Examinatorium Kartellrecht 08. Dezember 2016 · I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden...

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Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb • Dr. Axel Walz Examinatorium Kartellrecht 08. Dezember 2016

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Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb • Dr. Axel Walz

Examinatorium Kartellrecht 08. Dezember 2016

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 2

Sachverhalt: Die Klägerin betreibt im Bundesgebiet Breitbandkabelnetze, über die Rundfunksignale verteilt werden. Die

Beklagten zu 2) und 3) sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Sie haben sich mit den anderen

öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands

(ARD), der Beklagten zu 1), zusammengeschlossen. Sowohl die eigenen Programme der Beklagten zu 2)

und 3) (Dritte Fernsehprogramme) als auch die gemeinsamen Fernsehprogramme der öffentlich-

rechtlichen Rundfunkanstalten (Gemeinschafsprogramme wie z.B. „Das Erste“ und „tagesschau24“)

werden von der Klägerin in deren Netz eingespeist.

Die Klägerin bietet u.a. Kabelanschlussprodukte gegenüber Endkunden an. Ohne die öffentlich-rechtlichen

Programme wäre die Klägerin gegenüber anderen Kabelanbietern nicht wettbewerbsfähig.

In dem von den Parteien im Jahr 2008 abgeschlossenen Einspeisevertrag über die Einspeisung und

Verbreitung von öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen in Breitbandkabelnetze war ein von den

Beklagten zu bezahlendes jährliches Entgelt in Höhe von 12 Mio. Euro vereinbart.

Im Jahr 2012 beschlossen sämtliche öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter, ihre Rundfunksignale künftig

ausschließlich digital zu übertragen und hierfür die Verbreitungsleistungen der Klägerin nicht mehr in

Anspruch zu nehmen. Dementsprechend bekundeten die Beklagten ebenso wie das ZDF in einer

Besprechung ihr Einverständnis, fortan keinen Kabelnetzbetreiber mehr für die Einspeisung zu bezahlen

und die Einspeiseverträge zum Ende des Jahres 2012 zu kündigen, was auch geschah. Daneben zahlen

indes einige private Sender der Klägerin weiter ein aus ihrer Sicht angemessenes Entgelt.

Nach der Kündigung haben weder die Beklagten noch das ZDF jemals den Versuch unternommen, die

Klägerin davon abzuhalten, die Einspeisung und Verbreitung ihrer Rundfunksignale einzuschränken.

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Frage: Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam und speist weiterhin die Rundfunksignale in ihre Netze ein, ohne dass die Beklagten hierfür ein Entgelt leisten.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Bezahlung der Netzeinspeisungsentgelte in Anspruch. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

Vermerk für die Bearbeiter:

Bei der ARD handelt es sich um eine nicht-rechtsfähige Arbeitsgemeinschaft, deren Mitglieder alle deutschen Landesrundfunkanstalten sind. Die Geschäftsführung der ARD liegt jeweils für ein Jahr bei einer der Mitgliedsanstalten, die dazu mit einfacher Mehrheit gewählt wird. Der Intendant der geschäftsführenden Anstalt ist der Vorsitzende der ARD.

Die Klägerin ist nach §52b RFStV verpflichtet, ein Drittel ihrer Netzkapazitäten für öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter vorzuhalten. Diese Kapazitäten reichen für alle öffentlich-rechtlichen Anbieter aus.

Für die Bearbeitung des Falles ist davon auszugehen, dass die Klage im Oktober 2013 eingereicht und den Beklagten im Dezember 2013 zugestellt worden ist. Es gibt andere Kabelnetzbetreiber, an die die Beklagten aber keine Einspeisungsentgelte bezahlen.

Aufgabe der Beklagten ist es, zu einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung (§11 RStV) beizutragen. Die Finanzierung erfolgt durch Gebühren. Zudem werden Einnahmen durch Sponsoring (§8 RStV), Produktplatzierung (§15 RStV), Werbung (§16 Abs. 5 RStV) und sonstige kommerziellen Tätigkeiten (§16a RStV) generiert. Gemäß §19 RStV können die öffentlich-rechtlichen Anbieter ihrem gesetzlichen Auftrag durch die Nutzung geeigneter Übertragungswege und Verbreitungsmodalitäten nachkommen. Allerdings haben sie gemäߧ19 S. 2 RStV dabei die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten.

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Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit

B. Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn der Klägerin der behauptete Zahlungsanspruch zusteht. Vertraglicher Anspruch auf Zahlung?

I. Ist der Anspruch entstanden?

Abschluss des Einspeisevertrages im Jahr 2008

II. Ist der Anspruch durch die von den Beklagten erklärte Kündigung zum Ende des Jahres 2012 erloschen?

1. „Dolo agit“-Einwand gegen die Kündigung?

Kündigung ist mit Treu und Glauben gem.§ 242 BGB nicht zu vereinbaren, wenn die Beklagten verpflichtet wären, mit der Klägerin gleich wieder einen Vertrag zu gleichen Konditionen abzuschließen.

2. Einwand aus §1 GWB?

Kündigung könnte nach§1 GWB unwirksam sein.

III. Ist der Anspruch noch durchsetzbar?

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A. Zulässigkeit der Klage

Hier problematisch: Parteifähigkeit der Beklagten zu 1)

1. Gemäß §56 (1) ZPO von Amts wegen zu prüfen. Exkurs: §56 (1) ZPO enthält nur eine beispielhafte Aufzählung und gilt daher über

die ausdrücklich genannten Punkte hinaus für alle Sachurteilsvoraussetzungen.

2. §50 (1) ZPO: Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist. Mangels Rechtsfähigkeit ist die Beklagte zu 1) nicht parteifähig.

ABER: Analogie zu §50 (2) ZPO?

Beklagte zu 1) ist kein Verein nach §54 BGB, sondern eine öffentlich-rechtliche

Gemeinschaftsform ohne eigene Rechtspersönlichkeit

i.E. (-), hier geht es um Haftung der einzelnen Landesrundfunkanstalten als Mitglieder der

Beklagten zu 1), nicht um eine Haftung der Beklagten zu 1) selbst.

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B. Begründetheit der Klage

Die Klage ist begründet, wenn der Klägerin der behauptete Zahlungsanspruch zusteht.

I. Ist der Anspruch entstanden?

Abschluss des Einspeisevertrages im Jahr 2008

II. Ist der Anspruch durch die von den Beklagten erklärte Kündigung zum Ende des Jahres 2012 erloschen?

1. „Dolo agit“-Einwand gegen die Kündigung?

Kündigung ist mit Treu und Glauben gem.§ 242 BGB nicht zu vereinbaren, wenn die Beklagten verpflichtet wären, mit der Klägerin gleich wieder einen Vertrag zu gleichen Konditionen abzuschließen.

2. Einwand aus §1 GWB?

Kündigung könnte nach§1 GWB unwirksam sein.

III. Ist der Anspruch noch durchsetzbar?

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

1. Unternehmen

2. Relevanter Markt

3. Marktbeherrschende Stellung

4. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung i.S.d. § 19 GWB

5. Ergebnis

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Forts.)

1. Unternehmen:

• St. Rspr.: Jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.

• Problem: Qualifizierung der öffentlichen Hand als Unternehmen

EuGH: Keine Anwendung des europäischen Kartellrechts wenn die erworbenen Waren oder Dienstleistungen nicht für wirtschaftliche, sondern hoheitliche Tätigkeiten verwendet werden sollen (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - C-205/03 – FENIN).

BGH: bisher offengelassen, ob die Rspr. des EuGH Anlass gibt, die gefestigte Rechtsprechung zum Unternehmensbegriff im deutschen Recht zu überprüfen.

• Hier: Die Frage kann offen bleiben.

Die Programme einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt dienen zwar als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung (§11 RStV), es werden damit jedoch auch wirtschaftliche Ziele verfolgt (z.B. Einnahmen durch Sponsoring (§8 RStV), Produktplatzierung (§15 RStV), Werbung (§16 Abs. 5 RStV) und sonstige kommerzielle Tätigkeiten (§16a RStV).

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Forts.)

2. Abschluss des neuen Vertrages öffentlich-rechtlich untersagt?

Abschluss eines entgeltlichen Einspeisevertrages wg. Verstoßes gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gem. §19 S. 2 RStV untersagt?

Aber Mglk. der freien Wahl der Übertragungswege und Übertragungsmodalitäten. Um gesetzlichen Auftrag des Beitrags zur Information und Meinungsbildung zu erfüllen, können die Beklagten frei entscheiden, auch weiter die Verbreitungsdienste der Klägerin in Anspruch zu nehmen.

Abschluss eines entgeltlichen Einspeisevertrages damit nicht per se öffentlich-rechtlich untersagt.

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Forts.)

3. Marktbeherrschende Stellung:

Marktabgrenzung

a) Sachlich:

Markt für die Nachfrage nach der Übertragung von Programmsignalen über Breitbandkabel

b) Räumlich

Gebiet der Bundesrepublik Deutschland

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Forts.)

3. Marktbeherrschende Stellung (Forts.)

• Aus den rundfunkrechtlichen Regelungen, die die Klägerin gesetzlich dazu verpflichten, einen Teil der Kapazität ihres Kabelnetzes ausschließlich für die Übertragung der gebührenfinanzierten Programme freizuhalten

• Diese Kapazitäten können nicht an andere Programmanbieter, wie z.B. private Fernsehsender, abgegeben werden

• Hinsichtlich dieser Kapazitäten müssen sich die Beklagten keinem Wettbewerb mit privaten Sendern stellen und auch zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, besteht kein Wettbewerb, da die nach §52b RStV vorzuhaltenden Kapazitäten ausreichen, um sämtliche gebührenfinanzierten Programme zu übertragen

Eine marktbeherrschende Stellung liegt damit vor

(a.A. OLG Düsseldorf: Es sei unerheblich, dass die Klägerin nach den Bestimmungen des Rundfunkrechts bestimmte Kapazitäten den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten anzubieten habe, da gerade diese Kapazitäten von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auch ohne ihre Teilnahme am Nachfragemarkt erlangt werden könnten. Die rundfunkrechtliche Einspeiseverpflichtung der Kabelnetzbetreiber könne daher nicht zur Begründung einer marktbeherrschenden Stellung der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf dem Nachfragemarkt für die Übertragung von Programmsignalen über Breitbandkabel herangezogen werden.)

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Forts.)

4. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung i.S.d. § 19 GWB

a) Nach §19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2:

Ein Missbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn ein

marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder

Nachfrager ein anderes Unternehmen ohne sachlich

gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders

behandelt als gleichartige Unternehmen

Hier (-), da die Beklagten auch anderen Betreibern solcher

Netze kein Entgelt für die Übertragung von Programmsignalen

zahlt keine Ungleichbehandlung

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Forts.)

4. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung i.S.d. § 19 GWB

b) Nach §19 Abs. 2 Nr. 2:

Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamen Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen.

Möglicherweise missbräuchliches Verhalten: Verweigerung der Zahlung eines Entgelts für die Übertragungsleistung, während private Fernsehsender weiterhin ein Entgelt zahlen

Prüfungsmaßstab: Zur Feststellung eines wettbewerbsanalogen Preises verweist §19 (2) Nr. 2 Hs. 2 GWB insb. auf Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb (Vergleichsmarktkonzept). Dazu aber umfassende Würdigung der wettbewerblichen Parameter auf den Vergleichsmärkten zu bestimmen.

Hier (-), da unzureichende Behauptung der Klägerin, wofür und in welcher Höhe ein Entgelt von den privaten Sendern gezahlt wird es fehlt an einer hinreichenden Grundlage für einen Vergleich mit den wettbewerblichen Verhältnissen wie sie zwischen der Klägerin und den privaten Anbietern bestehen

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I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Forts.)

4. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung i.S.d. § 19 GWB

c) §19 (2) Nr. 2 GWB:

Möglicherweise doch missbräuchliches Verhalten: Weigerung der Beklagten, den Einspeisevertrag zu den bisherigen Konditionen fortzusetzen, obwohl sie in der Vergangenheit mit diesen Konditionen einverstanden waren (Konditionenwechsel)

Grds. kann missbräuchliches Verhalten auch nach dem zeitlichen Vergleichsmarktkonzept festgestellt werden (d.h. im Wege eines Vergleichs zwischen aktuell und früher auf demselben Markt bei wirksamem Wettbewerb verlangten Preisen oder Konditionen)

Aber: dynamischer Verlauf des Marktgeschehens zu berücksichtigen

auch ein marktbeherrschendes Unternehmen darf grds. nicht daran gehindert werden, sich um die Durchsetzung anderer, günstigerer Konditionen zu bemühen

Eine Änderung der Konditionen kann daher grds. nur bei Vorliegen weiterer Umstände auf ein missbräuchliches Verhalten hinweisen.

Hier (-), keine besonderen, missbrauchsbegründenden Umstände vorgetragen

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Dr. Axel Walz, 17.11.2016 15

I. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung:

1. Relevanter Markt:

2. Marktbeherrschende Stellung (+)

3. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung i.S.d. § 19 GWB (-)

4. Ergebnis

Die Weigerung der Beklagten mit der Klägerin einen Vertrag zu den bisherigen

Konditionen zu schließen stellt keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden

Stellung dar. Die Beklagten sind zwar marktbeherrschend, die Kündigung stellt

aber keinen Missbrauch i.S.d. §19 GWB dar.

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II. Verstoß gegen § 1 GWB

1. Die öffentliche-rechtlichen Rundfunkanstalten als Unternehmen

2. Vereinbarung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweise

3. Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung

4. Spürbarkeit

5. Keine wettbewerbsimmanente Beschränkung (Immanenztheorie)

6. Keine Beschränkung des zwischenstaatlichen Handelns

7. Ergebnis

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 17

II. Verstoß gegen § 1 GWB

1. Die öffentliche-rechtlichen Rundfunkanstalten als Unternehmen

Verweis auf entsprechende Ausführungen zu §19 GWB.

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 18

II. Verstoß gegen § 1 GWB

2. Vereinbarung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweise

• Abgestimmte Verhaltensweise:

Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt, wonach jeder Unternehmer selbständig über sein Marktverhalten zu bestimmen hat.

Unzulässig ist folglich jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Unternehmen, die bezweck oder bewirkt, das Marktverhalten eines Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen Wettbewerber über das Marktverhalten zu informieren, zu dem man sich entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht.

Typisches Mittel verbotener Verhaltensabstimmung: Austausch von Informationen über wettbewerbsrelevante Parameter mit dem Ziel, die Ungewissheit über das zukünftige Marktverhalten des Konkurrenten auszuräumen, vorausgesetzt,

die Abstimmung ist ursächlich für ein entsprechendes Marktverhalten.

ABER: Es gilt eine Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

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II. Verstoß gegen § 1 GWB

2. Vereinbarung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweise (weiter zur

Vermutung der Ursächlichkeit zwischen Abstimmung und nachfolgendem

Wettbewerbsverhalten):

Die Abstimmung des Verhaltens unter Wettbewerbern durch den

Austausch von Informationen über ihr künftiges Marktverhalten hat nach

der Lebenserfahrung auch ohne weiteres Zutun nachteiligen Einfluss auf

den Wettbewerb.

Dies begründet die Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten

Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen

bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

Ein in der Folge von der Abstimmung unabhängiges Marktverhalten

aufgrund einer selbständig getroffenen unternehmerischen Entscheidung

kann daher nur dann angenommen werden, wenn greifbare Anhaltspunkte

dafür feststellbar sind. An deren Nachweis dürfen keine zu geringen

Anforderungen gestellt werden.

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 20

• Anwendung der vorbezeichneten Grundsätze auf den vorliegenden Fall:

Ist das auf der Besprechung gefundene Einverständnis, künftig keinem Kabelnetzbetreiber mehr Entgelt für die Einspeisung von Prorammsignalen zu zahlen und zur Umsetzung dieses Vorhabens die mit der Klägerin geschlossenen Einspeiseverträge zum Ablauf des Jahres 2012 zu kündigen eine abgestimmte Verhaltensweise i.S.d. §1 GWB?

a) Abstimmung zwischen den verschiedenen beklagten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten?

keine Abstimmung, da kein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, da die Veranstaltung der Gemeinschaftsprogramme den Beklagten als gemeinsame Aufgabe zugewiesen ist. Dies umfasst nicht nur die Entscheidung über die Programmgestaltung sondern auch die Modalitäten der Verbreitung und damit Kostenentscheidungen.

Hinsichtlich der von ihnen veranstalteten Gemeinschaftsprogramme und deren Verbreitung stehen die Beklagten Rundfunkanstalten mithin untereinander nicht im Wettbewerb.

b) Abstimmung zwischen den beklagten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und dem ZDF?

Soweit es nicht um die Gemeinschaftsprogramme geht, stehen die Beklagten jedenfalls mit dem ZDF, nicht anders als mit den privaten Programmveranstaltern, in Wettbewerb um Zuschauer und Werbekunden.

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 21

c) Zur Abstimmung mit dem ZDF

Nachfragewettbewerb zwischen Beklagten und ZDF (+). Den öffentlich-

rechtlichen Rundfunkanstalten ist unbeschadet des rundfunkrechtlichen

Kabelbelegungsregimes der Einkauf von Einspeisedienstleistungen nicht

verboten.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben sich wechselseitig über

ihren Entschluss in Kenntnis gesetzt, künftig keinem Kabelnetzbetreiber mehr

Entgelt für die Einspeisung zu zahlen.

Dadurch wurde die Unsicherheit beseitigt, ob ein beteiligtes

Rundfunkunternehmen weiterhin Entgelte zahlt und sich damit einen

Wettbewerbsvorteil verschafft (Hinweis: trotz §52b RStV bestehen Spielräume

der Kabelbetreiber, sodass Wettbewerbsvorteile möglich sind).

Der Umstand, dass nach Ablauf des Jahres 2012 keine der beteiligten

Rundfunkanstalten den Versuch unternommen hat, die Klägerin durch das

Versprechen eines Einspeiseentgelts davon abzuhalten, entsprechende

Einschränkungen ihrer Leistungen vorzunehmen, rechtfertigt nicht den Schluss,

diese seien wettbewerblich nicht relevant (so aber OLG Düsseldorf). Ursache

hierfür kann vielmehr auch die Fortwirkung der Verhaltensabstimmung sein.

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d) aA OLG Düsseldorf

Keine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung:

Zwar kam es bei der Besprechung zu einem Einvernehmen über die

Beendigung des Einspeisevertrages und künftige Nachfrage von

Einspeisedienstleistungen, daraus lässt sich aber nicht auf den Willen

schließen, wechselseitig Verpflichtungen einzugehen.

Keine abgestimmte Verhaltensweise:

Zwar unterrichteten sich die Beteiligten gegenseitig darüber wie sie künftig

vorgehen wollen, es kann aber nicht festgestellt werden, dass dadurch

bestehende wettbewerbliche Risiken beseitigt worden wären.

Zudem kein durch gegenseitigen Informationsaustausch verursachten

Marktverhalten. Die Kündigungen beruhen vielmehr auf einer jeweils

autonomen Entscheidung der Rundfunkanstalten.

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II. Verstoß gegen § 1 GWB

1. Die öffentliche-rechtlichen Rundfunkanstalten als Unternehmen (+)

2. Aufeinander abgestimmte Verhaltensweise (+)

3. Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung (+)

4. Spürbarkeit (+)

5. Keine Beschränkung des zwischenstaatlichen Handelns (+)

6. Ergebnis

Ein Verstoß gegen § 1 GWB liegt vor, die Kündigungen sind damit

unwirksam.

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 24

Merke:

• Der BGH macht in dieser Entscheidung deutlich, dass bei § 1

GWB eine Kausalitätsvermutung gilt, die auf einen

Erfahrungssatz gestützt wird. Hierin liegt eine Angleichung an

die Rechtsprechung des EuGH, die eine Kausalitätsvermutung

bei Art. 101 AUV bejaht (vgl. EuGH, Urteil vom 04. Juni 2009 –

C-8/08 Rn. 51 ff.).

• Die Kausalitätsvermutung erschwert die Widerlegung des

Vorwurfs einer abgestimmten Verhaltensweise. Es ist von den

Beklagten nachzuweisen, dass trotz des

Informationsaustausches ein autonomes Marktverhaltens

vorlag.

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Examinatorium Kartellrecht Sachverhalt 2

Dr. Axel Walz, 8.12.2016 25

H stellt UMTS-fähige Mobiltelefone her und vertreibt diese in sämtlichen Ländern Europas. P ist Inhaber

eines Patents, das eine Technologie schützt, die sicherstellt, dass in Katastrophenfällen Notrufe auch

bei Netzüberlastung prioritär durchgestellt werden. Im Rahmen der Festlegung des UMTS-Standards

haben die an der Standardisierung teilnehmenden Unternehmen u.a. vereinbart, dass die Technologie

des P zwingender Teil des UMTS-Standards sein soll. P hat sich in dem Zusammenhang verpflichtet,

allen Interessenten an seiner Technologie Lizenzen zu FRAND-Konditionen einzuräumen. Als er darauf

aufmerksam wird, dass H UMTS-fähige Mobiltelefone in Deutschland anbietet, schickt er ihm eine

Abmahnung und droht für den Fall eine Unterlassungsklage an, dass sich H nicht binnen einer Frist von

einem Monat damit einverstanden erklärt, eine Lizenzgebühr in Höhe von 1% des Nettoumsatzes zu

bezahlen, den H mit dem Verkauf von Mobiltelefonen in Deutschland erzielt hat. H, der mit zahlreichen

anderen Patentinhabern Lizenzverträge über die Nutzung sonstiger standardessentieller Patente

geschlossen hat, hält die Forderung für maßlos überzogen. Nachdem H die Forderung des P der Höhe

nach abgelehnt, aber zugleich betont hat, grds. eine Lizenz zu akzeptieren, wenn das Patent denn

überhaupt wirksam sei, reicht P Klage auf Unterlassung des Vertriebs der UMTS-fähigen Mobiltelefone

bei einem für Patentverletzungsklagen zuständigen Gericht in Deutschland ein. Insbesondere weil H

nicht einmal den von P verlangten Geldbetrag als Sicherheit hinterlegt habe, meint P, nach der in

Deutschland maßgeblichen Rechtsprechung sicher zu obsiegen. Zu Recht?

Vermerk für die Bearbeiter: Es ist davon auszugehen, dass das Streitpatent des P tatsächlich von H verletzt

wird. Der UMTS-Standard ist am Markt etabliert. Mobiltelefone, die nicht UMTS-fähig sind, sind unverkäuflich.

Insgesamt sind über 6900 Patente als essentiell für den UMTS-Standard erklärt worden. Auszugehen ist davon,

dass nur 1/3 dieser Patente wirklich standardessentiell und rechtsbeständig sind. Zudem ist davon auszugehen,

dass eine Lizenzbelastung von maximal 8% wirtschaftlich vertretbar ist.

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 26

Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit

Klage wurde beim zuständigen Gericht eingereicht. Keine Anhaltspunkte für Fehlen sonstiger Sachurteilsvoraussetzungen.

B. Begründetheit

• Klage ist begründet, wenn der von P behauptete Unterlassungsanspruch besteht.

• Anspruchsgrundlage: §139 (1) 1 PatG

• Voraussetzungen:

(1) Anspruchsentstehung: Patentverletzung + Wiederholungsgefahr

(2) Durchsetzbarkeit: §242 BGB („dolo agit“-Einwand)

Fraglich ist, ob der Unterlassungsanspruch durchsetzbar ist. P könnte aus kartellrechtlichen Gründen verpflichtet sein, der H eine Lizenz zur Nutzung des Streitpatents einzuräumen. Sollte ein kartellrechtlich begründeter Anspruch auf Einräumung einer Lizenz bestehen, wäre die Unterlassungsklage nach §242 BGB abzuweisen. Es wäre mit dem Gebot von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, dem P einen Unterlassungstitel zuzusprechen, wenn P seinerseits gleich wieder verpflichtet wäre, dem H die Nutzung des untersagten Verhaltens zu gestatten („dolo agit qui petit quod statim redditurus est“).

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Examinatorium Kartellrecht

Dr. Axel Walz, 8.12.2016 27

Zentraler Prüfungspunkt:

Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zur Nutzung des Streitpatents aus Art. 102 AEUV.

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs wegen Verletzung eines standardessentiellen Patents.

Prüfung Art. 102 AEUV:

1) Marktbeherrschende Stellung

a) Marktabgrenzung

b) Beherrschung des entsprechend abgegrenzten Marktes

2) Missbrauch

3) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten

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Examinatorium Kartellrecht

Dr. Axel Walz, 8.12.2016 28

Zu 1 a) – Marktabgrenzung:

Als Inhaber des Streitpatents ist P auf dem Markt für UMTS-standardessentielle Technologien tätig. Die UMTS-Technologie ist aus Sicht der Marktgegenseite (hier: Hersteller von Mobiltelefonen) nicht austauschbar.

Zu 1 b) – Beherrschung des Marktes für UMTS-Standardtechnologien

Grundsatz: Aus der Inhaberschaft eines Patents oder sonstigen Immaterialgüterrechts folgt keine marktbeherrschende Stellung. Diese schränken nur den Imitationswettbewerb, nicht aber den Produktwettbewerb ein.

ABER: Anders bei Patenten, die für am Markt durchgesetzte Standardtechnologien essentiell sind. Hier kann die Inhaberschaft eines einzelnen Patents die Nutzung des gesamten Technologiestandards verhindern und so den Technologienutzer von der Teilnahme an einem bestimmten Produktmarkt vollständig ausschließen.

Hier: MB (+), weil UMTS-standardessentielle Technologie und UMTS-Standard am Markt durchgesetzt ist.

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 29

Zu 2) – Missbrauch:

Grundsatz: Geltendmachung von Patenten und sonstigen Immaterialgüterrechten ist kartellrechtlich hinzunehmen.

ABER: Im Ausnahmefall kann die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches missbräuchlich sein.

• BGH (Az. KZR 39/06 – „Orange Book“): Missbräuchlichkeit (+), wenn

der Beklagte dem Kläger ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrags gemacht hat, an das er sich gebunden hält,

und das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne gegen das Diskriminierungs- oder das Behinderungsverbot zu verstoßen, und

wenn der Beklagte, solange er den Gegenstand des Patents bereits benutzt, diejenigen Verpflichtungen einhält, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstands knüpft (d.h.: Rechnungslegung sowie Zahlung bzw. Hinterlegung einer Sicherheit).

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Dr. Axel Walz, 8.12.2016 30

Zu 2) – Missbrauch (Forts.):

• ABER: Voraussetzungen wie vom BGH verlangt führen dazu, dass Art. 102 AEUV praktisch leer läuft.

• Zu Recht daher: EuGH (Az. C-170/13 – „Huawei“): Missbräuchlichkeit (+),

wenn Patentinhaber sich unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen (so genannte FRAND-Bedingungen) (fair, reasonable and non-discriminatory) zu erteilen,

Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhoben,

und eine der folgenden Voraussetzungen nicht erfüllt ist:

P muss den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die ihm vorgeworfene Patentverletzung hingewiesen haben und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll,

falls der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, muss P dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu entsprechenden Bedingungen unterbreiten und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben

Vorausgesetzt, der Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, hat auf das Angebot des P mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird. Daraus kann eine Pflicht zur Sicherheitsleistung folgen, aber erst nachdem P das Gegenangebot des angeblichen Verletzers abgelehnt hat.

HIER: Voraussetzungen von P nicht erfüllt. Missbrauch (+), damit Klage abzuweisen.