Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der...

89
Kapitel IV Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und Zusammenschlusskontrolle Auszug aus Hauptgutachten XVI (2004/2005) 1. Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen 2. Zusammenschlusskontrolle 3. Europäische Fusionskontrolle

Transcript of Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der...

Page 1: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Kapitel IV

Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und Zusammenschlusskontrolle

Auszug aus Hauptgutachten XVI (2004/2005)

1. Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen

2. Zusammenschlusskontrolle

3. Europäische Fusionskontrolle

Page 2: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Inhaltsverzeichnis

Kapitel IV: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmenund Zusammenschlusskontrolle....................................................................255

1. Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen......................................................255

1.1 Überblick über die Amtspraxis...........................................................................................255

1.2 Missbrauchsaufsicht im Energiesektor...............................................................................256

1.3 Verkäufe unter Einstandspreis............................................................................................257

2. Zusammenschlusskontrolle...........................................................................................................259

2.1 Statistischer Überblick.......................................................................................................259

2.2 Zusammenschlusstatbestand..............................................................................................261

2.2.1 Vorliegen eines wettbewerblich erheblichen Einflusses..................................................261

2.2.2 Vorliegen eines Zusammenschlusses bei Lizenzerwerb..................................................263

2.3 Marktabgrenzung...............................................................................................................264

2.3.1 Ausdehnung des Marktes über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschlandhinaus.............................................................................................................................264

2.3.2 Aufspaltung des Bundesgebietes in Regionalmärkte.....................................................265

2.3.3 Substitutionsbeziehungen bei Sortimentsmärkten.........................................................268

2.3.4 Substitutionsbeziehungen im öffentlichen Nahverkehr..................................................271

2.4 Entstehung und Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung....................................274

2.4.1 Marktbeherrschung im Oligopol....................................................................................274

2.4.2 Marktbeherrschung bei nichthorizontalen Zusammenschlüssen....................................279

2.5 Bedingungen und Auflagen................................................................................................287

2.5.1 Allgemeine Entwicklungen............................................................................................287

2.5.2 Die Auswirkungen von Stilllegungsauflagen.................................................................288

2.6 Verfahrensfragen................................................................................................................291

2.6.1 Feststellungsinteresse bei Zusammenschlussvorhaben..................................................291

2.6.2 Verjährung und Bußgeldhöhe bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot.......................293

3. Europäische Fusionskontrolle......................................................................................................294

3.1 Einführung.........................................................................................................................294

3.2 Zuständigkeitsverteilung....................................................................................................296

3.2.1 Änderung der Zwei-Drittel-Regelung?..........................................................................296

3.2.2 Verweisungsregime und -praxis.....................................................................................297

3.2.2.1 Die Reform der Verweisungsregeln..............................................................................297

3.2.2.2 Verfahrensabgabe auf Antrag der Unternehmen...........................................................298

3.2.2.3 Verweisung nach behördlichem Antrag........................................................................300

3.3 Marktabgrenzung...............................................................................................................301

3.3.1 Marktabgrenzung bei differenzierten Produkten...........................................................301

3.3.2 Räumliche Marktabgrenzung und more economic approach........................................305

3.4 Untersagungskriterium.......................................................................................................306

3.4.1 Marktanteile..................................................................................................................308

3.4.1.1 Monopolistische Marktstrukturen.................................................................................309

Page 3: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

3.4.1.2 Marktanteile und Ausschreibungsmärkte......................................................................312

3.4.1.3 EWR-weite Marktanteile bei nationaler Marktabgrenzung..........................................313

3.4.2 Substitutionsverhältnis..................................................................................................313

3.4.3 Anbieterwechsel und Kapazitäten.................................................................................316

3.4.4 Quantitative Analysen...................................................................................................318

3.4.5 Oligopolistische Marktbeherrschung............................................................................320

3.4.6 Effizienzvorteile............................................................................................................321

3.4.7 Verfahrensrechtliche Implikationen des more economic approach...............................322

3.5 Abhilfemaßnahmen............................................................................................................323

3.5.1 Die Studie der Europäischen Kommission über Abhilfemaßnahmen...........................324

3.5.2 Grenzen des Verpflichtungsumfangs?...........................................................................325

3.5.3 Veräußerungszusagen...................................................................................................325

3.5.4 Verhaltensorientierte Zusagen......................................................................................326

3.5.5 Abhilfemaßnahmen ohne Feststellung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung.................328

3.6 Rechtsprechung.................................................................................................................328

3.6.1 Konglomerate Zusammenschlüsse...............................................................................329

3.6.2 Vertikale Zusammenschlüsse........................................................................................333

3.6.3 Besonderheiten auf dem portugiesischen Gasmarkt....................................................333

3.6.4 Abwägungsklausel.......................................................................................................3353.6.5 Aufgabe eines Zusammenschlussvorhabens.................................................................335

Page 4: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 255 – Drucksache 16/2460

Kapitel IV

Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und Zusammenschlusskontrolle

1. Missbrauchsaufsicht über markt-beherrschende Unternehmen

1.1 Überblick über die Amtspraxis408. Auch in diesem Berichtszeitraum ging das Bundes-kartellamt im Rahmen der Missbrauchsaufsicht in ver-schiedenen Verfahren gegen marktbeherrschende undmarktstarke Unternehmen vor. Dabei gewinnt die An-wendung europäischen Rechts zunehmend an Bedeutung.Kennzeichnend für die Missbrauchsaufsicht ist, dass sieoft bereits im Stadium der kartellbehördlichen Untersu-chung Wirkung entfaltet. So haben die betroffenen Unter-nehmen in einigen Fällen ihr missbräuchliches Verhaltenbereits im Vorfeld einer Missbrauchsverfügung aufgege-ben, so dass die entsprechenden Verfahren eingestelltwerden konnten.

409. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Bundeskartellam-tes in der Missbrauchsaufsicht liegt nach wie vor imEnergiesektor. Das Bundeskartellamt hat ein Verfahrengegen E.ON und RWE wegen des Verdachts auf miss-bräuchliche Einpreisung des Preises für CO2-Zertifikatein die Strompreise eröffnet und eine Untersagungsverfü-gung gegen E.ON Ruhrgas in Sachen langfristige Gaslie-ferverträge erlassen. Zu zwei Missbrauchsverfügungendes Bundeskartellamtes aus dem letzten Berichtszeitraumder Monopolkommission liegen inzwischen Entscheidun-gen des Bundesgerichtshofs (BGH) vor.

410. Im ersten Fall hat das Bundeskartellamt der Mai-nova, dem Betreiber des Stromnetzes der Stadt Frankfurt,in einer Missbrauchsverfügung untersagt, zwei Areal-netzbetreibern den Anschluss an ihr Mittelspannungsnetzzu verweigern.1 Die Monopolkommission hat diese Ent-scheidung begrüßt.2 Auch das Oberlandesgericht (OLG)Düsseldorf hat die Beschwerde der Mainova gegen denBeschluss des Bundeskartellamtes abgelehnt.3 DieRechtsbeschwerde der Mainova vor dem BGH wurdeebenfalls abgewiesen.4 Der BGH bestätigte in seinem Be-schluss, dass die Mainova ihre marktbeherrschende Stel-lung nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB dadurch missbrauchthabe, dass sie zwei Arealnetzbetreibern den Zugang zuihrem Mittelspannungsnetz verweigert hat.

411. Im zweiten Fall hat das Bundeskartellamt eineMissbrauchsverfügung wegen überhöhter Netznutzungs-

entgelte der Stadtwerke Mainz erlassen.5 Der Beschlusswurde vom OLG Düsseldorf wegen materieller Rechts-fehler – aus Sicht der Monopolkommission ungerechtfer-tigterweise6 – aufgehoben.7 Allerdings hat der BGH denBeschluss des OLG wiederum aufgehoben und die Sachezur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwie-sen.8 Das Bundeskartellamt hatte unter Anwendung desVergleichsmarktkonzepts den Stadtwerken Mainz eineErlösobergrenze gesetzt. Der BGH bestätigt in seiner Ent-scheidung, dass es grundsätzlich zulässig sei, eine Erlös-obergrenze festzusetzen. Das OLG hatte dies für unzuläs-sig erklärt, da eine Erlösobergrenze auf eine demKartellamt gesetzlich nicht zustehende präventive Preis-kontrolle hinauslaufe und damit eine regulierende Wir-kung entfalte. Auch die Wahl der RWE Net als Ver-gleichsunternehmen ist nach Ansicht des BGH zulässig,obwohl RWE Net deutlich größer und vertikal stärker in-tegriert ist als die Stadtwerke Mainz. Allerdings könneinsbesondere dann, wenn der Verfügung der Vergleichmit nur einem einzigen Unternehmen zugrunde liege, derwettbewerbsanaloge Preis nicht nur durch geschätzte Zu-und Abschläge ermittelt werden. Vielmehr müsse die Un-sicherheit der schmalen Vergleichsbasis durch eine um sogrößere Präzision bei der Ermittlung des Vergleichsprei-ses und die Einbeziehung eines Sicherheitszuschlagesausgeglichen werden. Da das OLG die Ermittlung der Zu-und Abschläge des Bundeskartellamtes im Rahmen desErlösvergleiches der RWE Net mit den StadtwerkenMainz in seinem Beschluss nicht geprüft hat, sieht sichder BGH außerstande, abschließend zu beurteilen, ob diefür das Vergleichsunternehmen ermittelten Zahlen für denVergleich der Erlöse hinreichende Aussagekraft besitzen.Er verweist den Fall deshalb in der Sache zurück an dasBeschwerdegericht. Der BGH weist zudem darauf hin,dass die Entgelte der Stadtwerke Mainz nicht bereits dannals missbräuchlich überhöht anzusehen seien, wenn dieRWE Net nach den korrigierenden Zu- und Abschlägensowie dem Sicherheitszuschlag niedrigere Entgelte als dieStadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einermarktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte,bedürfe es zudem eines „Erheblichkeitszuschlages“, d. h.die Erlöse pro Leitungskilometer der Stadtwerke Mainzmüssten auch nach Berücksichtigung des Sicherheitszu-schlags immer noch erheblich über denen der RWE Netliegen.

1 BKartA, Beschluss vom 8. Oktober 2003, B11-12/03, WuW/E DE-V811, GETEC net.

2 Vergleiche Monopolkommission, Wettbewerbspolitik im Schatten„Nationaler Champions“, Hauptgutachten 2002/2003, Baden-Baden2005, Tz. 587 ff.

3 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juni 2004, VI-Kart 35/03 (V),WuW/E DE-R 1307, GETECnet.

4 BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005, KVR 27/04, WuW/E DE-R1520, Arealnetz.

5 BKartA, Beschluss vom 17. April 2003, B11-38/01.6 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,

Tz. 563 ff.7 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2004, VI-Kart 18/03 (V),

WuW/E DE-R 1439, Stadtwerke Mainz.8 BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005, KVR 17/04, WuW/E DE-R

1513, Stadtwerke Mainz.

Page 5: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 256 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

412. Im Berichtszeitraum hat das Bundeskartellamt einMissbrauchsverfahren gegen die Deutsche Post AGdurchgeführt und dem Unternehmen mit Beschluss vom11. Februar 2005 untersagt, Konsolidierern den Teilleis-tungszugang und die entsprechenden Teilleistungsrabattezu verweigern. Die Monopolkommission hat sich dazu inihrem Sondergutachten zur wettbewerblichen Entwick-lung auf den Postmärkten geäußert.9 Schließlich hat dasAmt erneut Verfahren wegen des Verdachts von Verkäu-fen unter Einstandspreisen im Handel geführt.

1.2 Missbrauchsaufsicht im Energiesektor

413. Aufgrund der drastisch gestiegenen Strom- undGaspreise stand die Missbrauchsaufsicht über die Strom-und Gaswirtschaft in den letzten Monaten im Zentrumdes öffentlichen Interesses. Im Strombereich hat das Bun-deskartellamt gegen E.ON und RWE ein Verfahren we-gen des Verdachts der missbräuchlichen Einpreisung vonCO2-Zertifikaten in die Strompreise eröffnet. Im Gasbe-reich befasste sich das Bundeskartellamt unter anderemmit der Missbräuchlichkeit langfristiger Gaslieferver-träge. Nachdem eine einvernehmliche Lösung mit dengasimportierenden Unternehmen im September 2005 ge-scheitert war, ging das Amt im Januar 2006 mit einerUntersagungsverfügung an die E.ON Ruhrgas AG gegendie Praxis langfristiger Gaslieferverträge vor.10

414. Am 13. Januar 2006 hat das Bundeskartellamt derE.ON Ruhrgas AG mitgeteilt, dass die Gaslieferverträgedes Unternehmens mit Weiterverteilern in ihrer Kombina-tion aus langfristiger Bezugsverpflichtung und hohemGrad an tatsächlicher Bedarfsdeckung gegen europäi-sches und deutsches Wettbewerbsrecht verstoßen, unddem Unternehmen diese Praxis der Vertragsgestaltunguntersagt. Nach der Untersagungsverfügung des Bundes-kartellamtes ist es der E.ON Ruhrgas AG verboten, Gas-lieferverträge mit Weiterverteilern abzuschließen, die beieiner Bedarfsdeckung von mehr als 50 Prozent eine Ver-tragslaufzeit von mehr als vier Jahren haben. So genannteQuasigesamtbedarfsdeckungsverträge, die mehr als 80 Pro-zent des tatsächlichen Bedarfs eines Gasweiterverteilersumfassen, dürfen eine Vertragslaufzeit von zwei Jahrennicht überschreiten. Dabei sind mehrere Lieferverträgezwischen der E.ON Ruhrgas als Lieferanten und ihrenKunden als ein Vertrag zu betrachten.

415. Nach Ansicht des Bundeskartellamtes verstoßendie Lieferverträge zwischen E.ON Ruhrgas und den Gas-weiterverteilern gegen Artikel 81 EGV, da sie den zwi-schenstaatlichen Handel auf einem schwer zugänglichenMarkt beeinträchtigen und eine erhebliche Marktabschot-tungswirkung entfalten. Als relevanten Markt legt dasBundeskartellamt den Markt für die Erstbelieferung vonRegional- und Ortsgasunternehmen mit Gas für den Ver-triebsbedarf im Netzgebiet von E.ON Ruhrgas zugrunde.

Nicht erfasst von dieser Marktabgrenzung sind die Liefer-beziehungen von E.ON Ruhrgas zu anderen, nichtimpor-tierenden Ferngasgesellschaften und großen Endkundensowie zu weiterverteilenden Gasunternehmen, soweit essich dabei um die Belieferung mit Kraftwerksgas handelt.

416. Nach den Ermittlungen des Bundeskartellamtessind 70 Prozent der im Netzgebiet von E.ON Ruhrgas an-sässigen Regional- und Ortsgasunternehmen zum Bezugeiner Liefermenge verpflichtet, die jeweils 100 Prozentihres Gesamtbedarfs umfasst. Weitere 6 Prozent der Lie-ferverträge haben Liefermengen von mehr als 80 Prozentdes Bedarfs der Weiterverteiler zum Gegenstand, so dassinsgesamt mehr als 75 Prozent der Lieferverträge als Ge-samtbedarfsdeckungs- bzw. Quasigesamtbedarfsde-ckungsverträge anzusehen sind. Alle diese Verträge wei-sen Laufzeiten von mehr als vier Jahren auf. NachAnsicht des Bundeskartellamtes schränken die langfristi-gen Bezugsbindungen die Chancen aktueller und potenti-eller Wettbewerber für einen verstärkten Marktauftritt er-heblich ein, da das Nachfragepotential des jeweiligenWeiterverteilers für die Laufzeit des Vertrages ausfällt.

417. Eine erhebliche Abschottungswirkung würde sichnach Ansicht des Amtes auch dann ergeben, wenn manbei der Marktabgrenzung nicht auf das Netzgebiet vonE.ON Ruhrgas abstellen, sondern eine bundesweiteMarktabgrenzung zugrunde legen würde. Bundesweitsind ca. 75 Prozent aller Lieferverträge zwischen denFerngasunternehmen und Gasweiterverteilern über Lie-fermengen oberhalb von 80 Prozent des Bedarfs und überlange Laufzeiten abgeschlossen worden. Die wettbe-werbsbeschränkende Abschottungswirkung der Liefer-verträge von E.ON Ruhrgas ergibt sich in diesem Fall ausder Tatsache, dass sie zu einem Bündel weitestgehendgleichartiger Verträge auf dem relevanten Markt gehören.

418. Die betroffenen Langfristverträge von E.ON Ruhr-gas sind nach Auffassung des Amtes auch nicht gemäßArtikel 81 Abs. 3 EGV vom Verbot des Artikel 81Abs. 1 EGV ausgenommen. Eine Freistellung nach derVertikal-GVO scheitere schon daran, dass der Anteil vonE.ON Ruhrgas auf dem relevanten Markt sowohl beinetzbezogener als auch bei bundesweiter Marktabgren-zung die in Artikel 3 Abs. 1 Vertikal-GVO festgelegteObergrenze für die Freistellung von 30 Prozent über-schreite.

419. Auch die Voraussetzungen für eine individuelleFreistellung liegen nach Ansicht des Amtes nicht vor.Nach Artikel 81 Abs. 3 EGV müssen die langfristigenBezugsvereinbarungen unter angemessener Beteiligungder Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Ver-besserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zurFörderung des technischen oder wirtschaftlichen Fort-schritts beitragen, ohne dass hierfür unerlässliche Be-schränkungen auferlegt oder Möglichkeiten zum Aus-schalten des Wettbewerbs eröffnet werden. AlsRechtfertigung ihrer Vertragspraxis macht E.ON Ruhrgasin diesem Zusammenhang ihre eigenen unbedingten Be-zugsverpflichtungen beim Gasimport geltend. Die lang-fristigen Gasimportverträge auf Take-or-Pay-Basis seienaus Gründen der Versorgungssicherheit für die Gaskun-

9 Vergleiche Monopolkommission, Wettbewerbsentwicklung bei derPost 2005: Beharren auf alten Privilegien, Sondergutachten 44, Ba-den-Baden 2006, Tz. 15 ff.

10 BKartA, Beschluss vom 13. Januar 2006, B8-113/03, WuW/E DE-V1147, E.ON Ruhrgas.

Page 6: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 257 – Drucksache 16/2460

den in Deutschland notwendig und trügen zu einem nied-rigeren Preisniveau und einer sachgerechten Risikovertei-lung bei.

420. Nach Auffassung des Bundeskartellamtes trägtdiese Argumentation jedoch nicht. Zum einen sei die Ver-sorgungssicherheit nicht berührt, da die Untersagungnicht auf die Importverträge von E.ON Ruhrgas abziele,sondern lediglich auf die nachfolgende Handelsstufe.Darüber hinaus sei eine Beteiligung der Verbraucher andem wirtschaftlichen Vorteil der Vertragsgestaltung nichtgegeben. Zwar könne es sein, so das Bundeskartellamt,dass Ferngasgesellschaften für längere Laufzeiten günsti-gere Preise gewährten. Dem stünde allerdings gegenüber,dass das gegenwärtige Preisniveau auf abgeschottetenMärkten basiere und damit sowohl nach ökonomischerTheorie als auch nach wirtschaftlicher Erfahrung insge-samt marktunüblich hoch sei.

421. Schließlich sei die langfristige Bindung der Ab-nehmer auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Risiko-verteilung gerechtfertigt. Zweifel bestünden zunächst da-ran, in welchem Umfang Importmengen überhauptlangfristig und auf der Basis von Take-or-Pay bezogenwerden müssten. Darüber hinaus ist es nach Auffassungdes Bundeskartellamtes nicht erforderlich, auf der Be-zugsseite bestehende Risiken nahezu spiegelbildlich wei-terzugeben. Es liege vielmehr in der Natur der Sache,dass ein Händler dem Risiko ausgesetzt sei, die fest ein-gekaufte Ware abzusetzen. Zweitens sei zu berücksichti-gen, dass ein langfristiger Bezug von Gas für die Ferngas-unternehmen nicht zwingend als ein reines Absatzrisikozu bewerten sei, sondern ihnen vielmehr langfristig denZugang zu den Beschaffungsquellen sichere und Pla-nungssicherheit bezüglich ihrer Einkaufspreise biete.Drittens schließlich seien die Take-or-Pay-Klauseln inImportverträgen nicht streng zu verstehen. Die Klauselnkönnen Schwankungsbreiten umfassen und eine jahres-übergreifende Betrachtung vorsehen. Außerdem könneim Falle von Absatzrückgängen nachverhandelt werden,denn auch der Produzent habe kein Interesse, auf derTake-or-Pay-Verpflichtung zu bestehen, wenn das über-schüssige Gas andernfalls billig in den deutschen Marktgegeben würde und dies bei der nächsten Preisrevisionauf ihn zurückschlagen würde.

422. Die Monopolkommission teilt grundsätzlich dieAuffassung des Bundeskartellamtes, dass die langfristi-gen Bezugsbindungen der Gasweiterverteiler eine erheb-liche Abschottungswirkung entfalten. Gasweiterverteilerwerden durch Lieferverträge mit Gesamtbedarfsde-ckungsklauseln langfristig an ihren bisherigen Lieferan-ten gebunden und fallen als potentielle Kunden für neueAnbieter aus. Die Ermittlungen des Bundeskartellamtesbelegen, dass das durch langfristige Verträge dem Wettbe-werb entzogene Nachfragevolumen der Gasweitervertei-ler auch quantitativ ein derartiges Ausmaß hat, dass derMarktzugang für die Wettbewerber effektiv verschlossenwird. Die marktabschottende Wirkung der langfristigenBezugsbindungen droht die mit der Liberalisierung derGaswirtschaft verbundene Wettbewerbszielsetzung zukonterkarieren. Selbst ein funktionsfähiger Netzzugang,

der neue Marktteilnehmer in die Lage versetzt, Endkun-den Gas zu konkurrenzfähigen Bedingungen anzubieten,bliebe wettbewerblich wirkungslos, wenn es keine Ab-nehmer für die Konkurrenzangebote gibt. Insofern ist dasvom Bundeskartellamt verfügte Verbot des Abschlusseslangfristiger Gesamtbedarfsdeckungsverträge unter Wett-bewerbsgesichtspunkten zu begrüßen.

423. Gleichwohl besteht aus ökonomischer Sicht einkonzeptionelles Problem darin, dass mit einem nachträgli-chen Eingriff der Wettbewerbsbehörde in die Vertragsver-hältnisse auch nachteilige Wirkungen auf die Anreizstruk-tur der importierenden Ferngasunternehmen verbundensein können. Die zwischen den Gasfördergesellschaftenund den importierenden deutschen Ferngasunternehmenabgeschlossenen Take-or-Pay-Verträge mit ihren langfris-tigen Mengenbezugsbindungen für die Ferngasgesell-schaften dienen aus ökonomischer Sicht dazu, das fürbeide Vertragspartner mit den langfristigen, kapitalinten-siven und vertragsspezifischen Investitionen zur Gasför-derung und zum Gastransport verbundene Risiko zu sen-ken und dadurch die Investitionsbereitschaft zu erhöhen.Das auf der Bezugsseite aus den Take-or-Pay-Verpflich-tungen resultierende Mengenrisiko konnten die importie-renden Ferngasgesellschaften durch langfristige Liefer-verträge auf der Abnehmerseite reduzieren. Sofern keineanderen Möglichkeiten zur Absicherung des Mengenbe-zugsrisikos bestehen, ist es daher nicht völlig auszu-schließen, dass das Verbot langfristiger Lieferverträgezwischen den Ferngasunternehmen und den Gasweiter-verteilern eine nachteilige Wirkung auf die Investitions-bereitschaft und die Bereitschaft der Ferngasunterneh-men, neue langfristige Importverträge abzuschließen, hat.Nach Ansicht der Monopolkommission wäre eine umfas-sendere Auseinandersetzung des Bundeskartellamtes mitdieser grundlegenden Problematik der Abwägung zwi-schen Wettbewerbsförderung und möglichen nachteiligenEffekten auf die Investitionsbereitschaft der Ferngasun-ternehmen wünschenswert gewesen.

1.3 Verkäufe unter Einstandspreis

424. In ihrem Koalitionsvertrag sieht die jetzige Bun-desregierung vor, den Verkauf von Lebensmitteln unterEinstandspreis grundsätzlich zu untersagen. Dazu heißt esim Abschnitt Verbraucherpolitik: „Der teilweise ruinösePreiswettbewerb, insbesondere im Lebensmitteleinzel-handel, belastet vor allem kleine und mittlere Betriebe.Das bestehende Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisschafft nur bedingt Abhilfe, da das gelegentliche Anbie-ten von Waren unter Einstandspreis erlaubt bleibt. DieBundesregierung wird das Kartellrecht novellieren, umden Verkauf von Lebensmitteln unter Einstandspreisgrundsätzlich zu untersagen.“11 Die Monopolkommissionspricht sich dagegen für eine Abschaffung des Verbotsvon Untereinstandspreisen in allen Bereichen, nicht nurim Lebensmittelbereich, aus.

11 „Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit“, Koali-tionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005,S. 112.

Page 7: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 258 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Untereinstandspreise von Fotoarbeiten und Marken-artikeln beim Verkauf von Drogeriewaren

425. Im Folgenden werden zwei Verfahren vorgestellt, indenen das Bundeskartellamt gegen Verkäufe unter Ein-standspreis bei Drogeriewaren vorgegangen ist. Das ersteder beiden Verfahren gegen die Drogeriemarktkette Schle-cker bzw. ihren Eigentümer wurde im Sommer 2005 abge-schlossen und ist mittlerweile bestandskräftig. Dabei ginges um das Angebot von Fotoarbeiten unter Einstandspreis.Konkret wurde in zwei Zeiträumen im Jahre 2004 von derDrogeriemarktkette angeboten, online übermittelte Bild-dateien im Format 10 x 15 bzw. 9 x 13 zu einem Preis von9 Cent bzw. 7 Cent pro Abzug zuzüglich einer Bearbei-tungsgebühr von 69 Cent abzuziehen. Diese Preise sindnach Berechnungen des Bundeskartellamtes nur für Be-stellungen bis zu maximal fünf bzw. zehn Abzügen kos-tendeckend. Die Kosten jedes weiteren Abzuges könnennicht durch die zusätzlichen Einnahmen pro Bild gedecktwerden. Da die Kunden im Durchschnitt pro Auftrag etwa60 Abzüge bestellen, lag nach Ansicht des Bundeskartell-amtes ein Angebot unter Einstandspreis vor.

426. Die Monopolkommission hat sich in ihrem letztenHauptgutachten bereits kritisch zu einem sehr ähnlich ge-lagerten Fall geäußert, bei dem das Bundeskartellamt we-gen des zu niedrigen Preises für eine „Fotoarbeitstasche“einen Bußgeldbescheid gegen die Dirk Rossmann GmbHund ihren Mehrheitseigentümer erlassen hatte.12 In demFall der Drogeriemarktkette Schlecker bestätigt sich dieKritik, dass die Anwendung der Verbotsregelung nichtpraktikabel ist, da es in vielen Fällen eigentlich unmög-lich ist, den Einstandspreis zweifelsfrei zu ermitteln. DasBundeskartellamt versucht, bei der Berechnung des Ein-standspreises alle Konditionen, Rabatte und Zuschüsse zuberücksichtigen, die der Händler bekommt. So wurden imvorliegenden Fall die Zuschüsse, die Schlecker von denFotolaboren für die Eröffnung einer neuen Filiale erhält,vom Bundeskartellamt auf die Einstandspreise angerech-net. Das bedeutet, dass die Kosten pro Abzug für die Dro-geriemarktkette umso geringer sind, je mehr Filialen sieeröffnet.

427. Das zweite hier betrachtete Verfahren war zumZeitpunkt der Verabschiedung dieses Gutachtens nochnicht abgeschlossen. In dem Verfahren ging es um denVerkauf von typischen Drogerieartikeln wie Cremes undShampoos zu Untereinstandspreisen. Die Drogeriemarkt-kette hatte in einer wöchentlichen Werbeaktion regelmä-ßig in allen Filialen ein paar spezielle Markenartikel zueinem Sonderpreis, der im Allgemeinen unter dem Ein-standspreis des Unternehmens lag, angeboten. Die Produ-zenten der betroffenen Markenprodukte hatten sich beimBundeskartellamt über diese Verkäufe unter Einstands-preisen beschwert.

Relative Marktmacht als Eingriffsgrund?

428. Während sich die Missbrauchsaufsicht des Bun-deskartellamtes generell auf Unternehmen beschränkt,

die eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, ist dieVorschrift des § 20 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes gegenWettbewerbsbeschränkungen (GWB) bereits bei relativerMarktmacht anzuwenden. So ist es nicht notwendig, dassdas Unternehmen, gegen das sich der Vorwurf des Ver-kaufs unter Einstandspreis richtet, das größte am Marktist. Vielmehr reicht die Überlegenheit gegenüber kleinenund mittleren Wettbewerbern aus.13 In der Praxis scheintdas Kartellamt bereits dann von relativer Marktmachtauszugehen, wenn es kleinere Geschäfte gibt, die die be-treffenden Waren ebenfalls verkaufen. Damit sind alleDrogeriemarktketten als Unternehmen mit relativerMarktmacht anzusehen. Schlecker gilt im Fall des Ver-kaufs von Fotoarbeiten unter Einstandspreis als markt-mächtig, da er dem typischen Fotofachgeschäft bezüglichUmsatz und Finanzkraft deutlich überlegen ist. In demanderen Verfahren ist die betroffene Drogeriemarktkettenach Ansicht des Amtes als marktmächtig anzusehen, dasie deutlich größer als jede der gut 4 000 inhabergeführ-ten Drogerien in Deutschland ist. Diese inhabergeführtenDrogerien sind nach Auffassung des Amtes als die nach§ 20 Abs. 4 Satz 1 GWB genannten „kleinen und mittle-ren Wettbewerber“ anzusehen, obwohl sich ein Teil dieserGeschäfte auf Parfümerie- oder Reformhausartikel spe-zialisiert hat, so dass sie die in dem Verfahren in Fragestehenden Produkte gar nicht führen.

429. Die Monopolkommission räumt ein, dass die refe-rierte Entscheidungspraxis durch die geltende Rechtslagegeboten war. De lege ferenda spricht sie sich jedoch ge-gen eine Missbrauchsaufsicht von Unternehmen aus, dienicht marktbeherrschend im Sinne des § 19 Abs. 2 GWBsind. Zwar mag es sein, dass eine bestimmte wettbewerb-liche Praxis eines Unternehmens noch kleinere Unterneh-men am Markt behindert. Es sollte aber nicht Aufgabe derWettbewerbsbehörde sein, kleine Unternehmen zu erhal-ten, sondern den Wettbewerb auf Märkten insgesamt zuschützen. Unternehmen, die nicht marktbeherrschend,sondern nur marktmächtiger als andere Unternehmensind, sollten deshalb in ihren Verhaltensweisen nichtdurch eine Missbrauchsaufsicht eingeschränkt werden.Zu beachten ist dabei, dass die Einschränkungen derMissbrauchsaufsicht, die die Kartellbehörde einem Un-ternehmen mit relativer Marktmacht auferlegt, unter Um-ständen weniger den kleineren Unternehmen in dem be-treffenden Markt hilft als vielmehr Unternehmen, dieüber eine relativ noch höhere Marktmacht als das betrof-fene Unternehmen verfügen. So stehen den gut 4 000 in-habergeführten Drogerien in Deutschland allein fast11 000 Filialen der Drogeriemarktkette Schlecker gegen-über. Die Wahrscheinlichkeit, dass der nächstliegendeWettbewerber einer beliebigen Drogerie eine Schlecker-Filiale ist, ist also mehr als doppelt so hoch wie die Wahr-scheinlichkeit, dass es sich um eine inhabergeführte Dro-gerie handelt. Durch das Eingreifen der Wettbewerbsbe-hörde gegenüber einem marktmächtigen Unternehmenwird folglich die Firma Schlecker mindestens so sehr ge-schützt wie eine inhabergeführte Drogerie.

12 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2003/2004, a. a. O.,Tz. 549 ff.

13 Vergleiche Bechtold, Rainer, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrän-kungen, Kommentar, 3. Auflage, München 2002, § 19 Rn. 66.

Page 8: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 259 – Drucksache 16/2460

2. Zusammenschlusskontrolle2.1 Statistischer Überblick430. Die Fusionskontrollstatistik des Bundeskartellam-tes weist für den Berichtszeitraum der Monopolkommis-sion 2004/2005 erneut einen Rückgang der Fallzahlen auf(vgl. Tabelle IV.1). Die Anzahl der vollzogenen Zusam-menschlüsse sank von 2 449 im letzten auf 2 207 in die-sem Berichtszeitraum. Hierbei ist zu beachten, dass seitInkrafttreten der Siebten GWB-Novelle am 1. Juli 2005Vollzugsanzeigen nicht mehr im Bundesanzeiger bekanntgemacht werden. Das Bundeskartellamt erfasst den Voll-zug von Zusammenschlüssen nach wie vor, aber nur,wenn die Zusammenschlussbeteiligten sie dem Amt alsvollzogen melden. Der Rückgang in der Anzahl vollzoge-ner Zusammenschlüsse könnte demnach zumindest teil-weise darauf zurückzuführen sein.

431. Die Zahl der registrierten Neuanmeldungen ist imVergleich zum letzten Berichtszeitraum gestiegen. Insge-samt wurden in den Jahren 2004 und 2005 3 150 Neuan-meldungen registriert, davon 1 451 im Jahre 2004 und1 699 im Jahre 2005 (vgl. Tabelle IV.2). Im letzten Be-richtszeitraum der Monopolkommission waren es nur2 923 Neuanmeldungen gewesen. Die deutliche Steige-rung bei der Zahl der Neuanmeldungen im Jahre 2005könnte auf die wieder vermehrte Aktivität an den Börsen

zurückzuführen sein.14 Es ist zu erwarten, dass die Zahlder vollzogenen Zusammenschlüsse entsprechend zeit-verzögert im nächsten Berichtszeitraum ebenfalls wiederansteigt.

432. Im vergangenen Berichtszeitraum hat das Bundes-kartellamt 51 so genannte Zweite-Phase-Fälle abgeschlos-sen, in mehr als der Hälfte der Fälle mit einer Freigabeohne Auflagen und Bedingungen. Die Zahl der Freigabenmit Auflagen und Bedingungen ist im Vergleich zum vor-herigen Berichtszeitraum deutlich zurückgegangen. Nurin sechs Fällen wurde eine Freigabe unter Bedingungenund Auflagen erteilt, dafür gab es 18 Untersagungen. Imletzten Berichtszeitraum hatte es 18 Freigaben unter Auf-lagen und Bedingungen und nur acht Untersagungen ge-geben.

433. In 35 Fällen modifizierten die Unternehmen ihrZusammenschlussvorhaben nach Vorgesprächen mit demBundeskartellamt. Das Bundeskartellamt wertet diese sogenannten Vorfeldfälle als Zeichen der Wirksamkeit derFusionskontrolle, da alle diese Fälle erhebliche wettbe-werbliche Bedenken aufgeworfen haben.

14 Vergleiche dazu auch Monopolkommission, Wettbewerbspolitik inNetzstrukturen, Hauptgutachten 1998/1999, Baden-Baden 2000,Tz. 783.

Ta b e l l e IV.1

Übersicht über die Anzahl der angezeigten vollzogenen Zusammenschlüsse und der vom Bundeskartellamt ausgesprochenen Untersagungen, gegliedert nach Berichtszeiträumen der Monopolkommission

Quelle: Bundeskartellamt

Berichtszeitraum Anzeigen vollzogener Zusammenschlüsse Zahl der Untersagungen

1973/1975 783 41976/1977 1.007 71978/1979 1.160 141980/1981 1.253 211982/1983 1.109 101984/1985 1.284 131986/1987 1.689 51988/1989 2.573 161990/1991 3.555 81992/1993 3.257 61994/1995 3.094 81996/1997 3.185 91998/1999 3.070 82000/2001 2.567 42002/2003 2.449 82004/2005 2.207 18

davon: 2004 1.128 122005 1.079 6

Insgesamt 34.242 159

Page 9: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 260 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ta b e l l e IV.2

Übersicht über den Stand der Zusammenschlusskontrolle 2004 und 2005

Quelle: Bundeskartellamt

2004 2005I. Fusionskontrolle (national)a.) Eingegangene Anmeldungen

nach § 39 GWB 1.451 1.699b.) Bekannt gemachte (vollzogene) Zusammen-

schlüsse 1.128 1.079II. 2. Phase-Fälle

– Entscheidungen 25 26davon:– Freigabe 11 16– Freigabe mit Auflagen und Bedingungen 2 4– Untersagung 12 6– Rücknahme/Einstellung oder noch offen 17 6

III. Vorfeldfälle 21 14

434. Die Auswertung der beim Bundeskartellamt ange-zeigten Unternehmenszusammenschlüsse nach Art desZusammenschlusstatbestandes zeigt, dass fast die Hälftealler Zusammenschlüsse sowohl den Tatbestand des Kon-troll- (§ 39 Abs. 2 GWB) als auch des Anteilserwerbs(§ 39 Abs. 3 GWB) erfüllen (vgl. Tabelle IV.3). Der reineAnteils- und der reine Kontrollerwerb spielen demgegen-

über nur eine untergeordnete Rolle. Auch der Auffangtat-bestand des wettbewerblich erheblichen Einflusses (§ 39Abs. 2 GWB) wurde nur in sehr wenigen Fällen ange-wendet. Dabei handelte es sich jedoch überdurchschnitt-lich oft um wettbewerblich problematische Fälle, bei de-nen ein Hauptprüfverfahren eingeleitet und in einigenFällen auch eine Untersagung ausgesprochen wurde.

Ta b e l l e IV.3

Art des Zusammenschlusstatbestandes der beim Bundeskartellamt 2004 und 2005 angezeigten Unternehmenszusammenschlüsse

Quelle: Bundeskartellamt

Zusammenschlusstatbestände 2004 2005– Vermögenserwerb 262 227– Kontrolle mit Anteilserwerb 519 535

darunter: Minderheitsbeteiligungen 6 14Mehrheitsbeteiligungen 513 521

– Gemeinschaftsunternehmen 95 81– Gemeinschaftsunternehmen mit gemeinsamer Kontrolle 90 75– Anteilserwerb < 50 % 28 26– Anteilserwerb ≥ 50 % 15 11– Kontrollerwerb ohne Anteilserwerb, z. B. durch Vertrag 104 104– Sonstige Verbindung 9 6– Wettbewerblich erheblicher Einfluss 6 14Insgesamt 1.128 1.079

Page 10: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 261 – Drucksache 16/2460

2.2 Zusammenschlusstatbestand

2.2.1 Vorliegen eines wettbewerblich erheblichen Einflusses

435. Der Auffangtatbestand des § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWBgibt dem Bundeskartellamt die Möglichkeit, Zusammen-schlüsse auch dann zu prüfen, wenn eine Beteiligung vonweniger als 25 Prozent vorliegt, aber dennoch ein „wett-bewerblich erheblicher Einfluss“ eines oder mehrerer Un-ternehmen auf ein anderes entstehen könnte. Im Folgen-den werden zwei Fälle vorgestellt, in denen das Vorliegeneines Zusammenschlusses nach § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWBfraglich war. Während das Bundeskartellamt im Falle derBeteiligung des M. DuMont Schauberg-Verlags an derBonner Zeitungsdruckerei in Höhe von 9 Prozent dasVorliegen eines Zusammenschlusses bejahte, lag nachAnsicht des Amtes im Falle der Beteiligung von EnBWan der MVV Energie AG, Mannheim, in Höhe von15 Prozent kein Zusammenschluss i. S. d. § 37 Abs. 1Nr. 4 GWB vor.

Wettbewerblich erheblicher Einfluss bei einer 9-Prozent-Beteiligung im Pressebereich

436. Im September 2004 untersagte das Bundeskartell-amt eine Beteiligung von M. DuMont Schauberg an derBonner Zeitungsdruckerei in Höhe von 9,015 Prozent.15

M. DuMont Schauberg vertreibt neben dem Express auchdie zwei Abonnement-Tageszeitungen im Raum Köln,den Kölner Stadt-Anzeiger und die Kölnische Rund-schau. In Bonn vertreibt sie die Bonner Rundschau undden Express. Die Bonner Zeitungsdruckerei vertreibt denBonner General-Anzeiger. Beide Unternehmen habenmarktbeherrschende Stellungen auf den Leser- und An-zeigenmärkten ihres jeweiligen Absatzgebietes inne.Durch den Zusammenschluss würde nach Ansicht desAmtes der Wettbewerbsdruck im südlichen Grenzbereichdes Kölner Raumes verringert, da die Anreize zu wettbe-werblichen Vorstößen von Seiten der Bonner Zeitungs-druckerei sinken würden, und die marktbeherrschendeStellung des General-Anzeigers in Bonn verstärkt, da diebisherige Konkurrenz von DuMont mit den von ihr inBonn vertriebenen Zeitungen verringert würde.

437. Das geplante Zusammenschlussvorhaben sah eineBeteiligung von M. DuMont Schauberg an der BonnerZeitungsdruckerei in Höhe von ca. 9 Prozent vor. Zudemwaren wechselseitige Ergebnisbeteiligungen von DuMontund mit der Bonner Zeitungsdruckerei verbundenenUnternehmen vorgesehen. DuMont sollte zudem Vor-kaufsrechte an der Bonner Zeitungsdruckerei erhalten.Schließlich planten die Unternehmen, zwei Anzeigenver-mittlungsverträge, gültig für das jeweilige Vertriebsgebietder Zeitungen der beiden Parteien, zu schließen. Die Mo-nopolkommission ist davon überzeugt, dass die beidenUnternehmen ein gemeinsames Interesse daran haben,sich auf den betroffenen Märkten möglichst wenig Kon-kurrenz zu machen. Durch vertragliche Bindungen der

vorgesehenen Art kann kooperatives Verhalten abgesi-chert werden, da diese Bindungen die Anreize und dieMöglichkeiten, durch kämpferisches Verhalten Marktan-teile zu gewinnen und damit den eigenen Gewinn zu er-höhen, beschränken. Eine Untersagung ist insofern ge-rechtfertigt.

438. In seiner Begründung, warum es sich beim vorlie-genden Sachverhalt um einen Zusammenschlusstatbe-stand handelt, stützt sich das Bundeskartellamt jedoch vorallem auf die ursprünglich vorgesehene Art der Bindung.Dabei stellt es abgesehen von dem Vorkaufsrecht fürM. DuMont Schauberg insbesondere darauf ab, dass zu-nächst eine Beteiligung in doppelter Höhe vorgesehenwar. Nachdem das Bundeskartellamt gegenüber den Par-teien die Ansicht geäußert hatte, dass bei einer Beteili-gung von 18 Prozent die Voraussetzungen eines Zusam-menschlusses erfüllt wären, war jedoch die geplanteBeteiligungshöhe halbiert worden. Das Bundeskartellamtschließt daraus, dass es den Beteiligten auf die absoluteZahl der Beteiligungshöhe nicht ankomme und diese des-halb für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung nicht rele-vant sei. Obwohl dieses Argument überzeugend sein mag,sollte sich das Bundeskartellamt nach Ansicht der Mono-polkommission bei der Prüfung eines Falles ausschließ-lich auf die Bedingungen des Zusammenschlusses zumZeitpunkt seiner Entscheidung stützen, denn nur dann ha-ben die Beteiligten grundsätzlich die Möglichkeit, imLaufe eines Verfahrens auf Bedenken des Bundeskartell-amtes durch Änderung des Zusammenschlussvorhabenseinzugehen. Eine Untersagung bei einer Beteiligung von9 Prozent sollte dann erfolgen, wenn dadurch eine markt-beherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird.Diese Bedingung ist unabhängig davon, welche anderenBeteiligungshöhen zu anderen Zeitpunkten vor oder wäh-rend des Verfahrens vorgesehen waren.

439. Während die Verfahrensbeteiligten auch vor demOLG Düsseldorf die Ansicht vertraten, dass der Tatbe-stand des Zusammenschlusses aufgrund der geringen Be-teiligungssumme von unter 10 Prozent gar nicht erfülltsei, sah das Bundeskartellamt darin und in den übrigenVereinbarungen die Möglichkeit eines wettbewerblich er-heblichen Einflusses von DuMont auf die Bonner Zei-tungsdruckerei. Das OLG Düsseldorf erklärte die Be-schwerde der Zusammenschlussbeteiligten gegen dieUntersagungsverfügung des Bundeskartellamtes zwar fürbegründet.16 Allerdings beruht dieser Beschluss allein aufeiner unterschiedlichen Bewertung der so genannten Plus-Faktoren, die bei einer Beteiligung in einer Höhe von un-ter 25 Prozent nötig sind, um einen wettbewerblich erheb-lichen Einfluss des Erwerbers zu begründen. Im Grund-satz ist auch das OLG der Ansicht, dass eine Beteiligungin Höhe von 9 Prozent bereits einen Zusammenschlussdarstellen kann, wenn durch den Anteilserwerb eine Ein-flussnahme auf die Willensbildung und damit auf dasMarktverhalten des Beteiligungsunternehmens ermög-licht werde. Der Anteilserwerb müsse mit Zusatzrechten

15 BKartA, Beschluss vom 8. September 2004, B6-27/04, WuW/E DE-V 968, Bonner Zeitungsdruckerei.

16 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juli 2005, VI-Kart 26/04 (V),WuW DE-R 1581, Bonner Zeitungsdruckerei.

Page 11: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 262 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

– so genannten Plus-Faktoren – verbunden sein, die trotzder geringen Anteilshöhe die Beteiligung als eine erschei-nen lasse, die einem Anteilserwerb von 25 Prozent undmehr als gleichwertig anzusehen sei. Solche Plus-Fakto-ren können z. B. eine zusätzliche Geschäftsbeziehungzwischen Minder- und Mehrheitsgesellschafter, die fürden Mehrheitsgesellschafter von einiger Bedeutung ist,oder eine Stärkung der gesellschaftsrechtlichen Positiondes Minderheitsgesellschafters durch Einräumung beson-derer Befugnisse sein.

Strategische Interessen bei Finanzbeteiligungenim Energiesektor

440. Mit dem Fehlen eben dieser Plus-Faktoren begrün-dete das Amt die Entscheidung, dass im Falle des Ver-kaufs von 15 Prozent der Anteile an der MVV EnergieAG, Mannheim, von E.ON an EnBW der Tatbestand desZusammenschlusses nicht erfüllt sei.17 Der Zusammen-schluss war auf Initiative von MVV von den Parteien vor-sorglich angemeldet worden und wurde schließlich Ende2004 vollzogen. Ein Zusammenschlusstatbestand nach§ 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB liegt vor, wenn die geplante Ver-bindung einen Wettbewerbsbezug hat und, falls dies er-füllt ist, ein wettbewerblich erheblicher Einfluss erreichtwird. Die Beschlussabteilung ging im vorliegenden Falldavon aus, dass ein Wettbewerbsbezug vorliege. EnBWund MVV betreiben gemeinsam ein Kraftwerk, EnBW istVorlieferantin von MVV sowohl im Strom- als auch imGasbereich, EnBW und MVV sind Konkurrenten aufdem Endkundenmarkt für Strom im Gebiet der StadtMannheim. Ein wettbewerblich erheblicher Einfluss derMinderheitsbeteiligten EnBW auf den Mehrheitseigentü-mer – die Stadt Mannheim – ist dagegen nach Ansicht desAmtes nicht zu erwarten. Derzeit hält die Stadt Mann-heim mittelbar 72,8 Prozent der Anteile an der MVV. Dieübrigen Anteile befinden sich – abgesehen von den hierbetroffenen 15 Prozent – im Streubesitz. Als Minderheits-aktionärin habe die EnBW zunächst wenig Rechte undkönne insbesondere bei jeder Abstimmung in der Haupt-versammlung vom Mehrheitsaktionär – der Stadt Mann-heim – überstimmt werden. Mehr Einfluss und einen bes-seren Zugang zu unternehmensinternen Informationenhätte EnBW, wenn es einen Sitz im Aufsichtsrat hätte.Dies ist nach Ansicht des Amtes jedoch nicht zu erwar-ten. Dafür spreche nicht nur, dass EnBW nach eigenenAngaben kein Aufsichtsratsmandat anstrebt, sondern vorallem, dass derzeit nicht zu erwarten sei, dass die StadtMannheim in der Hauptversammlung einem Vertreter vonEnBW als Aufsichtsratsmitglied ihre Stimme gebenwürde. Denn da MVV und EnBW Wettbewerber seien,wäre es für MVV nachteilig, wenn EnBW im Zuge ihrerMitgliedschaft im Aufsichtsrat einseitig Informationenüber MVV erhalten oder sogar Einfluss auf die Unterneh-menspolitik von MVV nehmen könnte.

441. Die Monopolkommission schließt sich der Bewer-tung des Bundeskartellamtes nicht an. Die Beteiligunggibt MVV und EnBW die Möglichkeit zu einer den Wett-bewerb behindernden Kooperation. Die Tatsache, dassMVV derzeit kein Interesse an einer Kooperation mitEnBW zu haben scheint – die MVV selbst war gegen denVerkauf der Anteile von E.ON an die EnBW –, sagtnichts über die mittelfristige Haltung von MVV in dieserFrage aus. Die Stadt Mannheim hält derzeit noch über70 Prozent der Anteile an MVV. In Anbetracht derschwerwiegenden Finanzprobleme, von denen die StadtMannheim, wie viele andere Kommunen auch, betroffenist, ist jedoch nicht auszuschließen, dass sie sich von die-ser Beteiligung zumindest teilweise im Rahmen einer Pri-vatisierung oder Teilprivatisierung trennen wird. Da zu-dem die Stadt Mannheim als Mehrheitsgesellschafter eineKommune und kein Energieversorgungsunternehmen ist,ist damit zu rechnen, dass der Einfluss von EnBW größerund der der Stadt Mannheim kleiner ist, als es den zahlen-mäßigen Beteiligungsverhältnissen entsprechen würde.

442. Ein Aufsichtsratsmandat bei MVV könnte nichtnur EnBW Zugang zu wettbewerbsrelevanten Informatio-nen und die Möglichkeit der Einflussnahme bei MVVverschaffen, auch MVV könnte von einer Kooperationmit EnBW profitieren. Es ist also möglich und nach Ein-schätzung der Monopolkommission auch wahrscheinlich,dass EnBW innerhalb des Prognosezeitraums ein Auf-sichtsratsmandat bei MVV bekommt, insbesondere, daüblicherweise Anteilseigner bereits bei einer Beteiligungin Höhe von 10 Prozent ein solches Mandat erhalten. Einwettbewerblich erheblicher Einfluss von EnBW erscheintwahrscheinlich, sobald EnBW ein Aufsichtsratsmandatinnehat. Denn das Aufsichtsratsmandat ermöglichtEnBW, auf vielfältige Weise Einblick in das Wettbe-werbsunternehmen zu bekommen und Einfluss auf dessenUnternehmenspolitik zu nehmen. Aber selbst wenn gesi-chert wäre, dass EnBW nicht die Möglichkeit hat, einAufsichtsratsmandat zu erhalten, hat sie durch Ausübungder Rechte eines Minderheitsgesellschafters bei derHauptversammlung die Möglichkeit, Druck auf MVVauszuüben. So könnte beispielsweise MVV zu gewissenZugeständnissen bereit sein, um eine Abstimmung überdie Entlastung eines einzelnen Mitglieds des Vorstands zuvermeiden (§ 120 Abs. 1 Satz 2 AktG). In jedem Fall istEnBW durch die Beteiligung zu 15 Prozent am wirt-schaftlichen Erfolg von MVV beteiligt. Dies reduziertden Anreiz der EnBW, der MVV Konkurrenz zu machen.

443. Auch wenn die Beteiligung der EnBW an MVV inder Konzernbilanz von EnBW als Finanzbeteiligung aus-gewiesen ist, handelt es sich aus den angesprochenenGründen aus ökonomischer Sicht um eine strategischeBeteiligung. Dass dies auch EnBW selbst so sieht, zeigtdie Aussage des Vorstandsvorsitzenden, Prof. Dr. UtzClaassen, der den Erwerb mit den Worten „Wir verstär-ken uns wieder im eigenen Kerngeschäft“ kommen-tierte.18 Die Aussage im Geschäftsbericht „Die Finanzbe-teiligung an der MVV schafft die Grundlage für EnBW17 Vergleiche Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in

den Jahren 2003/2004 sowie über die Lage und Entwicklung in sei-nem Aufgabengebiet, Bundestagdrucksache 15/5790 vom 22. Juni2005, S. 131. 18 EnBW, Pressemitteilung vom 23. Dezember 2004.

Page 12: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 263 – Drucksache 16/2460

und MVV, künftig zugleich gute Nachbarn und faireWettbewerber zu sein“19, stellt klar heraus, dass durchden Zusammenschluss der scharfe Wettbewerb zwischenEnBW und MVV um Groß- und Haushaltskunden künftignur noch in abgemilderter Form stattfinden wird.

2.2.2. Vorliegen eines Zusammenschlusses bei Lizenzerwerb

444. Ob der Tatbestand des Zusammenschlusses erfülltwar, war im Berichtszeitraum auch im Fall National Geo-graphic strittig. Das Bundeskartellamt sah den Erwerb derLizenz für eine deutschsprachige Ausgabe der Zeitschrift„National Geographic“ als einen Zusammenschluss an.Das OLG lehnte dies – nach Ansicht der Monopolkom-mission zu Recht – ab.

445. Im Jahr 1999 gründeten Gruner + Jahr und RBAGermany ein paritätisches Gemeinschaftsunternehmen,G+J/RBA, um eine deutschsprachige Ausgabe der Zeit-schrift „National Geographic“ sowie dazugehörige Ne-benprodukte herauszugeben. Dieser Zusammenschlusswurde seinerzeit dem Bundeskartellamt nicht angezeigt.Im Sommer 2003 meldete Gruner + Jahr beim Bundes-kartellamt sein Vorhaben an, die von RBA Germany ge-haltenen 50 Prozent der Anteile an dem Gemeinschafts-unternehmen zu übernehmen und damit die alleinigeKontrolle über G+J/RBA zu erwerben. Dieses Vorhabenwurde vom Bundeskartellamt im August 2004 unter-sagt.20 Das OLG Düsseldorf hat die Klage der Beteiligtengegen diese Untersagung abgewiesen.21 Gleichzeitig lei-tete das Bundeskartellamt ein Verfahren von Amts wegenein, in dem es die Gründung des Gemeinschaftsunterneh-mens im Jahre 1999 untersuchte. Dieses Verfahren wurdeebenfalls mit einer Untersagung im August 2004 abge-schlossen.22 In diesem Fall hat das OLG die Beschwerdeder Parteien gegen den Beschluss für zulässig erklärt.23

446. Bei der Prüfung der beiden Fälle grenzt das Bun-deskartellamt einen Lesermarkt für populäre Wissenszeit-schriften ab, der ökonomisch auf den deutschsprachigenRaum, rechtlich auf den Geltungsbereich des GWB be-schränkt ist. Auf diesem Markt bietet Gruner + Jahr ne-ben der deutschsprachigen Ausgabe von National Geo-graphic die Zeitschriften GEO und P.M. an. Weiterhinwerden „Spektrum der Wissenschaft“, herausgegebenvom Holtzbrinck-Konzern, sowie „Bild der Wissen-schaft“ und „Natur & Kosmos“, beide herausgegeben vonKonradin, dem Markt zugerechnet. Die marktbeherr-schende Stellung von Gruner + Jahr vor dem jeweiligenZusammenschluss ergibt sich aus dem hohen Marktanteilder Gruner + Jahr-Zeitschriften, dem hohen Marktanteils-abstand zu ihren Konkurrenten und den hohen Marktein-

trittskosten. Die Verstärkung der marktbeherrschendenStellung wird vom Bundeskartellamt vor allem mit derVergrößerung der strategischen Möglichkeiten begründet,die der Verlag dadurch hat, dass er drei statt zwei Maga-zine auf dem Markt herausgibt. Die inhaltliche Ausrich-tung dieser drei Magazine kann so gewählt werden, dasssie sich untereinander möglichst wenig, den übrigen Ma-gazinen auf dem Markt aber möglichst viel Konkurrenzmachen. Die Argumentation des Bundeskartellamtes istüberzeugend und damit zumindest die Untersagung deszweiten Falles, also die Anteilserhöhung von Gruner +Jahr auf 100 Prozent, gerechtfertigt.

447. Unklar ist jedoch, ob der erste der beiden Vor-gänge, nämlich die Gründung des Gemeinschaftsunter-nehmens von Gruner + Jahr und RBA im Jahre 1999,überhaupt einen Zusammenschluss nach § 36 Abs. 1Nr. 2 GWB darstellt, da es die deutschsprachige Ausgabevon National Geographic vor der Gründung des Gemein-schaftsunternehmens gar nicht gab. Das Bundeskartell-amt geht in seinem Beschluss jedoch davon aus, dass derZusammenschlusstatbestand erfüllt sei, obwohl mit derdeutschsprachigen Ausgabe zum Zeitpunkt des Erwerbsder Lizenz noch überhaupt kein Umsatz erzielt wordenwar. Da es bis zu diesem Zeitpunkt keine deutschspra-chige Ausgabe von National Geographic gab, könne da-mit gar kein Umsatz erzielt worden sein. Entscheidend seijedoch, dass die Marke „National Geographic“ bereits zu-vor auf dem deutschen Markt existiert habe. So sei derName „National Geographic“ bei Einführung derdeutschsprachigen Ausgabe potentiellen Lesern ein Be-griff gewesen. Als Indizien für diese Annahme führt dasBundeskartellamt unter anderen an, dass in Deutschlandzu diesem Zeitpunkt bereits die englische Ausgabe in ei-ner Auflage von ca. 50 000 Stück verkauft worden seiund dass die verkaufte Auflage der deutschen Version vonder ersten Ausgabe an auf einem konstant hohem Niveauverharrt habe.

448. Das OLG Düsseldorf sah den Zusammenschluss-tatbestand dagegen nicht als erfüllt an. Zwar könne dieÜbertragung einer Lizenz grundsätzlich einen Kontroller-werb i. S. d. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB darstellen, da die Li-zenz einen wesentlichen Vermögensteil darstellen könne,der durch den Erwerb übergeben wird. Dazu müsse dieLizenz aber dem Erwerber die Möglichkeit geben, in dieMarktstellung des Veräußerers auf dem für die Zusam-menschlusskontrolle relevanten Markt, hier dem Marktfür deutschsprachige Wissenszeitschriften, einzutreten.Da in diesem Fall der Veräußerer auf dem betroffenenMarkt gar nicht tätig gewesen sei, könne er dort auchkeine Marktstellung, welcher Art auch immer, eingenom-men haben. Da keine Marktstellung vorlag, könne sieauch nicht übertragen worden sein. Die Übertragung seijedoch notwendig dafür, dass der Zusammenschlusstatbe-stand erfüllt sei.

449. Die Monopolkommission teilt diese Auffassung.Grundsätzlich muss es auch für ein marktbeherrschendesUnternehmen zulässig sein, ein neues Produkt auf demMarkt einzuführen. Die deutschsprachige Ausgabe vonNational Geographic ist als neues Produkt anzusehen, da

19 EnBW, Geschäftsbericht 2004, S. 56.20 BKartA, Beschluss vom 3. August 2004, B6-45/04 ,WuW DE-V 955,

G+J/RBA.21 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2005, VI-Kart 25/04 (V),

WuW DE-R 1501, G+J/RBA.22 BKartA, Beschluss vom 2. August 2004, B6-26/04, WuW DE-V

1075, National Geographic.23 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2005, VI-Kart 24/04 (V),

WuW DE-R 1504, National Geographic.

Page 13: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 264 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sie sich inhaltlich von anderen deutschsprachigen populä-ren Wissenszeitschriften und in der Sprache von der eng-lischen Ausgabe von National Geographic unterscheidet.

450. Unabhängig davon, ob die Übertragung einerMarke allein einen Zusammenschlusstatbestand darstel-len kann, ignoriert das Bundeskartellamt in dieser Ent-scheidung das unternehmerische Risiko des potentiellenErwerbers. Das Amt argumentiert in seinem Beschluss,dass die von Beginn an konstante Auflagenzahl dafürspreche, dass die Marke bereits vor Erscheinen der erstenAusgabe der deutschsprachigen Version in Deutschlandbekannt war. Dies ist zwar richtig, es handelt sich dabeiaber um Ex-post-Wissen, das das Bundeskartellamt nurnutzen konnte, weil es den Zusammenschluss erst einigeZeit nach dem Vollzug geprüft hat. Ex ante konnten we-der die Herausgeber noch das Bundeskartellamt wissen,ob eine Nachfrage für eine deutschsprachige Ausgabevon National Geographic besteht.

451. Die Einführung der Zeitschrift war demnach fürGruner + Jahr mit einem unternehmerischen Risiko ver-bunden. Denn die Vertragsbedingungen mit National Ge-ographic sahen vor, dass Gruner + Jahr unabhängig vomwirtschaftlichen Erfolg eine Mindestlizenzgebühr zu zah-len hatte. Geht der Erwerber bei einer Transaktion einsei-tig ein derartiges unternehmerisches Risiko ein, so hat dieTransaktion eher den Charakter einer Investition als deneines Zusammenschlusses. In diesem Fall stellte sich dieInvestition ex post als lohnend heraus. Zu bedenken ist,dass, wenn sie sich als Fehler entpuppt hätte, das Bundes-kartellamt den Fall höchstwahrscheinlich nicht nachträg-lich geprüft hätte. Denn dann hätte es keine Indizien dafürgegeben, dass die Marke „National Geographic“ inDeutschland bereits vor Einführung der deutschen Aus-gabe etabliert gewesen war, entsprechend wäre auch nachAuffassung des Amtes der Zusammenschlusstatbestandnicht erfüllt gewesen. Demnach wirkt die Prüfung desBundeskartellamtes hier wie eine Bestrafung des ökono-mischen Erfolgs, die den Anreiz potentieller Unternehmer,das Risiko der Einführung eines neuen Produkts einzuge-hen, mindert. Da es nicht das Ziel des Wettbewerbsrechtsist, Investitionen zu verhindern, sollte auch aus diesemGrund der Zusammenschlusstatbestand keinesfalls aufmögliche Grenzfälle wie diesen ausgeweitet werden.

2.3 Marktabgrenzung

2.3.1 Ausdehnung des Marktes über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinaus

452. Im Oktober 2004 hat der BGH im so genannten„Staubsaugerbeutel-Urteil“ die Begrenzung des räumli-chen Marktes auf die Reichweite des GWB aufgegeben.24

Das Urteil wurde vom Gesetzgeber im Rahmen der Sieb-ten GWB-Novelle bestätigt. Neu eingefügt wurde § 19Abs. 2 Satz 3: „Der räumlich relevante Markt im Sinne

dieses Gesetzes kann weiter sein als der Geltungsbereichdieses Gesetzes.“

Das Staubsaugerbeutel-Urteil des BGH

453. Bisher war das Bundeskartellamt bei der Abgren-zung des räumlich relevanten Marktes aufgrund einesBGH-Beschlusses aus dem Jahre 199525 auf den Gel-tungsbereich des GWB beschränkt gewesen. Auch wennder räumlich relevante Markt aus ökonomischer Sichtüber das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinaus-ging, musste das Amt sich bei der Marktabgrenzung unddementsprechend auch bei der Berechnung von Marktan-teilen auf das Bundesgebiet beschränken. Erst im Rah-men der Gesamtbetrachtung eines Falles war die Tatsa-che, dass der räumlich relevante Markt tatsächlich überdas Bundesgebiet hinausging, zu berücksichtigen.

454. Entsprechend ist das Bundeskartellamt in seinerEntscheidung Melitta/Airflo vorgegangen.26 Der Marktfür Staubsaugerbeutel wurde durch das Bundesgebiet ab-gegrenzt, im Rahmen der Gesamtbetrachtung aller wett-bewerbsrelevanten Umstände wurde jedoch berücksich-tigt, dass der ökonomische Markt durch das GebietWesteuropas gegeben ist. Rein rechnerisch ist die Markt-anteilsaddition im Fall Melitta/Airflo für den deutschenMarkt sehr gering; der Zusammenschluss führt jedoch inWesteuropa insgesamt zu einer deutlichen Erhöhung desMarktanteils der Melitta-Gruppe, weshalb das Bundes-kartellamt die geplante Fusion nicht genehmigte. DasOLG Düsseldorf hob die Entscheidung des Bundeskar-tellamtes im April 2003 wieder auf.27 Maßgeblich seienallein die Zusammenschlusswirkungen auf dem Inlands-markt. Diese seien in diesem Fall zu gering, um eine Un-tersagung zu rechtfertigen. Die Auswirkungen auf demübrigen europäischen Markt dagegen seien nicht relevant,solange sie nicht die Entwicklung auf dem deutschenMarkt beeinflussen, was das Amt nicht hinreichend nach-gewiesen habe.

455. Die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamtesführte zu einer Grundsatzentscheidung des Bundesge-richtshofs zur räumlichen Marktabgrenzung. Das Gerichthält an der These aus der Backofenmarkt-Entscheidung,der räumlich relevante Markt sei stets auf das Bundesge-biet beschränkt, nicht mehr fest. Vielmehr müsse derMarkt grundsätzlich nach ökonomischen Gesichtspunk-ten abgegrenzt werden. In der Sache wurde der Fall damitan das OLG zurückverwiesen.

Auswirkungen des Urteils auf die Ermittlungsarbeit des Bundeskartellamtes

456. Grundsätzlich begrüßt die Monopolkommissiondie Entscheidung des Bundesgerichtshofs und die ent-sprechende Gesetzesänderung. Diese zieht allerdings die

24 BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004, KVR 14/03, WuW/E DE-R1355, Staubsaugerbeutelmarkt.

25 BGH, Beschluss vom 24. Oktober 1995, KVR 17/94, WuW/E BGH3026, Backofenmarkt.

26 BKartA, Beschluss vom 21. Juni 2000, B10-25/00, WuW/E DE-V275, Melitta.

27 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2003, Kart 9/00 (V),WuW/E DE-R 1112, Melitta/Airflo.

Page 14: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 265 – Drucksache 16/2460

Frage nach sich, ob für die Ermittlung der Bagatellmarkt-grenze weiterhin nur auf die Inlandsumsätze oder gegebe-nenfalls auf die Umsätze eines räumlich größeren Mark-tes abzustellen ist. Im Übrigen müssen, um die neue Artder Marktabgrenzung sinnvoll anwenden zu können, dieMöglichkeiten des Bundeskartellamtes, auch außerhalbdes Geltungsbereiches des GWB zu ermitteln, verbessertwerden.

457. Die Bagatellmarktgrenze des § 35 Abs. 2 Satz 2GWB entzieht Zusammenschlüsse auf Märkten, auf de-nen jährlich weniger als 15 Mio. Euro umgesetzt werden,der Fusionskontrolle. Strittig ist, ob künftig auch Zusam-menschlüsse der Fusionskontrolle unterliegen, die Märktebetreffen, auf denen im Inland weniger, insgesamt jedochmehr als 15 Mio. Euro umgesetzt werden. Dies ergibt sichzunächst aus dem Wortlaut des Gesetzes. Fraglich ist in-des, ob eine derartige Auslegung mit Sinn und Zweck derBagatellmarktgrenze vereinbar ist. Die Bagatellmarkt-grenze ist wie die übrigen Aufgreifkriterien des § 35GWB das Ergebnis einer pragmatischen Abwägung zwi-schen den möglichen wettbewerblichen Nachteilen vonUnternehmenszusammenschlüssen und dem mit der Fusi-onskontrolle verbundenen Aufwand für Staat und Unter-nehmen. Diese Grenze de facto deutlich herabzusetzen,scheint aus Sicht der Monopolkommission derzeit nichtgeboten. Zudem sollte beachtet werden, dass die Abwä-gung zwischen den Vorteilen einer Fusionskontrolle undden damit verbundenen Kosten vom deutschen Gesetzge-ber auch aus Praktikabilitätsgründen auf das Gebiet derBundesrepublik zu beschränken ist.

458. Durch eine weite Auslegung des § 130 Abs. 2GWB hat das Bundeskartellamt bereits de lege lata dieMöglichkeit, bei der Anwendung der Bagatellmarkt-grenze lediglich auf Inlandsumsätze abzustellen. Die Mo-nopolkommission würde jedoch eine Klarstellung desGesetzgebers, dass für die Ermittlung der Schwelle des§ 35 Abs. 2 Satz 2 GWB lediglich Inlandsumsätze maß-geblich sind, begrüßen.

459. Durch die Möglichkeit, Märkte weiter als das Ge-biet der Bundesrepublik abzugrenzen, ergeben sich fürdas Bundeskartellamt Schwierigkeiten bei der Ermittlungder Marktanteile. In der Vergangenheit wurde bewussteine aus ökonomischer Sicht falsche Marktabgrenzung inKauf genommen, nur um garantieren zu können, dass aufdiesem falsch definierten Markt aufgrund der Ermitt-lungsbefugnisse des Kartellamtes die richtigen Marktan-teile ermittelt werden konnten. Es scheint in jedem Fallsinnvoller zu sein, eine Analyse auf der Basis eines ausökonomischer Sicht richtig abgegrenzten Marktes durch-zuführen, auch wenn wegen mangelnder Ermittlungsbe-fugnisse nur Schätzungen von Marktanteilen möglichsind. Das Problem, dass das Kartellamt für eine fundierteEntscheidung auf Informationen zurückgreifen muss, diezu ermitteln es aufgrund der Reichweite des GWB nichtbefugt ist, ist zudem nicht neu. Es wird in Zukunft ledig-lich bereits auf der Stufe der Marktanteilsberechnung auf-treten, wohingegen es bisher erst dann auftrat, wenn beider Gesamtbetrachtung der wettbewerblichen Auswir-kungen eines Zusammenschlusses auch die Auswirkun-

gen auf dem ökonomisch relevanten Markt zu berück-sichtigen waren.

460. Die Monopolkommission warnt allerdings davor,das Problem der mangelnden Ermittlungsbefugnisse zuunterschätzen. Sie hat bereits in ihrem letzten Hauptgut-achten darauf hingewiesen und Lösungsvorschläge unter-breitet.28 Grundsätzlich bestünde die Möglichkeit, das In-tranet, über das die europäischen Wettbewerbsbehördenbei Kartellfällen Informationen austauschen können, auchauf Fusionsfälle zu erweitern. Allerdings konnte dieVO 1/2003, die die rechtlichen Grundlagen für das bereitsbestehende Behördennetz enthält, auf der Grundlage vonArtikel 83 Abs. 1 EGV mit einer qualifizierten Mehrheitim Rat beschlossen werden. Eine Erweiterung dieses Net-zes auf eine Zusammenarbeit bei Fusionsfällen müsstesich wie die Fusionskontrollverordnung (FKVO) selbstauf Artikel 308 EGV stützen. Für Vorschriften, die nachArtikel 308 EGV erlassen werden, ist jedoch Einstimmig-keit im Rat erforderlich. Es ist zudem nicht unwahrschein-lich, dass die einzelnen Wettbewerbsbehörden bei Zusam-menschlüssen aufgrund nationaler industriepolitischerErwägungen noch eher als bei Kartellen dazu neigen wür-den, Informationen über ihre nationalen Unternehmenvertraulich zu behandeln, anstatt mit ausländischen Wett-bewerbsbehörden zu kooperieren. Solange eine Zusam-menarbeit im Rahmen des Intranet jedoch freiwilligbleibt, funktioniert sie nur, wenn auch alle Teilnehmer aneiner guten Zusammenarbeit interessiert sind. Freiwilligsind ausländische Unternehmen offensichtlich nur in ge-ringem Maße bereit, Auskünfte zu erteilen. Auch wennAuskunftsbescheide an deutsche Tochtergesellschafteninternationaler Konzerne geschickt werden, werden häu-fig nur Informationen über die Tätigkeiten des Konzernsauf dem deutschen Markt übermittelt, jedoch keine Zah-len über nichtdeutsche Märkte.

461. Weiterhin hat das Bundeskartellamt die Möglich-keit, Zusammenschlüsse, die geographisch über das Bundes-gebiet hinausgehende Märkte betreffen, nach Artikel 22FKVO an die Kommission zu verweisen. Allerdings istauch die Ermittlungsbefugnis der Europäischen Kommis-sion beschränkt; für Märkte, die über das Gebiet der Eu-ropäischen Union hinausreichen, stellt dies demnachkeine Lösung dar.

2.3.2 Aufspaltung des Bundesgebietesin Regionalmärkte

462. Der BGH hat sich im Berichtszeitraum noch in ei-nem weiteren Urteil mit der Frage der räumlichenMarktabgrenzung auseinander gesetzt. Der Beschluss imFall Sanacorp/Anzag29 betrifft einen Fall, der häufig auf-tritt. Es geht um Zusammenschlüsse, die zwar das ganzeBundesgebiet betreffen, bei denen jedoch aufgrund hoherTransportkosten aus Sicht der Nachfrager nur Anbieter inBetracht kommen, die in ihrem näheren Umkreis ein

28 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 605 ff.

29 BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004, KVR 2/03, WuW/E DE-R 1301,Sanacorp/ANZAG.

Page 15: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 266 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Werk oder ein Lager haben. Der BGH hat in seinem Be-schluss eine Untergliederung des Bundesgebietes in ein-zelne (Großhandels-)Märkte durch eine einfache Kreisbe-trachtung für unzulässig erklärt. Im Folgenden werdender Fall Sanacorp/Anzag vorgestellt sowie drei weitereFälle, bei denen jeweils vom Amt eine räumliche Unter-gliederung vorgenommen wurde. Während im FallSanacorp/Anzag vom Bundeskartellamt die Werke desErwerbers als Ausgangspunkt für die räumliche Marktab-grenzung gewählt wurden, sind es im Fall Schneider/Classen die Lager des zu veräußernden Unternehmens.Beim Zusammenschluss H&R WASAG/Sprengstoff-werke Gnaschwitz schließlich wurde die Abgrenzung derMärkte aus Nachfragersicht vorgenommen; im Zentrumder Märkte steht hier jeweils ein Steinbruch eines Abneh-mers. Die Monopolkommission hält dies für den geeigne-ten Ansatz, um Märkte räumlich abzugrenzen. Sie hält je-doch auch die Vorgehensweise bei der Untersuchung derÜbernahme von Spar durch Edeka für angemessen, beider Märkte als Kreise um Oberzentren definiert wurden.

Aufspaltung räumlicher Teilmärkte um Betriebs-stätten der Zusammenschlussparteien

463. Sanacorp und Anzag sind zwei Arzneimittelgroß-händler. Im Herbst 2001 untersagte das Bundeskartellamtdie Übernahme von Anzag durch Sanacorp.30 In seinemBeschluss unterteilt das Amt das Bundesgebiet anhandder tatsächlichen Lieferbeziehungen des erwerbendenUnternehmens, Sanacorp, in einzelne räumliche Märkte.Die 14 Liefergebiete um die 14 Niederlassungen vonSanacorp im Bundesgebiet bildeten damit die 14 betrach-teten räumlichen Märkte. Die Monopolkommission kriti-sierte diese Vorgehensweise in ihrem Vierzehnten Haupt-gutachten.31 Die Entscheidung des Bundeskartellamteswurde Ende 2002 vom OLG Düsseldorf aufgehoben, dassich in seinem Beschluss ebenfalls ausführlich zur Frageder räumlichen Marktabgrenzung äußerte.32 Eine Abgren-zung der Märkte auf der Basis der tatsächlichen Absatz-gebiete hält das Gericht nicht für sachgerecht. Das Bun-deskartellamt hatte argumentiert, dass die Großhändlerim Laufe der Zeit die Absatzgebiete ihrer eigenen Nieder-lassungen im Verhältnis zueinander und zu den Absatzge-bieten der Wettbewerber optimiert hätten, so dass das po-tentielle Versorgungsgebiet mit dem tatsächlichenAbsatzgebiet weitgehend deckungsgleich sei. Das Ge-richt hält dem entgegen, dass es eine nicht geringe Zahlvon Apotheken gebe, die relevante Umsatzanteile mit je-weils zwei verschiedenen Sanacorp-Niederlassungen er-zielen. Dieses Phänomen sei an sich schon ausreichend,um die Optimalität der Niederlassungsstruktur zu wider-legen. Alternativ zur Marktabgrenzung des Bundeskar-tellamtes schlägt das OLG vor, die Märkte als konzentri-sche Kreise mit einem Radius von 150 km um diejeweilige Sanacorp-Niederlassung zu begrenzen.

464. Im Sommer 2004 gab der BGH der Rechtsbe-schwerde des Bundeskartellamtes statt und verwies dieSache an das OLG zur erneuten Entscheidung zurück.Zur räumlichen Marktabgrenzung befand er, dass es un-zulässig sei, die Größe der regionalen Teilmärkte durcheinen bundeseinheitlichen Kreisradius zu bestimmen.Dies sei zumindest dann der Fall, wenn dadurch wie imvorliegenden Fall gerade in den für die Beurteilung desFalles relevanten Gebieten die tatsächlich bestehendenund zu erwartenden regionalen Marktverhältnisse nichthinreichend widergespiegelt werden. Zu berücksichtigenseien vielmehr ebenfalls Faktoren wie die geographischenGegebenheiten und die jeweilige Verkehrsinfrastruktur inden betreffenden Teilmärkten.

465. Bei der Prüfung eines Zusammenschlusses im Pa-pierbereich, Schneider/Classen, hat das Bundeskartellamtversucht, eine entsprechende Marktabgrenzung vorzu-nehmen.33 Betroffen war der Großhandelssortiments-markt für das Lagergeschäft mit Druckereipapieren. Da-bei hat das Amt den Markt um jede der sechs vom zuerwerbenden Unternehmen unterhaltenen Niederlassun-gen im Bundesgebiet einzeln abgegrenzt. Dazu wurdenjeweils in allen zweistelligen Postleitzahlgebieten imUmkreis von bis zu 150 km um die jeweiligen LagerPapiergroßhandelsunternehmen zu ihren Umsätzen undAbsatzmengen sowie einige Druckereien nach ihrenNachfragegewohnheiten befragt. Die Menge dieser Post-leitzahlgebiete stellt eine Obergrenze für die Größe desräumlich relevanten Marktes dar. Tatsächlich wurdendem räumlich relevanten Markt darunter nur diejenigenPostleitzahlgebiete zugerechnet, bei denen sich aus ver-schiedenen Indikatoren schließen ließ, dass Anbieter undNachfrager eine Belieferung vom Standort der Niederlas-sung aus in Betracht ziehen. Eine Belieferung in größererEntfernung wird dann wahrscheinlicher, wenn die Dru-ckerei von der Niederlassung aus verkehrstechnisch gutzu erreichen ist, wenn sich zwischen Niederlassung undDruckerei weitere Druckereien befinden, so dass durchUnterwegslieferungen die Transportkosten gesenkt wer-den können, oder wenn es wenig näher gelegene Lagergibt, von denen aus die Druckerei einfacher zu erreichenist.

466. Diese Methode der Marktabgrenzung ist deutlichaufwändiger als eine einfache Radiusbetrachtung, dafürträgt sie jedoch den tatsächlichen MarktgegebenheitenRechnung. In gewisser Weise wird auch hier ein Kreis umjede Niederlassung gezogen, die Einheit des Kreises sindjedoch nicht Luftlinienkilometer, sondern die von denMarktteilnehmern tolerierten Transportkosten oder -zei-ten.

467. Die räumliche Marktabgrenzung in den Fällen Sa-nacorp/Anzag und Schneider/Classen unterscheidet sichjedoch nicht nur in der Art der Begrenzung der Märkteum die Niederlassung. Darüber hinaus wurden im FallSanacorp/Anzag die Niederlassungen des erwerbenden,im Fall Schneider/Classen dagegen die Niederlassungen30 BKartA, Beschuss vom 18. September 2001, B3-59/01.

31 Vergleiche Monopolkommission, Netzwettbewerb durch Regulie-rung, Hauptgutachten 2000/2001, Baden-Baden 2003, Tz. 431.

32 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Dezember 2002, VI-Kart 40/01(V) WUW/E DE-R 1033, Sanacorp/ANZAG.

33 BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2004, B10-86/04, WuW/E DE-V 1017, Schneider/Classen.

Page 16: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 267 – Drucksache 16/2460

des zu erwerbenden Unternehmens als Ausgangs- oderMittelpunkt für die Marktabgrenzung verwendet. Auchwenn die räumlichen Märkte ansonsten nach der gleichenMethode ermittelt werden, führt die unterschiedlicheWahl der Mittelpunkte zu Unterschieden in der Anzahlund Form der ermittelten Märkte. Dies wiederum kann zuunterschiedlich hohen Marktanteilen und Marktanteils-additionen der Zusammenschlussparteien und damitschließlich zu Unterschieden in der Bewertung eines Zu-sammenschlusses führen. Dies soll in Abbildung IV.1 il-lustriert werden.

468. Abbildung IV.1 stellt einen Fall dar, in dem einUnternehmen E, der Erwerber, ein anderes UnternehmenV, das zu veräußernde Unternehmen, erwirbt. Die Liefer-gebiete um die beiden Unternehmen sind als Kreise dar-gestellt. Die anderen Anbieter sind mit A1 bis A4 bezeich-net. Ist der Erwerber im Zentrum der Betrachtung,werden die Marktanteile in seinem Liefergebiet, darge-stellt durch den linken Kreis, ermittelt. Ist dagegen das zuveräußernde Unternehmen im Zentrum der Betrachtung,werden die Marktanteile in dessen Liefergebiet, darge-stellt durch den rechten Kreis, ermittelt. Wenn die Unter-nehmen alle gleich groß sind, ergibt sich für den Erwer-ber, E, ein moderater Marktanteil, weil drei weitereAnbieter, A1, A2 und A3, auf dem Markt tätig sind. Fürdas zu veräußernde Unternehmen, V, ergibt sich dagegenein sehr hoher Marktanteil, weil in seinem räumlichenMarkt nur ein weiterer Anbieter, A4, tätig ist. Als proble-matisch erscheint der Zusammenschluss bei keiner derbeiden möglichen Formen der Marktabgrenzung. AusSicht des Nachfragers N, der im Schnittpunkt der beidenKreise angesiedelt ist, ist diese Bewertung jedoch falsch.E und V sind die von ihm aus gesehen nächstgelegenenBelieferungsmöglichkeiten. Ein Zusammenschluss von Eund V nimmt dem Nachfrager N die Möglichkeit, beiüberhöhten Preisen von E zu V zu wechseln und umge-kehrt.

Aufspaltung räumlicher Teilmärkte um Betriebsstätten der Nachfrager

469. Im Zusammenschlussfall H&R WASAG/Spreng-stoffwerke Gnaschwitz,34 der mit mehreren Auflagen frei-gegeben wurde, hat das Amt die Marktgegegenseite, alsohier die Abnehmer, ins Zentrum der räumlichen Märktegestellt. H&R WASAG und die SprengstoffwerkeGnaschwitz sind beide in der Produktion von Industrie-sprengstoffen tätig. Nachfrager nach Industriesprengstof-fen sind in erster Linie die Betreiber von Steinbrüchen.Das Bundeskartellamt bestimmt als räumlich relevantenMarkt einen Kreis im Umfang üblicher Lieferdistanzenum die jeweilige Abbauregion. Der Radius des Kreises istnicht bundesweit einheitlich. Während in Ostdeutschlandüberwiegend Hartgestein gesprengt wird und die Gewin-nungsbetriebe aus historischen Gründen relativ groß sind,überwiegen in Süddeutschland Kalksteinbrüche, die vonkleinen Familienunternehmen betrieben werden. Darausergeben sich Unterschiede in der Art des verwendetenSprengstoffs, in der Größe einer Ladung und in der Lie-ferhäufigkeit. Dies wiederum führt dazu, dass die Liefer-radien in Ostdeutschland relativ groß, in Süddeutschlanddagegen relativ klein sind. Die Beschlussabteilung identi-fiziert die räumlichen Märkte, in denen der Wettbewerbdurch den Zusammenschluss eingeschränkt würde. Umauf diesen Märkten die Wettbewerbsprobleme aufzuhe-ben, die durch einen Zusammenschluss ohne Auflagenentstehen würden, wurde den Beteiligten die Veräußerungmehrerer Lager und einer Beteiligung sowie die Kündi-gung eines Exklusivvertrags auferlegt.

470. Der Monopolkommission erscheint dieses Vorge-hen bei der Abgrenzung räumlicher Märkte sinnvoll. Da-durch, dass die räumlichen Märkte aus Sicht der Marktge-genseite definiert werden, können die Bereiche, in denen

34 BKartA, Beschluss vom 2. Juni 2005, B3-123/04.

A b b i l d u n g IV.1

Abgrenzung räumlicher Märkte um (zu) erwerbendes Unternehmen

E

VA4

A2

A1 N

A3

Page 17: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 268 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

wettbewerbliche Bedenken bestehen, leicht identifiziertund diese dann gegebenenfalls durch Veräußerungsaufla-gen ausgeräumt werden. Die Unterschiede in der Bereit-schaft der Nachfrager, weite Wege und damit entspre-chend hohe Transportkosten in Kauf zu nehmen, wirddurch unterschiedlich große Kreise um die verschiedenenTypen von Nachfragern hinreichend berücksichtigt. InAbbildung IV.2 wird dargestellt, wie sich dieses Vorge-hen auf die wettbewerbliche Beurteilung auswirkt. DieAnordnung der Unternehmen ist die gleiche wie inAbbildung IV.1. Der Kreis stellt den räumlichen Marktaus Sicht des Nachfragers N dar. Offensichtlich kommenfür ihn nur zwei Anbieter in Frage, E und V. Die AnbieterA1 bis A4 liegen außerhalb des Kreises, der den aus seinerSicht räumlich relevanten Markt darstellt. Da sich dieWettbewerbssituation des Nachfragers in der Abbildungdurch eine Übernahme von V durch E eindeutig ver-schlechtern würde, ist dieser Zusammenschluss zu unter-sagen. Ist der vorliegende räumliche Markt einer vonmehreren, kann der Zusammenschluss insgesamt nur mitder Auflage, eine der Betriebsstätten V oder E zu veräu-ßern, freigegeben werden.

Räumliche Marktabgrenzung mit Hilfe von Oberzentren im Fall Edeka/Spar

471. Wenn die Zahl der Abnehmer unverhältnismäßiggroß ist, kann es aus verfahrensökonomischen Gründenunsinnig oder sogar unmöglich sein, die räumlichenMärkte aus der Sicht jedes einzelnen Kunden zu analysie-ren. Im Bereich des B2B wird dies typischerweise nichtder Fall sein. Auf Endkundenmärkten macht die großeZahl der Abnehmer eine Kreisziehung um jeden einzel-nen Verbraucher jedoch unverhältnismäßig aufwendigund praktisch unmöglich. In diesem Fall gibt es die Mög-lichkeit, räumliche Märkte durch Kreisziehung um Ober-zentren abzubilden.

472. Diese Vorgehensweise wählte das Bundeskartell-amt im Falle der Übernahme der Spar Handels AG durchdie Edeka Zentrale.35 Konkret wurde der räumlich rele-vante Markt als ein Gebiet in einem Umkreis von ca.20 km um das Oberzentrum, dem der Standort der zu er-werbenden Lebensmittelgeschäfte zuzurechnen ist, defi-niert. Ein Oberzentrum ist der Mittelpunkt einer Stadtoder Gemeinde. Bei der Marktabgrenzung durch Kreis-ziehung um ein Oberzentrum wird die Tatsache ausge-nutzt, dass die Endkunden nicht beliebig verstreut sind,sondern geballt in Städten und Gemeinden wohnen. Un-gefähr 20 regionale Märkte, auf denen die Marktanteileeine kritische Grenze überschritten, wurden im Detailanalysiert. Ein solches Vorgehen ist geeignet, um die Ab-grenzung von räumlichen Märkten bei Endkundenmärk-ten mit einer sehr großen Zahl von Verbrauchern vorzu-nehmen.

2.3.3 Substitutionsbeziehungen bei Sortimentsmärkten

473. Die Monopolkommission hat in ihrem letztenHauptgutachten die wettbewerbliche Analyse von Märk-ten diskutiert, die durch Heterogenität von Verbraucher-präferenzen und daraus folgend einem hohen Maße anProduktdifferenzierung gekennzeichnet sind.36 Auf Märk-ten mit heterogenen Produkten ergeben sich spezielleProbleme bei der Marktabgrenzung und der Prüfung vonMarktbeherrschung. Im Fall Edeka/Spar ist zu erwarten,dass die Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Unter-nehmen des Lebensmitteleinzelhandels nicht symmet-risch sind, d. h. dass der Verhaltensspielraum eines Unter-nehmens nicht durch alle Wettbewerber gleichermaßeneingeschränkt wird. Das Gleiche gilt für Fusionen im

35 BKartA, Beschluss vom 25. August 2005, B9-27/05.36 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,

Tz. 626 ff.

A b b i l d u n g IV.2

Abgrenzung räumlicher Märkte um den Nachfrager

E

VA4

A2

A1 N

A3

Page 18: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 269 – Drucksache 16/2460

Krankenhausbereich, wo das Bundeskartellamt von ei-nem Sortimentsmarkt ausgeht, der die gesamte stationäreBehandlung von Krankheiten umfasst.

Austauschbarkeit von Vollsortimentern und Discountern im Einzelhandel

474. Bei der Analyse der sachlichen Marktabgrenzungim Zusammenschlussfall Edeka/Spar ist das Bundeskar-tellamt zu dem Schluss gekommen, dass im Lebensmittel-einzelhandel die beiden Vertriebsformen Vollsortimenterund Discounter inzwischen einem einheitlichen Markt an-gehören. In den letzten Jahren seien zahlreiche Kundender Vollsortimenter dazu übergegangen, auch oder aus-schließlich beim Discounter einzukaufen, so dass von denDiscountern ein hoher Wettbewerbsdruck auf die Vollsor-timenter ausgeübt werde. Spezialanbieter und der Fach-handel wie z. B. Bäckereien oder Reformhäuser werdendem sachlich relevanten Markt dagegen nach wie vornicht zugerechnet.

475. Die räumliche und sachliche Marktabgrenzunghätte durch eine stichprobenweise Befragung der Kundender Zusammenschlussbeteiligten, welche Geschäfte sie alsAlternative zu dem von ihnen besuchten Laden betrachten,ergänzt und überprüft werden können. Eine solche Befra-gung würde sich insbesondere auf den Regionalmärkten,auf denen die Marktanteile der Zusammenschlussbeteilig-ten auf mögliche wettbewerbliche Probleme hindeuten,anbieten. Während bei der Marktabgrenzung die Frage, obein angrenzendes Produkt Teil des relevanten Marktes istoder nicht, immer eine Ja/Nein-Entscheidung erfordert,würde eine Befragung unterschiedlich starke Substituti-onsbeziehungen zwischen verschiedenen Produkten abbil-den. So mag zwar die Einordnung von Vollsortimenternund Discountern in einen gemeinsamen sachlich relevan-ten Markt grundsätzlich korrekt sein. Es ist aber dennochdavon auszugehen, dass es eine gewisse Anzahl an Kun-den gibt, die als Alternative zu ihrem Vollsortimenter inerster Linie einen anderen Vollsortimenter sehen und erstdann den Einkauf beim Discounter erwägen. Möglicher-weise ist die Alternative zum Vollsortimenter auch einDiscounter kombiniert mit Fachhandel. Eine derartigeAnalyse der Substitutionsbeziehungen scheint insbeson-dere im vorliegenden Fall, in dem eine Fusion zwischenzwei Vollsortimentern, Edeka und Spar, geprüft wird, not-wendig, um wettbewerbliche Probleme auf den einzelnenRegionalmärkten wirklich ausschließen zu können.

476. Aufgrund der großen Zahl an Kunden in einemEdeka- oder Sparmarkt ist es nicht möglich oder unver-hältnismäßig aufwendig, alle Kunden auch nur wenigerbesonders kritischer räumlich relevanter Märkte zu befra-gen. Es genügt aber, eine repräsentative Stichprobe vonKunden zur Befragung auszuwählen. Repräsentativ isteine Stichprobe von Kunden dann, wenn sie einen gewis-sen Anteil aller Kunden ausmacht. Sie muss jedoch niemehr als ungefähr 1 000 Kunden umfassen, d. h. auch beieiner sehr großen Grundgesamtheit ist es ausreichend,etwa 1 000 Gruppenmitglieder zu befragen. Die befragtenKunden müssen zufällig ausgewählt sein. Eine zufälligeAuswahl kann unter anderem dadurch garantiert werden,

dass die Befragten nach gewissen Kriterien wie Einkom-men, Geschlecht oder Alter gefiltert werden. Eine reprä-sentative Stichprobe liefert die gleichen Informationenwie eine Vollerhebung.

Austauschbarkeit von Behandlungen im Krankenhausmarkt

477. Ein ähnliches Verfahren bietet sich auch bei derMarktabgrenzung im Krankenhausbereich an. Das Bun-deskartellamt hatte im Berichtszeitraum über eine ganzeReihe geplanter Zusammenschlüsse von Krankenhäusernzu entscheiden. Angemeldet wurden über 30 Zusammen-schlussvorhaben. In sechs Fällen hat das Amt ein Haupt-prüfverfahren eingeleitet. Davon wurden zwei Fälle un-tersagt und vier Fälle freigegeben. Untersagt wurden dieÜbernahmen des städtischen Krankenhauses in Eisenhüt-tenstadt37 und der Kreiskrankenhäuser in Bad Neustadt ander Saale und Mellrichstadt38 durch die Rhön-KlinikumAG. Ohne Auflagen freigegeben wurde die Übernahmevon drei Kreiskrankenhäusern im Nürnberger Umlanddurch die Stadt Nürnberg.39 Das Vorhaben des städtischenKlinikums Chemnitz, je 49 Prozent der Anteile an denSozialbetrieben und des Klinikum Mittleres Erzgebirgevom Mittleren Erzgebirgskreis zu übernehmen, wurdenur in modifizierter Form freigegeben, da die Zusammen-schlussbeteiligten nach einer Abmahnung das Vorhaben,sich am Klinikum Mittleres Erzgebirge zu beteiligen, zu-rückgezogen hatten.40 Die Übernahme des aus siebenKrankenhäusern bestehenden Landesbetriebs Kranken-häuser (LBK) in Hamburg durch die Asklepios Klinikenwurde mit der Auflage, eines der sieben Krankenhäuserzu veräußern, freigegeben.41 Die Übernahme des Alto-naer Kinderkrankenhauses durch das von der Stadt Ham-burg beherrschte Universitätsklinikum Hamburg-Eppen-dorf wurde ebenfalls mit einer Veräußerungsauflagefreigegeben.42

478. Das Bundeskartellamt grenzt als sachlich relevan-ten Markt bei Zusammenschlüssen von Krankenhäusernden Markt für Krankenhausleistungen (Krankenhaus-markt) ab. Da Marktanteile mit der Fallzahl der Kranken-häuser berechnet werden, umfasst der Krankenhausmarktdemnach alle Fälle oder Krankheiten, zu deren Behand-lung ein Patient ins Krankenhaus verwiesen wird. Nichtzum sachlich relevanten Markt gehören ambulante pra-xisärztliche Dienstleistungen sowie die Leistungen vonRehabilitationseinrichtungen, Privatkliniken, Pflege- undAltenheimen. Fachkliniken sind dagegen nach Ansichtdes Amtes Teil des sachlich relevanten Marktes. Zwarwerde in einer Fachklinik nur eine bestimmte Gruppe vonErkrankungen behandelt. Letztlich entspreche die Leis-tung einer Fachklinik aus Sicht des Patienten jedoch der

37 BKartA, Beschluss vom 23. März 2005, B10-109/04.38 BKartA, Beschluss vom 10. März 2005, B10-123/04 , WuW DE-V

1087, Rhön-Grabfeld.39 BKartA, Beschluss vom 16. Dezember 2005, B10-70/05.40 BKartA, Beschluss vom 20. Januar 2006, B10-69/05.41 BKartA, Beschluss vom 28. April 2005, B10-161/04.42 BKartA, Beschluss vom 8. März 2006, B10-90/05.

Page 19: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 270 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Leistung der entsprechenden Abteilung eines Allgemein-krankenhauses und sei damit mit einer Behandlung in ei-ner Allgemeinklinik austauschbar.

479. Eine genauere Unterscheidung nach medizinischenFachabteilungen scheidet nach Ansicht des Amtes schondeshalb aus, weil die Zuordnung eines Falles zu einer me-dizinischen Fachabteilung nicht einheitlich geregelt sei.So werde beispielsweise die gleiche Operation in dem ei-nen Krankenhaus in der Chirurgischen Abteilung, in demanderen Krankenhaus in einer Fachabteilung wie der Or-thopädie oder Urologie vorgenommen.

480. Auch eine noch genauere Unterteilung des Marktesin einzelne Fallgruppen lehnt das Amt ab. Eine solcheAufteilung sei nicht angemessen, weil es sich hier um ei-nen Sortimentsmarkt handle. Ein solcher Markt liegt vor,wenn aus Sicht der Abnehmer regelmäßig nur solche Un-ternehmen als sinnvolle Bezugsalternative in Betrachtkommen, die gleichfalls ein Sortiment anbieten können,das die ganze Warengruppe abdeckt. Demnach sind alleKrankenhausleistungen als eine „bestimmte Art von Wa-ren“ im Sinne des § 19 Abs. 1 GWB anzusehen.43 Der Pa-tient nehme das Angebot an Behandlungen als Gesamtan-gebot wahr, auch wenn er natürlich nie eineKomplettleistung, sondern im konkreten Bedarfsfall im-mer nur eine Teilleistung, d. h. eine einzelne oder einigewenige Behandlungen, nachfrage. Das „Grundsortiment“eines Krankenhauses bestehe aus einer Abteilung für In-neres und Chirurgie sowie in aller Regel einer Abteilungfür Gynäkologie und Geburtshilfe, die ungefähr zweiDrittel aller Krankenhausbetten ausmachen.

481. Das OLG Düsseldorf hat sich im Rahmen der Be-schwerde über die Untersagung der Übernahme derKreiskrankenhäuser Bad Neustadt und Mellrichstadtdurch die Rhön-Klinikum AG ebenfalls mit der Frage dersachlichen Marktabgrenzung befasst. Eine Abgrenzungder Märkte nach einzelnen Fallgruppen hält es ebenfallsfür nicht angemessen. Eine Zusammenfassung aller Kran-kenhausleistungen zu einem einzigen Markt sei aber zuunscharf. In einem Beweisbeschluss vom Oktober 200544

fordert es das Amt daher auf, vier sachlich relevanteMärkte, nämlich die Grundversorgung, bestehend ausChirurgie und Innerer Medizin, die Urologie, die Gynä-kologie und die Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde zu un-terscheiden. Diese Aufteilung orientiert sich an den Ab-teilungen der in dem konkreten Zusammenschlussfall zuübernehmenden Krankenhäuser. Während das Bundes-kartellamt die Tatsache, dass die gleichen Behandlungenje nach Krankenhaus in unterschiedlichen Abteilungenbehandelt werden, zum Anlass nimmt, alle Behandlungenzu einem einheitlichen Markt zusammenzufassen, ist dasOLG Düsseldorf der Ansicht, dass diese Unterschiede inder Zuordnung lediglich zu Ungenauigkeiten im Randbe-reich führen würden. Zusätzlich sei zu berücksichtigen,dass die beiden zu übernehmenden Krankenhäuser Klini-ken der ersten und zweiten Versorgungsstufe seien, die

mit Krankenhäusern der Versorgungsstufen III und IVvermutlich nur eingeschränkt im Wettbewerb stünden.45

482. Aus praktischen Gründen sprechen einige Argu-mente für eine Marktabgrenzung, bei der ein einheitlicherMarkt für alle Krankenhausleistungen angenommen wird.Allerdings ist davon auszugehen, dass eine solcheMarktabgrenzung tendenziell zu ungenau ist. Das Argu-ment, ein einheitlicher Markt sei grundsätzlich angemes-sen, weil der Patient das Angebot eines Krankenhausesals Gesamtangebot wahrnehme, obwohl er es nie alsKomplettleistung, sondern im konkreten Bedarfsfall im-mer nur als Teilleistung nachfrage, vermag nicht zu über-zeugen. Es mag dann gelten, wenn ein Patient mit nichtausreichend diagnostizierten Beschwerden ins Kranken-haus eingeliefert wird. In diesem Fall stellt sich erst durchdie Untersuchung vor Ort heraus, welche Teilleistung ausdem Angebot des Krankenhauses er in Anspruch nehmenwird. In vielen Fällen dürfte ein Patient jedoch bereits miteiner relativ klar definierten Diagnose ins Krankenhauseingewiesen werden, so dass er nur eine konkreteTeilleistung – nämlich die Behandlung seiner speziellenKrankheit – nachfragt.

483. Bei einem Sortimentsmarkt wie im Falle der Kran-kenhausleistungen bietet sich wie bei Märkten mit einemhohen Maß an Produktdifferenzierung eine Analyse derSubstitutionsbeziehungen zwischen den verschiedenenProduktvarianten, hier also den verschiedenen Behand-lungsformen, an. Diese würde im Übrigen auch die imFall der Krankenhausfusionen äußerst aufwendige räum-liche Marktabgrenzung obsolet machen. Zur räumlichenAbgrenzung der Krankenhausmärkte untersucht das Bun-deskartellamt, aus welchen Postleitzahlgebieten die Pati-enten aus den Krankenhäusern der Zusammenschlussbe-teiligten und den anderen Krankenhäusern der Gegendkommen. Der räumlich relevante Markt umfasst dann alleKrankenhäuser, deren Patienten überwiegend aus demgleichen Einzugsgebiet wie die Patienten der Zusammen-schlussbeteiligten kommen. Alternativ könnte direkt beider Marktgegenseite, also den Patienten, angesetzt wer-den, indem man untersucht, welches aus deren Sicht dieAlternative zu der gewählten Klinik darstellt. Dazukönnte man die Patienten bzw. eine repräsentative Aus-wahl der Patienten, die die Kliniken der Zusammen-schlussbeteiligten in der letzten Zeit genutzt haben, fra-gen, welches Krankenhaus sie besucht hätten, wenn es dieKlinik, in der sie waren, nicht gegeben hätte. Je größerder Anteil der Patienten ist, die stattdessen in die Klinikder anderen Zusammenschlussbeteiligten gegangen wä-ren, desto problematischer ist aus wettbewerblicher Sichtder Zusammenschluss. Eine zusätzliche räumliche

43 BGH, Beschluss vom 28. April 1992, KVR 9/91, WuW/E BGH2771/2773, Kaufhof/Saturn.

44 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Oktober 2005, VI-Kart 6/05 (V).

45 Krankenhäuser der Versorgungsstufe I bieten eine Grundversorgungzumindest in den Bereichen Innere und Chirurgie an. Krankenhäuserder Versorgungsstufe II verfügen im Allgemeinen über zusätzlicheFachrichtungen wie Gynäkologie und Geburtshilfe oder Augenheil-kunde. Krankenhäuser der Versorgungsstufe III verfügen über alleAbteilungen von Kliniken der Versorgungsstufe II. Sie erfüllen in Dia-gnose und Therapie überörtliche Schwerpunktaufgaben. Kranken-häuser der Versorgungsstufe IV sind wie Universitätskliniken Klini-ken mit Maximalversorgung.

Page 20: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 271 – Drucksache 16/2460

Marktabgrenzung ist für eine solche Analyse nicht erfor-derlich, sie ergibt sich ebenfalls aus den Antworten derPatienten. Alle Kliniken, die aus deren Sicht eine Alterna-tive darstellen, sind Teil sowohl des sachlich als auch desräumlich relevanten Marktes.

2.3.4 Substitutionsbeziehungen im öffentlichen Nahverkehr

484. Bereits in ihrem letzten Hauptgutachten hat sichdie Monopolkommission mit mehreren Zusammenschlüs-sen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) be-schäftigt, die vom Bundeskartellamt im Rahmen einesZweite-Phase-Verfahrens entschieden wurden.46 Den FallDB Regio/üstra intalliance, der den ÖPNV im RaumHannover betrifft, hat das Bundeskartellamt unter auflö-senden Bedingungen und einer Auflage freigegeben.47

Die der Freigabe beigegebenen Nebenbestimmungenwurden vom OLG Düsseldorf aufgehoben, da das Zusam-menschlussvorhaben nach Ansicht des Gerichts nicht dieUntersagungsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 GWB er-füllte. Es sei nicht zu erwarten, dass die beabsichtige Fu-sion zur Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherr-schenden Stellung führe.48 Die Argumentation hielt dervom Bundeskartellamt eingelegten Rechtsbeschwerdebeim BGH nicht stand. Der BGH hob den angefochtenenBeschluss auf und verwies den Fall in der Sache zurückan das Beschwerdegericht.49

485. In drei weiteren Fällen im Bereich des ÖPNVwurde im Berichtszeitraum ein Hauptprüfverfahren ein-geleitet. In einem der Fälle zogen die Zusammenschluss-beteiligten ihre Anmeldung nach einer Abmahnung durchdas Bundeskartellamt zurück. Der Zusammenschluss SWVerkehrsgesellschaft Frankfurt a. M./Offenbacher Ver-kehrsbetriebe wurde freigegeben.50 Der Zusammen-schluss zwischen der RSW, einer Tochter der DB Regio,und der KVS, einem saarländischen Verkehrsunterneh-men, wurde untersagt.51 Die Beschwerde der Zusammen-schlussbeteiligten wies das OLG Düsseldorf zurück.52

Die Marktabgrenzung des Bundes-kartellamtes im ÖPNV

486. Im Rahmen der sachlichen Marktabgrenzung hatdas Bundeskartellamt in seiner bisherigen Amtspraxis of-fen gelassen, ob der ÖPNV in zwei Teilmärkte, den öf-fentlichen Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) und den

Schienenpersonennahverkehr (SPNV), zu trennen oderob dies als ein Markt zu betrachten ist. Zum ÖSPV gehö-ren Bus- und Straßenbahnlinien; gesetzliche Grundlageist das Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Der SPNVumfasst Regionalzüge und S-Bahnen und ist im Allge-meinen Eisenbahngesetz (AEG) geregelt. Offen gelassenhat das Amt auch, ob die relevante Marktgegenseite derFahrgast oder der Aufgabenträger ist. Einerseits sei derFahrgast der eigentliche Nachfrager von Verkehrsleistun-gen; allerdings habe er keinen direkten Einfluss auf Artund Umfang des jeweiligen Verkehrsangebots. Dagegenhabe der Aufgabenträger dadurch, dass er im Rahmen ei-ner Ausschreibung oder einer freihändigen Vergabe dieLizenz für die Bedienung eines Verkehrsnetzes vergibt,maßgeblichen Einfluss darauf, welche Verkehrsunterneh-men auf dem Markt tätig werden. Nach Ansicht des Am-tes kommt ihm damit die Stellung eines Verbrauchsdispo-nenten zu.53 Nicht in den relevanten Markt einzubeziehensind nach Ansicht des Amtes sämtliche sonstigen Ver-kehrsmittel. Damit werden sowohl der Individualverkehrmit Auto, Fahrrad oder zu Fuß als auch der Verkehr mitTaxis oder Anruf-Sammel-Taxis ausgeschlossen.

487. Räumlich grenzt das Bundeskartellamt die betrof-fenen Märkte regional ab. So ist im Fall DB Regio/üstraintalliance der räumlich betroffene Markt durch die StadtHannover und ihre nähere Umgebung abgegrenzt. Bei derEntscheidung, wie weit genau die „nähere“ Umgebung inden räumlich relevanten Markt einzubeziehen ist, richtetsich das Bundeskartellamt z. B. nach dem Verlauf der Li-nien, der Vertaktung des Verkehrsangebots und den Pend-lerverflechtungen, ohne jedoch präzise Kriterien anzuge-ben, welche Vertaktung oder welche Zahl von Pendlernals hinreichend für eine Zurechnung zum räumlich rele-vanten Markt angesehen werden. Im Allgemeinen kommtes jedoch für die materielle Beurteilung eines Zusammen-schlusses im Ergebnis nicht auf die genaue Zuordnungvon Grenzfällen an, so dass die Frage der räumlichenMarktabgrenzung im Detail offen gelassen werden kann.

Die Marktabgrenzung des OLG Düsseldorf im ÖPNV

488. Das OLG Düsseldorf hat sich im Rahmen der Be-schlüsse „ÖPNV Saarland“ und „DB Regio/üstra intal-liance“ ebenfalls zur Marktabgrenzung im ÖPNV geäu-ßert. Dabei weicht das Gericht sowohl bei der sachlichenals auch bei der räumlichen Abgrenzung der Märkte vonder Abgrenzung des Bundeskartellamtes ab. In sachlicherHinsicht unterscheidet das Gericht vier Märkte. Dabeiwird zunächst zwischen dem SPNV und dem ÖSPV un-terschieden. Innerhalb dieser beiden Märkte wird wie-derum zwischen dem Fahrgastmarkt und dem Aufgaben-trägermarkt unterschieden. Der Fahrgastmarkt ist derMarkt für die Erbringung liniengebundener Verkehrs-dienstleistungen; der Aufgabenträgermarkt ist der Marktfür die Errichtung, Unterhaltung und den Betrieb einesVerkehrsnetzes im Zuständigkeitsbereich des jeweiligenAufgabenträgers. Im Falle „DB Regio/üstra intalliance“

46 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 698 ff.

47 BKartA, Beschluss vom 2. Dezember 2003, B9-91/03, WuW/E DE-V 891, ÖPNV-Hannover.

48 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 2004, VI-Kart 1/04(V), WuW/E DE-R 1397, ÖPNV Hannover.

49 BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006, KVR 5/05, WuW DE-R 1681,DB Regio/üstra.

50 BKartA, Beschluss vom 19. Juli 2004, B9-37/04, WuW/E DE-V 989,Offenbacher Verkehrsbetriebe.

51 BKartA, Beschluss vom 9. Juni 2004, B9-16/04, WuW/E DE-V 937,ÖPNV Saarland.

52 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Mai 2005, VI-Kart 19/04 (V),WuW DE-R 1495, ÖPNV Saarland.

53 Vergleiche Bechtold, Rainer, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrän-kungen, a. a. O., § 19 Rn. 5.

Page 21: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 272 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ist der zuständige Aufgabenträger für den SPNV derKommunalverband „Region Hannover“, für den ÖPNVsind es die betroffenen Landkreise und kreisfreien Städte.Im Gegensatz zum Bundeskartellamt greift das OLG alsonicht auf das Konzept des Verbrauchsdisponenten zurück,um trotz zweier konzeptionell verschiedener Nachfrager-gruppen einen einheitlichen Nahverkehrsmarkt abzugren-zen; vielmehr grenzt das Gericht für jede der beidenNachfragergruppen einen eigenen Markt ab.

489. Durch diese Zweiteilung ergibt sich auch die Mög-lichkeit, je nach Nachfragertyp eine unterschiedlicheräumliche Marktabgrenzung vorzunehmen. Das OLGgeht auf dem Aufgabenträgermarkt von einer bundeswei-ten Marktabgrenzung aus, da aus Sicht der Aufgabenträ-ger Anbieter aus dem ganzen Bundesgebiet in Betrachtkämen. Es gebe bereits eine Reihe von bundesweit tätigenUnternehmen, die eine weitere räumliche Ausdehnung ih-rer Geschäftstätigkeit anstreben und sich dementspre-chend auch bundesweit an Ausschreibungen beteiligenwürden. Der Fahrgastmarkt ist dagegen nach Ansicht desOLG streckenbezogen abzugrenzen. Das bedeutet, dassjede Linie einen Markt für sich darstellt. Der Fahrgastfinde das vom Aufgabenträger zur Daseinsvorsorge ge-schaffene Verkehrsnetz vor und frage in dessen Grenzenstets nur eine konkrete Beförderungsdienstleistung nach.

490. Das OLG kommt in seiner Analyse zu demSchluss, dass der Zusammenschluss auf keinem der vierbetroffenen Märkte zur Entstehung oder Verstärkung ei-ner marktbeherrschenden Position führe. So sei im Be-reich des SPNV die DB Regio auf dem bundesweitenAufgabenträgermarkt nicht marktbeherrschend. Zwar er-bringe sie derzeit (noch) mehr als 90 Prozent der Ver-kehrsleistungen im SPNV, maßgeblich sei aber nur ihrMarktanteil bei neu vergebenen Aufträgen bzw. ob sie imRahmen von Vergabeverfahren systematisch bevorzugtwerde. Dafür gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Da derKommunalverband „Region Hannover“ beabsichtige,künftig Verkehrsleistungen im Wettbewerb auszuschrei-ben, sei auch die Entstehung einer marktbeherrschendenStellung nicht zu erwarten. Im Gegensatz dazu hatte dasBundeskartellamt in seiner Entscheidung angenommen,dass durch den beabsichtigten Zusammenschluss auf-grund der mittelbaren Verflechtung des Kommunalver-bandes mit der DB Regio der Kommunalverband bei derVergabe künftiger Verkehrsdienstleistungen Rücksichtauf die DB Regio nehmen und damit deren marktbeherr-schende Stellung verstärken würde.

491. Die relativ kurze Begründung des Gerichts, warumdie DB Regio trotz eines Marktanteils von über90 Prozent nicht marktbeherrschend sei, überrascht. Zwarkann die Tatsache, dass der Auftragsanteil der DB Regiobezogen auf die Gesamtzahl der ausgeschriebenen Zug-Kilometer bei lediglich 49 Prozent liegt, als Indiz dafürgewertet werden, dass die marktbeherrschende Stellungder DB Regio in der Bundesrepublik erodiert. Als Be-gründung dafür, dass ein Unternehmen mit einem Markt-anteil von über 90 Prozent nicht marktbeherrschend ist,scheint sie jedoch nicht ausreichend. Derzeit wird nur einsehr kleiner Teil der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleis-

tungen überhaupt ausgeschrieben, obwohl diese Möglich-keit jedem Aufgabenträger offen steht. Eine Analyse derMarktstruktur kann sich deshalb nicht nur auf die Ent-scheidungen derjenigen Aufgabenträger beschränken, diesich für eine Ausschreibung entschieden haben, sondernmuss auch die vorgelagerte Entscheidung, ob überhauptausgeschrieben wird, betrachten. Möglicherweise hängtdie Entscheidung eines Aufgabenträgers, ob ausgeschrie-ben wird oder nicht, davon ab, ob überhaupt zu erwartenist, dass Wettbewerber der DB Regio Gebote abgeben. Indiesem Fall könnte die DB Regio selbst dann als markt-beherrschend angesehen werden, wenn 100 Prozent derwettbewerblich vergebenen Verkehrsleistungen an Wett-bewerber der DB Regio vergeben werden.

492. Im so genannten PRIMON-Gutachten zur Privati-sierung der Deutschen Bahn AG wird zudem auf die Mög-lichkeit hingewiesen, dass die Deutsche Bahn Infrastruk-turmaßnahmen davon abhängig macht, ob ihre TochterDB Regio bei einer Vergabe im SPNV berücksichtigtwird. Dort heißt es: „Wettbewerber und Vertreter der Län-der bzw. Aufgabenträger nehmen etwa einen Zusammen-hang zwischen den Infrastrukturinvestitionen, die die DBAG tätigt, und der Vergabe von SPNV-Verkehrsleistungenan die DB AG wahr. Dies werde als wesentliche Barrierefür den intramodalen Wettbewerb im SPNV angesehen.Aus Sicht von Marktteilnehmern sei die Durchführungvon Infrastrukturmaßnahmen, wie Strecken-Elektrifizie-rung, Strecken-Ausbau bzw. das Ausmaß der Instandhal-tung oder auch Umbau/Instandhaltung von Bahnhöfendirekt daran geknüpft, ob DB Regio AG einen Verkehrs-vertrag oder den Zuschlag bei einer Ausschreibung er-hielte.“54

493. Das Gericht geht auch nicht von einer marktbe-herrschenden Stellung der DB Regio auf den betroffenenFahrgastmärkten aus. Der Wettbewerb auf dem Fahrgast-markt sei sowohl im Bereich des SPNV als auch desÖSPV durch die Regelungen des AEG bzw. des PBefG sostark eingeschränkt, dass während der Laufzeit eines Ver-trages kein Wettbewerb stattfinden könne. So bedürfenz. B. die Beförderungsentgelte und -bedingungen einerbehördlichen Erlaubnis (§ 12 Abs. 3 AEG, § 39 PbefG),und das Verkehrsunternehmen unterliegt einer gesetzli-chen Beförderungspflicht gegenüber jedermann (§ 10AEG, § 22 PBefG). Es kann davon ausgegangen werden,dass jede Linie nur von einem einzigen Unternehmen be-dient wird; im Falle des ÖSPV besteht sogar ein rechtli-ches Verbot der Doppelbelegung einer Verkehrslinie.Wenn die Märkte des ÖPNV räumlich und sachlich so ab-gegrenzt werden, dass ein Markt immer nur aus einer ein-zigen Linie besteht und auf jeder Linie nur ein Unterneh-men eine Beförderungsleistung anbietet, scheint diesesUnternehmen automatisch eine Monopolstellung gegen-über dem Fahrgast einzunehmen. Das OLG stellt in sei-nem Beschluss jedoch fest, dass angesichts dieser Markt-verhältnisse die marktbeherrschende Position eines Un-ternehmens nicht alleine damit begründet werden könne,

54 Booz Allen Hamilton: „Privatisierungsvarianten der Deutschen BahnAG ‚mit und ohne Netz‘“, Januar 2006, S. 158 f.

Page 22: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 273 – Drucksache 16/2460

dass es für die Dauer seines Verkehrsvertrages ohne Wett-bewerber ist. Vielmehr erweise sich die Marktstärke einesUnternehmens auf dem Fahrgastmarkt dann, wenn seinVerkehrsvertrag ausgelaufen sei und die Verkehrsleistun-gen vom Aufgabenträger neu vergeben werden. Auch dieDB Regio sei zwar auf jeder der von ihr betriebenen Li-nien einziger Anbieter, daraus könne jedoch nicht gefol-gert werden, dass sie über eine beherrschende Positionverfüge. Dies sei vielmehr erst dann der Fall, wenn dasUnternehmen bei der Neubeauftragung durch den Aufga-benträger eine mehr oder wenige unangreifbare Positioninnehabe. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte.

494. Das Gericht hebt bei dieser Argumentation die vonihm selbst vorgenommene Trennung in einen Aufgaben-träger- und einen Fahrgastmarkt faktisch wieder auf. DieUnterscheidung in diese beiden Märkte ist nur dann sinn-voll, wenn man auch davon ausgeht, dass auf dem Fahr-gastmarkt durch die Möglichkeit der Fahrgäste, ihr Ver-kehrsmittel zu wählen, direkt Wettbewerb bestehen kann.Gibt es auf dem Fahrgastmarkt nur einen indirekten Wett-bewerb im Rahmen der Neubeauftragung durch den Auf-gabenträger, fällt die Unterscheidung in Aufgabenträger-und Fahrgastmarkt in sich zusammen.

495. Schließlich führt der Zusammenschluss nach An-sicht des Gerichts im Bereich des ÖPNV nicht zur Entste-hung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stel-lung der üstra, weder auf dem bundesweitenAufgabenträger- noch auf dem nach Linien abgegrenztenFahrgastmarkt.

Die Entscheidung des BGH

496. Der BGH bestätigt in seinem Urteil die Marktab-grenzung des OLG insoweit, als er ebenfalls von vier re-levanten Märkten ausgeht, die durch die Trennung desÖPNV in den Schienen- und Straßenpersonennahverkehrund eine Unterscheidung von Aufgabenträger- und Fahr-gastmarkt entstehen. Den angefochtenen Beschluss hebter mit der Begründung auf, dass die Beurteilung der wett-bewerblichen Situation auf dem Aufgabenträgermarkt imSPNV und im ÖSPV auf Rechtsfehlern beruhe. Im SPNVsei die DB Regio durchaus als marktbeherrschend anzu-sehen. Die dagegen vorgebrachten Argumente seien nichtüberzeugend. Im ÖSPV sei eine bundesweite Marktab-grenzung nicht angemessen, da die Leistungen im öffent-lichen Straßenpersonennahverkehr üblicherweise von inder Region tätigen und ansässigen Unternehmen erbrachtund bei einer Ausschreibung auch an diese vergeben wür-den. Es sei daher nicht auszuschließen, dass die üstra aufdem regionalen Aufgabenträgermarkt über eine marktbe-herrschende Stellung verfüge.

497. Die wettbewerbliche Situation auf den Fahrgast-märkten erörtert der BGH nicht. Er geht davon aus, dasssie schon deshalb nicht entscheidend sei, weil die wettbe-werblichen Auswirkungen des Zusammenschlusses aufden Fahrgastmarkt im Wesentlichen nicht den Wettbe-werb in diesem, sondern um diesen Markt betreffen unddaher auf dem Aufgabenträgermarkt in Erscheinung tre-ten würden.

Berücksichtigung von Substitutionsbeziehungen bei der Marktabgrenzung im ÖPNV

498. Der Monopolkommission erscheint die Unter-scheidung in einen Aufgabenträger- und einen Fahrgast-markt sinnvoll, da sie eine differenziertere Analyse derwettbewerblichen Konsequenzen eines potentiellen Zu-sammenschlusses erlaubt. Zusammenschlüsse, die markt-beherrschende Stellungen der Anbieter begründen oderverstärken, sind zu untersagen, weil dadurch eineSchlechterstellung der Marktgegenseite zu erwarten ist.Im Falle des ÖPNV sollte ein Zusammenschluss sowohluntersagt werden, wenn eine Schlechterstellung der Posi-tion der Aufgabenträger zu erwarten ist, als auch, wennsich die Situation für die Fahrgäste verschlechtert. Beiden Aufgabenträgern würde sich eine Schlechterstellungdahingehend auswirken, dass die Zuschüsse, die die An-bieter für die Bereitstellung eines bestimmten Angebotsfordern, höher würden. Das würde eine höhere Belastungder öffentlichen Kassen und damit auch der Steuerzahlerzur Folge haben. Bei den Fahrgästen äußert sich dieSchlechterstellung z. B. durch höhere Preise oder durcheine sinkende Qualität des Angebots bezüglich der Sau-berkeit oder Pünktlichkeit der Verkehrsmittel.

499. Ob die Marktabgrenzung auf dem Fahrgastmarktnetz- oder linienbezogen zu erfolgen hat, hängt von denGewohnheiten der Fahrgäste ab. Für eine netzbezogeneMarktabgrenzung würde sprechen, wenn Fahrgäste tat-sächlich das Netz als Ganzes als Alternative zu einem an-deren Verkehrsmittel nutzen. Wenn der typische Nachfra-ger kein Auto besitzt, weil ihm das Nahverkehrsnetz dieMöglichkeit gibt, seine verschiedenen Wege – zur Arbeit,zum Einkaufen, zum Besuch von Freunden etc. – mit demÖPNV zurückzulegen, spricht dies für eine netzbezogeneMarktabgrenzung. Wenn der typische Nachfrager jedochpraktisch nur eine einzige Linie nutzt, weil er beispiels-weise mit dem ÖPNV zur Arbeit pendelt, ansonsten aberalle Wege mit dem Auto zurücklegt, würde dies für einestreckenbezogene Marktabgrenzung sprechen. Im Allge-meinen scheint der Monopolkommission eine streckenbe-zogene Marktabgrenzung auf dem Fahrgastmarkt dieRealität angemessen widerzuspiegeln. Eine solcheMarktabgrenzung nimmt auch das Office of Fair Trading(OFT) in Großbritannien vor.55

500. Allerdings ist die Kommission der Auffassung,dass die Alternativen zum ÖPNV – das sind in ersterLinie der motorisierte und der nichtmotorisierte Individu-alverkehr – den wettbewerblichen Spielraum eines Ver-kehrsunternehmens durchaus wirksam beschränken kön-nen und deshalb bei der wettbewerblichen Beurteilungberücksichtigt werden sollten.56 Welches die relevantenAlternativen zum ÖPNV sind, hängt von der betrachtetenStrecke ab. Eine Linie, die einen Flughafen an eine Stadt

55 Vergleiche Abegg, Peter, Die Austauschbarkeit verschiedener Ver-kehrsmittel im Rahmen von Zusammenschlüssen im öffentlichenPersonennahverkehr, in: Wirtschaft und Wettbewerb, Jg. 55, 2005,S. 275–285, S. 277.

56 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 624 f.

Page 23: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 274 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

anbindet, dürfte überwiegend von Fluggästen genutztwerden. Hier könnte das Taxi die wettbewerblich rele-vante Alternative für den Nutzer des ÖPNV darstellen.Dagegen werden Linien, die Wohngebiete mit einer Cityverbinden, vor allem von Pendlern genutzt. Je nach Infra-struktur und Streckenlänge können hier statt des ÖPNVAuto oder Fahrrad genutzt werden. Auch wenn die Nut-zung von Auto oder Fahrrad eine Eigenleistung darstellt,die nicht marktwirksam ist, darf diese Eigenleistung, so-fern sie für den Nachfrager eine ernsthafte Alternativezum ÖPNV darstellt, bei der Wettbewerbsanalyse nichtvernachlässigt werden.

501. Berücksichtigt man die bestehenden Substitutions-beziehungen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln beider Analyse des Fahrgastmarktes nicht, läuft die von denGerichten vorgenommene Trennung des ÖPNV in einenAufgabenträger- und einen Fahrgastmarkt ins Leere.Durch die im ÖSPV gesetzlich vorgeschriebene Einzelbe-legung der zu bedienenden Strecken besteht Wettbewerbdann nur in Form eines Wettbewerbes um den Markt.Diese Form des Wettbewerbs wird aber bereits im Rah-men der Aufgabenträgermärkte analysiert. Geht man da-gegen davon aus, dass es aus Sicht der Fahrgäste rele-vante Alternativen zum ÖPNV gibt, kann der Wettbewerbauf dem Fahrgastmarkt nicht nur indirekt durch den Auf-gabenträger erfolgen, sondern auch direkt durch die Ent-scheidung des Fahrgastes selbst. Zwar muss ein Verkehrs-unternehmen seine Beförderungsbedingungen vomAufgabenträger genehmigen lassen. Dies bedeutet abernicht zwangsläufig, wie vom OLG Düsseldorf angenom-men, dass ein Verkehrsunternehmen für die Dauer seinesVerkehrsvertrages ohne Wettbewerber ist und sich seineMarktstärke erst dann erweist, wenn sein Verkehrsvertragausgelaufen ist und die Verkehrsleistungen vom Aufga-benträger neu vergeben werden. Vielmehr ist das Ver-kehrsunternehmen bei seinen Vorschlägen über die Ver-tragsgestaltung in erster Linie daran gebunden, dass dieFahrgäste sein Angebot annehmen und nicht auf andereBeförderungsmittel ausweichen. Die Genehmigung derBehörde erscheint demgegenüber nur als weitere, aberkeinesfalls einzige Beschränkung des Unternehmens. DerWettbewerb um den Fahrgast ist auch nicht auf die Mo-mente der Neuvergabe eines Streckenbündels beschränkt,denn auch innerhalb der Laufzeit eines Vertrages kann einVerkehrsunternehmen seine Beförderungskonditionen än-dern. Schließlich wird die Attraktivität des ÖPNV auchdurch Faktoren bestimmt, die nicht Gegenstand der ver-traglichen Vereinbarungen mit dem Aufgabenträger sindund teilweise auch gar nicht sein können, wie z. B. dieFreundlichkeit des Personals oder die Sauberkeit der Bah-nen.

502. Im Kern kommen das Bundeskartellamt und dasOLG Düsseldorf im Fall ÖPNV Hannover jedoch vor al-lem deshalb zu einer gegensätzlichen Beurteilung desZusammenschlusses, weil das Bundeskartellamt davonausgeht, dass der Aufgabenträger bei künftigen Aus-schreibungen die DB Regio bevorzugt, wenn er mit diesermittelbar verbunden ist. Das OLG sieht jedoch keinerleiAnhaltspunkte für ein solches Verhalten von Seiten desAufgabenträgers. Die Monopolkommission teilt die Auf-

fassung des Bundeskartellamtes. Grundsätzlich wäre eswünschenswert, wenn im ÖPNV ebenso wie in anderenNetzindustrien die Vergabe der Konzessionen für die Nut-zung eines Netzes vollständig in den Händen einer Ge-sellschaft liegt, die keinerlei Beteiligungen auf nachgela-gerten Marktstufen hält. Dies würde garantieren, dassimmer die Qualität des Angebots und nicht sonstige stra-tegische Überlegungen innerhalb verbundener Unterneh-men oder innerhalb eines Konzerns über die Vergabe ei-ner Konzession entscheiden.

2.4 Entstehung und Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung

2.4.1 Marktbeherrschung im Oligopol

503. Das Bundeskartellamt hat im Berichtszeitraum ineiner Reihe von Fällen das Vorliegen eines Oligopolsgeprüft. Beispielhaft werden im Folgenden vier Fälle vor-gestellt. In drei der vier Fälle hat das Amt ein Hauptprüf-verfahren eingeleitet und in zwei Fällen mit einer Unter-sagung abgeschlossen: Im Bereich Abfallwirtschaftwurde ein Zusammenschluss untersagt, da die Über-nahme des größten Außenseiters die Marktmacht einesVierer-Oligopols verstärkt hätte. In einem ähnlichen Fall,der den Großhandel mit Papier betraf, diagnostizierte dasAmt auf regionalen Märkten Oligopole aus zwei, dreioder vier Mitgliedern. Der Zusammenschluss wurde frei-gegeben. Bei einem Zusammenschluss auf dem Markt fürFruchtzubereitungen befürchtete das Amt, dass ein Zu-sammenschluss der Marktteilnehmer mit dem zweit- unddem viertgrößten Marktanteil zu einem marktbeherr-schenden Dyopol mit dem Marktführer führen würde.

504. Auf den Strommärkten sichern die Verbundunter-nehmen ihre marktbeherrschende Position auf dem Groß-handelsmarkt nach wie vor durch eine Strategie der verti-kalen Vorwärtsintegration ab. Eine Beschwerde vonE.ON gegen eine vor fast drei Jahren ausgesprochene Un-tersagung, die diese Praxis unterbindet, ist noch vor demOLG anhängig. Ähnlich gelagerte Fälle, die jedoch gerin-gere Mengen betreffen, sind in der Zwischenzeit vomKartellamt freigegeben worden.

505. Die Monopolkommission spricht sich gegen dieTrennung in Binnen- und Außenwettbewerb bzw. am Oli-gopol teilnehmende und nicht teilnehmende Unterneh-men rein nach Marktanteilskriterien aus. Oligopole sindauch zwischen Unternehmen mit extrem unterschiedli-chen Marktanteilen möglich. Letztlich definiert sich einOligopolist durch sein Verhalten und nicht durch Krite-rien wie Marktanteile, Finanzkraft oder Eigentümerstruk-tur. Diese können nur als Indiz dienen. Bei symmetrischverteilten Marktanteilen, ähnlicher Finanzkraft und glei-cher Eigentümerstruktur mag demnach eher mit koordi-niertem Verhalten zu rechnen sein als bei ungleichenMarktanteilen, unterschiedlicher Finanzkraft und ver-schiedenen Organisationsformen. Trotzdem sind dieseKriterien weder notwendig noch hinreichend dafür, dasstatsächlich koordiniertes Verhalten stattfindet.

506. Weiterhin tritt die Monopolkommission dafür ein,koordiniertes Verhalten auf mehreren räumlich getrennten

Page 24: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 275 – Drucksache 16/2460

Märkten nicht isoliert zu analysieren. Wenn bundesweittätige Unternehmen gemeinsam in verschiedenen Regio-nalmärkten tätig sind, kann es irreführend sein, das Ver-halten auf den einzelnen Regionalmärkten unabhängigvom Verhalten auf den anderen Märkten zu betrachten.Denn falls koordiniertes Verhalten stattfindet, ist zu er-warten, dass dies auf allen oder zumindest der Mehrzahlder Regionalmärkte stattfindet und dass diese Absprachenmarktübergreifend getroffen werden.

Oligopolistische Strukturen auf Regionalmärkten in der Entsorgungswirtschaft

507. Im Bereich der Abfallwirtschaft hat das Bundeskar-tellamt Ende 2004 einen Zusammenschluss untersagt. Dreiweitere Zusammenschlussvorhaben, bei denen ein Haupt-prüfverfahren eingeleitet wurde, wurden unter Bedingun-gen und Auflagen freigegeben. In dem Untersagungsfallplanten Rethmann, eines der größten deutschen Entsor-gungsunternehmen, und Tönsmeier, ein größeres mittel-ständisches Entsorgungsunternehmen, je 50 Prozent derAnteile an der Gesellschaft für Abfallwirtschaft Köthen zuübernehmen, die von Stadt und Landkreis Köthen veräu-ßert wurde. Das Kartellamt begründete die Untersagungdamit, dass der Zusammenschluss die Marktmacht einesOligopols aus vier Oligopolisten verstärkt hätte.57 Die Un-tersagung wurde vom OLG Düsseldorf bestätigt.58

508. Strittig war in diesem Fall zunächst die räumlicheMarktabgrenzung. Das Amt definierte als räumlich rele-vanten Markt alle Landkreise, deren Gebiet zu mehr als50 Prozent in einem Radius von 100 km um den Land-kreis Köthen liegt. Die Anmelder gingen dagegen in ihrerAnmeldung davon aus, dass die neuen Bundesländer ei-nen gemeinsamen räumlichen Markt bilden. Das Bundes-kartellamt lehnte dies mit der Begründung ab, dass dieMarktanteile der im Entsorgungsbereich in den neuenLändern tätigen Unternehmen in den verschiedenen Bun-desländern deutliche Unterschiede aufwiesen. So gebe esbeispielsweise ein Unternehmen, das in einem Bundes-land gar nicht tätig sei, dafür aber in einem anderen einenMarktanteil von knapp 30 Prozent aufweise. Dagegenwürden Entsorger mit Infrastruktureinrichtungen in ei-nem Gebiet mit einem Radius von ca. 100 km um denLandkreis Köthen aus Sicht des Nachfragers in realisti-scher Weise als Anbieter in Betracht kommen. Tatsäch-lich kamen bei Ausschreibungen in den Gebietskörper-schaften der fünf neuen Bundesländer in den letzten fünfJahren 91,5 Prozent der Angebote von Unternehmen, dieweniger als 100 km vom jeweiligen Ausschreibungsortentfernt waren. Den Zuschlag erhielten ausschließlichUnternehmen, die im 100 km-Radius ansässig waren.

509. Im Anschluss an die Marktabgrenzung untersuchtedas Bundeskartellamt die Marktanteile für die Sammlungund den Transport von Restmüll im räumlich relevantenMarkt, die sich wie in Tabelle IV.4 ergeben.

Ta b e l l e IV.4

Marktanteile auf dem Entsorgungsmarkt um den Landkreis Köthen

510. Das Bundeskartellamt ging in seiner Entscheidungdavon aus, dass die Unternehmen Rethmann, RWE Um-welt, Sita und Alba auf dem relevanten Markt ein markt-beherrschendes Oligopol bilden. Eine gemeinsame Über-nahme der GfA Köthen durch Rethmann und Tönsmeierhätte nach Ansicht des Amtes die marktbeherrschendeStellung des Oligopols verstärkt, da durch die Einbindungvon Tönsmeier, dem stärksten Oligopolaußenseiter imMarkt, der Außenwettbewerb gegenüber dem Oligopolgeschwächt worden wäre.

511. Überzeugend legt das Bundeskartellamt dar, dassdie Marktgegebenheiten bei der Sammlung und demTransport verschiedener Abfallarten oligopolistischesParallelverhalten begünstigen und gegenwärtig davonauszugehen ist, dass die Marktteilnehmer durch koordi-niertes Verhalten Marktmacht ausüben. Die Monopol-kommission ist jedoch der Ansicht, dass es nicht ange-messen ist, sich bei der Analyse oligopolistischenVerhaltens auf den räumlichen Markt zu beschränken, aufdem der Zusammenschluss vollzogen wird. Im vorliegen-den Fall sind die vier Unternehmen, die in der Analysedes Kartellamtes ein Oligopol bilden, nicht nur auf demräumlichen Markt um die Stadt Köthen herum, sondern ineinem um ein Vielfaches größeren Gebiet tätig. Alle vierhaben zweistellige Marktanteile in mehreren der neuenBundesländer, einige sind sogar bundesweit vertreten.Dabei sind große Unterschiede zwischen einzelnenBundesländern festzustellen. Diese ergeben sich u. a. da-raus, dass bei der Entsorgung in benachbarten GebietenSynergieeffekte auftreten. Entsprechend ist zu erwarten,dass sich Unternehmen in Gegenden, in denen sie bereitstätig sind, verstärkt um Aufträge bemühen.

512. Es ist nicht anzunehmen, dass oligopolistischesVerhalten isoliert im räumlichen Markt „Köthen und

57 BKartA, Beschluss vom 16. November 2004, B10-74/04, WuW/EDE-V 995, Rethmann/GfA Köthen.

58 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. November 2005, VI-Kart 30/04(V), WuW DE-R 1625, Rethmann/GfA Köthen.

Unternehmen Marktanteil in %

Rethmann 21,6

RWE Umwelt 20,4

Sita 18,0

Alba 15,2

Summe 75,1

Tönsmeier 7,9

GfA Köthen 1,8

Summe 84,8

Sonstige (10 Anbieter) 15,2

Summe 100,0

Page 25: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 276 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Umkreis“ stattfindet. Vielmehr ist zu erwarten, dass dieTeilnehmer des Oligopols auf allen Märkten, auf denensie gemeinsam tätig sind, kooperieren, zumindest im Be-reich der Entsorgungswirtschaft. Eine Beschränkung derAnalyse auf den im Einzelfall räumlich relevanten Marktist daher irreführend. Die Tatsache, dass die vier Teilneh-mer am Oligopol auf dem untersuchten Markt ähnlicheMarktanteile aufweisen, kann zufällig sein. Es ist ohneweiteres möglich, dass einer der vier Anbieter bei Be-trachtung eines größeren Gebietes kleiner und wenigereinflussreich erscheint als ein anderer Anbieter, der imMarkt „Köthen und Umkreis“ nur mit sehr geringemMarktanteil oder gar nicht vertreten ist. Aussagen überdie Verteilung der Marktanteile sind insbesondere dann,wenn nicht offensichtlich ist, welche Märkte bei der Be-trachtung überhaupt zusammengefasst werden sollten,wenig aussagekräftig. Es ist ohnehin davon auszugehen,dass sich oligopolistische Absprachen nicht auf Unter-nehmen gleicher Größe beschränken, solange die Bedin-gungen für derartiges Verhalten günstig sind. Die eindeu-tige Zuordnung der vier Unternehmen Rethmann, RWEUmwelt, Sita und Alba als Teilnehmer am Oligopol undvon Tönsmeier als Oligopolaußenseiter erscheint dem-nach wenig sinnvoll.

Oligopolistische Strukturen auf regionalen Großhandelsmärkten für Papier

513. Auch bei einer Übernahme im Bereich des Groß-handels mit Papier untersuchte das Bundeskartellamt dieMarktstrukturen auf den einzelnen räumlichen Märktenunabhängig voneinander. Die räumliche Marktabgren-zung im Falle der Übernahme von Classen durch dieFirma G. Schneider & Söhne (SchneiderSöhne) wurde imAbschnitt 2.3.2 dargestellt. Auf sechs räumlich getrenn-ten Märkten prüfte das Amt die Entstehung oder Verstär-kung einer marktbeherrschenden Stellung für das Lager-geschäft mit Druckereipapieren. Dabei diagnostizierte esauf den einzelnen Märkten die folgenden Strukturen:

– Auf dem Regionalmarkt Darmstadt besteht ein markt-beherrschendes Oligopol aus vier Unternehmen,SchneiderSöhne, Papier Union, Deutsche Papier undDrissler.

– Auf dem Regionalmarkt Hamburg besteht ein markt-beherrschendes Oligopol aus drei Unternehmen,SchneiderSöhne, Papier Union sowie drei Unterneh-men der Interessengemeinschaft von Papiergroßhänd-lern GmbH (Igepa).

– Auf dem Regionalmarkt Essen besteht ebenfalls einmarktbeherrschendes Oligopol aus den drei Unterneh-men SchneiderSöhne, Papier Union sowie drei Unter-nehmen der Igepa.

– Auf dem Regionalmarkt Nürnberg besteht ein markt-beherrschendes Dyopol der Unternehmen Schneider-Söhne und 2H.

– Auf dem Regionalmarkt Stuttgart gibt es keine markt-beherrschenden Stellungen.

– Auf dem Regionalmarkt München gibt es ebenfallskeine marktbeherrschenden Stellungen.

Classen ist demnach auf keinem der vier oligopolistischgeprägten Märkte Mitglied eines Oligopols, sondern ge-hört zur Gruppe der Oligopolaußenseiter. Das Bundeskar-tellamt hat den Zusammenschluss freigegeben, weil esauf keinem der kritischen vier Märkte mit hinreichenderPrognosesicherheit die Entstehung oder Verstärkung einermarktbeherrschenden Stellung feststellte.

514. Während das Amt Classen generell die Rolle einesOligopolaußenseiters zuweist, werden anderen Unterneh-men in der Analyse auf den unterschiedlichen räumlichenMärkten unterschiedliche Rollen zugewiesen. So ist dieDeutsche Papier ein Oligopolaußenseiter auf den Regio-nalmärkten Hamburg, Essen und Nürnberg, aber ein Mit-glied des Oligopols im Regionalmarkt Darmstadt. Die un-terschiedliche Zuordnung von Deutsche Papier scheintnur auf Unterschiede in den Marktanteilen zurückzufüh-ren zu sein. Tatsächlich sollte die Unterscheidung in Oligo-polmitglieder und -außenseiter bei der Analyse koordi-nierter Effekte jedoch nach dem Verhalten erfolgen. Mit-glieder eines Oligopols sind demnach Unternehmen, dieihr Verhalten mit anderen Marktteilnehmern abstimmen,um am Markt höhere Preise durchsetzen zu können. Es istunwahrscheinlich, dass die Koordinierung der gleichenUnternehmen auf den unterschiedlichen räumlichenMärkten unabhängig voneinander erfolgt. Vielmehr istanzunehmen, dass Absprachen, wenn sie getroffen wer-den, für alle Märkte getroffen werden, auf denen die Un-ternehmen gemeinsam tätig sind. Es ist durchaus mög-lich, dass die Absprachen zudem voneinander abhängen,dass also das Entgegenkommen eines Oligopolisten in ei-nem räumlichen Markt mit dem Entgegenkommen einesanderen Oligopolisten in einem anderen räumlichenMarkt kompensiert wird. Rechnet das Amt dennoch einUnternehmen wie hier die Deutsche Papier in einemMarkt den Oligopolisten, in einem anderen jedoch denAußenseitern zu, so würde dies eine besondere Begrün-dung erfordern.

515. Stellt man bei der Zuordnung eines Unternehmenszum Oligopol auf das Verhalten des betreffenden Unter-nehmens ab, dann wäre im vorliegenden Fall auch Clas-sen ein Oligopolmitglied, obwohl sein Marktanteil in al-len Regionalmärkten deutlich unter dem der anderenOligopolisten liegt. Classen scheint jedoch aktiv an deroligopolistischen Zusammenarbeit der Unternehmen be-teiligt gewesen zu sein. So heißt es in der Entscheidung:„Ferner hat Classen viele Jahre gemeinsam mit den Oli-gopolisten wiederholt in verschiedenen Kartellen zusam-mengearbeitet, um den Wettbewerb unter den beteiligtenGroßhandelsunternehmen auf dem vom Zusammen-schluss betroffenen Großhandelsmarkt für das Lagerge-schäft mit Druckereipapieren auszuschließen.“59 Das Amtbegründet seine Entscheidung, Classen nicht dem Oligo-pol zuzurechnen, nicht nur mit dem Marktanteilsabstandzwischen Classen und den Oligopolisten, sondern auch

59 BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2004, B10-86/04, Tz. 251.

Page 26: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 277 – Drucksache 16/2460

damit, dass Classen ein mittelständisches Unternehmensei, die Oligopolisten dagegen internationale Konzerne.Diese Unterschiede sollten jedoch bei der Beurteilungkeine Rolle spielen, solange auf anderem Wege koordi-niertes Verhalten zwischen den betroffenen Unternehmennachgewiesen werden kann. Denn die Tatsache, dass zweiUnternehmen sehr unterschiedlich sind, ist zwar ein Indizdafür, dass die Zusammenarbeit schwierig sein könnte,und senkt insofern die Wahrscheinlichkeit dafür, dasskoordiniertes Verhalten stattfindet. Wenn derartiges Ver-halten jedoch direkt nachgewiesen werden kann, ist dieEx-ante-Wahrscheinlichkeit dafür nicht mehr relevant.

Entstehung eines Dyopols auf dem Markt für Fruchtzubereitungen

516. Im Frühjahr 2004 hat das Bundeskartellamt derAgrana, einer Tochter des Südzucker-Konzerns, die Über-nahme von Atys, bis dahin mehrheitlich im Besitz der But-ler Capital Partners, Paris, untersagt.60 Atys ist eine Hol-dinggesellschaft. Die mit ihr verbundenen Unternehmenstellen in verschiedenen Ländern Europas Fruchtzuberei-tungen her und vertreiben diese. Fruchtzubereitungen sindFrüchte in pasteurisierter Form, die als Geschmacksträgerin Milchprodukten wie Joghurt oder Eis oder in der Back-warenindustrie verwendet werden. In Deutschland ist Atysüber die Atys-DSF GmbH, Konstanz, aktiv. In der Sachebegründete das Bundeskartellamt seine Untersagung da-mit, dass durch den Zusammenschluss auf dem nationalenMarkt für Fruchtzubereitungen ein marktbeherrschendesDyopol des Marktführers Zentis mit Agrana entstehe, dienach der Übernahme von Atys den zweithöchsten Markt-anteil auf dem betroffenen Markt hätte. Die wertmäßigenMarktanteile auf dem bundesweiten Markt für Fruchtzu-bereitungen im Jahre 2003 stellen sich wie in Tabelle IV.5gezeigt dar.

Ta b e l l e IV.5

Marktanteile auf dem Markt für Fruchtzubereitungen

517. Marktführer ist Zentis mit einem Marktanteil vonetwas unter 50 Prozent. Mit deutlichem Abstand folgtAtys, deren Marktanteil wiederum deutlich über demMarktanteil der Unternehmen Wild, Agrana und IFFliegt. Rein rechenmäßig war die Dyopolvermutung des§ 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 GWB für Zentis und Atys bereitsvor dem Zusammenschluss erfüllt. Trotzdem geht dasAmt in seiner Entscheidung davon aus, dass der großeMarktanteilsabstand zwischen Zentis und Atys dyopolis-tisches Verhalten vor dem Zusammenschluss verhinderthabe. Durch den Zusammenschluss von Agrana und Atyssteigt der Marktanteil des zweitgrößten Marktteilnehmerszwar nur wenig und bleibt weiterhin deutlich hinter Zen-tis zurück. Dieser Abstand werde aber dadurch kompen-siert, dass dieses Unternehmen als Südzucker-Tochterüber eine überragende Finanzkraft verfüge. Dies werdeZentis in der Zukunft von wettbewerblichen Vorstößenabhalten.

518. Betrachtet man lediglich die Marktanteile auf dembetroffenen Markt, so könnte man nach § 19 Abs. 3 Satz 1GWB auch vermuten, dass Zentis mit seinem Marktanteilvon weit über einem Drittel alleine marktbeherrschend ist.Der Zusammenschluss von Atys und Agrana würde dannzu keinen wettbewerblichen Bedenken führen. Mankönnte sogar argumentieren, dass die Übernahme denWettbewerb fördert, da es dem neuen UnternehmenAgrana/Atys eher als es bisher Agrana oder Atys alleinemöglich wäre, wettbewerblichen Druck auf Zentis auszu-üben. Für eine schlüssige Beurteilung des Falles wäredemnach eine tiefergehende Analyse des betroffenenMarktes notwendig gewesen. So hätte man beispielsweisedas Verhalten der Abnehmer bezüglich der Zahl der Liefe-ranten und der Wechselwilligkeit und -möglichkeit oderdie Preisentwicklung der verschiedenen Anbieter im Zeit-ablauf untersuchen können. Unklar ist auch, inwiefern diegroße Finanzkraft von Südzucker dazu führen sollte, dieWahrscheinlichkeit koordinierter Handlungen des zweit-größten Marktteilnehmers mit Zentis zu erhöhen.

Vertikale Vorwärtsintegration der Erzeuger auf den Märkten für Strom

519. Im Zusammenhang mit dem immer noch anhängi-gen Beschwerdeverfahren E.ON Mitte/Stadtwerke Esch-wege – die Untersagung des Kartellamtes aus dem Sep-tember 2003 wurde bereits im letzten Hauptgutachtendiskutiert61 – hat das Bundeskartellamt erneut eine um-fangreiche Markterhebung der Strommärkte in Deutsch-land durchgeführt. Insbesondere durch die steigende Be-deutung des Stromhandels ist eine neue Abgrenzung derMärkte im Strombereich notwendig geworden. Die vierVerbundunternehmen, insbesondere E.ON und RWE, er-zeugen jedoch nach wie vor fast allen inländischen Stromund verfügen über hohe Anteile an den Höchst- und Hoch-spannungsnetzen. Das Bundeskartellamt geht daher da-von aus, dass die vier Verbundunternehmen, insbesondere

60 BKartA, Beschluss vom 21. April 2004, B2-160/03, WuW/E DE-V923, Agrana/Atys.

Unternehmen Marktanteil in %

Zentis 40–50

Atys 15–25

Wild 5–10

Agrana 5–10

IFF 5–10

Sonstige je < 5

Summe 100

61 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 689.

Page 27: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 278 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

jedoch E.ON und RWE, ein marktbeherrschendes Oligo-pol bilden.

520. Bisher grenzte das Bundeskartellamt im Strombe-reich drei Märkte ab. Auf den bundesweiten Märkten fürStromweiterverteiler und Stromgroßkunden waren dieNachfrager die Stromweiterverteiler, also überwiegendStadtwerke, und die leistungsgemessenen Endkunden.Anbieter waren die Stromproduzenten, also überwiegenddie vier Verbundunternehmen, und auf dem Stromgroß-kundenmarkt auch Stadtwerke. Auf dem regional abge-grenzten Endkundenmarkt standen die nichtleistungsge-messenen Klein- und Haushaltskunden als Nachfragerden Stadtwerken und vereinzelt wie bei Yello-Strom auchden Verbundunternehmen als Anbieter gegenüber. DerStromhandel kommt im Rahmen dieser Marktabgrenzungnicht vor. Da inzwischen der Stromhandel jedoch eine zu-nehmend wichtigere Rolle spielt, ist die klassische Formder Marktabgrenzung zunehmend schlechter geeignet, dietatsächlichen Verhältnisse auf den Strommärkten zu be-schreiben. Der Stromhandel umfasst sowohl Handelsge-schäfte an der Börse als auch außerbörslich stattfindendebilaterale Geschäfte, so genannte Over-the-Counter-Ge-schäfte. Er kann von einem Stadtwerk genutzt werden,das zusätzliche Stromkapazitäten von einem Händlerkauft. Dieser wiederum erwirbt den Strom von einem dervier Verbundunternehmen. In diesem Fall wäre der klassi-sche Weiterverteilermarkt vertikal in zwei Märkte aufge-spalten, mit dem Händler als neuer Zwischenstufe. DasBundeskartellamt plant deshalb, bei der Abgrenzung derStrommärkte den Ansatz der Europäischen Kommissionzu übernehmen. Dabei werden die Märkte basierend auffünf Stufen definiert, die die Haupttätigkeitsbereiche imStrombereich darstellen. Diese sind

– die Erzeugung von Strom,

– der Stromtransport auf hoher Spannungsebene,

– der Stromtransport auf niedriger Spannungsebene,

– der Vertrieb von Strom an Endverbraucher und

– der Handel.

521. Wie aus diesen Haupttätigkeitsbereichen Märkteabgeleitet werden, hat das Bundeskartellamt bisher offengelassen. Letztlich sind wohl drei Märkte zu unterschei-den, der Großhandelsmarkt, auf dem die Stromerzeugerihren Strom anbieten, der Endkundenmarkt, auf dem End-kunden Strom nachfragen, und der Markt für den Trans-port von Strom. Auf dem Markt für den Transport vonStrom verfügt der Eigentümer des Netzes immer über einAngebotsmonopol; dieser Bereich unterliegt daher derRegulierung durch die Bundesnetzagentur. Auf demGroßhandels- und dem Endkundenmarkt ist Wettbewerbjedoch grundsätzlich möglich.

522. Der Großhandels- und der Endkundenmarkt sinddie erste und letzte Stufe auf dem Weg vom Erzeugerzum Verbraucher. Zwischen dem Erzeuger als erstemAnbieter und dem Verbraucher als letztem Nachfragerkann es beliebig viele Zwischenstufen des Handels ge-ben, der Strom kann aber auch direkt vom Erzeuger anden Endverbraucher geliefert werden. Da auf dieser Zwi-

schenstufe in Deutschland jedoch eine große Zahl vonUnternehmen tätig ist und keine ernsthaften wettbewerb-lichen Probleme bekannt sind, kommt es auf eine genau-ere Analyse dieser Zwischenstufen nicht an. Zumindestderzeit liegt das Wettbewerbsproblem bei Strom auf demGroßhandelsmarkt. Mehr als 80 Prozent der Erzeugungs-kapazitäten befinden sich in der Hand von nur vier Ver-bundunternehmen, die fast 90 Prozent der deutschen Net-tostrommenge produzieren. Da diese vier Unternehmenauch über mehr als 95 Prozent der Höchstspannungs-und etwa 70 Prozent der Hoch- und Mittelspannungs-netze verfügen, sind sie in der Lage, den Markt gegenneue Anbieter abzuschotten.

523. E.ON und RWE sind in der Vierer-Gruppe der Ver-bundunternehmen deutlich größer als die beiden anderenVerbundunternehmen Vattenfall und EnBW. In der Ver-gangenheit ging das Bundeskartellamt deshalb davon aus,dass lediglich E.ON und RWE über eine marktbeherr-schende Stellung beim Angebot von Strom verfügen. Da-von weicht das Amt jetzt ab. Künftig sollen alle vier Un-ternehmen als marktbeherrschend angesehen werden. DieMonopolkommission begrüßt diese Erweiterung. Es istnicht davon auszugehen, dass von Vattenfall und EnBWernsthafte wettbewerbliche Impulse ausgehen, nur weilsie über ein kleineres Netzgebiet und geringere Erzeu-gungskapazitäten verfügen. Entscheidend ist vielmehr,dass auch sie über ein Gebietsmonopol verfügen – Vatten-fall in Norddeutschland, EnBW in Baden-Württemberg –und dieses bei einer Kooperation mit den anderen Mit-gliedern des Oligopols auch behalten können.

524. Die Markterhebung des Bundeskartellamtes zeigtauch, dass die Verbundunternehmen die Strategie dervertikalen Vorwärtsintegration im Strom- und im Gasbe-reich weiter verfolgen. Gemeinsam verfügten die vierVerbundunternehmen im Jahr 2004 über mehr als200 Minderheitsbeteiligungen an Stadtwerken im Strom-bereich. Im Gasbereich waren es über 250 Beteiligungendieser Art.

525. Im Gasbereich wurde die vertikale Vorwärtsinteg-ration durch die Tätigkeit des Bundeskartellamtes zumin-dest gebremst. So wurde im Berichtszeitraum die Beteili-gung der Mainova an den Aschaffenburger Stadtwerkenin Höhe von 17,5 Prozent untersagt und die gleichzeitiggeplante Beteiligung der E.ON Bayern an den Aschaffen-burger Stadtwerken zurückgenommen.62 Die Mainova istGasvorlieferantin der Aschaffenburger Stadtwerke. NachAnsicht des Amtes hätte die Beteiligung die marktbeherr-schende Stellung der Mainova auf dem Weiterverteiler-markt und die marktbeherrschende Stellung der Aschaf-fenburger Stadtwerke auf dem Markt für Haushalts- undKleinkunden verstärkt. Denn durch den Zusammen-schluss hätte die Mainova ihre Vorlieferantenposition aufdem Weiterverteilermarkt gesichert, während gleichzeitignicht mehr zu erwarten gewesen wäre, dass sie in einenWettbewerb um Endkunden der Aschaffenburger Stadt-

62 BKartA, Beschluss vom 22. Juli 2004, B8-27/04, WuW/E DE-V 983,Mainova/Aschaffenburger Versorgungs GmbH.

Page 28: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 279 – Drucksache 16/2460

werke eintritt. Die Beschwerde gegen die Untersagungwurde vom OLG Düsseldorf abgewiesen.63

526. Im Strombereich wurde die Vorwärtsintegrationder Stromerzeuger durch einen Rückgang in der Zahl derAnmeldungen ebenfalls gebremst. Dies mag darauf zu-rückzuführen sein, dass die Marktteilnehmer das Ergeb-nis des Verfahrens E.ON Mitte/Stadtwerke Eschwege vordem Beschwerdegericht abwarten wollen. Aus Gesprä-chen der Verbundunternehmen mit dem Bundeskartellamtist jedoch bekannt, dass sich eine Vielzahl von Beteili-gungsprojekten derzeit im Vorstadium einer Anmeldungbefinden. Falls das OLG Düsseldorf die Beschwerde vonE.ON im Verfahren E.ON Mitte/Stadtwerke Eschwegenicht zurückweisen sollte, wäre daher mit einer großenZahl von Anmeldungen ähnlich gelagerter Fälle beimBundeskartellamt zu rechnen. Schon jetzt gibt das Bun-deskartellamt Minderheitsbeteiligungen frei, wenn dievom Zusammenschluss betroffenen Stadtwerke nicht mitmehr als ungefähr 100 GWh Strom pro Jahr beliefert wer-den. So wurde z. B. eine Aufstockung der Anteile an denStadtwerken Eberswalde von 37 Prozent auf 50 Prozentdurch die E.DIS AG, eine Tochter der E.ON AG, in derersten Phase freigegeben, da von dem Zusammenschlussnur Strommengen in Höhe von gut 120 GWh betroffenwaren, von denen ungefähr ein Viertel aus der Eigenpro-duktion der Stadtwerke Eberswalde stammen. Die Absi-cherung der Vorlieferantenposition bezieht sich somit aufeine Menge von weniger als 100 GWh.

527. Die Monopolkommission spricht sich gegen dieVerwendung einer derartigen Spürbarkeitsgrenze bei derBewertung von Zusammenschlüssen aus. Problematischist die Vorwärtsintegration der Verbundunternehmen inder Summe. Lässt man nur Beteiligungen an kleinenStadtwerken zu, ist zwar die Anzahl an benötigten Betei-ligungen, um einen bestimmten Verschließungseffekt zuerzielen, höher, als wenn Beteiligungen in jeder Höhe zu-lässig sind. Im Prinzip ist ein Marktverschluss durch Vor-wärtsintegration aber trotzdem möglich. Um die Strategieder vertikalen Vorwärtsintegration anzuhalten, muss jedeBeteiligung unabhängig von ihrer Höhe und von der be-troffenen Strommenge untersagt werden.

528. Problematisch ist die Vorwärtsintegration nicht nurwegen ihrer wettbewerblichen Auswirkungen auf denEndkundenmärkten. Viele Stadtwerke verfügen über ei-gene Erzeugungskapazitäten. Entsprechend führt die Vor-wärtsintegration der Verbundunternehmen durch Mehr-und Minderheitsbeteiligungen an diesen Stadtwerkenauch zu einer Konzentration der Erzeugungskapazitäten.Während sich die installierte Gesamtkapazität zwischen1998 und 2003/2004 nur unwesentlich verändert hat, istder Kapazitätsanteil der heutigen vier größten Verbund-unternehmen in diesem Zeitraum von 77 Prozent auf90 Prozent gestiegen.64 Das Bundeskartellamt berück-

sichtigt diesen Effekt in seinen Entscheidungen nach An-sicht der Monopolkommission nicht ausreichend. Imoben dargestellten Fall der Anteilserhöhung an den Stadt-werken Eberswalde lag zwar die Bezugsmenge der Stadt-werke Eberswalde von E.DIS unter 100 GWh. Berück-sichtigt man jedoch auch die nicht unerheblicheEigenproduktion der Stadtwerke Eberswalde in ihremBlockheizkraftwerk, sind von dem ZusammenschlussStrommengen von deutlich über 100 GWh betroffen. DerZusammenschluss führt nicht nur zu einer Absicherungdes Stromabsatzes der E.ON AG, sondern auch zu einerZunahme ihres Anteils an der Gesamterzeugungskapazi-tät.

2.4.2 Marktbeherrschung bei nichthorizon-talen Zusammenschlüssen

529. Im Berichtszeitraum wurden einige Zusammen-schlüsse im Medienbereich in der zweiten Phase geprüft,bei denen die nichthorizontalen Effekte des jeweiligenZusammenschlusses im Zentrum der Wettbewerbsanalysedes Bundeskartellamtes standen. Das Zusammenschluss-vorhaben Springer/ProSiebenSat.1 wurde untersagt, weilder Zusammenschluss nach Ansicht des Amtes aufgrundmarktübergreifender Effekte zu einer Verstärkung derkollektiven Marktbeherrschung von RTL und ProSieben-Sat.1 auf dem Fernsehwerbemarkt und einer Verstärkungder marktbeherrschenden Stellung von Axel Springer aufden Anzeigen- und Lesermärkten für Zeitungen geführthätte. Die Übernahme der DPC Digital Playout Centervon Premiere durch SES Global Europe hat das Amt un-ter Anwendung der Abwägungsklausel freigegeben.Durch den Zusammenschluss wird eine vertikale Integra-tion aufgelöst, gleichzeitig werden zwei Inputmärkte inte-griert. Schließlich prüfte das Amt mehrere Zusammen-schlussvorhaben im Bereich der Breitbandkabelnetze. Daein derartiges Netz ein natürliches Monopol darstellt, sindFusionen zwischen zwei Netzbetreibern, die dazu führen,dass die zwei Netze künftig von einem Betreiber gemein-sam betrieben werden, als Markterweiterungszusammen-schlüsse einzuordnen.

Das Zusammenschlussvorhaben Springer/ProSiebenSat.1

530. Im Januar 2006 untersagte das Bundeskartellamtder Axel Springer AG, 100 Prozent der Anteile an ProSie-benSat.1 zu übernehmen.65 Die Axel Springer AG hat ge-gen den Beschluss Beschwerde beim OLG Düsseldorfeingereicht. Das Bundeskartellamt sieht in zwei verschie-denen Bereichen wettbewerbliche Probleme. Zum einenwerde die kollektive Marktbeherrschung auf dem Fern-sehwerbemarkt, zum anderen die überragende Marktstel-lung von Springer auf dem Anzeigen- und Lesermarktverstärkt.

531. Zur Verstärkung der kollektiven Marktbeherr-schung auf dem Fernsehwerbemarkt führt das Amt aus,dass nach seiner Ansicht derzeit Bertelsmann und ProSie-

63 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. November 2005, VI-2 Kart 14/04(V),WuW DE-R 1639, Mainova/Aschaffenburger Versorgungs-GmbH.

64 Vergleiche Eikmeier, Bernd, Gabriel, Jürgen, Quantitative Entwick-lung der Erzeugungs- und Absatzstruktur in der deutschen Strom-wirtschaft von 1998 bis heute, Gutachten des Bremer Energieinstitutsim Auftrag der MVV Energie AG, Mannheim, Februar 2005, S. 41.

65 BKartA, Beschluss vom 19. Januar 2006, B6-103/05, WuW DE-V1163, Springer/ProSiebenSat.1.

Page 29: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 280 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

benSat.1 ein marktbeherrschendes Dyopol auf dem Fern-sehwerbemarkt bilden. Zu Bertelsmann gehören die Sen-der der RTL-Gruppe, zu ProSiebenSat.1 die SenderProSieben, SAT.1 und Kabel 1. Die beiden Unternehmenverfügen zwar jeweils nur über Zuschaueranteile von ca.25 Prozent, während die öffentlich-rechtlichen Sender ge-meinsam einen Zuschaueranteil von über 40 Prozent ha-ben. Aufgrund der eingeschränkten Werbemöglichkeitender öffentlich-rechtlichen Sender verfügen Bertelsmannund ProSiebenSat.1 jedoch bei den Einnahmen aus Fern-sehwerbung über ungefähr gleich hohe und im Zeitablaufkonstante Marktanteile von je über 40 Prozent; die öffent-lich-rechtlichen Sender haben hier nur einen Anteil vonweniger als 10 Prozent. Nach Ansicht des Amtes spre-chen mehrere Argumente dagegen, dass Binnenwettbe-werb zwischen den beiden Dyopolisten stattfindet. DerZusammenschluss stelle eine Verstärkung der marktbe-herrschenden Stellung von Bertelsmann und ProSieben-Sat.1 dar, da zusätzliche Verflechtungen zwischen ihnenentstünden, die Symmetrie im Dyopol zunehme und einwichtiges Substitut zur Fernsehwerbung wegfalle. Zu-sätzliche Verflechtungen entstünden dadurch, dass bereitsbestehende Verflechtungen zwischen Bertelsmann undSpringer durch die Fusion auch zu Verflechtungen zwi-schen den beiden Fernsehkonzernen Bertelsmann undProSiebenSat.1 werden. Die Symmetrie im Dyopolnehme zu, da nach der Fusion nicht nur Bertelsmann,sondern auch ProSiebenSat.1/Springer die Möglichkeitcrossmedialer Werbekampagnen hätte, d. h. dass das zu-sammengeschlossene Unternehmen Anzeigen sowohl inder Bild-Zeitung schalten als auch in ProSiebenSat.1 zei-gen könnte. Des Weiteren finde eine Angleichung der Fi-nanzkraft statt. Schließlich stelle die Bild-Zeitung ausSicht der Werbeträger, die eine bundesweite Erreichbar-keit wünschen, die einzige Alternative zur Fernsehwer-bung dar. Das Bundeskartellamt legt dar, dass die Reich-weite eines Werbespots im Fernsehen durch kein anderesMedium außer der Bild-Zeitung erzielt werden könne.Die Möglichkeit der Substitution von Fernsehwerbungdurch Werbung in der Bild-Zeitung beschränkt demnachderzeit (noch) die wettbewerblichen Freiräume der Dyo-polisten. Diese Restriktion würde durch die Fusion weg-fallen. Auch sonst sei nicht zu erwarten, dass die Markt-macht der Dyopolisten durch Außenwettbewerb wirksambeschränkt werden könne. Nennenswerte Wettbewerberseien nur die öffentlich-rechtlichen Sender, die aber durchrundfunkrechtliche Restriktionen wie das Werbeverbot ab20 Uhr kaum in der Lage seien, ihre Marktanteile auf demWerbemarkt auszuweiten.

532. Des Weiteren sieht das Bundeskartellamt wettbe-werbliche Probleme durch die Verstärkung der überragen-den Marktstellung von Springer auf dem bundesweitenLesermarkt für Straßenverkaufszeitungen und die Ver-stärkung der überragenden Marktstellung ebenfalls vonSpringer auf dem bundesweiten Anzeigenmarkt für Zei-tungen. Auf dem bundesweiten Lesermarkt für Straßen-verkaufszeitungen hat Springer mit der Bild-Zeitung undder BZ einen Marktanteil von über 80 Prozent. Auf dembundesweiten Anzeigenmarkt für Zeitungen – hier fasstdas Amt Straßenverkaufs- und andere Zeitungen zu ei-

nem Markt zusammen – hat Springer mit der Bild-Zei-tung und der Welt einen Marktanteil von über 40 Prozent.Durch die Fusion bekomme Springer die Möglichkeit,crossmediale Werbekampagnen anzubieten. Diese Mög-lichkeit haben andere Zeitungen nicht oder nicht in die-sem Ausmaß. Springer könne zudem selbst crossmedialeWerbung zugunsten von Konzernprodukten durchführen.So kann in der Bild-Zeitung für ProSiebenSat.1 und inProSiebenSat.1 für die Bild-Zeitung geworben werden.Schließlich gebe es die Möglichkeit publizistischerCross-Promotion. Dabei wird zwar nicht im einen Me-dium für das andere geworben, aber die Nutzer des einenMediums werden auf die Angebote des anderen aufmerk-sam gemacht, indem sie durch Berichte im Fernsehenüber Artikel in der Bild-Zeitung und umgekehrt durchBerichte in der Bild-Zeitung über Fernsehsendungen in-formiert werden. Das Bundeskartellamt diskutiert auchverschiedene Möglichkeiten der gemeinsamen Vermark-tung bestimmter Themen oder Serien.

533. Insgesamt bewertet das Bundeskartellamt das Vor-haben als eine konglomerate Fusion. Zwar komme es aufkeinem der betroffenen Märkte zu Marktanteilsadditio-nen, der Zusammenschluss führe aber aufgrund markt-übergreifender Effekte zur Verstärkung marktbeherr-schender Stellungen und sei deshalb zu untersagen.

Horizontaler oder konglomerater Zusammenschluss?

534. Das Bundeskartellamt weist in seinem Beschlussdarauf hin, dass durch den Zusammenschluss die markt-beherrschende Stellung des Dyopols mit ProSiebenSat.1auf dem Fernsehwerbemarkt verstärkt würde, da derWettbewerb durch die Bild-Zeitung wegfalle. Die Bild-Zeitung sei neben den großen Fernsehsendern das einzigeMedium in Deutschland, das bundesweit eine breite Be-völkerungsschicht erreicht. Spiegelbildlich argumentiertdas Amt, dass durch den Zusammenschluss ebenfalls diemarktbeherrschende Stellung der Bild-Zeitung auf demAnzeigenmarkt für Zeitungen verstärkt würde, da dieBild-Zeitung im Falle einer Fusion als einzige Zeitung inder Lage wäre, gemeinsam mit den Sendern von ProSie-benSat.1 crossmediale Werbekampagnen anzubieten.

535. Beide Argumente beruhen auf der Einschätzungdes Amtes, dass es eine Nachfrage nach Werbeformenund -trägern gibt, bei denen mit einer Kampagne breiteSchichten der Bevölkerung flächendeckend erreicht wer-den können. Gleichzeitig nimmt das Amt an, dass diewerbenden Unternehmen Werbung in Zeitungen und imFernsehen nicht als nahe Substitute ansehen. Zumindestwerden diese beiden Werbeformen unterschiedlichenMärkten zugeteilt. Aus Sicht der Monopolkommission istdas in dieser Allgemeinheit wenig überzeugend. Bei einerMarktabgrenzung aus Sicht der Marktgegenseite solltedie werbetreibende Wirtschaft die Abgrenzung des Mark-tes bestimmen. Ziel eines werbenden Unternehmens istes, durch seine Kampagne möglichst viele potentielleKäufer des beworbenen Produktes anzusprechen. Es be-dürfte demnach einer näheren Begründung, warumMärkte nach dem Medium, in dem die Werbung platziertwird, abgegrenzt werden, und nicht nach der Reichweite

Page 30: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 281 – Drucksache 16/2460

der Werbekampagne. Bei Werbekampagnen für Produkte,die von breiten Bevölkerungsschichten bundesweit kon-sumiert werden sollen, kämen dann als Werbeträger alleMedien in Frage, die bundesweit von breiten Bevölke-rungsschichten genutzt werden, also zumindest die gro-ßen Fernsehsender und die Bild-Zeitung, eventuell auchandere Tageszeitungen oder Rundfunksender mit bundes-weiter Verbreitung. Davon zu unterscheiden wären Wer-bemärkte für einzelne Regionen oder bestimmte Käufer-gruppen. Werbeträger für regional angebotene Produkte,z. B. für Fachgeschäfte oder Restaurants, wären in ersterLinie lokale oder regionale Tageszeitungen und Rund-funksender; Werbeträger für Produkte, die nur von be-stimmten Käufergruppen nachgefragt werden, wären ent-sprechende Fachzeitschriften, also z. B. für eine Sportartdie Fachzeitschrift dieser Sportart.

536. Nimmt man eine Marktabgrenzung nach der Er-reichbarkeit der potentiellen Käufer vor, würden die Bild-Zeitung und die Sender von ProSiebenSat.1 einem ge-meinsamen Markt angehören. Bei einer derartigenMarktabgrenzung wäre der Zusammenschluss nicht alskonglomerate, sondern als horizontale Fusion zu bewer-ten, da die Werbeplattform der Sender von ProSieben-Sat.1 durch die Fusion zum gleichen Konzern gehörenwürde wie die Werbeplattform der Bild-Zeitung.

Die Berücksichtigung von Synergieeffektenim Fusionskontrollverfahren

537. Das Bundeskartellamt geht in seinem Beschlussausführlich auf die geschäftlichen Möglichkeiten ein, diesich den Zusammenschlussbeteiligten durch den Zusam-menschluss eröffnen: Der zusammengeschlossene Kon-zern sei in der Lage, crossmediale Werbekampagnen an-zubieten. Innerhalb des Konzerns könne nicht nur in demeinen Medium für die Berichte des anderen geworbenwerden, es gebe auch die Möglichkeit publizistischerCross-Promotion oder der gemeinsamen Vermarktungvon Themen oder Serien. Eine Diskussion dieser Aspekteist im Rahmen der wettbewerblichen Würdigung einesZusammenschlusses nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB vorge-sehen. Insbesondere ist danach bei Würdigung der markt-beherrschenden Stellung des fusionierten Unternehmenszu berücksichtigen, ob der Zugang zu den Absatzmärktenfür die eigenen Erzeugnisse der Zusammenschlusspartnerverbessert und ob dadurch auch der Marktzutritt für dritteUnternehmen erschwert wird; diese Diskussion ist vomBundeskartellamt ausführlich, aber nicht mit letzterSchärfe geführt worden. Das Bundeskartellamt hätte nachMeinung der Monopolkommission den folgenden Aspektbedenken sollen.

538. Im deutschen Kartellrecht ist die Berücksichtigungder durch einen Zusammenschluss entstehenden Syner-gieeffekte nicht explizit vorgesehen. Im europäischenWettbewerbsrecht gibt es die Möglichkeit einer efficiencydefense, d. h. dass zusammenschlussbedingte, nachweis-bare Effizienzen, die besonders hoch sind und dem Ver-braucher zugute kommen, als eine Art Gemeinwohlvor-teil dazu führen können, dass eine Fusion trotzwettbewerblicher Probleme freigegeben werden kann.

Dagegen werden im deutschen Kartellrecht Effizienzvor-teile durch das Untersagungskriterium der Fusionskon-trolle pauschaliert berücksichtigt. Bleibt ein Zusammen-schluss unterhalb der Marktbeherrschungsgrenze, dannwird davon ausgegangen, dass mögliche Effizienzvorteiledes Zusammenschlusses die durch eine Verstärkung derMarktmacht entstehenden Wettbewerbsbehinderungenüberwiegen. Oberhalb der Marktbeherrschungsgrenzewird von einem Überwiegen der Wettbewerbsbehinde-rungen ausgegangen. Eine Diskussion möglicher Syner-gieeffekte ist demnach zur Beurteilung eines Zusammen-schlusses nicht notwendig.

539. Auch wenn Effizienzvorteile im deutschen Kartell-recht nicht explizit berücksichtigt werden, gibt es dennochin der Entscheidungspraxis eine Reihe von Fällen, in de-nen im Rahmen der wettbewerblichen Gesamtwürdigunggemäß § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB mit Effizienzvorteilen ar-gumentiert wurde, um die Entstehung oder Verstärkung ei-ner marktbeherrschenden Stellung zu begründen.66 Denndurch eine Fusion, die mit hohen Synergieeffekten verbun-den ist, werden natürlich auch die Wettbewerber der Zu-sammenschlussbeteiligten relativ schlechter gestellt. DerVersuch, besser als die Wettbewerber zu werden, solltenach Ansicht der Monopolkommission von einer Kartell-behörde jedoch im Allgemeinen nicht unterbunden wer-den. Eine efficiency offense schützt nicht den Wettbewerb,sondern zerstört ihn. Die Berücksichtigung von Effizienz-vorteilen und Synergieeffekten im Fusionskontrollverfah-ren sollte daher nur zur Ablehnung einer Fusion führen,wenn sie mit strukturell wirkenden Verdrängungseffektenverbunden sind.

540. Nicht immer ist offensichtlich, welche Aspekte ei-nes Falles das Amt im Rahmen der wettbewerblichen Ge-samtwürdigung berücksichtigen und welche es ignorierensollte. Dies gilt auch im Fall Axel Springer/ProSieben-Sat.1. Das Amt hätte hier noch deutlicher machen können,inwiefern die Möglichkeiten, die sich den Zusammen-schlussbeteiligten durch die Fusion eröffnen – crossme-diale Werbekampagnen, publizistische Cross-Promotion,gemeinsame Vermarktung von Inhalten – nicht Synergie-effekte darstellen, sondern Möglichkeiten, Wettbewerberzu behindern und zu verdrängen.

Das Zusammenschlussvorhaben RTL/n-tv

541. Das Zusammenschlussvorhaben RTL/n-tv, das dasBundeskartellamt im April 2006 freigegeben hat, ist demVorhaben Axel Springer/ProSiebenSat.1 in Bezug auf diewettbewerblichen Wirkungen auf dem Fernsehwerbe-markt sehr ähnlich.67 Die Marktmacht des Dyopols vonRTL und ProSiebenSat.1 wird im vorliegenden Fall nichtdurch einen Zusammenschluss, der ProSiebenSat.1 be-trifft, sondern durch einen Zusammenschluss, der RTLbetrifft, verstärkt. Konkret plante RTL, den bisher mitCNN/Time Warner gemeinsam beherrschten Nachrich-tenkanal n-tv vollständig zu übernehmen. Zu einer

66 Vergleiche Klumpp, Ulrich, Die „Efficiency Defense“ in der Fusions-kontrolle, Tübingen 2005, S. 138.

67 BKartA, Beschluss vom 11. April 2006, B6-142/05.

Page 31: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 282 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Marktanteilsaddition würde es durch den Zusammen-schluss nicht kommen. Da RTL im Falle der alleinigenKontrolle von n-tv jedoch bei der Programmgestaltungkeine Rücksicht mehr auf den Mitinhaber nehmen müsse,könne im Fall einer Übernahme die Produktdifferenzie-rung innerhalb der Sender der RTL-Gruppe so ausgestal-tet werden, dass eine maximale Marktdurchdringung allerSender gemeinsam erreicht werde. Das Amt argumentierthier wie im Falle National Geographic68 und geht davonaus, dass der Zusammenschluss die marktbeherrschendeStellung im Dyopol von RTL und ProSiebenSat.1 aufdem Fernsehwerbemarkt verstärkt. Allerdings sei dieseVerstärkung nicht ursächlich. Vielmehr lägen die Voraus-setzungen für eine Sanierungsfusion vor. Es sei nicht er-sichtlich, dass n-tv allein überlebensfähig sei. Es gebekeine anderen potentiellen Interessenten für die bisherCNN/Time Warner gehörenden Anteile – zumindestkeine, die wettbewerblich unbedenklich wären. Schließ-lich sei zu erwarten, dass im Falle einer Schließung desKanals die Marktanteile von n-tv auf dem Werbemarktvollständig dem Dyopol zufallen würden. Das Amt gabdas Zusammenschlussvorhaben deshalb als Sanierungsfu-sion frei.

Die Übernahme der DPC Digital Playout Center durch den Satellitenbetreiber Astra

542. Im Dezember 2004 hat das Bundeskartellamt dieÜbernahme der DPC Digital Playout Center von Premieredurch SES Global Europe unter Anwendung der Abwä-gungsklausel freigegeben.69 SES Astra, eine Tochter vonSES Global Europe, betreibt eine Satellitenflotte, die ge-genwärtig aus 13 Satelliten besteht. DPC firmiert inzwi-schen unter dem Namen APS (Astra Platform Services).Die Beigeladene Eutelsat, eine Wettbewerberin der SES,hat gegen die Freigabe Beschwerde beim OLG Düssel-dorf eingelegt, die noch anhängig ist.

543. Von dem Zusammenschluss sind drei Märkte be-troffen, die für die Bereitstellung von Pay-TV benötigtwerden. Die Vernetzung dieser drei Märkte ist in Abbil-dung IV.3a dargestellt. Pay-TV-Anbieter bieten auf demMarkt für Pay-TV den Fernsehzuschauern bestimmte In-halte an. Um diese Inhalte anbieten zu können, sind zweiVorleistungen nötig. Zum einen benötigt der Programm-anbieter eine digitale technische Plattform für Pay-TV.Diese besteht aus der Bereitstellung eines Verschlüsse-

68 Vergleiche Tz. 447.69 BKartA, Beschluss vom 28. Dezember 2004, B7-150/04, WuW/E

DE-V 1039, SES/DPC.

A b b i l d u n g IV.3a

Märkte im Pay-TV (Übertragungsweg Satellit)

Markt für Trans-ponderkapazität

Unternehmen fürVerschlüsselung

(z.B. DPC)

Endkunden/Fernsehzuschauer

Pay-TV-Endkundenmarkt

Pay-TV-Programmanbieter(z.B. Premiere)

Markt für techn.Dienstleistungen

Satelliten-betreiber

(z.B. SES ASTRA)

Page 32: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 283 – Drucksache 16/2460

lungssystems, der Verwaltung der Smartcards für dieAbonnenten sowie der Bereitstellung einer kompatiblenSet-Top-Boxen-Basis. Aus technischen Gründen wirddiese Dienstleistung zusammen mit der Sendeabwicklungund dem Uplink angeboten. Unter der Sendeabwicklungversteht man die Zusammenstellung eines Fernsehkanals.Dabei werden einzelne Inhalte zu einem fortlaufendenDatenstrom verbunden. Der Uplink ist der Transport ei-nes fertigen Signals zum Satelliten. Verschlüsselung, Sen-deabwicklung und Uplink werden zu einem Markt fürtechnische Dienstleistungen zusammengefasst. Das zuübernehmende Unternehmen DPC, bisher eine Tochtervon Premiere, hat auf diesem Markt unter Berücksichti-gung der Innenumsätze mit Premiere einen Marktanteilvon ca. 60 Prozent und ist damit marktbeherrschend.

544. Die zweite Vorleistung, die ein Programmanbieterbenötigt, ist die Bereitstellung von Transponderkapazitätauf einem Satelliten. Als Transponder bezeichnet man dieBandbreite, die einem Kunden zur Übertragung zur Verfü-gung steht. Von dem Zusammenschluss betroffen ist nurder Markt für Transponderkapazität für die DTH(direct-to-home)-Rundfunkübertragung, der räumlich durch dendeutschen Sprachraum begrenzt ist. Auf diesem Marktsind die ASTRA-Satelliten der SES mit der Orbitalposi-tion 19,2° Ost mit einem Marktanteil von über 90 Prozentmarktbeherrschend.

545. Aus ökonomischer Sicht handelt es sich bei denMärkten für Verschlüsselung und für Transponderkapazi-tät um zwei Vorleistungsmärkte, die demnach in horizon-taler Beziehung zueinander stehen. Der Signalstrom wirddagegen von dem Verschlüsselungsunternehmen zum Sa-tellitenbetreiber und von dort zum Endkunden, dem Fern-sehzuschauer, geschickt. Hier besteht also eine vertikaleBeziehung zwischen den beiden Unternehmen, die An-bieter auf den Vorleistungsmärkten sind. Diese Bezie-hung wird in Abbildung IV.3b dargestellt.

546. Durch den Zusammenschluss von SES mit DPCtreten nach Ansicht des Bundeskartellamtes auf beidenMärkten Wettbewerbsverschlechterungen auf. Mit derdurch den Zusammenschluss bedingten vertikalen Inte-gration von DPC erhalte SES die Möglichkeit der Ein-flussnahme auf die Ausrichtung des Uplinks. Bereits jetztseien die Sendeantennen der DPC ausschließlich auf dieASTRA-Satelliten der Orbitalposition 19,2° Ost ausge-richtet. Es sei zu erwarten, dass die SES den Zugang zumUplink dazu nutzen werde, die eigene Marktstellung aufdem Markt für Transponderkapazität auch künftig abzusi-chern. Auf dem Markt für technische Dienstleistungen fürPay-TV sei eine Verstärkung der marktbeherrschendenStellung der DPC zu erwarten, weil DPC über die Verbin-dung mit SES den Zugang zu deren Satellitenkunden er-halte. Dies stelle eine Verbesserung ihrer Absatzwege fürdie technischen Dienstleistungen dar und sichere beste-hende Kundenbeziehungen weiter ab.

547. Durch den Zusammenschluss verbessere sich je-doch die wettbewerbliche Situation auf dem Endkunden-markt für Pay-TV. Premiere ist auf diesem Markt derzeitmarktbeherrschend. Bisher ist es für potentielle Wettbe-werber außerordentlich schwierig gewesen, in den Markt

A b b i l d u n g IV.3b

Signalfluss im Pay-TV (Übertragungsweg Satellit)

Endkunden/Fernsehzuschauer

sendetSignal

sendetSignal

Satellitenbetreiber(z.B. SES ASTRA)

Unternehmen fürVerschlüsselung

(z.B. DPC)

einzutreten. Da potentielle Pay-TV-Kunden im Allgemei-nen nicht bereit sind, mehrere Set-Top-Boxen aufzustel-len, waren alternative Anbieter quasi darauf angewiesen,die Verschlüsselungstechnik von DPC und die Premiere-Set-Top-Boxen mit zu nutzen. Premiere hatte jedoch kei-nen Anreiz, diese Verschlüsselung allgemein zur Verfü-gung zu stellen und hat dies auch nicht getan. Mit demZusammenschluss werden die Lizenzen für die Ver-schlüsselungstechnik von Premiere an SES unterlizen-ziert. SES habe im Gegensatz zu Premiere ein Interessedaran, dass es möglichst viele Pay-TV-Anbieter gibt. Fol-gerichtig habe sie angekündigt, dass sie die Verschlüsse-lungstechnik künftig allen Anbietern, nicht nur Premiere,zur Verfügung stellen werde. Damit würden alle Pay-TV-Anbieter nach demselben System verschlüsselt und bekä-men Zugang zu der etablierten Premiere-Set-Top-Boxen-Infrastruktur. Mit der Allokation aller Pay-TV-Pro-gramme auf einer Smartcard werde eine weitere Hürdebeseitigt. Die Set-Top-Boxen verfügen überwiegend nurüber einen Smartcard-Slot. Künftig könnten dann mit nureiner Smartcard Programme von mehreren Pay-TV-An-bietern empfangen werden. Die wettbewerblichen Vor-teile durch die Öffnung auf diesem Markt überwiegennach Ansicht des Amtes die Nachteile, die auf den beidenvorgelagerten Märkten entstehen.

548. Im Rahmen des Verfahrens vor dem Beschwerde-gericht wurde dem Bundeskartellamt aufgegeben, weitereErmittlungen zur Möglichkeit alternativer Pay-TV-An-bieter, die Verschlüsselungstechnik von DPC zu nutzen,

Page 33: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 284 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

durchzuführen.70 Da die Lizenzen für die Verschlüsse-lungstechnik Premiere gehören und lediglich an SES un-terlizenziert wurden, sei nicht klar, ob durch den Zusam-menschluss tatsächlich Wettbewerbsverbesserungen aufdem Pay-TV-Endkundenmarkt eingetreten seien.

549. Die Monopolkommission betrachtet die Fusionvon SES mit DPC nicht als vertikalen Zusammenschluss,da die Märkte für Transponderkapazität und für techni-sche Dienstleistungen zwar in physischer Hinsicht verti-kal verbunden sind, ökonomisch handelt es sich bei derTransponderkapazität und den technischen Dienstleistun-gen jedoch um zwei komplementäre Inputs, die die Pro-grammanbieter kaufen müssen, um Pay-TV anbieten zukönnen. Damit hat der Zusammenschluss konglomeratenCharakter; er entspricht in der Struktur dem von der Euro-päischen Kommission im Jahre 2001 untersagten Zusam-menschluss von General Electric und Honeywell. ImKern führt er zu einer Integration der Märkte für die bei-den komplementären Inputs der technischen Dienstleis-tungen und der Transponderkapazität. Gleichzeitig wirdmit der Trennung der Märkte für technische Dienstleis-tungen und für Pay-TV eine vertikale Integration aufge-löst. Da Premiere bisher seine marktbeherrschende Stel-lung auf dem vorgelagerten Markt für technischeDienstleistungen dazu genutzt hat, den Zutritt potentiellerWettbewerber auf dem Endkundenmarkt zu erschwerenoder sogar zu verhindern, erwartet die Beschlussabteilungdurch die Separierung dieser beiden Märkte eine Verbes-serung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Endkun-denmarkt. Es gebe eine Reihe von Unternehmen, dieernsthaft Interesse an einem Angebot von Pay-TV gezeigthätten. Angesichts des großen Angebots von Free-TV inDeutschland erscheint es jedoch fraglich, ob die Nach-frage nach Pay-TV groß genug ist, um Marktzutritt ingrößerem Umfang zu ermöglichen.

550. Berücksichtigt man die besondere Struktur dieserbeiden Input-Märkte, besteht die Möglichkeit einer Stei-gerung der Konsumentenwohlfahrt durch den Zusam-menschluss. Dazu ist zunächst zu beachten, dass beideMärkte Strukturen aufweisen, die die Möglichkeit einesfunktionierenden Wettbewerbs im Vorhinein schon fastausschließen. Bezüglich des Marktes für Transponderka-pazitäten ist es für einen Sender quasi unmöglich, alterna-tive Satelliten zu nutzen. Denn die Satellitenschüsseln derprivaten Haushalte müssten dann alle auf diese alternati-ven Satelliten ausgerichtet werden. Wenn es sich nichtum so genannte Dual-Foot-Antennen handelt, die aufzwei Satellitenpositionen gleichzeitig ausgerichtet wer-den können, könnten nach der Neuausrichtung aus-schließlich Programme dieses Senders empfangen wer-den, keine Programme von Sendern, die nach wie vor dieASTRA-Satelliten zur Übertragung nutzen. Es ist mehrals fraglich, ob unter diesen Umständen eine breite Zahlder Nachfrager zu einem Wechsel bereit wäre. Es scheintdamit quasi unmöglich zu sein, den hohen Marktanteilvon SES auf dem Markt für Transponderkapazitäten zuverringern.

551. Der Markt für die technischen Dienstleistungen istdurch Netzwerkeffekte gekennzeichnet, da er die Bereit-stellung einer Verschlüsselungstechnik im Rahmen einerSet-Top-Boxen-Infrastruktur enthält. Wenn Nutzer – wasanzunehmen ist – nicht bereit sind, mehrere Set-Top-Bo-xen mit mehreren Smartcards aufzustellen, können nurdann gleichzeitig Angebote von mehreren Pay-TV-An-bietern genutzt werden, wenn die Anbieter eine einheitli-che Verschlüsselungstechnik und damit ein einheitlichesNetzwerk von Set-Top-Boxen benutzen.

552. Nutzen die monopolistischen Anbieter auf beidenbetroffenen Märkten bisher ihre Marktmacht aus, kannder Zusammenschluss auf diesen Märkten möglicher-weise zu sinkenden Preisen und damit zu einer Erhöhungder Konsumentenwohlfahrt führen. Dies ist der Fall,wenn die den Markt verzerrende Wirkung des Monopolsdurch eine Bündelung der beiden Monopole nur noch ein-mal und nicht mehr zweimal innerhalb der Wertschöp-fungskette stattfindet.71

Markterweiterungszusammenschlüsse im deutschen Breitbandkabelnetz

553. Im Berichtszeitraum hat sich das Bundeskartellamtmit einer Reihe von geplanten Zusammenschlüssen imBereich der Breitbandkabelnetze auf der Netzebene (NE) 3beschäftigt. Die Netze befanden sich zu Beginn des Be-richtszeitraums im Wesentlichen in der Hand von vier Be-treibern:

– KBW, Kabelnetz in Baden-Württemberg, beliefert2,3 Millionen Haushalte,

– iesy, Kabelnetz in Hessen, beliefert 1,2 MillionenHaushalte,

– ish, Kabelnetz in Nordrhein-Westfalen, beliefert4,3 Millionen Haushalte,

– KDG, übriges Kabelnetz, beliefert 10 Millionen Haus-halte.

Zunächst prüfte das Amt die geplante Übernahme sämtli-cher Anteile der ish, sämtlicher Anteile der KBW und83,7 Prozent der Anteile der iesy durch KDG im Rahmenvon drei getrennten Verfahren. Alle drei Zusammen-schlüsse wurden abgemahnt. Da das Amt auch die darauf-hin angebotenen Zusagen als nicht ausreichend für eineFreigabe erachtete, wurden die Verfahren zurückgezogen.

554. Ein knappes Jahr später wurden zwei weitere Zu-sammenschlussvorhaben in diesem Bereich angemeldet.Aus dem Bieterverfahren um ish, den Betreiber des nord-rhein-westfälischen Kabelnetzes, waren zwei Bieter er-folgreich hervorgegangen, nämlich iesy, der Betreiber deshessischen Breitbandkabelnetzes, und Tele Columbus, einNE-4-Anbieter. Beide Zusammenschlüsse wurden vomBundeskartellamt mit Abschluss des Hauptprüfverfahrensfreigegeben.72 Der Zusammenschluss von iesy und ish

70 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Februar 2006, VI-Kart 2/05(V).

71 Vergleiche Tirole, Jean, The Theory of Industrial Organization, Cam-bridge, Mass. 1989, S. 174 f.

72 BKartA, Beschluss vom 20. Juni 2005, B7-22/05, und Beschlussvom 21. Juni 2005, B7-38/05, WuW/E DE-V 1127, CIE/Ish.

Page 34: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 285 – Drucksache 16/2460

wurde vollzogen. Im Anschluss an den Zusammenschlussbeantragten die Anteilseigner von iesy/ish und BC Part-ners – Anteilseigner von Tele Columbus – beim Bundes-kartellamt den Erwerb der gemeinsamen Kontrolle voniesy/ish unter Einbringung von Tele Columbus in dieseGesellschaft. Dieses Vorhaben wurde innerhalb der Mo-natsfrist freigegeben. Iesy, ish und Tele Columbus sindmittlerweile alle drei Töchter der Unity Media GmbH.

Wettbewerb auf dem Einspeisemarkt und auf dem Markt für technische Dienstleistungen

555. Die Beziehung der Marktteilnehmer über die ver-schiedenen von den Zusammenschlüssen betroffenenMärkte ist in Abbildung IV.4 dargestellt. Die Programm-anbieter fragen die Einspeiseleistung ins Breitbandkabelbei den Kabelnetzbetreibern der NE 3 nach. Räumlich

werden die Einspeisemärkte in Deutschland durch dieNetze der vier Regionalgesellschaften abgegrenzt. Ob diemit der digitalen Einspeisung unter Umständen verbunde-nen technischen Dienstleistungen dem Einspeisemarktzuzurechnen sind, ob es sich dabei um einen getrenntenMarkt handelt oder ob überhaupt ein Markt vorliegt, hatdas Bundeskartellamt unterschiedlich beurteilt. Bei dentechnischen Dienstleistungen handelt es sich im Wesentli-chen um die Bereitstellung eines Verschlüsselungssys-tems, der Bereitstellung einer Set-Top-Boxen-Basis undder Verwaltung der dazu gehörigen Smartcards. Für denEmpfang von Free-TV werden derartige Dienstleistungenderzeit nicht benötigt. Die Beschlussabteilung geht je-doch davon aus, dass in absehbarer Zeit auch Free-TV-Programme nur noch verschlüsselt gesendet werden. Aneiner derartigen Grundverschlüsselung sind in erster

A b b i l d u n g IV.4

Märkte für Signaltransport im Kabelfernsehen

Page 35: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 286 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Linie die Kabelnetzbetreiber interessiert, da sie ihnen dendirekten Zugang zu den Endkunden verschafft. Schwarz-sehen ist nicht mehr möglich; dafür kann der Kabelnetz-betreiber auf bestimmte Kundengruppen abgestimmteZusatzpakete vermarkten. Während die Beschlussabtei-lung bei der Beurteilung der geplanten Einkäufe vonKDG davon ausging, dass die Programmanbieter kein In-teresse an einer Grundverschlüsselung haben und dieseihnen von KDG aufgenötigt wird, ist sie bei der Analyseder Bieterverfahren für ish davon ausgegangen, dass auchdie Programmanbieter Interesse an einer Grundverschlüs-selung haben – um selbst eine Endkundenbeziehung auf-zubauen und weil die Rechteinhaber Wert darauf legen.

556. Grundsätzlich können die technischen Dienstleis-tungen getrennt von der Ausstrahlung über Satellit undder Einspeiseleistung in das Breitbandkabel erbracht wer-den. So wurden im Fall SES/DPC getrennte Märkte fürtechnische Dienstleistungen und für Transponderkapazi-tät angenommen. In den KDG-Fällen ging das Kartellamtdagegen von einem gemeinsamen Markt aus und schlossdas auch bei den beiden Bieterverfahren für ish nicht aus.Das Amt argumentiert hier, dass die Programmanbieterdarauf angewiesen sind, auf die Set-Top-Boxen-Basisund die Smartcards von KDG bzw. ish zurückzugreifen,wenn sie die Einspeiseleistung nachfragen. Insofernhandle es sich bei der technischen Plattform um eineDienstleistung, die mit der Einspeiseleistung gekoppeltsei und entsprechend mit ihr zusammen einen Marktbilde. Das Tochterunternehmen der KDG, das die techni-schen Dienstleistungen für die digitale Plattform derKDG erbringt, MSG, erbringt diese Dienstleistungen auchfür KBW und iesy. Selbst ish, das eine eigene digitaletechnische Plattform aufbaut, bezieht diese technischeDienstleistung derzeit zumindest teilweise noch von derMSG.

557. Das Bundeskartellamt hat die Zusammenschlüssevon KDG mit einem anderen Netzbetreiber untersagt, dadie Verhaltensspielräume von KDG durch die geplantenFusionen vergrößert würden. Beim Zusammenschlusszwischen ish und iesy war das Amt zwar ebenfalls derAnsicht, dass sich die Verhaltensspielräume der ish aufdas Netz von iesy übertragen würden. Gleichzeitig wür-den aber durch den Zusammenschluss die strukturellenVoraussetzungen für einen Wettbewerb gegenüber derKDG geschaffen, da iesy dann künftig nicht mehr auf dietechnischen Dienstleistungen für die digitale Plattformder MSG angewiesen wäre, sondern ebenfalls die digitalePlattform von ish nutzen könnte.

Wettbewerbseffekte auf benachbarten Märkten

558. Aus Sicht der Monopolkommission hat der Zusam-menschluss auch auf benachbarten Märkten wettbewerb-liche Effekte. Die Preise und Konditionen auf dem Ein-speisemarkt sind das Ergebnis von Verhandlungeneinzelner Sender oder Sendergruppen mit den einzelnenNetzbetreibern. Grundsätzlich sind die Sender auf jedeneinzelnen der vier Netzbetreiber angewiesen, um bundes-weit senden zu können. Umgekehrt sind die Netzbetreiberaber auch auf zumindest jeden der großen Sender ange-

wiesen, da eine Kabelnutzung auf Dauer nicht erfolgt,wenn nicht zumindest die wichtigsten Programme einge-speist werden. Man kann davon ausgehen, dass ein Sen-der um so mehr von einem Netzbetreiber abhängt, jegrößer der Netzbetreiber ist, und umgekehrt ein Netzbe-treiber um so mehr von einem Sender abhängt, je größerder Sender ist. Denn je größer ein Sender, d. h. je höherdie Einschaltquote seiner Programme ist, desto wichtigerist es für den Netzbetreiber, diese Programme zu senden.Sonst ist zu erwarten, dass die Fernsehzuschauer vom Ka-bel auf Antenne oder Satellit umsteigen. Je größer einNetzbetreiber ist, desto wichtiger ist es für den Programm-anbieter, dass seine Programme eingespeist werden. Denndie Werbeeinnahmen, die Hauptfinanzierungsquelle derProgrammanbieter, hängen von der Zahl der Zuschauerdes Programms ab. Wenn dann ein Sender mit einemNetzbetreiber über die Einspeisebedingungen verhandelt,ist zu erwarten, dass von dem auf diesem Markt zu vertei-lenden Überschuss der Netzbetreiber einen um so größe-ren Anteil erhält, je größer er und je kleiner der Verhand-lungspartner ist.

559. Ein Markterweiterungzusammenschluss zwischenzwei Netzbetreibern führt unter diesen Annahmen dazu,dass die Verhandlungsmacht des fusionierten Betreibershöher ist als die der beiden einzelnen Netzbetreiber zuvor.Entsprechend erhält der fusionierte Betreiber für jedes derbeiden Gebiete einen höheren Anteil an dem zu verteilen-den Überschuss als zuvor. In dem konkreten Fall der Fu-sion von ish und iesy ist zu erwarten, dass sie als gemein-sames Unternehmen einen höheren Überschuss erhaltenals die Summe der Überschüsse von ish und iesy vor demZusammenschluss. Dies bedeutet, dass sie pro Haushaltentweder weniger in die Qualität ihrer Netze investierenmüssen oder höhere Einspeiseentgelte erhalten. Es istalso anzunehmen, dass durch den Zusammenschluss nichtnur die Verhandlungsmacht von ish auf iesy übertragenwird, wie das Bundeskartellamt schreibt, sondern dass diegemeinsamem Verhaltensspielräume sogar größer als dieder ish zuvor werden. Denn das durch den Zusammen-schluss entstehende gemeinsame Netz von ish und iesy istsowohl größer als das von ish als auch das von iesy. Da-gegen ermöglicht der Zusammenschluss zwar die künf-tige Unabhängigkeit der ish von der MSG, es ist aber kei-neswegs ausgeschlossen, dass trotzdem über die Laufzeitder derzeitigen Verträge hinaus Dienstleistungen von derMSG bezogen werden. Da davon auszugehen ist, dass dieVerhandlungsmacht auf Seiten der Netzbetreiber auch be-züglich der Frage technischer Dienstleistungen um sogrößer ist, je mehr sie in der Lage sind, mit einer Stimmezu sprechen, scheint es für iesy auch in der Prognosenicht unattraktiv zu sein, Verschlüsselungsdienstleistun-gen über die MSG zu beziehen, die derzeit außer fürKDG auch die Verschlüsselung für KBW macht und dem-nach als größter Anbieter auch die beste Verhandlungs-position gegenüber den Programmanbietern haben dürfte.

560. Wie die Überschüsse auf dem Einspeisemarkt zwi-schen Kabelnetzbetreibern und Programmanbietern ver-teilt werden, ist aus wettbewerblicher Sicht nur insofernrelevant, als die Verteilung Rückwirkungen auf die be-nachbarten Märkte hat, auf denen die Überschüsse erwirt-

Page 36: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 287 – Drucksache 16/2460

schaftet werden. Die Überschüsse stammen überwiegendaus zwei Quellen. Zum einen verdienen die Kabelnetzbe-treiber die Kabelnetzgebühren, die die Nutzer für den An-schluss ans Kabelfernsehen bezahlen. Zum anderen er-wirtschaften die Programmanbieter Werbeeinnahmen, alsöffentlich-rechtliche Sender erhalten sie die Rundfunkge-bühren und als Pay-TV-Anbieter Gebühren von den Pay-TV-Abonnenten. Ob und wie viel nun von diesen Über-schüssen die eine Marktseite auf dem Einspeisemarkt andie andere Marktseite abzugeben hat, ist für die Wettbe-werbsbehörde deshalb von Bedeutung, weil die Vertei-lung der Überschüsse Auswirkungen auf die wettbewerb-liche Situation der Märkte haben kann, auf denen dieÜberschüsse erwirtschaftet werden. Wenn die Programm-anbieter einen großen Teil der Überschüsse erhalten,also wenig für das Einspeisen ihrer Programme zahlenmüssen oder sogar noch dafür bezahlt werden, dass sieihre Programme in ein Kabelnetz einspeisen, dann ist einMarktzutritt neuer Sender zu erwarten. Dies würde ten-denziell den Wettbewerb auf den Werbe- und Pay-TV-Märkten erhöhen. Die Kosten der öffentlich-rechtlichenSender würden niedriger sein, was geringere Rundfunk-gebühren rechtfertigen würde. Wenn dagegen die Kabel-netzbetreiber einen großen Teil der Überschüsse erhalten,ist nicht mit Marktzutritt neuer Netzbetreiber zu rechnen,da die einzelnen Netze natürliche Monopole darstellen.Insofern müsste die Wettbewerbsbehörde ein Interessehaben, dass die Programmanbieter als diejenige Markt-seite, bei der eher Wettbewerb durch Marktzutritt zu er-warten ist, einen höheren Anteil der Überschüsse erhält.Dies ist tendenziell eher dann der Fall, wenn es vielekleine und nicht wenig große Kabelnetzbetreiber gibt.Dies spricht dagegen, horizontale Fusionen auf der NE 3zuzulassen.

Wettbewerb auf den Signallieferungsmärkten

561. Die Signallieferungsmärkte werden von der Be-schlussabteilung sachlich in zwei getrennte Märkte unter-teilt, je nachdem, ob auf dem Weg zum Endkunden nochein Betreiber der NE 4 zwischengeschaltet ist oder nicht.Die NE 4 umfasst den Betrieb des Kabelnetzes im Hausselbst. Dieser Teil wurde in den achtziger Jahren vomNetz der damaligen Deutschen Bundespost abgetrenntund kleinen und mittleren Unternehmen übergeben. DieUnternehmen der NE 4 beziehen ihre Signale überwie-gend von Anbietern der NE 3. Es gibt allerdings auchNE-4-Anbieter, die sich über den Aufbau einer eigenenKabelkopfstation oder einer Satelliten-Gemeinschaftsan-lage von der NE 3 unabhängig gemacht haben. In man-chen Fällen gibt es keine NE 4, dann erhält der Endkundedas Rundfunksignal direkt vom Betreiber der NE 3.

562. Marktgegenseite auf den Endkundenmärkten sindprivate Vermieter und Eigentümer oder Wohnungsbauge-sellschaften. Während private Vermieter und Eigentümerim Allgemeinen nur das Angebot des nächstliegendenNE-3-Betreibers einholen, schreiben Wohnungsbauge-sellschaften die Versorgung ihrer Häuserblocks regelmä-ßig bundesweit in Form von so genannten Gestattungs-verträgen aus. In der Regel scheint sich jedoch von denvier Regionalgesellschaften nur diejenige, in deren Ge-

biet der Kunde liegt, um den Liefervertrag zu bewerben.Wettbewerb entsteht dadurch, dass sich auch größereNE-4-Betreiber oder integrierte NE-3/NE-4-Netzanbieterum diese Verträge bemühen. Es handelt sich hier über-wiegend um Infrastrukturwettbewerb, da insbesonderegrößere NE-4-Betreiber dann Stichleitungen von ihremNetz zum neu zu versorgenden Häuserblock legen. DieTatsache, dass die vier Regionalgesellschaften sich beiderartigen Ausschreibungen auf Angebote in ihrem eige-nen Netzgebiet beschränken, lässt eine oligopolistischeMarktstruktur vermuten, bei der sich vier Unternehmeneinen bundesweiten Markt gebietsweise aufteilen. DasBundeskartellamt vertritt die Ansicht, dass der Zusam-menschluss von ish und iesy nicht als Strukturverschlech-terung auf den betroffenen Endkundenmärkten anzusehensei. Dieser Meinung schließt sich die Monopolkommis-sion nicht an. Die Zahl der potentiellen Oligopolistensinkt durch die Fusion von vier auf drei. Das vereinfachtdie stillschweigende Übereinkunft über die Gebietsauftei-lung.

563. Auf den Signallieferungsmärkten haben sowohl ishals auch iesy mit Marktanteilen von über 90 Prozent in ih-ren Netzgebieten marktbeherrschende Stellungen inne.Durch den Zusammenschluss von ish und iesy fällt poten-tieller Wettbewerb durch den Ausbau von Stichleitungenim Grenzgebiet zwischen ish und iesy weg. Auch hier istdas Amt jedoch der Ansicht, dass darin keine Strukturver-schlechterung auf dem betroffenen Markt zu sehen sei.Wettbewerbsdruck entstehe auf diesem Markt vielmehrdadurch, dass NE-4-Betreiber alternativ zum Signalbezugüber einen NE-3-Betreiber die Möglichkeit zum Satelli-tenbezug haben. Dieser erfolgt im Wege des Aufbaus ei-ner eigenen Kabelkopfstation für Satellitenempfang.Auch beim Zusammenschluss von ish mit Tele Columbussind nach Ansicht des Amtes keine Wettbewerbspro-bleme zu erwarten. Tele Columbus ist ein NE-4-Betrei-ber, der bundesweit etwa 2,5 Millionen Haushalte mitRundfunksignalen über Breitbandkabel versorgt, davonknapp 500 000 in Nordrhein-Westfalen. Zwar sei durchdie vertikale Integration eines NE-4- mit einem NE-3-Be-treiber eine wettbewerbliche Verschlechterung möglich,da infolge eines Zusammenschlusses nicht mehr zu er-warten sei, dass der NE-4-Betreiber sich durch den Auf-bau einer eigenen Kabelkopfstation von seinem Vorliefe-ranten löst. In diesem konkreten Fall sei dies jedochohnehin nicht zu erwarten, da das Tele Columbus-Netzdurch viele kleine Netzinseln gekennzeichnet ist, die eineAbkopplung von der NE 3 aus wirtschaftlichen Gründenzumeist ohnehin nicht zulassen.

2.5 Bedingungen und Auflagen

2.5.1 Allgemeine Entwicklungen

564. Im Berichtszeitraum wurden nur wenige Fälle un-ter Bedingungen und Auflagen freigegeben. Das Bundes-kartellamt verwendete dabei fast ausschließlich Veräuße-rungsauflagen. In mehreren Fällen hat das Amt einenTreuhänder vorgesehen, der die Trennung des zu veräu-ßernden Geschäftsteils und die anschließende Veräuße-rung durchführt oder zumindest überwacht. Erstmals ist

Page 37: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 288 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

eine derartige Praxis im Fall Smiths Group/MedVest an-gewendet worden.73 Um das Entstehen einer marktbeherr-schenden Stellung auf dem Markt für Sets für invasiveBlutdruckmessung zu vermeiden, wurde die Erwerberge-sellschaft verpflichtet, ihren entsprechenden Geschäftsbe-reich an einen Wettbewerber zu veräußern. Das Bundes-kartellamt hat bei der Umsetzung der Auflage auf dieMustertexte für Zusagen und Treuhändermandate der Eu-ropäischen Kommission zurückgegriffen.74 Dort ist esschon seit längerer Zeit gängige Praxis, Treuhänder zurDurchführung von Zusagen einzusetzen.

565. Die Monopolkommission begrüßt die Tatsache,dass nun auch vom Bundeskartellamt Treuhänder einge-setzt werden, um Veräußerungszusagen umzusetzen. Ge-eignete Treuhändergesellschaften haben fachspezifischesWissen aus dem Bereich der Due Diligence, das es ihnenbesser als dem Bundeskartellamt ermöglicht, die Aufla-gen in sinnvoller Weise zu erfüllen. Eine von der Euro-päischen Kommission erstellte Studie zur Umsetzung vonAuflagen in der europäischen Fusionskontrolle hat ge-zeigt, dass Veräußerungsauflagen in vielen Fällen nichtdie von der Kartellbehörde beabsichtigte Wirkung ha-ben.75 Die Einsetzung eines Treuhänders garantiert keinereibungsfreie Umsetzung einer Auflage, sie kann aber er-heblich dazu beitragen. Es ist zu vermuten, dass diese Er-gebnisse zumindest teilweise auf die deutsche Fusions-kontrolle übertragbar sind.

2.5.2 Die Auswirkung von Stilllegungsauflagen

566. In einem Fall hat das Bundeskartellamt im Berichts-zeitraum eine Stilllegungsauflage verwendet, um die aufeinem Markt entstehenden wettbewerblichen Problemeauszuräumen. Der betreffende Fall, Wilhelm Werhahn/Norddeutsche Mischwerke, betrifft die Übernahme derNorddeutschen Mischwerke (NMW) durch die WilhelmWerhahn KG.76 Der Zusammenschluss wurde unter zahl-reichen Auflagen freigegeben. Konkret forderte das Amtin 31 Fällen eine Veräußerung, in sechs Fällen Änderun-gen des Gesellschaftsvertrags und in zwei Fällen die Still-legung eines Werkes. Gegen die Freigabe wurde von einerder Beigeladenen, einer Wettbewerberin, beim OLG Düs-seldorf Beschwerde eingelegt.

567. Von dem Zusammenschluss ist in erster Linie derMarkt für Asphaltmischgut betroffen, da beide Unterneh-men bundesweit stationäre Aufbereitungsanlagen für dieProduktion von Asphalt betreiben. Da das Asphaltmisch-gut im Heißeinbauverfahren bei einer Temperatur von150 bis 190° C in den Straßenbau eingebracht wird, istder Transport von der Aufbereitungsanlage zum Einsatz-ort relativ teuer und aufwendig. Entsprechend geht dieBeschlussabteilung davon aus, dass der räumlich rele-vante Markt sich im Allgemeinen auf einen Umkreis vonca. 25 km um das betreffende Mischwerk erstreckt. Mo-

difikationen könnten dann erforderlich werden, wenn einUnternehmen mit mehreren Mischwerken und Beteili-gungen an Asphaltmischgutherstellern in der betreffen-den Region tätig sei, so dass sich die einzelnen 25-km-Kreise erheblich überschneiden. Diese werden dann zueinheitlichen Marktgebieten zusammengefasst. So bildenin Abbildung IV.5a die drei Werke von Z1 und die dreiWerke von Z2 einen gemeinsamen räumlichen Markt.

568. Die Zusammenschlussbeteiligten sind überwie-gend in unterschiedlichen Gebieten Deutschlands tätig. Inknapp 20 Regionalmärkten grenzen die Werke von Wer-hahn und NMW jedoch derart aneinander, dass durch denZusammenschluss Wettbewerbsprobleme entstehen. DieVorgehensweise des Bundeskartellamtes in diesen Fällenwird in den Abbildungen IV.5a und IV.5b illustriert. Ab-bildung IV.5a stellt die Lage auf einem beispielhaftenMarkt vor dem Zusammenschluss dar. Die Zusammen-schlussbeteiligten werden mit Z1 und Z2 bezeichnet.Beide betreiben in dem betroffenen Gebiet je drei Misch-werke. Die grauen Kreise um die Punkte stellen den je-weiligen räumlichen Markt dar. Die Kreise um das amweitesten östlich liegende Werk von Z1 und um das amweitesten westlich liegende Werk von Z2 überschneidensich. Dieser Bereich ist in dunklem Grau gekennzeichnet.Hier findet Wettbewerb statt, der durch den Zusammen-schluss eliminiert würde. Das Bundeskartellamt gibt dieFusion unter der Auflage frei, dass das am weitesten imWesten liegende Werk von Z2 an einen Wettbewerber ver-äußert wird. Die dadurch nach dem Zusammenschlussentstehende Situation wird in Abbildung IV.5b darge-stellt. Das nun zusammengeschlossenen Unternehmenwird mit Z, der Wettbewerber mit W bezeichnet. Wettbe-werb kann überall da stattfinden, wo sich der Kreis um Wmit einem der Kreise um Z überlappt. Die Veräußerungs-auflage ist geeignet, die Wettbewerbsverschlechterun-gen, die durch den Zusammenschluss entstehen, zu besei-tigen.

569. Nicht geeignet ist dagegen die in diesem Fall zwei-mal vom Bundeskartellamt verwendete Auflage, einWerk stillzulegen. Die Wirkung einer derartigen Auflagewird in den Abbildungen IV.6a und IV.6b illustriert. DieBezeichnungen sind die gleichen wie in Abbildung IV.5aund IV.5b; N bezeichnet den Einsatzort, an dem ein Nach-frager, typischerweise ein Bauunternehmen, Asphalt-mischgut einzusetzen plant. Wieder besteht vor dem Zu-sammenschluss teilweise Wettbewerb zwischen dem amweitesten östlich gelegenen Werk von Z1 und dem amweitesten westlich gelegenen Werk von Z2. Zudem gibt esWettbewerb zwischen dem westlich gelegenen Werk vonZ2 und einem nördlich gelegenen Wettbewerber in demGebiet, in dem sich die Kreise um Z2 und W schneiden.Der Zusammenschluss wird hier unter der Auflage freige-geben, dass das westlich gelegene Werk von Z2 stillgelegtwird. Die dadurch entstehende leere Fläche ist in Abbil-dung IV.6b durch die Umrisse des Kreises um das ehema-lige Werk von Z2 zu erkennen. Die Beschlussabteilungsieht die Wettbewerbsverschlechterung, die dadurch ein-tritt, dass die Überschneidung der Märkte um Z1 und Z2wegfällt, dadurch kompensiert, dass der nördlich gele-gene Wettbewerber nun die Möglichkeit habe, in dasdurch den leeren Kreis beschriebene Gebiet zu liefern.

73 BKartA, Beschluss vom 15. März 2005, B4-227/04.74 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,

Tz. 817.75 Vergleiche unten Abschnitt 3.5.1 in diesem Kapitel.76 BKartA, Beschluss vom 22. August 2005, B1-29/05.

Page 38: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 289 – Drucksache 16/2460

A b b i l d u n g IV.5a

Marktverhältnisse vor dem Zusammenschluss (Veräußerungsauflage)

A b b i l d u n g IV.5b

Marktverhältnisse nach dem Zusammenschluss (Veräußerungsauflage)

Z2

Z2

Z2

Z1

Z1

Z1

Z2

Z2

Z2

Z2

Z

Z

Z

W

Z

Z

Dort entstehe durch die Stilllegung Wettbewerb zwischenZ und W.

570. Um die Wirkung der Auflage beurteilen zu können,muss zunächst geklärt werden, welcher Zusammenhangzwischen den Kreisen mit 25 km Radius um die einzelnenMischwerke und den tatsächlichen Wettbewerbsverhält-nissen besteht. In der Realität ist davon auszugehen, dassein Mischwerk auch an Orte liefert, die weiter als 25 kmentfernt sind, wenn jemand dort Asphaltmischgut nach-fragt. Umgekehrt ist denkbar, dass bestimmte Nachfragervon einem Mischwerk nie beliefert werden, obwohl siesich in weniger als 25 km Entfernung befinden, da eindeutlich näher gelegenes Mischwerk günstiger liefernkann. Dass die Grenze, bis zu der ein Wettbewerber als re-levant erachtet wird, gerade bei 25 km liegt, ist deshalb

zunächst willkürlich. Die Größenordnung mag darin be-gründet liegen, dass sich die Transportkosten in Relationzu den Kosten des Unterhalts eines weiteren Mischwerksso verhalten, dass der Abstand zwischen zwei Mischwer-ken in der Regel ungefähr 50 km beträgt.

571. Ein Nachfrager im Bereich des weißen Kreises inAbbildung IV.6b, z. B. N, hat die Möglichkeit, sich so-wohl von den beiden östlichen Mischwerken von Z alsauch von W beliefern zu lassen. W und Z stehen insofernin diesem Gebiet im Wettbewerb. Allerdings ist die Ent-fernung zum Einsatzort sowohl für W als auch für Z rela-tiv groß, entsprechend hoch sind die Transportkosten unddemnach auch der Preis für den Nachfrager. Vor dem Zu-sammenschluss, also im Falle der Abbildung IV.6a, hatsich N vermutlich vom benachbarten Mischgut Z2

Page 39: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 290 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

beliefern lassen. Die Situation hat sich für N durch denZusammenschluss und die damit verbundene Stilllegungoffensichtlich verschlechtert. Zwar hat er die Auswahlzwischen drei Mischwerken. Vor der Stilllegung konnteer Asphaltgut jedoch von einem deutlich näher gelegenenMischwerk beziehen. Das Werk des Wettbewerbers Whatte unter Umständen eine Funktion für ihn als Droh-punkt. Denn wären die Preise von Z2 deutlich überhöhtgewesen, hätte er immer noch die weitere Entfernung inKauf nehmen und bei W kaufen können, so dass dieMarktmacht von Z2 dadurch eingeschränkt wurde.

572. Für den Wettbewerber im Norden hat sich die Situa-tion dagegen eindeutig verbessert. Allerdings ist es nach

Ansicht der Monopolkommission nicht Aufgabe der Fusi-onskontrolle, die Wettbewerber zu schützen. Geschütztwerden soll vielmehr der Wettbewerb. In diesem Fall be-deutet das konkret, dass sich die Vielfalt und Qualität desAngebots für die Nachfrager in dem Gebiet der Über-schneidung von Z1 und Z2 durch den Zusammenschlussnicht verringern darf. Tatsächlich verschlechtert sichdurch die Stilllegung nicht nur das Angebot für die Nach-frager in dem in Abbildung IV.6a dunkelgrau gekenn-zeichneten Überschneidungsgebiet, sondern im gesamtenehemaligen Gebiet des westlichen Werkes von Z2, ge-kennzeichnet durch den leeren Kreis in Abbildung IV.6b.Eine Stilllegungsauflage ist demnach nicht geeignet,wettbewerbliche Bedenken auszuräumen.

A b b i l d u n g IV.6a

Marktverhältnisse vor dem Zusammenschluss (Stilllegungsauflage)

A b b i l d u n g IV.6b

Marktverhältnisse nach dem Zusammenschluss (Stilllegungsauflage)

Z2

Z2Z1

Z1

Z1

Z2

W

N

ZZ

Z

Z

W

N

Page 40: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 291 – Drucksache 16/2460

2.6 Verfahrensfragen

2.6.1 Feststellungsinteresse bei Zusammenschlussvorhaben

573. Auch wenn sich eine Verfügung der Kartellbe-hörde bereits durch Zurücknahme oder auf andere Weiseerledigt hat, kann das Beschwerdegericht nach § 71Abs. 2 Satz 2 GWB auf Antrag aussprechen, dass eineVerfügung der Kartellbehörde unzulässig oder unbegrün-det gewesen ist, wenn der Beschwerdeführer ein berech-tigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Das OLG hatim Berichtszeitraum in zwei Fällen das Vorliegen einesFeststellungsinteresses verneint. Der erste Fall betraf denMarkt für Fruchtzubereitung. Obwohl ein nur leicht mo-difizierter Zusammenschluss geplant war, sah das Gerichtkeine Gefahr der Wiederholung und lehnte einen Antragauf Feststellung ab. Der zweite Fall betraf den Kranken-hausmarkt. Hier wurde ein Antrag auf Feststellung eben-falls abgelehnt. Der Antragsteller hatte argumentiert, dasser ein berechtigtes Interesse an der Klärung einer Rechts-frage habe; dies wurde vom Gericht verneint. Die Mono-polkommission kritisiert die zu enge Auslegung derGesetzesvorschrift, die die Möglichkeit einer Feststel-lungsklage praktisch ausschließt.

Keine Wiederholungsgefahr beim Zusammenschluss Agrana/Atys

574. Der Fall Agrana/Atys ist nicht nur wegen seinerAnalyse der Entstehung eines marktbeherrschenden Dyo-pols,77 sondern auch aus verfahrensrechtlicher Sicht vonInteresse. Im Frühjahr 2004 hatte das Bundeskartellamtder Agrana, einer Tochter des Südzucker-Konzerns, dieÜbernahme von Atys, bis dahin mehrheitlich im Besitzder Butler Capital Partners, Paris, untersagt. Atys ist eineHoldinggesellschaft, die in Deutschland über die Atys-DSF GmbH, Konstanz, aktiv ist. In den übrigen europäi-schen Ländern, in denen der nationale Markt für Frucht-zubereitungen ebenfalls betroffen war, wurde der Zusam-menschluss freigegeben. Deshalb konnte Agrana wiegeplant die Atys-Holding übernehmen, nachdem diesedie Atys-DSF GmbH aus Konstanz mit einer Rücker-werbsoption an ihre Minderheitsgesellschafter veräußerthatte. Praktisch wurde damit der deutsche Teil des Zu-sammenschlussvorhabens ausgeklammert und als einzi-ger nicht vollzogen. Unabhängig davon legten die Zu-sammenschlussbeteiligten, Agrana und die Atys-Holding,gegen den Beschluss des Bundeskartellamtes Beschwerdebeim OLG Düsseldorf ein. Das OLG erklärte die Be-schwerde für unzulässig, da Erledigung vorliege. Auchder hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung der for-mellen und materiellen Rechtswidrigkeit der angefochte-nen Verfügung gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB wurdevom OLG für unzulässig erklärt.78

575. In seiner Begründung stellt das OLG zunächst zu-treffend fest, dass sich bei rein wirtschaftlicher Betrach-

tung der ursprünglich und der derzeit geplante Zusam-menschluss nicht unterscheiden. Das Ziel des zuerstangemeldeten Zusammenschlusses war die Übernahmeder Atys, einschließlich ihrer deutschen Tochter Atys-DSF GmbH, Konstanz, durch Agrana. Vom Bundeskar-tellamt geprüft wurden die Auswirkungen des Zusam-menschlusses auf dem deutschen Markt. Ziel des derzeitgeplanten Zusammenschlusses ist die Übernahme desnoch nicht übernommenen deutschen Teils der Atys, derAtys-DSF GmbH, Konstanz, ebenfalls durch Agrana.Entsprechend erhöhe sich, so das Gericht, in beiden Fäl-len der Marktanteil der Agrana auf dem nationalen Marktfür Fruchtzubereitungen um und auf die gleiche Zahl.

576. Trotzdem handelt es sich nach Ansicht des Be-schwerdegerichts bei dem Rückerwerb der Atys-DSFGmbH um ein seinem Wesen nach verändertes Vorhaben,da auf der Veräußererseite unterschiedliche Parteien betei-ligt sind. Ursprünglicher Veräußerer war Butler CapitalPartners, bei dem geplanten Rückerwerb wären es die ehe-maligen Minderheitsgesellschafter der Atys-DSF GmbH,an die Atys DSF verkauft wurde, um den übrigen Zusam-menschluss vollziehen zu können. Da die Minderheitsge-sellschafter der Atys-DSF an dem ursprünglichen Verfah-ren nicht beteiligt waren, sei nicht nur die Untersagunggar nicht an sie adressiert worden, sondern sie hätten auchnicht die Möglichkeit gehabt, an dem betreffenden Ver-fahren mit allen ihnen zustehenden Verfahrensrechtenteilzunehmen. Die Untersagungsverfügung habe sichdemnach erledigt.

577. Der Hilfsantrag auf Feststellung wurde ebenfallsfür unzulässig erklärt. Die Wiederholungsgefahr wärenach Ansicht des Gerichts im vorliegenden Fall der ein-zige Grund für ein Feststellungsinteresse der Zusammen-schlussbeteiligten. Wiederholungsgefahr bestehe, wenndie Rechtslage unklar ist und ihre Klärung für den Be-schwerdeführer im Hinblick auf sein künftiges Verhaltenvon Interesse ist. Dafür sei ausreichend, aber auch erfor-derlich, dass künftig gleiche tatsächliche Verhältnisseherrschen, die gleichen Tatbestandsvoraussetzungen gel-ten und es um dieselben Personen gehen wird. Dieserletzte Punkt sei nicht erfüllt, weil Veräußerer des nun-mehr geplanten Zusammenschlusses nicht mehr ButlerCapital Partners, sondern die ehemaligen Minderheitsge-sellschafter der Atys-DSF GmbH seien.

578. Die Monopolkommission hält die Bedingungen,die das Gericht für das Vorliegen einer Wiederholungsge-fahr stellt, für zu eng. Faktisch führen sie dazu, dass im-mer dann, wenn sich ein Verfahren erledigt hat, auchkeine Wiederholungsgefahr mehr anerkannt werden kann.Im vorliegenden Fall würde sich an der kartellrechtlichenBeurteilung des Falles bei einer erneuten Anmeldung je-doch nichts ändern, nur weil das veräußernde Unterneh-men ein anderes ist. Natürlich müsste eine Übernahmeneu angemeldet werden, schon damit auch der neue Ver-äußerer alle ihm als Beteiligtem zustehenden Verfahrens-rechte nutzen kann. Der Beschwerdeführer hat aber einRecht darauf, dass das Gericht sich zu der kartellrechtli-chen Analyse des Bundeskartellamtes – Entstehung einesmarktbeherrschenden Dyopols – äußert, da diese auch bei

77 Vergleiche Abschnitt 2.4.1 in diesem Kapitel.78 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. November 2004, VI-Kart 13/04

(V), WuW DE-R 1435, Agrana/Atys.

Page 41: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 292 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

der nunmehr geplanten Übernahme der Atys-DSF vonden neuen Eigentümern beim Kartellamtsverfahren zurDiskussion stehen würde.

579. Die Betroffenen haben zunächst gegen den Be-schluss des OLG Rechtsbeschwerde beim BGH einge-legt. Die Rechtsbeschwerde wurde zurückgenommen,nachdem eine modifizierte Form des deutschen Teils desgeplanten Zusammenschlusses in der ersten Phase vomBundeskartellamt freigegeben wurde.79 Dazu wurde derErwerb der Atys-DSF GmbH, Konstanz, gemeinsam mitdem Verkauf des größten Teils der Betriebsstätte Nauen,die etwa 25 Prozent der insgesamt produzierten Menge anFruchtzubereitung herstellt, angemeldet.

Unzulässigkeit einer Beschwerde bei einem Zusammenschluss im Krankenhausbereich

580. Im März 2005 hat das Bundeskartellamt die Über-nahme des Krankenhauses Eisenhüttenstadt durch dieRhön-Klinikum AG untersagt. Die Rhön-Klinikum hattegegen den Beschluss zunächst Beschwerde beim OLGDüsseldorf eingelegt. Sie beantragte die Aufhebung desKartellamtsbeschlusses und hilfsweise die Feststellung,dass die Untersagung unzulässig, jedenfalls unbegründetwar. Nachdem die Rhön-Klinikum ihre Beschwerde zu-rückgenommen hatte, entschied das Gericht, dass dieKosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Be-schwerdegegner entstandenen notwendigen Auslagen vonder Rhön-Klinikum AG zu tragen seien, da davon auszu-gehen ist, dass sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantragunzulässig gewesen wären.80

581. Der Hauptantrag wäre wegen Erledigung unzuläs-sig gewesen, da die Stadt Eisenhüttenstadt von dem Kauf-vertrag mit der Rhön-Klinikum AG zurückgetreten war.Das Gericht hielt die Beschwerde aber auch bezüglich desHilfsantrages auf Feststellung für unzulässig. Ein Fest-stellungsinteresse lasse sich weder aus dem Gesichts-punkt der Wiederholungsgefahr noch mit einer unklarenRechtslage begründen. Ein Feststellungsinteresse wegenunklarer Rechtslage setze voraus, dass die Feststellunggeeignet ist, den Beteiligten eine verlässliche Beurtei-lungsgrundlage für künftige Entscheidungen zu verschaf-fen. Dies sei hier nicht der Fall, da nicht zu erwarten sei,dass in einem künftigen Fall tatsächlich gleiche Verhält-nisse herrschen sowie gleiche Tatbestandsvoraussetzun-gen gelten würden. Vielmehr seien künftige Fälle schonallein deshalb verschieden, weil unterschiedliche Perso-nen beteiligt wären und weil der Zusammenschluss zu ei-nem anderen Zeitpunkt stattfinden würde. Für die Beur-teilung eines künftigen Zusammenschlussvorhabens imkartellbehördlichen Verfahren sei die Tatsachenlage imEntscheidungszeitpunkt maßgebend. Es spreche indesnichts dafür, dass die ermittelten Marktverhältnisse undderen rechtliche Beurteilung ohne weiteres als verbind-lich auch für alle zukünftigen Zusammenschlussvorhabenin dem relevanten Markt gelten sollten. Die Gegebenhei-

ten des Marktes seien schon ihrer Natur nach veränderbar.Jedes weitere Zusammenschlussvorhaben könne deshalbnur dann verlässlich beurteilt werden, wenn konkret aufdie aktuellen Umstände des Einzelfalles abgestellt wird.Dass zukünftig die gleichen tatsächlichen Marktverhält-nisse herrschen würden wie zum Zeitpunkt der Erledi-gung des ursprünglichen Fusionsvorhabens Anfang Juli2005, sei überdies schon deshalb zweifelhaft, weil durchdie angestrebte Veräußerung des Krankenhauses Eisen-hüttenstadt an einen Dritten Bewegung in den Marktkommen wird.

582. Durch die überaus enge Auslegung des Feststel-lungsinteresses läuft die Vorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 2GWB zumindest für den Bereich der Fusionskontrolle insLeere. Denn wenn allein die Tatsache, dass sich Märktekontinuierlich verändern, als Grund dafür angesehenwird, dass nicht nur keine Wiederholungsgefahr, sondernauch keine unklare Rechtslage, an deren Klärung der An-tragsteller ein berechtigtes Interesse hat, bestehen, dannist kein Fall denkbar, in dem das Gericht ein Feststel-lungsinteresse tatsächlich anerkennt. Dies widersprichtjedoch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Man steigt niezweimal in den gleichen Fluss. Dennoch sind Fälle denk-bar, in denen eine Entscheidung des Beschwerdegerichtsüber eine unklare Rechtslage bei der Bewertung künftigerZusammenschlussvorhaben durch das Bundeskartellamtnützlich sein kann, auch ohne dass das Ergebnis derBewertung eines konkreten Falles damit schon vorweggenommen wird. Im vorliegenden Fall ging es beispiels-weise um die Anwendbarkeit der Fusionskontrolle imKrankenhausbereich. Die Zusammenschlussbeteiligtenargumentierten schon im Verfahren beim Bundeskartell-amt, dass das Kartellrecht wegen der Vorschrift des § 69SGB V nicht anwendbar sei. Das Bundeskartellamt ist da-gegen nicht der Ansicht, dass durch § 69 SGB V eine Be-reichsausnahme geschaffen werde. Die Rhön-KlinikumAG hat ein berechtigtes Interesse daran, dass diese Fragegerichtlich geklärt wird, da sie den Erwerb weiterer Kran-kenhäuser plant. Dies ist schon dadurch belegt, dass siezum Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens bereits neue Zu-sammenschlussvorhaben beim Bundeskartellamt ange-meldet hat.

583. Die überaus enge Auslegung des § 71 Abs. 2 GWBist insbesondere deshalb problematisch, da es im Bereichdes Kartellrechts relativ leicht zur Erledigung einer Un-tersagungsverfügung kommt – z. B. wenn nur einer derbeiden Zusammenschlussbeteiligten von dem Kaufver-trag zurücktritt – und es im Kartellrecht nicht wie in an-deren Rechtsgebieten (§ 256 ZPO, § 43 VwGO) die Mög-lichkeit der allgemeinen Feststellungsklage gibt. Dieeinzige Möglichkeit eines Unternehmens, bei Erledigungeines konkreten Falles dennoch Rechtssicherheit übereine grundsätzlichere Frage zu bekommen, besteht dem-nach in der Möglichkeit, ein Fortsetzungsfeststellungsin-teresse nach § 71 Abs. 2 GWB zu bekunden.

584. Freilich sollten sich die Gerichte schon aus Effizi-enzgründen im Allgemeinen darauf konzentrieren, aktu-elle Streitigkeiten und nicht ehemalige Streitigkeiten zuklären. Diesem Anliegen hat die Auslegung der Vor-

79 BKartA, Beschluss vom 7. Dezember 2005, B2-92/05.80 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 2005, VI-Kart 8/05(V).

Page 42: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 293 – Drucksache 16/2460

schrift des § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB Rechnung zu tragen.Im Falle der Anwendbarkeit der Fusionskontrolle imKrankenhaussektor ist jedoch davon auszugehen, dassdiese Frage ohnehin gerichtlich geklärt werden muss, dadie privaten Klinikbetreiber und das Bundeskartellamt indiesem Punkt grundsätzlich anderer Meinung sind. Eswürden also voraussichtlich keine zusätzlichen Ressour-cen des Gerichts verbraucht, wenn die Frage schon jetztgeklärt würde.

2.6.2 Verjährung und Bußgeldhöhe bei Ver-stößen gegen das Vollzugsverbot

585. Im Bereich der Pressefusionskontrolle wurden imBerichtszeitraum eine Reihe von Verstößen gegen dasVollzugsverbot aufgedeckt, Verfahren von Amts wegeneingeleitet und Bußgelder verhängt. Grundsätzlich sindUnternehmen dazu verpflichtet, Zusammenschlüsse vordem Vollzug beim Bundeskartellamt anzumelden (§ 39Abs. 1 GWB). Der Zusammenschluss darf nicht vor Ab-lauf der Monatsfrist bzw. vor einer Freigabeentscheidungdes Bundeskartellamtes vollzogen werden (§ 41 Abs. 1GWB). Erfährt das Bundeskartellamt von einem nicht an-gemeldeten, aber vollzogenen Zusammenschluss, konntees zumindest vor Inkrafttreten der Siebten GWB-Novellevon Amts wegen ein Fusionskontrollverfahren einleitenund den Zusammenschluss damit nachträglich prüfen.81

Im Falle einer Untersagung muss eine Entflechtung derfusionierten Unternehmen erfolgen. Das Amt kann zu-dem ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen die Anmelde-pflicht bzw. gegen das Vollzugsverbot verhängen (§§ 81Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3, 81 Abs. 4 GWB).

586. Konkret hat die für Presse zuständige Beschlussab-teilung beim Bundeskartellamt in mindestens vier Fällenwegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot ein Verfahrenvon Amts wegen eingeleitet und den Beteiligten ein Buß-geld auferlegt. Einer der Zusammenschlüsse wurde unter-sagt. In mindestens drei weiteren Fällen wurde zwar einFusionskontrollverfahren durchgeführt, das zweimal miteiner Untersagung abgeschlossen wurde. Das Amt sahaber davon ab, ein Bußgeldverfahren durchzuführen. Ineinem Fall wurde ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen dieAnzeigepflicht verhängt, aber kein Verfahren eingeleitet.Nach Aussage des Amtes sei ein Fusionskontrollverfah-ren in diesem Fall nicht mehr möglich oder zumindestnicht mehr sinnvoll gewesen, da der betreffende Zusam-menschluss schon fünfzehn Jahre zurückliegt. Schließlichwurde in einem Fall ein angemeldeter Zusammenschlussbereits vor Abschluss des Prüfverfahrens zumindest teil-weise vollzogen. Dieser Verstoß gegen das Vollzugsver-bot wurde ebenfalls mit einem Bußgeld geahndet.

Verstöße gegen das Vollzugsverbot als Dauer- oder Zustandsdelikt

587. In einem der mit einem Bußgeld geahndeten Ver-stöße gegen das Vollzugsverbot liegt der geprüfte Zusam-menschluss zehn Jahre zurück. Die Betroffenen haben ge-gen den Bußgeldbescheid Beschwerde eingelegt. Siebegründeten diese in der Hauptsache damit, dass Verjäh-rung vorliege. Der betreffende Zusammenschluss ist durcheinen im Juni 1995 unterzeichneten und am 1. Juli 1996 inKraft getretenen Vertrag zustande gekommen. Da es sichbeim Verstoß gegen das Vollzugsverbot um ein Zustands-delikt handle, beginne die fünfjährige Verjährungsfrist mitder Schaffung des rechtswidrigen Zustands. Demgegen-über argumentiert das Bundeskartellamt, dass es hier nichtauf die Vollendung, sondern auf die Beendigung der Ord-nungswidrigkeit ankomme. Vollendet sei die Ordnungs-widrigkeit tatsächlich mit Vollzug des Zusammenschlus-ses gewesen. Allerdings solle durch das Vollzugsverbotverhindert werden, dass Marktstrukturen entstehen, beidenen ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellungeinnehme. Solange das kartellrechtswidrig zusammenge-schlossene Unternehmen am Markt auftrete, sei daherauch der Angriff auf das geschützte Rechtsgut noch nichtabgeschlossen. Es handle sich demnach um ein Dauerde-likt, dessen Verjährung frühestens mit Beendigung desrechtswidrigen Zustands beginne.

588. Inhaltlich überzeugt die Argumentation des Bun-deskartellamtes, dass es sich beim Verstoß gegen dasVollzugsverbot um ein Dauerdelikt handelt. Denn derSchaden, der durch einen Zusammenschluss entsteht, dereine marktbeherrschende Stellung begründet oder ver-stärkt, entsteht nicht im Moment des Zusammenschlus-ses, sondern dauerhaft. Dadurch, dass das zusammenge-schlossene Unternehmen über eine marktbeherrschendeStellung verfügt, kann es seinen Gewinn auf Kosten an-derer Marktteilnehmer erhöhen.

589. Da in diesem überhöhten Gewinn der Vorteil liegt,den das Unternehmen aus dem Verstoß gegen das Voll-zugsverbot zieht, sollte zudem die Höhe des Bußgeldesvon der Höhe dieses Vorteils abhängen. In § 17 Abs. 4OWiG ist auch explizit vorgesehen, dass die Geldbußeden wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ord-nungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen soll. Tatsäch-lich hat das Bundeskartellamt in den genannten Fällen dieVorschrift des § 17 Abs. 4 OWiG nicht angewendet. Dasergibt sich schon daraus, dass in den betreffenden Buß-geldbescheiden keinerlei Abschätzung über die Höhe deswirtschaftlichen Vorteils vorgenommen wurde. Eine sol-che ist aber notwendig, um sicherzustellen, dass das Buß-geld die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils nicht unter-schreitet. Die Höhe des Bußgeldes bestimmte sichvielmehr ausschließlich nach Kriterien wie der Wirt-schaftskraft der Betroffenen, danach ob Vorsatz oderFahrlässigkeit vorlag oder danach ob das Unternehmenernsthaft versucht, künftig derartige Verstöße zu vermei-den, beispielsweise durch Veränderungen in der Organi-sationsstruktur. Es wäre jedoch konsequent, ein höheresBußgeld zu verhängen, je länger und je stärker ein Unter-nehmen aus seiner marktbeherrschenden Stellung Nutzen

81 An dieser Stelle soll nicht geklärt werden, ob durch die Neufassungdes § 41 Abs. 3 GWB in der Siebten GWB-Novelle eine nachträgli-che Anmeldung inzwischen noch möglich ist oder ob ein vollzogenerZusammenschluss, der vor dem Vollzug nicht angemeldet worden ist,nur noch im Rahmen eines nicht fristgebundenen Auflösungsverfah-rens geprüft werden kann. Die Frage ist hier nicht von Belang, da diehier geführte Diskussion über die Verjährung und die Höhe des Buß-geldes auf Auflösungsverfahren nach § 41 Abs. 3 GWB n. F. über-tragbar ist.

Page 43: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 294 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gezogen hat. Insofern ist es zu bedauern, dass in der Sieb-ten Novelle des GWB die Vorschrift des § 17 Abs. 4OWiG für den Bereich des Kartellrechts von einer Soll-in eine Kann-Vorschrift abgemildert wurde (§ 81 Abs. 5GWB n. F.).

Allgemeine Verletzungen der Anmeldepflicht

590. Die Tatsache, dass eine ganze Reihe von Verstößengegen das Vollzugsverbot im Bereich Presse während derletzten zwei Jahre aufgedeckt wurde, wirft die Frage auf,ob es sich hier um einen Sonderfall handelt. Dafür sprichtdie Tatsache, dass einige der Bußgelder in Fällen ver-hängt wurden, die nur wegen der niedrigeren Aufgreif-schwellen im Pressebereich anmeldepflichtig gewesenwären. Die betroffenen Unternehmen sind teilweise sehrklein, so dass davon ausgegangen werden kann, dass siedie Vorschriften des GWB nicht kennen. Allerdings giltdies nur für einen Teil der Zusammenschlüsse. In einigenFällen ist die Anmeldung offensichtlich vorsätzlich unter-lassen worden. Zudem gab es auch in anderen Sektoreneine Reihe von Zusammenschlüssen, die nicht angemel-det wurden. Teilweise handelt es sich dabei um Fälle, indenen nach Ansicht der Zusammenschlussbeteiligten garkein Zusammenschlusstatbestand vorliegt, das Amt abereine zumindest vorsorgliche Anmeldung für notwendiggehalten hätte. Beispielhaft seien hier einige Zusammen-schlüsse im Bereich der Krankenhausfusionskontrolle ge-nannt sowie die Übernahme der Blutspendedienste derUniversitätskliniken Tübingen und Heidelberg durch denDRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg-Hessen. Eskann demnach davon ausgegangen werden, dass die Ver-letzung der Anmeldepflicht kein sektorspezifisches, son-dern ein allgemeines Problem darstellt. Da das Motiv,eine Anmeldung zu unterlassen, darin besteht, einen Zu-sammenschluss zu vollziehen, der ansonsten wahrschein-lich untersagt würde, kann auch schon eine kleine Zahlvon Verletzungen der Anmeldepflicht relativ gravierendeAuswirkungen haben. Denn die Wahrscheinlichkeit, dassein vorsätzlich nicht angemeldeter Zusammenschluss un-tersagt worden wäre, ist deutlich höher als die Wahr-scheinlichkeit, dass ein vorschriftsgemäß angemeldeterZusammenschluss untersagt wird.

591. Um beurteilen zu können, wie ernst das Problemdes Verstoßes gegen das Vollzugsverbot ist, ist demnacheine zweistufige Untersuchung durch die Kartellbehördenanzuraten. Zunächst muss abgeschätzt werden, wie oftgegen das Vollzugsverbot verstoßen wird. Dazu könntebeispielsweise die Fusionstätigkeit einer Stichprobe vonUnternehmen in einem bestimmten Zeitraum untersuchtund die dabei ermittelten Zusammenschlüsse mit denbeim Bundeskartellamt vorliegenden Anmeldungen ver-glichen werden. Als zweites muss ermittelt werden, wieviele der nicht angemeldeten Zusammenschlüsse unter-sagt worden wären. Bei einer solchen Untersuchung kön-nen auch Erkenntnisse darüber gewonnen werden, beiwelcher Art von Unternehmen ein Verstoß gegen dasVollzugsverbot eher zu erwarten ist. Solche Erkenntnissesind hilfreich, wenn Ermittlungen durchgeführt werdensollen, um die Durchsetzung des Vollzugsverbotes zu ver-bessern.

3. Europäische Fusionskontrolle*

3.1 Einführung

592. Der Berichtszeitraum 2004/2005 stand ganz imZeichen der zweiten Reform der europäischen Fusions-kontrollregeln. Am 1. Mai 2004 trat die Verordnung 139/2004 in Kraft, mit der die Verordnung 4064/89 abgelöstwurde.82 Die wohl wichtigste Änderung betrifft das mate-rielle Untersagungskriterium in Artikel 2 der Fusionskon-trollverordnung (FKVO), das durch die Aufnahme des sogenannten SIEC(Significant Impediment of EffectiveCompetition)-Tests erweitert wurde. Nach der neuen Re-gelung sind Zusammenschlüsse zu untersagen, soferndurch sie wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Marktoder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich be-hindert würde, insbesondere durch Begründung oder Ver-stärkung einer beherrschenden Stellung. Eine weitere ma-terielle Neuerung besteht in der Möglichkeit, künftigEffizienzvorteile zu berücksichtigen, wie sie in Erwä-gungsgrund 29 der neuen FKVO erwähnt sind. Danebenwurde das Verweisungsregime grundlegend geändert.Insbesondere haben jetzt auch die Zusammenschlusspar-teien die Befugnis, eine Verfahrensabgabe an die Mit-gliedstaaten bzw. die Europäische Kommission anzure-gen. Neben anderen verfahrensrechtlichen Reformen istferner vor allem auf die Änderung der Fristen bei Zusa-genfällen hinzuweisen.

Im Berichtszeitraum konnte die Europäische Kommissionerste Erfahrungen mit der Anwendung der geändertenVorschriften sammeln. Dabei hat sie auch den more eco-nomic approach, also eine stärker ökonomisch orientierteVorgehensweise, weiterverfolgt. Dies schlägt sich zum ei-nen in den Leitlinien zu horizontalen Zusammenschlüs-sen nieder, welche die Kommission im Februar 2004 ver-öffentlichte.83 Zum anderen lässt sich an der BrüsselerEntscheidungspraxis ablesen, dass bei der Beurteilungeinzelner Zusammenschlüsse verstärkt ökonomische An-sätze und quantitative Untersuchungsmethoden herange-zogen worden sind.

593. Einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion umdie Anwendung der europäischen Fusionskontrolle bilde-ten die konglomeraten und vertikalen Zusammen-schlüsse. Diese Auseinandersetzung gewinnt vor demHintergrund der Gerichtsverfahren in den Fällen Europäi-sche Kommission/Tetra Laval, General Electric/Europäi-sche Kommission und Honeywell/Europäische Kommis-sion besondere Aktualität. Im Berichtszeitraum äußertensich sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) als

82 Die Monopolkommission hat bisher im Anhang C ihrer Hauptgutach-ten eine Übersicht über die Fusionskontrollentscheidungen der Euro-päischen Kommission veröffentlicht. Auf diese Übersicht wird mitdem nun vorliegenden Hauptgutachten erstmals verzichtet, da dieEntscheidungen der Europäischen Kommission auf deren websitehttp://europa.eu.int/comm/competition/mergers/cases/ zu finden sind.

82 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 überdie Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusions-kontrollverordnung“), ABl. EU Nr. L 24 vom 29. Januar 2004, S. 1.

83 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß derRatsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammen-schlüssen, ABl. EU Nr. C 31 vom 5. Februar 2004, S. 5.

*

Page 44: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 295 – Drucksache 16/2460

auch das Gericht erster Instanz (EuG) zu dem Themen-komplex. Die ergangenen Urteile werden für die künftigeAusrichtung der Fusionskontrolle bei nichthorizontalenZusammenschlüssen von besonderer Bedeutung sein. ImBerichtszeitraum bestätigte die Rechtsprechung außer-dem zum ersten Mal seit drei Jahren eine Untersagungs-verfügung der Europäischen Kommission.

594. Nach Angaben der Europäischen Kommissionwurden im Berichtszeitraum 562 Zusammenschlussvor-haben in Brüssel angemeldet. Davon entfielen 249 Fälleauf das Jahr 2004, die restlichen 313 Notifizierungen gin-gen im Jahr 2005 ein. Damit stieg die Zahl der Anmel-dungen im Vergleich zum Berichtszeitraum 2002/2003(491 Fälle) um etwa 15 Prozent. Sie blieb allerdings im-mer noch weit hinter den 680 Notifizierungen in den Jah-ren 2000/2001 zurück.

595. Im Berichtszeitraum beantragten die Mitgliedstaa-ten elfmal eine Verfahrensabgabe an die nationalen Be-hörden gemäß Artikel 9 FKVO. Hiervon kam es in vierFällen zur teilweisen, in weiteren fünf Verfahren zur voll-ständigen Verweisung. Dem von deutscher Seite gestell-ten Verweisungsantrag im Fall Bertelsmann/Springer kamdie Europäische Kommission nicht nach, sondern behan-delte das Zusammenschlussvorhaben selbst. Von den Mit-gliedstaaten gingen außerdem fünf Anträge nach Arti-kel 22 FKVO auf Verweisung an die Kommission aus.Nur in einem Fall verweigerte Brüssel die Übernahme desVerfahrens.

Seit dem 1. Mai 2004 hat sich das Verweisungsregimegrundlegend geändert. Mit dem Inkrafttreten der VO 139/2004 verfügen nicht mehr nur die Mitgliedstaaten überdie Befugnis, einen Verweisungsantrag nach Artikel 9oder Artikel 22 FKVO zu stellen. Die Regelungen desArtikel 4 Abs. 4 und 5 FKVO erlauben es nunmehr auchden Zusammenschlussparteien, eine Änderung der Zu-ständigkeit zu beantragen. Im Berichtszeitraum haben dieUnternehmen in 16 Fällen eine Verweisung an den betrof-fenen Mitgliedstaat nach Artikel 4 Abs. 4 FKVO ange-regt. Die Zahl der Anträge auf Verweisung an die Euro-päische Kommission liegt mit 47 noch deutlich höher. Inzwei Fällen haben die betroffenen Mitgliedstaaten von ih-rem Vetorecht Gebrauch gemacht, so dass es bei der ur-sprünglichen Zuständigkeit der nationalen Behördenblieb.

Wie erwartet hat das neue Verweisungsregime zu einemdeutlichen Anstieg der Verfahrensabgaben geführt. DieUnternehmen haben in großem Umfang von ihren neuenBefugnissen Gebrauch gemacht. Im Gegenzug ist dieZahl der Verweisungsanträge nach Artikel 9 FKVO deut-lich gesunken. Viele der möglichen Verweisungskandida-ten sind wohl schon auf Initiative der Unternehmen in dienationale Zuständigkeit gelangt. Die Zahl der Fälle nachArtikel 22 FKVO ist dagegen sogar noch angestiegen.Das dürfte mit der Neuformulierung der genannten Rege-lung zusammenhängen, die ihre Anwendung wesentlicherleichtert.

596. In den zurückliegenden zwei Jahren gab die Euro-päische Kommission insgesamt 523 Zusammenschluss-

vorhaben in der ersten Verfahrensphase frei. Sämtlicheangemeldeten Vorhaben fielen in den Anwendungsbe-reich der FKVO, so dass keine Entscheidung nachArtikel 6 Abs. 1 lit a FKVO ergehen musste. In 496 Fäl-len sah die Europäische Kommission keinen Anlass zuwettbewerblichen Bedenken und erließ Freigabeentschei-dungen nach Artikel 6 Abs.1 lit b FKVO. 27 Vorhabenwurden gemäß Artikel 6 Abs. 1 lit b i. V. m. Abs. 2FKVO unter Bedingungen und Auflagen genehmigt. ImVergleich zum vorigen Berichtszeitraum mit 21 Entschei-dungen dieser Art ist ein leicht überproportionaler An-stieg der Verfahren zu verzeichnen, die innerhalb der ers-ten Prüfungsphase unter Bedingungen und Auflagenabgeschlossen wurden.

597. Die Europäische Kommission eröffnete in 18 Fällendie zweite Verfahrensphase mit einer Entscheidung nachArtikel 6 Abs. 1 lit c FKVO. Davon wurden zwölf Fälle imBerichtszeitraum abgeschlossen: Vier Zusammenschluss-vorhaben – Oracle/Peoplesoft, Sony/BMG, Bertelsmann/Springer sowie Blackstone/Acetex – gab die Kommissionnach vertiefter Prüfung ohne Bedingungen und Auflagenfrei. Die ersten beiden Entscheidungen ergingen noch auf-grund der alten Gesetzeslage gemäß Artikel 8 Abs. 2FKVO, die beiden letztgenannten Verfügungen wurdenauf der Basis der reformierten Fusionskontrollverordnunggemäß Artikel 8 Abs. 1 FKVO genehmigt. In sieben Ver-fahren mussten die beteiligten Unternehmen Abhilfemaß-nahmen anbieten. Daraufhin wurden auch die Zusammen-schlüsse Lagardère/Natexis/VUP, Areva/Urenco/ETC JV,Sonoco/Ahlstrom, Continental/Phoenix sowie Siemens/VA Tech, Johnson & Johnson/Guidant und E.ON/Mol ge-mäß Artikel 8 Abs. 2 FKVO erlaubt. Damit liegt die An-zahl der Zweite-Phase-Entscheidungen mit Bedingungenund Auflagen deutlich unter dem Niveau früherer Be-richtszeiträume: 2002/2003 ergingen bei einer niedrigerenGesamtzahl von Anmeldungen immerhin elf derartigerVerfügungen, in den Jahren 2000/2001 und 1998/1999 wa-ren es sogar 22 bzw. zwölf.

598. Die zu beobachtende Zurückhaltung der Europäi-schen Kommission erstreckt sich auch auf die Untersa-gung von Zusammenschlüssen. Damit setzt sich eine Ent-wicklung fort, die im Jahr 2002 begonnen hat. Nachdemsowohl 2002 als auch 2003 kein einziges Zusammen-schlussverbot ergangen war, sprach die Kommission imDezember 2004 erstmals wieder eine Untersagung aus.Das Vorhaben EDP/ENI/GDP betraf die portugiesischenGas- und Strommärkte und hätte nach Ansicht der Euro-päischen Kommission zur Verstärkung marktbeherr-schender Positionen auf verschiedenen Märkten geführt.Inzwischen hat das Gericht erster Instanz die Verbotsver-fügung bestätigt. Weitere Untersagungsentscheidungenergingen im Berichtszeitraum nicht. Die Gesamtzahl derUntersagungen erhöhte sich daher nur leicht von 18 auf19 Fälle.

Nur wenig relativiert wird dieses Bild, wenn man dieRücknahme der Anmeldungen seitens der Zusammen-schlussbeteiligten in die Betrachtung einbezieht. Waren inden Jahren 2002/2003 lediglich vier Rücknahmen zu ver-zeichnen, sind im jetzt vorliegenden Berichtszeitraum

Page 45: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 296 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

immerhin 14 Vorhaben aufgegeben worden. Eine gewisseVorfeldwirkung der behördlichen Fusionskontrolle istalso zweifellos zu konstatieren. Allerdings ist nicht zuverkennen, dass diese Wirkung in den Jahren 1998/1999bei 527 Anmeldungen und 2000/2001 bei 680 Anmeldun-gen mit 21 bzw. 26 Fällen noch deutlich ausgeprägterwar.

599. Die Gründe für die anhaltende Zurückhaltung derEuropäischen Kommission dürften vielgestaltig sein. Miteiner deutlichen Abnahme der Fusionstätigkeit wie imletzten Berichtszeitraum ist sie allerdings nicht zu erklä-ren. Denn das Niveau der Anmeldungen in den beidenletzten Jahren übertrifft schon wieder den Stand des Be-richtszeitraums 1998/1999, in dem immerhin drei Unter-sagungen bei 527 Anmeldungen ergingen. In den Jahren2000/2001 wurden bei 680 Notifizierungen sogar siebenVerbote ausgesprochen. Erklären lassen dürfte sich dasVerhalten der Europäischen Kommission jedenfalls zumTeil mit gewissen rechtlichen Unsicherheiten bei der An-wendung der FKVO. Diese betrafen z. B. die Frage, obauch unilaterale Effekte im Oligopol von den bisherigengesetzlichen Regelungen erfasst waren. Wie der FallSony/BMG nahe legt, hat es die Kommission insofernnicht auf eine gerichtliche Klärung ankommen lassen, sodass Rechtssicherheit erst mit dem Inkrafttreten der neuenFusionskontrollregeln am 1. Mai 2004 eingetreten ist.Unsicherheiten rechtlicher sowie ökonomischer Natur be-stehen ferner bei der Anwendung der FKVO auf konglo-merate und vertikale Zusammenschlüsse, beispielhaftseien hier nur die Fälle Tetra Laval/Sidel und GeneralElectric/Honeywell genannt. Es ist davon auszugehen,dass die Europäische Kommission die Rechtsprechung inden betroffenen Fällen abgewartet hat, um ihre künftigePraxis bei der Behandlung nichthorizontaler Zusammen-schlüsse darauf abzustimmen. Die richtungweisenden Ur-teile des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts ers-ter Instanz ergingen jedoch erst in der zweiten Hälfte bzw.am Ende des Berichtszeitraums. Eine gewisse Rolledürfte ferner die Rechtsprechung zur behördlichen Zusa-genpraxis spielen. In mehreren Urteilen bekräftigten dieGerichte ihre Auffassung, dass die Europäische Kommis-sion auch verhaltensorientierte Zusagen im Einzelnenprüfen muss und nicht ohne weiteres zurückweisen darf.Damit erhöhen sich die Chancen, dass ein wettbewerblichproblematischer Zusammenschluss aufgrund von Bedin-gungen und Auflagen letztlich doch genehmigungsfähigist.

600. Daneben wirken wahrscheinlich die Urteile, mitdenen im Jahr 2002 drei Untersagungsentscheidungen derKommission aufgehoben worden sind, noch nach. Da-mals hatte die Rechtsprechung insbesondere die fehler-hafte Beweisführung und ökonomische Fundierung derbehördlichen Beschlüsse gerügt. In der Zurückhaltungder Europäischen Kommission dürften sich auch dieSchwierigkeiten widerspiegeln, den vom Gericht aufge-stellten hohen Beweisanforderungen im Einzelfall ge-recht zu werden. So hat die Kommission zwar in mehre-ren Zweite-Phase-Fällen noch nach der vertieftenUntersuchung des Zusammenschlussvorhabens ernsthaftewettbewerbliche Probleme angenommen, auf eine Unter-

sagung aber ausdrücklich wegen unzureichender Beweis-lage verzichtet. Diese Entwicklung wird sich möglicher-weise in Zukunft etwas abschwächen. Die jüngereRechtsprechung enthält nämlich gewisse Anzeichen da-für, dass die Gerichte geneigt sind, den behördlichen Be-urteilungsspielraum wieder etwas auszudehnen.

3.2 Zuständigkeitsverteilung3.2.1 Änderung der Zwei-Drittel-Regelung?601. Der Anwendungsbereich der Fusionskontrollver-ordnung wird in Artikel 1 FKVO geregelt. Die gemein-schaftsweite Bedeutung eines Zusammenschlusses unddamit die Zuständigkeit der Europäischen Kommissionsind gemäß Artikel 1 Abs. 2 und 3 FKVO gegeben, wenndie am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen be-stimmte Umsatzschwellen erreichen und jeweils nichtmehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Ge-samtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzie-len. Von der Reform der FKVO wurden diese Regelungennicht tangiert. Sowohl die Höhe der Umsatzschwellen alsauch die so genannte Zwei-Drittel-Regelung standen inder Vergangenheit jedoch immer wieder im Mittelpunktvon Diskussionen. So hatte die Europäische Kommissionerst im Rahmen der letzten Reform versucht, die inAbs. 3 genannten Umsatzschwellen ganz zu streichen,um auf diese Weise sämtliche so genannte Mehrfachan-meldungsfälle in den Kompetenzbereich Brüssels zu zie-hen. Dieses Vorhaben war allerdings an der Kritik derMitgliedstaaten gescheitert.

602. Den Auslöser für erneute Reformüberlegungen bil-dete der Fall Gas Natural/Endesa, der im September 2005bei den spanischen Wettbewerbsbehörden angemeldetwurde und die Fusion des etablierten spanischen Gasun-ternehmens mit einem der beiden größten spanischenStromerzeuger betraf. Endesa, die sich gegen ihre Über-nahme durch Gas Natural wehrte, bestritt die Zuständig-keit der nationalen Behörden und reichte bei der Europäi-schen Kommission Beschwerde wegen unterlassenerAnmeldung des Zusammenschlusses in Brüssel ein. Nacheingehender Prüfung der Beschwerde kam die Europäi-sche Kommission zu dem Ergebnis, dass beide Unterneh-men jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschafts-weiten Umsatzes in Spanien erzielen. Die Kommissionkonnte daher keine gemeinschaftsweite Bedeutung desZusammenschlusses i. S. d. Artikel 1 FKVO feststellenund erklärte sich für unzuständig.84

Das Verfahren veranlasste die Europäische Kommissionjedoch dazu, über eine Änderung bzw. Aufgabe der Zwei-Drittel-Regelung nachzudenken. Der Fall Gas Natural/Endesa zeige deutlich, dass diese Regelung auch solcheFälle von der europäischen Jurisdiktion ausschließe, diebeträchtliche grenzüberschreitende Effekte aufwiesen.Das Zusammenschlussvorhaben falle nicht in den An-

84 Endesa hat am 29. November 2005 Klage beim Gericht erster Instanzgegen die Entscheidung der Europäischen Kommission eingelegt,Rs. T-417/05. Endesas Antrag auf einstweilige Anordnung wurde mitBeschluss vom 1. Februar 2006 vom Präsidenten des EuG zurückge-wiesen, Rs. T-417/05 R.

Page 46: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 297 – Drucksache 16/2460

wendungsbereich der FKVO, obwohl es zur Entstehungeines der größten Energieunternehmen in Europa führeund mit erheblichen Auswirkungen auf den europäischenEnergiemarkt zu rechnen sei. Außerdem komme es durchdie Zwei-Drittel-Regelung zu einer unerwünschten Kom-petenzaufteilung zwischen der Europäischen Kommis-sion und den nationalen Wettbewerbsbehörden. Es müssestattdessen gewährleistet sein, dass substantiell vergleich-bare Zusammenschlussvorhaben konsistent beurteilt wür-den. Inzwischen hat die Europäische Kommission dieMitgliedstaaten aufgefordert zu untersuchen, in wie vie-len Fällen die Zwei-Drittel-Regelung für die nationaleZuständigkeit maßgebend war. Konkrete Reformvor-schläge seitens der Kommission sind bislang noch nichtveröffentlicht.

603. Die Monopolkommission hält die in Artikel 1FKVO enthaltene Zwei-Drittel-Regelung im Grundsatzfür geeignet, nationale und Gemeinschaftskompetenzensachgerecht abzugrenzen. Sie sieht jedoch das Bedürfnisfür eine Ergänzung dieser Regelung, die der Gemein-schaftsdimension Rechnung trägt, welche auch rein natio-nalen Zusammenschlüssen anhaften kann. Eine Änderungder gegenwärtigen Kompetenzverteilung empfiehlt sichinsbesondere mit Hinblick auf Zusammenschlüsse in Netz-industrien. Diesen Branchen ist gemeinsam, dass traditio-nell nationale oder kleinere Märkte mit monopolistischerPrägung vorliegen. Die Zwei-Drittel-Regelung führt hierzu einer rückwärts gewandten Beurteilung der Kompe-tenzverteilung, die sich vornehmlich an den Verhältnissender Vergangenheit orientiert. Zusammenschlussvorhabenin diesen Branchen werden indes gerade auch mit derAusrichtung auf eine künftige europaweite Unternehmens-tätigkeit geplant und erhalten vor dem Hintergrund sichöffnender nationaler Märkte eine gemeinschaftsweite Di-mension.

Darüber hinaus erscheint in Netzindustrien das Risiko be-sonders groß, dass sich bei der Beurteilung von Fusionendurch nationale Behörden industriepolitische Interessenunter Vernachlässigung wettbewerblicher Kriteriendurchsetzen. Während die Europäische Kommission unddas Bundeskartellamt in den Fällen Veba/Viag und RWE/VEW noch eng miteinander kooperierten, ist die Gefahrindustriepolitischer Einflussnahme auf der Ebene einzel-ner Mitgliedstaaten in jüngerer Vergangenheit offensicht-lich. Die Regierungen dieser Mitgliedstaaten bemühensich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bishin zu legislativen Aktivitäten, Übernahmen aus demAusland zu verhindern und nationale Lösungen zu schaf-fen. Die Europäische Kommission prüft gegenwärtig, obdabei möglicherweise sogar gegen geltendes EG-Rechtverstoßen wurde. Zu erinnern ist ferner an die „poisonpill“, mit der der Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie die Ministererlaubnis im Fall E.ON/Ruhrgasverknüpft hat. E.ON musste sich verpflichten, vor derVeräußerung einer Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit ander Ruhrgas an ein drittes Unternehmen die Einwilligungdes Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologieeinzuholen. Außerdem wurde E.ON auferlegt, unter be-stimmten Umständen auf Verlangen des Ministeriumssämtliche von ihr oder von verbundenen Unternehmen

gehaltenen Aktien der Ruhrgas an einen Dritten zu veräu-ßern. Vor diesem Hintergrund kann die Regelung zur Zu-ständigkeitsverteilung zur Folge haben, dass auch wettbe-werbsbeschränkende Zusammenschlüsse genehmigt undMarktzutrittsbarrieren erhöht werden. Auf diese Weisewird die europäische Wettbewerbspolitik, die sich geradeum den Abbau von Marktzutrittsschranken bemüht, kon-terkariert.

604. Die Europäische Kommission verfügt zwar seit derjüngsten FKVO-Reform über die Möglichkeit, Mitglied-staaten zu einer Verfahrensabgabe nach Brüssel aufzufor-dern. Eine solche Aufforderung dürfte aber angesichts dergenannten nationalstaatlichen Interessen kaum Erfolgversprechen. Die Monopolkommission plädiert daher füreine gesetzgeberische Lösung, die es der EuropäischenKommission in bestimmten Fällen erlaubt, die Kontrollevon Zusammenschlussvorhaben unabhängig vom Ein-greifen der Zwei-Drittel-Regelung an sich zu ziehen. Eineentsprechende Ausnahmeregelung sollte zwei Kriterienenthalten: Zum einen muss der Zusammenschluss Aus-wirkungen auf einen Markt haben, der in der Vergangen-heit für den grenzüberschreitenden Wettbewerb geschlos-sen war, zum anderen muss dieser Markt inzwischenaufgrund europarechtlicher Regelung für den grenzüber-schreitenden Wettbewerb geöffnet worden sein.

605. Die Monopolkommission geht davon aus, dass diefür eine Gesetzesänderung notwendige Zustimmung sei-tens der Mitgliedstaaten aus den oben genannten Gründennur schwer zu erlangen sein wird. Sie hat sich mit demAspekt der Kompetenzverteilung bereits in ihrem Sonder-gutachten zur Ministererlaubnis im Verfahren E.ON/Ruhrgas befasst und auf Prüfungsbefugnisse hingewie-sen, über welche die Europäische Kommission schon delege lata verfügt.85 Möglicherweise könnten diese Überle-gungen der Europäischen Kommission Argumentations-hilfe in den Verhandlungen über eine Gesetzesänderungliefern. Der Bundesregierung wird empfohlen, ein ent-sprechendes Gesetzesvorhaben zu unterstützen.

3.2.2 Verweisungsregime und -praxis

3.2.2.1 Die Reform der Verweisungsregeln

606. Die Fusionskontrollverordnung sah von Anfang anAusnahmen von den starren quantitativen Zuständigkeits-schwellen des Artikel 1 FKVO vor, um eine gewisse„Feinsteuerung“ der Kompetenzverteilung zu ermögli-chen. So benennt Artikel 9 FKVO die Voraussetzungen,unter denen ein Zusammenschlussvorhaben, das die Um-satzschwellen des Artikel 1 FKVO erreicht, zur Prüfungan die nationalen Wettbewerbsbehörden verwiesen wer-den kann. Umgekehrt können die Mitgliedstaaten gemäßArtikel 22 FKVO darum ersuchen, dass die EuropäischeKommission einen Zusammenschluss beurteilt, obwohldieser die Kriterien des Artikel 1 FKVO nicht erfüllt.

85 Vergleiche Monopolkommission, Zusammenschlussvorhaben derE.ON AG mit der Gelsenberg AG und der E.ON AG mit der Berge-mann GmbH, Sondergutachten 34, Baden-Baden 2002, Tz. 221 ff.

Page 47: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 298 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

607. Mit der neuen VO 139/2004 wurden die Verwei-sungsregeln einerseits grundlegend erweitert, andererseitsbestehende Vorschriften modifiziert.86 Völlig neu ist dieBefugnis der am Zusammenschluss beteiligten Unterneh-men, um eine Verweisung zu ersuchen. Gemäß Artikel 4Abs. 4 FKVO können die Parteien die Prüfung ihres Zu-sammenschlussvorhabens bei einem Mitgliedstaat bean-tragen, obwohl an sich die Zuständigkeit der Europäi-schen Kommission gegeben ist. Zur Begründung müssendie Parteien vortragen, dass der Zusammenschluss denWettbewerb in einem Markt innerhalb eines Mitglied-staats erheblich beeinträchtigen könnte. Umgekehrt siehtArtikel 4 Abs. 5 FKVO die Möglichkeit vor, dass ein reinnationaler Fall auf Betreiben der Unternehmen in die Zu-ständigkeit Brüssels übergeht. Die Antragsoption bestehtimmer dann, wenn der Zusammenschluss nach dem Wett-bewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüftwerden könnte. Bei beiden Alternativen muss der Verwei-sungsantrag vor der Anmeldung gestellt werden. Die Mit-gliedstaaten verfügen sowohl im Rahmen des Artikel 4Abs. 4 als auch des Abs. 5 FKVO über ein Vetorecht. DieEuropäische Kommission ist nur im Fall des Absatz 5 anden Verweisungsantrag gebunden, im Fall einer Verfah-rensabgabe an eine nationale Wettbewerbsbehörde stehtihr ein Ermessensspielraum zu. Die Regelungen sollendem Bedürfnis der Wirtschaft nach Verfahrenserleichte-rung und -beschleunigung nachkommen. Gemäß Artikel4 Abs. 6 FKVO hat die Europäische Kommission demRat spätestens bis 1. Juli 2009 einen Bericht über dasFunktionieren der Absätze 4 und 5 vorzulegen. Der Ratkann im Anschluss an diesen Bericht auf Vorschlag derKommission die genannten Absätze mit qualifizierterMehrheit ändern.

608. Lediglich geringfügig verändert findet sich Artikel9 FKVO im Gesetzestext wieder, auf dessen Grundlageein Mitgliedstaat die Verweisung an die nationale Wettbe-werbsbehörde beantragen kann. Es bleibt weiterhin beiden zwei Antragsalternativen nach Artikel 9 Abs. 2 lit. aund b FKVO. Allerdings muss der antragstellende Mit-gliedstaat in der ersten Alternative jetzt nicht mehr dieGefahr der Entstehung oder Verstärkung einer marktbe-herrschenden Stellung darlegen, sondern die Drohung ei-ner erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung. Damitdürfte der Gesetzgeber auf die Neuformulierung des Un-tersagungskriteriums reagiert haben, obwohl festzuhaltenist, dass in Artikel 2 Abs. 2 und 3 FKVO nicht von einerBeeinträchtigung, sondern einer erheblichen Behinderungdes Wettbewerbs die Rede ist. In Artikel 9 Abs. 6 FKVOwerden die Mitgliedstaaten nunmehr aufgefordert, einenverwiesenen Fall ohne unangemessene Verzögerung zuentscheiden. Dem Ziel der Beschleunigung dient auch dieVerpflichtung der nationalen Wettbewerbsbehörden, denZusammenschlussparteien innerhalb von 45 Arbeitstagennach der Verweisung das Ergebnis ihrer vorläufigen Un-tersuchung sowie die geplanten Maßnahmen mitzuteilen.

609. Verbessert wurde die Regelung des Artikel 22FKVO, wonach ein oder mehrere Mitgliedstaaten einenZusammenschluss an die Europäische Kommission abge-ben können. In der Vergangenheit wies die Vorschrift er-hebliche verfahrensrechtliche Defizite auf, die nun we-nigstens teilweise ausgeräumt scheinen. Mit der neuenFassung des Artikel 22 FKVO wurde unter anderem derBeginn der Antragsfrist konkretisiert und festgestellt,dass die nationalen Prüffristen bis zur Entscheidung überdie Zuständigkeit gehemmt bleiben. Eine weitere Neue-rung enthält Artikel 22 Abs. 5 FKVO, wonach die Euro-päische Kommission einen oder mehrere Mitgliedstaatenauffordern kann, einen Antrag auf Verweisung zu stellen.Eine entsprechende Befugnis der Kommission enthältauch Artikel 9 Abs. 1 FKVO. Eine Verpflichtung der auf-geforderten Mitgliedstaaten zur Antragstellung resultiertdaraus allerdings in beiden Fällen nicht. Auch ist bislangkein Zusammenschluss ersichtlich, in dem die Kommis-sion von ihrem neu eingeführten Recht Gebrauch ge-macht hat.

610. Ergänzt werden die Artikel 4, 9 und 22 FKVOdurch die Erwägungsgründe der FKVO87 und die Mittei-lung der Europäischen Kommission über die Verweisungvon Fusionssachen.88 Letztere sollen in allgemeiner Formdie Überlegungen erläutern, die dem Verweisungssystemzugrunde liegen und eine allgemeine Orientierungshilfegeben. Dargelegt werden unter anderem die Neuerungendes Systems, die rechtlichen Voraussetzungen für eineVerweisung sowie die Faktoren, die bei der Entscheidungüber Verweisungsanträge berücksichtigt werden. Sowohldie Erwägungsgründe als auch die erwähnte Mitteilungder Kommission nennen als wesentliche Prinzipien derZuständigkeitsverteilung das Subsidiaritätsprinzip, dieRechtssicherheit sowie den Grundsatz der einzigen An-laufstelle (one-stop-shop). Entsprechend dem Subsidiari-tätsprinzip soll die jeweils geeignetste Wettbewerbsbe-hörde über den Zusammenschluss entscheiden. Das Zielder Rechtssicherheit wird hingegen am ehesten durcheine möglichst konsequente Anwendung der festen Um-satzkriterien erreicht. Die genannten Prinzipien sind in je-dem Einzelfall in Einklang zu bringen, wobei den Wett-bewerbsbehörden ein hohes Maß an Flexibilität undErmessen zugebilligt wird. Insgesamt soll die Verweisungdie Ausnahme im System der Kompetenzverteilung blei-ben.

3.2.2.2 Verfahrensabgabe auf Antrag der Unternehmen

611. Im Berichtszeitraum haben die Unternehmen 47 An-träge auf Verweisung an die Europäische Kommission ge-stellt. Nur in zwei Fällen machten die betroffenen Mit-gliedstaaten Gebrauch von ihrem Vetorecht, dies waren jeeinmal Deutschland und einmal Großbritannien. Die Ver-fahrensabgabe an einen Mitgliedstaat wurde lediglich in16 Verfahren beantragt, von denen die Europäische Kom-

86 Vergleiche Monopolkommission, Wettbewerbspolitik im Schatten„Nationaler Champions“, Hauptgutachten 2002/2003, Baden-Baden2005, Tz. 887 ff.

87 Erwägungsgründe 11 ff.88 Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen,

ABl. EU Nr. C 56 vom 5. März 2005, S. 2.

Page 48: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 299 – Drucksache 16/2460

mission bisher 13 positiv beschied. Festzuhalten bleibt,dass die Zusammenschlussparteien nur bei einer Verwei-sung an den Mitgliedstaat mitteilen müssen, dass ihr Vor-haben den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen könnte.Bei dem Ersuchen auf Verfahrensabgabe an die Europäi-sche Kommission ist eine derartige Mitteilung nicht er-forderlich. Obwohl die Zusammenschlussparteien dieerwähnte Wettbewerbsbeeinträchtigung laut Erwägungs-gründen und Bekanntmachung der Kommission nicht„nachweisen“ müssen, könnte sich diese Verpflichtungdoch als gewisse Hürde bei der Antragstellung erwiesenhaben.

612. Die hohen Antragszahlen zeigen, dass aus Sicht derWirtschaft ein großes Bedürfnis besteht, die starren quan-titativen Kriterien des Artikel 1 FKVO zu durchbrechen.Insgesamt lässt sich eine deutliche Tendenz hin zur Zu-ständigkeit der Europäischen Kommission erkennen, inder sich unter anderem der Wunsch der fusionswilligenUnternehmen nach einem „one-stop-shop“ und der Dranghin zu einer weniger stringenten Kontrolle widerspiegelndürfte. So hat beispielsweise das Bundeskartellamt in denletzten vier Jahren 26 Untersagungen ausgesprochen,während auf europäischer Ebene lediglich ein Verbot er-ging. Auch unter Berücksichtigung der höheren Gesamt-zahl von Verfahren in Deutschland wird deutlich, dass dieUnternehmen in Brüssel seltener mit einer Untersagungihrer Vorhaben rechnen müssen. Soweit die Unternehmenauch den entgegengesetzten Weg hin zu den nationalenBehörden eingeschlagen haben, kommen als Gründe diegrößere Nähe zu den betroffenen Märkten und der zumTeil geringere bürokratische Aufwand auf nationalerEbene in Betracht. Außerdem mag die Hoffnung, dasWettbewerbsrecht werde durch eine nationale Industrie-politik überlagert, ein weiteres Motiv für die Verwei-sungsersuchen darstellen. Derartigen unerwünschten Aus-wüchsen eines „forum shopping“ sollte nach Auffassungder Monopolkommission grundsätzlich das Vetorecht derMitgliedstaaten bzw. der Europäischen Kommission ent-gegenstehen, mittels dessen eine Verfahrensabgabe vonSeiten der ursprünglich zuständigen Wettbewerbsbehördeverhindert werden kann.

613. In diesem Zusammenhang ist die mangelndeTransparenz der Verfahren nach Artikel 4 Abs. 4 und 5FKVO zu bemängeln. Entscheidungen nach Artikel 4Abs. 4 FKVO veröffentlicht die Europäische Kommis-sion nur mit Zustimmung der beteiligten Unternehmen.Zwar erfolgte diese Zustimmung während des Berichts-zeitraums in zehn von 13 Fällen. Aus den publiziertenEntscheidungen lässt sich auch ablesen, dass jeweils dreiVerfahren an Deutschland und Großbritannien sowie jezwei Verfahren an Frankreich und Finnland abgegebenwurden. Es bleibt aber bei dem grundsätzlichen Problem,dass ohne Einwilligung der Zusammenschlussparteiennicht erkennbar wird, welche Verfahren an welche natio-nalen Behörden abgegeben worden sind. Im Falle vonEntscheidungen nach Artikel 4 Abs. 5 FKVO stellt dieEuropäische Kommission der Öffentlichkeit keine geson-derte Statistik darüber zur Verfügung, welche Verfahrenim Einzelnen betroffen sind. Lediglich aus den das jewei-lige Fusionskontrollverfahren abschließenden Entschei-

dungen geht hervor, dass die Zuständigkeit der Europäi-schen Kommission auf einem Antrag nach Artikel 4Abs. 5 FKVO basiert. In etwa der Hälfte dieser Entschei-dungen wird nur auf das Vorliegen eines Antrags nachArtikel 4 Abs. 5 FKVO hingewiesen, in einem weiterenViertel der Entscheidungen lediglich der Gesetzestext zi-tiert. Nur in einer kleinen Zahl der Fälle werden die Mit-gliedstaaten, die ursprünglich für die Beurteilung des Zu-sammenschlusses zuständig gewesen wären, ausdrücklichgenannt. Ein verlässliches Bild darüber, in welchem Um-fang die einzelnen Mitgliedstaaten von Verweisungennach Brüssel betroffen sind, lässt sich auf dieser Grund-lage nicht bilden. Zu kritisieren ist ferner, dass die Euro-päische Kommission nicht darüber informiert, in welchenFällen die Mitgliedstaaten ein Veto gegen die Verfahrens-abgabe eingelegt haben. Die Bundesregierung sollte nachAnsicht der Monopolkommission darauf hinwirken, dassdie Europäische Kommission ihre Informationspolitik indiesem Bereich verbessert.

Befürchtungen, Unternehmen könnten systematisch fal-sche oder unvollständige Angaben machen, um in denZuständigkeitsbereich einer bestimmten Wettbewerbsbe-hörde zu gelangen, haben sich bislang nicht bestätigt. Fürausreichende Abschreckung mag insoweit die Bekannt-machung zu Verweisungen sorgen. Wie in Rz. 60 ausge-führt, kann die Europäische Kommission gegebenenfallsbereits ergangene Entscheidungen nach Artikel 6 und 8FKVO widerrufen und sich für unzuständig erklären. Imumgekehrten Fall ist sie berechtigt, eine Anmeldung nachArtikel 4 FKVO von den zusammenschlussbeteiligtenUnternehmen zu fordern. Im Vorfeld verbleibt den natio-nalen Wettbewerbsbehörden wie der Europäischen Kom-mission die Befugnis, eine Verfahrensabgabe zu verwei-gern, sollten sie an der Richtigkeit oder Vollständigkeitvon vorgelegten Informationen zweifeln.

614. Die große Zahl von Verfahrensabgaben – fast 60seit Einführung der Regelung im Mai 2005 – gibt Anlasszu der Frage, ob es sich bei den Vorschriften des Artikel 4Abs. 4 und 5 FKVO wirklich noch um eine „Ausnahme-regelung“ handelt und der Grundsatz der Rechtssicherheitausreichend gewährleistet ist. Dies erscheint um so zwei-felhafter angesichts der absehbaren Tendenz steigenderAntragszahlen. Bis Ende Februar 2006 sind bereits wei-tere sieben Ersuchen auf Verweisung gemäß Artikel 4Abs. 5 FKVO bei der Europäischen Kommission einge-gangen.

Beim Erlass der VO 4064/89 waren Rat und Kommissionnoch davon ausgegangen, dass Fusionen nur ausnahms-weise verwiesen würden, wenn die Wettbewerbsinteres-sen des betreffenden Mitgliedstaates nicht auf andereWeise hinreichend geschützt werden könnten. In der Pra-xis hat die Europäische Kommission dann auch Fälle ge-mäß Artikel 9 FKVO verwiesen, in denen nationale Be-hörden besser geeignet erschienen, die wettbewerblichenAuswirkungen eines Zusammenschlussfalles zu beurtei-len. Solange sich die Verweisungspraxis nur auf Artikel 9und 22 FKVO stützte, blieb der Umfang der Verfahrens-abgaben überschaubar und ließ keinen Zweifel an ihremAusnahmecharakter entstehen. Noch in ihrer Mitteilung

Page 49: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 300 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

(Rz. 7) betont die Europäische Kommission zwar, dassVerweisungen gerade aus Gründen der Rechtssicherheitauch weiterhin eine Ausnahme darstellen würden; die Re-gel bleibe die Kompetenzzuweisung mittels objektiverUmsatzschwellen. Diese Feststellung steht allerdings indeutlichem Widerspruch zu der aktuellen Entwicklung.Für den Fall, dass diese Entwicklung anhalten oder nochverstärkt werden sollte, empfiehlt die Monopolkommis-sion der Bundesregierung, sich im Rahmen des für 2009geplanten Revisionsprozesses dafür einzusetzen, dass dieVoraussetzungen für Verweisungen auf Antrag der zu-sammenschlussbeteiligten Unternehmen erhöht werden.

615. Ganz anders als die Zahl der Verweisungsanträgehat sich die Ausübung des Vetorechts durch die Mitglied-staaten entwickelt. Soweit ersichtlich haben die nationa-len Wettbewerbsbehörden insgesamt nur in zwei Fällenvon ihrem gesetzlichen Widerspruchsrecht Gebrauch ge-macht. Dies ist um so erstaunlicher, wenn man die Entste-hungsgeschichte des Artikel 4 Abs. 4 und 5 FKVO be-denkt. Im Rahmen der geplanten FKVO-Reform hatte dieEuropäische Kommission ursprünglich versucht, ihrenZuständigkeitsbereich auf sämtliche Fälle der Mehr-fachanmeldung auszudehnen, ohne dass in diesen Fällendie quantitativen Umsatzschwellen noch eine Rolle spie-len sollten. Auf den vehementen Widerstand der Mit-gliedstaaten hin – allen voran Deutschland – sah sich dieEuropäische Kommission gezwungen, dieses Vorhabenaufzugeben und konzentrierte sich stattdessen auf eineÄnderung der Zuständigkeitsverteilung im Rahmen derVerweisungsregeln. Als Kompromiss kam schließlich dieRegelung des Artikel 4 Abs. 5 zustande: Jeder Zusam-menschluss, der nach dem Wettbewerbsrecht von mindes-tens drei Mitgliedstaaten geprüft werden könnte, kannohne Ansehung der Umsatzschwellen in die Zuständig-keit der Europäischen Kommission gelangen. Dies erfolgtallerdings nur auf Antrag der beteiligten Unternehmenund unter Beibehaltung eines Vetorechts der mitglied-staatlichen Behörden.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachzuvollziehen,dass die Mitgliedstaaten bislang kaum von ihrem RechtGebrauch gemacht haben, einer Verfahrensabgabe zu wi-dersprechen. Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob dieEuropäische Kommission tatsächlich in allen bereits ver-wiesenen Fällen die sachlich oder räumlich geeignetereBehörde im Sinne des Subsidiaritätsprinzips war, um diewettbewerbliche Beurteilung des jeweiligen Zusammen-schlusses vorzunehmen. Die Monopolkommission emp-fiehlt den zuständigen deutschen Behörden daher, inZukunft bei sämtlichen sie betreffenden Verweisungsan-trägen genau zu prüfen, ob eine Verfahrensabgabe nachBrüssel sachdienlich ist. Im gegenteiligen Fall sollteDeutschland nicht vor dem Gebrauch des Vetorechts zu-rückschrecken. Ein Widerspruch sollte insbesondere stetsdann erfolgen, wenn es sich um nationale oder kleinereMärkte handelt, die Zusammenschlussparteien ihre Um-sätze hauptsächlich in Deutschland erwirtschaften und dieAuswirkungen der Fusion im Wesentlichen in Deutsch-land spürbar sind. Nur auf diese Weise kann gewährleistetwerden, dass die Regelung des Artikel 4 Abs. 5 FKVO zueiner Verbesserung der Feinsteuerung und nicht lediglich

zu einer willkürlichen Verschiebung von Kompetenzgren-zen beiträgt.

3.2.2.3 Verweisung nach behördlichem Antrag

616. Im Berichtszeitraum erließ die Europäische Kom-mission neun Mitteilungen nach Artikel 9 FKVO. Sie gabfünf Verfahren vollständig an die Mitgliedstaaten ab, vierFälle verwies sie teilweise und erließ im Übrigen Ent-scheidungen nach Artikel 6 Abs.1 lit b FKVO. In zweiweiteren Fällen – Bertelsmann/Springer und Belgacom/Telindus – erging keine Entscheidung nach Artikel 9FKVO. Die Europäische Kommission überprüfte die Zu-sammenschlüsse selbst und erließ je eine Verfügung nachArtikel 8 Abs. 1 und nach Artikel 6 Abs. 1 lit b FKVO.Dem stehen 22 Verweisungsentscheidungen in den Jahren2002/2003 gegenüber. Der signifikante Rückgang derAnträge nach Artikel 9 FKVO beruht wahrscheinlich zumgrößten Teil auf der Einführung des Artikel 4 Abs. 5FKVO. Viele der für eine Verfahrensabgabe nach Arti-kel 9 FKVO in Frage kommenden Fälle dürften schon aufBetreiben der Parteien in die Zuständigkeit der nationalenBehörden übergegangen sein.

Das Bundeskartellamt hat insgesamt fünf Anträge aufVerweisung gestellt. In den Zusammenschlussfällen Ka-bel Deutschland/ish, iesy Repository/ish sowie Strabag/Dywidag und Fimag/Züblin waren die Ersuchen vondeutscher Seite erfolgreich. Die ersten beiden Verfahrenwurden vollständig verwiesen, in den Fällen Strabag/Dy-widag und Fimag/Züblin erging neben Teilverweisungenjeweils eine Entscheidung nach Artikel 6 Abs. 1 lit bFKVO. Nur den Fall Bertelsmann/Springer untersuchtedie Europäische Kommission selbst. Bei der Zuständig-keit Brüssels blieb es auch in dem Fall Belgacom/Telin-dus, in dem Belgien um Verfahrensabgabe ersucht hatte.An die britischen Behörden gab die Europäische Kom-mission zwei Fälle – Blackstone (TBG CareCo)/NHP so-wie MAG/Ferrovial Aeropuertos/Exeter Airport – voll-ständig ab. Die Verfahren Shell Espana/Cepsa/SIS JV undAccor/Colony/Desseigne-Barrière/JV wurden vollstän-dig bzw. teilweise zur Prüfung an Spanien bzw. Frank-reich übermittelt. In dem Verfahren Tesco/Carrefour be-antragte erstmals die Slowakei die Teilverweisung einesFalles, die von der Europäischen Kommission gewährtwurde.

617. Der Fall Kabel Deutschland/ish zeichnet sich da-durch aus, dass die Europäische Kommission ihre Ermes-sensentscheidung, den Fall an das Bundeskartellamt zuverweisen, ausführlich begründete. Die Kabel Deutsch-land Vertrieb und Service GmbH & Co. KG (KDG) be-treibt das früher der Deutschen Telekom AG gehörendeBreitbandkabelnetz in sämtlichen deutschen Bundeslän-dern mit Ausnahme von Hessen, Baden-Württembergund Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen wirddas Kabelnetz von ish unterhalten. Beide Parteien bietenin ihrem jeweiligen Tätigkeitsgebiet die Übermittlungvon Rundfunksignalen (Fernseh- und Hörfunk) und in ge-ringerem Ausmaß auch Internetzugang an. Nach Auffas-sung des Bundeskartellamts, der sich die EuropäischeKommission anschloss, bestand die Gefahr, dass durch

Page 50: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 301 – Drucksache 16/2460

den Zusammenschluss die beherrschende Position vonKDG auf verschiedenen Märkten verstärkt würde.

618. Soweit die genauen Marktdefinitionen und Zusam-menschlussauswirkungen in der Verweisungsentschei-dung noch offen blieben, überließ die Europäische Kom-mission die weitere Bewertung dem Bundeskartellamt.Nach Auffassung der Kommission war eine fundierte Er-mittlung lokaler Gegebenheiten sowohl hinsichtlich derFallbeurteilung als auch in Bezug auf die Lösung mögli-cher Wettbewerbsprobleme durch Zusagen notwendig.Eine besondere Nähe zu den betroffenen Märkten sei da-rüber hinaus insbesondere bei der Überwachung der Zusa-genumsetzung vorteilhaft. Außerdem verfüge das Bun-deskartellamt aus verschiedenen Verfahren über Erkennt-nisse hinsichtlich der Marktstrukturen im Bereich derKabelnetze und der damit verbundenen Märkte. Als aus-schlaggebend erwies sich daneben, dass beim Bundeskar-tellamt bereits zwei weitere Vorhaben, die in engem Zu-sammenhang mit dem Zusammenschluss KDG/ishstanden, angemeldet worden waren. Mit dem geplantenKontrollerwerb an iesy in Hessen und Kabel BW in Ba-den-Württemberg, den letzten beiden anderen regionalenNE-3-Kabelgesellschaften, hätte KDG das gesamte NE-3-Netz auf sich vereinigt. Da alle drei Verfahren ähnlicheFragen beinhalteten und eine einheitliche Unternehmens-strategie ausdrückten, hielt es die Kommission aus verfah-rensökonomischen Gründen für angebracht, die Ermitt-lungen bei einer Wettbewerbsbehörde zu konzentrieren.Nur auf diesem Weg lasse sich eine einheitliche Prüfungder drei Verfahren sicherstellen. Damit führt die Europäi-sche Kommission eine Entscheidungspraxis fort, die sichbereits in der Vergangenheit bewährt hat. Verfügt eine na-tionale Wettbewerbsbehörde über besondere Erfahrungenhinsichtlich der betroffenen Märkte oder sind bei ihrgleich gelagerte Zusammenschlussfälle anhängig bzw. be-reits abgeschlossen, trifft die Europäische Kommissionauch dann positive Verweisungsentscheidungen, wenn essich nicht nur um lokale, sondern um regionale oder sogarnationale Märkte handelt.

619. In den vergangenen zwei Jahren haben die Mit-gliedstaaten in fünf Zusammenschlussfällen Anträge nachArtikel 22 FKVO gestellt. Viermal hielt die EuropäischeKommission die Voraussetzungen für eine Verfahrens-übernahme für erfüllt, nur in einem Fall – Gas Natural/Endesa – lehnte sie die Verweisung ab. Die Zahl der Fällehat sich damit im Vergleich zum vorangegangenen Be-richtszeitraum mit drei Verfahrensabgaben deutlich er-höht, wenn sie auch absolut gesehen niedrig bleibt. Indrei Fällen – Areva/Urenco, Omya/J.M.Huber und AMI/Eurotecnica – leitete die Europäische Kommission diezweite Verfahrenphase ein. Der Zusammenschluss Areva/Urenco wurde inzwischen unter Bedingungen und Aufla-gen freigegeben.

In dem Verfahren Gas Natural/Endesa bestand Streit da-rüber, ob der Zusammenschluss gemeinschaftsweite Be-deutung i. S. d. Artikel 1 FKVO hatte. In der Annahme,dass die Voraussetzungen des Artikel 1 Abs. 2 FKVOnicht erfüllt waren, beantragte zunächst Portugal gemäßArtikel 22 Abs. 1 FKVO die Verfahrensabgabe nach

Brüssel. Diesem Antrag schloss sich Italien später an,während Spanien ausdrücklich von einem entsprechendenErsuchen Abstand nahm. Am 27. Oktober 2005 lehnte dieEuropäische Kommission die Prüfung der Zusammen-schlussauswirkungen auf die portugiesischen und italieni-schen Märkte ab. Ihrer Auffassung nach waren die jewei-ligen nationalen Wettbewerbsbehörden besser geeignet,die notwendige Untersuchung durchzuführen.

3.3 Marktabgrenzung 3.3.1 Marktabgrenzung bei differenzierten

Produkten620. Der Fall Oracle/PeopleSoft verdeutlicht nach Auf-fassung der Monopolkommission die erheblichen Pro-bleme, die bei der wettbewerblichen Beurteilung von Zu-sammenschlüssen mit differenzierten Produkten auftretenkönnen. Diese Probleme betreffen insbesondere die sach-liche Marktabgrenzung sowie die Berechnung von Markt-anteilen, auf die im Rahmen des Marktbeherrschungsteststraditionell besonderes Gewicht gelegt wird. Als Indiz fürdie Schwierigkeiten bei der Marktabgrenzung wertet dieMonopolkommission den Umstand, dass die EuropäischeKommission diesem Aspekt etwa vier Fünftel ihrer Ent-scheidung widmet. Auffällig ist dabei, dass den umfang-reichen Überlegungen zur Marktdefinition Schlussfolge-rungen gegenüberstehen, die kaum aussagekräftig sind.Sie lassen vielmehr nur eine erste Beurteilung des Falleszu, wie die Europäische Kommission selbst einräumt.Dies erweckt den Eindruck, dass die Kommission in ei-nem großen Teil der Entscheidung an der eigentlichenKernfrage der wettbewerblichen Beurteilung vorbeige-gangen ist.

621. Am 14. Oktober 2003 erhielt die EuropäischeKommission die Anmeldung eines Zusammenschlussvor-habens, mit dem das US-amerikanische UnternehmenOracle Corporation die alleinige Kontrolle über People-Soft Inc. erlangen wollte. Der Fall wurde parallel in Eu-ropa und den USA untersucht, wobei die zuständigenWettbewerbsbehörden eng kooperierten. In beiden Juris-diktionen bestand das zentrale Problem der behördlichenBeurteilung in der Abgrenzung des relevanten Produkt-marktes. In Bezug auf die wettbewerblichen Auswirkun-gen konzentrierten sich beide Wettbewerbsbehörden aufmögliche unilaterale Effekte im Oligopol. Am 9. Septem-ber 2004 erging das Urteil des District Court of NorthernCalifornia, mit dem die kartellrechtlichen Einwände desDepartment of Justice gegen den Zusammenschluss zu-rückgewiesen wurden.89 Am 26. Oktober 2004 gab dieEuropäische Kommission den Fall unter Heranziehungvon Beweismaterial aus dem amerikanischen Prozessohne Auflagen frei.

Oracle und PeopleSoft sind beide in den Bereichen Ge-staltung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Un-ternehmensanwendungs-Software (Enterprise Applica-tion Software, EAS) und den damit zusammenhängendenDienstleistungen tätig. EAS wird für wichtige Geschäfts-vorgänge wie die Finanzplanung und -berichterstattung

89 http://i.i.com.com/cnwk.1d/pdf/ne/2004/FinalOracleOrder.pdf

Page 51: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 302 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

(Finance Management Systems, FMS), die Personalver-waltung (Human Resources Processes, HR) sowie dieKundenbeziehungen und das Lieferkettenmanagementeingesetzt. EAS lässt sich als so genannte „Paketsoft-ware“ oder in Einzelteilen kaufen, in aller Regel werdendie Produkte an die Bedürfnisse der jeweiligen Kundenangepasst. Im Bereich EAS sind große Anbieter wie Ora-cle, PeopleSoft und SAP tätig, die sich durch ein breitesSpektrum an Produkten und Dienstleistungen auszeichnen.Daneben existieren Anbieter von so genannten Best-of-Breed-Lösungen, die sich vertieft mit speziellen Software-Problemen auseinandersetzen, bis hin zu Nischenanbie-tern. EAS wird daneben von so genannten Outsourcing-Unternehmen und von externen Beratern bereitgestellt.Durch den Zusammenschluss hätte sich die Zahl der gro-ßen Anbieter von drei auf zwei verringert. SAP ist Markt-führer und bliebe dies bei FMS-Anwendungen auch nachdem Zusammenschluss. Im HR-Bereich hätte die neueUnternehmenseinheit die Marktführerschaft übernom-men.

622. Bei der sachlichen Marktabgrenzung ging die Euro-päische Kommission von Märkten für funktionsstarkeFMS- und HR-Anwendungen aus, die dem Bedarf großerkomplexer Unternehmen (large and complex enterprises,LCE) entsprechen. Die Kommission zog also zurMarktabgrenzung einerseits produktbezogene, anderer-seits kundenspezifische Kriterien heran. Auf das Produktbezogen führte die Kommission aus, dass funktionsstarkeSoftware besonders komplex ausgestaltet sei und mehr ho-rizontale und vertikale Funktionen biete als Software fürmittlere Unternehmen. Die Grundarchitektur funktions-starker Software sei in der Regel mehrschichtig und weisekomplexe Anwendungsprogrammierschnittstellen auf. Siemüsse ferner mit den verschiedenen Rechts- und Rech-nungslegungssystemen der wichtigsten Wirtschaftszonenkonform und auf mehrere Sprachen gleichzeitig ausgelegtsein. Außerdem sei sie auf eine größere Benutzerzahl ge-richtet und wesentlich teurer als Mittelstands-Software.Als Käufer dieser Art von Software kommen nach Auffas-sung der Kommission nur große und komplexe Unterneh-men in Frage. Diese hätten einen sehr großen Funktions-bedarf und erwarteten eine hohe Leistungsfähigkeit inBezug auf die Skalierbarkeit, die Konfigurierbarkeit undden technischen Stand der Software. Außerdem stellten siebesondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Qua-lität des Produkts sowie an das Markenimage.

Die beschriebenen Märkte für hochfunktionale Softwaresind nach Auffassung der Kommission insbesondere vondem Bereich der Mittelstands-Software zu unterscheiden.Zur Begründung führte die Kommission im Wesentlichendie geringe Angebotsumstellungsflexibilität von Mittel-stands-Software an. Nicht zum relevanten Markt zähltenaußerdem Best-of-Breed-Software, der Outsourcing-Be-reich sowie die von externen Beratern bereitgestelltenDienstleistungen, da diese nach Auskunft von Kundenkeine Substitute, sondern eher komplementäre Produktedarstellten.

623. Oracle griff diese Marktabgrenzung, die ebenfallsvom Department of Justice vertreten worden war, als zuvage an und warf der Kommission das Argumentieren mit

Zirkelschlüssen vor. Der Bereich der „hochfunktionalenSoftware“ sei ebenso wenig klar definiert wie der Begriff„LCE mit komplexen Funktionalitätsbedürfnissen“, beideTermini seien auch in der Branche nicht anerkannt. NachAnsicht von Oracle handelt es sich bei der in Rede ste-henden Software vielmehr um „ein multidimensionalesKontinuum von Kundenbedürfnissen und Anbieterlösun-gen“. Es gebe daher auch keine geeigneten Kriterien, umdieses Kontinuum in die Segmente für hochfunktionaleund für Mittelstandslösungen aufzuteilen. Oracle fordertedie Kommission – insbesondere im Hinblick auf das US-amerikanische Verfahren – auf, ihre Entscheidung aufeine breitere Faktenbasis zu stellen.

624. Obwohl sich Oracle in den USA mit seinen Ein-wänden durchsetzen konnte, blieb die Europäische Kom-mission bei der von ihr im Statement of Objections vorge-nommenen sachlichen Marktabgrenzung. Während dieKommission allerdings zunächst von nur drei Anbieternauf den sachlich relevanten Märkten, nämlich Oracle,PeopleSoft und SAP, ausgegangen war, ermittelte sie imweiteren Verlauf des Verfahrens eine Reihe zusätzlicherAnbieter. Hierzu griff die Kommission auf Beweisdoku-mente aus dem amerikanischen Prozess zurück, die einigehundert Ausschreibungen erfassten, und analysierte selbsteine Reihe von weiteren Ausschreibungsdaten. Bei derAuswertung verwendete die Kommission aus Praktikabi-litätsgründen gewisse Ersatzkriterien, um einerseits hoch-funktionale Software und andererseits LCE zu identifizie-ren. Als Kriterium für die Komplexität der relevantenSoftware erachtete die Kommission eine Netto-Lizenzge-bühr in Höhe von 1 Mio. Euro als angemessen, räumte al-lerdings sogleich ein, dass auch Angebote unter diesemWert nicht notwendigerweise von den betroffenen Märk-ten ausgeschlossen seien. LCE wurden als Unternehmenmit mehr als 10 000 Mitarbeitern oder mit einem Umsatzvon mehr als 1 Mrd. Euro definiert. Die Kommission gabdabei selbst zu, dass es schwierig sei, eine klaren Schnittzwischen LCE und Mittelstandskunden bzw. zwischenhochfunktionaler und Mittelstands-Software zu machen.

Die Analyse der untersuchten Daten ergab laut Kommis-sion, dass Oracle, PeopleSoft und SAP zwar die Hauptan-bieter auf den betroffenen Märkten sind. Auch andereAnbieter hätten aber gelegentlich Ausschreibungen fürhochfunktionale FMS- und HR-Software für LCE gewon-nen oder seien in die engere Wahl gekommen. Auf derGrundlage dieser Erkenntnisse und des Umstands, dassdie gewählten Ersatzkriterien eher hoch gegriffen seien,ging die Kommission davon aus, dass die UnternehmenLawson, IFS, Microsoft und QAD auf den betroffenenMärkten tätig sind.

Die Ermittlung der Anbieter aufgrund von Ausschrei-bungsunterlagen wurde durch eine ökonometrische Ana-lyse ergänzt, mit der die Kommission untersuchte, ob sichdas Angebotsverhalten von Oracle je nach der Identitätseiner jeweiligen Konkurrenten unterschied. Die Kom-mission kam zu dem Schluss, dass Oracle gegenüberPeopleSoft oder SAP keine aggressivere Rabattpolitik be-trieb als gegenüber sonstigen Wettbewerbern. Damitstand für die Kommission fest, dass es keine Grundlage

Page 52: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 303 – Drucksache 16/2460

für die Abgrenzung eines engen Marktes gab, auf demnur Oracle, PeopleSoft und SAP als Anbieter auftreten.

625. Die anschließende Analyse der wettbewerblichenAuswirkungen des Zusammenschlusses fällt bemerkens-wert kurz aus. Die Kommission spricht auf lediglich dreiSeiten der Entscheidung die möglichen unilateralen, aufzwei weiteren Seiten die koordinierten Effekte des Vorha-bens an. Zuvor versuchte die Kommission, die Markt-größe und die jeweiligen Marktanteile der verschiedenenUnternehmen zu ermitteln. Dabei stieß sie auf erheblicheSchwierigkeiten, da keine direkten Informationen überdie Umsätze in den von der Kommission definiertenMärkten existierten. Die Kommission behalf sich daherunter anderem mit Umsatzzahlen, die nicht zwischen Er-lösen mit LCE einerseits und mit mittelständischen Un-ternehmen andererseits unterscheiden. Bei ihren Berech-nungen kam die Kommission auf Anteile von Oracle/PeopleSoft in Höhe von 25 bis 30 Prozent bei FMS- undvon 45 bis 50 Prozent bei HR-Software. SAP ist mit50 bis 55 Prozent bei FMS-Software weiterhin Marktfüh-rer und verfügt bei HR-Software über Anteile in Höhevon ca. 40 Prozent. Die Kommission betonte jedoch, dassdiese „Anteile“ nicht mit Marktanteilen in den von ihr de-finierten Märkten gleichgesetzt werden können. Sie dien-ten lediglich als ein erstes Indiz für die relative Stärke dergenannten Unternehmen. Die gemeinsamen Marktanteilevon Lawson, IFS, Microsoft und QAD schätzte die Kom-mission auf 10 bis 15 Prozent.

626. In Bezug auf unilaterale Effekte hatte die Europäi-sche Kommission noch im Statement of Objections dieGefahr gesehen, dass nach dem Zusammenschluss dieWahlmöglichkeiten der Kunden ernstlich beschränkt wür-den. Durch die Reduzierung von drei auf zwei Anbietergebe es für eine Reihe von Kunden, z. B. solche, die Soft-ware und Datenbanksysteme von zwei verschiedenen An-bietern erwerben oder die Geschäftsbeziehungen mit ei-nem Anbieter beenden wollten, de facto überhaupt keineWahlmöglichkeiten mehr. Diese Argumentation konntedie Kommission nicht mehr aufrechterhalten, nachdemsie zusätzliche Anbieter ermittelt hatte. Aus demselbenGrund konnten auch frühere quantitative Analysen nichtmehr zur Begründung unilateraler Effekte herangezogenwerden. So hatte ein Modell zur Preissimulation in einemfrühen Verfahrensabschnitt zu dem Ergebnis geführt, dassdurch den Zusammenschluss die Preise erhöht und dieWahlmöglichkeiten reduziert würden. Eine Modellrech-nung auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse nahm dieKommission – möglicherweise aus Zeitgründen – nichtvor. Eine weitere ökonometrische Analyse von etwa100 Ausschreibungen und den dabei angebotenen Rabat-ten vermochte die Annahme unilateraler Effekte ebenfallsnicht zu stützen. Die Untersuchung ergab lediglich eineenge Beziehung zwischen dem Volumen des jeweiligenAuftrags und den von Oracle und PeopleSoft offeriertenPreisnachlässen. Eine eigenständige Bedeutung der Zahloder Identität der Konkurrenten für die Höhe der Rabattekonnte daneben nicht festgestellt werden.

Aufgrund der anfänglichen Annahme, dass nach dem Zu-sammenschluss nur zwei Anbieter auf dem Markt verblei-

ben, hatte die Kommission im Statement of Objectionsaußerdem die Möglichkeit koordinierter Effekte ange-sprochen. Anreize für ein koordiniertes Verhalten wärenihrer Ansicht nach etwa von den symmetrischen Marktan-teilen und dem Umstand ausgegangen, dass SAP dergrößte Wiederverkäufer von Oracles Datenbanksystemensei. Wegen der zusätzlichen Anbieter änderte die Kom-mission auch insoweit ihren Standpunkt. Die Existenzmehrerer Unternehmen verringere die Transparenz desMarktes und erschwere Vergeltungsmaßnahmen. UnterBerücksichtigung der kleineren Anbieter entfalle fernerdas Argument der symmetrischen Marktanteile.

627. Nach Auffassung der Monopolkommission bele-gen die Ausführungen zur Marktabgrenzung die beträcht-lichen Schwierigkeiten, bei differenzierten Produkteneine unanfechtbare Marktabgrenzung vorzunehmen.90

Der entsprechende Vorwurf von Oracle im vorliegendenFall, die von der Kommission ausgewählten Kriterienseien zu vage und führten zu einem Zirkelschluss, lassensich nicht von der Hand weisen. Einerseits definiert dieKommission hochfunktionale Software mittels besonde-rer Skalierbarkeit, Konfigurierbarkeit und Qualität, ande-rerseits beschreibt sie die möglichen Kunden als Unter-nehmen, die besondere Anforderungen an ebendieseAspekte stellen. Die geringe Eignung, mit Hilfe der ge-nannten Kriterien eine stringente Abgrenzung verschiede-ner Teilmärkte vorzunehmen, belegt auch der Umstand,dass die Kommission im weiteren Verlauf der Marktab-grenzung auf Ersatzkriterien zurückgreift. Nicht die zu-nächst genannten qualitativen Aspekte machen die vorzu-nehmende Marktabgrenzung praktikabel, sondern erst dieAuswahl bestimmter quantitativer Kriterien wie Lizenz-erlöse, Unternehmensumsätze und Mitarbeiterzahlen.

Diese quantitativen Kriterien wiederum sind dem berech-tigten Vorwurf der Willkür ausgesetzt. Es stellt sich dieFrage, wieso die relevante Lizenzgebühr für hochfunktio-nale Software gerade bei 1 Mio. Euro und nicht bei500 000 Euro oder 1, 5 Mio. Euro liegt. Dieselbe Frageerhebt sich in Bezug auf die gewählten Unternehmensum-sätze und Mitarbeiterzahlen. Im US-amerikanischen Pro-zess folgte das Gericht der Marktabgrenzung des Depart-ment of Justice unter anderem deshalb nicht, weil die vonder Wettbewerbsbehörde benannten Zeugen voneinanderabweichende Kriterien nannten.91 Besonders bezeichnendwar der Umstand, dass PeopleSoft noch einen Tag vor demÜbernahmeangebot die maßgebliche Grenze für LCE beieinem Umsatz von 500 Mio. Dollar und 2 000 Mitarbeiterngezogen hatte, kurz danach aber die Grenze auf1 Mrd. Dollar heraufsetzte. SAP wiederum ging von ei-nem relevanten Umsatz in Höhe von 1,5 Mrd. Dollar aus,während einer der auftretenden Experten einen Wert von500 000 Mio. Dollar genügen ließ. Auf dieser Grundlagewar nach Ansicht des Gerichts keine eindeutige Grenzzie-hung möglich. Die Europäische Kommission hat die Pro-blematik ebenfalls erkannt und begegnete entsprechenden

90 Vergleiche zu dieser Problematik bereits die Ausführungen der Mo-nopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O., Tz. 613 ff.

91 Urteil des District Court, S. 87, 102, 110.

Page 53: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 304 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Vorwürfen mit dem Argument, dass die aufgrund der ge-wählten Kriterien ermittelten Ergebnisse nur eine ersteBeurteilung zuließen und im Zweifelsfall eine weiterePrüfung zu erfolgen habe. Eine gründlichere Überprüfungvon Einzelfällen erübrigte sich dann allerdings, da dieKommission bereits auf der gewählten Bewertungsgrund-lage zusätzliche Anbieter auf den definierten Teilmärktenanerkannt hatte.

628. Die Probleme der Europäischen Kommission beider Abgrenzung des sachlichen und räumlichen Marktessetzen sich ungebrochen bei dem Versuch fort, das Markt-volumen und die Marktanteile der Anbieter zu berechnen.Im vorliegenden Fall musste die Kommission zur Berech-nung der Marktanteile im Wesentlichen auf Umsatzzah-len zurückgreifen, bei deren Aufstellung gerade nichtzwischen Software für LCE einerseits und Software fürden Mittelstand andererseits unterschieden worden war.Die Zusammenschlussparteien verfügten nämlich nichtüber Unterlagen, in denen die Umsätze nach den von derKommission herangezogenen Kriterien getrennt wurden.Der Kommission stand lediglich eine Branchenstudie zurVerfügung, die nach der Größe des Kunden unterschied,allerdings ohne Aussagen über den Umfang der jeweili-gen Aufträge zu machen. Wegen der damit verbundenenUngenauigkeiten ließ die Kommission die von ihr ermit-telten Näherungswerte auch nicht als Marktanteile gelten,sondern als „Anteile“, die die relative Stärke der einzel-nen Anbieter wiedergeben und ebenfalls nur Indizien füreine erste Beurteilung des Zusammenschlusses darstellensollen. Offen bleibt in diesem Zusammenhang, warum dieKommission darauf verzichtete, entsprechend aufge-schlüsselte Daten von den Zusammenschlussparteien undsonstigen Marktteilnehmern anzufordern.

629. Der Fall zeigt mehr als deutlich, dass die traditio-nelle Vorgehensweise zur Analyse der Marktbeherr-schung bei differenzierten Produkten problematisch ist.Diese Vorgehensweise sieht zwei Schritte vor – dieMarktabgrenzung und die Marktanalyse. Die traditionellaus Sicht des vernünftigen Verbrauchers vorgenommeneMarktabgrenzung ist jedoch bei differenzierten Produktenstets mit einer gewissen Gefahr der Willkür verbunden.Klare und eindeutige Marktgrenzen lassen sich wegen derHeterogenität der Verbraucherinteressen nicht angemes-sen ziehen. Produkte, die keine vollkommenen Substitutedarstellen, werden in den Markt einbezogen und andereProdukte vom definierten Markt ausgeschlossen, obwohlsie gewisse Substitutionsbeziehungen aufweisen. AlsFolge davon geben die Marktanteile, die den einbezoge-nen Produkten zugerechnet werden, die von diesen Pro-dukten ausgehende Wettbewerbsintensität nur ungenauwieder. Die Bedeutung der in den Markt einbezogenenProdukte für den Wettbewerbsprozess nach dem Zusam-menschluss wird überschätzt. Den ausgeschlossenen Pro-dukten werden hingegen keine Marktanteile zugerechnet,so dass ihre Bedeutung für den Verhaltensspielraum derZusammenschlussparteien unterschätzt wird.

Die Bedeutung des Randwettbewerbs um Kunden, bei de-nen ein Abwandern zu benachbarten Produkten droht,wird zu wenig in den Blick genommen. Die hier angespro-

chenen Probleme lassen sich teilweise umgehen, wennman unmittelbar auf Nachfrageelastizitäten abstellt undanhand dieser Nachfrageelastizitäten ermittelt, welchePreiserhöhungsspielräume sich durch die Fusion ergeben.Jedoch bedingt dieses Verfahren, dass die Trennung vonMarktabgrenzung und Marktanalyse aufgeweicht, wennnicht gänzlich aufgehoben wird.

630. Die dargestellte Problematik hat neben der wettbe-werbspolitischen auch eine verfahrensrechtliche Dimen-sion. Die Beweislast für die wettbewerblichen Auswir-kungen eines Zusammenschlusses – seien sie positiv,neutral oder negativ – trägt nämlich die Wettbewerbsbe-hörde. Damit trägt sie auch das Risiko einer falschenMarktabgrenzung oder fehlerhaften Berechnung derMarktanteile. Können ihr hier Fehler nachgewiesen wer-den, besteht schon allein deshalb die Gefahr, dass die be-hördliche Entscheidung – sei es eine Freigabe oder eineUntersagung – vor Gericht keinen Bestand haben wird.Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass Oracleund PeopleSoft weder in dem europäischen noch in demUS-amerikanischen Kartellverfahren einen eigenen Vor-schlag zur Marktabgrenzung vorgelegt haben. Die Unter-nehmen griffen lediglich die behördlicherseits vorgenom-mene Marktdefinition an und überzeugten den DistrictCourt, ihren Einwänden zu folgen und den Zusammen-schluss freizugeben.

In der Neufassung der FKVO ist der Marktbeherr-schungstest durch den SIEC-Test ersetzt worden. Es ist zuhoffen, dass dieser Test die Möglichkeit bietet, die hierangesprochenen Schwierigkeiten zu umgehen, indemman die Frage, um welchen Markt genau es sich handelt,hinter die Frage nach den Wettbewerbswirkungen der Fu-sion zurückstellt.

631. Beim Versuch einer Analyse der Wettbewerbswir-kungen kommt es stets darauf an, welche Daten zur Ver-fügung stehen. Die Europäische Kommission hat im vor-liegenden Fall Marktuntersuchungen durchgeführt,Ausschreibungsdaten ausgewertet und Verbraucher be-fragt. Das Department of Justice war im US-amerikani-schen Verfahren ähnlich vorgegangen. Der District Courtwar mit dieser Vorgehensweise allerdings nicht zufrieden.Zur Durchführung des SSNIP(Small but Significant PriceIncrease)-Tests genügte es seiner Ansicht nach nicht, dassdie vom Department of Justice benannten Zeugen die feh-lende Substituierbarkeit von Mittelstands-Software bejah-ten, denn sie gäben damit nur ihre persönlichen „Präfe-renzen“ wieder. Es müsse vielmehr untersucht werden,welche Kosten den Kunden durch die Umstellung auf einKonkurrenzprodukt entstünden. Nur anhand solcher ob-jektivierbarer Berechnungen sei eine Aussage zur Substi-tuierbarkeit für das Gericht nachvollziehbar. Die Mono-polkommission hält diese Einschätzung des Gerichts inihrer Allgemeinheit für problematisch. Wenn die vom Ge-richt geforderten Informationen zur Verfügung stehen,sollten die Wettbewerbsbehörden selbstverständlich da-von Gebrauch machen. Sind die vom Gericht gefordertenDaten jedoch nicht erhältlich, muss für die Wettbewerbs-behörden die Möglichkeit bestehen, zum Beleg ihrer Aus-führungen Marktteilnehmer oder Experten zu befragen.

Page 54: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 305 – Drucksache 16/2460

Beim SSNIP-Test, mit dessen Hilfe eine angemessenesachliche Marktabgrenzung erfolgen soll, geht die Euro-päische Kommission der Frage nach, ob und in welchemUmfang eine Preiserhöhung bei dem betroffenen Produktzur Verlagerung der Nachfrage auf ein anderes Produktführt. In der Regel befragt die Kommission zu diesemZweck die Kunden der fusionierenden Parteien, wie sieauf eine geringe, aber noch spürbare Preiserhöhung re-agieren würden. Von besonderem Interesse ist dabei, obdie Kunden bei einem derartigen Preisanstieg zu einemanderen Produkt wechseln und welchem konkreten ande-ren Produkt sie den Vorzug geben würden. Aus den Ant-worten auf diese hypothetischen Fragen lassen sich Hin-weise dafür entnehmen, welche Produkte in denrelevanten Markt einzubeziehen sind. Die erforderlichenAuskünfte kann die Kommission gemäß Artikel 11FVKO bei den Marktteilnehmern einholen. Welchen Be-weiswert die Ergebnisse einer solchen Befragung im Ein-zelfall erlangen, wird unter anderem von der Rücklauf-quote der Antworten sowie von ihrer Begründung undPlausibilität abhängen. Die Europäische Kommissionmuss bei der Auswertung der Antworten insbesondere be-rücksichtigen, dass die korrekte Beantwortung derartigerFragen – insbesondere bei stark differenzierten Produk-ten – einen hohen Aufwand für die Befragten bedeutenkann.

632. Wie sich die Praxis der Europäischen Kommissionbei der Beurteilung von Zusammenschlüssen mit diffe-renzierten Produkten seit Oracle/PeopleSoft weiterentwi-ckelt hat, belegt z. B. der Fall Siemens/VA Tech, der am13. Juli 2005 unter Bedingungen und Auflagen freigege-ben wurde. Die Europäische Kommission stellte nacheingehender Untersuchung fest, dass der Zusammen-schluss auf dem Markt für die Ausrüstung von Wasser-kraftwerken zu einer erheblichen Beeinträchtigung wirk-samen Wettbewerbs durch die Schaffung einermarktbeherrschenden Stellung führen würde. In sachli-cher Hinsicht grenzte die Kommission einen Gesamt-markt für die Ausrüstung von Wasserkraftwerken ab, wo-bei sie eine deutliche Produktdifferenzierung feststellte.Eine weitergehende Unterteilung dieses Marktes vermiedsie jedoch und lehnte eine Unterscheidung zwischen me-chanischen und elektronischen Komponenten unter ande-rem wegen der angebotsseitigen Substituierbarkeit dieserProdukte ab. Außerdem verwies sie darauf, dass die inAusschreibungen nachgefragten Produktpakete stark va-riierten. Die Kommission lehnte ferner eine Unterteilungnach der Größe der Wasserkraftwerke ab, weil die not-wendige Ausrüstung in einem Kontinuum von Leistungs-stufen angeboten werde, ohne dass eine offensichtlicheTrennlinie existiere.

Im Rahmen der wettbewerblichen Beurteilung ging dieKommission zunächst auf die Marktanteilsstruktur ein,legte dann die Ergebnisse ihrer Marktuntersuchung darund berichtete in einem dritten Schritt über die von ihrvorgenommene Auswertung von Ausschreibungsdaten.Im Rahmen der Marktuntersuchung befragte die Europäi-sche Kommission Kunden und Wettbewerber der Zusam-menschlussparteien. Aus deren Antworten ergab sich lautKommission, dass Siemens, VA Tech, Alstom und GE

Hydro im Markt als eine führende Gruppe von Wettbe-werbern wahrgenommen wurden, die sich von den übri-gen Anbietern im Hinblick auf Know-how und Markt-durchdringung eindeutig abhoben. Die verbleibendenWettbewerber wurden deutlich schwächer eingeschätzt,häufig waren außereuropäische Anbieter sogar unbekannt.In einem weiteren Schritt analysierte die KommissionAusschreibungslisten von Siemens, VA Tech, Alstom undGE Hydro, um Informationen über das Näheverhältniszwischen diesen Anbietern zu erhalten. Die Kommissionräumte ein, dass die Auswertung der Ausschreibungsda-ten idealerweise auf der Basis einer aggregierten Liste vonallen Wettbewerbern erfolgen sollte. Dies sei jedoch nichtmöglich gewesen, da sowohl VA Tech als auch Alstomund GE Hydro ihre Ausschreibungslisten als vertraulicheingestuft hätten. Außerdem gelinge die Zuordnung dervier Anbieter auf eine einheitliche Liste in zahlreichenFällen nicht, weil die jeweiligen Ausschreibungen in denverschiedenen Listen unter unterschiedlichen Bezeich-nungen auftauchten und auch das Ausschreibungsdatummeist abweiche. Die Kommission hat daher die von Sie-mens vorgelegten Ausschreibungsdaten separat analy-siert. Trotz dieser ungünstigen Datenlage war es ihr mög-lich, aus den von Siemens übermittelten Informationenabzuleiten, dass die Zusammenschlussparteien die amhäufigsten im direkten Wettbewerb gegeneinander bieten-den Unternehmen waren. Der Zusammenschluss wurdedaher nur unter strengen Auflagen freigegeben.

633. Die Europäische Kommission hat es hier zutreffen-derweise bei einer weiten Marktabgrenzung belassen undnicht den Versuch unternommen, kleinere Teilmärkte ex-akt abzugrenzen. Ein solcher Versuch wäre aufgrund derausgeprägten Produktdifferenzierung mit hoher Wahr-scheinlichkeit fehlgeschlagen. Die auf dem Gesamtmarktermittelten Marktanteile konnten daher zwar nur einenersten Anhaltspunkt für die Wettbewerbssituation liefern.Dieser wurde aber durch die Ergebnisse der durchgeführ-ten Befragungen und Analysen bestätigt. Dabei konzen-trierte sich die Kommission auf die Ermittlung der direk-ten Wettbewerbswirkungen des Zusammenschlusses. Dererste Untersuchungsschritt ergab, dass eine Gruppe vonvier Anbietern – zu der auch die Zusammenschlusspar-teien gehörten – in einem relativ engen Konkurrenzver-hältnis miteinander stand. Die anschließende Analyse vonAusschreibungsdaten belegte, dass im Verhältnis dieservier Anbieter die Zusammenschlussparteien die engstenWettbewerber bildeten, was die Wahrscheinlichkeit wett-bewerbsbeeinträchtigender Auswirkungen des Zusam-menschlusses erhöhte.

3.3.2 Räumliche Marktabgrenzung und more economic approach

634. Am 13. Juli 2005 gab die Europäische Kommis-sion den Zusammenschluss Blackstone (Celanese)/Ace-tex nach Durchführung der zweiten Prüfphase ohneBedingungen und Auflagen frei. Betroffen waren insbe-sondere die Märkte für Essigsäure, Vinylacetatmonomereund Essiganhydrid. Einen Schwerpunkt der Entscheidungbilden die Überlegungen der Europäischen Kommissionzur räumlichen Marktabgrenzung.

Page 55: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 306 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

635. Nach Auffassung der Zusammenschlussbeteilig-ten bestanden bei allen vier Produkten weltweite Märkte.Beispielsweise bei Essigsäure beriefen sich die Parteiendarauf, dass gegenwärtig 20 Prozent der westeuropäi-schen Nachfrage importiert, große globale HerstellerWesteuropa ausschließlich über Einfuhren beliefern unddie globalen Handelsströme in Reaktion auf Veränderun-gen bei den lokalen Angebots- und Nachfragebedingun-gen fluktuieren würden. Diese Aussagen wurden von denErmittlungen der Kommission bestätigt. Außerdem argu-mentierten die Parteien damit, dass der weltweite Handelweder durch Transportkosten noch durch Zölle behindertwerde und und die Preise weltweit in engem Zusammen-hang stünden. Die Parteien stützten ihr Vorbringen aufvier von ihnen in Auftrag gegebene Studien. Zunächstlegten sie eine Preiskorrelationsanalyse vor, die den en-gen Zusammenhang zwischen den Essigsäurepreisen inden verschiedenen Erdteilen untermauern sollte. Da dieEuropäische Kommission an der Eindeutigkeit der Ergeb-nisse zweifelte, übermittelten die Parteien ein zweitesGutachten zur Ergänzung. Die Kommission äußerte aller-dings auch hieran Kritik, weil das zugrunde gelegte Mo-dell fehlspezifiziert sei und die Studie zwar Parallelen inder Preisentwicklung aufzeige, aber nicht in der Lage sei,die wettbewerbliche Ursache hierfür zu identifizieren.Die Ergebnisse der beiden Gutachten betrachtete sie da-her nicht als zwingend, denn sie böten keine Beweise fürdas Vorhandensein eines Weltmarktes. Allerdings räumtedie Kommission ein, dass die Studien Zweifel an der An-nahme enger gefasster Märkte für Essigsäure aufkommenließen.

Zwei weitere ökonometrische Gutachten befassten sichmit den Folgen von unerwarteten Produktionsausfällenauf die Preise von Essigsäure sowie auf die Handels-ströme zwischen den verschiedenen Kontinenten. In derersten Studie wurde dargelegt, dass unerwartete Produkti-onsausfälle in Asien Konsequenzen für die Preise inWesteuropa nach sich zogen. Die Kommission betrach-tete allerdings auch dieses Ergebnis nicht als zwingendenBeweis für eine geographische Integration der MärkteWesteuropa und Asien. Dabei stützte sie ihre Kritik ins-besondere auf den Umstand, dass umgekehrt Produkti-onsausfälle in Europa anscheinend keine nennenswertenAuswirkungen auf die Preise in Asien hatten. Die Euro-päische Kommission selbst duplizierte die Studie undnahm zusätzlich statistische Tests vor, um das Ausmaßder Preisfolgen zu bestimmen. Anders als die Parteienkonzentrierte die Kommission ihre Untersuchung auf un-erwartete Produktionsausfälle in Westeuropa und stelltefest, dass diese sich in anderen Erdteilen nicht statistischsignifikant auswirkten. Sie räumte allerdings ein, dassdies an der geringen Zahl der festgestellten Produktions-ausfälle gelegen haben könnte. Aus dem Gutachten derParteien zur Auswirkung auf die Handelsströme ließ sichnach Auffassung der Kommission ebenfalls nicht eindeu-tig ableiten, dass asiatische Produzenten einen Wettbe-werbsdruck auf den EWR-Markt ausübten. Daraufhinverfasste die Kommission eine eigene Studie über dieFolgen unerwarteter Produktionsausfälle auf die Handels-ströme. Aus dieser zog sie den Schluss, dass der EWR für

sich genommen keinen gesonderten geographischenMarkt für Essigsäure bilde, dieser vielmehr zumindestden EWR und Nordamerika umfasse. Die für die Studiezur Verfügung stehenden Daten reichten jedoch nachAussage der Kommission nicht aus, um Schlussfolgerun-gen im Hinblick auf die Folgen der Produktionsausfälleauf Ausfuhren von Asien in den EWR zu ziehen. DieKommission nahm daneben eine Untersuchung vonTransaktionskosten vor und kam zu dem Ergebnis, dassdie Beförderungs- und Lagerkosten sowie die Einfuhr-zölle zwar nicht unbeträchtlich seien, im Verhältnis zumVerkaufspreis jedoch keine nennenswerte materielleSchranke für interkontinentale Handelsströme darstellten.Nach Auffassung der Kommission sprach die damit ver-fügbare Beweislage trotz der nicht immer zwingenden Er-gebnisse einiger Studien für die Schlussfolgerung, dass essich um um einen Weltmarkt für Essigsäure handelte.

636. Die Entscheidung macht einerseits die gestiegeneBedeutung ökonometrischer Analysen – gerade auch imBereich der Marktabgrenzung – deutlich. Die Parteienlegten insgesamt vier Gutachten vor, daneben erstellte dieEuropäische Kommission weitere Studien. Zwar warenselbst Letztere aufgrund der Datenknappheit nicht in derLage, sämtliche Unsicherheiten bezüglich der Marktdefi-nition zu beseitigen. Sie verhalfen der Kommission je-doch in Bezug auf bestimmte Teilfragen zu wichtigen Er-kenntnissen und förderten die Transparenz und bessereNachvollziehbarkeit ihrer Entscheidung. Andererseits istbemerkenswert, dass die Europäische Kommission imvorliegenden Fall alle vier von den beteiligten Unterneh-men vorgelegten Gutachten nicht als ausreichenden Belegfür die Existenz eines globalen Marktes hat gelten lassen.Ihre Kritik entzündete sich entweder an dem der Analysezugrunde gelegten Modell oder an der Vernachlässigungwesentlicher Faktoren bei der durchgeführten Untersu-chung. Für die beteiligten Unternehmen ergibt sich da-raus die Notwendigkeit, reiflich zu überlegen, unter wel-chen Voraussetzungen die Vorlage von ökonometrischenGutachten in Zusammenschlussverfahren tatsächlichsinnvoll ist. Auch angesichts des hohen ökonomischenSachverstandes innerhalb der Europäischen Kommissionwird es nicht ausreichen, eine „Gutachten-Schlacht“ zubeginnen, ohne dass die erstellten Studien tragfähige Er-gebnisse vorweisen.

3.4 Untersagungskriterium

637. Mit der VO 139/2004, die am 1. Mai 2004 in Kraftgetreten ist, hat sich das Untersagungskriterium der euro-päischen Fusionskontrolle wesentlich geändert. Im Mit-telpunkt des Artikel 2 Abs. 2 und 3 FKVO steht nun derso genannte SIEC-Test. Das bisher gültige Marktbeherr-schungskriterium bleibt als eine wesentliche Konkretisie-rung der „erheblichen Behinderung wirksamen Wettbe-werbs“ bestehen.92 Nach der neuen Regelung sindZusammenschlüsse zu untersagen, sofern durch sie wirk-samer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem

92 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 211 ff.

Page 56: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 307 – Drucksache 16/2460

wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde,insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einerbeherrschenden Stellung. Neu hinzu tritt außerdem dieMöglichkeit, Effizienzvorteile von Zusammenschlüssenausdrücklich zu berücksichtigen.93

638. Ergänzt wird die neue FKVO durch Leitlinien zuhorizontalen Zusammenschlüssen, mit denen die Kom-mission darüber informiert, welche Kriterien sie bei derBeurteilung derartiger Vorhaben anwendet.94 Die ange-kündigten Leitlinien zu vertikalen und konglomeraten Fu-sionen stehen noch aus. Die Europäische Kommissionerläutert in den Leitlinien zu horizontalen Zusammen-schlüssen die Bedeutung von Marktanteilen und Konzent-rationshöhen sowie von Nachfragemacht und Marktzu-tritten. Ferner geht sie auf mögliche Effizienzgewinneund Sanierungsfusionen ein. Außerdem diskutiert sie diemöglichen wettbewerbswidrigen Wirkungen horizontalerZusammenschlüsse, wobei sie zwischen unilateralen undkoordinierten Effekten unterscheidet. In den Randzif-fern 24 ff. nennt die Kommission verschiedene Faktoren,die darüber entscheiden könnten, ob spürbare unilateraleWirkungen von einem Zusammenschluss zu erwartensind. Allerdings sei die Aufzählung weder erschöpfend,noch müssten alle Faktoren gleichzeitig vorliegen, damitnichtkoordinierte Effekte festgestellt werden könnten. Zuden entscheidungserheblichen Faktoren zählen:

– hohe Marktanteile der fusionierenden Unternehmen,

– die fusionierenden Unternehmen sind nahe Wettbe-werber,

– begrenzte Möglichkeiten der Kunden, zu einem ande-ren Anbieter überzuwechseln,

– Erhöhung des Angebots durch die Wettbewerber beiPreiserhöhung unwahrscheinlich,

– Fähigkeit des fusionierten Unternehmens, die Wettbe-werber am Wachstum zu hindern und

– Beseitigung einer wichtigen Wettbewerbskraft durchden Zusammenschluss.

In den Randziffern 39 ff. geht die Kommission näher aufkoordinierte Wirkungen von Zusammenschlüssen ein.Als maßgebliche Prüfungspunkte nennt sie insoweit

– das Erzielen von Übereinstimmung über Koordinie-rungsmodalitäten,

– die Überwachung der Abweichungen,

– Abschreckungsmechanismen sowie

– die Reaktionen von Außenstehenden.

639. Die Diskussion um ein neues Untersagungskrite-rium war eng verbunden mit Überlegungen, einen ver-stärkten ökonomischen Ansatz in der Fusionskontrolle zuverankern. Der SIEC-Test ist zwar konzeptionell keinenotwendige Voraussetzung des so genannten more econo-mic approach. Vielmehr wäre eine stärker ökonomisch

orientierte Vorgehensweise in der Fusionskontrolle nachAuffassung der Monopolkommission auch unter demMarktbeherrschungskriterium möglich.95 Dies belegenmehrere Verfahren der Europäischen Kommission, in de-nen bereits während des letzten Berichtszeitraums, alsounter Geltung des Marktbeherrschungstests, quantitativeAnalysen durchgeführt worden sind.96 Im jetzigen Be-richtszeitraum hat die Europäische Kommission ebenfallsin verschiedenen Fällen einen more economic approachbei gleichzeitiger Anwendung des Marktbeherrschungs-tests verfolgt. Nach Auffassung der Monopolkommissionkann allerdings nicht bezweifelt werden, dass die Diskus-sion um den SIEC-Test die Überlegungen zu einer ver-mehrt ökonomischen Betrachtungsweise wesentlichbefördert hat. Auch die Entscheidungspraxis der Europäi-schen Kommission hat sich seit Einführung des neuenUntersagungskriteriums in den Begründungen, wennauch nicht in den Ergebnissen, erkennbar gewandelt.

640. Dieser Wandel betrifft zum einen das Untersa-gungskriterium selbst, zum anderen den more economicapproach der Europäischen Kommission bei der Beurtei-lung von Zusammenschlussfällen. Soweit das Untersa-gungskriterium betroffen ist, erfolgte die Entwicklung hinzum SIEC-Test in der Fallpraxis relativ langsam, denn zuBeginn des Berichtszeitraums hat die Europäische Kom-mission noch hauptsächlich das Marktbeherrschungskri-terium herangezogen. Dies hängt damit zusammen, dassdie VO 139/2004 erst am 1. Mai 2004 in Kraft getreten istund gemäß Artikel 26 FKVO für gewisse „Altfälle“ dieFusionskontrollregeln in ihrer alten Fassung anwendbarblieben. Im Lauf der Zeit nahm die Anwendung desSIEC-Kriteriums aber deutlich zu. Am Ende des Be-richtszeitraums war zu beobachten, dass die EuropäischeKommission selbst in den Freigabeentscheidungen, dieunter Bedingungen und Auflagen ergingen, häufig nurden Wortlaut des Untersagungskriteriums in Artikel 2FKVO wiederholte und offen ließ, ob neben einer be-trächtlichen Wettbewerbsbeeinträchtigung auch die Ent-stehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Po-sition zu befürchten war. Neben dieser zeitlichenKomponente ist eine gewisse Tendenz der EuropäischenKommission erkennbar, bei hohen absoluten und relati-ven Marktanteilen nach wie vor bevorzugt auf den Markt-beherrschungstest zurückzugreifen. Der SIEC-Test wirddagegen eher herangezogen, wenn die beteiligten Unter-nehmen durch den Zusammenschluss nicht die Marktfüh-rerschaft erlangen oder kein weiter Marktanteilsabstandzu ihrem nächsten Wettbewerber besteht. Die beobachte-ten Änderungen in der Entscheidungspraxis beziehen sichvornehmlich auf Fälle der zweiten Verfahrensphase. BeiEntscheidungen in der ersten Verfahrensphase spielte dasUntersagungskriterium nur eine untergeordnete Rolle,weil das maßgebliche Kriterium in Artikel 6 Abs. 1FKVO nach wie vor die „ernsthaften Bedenken hinsicht-

93 Vergleiche hierzu Erwägungsgrund 29 der VO 139/2004.94 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse …, a. a. O.

95 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O,Tz. 228 ff.

96 Vergleiche insbesondere die Entscheidungen der Europäischen Kom-mission, M. 3083, GE/Instrumentarium, und M. 2861, Siemens/Drä-gerwerke.

Page 57: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 308 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

lich der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit demGemeinsamen Markt“ sind.

641. Größeren Einfluss als das neue Untersagungskrite-rium hatte der more economic approach auf die Entschei-dungspraxis. Zum einen wirkte er sich stärker auf Fälleder ersten Verfahrensphase aus, jedenfalls sofern die Frei-gabe unter Bedingungen und Auflagen erging. Zum ande-ren ist der Wandel hin zu einer vermehrt ökonomischenBetrachtungsweise, die bereits in den letzten Jahren undsomit unabhängig von dem neuen Untersagungskriteriumbegonnen hat, im vorliegenden Berichtszeitraum deutlichfortgeschritten. Er drückt sich in verschiedenen Verände-rungen der Entscheidungspraxis aus. Es fällt auf, dass dieermittelten Marktanteile zwar immer noch in den meistenFällen den Ausgangspunkt der vorgenommenen Prüfungbilden, ihre Bedeutung aber zunehmend in Frage gestelltwird. Die Europäische Kommission nimmt häufiger eineausdrückliche Relativierung der Marktanteile vor undstützt sich dabei verstärkt auf Argumente wie das Vorlie-gen von Ausschreibungsmärkten oder die Existenz vonfreien Produktionskapazitäten. In Fällen mit differenzier-ten Produkten fanden regelmäßig Untersuchungen derSubstitutionsbeziehungen statt, auf deren Grundlage ineinigen Fällen ebenfalls die zuvor ermittelten Marktan-teile relativiert wurden. Darüber hinaus nehmen Marktun-tersuchungen und quantitative Analysen einen wesentlichbreiteren Raum in den Entscheidungen der EuropäischenKommission ein als in der Vergangenheit. Dazu gehörtdie Berechnung von Marktkonzentration nach demHirschman-Herfindahl-Index (HHI) ebenso wie die Be-fragung von Marktteilnehmern und die Auswertung vonAusschreibungsdaten. Ferner untermauert die Europäi-sche Kommission ihre Aussagen vermehrt durch ökono-mische Analysen, die die qualitative Einschätzung vonZusammenschlüssen ergänzen oder sogar im Vordergrundder Überlegungen stehen. Zum Teil wurden derartige Stu-dien von den Parteien in das Verfahren eingebracht, zumTeil führte die Europäische Kommission die Analysenselbst durch. Es lässt sich ferner feststellen, dass Befra-gungen und quantitative Analysen – beispielsweise in Be-zug auf die untersuchten Fragestellungen, das methodi-sche Vorgehen oder die ermittelten Ergebnisse – währenddes Berichtszeitraums häufig detaillierter erläutert wor-den sind als in früheren Entscheidungen.

Im Prinzip drückt sich der more economic approach auchin der neu im Gesetz verankerten Möglichkeit der betei-ligten Unternehmen aus, die mit einem Zusammen-schluss verbundenen Effizienzvorteile geltend zu ma-chen. Im Berichtszeitraum hat diese Möglichkeitallerdings kaum eine Rolle gespielt. Nur in einer Zweite-Phase-Entscheidung – Areva/Urenco/ETC JV – wurdedie Problematik angesprochen, auf nähere Ausführun-gen hat die Europäische Kommission hier allerdings ver-zichtet. Damit haben sich Befürchtungen, die Europäi-sche Kommission könnte sich zu großzügig bei derBerücksichtigung von Effizienzvorteilen verhalten, je-denfalls bislang nicht bestätigt.

642. Die Monopolkommission hat sich schon im letztenHauptgutachten positiv zu einem verstärkt ökonomischen

Ansatz geäußert.97 Sie befürwortet die Anwendung quan-titativer Analysen in der Fusionskontrolle, soweit die Da-tenlage sie im konkreten Fall ermöglichen. QuantitativeAnalysen können die qualitative Beurteilung von Zusam-menschlüssen sinnvoll ergänzen und dort, wo die traditio-nelle Vorgehensweise keinen Erfolg verspricht, sogar teil-weise ersetzen. Sie stellen ein wichtiges Mittel derBeweiserhebung dar, das der Europäischen Kommissionhelfen kann, ihre qualitative Einschätzung überzeugendzu belegen und den von den Gerichten geforderten Be-weisstandard zu erfüllen. Eine wesentliche Voraussetzungfür die Anwendung des ökonometrischen Instrumentari-ums – die Ausstattung der Wettbewerbsbehörde mit öko-nomischem Sachverstand – hat die Europäische Kommis-sion mit der Etablierung eines Chefökonomen und seinesTeams bereits in den letzten Jahren erfüllt.

643. Im Berichtszeitraum lag der Schwerpunkt der Un-tersuchungen auf der Entstehung oder Verstärkung vonEinzelmarktbeherrschung. In mehreren Fällen – unter an-derem Sony/BMG, Blackstone/Acetex und Areva/Urenco/ETC JV – stand allerdings die Gefahr einer oligo-polistischen Marktbeherrschung im Vordergrund der Prü-fung. In der Mehrzahl der Zusammenschlüsse führten de-ren horizontale Auswirkungen zu Wettbewerbsbedenkenseitens der Europäischen Kommission, zum Teil wurdendaneben vertikale Effekte der Zusammenschlüsse geprüft,z. B. in den Verfahren Bertelsmann/Springer, Piaggio/Aprilia und Cytec/UCB-Surface-Specialities. Von maß-geblicher Bedeutung waren die vertikalen Auswirkungenetwa in den Fällen EDP/ENI/GDP, E.ON/Mol und Ho-neywell/Novar. Einer der wenigen Zusammenschlüsse, indenen die Europäische Kommission näher auf die konglo-meraten Effekte des Zusammenschlusses einging, ist derFall Johnson & Johnson/Guidant, in dem mehrere Märktefür medizinische Produkte betroffen waren. Durch denZusammenschluss hätten die Parteien ihr Portfolio in denMärkten für interventionäre kardiologische Geräte, endo-vaskuläre Produkte und Herzchirurgie erweitert und ge-stärkt. Die Kommission prüfte daher, ob die neue Unter-nehmenseinheit die Fähigkeit und die Anreize für eineProduktbündelung haben würde. Gegen solche negativenAuswirkungen des Zusammenschlusses sprach jedoch,dass Paketangebote schon vor dem Zusammenschluss inca. 30 Prozent der Verkäufe üblich waren. Außerdem fan-den Ausschreibungen auch für Einzelprodukte statt unddie Nachfrager verfolgten eine Zwei-Lieferanten-Strate-gie. Daneben waren auch andere Wettbewerber in derLage, Paketangebote zu unterbreiten.

3.4.1 Marktanteile

644. Ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung vonZusammenschlüssen bilden nach wie vor die Marktanteileder am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen undihrer Wettbewerber. In der FKVO findet sich lediglich inErwägungsgrund 32 eine Erwähnung von Marktanteilen.Ausführlichere Erläuterungen sind den Leitlinien zu hori-

97 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 222.

Page 58: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 309 – Drucksache 16/2460

zontalen Zusammenschlüssen zu entnehmen.98 In der Ent-scheidungspraxis der Europäischen Kommission gabenhohe Marktanteile von über 50 Prozent mehrfach Anlass,das Vorhandensein einer beherrschenden Marktstellungzu vermuten. Es handelte sich dabei allerdings stets nurum ein erstes Indiz, das aufgrund sonstiger Untersu-chungsergebnisse bestätigt oder verworfen wurde. In derEntscheidung Continental/Phoenix etwa führte die Euro-päische Kommission aus, dass der gemeinsame Anteilvon über 60 Prozent auf dem Markt für Luftfedern vonNutzfahrzeugen die Vermutung einer beherrschendenStellung nahe lege. Auch aus dem gemessenen HHI-Wertvon 3 500 bis 4 000 bzw. der Veränderung dieses Wertesum 1 250 bis 1 750 lasse sich die Vermutung ableiten,dass die Fusion den Unternehmen einen wettbewerblichenVerhaltensspielraum eröffne, den die verbleibenden Wett-bewerber nicht wirksam begrenzen könnten. Die Kom-mission gab den Zusammenschluss insoweit nur unter Be-dingungen frei. Im Gegensatz dazu verursachten dieAnteile auf dem Markt für Luftfedern von Schienenfahr-zeugen, die immerhin eine Höhe von 55 bis 65 Prozent er-reichten und damit auch über der Vermutungsschwelle la-gen, keine wettbewerblichen Bedenken. Die EuropäischeKommission verneinte aufgrund der sonstigen Markt-strukturen die Entstehung oder Verstärkung einer beherr-schenden Stellung.

3.4.1.1 Monopolistische Marktstrukturen

645. Selbst monopolistische oder quasimonopolistischeMarktstrukturen führten im Berichtszeitraum nicht ohneweiteres zu Untersagungsentscheidungen. Hohe gemein-same Marktanteile waren zwar mitursächlich für die Ver-botsverfügung in dem Verfahren EDP/ENI/GDP, trotzMarktanteilen bis zu 100 Prozent gab die EuropäischeKommission aber die Zusammenschlüsse Total/Gaz deFrance sowie Areva/Urenco/ETC JV unter Bedingungenund Auflagen frei.

646. Am 9. Dezember 2004 hat die Europäische Kom-mission den beabsichtigten Erwerb von Gàs de Portugal(GDP) durch Energias de Portugal (EDP) und ENI verbo-ten.99 Mit EDP und GDP hätten sich das etablierte Elektri-zitätsunternehmen in Portugal und das angestammte por-tugiesische Gasunternehmen vereint. Die EuropäischeKommission ging davon aus, dass der Zusammenschlusszu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Positionvon EDP auf dem Markt für die Stromerzeugung, für denGroß- sowie für den Einzelhandel mit Strom geführt hätte.Außerdem hätte GDP seine beherrschende Stellung aufverschiedenen Gasmärkten gefestigt. Dieses Resultat er-gab sich nach Ansicht der Kommission unabhängig da-von, ob die gegenwärtigen Marktstrukturen oder die zu-künftig liberalisierten Märkte betrachtet wurden.

647. Nach Auffassung der Europäischen Kommissionwirkte sich der Zusammenschluss auf die portugiesischen

Märkte für die Erzeugung und den Großhandel mitStrom, für die Bereitstellung von Ausgleichsenergie so-wie für den Stromeinzelhandel aus. Auf dem Markt fürdie Stromerzeugung und den Großhandel kontrollierteEDP bereits vor dem Zusammenschluss ca. 70 Prozentder Erzeugungskapazität sowie etwa 70 Prozent derStromproduktion und war wichtigster Importeur vonStrom. Außerdem könne EDP im Vergleich zu seinenWettbewerbern auf ein breiteres Erzeugungsportfolio aufder Basis von Öl-, Kohle-, Gas- und Wasserkraftwerkenzurückgreifen. Stromimporte größeren Umfangs seienwegen der niedrigen Zahl von Interkonnektoren und dergemeinsamen Projekte von EDP und dem wichtigstenspanischen Stromanbieter Endesa nicht zu erwarten. DiePosition von EDP wird nach Ansicht der Kommissiondurch die horizontalen und vertikalen Effekte des Zusam-menschlusses noch verstärkt. In horizontaler Hinsichtentfalle mit GDP der wesentliche potentielle Wettbewer-ber von EDP bei der Stromerzeugung. Angesichts der zu-nehmenden Bedeutung von Erdgas als Rohstoff für dieStromerzeugung sah die Kommission es als wahrschein-lich an, dass GDP ohne den Zusammenschluss in denStrommarkt eingetreten wäre. Das Unternehmen verfügeüber einen bevorzugten Zugang zu großen Gasmengenund einen etablierten Kundenkreis. Außerdem hätte eseine gemeinsame Belieferung mit Gas und Strom anbie-ten können (dual-fuel-offer).

Daneben führe der Zusammenschluss zur vertikalen Inte-gration von EDP mit dem einzigen portugiesischen Gas-anbieter. Auf diese Weise erlange EDP bedeutende Ein-flussrechte auf und privilegierten Zugang zu derportugiesischen Gasinfrastruktur, über die kein andererStromanbieter verfüge. EDP erhalte durch den Zusam-menschluss Informationen über die Input-Kosten und dentäglichen Verbrauch ihrer Wettbewerber, weil diese wohlauch in Zukunft auf die Belieferung durch GDP angewie-sen seien. Ferner habe die neue Unternehmenseinheit dieMöglichkeit, den Gaspreis für Wettbewerber von EDP zuerhöhen oder die Lieferqualität zu verschlechtern. Somitkönne das zusammengeschlossene Unternehmen aktuelleWettbewerber vom Markt ausschließen und neue Wettbe-werber von einem Marktzugang abschrecken. Selbstwenn eine solche Behinderung von Konkurrenten gegenArtikel 82 EGV verstoße, habe EDP/GDP starke Anreizefür entsprechende Verhaltensweisen, da eine rechtzeitigeAufdeckung durch Wettbewerber oder Wettbewerbsbe-hörden aufgrund der Komplexität der Gasversorgungs-verträge unwahrscheinlich sei. Ähnliche Argumenteführte die Kommission auch hinsichtlich der Märkte fürdie Bereitstellung von Ausgleichsenergie und für denEinzelhandel an.

648. Im Gassektor definierte die Europäische Kommis-sion vier unterschiedliche Teilmärkte, die von dem Zu-sammenschlussvorhaben beeinflusst würden. Dies warendie – jeweils auf Portugal beschränkten – Märkte für dieLieferung von Gas an Stromerzeuger, an lokale Vertei-lungsunternehmen, an große industrielle Kunden und ankleine Industrie-, Geschäfts- und Privatkunden. Die Kom-mission nahm an, dass der Zusammenschluss die beherr-schende Position von GDP auf den genannten Märkten

98 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse …, a. a. O.,Rz. 14 ff., 27.

99 Vergleiche zur Bestätigung der Untersagungsentscheidung durch dasEuG unten Abschnitt 3.6.3 in diesem Kapitel.

Page 59: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 310 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

verstärken würde. GDP ist der angestammte Monopolistauf allen Gasmärkten Portugals (mit Ausnahme des Ge-biets um Porto) und wird nach Auffassung der Kommis-sion auch nach der Liberalisierung marktbeherrschendbleiben. Zur Begründung nannte die Kommission den Er-fahrungsvorsprung von GDP im Gasbereich, ihre breiteKundenbasis und Kenntnis der Kundenprofile sowie ihrMarkenportfolio. Des Weiteren kontrolliere das Unter-nehmen fünf der sechs lokalen Weiterverteiler. Mit einerEinschränkung seines Verhaltensspielraums durch spani-sche Gasanbieter sei nicht zu rechnen.

Auf dem Markt für die Belieferung von Stromproduzen-ten erwartete die Kommission eine Abschottung der aktu-ellen Nachfrage zugunsten von GDP. Die einzigen Betrei-ber von Gaskraftwerken in Portugal – EDP und Turbogás –verlören durch den Zusammenschluss den Anreiz oderdie rechtliche Möglichkeit, ihren Gasbedarf bei Wettbe-werbern von GDP zu decken. EDP habe ein starkes Inte-resse an einer guten Ertragslage von GDP, die zudem ver-traglich berechtigt sei, in das jeweils günstigste Angeboteines Wettbewerbers einzutreten. An Turbogás halte EDP20 Prozent der Anteile, so dass auch insoweit mit einerBevorzugung von GDP gerechnet werden müsse. Da derBau konkurrierender Gaskraftwerke in nächster Zukunfteher unwahrscheinlich sei, gebe es für potentielle Wettbe-werber von GDP nach dem Zusammenschluss mangelsNachfrage keine Marktzutrittsmöglichkeiten mehr. Mitähnlichen Erwägungen begründete die Kommission auchdie Verstärkung der beherrschenden Position von GDPauf dem Markt für die Belieferung von lokalen Weiterver-teilern. Das einzige Verteilerunternehmen, das bislangnicht GDP alleine gehöre, werde von EDP mitkontrol-liert. Nach dem Zusammenschluss sei auch der Bedarfdieses Unternehmens nicht mehr für konkurrierende Gas-lieferanten zugänglich.

Auf den Märkten für die Gasversorgung von industriellenGroßkunden und kleineren Kunden werde die Stellungvon GDP gestärkt, weil ohne den Zusammenschluss einMarkteintritt von EDP wahrscheinlich gewesen wäre.EDP verfüge als Betreiber eines Gaskraftwerks über denZugang zu großen Gasmengen und damit über die Flexi-bilität, das erworbene Gas entweder zur Stromerzeugungzu nutzen oder selbst weiterzuverkaufen. Außerdemkönne das Unternehmen auf einen aktuellen Kunden-stamm, eine gute Reputation im Energiebereich sowie aufdie Erfahrungen des von ihr mitkontrollierten Gasvertei-lers Portgás zurückgreifen. Daneben würde der Zusam-menschluss potentielle Wettbewerber vom Marktzutrittabschrecken, denn sie müssten, um wettbewerbsfähig zusein, ebenfalls die gemeinsame Belieferung von Stromund Gas anbieten können.

649. Die vorliegende Entscheidung ist besonders inte-ressant vor dem Hintergrund, dass das Bundeskartellamtseine Marktabgrenzung im Strombereich künftig an derMarktsegmentierung der Europäischen Kommission ori-entieren will.100 Das Bundeskartellamt hat bislang zwi-

schen den Märkten zur Belieferung von Stromweiterver-teilern, von Großkunden sowie von Klein- undHaushaltskunden unterschieden. Auf der Grundlage die-ser Marktabgrenzung ist es in jüngerer Vergangenheit we-gen der zunehmenden Bedeutung des Stromhandels aufSchwierigkeiten bei der Marktanteilsermittlung gestoßen.Beim Stromhandel – z. B. über die Börse – ist weder fürdie Stromproduzenten noch für die Wettbewerbsbehördennachzuverfolgen, welche Strommengen von Weitervertei-lern einerseits und Großkunden andererseits erworbenwurden. Die Europäische Kommission hingegen unter-scheidet im Strombereich lediglich zwischen dem Groß-handelssegment und dem Segment für den Einzelhandel.Auf der Ebene des Großhandels erfolgt keine weitere Un-terscheidung nach Kundengruppen, nur im Bereich desEinzelhandels differenziert sie zwischen dem Einzelhan-del mit Großkunden einerseits und dem mit Haushalts-und Kleinkunden andererseits. Die Monopolkommissionhält die von der Europäischen Kommission vorgenom-mene Marktabgrenzung, die im Bereich des Großhandelsnicht weiter nach Kundengruppen trennt, für sinnvoll. Dieoben beschriebenen Schwierigkeiten bei der Berechnungvon Marktanteilen der Stromproduzenten, die angesichtsder wachsenden Bedeutung des Stromhandels noch zu-nehmen werden, lassen sich auf der Basis dieser Marktde-finition vermeiden. Im Bereich des Einzelhandels sindentsprechende Probleme nicht zu erwarten. Hier ist eineDifferenzierung nach verschiedenen Kundengruppen– angesichts abweichender Nachfragemengen und Ver-tragsgestaltung – nach wie vor sachgerecht und praktika-bel.

650. Im Gasbereich decken sich die Marktabgrenzungder Europäischen Kommission und die des Bundeskar-tellamtes weitgehend. Beide Wettbewerbsbehörden diffe-renzieren bei der Belieferung mit Gas nach verschiedenenKundengruppen. So hat die Europäische Kommission imvorliegenden Fall eine Unterscheidung zwischen der Be-lieferung von Stromerzeugern, lokalen Verteilerunterneh-men, großen industriellen Kunden und kleinen Industrie-,Geschäfts- und Privatkunden vorgenommen. Sie verwarfausdrücklich die Forderung der Parteien, die ersten dreiMärkte zu einem Gesamtmarkt für den Großhandel mitGas zusammenzufassen. Gegen einen Gesamtmarkt sprä-chen unter anderem die unterschiedlichen Versorgungsbe-dürfnisse und Verbrauchsmuster, die unterschiedlicheVertragsausgestaltung sowie die abweichenden Margenund Kundenbeziehungen der jeweiligen Kundengruppen.Die Abgrenzung eines Gesamtmarktes für den Großhan-del war auch nicht aus pragmatischen Gründen erforder-lich, da die Marktanteilsberechnung auf der Grundlagevon Lieferungen an einzelne Kundengruppen keine er-mittlungstechnischen Probleme zur Folge hatte. Im vor-liegenden Fall hätte im Übrigen auch die Abgrenzung ei-nes Gesamtgroßhandelsmarktes kaum etwas am Ergebnisder fusionskontrollrechtlichen Prüfung geändert, da GDPals angestammter Monopolist auf sämtlichen Teilmärktenüber eine sehr starke Stellung verfügte.

651. Als maßgeblich für das ausgesprochene Verboterwies sich die von der Kommission vorgenommeneräumliche Marktabgrenzung. Entgegen der Ansicht der100 Vergleiche oben Tz. 519 ff. in diesem Kapitel.

Page 60: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 311 – Drucksache 16/2460

Parteien ging die Kommission nicht von einem gesamt-iberischen Markt aus, sondern definierte die sachlichenMärkte als höchstens national. Als Gründe führte sie un-ter anderem die geringe Interkonnektoren-Kapazität, diebeträchtlichen Preisdifferenzen zwischen Portugal undSpanien sowie die unterschiedlichen rechtlichen Rahmen-bedingungen an. Soweit sich die Parteien auf die geplanteGründung des iberischen Strommarkts beriefen, wider-sprach die Kommission, da mit der Entwicklung eineseinheitlichen Gesamtmarkts jedenfalls in naher Zukunftnicht zu rechnen sei. Die Überlegungen zu der räumli-chen Marktabgrenzung nehmen mit 30 Seiten einen brei-ten Raum der Entscheidung ein. Anders als das Bundes-kartellamt, das für Deutschland inzwischen wieder zueiner netzbezogenen Abgrenzung der Kleinkundenmärktezurückgekehrt ist, ging die Kommission im vorliegendenFall wegen der Besonderheiten der portugiesischen Ver-hältnisse auch insoweit von nationalen Märkten aus.Nach den Erkenntnissen der Kommission hat EDP seinzuvor lokal organisiertes Einzelhandelsgeschäft auf natio-naler Ebene integriert. Es bestünden keine Anhaltspunktedafür, dass dieser Prozess nach der Liberalisierung desStromsektors umgekehrt würde.

652. Ähnlich wie das Bundeskartellamt in dem FallE.ON/Ruhrgas begründete die Europäische Kommissiondie Verstärkung der beherrschenden Stellung im Strom-markt vor allem mit dem strukturell abgesicherten Zu-gang zu der Ressource Erdgas und dem Zugriff auf dieGasinfrastruktur, die eine Behinderung von Wettbewer-bern ermögliche. Die Kommission ging daneben ausführ-lich auf den Umstand ein, dass GDP als wichtigster po-tentieller Wettbewerber von EDP entfalle. Auf denGasmärkten weichen die Argumentationslinien der bei-den Wettbewerbsbehörden stärker voneinander ab. DasBundeskartellamt hatte entschieden, dass die Fusion zumeinen die Position von Ruhrgas in den Ferngasmärktenund zum anderen die Position der E.ON-Gesellschaften inden Gasweiterverteilungsmärkten verstärke, da nach derFusion die E.ON-Gesellschaften als sichere Kunden fürRuhrgas und Ruhrgas als sicherer Lieferant für die E.ON-Gesellschaften zur Verfügung stünden. Die Monopol-kommission hatte bereits im letzten HauptgutachtenZweifel an der Richtigkeit dieser Argumentation geäu-ßert.101 Ihrer Ansicht nach ergeben sich die eigentlichenWettbewerbswirkungen der vertikalen Integration weni-ger auf den Märkten, die durch die vertikale Integrationganz oder teilweise auf das konzerninterne Geschäft ver-lagert werden, als vielmehr auf den Zuliefermärkten„stromauf“ und den Absatzmärkten „stromab“ in derWertschöpfungskette. Entscheidend ist, dass künftigenWettbewerbern ein Marktzutritt schwerer fällt, wenn siedazu jeweils in zwei Märkte gleichzeitig eintreten müs-sen. In diesem Sinne argumentiert auch die EuropäischeKommission, wenn sie die durch die vertikale Integrationresultierenden Marktverschlusseffekte betont. PotentielleWettbewerber von GDP werden ihrer Ansicht nach voneinem Marktzutritt abgehalten, weil sie keine unabhängi-

gen Nachfrager mehr vorfinden, die sie mit Gas beliefernkönnen.

653. Mit der vorliegenden Entscheidung hat die Euro-päische Kommission zum ersten Mal nach mehr als dreiJahren wieder ein Fusionsverbot ausgesprochen. Dies istum so bemerkenswerter, als das Zusammenschlussvorha-ben auf großes politisches Interesse gestoßen ist. Der der-zeitige Präsident der Europäischen Kommission, Barroso,hatte sich in seiner Funktion als Ministerpräsident vonPortugal für den Zusammenschluss eingesetzt. Die Unter-sagungsentscheidung kann somit zumindest auch als Be-leg für die Unabhängigkeit der Kommission von Partiku-larinteressen einzelner Mitgliedstaaten gewertet werden.Großes Gewicht bei der endgültigen Entscheidungsfin-dung dürfte allerdings auch der Umstand gehabt haben,dass die etablierten Energieunternehmen in anderen Mit-gliedstaaten für den Fall einer Genehmigung des Zusam-menschlusses EDP/ENI/GDP ihrerseits vergleichbare Fu-sionsvorhaben angekündigt hatten. Laut Presseberichtenwollte die Kommission es vor diesem Hintergrund ver-meiden, einen Präzedenzfall zu schaffen.

654. Trotz monopolistischer Strukturen gab die Euro-päische Kommission den Zusammenschluss Total/Gaz deFrance am 8. Oktober 2004 frei. Der Zusammenschlussfand vor dem Hintergrund der Liberalisierung des franzö-sischen Gasmarktes statt und hatte unter anderem dieAuflösung von zwei Gemeinschaftsunternehmen der Zu-sammenschlussbeteiligten zum Inhalt. Betroffen warendie Märkte für den Gastransport, für die Lagerung und fürdie Belieferung von Weiterverteilern sowie von Endkun-den. In räumlicher Hinsicht sah die Kommission sowohlAnhaltspunkte für eine nationale wie für eine regionaleAbgrenzung der betroffenen Märkte und prüfte den Zu-sammenschluss auf der Basis beider Alternativen. Selbstbei einer engen geographischen Marktabgrenzung konntedie Europäische Kommission allerdings keine Verände-rung der Marktanteilsstrukturen durch den Zusammen-schluss feststellen. Im Südwesten Frankreichs verfügteTotal auf den Märkten für den Transport und die Lage-rung von Gas – über seine Beteiligung an dem Gemein-schaftsunternehmen mit Gaz de France – bereits vor demZusammenschluss über ein Monopol. Auch bei der Belie-ferung von Weiterverteilern hielt Total schon bislang ei-nen Marktanteil von 100 Prozent, bei der Belieferung vonEndkunden immerhin noch 45 bis 55 Prozent. Durch dengeplanten Zusammenschluss änderte sich an diesenMarktstrukturen nichts, es fand lediglich ein Übergangvon gemeinsamer Kontrolle an dem bisherigen Gemein-schaftsunternehmen zu alleiniger Kontrolle statt. Prinzi-piell bewertete die Europäische Kommission den Zusam-menschluss positiv, weil er zur Auflösung vonÜberkreuzbeteiligungen zwischen Total und Gaz deFrance führte. Sie ging allerdings davon aus, dass Totalnach dem Zusammenschluss über die Fähigkeit und dieAnreize verfügen würde, neu eintretenden Wettbewerbernden Zugang zu seiner Infrastruktur hinsichtlich Trans-portnetzen und Lagerhaltungskapazitäten zu erschwerenoder vorzuenthalten. Daher erteilte sie die Freigabeent-scheidung nur unter Bedingungen und Auflagen. Die Mo-nopolkommission bezweifelt, dass die Auflösung von

101 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003,a. a. O., Tz. 635 ff., 641 ff.

Page 61: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 312 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Überkreuzbeteiligungen zu den erhofften wettbewerbs-förderlichen Auswirkungen auf den betroffenen Märktenführen wird. Schon in den Verfahren Veba/Viag undRWE/VEW sind sowohl die Europäische Kommission alsauch das Bundeskartellamt davon ausgegangen, dass mitder Bereinigung von gemeinsamen Beteiligungen posi-tive wettbewerbliche Effekte verbunden sein würden.Wie die Erfahrungen auf dem deutschen Strommarkt zei-gen, haben sich diese Prognosen jedoch als zu optimis-tisch herausgestellt.

3.4.1.2 Marktanteile und Ausschreibungsmärkte

655. Die an Zusammenschlüssen beteiligten Unterneh-men haben in mehreren Fällen versucht, die von der Eu-ropäischen Kommission ermittelten Marktanteile mit demHinweis auf das Vorliegen von Ausschreibungsmärktenzu relativieren. Diese Argumentation findet sich z. B. inden Verfahren Continental/Phoenix, Siemens/VA Tech,Air Liquide/Messer Targets sowie Honeywell/Novar. DieEuropäische Kommission setzte sich mit dem Vorbringender Parteien auseinander und nahm eine Beurteilung aufder Grundlage des konkreten Einzelfalls vor.

656. In dem Verfahren Continental/Phoenix argumen-tierten die Parteien, dass es sich bei dem Markt für Nutz-fahrzeug-Luftfedern um einen Ausschreibungsmarkt han-dele und auch nach der Fusion noch mindestens dreiglaubwürdige, marktstarke Mitbieter existierten. Zur Un-termauerung ihrer These legte Continental ein Gutachtenvor, das sich mit den Wettbewerbsverhältnissen auf Aus-schreibungsmärkten beschäftigte. Dieses vermochte dieEuropäische Kommission jedoch nicht zu überzeugen.Zwar träfen die in dem vorgelegten Gutachten getroffe-nen Modellannahmen möglicherweise auf andere Aus-schreibungsmärkte zu, ihrer Ansicht nach bilde der Marktfür Nutzfahrzeug-Luftfedern aber allenfalls in Teilen ei-nen Ausschreibungsmarkt. Unstreitig liege jedenfallskein „offener“ Ausschreibungsmarkt vor, bei dem eintransparentes Verfahren gewährleistet sei und jeder An-bieter die gleiche Teilnahmemöglichkeit erhalte.

657. In dem Verfahren Siemens/VA Tech stellte dieKommission fest, dass der Zusammenschluss unter ande-rem zu einer erheblichen Beeinträchtigung wirksamenWettbewerbs durch die Schaffung einer marktbeherr-schenden Stellung auf dem Markt für die Ausrüstung vonWasserkraftwerken führen würde. Siemens und VA Techverfügten vor dem Zusammenschluss über 10 bis20 Prozent bzw. 30 bis 40 Prozent der Marktanteile undwürden gemeinsam einen hohen absoluten Marktanteilsowie einen weiten Abstand zu ihren nächsten Wettbe-werbern erreichen. Siemens argumentierte, dass es sichbei der Wasserkraftwerksausrüstung um einen Ausschrei-bungsmarkt mit der Folge handele, dass Marktanteile ansich wenig aussagekräftig seien. Die Kommission teiltediese Ansicht jedenfalls in ihrer Generalität nicht. IhrerAnsicht nach lasse die Tatsache, dass es in einem MarktAusschreibungen gebe, für sich genommen noch keineSchlussfolgerung auf die zu erwartende Intensität desWettbewerbs oder auf die Aussagefähigkeit von Marktan-teilen im Hinblick auf eine mögliche Marktmacht zu. Ent-

scheidend sei vielmehr die Struktur der Bietsituationenim Einzelfall. Im vorliegenden Fall komme es zu häufi-gen Ausschreibungen mit sehr kleinem Auftragsvolumen.Insbesondere angesichts der großen Zahl von Ausschrei-bungen müsse davon ausgegangen werden, dass die be-obachtete Marktanteilsstruktur nicht zufällig zustande ge-kommen sei, sondern das Ergebnis des von denverschiedenen Herstellern angebotenen Produktportfo-lios, ihrer Kostenstruktur und der Kundenpräferenzen sei.Die Marktanteile enthielten somit erhebliche Informatio-nen über die Marktmacht der verschiedenen Anbieter.

Anders beurteilte die Kommission das Ausschreibungsar-gument nur in Bezug auf den Markt für Energieübertra-gung und -verteilung. Hier erreichen die Parteien im Jahr2003 bei einer engen Marktabgrenzung auf dem Teil-markt für Turnkey-Hochspannungsprojekte 60 bis70 Prozent der Anteile. Außerdem verringerte sich durchden Zusammenschluss nach Auffassung der Kommissiondie Anzahl der glaubwürdigen Anbieter von vier auf drei,es verblieben lediglich Siemens/VA Tech, ABB undAreva im Markt. Ähnlich wie im Wasserkraftmarktmachte Siemens geltend, dass die Marktanteile in den be-troffenen Märkten keinen unmittelbaren Aufschluss überdie Marktmacht der Anbieter gäben, weil Aufträge überAusschreibungen vergeben würden. Die Kommissionfolgte dem Vortrag der Parteien, weil nach ihren Ermitt-lungen der Markt für Turnkey-Hochspannungsprojektestark projektabhängig sei. Der Großteil der Umsätze in ei-nem Jahr ergebe sich aus einer kleinen Anzahl von Groß-projekten, dementsprechend schwankten die Marktanteileder Wettbewerber im Zeitablauf stark. So habe im Fünf-jahreszeitraum von 1999 bis 2003 der jährliche Markt-anteil von Siemens zwischen 5 bis 10 Prozent und 50 bis60 Prozent gelegen, VA Tech erzielte in der gleichen Pe-riode einen Marktanteil zwischen > 2 Prozent und 15 bis20 Prozent. Die übrigen Umsätze enfielen jeweils aufABB und Areva.

658. In dem Verfahren Honeywell/Novar, das die Euro-päische Kommission in der ersten Verfahrensphase unterAuflagen abschloss, ergaben sich wettbewerbliche Be-denken vor allem auf dem italienischen Markt für die Lie-ferung von Feueralarmsystemen an Installateure. Die Par-teien kamen zusammen auf Marktanteile in Höhe von50 bis 60 Prozent und versuchten, diese mit dem Argu-ment zu relativieren, dass es sich bei dem nachgelagertenMarkt für die Installation von Feueralarmsystemen um ei-nen Ausschreibungsmarkt handele. Als Nachweis legtensie einige an sie gerichtete Preisanfragen von Endkundenvor. Diese vermochten die Europäische Kommission al-lerdings nicht zu überzeugen, zumal sie einen nachgela-gerten und nicht den untersuchten Markt betrafen. DerLetztere zeichne sich dadurch aus, dass sich die Preisenach Preislisten richteten und nur gelegentlich nachver-handelt würden. Lediglich bei sehr großen Projektenkomme es vor, dass Installateure nach einem besonderenRabatt fragten.

659. Auch nach Auffassung der Monopolkommissionliefern Marktanteile nur einen ersten Anhaltspunkt für dieBeurteilung der wettbewerblichen Stärke der Zusammen-

Page 62: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 313 – Drucksache 16/2460

schlussparteien. Insbesondere in Ausschreibungsmärktenkönnen sich Marktanteile relativ schnell und gravierendändern. Die Europäische Kommission muss daher einementsprechenden Vortrag der Parteien nachgehen und un-tersuchen, ob ein Ausschreibungsmarkt vorliegt. Maß-geblich ist ferner, wie ein solcher Ausschreibungsmarktim Einzelfall ausgestaltet ist: Können die Lieferanten ihreAngebote nur bei wenigen großvolumigen Projekten proJahr abgeben, sind Marktanteile weniger aussagekräftigals bei der Ausschreibung vieler kleiner Projekte. DasGewicht der Marktanteile nimmt auch dann wieder zu,wenn diese – wie im Fall Air Liquide/Messer Targets –über mehrere Jahre stabil geblieben sind, besonders engeKunden-Lieferanten-Beziehungen bestehen, Informati-onsvorsprünge des bisherigen Lieferanten existieren oderdie Verlässlichkeit von Lieferungen eine besondere Rollespielt.

3.4.1.3 EWR-weite Marktanteile bei nationaler Marktabgrenzung

660. Kritisch beurteilt die Monopolkommission die Pra-xis der Europäischen Kommission, bestimmte räumlichrelevante Märkte abzugrenzen, bei der anschließendenwettbewerblichen Beurteilung aber auf Marktanteile inweiter definierten Märkten zurückzugreifen. Eine solcheVorgehensweise hat die Europäische Kommission z. B. inden Verfahren Owen-Illinois/BSN Glasspack und John-son & Johnson/Guidant gewählt. In dem letzteren Fallging es um medizinische Geräte und Zubehör, wobei imWesentlichen drei Bereiche betroffen waren: interventio-näre kardiologische Geräte, endovaskuläre Produkte so-wie Geräte für die Herzchirurgie. Alle drei Bereiche setz-ten sich aus mehreren Teilmärkten für einzelne Geräteund Zubehörteile zusammen. In räumlicher Hinsicht ge-langte die Kommission zu einer nationalen Marktabgren-zung, da sich die Beschaffung der Produkte durch Kran-kenhäuser u.ä. sowie die Kostenerstattung durch dieKrankenkassen in den einzelnen Mitgliedstaaten wesent-lich unterschieden. Trotzdem hat die Europäische Kom-mission bei einer Vielzahl von sachlichen Märkten dieEWR-weiten Marktanteile zur Grundlage ihrer Beurtei-lung gemacht, die häufig erheblich von den nationalenMarktanteilen abwichen. So ermittelte die Kommissionbei verschiedenen Geräten im kardiologischen BereichEWR-weite Marktanteile in Höhe von bis zu 35 Prozent.Betrachtet man die Marktanteile auf nationaler Basis, er-reichten die Parteien jedoch häufig Anteile bis zu60 Prozent, in Einzelfällen sogar bis zu 85 oder 95 Pro-zent. Mit Hinweis auf die EWR-weiten Marktanteile unddie EWR-weite Marktführerschaft zweier Konkurrentenvon Johnson & Johnson/Guidant verneinte die Kommis-sion das Vorliegen von wettbewerblichen Beeinträchti-gungen selbst in den Mitgliedstaaten, in denen die Zu-sammenschlussparteien sehr hohe Marktanteile hielten.

661. Angesichts der erheblichen nationalen Unter-schiede ist die Feststellung der Europäischen Kommis-sion, die EWR-weiten Marktanteile seien im Großen undGanzen repräsentativ, nicht nachzuvollziehen. Ebenfallszweifelhaft bleibt die von der Kommission gezogeneSchlussfolgerung, es bestünden auch hinsichtlich dieser

Mitgliedstaaten keine Anhaltspunkte für eine Wettbe-werbsbeeinträchtigung. Zu erklären ist das Vorgehen derEuropäischen Kommission wohl nur mit der erheblichenAnzahl zu untersuchender Teilmärkte. Möglicherweisehat sich die Kommission auf die Prüfung der Märkte kon-zentriert, auf denen negative Zusammenschlussfolgen ih-rer Ansicht nach am ehesten nachweisbar waren. DieseVorgehensweise spiegelt die Schwierigkeiten wider, inden relativ kurzen Verfahrensfristen der FKVO hundertevon Märkten eingehend zu untersuchen und gegebenen-falls geeignete Zusagen zu bestimmen. Eine gewisse Ab-hilfe kann in solchen Fällen eine Verfahrensverlängerungum bis zu 20 Arbeitstage schaffen, wie sie seit der jüngs-ten Reform in Artikel 10 Abs. 3 FKVO vorgesehen ist.Jedenfalls muss die Europäische Kommission künftigdarauf hinwirken, derart offensichtliche Widersprüche inihren Entscheidungen zu vermeiden.

662. Auf dem Markt für bestimmte Gefäßprothesen fürHerzkranzgefäße (Stents) hat die Europäische Kommis-sion den aktuellen Marktanteilen dagegen kaum Beach-tung geschenkt. Obwohl auf dem Markt nur zwei aktuelleWettbewerber, Johnson & Johnson und Boston Scientificmit 40 bis 50 Prozent bzw. 50 bis 60 Prozent der Marktan-teile tätig sind, hatte die Kommission insoweit keine Be-denken gegen den Zusammenschluss. Sie konzentriertesich auf die Untersuchung des potentiellen Wettbewerbs,der ihrer Ansicht nach genügte, um Verhaltensspielräumeder neuen Unternehmenseinheit zu verhindern. Diese Ein-schätzung traf die Kommission wahrscheinlich, weil derMarkt für kardiologische Geräte stark innovativ geprägtist und schnell wächst. Auch nach Ansicht der Monopol-kommission können sich Marktanteile unter diesen Vo-raussetzungen kurz- bis mittelfristig erheblich verändernund erlangen nicht dieselbe Aussagekraft wie bei einemausgereiften Markt. Nähere Erläuterungen in der Ent-scheidung zu diesem Zusammenhang und den Beweg-gründen der Europäischen Kommission wären allerdingswünschenswert gewesen.

3.4.2 Substitutionsverhältnis

663. Ein Ausdruck des von der Europäischen Kommis-sion angestrebten more economic approach ist die Prü-fung des Substitutionsverhältnisses zwischen den Zusam-menschlussparteien einerseits und ihren Wettbewerbernandererseits. Die Leitlinien der Europäischen Kommis-sion zu horizontalen Zusammenschlüssen führen dazuaus, dass ein solches Vorgehen insbesondere bei differen-zierten Produkten sinnvoll ist.102 Die Monopolkommis-sion teilt diese Auffassung. Vor allem bei differenziertenProdukten können die ermittelten Marktanteile allenfallseinen ersten Anhaltspunkt für die Bewertung von Zusam-menschlussfällen bilden. Daher sollte die EuropäischeKommission stets versuchen, die auf dem untersuchtenMarkt vorhandenen Substitutionsbeziehungen in ihreGesamtbetrachtung einzubeziehen. Dies gilt vor demHintergrund, dass ein Zusammenschluss zwischen zwei

102 Vergleiche Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse…, a. a. O., Rz. 28 ff.

Page 63: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 314 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Unternehmen, die weit entfernte Substitute anbieten, auswettbewerbsrechtlicher Sicht weniger kritisch zu bewer-ten ist als bei Vorliegen eines besonders engen Nähever-hältnisses. Eine Untersuchung von Substitutionsbezie-hungen hat die Europäische Kommission bereits währenddes letzten Berichtszeitraums vorgenommen und beson-ders in den Fällen Siemens/Drägerwerke und GE/Instru-mentarium weiterentwickelt.103 Auch in der jüngsten Ent-scheidungspraxis findet sich eine Reihe von Fällen, indenen das Substitutionsverhältnis zwischen den verschie-denen Produkten auf einem Markt eine wichtige Rollespielte. Zum Teil deckten sich die Untersuchungsergeb-nisse der Kommission mit der Einschätzung, die aus derermittelten Marktanteilshöhe resultierte, zum Teil wurdenhohe Marktanteile der Parteien aber auch relativiert.

664. In dem Verfahren Continental/Phoenix bestätigtedie Befragung der Kunden in Bezug auf den Markt fürNutzfahrzeug-Luftfedern, dass bei den meisten der sechsabgefragten Kategorien technische Kompetenz/Innova-tion, Qualität/Zuverlässigkeit, Kundendienst/Support so-wie bisherige Erfahrungen, Preis und freie Kapazität ent-weder Continental oder Phoenix auf Platz eins oder zweilagen. Bestärkt sah sich die Kommission in dieser Fest-stellung durch die Ergebnisse einer von ihr durchgeführ-ten Analyse der Lieferbeziehungen von insgesamt18 Kunden. Nach Ausschluss der Aufträge, die ohne Aus-schreibung vergeben worden waren, verblieben 18 Auf-forderungen zur Angebotsabgabe. Bei neun dieser 18 An-fragen nahmen nach den Ermittlungen der Kommissionsowohl Continental als auch Phoenix teil. Nach den Be-rechnungen der Kommission wurden die Zusammen-schlussparteien in 70 bis 80 Prozent aller Aufträge, fürdie sich beide bewarben bzw. in 30 bis 40 Prozent alleroffenen Auftragsvergaben als engste Wettbewerber einge-stuft. Der größte Wettbewerber Firestone dagegen wurdenur fünfmal zusammen mit Continental angefragt undwar lediglich in zwei dieser Fälle bzw. in 11 Prozent allerAngebotsanfragen der engste Wettbewerber von Conti-nental. Durch den Zusammenschluss wäre daher ein Un-ternehmen aus dem Markt ausgeschieden, das von denKunden als stärkster Wettbewerber von Continental ange-sehen wurde. Dies hätte den Wettbewerbsdruck, demContinental bisher ausgesetzt war, erheblich gemindert.

665. In dem Fall Siemens/VA Tech prüfte die Kommis-sion auf dem Markt für Turnkey-Hochspannungsprojekteebenfalls, ob Siemens und VA Tech von einer erheblichenAnzahl von Kunden als erste und zweite Wahl einge-schätzt wurden oder ob die beiden Unternehmen aufgrundihrer Kostenstruktur bei Ausschreibungen gegenseitig be-sonders wichtige Wettbewerber waren. Allerdings ließenweder die Marktbefragung noch die Ausschreibungsdateneine solche Annahme zu. Aus Letzteren ergab sich, dassABB, gefolgt von Areva, die bei weitem am häufigstenim direkten Wettbewerb zu Siemens bietenden Unterneh-men darstellten. Des Weiteren überprüfte die Kommis-sion anhand der Ausschreibungsdaten, ob Siemens und

VA Tech möglicherweise in einer signifikanten Anzahlvon Bietsituationen als niedrigster und zweitniedrigsterAnbieter auftraten und damit im Wettbewerb einen be-sonders wichtigen Einfluss auf den Transaktionspreisausübten. Auch diese Annahme konnte anhand der Datennicht bestätigt werden.

666. Der Fall Bayer Healthcare/Roche betraf verschie-dene Märkte für nicht verschreibungspflichtige Arznei-mittel. Auf dem österreichischen Markt für Magensäure-mittel erreichten die Parteien Anteile von 55 bis 60 Pro-zent, was zunächst erhebliche wettbewerbliche Befürch-tungen der Kommission auslöste. Bei der Marktuntersu-chung stellte sich allerdings heraus, dass die Produktevon Bayer und Roche relativ weit entfernte Substitute bil-deten, während zwei engere Ersatzprodukte von Wettbe-werbern auf dem Markt verblieben. Außerdem ermitteltedie Kommission drei potentielle Konkurrenten, die be-reits auf benachbarten Märkten aktiv waren. Sie kamdaher zu dem Schluss, dass die hohen gemeinsamenMarktanteile der Zusammenschlussbeteiligten die Wett-bewerbssituation nicht richtig wiedergaben und verneintedie Gefahr einer erheblichen Wettbewerbsbehinderung.

Auf dem österreichischen Markt für Schmerzmittel bestä-tigte die Marktuntersuchung hingegen die zuvor geäußer-ten Wettbewerbsbedenken. Nach dem Zusammenschlusshätten sich die Anteile der Parteien auf 50 bis 55 Prozentsummiert. Außerdem waren die beiden Produkte der Par-teien in der Marktuntersuchung stets bei den besten dreiArznei-Alternativen genannt worden. Der weite Marktan-teilsabstand zu den Konkurrenten, der Zuwachs von Bay-ers Anteilen in der jüngeren Vergangenheit sowie dieerheblichen Marktanteilsadditionen wirkten sich erschwe-rend aus. Zu Lasten der Parteien bewertete die Kommis-sion ferner die hohen Marktzutrittsbarrieren in Form vonWerbekosten, die ausgeprägte Markentreue der Kundensowie die begrenzte Nachfragemacht. Als problematischbeurteilte die Kommission schließlich auch den irischenMarkt für Medikamente gegen lokale Pilzerkrankungen.Die gemeinsamen Marktanteile der Zusammenschlussbe-teiligten erreichten hier 55 bis 60 Prozent, wobei es zu si-gnifikanten Anteilsadditionen kam. Der weite Marktan-teilsabstand zu den Konkurrenten sowie erheblicheMarktzutrittshindernisse sprachen ebenfalls für eine Ge-fährdung des Wettbewerbs. Auf das Maß an Substituier-barkeit zwischen den Produkten der Parteien und ihrerWettbewerber ging die Kommission nicht mehr ein.

667. Im vorliegenden Fall fällt auf, dass die Europäi-sche Kommission bei dem ersten der betrachteten Märktefast ausschließlich die Marktanteile und die Substitutions-beziehungen heranzieht und kaum weitere Marktmerk-male untersucht. Eine solche Vorgehensweise erscheintder Monopolkommission verkürzt. Die Beurteilung einesZusammenschlusses sollte stets auf der Grundlage einerGesamtbetrachtung erfolgen, die alle wesentlichen Krite-rien berücksichtigt. Die Einbeziehung der Substitutions-beziehungen in die wettbewerbliche Einschätzung darfnicht dazu führen, dass sich die Beurteilung auf diesesKriterium beschränkt und sonstige Marktmerkmale ver-nachlässigt werden. Überzeugender erscheint daher die

103 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 798 ff.

Page 64: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 315 – Drucksache 16/2460

Beurteilung der beiden anderen genannten Märkte –Schmerzmittel in Österreich und Medikamente gegenPilzerkrankungen in Irland. Hier werden neben Marktan-teilen noch mehrere weitere Strukturmerkmale, insbeson-dere die hohen Marktzutrittsschranken, berücksichtigt.Allerdings bleibt insofern festzustellen, dass die Europäi-sche Kommission zwar auf dem österreichischenSchmerzmittelmarkt der Frage der Substituierbarkeitnachgeht, eine entsprechende Untersuchung in Bezug aufden irischen Markt jedoch unterlässt. Bei Marktanteilenvon 50 bis 55 Prozent in Österreich und 55 bis 60 Prozentin Irland ist diese unterschiedliche Vorgehensweise nichtohne weiteres nachvollziehbar.

668. In dem Verfahren Piaggio/Aprilia ging die Euro-päische Kommission zwar anhand des traditionellen Kon-zepts der Einzelmarktbeherrschung und einer konventio-nellen Marktabgrenzung vor, der Schwerpunkt derUntersuchung lag jedoch auf den jeweiligen Substituti-onsverhältnissen in den betroffenen Märkten. Im Mittel-punkt der Prüfung standen die italienischen Märkte fürMotorroller unter 50 cc und für Zweiräder über 50 cc.Auf ersterem Markt hätte der Zusammenschluss denMarktführer Piaggio mit einem Anteil von 35 bis40 Prozent und den zweiten Anbieter Aprilia mit 15 bis20 Prozent der Marktanteile vereint. Die Parteien verfüg-ten in Italien über zahlreiche bekannte Marken und Mo-delle. Darüber hinaus ging die Europäische Kommissionder Frage nach, welche Substitutionsverhältnisse auf demMarkt bestanden. Die Kommission nutzte hierbei denUmstand, dass Aprilia im Jahr 2004 in eine schwere fi-nanzielle Krise gekommen war und seine Produktion inder ersten Hälfte 2004 zeitweise hatte einstellen müssen.Dadurch hatte Aprilia einen erheblichen Teil seiner Um-sätze und Marktanteile verloren. Die Kommission unter-suchte nun, welche Fahrzeuge von Aprilias Umsatzrück-gang besonders profitiert hatten. Dabei stellte sich heraus,dass Piaggio seine Marktanteile in der fraglichen Zeit umetwa 11 Prozent hatte steigern können. Aus dem Zusam-menspiel von hohen gemeinsamen Marktanteilen, engemNäheverhältnis sowie dem breiten Portfolio bei Markenund Modellen folgerte die Kommission, dass die Fusiondie neue Unternehmenseinheit in die Lage versetzenwürde, den italienischen Markt für Motorroller unter50 cc zu dominieren.

Anders beurteilte die Europäische Kommission dagegenden Markt für Zweiräder über 50 cc. Hier hielten die Par-teien immerhin gemeinsame Anteile in Höhe von ca. 40bis 45 Prozent, Honda und Yamaha folgten mit jeweilsetwa 20 Prozent. Soweit die Substitutionsbeziehungenzwischen den verschiedenen Anbietern betroffen waren,stellte die Kommission fest, dass die Umsatzverluste vonAprilia von allen drei großen Wettbewerbern aufgefangenworden waren, in erster Linie allerdings von Honda. Da-raus und aus den breiten Portfolios, dem starken Markeni-mage sowie den etablierten Distributionsnetzen der japa-nischen Produzenten schloss die Kommission, dass dieseauch nach dem Zusammenschluss noch starken Wettbe-werbsdruck ausüben würden.

669. Die Kommission war in dem Verfahren Piaggio/Aprilia in der Lage, die besonderen Umstände im Umfelddes Zusammenschlusses für ihre Beurteilung zu nutzen.Dadurch dass Aprilia in der jüngeren Vergangenheit ei-nen großen Teil seiner Marktanteile verloren hatte, ließsich das Substitutionsverhältnis zwischen dem Unterneh-men und den sonstigen Marktteilnehmern relativ einfachermitteln. Die Kommission musste hierzu nicht auf Kun-denbefragungen zurückgreifen oder Preisdaten analysie-ren, sondern lediglich untersuchen, wie sich diese verlo-ren gegangenen Marktanteile tatsächlich auf dieWettbewerber von Aprilia verteilt hatten.

670. Die auf einem Markt angebotenen Produkte kön-nen auf unterschiedliche Weise voneinander abweichen.Zum einen kommt eine sachliche Produktdifferenzierungin Frage, die sich z. B. nach der chemischen Zusammen-setzung, den technischen Merkmalen, der Qualität sowieder Marke, dem Werbungsumfang oder dem Image desProduktes vornehmen lässt. In diesem Sinne haben sichdie Ermittlungen in den oben dargestellten Fällen auf dassachliche Näheverhältnis konzentriert. In Betracht kommtaber auch eine Unterscheidung in räumlicher Hinsicht.Ein besonders enges Substitutionsverhältnis ist bei be-nachbarten Produktions- oder Verkaufsstätten anzuneh-men, während weiter entfernte Standorte weniger Wettbe-werbsdruck aufeinander ausüben. Nach den Leitlinien zuhorizontalen Zusammenschlüssen ist der Standort insbe-sondere beim Einzelhandelsvertrieb, bei Banken, Reise-büros und Tankstellen von Bedeutung.104

671. Dementsprechend stand bei der EntscheidungOwen-Illinois/BSN Glasspack vom 9. Juni 2004 die be-sondere räumliche Nähe der Zusammenschlussparteien imMittelpunkt der Überlegungen zum Ausmaß der Substitu-ierbarkeit. Das Vorhaben betraf verschiedene räumlicheMärkte für Glasverpackungen. Nach der Untersuchung derEuropäischen Kommission waren Lieferbeziehungendurch die hohen Transportkosten determiniert, so dass re-gionale Märkte in einem Umkreis von 300 bis 400 km umdie jeweiligen Produktionsstätten als angemessen angese-hen wurden. Das Einzugsgebiet der Produktionsanlagenkonnte dabei durchaus grenzüberschreitend sein. Auf die-ser Grundlage stellte die Kommission fest, dass sich dieVerkaufsaktivitäten der Parteien in mehreren Ländern,nämlich Frankreich, Italien, Benelux, Deutschland, Spa-nien und Vereinigtes Königreich, überschnitten. Wettbe-werbliche Nachteile befürchtete die Kommission vor al-lem in den Regionen Nordostspanien/Südwestfrankreichsowie Südostfrankreich/Norditalien.

672. Auf dem nationalen Markt Frankreich ermitteltedie Kommission BSN als Marktführer mit einem Anteilvon 40 bis 50 Prozent, gefolgt von St. Gobain mit 35 bis45 Prozent, dem einzigen großen Wettbewerber mit eben-falls inländischer Produktion. In Italien wiederum stelleOwen-Illinois den größten Anbieter mit Anteilen von35 bis 45 Prozent dar. Nächster Wettbewerber sei hierebenfalls St. Gobain mit 25 bis 35 Prozent. Die

104 Vergleiche Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse…, a. a. O., Rz. 28, Fn. 32.

Page 65: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 316 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Kommission beobachtete zwar auf nationaler Ebene nurjeweils geringe Marktanteilsadditionen in Höhe von 0 bis10 Prozent bzw. 0 bis 5 Prozent, ihren Ermittlungen zu-folge bildeten die Zusammenschlussparteien jedoch aufden maßgeblichen regionalen Märkten jeweils eine wich-tige Bezugsalternative für die Nachfrager. Auffällig ist indiesem Zusammenhang, dass die Europäische Kommis-sion die Marktanteile lediglich auf nationaler Basis nennt,obwohl sie zuvor regionale Märkte abgegrenzt hat. Mög-licherweise hielt sie die sonstigen Marktmerkmale für sogewichtig, dass sie auf eine Ermittlung der regionalenAnteile verzichtete. Nicht auszuschließen ist allerdings,dass die kurzen Fristen in der ersten Verfahrensphasenicht ausreichten, um weitere Ermittlungen auf regionalerBasis anzustellen. Eine solche Vorgehensweise würde dieMonopolkommission für bedenklich halten. Es ist in ei-nem solchen Fall vorzugswürdig, die zweite Verfahrens-phase einzuleiten und der Beurteilung – nach eingehenderUntersuchung – die regionalen Marktanteile zugrunde zulegen.

673. In Hinsicht auf den zweiten betroffenen regionalenMarkt betonte die Kommission ausdrücklich das beson-ders enge geographische Substitutionsverhältnis der be-teiligten Unternehmen. Sie verfügten beide über Produk-tionsstätten in Barcelona und exportierten ihre Produktevon dort nach Südwestfrankreich. Hinzu kamen auch hierein hoher gemeinsamer Kapazitätsanteil der Parteien vonüber 50 Prozent sowie erhebliche Marktzutrittshinder-nisse. Neben St. Gobain seien lediglich kleinere, lokaleAnbieter auf dem Markt tätig, die im Wesentlichen nichtfür den Export produzierten. Die Bedenken der Kommis-sion konnten durch Veräußerungszusagen ausgeräumtwerden, die zu einem Wegfall sämtlicher durch den Zu-sammenschluss verursachter Überschneidungen führten.

3.4.3 Anbieterwechsel und Kapazitäten

674. Die Leitlinien zu horizontalen Zusammenschlüs-sen nennen neben den Marktanteilen und den Substituti-onsbeziehungen zwischen verschiedenen Konkurrentenweitere Faktoren, die darüber entscheiden können, obspürbare unilaterale Wirkungen von einem Zusammen-schluss zu erwarten sind. Hierzu gehören die Möglichkei-ten der Kunden, zu anderen Anbietern zu wechseln, unddie Frage, ob Konkurrenten über ausreichende Kapazitä-ten verfügen.105 Zu Wettbewerbsbedenken gibt ein Zu-sammenschluss hiernach besonders dann Anlass, wenndie Kunden der fusionierenden Parteien Schwierigkeitenhaben, zu anderen Anbietern überzuwechseln, wenn nurwenige alternative Anbieter vorhanden sind oder erhebli-che Umstellungskosten entstehen würden. Dasselbe gilt,wenn es aufgrund der Marktbedingungen unwahrschein-lich ist, dass die Wettbewerber der fusionierenden Par-teien ihr Angebot bei Preiserhöhungen spürbar steigern.Falls umgekehrt Marktbedingungen vorherrschen, bei de-nen Wettbewerber über ausreichende Kapazitäten verfü-gen und eine entsprechende Absatzsteigerung für sie ge-

winnbringend ist, sind Wettbewerbsbedenken in derRegel unbegründet. Diese Grundsätze fanden in einigenEntscheidungen während des Berichtszeitraums Anwen-dung.

675. Die Produktionskapazitäten und Ausweichmög-lichkeiten standen in dem Verfahren Blackstone (Cela-nese)/Acetex, das am 13. Juli 2005 mit einer Freigabeohne Bedingungen und Auflagen endete, im Mittelpunktder Überlegungen. Von dem Zusammenschluss wareninsbesondere die weltweiten Märkte für Essigsäure, fürVinylacetatmonomere und für Essiganhydrid betroffen.Die Europäische Kommission ging davon aus, dass essich um sehr homogene Güter handelte, so dass Produkti-onskapazität und Auslastungsgrad zu den wichtigstenKriterien für die Bewertung der Wettbewerbspositionzählten. Daneben legte die Kommission besonderes Au-genmerk auf die Fähigkeit der Abnehmer, den Lieferan-ten zu wechseln.

Auf dem Markt für Essigsäure würde das fusionierte Un-ternehmen mit jeweils 20 bis 30 Prozent der Anteile anden Produktionskapazitäten und dem Handelsmarkt zumgrößten bzw. zweitgrößten Anbieter. Ähnlich hohe An-teile hält der Wettbewerber BP. Die Kommission ermit-telte außerdem den HHI, der infolge des Zusammen-schlusses um 184 Punkte auf 1.328 bei den Kapazitätenund auf dem Handelsmarkt um 216 auf 1.514 Punkt an-steigen würde. Mit ausdrücklichem Verweis auf die Leit-linien zu horizontalen Zusammenschlüssen wertete dieKommission diese Zahlen als ersten Hinweis darauf, dasskeine horizontalen Wettbewerbsbedenken bestehen.106

Zur weiteren Begründung griff die Europäische Kommis-sion auf eine unabhängige Marktstudie zurück, der zu-folge die globale Produktionskapazität zwischen 2004und 2009 um 34 Prozent und die weltweite Nachfrage um17 Prozent wachsen werde. Damit stand nach Auffassungder Kommission fest, dass die Kapazitäten auch weiterhinüber der Nachfrage liegen, der Abstand zwischen beidensogar noch zunehmen würde. Die Kommission folgertedaraus ein Absinken des Auslastungsgrads der tatsächli-chen Kapazitäten von 85 auf 76 Prozent. Ferner stelltesich heraus, dass hauptsächlich die großen Herstellerneue Kapazitäten in Asien und im Nahen Osten planten.Diese Anlagen würden von einer besonders wettbewerbs-fähigen Kostenstruktur profitieren, die eine Ausfuhr inandere Erdteile wirtschaftlich rentabel mache. Nach denErmittlungen der Kommission hatte die Mehrheit der Ab-nehmer ihre Versorgungsquellen diversifiziert, die Käuferbezogen Essigsäure im Durchschnitt von drei verschiede-nen Lieferanten. Rund 80 Prozent der Abnehmer bekun-deten, dass sie den Lieferanten wechseln würden, wenndie Anmelder ihren Preis um 10 Prozent anheben würden.

676. Grundsätzlich sind die Erwägungen der Kommis-sion in diesem Teil der Entscheidung nachvollziehbar.Gerade bei sehr homogenen Gütern kann dem Aspekt derKapazitäten und der Frage von Ausweichmöglichkeitenbesonderes Gewicht zukommen. Im vorliegenden Fall ist

105 Vergleiche Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse…, a. a. O., Rz. 31 und 32 ff.

106 Vergleiche Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse…, a. a. O., Rz. 20.

Page 66: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 317 – Drucksache 16/2460

allerdings nicht verständlich, inwieweit die geplanten Ka-pazitätserweiterungen in Asien und im Nahen Osten denunilateralen Effekten des Zusammenschlusses entgegen-wirken können. Wie die Europäische Kommission selbstausführt, soll ein Großteil der geplanten Kapazitäten vonden Zusammenschlussparteien selbst bereitgestellt wer-den. So ist Blackstone/Celanese alleine für die Hälfte derKapazitätserweiterungen in Asien verantwortlich, Ace-tex wird ca. 45 Prozent des Kapazitätsausbaus in SaudiArabien vornehmen. Die Kommission setzt sich ferner inihrer Entscheidung nicht mit der Möglichkeit auseinan-der, dass die Parteien ältere Produktionsstätten, die imVergleich zu den geplanten Anlagen sehr ungünstige Kos-tenstrukturen aufweisen, nach dem Zusammenschlussschließen könnten. Vor diesem Hintergrund kann dem As-pekt der Kapazitätserweiterung nicht ohne weiteres einewettbewerbsfördernde Wirkung zugesprochen werden.

Zweifel bleiben auch hinsichtlich der wettbewerblichenWürdigung des Marktes für Essiganhydrid bestehen. DieZusammenschlussbeteiligten würden hier zwar nur zumzweitgrößten Hersteller zusammenwachsen, auf demHandelsmarkt aber 30 bis 40 Prozent der Anteile auf sichvereinigen und Marktführer werden. Der HHI würde im-merhin um 361 auf 2 139 Punkte steigen – nach den Leit-linien ein erstes Indiz für Wettbewerbsbedenken. DieseBedenken werden von den Ausführungen der Kommis-sion insbesondere zu den Kapazitäten nur unvollkommenausgeräumt. Nach den Ermittlungen der Kommission be-trägt der Auslastungsgrad auf dem Markt für Essiganhy-drid über 90 Prozent, Kapazitätserweiterungen sind nichtgeplant bzw. werden in der Entscheidung jedenfalls nichtgenannt. Die Kommission gibt sich im Wesentlichendamit zufrieden, dass die Abnehmer ihre Versorgungs-quellen gegenwärtig breit streuen. Sie geht jedoch nichtdarauf ein, wie sich der Zusammenschluss auf die Mög-lichkeit, zwischen verschiedenen Anbietern zu wechseln,auswirkt. Dies wäre insbesondere vor dem Hintergrundder festgestellten hohen Kapazitätsauslastung und man-gelnder Kapazitätserweiterungen von besonderem Inte-resse gewesen.

677. In dem Verfahren Bertelsmann/Springer plantendie beteiligten Unternehmen die Gründung eines Gemein-schaftsunternehmens, in das fünf Druckereistandorte inDeutschland und eine im Bau befindliche Druckerei inGroßbritannien eingebracht werden sollten. Von dem Zu-sammenschluss betroffen waren verschiedene Märkte fürden Tiefdruck von Zeitschriften, Katalogen und Werbe-beilagen. Bei der wettbewerblichen Würdigung konzen-trierte sich die Europäische Kommission auf den deut-schen Markt für den Tiefdruck von Zeitschriften. Hierführte der Zusammenschluss zu einer Vereinigung desMarktführers mit dem drittgrößten Wettbewerber. Die ho-hen absoluten und relativen Marktanteile der Parteien so-wohl bei den Kapazitäten als auch auf dem Handelsmarktverursachten zwar zunächst gewisse Wettbewerbsbeden-ken bei der Europäischen Kommission, diese wurdenaber durch ihre Überlegungen zu den verfügbaren Kapa-zitäten ausgeräumt.

Gegen eine wettbewerbsbehindernde Wirkung des Zu-sammenschlusses sprach nach Ansicht der Kommissioninsbesondere der Umstand, dass aktuelle Wettbewerber inder Lage seien, im Fall einer Preiserhöhung durch dieneue Unternehmenseinheit zusätzliche Kapazitäten be-reitzustellen. Dies könne einerseits durch die Aktivierungbisher ungenutzter Kapazitäten und andererseits über diein den nächsten zwei bis drei Jahren geplanten Kapazi-tätserweiterungen erfolgen. Außerdem ermittelte dieKommission, dass sich eine Umschichtung von Produkti-onskapazitäten weg von Katalogen und Werbebeilagenhin zu Zeitschriften für die Wettbewerber als technischmöglich und gewinnbringend erweisen würde. Insgesamtergab sich aufgrund der durchgeführten Marktuntersu-chung eine zusätzliche Kapazität von ca. 200 Kilotonnen.Diese Kapazität übertraf laut Kommission den Kapazi-tätsanteil, den die Parteien insgesamt für den Zeitschrif-tendruck benötigten, um ca. 50 Kilotonnen. Darüber hi-naus machte die Kommission mindestens drei konkretepotentielle Wettbewerber im nahe gelegenen Ausland aus,deren Kapazitäten im Falle einer Preiserhöhung genutztund ihrerseits noch aufgestockt werden könnten. Vor die-sem Hintergrund verneinte die Europäische Kommissioneinen Preiserhöhungsspielraum seitens der Zusammen-schlussbeteiligten auf dem Markt für den Tiefdruck vonZeitschriften. Die Kapazitätsumschichtung würde auchnicht zu höheren Preisen bei Katalogen und Werbebeila-gen führen, denn insoweit könnte auf Anbieter aus demnahe gelegenen Ausland ausgewichen werden.

678. Die Monopolkommission steht dem Ansatz derEuropäischen Kommission, die Möglichkeit eines Anbie-terwechsels zu untersuchen, grundsätzlich positiv gegen-über. In diesem Zusammenhang spielen die existierendenund die für die nähere Zukunft geplanten Kapazitäten derKonkurrenten eine wichtige Rolle. Die beiden Aspektekönnen insbesondere bei homogenen Gütern hohe ge-meinsame Marktanteile und erhebliche Marktanteilsaddi-tionen relativieren und somit wichtige Anhaltspunkte fürdas tatsächliche Ausmaß der negativen Effekte eines Zu-sammenschlusses liefern. Allerdings ist auch zu beachten,dass die Produktionskapazitäten alleine die Position einesUnternehmens am Markt nicht eins zu eins widerspie-geln.

Trotz der grundsätzlich positiven Haltung der Monopol-kommission gegenüber der Berücksichtigung von alterna-tiven Anbietern und freien Kapazitäten verbleiben imvorliegenden Fall gewisse Zweifel an der Freigabeent-scheidung. Angesichts des von der Europäischen Kom-mission zitierten Umstands, dass die Kundenbeziehungensehr stabil sind und manche Zeitschriften bereits übermehrere Jahrzehnte von ein und demselben Unternehmengedruckt werden, wurde die Neigung zu einem Anbieter-wechsel möglicherweise überschätzt. Die Vertragslauf-zeiten, die bei immerhin zwei bis fünf Jahren liegen,könnten einem schnellen Anbieterwechsel ebenfalls ent-gegenstehen. Daneben ist die vorliegende Entscheidungin einigen Punkten unklar, welche die konkreten Berech-nungsmethoden der Europäischen Kommission und dieihren Analysen zugrunde liegenden Daten betreffen. Fra-gen dieser Art ergeben sich insbesondere im Hinblick auf

Page 67: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 318 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

die ermittelten Anreize für eine Kapazitätsumschichtunghin zu Zeitschriften. Zu bemängeln ist vor allem, dass dieEuropäische Kommission lediglich Unternehmenszahlender Zusammenschlussparteien nennt und – obwohl schondiese stark differieren – daraus Folgerungen für das künf-tige Verhalten der Konkurrenten zieht, statt die entspre-chenden Zahlen der Wettbewerber selbst heranzuziehen.Außerdem greift die Europäische Kommission in diesemZusammenhang auf „gewichtete Mittelwerte“ zurück,ohne zu erklären, wie sie die Gewichtung vorgenommenhat. Die Kommission sollte sich in künftigen Fällen umangemessenere Daten bemühen oder zumindest im Ent-scheidungstext erläutern, warum diese nicht verwendetwurden.

679. Der Zusammenschluss Sonoco/Ahlstrom wirktesich unter anderem auf dem Markt für hochwertige Pa-pierfabrikhülsen aus, auf dem die Kommission die Ent-stehung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellungin der Region Skandinavien befürchtete. Neben hohen ge-meinsamen Marktanteilen der Parteien zeichnete sich derMarkt durch erhebliche Zutrittsschranken und das Fehlenvon Nachfragemacht aus. Vor diesem Hintergrund hieltdie Kommission selbst hohe Überschusskapazitäten – diegroße Mehrzahl der Konkurrenten gab an, dass sie ihreProduktion kurzfristig um 25 bis 30 Prozent steigernkönnte – nicht für ausreichend, um die Marktmacht derfusionierten Einheit vollständig auszugleichen.

In dem Verfahren Continental/Phoenix untersuchte dieEuropäische Kommission den Aspekt der Produktionska-pazitäten auf mehreren betroffenen Märkten. Ihrer An-sicht nach führte der Zusammenschluss auf dem Marktfür schwere Stahlseilfördergurte zur Entstehung oder Ver-stärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Die Kom-mission begründete dies unter anderem damit, dass fürdie Kunden kaum Möglichkeiten bestünden, auf Wettbe-werber der Zusammenschlussparteien auszuweichen.Zwar verfügten alle Hersteller über freie Produktionska-pazitäten, dieser Umstand spiele aber wegen des von denKunden geforderten Qualifikationsverfahrens keine ent-scheidende Rolle. Ein solches Verfahren umfasse ver-schiedene Stufen und dauere z. T. mehrere Jahre. Es stellesomit ebenso wie die existierenden Exklusivlizenzen einewichtige Markteintrittsbarriere für neue Anbieter dar.Nach den Erfahrungen der Vergangenheit genügten vieleAnbieter den Qualitätsanforderungen der Kunden nicht,die deutschen Hersteller verfügten insoweit über einenmaßgeblichen technologischen Vorsprung.

680. Die beiden Entscheidungen verdeutlichen, dass injedem einzelnen Zusammenschlussfall eine Gesamtbe-trachtung der Wettbewerbssituation vorgenommen wer-den muss. Auch freie Produktionskapazitäten der Kon-kurrenten stellen lediglich ein Kriterium von mehrerenMarktstrukturmerkmalen dar, welche die EuropäischeKommission bei ihrer Beurteilung von Zusammenschlüs-sen in Rechnung zu stellen hat. Insbesondere das Vorlie-gen hoher Marktzutrittsschranken kann die Existenzfreier Kapazitäten relativieren. Diese Erkenntnis setzt dieEuropäische Kommission in den vorliegenden Entschei-

dungen in die Praxis um, indem sie in zutreffender Weiseauf die Besonderheiten der betroffenen Märkte eingeht.

3.4.4 Quantitative Analysen

681. Am 7. Januar 2004 gab die Europäische Kommis-sion das Zusammenschlussvorhaben Lagardère/Natexis/VUP, mit dem das französische Unternehmen Lagardèredie Kontrolle über die Vermögenswerte von Vivendi Uni-versal Publishing (VUP) erwerben wollte, unter weitrei-chenden Zusagen frei. Lagardère ist unter anderem indem Bereich Kommunikation/Medien/Verlagswesen prä-sent, VUP betätigt sich in verschiedenen Bereichen desVerlagswesens und nimmt Logistik- und Distributions-aufgaben wahr. Der Zusammenschluss wirkte sich aufverschiedenen Segmenten des Buchmarktes aus. Die Eu-ropäische Kommission nahm während des Verfahrensumfangreiche Ermittlungen vor, wertete mehrere ihr vor-gelegte Studien aus und ließ selbst Gutachten anfertigen.

Die Europäische Kommission definierte innerhalb desBuchmarktes den Markt für Verlegerrechte in französi-scher Sprache, den Markt für Vertriebs- und Ausliefe-rungsdienstleistungen sowie den Markt für den Verkaufvon Büchern. Sämtliche dieser Märkte umfassen eineReihe von separaten Teilmärkten: Auf dem Markt fürVerlegerrechte differenzierte die Kommission zwischendem Markt für die Erstverwertung von Titeln und demMarkt für die Zweitverwertung. Der Markt für die Erst-verlegerrechte, bei dem sich Verlage und Autoren gegen-überstehen, sei weiter nach verschiedenen Buchkatego-rien – unter anderem allgemeine Literatur, Kinderbücher,Comics sowie akademische und berufsbezogene Titel –zu unterteilen. Darüber hinaus lasse sich der Markt für dieErstverlegerrechte bei allgemeinen Literaturtiteln in einSegment für französische Originaltitel und ein Segmentfür ausländische Originaltitel einteilen. Bei den Zweitver-legerrechten, bei denen sich in der Regel zwei Verlage ge-genüberstehen, sei zwischen Taschenbuchrechten an all-gemeinen Literaturtiteln einerseits und Buchklubrechtenandererseits zu unterscheiden.

Die Erbringung von Vertriebsdienstleistungen für Verlageund die Erbringung von Auslieferungsdienstleistungenfür Verlage bilden nach Ansicht der Kommission separateMärkte. Bei Vertriebsdienstleistungen sei zu unterschei-den, ob der Verkauf an Fachmärkte und Stadtteilbuch-handlungen, an Verbrauchermärkte oder an Großhändlererfolge. Im Rahmen von Auslieferungsleistungen nahmdie Kommission keine weitere Abgrenzung vor. In demMarkt für den Verkauf von Büchern grenzte die Kommis-sion die Teilmärkte danach ab, ob der Verkauf an Wieder-verkäufer durch Verlage oder durch Großhändler erfolgt.Im ersteren Fall unterschied die Kommission den verle-gerseitigen Verkauf an Fachmärkte und Stadtteilbuch-handlungen, an Verbrauchermärkte und an Großhändler.Ferner sei zu berücksichtigen, ob es sich um großforma-tige Bücher oder um Taschenbücher handele. Außerdemstellten die verschiedenen Kategorien von Büchern, unteranderem Werke der allgemeinen Literatur, Kinderbücher,Führer/Handbücher, Nachschlagewerke, Comics, Schul-bücher, Bücher mit Schulbuchcharakter, Kunstbücher,

Page 68: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 319 – Drucksache 16/2460

kleinere Spezialenzyklopädien, große Nachschlagewerkein Multimediaform oder Loseblattsammlungen, getrennteProduktmärkte dar. Von dem Verkauf an Wiederverkäufersei der Endverbrauchermarkt zu unterscheiden. Bei die-sem sei nur zwischen dem Markt für den Verkauf vongrößeren Nachschlagewerken in Buchform und von Bü-chern allgemein zu trennen.

682. Die Europäische Kommission kam zu dem Ergeb-nis, dass der Zusammenschluss auf einer ganzen Reihevon Einzelmärkten zur Entstehung oder Verstärkungmarktbeherrschender Stellungen führen würde. Hiervonerfasst waren unter anderem die Märkte für die Erstverle-ger- und Zweitverlegerrechte an allgemeiner Literatur,die Märkte für die Erbringung von Verkaufs- und Auslie-ferungsdienstleistungen für Verlage sowie die Märkte fürden Verkauf von allgemeiner Literatur, von Kinder-,Sach-, Wörter- und von Schulbüchern. Zur Begründungführte die Kommission das Zusammenwirken von hori-zontalen, vertikalen und konglomeraten Auswirkungendes geplanten Zusammenschlusses an. In erster Linie be-tonte die Kommission die hohen absoluten und relativenMarktanteile der fusionierten Einheit, die in der Regelaufgrund deutlicher Marktanteilsadditionen zustande kä-men. Darüber hinaus seien die Zusammenschlussparteien– im Gegensatz zu ihren Konkurrenten – auf allen Stufendes Buchmarktes tätig und nähmen auf verschiedenenMärkten der Buchkette starke Stellungen bzw. marktbe-herrschende Positionen ein. Die neue Unternehmensein-heit würde über ein weitreichendes Vertriebsnetz verfü-gen und hätte über den Verkauf von Taschenbüchern dieMöglichkeit zur Zweitverwertung. Die Anziehungskraftder fusionierten Einheit auf Autoren werde noch wegenihrer besonderen Finanzkraft und der starken Präsenz inWerbung und Medien erhöht.

Weder aktuelle noch potentielle Wettbewerber sind nachAuffassung der Kommission imstande, den Verhaltens-spielraum der neuen Unternehmenseinheit zu beschrän-ken. Die aktuellen Wettbewerber seien deutlich kleinerund entweder gar nicht oder nur in geringem Umfang ver-tikal integriert. Ihre Position auf den verschiedenenMärkten der Buchkette reiche nicht an die der Zusam-menschlussparteien heran. Den Markteintritt neuer Kon-kurrenten hielt die Kommission für unwahrscheinlich.Insbesondere die Notwendigkeit, eigene Vertriebs- undAuslieferungswege sowie eine eigene Taschenbuchreiheaufzubauen, stellten erhebliche Hindernisse für einenMarktzutritt dar. Auch die stark fragmentierte Marktge-genseite sei nicht in der Lage, ein ausreichendes Gegen-gewicht zu bilden. Sie setze sich aus zahlreichen Einzel-akteuren – den Autoren – zusammen, deren Größe undwirtschaftliche Stärke in keinem Verhältnis zu derjenigender fusionierten Einheit stehe. Zudem legten die Autorenbesonderen Wert auf das Renommé eines Verlages, dieDichte seines Vertriebs- und Auslieferungsnetzes sowieseine vertikale Integration in den Taschenbuchsektor, al-les Bedingungen, welche die neue Unternehmenseinheitin besonderem Maße erfülle.

683. Aus der Entscheidung geht hervor, dass die Euro-päische Kommission umfassende und detaillierte Markt-

untersuchungen vorgenommen hat. Sie richtete mehrereAuskunftsverlangen an Verlage und holte Informationenvon Autoren, Literaturagenten und Wiederverkäufern ein.Einzelne Auskunftsverlangen betrafen „Verbraucher-/Supermärkte“, „Buchhandlungen“, „Vertrieb/Ausliefe-rung“, „Konglomerate Effekte“ sowie „Taschenbuch-rechte“. Außerdem forderte sie von verschiedenenVerlagen und Wiederverkäufern bestimmte Verträge undDokumente an. Die Kommission stützte ihre Entschei-dung daneben auf öffentlich zugängliche Statistiken, dieStudie eines unabhängigen ökonomischen Beratungsun-ternehmens sowie auf eine von der Anmelderin zu Verfü-gung gestellte Studie eines Marktforschungsinstituts. ImRahmen der räumlichen Marktabgrenzung gab die Kom-mission selbst eine Vergleichsstudie in Auftrag. Diesesollte Aufschluss darüber geben, welche Rabatte die Zu-sammenschlussparteien den Wiederverkäufern in Frank-reich, Belgien und Luxemburg für Bücher der allgemei-nen Literatur, für Schulbücher und für Werke mitSchulbuchcharakter gewähren und nach welchem Verfah-ren die jeweiligen Rabatte festgelegt werden. Aus den Er-gebnissen der Studie schloss die Kommission, dass dieMärkte für Bücher der allgemeinen Literatur und fürWerke mit Schulbuchcharakter das französischsprachigeBecken Europas umfassen, wohingegen die Märkte fürSchulbücher national abgegrenzt werden müssten.

684. Um die Bedeutung unilateraler Effekte auf demMarkt für allgemeine Literatur zu messen, ließ die Euro-päische Kommission eine ökonometrische Studie anferti-gen. Diese Studie entwickelt quantitative empirischeSchätzungen eines integrierten Modells der Nachfrage-seite und der Angebotsseite der französischen Bücher-märkte. Diese Schätzungen bilden die Grundlage für Pro-gnosen darüber, um wie viel die Ladenverkaufspreise fürallgemeine Literatur aufgrund des Zusammenschlussessteigen und wie groß die sich daraus ergebenden Wohl-fahrtsverluste der Konsumenten sein würden.

Zur Schätzung der Nachfrageseite wird unterstellt, dassBücher differenzierte Güter sind, welche die Verbraucherin gewissem Maß, aber nicht vollkommen als Substitutebetrachten. Die Intensität des Wettbewerbs zwischen zweiTiteln hängt von der Enge der Substitutionsbeziehungenab. Diese werden auf der Grundlage des Modells für meh-rere tausend Buchtitel, die zudem in verschiedenen La-dentypen verkauft werden, geschätzt. Die Schätzungberuht auf einem zweistufigen Ansatz, bei dem Substitu-tionsbeziehungen zwischen Titeln derselben Literaturgat-tung von Substitutionsbeziehungen zwischen Titeln ver-schiedener Literaturgattungen unterschieden wird. Demliegt die Vorstellung zugrunde, dass die Preiserhöhung füreinen Kriminalroman die Kunden eher auf einen anderenKriminalroman ausweichen lässt als auf ein Buch eineranderen Literaturgattung.

Auf der Angebotsseite wird ein Modell des Preiswettbe-werbs zugrunde gelegt, bei dem die Anbieter erwägen,dass die Erhöhung des Preises für ein Buch den Erlös proKunden steigert, gleichzeitig aber – entsprechend den fürdie Nachfrageseite ermittelten Substitutionsbeziehungen –eine gewisse Abwanderung von Kunden zu anderen

Page 69: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 320 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Büchern zur Folge hat.107 Wechseln die Kunden zu ande-ren Büchern des eigenen Verlags, so bewirkt der Abwan-derungseffekt nicht unbedingt eine Erlösminderung; wer-den die Preise für alle Bücher desselben Verlagsgleichzeitig erhöht, so ist ein solcher Wechsel wohl über-haupt vernachlässigbar. Das Wettbewerbsverhalten deseinzelnen Anbieters hängt vor allem davon ab, welcheAbwanderung zu Büchern anderer Verlage bzw. zu denNichtlesern, im Falle einer Preiserhöhung zu gewärtigenist. Dies wiederum hängt davon ab, wie viele andere Ver-lage es gibt, wie viele Titel sie anbieten und welche Preisesie verlangen. Im Gleichgewicht hängt die Höhe desPreisaufschlags über die Grenzkosten von der Zahl derFirmen im Markt und von der Verteilung der Titelzahlenüber diese Firmen ab. Je weniger Firmen es gibt und jestärker die angebotenen Titel sich auf wenige Firmenkonzentrieren, desto höher sind die Preisaufschläge.

685. Nach dieser Logik führt die durch den Zusammen-schluss zweier Verlage bewirkte Reduktion der Zahl derAnbieter dazu, dass die Gleichgewichtspreise der Büchersteigen, weil die Kunden im Fall von Preiserhöhungenweniger Wechselmöglichkeiten haben, mithin die Nach-frage für jeden einzelnen Anbieter weniger elastisch wird.Die ökonometrische Schätzung versucht, diesen Effekt zuquantifizieren. Allerdings bleibt unklar, ob bzw. auf wel-che Weise dabei auch mögliche Änderungen in der Zahlder angebotenen Titel berücksichtigt wurden. Zu denkenwäre einerseits an eine monopolistischer Reduktion desTitelangebots, andererseits an einen Marktzutritt neuerVerlage mit anderen Titeln. Ebenfalls ausgeblendet wer-den die Reaktionen des Handels. Mangels geeigneter Da-ten wird davon ausgegangen, dass die Erhöhungen derEndkundenpreise den Verlegern zugute kommen undnicht teilweise bei den Händlern verbleiben. Unter diesenAnnahmen begründet die empirische Schätzung die Vor-hersage, dass als Folge der hier zur Diskussion stehendenhorizontalen Effekte des Zusammenschlusses die Nettola-denverkaufspreise um durchschnittlich 4,5 Prozent anstei-gen würden. Für die Verbraucher würden sich Wohlfahrts-verluste in Höhe von 6,0 Prozent der Konsumentenrente,entsprechend 1,5 Prozent des Umsatzes, ergeben.

686. Im Gegensatz zur Entscheidung der Kommission,bei der unterschiedliche Märkte für großformatige undTaschenbücher sowie für die verschiedenen Distributi-onskanäle abgegrenzt werden, wird in der ökonometri-schen Studie angenommen, dass alle Verkäufe allgemei-ner Literatur in einem übergreifenden Modell erklärtwerden können, in dem diese Unterscheidungen als sol-che keine Rolle mehr spielen, es sei denn sie spiegeltensich in den ökonometrischen Schätzergebnissen. Aufdiese Unstimmigkeit ist die Kommission in ihrem Be-schluss jedoch nicht eingegangen.

Außerdem fällt auf, dass die Kommission nur sehr knapperläutert, welche Schlussfolgerungen sie aus dem Preis-

steigerungsspielraum der fusionierten Einheit zieht. Ins-besondere verzichtet sie darauf zu erklären, ob sie jed-wede Möglichkeit zur Preissteigerung negativ beurteiltoder ob bestimmte Schwellen überschritten sein müssen.Aus dem vorliegenden Fall lässt sich eindeutig nur fest-stellen, dass ein Preissteigerungspotential in Höhe von4,5 Prozent als bedenklich gewertet wird.

687. Der vorliegende Fall ist ein Beispiel für die An-wendung des more economic approach bereits vor In-krafttreten der VO 139/2004 und vor der Einführung desSIEC-Tests. Die Kommission stützte ihre Entscheidungdurchgängig auf das Untersagungskriterium der Marktbe-herrschung. Dies bestätigt die Feststellung der Monopol-kommission in ihrem letzten Hauptgutachten, wonach dieAnwendung eines more economic approach nicht not-wendigerweise eine Änderung des bisherigen Untersa-gungskriteriums voraussetzt.108 Vielmehr kann ein ver-stärkt ökonomischer Ansatz auch im Rahmen desMarktbeherrschungstests verfolgt werden.

3.4.5 Oligopolistische Marktbeherrschung

688. Die Europäische Kommission hat in mehreren Zu-sammenschlussfällen die Entstehung oder Verstärkungoligopolistischer Marktbeherrschung geprüft. Daraus re-sultierte etwa in den Verfahren Air Liquide/Messer Tar-gets und Areva/Urenco/ETC JV die Auferlegung von Ab-hilfemaßnahmen. Eine entsprechende Untersuchung inden Fällen Blackstone/Acetex, Group 4 Falck sowieSony/BMG ergab hingegen keine Bedenken der Kommis-sion in Bezug auf gemeinsame marktbeherrschende Posi-tionen.

Der Zusammenschluss zwischen der Sony Corporationund der Bertelsmann AG (BMG) betraf die Märkte fürbespielte Tonträger, für Online-Musik und für Musikver-lag. Die Kommission setzte sich in der vorliegenden Ent-scheidung hauptsächlich mit dem Markt für bespielteTonträger auseinander, auf dem die Zusammenschluss-parteien zu den führenden Unternehmen gehörten. DerMarkt ist durch die Existenz von fünf großen, finanzstar-ken, überwiegend vertikal integrierten und weltweit täti-gen Unternehmen sowie einer Vielzahl von kleinen,unabhängigen Musikanbietern charakterisiert. Die Kom-mission ging in einem ersten Schritt der Frage nach, ob inder Vergangenheit bereits kollektive Marktbeherrschungvorgelegen hat, die durch den Zusammenschluss verstärktworden wäre. Dabei legte sie das Hauptgewicht ihrer Un-tersuchung auf eine Analyse der Preise in den vergange-nen drei bis vier Jahren und kam zu dem Schluss, dass siefür eine entsprechende Feststellung nicht genug Beweisevorlegen könne. Daneben lasse sich der Nachweis einerkollektiven Marktbeherrschung auch nicht auf die beste-henden Marktstrukturen stützen. Anschließend unter-suchte die Kommission die Entstehung von kollektiverMarktbeherrschung und räumte ein, dass die Verringe-rung der Anzahl der führenden Unternehmen von fünf auf

107 Vergleiche Schwalbe, Ulrich, Ökonomisierung der Fusionskontrolle –Nichtkoordinierte Effekte und der SIEC-Test, Vorträge und Berichtedes Zentrums für europäisches Wirtschaftsrecht Nr. 148, Bonn 2005,S. 11 ff.

108 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 228 ff.

Page 70: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 321 – Drucksache 16/2460

vier eine Koordination der verbleibenden Wettbewerbergrundsätzlich erleichtere. Es gebe aber keine Beweise da-für, dass durch den Zusammenschluss die Transparenzderart erhöht und Vergeltungsmaßnahmen derart erleich-tert würden, dass kollektive Marktbeherrschung ange-nommen werden könnte.

689. Die Argumentation der Europäischen Kommissionzur fehlenden Markttransparenz erscheint weder bei dervon ihr vorgenommenen Preis- noch bei der Marktstruk-turanalyse durchweg überzeugend. In beiden Fällenstützte sie ihre Feststellung auf die transparenzverrin-gernde Wirkung von campaign discounts, denen sie maß-gebliches Gewicht beimaß. Die Bedeutung der campaigndiscounts (Werbekostenzuschüsse) – etwa im Verhältniszu anderen Rabatten – wird jedoch in der Entscheidungnicht näher erläutert oder mit Zahlen belegt. Anzumerkenbleibt ferner, dass die Europäische Kommission im vor-liegenden Fall im Wesentlichen die Entstehung oder Ver-stärkung oligopolistischer Marktbeherrschung geprüfthat, obwohl sich im Sinne eines more economic approachauch eine Untersuchung unilateraler Effekte im Oligopolangeboten hätte. Die nationalen Märkte sind jeweils hochkonzentriert, der Zusammenschluss verbindet den euro-paweit viert- und fünftgrößten Wettbewerber und verrin-gert die Zahl der Majors von fünf auf vier. Möglicher-weise verzichtete die Kommission auf eine entsprechendeUntersuchung, weil der Zusammenschluss bereits im Ja-nuar 2004 und somit vor Inkrafttreten der VO 139/2004angemeldet worden war. Der in Artikel 2 FKVO aufge-nommene SIEC-Test war somit noch nicht auf den Zu-sammenschluss anzuwenden (Artikel 26 FKVO). Damithätte die Kommission allerdings zum Ausdruck gebracht,dass unilaterale Effekte im Oligopol ihrer Ansicht nachnicht mit dem Marktbeherrschungstest erfasst werden.Zumindest kann man die vorliegende Entscheidung sodeuten, dass es die Kommission hinsichtlich dieser Fragenicht auf ein Gerichtsverfahren ankommen lassen wollte.Zu einer gerichtlichen Überprüfung wird es aller Wahr-scheinlichkeit dennoch kommen, da das UnternehmenImpala Klage gegen die Freigabeentscheidung einge-reicht hat. Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht auf denAspekt der unilateralen Effekte im Oligopol eingehenwird.

3.4.6 Effizienzvorteile

690. Mit der geplanten Reform der FKVO hat auch dieDiskussion um eine Berücksichtigung von Effizienzvor-teilen neue Impulse erhalten. Sie hat ihren Niederschlagin Erwägungsgrund 29 des neuen Gesetzestextes gefun-den, wonach bei der Beurteilung von Zusammenschlüs-sen begründeten und wahrscheinlichen Effizienzvortei-len Rechnung getragen werden sollte. Nach Aussage desGesetzgebers ist es möglich, dass die durch einen Zusam-menschluss bewirkten Effizienzvorteile seine wettbe-werbsbeschränkenden Auswirkungen, insbesondere denmöglichen Schaden für die Verbraucher, ausgleichenkönnten, so dass durch den Zusammenschluss wirksamerWettbewerb nicht erheblich behindert würde. Außerdementhält der Erwägungsgrund den Auftrag an die Europäi-

sche Kommission, in Leitlinien die Bedingungen darzule-gen, unter denen sie Effizienzvorteile bei der Prüfung ei-nes Zusammenschlusses berücksichtigen könne. DiesemAuftrag ist die Kommission mit den Randziffern 76 ff.der Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammen-schlüsse nachgekommen. Hiernach müssen die Effizienz-vorteile den Verbrauchern zugute kommen, fusionsspezi-fisch und überprüfbar sein, damit die Kommissiongeltend gemachte Effizienzvorteile bei der Beurteilungeines Zusammenschlusses berücksichtigen und diesen ge-nehmigen kann. Die genannten Bedingungen müssen ku-mulativ vorliegen und von den Zusammenschlussparteienbelegt werden.

691. Während des Berichtszeitraums hatte die Europäi-sche Kommission in dem Verfahren Areva/Urenco/ETCJV Gelegenheit, sich auch praktisch mit Effizienzge-sichtspunkten auseinanderzusetzen. Das vom französi-schen Staat kontrollierte Unternehmen Areva ist unter an-derem bei der Urananreicherung tätig, die dasUnternehmen auf der Basis der als überholt und teuer gel-tenden Gasdiffusionstechnologie durchführt. Der briti-sche Urenco-Konzern bietet weltweit Dienstleistungenauf dem Gebiet der Urananreicherung mit der modernenZentrifugentechnik an und entwickelt, konstruiert undproduziert Zentrifugen für die Urananreicherung. NachAuffassung der Europäischen Kommission hätte der Zu-sammenschluss eine gemeinsame beherrschende Stellungvon Areva und Urenco auf dem europaweiten Urananrei-cherungsmarkt begründet. Die Europäische Kommissionteilte ihre durch den Zusammenschluss hervorgerufenenBedenken im Wesentlichen in drei Kategorien ein: Zumeinen könnten die Parteien laut Gesellschaftsvertrag dieEntscheidungen der jeweils anderen Seite über eine Auf-stockung von deren Anreicherungskapazitäten kontrollie-ren. Zum anderen wären die beiden Hauptkonkurrentenauf dem betroffenen Markt nach dem Zusammenschlussin der Lage, explizite Absprachen über Kapazitäten zutreffen. Zum dritten sah die Kommission die Gefahr, dassdurch das Gemeinschaftsunternehmen eine stillschwei-gende Verhaltensabstimmung über Lieferungen in der Eu-ropäischen Union erleichtert wird.

Den Ausführungen der Kommission zu den wettbewerbs-beschränkenden Auswirkungen des Zusammenschlussesfolgt ein kurzer Absatz zu möglichen Effizienzvorteilendes Vorhabens. Offenbar hatten die Parteien derartige Ge-sichtspunkte vorgetragen, die allerdings in der Entschei-dung selbst nicht dargestellt, geschweige denn näher er-läutert werden. Die Europäische Kommission äußertelediglich ihre Zweifel daran, ob die vorgebrachten Effizi-enzgesichtspunkte kausal auf den Zusammenschluss zu-rückzuführen seien. Eine weitere Erörterung hielt sie mitHinweis auf die abgegebenen Verpflichtungszusagen fürverzichtbar. Zwei weitere Textziffern der Entscheidungbefassen sich mit den „positiven Aspekten“ des Vorha-bens. Sie geben einen Hinweis darauf, was die Parteienvorgetragen haben könnten, nämlich dass der Zusammen-schluss Areva den Zugang zu moderner Technologie er-öffnet und damit einen Beitrag zur Versorgungssicherheitin Europa leistet.

Page 71: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 322 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

692. An dem Vorgehen der Europäischen Kommissionist in mehrfacher Hinsicht Kritik zu üben. Zum einenbleibt aufgrund der Kürze der Ausführungen unklar, wel-che Art von Effizienzvorteilen die Parteien vorgetragenhaben. Mangels eingehender Begründung kann auchnicht nachvollzogen werden, warum die Kommission diegeltend gemachten Vorteile des Zusammenschlusses alsnicht fusionsspezifisch abgelehnt hat. Ein solche Vorge-hensweise wird der Problematik nicht gerecht, bildetdoch gerade die mögliche Berücksichtigung von Effizi-enzvorteilen ein kontroverses Thema in der Diskussionum die Anwendung der Fusionskontrollregeln. Zum an-deren lässt die Entscheidung an verschiedenen Stellen er-kennen, dass die Europäische Kommission durchaus von„positiven Aspekten“ des Zusammenschlusses ausgegan-gen ist. Dadurch, dass gleichzeitig fusionsspezifische Ef-fizienzvorteile kurzerhand abgelehnt worden sind, verur-sacht die Europäische Kommission selbst Zweifel daran,ob sie bei ihrer Fallbeurteilung nur reine Effizienzkrite-rien geprüft oder vielmehr auch industriepolitische Erwä-gungen zugrunde gelegt hat.

693. Darüber hinaus erscheint der Umgang mit mögli-chen Effizienzvorteilen im vorliegenden Fall aus syste-matischen Gründen verfehlt, soweit auf eine Prüfung dergeltend gemachten Vorteile mit Hinweis auf die abgege-benen Verpflichtungszusagen verzichtet wird. Vielmehrwären zunächst die wettbewerbsbeschränkenden Auswir-kungen des Zusammenschlusses und die mit ihm verbun-denen Effizienzvorteile umfassend zu untersuchen gewe-sen. In einem zweiten Schritt hätte die Abwägung vonnegativen und positiven Auswirkungen des Zusammen-schlusses erfolgen müssen, und erst danach wäre zu ent-scheiden gewesen, ob Abhilfemaßnahmen überhaupt auf-erlegt werden können. Ein Zusammenschluss ist ohneBedingungen und Auflagen freizugeben, wenn bei einerAbwägung die positiven Aspekte überwiegen. Abhilfe-maßnahmen sind nur dann gerechtfertigt, wenn die Prü-fung ergibt, dass keinerlei Effizienzvorteile entstehenoder die vorgenommene Abwägung zu dem Ergebnisführt, dass die wettbewerbsbeeinträchtigenden Aspektedes Zusammenschlusses die mit ihm verbundenen Effizi-enzvorteile überwiegen. Auch für den letztgenannten Fallist nach Ansicht der Monopolkommission eine fundierteAuseinandersetzung mit den vorgebrachten Effizienzvor-teilen unerlässlich. Denn vom Umfang und Gewicht die-ser Vorteile hängt nicht nur das „Ob“, sondern auch daszulässige Ausmaß und der erforderliche Inhalt von Ver-pflichtungsmaßnahmen ab.

3.4.7 Verfahrensrechtliche Implikationen des more economic approach

694. Die Einführung des more economic approach indie europäische Fusionskontrolle ist Teil eines umfassen-des Prozesses, der das gesamte europäische Wettbewerbs-recht erfasst. Eine stärkere ökonomische Betrachtungs-weise wurde bereits im Recht der Kartellaufsichtimplementiert, bei der Missbrauchskontrolle und im Bei-hilfenrecht sind entsprechende Bemühungen weit fortge-schritten. In der Fusionskontrolle wurde diese Entwick-lung durch die Rechtsprechung des Gerichts ersterInstanz beschleunigt, das im Jahr 2002 drei Untersa-

gungsentscheidungen der Europäischen Kommission auf-gehoben hat. Der Kommission wurden eine mangelhafteBeweisführung und grobe Fehler bei der Einschätzungökonomischer Sachverhalte vorgeworfen. Der more eco-nomic approach ist auch als Reaktion auf diese Vorwürfezu verstehen. Der Versuch, die Beweisführung in Fusi-onskontrollfällen mittels einer verstärkt ökonomischenBetrachtungsweise zu verbessern, ist grundsätzlich zu be-grüßen. Quantitative Analysen können die qualitative Be-urteilung von Zusammenschlüssen sinnvoll ergänzen, in-dem sie die Transparenz und Nachvollziehbarkeit derArgumentation erhöhen. Bei der Einschätzung von Zu-sammenschlussfolgen auf Märkten mit hoher Produktdif-ferenzierung können sie die traditionelle Betrachtungs-weise sogar zum Teil ersetzen.

695. Die Monopolkommission warnt allerdings davor,an die quantitative Beweisführung der EuropäischenKommission überzogene Anforderungen zu stellen. Viel-mehr müssen die Beweisanforderungen in jedem Einzel-fall an dem Umfang und der Qualität der verfügbaren Da-ten ausgerichtet werden. In diesem Zusammenhang ist zubetonen, dass die quantitative Beweisführung im Fall La-gardère/Natexis/VUP eine Ausnahme darstellt, die kei-nesfalls als Maßstab für einen allgemeinen Beweisstan-dard herangezogen werden darf. Nur aufgrund deraußergewöhnlich umfangreichen Datenbasis war es indiesem Fall möglich, mehrere tausend Märkte in diequantitative Analyse einzubeziehen. Es wäre verfehlt,aufgrund des in diesem Fall betriebenen Aufwands zufordern, dass die Europäische Kommission künftig in je-dem anderen Verfahren vergleichbare Analysen durchzu-führen hätte. Vielmehr ist der Einsatz quantitativer Me-thoden davon abhängig zu machen, welche Daten – imHinblick auf Umfang, Qualität und Vergleichbarkeit – dieEuropäische Kommission im Einzelfall vorfindet odermit vertretbarem Aufwand ermitteln kann. Beispielsweisezeigen die Fälle Blackstone/Acetex und Siemens/VATech, dass auch bei ungünstiger Datenlage wichtige Er-kenntnisse mittels quantitativer Analysen möglich sind.Diese tragen zur Klärung von Zweifelsfragen bei und för-dern die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von be-hördlichen Entscheidungen.

696. Die Monopolkommission verkennt nicht, dass mitdem more economic approach auch Probleme verbundensind. Eine verstärkt ökonomische Vorgehensweise ver-langt die Erhebung von Daten, die früher nicht erhobenworden sind, sowie deren eingehende Analyse. Damitkönnen die Auswahl der Daten, das Verfahren der Daten-erhebung sowie die Auswertung der Daten zum Gegen-stand rechtlicher Streitigkeiten werden. Ein Beispiel da-für ist der US-amerikanische Prozess im Fall Oracle/PeopleSoft, in dem der zuständige District Court die vomDepartment of Justice beigebrachten Zeugenaussagen imZusammenhang mit dem SSNIP-Test nicht als Beweis ge-nügen ließ. Das Gericht forderte vielmehr die Vorlagevon Berechnungen über die bei einem Anbieterwechselanfallenden Kosten.109 Auf europäischer Ebene ist insbe-sondere deshalb mit Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf den

109 Vergleiche oben Tz. 631.

Page 72: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 323 – Drucksache 16/2460

more economic approach zu rechnen, weil dieser in derFusionskontrollpraxis eine relativ neue Entwicklung dar-stellt. Mit zunehmender Erfahrung der EuropäischenKommission und der betroffenen Unternehmen dürftensich die angesprochenen Probleme aber verringern. So-weit in Einzelfällen Zweifelsfragen verbleiben, muss dieRechtsprechung Leitlinien für die Datenerhebung und-analyse vorgeben, welche die Vorhersehbarkeit undRechtssicherheit von Entscheidungen auch insoweit si-cherstellen.

697. Der more economic approach und die gerichtlichfestgestellten Beweisanforderungen an die EuropäischeKommission erfordern in verstärktem Maß die Erhebungvon Informationen und die Analyse großer Datenmengen.Die Frage, ob sich dies negativ auf die Verfahrensdauerausgewirkt hat, lässt sich nach den bisherigen Erfahrun-gen nicht eindeutig beantworten. Während des Berichts-zeitraums hat die Europäische Kommission drei Zweite-Phase-Verfahren auf der Basis von Auskunftsbeschlüssennach Artikel 11 i. V. m. Artikel 10 Abs. 4 FKVO ausge-setzt. Nach Artikel 10 Abs. 4 FKVO sind die Verfahrens-fristen gehemmt, bis die durch die Kommission angefor-derten Informationen von den Zusammenschlussparteienübermittelt werden. Mit Oracle/PeopleSoft wurde zwardas bislang längste Verfahren der europäischen Fusions-kontrolle beendet. Von der Anmeldung des Zusammen-schlusses bis zur Entscheidung vergingen rund zwölf Mo-nate. Dies dürfte allerdings kein Ausfluss des moreeconomic approach sein, sondern auf das US-amerikani-sche Parallelverfahren zurückzuführen sein. Sowohl dieKommission als auch die Zusammenschlussparteien wa-ren daran interessiert, den Ausgang des kartellrechtlichenProzesses in den USA abzuwarten, was dazu führte, dassdie Fristhemmung in beiderseitigem Einvernehmen statt-gefunden hat. In den Verfahren Lagardère/Natexis/VUPund E.ON/Mol ging es dagegen um reine Informationsbe-schaffung, die zu einer Verlängerung der Verfahrensfristum ca. acht Wochen bzw. um acht Tage führte. Ansonstensind keine Aussetzungsbeschlüsse in der zweiten Verfah-rensphase ergangen.

Es bleibt daher abzuwarten, ob die Europäische Kommis-sion den neuen Anforderungen in den derzeit geltendenFristen gerecht werden kann oder sich in Zukunft Aus-kunftsbeschlüsse und Fristhemmungen häufen werden.Vieles wird auch von der Informationspolitik der beteilig-ten Unternehmen abhängen. Gegebenenfalls muss überweitere gesetzliche Änderungen der allgemeinen Prü-fungsfristen oder eine Aufstockung des Personals insbe-sondere beim Team des Chefökonomen nachgedacht wer-den. Es wird darüber hinaus zu beobachten sein, ob dieKommission sich in Zukunft verstärkt auf die ihrer An-sicht nach schwerwiegenden Fälle konzentriert, eine Ent-wicklung, die im Bereich der Kartell- und Missbrauchs-aufsicht durch die VO 1/2003 bereits gesetzlich verankertist und sich im Bereich der Fusionskontrolle z. B. durcheine vermehrte Beanspruchung des vereinfachten Verfah-rens durchsetzen könnte.

3.5 Abhilfemaßnahmen698. Im Berichtszeitraum hat die Europäische Kommis-sion 27 Erste-Phase-Fälle und sieben Zweite-Phase-Fälle

nur unter Bedingungen und Auflagen erlaubt. In beidenVerfahrensabschnitten haben die Unternehmen größten-teils Veräußerungszusagen abgegeben, z. T. in Verbindungmit weiteren Zusagen. Die Verpflichtung zur Veräußerunghat etwa in den Fällen Siemens/VA Tech, Syngenta/Ad-vanta, Group 4 Falck/Securicor, Owen-Illinois/BSNGlasspack und Cytec/UCB-Surface Specialities dazu ge-führt, dass sämtliche oder fast alle durch den Zusammen-schluss herbeigeführten Marktanteilsüberschneidungenwieder entfielen. In dem Verfahren Sonoco/Ahlstrom ga-ben die Parteien zusätzlich eine so genannte Upfront-Buyer-Zusage ab. Daraus folgte, dass der geplante Zusam-menschluss erst vollzogen werden durfte, nachdem einverbindlicher Kaufvertrag für den von der Zusage betrof-fenen Unternehmensteil geschlossen worden war und dieEuropäische Kommission ihre Zustimmung zu dem Er-werber erteilt hatte.

699. Wettbewerbliche Bedenken der EuropäischenKommission konnten während des Berichtszeitraumsnicht nur mit Veräußerungszusagen, sondern auch imWege von verhaltensorientierten Zusagen beseitigt wer-den. Dies gelang den Zusammenschlussparteien z. B. inden Verfahren Areva/Urenco/ETC JV und E.ON/Mol so-wie Total/Gaz de France und Piaggio/Aprilia. In den dreierstgenannten Fällen griff die Kommission auf ihre seiteinigen Jahren zunehmende Praxis zurück, nationaleWettbewerbs- oder Regulierungsbehörden bzw. europäi-sche Aufsichtsbehörden in die Überwachung der Zusa-gendurchführung einzubeziehen. Diese Art der Arbeits-teilung birgt zweifellos Vorteile. Zum einen kann dieEuropäische Kommission ihren eigenen Kontrollaufwanderheblich reduzieren und ihre knappen Ressourcen ver-stärkt der Fallentscheidung widmen. Angesichts der be-trächtlichen Zahl kontrollpflichtiger Abhilfemaßnahmenbestünde ohne die Kooperation mit anderen Behörden so-gar die Gefahr, dass eine gründliche Begleitung und Be-obachtung des Umsetzungsprozesses unterbliebe. Hinzukommt, dass die nationalen Aufsichtsbehörden aufgrundihrer räumlichen Nähe zu den betroffenen Märkten undihrer besonderen Erfahrungen etwa im Energiebereichhäufig besser zur Beobachtung der Zusagenumsetzunggeeignet sind als die Europäische Kommission. Mit derEinbeziehung von nationalen Behörden wird schließlichauch dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen.

Problematisch wäre es allerdings, wenn die EuropäischeKommission sich völlig aus der Kontrolle der Zusagen-durchführung zurückziehen würde. Gerade im Hinblickauf die in vielen Mitgliedstaaten zu beobachtenden indus-triepolitischen Strömungen ist zu fordern, dass die Euro-päische Kommission letztentscheidende Kontrollinstanzbleibt und über die Möglichkeit verfügt, jederzeit in denProzess der Zusagenumsetzung einzugreifen. In diesemZusammenhang ist positiv zu vermerken, dass die Euro-päische Kommission beispielsweise in dem Verfahren To-tal/Gaz de France neben der Kooperation mit der franzö-sischen Energiebehörde auch für die Einsetzung einesTreuhänders gesorgt hat, der ihr direkt zu berichten hat.In diesem Sinne ebenfalls begrüßenswert ist die Einschal-tung der Euratom-Versorgungsagentur (ESA) im Fall

Page 73: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 324 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Areva/Urenco/ETC JV, die unter der Aufsicht der Euro-päischen Kommission steht.

700. Die Europäische Kommission hat im Berichtszeit-raum erneut unverbindliche Zusagen entgegengenommen.In dem Fall Cytec/UCB-Surface Specialities genehmigtedie Kommission den Erwerb des Oberflächenspezialitä-tengeschäfts von UCB durch Cytec wegen der wettbe-werblichen Bedenken auf zwei Aminoharzmärkten nurunter Bedingungen und Auflagen. Cytec verpflichtete sichzur Veräußerung eines Werkes in Deutschland, auf dasfast seine gesamte europäische Fertigung dieser Produkteentfiel. Daneben boten die Parteien an, ein Werk in denUSA zu veräußern sowie einen Lohnfertigungsvertrag inKanada aufzulösen. Dieses Angebot wurde nicht zum In-halt von verbindlichen Bedingungen und Auflagen ge-macht. Die schon früher geäußerten Bedenken gegen un-verbindliche Zusagen bestehen fort. Die EuropäischeKommission hat keinerlei Handhabe gegen die Zusam-menschlussparteien, um die Durchführung derartiger Zu-sagen zu erzwingen. Ferner stehen bei fehlender Umset-zung der Zusagen keine Sanktionsmöglichkeiten bereit.Dem Wesen nach sind unverbindliche Zusagen reine Ab-sichtserklärungen der Parteien, die deshalb nicht entschei-dungserheblich sind. Die Europäische Kommission hatdiesen Bedenken im vorliegenden Fall Rechnung getra-gen und ausdrücklich festgestellt, dass die auf die USAund Kanada bezogenen Zusagenangebote keinen Einflussauf ihre Entscheidung hatten.

3.5.1 Die Studie der Europäischen Kommis-sion über Abhilfemaßnahmen

701. Im Oktober 2005 legte die Europäische Kommis-sion einen Bericht über eine von ihr durchgeführte Unter-suchung von Abhilfemaßnahmen bei Zusammenschlüssenvor.110 Die Kommission hat 40 Entscheidungen aus denJahren 1996 bis 2002, in denen 96 Abhilfemaßnahmenauferlegt worden waren, auf ihre Konzipierung, Umset-zung und Effizienz geprüft. Die Kommission untersuchte84 Veräußerungszusagen, die im Mittelpunkt der Prüfungstanden, sowie zwölf andere Zusagen. Bei den 84 Veräu-ßerungszusagen ermittelte die Kommission 194 ernsthafteProbleme in Bezug auf ihre Konzipierung und Durchfüh-rung. Davon wurden lediglich ca. 70 Prozent innerhalbvon drei bis fünf Jahren seit Abgabe der jeweiligen Zu-sage gelöst, die restlichen Probleme blieben ungelöst. Alsbesonders schwierig erwies sich die Bestimmung des rich-tigen Umfangs des zu veräußernden Geschäftsbereichssowie dessen Getrennthaltung während der Zeit bis zurVeräußerung. Häufig bereiteten auch die mangelnde Eig-nung des Erwerbers, die Bestellung eines qualifiziertenTreuhänders, das Monitoring sowie der Veräußerungspro-zess und der Transfer des erworbenen UnternehmensteilsProbleme. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass nur57 Prozent der Abhilfemaßnahmen effektiv waren, in24 Prozent der Fälle werden sie als teilweise wirksam undin 7 Prozent der Fälle als unwirksam bezeichnet. 12 Pro-

zent der Fälle entzogen sich einer Beurteilung. Es stelltesich heraus, dass der Erwerb von Anteilen an Gemein-schaftsunternehmen durch die jeweiligen JV-Partner be-sonders wirksam gewesen ist, während die Vereinbarungvon Zugangsrechten zu Infrastruktur oder Technologie dieam wenigsten effektive Maßnahme bildete.

702. Die Monopolkommission begrüßt die Durchfüh-rung der vorliegenden Untersuchung ausdrücklich. Siehält es darüber hinaus für wünschenswert, dass die Euro-päische Kommission regelmäßig über die Implementie-rung von Abhilfemaßnahmen berichtet. Bislang hat dieEuropäische Kommission Informationen darüber, ob undwie die in Zusammenschlussfällen auferlegten Abhilfe-maßnahmen realisiert wurden und welche Probleme dabeiaufgetreten sind, nur selten veröffentlicht. Eine Ex-post-Betrachtung kann jedoch wichtige Informationen über dieWirksamkeit von Zusagen im Einzelfall geben und da-rüber hinaus notwendige Anhaltspunkte für die Zusagen-gestaltung im Allgemeinen liefern. Die Monopolkommis-sion empfiehlt daher, die in der Studie enthaltenenVerbesserungsansätze möglichst zeitnah in die Mitteilungüber zulässige Abhilfemaßnahmen, die Leitlinien überBest Practices und die Musterformulare für Veräuße-rungszusagen einzuarbeiten. Die Monopolkommissionunterstützt insbesondere den mehrfach in der Studie geäu-ßerten Vorschlag, stärkeren Gebrauch von Upfront-Buyer-Zusagen zu machen. Dabei verkennt sie nicht, dasseinige – auch wettbewerbsrechtlich bedenkliche – Trans-aktionen überhaupt erst dadurch möglich werden, dassTeile des zu erwerbenden Unternehmens im Vorhinein aneinen Dritten verkauft werden. Mit Hilfe des hierbei er-zielten Verkaufserlöses wird dann die Finanzierung dereigentlichen Übernahme sichergestellt. Die Monopol-kommission bewertet die damit eventuell verbundenenNachteile aber geringer als die Vorteile, die mit Upfront-Buyer-Zusagen einhergehen. Diese geben den Zusam-menschlussparteien einen wirksamen Anreiz, sich unver-züglich und nach Kräften um einen Erwerber für den pro-blematischen Unternehmensteil zu bemühen und dessenTransfer ohne Verzögerung oder sonstige Behinderungendes Käufers vorzunehmen. Da der Zusammenschluss erstnach dem Verkauf des zu veräußernden Unternehmens-teils vollzogen werden darf, können viele der in der Stu-die dargestellten Probleme mittels einer Upfront-Buyer-Zusage umgangen werden.

Daneben bestärken die Ergebnisse der vorgelegten Studiedie Monopolkommission in ihrer Zurückhaltung gegen-über Zusagen, die den Zugang von Wettbewerbern zur In-frastruktur der Zusammenschlussparteien beinhalten. Siehaben sich unter allen Zusagetypen als am wenigsten ef-fektiv herausgestellt. Außerdem zeigt die vorgenommeneUntersuchung, dass eine gewisse Skepsis auch gegenüberVeräußerungszusagen angebracht ist. Aus der Studie gehthervor, dass viele der im Zusammenhang mit Veräuße-rungszusagen auftretenden Schwierigkeiten erst nachmehreren Jahren ausgeräumt werden konnten und immer-hin 30 Prozent der auftretenden Schwierigkeiten ungelöstblieben. Selbst die Verpflichtung zur Aufhebung sämtli-cher Unternehmensüberschneidungen, die grundsätzlichals ein geeignetes Mittel zur Beseitigung von Wettbe-

110 DG COMP, European Commission, Merger Remedies Study, October2005, http://ec.europa.eu/comm/competition/mergers/others/#study.

Page 74: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 325 – Drucksache 16/2460

werbsbedenken angesehen wird, führte in der Vergangen-heit zu erheblichen Problemen. Aufgrund der Untersu-chungsergebnisse muss die Wirksamkeit von Zusageninsgesamt als erheblich eingeschränkt angesehen werden,da nur gut die Hälfte der untersuchten Abhilfemaßnah-men ihr Ziel erreichten. Dieser Umstand sollte die Euro-päische Kommission dazu veranlassen, ihre Haltung ge-genüber Abhilfemaßnahmen in grundlegender Weise zuüberdenken. Die relativ geringe Wirksamkeit von Zusa-gen ist bei jeder Abwägung zwischen einer Freigabeent-scheidung unter Auflagen einerseits und einer Untersa-gungsentscheidung andererseits in Rechnung zu stellen.Dies muss um so mehr in Fällen gelten, bei denen eineGenehmigung nur mittels umfangreicher Maßnahmenpa-kete möglich ist. Hier dürften die beobachteten Schwie-rigkeiten bei der Prognose der Zusagenfolgen, bei der Be-stimmung des geeigneten Verpflichtungsumfangs und beider Überwachung der Zusagendurchführung vermehrtauftreten.

3.5.2 Grenzen des Verpflichtungsumfangs?

703. In dem Verfahren Lagardère/Natexis/VUP konntendie ernsthaften Bedenken der Europäischen Kommissiongegen den Zusammenschluss nur mittels weitreichenderZusagen ausgeräumt werden. Lagardère musste sich ver-pflichten, den größten Teil des erworbenen Unterneh-mens VUP wieder zu veräußern. Auf den Veräußerungs-gegenstand entfielen rund 65 Prozent des weltweitenUmsatzes von VUP und rund 75 Prozent des Umsatzes,den VUP auf den französischsprachigen Buch- bzw. Ver-lagsmärkten erzielte. Dieser Umstand wirft die Frage auf,ob es von den Regelungen der FKVO gedeckt ist, einenZusammenschluss mit der Verpflichtung freizugeben, dengrößeren Teil des erworbenen Geschäfts wieder zu veräu-ßern. Im Extremfall könnte die Europäische Kommissiondann einen Zusammenschluss unter der Bedingung ge-nehmigen, das gesamte erworbene Unternehmen sofortwieder zu verkaufen. Nach Ansicht der Monopolkommis-sion sprechen die besseren Gründe dafür, Zusammen-schlussvorhaben, die derartig starke Wettbewerbsbeden-ken hervorrufen, zu verbieten. Gerade vor demHintergrund der oben erwähnten Studie erscheint dieFestlegung umfangreicher Maßnahmenpakete als äußerstbedenklich. Es ist daran zu erinnern, dass sich nach denUntersuchungen der Europäischen Kommission lediglich57 Prozent der vereinbarten Zusagen als wirksam erwie-sen haben. Die mit der Zusagenumsetzung verbundenenSchwierigkeiten dürften mit dem Umfang der auferlegtenAbhilfemaßnahmen noch zunehmen. Außerdem erhöhtsich mit zunehmendem Umfang der Abhilfemaßnahmendie Gefahr, dass die Wettbewerbsbehörden übermäßigenEinfluss auf die Gestaltung der Marktstrukturen nehmen.Die Höchstgrenze für Bedingungen und Auflagen, bei dereine Freigabe noch tolerabel erscheint, liegt nach Auffas-sung der Monopolkommission bei etwa 50 Prozent desErwerbsgegenstands. Dabei ist der Europäischen Kom-mission eine gewisse Flexibilität zuzubilligen, damit auchim Einzelfall praktikable Lösungen gefunden werdenkönnen. Um die Zusammenschlussparteien nicht durcheine Verbotsentscheidung zu belasten, müsste den Unter-

nehmen durch rechtzeitige Information seitens der Kom-mission die Möglichkeit gegeben werden, ihre Anmel-dung im Vorfeld zurückzuziehen und den modifiziertenZusammenschluss neu anzumelden.

3.5.3 Veräußerungszusagen

704. In einer ganzen Reihe von Fällen hat die Europäi-sche Kommission Veräußerungsverpflichtungen von denZusammenschlussparteien gefordert. Veräußerungszusa-gen weisen einen strukturellen Charakter auf und sind da-her grundsätzlich geeignet, auf der Änderung von Markt-strukturen beruhende Wettbewerbsbehinderungen zubeseitigen. Im Einzelfall kann ihre nähere Ausgestaltungdennoch zu Bedenken Anlass geben. Das Zusammen-schlussvorhaben Johnson & Johnson/Guidant wirkte sichauf dem Sektor für medizinische Geräte und Zubehör ausund hätte zu erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigungenauf dem Markt für steuerbare Herz-Führungsdrähte, aufmehreren Märkten für Stents sowie auf einem Markt imBereich Herzchirurgie geführt. Die Abhilfemaßnahmen,deren strukturellen Charakter die Kommission betonte,sahen für jeden der genannten Märkte die Veräußerungbestimmter Unternehmensteile vor. Im Bereich steuerba-rer Führungsdrähte sollten Johnson & Johnsons Kunden-listen, Lagerbestände und Markenrechte verkauft werden.Im Bereich Stents verpflichteten sich die Parteien zurVeräußerung der EWR-weiten Aktivitäten von Guidant.Allerdings sollte die Veräußerung in den genannten Be-reichen jeweils unter Ausschluss von Produktionsstättenund -mitteln erfolgen. Damit klammern die Zusagen ei-nen wichtigen Teil der Wertschöpfungskette – die Pro-duktion – völlig aus. Es erscheint daher fraglich, ob dieeingegangenen Verpflichtungen dennoch geeignet sind,die geäußerten Wettbewerbsbedenken zu beseitigen.

705. Dies dürfte im Fall der Führungsdrähte zu bejahensein. Aus der Entscheidung der Europäischen Kommis-sion geht hervor, dass Johnson & Johnson ebenso wieviele seiner Konkurrenten die von ihm verwendeten Füh-rungsdrähte von Dritten bezieht. Diese Möglichkeit stehefür den Erwerber des Geschäftsbereichs ebenfalls offen,so dass der zu veräußernde Unternehmensteil auch ohneÜbertragung von Produktionsstätten lebensfähig sei. LautKommission hat die Marktuntersuchung dieses Ergebnisbestätigt. Weniger überzeugend ist die Argumentation derEuropäischen Kommission in Hinsicht auf die Märkte fürStents. Hier dürften eher pragmatische Gründe ausschlag-gebend gewesen sein, die Veräußerung des Geschäftsbe-reichs ohne Produktionsanlagen zu fordern. Offenbarfehlte es nämlich an veräußerungsfähigen Produktions-stätten innerhalb des EWR, da die Zusammenschlusspar-teien ihre Produktions- sowie Forschungs- und Entwick-lungsstätten in den USA zentralisiert hatten. DieKommission erklärte die auferlegten Abhilfemaßnahmendennoch für ausreichend, weil sich die Parteien zusätzlichzur Veräußerung verpflichtet hatten, den Käufer beimAufbau eigener Produktionskapazitäten zu unterstützenund zwischenzeitlich mit von ihnen hergestellten Produk-ten zu beliefern. In Bezug auf Forschung und Entwick-lung hatten die Parteien zugesagt, dem Erwerber alle für

Page 75: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 326 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

den Geschäftsbereich notwendigen Informationen in an-gemessener und verständlicher Weise mitzuteilen.

706. Obwohl die dargestellte Veräußerungszusage aufden ersten Blick rein struktureller Natur ist, weist siedoch bei näherer Betrachtung eine ganze Reihe verhal-tensbezogener Bestandteile auf. Die Verpflichtungen zurAufbauhilfe und zur Datenübermittlung in Bezug auf dieForschungs- und Entwickungsaktivitäten bieten zahlrei-che Möglichkeiten für eine Behinderung des Erwerbersund sind kaum zu kontrollieren. Daran ändert auch das imZusagentext verankerte Schiedsverfahren für Streitigkei-ten zwischen der neuen Unternehmenseinheit und demErwerber des betroffenen Unternehmensteils nur wenig.Darüber hinaus bleibt die Kommission auch im Rahmendieses Schiedsverfahrens letztentscheidend, so dass sichihr Tätigwerden über Jahre hinweg als erforderlich erwei-sen kann. Die Unterstützung beim Aufbau der Produkti-onsanlagen gibt den Zusammenschlussparteien darüberhinaus die Gelegenheit, detaillierte Einblicke in den Ge-schäftsbereich ihres künftigen Wettbewerbers zu nehmen.Aus dem Entscheidungstext geht ferner nicht hervor, überwelchen Zeitraum hinweg der Erwerber auf Informatio-nen aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung derParteien angewiesen sein wird. Die entsprechende Zusagebezieht ganz allgemein auch künftige Forschungsergeb-nisse mit ein.

An der Eignung der Zusage bestehen darüber hinaus des-halb Zweifel, weil die Befragung der Marktteilnehmer er-geben hatte, dass der veräußerte Geschäftsbereich ohneProduktionsanlagen nur dann lebensfähig sein werde,wenn der Käufer einer der wenigen großen Wettbewerberist. Im Rahmen der Wettbewerbsanalyse hatte die Kom-mission festgestellt, dass die betroffenen Märkte einehohe Konzentration aufwiesen, bei der die drei bzw. viergrößten Unternehmen gemeinsame Marktanteile in Höhevon ca. 70 bis 95 Prozent auf sich vereinigten. Es bestehtdaher die Gefahr, dass aufgrund der Freigabeentschei-dung der Kommission nicht nur die sowieso schon ge-ringe Anzahl großer Anbieter um einen vermindert, son-dern im Wege der Zusage wahrscheinlich auch diePosition eines weiteren Incumbent verstärkt wird. DieVeräußerung an einen kleineren Konkurrenten hätte sichhier möglicherweise positiver auf die Wettbewerbssitua-tion ausgewirkt. Sie kam jedoch – laut EuropäischerKommission – aus finanziellen Gründen von vornhereinnicht in Betracht.

3.5.4 Verhaltensorientierte Zusagen

707. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Ent-scheidung Europäische Kommission/Tetra Laval die vomGericht erster Instanz aufgestellten Kriterien für die Be-handlung verhaltensorientierter Zusagen bestätigt.111 DasEuG hatte bereits in den Urteilen Gencor/Kommissionund ARD/Kommission erläutert, dass strukturorientiertenAbhilfemaßnahmen bei fusionskontrollrechtlichen Ent-

scheidungen zwar grundsätzlich der Vorzug zu gebensei.112 Es sei aber nicht a priori auszuschließen, dass sichauf den ersten Blick verhaltensbezogene Verpflichtungenebenfalls eignen, die Entstehung oder Verstärkung einerbeherrschenden Stellung zu verhindern. Daher müsstenangebotene Zusagen im Einzelnen untersucht werden,ohne dass es darauf ankomme, ob sie jeweils als verhal-tensbezogene oder als strukturorientierte Verpflichtungqualifiziert werden könnten. Dieser Ansicht schloss sichder EuGH an und zog den Schluss, dass die EuropäischeKommission im Fall Tetra Laval/Sidel die verhaltensbe-zogenen Abhilfemaßnahmen nicht pauschal hätte ableh-nen dürfen. Vielmehr hätte sie sich auf jeden Fall nähermit den Zusagen auseinandersetzen und eine Einzelprü-fung vornehmen müssen, die hier unterblieben war.

Die Aufforderung der Rechtsprechung, sich mit jeder an-gebotenen Zusage detailliert auseinanderzusetzen, hat dieEuropäische Kommission im Berichtszeitraum z. B. imVerfahren EDP/ENI/GDP in die Praxis umgesetzt. Diesbestätigte das Gericht erster Instanz in dem Prozess, denEDP gegen die Untersagung des Zusammenschlusses an-gestrengt hatte.113 Das Gericht stellte – entgegen demVortrag der Klägerin – fest, dass die Kommission die an-gebotenen Verhaltenszusagen nicht ohne weitere Begrün-dung zurückgewiesen, sondern im Einzelnen ausgeführthabe, warum die Zusagen nicht zur Beseitigung der Wett-bewerbsbedenken ausreichten. Ferner ist den Ausführun-gen des Gerichts zu entnehmen, dass der EuropäischenKommission bei der Beurteilung verhaltensbezogenerZusagen ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumtwird, sofern sie ihrer grundsätzlichen Pflicht zur Prüfungsolcher Zusagen nachgekommen ist.

708. In dem Verfahren Total/Gaz de France stellte dieEuropäische Kommission erhebliche Wettbewerbsbeein-trächtigungen auf mehreren Gasmärkten in Frankreichfest. Sie gab den Zusammenschluss daher nur unter derBedingung frei, dass Total den nicht diskriminierendenund transparenten Zugang zu seinen Transport- und Spei-cheranlagen im Südwesten Frankreichs sicherstellte.Diese Zusage wurde durch weitere Verpflichtungen er-gänzt. Insbesondere sollten im Falle eines Lieferanten-wechsels seitens eines Kunden die nötigen Transport- undSpeicherkapazitäten von dem bisherigen Lieferanten aufden neuen Lieferanten übergehen. Total sollte ferner fürden Fall, dass es bei den Eintrittspunkten zu seinen Netzenzu Engpässen komme, einen Allokationsplan veröffentli-chen. Zudem musste Total einen Release-Mechanismusbezüglich ungenutzter Transportkapazitäten entwickeln,um die missbräuchliche Zurückhaltung von Kapazitätenzu verhindern. Schließlich sollte Total den Verkauf vonTransport- und Lagerkapazitäten durch Dritte erlauben,damit sich ein Zweitmarkt entwickeln könne.

111 EuGH, Urteile vom 15. Februar 2005, Rs. C-12/03 P und C-13/03,Kommission/Tetra Laval.

112 EuG, Urteil vom 25. März 1999, Rs. T-102/96, Gencor/Kommission,Tz. 319; EuG, Urteil vom 30. September 2003, Rs. T-158/00, ARD/Kommission, Tz. 193.

113 EuG, Urteil vom 21. September 2005, Rs. T-87/05, EDP/Kommissi-on.

Page 76: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 327 – Drucksache 16/2460

709. Festzuhalten ist einerseits, dass die Rechtspre-chung Zusagen hinsichtlich des diskriminierungsfreienZugangs zu Infrastruktureinrichtungen für zulässig hält,sofern die Verpflichtungen über eine reine Wiederholungbestehender Gesetze hinausgehen.114 Zwar schreiben so-wohl die zweite Gasrichtlinie als auch das französischeRecht einen diskriminierungsfreien Zugang vor. Der Zu-sagentext enthält aber eine ganze Reihe weiterer Ver-pflichtungen, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus-gehen. Andererseits bestehen gegen die Eignung vonZugangszusagen ernsthafte Bedenken grundsätzlicherNatur. Sie beinhalten ein hohes Missbrauchs- und Behin-derungspotential und erfordern eine umfängliche Kon-trolle seitens der Behörden. Die erheblichen Schwierig-keiten bei der Umsetzung derartiger Abhilfemaßnahmenwerden von der oben erwähnten Studie der EuropäischenKommission bestätigt. Hiernach haben sich Zugangszu-sagen in der Vergangenheit als besonders ineffektiv er-wiesen. Zudem hat die Europäische Kommission bereitsin dem Verfahren Veba/Viag vergleichbare Durchlei-tungsmaßnahmen beschlossen, ohne dass diese zu den er-hofften positiven Wettbewerbswirkungen geführt hätten.Die Monopolkommission bedauert, dass die EuropäischeKommission aus diesen negativen Erfahrungen mitDurchleitungszusagen im jetzt zu beurteilenden Fallkeine Konsequenzen gezogen hat.

710. In dem Zusammenschluss Areva/Urenco/ETC JV,der sich auf dem Markt für Urananreicherung auswirkte,umfassen die von den Parteien eingegangenen Verpflich-tungen im Wesentlichen folgende Punkte: erstens die Ab-schaffung des Vetorechts der Parteien bei Kapazitätsauf-stockungen und zweitens die Verstärkung von Firewalls,um den Informationsfluss zwischen den Parteien sowiezwischen dem Gemeinschaftsunternehmen und den Par-teien zu unterbinden. Drittens sehen die Zusagen die Wei-tergabe von Informationen an die ESA zwecks Überwa-chung der Preise für die Urananreicherung vor, so dassdie Behörde gegebenenfalls korrigierend eingreifen kann,insbesondere durch Erhöhung der Einfuhren anderer An-bieter.

711. Die Monopolkommission hält es für fraglich, obdie Zusagen ausreichen, um die wettbewerblichen Beden-ken gegen den Zusammenschluss auszuräumen. Die Ab-schaffung des Vetorechts bei Kapazitätserweiterungen istzwar grundsätzlich zu begrüßen, weil dadurch die wech-selseitigen Kontrollmöglichkeiten der Parteien über un-ternehmerische Entscheidungen beseitigt und der Spiel-raum für eine gemeinsame marktbeherrschende Stellungder Zusammenschlussparteien verringert wird. Allerdingshat schon das Bundeskartellamt in seinem Verweisungs-antrag nach Artikel 22 FKVO auf die Gefahr hingewie-sen, dass Areva durch den Zusammenschluss eine einzel-marktbeherrschende Stellung erlangen oder verstärkenkönnte. Dafür spricht unter anderem, dass Areva bereitsvor dem Zusammenschluss über einen doppelt so hohenMarktanteil wie sein nächster Wettbewerber Urenco ver-

fügte. Außerdem ist das Unternehmen in hohem Gradevertikal integriert und erlangt über das Gemeinschaftsun-ternehmen ETC Zugang zu der modernen Zentrifugen-technologie. Eine Prüfung der möglichen Einzelmarktbe-herrschung von Areva nimmt die EuropäischeKommission jedoch an keiner Stelle vor. Fraglich er-scheint darüber hinaus die Wirksamkeit der vereinbartenFirewalls. Aller Erfahrung nach lässt sich bei strukturellverbundenen Unternehmen ein Austausch wettbewerbsre-levanter Informationen nicht gänzlich verhindern. Fernerist die Einhaltung dieser Zusage kaum erfolgreich zu kon-trollieren.

Bedenken erweckt schließlich auch die dritte Zusage, hin-ter der die Überlegung steht, dass für den Fall des Miss-brauchs einer marktbeherrschenden Stellung die ESAkorrigierend eingreift. Eine solche Überlegung steht inWiderspruch zu den Zielen der Fusionskontrollverord-nung, wonach ein Zusammenschluss schon dann zu un-tersagen ist, wenn er die Gefahr eines unkontrolliertenVerhaltensspielraums hervorbringt oder erhöht. Maßnah-men, die erst dann greifen, wenn die entstehende oderverstärkte marktbeherrschende Position missbräuchlichausgenutzt wird, gehören in den Bereich der Missbrauchs-aufsicht nach Artikel 82 EGV. Sie sind jedoch nichtgeeignet, die Bedenken gegen die Durchführung einesZusammenschlusses auszuräumen, der eine marktbeherr-schende Position begründet oder verstärkt.

712. Eine Verhaltenszusage nahm die EuropäischeKommission auch im Fall Piaggio/Aprilia entgegen. DieKommission hatte erhebliche wettbewerbliche Bedenkenin Bezug auf den italienischen Markt für Motorroller unter50 cc geäußert, woraufhin Piaggio sich zur Belieferungvon Wettbewerbern mit seinem neuesten Viertaktmotorfür 50 cc-Motorroller verpflichtete. Die Belieferungs-pflicht sollte auf unbegrenzte Zeit gelten, die Belieferungzu wettbewerblichen Bedingungen erfolgen. Nach An-sicht der Kommission war diese Zusage geeignet, die Ge-fahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung zu beseitigen.Dafür spreche zum einen, dass Piaggios Fahrzeugmo-delle, die mit dem betroffenen Motor ausgestattet waren,in der Vergangenheit überdurchschnittlich erfolgreich ge-wesen seien. Zum anderen würden Wettbewerber mit derBelieferung in die Lage versetzt, ihre Motorenpalette zuerweitern und auf diese Weise den Verhaltensspielraumder Zusammenschlussparteien zu beschränken. Überwa-chungsprobleme hinsichtlich der Umsetzung der Zusageergaben sich nach Ansicht der Kommission nicht. Die Be-lieferung von Wettbewerbern mit Motoren sei üblichePraxis. So sei das betroffene Motorenmodell in der Ver-gangenheit bereits an Aprilia verkauft worden, so dass einVertragsmodell vorliege, das als Vergleichsmaßstab fürkünftige Lieferverträge dienen könnte.

Ausdrücklich betonte die Europäische Kommission, dassdie entgegengenommene Zusage eher geeignet sei, ihreWettbewerbsbedenken auszuräumen als eine rein struktu-relle Maßnahme. Eine Veräußerungszusage sah sie als„unrealistisch“ an, da kein für den Verkauf geeigneter Be-triebsteil existiere. Ferner habe während des Markttestskein Wettbewerber Kaufinteresse signalisiert, was an den

114 EuG, Urteil vom 30. September 2003, Rs. T-158/00, ARD/Kommis-sion.

Page 77: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 328 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

schon gegenwärtig vorhandenen Überkapazitäten aufdem Markt liege. Darüber hinaus würde eine Veräuße-rungszusage gegen den Grundsatz der Verhältnismäßig-keit verstoßen, weil davon eine erhebliche Zahl vonMärkten betroffen wäre, auf denen keine Wettbewerbsbe-einträchtigung festgestellt worden sei.

713. Die Argumentation der Europäischen Kommissionist zwar insoweit nachzuvollziehen, als die Wettbewerbervon Piaggio/Aprilia aufgrund der Belieferungspflicht ei-gene Entwicklungskosten sparen können und daher eherin der Lage sind, konkurrierende Motorroller auf denMarkt zu bringen. Auch mag das bereits vorliegende Ver-tragsmodell die Überprüfbarkeit der Zusage bis zu einemgewissen Grad erleichtern. Es erhebt sich jedoch dieFrage, worin der Mehrwert der Zusage begründet ist,wenn – wie die Europäische Kommission ausführt – diegegenseitige Belieferung mit Motoren bereits vor demZusammenschluss übliche Praxis war. Außerdem kanndas existierende Vertragsmodell zwar Anhaltspunkt fürPreise und sonstige Konditionen bieten, den Zusammen-schlussparteien verbleiben aber vielfältige Möglichkei-ten, eine Belieferung von Wettbewerbern z. B. durch Re-duzierung der Produktion oder verzögerte Auslieferungzu behindern. Die Belieferungspflicht bezüglich des ge-genwärtig neuesten Motorenmodells läuft ferner insLeere, sobald Piaggio einen neuen Motor für das betrof-fene Motorroller-Segment entwickelt. Daneben ist ange-sichts der von der Europäischen Kommission festgestell-ten hohen Markengeltung von Piaggio in seinemHeimatland zweifelhaft, ob die auferlegten Belieferungs-pflichten ausreichen, um dessen Imagevorteile auszuglei-chen. Schließlich weckt auch die unbegrenzte Laufzeitder Zusage Bedenken. Sie macht eine zeitlich ebenso un-begrenzte Kontrolle seitens der Europäischen Kommis-sion erforderlich und lässt schon deshalb an einer wirksa-men Überwachung zweifeln.

3.5.5 Abhilfemaßnahmen ohne Feststellung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung

714. Kritisch ist die Vorgehensweise der EuropäischenKommission in den Fällen Siemens/VA Tech und Conti-nental/Phoenix zu beurteilen, die Frage nach dem Vorlie-gen einer Wettbewerbsbeeinträchtigung mit der Begrün-dung offen zu lassen, dass die abgegebenen Zusagenmögliche Bedenken gegen den Zusammenschluss auf je-den Fall beseitigen. In dem Verfahren Areva/Urenco/ETCJV wurde mit derselben Begründung der Frage nach mög-licherweise bestehenden Effizienzvorteilen nicht weiternachgegangen.115

Die Europäische Kommission hat in dem Verfahren Sie-mens/VA Tech unter anderem den Markt für elektrischenMetallurgieanlagenbau näher untersucht. VerschiedeneMarktcharakteristika wie die Existenz mehrerer starkerWettbewerber, die Marktanteilsverteilung sowie das Feh-len eines besonders engen Substitutionsverhältnisses zwi-schen den Zusammenschlussparteien sprachen gegen die

Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung. DieKommission führte weiter aus, dass jedenfalls die im Be-reich des mechanischen Metallurgieanlagenbaus abgege-benen Zusagen jegliche Wettbewerbsbedenken ausräum-ten. In dem Fall Continental/Phoenix untersuchte dieEuropäische Kommission unter anderem den Markt fürPkw-Luftfedern. Sie stellte verschiedene Umstände fest,welche die Entstehung von Marktbeherrschung nahe leg-ten. Hierzu gehörten die hohen Marktanteile der fusio-nierten Einheit ebenso wie ihre Vorsprünge beim Pro-duktportfolio, der Kundenbasis und dem technologischesKnow-how. Die Kommission hielt es ferner für wenigwahrscheinlich, dass potentielle Wettbewerber oder dieMarktgegenseite die entstehenden Verhaltensspielräumevon Continental wirksam eindämmen könnten. Letztlichließ die Kommission jedoch offen, ob der Zusammen-schluss zu einer marktbeherrschenden Stellung führenwürde. Mit der in einem anderen Teilmarkt vorgesehenenAbhilfemaßnahme entfielen nämlich auch alle etwaigenWettbewerbsprobleme im Pkw-Bereich.

715. Das geschilderte Vorgehen der Europäischen Kom-mission mag zwar gewisse Vorteile für die betroffenenUnternehmen einerseits und die Wettbewerbsbehörde an-dererseits mit sich bringen. Der Verzicht auf die Auser-mittlung von bestimmten Märkten kann zu einer Verkür-zung des Verfahrens und einer zeitlich vorgezogenenEntscheidung für die Zusammenschlussparteien führen.Die Europäische Kommission verringert den an sich erfor-derlichen Arbeitsaufwand. Nach Auffassung der Mono-polkommission ist es aber systematisch verfehlt, im Hin-blick auf frühzeitig vorgelegte Zusagenvorschläge aufeine fundierte Prüfung der Zusammenschlussfolgen undderen eindeutige Bewertung zu verzichten. Erst diese Prü-fung und die daran anschließende Feststellung von Art undUmfang künftiger Wettbewerbsbeeinträchtigungen lassennämlich erkennen, ob sich ein Zusagenangebot zur Besei-tigung der wettbewerblichen Bedenken eignet. Danebenerlaubt Artikel 8 Abs. 2 FKVO die Auferlegung von Be-dingungen und Auflagen nur dann, wenn der Zusammen-schluss andernfalls zu einer erheblichen Wettbewerbsbe-einträchtigung führen würde. Damit unterscheidet sich dieeinschlägige Vorschrift der FKVO maßgeblich von Arti-kel 9 VO 1/2003, demzufolge die Europäische Kommis-sion Zusagen der betroffenen Unternehmen auch dann fürverbindlich erklären darf, wenn eine Wettbewerbsbeein-trächtigung nicht festgestellt wurde.

3.6 Rechtsprechung

716. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Ge-richt erster Instanz (EuG) haben im Berichtszeitraum eineReihe von wettbewerbsrechtlich bedeutsamen Urteilenerlassen. Am 21. September 2005 hat das EuG die Unter-sagungsentscheidung der Europäischen Kommission imFall der portugiesischen Energiefusion EDP/ENI/GDPbestätigt.116 Nach Meinung des Gerichts hat die Kommis-

115 Vergleiche oben Tz. 691 ff.

116 EuG, Urteil vom 21. September 2005, Rs. T-87/05, EDP/Kommissi-on; Europäische Kommission, Entscheidung vom 9. Dezember 2004,M. 3440 – EDP/ENI/GDP.

Page 78: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 329 – Drucksache 16/2460

sion zwar hinsichtlich der untersuchten Gasmärkte einenRechtsfehler begangen. In Bezug auf die Strommärktehabe die Kommission jedoch zu Recht die Verstärkungmarktbeherrschender Stellungen angenommen, so dassdie Untersagung rechtmäßig sei. Damit hat das Gerichterstmals wieder eine Verbotsverfügung der EuropäischenKommission aufrechterhalten, nachdem in den Jahren2001 und 2002 kurz nacheinander drei solcher Verfügun-gen für nichtig erklärt worden waren. Ebenfalls positivaufgenommen hat die Europäische Kommission die Ur-teile des EuG vom 14. Dezember 2005, mit denen die bei-den Klagen von General Electric (GE) und Honeywell ge-gen die Verbotsentscheidung GE/Honeywell abgewiesenwurden.117 Das Gericht äußerte zwar deutliche Kritik anden Ausführungen der Kommission zu den konglomera-ten und vertikalen Effekten des Zusammenschlusses. Esfolgte jedoch der Argumentation zu den horizontalenAuswirkungen, welche seiner Ansicht nach genügten, umdie ausgesprochene Untersagung zu stützen.

Keinen Erfolg hatte die Europäische Kommission mit ih-rem Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichtserster Instanz im Verfahren Tetra Laval/Kommission ausdem Jahr 2002. Der EuGH bestätigte das Urteil des EuGim Wesentlichen, wobei er die Rechtsprechung zu denkonglomeraten Aspekten von Zusammenschlüssen undden hierbei geltenden Beweisanforderungen weiterentwi-ckelte.118 Das Urteil des EuG in Sachen GE/Kommissionbefasst sich ebenfalls mit den Konglomeratwirkungenvon Zusammenschlüssen und beinhaltet darüber hinauswichtige Ausführungen zur Behandlung von vertikalenZusammenschlüssen.

Die genannten Urteile geben ferner Aufschluss darüber,ob eine Abwägungsklausel – wie sie das deutsche Rechtin § 36 Abs. 1 2. Halbsatz GWB enthält – auch in der eu-ropäischen Fusionskontrolle Anwendung findet. Danebenlassen sich aus ihnen Rückschlüsse auf die Beweisanfor-derungen im Falle einer beabsichtigten Untersagung zie-hen.

In dem Verfahren MCI/Kommission ging es im Wesentli-chen um die verfahrensrechtliche Frage, ob die Europäi-sche Kommission eine Untersagungsverfügung auchnoch zu einem Zeitpunkt erlassen darf, in dem die An-meldung des Zusammenschlusses – jedenfalls formal –bereits zurückgenommen war. Hier unterlag die Europäi-sche Kommission vor dem Gericht erster Instanz.

Im Berichtszeitraum sind weitere Klagen gegen Fusions-entscheidungen der Europäischen Kommission erhobenworden, unter anderem in den Fällen Sony/BMG und GasNatural/Endesa. In letzterem Fall geht Endesa gerichtlichgegen die Umsatzberechnung durch die EuropäischeKommission vor, die dazu geführt hat, dass der Zusam-menschluss keine gemeinschaftsweite Bedeutung er-langte. Die Urteile stehen noch aus, Endesas Antrag auf

vorläufigen Rechtsschutz wurde vom Präsidenten des Ge-richts erster Instanz inzwischen zurückgewiesen.119

3.6.1 Konglomerate Zusammenschlüsse

717. Mit Spannung erwartet wurden die Urteile in denVerfahren, in denen die Behandlung konglomerater Zu-sammenschlüsse im Mittelpunkt der gerichtlichen Ausei-nandersetzung stand. Am 15. Februar 2005 bestätigte derEuropäische Gerichtshof die Urteile des Gerichts ersterInstanz vom Oktober 2002, mit dem dieses die Untersa-gungs- und Entflechtungsentscheidung der Kommissionim Fall Tetra Laval/Sidel aufgehoben hatte.120 Am14. Dezember 2005 folgte die Entscheidung in dem Ver-fahren GE/Kommission, mit der das EuG die behördlicheVerbotsverfügung bestätigte.

718. Das Zusammenschlussvorhaben Tetra Laval/Sidelbetraf verschiedene Märkte für die Verpackung von Flüs-signahrungsmitteln. Die Kommission war bei ihrer Beur-teilung von getrennten, jedoch eng miteinander verbunde-nen und potentiell zusammenwachsenden Märkten fürKarton- und PET-Verpackungen ausgegangen. Im Be-reich der PET-Verpackungen hatte sie ferner verschiedeneMärkte für so genannte Streckblasmaschinen (SBM-Ma-schinen) abgegrenzt. Nach eingehender Überprüfunghatte die Kommission den Zusammenschluss untersagtund ihre Entscheidung einerseits auf die konglomeratenAuswirkungen, andererseits auf die horizontalen Effektedes Vorhabens gestützt. Nach Auffassung der Kommis-sion hätte Tetra Laval nach dem Zusammenschluss einenAnreiz gehabt, ihre beherrschende Stellung auf demMarkt für Kartonverpackungen auszunutzen, um ihreKunden, die bei der Verpackung empfindlicher Produktezu PET übergingen, zum Erwerb von Sidels SBM-Ma-schinen zu bewegen. Durch Ausübung einer solchen He-belwirkung hätten kleinere Konkurrenten aus dem Marktverdrängt und die führende Stellung von Sidel bei SBM-Maschinen für empfindliche Produkte in eine beherr-schende Stellung verwandelt werden können. In Verbin-dung mit den horizontalen Effekten des Zusammen-schlusses hätten sich die Anreize von Tetra Laval, ihrePreise anzupassen und Innovationen einzuführen, erheb-lich verringert. Auch die von Tetra Laval angebotenenZusagen vermochten die Bedenken der EuropäischenKommission nicht auszuräumen. Am 30. Oktober 2001erklärte die Kommission den Zusammenschluss für un-vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt, am 30. Januar2002 folgte die Entflechtungsanordnung.

719. Auf die Klage von Tetra Laval erklärte das Gerichterster Instanz die beiden Entscheidungen der Kommis-sion für nichtig. Nach Ansicht des Gerichts litt die Ver-botsverfügung sowohl hinsichtlich der vermuteten

117 EuG, Urteile vom 14. Dezember 2005, Rs. T-210/01, GE/Kommis-sion, und Rs. T-209/01, Honeywell/Kommission.

118 EuGH, Urteile vom 15. Februar 2005, Rs. C-12/03 P und C-13/03,Kommission/Tetra Laval.

119 EuG, Beschluss vom 1. Februar 2006, Rs. T-417/05 R, Endesa/Kom-mission.

120 EuGH, Urteile vom 15. Februar 2005, Rs. C-12/03 P und C-13/03,Kommission/Tetra Laval; EuG, Urteile vom 25. Oktober 2002, Rs.T-5/02 und T-80/02, Tetra Laval/Kommission; Europäische Kommis-sion, Entscheidungen vom 30. Oktober 2001 und vom 30. Januar2002, M. 2316 – Tetra Laval/Sidel.

Page 79: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 330 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

konglomeraten als auch bezüglich der horizontalen Aus-wirkungen des Zusammenschlusses an offensichtlichenBeurteilungsfehlern. Insbesondere habe die Kommissionnicht nachgewiesen, dass die etwaige Ausübung einerHebelwirkung zur Begründung oder Verstärkung einermarktbeherrschenden Stellung auf den fraglichen Märk-ten geführt hätte. Das Gericht stellte hierbei darauf ab,dass nach den eigenen Angaben der Kommission eine be-herrschende Stellung nicht aus dem Zusammenschluss alssolchem hervorginge, sondern erst aus dem voraussichtli-chen Verhalten des neuen Unternehmens. In einem sol-chen Fall müsse die Kommission „eindeutige Beweise“für ihre Schlussfolgerungen liefern. Insbesondere sei dieKommission verpflichtet, bei der Beurteilung der Wahr-scheinlichkeit bestimmter künftiger Verhaltensweisen zuberücksichtigen, dass diese gegebenenfalls gegen Artikel 82EGV verstießen und daher der Anreiz der neuen Unter-nehmenseinheit zu solchem Verhalten geschmälert sei.Da die Kommission die erforderliche Prüfung unterlassenhabe, könne ihrem Vorbringen in diesem Punkt nicht ge-folgt werden.

720. Am 8. Januar 2003 beantragte die EuropäischeKommission beim EuGH die Aufhebung des Urteils desGerichts erster Instanz. Mit ihrem ersten Rechtsmittel-grund rügte die Kommission, dass das Gericht im ange-fochtenen Urteil Beweisanforderungen gestellt habe, diemit ihrem Spielraum bei der Beurteilung wirtschaftlicherSachverhalte nicht zu vereinbaren seien. Das Gericht seiaußerdem über das der Rechtsprechung zustehende Kon-trollniveau hinausgegangen und habe die Vorschriften dereuropäischen Fusionskontrollverordnung falsch ange-wendet, indem es eine Vermutung für die Rechtmäßigkeitkonglomerater Zusammenschlüsse aufgestellt habe.

721. Der Gerichtshof folgte diesem Vorbringen nicht.121

Seiner Ansicht nach hat das Gericht keinen Rechtsfehlerbegangen, als es auf die Kriterien der von ihm ausgeübtenKontrolle hingewiesen und erläutert hat, welche Beschaf-fenheit die von der Kommission vorzulegenden Beweis-mittel haben müssen. Der Gerichtshof gesteht derKommission zwar einen Beurteilungsspielraum in Wirt-schaftsfragen zu. Dies bedeute aber nicht, dass derGemeinschaftsrichter eine Kontrolle der Auslegung vonWirtschaftsdaten durch die Kommission unterlassenmüsse. Zu der Aufgabe des Richters gehöre nämlich nichtnur die Prüfung der sachlichen Richtigkeit, Zuverlässig-keit und Kohärenz der angeführten Beweise. Vielmehrmüsse er auch kontrollieren, ob diese Beweise sämtlicherelevanten Daten erfassen und die aus ihnen gezogenenSchlussfolgerungen stützen können. Eine solche Kon-trolle sei um so nötiger, wenn es sich um die bei konglo-meraten Zusammenschlüssen erforderliche Untersuchungder voraussichtlichen Entwicklung handele. Der Ge-richtshof folgte der Auffassung des Gerichts erster In-stanz, wonach die Anforderungen an die Untersuchungeines Zusammenschlusses mit Konglomeratwirkungdurch die Kommission denen entsprechen, die von derRechtsprechung in Bezug auf die Begründung einer kol-

lektiven beherrschenden Position aufgestellt wurden. Mitdem Erfordernis „eindeutiger Beweise“ habe das EuGkeinen strengeren Maßstab gewählt, sondern lediglich andie Hauptfunktion des Beweises erinnert, die darin be-stehe, von der Richtigkeit einer These oder einer Ent-scheidung im Bereich der Zusammenschlüsse zu überzeu-gen.

Der Gerichtshof äußerte sich außerdem dahingehend,dass eine Untersuchung der voraussichtlichen Entwick-lungen, wie sie im Bereich der Fusionskontrolle erforder-lich sei, mit großem Bedacht durchgeführt werden müsse.Eine solche Untersuchung erfordere es, sich die verschie-denen Ursache-Wirkungs-Ketten vor Auge zu führen undvon denjenigen mit der größten Wahrscheinlichkeit aus-zugehen. Bei einem Zusammenschluss des Konglomerat-typs seien die Ursache-Wirkungs-Ketten schlecht erkenn-bar, ungewiss und schwer nachweisbar. In diesemZusammenhang sei die Beschaffenheit der von der Kom-mission zum Nachweis der Erforderlichkeit einer Verbot-sentscheidung vorgelegten Beweismittel besonders be-deutsam.

722. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wehrte sichdie Kommission gegen die Feststellung des Gerichts, siemüsse bei der Beurteilung von Anreizen zur Ausnutzungeiner Hebelwirkung berücksichtigen, wie sich die Rechts-widrigkeit bestimmter Verhaltensweisen auf die Anreizsi-tuation insgesamt auswirke. In diesem Punkt folgte derGerichtshof dem Vorbringen der Kommission und stellteinsoweit einen Rechtsfehler des Gerichts erster Instanzfest.122 Das Gericht habe zwar zu Recht verlangt, dass dieKommission die Wahrscheinlichkeit der Verhaltenswei-sen prüft, mit der eine Hebelwirkung ausgeübt werdenkönnte. Es würde jedoch dem mit der Fusionskontrollver-ordnung verfolgten Präventionszweck zuwiderlaufen, wennman von der Kommission eine Untersuchung darüber ver-lange, in welchem Umfang die Anreize für wettbewerbs-widrige Verhaltensweisen aufgrund deren Rechtswidrig-keit, der Wahrscheinlichkeit ihrer Entdeckung und ihrerVerfolgung durch die Gemeinschafts- und nationalen Be-hörden sowie aufgrund möglicher finanzieller Sanktionenverringert oder sogar beseitigt würden. Eine Analyse wiedie vom Gericht verlangte würde nämlich eine umfas-sende und eingehende Prüfung der Regelungen der ver-schiedenen möglicherweise anwendbaren Rechtsordnun-gen und der dort praktizierten Verfolgungspolitikerfordern. Im Stadium der Beurteilung des geplanten Zu-sammenschlusses wäre eine Analyse, die darauf abziele,die wahrscheinliche Existenz einer Zuwiderhandlung ge-gen Artikel 82 EGV zu belegen und sich zu vergewissern,dass sie in mehreren Rechtsordnungen mit einer Sanktionbelegt werde, zu spekulativ. Als Konsequenz wäre es derKommission nicht mehr möglich, ihre Beurteilung einermöglichen Hebelwirkung auf alle relevanten Tatsachenzu stützen.

723. Mit dem vorliegenden Urteil macht der EuGH zumeinen klar, dass die richterliche Kontrolle sich nicht in der

121 EuGH, Rs. C-12/03 P, Rz. 37 ff. 122 Ebenda, Rz. 71 ff.

Page 80: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 331 – Drucksache 16/2460

Prüfung erschöpft, ob die von der Europäischen Kommis-sion vorgelegten Beweise sachlich richtig, zuverlässigund in sich konsistent sind. Vielmehr umfasst sie auch dieFrage, ob sämtliche entscheidungserheblichen Informa-tionen berücksichtigt und zutreffend ausgelegt wurden.Mit dem Urteil stellt der Gerichtshof den Beurteilungs-spielraum der Kommission zwar nicht grundsätzlich inFrage, fordert jedoch die Anwendung größerer Sorgfaltbei der Ermittlung des Sachverhalts und der Beweiswür-digung. Vor allem darf der Beurteilungsspielraum derKommission nicht so interpretiert werden, als ob er denVerzicht auf eine genaue und umfassende Tatsachener-mittlung rechtfertigen könne. Es ist daher absehbar, dassdie Kommission zukünftig einen größeren Aufwand beider Beurteilung von Zusammenschlüssen betreiben wird,um weiteren gerichtlichen Niederlagen vorzubeugen. Ausden Feststellungen des Gerichtshofs folgt zugleich, dassdie gerichtliche Kontrolle in Zukunft engmaschiger aus-fallen dürfte als bisher.

Zum zweiten ist nicht zu verkennen, dass in den Urteilendes Gerichts und des Gerichtshofs eine gewisse Skepsisgegenüber den negativen Auswirkungen von konglome-raten Zusammenschlüssen, zumindest aber gegenüber de-ren Beweisbarkeit zutage tritt. Nach Auffassung derRichter bedeutet die Notwendigkeit, einen künftigen Zeit-raum und die erforderliche Hebelwirkung zu berücksich-tigen, dass die Ursache-Wirkungs-Ketten schlecht er-kennbar, ungewiss und schwer nachweisbar sind. DieseFeststellung dürfte nicht unwesentlich damit zusammenhän-gen, dass der Gerichtshof bei der Beurteilung des Zusam-menschlussvorhabens – wie das Gericht erster Instanz – inerster Linie auf das künftige Verhalten von Tetra Laval/Sidel und nicht auf die Marktstrukturen abstellt. Dadurchwerden die Probleme, die stets mit einer Prognose künfti-ger Marktgegebenheiten verbunden sind, noch erhöht.Nach Auffassung der Monopolkommission ließe sich diePraktikabilität der Fusionskontrolle im Bereich der kon-glomeraten Zusammenschlüsse verbessern, wenn manauch bei der Prüfung solcher Zusammenschlüsse ver-stärkt auf Marktstrukturkriterien abstellte. Die Monopol-kommission hatte bereits in ihrem letzten Hauptgutachtenempfohlen, in Anlehnung an die Vorschrift des § 19Abs. 2 GWB beispielsweise die verbesserten Zugangs-möglichkeit zu Absatz- und Beschaffungsmärkten sowiedie Finanzkraft der neuen Unternehmenseinheit vermehrtzu berücksichtigen.123 Dieser Passus des GWB bietet dieMöglichkeit, dass man außerhalb des eigentlichen Mark-tes liegende Umstände zur Analyse der Situation in demMarkt heranzieht und z. B. aus der Verbesserung der Fi-nanzlage oder des Zugangs zu Beschaffungsmärkten aufeine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellungschließt. Grundsätzlich ist ferner denkbar, dass man nachdiesem Analyseschema auch die Auswirkungen eines Zu-sammenschlusses mit einem konglomeraten Partner aufdie Stellung eines marktbeherrschenden Unternehmens inseinem eigenen Markt untersucht.

Positiv lässt sich in diesem Zusammenhang allerdingsvermerken, dass die Kommission nach Auffassung desEuGH bei der Beurteilung von Anreizen für die Ausnut-zung einer Hebelwirkung auch rechtswidrige Verhaltens-weisen i. S. d. Artikel 82 EGV berücksichtigen darf, ohnedie anreizmindernde Wirkung von Verboten und Sanktio-nen auf Gemeinschaftsebene und nationaler Ebene imEinzelnen untersuchen und belegen zu müssen. Die Mo-nopolkommission hatte schon früher auf die Problemehingewiesen, die für die Europäische Kommission damitverbunden wären, im Voraus alle erdenklichen Verstößegegen Artikel 82 EGV und nationale Wettbewerbsregelnsimulieren und die damit verbundenen Kosten abschätzenzu müssen.124

724. Nach dem Erlass des Urteils Europäische Kommis-sion/Tetra Laval durch den EuGH beschäftigte sich dasGericht erster Instanz – in dem Verfahren GE/Kommis-sion – erneut mit den konglomeraten Auswirkungen vonZusammenschlüssen und übte insoweit ebenfalls deutli-che Kritik. Die Untersagungsverfügung vom 3. Juli 2001wurde nur deshalb aufrechterhalten, weil das Gericht denAusführungen der Kommission zu den horizontalen Ef-fekten des Zusammenschlusses folgte.125 Das EuG kon-statierte insoweit, dass es für die Bestätigung seitens desGerichts genüge, wenn nur einer von mehreren die Ent-scheidung tragenden Begründungspfeilern Bestand habe.

725. Nach Ansicht der Europäischen Kommission hätteder Zusammenschluss auf verschiedenen Märkten fürTriebwerke von Flugzeugen, auf mehreren Märkten fürAvionik- und sonstige Erzeugnisse sowie auf den Märk-ten für Schiffsgasturbinen zur Entstehung oder Verstär-kung marktbeherrschender Positionen geführt. Zur Be-gründung hatte sich die Kommission auf horizontale,vertikale und konglomerate Auswirkungen des Vorhabensgestützt. Die konglomeraten Effekte sollten sich nachAuffassung der Kommission in zwei verschiedenen Ge-schäftspraktiken manifestieren. Zum einen ging die Kom-mission davon aus, dass GE bereits vor dem Zusammen-schluss die Wirtschaftsmacht ihrer Tochterunternehmengenutzt hatte, um Aufträge auf dem Markt für Triebwerkefür große Verkehrsflugzeuge zu erlangen. Diese Praxiswerde GE nach dem Zusammenschluss auf die Avionik-märkte übertragen. Zum anderen war die Kommissionüberzeugt davon, dass die neue Unternehmenseinheit im-stande sei, die Triebwerke von GE mit den Avionikpro-dukten und sonstigen Erzeugnissen von Honeywell imPaket anzubieten. Diese Paketangebote könnten unter-schiedliche Formen annehmen: Bei der gemischten Bün-delung werden einander ergänzende Produkte gemeinsamzu einem Preis verkauft, der durch Nachlässe niedriger istals die Summe der Einzelpreise. Bei der reinen Bünde-lung bzw. Kopplung verkauft das Unternehmen die Kom-ponenten nur in dieser Form und nicht einzeln. Hierzu ge-hört auch der Fall der technischen Bündelung, bei der die

123 Vergleiche Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O.,Tz. 868.

124 Vergleiche ebenda, Tz. 870.125 Europäische Kommission, Entscheidung vom 3. Juli 2001, M. 2220 –

General Electric/Honeywell.

Page 81: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 332 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

einzelnen Komponenten nur miteinander, aber nicht mitKonkurrenzprodukten kompatibel sind.

726. Das Gericht folgte zwar in einem ersten Schritt derEinschätzung der Kommission, wonach GE aufgrund ih-rer vertikalen Integration in das Flugzeugleasing- und -fi-nanzierungsgeschäft über gewisse strategische Möglich-keiten verfüge. So sei die Kommission zutreffend davonausgegangen, dass GE in einigen Fällen erst mit Hilfe ih-rer Tochterunternehmen GECAS und/oder GE Capital inder Lage war, bestimmte Verträge über die Lieferung vonTriebwerken abzuschließen. Die Kommission habe je-doch nicht belegt, dass die neue Unternehmenseinheitdiese Praktiken auch auf den Märkten für Avionik- undsonstige Erzeugnisse durchführen würde und Käufer vonFlugzeugausrüstungen z. B. durch die Einräumung vonRabatten für sich gewinnen würde. Es sei nicht im Einzel-nen dargelegt worden, dass ein derartiges Verhalten imwirtschaftlichen Interesse der Parteien gelegen hätte, alsodie dadurch erzielten Gewinne die entstehenden Verlusteüberwogen hätten. Darüber hinaus sei nicht erwiesen,dass bei Anwendung der beschriebenen Praktiken markt-beherrschende Positionen auf den Märkten für Avionik-und sonstige Erzeugnisse entstehen würden. In diesemZusammenhang bemängelte das Gericht, dass die Kom-mission ihre Analyse der Märkte nicht genau genugdurchgeführt habe und nicht auf die Besonderheiten dereinzelnen Märkte eingegangen sei.

Die Kommission hat laut Gericht auch nicht hinreichendbegründet, dass das fusionierte Unternehmen den Ver-trieb der GE-Triebwerke für große Verkehrsflugzeugemit Avionikprodukten und sonstigen Erzeugnissen vonHoneywell gebündelt hätte. Dies gelte für alle drei vonder Kommission angesprochenen Praktiken, nämlichreine, technische und gemischte Bündelung. Jedenfallsrechtfertige der bloße Umstand, dass die neue Unterneh-menseinheit über eine größere Produktpalette verfüge alsihre Wettbewerber, nicht die Schlussfolgerung, einemarktbeherrschende Position werde begründet oder ver-stärkt. Auch die bloße Fähigkeit, Produkte zu bündeln,genüge für eine solche Feststellung nicht. Vielmehrmüsse die Durchführung einer Bündelungsstrategie auchwahrscheinlich, d. h. für das neue Unternehmen wirt-schaftlich sinnvoll sein. Die Kommission habe versäumtzu prüfen, welche Anreize für und gegen eine Produkt-bündelung sprächen. Sie sei beispielsweise nicht daraufeingegangen, für welche Produkte eine Bündelung wirt-schaftlich vorteilhaft sein könnte, welche negativen wirt-schaftlichen Effekte eine Bündelungsstrategie nach sichziehen könnte und wie sich das Verbot des Artikel 82EGV auswirken würde. Für den Bereich technical bund-ling habe die Kommission keinerlei Analyse der Mög-lichkeiten einer technischen Produktintegration geliefert.

727. Es erhebt sich die Frage, inwieweit das vorlie-gende Urteil in Bezug auf die darin enthaltenen Ausfüh-rungen zu Artikel 82 EGV mit der Entscheidung desEuGH im Fall Kommission/Tetra Laval vereinbar sind.Das Gericht erster Instanz hat der Europäischen Kommis-sion hier – wie schon in seinem Urteil Tetra Laval – er-neut zum Vorwurf gemacht, dass sie bei der Prognosekünftiger Verhaltensweisen mögliche Sanktionen nach

Artikel 82 EGV außer Acht gelassen hat. Der EuGH hin-gegen hatte – wie oben dargelegt126 – zwar bestätigt, dassdie Europäische Kommission bei der Untersuchung mög-licher künftiger Verhaltensweisen deren Wahrscheinlich-keit umfassend prüfen, d. h. sowohl positive als auch ne-gative Anreize in Rechnung stellen müsse. Er hatte aberauch klargemacht, dass man von der Kommission nichtverlangen dürfe, bei jedem geplanten Zusammenschlussder Rechtswidrigkeit der fraglichen Verhaltensweisen,der Wahrscheinlichkeit ihrer Entdeckung und ihrer Ver-folgung sowie den möglichen finanziellen Sanktionennachzugehen. Vor diesem Hintergrund scheint ein gewis-ser Widerspruch zwischen den Überlegungen des EuGHund den – zeitlich nachfolgenden – Ausführungen desEuG zu bestehen.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das EuG lediglicherklärt hat, die Kommission müsse die mögliche Rechts-widrigkeit und Sanktionierbarkeit bestimmter Verhaltens-weisen im Prinzip berücksichtigen.127 Ferner hat es aus-drücklich festgestellt, dass eine solche Einschätzungkeine umfassende und detaillierte Untersuchung erfor-dere. Möglicherweise hat das EuG die Ausführungen desEuGH also dahingehend verstanden, dass von der Euro-päischen Kommission zwar keine umfassende Prüfungdes Artikel 82 EGV verlangt werden dürfe, nichts destotrotz aber deutlich werden müsse, dass die KommissionArtikel 82 EGV als – prinzipiell – anreizmindernden Fak-tor zumindest erkannt und berücksichtigt hat. Solangeeine höchstrichterliche Klärung der Frage, wie dasEuGH-Urteil zu interpretieren ist, aussteht, sollte dieKommission daher in künftigen Entscheidungen wenigs-tens einen Hinweis auf mögliche abschreckende Wirkun-gen des Artikel 82 EGV aufnehmen und diese ausdrück-lich bei ihrer Abwägung zwischen positiven undnegativen Faktoren in Rechnung stellen.

728. Das Urteil bestätigt, dass die Rechtsprechung ge-rade in Fällen konglomerater Auswirkungen sorgfältigereBegründungen von der Europäischen Kommission erwar-tet. Im vorliegenden Fall hatte die Kommission ihre Pro-gnose auf frühere Beispiele und Expertisen zur Vorteil-haftigkeit von Bündelstrategien gestützt. Relativ wenigAufmerksamkeit schenkte sie der in Gegengutachten ent-haltenen Kritik, dass die Vorteilhaftigkeit von Bündelstra-tegien entfalle, wenn die betreffenden Produkte nicht imoffenen Markt gehandelt würden, sondern Gegenstand bi-lateraler Verhandlungen mit einzelnen Käufern seien, wiebei Triebwerken und Avionikprodukten typisch. WelcheAuswirkungen die dargestellten Urteile auf die künftigeEntscheidungspraxis der Kommission bei konglomeratenZusammenschlüssen haben werden, bleibt abzuwarten.Ursprünglich hatte die Kommission das Rechtsmittel imFall Tetra Laval mit dem Kommentar eingelegt, das Ge-richt erster Instanz habe überhöhte Beweisanforderungengestellt, die den Erlass von Verbotsverfügungen bei Zu-sammenschlüssen des Konglomerattyps praktisch un-möglich machten. Im Anschluss an das Urteil des EuGHäußerten sich Kommissionsvertreter hingegen zuversicht-

126 Vergleiche oben Tz. 722.127 EuG, Urteil vom 14. Dezember 2005, Rs. T-210/01, GE/Kommission,

Rz. 70.

Page 82: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 333 – Drucksache 16/2460

licher dahingehend, dass es auch künftig keine Problememit der Anwendung der Fusionskontrollvorschriften ge-ben werde. Diese optimistische Prognose mag damit zu-sammenhängen, dass die Kommission bereits nach dergerichtlichen Aufhebung von drei Untersagungsentschei-dungen im Jahr 2002 organisatorische und inhaltlicheMaßnahmen getroffen hat, um ihre Entscheidungen künf-tig auf eine fundiertere Basis zu stellen. Fest steht aller-dings auch, dass die Entscheidungspraxis der letztenJahre einen deutlichen Rückgang an Untersagungen auf-weist. Seit 2001 hat die Kommission erst ein Zusammen-schlussvorhaben verboten, und zwar mit Hinweis auf des-sen vertikale und horizontale Auswirkungen. Nichtauszuschließen ist deshalb, dass die Europäische Kom-mission die vorliegenden Urteile zum Anlass nimmt, inZukunft noch größere Zurückhaltung bei der intensivenPrüfung konglomerater Zusammenschlüsse zu üben.

Abschließend ist festzustellen, dass sich das Urteil GE/Europäische Kommission durch einen Grundton aus-zeichnet, der um einiges wohlwollender klingt als diesnoch bei den Entscheidungen des Jahres 2002 der Fallwar. Bezeichnenderweise hebt das Gericht an mehrerenStellen auch die Darlegungslast der beteiligten Unterneh-men hervor. Dies geschieht beispielsweise im Zusam-menhang mit der Feststellung von Marktanteilen in Höhevon 50 Prozent und mehr, die nach Ansicht des Gerichtsden Beweis des ersten Anscheins für Marktbeherrschungbegründen. In einem solchen Fall müssten die ParteienUmstände darlegen, um die Vermutung außer Kraft zusetzen. Ebenso liege es an den Parteien, von der Kommis-sion ermittelte Schwächen der vorgeschlagenen Abhilfe-maßnahmen auszuräumen, wenn diese aus der „Sphäreder Parteien“ kämen.

3.6.2 Vertikale Zusammenschlüsse

729. Dem Urteil GE/Europäische Kommission kommtauch im Zusammenhang mit vertikalen Auswirkungenvon Zusammenschlüssen erhebliche Bedeutung zu. DasGericht trifft hierzu Feststellungen grundsätzlicher Natur.Die Kommission hatte festgestellt, dass der Zusammen-schluss die marktbeherrschende Position von GE auf demMarkt für Triebwerke für große Verkehrsflugzeuge ver-stärken würde. Diese Überzeugung beruhte vor allem aufder vertikalen Verbindung von Honeywells führender Po-sition bei Triebwerksstartern und der marktbeherrschen-den Position von GE bei Triebwerken. Nach Ansicht desGerichts hat die Kommission allerdings nicht ausreichendbegründet, dass aufgrund der vertikalen Integration vonTriebwerken einerseits und Triebwerksstartern anderer-seits die marktbeherrschende Position von GE verstärktwerden würde. Seiner Ansicht nach hängt die Beurteilungnämlich von einem künftigen Verhalten der Parteien ab,das von der Kommission nachgewiesen werden müsse.Zwar bestätigt das Gericht die Ergebnisse der Kommissi-onsuntersuchung, wonach Honeywell der einzige Liefe-rant für den Wettbewerber Rolls-Royce sei und mit demZusammenschluss gewisse Anreize für einen Ausschlussvon Lieferungen an Rolls-Royce sowie für Preissteigerun-gen verbunden wären. So habe die Kommission überzeu-gend dargelegt, dass eine Nichtbelieferung offensichtlichden wirtschaftlichen Interessen der neuen Unternehmens-

einheit nutzen würde. Ebenso wie bei konglomeraten Ef-fekten müsse die Kommission bei der Einschätzung deskünftigen Verhaltens jedoch eine mögliche Abschre-ckungswirkung des Artikel 82 EGV berücksichtigen, wasim vorliegenden Fall unterblieben sei. Die Kommissionhabe sowohl die Anreize für ein mögliches Verhalten alsauch die Gründe, die gegen die Durchführung eines ver-botenen Verhaltens sprechen, in Rechnung zu stellen. Indiesem Zusammenhang betonte das Gericht, dass dieKommission im Fall einer Lieferverweigerung gegenüberRolls-Royce den Nachweis eines diskriminierenden Ver-haltens besonders leicht hätte erbringen können. Dass dieKommission das nicht berücksichtigte, stellt nach An-sicht des Gerichts einen schweren Beurteilungsfehler dar.

730. Die Ausführungen des Gerichts lassen daraufschließen, dass es auch bei vertikalen Zusammenschlüs-sen nicht nur auf Marktstrukturen, sondern auch auf daskünftige Verhalten der Parteien abstellt. Wie schon indem Urteil Tetra Laval/Kommission geht das Gericht zu-nächst der Frage nach, ob die beteiligten Unternehmendie Fähigkeit und Anreize besitzen, bestimmte Verhal-tensweisen durchzuführen. Allerdings müssen nach Auf-fassung des Gerichts auch die negativen Anreize für diekritischen Verhaltensweisen geprüft werden. Dazu gehö-ren solche Anreize, die das Wettbewerbsrecht selbst setzt.Die Rechtsprechung verlagert also in diesem Bereich dievorzunehmende Untersuchung ebenfalls weg von denMarktstrukturen und hin zu einem künftigen Verhaltender beteiligten Unternehmen.

Diesem Ansatz steht die Monopolkommission – ebensowie der EuGH in dem Verfahren Tetra Laval/Kommis-sion – kritisch gegenüber.128 Der Sinn der Fusionskon-trolle ist es ja gerade, eine nachfolgende Verhaltenskon-trolle zu erübrigen und sowohl Wettbewerbsbehörden alsauch Unternehmen von den Zumutungen einer Verhaltens-aufsicht zu befreien. Wenn das Gericht erster Instanz beider Fusionskontrolle einen Einbezug des künftigen Ver-haltens der beteiligten Unternehmen fordert, riskiert es,dass genau dieser Sinn der Fusionskontrolle verlorengeht. Mit der Verlagerung auf künftige Verhaltensweisenentsteht die Gefahr, dass den negativen wettbewerblichenAuswirkungen von Zusammenschlüssen nicht genügendEinhalt geboten wird.

3.6.3 Besonderheiten auf dem portugiesischen Gasmarkt

731. Am 9. Dezember 2004 hat die Europäische Kom-mission den gemeinsamen Kontrollerwerb durch Energiasde Portugal (EDP) und ENI an Gás de Portugal (GDP) un-tersagt. Nach Ansicht der Europäischen Kommissionführte der Zusammenschluss zu einer Verstärkungbeherrschender Positionen von EDP auf dem Großhan-delsmarkt für Strom, auf dem Markt für Regelenergie so-wie auf den Märkten für die Belieferung von großen in-dustriellen Kunden und für die Belieferung von Klein-und Haushaltskunden. Daneben würde die beherrschende

128 EuGH, Urteile vom 15. Februar 2005, Rs. C-12/03 P und C-13/03,Europäische Kommission/Tetra Laval; vgl. Monopolkommission,Hauptgutachten 2002/2003, a. a. O., Tz. 870.

Page 83: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 334 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Stellung von GDP auf den Märkten der Gaslieferung anStromerzeuger, an lokale Weiterverteiler und an Klein-und Haushaltskunden verstärkt.

Zur Begründung nannte die Kommission sowohl horizon-tale als auch nichthorizontale Effekte des Zusammen-schlusses. Bezüglich des Strombereichs führte die Kom-mission als Hauptargument den Wegfall von GDP alswichtigsten potentiellen Wettbewerber auf jedem der ge-nannten Märkte an. Außerdem würde EDP durch den Zu-sammenschluss Kenntnis von dem Gasbedarf und den In-put-Kosten seiner direkten Konkurrenten bei derStromerzeugung erlangen, was sich abschreckend auf po-tentielle Wettbewerber auswirke. Ferner könnte EDP pri-vilegierten Zugang zu den in Portugal verfügbaren Gas-ressourcen erhalten und hätte die Möglichkeit, mittelsErhöhung der Gaspreise den Markt gegenüber Wettbe-werbern abzuschotten. Im Gassegment begründete dieKommission ihre Ansicht mit dem Wegfall von EDP alspotentiellem Wettbewerber auf dem Markt für die Belie-ferung von großen Industriekunden sowie Klein- undHaushaltskunden. Als weiteres Argument zog die Kom-mission den Ausschlusseffekt gegenüber den Gasnachfra-gern auf dem Markt für lokale Weiterverteiler heran.

732. Gegen die Untersagungsentscheidung wendeteEDP ein, die Europäische Kommission habe bei der Be-urteilung des Zusammenschlusses die Befreiung Portu-gals von dem in der zweiten EU-Gasrichtlinie enthaltenenstrikten Zeitrahmen für die Marktöffnung nicht berück-sichtigt.129 Den rechtlichen Hintergrund für dieses Vor-bringen bildet die zweite Gasrichtlinie, die einen Zeitplanfür die Liberalisierung der Gasmärkte in den Mitglied-staaten enthält.130 Hiernach sollen die Märkte für Nicht-haushaltskunden bis zum 1. Juli 2004, die Märkte fürsonstige Kunden bis 1. Juli 2007 geöffnet werden. GemäßArtikel 28 Abs. 2 sind die Hauptpflichten der Richtlinieallerdings bei solchen Mitgliedstaaten ausgesetzt, die „alsentstehende Märkte“ eingestuft werden, was unstreitig fürden portugiesischen Staat zutrifft.131 Für Portugal ergibtsich aus der Regelung des Artikel 28 Abs. 3 folgenderZeitplan: Öffnung des Marktes für mindestens 33 Prozentdes jährlichen Gesamterdgasverbrauchs ab 2007, Öffnungfür alle „zugelassenen Kunden“ ab 2009 und für alleHaushaltskunden ab 2010. Aufgrund der genannten Aus-nahmeregelung ist laut Gericht davon auszugehen, dassauf den portugiesischen Gasmärkten im Zeitpunkt derKommissionsentscheidung kein Wettbewerb herrschte.Dieser Umstand berühre auch die Anwendung von Arti-kel 2 Abs. 3 FKVO.

733. Nach Ansicht des EuG können die zwei Untersa-gungsvoraussetzungen des Artikel 2 Abs. 3 FKVO nichterfüllt werden, da in Portugal die Gasmärkte nicht für denWettbewerb geöffnet seien. Portugal habe die gesetzlicheAusnahme vom Liberalisierungsfahrplan genutzt, um auf

allen Stufen des Gasmarktes das MonopolunternehmenGDP zu etablieren. Unter diesen Bedingungen könne dergeprüfte Zusammenschluss weder zu einer Entstehungoder Verstärkung marktbeherrschender Positionen nochzu einer Wettbewerbsbehinderung führen. Die existie-rende Monopolstellung von GDP sei nämlich bereits diestärkste vorstellbare Ausprägung von Marktbeherr-schung. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhangauf frühere Entscheidungen, welche die Artikel 81 und 82EGV als nicht erfüllt erklärt hatten, weil bereits der natio-nale Rechtsrahmen jeglichen Wettbewerb zwischen Un-ternehmen ausgeschlossen habe.

Das Gericht führte weiter aus, die Kommission habe dieAusnahmeregelung des Artikel 28 Abs. 2 zwar insoweitrespektiert, als sie lediglich die künftigen, im Zeitpunktder erwarteten Marktöffnung auftretenden Auswirkun-gen des Zusammenschlusses beurteilt habe. Sie habe da-bei jedoch übersehen, dass der portugiesische Staat denGasmarkt während der Geltung der Ausnahmeregelungbeliebig umstrukturieren dürfe. Die Kommission verhin-dere somit unzulässigerweise, dass die Parteien von denVorzügen des Zusammenschlusses in einer Zeitspanneprofitierten, in welcher dieser nicht hätte verboten werdendürfen. Gleichzeitig bemängelte das Gericht allerdingsauch, dass die Kommission lediglich die künftigen, nichtaber die zeitlich unmittelbar folgenden Auswirkungen desZusammenschlusses gewürdigt habe. Dies führe dazu,dass positive Effekte des Vorhabens wie z. B. eine umzwei bis drei Jahre vorgezogene Öffnung des Gasmarktesnicht in die Gesamtbetrachtung des Zusammenschlusseseinbezogen worden seien.

Das Gericht betonte abschließend, dass im vorliegendenFall nicht die Anwendbarkeit der FKVO als solche inFrage stünde. Lediglich die Kriterien des Artikel 2 Abs. 3FKVO könnten auf den Gasmärkten nicht erfüllt werden.Die angegriffene Entscheidung leide daher insoweit an ei-nem Rechtsfehler, als sie die Verstärkung der marktbe-herrschenden Position von GDP auf den Gasmärkten be-jahe.

734. Dem Gericht ist zuzustimmen, dass eine Ver-schlechterung der Wettbewerbssituation auf den Gas-märkten unmittelbar nach dem Zusammenschluss nichteintritt, denn GDP verfügt hier gegenwärtig schon übereine gesetzlich verankerte Monopolstellung. In Betrachtkommen allerdings Wettbewerbsbeeinträchtigungen imHinblick auf die in spätestens drei, fünf und sechs Jahreneintretende Marktöffnung, wie sie von der EuropäischenKommission ursprünglich festgestellt worden waren.

Eine Fokussierung auf die Zeit nach der Marktöffnung istauch aus der deutschen Entscheidungs- und Rechtspre-chungspraxis bekannt. Mitte der neunziger Jahre, als inDeutschland Regelungen für den Strom- und Gasbereichvorbereitet wurden, welche die Beseitigung der geschlos-senen Versorgungsgebiete und eine erleichterte Durchlei-tung beinhalteten, untersagte das Bundeskartellamt denZusammenschluss Hannover Braunschweigische Strom-versorgungs-AG (Hastra)/Stadtwerke Garbsen GmbH.132

129 EuG, Urteil vom 21. September 2005, Rs. T-87/05, EDP/Kommissi-on, Tz. 108 ff.

130 Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Ratesvom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbin-nenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG, ABl. EUNr. L 176 vom 15. Juli 2003, S. 57.

131 Artikel 2 Nr. 31 der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie.132 BKartA, Beschluss vom 30. September 1994, B8-111/94, WuW/E

BKartA 2701.

Page 84: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 335 – Drucksache 16/2460

Nach Ansicht des Amtes hätten sich die marktbeherr-schenden Stellungen von Hastra auf dem Stromendkun-den- und Weiterverteilermarkt sowie der Stadtwerke Han-nover als Gaslieferant der Stadt Garbsen auf derWeiterverteilerstufe verstärkt. Dabei ging das Amt davonaus, dass die zu erwartende Verstärkung der Marktbeherr-schung auch durch die Erhaltung und Sicherung der er-langten Marktstellung begründet werden könne. Die Ver-stärkung der Marktbeherrschung wurde für den Zeitpunkterwartet, ab dem die bestehenden Gebietsschutzverträgeausliefen. Das Kammergericht hob die Untersagungsent-scheidung zwar insbesondere wegen einer abweichendenEinschätzung der künftigen räumlichen Marktabgrenzungauf. Das Gericht stellte aber nicht grundsätzlich in Frage,dass bei der Beurteilung des Zusammenschlusses auf diekünftigen, nach der Marktöffnung entstehenden Markt-strukturen abzustellen sei. Der BGH vertrat dieselbe An-sicht und bestätigte die Entscheidung des Bundeskartell-amtes auch im Übrigen. Die Monopolkommissionbegrüßte das Vorgehen des Amtes und des BGH, Vor-sorge für die Zeit der Marktöffnung zu treffen.133 Im Hin-blick auf die zu erwartende Liberalisierung des Energie-marktes schwäche der Zusammenschluss den potentiellenWettbewerb insbesondere durch die langfristige Absiche-rung von Absatzkanälen und die Möglichkeit der Zusam-menschlussparteien, Kenntnisse über wettbewerbsrele-vante Daten von Konkurrenten zu erlangen.

Im vorliegenden Urteil lässt das Gericht erster Instanz of-fen, ob eine solche Wettbewerbsverschlechterung im Hin-blick auf die zu erwartende Marktöffnung zu bejahen ist.Nach Ansicht des Gerichts durfte die Kommission dieserFrage wegen der auf Portugal anwendbaren Ausnahmere-gelung in der zweiten Gasrichtlinie nicht nachgehen. LautGericht ermöglicht diese Ausnahmeregelung nicht nureine Verschiebung der Marktöffnung um einige Jahre,sondern bezweckt gerade, dass Portugal bis zum Jahre2007 den heimischen Gasmarkt nach eigenem Beliebenumstrukturieren darf, ohne an fusionskontrollrechtlicheVorgaben gebunden zu sein. Das Gericht bewertet dieAusnahmeregelung demnach praktisch als Lex specialiszur FKVO, die zwar nicht deren Anwendbarkeit insge-samt, aber eine Untersagung nach Artikel 2 Abs. 3 FKVOverhindert. Aus fusionskontrollrechtlicher Sicht ist dieseAusnahme sicherlich zu kritisieren. Letztlich muss mansie jedoch – wie das Gericht es getan hat – als eine politi-sche Entscheidung des europäischen Gesetzgebers re-spektieren, der Mitgliedstaaten wie Portugal erlaubenwollte, vor der Marktöffnung einen heimischen Incum-bent aufzubauen. Positiv zu vermerken bleibt, dass derLiberalisierungsprozess zur Zeit der Kommissionsent-scheidung zumindest im portugiesischen Stromsektorschon in Gang gesetzt war. Andernfalls hätte die Untersa-gung der rechtlichen Überprüfung auch insoweit nichtstandgehalten.

Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist zu bemerken, dass derProzess EDP/Kommission im sogenannten beschleunig-

ten Verfahren durchgeführt wurde. Mit einer Dauer vonlediglich ca. sieben Monaten stellt er das bislang kürzesteVerfahren in einem Fusionskontrollfall dar.

3.6.4 Abwägungsklausel

735. Die Einschätzung der Europäischen Kommissionin Bezug auf den portugiesischen Strommarkt wurde vomGericht erster Instanz geteilt. Insbesondere die Annahme,dass GDP ohne den Zusammenschluss auf dem Strom-markt tätig geworden wäre, hielt das Gericht für überzeu-gend. Dagegen hatte die Klägerin mit ihrem Vorbringenkeinen Erfolg, dass die kombinierten Effekte sämtlicherAbhilfemaßnahmen in Bezug auf die Strom- und Gas-märkte den Wegfall von GDP als potentiellen Wettbewer-ber auf dem Markt für Stromgroßhandel mehr als ausglei-chen würde. Das Gericht bestätigte zwar, dass dieverschiedenen Strommärkte untereinander sowie mit denGasmärkten verbunden seien und daher bei der wettbe-werblichen Beurteilung eines dieser Märkte auch dieWettbewerbssituation auf den jeweils anderen Märktenberücksichtigt werden müsse. Auch bei einer Gesamtbe-trachtung sämtlicher Abhilfemaßnahmen erweise sich dieUntersagungsentscheidung aber als sachlich zutreffend.Denn die Kommission habe zu Recht angenommen, dassdie Verbesserung der Wettbewerbssituation auf den Gas-märkten – eine vorgezogene Marktöffnung um ca. zweibis drei Jahre – die negativen Effekte auf den Strommärk-ten – den Wegfall von GDP als potentiellem Wettbewer-ber – nicht ausgleiche. Das Gericht stellte ausdrücklichfest, dass die Kommission den Zusammenschluss nichtwegen der positiven Effekte im Gasbereich erlaubendurfte, ohne die negativen Effekte im Strombereich zu be-achten. Die Untersagungskriterien seien nämlich bereitsdann erfüllt, wenn sie sich lediglich für einen relevantenMarkt feststellen ließen. In diesem Zusammenhang seiferner zu berücksichtigen, dass die positiven Effekte aufdem Gassektor aufgrund des festen Liberalisierungszeit-plans in jedem Fall eintreten würden, wenn auch zweioder drei Jahre später.

736. Damit machte das Gericht deutlich, dass eine Ab-wägungsklausel, wie sie in § 36 Abs. 1 2. Halbsatz GWBenthalten ist, im europäischen Fusionskontrollrecht keineEntsprechung findet. Aufgrund der Abwägungsklauselkann das Bundeskartellamt einen Zusammenschluss er-lauben, wenn auf einem der untersuchten Märkte zwareine marktbeherrschende Position entsteht oder verstärktwird, auf einem anderen Markt aber Verbesserungen derWettbewerbsbedingungen eintreten und diese die Nach-teile der Marktbeherrschung überwiegen. Zwar mussauch die Europäische Kommission nach dem vorliegen-den Urteil positive Effekte auf einem verbundenen Marktin die Gesamtbetrachtung des untersuchten Marktes ein-fließen lassen. Dies darf aber nur dann zur Freigabe desZusammenschlusses führen, wenn die genannten positi-ven Effekte die Wettbewerbsbedingungen auf dem unter-suchten Markt selbst derart beeinflussen, dass dort von ei-ner erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht mehrdie Rede sein kann.

737. Die Monopolkommission hingegen hält die Abwä-gungsklausel für ein sinnvolles Instrument bei der Beur-

133 Vergleiche Monopolkommission, Wettbewerbspolitik in Zeiten desUmbruchs, Hauptgutachten 1994/1995, Baden-Baden 1996, Tz. 602 ff.,638.

Page 85: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Drucksache 16/2460 – 336 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

teilung von Zusammenschlussfällen. Eine solche Klauselermöglicht es, neben den negativen Auswirkungen einesZusammenschlusses auf einem bestimmten Markt auchseine positiven wettbewerblichen Effekte auf anderenMärkten zu berücksichtigen. Nur auf diese Weise könnensämtliche für eine Gesamtwürdigung des Zusammen-schlusses erforderlichen Wettbewerbswirkungen in dieBeurteilung einbezogen werden. Von einer Abwägungs-klausel würden auch Transparenz und Nachvollziehbar-keit von fusionskontrollrechtlichen Entscheidungen profi-tieren. Verbietet man nämlich die Berücksichtigungpositiver Auswirkungen auf Drittmärkten, sind Aus-weichreaktionen der betroffenen Unternehmen zu be-fürchten. Diese könnten etwa darin bestehen, tatsächlichvorliegende Wettbewerbsbeschränkungen zu bestreitenoder nicht vorhandene Effizienzvorteile zu behaupten. Dadie Prüfung positiver und negativer Aspekte bei Anwen-dung einer Abwägungsklausel auf rein wettbewerbliche,also kommensurable Aspekte beschränkt bleibt, sind dieWettbewerbsbehörden und -gerichte grundsätzlich auchin der Lage, die erforderliche Abwägung vorzunehmen.Die Einbeziehung gesamtwirtschaftlicher oder allgemein-politischer Aspekte ist dagegen nicht mit einer Anwen-dung der Abwägungsklausel im hier verstandenen Sinneverbunden.

3.6.5 Aufgabe eines Zusammen-schlussvorhabens

738. Am 28. September 2004 hat das Gericht erster In-stanz erneut eine Untersagungsentscheidung der Europäi-schen Kommission für nichtig erklärt.134 In dem Verfah-ren kritisierte das Gericht allerdings nicht den materiell-rechtlichen Teil der Entscheidung WorldCom (MCI)/Sprint, sondern konzentrierte sich darauf, dass die Euro-päische Kommission nicht zur Entscheidung befugt ge-wesen sei.

739. Das Vorhaben der Parteien, das im Januar 2000 inBrüssel angemeldet worden war, löste sowohl bei den eu-ropäischen als auch bei den US-amerikanischen Behör-den wettbewerbliche Bedenken aus. Anfang Juni infor-mierten die beteiligten Unternehmen die Kommissiondarüber, dass sie ihre Anmeldung förmlich zurücknähmenund nicht mehr beabsichtigten, den geplanten Zusammen-schluss in der geschilderten Form durchzuführen. Gleich-zeitig veröffentlichten sie jedoch eine Pressemitteilung zudem vom Department of Justice angestrengten Gerichts-verfahren in den USA, die vermuten ließ, dass das Zu-sammenschlussvorhaben noch nicht endgültig aufgege-ben worden war. Die Europäische Kommission nahm dieszum Anlass, die Fusion Ende Juni zu untersagen. Sie ver-trat den Standpunkt, dass die Mitteilung der Rücknahmekeinen „formalen Widerruf des angemeldeten Fusions-vertrags“ darstelle, der Zusammenschluss also noch ver-boten werden könne.

740. Das Gericht folgte dieser Ansicht nicht und hobdie Untersagungsverfügung auf. Es ging davon aus, dassdie Parteien mit der an die Kommission gerichteten Mit-

teilung auf den Zusammenschluss in der angemeldetenForm verzichtet hatten. Die Erklärung der Parteien lassesich nur so verstehen, dass damit der Fusionsvertrag, sowie er geschlossen und angemeldet worden war, hinfälligsei. Die von der Kommission vorgenommene Unterschei-dung zwischen Rücknahme der Anmeldung und Widerrufdes Fusionsvertrags hielt das Gericht für übermäßig for-malistisch. Selbst wenn die Parteien sich für die Zukunftdie Möglichkeit eines anderen Zusammenschlusses vor-behalten hätten, sei dies irrelevant für die Beurteilung, obzum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entschei-dung ein Fusionsvertrag in der notwendigen Form vorge-legen habe. Die bloße Fusionsabsicht genüge nicht, umeinen Fusionsvertrag anzunehmen, der Gegenstand einerEntscheidung der Kommission sein könne. Ebenso wiedie Kommission zum Verbot eines Zusammenschlussesnicht vor dem Abschluss eines Fusionsvertrags befugt sei,ende die dahingehende Befugnis der Kommission, sobaldvon dem entsprechenden Vertrag Abstand genommenwerde. Dies gelte selbst dann, wenn die betreffenden Un-ternehmen ihre Verhandlungen fortsetzten, um einen Ver-trag in einer anderen Form zu schließen.

Daneben hielt es das Gericht zwar – wie die EuropäischeKommission – für möglich, dass die Parteien ihren Ver-trag heimlich aufrechterhalten wollten. Die Kommissionhabe hierfür jedoch keine ausreichenden Beweismittelvorgelegt. Zudem hätte sie genug Zeit gehabt, sich mitHilfe eines Auskunftsverlangens zu vergewissern, dassder Fusionsvertrag tatsächlich widerrufen oder aufgege-ben worden war. Das Gericht führte weiter aus, dass dieParteien jedenfalls aufgrund der früheren Verwaltungs-praxis der Kommission darauf vertrauen durften, dass derWiderruf der Anmeldung genügen würde, um das Verfah-ren ohne Sachentscheidung zu beenden.

741. Als Reaktion auf die Klage von MCI dürfte dieNeuregelung in Artikel 6 Abs. 1 lit. c Satz 2 FKVO anzu-sehen sein, die mit der Reform der FKVO am 1. Mai2004 in Kraft getreten ist. Hiernach muss ein Zweite-Phase-Verfahren außer in Verweisungsfällen stets mit ei-ner förmlichen Freigabe- oder Untersagungsentscheidungnach Artikel 8 FKVO abgeschlossen werden, es sei denn,die beteiligten Unternehmen haben der Kommission ge-genüber „glaubhaft gemacht, dass sie den Zusammen-schluss aufgegeben haben“. Die bloße Rücknahme derAnmeldung wird in Zukunft also nicht mehr ausreichen,damit ein Verfahren ohne Entscheidung in der Sache ein-gestellt wird. Dies ist zu begrüßen, da die Rücknahme derNotifizierung in der Regel weder die vertraglichen nochdie börsenrechtlichen Verpflichtungen der beteiligten Un-ternehmen berührt. Aus dem inzwischen von der Euro-päischen Kommission veröffentlichten Informationsblattgeht hervor, dass die beteiligten Unternehmen einenNachweis vorlegen müssen, der in Form und Rechtscha-rakter dem Akt, auf dessen Grundlage die Anmeldungstattgefunden hat, entspricht. Offen bleibt allerdings, wiedie Europäische Kommission die Rücknahme von An-meldungen innerhalb der ersten Verfahrensphase handha-ben will. Insoweit wurde keine gesetzliche Regelung ge-troffen. Es erscheint aber angebracht, diese Fälle genausozu behandeln wie Rücknahmen in der Hauptprüfphase.134 EuG, Urteil vom 28. September 2004, Rs. T-310/00, MCI/Kommission.

Page 86: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Bisherige Gutachten der Monopolkommission

===================================

Alle Veröffentlichungen sind im Nomos-Verlag, Baden-Baden, erschienen.

Hauptgutachten

Hauptgutachten I: (1973/1975): Mehr Wettbewerb ist möglich. 1976, 2. Aufl. 1977.

Hauptgutachten II: (1976/1977): Fortschreitende Konzentration bei Großunternehmen.

1978.

Hauptgutachten III: (1978/1979): Fusionskontrolle bleibt vorrangig. 1980.

Hauptgutachten IV: (1980/1981): Fortschritte bei der Konzentrationserfassung. 1982.

Hauptgutachten V: (1982/1983): Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung.

1984.

Hauptgutachten VI: (1984/1985): Gesamtwirtschaftliche Chancen und Risiken

wachsender Unternehmensgrößen. 1986.

Hauptgutachten VII: (1986/1987): Die Wettbewerbsordnung erweitern. 1988.

Hauptgutachten VIII: (1988/1989): Wettbewerbspolitik vor neuen Herausforderungen.

1990.

Hauptgutachten IX: (1990/1991): Wettbewerbspolitik oder Industriepolitik. 1992.

Hauptgutachten X: (1992/1993): Mehr Wettbewerb auf allen Märkten. 1994.

Hauptgutachten XI: (1994/1995): Wettbewerbspolitik in Zeiten des Umbruchs. 1996.

Hauptgutachten XII: (1996/1997): Marktöffnung umfassend verwirklichen. 1998.

Hauptgutachten XIII: (1998/1999): Wettbewerbspolitik in Netzstrukturen. 2000.

Hauptgutachten XIV: (2000/2001): Netzwettbewerb durch Regulierung. 2003.

Hauptgutachten XV: (2002/2003): Wettbewerbspolitik im Schatten „Nationaler

Champions“. 2005.

Hauptgutachten XVI: (2004/2005): Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!

2006.

Hauptgutachten XVII: (2006/2007): Weniger Staat, mehr Wettbewerb. 2008.

Hauptgutachten XVIII: (2008/2009): Mehr Wettbewerb, wenig Ausnahmen. 2010.

Hauptgutachten XIX: (2010/2011): Stärkung des Wettbewerbs bei Handel und Dienst-

leistungen. 2012.

Page 87: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Sondergutachten

Sondergutachten 1: Anwendung und Möglichkeiten der Mißbrauchsaufsicht über marktbe-

herrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle.

1975, 2. Aufl. 1977.

Sondergutachten 2: Wettbewerbliche und strukturelle Aspekte einer Zusammenfassung von

Unternehmen im Energiebereich (VEBA/Gelsenberg). 1975.

Sondergutachten 3: Zusammenschlußvorhaben der Kaiser Aluminium & Chemical Corpora-

tion, der Preussag AG und der Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG.

1975.

Sondergutachten 4: Zusammenschluß der Deutsche Babcock AG mit der Artos-Gruppe.

1977.

Sondergutachten 5: Zur Entwicklung der Fusionskontrolle. 1977.

Sondergutachten 6: Zusammenschluß der Thyssen Industrie AG mit der Hüller Hille GmbH.

1977.

Sondergutachten 7: Mißbräuche der Nachfragemacht und Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle im

Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. 1977.

Sondergutachten 8: Zusammenschlußvorhaben der Deutschen BP AG und der VEBA AG.

1979.

Sondergutachten 9: Die Rolle der Deutschen Bundespost im Fernmeldewesen. 1981.

Sondergutachten 10: Zusammenschluß der IBH Holding AG mit der WIBAU AG. 1982.

Sondergutachten 11: Wettbewerbsprobleme bei der Einführung von privatem Hörfunk und

Fernsehen. 1981.

Sondergutachten 12: Zusammenschluß der Burda Verwaltungs KG mit der Axel Springer

GmbH/Axel Springer Gesellschaft für Publizistik GmbH & Co. 1982.

Sondergutachten 13: Zur Neuordnung der Stahlindustrie. 1983.

Sondergutachten 14: Die Konzentration im Lebensmittelhandel. 1985.

Sondergutachten 15: Zusammenschluß der Klöckner-Werke AG mit der Seitz Enzinger

Noll Maschinenbau AG. 1986.

Sondergutachten 16: Zusammenschlußvorhaben der Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen AG

mit der Société Sidéchar S.A. (Ruhrkohle AG). 1986.

Sondergutachten 17: Konzeption einer europäischen Fusionskontrolle. 1989.

Sondergutachten 18: Zusammenschlußvorhaben der Daimler-Benz AG mit der Messerschmitt-

Bölkow-Blohm GmbH. 1989.

Sondergutachten 19: Zusammenschlußvorhaben der MAN Aktiengesellschaft und der

Gebrüder Sulzer Aktiengesellschaft. 1990.

Sondergutachten 20: Zur Neuordnung der Telekommunikation. 1991.

Sondergutachten 21: Die Mißbrauchsaufsicht über Gas- und Fernwärmeunternehmen. 1991.

Page 88: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Sondergutachten 22: Zusammenschlußvorhaben der BayWa Aktiengesellschaft und der WLZ

Raiffeisen Aktiengesellschaft. 1992.

Sondergutachten 23: Marktstruktur und Wettbewerb im Handel. 1994.

Sondergutachten 24: Die Telekommunikation im Wettbewerb. 1996.

Sondergutachten 25: Zusammenschlußvorhaben der Potash Corporation of Saskatchewan Inc.

und der Kali und Salz Beteiligungs Aktiengesellschaft. 1997.

Sondergutachten 26: Ordnungspolitische Leitlinien für ein funktionsfähiges Finanzsystem.

1998.

Sondergutachten 27: Systemwettbewerb. 1998.

Sondergutachten 28: Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union? 1999.

Sondergutachten 29: Wettbewerb auf Telekommunikations- und Postmärkten? 2000.

Sondergutachten 30: Wettbewerb als Leitbild für die Hochschulpolitik. 2000.

Sondergutachten 31: Reform der Handwerksordnung. 2002.

Sondergutachten 32: Folgeprobleme der europäischen Kartellverfahrensreform. 2002.

Sondergutachten 33: Wettbewerbsentwicklung bei Telekommunikation und Post 2001:

Unsicherheit und Stillstand. 2002

Sondergutachten 34: Zusammenschlussvorhaben der E.ON AG mit der Gelsenberg AG und der

E.ON AG mit der Bergemann GmbH. 2002.

Sondergutachten 35: Zusammenschlussvorhaben der E.ON AG mit der Gelsenberg AG und der

E.ON AG mit der Bergemann GmbH. Ergänzendes Sondergutachten. 2002.

Sondergutachten 36: Zusammenschlussvorhaben der Georg von Holtzbrinck GmbH & Co. KG

mit der Berliner Verlag GmbH & Co. KG. 2003.

Sondergutachten 37: Wettbewerbsfragen der Kreislauf- und Abfallwirtschaft. 2003.

Sondergutachten 38: Zusammenschlussvorhaben der Georg von Holtzbrinck GmbH & Co. KG

mit der Berliner Verlag GmbH & Co. KG. Ergänzendes Sondergutachten.

2003.

Sondergutachten 39: Telekommunikation und Post 2003: Wettbewerbsintensivierung in der

Telekommunikation – Zementierung des Postmonopols. 2004.

Sondergutachten 40: Zur Reform des Telekommunikationsgesetzes. 2004.

Sondergutachten 41: Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle. 2004.

Sondergutachten 42: Die Pressefusionskontrolle in der Siebten GWB-Novelle. 2004.

Sondergutachten 43: Wettbewerbsentwicklung bei der Telekommunikation 2005: Dynamik

unter neuen Rahmenbedingungen. 2006.

Sondergutachten 44: Wettbewerbsentwicklung bei der Post 2005: Beharren auf alten Privi-

legien. 2006.

Sondergutachten 45: Zusammenschlussvorhaben der Rhön-Klinikum AG mit den Kreis-

krankenhäusern des Landkreises Rhön-Grabfeld (Kreiskrankenhaus

Bad Neustadt/Saale sowie Kreiskrankenhaus Mellrichstadt). 2006.

Page 89: Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ... · Stadtwerke Mainz fordern. Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthalte, bedürfe

Sondergutachten 46: Die Privatisierung der Deutschen Bahn AG. 2007.

Sondergutachten 47: Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur

Novellierung des GWB. 2007.

Sondergutachten 48: Wettbewerbs- und Regulierungsversuche im Eisenbahnverkehr.

2007.

Sondergutachten 49: Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung.

2008.

Sondergutachten 50: Wettbewerbsentwicklung bei der Telekommunikation 2007:

Wendepunkt der Regulierung. 2008.

Sondergutachten 51: Wettbewerbsentwicklung bei der Post 2007: Monopolkampf mit allen

Mitteln. 2008.

Sondergutachten 52: Zusammenschlussvorhaben der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH mit der

Krankenhaus Mariahilf gGmbH. 2008.

Sondergutachten 53: Zusammenschlussvorhaben des Universitätsklinikums Greifswald mit der

Kreiskrankenhaus Wolgast gGmbH. 2008.

Sondergutachten 54: Strom und Gas 2009: Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und

Wettbewerb. 2009.

Sondergutachten 55: Bahn 2009: Wettbewerb erfordert Weichenstellung. 2010.

Sondergutachten 56: Telekommunikation 2009: Klaren Wettbewerbskurs halten. 2010.

Sondergutachten 57: Post 2009: Auf Wettbewerbskurs gehen. 2010.

Sondergutachten 58: Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen

Unternehmensentflechtung. 2010.

Sondergutachten 59: Energie 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten. 2012.

Sondergutachten 60: Bahn 2011: Wettbewerbspolitik unter Zugzwang. 2011.

Sondergutachten 61: Telekommunikation 2011: Investitionsanreize stärken, Wettbewerb

sichern. 2012.

Sondergutachten 62: Post 2011: Dem Wettbewerb Chancen eröffnen. 2012.

Sondergutachten 63: Die 8. GWB-Novelle aus wettbewerbspolitischer Sicht. 2012.

Sondergutachten 64: Bahn 2013: Reform zügig umsetzen. 2013.

Sondergutachten 65: Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende. 2014.

Sondergutachten 66: Telekommunikation 2013: Vielfalt auf den Märkten erhalten. 2014.

Sondergutachten 67: Post 2013: Wettbewerbsschutz effektivieren. 2014.