Essverhalten und Lernprozesse der Ernährungsbildung · Ernährungs Umschau | 8/09 443 Medien zur...

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442 Ernährungs Umschau | 8/09 Wissenschaft & Forschung | Begutachtetes Original Peer-Review-Verfahren | Eingereicht: 17. 11. 2008 Akzeptiert: 16. 6. 2009 Erfahrungen und Lernprozesse im frü- hen Kindesalter prägen die gesund- heitsbezogenen Lebensstile der Men- schen ein Leben lang [1, 2]. Die ersten Lernschritte dazu beginnen in aller Regel im familiären Kontext. Für diese Phase belegen die großen Studien zur Kinder- und Jugendgesundheit (u. a. KIGGS, KOPS, HBSC), dass im privaten Umfeld nicht mehr selbstverständlich gesundheitliche Essstile entstehen [3]. Wenn Familien und die dort wichtigen Beziehungen als positive Lernorte versa- gen, wird stets nach institutioneller Bil- dungsverantwortung gerufen, die diesen erkannten Mangel ausgleichen möge. Ernährungsbildung im aktuellen Ver- ständnis (s. Definition) braucht Men- schen im Vermittlungsprozess wie El- tern, Geschwister, Erzieherinnen, Erzie- her, Lehr- und Beratungskräfte. Vor allem letztere nutzen dabei unzählige Medien und Materialien, die, im Niveau zwischen Laien- und Expertenkompe- tenz angesiedelt, häufig auf Vermitt- lungsmodelle zur Visualisierung von Er- nährungsempfehlungen zurückgreifen. Diese Kreis-, Säulen- oder Pyramidensys- teme zur Vermittlung von Lebensmittel- und Ernährungskenntnissen werden vielfältig eingesetzt, im Vergleich zu ihrer Bedeutung jedoch selten gerichtet auf Zielgruppen bzw. den jeweiligen Nutzen für vermittelnde Personen eva- luiert. Für den vorliegenden Beitrag bildete die Evaluation der aid-Ernährungspyramide für Kinder (Getreide plus) – eines Ver- mittlungsmodells für Kinder, das im Grundschulbereich eingesetzt wurde [4] – den Ausgangspunkt. Dabei wurde zu- nächst untersucht, ob einerseits die zen- tralen Botschaften der Pyramide von Grundschülern und -schülerinnen ver- standen werden, und des Weiteren, wie Lehrkräfte Nutzen und Einsatz des Ver- mittlungsmodells sowie der Begleitma- terialien beurteilen. Evaluation zum Einsatz der aid-Kinderpyramide in Grundschulklassen Visuelle Darstellungsformen von Ernäh- rungsempfehlungen variieren je nach Zielgruppe und Einsatz in den verschie- denen Settings. Im Setting Schule gilt es Lehrer/-innen und Erzieher/-innen, also Berufsgruppen, die auch im Vermittlungsprozess von Ernährungsbildung stehen, stehen eine Vielzahl von Medien und Materialien zur Ernährungsbildung zur Verfügung. Auf welche Weise sie diese nutzen und wie erfolgreich sich Lernziele damit umsetzen lassen, ist bisher wenig bekannt und stand daher im Mittel- punkt der vorliegenden Studie an Grundschulen in Schleswig-Holstein. Essverhalten und Lernprozesse der Ernährungsbildung Medien, Materialien und die Rolle der vermittelnden Personen Prof. Dr. Ines Heindl* Weitere Autorinnen: Dr. Ulrike Johannsen* Dr. Ingrid Brüggemann** *Institut für Ernährungs- und Verbraucherbildung der Universität Flensburg E-Mail: iheindl @uni-flensburg.de **aid infodienst Verbraucherschutz, Ernährung, Landwirtschaft e. V., Bonn Interessenkonflikt Die Autorinnen erklären, dass kein Interessenkon- flikt im Sinne der Richtli- nien des International Commitee of Medical Journal Editors besteht. Ernährungsbildung wird als das Bemühen des Menschen angesehen, eine persönlich sinnvolle Ernährungsweise durch gesunde Lebensführung aufzubauen, worin er Unterstützung und Beglei- tung erfährt. Dabei beschränkt sie sich nicht nur auf die Korrektur und Entfaltung individueller Handlungsweisen, sondern berücksichtigt so- ziale, ökologische und ökonomische Aspekte eines selbst bestimmten und mitverantwortlichen menschlichen Handelns“ [2]. Beleg/Autorenexemplar! Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

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442 Ernährungs Umschau | 8/09

Wissenschaft & Forschung | Begutachtetes Original

Peer-Review-Verfahren | Eingereicht: 17. 11. 2008 Akzeptiert: 16. 6. 2009

Erfahrungen und Lernprozesse im frü-hen Kindesalter prägen die gesund-heitsbezogenen Lebensstile der Men-schen ein Leben lang [1, 2]. Die erstenLernschritte dazu beginnen in allerRegel im familiären Kontext. Für diesePhase belegen die großen Studien zurKinder- und Jugendgesundheit (u. a.KIGGS, KOPS, HBSC), dass im privatenUmfeld nicht mehr selbstverständlichgesundheitliche Essstile entstehen [3].Wenn Familien und die dort wichtigenBeziehungen als positive Lernorte versa-gen, wird stets nach institutioneller Bil-dungsverantwortung gerufen, die diesenerkannten Mangel ausgleichen möge.Ernährungsbildung im aktuellen Ver-ständnis (s. Definition) braucht Men-schen im Vermittlungsprozess wie El-tern, Geschwister, Erzieherinnen, Erzie-her, Lehr- und Beratungskräfte. Vorallem letztere nutzen dabei unzähligeMedien und Materialien, die, im Niveauzwischen Laien- und Expertenkompe-tenz angesiedelt, häufig auf Vermitt-lungsmodelle zur Visualisierung von Er-nährungsempfehlungen zurückgreifen.Diese Kreis-, Säulen- oder Pyramidensys-teme zur Vermittlung von Lebensmittel-und Ernährungskenntnissen werdenvielfältig eingesetzt, im Vergleich zuihrer Bedeutung jedoch selten gerichtetauf Zielgruppen bzw. den jeweiligenNutzen für vermittelnde Personen eva-luiert.

Für den vorliegenden Beitrag bildete dieEvaluation der aid-Ernährungspyramidefür Kinder (Getreide plus) – eines Ver-mittlungsmodells für Kinder, das imGrundschulbereich eingesetzt wurde [4]– den Ausgangspunkt. Dabei wurde zu-nächst untersucht, ob einerseits die zen-tralen Botschaften der Pyramide vonGrundschülern und -schülerinnen ver-standen werden, und des Weiteren, wieLehrkräfte Nutzen und Einsatz des Ver-mittlungsmodells sowie der Begleitma-terialien beurteilen.

Evaluation zum Einsatz der aid-Kinderpyramide inGrundschulklassen

Visuelle Darstellungsformen von Ernäh-rungsempfehlungen variieren je nachZielgruppe und Einsatz in den verschie-denen Settings. Im Setting Schule gilt es

Lehrer/-innen und Erzieher/-innen, also Berufsgruppen, die auch im Vermittlungsprozess von Ernährungsbildung stehen, stehen eine Vielzahlvon Medien und Materialien zur Ernährungsbildung zur Verfügung. Auf welche Weise sie diese nutzen und wie erfolgreich sich Lernziele damitumsetzen lassen, ist bisher wenig bekannt und stand daher im Mittel-punkt der vorliegenden Studie an Grundschulen in Schleswig-Holstein.

Essverhalten und Lernprozesse der Ernährungsbildung Medien, Materialien und die Rolle der vermittelnden Personen

Prof. Dr. Ines Heindl*

Weitere Autorinnen: Dr. Ulrike Johannsen*Dr. Ingrid Brüggemann**

*Institut für Ernährungs- und Verbraucherbildungder Universität FlensburgE-Mail: [email protected]**aid infodienstVerbraucherschutz,Ernährung,Landwirtschaft e. V.,Bonn

Interessenkonflikt Die Autorinnen erklären,dass kein Interessenkon-flikt im Sinne der Richtli-nien des InternationalCommitee of MedicalJournal Editorsbesteht.

„Ernährungsbildung wird als das Bemühen desMenschen angesehen, eine persönlich sinnvolleErnährungsweise durch gesunde Lebensführungaufzubauen, worin er Unterstützung und Beglei-tung erfährt. Dabei beschränkt sie sich nicht nurauf die Korrektur und Entfaltung individuellerHandlungsweisen, sondern berücksichtigt so-ziale, ökologische und ökonomische Aspekteeines selbst bestimmten und mitverantwortlichenmenschlichen Handelns“ [2].

Beleg/Autorenexemplar!Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

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Medien zur Ernährungsbildung müssen zielgruppengerecht eingesetzt werden.

zu berücksichtigen, dass Visualisie-rung und Vermittlung von Ernäh-rungsempfehlungen ein wesentlicherBestandteil ausgewählter Curricula(z. B. für den Heimat- und Sachun-terricht) sind. Konzepte, Materialienund Medien zur Ernährungsbildung,besonders im Grundschulbereich,haben das Ziel, durch Veranschauli-chung zur Förderung der Ernäh-rungskompetenz der Schülerinnenund Schüler beizutragen. In die Ent-wicklung und Überarbeitung von Ma-terialien und Medien zur Ernäh-rungsbildung wird seit Jahren be-trächtlich investiert. Nachweise, wiediese Materialien zur Ernährungsbil-dung auf Zielgruppen wirken undwelchen Einfluss sie durch den Ver-mittlungsprozess nehmen, sind nurvereinzelt erbracht worden. Entspre-chend fehlt es an geeigneten Instru-menten für die Erhebung von Ernäh-rungswissen und Einstellungen derSchülerinnen und Schüler, derenLernen sich durch den Zusammen-hang von fachwissenschaftlichen Be-zügen und didaktisch-methodischerGestaltung verändert.

Bei der genannten Evaluation deraid-Kinderpyramide in Grundschul-

klassen Schleswig-Holsteins handeltees sich um eine quantitative Studie[4], die durch qualitative Untersu-chungsmethoden ergänzt wurde.

Quantitative Studie zum Ernährungswissen und Essverhalten der Schülerund Schülerinnen

In einem quasi-experimentellen Prä-Post-Design wurden Schülerinnenund Schüler einer Interventions-gruppe (Einsatz der Materialien rundum die Ernährungspyramide) miteiner Kontrollgruppe (ohne den Ein-satz der Ernährungspyramide) vergli-chen [4]. Die Intervention bzw. Un-terrichtsreihe fand in 15 Klassen(3./4. Klassenstufen) statt. Es wurdenFragebögen für einen Prä- und Post-Test entwickelt. An den drei Mess-zeitpunkten (� Abbildung 1) betrugdie Größe der Interventionsgruppezu [t1] n = 174, zu [t2] n = 170 und zu [t3] n = 174. Für den Einsatz derMaterialien hatten die Schulen unge-fähr zwei Monate Zeit. Für die Kon-trollgruppe galt in ähnlicher Weise,dass 15 Klassen (3./4. Klassenstu-fen) in drei Regionen angesprochen

wurden, die das Thema Ernährungnur gemäß dem Lehrplan des Heimat- und Sachunterrichtes (HSU)in Schleswig-Holstein erarbeiteten.

Die Größe der Kontrollgruppe anzwei Messzeitpunkten betrug zu [t1]n = 271 und [t3] n = 271. Gemessenwurde der Wissenszuwachs der Schü-lerinnen und Schüler jeweils miteinem speziell entwickelten Kinder-fragebogen. Die Studie fand im nörd-lichen Schleswig-Holstein, sowohl inländlichen als auch städtischen Re-gionen statt und wurde vom Institutfür Ernährungs- und Verbraucherbil-dung im Fachbereich „Gesundheitund Ernährung“ der UniversitätFlensburg wissenschaftlich begleitet.

Qualitative Ergänzungen der Evaluation zum Ernährungswissen und Essverhalten der Schülerund Schülerinnen

Als Ergänzung zur quantitativen Eva-luationsstudie wurden im Rahmenvon Hausarbeiten zum 1. Staatsexa-men für das Lehramt an Grund-,Haupt- und Realschulen begleitendequalitative Untersuchungen (Hospi-tationen und teilnehmende Beob-achtung beim Einsatz der aid-Mate-rialien) durchgeführt. Zusätzlichwurde das Frühstücksverhalten derSchüler/innen in den Pausen beob-achtet und ausgewertet. Diese quali-tativen Ergänzungen, die einzelneKlassen als Fallbeispiele behandelten,konnten die Ergebnisse der quantita-tiven Auswertung insgesamt vertiefen.Abb. 1: Zeitplan der Intervention [4]

Vorphase

Mai 2006 Okt. ’06

t1 t2 t3Intervention

Jan. ’07 Mai ’07 August 2007

Hauptphase Auswertung

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Auswertung des Frühstücksverhaltens

In insgesamt vier Klassen konnte dieFrühstückssituation evaluiert werden.Dabei wurden insgesamt 70 Schüler/-innen erfasst und deren von zuHause mitgebrachte Frühstücksdosenausgewertet. Vertreten waren dreiKlassen der Interventions- und eineder Kontrollgruppe. Die beobachte-ten Frühstückssituationen wurdenden Code-Nummern der Schüler/-innen zugeordnet, die Bestandteiledes Frühstücks inkl. der Mengenan-gaben festgehalten, so dass ein Bezugzu den Fragebogenergebnissen derquantitativen Studie hergestellt wer-den konnte. Entsprechend den ge-wonnenen Daten wurden Auffällig-keiten in Beobachtungstabellen auf-gelistet und ausgewertet.

Bemerkenswert ist, dass etwa dieHälfte der mitgebrachten GetränkeSüßgetränke (49 %) waren und dieweniger gesüßten Getränke (Schorle)oder nicht gesüßten Getränke zusam-men genommen die andere Hälfte(51 %) ausmachten (� Abbildung 2).Nur zwei Schüler hatten kein Getränkmitgebracht und ein Schüler nahmKakao mit in die Schule. Das heißt,96 % der erfassten Schüler brachtenein Getränk zum Schulfrühstück mit.Insgesamt waren 10 Kinder (= 14 %)ohne Frühstück zur Schule gekom-men. In � Abbildung 3 wird deutlich,dass fast die Hälfte der Schüler/-innen, die ein Pausenbrot von zuHause mitbrachten, Vollkornbrote inihren Brotdosen hatten. Jeweils einViertel des mitgebrachten Früh-stücksbrotes fiel auf Roggenmisch-brot (25 %) und Weißbrot (28 %).

In Bezug auf den Brotbelag zeigt� Abbildung 4, dass die Schülerinnenund Schüler herzhafte Brotaufstrichebevorzugten, wobei die Wurstwareninsgesamt 57 % ausmachten, wäh-rend Käse zu 21 % gewählt wurde.Die süßen Aufstriche waren mit 22 %vertreten. Ein Schüler hatte sein Brotmit Gemüse belegt.

In � Abbildung 5 fällt auf, dass insge-samt 25 Obststücke und 13 StückeGemüse mitgebracht wurden. Dabeiverteilen sich diese jedoch auf einegeringere Anzahl von Schülern, damanche zwei und mehr Stücke dabeihatten. Insgesamt aßen nur 8 von 70Schülern Obst und Gemüse in derSchule. Dieses Ergebnis steht im Ge-gensatz zur berichteten Einstellungder Kinder, zukünftig mehr Obst undGemüse essen zu wollen [4].

Süßigkeiten waren insgesamt eher sel-ten vertreten: Von den 70 Schülernwurden insgesamt 1 Knusperschoko-waffel, 1 Milchschnitte, 4 Müsliriegel,3 Schokobrötchen, 2 Schokocrois-sants, 2 kleine Tüten Fruchtgummi(20 g) und 4 Kinderjogurts gegessen.Durch die Auswertungsgespräche mitden Lehrkräften wurde deutlich, dasssich in den Schulklassen, die schonvor der Intervention das Thema„Essen, Ernährung und Gesundheit“im Unterricht behandelt und auchElternabende zu diesem Themadurchgeführt hatten, dies nachweis-lich auch in den Brotdosen der Schü-lerinnen und Schüler widerspiegelte.Es wurden weniger Süßgetränke,mehr Obst und Gemüse sowie mehrVollkornbrot konsumiert [5].

Der Blick in die Brotdosen der Interventionsgruppe

Abb. 2: Anteile von Getränken zum Frühstück in vier Klassen [n = 67] (prozentualeHäufigkeiten)

0

10

20

30

40

Eistee

Isoton. Geträ

nke

Fruchtmilch

Limonade

Saft

Schorle

Wasser

Früchtetee

16

3 3 3

2421

25

5

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Jungen essen anders – Mädchen auchEin weiterer Aspekt trat am Randeder Untersuchungen auf: Beim Er-werb von ernährungsbezogenem Wis-sen und bei der Umsetzung scheint eseinen geschlechtsspezifischen Unter-schied zu geben. Jungen entwickelneine andere Einstellung und einenanderen Umgang bezüglich „gesun-der Lebensmittel“ als Mädchen. Beiden vorliegenden Befragungen imGrundschulalter wurde deutlich, dassdie Mädchen der Interventions- undKontrollgruppe öfters angeben, häu-figer Obst und Gemüse am Tag zuessen, als die Jungen. Auffällig ist beiden Begründungen, dass die Mäd-chen vielfach gesundheitsorientierteGründe vorbringen, während die Jun-gen mehr lust- bzw. geschmacks -orientierte Begründungen für odergegen Obst und Gemüse nennen.Nun ist diese Beobachtung nicht neu,denn Unterschiede im Ernährungs-verhalten der Geschlechter werdenseit langem empirisch nachgewiesenund mittlerweile auch im Kontext miteiner geschlechterdifferenzierendenGesundheitsförderung diskutiert.Während Jungen bei einer Befragungangeben, sich nach einer Mahlzeit be-sonders wohl und fit zu fühlen, äu-ßern Mädchen dagegen häufiger kör-perbezogene Ängste und Kontroll-wünsche [u. a. 6]. Von Bedeutung ist,dass didaktisches Material zur Ernäh-rungsbildung diese Unterschiedlich-keit bisher kaum berücksichtigt.Auch aufgrund der vorliegenden Stu-die in Grundschulklassen ist es emp-fehlenswert, Genderaspekte bei derEntwicklung neuer Materialien zumThema Nahrung, Essen und Ernäh-rung und bei deren Einsatz deutli-cher zu berücksichtigen.

Nutzung und Einsatz der Materialien durch Lehrkräfte

Die Lehrkräfte wurden im Rahmender quantitativen Erhebung ebenfallszu den drei genannten Messzeit-punkten befragt [4]. Ergebnisse(Schulnoten von 1–6), die den Aus-gangspunkt für weitere qualitative Er-

gänzungen bildeten, lassen sich kurzfolgendermaßen zusammenfassen:Die Lehrkräfte der Interventions-gruppe (n=13) hielten das Konzeptder aid-Kinderpyramide (Modell undMaterialien) für den Heimat- undSachunterricht geeignet (Noten zwi-schen 1,4 und 2,0). Sie haben neueAnregungen erhalten; äußern, dassdas Konzept in Form des Pyramiden-modells und der Materialien kom-plex sei; beobachten, dass die Schü-

ler sich durch den Einsatz der Mate-rialien mehr als vorher für ihr eigenesEssen und Trinken interessieren;empfehlen, dass die Eltern stärkereingebunden werden; verdeutlichen,dass das Material eine gute bis sehrgute Orientierung für Pädagogenohne Fachkenntnisse bietet; urteilen,dass das Material gut von Klasse 1–4aufbauend eingesetzt werden kann. Aus Sicht aller befragten Lehrkräfte(Interventions- und Kontrollgruppe)

Abb. 3 : Anteile der Brotsorten für das Pausenbrot in vier Klassen (prozentuale Häufigkeiten)[n = 60]

Abb. 4: Pausenbrotbelag in vier Klassen [n = 58] (prozentuale Häufigkeiten)

0

10

20

30

40

50

Roggenmischbrot

Vollkornbrot

Weißbrot

Knäckebrot

25

47

28

2

0

10

20

30

40

50

Fleischwurst

JagdwurstKäse

Marmelade

Nuss-Nougat-C

reme

Putenbrust

Salami

75 5

26

21

1719

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sollten Themenfelder und Projekteder Ernährungsbildung zukünftig inGrundschulen ausgebaut werden.Beispielhaft wurden genannt: Prakti-sche Umsetzung von Empfehlungenzu gesunder Ernährung; Kochen mitKindern; Sinnes- und Geschmacksbil-dung; auch im Rahmen der Elternar-beit seien diese Themen zu vertiefen.Ferner werden an Materialien zur Er-nährungsbildung folgende Forde-rungen bzw. Wünsche gestellt: Sie sol-len verständlich und schnell hand-habbar sein; die Rolle der Lehrkraftals Lernbegleiter und -moderator seizu stärken; die Anwendung ohneFachkenntnisse oder Schulung solltemöglich sein; Schüler- und Lehrer-materialien müssen entsprechendausgearbeitet sein [4].

Begleituntersuchung durchqualitative Instrumente

Der erfolgreiche Einsatz von Medienund Materialien durch Lehr- undFachkräfte wird von den Produzentenmeist durch Fragen zur Nutzung undEinschätzung einer Pilotfassung, sel-ten jedoch durch Beobachtung imAnwendungsprozess (Unterricht, Be-ratung etc.) evaluiert. Schwerpunktder nachfolgenden Ergänzungen zurquantitativen Studie war genau dieserAnwendungsbezug.

Vorgehensweise

Durch teilnehmende Beobachtung(Hospitationen) im Rahmen von Un-terrichtsstunden wurden Protokolleaufgezeichnet und vergleichend me-thodisch-didaktisch analysiert. Beidieser Gelegenheit wurden die be-reits erwähnten Frühstücksdosen derSchüler/innen separat betrachtetund ausgewertet. Besucht wurdendrei Schulen in Flensburg (2 Klassender Interventionsgruppen, 1 Klasseder Kontrollgruppe). Im Folgendenwerden zwei Unterrichtssituationenausgewählt, beispielhaft dargestelltund ausgewertet [5]. Die Auswahl derUnterrichtsbeispiele richtete sichnach Kriterien, die den qualitativenNutzen guter Materialien verdeutli-chen.

Unterrichtsbeispiel (1): 3. Klasse Primarstufe

Wie in jeder Klasse der Interventi-onsgruppe nutzte die Lehrkraft die-ser Gruppe die aid-Materialien. Diezweite Unterrichtsstunde in dieserKlasse zur Kinderpyramide war je-doch wenig strukturiert in ihrer Pla-nung und Vorgehensweise und ohneerkennbare Lernzielorientierung.Die Unterrichtsstunde ließ eine An-lehnung an das Begleitheft „Clever

essen und trinken mit der aid-Kin-derpyramide“ erkennen. Darin wirdvorgeschlagen, jede Lebensmittel-gruppe in Stationsarbeit zu erarbei-ten. Dazu muss die Lehrkraft zu jederGruppe einen Tisch vorbereiten mitdem zu der Lebensmittelgruppe pas-senden Lesetext, mehreren Lebens-mittelkarten sowie einer Lebensmit-telkarte, die nicht der an der Stationzu bearbeitenden Gruppe angehört.Aufgabe der Schüler/innen ist es, dieKennzeichen der verschiedenen Le-bensmittelgruppen zu erarbeiten undim Anschluss die Ergebnisse im Ple-num zu präsentieren.

AnalyseEs kam durch Unruhe und Hektiksowie aufgrund der mangelnden Vor-bereitung durch die Lehrkraft („Tür-schwellenpädagogik“) nicht zu dergewünschten erfolgreichen Umset-zung. Die von den aid-Materialien an-gestrebten Lernziele wurden nur zumTeil erreicht: Lebensmittel in 8 LM-Gruppen einteilen können; LM-Gruppennamen, ihre Symbole in derPyramide, ihre Farbe und Platzierungin der Pyramide kennen; Lebensmit-tel den Symbolen und Familienna-men zuordnen können. In der aufdie Hospitationsstunde folgendenUnterrichtsstunde haben die Schüleran den Steckbriefen weitergearbeitet.Anzahl, Inhalte und Aufbau weitererStunden zu dieser Unterrichtseinheitblieben offen und waren in ihrerQualität nicht beurteilbar.

Unterrichtsbeispiel (2): 3. Klasse Primarstufe

In dieser Klasse fand die Hospitationin der ersten Einführungsstunde zurArbeit mit der Ernährungspyramidestatt. Es herrschte eine ruhige Ar-beitsatmosphäre. Um die Kinder indas Thema der Unterrichtsstundeeinzuführen, gab es einen Stuhlkreis.Auf dem Boden war ein Laken ausge-breitet, auf dem ein Korb stand, des-sen Inhalt durch ein Tuch verdecktwar. Die Lehrkraft begann mit derGeschichte „Oskar in Schlaraffien“ (s. Begleitheft „Clever essen und trin-ken mit der aid-Kinderpyramide“).

Abb. 5: Anzahl der mitgebrachten Obst- und Gemüsestücke bei insgesamt 70 Schülern (Angaben in absoluten Zahlen)

0

5

10

15

20

25

Apfel

Banane

Mandarine

Birne

GurkeMöhre

Tomate

13

10

1 1

75

0,5

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Auf die Frage, was die Schüler/-innenfür die Zeit in einem Ferienlager ein-kaufen würden, nannten sie spontanviele verschiedene Lebensmittel, diesich didaktisch betrachtet in etwa glei-che Bereiche „gesund“ und „unge-sund“ einteilen ließen. Schließlichdeckte die Lehrkraft den Korb gefülltmit Lebensmitteln auf. Anhand derLebensmittelgruppen nannte dieLehrkraft die acht verschiedenen Fa-milien und zeigte Schilder mit denentsprechenden Namen, die auf denBoden gestellt wurden.

Analyse Die Unterrichtsstunde war im Ver-gleich zu Beispiel (1) vorbereitet,strukturiert und durchdacht undnutzte dabei die aid-Materialiendurchgängig. Es herrschte ein ruhi-ges, offenes und Interesse weckendesArbeitsklima, obwohl es die fünfteund letzte Unterrichtsstunde am Be-obachtungstag war. Die Namen derFamiliengruppen waren sehr belusti-gend für die Schüler (z. B. FamilieDurstig bis Wurstig). Allerdings dis-kutierten sie mehr über die Famili-ennamen als über ihre Bedeutungund die Zuordnung der Lebensmit-tel. Die größte Schwierigkeit im lau-fenden Unterrichtsgeschehen war dieTatsache, dass den Schülern mit„Frau Schleck“ keine richtige Zuord-nung gelang. Dass Süßigkeiten undfetthaltige Snacks gemeint waren(„Pommes Frites können doch nicht abge-schleckt werden“), wurde von den Schü-lern nicht richtig verstanden. Durchdiese Unterrichtsstunde wurde derveranschaulichte Lernprozess überdie sinnliche Wahrnehmung derSchüler geführt: Hören der Ge-schichte, Fühlen und Betrachten derLebensmittel, Sehen und Ordnen derSymbolkarten, Namensschilder undLebensmittel. Als Lernziele wurdenerreicht: Die Schüler sollten 8 Le-bensmittel-Gruppen kennen lernenund jeder Gruppe mindestens ein Le-bensmittel zuordnen können. In derdarauf folgenden Unterrichtsstundewurde auch an den Steckbriefen ge-arbeitet. Die Lehrkraft des Unter-richtsbeispiels (2) plante insgesamt15 Stunden für die gesamte Einheit

ein, beurteilte das Unterrichtsmate-rial als anregend und unterstützendund erwog aufgrund dessen, dieStundenanzahl noch zu erhöhen.Zum zeitlichen Umfang des Medien-einsatzes ist anzumerken, dass alleLehrkräfte gleichermaßen von denMedien des AID Gebrauch gemachthaben, je nach Unterrichtsinhalt. Dergeplante Stundenumfang betrugdurchschnittlich 12 bis 15 Unter-richtsstunden.

Konzepte und Materialiensind gut, wenn qualifizierteFachkräfte sie zu nutzenverstehen

Ernährungswissen und -handeln derKinder, ermittelt aufgrund der Aus-wertung des Fragebogens (Interven-tionsgruppe und Kontrollgruppe)sowie von Frühstücksbeobachtungenin verschiedenen Klassen, haben er-geben, dass die alltägliche Umset-zung immer dann eine günstige Pro-duktauswahl zeigte, wenn kontinuier-lich und nachhaltig am Alltagsbezugdes Themas „Nahrung, Essen und Er-nährung“ gearbeitet wird und nichtnur einmalige oder kurzfristig ange-legte Aktionen in den Stoffvertei-lungsplan einer Klasse aufgenommenwerden. Eine der erfolgreichenSchulklassen des Evaluationsprojektshat das Thema Essen und Ernährungseit der 1. Klasse einmal wöchentlichim Stundenplan und gleichzeitig re-gelmäßig in der alltäglichen Ess- undKommunikationskultur verankert. In-sofern baute die Intervention in die-sem Fall auf ein gutes Vorwissen derSchüler/innen auf, was sich deutlichim Unterrichtsablauf beobachtenließ.Hier schließt sich der Kreis: Erfolg-reiche Vermittlungsprozesse, die einnachhaltig positives Essverhalten prä-gen, sind gebunden an die Qualifi-zierung, Authentizität und Überzeu-gungskraft der vermittelnden Person,die fachwissenschaftlich und didak-tisch-methodisch kompetent bei derAuswahl geeigneter Materialien vor-geht, um diese anschließend auf dieLerngruppe abzustimmen. Wenndann das Essen lernen von den sen-

sorischen und sinnlichen Vorausset-zungen der Schüler ausgeht, theore-tische Bezüge kontinuierlich prak-tisch anbindet, selbständige Ent-scheidungen der Schülerinnen undSchüler im Essalltag fördert, dabeidie Wahl „gesunder Alternativen“ er-leichtert und in die Rituale des Schul-lebens aufnimmt, dann lassen sichdie Ergebnisse an den Erfolgsfakto-ren schulischer Gesundheitsförde-rung messen. Diese sind das Ergebniseiner vergleichenden Analyse von in-ternationalen Studien zur schuli-schen Gesundheitsförderung.

Ernährungsbildung im Spiegel der Erfolgsfaktorenschulischer Gesundheits-förderung [7]:

1. Intervention fun – Wenn Essen ler-nen nicht positiv besetzt ist, werdennegative emotionale Bewertungenspätere Phasen der Nahrungswahlund des Essverhaltens im Lebenmitbestimmen.

Lernprozesse zur Ernährungsbildung können die sinnliche Wahrnehmung der Schüler nutzen

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2. Whole school approach: „To make ahealthy choice the easier choice“ –Je wirkungsvoller eine Schule Ge-sundheit und Bildung (mit demTeilbereich Ernährung) zu einemder Ziele von Schulentwicklungmacht, umso bereitwilliger undselbstverständlicher nehmen Schü-lerinnen und Schüler die Rahmen-bedingungen des gemeinsamenAnliegens an.

3. Theoretisches Modell – Ohne einetheoretische Fundierung des Zu-sammenhangs von Schule, Ge-sundheit und Bildung bleibenMaßnahmen Einzelaktionen, dieschnell vergessen werden. Kon-zepte und Programme des SettingsSchule haben seit Anfang der1990er Jahre eine salutogenetischeNeuorientierung erfahren, d. h.hier fragt die Ernährungsbildungin erster Linie nach den Ressour-cen und Stärken eines Ernäh-rungswissens und -handelns imSchulalltag, die gesund erhalten.

4. Integration von Familie, Schule,Kommune – Je besser abgestimmtKonzepte umgesetzt werden, umsodeutlicher zeigen sich nachhaltigeErfolge überall da, wo gemeinsamgegessen bzw. von Gesundheitsför-derung durch Ernährung geredetwird.

5. Kosten-Nutzen-Relation – Es mussnicht teuer sein!! Schon das überJahre hinweg praktizierte gemein-same Pausenfrühstück im Klassen-raum, wenn Brote, Obst, Gemüsevon zu Hause mitgebracht werden,kann zum täglich wichtigen Ritualwerden, auf das sich jeder freut.

Fachwissenschaftlich und metho-disch-didaktisch qualifizierte Perso-nen stehen im Zentrum von Vermitt-lungsprozessen, die Lernwege gestal-ten und begleiten. Dies gilt sichergenerell für ein lebenslanges Lernen,ist jedoch von besonderer Bedeutungfür den Erwerb lebenswichtigerGrundkompetenzen und Kulturtech-niken von Kindern, wie Kommunika-tion (Spracherwerb) und Essen ler-nen. Für beide Lernbereiche bringtder Mensch genetische Vorrausset-zungen mit wie vor allem die Sinnes-

fähigkeiten Hören, Tasten, Fühlen,Riechen, Schmecken, Sehen. DerUmstand, dass der Mensch organischzu früh, also unfertig geboren wird,bedeutet, dass in ihrer Entwicklunggenetisch angelegte Ausreifungspro-zesse mit sozialen Ausformungspro-zessen zusammenfallen müssen. Or-ganische und soziale Entwicklung lau-fen gemeinsam ab – schon vorge-burtlich, deutlicher aber postnatal.Und genau darauf ist die menschli-che Gehirnentwicklung ausgelegt:Kein anderes Lebewesen verfügt übereine vergleichbare Neuroplastizität,das Gehirn des Menschen besitzt einunvergleichlich großes Entwicklungs-potenzial für die Adaptierung an ver-schiedene, sich verändernde Um-weltbedingungen [8].

Die Gehirnentwicklung des Men-schen braucht somit, ausgehend vonden Sinnesfähigkeiten, die sozialenKontakte für die Ausformung dessinnlichen Potenzials. Für das Essenlernen bedeutet diese Erkenntnis derKommunikations-, Biografie- und Ge-hirnforschung: Wenn Eltern, Erzie-her/-innen, Lehrer/-innen, Köcheund Köchinnen Kindern Lernange-bote machen, die sinnstiftend (in-haltlich und geschmacksbildend), imsozialen Umfeld positiv besetzt sind,in guter Atmosphäre erlebt werdenund dabei noch ernährungsphysiolo-gisch ausgewogen sind, so wird dasWahlverhalten der Kinder positiv prä-gende Wirkung auf ihr gesamtesLeben haben. Es gilt ein Essverhaltenund Erinnerungsvermögen anzure-gen, dessen Muster schon immer zuden stabilsten Gewohnheiten desMenschen gehörten, sie bilden sichfrüh heraus und bleiben ein Lebenlang bedeutsam [9].

Wenn entsprechend qualifizierte Per-sonen, gemäß Fallbeispiel (2), esdann verstehen, Medien und Mate-rialien fachwissenschaftlich begrün-det, methodisch-didaktisch sinnvollreduziert, alters- und settingbezogenkompetent einzusetzen, so werdenfrühe Grundlagen für ein nachhaltiggesundheitsorientiertes Essverhaltengelegt.

Damit diese Vermittlungsprozesse derErnährungsbildung zu Erfolgsfakto-ren schulischer Gesundheitsförde-rung werden, brauchen die Fach- undLehrkräfte geeignete Medien undMaterialien, an denen es auch fürSchulen zurzeit nicht mangelt. Einedeutliche Diskrepanz zwischen gutenMaterialien und ihrer erfolgreichenNutzung zeigt sich jedoch an einerStelle, die nur am Rande von der Ge-sundheitsförderungsforschung the-matisiert wird: Bei der Produktionund Vermarktung neuer Materialiengehen die Investitionen vordringlichin Bedarfs- und Produktanalysen. Ein-mal erzeugt, werden Umsetzungs-und Anwendungserfolge wie „Selbst-gänger“ behandelt auf der Basis, guteMaterialien ergeben sich aus Be-darfserhebungen und Einsatzbekun-dungen.

Das Setting Schule eignet sich wiekein zweites System zur Überprüfungder Hypothese: Gute Materialien fin-den ihre Abnehmer. Für Unterrichts-materialien im Bereich Nahrung,Essen und Ernährung belegt die EIS-Studie [10], dass trotz vorhandener,guter Materialien verschiedener An-bieter Lehrkräfte auf fast gleich blei-bende Quellen und Medien zurück-greifen (Schulbücher mit 53 % derNennungen, danach BzgA, DGE, aid,Tagespresse). Nachgefragt, begrün-den die Lehrkräfte auch in der vor-liegenden Studie zur Evaluation deraid-Kinderpyramide, dass angesichtseiner Materialienflut in allen Berei-chen ihrer fachlichen Verantwortung,eine systematische Übersicht kaumnoch möglich ist. Also greifen sie aufAlt-Bewährtes zurück. Institutionen,Verlagen und Produzenten ist in die-ser Situation zu raten:

1. Die Anforderungen an neue Mate-rialien an den Quellen des Bedarfszu ermitteln.

2. Zielgruppen frühzeitig in den Eig-nungs- und Umsetzungsprozesseinzubeziehen.

3. Mehr Zeit und Geld in die Qualifi-zierung von Lehrkräften auf derBasis neuer Materialien zu investie-ren.

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Derart begleitete und eingeführte Materialien er-freuen sich auch nach Jahren großer Beliebtheit, daSinnhaftigkeit und Selbsttätigkeit im Aneignungs-prozess im Gedächtnis bleiben und der Übergangder entsprechenden Qualifizierung in den Schul-alltag leichter gelingt. Derart angelegte Vorüberle-gungen zur Neuproduktion von Materialien kön-nen zu einer besseren Qualität durch die Abstim-mung zwischen Produzent und Nutzer beitragen.Langfristig hätte dies auch Auswirkungen auf dieAbstimmung von Materialien verschiedener Anbie-ter (Medienverbund), Investitionen in Neuproduk-tionen, die Bewältigung einer Materialflut für Pro-fessionen, die auf Aktualisierung und Übersichts-gewinn angewiesen sind.

Vermittlungsprozesse der Ernährungsbildung brau-chen Menschen, die ernährungskompetent undpersönlich authentisch die körperliche, geistigeund emotionale Ausreifung der Lernenden sozialunterstützen. Sie für diese Herausforderung zu qua-lifizieren, Medien und Materialien entsprechendabzustimmen, bleiben dauerhaft anspruchsvolleAufgaben einer institutionellen Bildung.

Literatur �1. Faltermaier, A. (2005): Gesundheitsspsychologie. Verlag: Kohl-

hammer2. Heindl, I. (2003): Studienbuch Ernährungsbildung – ein eu-

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4. Johannsen, U., I. Heindl und I. Brüggemann (2008): Die aid-Ernährungspyramide für Kinder – Ergebnisse einer Evaluationzur Ernährungsbildung in der Grundschule. In: Ernährung imFokus 8 (Heft 2), S. 46–52

5. Götsch, A. (2006): Evaluation der aid-Kinderpyramide inGrundschulklassen Schleswig-Holsteins – Prozesse der Vermitt-lung im Unterricht. Hausarbeit zur 1. Staatsprüfung für dasLehramt an Realschulen Schleswig-Holsteins 2006

6. Setzwein, M. (2004): „Männliches Lustprinzip“ und „weibli-ches Frustprinzip“? Ernährung, Emotionen und die soziale Konstruktion von Geschlecht. Ernährungs-Umschau 51 (12):S. 504–507

7. Schnabel, P.E. (2007): Gesundheit fördern und Krankheit prä-venieren. Weinheim: Juventa Verlag

8. Markowitsch, H.J. und H. Welzer (2005): Das autobiographi-sche Gedächtnis – Hirnorganische Grundlagen und biosozialeEntwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag

9. Heindl, I. (2008): Kulinaristik und Allgemeinbildung. In: Kulinaristik – Forschung – Lehre – Praxis. Berlin: LIT VerlagDr. W. Hopf, S. 129–146

10. Heseker, H., L. Schneider und S. Beer (2001): Forschungsbe-richt Ernährung in der Schule (EIS). Bonn: BMELV

Zusammenfassung

Essverhalten und Lernprozesse der Ernährungsbildung

Ines Heindl, Ulrike Johannsen und Ingrid Brüggemann

Ernährungsbildung und in diesem Prozess das Essen lernenvon Kindern braucht Menschen zur Vermittlung von Wissen,Fähigkeiten und Fertigkeiten. Vor allem Lehr- und Fachkräftenutzen dabei unzählige Medien und Materialien, die, im Ni-veau zwischen Laien- und Expertenkompetenz angesiedelt,häufig auf Vermittlungsmodelle zur Visualisierung von Er-nährungsempfehlungen zurückgreifen. Der vorliegende Bei-trag geht von einer Evaluation der aid-Ernährungspyramidefür Kinder (Getreide plus) aus, die im Grundschulbereich ein-gesetzt wurde. Dabei wurde untersucht, ob die zentralen Bot-schaften von Grundschülern und -schülerinnen verstandenwerden und wie Lehrkräfte Nutzen und Einsatz des Vermitt-lungsmodells sowie der Begleitmaterialien beurteilen.Schlussfolgerungen für Qualität und Einsatz von Medien undMaterialien sowie den Qualifizierungsbedarf von Fach- undLehrkräften betrachten den Zusammenhang von kindlichemLernzuwachs und sozialem Ausformungsprozess.

Schlüsselwörter: Ernährungsbildung, Pädagogik, Unter-richtsmaterialien, Wissensvermittlung

Summary

Eating Behaviour and Learning Processes in Nutritional Development

Media, Materials and the Role of Teachers

Ines Heindl, Ulrike Johannsen and Ingrid Brüggemann,Flensburg

Children require people to teach them the knowledge, abili-ties and skills needed to become familiar with food and to de-velop nutritional expertise. Teachers, specialists and othersexploit innumerable media and materials and may be any-thing between genuine experts and simple laymen. They fre-quently have recourse to teaching models to visualise nutri-tional recommendations. The present article starts with anevaluation of the “aid nutritional pyramid” for children (Ge-treide plus, “Cereals plus”), as used in elementary schools. Itis investigated whether elementary schoolchildren under-stand the central messages, as well as how the teachers seethe benefit and use of the teaching model and the supportingmaterial. Conclusions are drawn about the quality and use ofmedia and materials and the necessity of training specialistsand teachers, as well as considering the link between learn-ing by children and the process of social development.

Key words: Nutritional development, education, instructionmaterials, communicating knowledge

Ernährungs Umschau 56 (2009) S. 442–449�