer Grundlage soll
jene Welto"enheit entwickelt werden, die vom Verstandnis fur die exis-
tenziellen Probleme der Menschheit und von Mitverantwortung getragen
ist. Dabei hat der Unterricht aktiv zu einer den Menschenrechten ver-
pflichteten Demokratie beizutragen sowie Urteils- und Kritikfahigkeit,
Entscheidungs- und Handlungskompetenzen zu fordern.”185
Der Grundschule werden unter anderem folgende Aufgaben ubertragen:186
• Starkung des Vertrauens der SchulerInnen in ihre eigene Leistungsfahigkeit,
• Aufbau von sozialer Handlungsfahigkeit wie mundiges Verhalten, Kooperations-
, Kritik- und Kommunikationsfahigkeit,
• Erlernen elementarer Kulturtechniken einschließlich moderner Kommunikations-
und Informationstechnologien,
• Interkulturelles und soziales Lernen, sowie
• Begegnung und Auseinandersetzung mit der Umwelt.
5.3.1.2. Zweiter Teil: Allgemeine Bestimmungen und Unterrichtsprinzipien
Im zweiten Teil finden sich neben einer Vielzahl allgemeiner Bestimmungen des Lehr-
planes - wie etwa zur Organisation der Schulstufen, zu den Entscheidungsfreiraumen,
zur Unterrichtsplanung, den Lernformen und -techniken, zur Integration von behin-
derten Kindern, zur Zusammenarbeit mit außerschulischen Akteuren, zu Schulein-
und ubertritt - auch die so genannten Unterrichtsprinzipien.187 Grundsatzlich wird
in der Grundschule eine Aufteilung des Lehrsto"s in bestimmte Unterrichtsge-
genstande vermieden. Stattdessen sollen die Lehrkrafte im Gesamtunterricht in
situationsorientierten und facherubergreifenden Lernanlassen besonders auf die
Erfahrungen, Interessen und Bedurfnisse der Kinder eingehen.188
Daruber hinaus werden einige Bildungs- und Erziehungsaufgaben gesondert als
Unterrichtsprinzipien angefuhrt. Diese konnen nicht einem oder wenigen Unter-
richtsgegenstanden zugeordnet werden, sondern sind nur “facherubergreifend im
Zusammenwirken vieler oder aller Unterrichtsgegenstande zu bewaltigen” und
verstehen sich als eine “Kombination sto#icher, methodischer und erzieherischer
Anforderungen.”189 Zu diesen Unterrichtsprinzipien zahlen auch folgende Aufgaben,
die als Teilaspekte einer BNE verstanden werden konnen: Gesundheitserziehung,
185Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 2010b, S. 6.186Vgl. ebd., S. 6 f.187Vgl. ebd., S. 9 - 20.188Vgl. ebd., S. 11.189Ebd., S. 14.
47
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Medienerziehung, Politische Bildung einschließlich Friedenserziehung, Interkultu-
relles Lernen, Erziehung zum Umweltschutz, Wirtschaftserziehung einschließlich
Konsumerziehung und Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Mannern.190
Mit diesen Unterrichtsprinzipien fordert die oberste Schulbehorde alle LehrerInnen
dazu auf, einen Beitrag zu BNE zu leisten und dabei innovative didaktische Wege
zu bevorzugen.
Thonhauser191 sieht jedoch sowohl im allgemeinen Bildungsziel als auch in den im
zweiten Teil festgeschriebenen allgemeinen Bestimmungen und Unterrichtsprinzipien
- im Gegensatz zu den im siebten Teil des Lehrplanes konkretisierten, und viel
verbindlicheren Lehrsto"angaben - fur die Praxis keine große Bedeutung.
5.3.1.3. Siebter Teil: Bildungsaufgaben der Pflichtgegenstande
Im Hauptteil des Lehrplanes werden schließlich die Bildungs- und Lehraufgaben,
sowie der konkretisierte Lehrsto" und didaktische Grundsatze der einzelnen Unter-
richtsgegenstande angefuhrt.
Ziel des Faches Sachunterricht ist es demnach, die Kinder zu einem “di"eren-
zierten Betrachten und Verstehen ihrer Lebenswelt und [...] damit zu bewusstem,
eigenstandigem und verantwortlichem Handeln”192 zu befahigen. Dazu werden im
Sachunterricht “Fahigkeiten und Fertigkeiten sowie Kenntnisse, Einsichten und
Einstellungen grundgelegt”,193 die zu einer “eigenstandigen Auseinandersetzung
mit der Lebenswirklichkeit und zu selbststandigem Wissenserwerb fuhren.”194 Dazu
sollen in verschiedenen Erfahrungs- und Lernbereichen der Kinder “durch hand-
lungsorientierte Lernformen (zB entdeckendes Lernen, projektorientiertes Lernen),
sowie durch sinnvolles Vernetzen von bereichsubergreifenden Aspekten”195 vor
allem selbstandiges Informieren, Interpretieren und kritisches Bewerten, sowie
losungsorientiertes arbeiten gefordert werden. In den einzelnen Erfahrungs- und
Lernbereichen werden unter anderem folgende Themen genannt, die als Erziehung
zu Nachhaltigkeit interpretiert werden konnen:196
• Gemeinschaft: Werte, Normen, menschliches Verhalten, Perspektivenwechsel,
Toleranz und Akzeptanz, unterschiedliche Sicht- und Handlungsweisen, Ko-
operation, Konfliktlosung, Mitwirken und Mitgestalten, Demokratielernen,
Friedenserziehung
• Natur: Natur als Lebensgrundlage, Mensch als Teil der Natur, verantwor-
tungsbewusster Umgang mit der Natur
190Vgl. Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 2010b, S. 15.191Vgl. Thonhauser 1993, S. 33 f.192Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 2010b, S. 80.193Ebd.194Ebd.195Ebd.196Vgl. ebd., S. 80 !.
48
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
• Zeit: Auswirkungen sozialer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller
Umstande, Ereignisse und Entwicklungen der Vergangenheit auf die Ge-
genwart und der Gegenwart auf die Zukunft, veranderte Gewohnheiten,
Lebensumstande und Bedurfnisse
• Wirtschaft: uberlegtes, kritisches Konsumverhalten
• Technik: Verstandnis der Einbettung des Menschen samt technischem Konnen
in die Natur, seiner Abhangigkeit von Naturgesetzen und seiner Wirkungen
auf die Umwelt
Im Unterrichtsfach Deutsch werden ab der ersten Schulstufe Umweltgeschichten als
mogliche literarische Texte genannt.197 Im Grundsatzerlass zur Umwelterziehung
wird hingegen explizit der mogliche Beitrag der Leseerziehung, als Mittel der
Kommunikation und kritischen Auseinandersetzung, angefuhrt.198
Im Fach Mathematik konnen die Ziele “Situationen aus den Bereichen Wirt-
schaft, Technik und Kultur [...] mit Hilfe von Zahlen, Großen und Operationen zu
durchdringen”199 und logisches Denken und Problemloseverhalten zu fordern als
Aspekt einer BNE interpretiert werden.
Diese eher allgemein gehaltenen Angaben im Lehrplan ermoglichen es, engagier-
ten und nachhaltigkeitsbewussten LehrerInnen in ihrem gesamten Unterricht großes
Gewicht auf eine Bildung fur nachhaltige Entwicklung zu legen (vgl. Kapitel 5.4.2:
Rolle der Lehrpersonen). Zwingende Vorgaben bezuglich einer Bildung fur nachhal-
tige Entwicklung existieren auf Grund des Rahmencharakters des osterreichischen
Lehrplanes und den relativ unspezifischen Lehrsto"angaben jedoch nicht.
5.3.2. Grundsatzerlasse
Zur Forderung ihrer Anliegen wurden fur einige der im Lehrplan genannten Unter-
richtsprinzipien zusatzliche Richtlinien erlassen, um den Willen des Gesetzgebers
zu interpretieren und erfolgversprechende Hinweise fur die Umsetzung in die Praxis
zu geben. Unter anderem existieren folgende Grundsatzerlasse:200
• Grundsatzerlass Politische Bildung,201 in dem ”Erziehung zur Welto"enheit,
die vom Verstandnis fur die existenziellen Probleme der Menschheit getra-
gen ist” und die “Fahigkeit zum Erkennen von politischen, kulturellen und
wirtschaftlichen Zusammenhangen und zu kritischem Urteil” als Grundlage
197Vgl. Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 2010b, S. 108 und 118f.198Vgl. ders. 1994, S. 9.199Ders. 2010b, S. 144.200Vgl. ders. 2010a.201Vgl. Bundesministerium fur Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Abteilung Politische
Bildung 1994.
49
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
fur eine eigene Meinungsbildung und die Bereitschaft zu verantwortungs-
bewusstem Handeln und zur Gestaltung unserer Gesellschaft als eines der
wichtigsten Anliegen definiert wird,
• Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip ’Erziehung zur Gleichstellung von
Frauen und Mannern’,202 dessen inhaltliches Anliegen es vor allem ist, die
geschlechtsspezifische Sozialisation, sowie Ursachen und Formen geschlechtss-
pezifischer Arbeitsteilung bewusst zu machen und den Abbau von geschlechts-
spezifischen Vorurteilen und Rollenklischees zu fordern,
• Grundsatzerlass Gesundheitserziehung,203 dessen Hauptziele die Verankerung
der Gesundheitsforderung in den Schulen und die “Gestaltung der Schule als
gesundheitsfordernde Lebenswelt” sind,
• Grundsatzerlass zur Umwelterziehung,204 in dem als erstes Ziel die “Erlangung
okologischer Handlungskompetenz” genannt wird, mit deren Kenntnissen,
Einsichten, Einstellungen und Werthaltungen und der Kombination aus
Information, Reflexion und Handeln “ein lebenslang wirksames Umweltver-
halten” erreicht werden soll. Weiters werden “eine umfassende Sichtweise der
komplexen Zusammenhange” in einem facherubergreifenden, situations- und
handlungsorientierten Unterricht gefordert, wobei hier die Primarstufe mit
ihrem Gesamtunterricht, sowie Projektunterricht, Schulveranstaltungen und
Umweltschutzaktionen besonders hervorgehoben werden.
5.4. Wandel in der Unterrichtsgestaltung
Folgt man den bisherigen Ausfuhrungen, so ist es nicht ausreichend, in der Schule
durch bloße Wissens- und Bewusstseinsbildung eine Sammlung von bestimmten,
umweltgerechten Verhaltensweisen zu lehren, sondern die Schulerinnen und Schuler
sollen vor allem zu mundigen und verantwortungsbewussten BurgerInnen erzogen
werden, um den aktuellen und zukunftigen Nachhaltigkeitsdiskurs mitgestalten
und mittragen zu konnen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden von Seiten der
Wissenschaft und den verschiedensten Organisationen und Akteuren eine Vielzahl
von Ansatzen, Methoden, Materialien und Inhaltsvorschlagen an die Schulen heran-
getragen.205 Posch206 nennt in diesem Zusammenhang sowohl auf der padagogischen
als auch auf der sozialen Ebene eine Reihe von Veranderungen in der Unterrichts-
gestaltung, die zur Umsetzung dieser Anforderungen notwendig sind:
202Vgl. Bundesministerium fur Unterricht und kulturelle Angelegenheiten 1995.203Vgl. ders. 1996.204Vgl. Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 1994.205Vgl. Schober 2002, S. 2.206Vgl. Posch 2000, S. 18 f.
50
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
• Bearbeitung o"ener, kontroversieller Fragen statt rein systematischer Wis-
sensvermittlung
• facherubergreifende Bearbeitung komplexer, lebensnaher Situationen statt
Einzelfachunterricht
• gemeinsame Generierung lokalen Wissens statt auf Wissenswiedergabe abzie-
lendes Lernen
• Forderung von prufender, kritischer Haltung gegenuber Wissensangeboten
• Mitgestaltung und Einflussnahme auf eigene, lokale und aktuelle Lebens- und
Arbeitsbedingungen durch aktiv handelnde und gestaltende SchulerInnen
statt reiner Wissens- und Kompetenzanhaufung fur die Zukunft
• gemeinsame Aushandlung von Regeln und Lernbedingungen statt festgesetzter
Rahmenbedingungen und autoritarer Kommunikation von LehrerInnen zu
SchulerInnen
• Team-Kultur, gegenseitige Anerkennung, Kommunikation, Verantwortungsubernahme
und gemeinsame Entscheidungsfindung statt Abschottung und Isolierung von
LehrerInnen und SchulerInnen
Nachfolgend werden die wichtigsten Faktoren, die in der Schule Einfluss auf die
Erreichung dieser Zielsetzung haben, dargestellt und diskutiert.
5.4.1. Ansatz der Gestaltungskompetenz
Die aktuell unter anderem von der OECD gefuhrte Kompetenzdebatte geht von zwei
Erkenntnissen aus:207erstens, dass Nachhaltigkeit nur durch eine “aktive Gestaltung
entsprechend kompetenter Burger”208 verwirklicht werden kann und zweitens, dass
diese Kompetenzen “nur durch Selbsttatigkeit in der eigenen Lebenswelt erwor-
ben werden konnen.”209 Ziel von BNE ist es daher nicht, die Menschen lediglich
dazu zu befahigen, sich in den verandernden gesellschaftlichen, politischen und
naturlichen Rahmenbedingungen zurechtzufinden. Vielmehr soll die Bevolkerung
mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet, und damit befahigt werden, nicht
nur reaktiv zu agieren, sondern mit eigener Urteils- und Entscheidungsfahigkeit im
Sinne nachhaltiger Entwicklung zu entscheiden und zu handeln. Mit dem Bewusst-
sein, Mitverantwortung zu tragen, sollen sie lernen, Rahmenbedingungen bewusst,
visionar, innovativ, eigenstandig und in Kooperation mit anderen mitzugestalten.210
207Vgl. Michelsen 2009, S. 7 f.208Michelsen und Adomßent 2012, S. 121.209Ebd.210Vgl. Michelsen 2009, S. 7 f, Liedtke, Kristof und Parlow 2009, S. 32, Heinrich 2005, S. 46 ! und
De Haan 2009, S. 22 !.
51
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Diese Gestaltungskompetenz wird definiert als “das nach vorne weisende Vermogen,
die Zukunft von Sozietaten, in denen man lebt, in aktiver Teilnahme im Sinne
nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu konnen.”211 Eine weitere
Definition fur Gestaltungskompetenz liefern De Haan und Gerhold:
”Mit Gestaltungskompetenz wird die Fahigkeit bezeichnet, Wissen
uber nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhal-
tiger Entwicklung erkennen zu konnen. Das heißt, aus Gegenwarts-
analysen und Zukunftsstudien Schlussfolgerungen uber okologische,
okonomische und soziale Entwicklungen in ihrer wechselseitigen Abhangigkeit
ziehen und darauf basierende Entscheidungen tre"en, verstehen und
umsetzen zu konnen, mit denen sich nachhaltige Entwicklungsprozesse
verwirklichen lassen.”212
Im Rahmen des deutschen Reformprogrammes “Transfer 21” wurden folgende acht
(spater auf zwolf erweiterte) Teilkompetenzen definiert, die unter dem Oberbe-
gri" Gestaltungskompetenz zusammengefasst werden. Da diese Kompetenzen im
Hinblick auf die Schulstufe ausdi"erenziert werden mussen, ubernahm Gerhard
de Haan 2009 das Konzept der Gestaltungskompetenz fur die Grundschule und
passte es sowohl in entwicklungspsychologischer als auch didaktischer Hinsicht an
die Gegebenheiten der Primarstufe an:213
1. Vorausschauend, vernetzt, systemisch denken und handeln konnen: Diese
Kompetenz soll den Kindern ermoglichen, mit Unsicherheiten und Zukunfts-
entwurfen umzugehen und die Zukunft als o"en, veranderbar und gestaltbar zu
begreifen. In der Grundschule sollen die Kinder daher mit Kreativitat, Phan-
tasie, Vorstellungsvermogen und Perspektivenwechsel eigene Zukunftsvisionen
und -wunsche ausdrucken und gemeinsam verschiedene Handlungsoptionen
und Zukunftsvorstellungen entwickeln, um so Zukunft zum Gegenstand von
Reflexion und Auseinandersetzung zu machen und ihnen die Erfahrung zu
ermoglichen, durch bewusste Einflussnahme ihre eigene Zukunft auch wirksam
gestalten zu konnen.
2. Welto"en sein und sich transkulturell verstandigen und kooperieren konnen:
Diese Kompetenz meint, dass Kinder ihre Umgebung, ihre Umwelt, andere
Menschen und deren Lebens- und Denkweisen kennen und respektieren lernen,
voneinander zu lernen und Perspektiven und Sichtweisen anderer Akteure
einzunehmen. Bereits in der Grundschule sollen die Kinder die Diversitat
im sozialen und kulturellen als auch im okologischen Bereich und deren
Zusammenhange erkennen und eine Vorstellung davon bekommen, dass ihr
211Heinrich 2005, S. 46, Michelsen 2009, S. 7 und Hauenschild und Bolscho 2005, S. 45.212De Haan und Gerhold 2008, S. 6.213Vgl. De Haan 2009, S. 22 ! und Transfer 21: Bildung fur eine nachhaltige Entwicklung 2008.
52
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
eigenes Handeln uberregionale und zeitlich verschobene Auswirkungen auf
die Umwelt und andere Menschen hat.
3. Interdisziplinar denken und arbeiten konnen und interdisziplinar an Pro-
blemlosungen und Innovationen herangehen: In der Schule sollen anhand von
konkreten Fragestellungen zu einzelnen Problemen die Zusammenhange und
interdisziplinaren Zugange und Herangehensweisen dargestellt und angewandt
werden.
4. Verstandigen und kooperieren und an gesellschaftlichen Entscheidungsprozes-
sen teilhaben konnen: Fur einen unabgeschlossenen Nachhaltigkeits-Diskurs
ist Partizipation notwendig, was die Fahigkeit zur Teilhabe an der Gestaltung
von Gesellschaft voraussetzt. In der Schule sollen daher Kommunikations-
und Kooperationsfahigkeit, Fahigkeit zu Teamarbeit, Fahigkeit der Interes-
sensbekundung und -durchsetzung, Konfliktlosekompetenz, Einhaltung und
Einforderung demokratischer Handlungsregeln und Kenntnisse uber Kompro-
misse und Teillosungen vermittelt werden.
5. Planungs- und Umsetzungskompetenz: Volksschulkinder sollen lernen, ihr Um-
feld nicht nur wahrzunehmen und zu deuten, sondern sie sollen Moglichkeiten
bekommen, auch selbst Erfahrungen zu machen, Entscheidungen zu tre"en
und Handlungen zu setzen, und die mit ihrem Handeln einhergehenden (auch
uberregionalen) Folgen kennenlernen.
6. Gerechtigkeitsvorstellungen haben und Empathie, Mitleid und Solidaritat
zeigen konnen: in der Volksschule sollen unterschiedliche Gerechtigkeitsvor-
stellungen wie das Gleichheitsprinzip oder das Konzept einer Verteilungsge-
rechtigkeit kennengelernt und gleichzeitig Zusammenhange zwischen unserer
Konsumgesellschaft und dessen Auswirkungen auf andere Menschen in an-
deren Regionen anhand konkreter Beispiele wie dem globalen Klimawandel
oder dem Thema “fair trade” aufgezeigt werden.
7. Sich selbst und andere motivieren konnen: Kinder sollen bereits in der Grund-
schule die Erfahrung machen, dass es Spaß und Anerkennung bringt, sich
selbst einzubringen und das eigene Umfeld gemeinsam mit anderen aktiv
mitzugestalten.
8. Den eigenen Lebensstil und kulturelle Leitbilder reflektieren konnen: die
Kinder sollen lernen ihre individuellen Wunsche, Interessen und Verhaltens-
weisen im eigenen kulturellen Kontext zu reflektieren und beispielsweise mit
Lebensbedingungen anderer Kinder aus anderen Bevolkerungsgruppen oder
Weltteilen zu vergleichen.
53
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Fur die Vermittlung dieser Kompetenzen wurden eine Vielzahl von Herangehens-
weisen, Methoden und Materialien entwickelt. Ob und wie die Vermittlung dieser
Kompetenzen in den Volksschulen konkret umgesetzt wird und wie die Entwicklung
dieser Kompetenzen mit behandelten Inhalten und angewandten Methoden genau
zusammenhangen ware eine spannende Forschungsfrage, wurde den Rahmen dieser
Arbeit jedoch sprengen, weshalb sich die Analyse auf die inhaltliche Umsetzung in
den Schulbuchern beschrankt.
5.4.2. Rolle der Lehrpersonen
Aufgabe der LehrerInnen ist es, “in eigenstandiger und verantwortlicher Unterrichts-
und Erziehungsarbeit”214 die Aufgaben der Schule entsprechend dem Lehrplan zu
erfullen. Die hierfur erforderlichen und eingesetzten Unterrichtsmittel (§ 14 Abs.
4 SchUG), Lesesto"e, Arbeitsmittel (§ 14 Abs. 9 SchUG) sowie Erziehungsmittel
wie Anerkennung oder Zurechtweisung (§ 47 Abs. 1 SchUG) pruft und wahlt die
Lehrperson autonom.
Neben der direkten Vorbildrolle beeinflusst die Grundhaltung der LehrerInnen
auch samtliche padagogischen Maßnahmen und ist somit ausschlaggebend fur
seinen/ihren Einfluß.215 Da die Konkretisierung der Lehrinhalte bezuglich BNE im
Lehrplan sehr oberflachlich ausfallt - und damit viel Spielraum fur die Interpretation
der Bildungsziele und die inhaltliche und didaktische Gestaltung des Unterrichts
lasst - ist die tatsachliche Umsetzung von Bildung fur nachhaltige Entwicklung
weitgehend vom Interesse und Engagement der Lehrpersonen abhangig.216
Unter dem Druck, immer mehr Aufgaben in der Schule erfullen zu mussen, ohne
dafur mehr Zeit zur Verfugung zu haben - so wird etwa im Lehrplan ausdrucklich
erwahnt, dass die Umsetzung der Unterrichtsprinzipien “nicht eine Vermehrung
des Lehrsto"s bewirken, sondern zu einer [...] gezielten Auswahl des im Lehrplan
beschriebenen Lehrsto"s beitragen”217 soll - mussen Inhalte, die nicht so wichtig
erscheinen oder durch andere Facher abgedeckt scheinen, ausgespart bleiben.
Auf Grund der an Unterrichtsfachern orientierten LehrerInnenausbildung tut sie
sich “mit den in den Unterrichtsprinzipien enthaltenen facherubergreifenden und
ganzheitlichen Anspruchen im allgemeinen sehr schwer”218 und Rauch und Kreis se-
hen keine “angemessene Vorbereitung auf die Umsetzung dieser facherubergreifenden
Anliegen.”219
Ohne entsprechende Ausbildung ist es jedoch nicht moglich, die komplexen Fra-
gestellungen und Zusammenhange, die im Rahmen einer BNE behandelt werden
214§ 17 Abs. 1 BGBl. Nr. 472/1986 zuletzt geandert durch BGBl. I Nr. 52/2010 Wien 2010.215Vgl. Beer und De Haan 1984, S. 130.216Vgl. Schober 2002, S. 8, Mayer 1998, S. 71 und Bolscho 1991, S. 9.217Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 2010b, S. 15.218Thonhauser 1993, S. 89.219Rauch und Kreis 2000, S. 24.
54
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
sollten, adaquat zu vermitteln und auf Ursachen oder Losungsvorschlage einzuge-
hen.220 Laut Hauenschild221 ist Bildung fur nachhaltige Entwicklung weder den
Lehramts-Studierenden durchgangig bekannt, noch in der Ausbildung fur Lehrerin-
nen und Lehrer fest verankert, wobei sie in der Umstrukturierung der Ausbildung
(Umstellung auf das Bachelor-Master-System) eine große Chance sahe, BNE in
die Studienplane fix zu integrieren. Am Punkt der LehrerInnenausbildung setzt
auch das Entwicklungs- und Forschungsnetzwerk UMILE (Umwelt - Innovation -
LehrerInnenbildung) an, dessen erklartes Ziel die “Forderung von Bildung fur nach-
haltige Entwicklung im Rahmen der Lehrerbildung”222 ist. Schober223 bemangelt
jedoch, dass die umweltpadagogischen Angebote im Rahmen der LehrerInnenfort-
bildung nur einen Bruchteil der PadagogInnen erreichen, da diese Fortbildungen
freiwillig passieren und damit wieder ein grundsatzliches Interesse an Bildung fur
Nachhaltigkeit voraussetzen.
5.4.3. Didaktische Methoden: Frontalunterricht vs.
handlungsorientierter, facherubergreifender,
ganzheitlicher Unterricht
Fur BNE und die Vermittlung der oben beschriebenen Kompetenzen wird eine
Neuorientierung der Bildung und des Lehrens als Voraussetzung angesehen, wes-
halb Erkenntnisse uber das Lehren und Lernen sowie die Lernmotivation in das
Grundkonzept der BNE eingeflossen sind.224 Unterrichtsmethoden sind Instrumente
und Verfahren, mit denen den Schulerinnen und Schulern Inhalte und Bildungs-
ziele so naher gebracht werden, dass sie zu neuen Einsichten und Erkenntnissen
gelangen, wobei die Wirksamkeit der Lernprozesse durch den abwechslungsreichen
Einsatz vielfaltiger Methoden stark beeinflusst wird, und sich die Methodenauswahl
und -kombination an der Lernsituation, den Lernzielen, den Zielgruppen und den
behandelten Themen orientiert.225
Da der Vortrag oder Frontalunterricht als sehr lehrerzentrierte, faktenorientierte,
passive, statische Methode zwar eine rasche Informationsvermittlung ermoglicht,
dafur aber kaum die Interessen der SchulerInnen berucksichtigt oder ihnen Ein-
flussmoglichkeiten auf den Lernprozess bietet, wird diese Methode als nicht forderlich
angesehen, wenn es um die Entwicklung von Kompetenzen geht.226
Stattdessen werden im Zusammenhang mit BNE o"ene, innovative Lernformen
und facherubergreifende, lebensweltliche, projekt-, situations-, handlungs- und pro-
220Vgl. Kahlert 1991, S. 66 f.221Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 8.222Steiner o. J..223Vgl. Schober 2002, S. 7.224Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 44 !.225Vgl. FORUM Umweltbildung o. J.c.226Vgl. Puhringer 2007, S. 50 f, Schober 2002, S. 28 f und Engartner 2010, S. 131.
55
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
blemorientierte Unterrichtsformen und -methoden gefordert: lernen konne nur dann
erfolgreich sein, wenn kognitive Wissensvermittlung erstens facherubergreifend ver-
netzt und zweitens unmittelbar mit praktischem Handeln verbunden sei.227 So bieten
ganzheitliche, handlungsorientierte Methoden viele Mitgestaltungs- und Partizipa-
tionsmoglichkeiten fur die Lernenden, was sich positiv auf deren Motivation, deren
Lernerfolge und die Ausbildung von Schlusselqualifikationen wie Kommunikations-,
Handlungs-, Verantwortungs- oder Kooperationsfahigkeit auswirkt.228
Das außerst reichhaltige Repertoire an didaktischen Konzepten und Methoden soll
hier nur stichwortartig angefuhrt werden, ohne naher auf die einzelnen Methoden
einzugehen:229 Projekte, Experimente, Exkursionen, Umwelterkundungen, Ausfluge,
Stationenlernen, Freiarbeit und o"enes, selbstorganisiertes Lernen, Rollen- und
Planspiele, szenisches Spiel, Simulationen, Brainstorming und Mindmapping, Text-
analysen, eigenstandiges Recherchieren, Arbeiten mit Datenbanken und Internet,
kreatives Lernen, Gesprachsfuhrung, Gesprachskreise, Gruppenmoderation und Me-
diation, Partner- und Gruppenarbeiten, Planungs- und Evaluationsarbeiten (zum
Beispiel im Rahmen von Schulfesten), Zukunftswerkstatten, Phantasiereisen, krea-
tives Schreiben, Wahrnehmungsspiele, Was-Ware-Wenn-Denkspiele, Prasentation
eigener Arbeiten, Einbeziehung außerschulischer Partner und Orte, Schulpartner-
schaften, Hilfsaktionen, Wettbewerbe, gemeinsames Kochen, u.v.m.
Neben dieser Methodenvielfalt wird dennoch die Vermittlung von Faktenwissen,
beziehungsweise die Kombination aus Sachwissen und positiver Naturerfahrung, als
Voraussetzung fur BNE gesehen, denn Handlungsorientierung kann “eine angemesse-
ne kognitive Erfassung der Umweltprobleme und ihrer Eindammungsmoglichkeiten
nicht ersetzen, denn die Vermittlung fundierten Wissens ist das Nadelohr, durch
das jede Umwelterziehung hindurch muß, die aufklaren und nicht abrichten will.”230
5.4.4. Die Rolle des Schulbuchs
Neben den Lehrpersonen und den angewandten Methoden spielen auch die ein-
gesetzten Unterrichtsmittel eine wichtige Rolle. Schulbucher sind eigens fur den
Schulunterricht entwickelte Lehr-, Lern- und Arbeitsmittel, in denen die wesentli-
chen Lerninhalte eines Faches nach den neuesten Kenntnissen in systematischer,
didaktisch und methodisch aufbereiteter Form enthalten sind.231 Auch in der Agen-
da 21 wird gefordert, dass die Grundlage fur Unterrichtsmaterial “stets die beste
verfugbare wissenschaftliche Information”232 sein solle. Schulbucher erfullen eine
227Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 45 ! und Mayer 1998, S. 72 !.228Vgl. Engartner 2010, S. 95 und 131 und Heinrich 2005, S. 36 f.229Vgl. Hauenschild und Bolscho 2005, S. 47 f, De Haan 2009, S. 26 - 33, FORUM Umweltbildung o.
J.c und Schober 2002, S. 29.230Kahlert 1991, S. 68.231Vgl. Sandfuchs 2010, S. 19.232Konferenz der Vereinten Nationen fur Umwelt und Entwicklung 1992, S. 284.
56
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
Reihe von Funktionen, wobei hier einige dieser Funktionen naher betrachtet werden:
• Schulbucher konnen als Innovationstrager dazu beitragen, neue fachliche
und methodische Erkenntnisse in die Schulen zu bringen233
• Schulbucher konnen als Instrument politischer Einflussnahme und so-
zialer Steuerung interpretiert werden, wenn man ihre flachendeckende Ver-
breitung, die Stutzung auf ubergeordnete Bildungsziele und die staatliche
Approbation beachtet. Sie sollen dazu beitragen, dass in der Schule bestimmte,
von der jeweiligen Gesellschaft erwunschte, inhaltliche Bildungsziele und an
Werten orientierte Erziehungsaufgaben erreicht werden.234
• Schulbucher konnen auch als Indikatoren fur das gesellschaftliche Selbst-
verstandnis herangezogen werden: “An seinen Lesebuchern erkennt man
ein Volk. Ihre soziologische Funktion ist eine doppelte: sie spiegeln und
sie pragen”235 Das in den Buchern abgebildete kulturelle Gedachtnis lasst
Ruckschlusse auf die gesamte Gesellschaft zu: auf den jeweiligen Zeitgeist,
die gesellschaftliche Ordnung, die im gesellschaftlichen Diskurs dominanten
Au"assungen, Sichtweisen und Wahrnehmungen, die akzeptierten Werte und
Normen, die zu einer bestimmten Zeit aktuellen, politisch-kulturellen Ideen
und Denkansatze, auf bestehende Stereotype, das kulturelle Selbstverstandnis,
sowie die - insbesondere von den einflussreichen gesellschaftlichen Akteuren -
als besonders relevant erscheinenden Inhalte, Fakten, Zusammenhange, Deu-
tungsrahmen und Kompetenzen, die jeder wissen und konnen sollte. Gleich-
zeitig werden die Inhalte der Schulbucher als besonders objektiv, korrekt
und bedeutsam - also als allgemein akzeptierter Wissenskanon - wahrgenom-
men. Die Schule vermittelt jedoch “keine reinen Daten oder wertneutrale
Informationen, sondern immer auch Interpretationen, Perspektiven und Deu-
tungscodes”236 Da die Inhalte der Schulbucher kaum hinterfragt werden und
einen scheinbaren Wahrheitsanspruch besitzen, pragen sie als kulturelle Orien-
tierungsmuster die dominanten Fremd- und Selbstbilder, die Geschichtsbilder,
sowie Raum- und Zeitvorstellungen, und damit das Selbstverstandnis einer
Gesellschaft.237
• Schulbucher als Lehrplaninterpretation ist die in der Praxis relevanteste
Funktion. Die wichtige Rolle in der Unterrichtsgestaltung, die flachendeckende
Verbreitung und der Umstand der Approbation machen das Schulbuch zu
einem machtigen Medium. Die Schulbucher orientieren sich am Lehrplan und
233Vgl. Kahlert 2010, S. 42.234Vgl. Pohl 2010, S. 121 und Lassig 2010, S. 203.235Minder 1969 zit. nach Fend 2008, S. 58.236Lassig 2010, S. 210.237Vgl. Hintermann o. J., Markom und Weinhaupl 2007, S. 4, Kahlert 2010, S. 42 und Lassig 2010,
S. 200 ! und 207 f.
57
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
dienen in erster Linie zur Unterstutzung der LehrerInnen bei der Umsetzung
der im Lehrplan festgeschriebenen Bildungs- und Erziehungsaufgaben.238 Was
im Unterricht geschieht, ist auch von den verwendeten Schulbuchern und
deren Inhalten abhangig. Dies gilt nicht nur fur den lehrergesteuerten Unter-
richt, sondern auch fur o"ene Lehrmethoden wie Frei- oder Projektarbeit, bei
denen haufig auf Texte oder Materialien aus den Schulbuchern zuruckgegri"en
wird.239 Neuere Studien zeigen, dass trotz der enormen Entwicklungen im
Bereich der neuen Medien, und den damit einhergehenden Moglichkeiten der
Informationsbescha"ung, das Schulbuch unangefochten und mit Abstand das
bevorzugte Instrument bei der Vorbereitung und Gestaltung des Unterrichts
ist.240 In Osterreich konnen uber die Aktion “Unentgeltliche Schulbucher” nur
approbierte Lehrmaterialien bestellt werden.241 Durch diese Aktion werden
Schulbucher besonders einfach zuganglich und stehen nahezu jedem Kind zur
Verfugung. Die Versicherung, dass bei Verwendung dieser Bucher lehrplan-
konform gelehrt wird, erleichtert zudem den Lehrpersonen die Auswahl aus
einer Vielzahl angebotener Lehrmaterialien.242 Das im Bundesministerium
fur Unterricht, Kunst und Kultur angesiedelte Approbationsverfahren soll
Einheitlichkeit und Qualitat der Unterrichtsmittel garantieren und verleiht
dem Schulbuch mit seinen autorisierten Inhalten eine besondere Stellung.243
Demnach sehen viele auch heute noch das “Schulbuch als die eigentliche
Großmacht der Schule.”244
Der Padagogik-Professor Joachim Kahlert245 kritisiert, dass trotz der staatlichen
Zertifizierung nicht alle Schulbucher seinen Qualitatsanspruchen hinsichtlich fachli-
cher Inhalte, Textqualitat oder SchulerInnenbezug gerecht werden, und das Material
oft falsch oder unkritisch eingesetzt wird. Die Kritik von Lassig,246 wonach Inhalte
in Schulbuchern tendenziell konservativ und wenig aktuell oder innovativ seien,
wird auch vom Bundesverband Erneuerbarer Energien bestatigt, der im Jahr 2000
in einer Schulbuchanalyse nur wenige nachhaltigkeitsbezogene Inhalte verortete
und auch kritisierte, dass Umwelttechnologien auf Basis veralteter Wissensstande
dargestellt werden.247 Eine Hauptschwierigkeit wird vor allem bei den AutorIn-
nen und den Mitgliedern der Approbationskommission gesehen, deren personliche
Interessen, Werthaltungen, Schwerpunkte und Wissen naturlich - neben den Lehr-
planbestimmungen - Einfluss auf die Lehrbucher haben, und die (noch) nicht uber
238Vgl. Kahlert 2010, S. 42.239Vgl. Grasel 2010, S. 137.240Vgl. Banse 2010, S. 61, Lassig 2010, S. 199 ! und Markom und Weinhaupl 2007, S. 4 und 240.241Vgl. Hinteregger-Euller 2011.242Vgl. Lassig 2010, S. 202 und Grasel 2010, S. 137.243Vgl. Wendt 2010, S. 83 !.244Kahlert 2010, S. 44.245Vgl. ebd., S. 43.246Vgl. Lassig 2010, S. 209.247Vgl. Bayer und Hohne 2000, S. 36 f.
58
5. Die Schule als wichtiger Akteur bei der Erziehung zu Nachhaltigkeit
ausreichend Nachhaltigkeits-Wissen verfugen, welches fur eine zufriedenstellende
Umsetzung der BNE auch in den Schulbuchern erforderlich ware.248
Wegen der Diskrepanz zwischen der Relevanz von Schulbuchern in der Praxis
und den gleichzeitig bestehenden Defiziten in der deutschsprachigen, empirischen
Schulbuch-Forschung, der Fachliteratur und der LehrerInnenausbildung, wurde 2008
am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig eine Fachtagung zum Thema Schulbuch
veranstaltet. Hier wurden unter anderem eine Reihe noch unbeantworteter Fragen
zum Lehren und Lernen mit Schulbuchern angesprochen: Wie wirken Schulbucher?
Was lasst sich empirisch uber Inhalte und Qualitat von Schulbuchern sagen? Wie
werden Schulbucher im Schulalltag von PadagogInnen und SchulerInnen genutzt?
Wie sind Schulbucher im Kontext der Gesellschaft, in der sie entwickelt, produziert,
eingesetzt und kritisiert werden zu verstehen?249
248Vgl. Thonhauser 1993, S. 40 f, Hintermann o. J. und Schober 2002, S. 8.249Vgl. Fuchs, Kahlert und Sandfuchs 2010, S. 7, Sandfuchs 2010, S. 11, Markom und
Weinhaupl 2007, S. 4, Grasel 2010, S. 137 f und Lassig 2010, S. 210.
59
Teil II.
EMPIRISCHER TEIL
60
6. Forschungsfragen und
Hypothesen
Folgende zentralen Forschungsfragen sollen im Rahmen dieser Diplomarbeit beant-
wortet werden:
• Was versteht man unter Erziehung zu nachhaltiger Entwicklung und wie
konnen Verhaltens-, Sozialisations- und Bildungstheorien die Forderung nach
Umwelterziehung erklaren?
• Wer sollte fur die Erziehung zu nachhaltigem Verhalten verantwortlich sein
und welche rechtlichen Grundlagen existieren bezuglich dieser Fragestellung?
• Inwieweit ist Umwelterziehung im Lehrplan verankert, welche padagogischen
Methoden kommen in dem Zusammenhang zur Anwendung und welche Rolle
spielt das Schulbuch?
• Inwieweit kommen relevante Themen zur Erziehung zur Nachhaltigkeit in
den meistverwendeten Schulbuchern der Volksschule bereits vor, oder findet
BNE nur freiwillig statt und ist von engagierten Lehrkraften abhangig?
Wahrend die ersten drei Fragen im theoretischen Teil dieser Arbeit beantwortet
wurden, wird im empirischen Teil der Arbeit versucht, die letzte Forschungsfrage
mittels Schulbuchanalyse zu beantworten.
Die diesbezugliche Hypothese lautet:
Themen, die fur eine nachhaltige Entwicklung relevant sind, werden
in den meistverwendeten Schulbuchern der Volksschule nur wenig be-
handelt. Die Umsetzung des Unterrichtsprinzips Umwelterziehung ist
somit großteils vom Engagement der Lehrkrafte abhangig.
61
7. Methodischer Zugang
Im folgenden Kapitel sollen die einzelnen Bestandteile des Forschungsprozesses,
sowie die angewandte methodische Vorgehensweise dieser Arbeit bei der nachfolgen-
den Schulbuchanalyse im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit kurz dargestellt
werden. Da der Fokus auf der Erhebung und Auswertung nicht standardisierter
Daten lag, wurde fur den empirischen Teil der Arbeit eine Methode der qualitati-
ven Sozialforschung gewahlt: die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring, die im
Kapitel 7.1.2 beschrieben wird.
Das gesamte methodische Konzept lasst sich in folgende Arbeitsphasen einteilen,
auf die im Anschluss naher eingegangen wird:
• Erhebungsphase
• Analyse- und Interpretationsphase
• Dokumentationsphase
7.1. Erhebungsphase
7.1.1. Desk Research
Im Zuge des Desk Research wurde die Literaturauswahl vorgenommen, um den
aktuellen Stand der Forschung abzubilden. Dabei wurde großer Wert darauf ge-
legt, potenzielle Quellen auszuwahlen, die alle drei großen Themenbereiche der
Forschungsarbeit abdecken: nachhaltige Lebensfuhrung und Strategien fur deren
Umsetzung, theoretische Konzepte in den Bereichen Verhaltens-, Sozialisations- und
Bildungsforschung, sowie die konkrete Umsetzung der Erziehung zu nachhaltiger
Entwicklung in der Volksschule.
7.1.2. Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
Im empirischen Teil der Arbeit kam die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
zum Einsatz. Das Besondere an dieser Methode ist, dass sie der Kritik einer strikten
Trennung von quantitativer und qualitativer Forschung Rechnung tragt und mittels
(computerunterstutzter) qualitativer Inhaltsanalyse eine am konkreten Forschungs-
gegenstand und den Forschungsfragen orientierte Integration von quantitativer
62
7. Methodischer Zugang
und qualitativer Analyse moglich ist. In der Sozialwissenschaft wird vor allem auf
die Inhaltsanalyse zuruckgegri"en um uber fixiertes Material auch Schlusse uber
dessen Entstehungshintergrund zu ziehen.250 Mittels Inhaltsanalyse kann man sich
neben der Rolle des Senders auch mit der Wirkung auf den Empfanger und der
gesellschaftlichen Situation, sowie den Werte- und Normvorstellungen, in der der
Kommunikationsprozess ablauft, beschaftigen.251
Die Schulbucher enthalten jene Informationen, welche fur die Beantwortung der
Forschungsfragen benotigt werden. Um an diese Informationen zu gelangen ist
es notwendig, das Material zu selektieren, zu ordnen und zu analysieren. “Ziel
der Analyse ist es, das Material so zu reduzieren, daß [!] die wesentlichen Inhalte
erhalten bleiben, durch Abstraktion einen uberschaubaren Korpus zu scha"en, der
immer noch Abbild des Grundmaterials ist.”252
Durch eine systematische, regel- und theoriegeleitete Analyse konnen so von
unterschiedlichstem Kommunikations-Material - wie etwa auch dem Schulbuch -
nicht nur die manifesten Inhalte sondern daruber hinaus durch eine interpretative
Vorgehensweise auch der latente Gehalt der Kommunikation und Informationen
uber den Hintergrund des Materials untersucht werden.253 ”Inhaltsanalyse ist eine
Methode der Datenerhebung zur Aufdeckung sozialer Sachverhalte, bei der durch
die Analyse eines vorgegebenen Inhalts (zum Beispiel Text, Bild, Film) Aussagen
uber den Zusammenhang seiner Entstehung, uber die Absicht seines Senders,
uber die Wirkung auf den Empfanger und/oder auf die soziale Situation gemacht
werden.”254 Die qualitative Inhaltsanalyse versteht den Zuordnungsprozess von
Textstellen zu Kategorien als qualitativen Interpretationsakt, der, im Gegensatz zu
“freier” Interpretation, durch folgende inhaltsanalytische Regeln kontrolliert wird:255
• das Material und die Analyse werden in ein Kommunikationsmodell eingebet-
tet, in seinem jeweiligen Kontext interpretiert und auch auf seine Entstehung
und Wirkung hin untersucht (vgl. Kapitel 7.1.2.4: Richtung der Analyse)
• sie folgt einem im Vorhinein festgelegten, jedoch immer auf das Material und
die Fragestellung angepassten, Ablaufmodell
• zentrales Element der Analyse ist ein theoriegeleitetes, also ein am jeweiligen
Stand der Forschung zum jeweiligen Untersuchungsgegenstand orientiertes,
mitunter wahrend der Analyse durch induktive Kategorienbildung erweitertes,
Kategoriensystem
250Vgl. Mayring und Glaser-Zikuda 2008, S. 9.251Vgl. Atteslander und Cromm 2003, S. 217.252Mayring 1990 zit. n. ebd., S. 236.253Vgl. ebd., S. 224 und Mayring 2010, S. 11.254Atteslander und Cromm 2003, S. 225.255Vgl. Mayring 2010, S. 48 !.
63
7. Methodischer Zugang
Abbildung 7.1.: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell
Quelle: Mayring 2010, S. 60.
• besonders die Unterstutzung durch Computerprogramme erleichtert die In-
tegration von qualitativen und quantitativen Analyseschritten, so dass bei-
spielsweise zur Verallgemeinerung von Aussagen auch quantitative Aussagen
getro"en werden konnen.
Bei der vorliegenden Arbeit wurde mit dem von Matthew Weinstein entwickelten In-
haltsanalyseprogramm TAMS Analyzer gearbeitet,256 einer Software fur qualitative
Daten- und Textanalysen.
Im Anschluss wird noch naher auf die einzelnen Stufen des modifizierten, in
dieser Arbeit angewandten, Ablaufmodells nach Mayring (siehe Abbildung 7.1)
eingegangen.
256Download unter http://tamsys.sourceforge.net/.
64
7. Methodischer Zugang
7.1.2.1. Festlegung des Materials
Zunachst muss genau definiert werden, welches Material der Analyse zugrunde liegen
soll. Die Auswahl des Materials, das fur die Beantwortung der Forschungsfragen
untersucht werden sollte, war insofern eine schwierige Aufgabe, als es darum geht,
nicht nur Aussagen uber ein bestimmtes Thema, ein bestimmtes Schulbuch oder ein
bestimmtes Schulfach, sondern eine sehr allgemeine Aussage uber das nur außerst
schwer eingrenzbare Thema “Erziehung zur Nachhaltigkeit in der Volksschule”
zu tre"en. Bei dem im Zuge dieser Diplomarbeit untersuchten Material handelt
es sich um die funf in der Volksschule (1. bis 4. Schulstufe) in Osterreich am
haufigsten verwendeten257 Schulbucher aus den Fachern Deutsch, Mathematik und
Sachunterricht. So soll das Vorkommen oder Nicht-Vorkommen von Inhalten, die
sich an nachhaltigem Leben orientierten, in den Schulbuchern der Volksschule
sichtbar gemacht werden und etwaige Schwachen bei der Umsetzung der BNE
in den Schulbuchern erkannt werden. Eine genaue Auflistung der untersuchten
Schulbucher befindet sich im Anhang.
7.1.2.2. Analyse der Entstehungssituation
In Osterreich werden vom Bundesministerium fur Wirtschaft, Familie und Jugend
und dem Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur Unterrichtsmittel
zur Verfugung gestellt - seit dem Schuljahr 2011/12 kostenlos auch ohne Selbstbe-
halt. In die Liste der im Rahmen der Schulbuchaktion bestellbaren Bucher werden
nur solche aufgenommen, die zuvor ein Approbationsverfahren, fur welches das Bun-
desministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur zustandig ist, positiv durchlaufen
haben.258 Laut Schulunterrichtsgesetz mussen Unterrichtsmittel “nach Inhalt und
Form dem Lehrplan der betre"enden Schulstufe sowie der Kompetenzorientierung
der Schulart (Bildungsstandards, abschließende Prufung) entsprechen.”259
Bezuglich des untersuchten Materials war au"allend, dass von 33 Verlagen, deren
Bucher im Rahmen der Schulbuchaktion fur die Facher Deutsch, Mathematik und
Sachunterricht angeboten werden, samtliche untersuchten - da meistbestellten -
Bucher von folgenden funf Verlagen kamen:
• Verlag E. DORNER GmbH, Wien
• Veritas Verlags- und HandelsgmbH, Linz
• obv - Osterreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG , Wien
257Laut E-Mail-Auskunft von Ministerialrat Mag. Michael Renner vom Bundesministerium furUnterricht, Kunst und Kultur, Abteilung Schulbuch vom 12. Juli 2011 sowie von Dr. AndreasKresbach vom Bundesministerium fur Wirtschaft, Familie und Jugend, Abteilung Schulbuch-aktion vom 20. Juli 2011.
258Vgl. Hintermann o. J..259§ 14 Abs. 2 BGBl. Nr. 472/1986 zuletzt geandert durch BGBl. I Nr. 52/2010 Wien 2010.
65
7. Methodischer Zugang
• Jugend und Volk, Wien
• Helbling, Rum/Innsbruck
7.1.2.3. Formale Charakteristika des Materials
Die Schulbucher wurden eingescannt und in digitalisierter Form computerun-
terstutzt mit dem Programm TAMS Analyzer analysiert. Bei einem Großteil
des untersuchten Materials handelt es sich nicht um Einzelbucher sondern ganze
Serien, wobei in diesen Fallen nur das jeweilige Basisbuch beziehungsweise der Erar-
beitungsteil zur Analyse herangezogen wurde und die dazugehorigen Ubungsbucher
oder Arbeitshefte nicht untersucht wurden.
7.1.2.4. Richtung der Analyse
Mittels Textanalyse lassen sich neben Aussagen uber den im Text behandelten
Gegenstand auch Aussagen uber den Textverfasser und seine Absichten beziehungs-
weise uber die Wirkungen auf die Zielgruppe machen.260 Die Ziele und damit die
Richtung der Inhaltsanalyse muss vorweg festgelegt werden.
Die Richtung dieser Analyse geht neben der Frage nach den tatsachlichen Inhalten
auch in Richtung Empfanger-Wirkung. Ziel der Untersuchung war es nicht nur,
die explizit als “Erziehung zu Nachhaltigkeit” oder Umwelterziehung deklarierten
und erkennbaren Inhalte aufzuzeigen, sondern daruber hinaus auch implizit durch
Darstellungen im Schulbuch vermittelte Normen und Werte bezuglich nachhaltigen
Lebens aufzuzeigen.
7.1.2.5. Theoretische Di"erenzierung der Fragestellung
In diesem Schritt wird die eher unspezifische Frage nach “Erziehung zu Nachhaltig-
keit” in einer Reihe konkreter, theoretisch begrundeter, inhaltlicher Fragestellungen
prazisiert, denen die spatere Analyse folgt. Das gewahlte Kategoriensystem wurde
von theoretischen Grundsatzen, wie ein nachhaltiger Lebensstil aussehen konnte,
abgeleitet. Darauf aufbauend wurden folgende gezielte Fragen an die Texte heran-
getragen:
• Wird explizit auf die Wichtigkeit von Umweltschutz hingewiesen und wenn ja,
in welcher Weise geschieht das und werden konkrete Handlungsanleitungen
gegeben?
• Werden die Themen Biodiversitat und Okosysteme (in den verschiedenen
Lebensbereichen Boden, Gewasser, Walder,...) behandelt und wenn ja, wie?
260Vgl. Mayring 2010, S. 56.
66
7. Methodischer Zugang
• Wird eine okologische und soziale Bedeutung von biologischer Vielfalt ver-
mittelt?
• Wird auf Probleme, wie beispielsweise Zerstorung von Lebensraumen oder
Gefahrdung von Nahrungsketten, hingewiesen?
• Wird in irgendeiner Weise Verantwortlichkeit, Zustandigkeit und Handlungs-
kompetenz (auch der Kinder) vermittelt?
• Wird ein Demokratieverstandnis gelehrt? Werden Mitsprache- und Mitgestal-
tungsmoglichkeiten aufgezeigt?
• Wird das Thema Emissionen direkt angesprochen? Wird es als problematisch
dargestellt und werden konkrete Handlungsansatze zur Emissionsvermeidung
oder -verminderung aufgezeigt?
• Wird das Thema Erderwarmung direkt angesprochen? Wird Klimaschutz
direkt angesprochen und wenn ja, wie? Werden konkrete Ansatzpunkte und
Zustandigkeiten fur Klimaschutz-Maßnahmen aufgezeigt?
• Wie wird die Thematik Konsum behandelt? Wird auf die Problematik von
Konsum eingegangen? Werden explizit Handlungsansatze wie reduzierter
oder bewusster Konsum thematisiert oder gefordert? Welches Bild, welcher
gesellschaftliche Wert von Konsum wird vermittelt?
• Wird das Thema Mobilitat explizit behandelt? Werden Vor- und Nachteile
verschiedener Mobilitatsalternativen explizit erarbeitet? Welches Bild von Mo-
bilitat wird vermittelt? Welche Verkehrsmittel werden mit welcher Haufigkeit
in Schulbuchern dargestellt beziehungsweise welche Verkehrsmittel sind vor-
herrschend? Wie (mit welchen Wertigkeiten, Eigenschaften, etc.) werden
welche Verkehrsmittel dargestellt?
• Wie wird die Thematik Abfall, Abfallvermeidung, Abfallproblematik oder
Recycling behandelt?
• Wie wird das Thema Energie (Energieverbrauch, Energiegewinnung, Energie-
sparen etc.) erarbeitet? Werden konkrete Alternativen (zum Beispiel in der
erneuerbaren Energiegewinnung) und Handlungsanweisungen bezuglich Ener-
giesparen aufgezeigt? Welcher gesellschaftliche Wert wird dem individuellen
Energiesparen zugestanden?
• Was wird uber Gewasser gelehrt? Werden Gewasser als wertvolle Ressourcen
dargestellt und wird explizit auf Gewasserschutz hingewiesen?
67
7. Methodischer Zugang
• Wird das Thema (Trink)wasser und der sorgsame Umgang damit explizit be-
handelt? Werden konkrete Handlungsanweisungen zum sparsamen Verbrauch
von Wasser gegeben?
• Kommt das Thema Rohsto"e (Knappheit, Endlichkeit, nachwachsende Res-
sourcen etc.) in den Schulbuchern der Volksschule vor? Wird auf die Pro-
blematik einzelner Materialien/Sto"e und den bewussten Umgang damit
hingewiesen? Werden Vor- und Nachteile verschiedener Rohsto"e aufgezeigt?
• Wird die Bedeutung sozial nachhaltigen/gerechten Lebens vermittelt?
• Wird das Thema Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern explizit bear-
beitet? Werden hierarchische Strukturen zwischen den Geschlechtern sicht-
bar? Werden stereotype Rollenbilder und Gender-Zuschreibungen in den
Schulbuchern verstarkt oder hinterfragt?
• Wird das Thema Generationengerechtigkeit explizit angesprochen? Wird
implizit auf die Wirkung des Handelns aller, auch der SchulerInnen, auf die
Zukunft und die davon abhangigen Moglichkeiten zukunftiger Generationen
hingewiesen?
• Wird globale (Verteilungs-) Gerechtigkeit explizit angesprochen? Werden
globalisierter Handel und fairer Handel explizit erwahnt? Reicht der Blick uber
die Landesgrenzen hinaus? Wird nur von armen Kindern in anderen/fernen
Landern erzahlt oder wird auch die europaische Verantwortung thematisiert?
• Wird das Thema Umweltrisiko und die Frage nach vertretbarem Risiko
behandelt und wenn ja, wie? Werden bestimmte Umweltrisiken explizit ange-
sprochen?
7.1.2.6. Bestimmung der Analysetechnik
Mayring unterscheidet drei unabhangige und je nach Forschungsfrage und Material
zu kombinierende Analysetechniken:261
• Zusammenfassung: Ziel ist es, das Material so zu reduzieren, dass die we-
sentlichen Inhalte erhalten bleiben und durch Abstraktion einen Corpus zu
scha"en, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist.
• Explikation: Ziel ist es, zu einzelnen fraglichen Textteilen zusatzliches Material
heranzutragen um das Verstandnis zu erweitern und die Textstellen zu erklaren
und zu deuten.
261Vgl. Mayring 2010, S. 65.
68
7. Methodischer Zugang
• Strukturierung: Ziel ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufil-
tern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch
das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien
einzuschatzen.
Das analytische Vorgehen in der vorliegenden Schulbuchananalyse kann uberwiegend
der Analysetechnik “Strukturierung” zugeordnet werden. Mit den im nachsten
Punkt festgelegten, deduktiven, also aus der Theorie abgeleiteten, Kategorien
wurden die fur Erziehung zu Nachhaltigkeit relevanten Stellen herausgearbeitet
und eingeschatzt. An manchen Stellen, wie etwa der Frage nach der Gender-
Gerechtigkeit, wurden auch Elemente der Explikation angewandt.
7.1.2.7. Festlegung und Definition des deduktiven, theoriegeleiteten
Kategoriensystems
Bei der von Mayring beschriebenen qualitativen Technik der Strukturierung werden
alle Textstellen, die durch eine der definierten Kategorien angesprochen werden,
systematisch aus dem Material herausgefiltert. Das Kategoriensystem wird aus
der Forschungsfrage abgleitet, theoretisch begrundet und bereits vor der Analyse
festgelegt. Weiters wird genau definiert und mittels Kodierregeln abgegrenzt, welche
Textstellen unter welche Kategorie fallen.262 Um die Frage nach der Umsetzung von
“Erziehung zur Nachhaltigkeit” in den osterreichischen Schulbuchern zu beantworten,
wurden aus der sehr unspezifischen Frage einerseits mehrere konkrete Fragen (vgl.
Kapitel 7.1.2.5: Theoretische Di"erenzierung der Fragestellung) und in einem
weiteren Schritt ein theoretisch begrundetes Kategoriensystem abgeleitet. Teilweise
wurde das Kategoriensystem wahrend des Analyseprozesses ausdi"erenziert und
lasst sich folgendermaßen darstellen:
• Umweltschutz allgemein: in diese Kategorie fallen alle Textstellen die Um-
weltschutz sehr allgemein behandeln und nicht einer spezifischen Kategorie
zugeordnet werden konnen. (Beispiel: Umweltschutz-Gedicht).
• Biodiversitat
– Boden: dieser Kategorie werden Textstellen zugeordnet, die Inhalte
zum Thema Biodiversitat im Lebensraum Boden behandeln (Tiere und
Pflanzen, die in diesem Lebensraum vorkommen).
– Gewasser und Meere: dieser Kategorie werden Textstellen zugeord-
net, die Inhalte zum Thema Lebensraum Gewasser und Meere be-
handeln (Tiere und Pflanzen, die in diesem Lebensraum vorkommen,
Ruckgang der Artenvielfalt, Regulierung von Flussen, Wasserverschmut-
zung, Uberfischung, etc.).
262Vgl. Mayring 2010, S. 92.
69
7. Methodischer Zugang
– Okosysteme: dieser Kategorien werden Textstellen zugeordnet, die sich
mit Okosystemen allgemein befassen, mit dem Zusammenspiel der ver-
schiedenen Faktoren in Okosystemen.
– Walder und Regenwalder: dieser Kategorie werden Textstellen zugeord-
net, die sich mit dem Lebensraum Wald und Regenwald beschaftigen
(Tiere und Pflanzen, die in diesem Lebensraum vorkommen, Waldrodung,
Waldsterben, Monokulturen, Funktionen des Waldes, etc.)
• Handlungskompetenz, Demokratielernen, Verantwortlichkeit: dieser Kategorie
werden all jene Textstellen zugeordnet, in denen eine explizite Zuweisung
von Zustandigkeit passiert oder aus denen implizit jemandem eine gewisse
Verantwortung fur einen Zustand oder eine Entwicklung zugeschrieben wird.
Auch Textstellen, in denen Handlungskompetenzen sowie Mitsprache- und
Mitgestaltungsmoglichkeiten aufgezeigt und vermittelt werden, und Stellen,
die den Themenblocken Integration sowie Demokratie- und Friedenserziehung
zugeordnet werden konnen, werden in dieser Kategorie erfasst.
• Emissionen: in dieser Kategorie finden sich Textstellen, die sich mit dem
Thema Emissionen (CO2, Feinstaub, Larm, etc.) auseinandersetzen.
• Klimaschutz: dieser Kategorie werden Textstellen zugeordnet, die sich mit
Klimaschutz und Erderwarmung beschaftigen.
• Konsum: dieser Kategorie werden alle Textstellen zugeordnet, die sich mit
dem Themenkomplex Konsum beschaftigen. Die Themen reichen von ein-
fachen “Einkaufsgeschichten” bis zu Uberlegungen zu bewusstem Konsum
(“kaufen oder sparen”, “materielle vs. immaterielle Wunsche und Geschen-
ke”, “Verpackungsmaterial”, “regional, saisonal, bio”). Auch Textstellen zum
Thema Werbung werden dieser Kategorie zugeordnet.
• Mobilitat: in dieser Kategorie finden sich neben Textstellen in denen das
Thema Mobilitat explizit behandelt wird (Verkehrssicherheit, Kennenlernen
verschiedener Fortbewegungsmittel, Nutzen und Problematik von Mobilitat)
auch Stellen, in denen Verkehrsmittel lediglich erwahnt oder abgebildet
werden.
• Ressourcen
– Abfall und Recycling: dieser Kategorie werden Textstellen zugeordnet,
in denen die Themen Abfall, Abfallvermeidung, Mulltrennung sowie
Wieder- und Weiterverwendung behandelt werden.
– Energieverbrauch: in diese Kategorie fallen Textstellen, in denen die
Themen Energie, Energieverbrauch, Energiegewinnung, Energiesparen
etc. behandelt werden.
70
7. Methodischer Zugang
– Gewasser: in dieser Kategorie finden sich Textstellen in denen verschie-
dene Gewasser, deren Funktionen und der Gewasserschutz besprochen
wird.
– Wasser: dieser Kategorie werden Textstellen zugeordnet, die sich mit
der Ressource Wasser/Trinkwasser, sowie mit dem (sorgsamen) Umgang
damit beschaftigen.
– Rohsto"verbrauch, Knappheit und Verfugbarkeit: in diese Kategorie
fallen alle Textstellen, in denen es um materielle Ressourcen/ Sto"e, um
Endlichkeit und Begrenztheit von Ressourcen, sowie um Ressourcenver-
brauch und -schonung geht.
• Soziale Nachhaltigkeit
– Gender: in diese Kategorie fallen Textstellen, in denen Gerechtigkeit
zwischen den Geschlechtern explizit thematisiert wird, sowie Textstel-
len und Abbildungen, in denen Berufe, Aufgaben, Eigenschaften, etc.
geschlechtsspezifisch beziehungsweise nicht-geschlechtsspezifisch zuge-
ordnet werden.
– Generationen: in dieser Kategorie finden sich Textstellen, in denen ein
Zusammenhang zwischen heutigem Handeln und zukunftigem Leben her-
gestellt wird oder auf die Verantwortung auch zukunftigen Generationen
gegenuber aufmerksam gemacht wird.
– Nord-Sud-Beziehungen und Fair Trade: dieser Kategorie werden Text-
stellen zugeordnet, in denen Fragen bezuglich der Gerechtigkeit zwischen
dem reicheren globalen Norden und dem armeren globalen Suden behan-
delt werden.
• Umweltrisiken: dieser Kategorie werden Textstellen zugeordnet, die sich
mit verschiedenen Umweltrisiken (zum Beispiel Atom- oder Chemieunfallen)
befassen.
7.2. Analyse- und Interpretationsphase
Die Analyse und Interpretation der im Rahmen der Erhebungsphase gewonnenen
Daten wurde folgendermaßen vorgenommen:
7.2.1. Analyse der vorhandenen Sekundarliteratur
Hierbei wurden die im Desk Research erhobenen Daten, Dokumente, Studien,
Protokolle, Materialien und Berichte mittels einfacher Kodierungs- und Katego-
risierungsverfahren eingehend analysiert und der aktuelle Stand der Forschung
71
7. Methodischer Zugang
dargelegt. In diesem Schritt wurden auch die ersten drei Forschungsfragen, welche
eine thematische und theoretische Hinfuhrung zur durchgefuhrten Schulbuchanalyse
darstellen, beantwortet.
7.2.2. Analyse und Interpretation der mittels Inhaltsanalyse
erhobenen Daten
Mit Hilfe des verwendeten Analyse-Programms wurde in diesem Schritt separat
fur jedes Schulfach das zuvor kategorisierte Material getrennt nach Kategorien,
Unterkategorien und Grundstufen (Grundstufe I umfasst 1. und 2. Schulstufe,
Grundstufe II umfasst 3. und 4. Schulstufe) betrachtet, quantitativ ausgewertet,
qualitativ-inhaltlich analysiert und schließlich zu interpretierten Erkenntnissen
zusammengefasst. Zur Veranschaulichung wurden einige Textstellen und Aufgaben-
stellungen beispielhaft herausgegri"en und dargestellt.
7.3. Dokumentationsphase
Nach der Vorstellung und Diskussion des Forschungsdesigns und der ersten Ergeb-
nisse im Rahmen des Diplomandenseminars im Winteremester 2011/12 wurde auf
Grundlage der oben erlauterten Arbeitsschritte das Material anschließend verdichtet
und die zentralen Forschungsergebnisse in Form der vorliegenden Diplomarbeit
aufbereitet.
72
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
In diesem Kapitel werden nun die Ergebnisse der Analyse, in wie weit die Themen
der Nachhaltigkeit Eingang in die Schulbucher gefunden haben, dargestellt. Hierfur
wird das kategorisierte Material (vgl. Kapitel 7.1.2.7: Festlegung und Definition
des deduktiven, theoriegeleiteten Kategoriensystems) in den einzelnen Kategorien
und Unterkategorien quantitativ ausgewertet, nach den Unterrichtsfachern Deutsch,
Sachunterricht und Mathematik und gegebenenfalls nach Schulstufen getrennt
betrachtet und qualitativ-inhaltlich analysiert. Zur Veranschaulichung werden
einzelne Passagen beispielhaft herausgegri"en und dargestellt.
Im anschließenden Kapitel werden die Erkenntnisse der Analyse zusammengefasst
und interpretiert.
8.1. Umweltschutz allgemein
Abbildung 8.1.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Umweltschutz allgemein”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.1.1. Deutsch
In zwei von 17 Deutschbuchern der zweiten und dritten Klasse wurden drei Texte
(zum Beispiel ein Umweltschutz-Gedicht) gefunden, die sich sehr allgemein mit dem
73
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.2.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Demokratielernen, Ver-antwortlichkeit und Handlungskompetenz”
Quelle: Eigene Darstellung.
Thema Umweltschutz befassen und keiner speziellen Kategorie zugeordnet werden
konnten.
8.1.2. Sachunterricht und Mathematik
Weder in einem Sachunterrichtsbuch noch in einem Mathematikbuch wurde eine
Zuordnung zur Kategorie “Umweltschutz allgemein” vorgenommen.
8.2. Demokratielernen, Verantwortlichkeit und
Handlungskompetenz
In elf von 17 untersuchten Deutschbuchern wurden 48 Textstellen der Kategorie
“Demokratielernen, Verantwortlichkeit und Handlungskompetenz” zugeordnet, in 16
von 18 untersuchten Sachunterrichtsbuchern wurden insgesamt 71 Zuordnungen
gemacht, 42 davon in Buchern der vierten Klasse, und in nur einem Mathematikbuch
konnte eine einzige Aufgabenstellung dieser Kategorie zugeordnet werden (siehe
Abbildung 8.2).
74
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
8.2.1. Deutsch
Inhaltlich sind die 48 Zuordnungen außerst heterogen und lassen sich grob in
folgende drei Themenfelder zusammenfassen:
• Integration und kulturelle Vielfalt (neun Zuordnungen): insbesondere gelun-
genes Zusammenleben mit MitschulerInnen mit Migrationshintergrund
• Kommunikationskompetenz (zwolf Zuordnungen): Gesprachs- und Gruppen-
regeln erarbeiten
• Handlungskompetenz (27 Zuordnungen): Mitgestaltungsmoglichkeiten ken-
nenlernen, selbst aktiv werden, Verantwortung und diverse Umweltschutz-
Aufgaben, wie Mull trennen oder Wasser sparen, ubernehmen.
8.2.2. Sachunterricht
Inhaltlich lasst sich der Großteil der ausgewahlten Ausschnitte in die Themen-
blocke “Domokratielernen und Friedenserziehung” (32 Zuordnungen), “eigene Hand-
lungsmoglichkeiten und -alternativen in den Bereichen Abfall, Wasser- und Strom-
nutzung sowie Konsum” (22 Zuordnungen) und “Tierschutz” (elf Zuordnungen)
zusammenfassen. Außerdem wurden vier Zuordnungen zum Thema Kommunikation
und Kooperation, sowie zwei Zuordnungen zum Thema Integration gemacht.
8.2.3. Mathematik
Nur eine Aufgabenstellung in “Funkelsteine Mathematik 3”, in der am Schulfest ge-
sammeltes Geld an drei Hilfsorganisationen verteilt werden soll, wurde der Kategorie
“Demokratielernen, Verantwortlichkeit und Handlungskompetenz” zugeordnet.
8.3. Biodiversitat
In 15 von 17 untersuchten Deutschbuchern konnten 73 Textstellen der Kategorie
“Biodiversitat” zugeordnet werden, wobei die Bucher der dritten und vierten Klasse
mit 57 von 73 Zuordnungen (78 %) eindeutig uberwiegen. Deutlich mehr (145)
Zuordnungen fanden sich in den 18 untersuchten Sachunterrichtsbuchern, auch hier
in den Buchern der dritten und vierten Klasse mit 97 Zuordnungen doppelt so viele
wie in den Buchern der Grundstufe 1. In den 19 untersuchten Mathematikbuchern
konnten lediglich acht Aufgabenstellungen in funf verschiedenen Buchern der dritten
und vierten Klasse dem Thema Biodiversitat zugeordnet werden (siehe Abbildung
8.3).
75
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.3.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Biodiversitat”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.3.1. Deutsch
Die Unterkategorie “Walder und Regenwalder” ist mit 28 Zuordnungen am starksten
vertreten, gefolgt von “Biodiversitat allgemein“ (13), “Gewasser und Meere” (zwolf),
“Boden” (acht), “Pflanzen” (sieben) und “Okosysteme” (funf).
Inhaltlich werden hauptsachlich verschiedene Tiere (Murmeltier, Mause, Igel,
Vogel, Insekten, Ameisen, Frosche, Fische, Wale, Spinnen, Fuchse, Kaninchen,
Marder, Hermelin, Feuersalamander, Gorillas, Schlangen, Schildkroten, A"en), sowie
deren Lebensraume vorgestellt. Vereinzelt finden sich Texte und Aufgabenstellungen
zu den Themen Verhalten im Wald und in der Natur (drei Zuordnungen), vom
Aussterben bedrohte Tiere (zwei Zuordnungen), Waldsterben (zwei Zuordnungen),
Tierbeobachtung (eine Zuordnung), Pelze (eine Zuordnung), Nahrungskette (eine
Zuordnung), und Waldrodung (eine Zuordnung).
8.3.2. Sachunterricht
Mit 45 und 42 Zuordnungen sind die Unterkategorien “Walder und Regenwalder”
sowie “Boden” am haufigsten vertreten, gefolgt von “Gewasser und Meere” (26),
“Okosysteme” (16), “Pflanzen” (zehn) und “Biodiversitat allgemein” (sechs).
Inhaltlich werden auch in den Sachunterrichtsbuchern hauptsachlich verschiedene
Lebensraume mit ihren Funktionen und den darin vorkommenden Tieren und
76
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Pflanzen (Bienen, Schmetterlinge, Fruhlingsbluher, Spinnen, Frosche, Insekten,
Maulwurfe, Regenwurmer, Kafer, Ameisen, heimisches Getreide, Kroten, Fische,
Libellen, Seerosen, Krokodile, Wale, Storche, Vogel, heimisches Obst und Gemuse,
Pilze, Laub- und Nadelbaume) vorgestellt. Weiters wurden vereinzelt folgende
Themen behandelt: Funktionen des Waldes (sieben Zuordnungen), Verhalten im
Wald und in der Natur (sechs Zuordnungen), Auswirkungen von Boden- und Was-
serverschmutzung bzw. Boden- und Gewasserschutz (funf Zuordnungen), bedrohte
und geschutzte Tiere (vier Zuordnungen), Storungen und Schutz von Okosystemen
(vier Zuordnungen), Nahrungskette (zwei Zuordnungen), Waldrodung (zwei Zuord-
nungen) und Waldsterben (eine Zuordnungen).
8.3.3. Mathematik
Die in der Kategorie “Biodiversitat” ausgewahlten Aufgaben in den Mathema-
tikbuchern sind Berechnungen auf Basis von Informationen zu Storchenpaaren in
Osterreich, Elefanten, Vogeln und Pinguinen, Heuschrecken, Walen und Obstbaumen.
8.4. Emissionen
In nur drei der 17 untersuchten Deutschbucher der dritten und vierten Schulstufe
wurde das Thema Emissionen behandelt, wobei sieben der zehn Zuordnungen
in einem einzigen Buch zu finden sind. In funf der 18 untersuchten Sachunter-
richtsbucher konnten lediglich acht Ausschnitte in Buchern der zweiten und dritten
Klasse der Kategorie “Emissionen” zugeordnet werden. Im Fach Mathematik findet
sich eine einzige Aufgabenstellung in einem Buch, das der Kategorie “Emissionen”
zugeordnet werden konnte (siehe Abbildung 8.4).
Abbildung 8.4.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Emissionen”
Quelle: Eigene Darstellung.
77
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
8.4.1. Deutsch
Etwa die Halfte der Zuteilungen in den Deutschbuchern behandeln das Thema
Larm und Verkehrslarm, in einem Buch wird die “Reise der Milch” und ande-
rer Lebensmittel besprochen, in einer weiteren Geschichte werden Autoabgase
angesprochen und in einem Gedicht wird ein feuerspeiender Drache als “umwelt-
freundliches Heizsystem” bezeichnet. In keinem der drei Bucher wird explizit auf
das Thema CO2-Emissionen oder Luftverschmutzung eingegangen, die drei aus-
gewahlten Textteile streifen die Thematik lediglich und konnen unter Umstanden
von engagierten LehrerInnen dazu herangezogen werden, das Thema im Unterricht
aufzugreifen. In “Deutsch 4” werden die Kinder als “Opfer” von Larm dargestellt
und sie werden angeleitet, “Au"orderungen an Larmverursacher”, sowie Briefe an
Larmschutz-Verantwortliche (BurgermeisterIn) zu verfassen.
8.4.2. Sachunterricht
In den Sachunterrichtsbuchern wurden folgende Themen behandelt: unangeneh-
me und angenehme Gerausche und Geruche, Luft und Luftverschmutzung samt
Verursacher, sowie Handystrahlung. “Tipi 3” ist das einzige untersuchte Sachunter-
richtsbuch, in dem kindliche Mobilitat als Ursache fur Luftverschmutzung erwahnt
und auf Alternativen (mit dem Rad fahren) hingewiesen wird (siehe Abbildung
8.15).
8.4.3. Mathematik
In “Matheblitz 4” werden Sachaufgaben zum Verbrauch von Heizmaterial (Kohle,
Koks und Holz) gestellt. Das Thema Emissionen wird zwar nicht direkt angespro-
chen, die Aufgabe konnte aber unter Umstanden dazu anregen, das Thema im
Unterricht aufzugreifen.
8.5. Klimaschutz
Nur in drei (dritte und vierte Schulstufe) von 18 untersuchten Sachunterrichtsbuchern
wurden Zuordnungen zur Kategorie Klimaschutz vorgenommen (siehe Abbildung
8.5).
78
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.5.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Klimaschutz”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.5.1. Deutsch und Mathematik
In keinem der untersuchten Deutsch- und Mathematikbucher wurde das Thema
Klimaschutz aufgegri"en.
8.5.2. Sachunterricht
In zwei der drei zugeordneten Ausschnitte wird das Thema Klimaschutz explizit
behandelt: In “Schatzkiste 3/4” wird auf drei Seiten das Thema “Erderwarmung,
Klimawandel und unser Beitrag zum Klimaschutz” ausfuhrlich bearbeitet. In “Tipi
4” wird in einem Infokasten der Zusammenhang zwischen der Verbrennung fossiler
Rohsto"e, der Erderwarmung und dem Klimawandel - und Folgen wie Sturmen,
Uberschwemmungen und Durrezeiten - dargestellt (siehe Abbildung 8.6). In “Meine
bunte Welt 4” kann die Aufgabenstellung, sich selbstandig uber die lange Reise von
Bananen oder Kakao zu informieren, dazu genutzt werden, das Thema aufzugreifen.
8.6. Konsum
In elf von 17 untersuchten Schulbuchern des Faches Deutsch wurden 53 Zuord-
nungen zur Kategorie Konsum getro"en, die Halfte (26) davon in Buchern der
Grundstufe 1. In zwolf der 18 untersuchten Sachunterrichtsbucher wird das Thema
Konsum an 33 Stellen behandelt. In elf von 19 untersuchten Mathematikbuchern
wurden 29 Zuteilungen zur Kategorie Konsum vorgenommen (siehe Abbildung 8.7),
79
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.6.: Eines der wenigen Beispiele zum Thema Erderwarmung
Quelle: Tipi 4
wobei berucksichtigt werden muss, dass in dieser Untersuchung nicht nur positive
Umsetzungs-Beispiele - sondern samtliche den Bereich Konsum betre"ende Stellen
- dieser Kategorie zugeordnet wurden.
8.6.1. Deutsch
Inhaltlich konnen die ausgewahlten Texte und Aufgabenstellungen in folgende
Spezifizierungen unterteilt werden:
• Einkaufsgeschichten (zwolf Zuordnungen): Der Inhalt dieser Geschichten oder
Aufgabenstellungen ist dem Thema “einkaufen” zuzuordnen, ohne dass das
Thema Konsum oder der Nachhaltigkeitsgedanke beim Einkaufen diskutiert
wird. Beispiele sind etwa eine Aufgabenstellung, in der die SchulerInnen
nach dem Preis oder der richtigen Kleidungsgroße fragen sollen oder eine
Geschichte, in der eine Familie einen Einkauf erledigt.
• Einkaufsmoglichkeiten (zehn Zuordnungen): sechs dieser zehn Passagen be-
schranken sich auf eine einfache Auflistung verschiedener Geschafte und deren
Sortiment, in den ubrigen vier Passagen werden Unterschiede zwischen Su-
permarkten, Lebensmittelgeschaften und Markten diskutiert. Auf konkrete
Vor- oder Nachteile verschiedener Geschafte (Starkung der lokalen Wirtschaft,
Verkehrsbelastung durch Einkaufszentren, regionales und saisonales Angebot
auf Markten, etc.) wird nicht explizit eingegangen.
• Freude bereiten/ Schenken ohne Konsum (zehn Zuordnungen): in diesen
zehn Ausschnitten werden Moglichkeiten aufgezeigt und diskutiert, wie man
(vor allem in der Weihnachtszeit) ohne Konsum Freude bereiten kann (zum
Beispiel Gutscheine, Zeit, Selbstgemachtes schenken), was als Erziehung zu
Konsumverzicht interpretiert werden kann.
80
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.7.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Konsum”
Quelle: Eigene Darstellung.
• Sparen (drei Zuordnungen): In zwei Buchern sparen Kinder auf verschiedene
Spielsachen beziehungsweise wird diskutiert, worauf man sparen kann.
• Herkunft von Lebensmitteln/ Import/ Regionalitat/ Saisonalitat (sieben
Zuordnungen): In vier Buchern wird zwar die Herkunft von Lebensmitteln,
insbesondere Obst und Gemuse, angesprochen; auf Regionalitat oder Saisona-
litat wird jedoch nicht explizit eingegangen.
• Bewusster, kritischer Konsum (sechs Zuordnungen): vier Bucher beinhalten
Textstellen, in denen bewusster/ uberlegter Konsum thematisiert wird. (siehe
Abbildung 8.8)
• Werbung (funf Zuordnungen): In zwei Buchern wird das Thema Werbung
behandelt, wobei “Lilos Sprachbuch 4” im Kapitel “Eine tolle Werbung!” auf
acht Seiten naher darauf eingeht und die SchulerInnen sehr anwendungs-
orientiert auch dazu angeregt werden, selbst Werbungen zu gestalten und
Werbungen zu hinterfragen.
8.6.2. Sachunterricht
Die insgesamt 33 getatigten Zuteilungen, in denen das Thema Konsum in irgendeiner
Weise behandelt wird, lassen sich zusammengefasst folgendermaßen beschreiben:
81
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.8.: Kritischer Konsum
Quelle: Lilos Sprachbuch 3
• In “Lasso Sachbuch 1” ist unter der Uberschrift “Advent und Weihnachten”
ein ganzseitiges Bild einer Spielwarenabteilung abgedruckt, wahrend die
Kinder auf der Seite davor noch dazu angeregt werden, sich Wunsche und
Geschenke, die “nicht unbedingt Geld kosten” mussen, zu uberlegen.
• In “Lasso Sachbuch 2” sollen die SchulerInnen aus einem Bild eines Markt-
standes jene Obst- und Gemusesorten auswahlen, die “bei uns im Herbst
reif sind”, auf die Bedeutung von bewusstem Konsum von saisonalen oder
regionalen Fruchten wird jedoch nicht weiter eingegangen.
• In “Lasso Sachbuch 3” wird auf drei Seiten das Thema Werbung durchaus
kritisch behandelt (als ein Aspekt einer Erziehung zu mundigen Konsumen-
tInnen) und die Kinder werden zu uberlegtem Konsumieren angeregt; weiters
beschaftigt sich das Buch mit Lebensmittel-Spezialitaten aus anderen Landern
und die Kinder werden dazu aufgefordert, ein “Fruhstuck mit Lebensmitteln
aus anderen Landern” zu organisieren. Okologische Auswirkungen so eines
Import-Konsumverhaltens werden jedoch nicht angesprochen.
• “Lasso Sachbuch 4” beinhaltet hingegen Texte und Aufgabenstellungen, die
explizit auf den Zusammenhang von Umwelt und Wirtschaft, auf Export und
Import, auf Regionalitat und Saisonalitat (siehe Abbildung 8.9), sowie auf
bewussten, kritischen Konsum hinweisen und diese Themen zur Diskussion
stellen. Fairer Handel wird in diesem Zusammenhang nicht erwahnt.
82
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.9.: Lebensmittel aus der Region
Quelle: Lasso Sachbuch 4
• “Meine bunte Welt 2” unterscheidet lediglich verschiedene Geschafte, geht
jedoch nicht naher auf die Vor- und Nachteile dieser ein. Die Aufgabenstellung
“Wohin gehst du oder wohin gehen deine Eltern in eurer Umgebung einkaufen?
Uberlege auch, wo du gunstiger einkaufst!” kann als Anreiz dienen, das
Thema Einkaufsgewohnheiten aufzugreifen und zu diskutieren. Ein Hinweis
auf nachhaltigkeitsrelevante Aspekte von Konsum ist jedoch nicht zu finden.
• “Meine bunte Welt 4” erklart die Begri"e Import und Export anhand ver-
schiedener Produkte, erwahnt jedoch nicht das Thema “fair trade”, erklart
das Austria Gutezeichen zu einem Zeichen, das “Waren aus unserem Land”
kennzeichnet - wobei nicht darauf hingewiesen wird, dass lediglich 50 % der
Wertschopfung in Osterreich stattfinden mussen - und zeigt den langen Weg
der Banane, sowie die fur Import und Export verwendeten Verkehrsmittel
Flugzeuge, Eisenbahnen, Frachtschi"e und LKWs auf, aber ohne auf die damit
verbundenen Probleme hinzuweisen. An zwei Stellen im Buch werden die
Vorzuge von Bio-Lebensmitteln dargestellt und besprochen (siehe Abbildung
8.10).
83
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.10.: Vorzuge biologischer Lebensmittel
Quelle: Meine bunte Welt 4
• In “Minimondo 2” lernen die Kinder verschiedene Geschafte und Einkaufsmoglichkeiten,
sowie verschiedenes Obst und heimisches Gemuse kennen. Weiters werden die
SchulerInnen dazu aufgefordert, sich zuerst zu uberlegen, was sie mit zehn
Euro beziehungsweise “viel Geld” kaufen wurden, um anschließend die Frage
zu stellen: “Was macht dich glucklich und kostet nichts?”
• “Minimondo 3” fragt, warum man fruher nur zu bestimmten Jahreszeiten
heimisches Gemuse ernten konnte und man heute “das ganze Jahr uber frisches
Gemuse kaufen” kann. Weiters wird auf zwei Seiten explizit zu kritischem,
uberlegtem Konsumverhalten aufgefordert.
• “Minimondo 4” informiert uber Werbung und ihre Ziele. Import und Export
von Waren werden lediglich anhand der Beispiele Orangen, Kakao und Tee
erklart, fairer Handel oder Probleme von weiten Transportwegen werden nicht
thematisiert.
• Das Sachunterrichtsbuch “Schatzkiste 3/4” beschaftigt sich lediglich auf einer
Seite mit dem Thema Konsum, stellt kritischen und unkritischen Einkauf
gegenuber und erwahnt “Mogelpackungen”, Verpackungsmaterial und Wer-
bung.
• “Tipi 2” zeigt verschiedene Einkaufsmoglichkeiten auf und regt zu uberlegtem
- jedoch nicht explizit bewusstem oder kritischem Konsum - durch die Ver-
wendung eines Einkaufszettels an.
84
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
• “Tipi 3” erklart, warum Waren “von weit her zu uns gebracht” werden (siehe
Abbildung 8.11) und regt zu einer Reflexion uber “Warentransporte und ihre
Notwendigkeit” an.
Abbildung 8.11.: Notwendigkeit von Import
Quelle: Tipi 3
• “Tipi 4” regt in einem eigenen Kapitel dazu an, Werbung kritisch zu hinter-
fragen und nennt Umweltfreundlichkeit als Kriterium, uber das man sich vor
einem Kauf informieren kann.
8.6.3. Mathematik
Die der Kategorie “Konsum” zugeordneten Aufgabenstellungen sind insbesonde-
re Rechenaufgaben, in denen Preise verglichen und Lebensmittel, Spielsachen,
Benzin, Elektrogerate oder Autos gekauft werden. In den Buchern “Funkelsteine
Mathematik 2”, “Alles klar 3”, “Zahlenzug 3” und “Zahlenzug 4” wird in bildlich
dargestellten Situationen heimisches Obst und Gemuse auf dem Markt gekauft
wird. Die Abbildungen zu ahnlichen Aufgabenstellungen in “Matheblitz 3” zeigen
im Vergleich dazu Bananen, Kiwis, Zitronen, Melonen und Kokosnusse. Als weite-
res Beispiel zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Umsetzung des Themas
Konsum wurde “Matheblitz 4” herausgegri"en: in funf der sieben Zuordnungen
zur Kategorie Konsum finden sich unzahlige Beispiele, in denen Dosenfruchte,
Haushalts- und Elektrogerate, sowie Autos und LKWs gekauft werden, was einer-
seits nicht der Lebenswelt der Kinder und zweitens nicht dem Ziel, eine nachhaltige
Lebensfuhrung der Kinder zu fordern, entspricht. Berechnungen zur Investition in
Solar- oder Photovoltaikanlagen, zur Nutzung von Car-sharing-Angeboten oder
zum Kauf von Monats- oder Jahreskarten fur den o"entlichen Verkehr werden in
keinem Buch angesprochen.
8.7. Mobilitat
An den insgesamt 521 Zuordnungen zeigt sich, dass Mobilitat und Verkehrsmittel ei-
ne sehr große Rolle im Alltag und damit auch in den Schulbuchern einnehmen. Hier
85
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.12.: Verteilung der Zuteilungen zur Kategorie Mobilitat auf einzelneThemenbereiche
Quelle: Eigene Darstellung.
finden sich jedoch nicht nur Textstellen, in denen Mobilitat explizit thematisiert
wird, sondern - und das bildet mit 350, also gut 67 % der Zuordnungen, die eindeu-
tige Mehrheit - auch Ausschnitte, in denen Verkehrsmittel lediglich erwahnt oder
abgebildet werden. Die 171 Zuordnungen in denen es explizit um Mobilitat oder
Verkehr geht, behandeln vor allem die Themen Entfernungen (36 Zuordnungen),
Reisen und Ausfluge (41 Zuordnungen), Schulweg (25 Zuordnungen), Wegbeschrei-
bungen (14 Zuordnungen), Verkehrssicherheit (13 Zuordnungen), Treibsto" (sieben
Zuordnungen) und diverses (35 Zuordnungen) (siehe Abbildung 8.12).
Weiters wurde eine Unterscheidung zwischen der Darstellung beziehungsweise
Nennung des motorisierten Individualverkehrs (Auto, Motorrad), nicht motorisierter
(Fuß, Rad) und o"entlicher (Zug, Bus, Straßenbahn) Verkehrsmittel, sowie Schi"en
vorgenommen (siehe Abbildung 8.13). An 179 Stellen (34,2 % der Zuordnungen)
wurden nur Verkehrsmittel des motorisierten Individualverkehrs dargestellt, 108
Darstellungen/Nennungen (20,6 % der Zuordnungen) zeigen nur nicht-motorisierte
Verkehrsteilnehmer, 106 Zuordnungen (20,2 %) konnen nur dem o"entlichen Ver-
kehr zugeordnet werden. Die restlichen 131 Zuordnungen sind folgendermaßen
aufgeteilt: Schi"e 26 (5 %), motorisierter Individualverkehr und nicht-motorisierter
Verkehr 23 ( 4,4 %), motorisierter Individualverkehr und o"entlicher Verkehr 16
( 3 %), gemischte Verkehrsteilnehmer 54 (10,3 %) und Mobilitat ohne konkrete
86
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.13.: Verteilung auf Verkehrsteilnehmer
Quelle: Eigene Darstellung.
Verkehrsmittel 12 (2,3 %).
Eine detailierte Analyse bezuglich der Darstellung und Bearbeitung des Themas
Mobilitat in Schulbuchern ware durchaus interessant, wurde aber den Rahmen
dieser Arbeit sprengen, weshalb darauf verzichtet werden musste.
Im Anschluss wird grob auf die inhaltliche Ausgestaltung in den einzelnen
Unterrichtsfachern eingegangen und werden einige Beispiele herausgegri"en und
dargestellt.
8.7.1. Deutsch
In den untersuchten Deutschbuchern wurden insgesamt 95 Textstellen der Kategorie
Mobilitat zugeordnet. Mit 49 zu 46 ist die Verteilung auf Grundstufe 1 und
Grundstufe 2 sehr ausgewogen.
Inhaltlich befassen sich die Texte vor allem mit Ausflugen und Reisen, dem Schul-
weg, verschiedenen Verkehrsmitteln und Wegbeschreibungen. In einigen Buchern
werden verschiedene Verkehrsmittel fur unterschiedliche Zwecke (Reisen, Schulweg,
Ausflug, Einkauf) vorgestellt. Hierbei wird zwar lediglich in drei Buchern (“Mein
87
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Sprachpilot 2”, “Funkelsteine Lesebuch 3” und “Funkelsteine Sprachbuch 4”) auf
konkrete Vor- und Nachteile der verschiedenen Verkehrsmittel eingegangen (Stau,
Parkplatz, Abgase, Streß am Bahnhof), das Aufzeigen verschiedener Moglichkeiten
kann aber zumindest als Anregung zu einer Diskussion uber Mobilitat aufgegri"en
werden, es wird jedoch nicht ausdrucklich dazu aufgefordert.
Als explizit umweltrelevantes Thema wird Mobilitat lediglich in einem Buch be-
handelt: “Funkelsteine Sprachbuch 3” erwahnt, dass man manchmal mit o"entlichen
Verkehrsmitteln schneller am Ziel sei als mit dem PKW und diskutiert an einer zwei-
ten Stelle das vermutete erhohte Verkehrsaufkommen als Entscheidungskriterium
bei der Planung einer Veranstaltung.
8.7.2. Sachunterricht
Von den insgesamt 81 Zuordnungen in 17 der 18 untersuchten Sachunterrichtsbucher
finden sich 21 Zuordnungen (26 %) in der Grundstufe 1, 60 Zuordnungen in der
Grundstufe 2. Inhaltlich lassen sich die Zuordnungen folgenden Themen zuordnen:
“Schulweg, Wegbeschreibung und Verkehrssicherheit” (20 Zuordnungen), “verschie-
dene Verkehrsmittel und Verkehrswege” (elf Zuordnungen), “Das Fahrrad” (15
Zuordnungen), “Faszination Fliegen” (neun Zuordnungen), “sich am Bahnhof zu-
rechtfinden und Fahrplane lesen” (sieben Zuordnungen), sowie “Mobilitat fruher
und heute” (funf Zuordnungen). Folgende Bucher befassen sich ausfuhrlicher mit
dem Thema Mobilitat, wobei hier noch einmal darauf hingewiesen wird, dass eine
Behandlung des Themas Mobilitat nicht automatisch auch den Nachhaltigkeitsge-
danken impliziert.
• “Meine bunte Welt 3” fordert zuerst dazu auf, “Vor- und Nachteile eines
Privatautos mit jenen o"entlicher Verkehrsmittel” zu vergleichen, nennt
darunter beim Ausbau der Verkehrswege jedoch lediglich verschiedene Straßen.
Weder im Text noch bildlich wird auf den Ausbau von Fuß- und Radwegen
oder das Schienennetz hingewiesen (siehe Abbildung 8.14).
• “Minimondo 3” behandelt das Thema Mobilitat auf vier Seiten: die erste
Seite beschaftigt sich mit der Entstehung des Rades, auf der zweiten Seite
wird “Mobilitat fruher und heute” besprochen und die Kinder werden da-
zu aufgefordert, in einer “Ideen-Werkstatt” uber Fortbewegungsmittel der
Zukunft nachzudenken, weiters werden verschiedene Verkehrsmittel darge-
stellt. Auf der nachsten Seite wird die Autoindustrie vorgestellt und werden
Vor- und Nachteile des Autos diskutiert und auf der letzten Seite lernen die
SchulerInnen, sich auf dem Bahnhof zurechtzufinden.
• “Tipi 3” verweist im Anschluss an das Thema Import darauf, dass viele unserer
alltaglichen Wunsche “Folgen fur die Umwelt [haben], die wir uns nicht immer
88
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.14.: Ausbau der Verkehrswege
Quelle: Meine bunte Welt 3
ganz bewusst machen” (siehe Abbildung 8.15). Auf einer Doppelseite werden
Vor- und Nachteile verschiedener Verkehrsmittel diskutiert. Als einziges Buch
beschreibt “Tipi 3” auf einer weiteren Doppelseite Verkehrswege (Bahnkorper
und Straßen) als verbindende UND trennende (Beispiel Schallschutzwande)
Bestandteile der gebauten Umwelt. Auf den vier darauf folgenden Seiten lernen
die Kinder, wie sie o"entliche Verkehrsmittel am besten nutzen konnen, auf
zwei weiteren Seiten wird Mobilitat fruher und heute miteinander verglichen.
• “Schatzkiste 3/4” behandelt das Thema Mobilitat auf neun Seiten und
beschaftigt sich mit einem eher physikalischen Zugang insbesondere mit der
Faszination Fliegen, Wasserfahrzeugen und dem Fahrrad. Auf einer Seite
werden die Kinder dazu angeregt, verschiedene Verkehrsmittel zu vergleichen,
auch der Treibsto"verbrauch kommt zur Sprache (siehe Abbildung 8.16).
• “Tipi 4” beschaftigt sich auf sechs Seiten mit Mobilitat, nennt an einer Stelle
Raps als Biodiesel und erwahnt an einer anderen Stelle, dass “der Transport
von Gutern auf dem Wasserweg [...] umweltfreundlicher und billiger als der
Transport auf der Straße” ist.
8.7.3. Mathematik
66,5 % (352 von 529) der gesamten Zuordnungen zur Kategorie Mobilitat fanden
sich in den 19 untersuchten Mathematikbuchern (siehe Abbildung 9.1). Der Großteil
der Abbildungen und Nennungen dient der Illustration von Aufgabenstellungen
zu den Grundrechnungsarten, Messaufgaben (Große, Gewicht), Preisrechnungen
89
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.15.: Umweltfolgen von Mobilitat
Quelle: Tipi 3
90
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.16.: Vergleich von Verkehrsmitteln
Quelle: Schatzkiste 3/4
91
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.17.: Umweltfreundliches Auto
Quelle: Matheblitz 4
und Wegbeschreibungen. Neben diesen 285 Abbildungen/Nennungen von Autos,
Fahrradern, Zugen und Schi"en fanden sich in zwolf Buchern auch 67 Zuordnungen,
in denen das Thema Mobilitat angesprochen wird, insbesondere in Auslastungs-,
Entfernungs- und Zeitrechnungen. An drei Stellen wurden Tankfullungen berechnet,
in einer Aufgabenstellung wird der Treibsto"verbrauch eines Flugzeuges berechnet
(siehe Abbildung 8.27). In “Matheblitz 4” wird ein “neues umweltfreundliches Klein-
auto” gekauft, jedoch dient hier nicht der Treibsto"verbrauch, sondern der Kaufpreis
als Datenbasis fur die Aufgabenstellung (siehe Abbildung 8.17). Nachhaltigkeitsre-
levante Rechnungen, in denen die Kosten von Autofahrten mit Fahrkartenpreisen
fur o"entliche Verkehrsmittel verglichen werden oder in denen die Kinder lernen,
die fur sie gunstigste Fahrkarte (Gruppenticket, Jahres- Wochen- oder Einzelticket)
zu berechnen, fehlen in allen untersuchten Mathematikbuchern.
8.8. Ressourcen
8.8.1. Abfall und Recycling
In sieben von 17 untersuchten Deutschbuchern der ersten bis vierten Klasse wurden
17 Textstellen der Kategorie “Ressourcen - Abfall und Recycling” zugeteilt. In
15 der 18 untersuchten Sachunterrichtsbucher wurden insgesamt 33 Zuordnungen
vorgenommen, die Verteilung auf die vier Schulstufen ist relativ ausgeglichen. In 17
der 19 untersuchten Mathematikbucher wurden 50 Ausschnitte zugeordnet (siehe
Abbildung 8.18).
8.8.1.1. Deutsch
Neben der Behandlung von Mulltrennung (sechs Zuordnungen) und Mullvermeidung
(funf Zuordnungen) konnen lediglich zwei Aufgabenstellungen in den Buchern
“Mein Sprachpilot 2” und “Funkelsteine Sprachbuch 3” den Themen Wieder- und
Weiterverwenden beziehungsweise Reparatur zugeordnet werden. In zwei Aufga-
92
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.18.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Abfall und Recycling”
Quelle: Eigene Darstellung.
benstellungen - in “Funkelsteine Sprachbuch 3” und “Deutsch 4” - werden die
Kinder aufgefordert, Verbotstafeln zum Thema Mullentsorgung zu entwerfen und
die Mull-Problematik bei Großveranstaltungen zu diskutieren.
8.8.1.2. Sachunterricht
Auch in den Sachunterrichtsbuchern uberwiegt klar das Thema Mulltrennung (17
Zuordnungen). Die Themen Verpackungsmull, Mullvermeidung, Wieder- und Wei-
terverwendung, Recycling und Problemsto"e werden nur vereinzelt angesprochen.
Folgende Bucher konnen besonders hervorgehoben werden:
• “Schatzkiste 3/4” behandelt das Thema Mull auf vier Seiten, wobei auf
Mullvermeidung, Mulltrennung, Problemsto"e, Recycling und Kompostieren
eingegangen wird und die SchulerInnen angeleitet werden, selber Mull zu
trennen.
• In “Lasso Sachbuch 3” wird die Geschichte der Mullabfuhr erzahlt, auf drei
weiteren Seiten wird zuerst der Nutzen von Mulltrennung und Recycling auf-
gezeigt und anschließend werden Mulldeponien und Mullverbrennung erklart,
wobei zu Ersterem angemerkt wird, dass das Grundwasser trotz Abdeckung
verseucht werden konnte und Deponien sehr viel Platz brauchen. Zu Letz-
terem wird vermerkt, dass die Abwarme fur Heizung und Stromerzeugung
genutzt werden kann, dieses Verfahren jedoch viel teurer ist und in Asche
und Abgasen Giftsto"e enthalten sein konnen.
93
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
• Auch in “Minimondo 4” wird auf Mullvermeidung, Mulltrennung, Recycling
und Problemsto"e eingegangen. Im Gegensatz zu den Darstellungen im Buch
“Lasso Sachbuch 3” werden Mulldeponie und Mullverbrennungsanlagen hier
nur erklart und nicht kritisch behandelt.
• In “Meine bunte Welt 2” muss die Au"orderung, auch selbst den Mull zu
trennen, kritisch betrachtet werden: Nachdem die Kinder zuerst theoretisch
den Abfall den richtigen Tonnen zuordnen sollen, und auch auf das Risiko von
gefahrlichen Sto"en hingewiesen wird, betri"t die zweite Aufgabenstellung
direkt die Lebenswelt der Kinder, namlich ihren Schulalltag. Die SchulerInnen
werden jedoch nur dazu aufgefordert, lediglich fur EINE Woche ihren Mull in
der Klasse zu trennen. Das setzt erstens nicht voraus, dass ohnehin in jeder
Klasse Mulltrennung praktiziert wird (was in der Praxis in vielen Schulen
der Fall ist), und fordert zweitens nicht dazu auf, dies einzufuhren, sondern
es lediglich einmal auszuprobieren (siehe Abbildung 8.19).
8.8.1.3. Mathematik
Der Großteil der Zuordnungen zeigt verschiedene Verpackungsmaterialien und
Getranke- beziehungsweise Lebensmittelgebinde. Au"allend war, dass Getranke,
Lebensmittel und Tierfutter haufig (34 Zuordnungen) in Folie verschweißt oder
in Dosen abgepackt dargestellt werden, dargestellte Mehrweggebinde, Obststeigen
oder Glasflaschen jedoch eher die Ausnahme darstellten.
Nur in folgenden drei Buchern fanden sich Rechenaufgaben zum Thema “Abfall
und Recycling”: In “Alles klar 4” ist eine ganze Seite dem Thema “Abfalle aus
Haushalten” gewidmet, auf der mit osterreichischen Abfall-Daten aus dem Jahr
2004 gerechnet wird. Auch in “Zahlenzug 4” und “Funkelsteine Mathematik 4”
finden sich jeweils eine ganze Seite Rechenaufgaben zum Thema Mull und Recycling
(siehe Abbildung 8.20).
8.8.2. Energieverbrauch und Energiegewinnung
In vier von 17 untersuchten Deutschbuchern der zweiten beziehungsweise vier-
ten Klasse wurden insgesamt zwolf Zuordnungen zur Kategorie “Ressourcen -
Energieverbrauch und Energiegewinnung” vorgenommen. In zwolf von 18 Sach-
unterrichtsbuchern wurden 41 Textstellen in Buchern der zweiten bis vierten
Schulstufe zugeordnet, in den 19 untersuchten Mathematikbuchern konnte keine
einzige Aufgabenstellungen dieser Kategorie zugeordnet werden (siehe Abbildung
8.21).
94
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.19.: Mulltrennung fur eine Woche
Quelle: Meine bunte Welt 2
95
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.20.: Recycling-Aufgaben
Quelle: Funkelsteine Mathematik 4
96
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.21.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Energieverbrauch undEnergiegewinnung”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.8.2.1. Deutsch
In folgenden vier Deutschbuchern wurden Zuordnungen zur Kategorie “Ressourcen -
Energieverbrauch und Energiegewinnung” vorgenommen, wobei der Großteil dieser
Zuordnungen nicht als “positives” Umsetzungs-Beispiel im Sinne einer Bildung fur
nachhaltige Entwicklung bezeichnet werden kann, sondern auch Textstellen zugeord-
net wurden, in denen es um Energie geht, in denen die Themen Energieverbrauch
oder -sparen jedoch nicht angesprochen werden:
• In “Deutsch 2” wird bei der Aufzahlung dessen, was der Wind alles kann,
die Stromerzeugung durch Windrader nicht erwahnt, beim Thema Heizen
werden Kohle, Holz, Gas und Ol genannt, weiters werden auf zwei Seiten
Stromausfall- Geschichten erzahlt. Auf die Bedeutung des Energieverbrauchs
fur eine nachhaltige Entwicklung wird in diesem Buch nicht Bezug genommen.
• Auch in “Deutsch 4” soll eine Stromausfall-Geschichte erzahlt werden, weiters
sollen die Kinder uberlegen, wozu man Strom braucht, wobei unter der
Uberschrift “Elektrische Gerate erleichtern das Leben” eine Vielzahl von
Elektrogeraten abgebildet sind und genannt werden. Eine einzige Frage in
diesem Buch, auf einer Seite mit dem Titel “Wir brauchen elektrischen Strom”
lautet: “Wie kann mit Strom sparsamer umgegangen werden?”
97
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
• In “Funkelsteine Sprachbuch 4” werden auf zwei Seiten verschiedene Elektro-
gerate und Maschinen, die das Leben erleichtern, genannt und anschließend
die SchulerInnen dazu aufgefordert, ihren Tagesablauf zu uberlegen, wenn
es “einen Tag und eine Nacht lang” keinen Strom gabe. Von sparsamem
Verbrauch ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.
• “Funkelsteine Lesebuch 4” enthalt eine Geschichte mit dem Titel “Der o"ene
Kuhlschrank” - uber Energie wird in diesem Zusammenhang aber auch nicht
gesprochen.
8.8.2.2. Sachunterricht
In den Buchern der vierten Klasse sind, mit 25 ausgewahlten Ausschnitten, die meis-
ten Zuordnungen zu finden. Auch hier wurden nicht nur Ausschnitte ausgewahlt,
in denen das Thema im Sinne einer Erziehung zu nachhaltiger Entwicklung po-
sitiv umgesetzt wurde, sondern auch solche, in denen auf wichtige Aspekte einer
nachhaltigen Energienutzung und/oder -gewinnung (wie beispielsweise Einsparpo-
tentiale oder Alternativenergien, etc.) nicht eingegangen wird, wie die anschließende
Beschreibung der zugeordneten Textstellen in den einzelnen Buchern zeigt:
• In “Minimondo 2” lernen die Kinder verschiedene Haushaltsgerate kennen
und werden in diesem Zusammenhang auf die Verwendung von aufladbaren
Batterien und auf die richtige Entsorgung von Batterien als Beitrag zum
Umweltschutz aufmerksam gemacht. Zudem erfahren sie, dass man fur Gerate
“mit Motorantrieb” mehr Geld fur Anscha"ung, Benzin, Diesel oder elektri-
schen Strom braucht. Das Thema Energiegewinnung wird in diesem Buch
nicht behandelt.
• “Meine bunte Welt 2” beinhaltet neben “naturlichen und kunstlichen Licht-
quellen” ebenfalls eine Seite uber verschiedene Batterien und verweist hier
auch auf deren richtige Entsorgung. Akkumulatoren oder Energieverbrauch
generell werden hingegen nicht angesprochen. Im Kapitel “Der Wind” wird
die Kraft des Windes anhand verschiedener Beispiele dargestellt, die Nut-
zung des Windes zur Stromerzeugung wird jedoch nicht aufgezeigt. Bei der
Darstellung verschiedener Haushaltsgerate wird lediglich auf die Gefahr von
Strom, jedoch nicht auf den Energieverbrauch hingewiesen.
• “Schatzkiste 2” stellt ebenfalls verschiedene Haushaltsgerate vor, vergleicht
anhand dieser Beispiele Motorkraft mit Muskelkraft und schreibt dazu fol-
gende Merksatze: “Werkzeuge mit Motoren benotigen elektrischen Strom,
Benzin oder Diesel. Verwende diese Werkzeuge sparsam! So schutzt du unsere
Umwelt, und du sparst auch Geld. Elektrischer Strom, Benzin und Diesel
sind sehr teuer.”
98
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
• “Meine bunte Welt 3” vergleicht ebenfalls Muskelkraft mit Motorkraft, der
Energieverbrauch wird jedoch nicht explizit behandelt. Im Kapitel “Wir
nutzen die Krafte der Natur!” werden Wasser- Wind- und Sonnenenergie
zur “sauberen und umweltfreundlichen” Stromerzeugung vorgestellt, darunter
werden Atomkraftwerke als gefahrliche Energiequellen angefuhrt, sowie der
Dynamo als Stromquelle genannt.
• Auch “Lasso Sachbuch 3” vergleicht Muskelkraft mit Motorkraft, stellt ver-
schiedene Haushaltsgerate vor und geht im Rahmen einer Aufgabenstellung
naher auf das Thema “Gefahren des elektrischen Stroms” ein, Energiever-
brauch oder Energiegewinnung werden auch hier nicht behandelt.
• In “Tipi 3” wird unter der Uberschrift “Uberall Strom” ein Haus mit Haus-
haltsgeraten bildlich dargestellt. Hinter dem Haus sind ein thermisches Kraft-
werk und ein Windrad zu sehen. Die Stromerzeugung wird folgendermaßen
erklart: “Elektrischer Strom ist eine Energieform. Durch die Verbrennung von
Kohle, Erdol oder Erdgas wird Energie gewonnen, die im Elektrizitatswerk
in elektrischen Strom umgewandelt wird. Wasserenergie, Wind-, Sonnen- und
Atomenergie konnen ebenfalls in Strom umgewandelt werden. In Osterreich
wird Energie in erster Linie aus Wasserkraft gewonnen.” Im Kapitel “Die
Gluhlampe” wird nicht auf Energieverbrauch oder Energiesparlampen einge-
gangen.
• “Schatzkiste 3/4” behandelt das Thema “Der elektrische Strom” auf sieben
Seiten, greift das Thema zuerst aus technischer Sicht auf, weist auf die
Gefahren hin und zeigt die Stromerzeugung und den Weg des Stromes - vom
Wasserkraftwerk bis zur Steckdose - auf. Unter der Uberschrift “Elektrisches
Licht” werden schließlich die Gluhlampe und die Energiesparlampe inklusive
ihrer richtigen Entsorgung behandelt und unter der Uberschrift “Alternative
Stromerzeugung” sollen die SchulerInnen Vor- und Nachteile von Solarzellen
und Windradern diskutieren. Am Ende des Buches werden noch einmal der
Stromkreis, die Gefahren von Strom und die Stromerzeugung mittels Dynamo
wiederholt.
• “Meine bunte Welt 4” erklart die Stromerzeugung anhand von verschiede-
nen Wasserkraftwerken, Warmekraftwerken, sowie der als umweltschonend
bezeichneten “Stromerzeugung durch Wind und Sonne”. Weiters wird der
Nutzen von Strom diskutiert und auf die Gefahren hingewiesen. Die Themen
Energieverbrauch, nachhaltige Energienutzung oder Sparpotential werden
nicht behandelt.
• Als Beispiel mit einer an Nachhaltigkeitszielen orientierten, umfangreichen
Behandlung des Themas kann “Tipi 4” genannt werden, das sich auf acht
99
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Seiten mit Energie beschaftigt. Im Kapitel “Das brauche ich” werden auf einer
Doppelseite “nicht unerschopfliche”, fossile Ressourcen als Energiespeicher
und erneuerbare Energiequellen (“Sonnenenergie, Wind- und Wasserenergie,
die Energie aus Pflanzen [...] und die Erdwarme aus dem Inneren der Erde”)
beschrieben und diskutiert. Weiters werden die Kinder angeleitet, einen
Stromkreis zu bauen und es wird auf die Gefahren des elektrischen Stroms
hingewiesen. Unter der Uberschrift “Energie wandelt sich” wird die Sonne als
ursprunglicher Energielieferant und der Unterschied zwischen direkter und
indirekter (fossiler) Sonnenenergie-Nutzung dargestellt. Auf einer weiteren
Seite wird die Umwandlung von Sonnenenergie in elektrischen Strom aus
Wind- und Wasserkraftwerken veranschaulicht. Auf zwei weiteren Seiten sollen
die SchulerInnen den Energiebedarf fur Bewegung erkennen und verschiedene
Antriebsmoglichkeiten und Antriebsenergien (Muskelkraft, Wind, Strom,
Treibsto"e) kennenlernen.
• Auch “Lasso Sachbuch 4” behandelt das Thema Energie auf sieben Seiten,
beschreibt zuerst fossile Energien und erklart anhand eines Kohlebergwerkes
wie sie abgebaut werden. Wie die wirtschaftliche Rolle von Kohle beschrieben
wird, zeigt Abbildung 8.22. Weiters werden die Erdolforderung und verschie-
dene Erdol-Produkte vorgestellt. Als Aufgabenstellung wird ein “Lehrausgang
zu einer Tankstelle” vorgeschlagen, fur den sich die Kinder Fragen wie “Wel-
che Produkte, die Erdol enthalten, werden verkauft?”, “Welche davon sind
umweltfreundlich?” oder “Was ist der Unterschied zwischen Benzin und Die-
sel?” uberlegen sollen. Elektrischer Strom wird als unverzichtbar dargestellt,
anschließend sollen die SchulerInnen verschiedene Elektrogerate besprechen
und einen Stromkreis bauen. Auch der Weg vom Kraftwerk in die Haus-
halte wird beschrieben. Als “Energieverschwendung” werden “eine o"ene
Kuhlschranktur, eine unnotig eingeschaltete Lampe und ein alleingelassenes
laufendes Fernsehgerat” genannt, auch Energiesparlampen werden erwahnt
und die Kinder sollen zu Hause weitere Sparmoglichkeiten erforschen. Zum
Thema Stromerzeugung werden verschiedene Kraftwerke (Wasser, kalorische,
Atom, Wind) aufgezahlt und dargestellt. Windkraftwerke und Solarenergie
werden als umweltfreundlich beschrieben, Warmekraftwerke als umweltver-
schmutzend und “Wasserkraftwerke zerstoren den Lebensraum vieler Tiere.”
• In “Minimondo 4” werden die SchulerInnen angeleitet, einen Stromkreis zu
bauen, und auf die Gefahren von Strom aufmerksam gemacht. Weiters werden
Licht-, Warme- und Bewegungsenergie unterschieden. Auf die Frage, woher
der elektrische Strom kommt, werden eine Batterie, ein Akkumulator und ein
Dynamo als drei “Mini-Kraftwerke” vorgestellt und die richtige Entsorgung
von Batterien erwahnt. Auf der nachsten Seite werden als Großkraftwerke
100
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.22.: Wirtschaftliche Bedeutung von Kohle
Quelle: Lasso Sachbuch 4
Wasserkraftwerke und Warmekraftwerke erklart. Lediglich als Abschluss
werden die Fragen gestellt, warum es in Osterreich keine Kernkraftwerke
gibt und was die Kinder uber “Alternative Energien” wissen. Auf einer
weiteren Seite werden folgende “Krafte und ihre Wirkung” genannt: Muskeln,
Elektromotor, Verbrennung, Wind, Wasser und Sonne.
8.8.2.3. Mathematik
In den untersuchten Mathematikbuchern konnten keine Aufgabenstellungen der
Kategorie “Ressourcen - Energieverbrauch und Energiegewinnung” gefunden und
zugeordnet werden.
8.8.3. Gewasser
In drei von 17 untersuchten Deutschbuchern der dritten und vierten Klasse wurden
funf Textstellen der Kategorie “Ressourcen - Gewasser” zugeordnet, drei von 18
Sachunterrichtsbucher der zweiten und vierten Klasse greifen an sieben Stellen das
Thema Gewasser als Ressource auf und in zwei von 19 Mathematikbuchern der
vierten Klasse wurde jeweils eine Rechenaufgabe dieser Kategorie zugeteilt (siehe
Abbildung 8.23).
8.8.3.1. Deutsch
“Deutsch 4” greift an drei Stellen verschmutzte Seen als Thema auf, in den zwei
anderen Buchern werden einmal das Meer und einmal verschiedene Gewasser als
fur den Menschen nutzbar thematisiert.
8.8.3.2. Sachunterricht
“Tipi 4” geht als einziges Buch naher auf das Thema ein und bespricht im Kapitel
“Wasser - das blaue Gold” das osterreichische Gewassernetz auf funf Seiten als
Erholungsraum, umweltfreundlichen Transportweg, gunstigen Siedlungsraum und
Energielieferant.
101
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.23.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Ressourcen - Gewasser”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.8.3.3. Mathematik
In zwei Mathematikbuchern der vierten Klasse wurde jeweils eine Rechenaufgabe,
in denen Flusse als Transportwege dienen, der Kategorie “Ressourcen - Gewasser”
zugeordnet.
8.8.4. Wasser
In drei von 17 untersuchten Deutschbuchern wurden neun Zuordnungen in Buchern
der dritten und vierten Klasse getro"en. Zwolf von 18 untersuchten Sachunter-
richtsbuchern behandeln das Thema Wasser als Ressource an 34 Stellen und in
sechs von 19 Mathematikbuchern wurden acht Aufgaben aus Buchern der dritten
und vierten Klasse dieser Kategorie zugeordnet (siehe Abbildung 8.24).
8.8.4.1. Deutsch
Großteils (sieben Zuordnungen) wird in den untersuchten Deutschbuchern sauberes
(Trink-)Wasser als wichtige Ressource thematisiert und der Wasserkreislauf be-
schrieben. In einem eigenen Kapitel “Wasser” im “Funkelsteine Lesebuch 3” greift
eine einzige Geschichte den Nachhaltigkeitsgedanken auf und behandelt das Thema
“sauberes Trinkwasser in Angola”.
102
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.24.: Bucher mit Zuteilungen zur Kategorie “Ressourcen - Wasser”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.8.4.2. Sachunterricht
Neben der Wasserversorgung und der Verwendung und Bedeutung von sauberem
(Trink-)Wasser fur alle (18 Zuordnungen) werden die Abwasserreinigung (acht Zu-
ordnungen), der Wasserkreislauf (vier Zuordnungen), die Nutzung von Brauchwasser
(drei Zuordnungen), sowie die Aggregatzustande von Wasser (eine Zuordnung) be-
handelt. Lediglich in funf Buchern werden die Kinder zu verantwortungsvollem,
sorgsamen Umgang mit Wasser aufgefordert.
8.8.4.3. Mathematik
Inhaltlich behandeln die zugeordneten Rechnungen den Wasserverbrauch durch
tropfende Wasserhahne, beim Duschen, Baden, der WC-Spulung oder dem Auto-
waschen. Zwei Aufgabenstellungen thematisieren die Regenwasser-Nutzung.
8.8.5. Rohsto"verbrauch, Knappheit und Verfugbarkeit
In keinem der 17 untersuchten Deutschbucher konnte eine Textstelle der Katego-
rie “Ressourcen - Rohsto"verbrauch, Knappheit und Verfugbarkeit” zugeordnet
werden. In sechs von 18 Sachunterrichtsbuchern wurden 13 Stellen zugeordnet, elf
davon in Buchern der vierten Klasse. In vier Mathematikbuchern der dritten und
vierten Klasse wurden funf Aufgabenstellungen dieser Kategorie zugeordnet (siehe
Abbildung 8.25).
103
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.25.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Ressourcen - Rohsto"-verbrauch, Knappheit und Verfugbarkeit”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.8.5.1. Deutsch
In keinem der untersuchten Deutschbucher wurde das Thema Ressourcen oder
Ressourcenknappheit aufgegri"en.
8.8.5.2. Sachunterricht
Inhaltlich werden in den Sachunterrichtsbuchern insbesondere Holz, Kohle, Erdol
und Eisenerz als wichtige, beziehungsweise wertvolle Ressourcen vorgestellt (zehn
Zuordnungen), auf Endlichkeit, Verfugbarkeit oder Knappheit von sowohl nicht-
erneuerbaren als auch erneuerbaren Rohsto"en wird nur an vier Stellen hingewiesen,
“Tipi 4” ist das einzige untersuchte Buch, in dem an drei Stellen auf Endlichkeit
hingewiesen wird und diese auch explizit beschrieben wird. (siehe Abbildung 8.26)
8.8.5.3. Mathematik
In zwei der zugeordneten Aufgaben soll der Heizolverbrauch berechnet werden, in
zwei der Benzinverbrauch und in einer Aufgabe wird ein Vergleich aufgestellt, wie
lange man mit dem verbrauchten Treibsto" eines Verkehrsflugzeuges ein Einfamili-
enhaus heizen konnte. (siehe Abbildung 8.27)
104
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.26.: Endlichkeit fossiler Ressourcen
Quelle: Tipi 4
Abbildung 8.27.: Vergleich Flugzeug - Heizung
Quelle: Alles klar 4
105
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.28.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Soziale Nachhaltigkeit -Gender”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.9. Soziale Nachhaltigkeit
8.9.1. Gender
In 16 von 17 Deutschbuchern wurden 66 Zuordnungen zur Kategorie “Soziale
Nachhaltigkeit - Gender” getro"en. In 14 von 18 Sachunterrichtsbuchern finden sich
49 Zuordnungen, wobei das Thema in der zweiten Schulstufe mit 29 Zuordnungen
am starksten vertreten ist. In vier von 19 Mathematikbuchern wurden funf Aufgaben
zugeordnet (siehe Abbildung 8.28). Auch in dieser Kategorie ist zu bedenken, dass
nicht nur Ausschnitte ausgewahlt wurden, die das Thema “positiv” - im Sinne einer
Orientierung an den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung - umsetzen, sondern
auch solche, in denen dies nicht geschieht, in denen beispielsweise stereotype
Geschlechterrollen verstarkt werden, anstatt sie aufzubrechen oder zur Diskussion
zu stellen.
8.9.1.1. Deutsch
Inhaltlich wird in den Deutschbuchern vor allem in den Themenfeldern “Berufe und
Berufswunsch” (30 Zuordnungen), “Hausarbeit” (zehn Zuordnungen), “Fasching
und Verkleidung” (acht Zuordnungen), sowie “Freizeitbeschaftigung” (acht Zuord-
nungen) zwischen Mannern/ Buben und Frauen/ Madchen unterschieden. In sieben
Buchern wird das Thema “Geschlechter-Stereotype und Gleichbehandlung von
Mannern und Frauen” ganz bewusst aufgegri"en und diskutiert. (siehe Abbildung
8.29)
106
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.29.: Klischees diskutieren
Quelle: Lilos Sprachbuch 4
In acht der untersuchten Bucher werden hingegen ganz klar Mannern und Frauen
geschlechtsspezifische Berufsgruppen und Faschingskostume, Hobbys und Hausarbei-
ten, und diesen Berufen und Rollen auch bestimmte Eigenschaften (schon, lieb, stark,
mutig), zugeschrieben. In sechs Buchern sind der Versuch und die Bemuhungen
zu erkennen, Klischees zu vermeiden und beispielsweise Berufe und Verkleidungen
geschlechtsneutral zu formulieren und darzustellen, und damit Gender-Stereotype
zu durchbrechen. Die oft nur in Ansatzen durchgesetzte Neutralitat wirkt jedoch
haufig eher aufgesetzt und unnaturlich und dient daher nur in Maßen dem Ziel,
bestehende Klischees zu durchbrechen, zu hinterfragen und zur Diskussion daruber
anzuregen.
8.9.1.2. Sachunterricht
Inhaltlich finden sich die Zuordnungen vor allem in den Themenbereichen “Berufe”
(35 Zuordnungen) und “Kindererziehung und Haushalt” (elf Zuordnungen). In
“Tipi 2 und 4” werden auf funf Seiten “beruhmte Forscherinnen” und ihr Wirken
vorgestellt. Wie in den Deutschbuchern ist auch in den Buchern des Faches Sachun-
terricht die Bemuhung zu erkennen, Berufe und Rollen im Haushalt nicht einzelnen
Geschlechtern zuzuordnen, wobei lediglich in den “Lasso Sachbuchern 2, 3 und 4”
die Berufe geschlechtsneutral formuliert wurden und in den anderen Buchern die
Berufe in mannlicher und weiblicher Form gemischt genannt oder dargestellt werden
und meist ein einzelner Beruf bewusst dem “untypischen” Geschlecht zugeordnet
wurde (Architektin auf einer klar mannlich dominierten Baustelle, Mechanikerin
oder Frisor als “untypische” Berufswahl). An sieben Stellen in sechs Buchern werden
die Themen Gleichberechtigung im Haushalt oder am Arbeitsmarkt, stereotype Rol-
lenverteilung und Unterschiede zwischen Mannern und Frauen explizit thematisiert
und diskutiert.
107
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.30.: Geschlechtsneutrale Aufgabenstellungen
Quelle: Matheblitz 4.
Abbildung 8.31.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Soziale Nachhaltigkeit -Generationen”
Quelle: Eigene Darstellung.
8.9.1.3. Mathematik
In vier Mathematikbuchern wurden funf Aufgaben der Kategorie “Soziale Nachhal-
tigkeit - Gender” zugeordnet, in denen bewusst geschlechtsspezifische Zuordnungen
aufgebrochen oder Aufgabenstellungen geschlechtsneutral formuliert werden (siehe
Abbildung 8.30).
8.9.2. Generationen
Das Thema Generationen wurde in funf von 17 Deutschbuchern der dritten und
vierten Klasse an elf Stellen angesprochen. In drei von 18 Sachunterrichtsbuchern
der zweiten bis vierten Klasse wird das Thema Generationen an sechs Stellen
aufgegri"en und in keinem der 19 Mathematikbucher wurde eine Aufgabenstellung
zum Thema “Soziale Nachhaltigkeit - Generationen” gefunden (siehe Abbildung
8.31).
8.9.2.1. Deutsch
Der Großteil der Texte (zehn Zuordnungen) in den untersuchten Deutschbuchern
beschrankt sich auf einen Vergleich von Schule/ Wohnen/ Haushalt/ Arbeit/
108
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Einkaufen fruher und heute, was eine Diskussion uber Entwicklungen im Laufe
der Zeit und damit auch Schlusse auf zukunftige Entwicklungen anregen kann.
Nur in zwei Buchern werden die Kinder direkt aufgefordert, sich die Welt in 100
beziehungsweise 200 Jahren vorzustellen, das Thema Generationengerechtigkeit
oder Verantwortung gegenuber zukunftigen Generationen wird jedoch nicht explizit
angesprochen.
8.9.2.2. Sachunterricht
Auch in den untersuchten Sachunterrichtsbuchern beschranken sich die Themen auf
einen Vergleich von Umgebung, Technik und Wirtschaft fruher und heute und die
Frage nach Veranderungen im Zeitablauf. Auf die Zukunft oder eine Verantwortung
gegenuber zukunftigen Generationen wird in diesem Zusammenhang nicht Bezug
genommen.
8.9.2.3. Mathematik
In keinem Mathematikbuch wurde eine Zuordnung zur Kategorie “Soziale Nachhal-
tigkeit - Generationen” vorgenommen.
8.9.3. Nord-Sud-Beziehungen und Fair Trade
In sechs von 17 untersuchten Deutschbuchern der dritten und vierten Klasse wurden
22 Zuordnungen zur Kategorie “Soziale Nachhaltigkeit - Nord-Sud-Beziehungen
und Fair Trade” gemacht. In zehn von 18 untersuchten Buchern aus dem Fach
Sachunterricht der zweiten bis vierten Klasse wurden 15 Textstellen dieser Kategorie
zugeordnet, und in keinem der 19 untersuchten Mathematikbucher wurde eine
Aufgabenstellung zu diesem Thema gefunden (siehe Abbildung 8.32).
8.9.3.1. Deutsch
In den Texten in den untersuchten Deutschbuchern werden hauptsachlich andere
Lander und Kulturen vorgestellt (18 Zuordnungen), drei Texte befassen sich mit
Kinderrechten, nur eine Geschichte in “Lilos Sprachbuch 3” beschaftigt sich mit
fairem Handel mit Ka"ee.
8.9.3.2. Sachunterricht
Inhaltlich beschaftigen sich die Texte und Aufgaben in den Sachunterrichtsbuchern
insbesondere mit verschiedenen Kulturen (funf Zuordnungen) und der Kinderrechts-
konvention (sechs Zuordnungen). Weiters werden die Themen Hilfsbedurftigkeit
(zwei Zuordnungen) und Trinkwasser-Knappheit (zwei Zuordnungen) behandelt.
109
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.32.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Soziale Nachhaltigkeit -Nord-Sud-Beziehungen und Fair Trade”
Quelle: Eigene Darstellung.
Gerechte Verteilung zwischen dem reicheren globalen Norden und dem armeren glo-
balen Suden wird nicht, Fair Trade wird nur in einem Buch (“Tipi 4”) angesprochen
(siehe Abbildung 8.33).
8.9.3.3. Mathematik
Zum Thema Nord-Sud-Beziehungen wurde in keinem der untersuchten Mathema-
tikbucher eine Aufgabenstellung gefunden.
8.10. Umweltrisiken
Weder in den 17 untersuchten Deutschbuchern noch in den 19 untersuchten Ma-
thematikbuchern werden Umweltrisiken in irgendeiner Form angesprochen. Nur in
drei der 18 untersuchten Sachunterrichtsbucher fanden sich drei Textstellen, die
der Kategorie “Umweltrisiko” zugeordnet werden konnten (siehe Abbildung 8.34).
8.10.1. Sachunterricht
In nur drei von 18 untersuchten Sachunterrichtsbuchern werden an jeweils einer
Stelle Umweltrisiken kurz, und außerst oberflachlich, angesprochen:
• “Meine bunte Welt 2” verweist im Kapitel Mulltrennung auf “gefahrliche
Sto"e” und wie man diese erkennen kann (siehe Abbildung 8.35); der rich-
tige Umgang mit diesen Sto"en wird im Buch jedoch nicht behandelt, die
110
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.33.: Fair Trade
Quelle: Tipi 4.
Abbildung 8.34.: Bucher mit Zuordnungen zur Kategorie “Umweltrisiken”
Quelle: Eigene Darstellung.
111
8. Ergebnisse der Schulbuchanalyse
Abbildung 8.35.: Gefahrliche Sto"e
Quelle: Meine bunte Welt 2
Abbildung 8.36.: Keine Atomkraft in Osterreich
Quelle: Minimondo 4
Darstellung konnte jedoch zumindest dazu anregen, naher auf dieses Thema
einzugehen, oder es im Unterricht zu diskutieren.
• “Meine bunte Welt 3” erwahnt im Kapitel “Wir nutzen die Krafte der Natur!”
auch die Atomenergie und erwahnt dazu lediglich: “Diese Energiequelle ist
gefahrlich!”
• “Minimondo 4” fragt im Kapitel “Stromerzeugung in Großkraftwerken” da-
nach, warum es in Osterreich keine Kernkraftwerke gibt (siehe Abbildung
8.36).
112
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
Nach der Beschreibung der relevanten Schulbuchinhalte im vorangegangenen Teil
werden in diesem Kapitel die an das Material herangetragenen Fragen (vgl. Kapi-
tel 7.1.2.5: Theoretische Di"erenzierung der Fragestellung) beantwortet, und die
Erkenntnisse bezuglich der Frage, inwieweit relevante Themen zur Erziehung zur
Nachhaltigkeit in den Schulbuchern der Volksschule bereits vorkommen, zusam-
mengefasst.
Abbildung 9.1 zeigt in einem Gesamtuberblick, wie sich die gesamten aus-
gewahlten Ausschnitte aus den untersuchten Schulbuchern auf die - fur eine Bildung
fur nachhaltige Entwicklung und einen Nachhaltigkeits-Diskurs relevanten - The-
mengebiete verteilen.
Da sich die Zuordnungen in dieser Untersuchung nicht auf Beispiele einer “positi-
ven” Umsetzung im Sinne einer Orientierung an den Zielen von BNE beschrankten,
sondern samtliche Textstellen und Abbildungen einer Kategorie zugeteilt wurden,
die inhaltlich einem bestimmten Themenfeld zugeordnet werden konnten, lasst
sich aus der Grafik 9.1 nicht zwangslaufig eine bereits erfolgreiche Umsetzung in
einigen Themenfeldern, sondern allenfalls die starke Vertretung bestimmter The-
menfelder und damit das Potential fur eine Umsetzung von Bildung fur nachhaltige
Entwicklung in den Schulbuchern, erkennen.
Aus dieser Grafik geht beispielsweise deutlich hervor, dass Mobilitat ein im
Alltag fest verankertes und im Schulbuch haufig vorkommendes Thema ist. Die
große Anzahl der Zuordnungen (insbesondere in den Mathematikbuchern) kann
jedoch leider nicht als besonders umfangreich behandeltes, geschweige denn als
ein an Nachhaltigkeitszielen orientiertes Thema, interpretiert werden. Die Anzahl
der Zuordnungen zeigt das BNE-Potential, das in den Schulbuchern steckt. Sehr
allgemein zusammengefasst lassen sich samtliche Themenfelder bezuglich ihrer
Bearbeitung in den untersuchten Schulbuchern in folgende zwei Gruppen einteilen:
• Themen, die zwar bereits im Schulbuch vertreten sind, deren Umsetzung und
Ausgestaltung in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte jedoch noch ausbaufahig
erscheinen: hierzu zahlen die Kategorien Mobilitat, Biodiversitat, Abfall
und Recycling, Konsum, Energie, Wasser und Gerechtigkeit zwischen den
Geschlechtern.
• Themen, die in den Schulbuchern fast garnicht vorkommen, bzw. deren
nachhaltigkeitsrelevanten Aspekte bisher nicht Eingang in die Schulbucher
113
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
Abbildung 9.1.: Verteilung samtlicher Zuordnungen auf Themengebiete/Kategorien
Quelle: Eigene Darstellung.
114
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
gefunden haben, hierzu zahlen die Kategorien Klimaschutz, Emissionen, Roh-
sto"e und Ressourcenverbrauch, Gewasser, Umweltrisiken und Gerechtigkeit
zwischen Generationen und Nord-Sud-Beziehungen.
Insbesondere Fragen, die sich auf globale, zeitverzogerte Gerechtigkeit beziehen
oder Risikofragen sind in der Volksschule naturlich auf die Entwicklung der Kinder
abzustimmen. Unter anderem David-Kunzli et. al. zeigen aber, dass bei entspre-
chender Aufbereitung auch diese Themen bereits in der Primarstufe aufgegri"en
und bearbeitet werden konnen.263
Die Analyseergebnisse lassen sich in den einzelnen Themenfeldern folgendermaßen
zusammenfassen:
• Biodiversitat ist mit insgesamt 226 Zuordnungen die am zweithaufigsten
ausgewahlte Kategorie (siehe Abbildung 9.1). Vor allem in den Deutsch- und
Sachunterrichtsbuchern der dritten und vierten Klasse werden verschiede-
ne Lebensraume und Okosysteme, und die darin vorkommenden Pflanzen
und Tiere, vorgestellt. Auf die okologische und soziale Bedeutung und die
Schutzwurdigkeit von biologischer Vielfalt, sowie auf bestehende Probleme,
wie beispielsweise die Zerstorung von Lebensraumen oder die Gefahrdung von
Nahrungsketten, oder auf konkrete Ansatze/ Handlungsmoglichkeiten zum
Erhalt der Artenvielfalt, wird nur vereinzelt eingegangen. Im Lehrplan fur
Mathematik ist die Bildungsaufgabe “Sachverhalte der Umwelt [...] mit Hilfe
von Zahlen, Großen und Operationen”264 erfassen zu konnen, festgeschrieben.
Als an Zielen einer nachhaltigen Entwicklung orientierte Umsetzung dieser
Bildungsaufgabe konnten zum Beispiel vermehrt Aufgabenstellungen in die
Mathematikbucher aufgenommen werden, die das Thema Biodiversitat be-
tre"en. In der vorliegenden Untersuchung konnten nur acht Rechenaufgaben
in funf Mathematikbuchern als solche Beispiele identifiziert werden.
• Als Emissionen wurden in dieser Untersuchung neben CO2 und anderen
an die Umwelt abgegebenen Sto"en auch Schallemissionen (Larm) erfasst.
Emissionen scheinen die Lebenswelt und den Alltag der Kinder nicht beson-
ders zu betre"en, denn das Thema wird in den untersuchten Schulbuchern
kaum direkt angesprochen und es wird auch nicht naher darauf eingegan-
gen, sondern lediglich in einigen Textausschnitten am Rande gestreift. In
den wenigen (neun von 54) Buchern, die das Thema Emissionen uberhaupt
ansprechen, wird es durchaus als problematisch, oder zumindest unangenehm
(Larm, Gestank) dargestellt. Gerausche und Geruche werden am haufigsten
behandelt, wobei nur in einem Deutschbuch naher auf das Thema Larm
eingegangen wird und konkrete Handlungs- und Mitgestaltungsmoglichkeiten
263Vgl. Kunzli David 2007.264Bundesministerium fur Unterricht, Kunst und Kultur 2010b, S. 145.
115
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
der Kinder (Au"orderungen an LarmverursacherInnen- bzw. verantwortliche)
aufgezeigt und erarbeitet werden. Kinder werden, wenn sie uberhaupt als
direkt betro"en dargestellt werden, großteils als “Opfer” der Emissionen
(Luftverschmutzung und Larm), jedoch nicht als aktive Verursacher oder
aktive Vermeider betrachtet. Neben dem erwahnten Deutschbuch nennt ein
einziges untersuchtes Sachunterrichtsbuch kindliche Mobilitat als Ursache fur
Luftverschmutzung und weist auf Alternativen (mit dem Rad fahren) hin.
• Das Thema Klimaschutz wird in nur zwei Sachunterrichtsbuchern explizit
angesprochen, wobei auch hier hauptsachlich einige Folgen der Erderwarmung
genannt werden. Wahrend in einem Buch als Ursache fur die Erderwarmung
“nach Meinung vieler Wissenschafter” nur die “Verbrennung fossiler Rohsto"e”
genannt wird, sollen im zweiten Buch die Ursachen fur den Klimawandel
von den SchulerInnen selbst erarbeitet werden. Nur in einem einzigen Buch
werden die Kinder auch dazu aufgefordert, sich Moglichkeiten fur ihren
eigenen “Beitrag zum Klimaschutz” zu uberlegen, “Rad fahren!” wird als
Beispiel angefuhrt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Klimawandel seit
Jahren ein brennendes und in samtlichen Medien breit diskutiertes und stetig
an Bedeutung zunehmendes Thema darstellt,265 war dieses Untersuchungs-
Ergebnis mehr als uberraschend!
• In mehr als der Halfte der untersuchten Bucher, relativ gleich verteilt auf
die drei untersuchten Unterrichtsgegenstande, kommt Konsum in irgendei-
ner Weise vor, was auch auf die starke Verankerung des Themas im Alltag
der Kinder verweist. In deutlich weniger Buchern (hauptsachlich in Sach-
unterrichtsbuchern) wird Konsum explizit thematisiert. Die Aspekte einer
nachhaltigen Konsum-Entwicklung (Zusammenhange mit anderen Bereichen
erkennen, Konsumverzicht, Regionalitat, Saisonalitat, Qualitat statt Quan-
titat, fairer Handel, etc.) werden kaum angesprochen und vor allem wird
nicht naher darauf eingegangen. Auch alternative Handlungsmoglichkeiten
der Kinder im Bereich Konsum werden kaum angesprochen. Einige Deutsch-
und Sachunterrichtsbucher verweisen zumindest darauf, dass man auch oh-
ne Konsum Freude bereiten kann bzw. regen zu uberlegtem/ bewusstem
Konsum an. In den wenigen Buchern, in denen den Kindern Moglichkeiten
aufgezeigt werden, wie sie (und ihre Eltern) auch selbst nachhaltig konsumie-
ren konnen, werden sie jedoch nicht auf deren Vorteile bzw. die weitreichenden
und vielfaltigen Folgen/ Auswirkungen/ Konsequenzen eines solchen nachhal-
tigen (oder auch nicht-nachhaltigen) Konsumverhaltens aufmerksam gemacht.
Nur in einem von 18 untersuchten Sachunterrichtsbuchern wird explizit der
Zusammenhang von Umwelt und Wirtschaft, Regionalitat, Saisonalitat sowie
265Vgl. Kruse 2011.
116
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
bewusstem Konsum hingewiesen. Aber auch in diesem Buch wird der Konsum
von regionalen Lebensmitteln nicht als eine im Alltag der Kinder vorhandene
Moglichkeit, sondern als eher abstraktes Phanomen dargestellt, wenn es heißt:
”Es gibt Vereine, deren Mitglieder wollen [Hervorhebung durch den Verfasser],
dass nur regionale Lebensmittel angeboten werden. Es ist ihnen [Hervorhe-
bung durch den Verfasser] wichtig, Lebensmittel zu sich zu nehmen, die in
ihrer Umgebung angebaut werden.” Auch die Vorteile von biologisch angebau-
ten Lebensmitteln werden lediglich in einem Sachunterrichtsbuch genannt. Fur
mathematische Aufgabenstellungen bietet sich das Thema Konsum naturlich
geradezu an. Rechenaufgaben, die einen nachhaltigen Konsum betre"en, etwa
ein Vergleich des Energieverbrauchs von Haushaltsgeraten oder des Treibsto"-
verbrauchs von Verkehrsmitteln, einfache Investitionsrechnungen am Beispiel
von in der Anscha"ung teureren Energiesparlampen, Berechnungen uber die
Einsparungen durch Gemeinschaftsnutzungen, etc. wurden in keinem Buch
gefunden. Auch ware es ein Leichtes, die au"allend haufigen Darstellungen von
nicht-umweltfreundlichen Lebensmittel- und Getrankegebinden zum Beispiel
durch Glasflaschen oder nicht-verpackte Lebensmittel zu ersetzen (an der
Rechnung andert sich nichts, ob Pfirsichdosen oder Apfel addiert werden!).
• Mobilitat stellt die Kategorie mit den meisten Zuordnungen dar, was auf
eine große Rolle im Alltag und der Lebenswelt der Kinder verweist. Der
uberwiegende Teil der Zuordnungen fallt mit 34 Prozent auf den rein motori-
sierten Individualverkehr. Mit 21 Prozent auf nicht-motorisierte, 20 Prozent
auf o"entliche und 18 Prozent auf gemischte Verkehrsteilnehmer sind die
restlichen Zuordnungen relativ gleich verteilt (siehe Abbildung 8.13). Die Nach-
haltigkeitskomponente von Mobilitat wird jedoch kaum explizit angesprochen.
Nur vereinzelt werden Vor- und Nachteile verschiedener Verkehrsmittel bespro-
chen, lernen die Kinder, sich auf dem Bahnhof zurechtzufinden oder Fahrplane
zu lesen. Verkehrsvermeidung wird nicht angesprochen, auch auf die bedeuten-
de Rolle, die Mobilitat im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung einnimmt,
und das große Potential, das damit auch im eigenen Mobilitatsverhalten liegt,
werden die Kinder nicht aufmerksam gemacht. In den Mathematikbuchern,
in denen Mobilitat das Thema mit den meisten Zuordnungen darstellt, fehlen
alltagsrelevante und handlungsorientierte Aufgabenstellungen, in denen zum
Beispiel das optimale/gunstigste Ticket, der Treibsto"verbrauch oder die
CO2-Reduktion verschiedener Mobilitatsvarianten berechnet werden.
• Abfall und Recycling ist eines der wenigen nachhaltigkeitsrelevanten The-
men, das explizit in beinahe allen Sachunterrichtsbuchern behandelt wird.
Mulltrennung und richtiges Entsorgen sind jene Aspekte, die am haufigsten
angesprochen werden, wobei der Nutzen von Mulltrennung oft nicht deutlich
117
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
dargestellt wird bzw. nur vereinzelt ein Zusammenhang zwischen Abfall/
Recycling und Rohsto"- bzw. Energieverbrauch oder Boden-, Wasser- und
Luftbelastung hergestellt wird. Nur vereinzelt wird explizit auf die Themen
Mullvermeidung, Wieder- und Weiterverwendung, Recycling oder Problem-
sto"e eingegangen. Auch einige (sieben von 17) Deutschbucher greifen das
Thema auf. Aber auch hier wird den Kindern zwar die Mull-Thematik als
problematisch beschrieben, auch werden die Kinder großtenteils dazu angelei-
tet, den Mull zu trennen und richtig zu entsorgen, auf Mullvermeidung durch
geandertes Konsumverhalten (”Wegwerfgesellschaft”), Reparatur oder Wieder-
und Weiterverwendung werden die Kinder jedoch nur in zwei Deutschbuchern
hingewiesen. In den Mathematikbuchern (in denen ebenfalls viele Zuordnun-
gen getro"en wurden) zeigt sich leider nur in drei Buchern, wie mit Abfall-
und Recycling-Daten nachhaltigkeitsrelevante Rechenaufgaben gestellt, und
damit konkretes Wissen vermittelt und Bewusstseinsscha"ung umgesetzt
werden konnen. Der Großteil der Zuordnungen in den Mathematikbuchern
zeigt jedoch lediglich, dass (vor allem bildlich dargestellter) Verpackungsmull
ein im Alltag der Kinder (und damit auch in den Schulbuchern) regelmaßig
vorkommendes Thema darstellt. Durch einfaches Austauschen einiger Bilder
oder Bezeichnungen (Frischobst statt Dosenfruchten, Mehrwegflaschen statt
Getrankedosen, etc.) konnte in den Mathematikbuchern beispielsweise eine -
zumindest im Schulbuch bereits realisierte - verpackungsarme “Mehrweg-Welt”
dargestellt werden.
• Wahrend in zwei Drittel der Sachunterrichtsbucher das Thema Energie
zwar behandelt wird, Nachhaltigkeitsaspekte jedoch auch hierbei weitestge-
hend fehlen, kommt es in den Deutschbuchern kaum vor. Auch die wenigen
Deutschbucher (vier von 17), in denen das Thema aufgegri"en und elektri-
scher Strom durchgehend als bedeutsam dargestellt wird (vor allem durch
Stromausfall-Geschichten), orientieren sich nicht an den Zielen einer nachhalti-
gen Entwicklung (sparsamer Umgang mit Energie, erneuerbare Energieformen
bevorzugen, etc.) Nur ein einziger Satz in einem Deutschbuch fragt, wie “mit
Strom sparsamer umgegangen werden kann”, wobei durch diese sehr allgemei-
ne Formulierung die Kinder weder explizit angesprochen, noch zu sparsamen
Gebrauch angeregt werden. Auf Stromerzeugung oder allgemeine Aspekte der
Energiegewinnung (Ressourcenverbrauch, Umweltbelastung, Umweltrisiken,
Grenzen erneuerbarer Energiequellen, etc.) wird in keinem der untersuchten
Deutschbucher eingegangen.
Wie in den Deutschbuchern, wird auch in den Sachunterrichtsbuchern zum
Thema Energie vor allem dem elektrischen Strom eine große Bedeutung
zugeschrieben. Da Batterien und die Gefahren von Strom die Lebenswelt
der Kinder scheinbar am ehesten betre"en, wurden diese Themen schwer-
118
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
punktmaßig behandelt, auf Akkumulatoren oder die richtige Entsorgung von
Batterien wurde nur vereinzelt eingegangen. In den Buchern der dritten und
vierten Klasse wird auch die Energiegewinnung besprochen, wobei in diesem
Zusammenhang großtenteils auch erneuerbare Energieformen genannt, aber
oft nicht naher behandelt werden. Energieverbrauch und wichtige Aspekte
einer nachhaltigen Energienutzung werden nur vereinzelt thematisiert und
auch konkrete Handlungsmoglichkeiten oder Einsparpotentiale - insbesondere
fur die Kinder selbst bzw. deren Eltern, wie beispielsweise richtiges Heiz- und
Luftverhalten, bewusste Haushaltsfuhrung oder die Vermeidung von Stand-
By-Betrieb - werden nur vereinzelt genannt oder erarbeitet: dem individuellen
Energiesparen wird, so scheint es, in den Schulbuchern kein gesellschaftlicher
Wert zugestanden.
In allen 19 untersuchten Mathematikbuchern fehlt das Thema ganzlich; Be-
rechnungen zu Energieverbrauch oder Einsparpotential waren mogliche Bei-
spiele fur eine alltags- und handlungsorientierte Umsetzung der BNE im
Bereich Energie in den Mathematikbuchern.
• Gewasser werden in den untersuchten Schulbuchern zwar als Lebensraum
von Tieren und Pflanzen, im Gegensatz zu Trinkwasser jedoch kaum als wich-
tige, schutzenswerte Ressource wahrgenommen bzw. dargestellt. Lediglich in
acht von 54 Buchern werden Flusse, Seen und Meere vereinzelt als Transport-
wege, Erholungs- und Siedlungsraume oder Energielieferanten erwahnt, ohne
dass naher darauf eingegangen wird. Nur in einem einzigen Buch werden
verschmutzte Seen und Gewasserschutz angesprochen. Viele Themen wie
Uberfischung, Vermullung, Schadsto"belastung oder Verbauung der Gewasser
oder auch konkrete Handlungsalternativen, wie beispielsweise den Kauf von
nachhaltig gefischtem Fisch, werden nicht behandelt.
• In zwei Drittel der untersuchten Sachunterrichtsbucher, aber nur in drei
bzw. sechs Deutsch- und Mathematikbuchern wird sauberes Trinkwasser
durchgehend als wertvoll und bedeutend thematisiert. Vereinzelt wird unter
dem Stichwort ”sauberes Trinkwaser fur alle” auch auf Verteilungs- und
Knappheits-Aspekte eingegangen. In einigen Sachunterrichtsbuchern wird
außerdem die Wasserversorung und Abwasserreinigung angesprochen. Zu
einem sorgsamen Umgang mit Wasser werden die Kinder jedoch nur in funf
Buchern explizit aufgefordert. Die sechs Mathematikbucher, in denen das
Thema im Rahmen von Rechnungen zum Wasserverbrauch aufgegri"en wird,
zeigen, wie die Umsetzung von BNE im Bereich Wasser aussehen konnte.
• Nur in einem Drittel der 18 untersuchten Sachunterrichtsbucher werden Roh-
sto!e in irgendeiner Weise behandelt, wobei auch hier nur verschiedene
Rohsto"e vorgestellt werden. Auf Endlichkeit, Verfugbarkeit oder Knappheit
119
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
wird nur in einem einzigen der untersuchten Sachunterrichtsbucher hingewie-
sen. Alternative Handlungsmoglichkeiten fur einen bewussten Umgang mit
Ressourcen - wie etwa Reparatur und Recycling, Gemeinschaftsnutzungen
oder die Bevorzugung von Gutern aus erneuerbaren Rohsto"en - werden
jedoch auch in diesem Buch nicht aufgezeigt. In den Deutschbuchern wurde
das Thema uberhaupt nicht aufgegri"en, und auch in den vier Mathema-
tikbuchern, in denen Aufgaben zur Thematik vorkommen, wurde zwar der
Verbrauch verschiedener Ressourcen berechnet, auf Aspekte einer nachhalti-
gen Nutzung dieser wurde jedoch nicht hingewiesen.
• Schulbucher sollten nicht nur eine geschlechtergerechte Sprache verwenden,
sondern auch auf bestehende Klischees, Ungerechtigkeiten und Diskrimi-
nierungen hinweisen, Normen und Rollenbilder hinterfragen und diese zur
Diskussion stellen.266 Vor allem in den untersuchten Deutsch- und Sachunter-
richtsbuchern, vereinzelt auch in Mathematikbuchern, sind die Bemuhungen
zu erkennen, das Thema Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern in
die Schulbucher einfließen zu lassen, stereotype Rollenbilder und Gender-
Zuschreibungen zu hinterfragen und Klischees aufzubrechen. Dies geschieht
jedoch bei weitem nicht durchgangig: nur sieben Deutschbucher und sechs
Sachunterrichtsbucher greifen das Thema explizit auf.
• Das Thema Gerechtigkeit zwischen den Generationen bzw. Verantwor-
tung gegenuber zukunftigen Generationen wurde in keinem der 54 unter-
suchten Schulbucher explizit behandelt. Acht Schulbucher (funf aus dem
Fach Deutsch und drei aus dem Fach Sachunterricht) stellen lediglich in
verschiedenen Lebensbereichen einen Vergleich von fruher und heute her, der
auf eine Veranderung oder Entwicklung im Zeitablauf hinweist. In nur zwei
Buchern werden die Kinder angeregt, sich die Welt in 100 bzw. 200 Jahren
vorzustellen. Dabei vereinigen sich in diesem Thema zwei wesentliche Grund-
elemente einer Bildung fur nachhaltige Entwicklung: erstens orientiert sich
die Idee der Nachhaltigkeit nicht an dusteren Katastrophenszenarien, sondern
stellt vielmehr die konstruktive, optimistische Frage nach einer erwunschten,
angestrebten Zukunft unserer Welt und den Weg, die Entwicklung dort hin
in ihren Mittelpunkt. Daraus muss zweitens die Erkenntnis abgeleitet werden,
dass unsere gegenwartigen Entscheidungen und Handlungen Auswirkungen
auf die Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen, auf andere Menschen auf
der Welt und auch auf die Moglichkeiten zukunftiger Generationen haben, und
deshalb jedeR verantwortungsbewusst handeln muss. Unter anderem durch
das Thematisieren und Aufzeigen von Auswirkungen verschiedener Hand-
lungsoptionen sollten die Kinder lernen, die Folgen ihrer Verhaltensweisen
266Vgl. Markom und Weinhaupl 2007, S. 229 f.
120
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
auf lokaler und globaler sowie auch auf zukunftige Generationen abschatzen
und beurteilen zu konnen.267
• Die gleiche Grundidee wird auch in der Frage nach einer globalen (Verteilungs-
) Gerechtigkeit angesprochen. Wahrend in sechs von 17 untersuchten
Deutschbuchern und in zehn von 18 untersuchten Sachunterrichtsbuchern
hauptsachlich andere Lander und Kulturen vorgestellt werden, greift kein
einziges Mathematikbuch dieses Thema auf. Grundsatzlich wird in den we-
nigen Buchern, die die Nord-Sud-Thematik uberhaupt ansprechen, ein sehr
eurozentristisches Bild gepragt: arme, fremde Menschen (insbesondere Kin-
der) bedurfen “unserer” Hilfe. Gerechte Verteilung zwischen dem reicheren
globalen Norden und dem armeren globalen Suden, der Zusammenhang zwi-
schen unserem Konsumverhalten und den Folgen fur Menschen uberall auf
der Welt (Beispiel Billigprodukte und deren Herstellungsbedingungen) und
die damit einhergehende Verantwortung werden in den Schulbuchern nicht
thematisiert. Globalisierter und vor allem fairer Handel werden nur in einem
einzigen Deutschbuch und in einem Sachunterrichtsbuch explizit erwahnt.
• Das Thema Umweltrisiko oder die Frage nach vertretbaren Risiken wird in
nur drei von 54 untersuchten Buchern der Volksschule in jeweils einem Satz
angesprochen, was vermutlich darauf zuruckzufuhren ist, dass diese Thematik
die Lebenswelt der Kinder scheinbar nicht betri"t. In zwei Buchern werden
Atomkraftwerke erwahnt, im dritten Buch werden die Kinder im Zusammen-
hang mit Mull auf ”gefahrliche Sto"e” aufmerksam gemacht. Das Aufgreifen
von Umweltrisiken auch in der Primarstufe soll nicht die Angste der Kinder
schuren, vielmehr sollen die Kinder im Rahmen einer erfolgreichen Bildung
fur nachhaltige Entwicklung die Moglichkeit erhalten, sich mit verschiedenen
Risiken und der Frage nach vertretbarem oder nicht-vertretbarem Risiko
auseinanderzusetzen. Andererseits sollen “positive Entwicklungsmoglichkeiten
und Chancen fur eine Eigeninitiative auch dort aufgezeigt [werden], wo der
Handlungsspielraum gering erscheint”.268 Denn Volksschulkinder sind zwar
nicht unmittelbar in ihrem Alltag mit Themen wie Atom-, Tanker- oder Che-
mieunfallen betro"en, aber sie sind auch nicht ganzlich unberuhrt davon, da
sie beispielsweise auch die in den Massenmedien gefuhrten Debatten (insbeson-
dere nach Unfallen wie dem in Fukushima oder der Olpest im Golf von Mexiko)
mitbekommen. Durch behutsames, altersgerechtes Aufgreifen und Erarbeiten
konnen die Kinder lernen, auch mit solch schwierigen Fragen umzugehen.
Auch in ihrem “didaktischen Leitfaden zur Veranderung des Unterrichts in
der Primarschule” weisen Kunzli David et.al. darauf hin, dass sich weniger die
267Vgl. Kunzli David et al. 2008, S. 9.268De Haan 2009, S. 21.
121
9. Zusammengefasste Erkenntnisse
Frage stellt, “ob Kinder mit problematischen Situationen konfrontiert werden
durfen, sondern vielmehr, auf welche Art solche Themen in den Unterricht
aufgenommen und thematisiert, sowie welche Bewaltigungsmoglichkeiten den
Kindern geboten werden.”269
269Kunzli David et al. 2008, S. 6.
122
10. Fazit und Anregungen
Um die okologischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen der Mensch-
heit auf Dauer zu sichern und allen Menschen die Moglichkeit fur ein erfulltes,
gleichberechtigtes Leben auch in Zukunft zu erhalten, wurde vor nunmehr 25 Jah-
ren das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung ausgearbeitet. Okonomische und
okologische Vertraglichkeit, sowie soziokulturelle Gerechtigkeit werden in diesem
Ansatz als einander beeinflussend und bedingend angesehen. Eine erfolgreiche
Umsetzung einer zukunftsfahigen Entwicklung, durch die die Bedurfnisse heutiger
Generationen befriedigt werden konnen, ohne die Bedurfnisbefriedigung zukunftiger
Generationen zu schmalern, kann nach Ansicht vieler ExpertInnen nur im Zusam-
menspiel der drei Umsetzungsstrategien E!zienz, Konsistenz und Su!zienz erfolgen.
Die große Herausforderung liegt jedoch in der Umsetzung dieser zukunftsweisenden
Theorie in die gelebte Praxis und die Integration der Nachhaltigkeitsprinzipien in
das Bewusstsein und das Handeln der Menschen. Wahrend weitgehende Einigkeit
daruber besteht, dass eine weltweite nachhaltige Lebensfuhrung ein zentraler An-
satz ist, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, herrscht Uneinigkeit
daruber, wie dieses komplexe Konzept am e"ektivsten in die Realitat umgesetzt
werden kann.
Ausgehend von der begrundeten Annahme, dass die Einfuhrung und Umset-
zung der drei in Kapitel 2.2 besprochenen Umsetzungsstrategien - und damit das
Gelingen dieses Veranderungsprozesses - nur mit entsprechend weitreichenden Ver-
haltensanderungen der Bevolkerung gelingen kann, wurden eine Reihe von Faktoren
identifiziert, die das individuelle Verhalten beeinflussen. Matthies beschreibt in
ihrem Handlungsmodell (siehe Kapitel 3.3) vor allem folgende Einflussfaktoren
auf umweltgerechtes oder umweltschadliches Verhalten: Bewusstheit des Umwelt-
problems, Bewusstheit der Relevanz des eigenen Verhaltens, Bewusstheit eigener
Fahigkeiten, personliche und soziale Normen, sowie Verhaltensgewohnheiten. Sowohl
die von Matthies beschriebenen kognitiven Wissens- und Bewusstseinsfaktoren, als
auch die handlungsleitenden subjektiven und sozialen Werte und Normen werden im
Rahmen von Sozialisation und Bildung gelernt und an die nachsten Generationen
weitergegeben. Damit lasst sich auch erklaren, warum bei der Umsetzung einer
nachhaltigen Entwicklung dem Bildungssystem auf allen Ebenen eine so bedeutende
Rolle zugeschrieben wird, was auch mit der von 2005 bis 2014 laufenden UN-Dekade
“Bildung fur nachhaltige Entwicklung” zum Ausdruck gebracht wird.
123
10. Fazit und Anregungen
Eine wichtige Institution, in der ein Grundstein unserer Sozialisation gesetzt
wird, ist die Volksschule, durch die der Staat ein großes Einflusspotential fur die
Mitgestaltung einer sich an Nachhaltigkeitszielen orientierenden”neuen Generation“
hat. Die vorherrschenden gesellschaftlichen Normen und Selbstverstandlichkeiten
werden einerseits in den Schulbuchern abgebildet, die Schulbucher wirken anderer-
seits aber als Vermittlungsmedium auch auf die Entstehung und Festigung neuer
Normen, und damit auf das Handeln der Menschen.
Ziel dieser Arbeit war es, zu untersuchen, welche Rolle die Volksschulen im
Rahmen von Bildung fur nachhaltige Entwicklung (BNE) spielen und welchen
Beitrag Schulbucher zur Erreichung dieser Ziele bereits leisten, beziehungsweise
abzuschatzen, welchen Beitrag sie leisten konnten. Die Ziele einer BNE beziehen
sich naturlich nicht allein auf die Bildungswirkung von Schulbuchern. Die Ver-
antwortung fur die Umsetzung derartiger BNE-Initiativen liegt einerseits beim
individuellen Engagement der Lehrkrafte, vor allem aber auch in der staatlichen
Verpflichtung, welche sich neben der Entwicklung von strukturellen Maßnahmen
oder der LehrerInnenausbildung unter anderem durch die Bereitstellung entspre-
chender Lehrmaterialien widerspiegelt. An der enormen Reichweite, dem Umstand,
dass nur staatlich geprufte Werke zur Verfugung gestellt werden, und an der immer
noch wichtigen Rolle, die das Schulbuch im Lehr- und Lernalltag spielt, lasst sich
das große Potential erkennen, das dieses Vermittlungsmedium zu einer erfolgreichen
Umsetzung von BNE beitragen kann.
Die vorliegende Arbeit zeigt leider, dass dieses enorme Potential noch nicht
ausgeschopft wird. Hierfur wurden die im Lehrplan festgelegten und von o"entlicher
Hand mittels Schulbuch bereitgestellten Lehrinhalte zum Thema Nachhaltigkeit
naher betrachtet. Da kein inhaltlicher Kriterien- oder Anforderungskatalog besteht,
der beschreibt, was BNE alles behandeln oder beinhalten sollte, oder wie diese
Themenfelder umgesetzt werden sollten, um einer BNE zu genugen, wurde hier
lediglich versucht, Themenbereiche aus dem Konzept der Nachhaltigkeit abzuleiten
und das Vorhandensein dieser Themen in den Schulbuchern untersucht. Die Unter-
suchung beschrankte sich nicht auf Beispiele einer “positiven” Umsetzung im Sinne
einer Orientierung an den Zielen von BNE, sondern es wurden samtliche Textstel-
len und Abbildungen einer Kategorie zugeteilt, die inhaltlich einem bestimmten
Themenfeld zugeordnet werden konnten. Daran lasst sich das in den Schulbuchern
vorhandene Potential fur eine Umsetzung von Bildung fur nachhaltige Entwicklung
erkennen, da es sich an vielen Stellen in den Buchern anbieten wurde, Aspekte
einer nachhaltigen Entwicklung einfließen zu lassen beziehungsweise einen Bezug zu
Nachhaltigkeit erlauben wurden. Was die Ausschopfung dieses Potentials betri"t,
kann folgendes festgehalten werden: Wahrend in manchen Bereichen (beispielsweise
bei den Themen Mulltrennung oder Trinkwasser) Ansatze vorhanden sind, Themen-
komplexe nachhaltig umzusetzen und aufzubereiten, fehlen andere Themen vollig.
124
10. Fazit und Anregungen
Sehr allgemein zusammengefasst lassen sich samtliche Themenfelder bezuglich ihrer
Bearbeitung in den untersuchten Schulbuchern in folgende zwei Gruppen einteilen:
• Themen, die zwar bereits im Schulbuch vertreten sind, deren Umsetzung und
Ausgestaltung in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte jedoch noch ausbaufahig
erscheinen und die leider nicht als durchgangig gelungene BNE bezeichnet
werden konnen. Hierzu zahlen die Kategorien Mobilitat, Biodiversitat, Abfall
und Recycling, Konsum, Energie, Wasser und Gerechtigkeit zwischen den
Geschlechtern. Hier zeigt sich, dass einige nachhaltigkeitsrelevante Themen-
felder, wie Mobilitat, Biodiversitat oder Konsum, im Alltag fest verankerte
und im Schulbuch haufig vorkommende Themen sind. Da diese Themen auch
unmittelbar im Alltag der Kinder Bedeutung haben, waren sie besonders
geeignet, einen personlichen Bezug zum eigenen Leben und eine bewusste
Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und der direkten Handlungs-
relevanz des Gelernten herzustellen und konkrete Handlungsalternativen sowie
verschiedene Folgewirkungen, Zusammenhange und Konsequenzen der einzel-
nen Handlungsmoglichkeiten aufzuzeigen. Auch dies sind Aspekte, die bisher
kaum in den Schulbuchern aufgegri"en werden. Vielmehr beschrankt sich
der Großteil der Ausschnitte, in denen Nachhaltigkeitsaspekte aufgegri"en
werden, auf reine Informationsvermittlung. Der verschwindend geringe An-
teil an aufgezeigten Bezugen zum individuellen kindlichen Alltag, sowie das
Aufzeigen und Erarbeiten von Handlungsalternativen und deren Folgen und
Wirkungen sind stark zu kritisieren, da gerade das Bewusstsein uber eigene
Einflussmoglichkeiten und deren Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit als wichtige,
handlungsmitentscheidende Faktoren gelten (siehe Kapitel 4.1).
Wahrend bei einigen Themen zwar bereits ein Bemuhen erkennbar ist, die
Aufbereitung starker an Zielen einer nachhaltigen Entwicklung zu orientie-
ren (zum Beispiel im Bereich Genderneutralitat), fehlt das Aufgreifen von
Nachhaltigkeitsaspekten in anderen Bereichen beinahe vollig (zum Beispiel
im sehr haufig vorkommenden Bereich Mobilitat). Ein weiterer Kritikpunkt
bezieht sich auf die Konzentration auf E!zienz- und Konsistenzansatze
(beispielsweise “Rad statt Auto” oder Mulltrennung), Su!zienz- oder Ver-
meidungsansatze (Mobilitats-, Abfall-, Emissions- oder Konsumvermeidung)
werden kaum angesprochen.
• Die zweite Gruppe stellen Themengebiete dar, die bisher kaum Eingang in
die Schulbuchern gefunden haben. Hierzu zahlen die Kategorien Klimaschutz,
Emissionen, Rohsto"e und Ressourcenverbrauch, Gewasser, Umweltrisiken
und Gerechtigkeit zwischen Generationen und Nord-Sud-Beziehungen. Dass
nicht einmal die seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten hochaktuellen Themen
Klimaschutz, Gerechtigkeit zwischen Generationen oder Auswirkungen unse-
125
10. Fazit und Anregungen
res globalisierten Lebensstandards in den Schulbuchern Beachtung finden, ist
meiner Meinung nach nicht nachvollziehbar und stark zu kritisieren.
Die Untersuchungsergebnisse zeigen leider, dass die im Vorfeld aufgestellte Hypothe-
se, wonach nachhaltigkeitsrelevante Themen in den meistverwendeten Schulbuchern
der Volksschule nur wenig behandelt werden und die Umsetzung von BNE somit
großteils vom Engagement der Lehrkrafte abhangig ist, in weiten Teilen bestatigt
wird. Dem großen Thema Nachhaltigkeit wurde in den untersuchten Buchern leider
sehr wenig Bedeutung beigemessen, und die von vielen Seiten und auch von Regie-
rungen und der UN geforderte Bildung fur nachhaltige Entwicklung scheint in den
Schulbuchern der Volksschulen noch nicht angekommen zu sein, was angesichts der
globalen Entwicklungen außerst bedenklich erscheint.
Viele engagierte LehrerInnen praktizieren BNE bereits seit Jahren, sie werden
jedoch durch die staatlich finanzierten und bereitgestellten Schulbucher kaum dabei
unterstutzt. Vielmehr muss sich jedeR einzelne um eigenes Lehrmaterial bemuhen.
Von vielen Organisationen werden Materialien zu spezifischen Themen angeboten,
ein Schulbuch, das sich durchgangig an den Zielen von BNE orientiert existiert
jedoch leider immer noch nicht.
Das gesamte Konzept der nachhaltigen Entwicklung, und damit auch das Konzept
der Bildung fur nachhaltige Entwicklung ist außerst komplex, vielschichtig und weit-
reichend. Ein so komplexes Entwicklungskonzept in die Praxis umzusetzen und in
die Schulen und Schulbucher zu bringen ist kein leichtes Unterfangen und erscheint
beinahe unmoglich. Insbesondere wenn man berucksichtigt, dass BNE nicht darauf
bedacht ist, bestimmte Handlungsanweisungen zu geben oder zwischen gutem und
schlechtem Handeln zu unterscheiden. Vielmehr sollen der Entwicklungsprozess,
die Reflexion und Diskussion, sowie die Mitentscheidung und -gestaltung im Vor-
dergrund stehen. Doch gerade um so einen konstruktiven Diskurs zu ermoglichen,
ist es notwendig, dass verschiedene Handlungsalternativen mitsamt ihrer Vor- und
Nachteile, sowie ihrer lokalen, globalen, zeitversetzten, etc. Folgen und Auswir-
kungen aufgezeigt und zur Diskussion gestellt werden. Konkret bedeutet dies zum
Beispiel, den Kindern nicht aufzutragen, nur noch Bio- Lebensmittel zu kaufen, son-
dern ihnen die verschiedenen Alternativen vorzustellen und zur Reflexion daruber
anzuregen. Erst wenn die Unterschiede zwischen regionaler, industrieller und biolo-
gischer Landwirtschaft bekannt sind, konnen beispielsweise die Auswirkungen des
eigenen Obsteinkaufes reflektiert und beurteilt werden. Weiters ware es wichtig,
diese aufgezeigten Mitentscheidungs-, Mitgestaltungs- und Handlungsmoglichkeiten
als tatsachlich im Alltag verfugbare und auch fur die Kinder und deren Eltern
anwendbare Alternativen darzustellen. Biologische Lebensmittel sollten beispiels-
weise nicht etwas sein, das irgendwo irgendjemand beim Einkaufen bevorzugt. Auch
Wieder- und Weiterverwendung oder Gemeinschaftsnutzungen sollten nicht als
ferne, abstrakte Alternativen sondern als alltagliche, auch von den Kindern umsetz-
126
10. Fazit und Anregungen
bare Handlungsmoglichkeiten dargestellt werden, um nur einige Beispiele zu nennen.
In dieser Weise konnten in beinahe allen Themenfeldern Nachhaltigkeitsaspekte mit
einfließen, wie dies erstens im Verstandnis von nachhaltiger Entwicklung gedacht
und zweitens durch die facherubergreifenden, ganzheitlichen Unterrichtsprinzipien
im Lehrplan auch gefordert wird. Auch wenn die Volksschule nur einen Teil - als
Basisbildung jedoch einen sehr wesentlichen und vor allem fur das spatere Leben
der Kinder sehr pragenden Teil - zur gesamten Bildungsarbeit beitragt, und auch
wenn das Schulbuch nur einen Teil des schulischen Angebotes darstellt, so ware
es doch wunschenswert, wenn diese vom Staat bereitgestellten Materialien und
Lehrbucher die engagierten LehrerInnen in ihrer Arbeit unterstutzen, und die noch
nicht an Nachhaltigkeit interessierten Lehrkrafte zumindest zur Umsetzung von
BNE anregen wurden.
Auch die Lenkung der kostenlos zur Verfugung gestellten Schulbucher durch die
Approbationskommission stellt einen wichtigen Aspekt dar. So konnte etwa ein
Kriterien- oder Anforderungskatalog bezuglich BNE-relevanter Inhalte erstellt
werden, dessen Umsetzung im Schulbuch eine Voraussetzung fur die positive Ap-
probation darstellt. Ein derartiger Kriterienkatalog wurde einerseits uber das
Approbationsverfahren ein Mindestmaß an BNE oder gewisse BNE-Standards in
den eingesetzten Schulbuchern garantieren, und ware andererseits eine Hilfestel-
lung fur SchulbuchautorInnen, fur die es - ebenso wie fur die LehrerInnen - eine
große Herausforderung darstellt, neben der Beachtung von Lehrplankonformitat,
inhaltlichen, padagogischen, didaktischen, sozialen und entwicklungspsychologi-
schen Gesichtspunkten, nun auch noch Nachhaltigkeitsaspekte zu berucksichtigen.
Es ist kein einfaches Unterfangen, das Konzept der Nachhaltigkeit auf konkrete
Anforderungskriterien herunterzubrechen. Dennoch ist es meines Erachtens wich-
tig, konkrete Forderungen und Erwartungen zu formulieren und den handelnden
Personen in der Praxis konkrete Hilfestellungen fur die Umsetzung von BNE im
Unterricht zur Verfugung zu stellen. Die vorliegende Analyse hat gezeigt, dass der
Weg vom Konzept bis zur Umsetzung in der Schule - der unter anderem uber die
LehrerInnenausbildung und uber die Lehrmittel geht - lang ist, und dass noch
ein weiter Weg vor uns liegt, wenn das angestrebte Ziel eine am Konzept der
Nachhaltigkeit orientierte Gesellschaft ist. Insbesondere mit Blick auf die aktuell
gefuhrte Schulentwicklungs- und Qualitatsdebatte ware es ein moglicher nachster
Schritt, mehr Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung in die Schulbucher und damit
in die Schulen zu bringen.
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Anhang - untersuchte Schulbucher
Die angefuhrten Schulbuchnummern beziehen sich auf die Schulbuchliste der Schul-
buchaktion 2011/12.
Deutsch
• Friedl, M., ”Funkelsteine 1 Leselehrgang”, Verlag E. DORNER GmbH, Wien,
110672.
• Buck, S., ”Funkelsteine 3 - Ein Lesebuch”, Verlag E. DORNER GmbH, Wien,
120437.
• Buck, S., “Funkelsteine 4 - Ein Lesebuch”, Verlag E. DORNER GmbH, Wien,
126017.
• Furnstahl, G., ”Funkelsteine 2 Sprachbuch Druckschrift”, Verlag E. DORNER
GmbH, Wien, 115589.
• Furnstahl, G., ”Funkelsteine 3 Sprachbuch”, Verlag E. DORNER GmbH,
Wien, 105240.
• Furnstahl, G., ”Funkelsteine 4 Sprachbuch”, Verlag E. DORNER GmbH,
Wien, 105242.
• Freund, J., Jarolim, F., ”Deutsch 2, Schulerbuch”, obv, Wien, 0999.
• Freund, J., Jarolim, F., ”Deutsch 3, Schulerbuch”, obv, Wien, 2498.
• Freund, J., Jarolim, F., ”Deutsch 4, Schulerbuch”, obv, Wien, 1420.
• Freund, J., Lager, B., Prcha, I., ”Mein Sprachpilot 2. Osterreichisches Sprach-
buch”, obv, Wien, 130207.
• Freund, J., Lager, B., Prcha, I., “Mein Sprachpilot 3. Osterreichisches Sprach-
buch”, obv, Wien, 135063.
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111273.
• Puchta, H., Welsh, R., ”Lilos Sprachbuch 3 - Basisteil”, Helbling, Rum/Innsbruck,
115300.
• Puchta, H., Welsh, R., ”Lilos Sprachbuch 4 - Basisteil”, Helbling, Rum/Innsbruck,
120747.
• Koppensteiner, C., Meixner, C., ”Lese- und Lernprofi 1 - Sinnerfassend lesen
lernen mit Theo dem Lesewurm”, Bildungsverlag Lemberger, Wien, 130419.
• Koppensteiner, C., Meixner, C., ”Lese- und Lernprofi 4 - Sinnerfassend lesen
lernen mit Julia und Michael, den Leseprofis”, Bildungsverlag Lemberger,
Wien, 140212.
Sachunterricht
• Beer, R., Polzl, A., Frey, C., Stessel, M., Bartnitzky, H., ”Lasso Sachbuch 1
mit Englisch fur den integrativen Englischunterricht”, obv, Wien, 130223.
• Beer, R., Polzl, A., Frey, C., Stessel, M., Bartnitzky, H., ”Lasso Sachbuch 2
mit Englisch fur den integrariven Englischunterricht”, obv, Wien, 130224.
• Polzl, A., Stressel-Hermanek, M., Bartnitzky, H., ”Lasso Sachbuch 3, Schulerbuch”,
obv, Wien, 151074.
• Polzl, A., Stessel-Hermanek, M., Bartnitzky, H., ”Lasso Sachbuch 4, Schulerbuch”,
obv, Wien, 151088.
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Volk, Wien, 110368.
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