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Indienbericht Seite 1 Exkursionstagebuch für Indien 01.02.2014 bis 15.02.2014 verfasst und überarbeitet während der Indienreise M. Schulz -16.02.2014 Sonnabend, 01.02.2014 Diese Reise beginnt im Vorfeld mit der Nachricht, dass vom 30. zum 31. Januar 2014 in Frankreich die Fluglotsen streiken. Die Hoffnung blieb, dass dieses Ereignis unseren Flug über Paris nicht betreffen würde. So starteten wir nachts nach Hamburg, um uns dort 5.00 Uhr in der Abfertigungshalle des Flughafens zu treffen. Die Schreckensnachricht bleibt aus, der Fluglotsenstreik war beendet und wir konnten nun ohne Hindernisse losfliegen. Vor uns liegt die Vorfreude auf das Unbekannte, die besonderen Reiseziele wie Varanasi, Darjeeling, Agra und Ganges, auf die gemeinsamen Erfahrungen in diesem Land und auf die Religion des Hinduismus und Buddhismus. Die Reisegruppe trifft sich fast pünktlich am Schalter nach Delhi über Paris in Hamburgs Flughafen Terminal 1, doch alle waren übernächtigt und müde. Die elektronische Buchung unseres Fluges ist eine echte Herausforderung. Es dauerte fast 60 Minuten, bis wir das Gepäck aufgegeben und unsere Plätze gebucht haben. Schnell finden wir uns in der Maschine nach Paris zusammen und sind nun auf dem Weg dorthin. Das Fliegen ist nach wie vor eine Frage des Zutrauens an Technik. Start wie Landung bleiben ein Augenblick voller Respekt und Sorge. Die Maschinen beben im ganzen Stück, wenn die sichere Erde verlassen wird und steigen stark geneigt nach oben. Das Knacken in den Ohren meldet die Druckveränderungen. Niemals werde ich dazu ein Verhältnis der Normalität bekommen. Neben mir im Flugzeug ein Ehepaar aus Ostfriesland so um die 50. Beide sehr nett, wir erkennen uns gleich als Lehrer und tauschen Erfahrungen aus. Sie ist eine Lehrerin aus Schleswig-Holstein, die nun in Grevesmühlen Unterricht gibt. Ihr Ziel ist Mexiko und ihre Geschichten von Fliegen und Urlaub sind sehr lieb gemeint, da sie meine Konzentration von den Geräuschen der Maschine ablenkten.

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Indienbericht Seite 1

Exkursionstagebuch für Indien 01.02.2014 bis 15.02.2014

verfasst und überarbeitet während der Indienreise

M. Schulz -16.02.2014

Sonnabend, 01.02.2014

Diese Reise beginnt im

Vorfeld mit der Nachricht,

dass vom 30. zum 31.

Januar 2014 in Frankreich

die Fluglotsen streiken. Die

Hoffnung blieb, dass dieses

Ereignis unseren Flug über

Paris nicht betreffen

würde. So starteten wir

nachts nach Hamburg, um uns dort 5.00 Uhr in der Abfertigungshalle des Flughafens

zu treffen. Die Schreckensnachricht bleibt aus, der Fluglotsenstreik war beendet und

wir konnten nun ohne Hindernisse losfliegen. Vor uns liegt die Vorfreude auf das

Unbekannte, die besonderen Reiseziele wie Varanasi, Darjeeling, Agra und Ganges,

auf die gemeinsamen Erfahrungen in diesem Land und auf die Religion des

Hinduismus und Buddhismus. Die Reisegruppe trifft sich fast pünktlich am Schalter

nach Delhi über Paris in Hamburgs Flughafen Terminal 1, doch alle waren

übernächtigt und müde. Die elektronische Buchung unseres Fluges ist eine echte

Herausforderung. Es dauerte fast 60 Minuten, bis wir das Gepäck aufgegeben und

unsere Plätze gebucht haben. Schnell finden wir uns in der Maschine nach Paris

zusammen und sind nun auf dem Weg dorthin. Das Fliegen ist nach wie vor eine

Frage des Zutrauens an Technik. Start wie Landung bleiben ein Augenblick voller

Respekt und Sorge. Die Maschinen beben im ganzen Stück, wenn die sichere Erde

verlassen wird und steigen stark geneigt nach oben. Das Knacken in den Ohren

meldet die Druckveränderungen. Niemals werde ich dazu ein Verhältnis der

Normalität bekommen. Neben mir im Flugzeug ein Ehepaar aus Ostfriesland so um

die 50. Beide sehr nett, wir erkennen uns gleich als Lehrer und tauschen Erfahrungen

aus. Sie ist eine Lehrerin aus Schleswig-Holstein, die nun in Grevesmühlen Unterricht

gibt. Ihr Ziel ist Mexiko und ihre Geschichten von Fliegen und Urlaub sind sehr lieb

gemeint, da sie meine Konzentration von den Geräuschen der Maschine ablenkten.

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Sie ist eine Frohnatur und ihr „Tschüssi und schöne Tage in Indien“ hallt lachend

durch die ganze Flughalle nach unserer Abfertigung. In Paris bleiben nur 90 Minuten,

um gegenüber am Gate einzuchecken. Unsere Koffer finden den Weg hoffentlich

sicher durch die Elektronik, wie sich herausstellen soll, nicht alle. Von meiner

Frohnatur hatte ich gehört, dass die Langstreckenflüge viel Platz haben und sehr

bequem wären. So besteige ich gut gelaunt die bis auf den letzten Platz besetzte

Boeing 777-300. Mein Platz y25 befindet sich zwischen zwei Indern rechts am

Fenster. Wenn es einen buddhistischen Gott gäbe, ich hätte ihn verflucht. Auf dem

Platz eines Mehrschweinchens, umgeben

von den wenigen privaten Sachen, sitze

ich nun 8 Stunden eingezwängt. Ich

versuche mit buddhistischer Meditations-

gelassenheit auszuharren und die ersten

vier Stunden vergehen mit lesen und dem

Ansehen von Bordfilmen. Für mehr

Persönliches ist leider kein Platz. Der Flug

ist sonst ruhig, doch mehrmals schütteln

recht schwere Luftlöcher uns

durcheinander, ohne Bauchgurte eine unsichere Angelegenheit. Mein rechter

Nachbar ist ein Inder, der im Silicon Valley in den USA arbeitet und über Paris nach

Delhi fliegt. Er ist geschätzte 30 Jahre jung und spricht so schnell Englisch, dass wir

uns dann darauf einigen, keine vollen Sätze mehr zu sprechen, sondern nur einzelne

Wörter, die ich dann auch verstehe. So gab es manch lustige Situation. Die

Stewardess wirft ihm recht unfreundlich das Essen auf den Tisch und er meint nur

„eat or die“ – friß oder stirb. Er bringt mir die ersten beiden indischen Wörter bei

„Namaste“ (guten Tag) war eines davon. Die anderen vier Stunden werden zu Qual.

Schmerzende Knie, fast 20 Stunden nicht geschlafen, brennende Augen durch die

Klimaanlage und überfüllte Toiletten. In solchen Situationen übernimmt der Körper

einfach den Rest, der Geist ist dann irgendwie abgeschaltet.

Dann endlich beginnt der Landeanflug auf Delhi. Wir setzten nach Ortszeit um 23.30

Uhr auf (in Deutschland 19.00 Uhr) und hier ist es Nacht. In der Abfertigungshalle nun

schnell das Gepäck holen und den Einreisestempel nicht vergessen. Wer diesen bei

der Einreise durch Oberflächlichkeit nicht bekommt, darf nicht wieder ausreisen.

Beim Gepäck dann der Schock. Von Elke fehlt der Koffer. So gehen wir dann zwei

Stunden auf die Suche und treffen auf indische Gleichmütigkeit. Nach einer Stunden

haben wir raus, dass der Koffer noch in Paris ist, nach einer weiteren, dass er morgen

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in unser Hotel geliefert wird. Meditation verlangsamt das Leben, das ist hier deutlich

zu spüren. Auf dem Flug hatte ich von Karin ein Buch angefangen. „Wenn Du Buddha

triffst, töte ihn.“ - ein 60 jähriger Autor, Andreas Altmann, reist durch Indien und

versucht die echte Seite des indischen Lebens zu entdecken. Er gibt tolle Tipps und

erzählt auch dort unendliche Beispiele indischer Bürokratie. Aber er gibt auch einen

sehr guten Rat, nicht einfach als Zuschauer zu verharren, sondern sich einzulassen auf

Indien - leichter gesagt, als wirklich getan. Gegen 1.30 Uhr verlassen wir dann die

Abfertigungshalle ohne den fehlenden Koffer, aber mit ersten Rupien in der Tasche.

Außen liegt dichter Nebel über der Stadt, eine Mischung aus Smog und feuchter Luft.

Unser Guide Gopal steht bereit und so sind wir gegen 2 Uhr im Hotel und fallen

einfach nur in die Betten und in einen tiefen, unbewussten Schlaf.

Sonntag, 02.02.2014

Um 7 Uhr klingelt das Hoteltelefon wie ein Hammer, alles ist innerlich matt und

müde, uns bleiben aber nur 45 Minuten bis zum Frühstück und um 8.30 Uhr ist

Abfahrt. Das Hotel war sauber, gemütlich und das Frühstück sehr lecker. Doch eine

rechte Freude am Essen kommt nicht auf. Die Müdigkeit sitzt tief und es fehlen allen

die Kräfte. Gefühlt ist es ja auch erst 4 Uhr nachts. Alle sind trotzdem pünktlich am

Bus, das Gepäck ist verladen und der erste Tag beginnt. Delhi liegt wieder im Dunst

und Nebel und überall in den Straßen ist

der Lärm von 1000den hupender Autos zu

hören. Wir haben heute ein kleines

Programm. Gopal, unser Reiseführer, ein

leicht grauhaariger sehr sympathischer

Inder so zwischen 40 und 50, beginnt uns

auf Delhi einzustimmen. Das machte er

mit dem nötigen Humor und einer Prise

Ironie. Er habe einige Zeit in Deutschland gelebt, am indischen Goetheinstitut

Deutsch gelernt und spricht fließendes

Deutsch mit wenig Dialekt. „Alle Affen,

Kühe und Politiker haben in Indien

Vorfahrt“ sein erster Spruch des Tages.

Dann gibt er uns den Hinweis, dass wir

bis Agra im Bus WLAN haben. In Teilen

Indiens ist im Umkreis großer Städte das

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Internet offen und kostenlos. Leider auch so langsam, dass das Abschicken einer

Email 5 Minuten dauerte. Unsere Fahrt durch die sonntägliche Großstadt mit 17 Mio.

Einwohnern macht uns alle fassungslos: Schmutz, Rikschas, TukTuks, Menschen,

Autos, wohin man sieht. Ein unkontrolliertes Durcheinander, an der Straße

Menschen, die sich waschen, Menschen, die Haare schneiden, Verkäufer, Fußgänger

und Autos, Motorräder und Tuk Tuks (Dreiräder mit Motor) „Vor ein paar Jahren hat

die indische Regierung vorgeschrieben, dass alle Busse mit Gas fahren müssen,

seitdem haben wir saubere Luft“…lange nicht so gelacht. Die Luft ist quälend, voller

unterschiedlicher Gerüche und wird langsam gemütliche 25 Grad warm. Das ist

Sommer auf der Haut, ein gutes Gefühl nach den kalten Wochen daheim. Der erste

Ausflug führte in die Moschee von Old-Delhi. Dieser historische Teil der Stadt ist

verwinkelt, eng - genau dort steht die Mosche. Ein prächtiger rötlicher Bau, der hier

freitags mit 20.000 Betenden besucht wird. Kleine Besonderheit: in diesem Teil der

Welt zeigt die Gebetsnische nach Mekka in Richtung Westen, bei uns ja nach Osten,

so merkt man, dass man am anderen Ende der Welt gelandet ist. Gopals Originalton

hier: „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Muslime“ - muss

man mehr über das Verhältnis der Inder und Moslems sagen?

Der Ausflug bleibt mit 30 Minuten kurz. Ein paar konkrete Infos zum Islam und 10

Minuten Zeit für Fotos. Gut, dass wir die Gebetssocken mithaben. Hier gehören sie

dazu, wie in Israel die Kippa. Die Verkehrsschilder sind alle in 4 Sprachen –

Hindi/Englisch/Sikh/Urdu (für die Moslems). Bei 80%iger Hinduismuszugehörigkeit

10% Muslimen und 3% Christen sinnvoll. Städtenamen auf „…pur“ sind indischen, auf

„...bad“ muslimischen Ursprungs. Die Sikhs werden hier als Sekte gesehen, sind sie

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nicht eigentlich die Jesuiten dieser Religion? Im Straßenbild ist die Tonga normal -

eine Pferdekusche mit zwei Rädern und voll beladen. Unsere Rikschafahrt durch Old

Delhi eine Mischung aus Unsicherheit, Schamgefühl und Verwunderung. Das Leben

der Menschen spielt sich auf der Straße ab. Man blickt mitten ins Wohnzimmer und

das ist ungewohnt für uns. Sie schneiden sich im Straßendreck die Haare, verkaufen

dort Essen, sitzen dort und nähen. Was auffällt sind die suchenden Augen. Ein tiefer

Blick, der stand hält und oft freundliches

Lächeln wird, wenn man nicht wegschaut,

sondern verweilt. Fotos zu machen grenzt

fast an Beleidigung. Eingeprägt bleiben

mir eine Frau mit Kind auf dem Arm, ein

alter Mann beim Waschen seiner Füße

und ein Schneider, mit einfacher

Nähmaschine auf dem Boden des Bürgersteigs. Mittags (ohne Mittag) geht es zur

Gedenkstätte von Mahatma Gandhi. Ein Ort, den die Inder sehr verehren. „Große

Seele“ ist der Ehrentitel, den die Inder ihm geben. Mitten in der Stadt

menschengroße Figuren aus Stein, ein Monuments, das an den Salzmarsch Gandhis

1930 erinnern soll. Er wurde hier in Delhi von einem Brahmanen erschossen und

später verbrannt. Seine Asche ruht im Ganges. Deshalb liegen die Steine aus dem

Flussbett des Ganges auf dem Gelände. Ein schöner Park, eine riesige Gedenkanlage

und wieder nur mit Tempelsocken zu besuchen. Der Ort ist so heilig, dass er nicht mit

Schuhen betreten werden darf. Nach kurzen Fragen und Fotos ging es dann aus Delhi

heraus und in Richtung Jaipur (Aussprache Dschäpur). Jeder Straßenzug Delhis hat

hier eine besondere Baumart aufzuweisen, welche noch aus der Kolonialzeit

stammen. Das Straßenbild ist chaotisch. Lautes Hupen, voll besetzte Autos mit 7-8

Leuten darin, Busse ebenso überfüllt, ein Motorrad mit Fahrer, Frau und Baby auf

dem Arm, die berühmten indischen Tata-LKWs in endlosen Reihen hintereinander,

unfertige Straßen und Brücken mitten in der Landschaft und eben Linksverkehr. Doch

dieser Tag lässt uns ankommen. Auch wenn auf der Reise die Müdigkeit uns alle

packt, so lässt die sechsstündige Fahrt nach Jaipur doch Zeit für das Gefühl, in Indien

zu sein. Gopal erzählt auf dem Weg noch zwei spannende Seiten Indiens. Zum einen

erklärt er uns das indische Schulsystem, da wir ja alle Interesse an Schule haben und

uns morgen auf den Schulbesuch etwas vorbereiten möchten. Alle Kinder sind in

Indien schulpflichtig, auch wenn der Staat das nicht konsequent durchsetzt. Kinder

müssen die Uniform der jeweiligen Schule tragen, damit die Kastenunterschiede nicht

ersichtlich sind. 80% aller Schulen sind Privatschulen und nur 20% sind Staatsschulen.

Gopal hat sein Kind an eine private Schule gegeben, weil dort der gesamte Unterricht

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auf Englisch stattfindet. So lernen die Kinder diese für sie wichtige Sprache sehr

schnell. Der Schulbesuch kostet dann aber ca. 1300 € im Jahr. Für indische

Verhältnisse teuer. Doch für die besseren Chancen der Kinder gehen 80% der

Familien diesen Weg. Ein langes Thema ist der unterschiedliche Hinduismus in Nord-

und Südindien. Wir erfahren, dass die indogermanischen Nordinder die gebildeteren

und an der helleren Haut erkennbar sind. Sie leben hauptsächlich von Weizen, ein

Zeichen für besseren Wohlstand. In Südindien sind die ärmeren dunkelhäutigen und

hauptsächlich reisessenden Inder zu finden. Wir sahen bereits mehrere Gebäude

voller Symbole der Svastika - im Hinduismus das Zeichen der „Quelle der Existenz“

allen Lebens - in Deutschland das Hakenkreuz der NS-Zeit. Eins Symbol - zwei völlig

verschiedene Welten, bei uns verboten und missbraucht, hier ein Glückssymbol. Ein

typisches Merkmal des Hinduismus ist sein Aberglaube. Ehen zwischen Männern und

Frauen werden nur geschlossen, wenn die Horoskope es erlauben, an jedem Auto

hängen schwarze 50 cm lange Bänder gegen die bösen Blicke der anderen Autofahrer

und Nachbarn, Schlangen sollten niemals angesehen oder fotografiert werden, da sie

Lebensenergie vom Menschen nehmen. Der Abend endet dann in einer sehr

gemütlichen Abendbrotrunde am offenen Buffet, von dem die Quarkbällchen in

Honigsirup der Renner waren. Gegen 21.00 Uhr kommt dann die befreiende

Nachricht, dass Elkes Koffer bereits in Delhi ist und voraussichtlich morgen früh in

Jaipur im Hotel ankommt. Für sie endlich die Aussicht auf frische Wäsche.

Montag, 03.02.2014

Jaipur und seine Sehenswürdigkeiten sind heute unser Hauptziel. In unserem Hotel

bleiben wir zwei Nächte, ein unvorstellbarer Luxus an Zeit und Ruhe. Erste Begrüßung

durch Gopal „Namaschka“ - „Guten Tag“ in der alten höflichen Form. Doch auch hier

lässt die Höflichkeit nach. „In Indien wird sich auch das ändern, wenn jedes Kind

einen Facebookzugang hat.“

- lächelt uns Gopal an. Beim

Vorbeifahren an einer

indischen Flagge schnell die

Infos zu den Nationalfarben

Rot für Mut, Weiß für den

Frieden und Grün für den

Wohlstand. In der Mitte das

Rad des Lebens von Buddha.

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Unser erster Halt nach 20 Minuten am Palast der Winde, eine der

Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Seinen Namen trägt er, da die oberen Geschosse

vom Wind aus dem Umland durchweht werden. Das Gebäude aus rotfarbenem Stein

zeigt 470 Fenster, alle für die Frauen des Maharadscha, die dem Treiben auf der

Straße zusehen durften, selber aber verborgen bleiben mussten - ein Schleier aus

Stein, auch ein Leben hinter Stein - heute einfache Erinnerung an 200 Jahre

zurückliegende Geschichte, damals Gefängnis für ein Frauenleben. Vor dem Gebäude

ein Babel an Völkern, Stimmen, Touristen und Interessen. Manch eine Frau im Sari,

Japaner mit Fotoapparat, handelnde Inder, auch wir ein Teil des wahnsinnigen Lärms

und Durcheinanders. Aber der Anblick besticht durch seine Bauweise - trotzdem

irgendwie ein übergroßer Adventskalender. Die Region Rajasthan, in deren Herz wir

uns befinden, war einst unter den Maharadschas in 22 Reiche geteilt und gehörte zur

reichsten Region Indiens. Sie handelten und holten dadurch den Reichtum in die

Region. Als im 19. Jh. der Handel ausblieb, verarmte Rajasthan. Vom einstigen

Reichtum können wir uns im Ambert Fort überzeugen. Auf dem Berge nahe Amber

gelegen prangt eine Burg, die nicht weit von den Dimensionen der chinesischen

Mauer entfernt ist. 17 Kilometer lang durchzieht eine drei Meter hohe Mauer die

Umgebung der Stadt. Im Inneren eine Anlage zur Verteidigung, zum Leben und

Repräsentieren des Maharadschas. In einem zurückgelegenen Teil des Forts leben

heute die Nachfahren, vermieten für Staatsbesuche die Wohnräume und lasse uns

Besucher Einblick nehmen. Kennedy, Lady Diana und andere namhafte Menschen

waren hier Staatsgäste. Gopal spricht von einer „hinduarabischen Kultur“, die hier

geschaffen wurde. Moslems brachten Miniaturen, Türme und Säulen in die

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Architektur ein, die Hindus erbauten Säle, Wohnräume und Innenhöfe. Zusammen

eine Mischung, die dem Osmanischen Reich und seiner Kultur Ehre machen. Wir

betreten die Innenanlage und reiten

auf Elefanten den Weg zur Burg hinauf.

Immer in Zweiergruppen sitzen wir auf

dem Rücken der gutmütigen Tiere, die

den Rummel im Fort ruhig ertragen.

Die indischen Reiter treiben sie hinter

den Ohren sitzend an und die Straße ist

gefüllt von diesen Tieren, bunt bemalt

an Rüssel und Kopf. Trotz der

gewaltigen Ausmaße der 25-35 Jahre

alten Tiere setzen sie die großen Füße vorsichtig auf und treten sicher und sanft den

Weg nach oben an. Im Innenhof dann unglaubliche Mengen von Händlern, die oft

aufdringlich Zeitungen, indische Geigen, Turbane und Souvenirs verkaufen. Im

Gespräch mit einem Zeitungshändler der eine deutsche „Die Welt“ zu verkaufen

hofft, die bereits sechs Tage alt ist, erfahre ich, dass er einen Freund in Berlin hat, der

jedes Jahr zu ihm kommt und ihn in Indien besucht. Er hat sogar in Indien geheiratet.

Deutsche wären Freunde Indiens gibt er mir mit auf den Weg. Er erkundigt sich nach

unseren Reisegründen und freut sich über das Lob der Gastfreundschaft Indiens. Ein

Stück begleitet er uns noch und geht dann unter in

dem Trubel. Die Innenräume der Anlage, die Höfe und

Pavillons sind atemberaubend, ebenso ein Spiegelsaal

aus Silber und Glas. Dann nach einer kurzen Jeepfahrt

ins Tal zurück nach Jaipur in den Stadplast - dort ein

stiller Innenhof, leise Musik und runde Tische - ein Ort

für eine Pause und unser Mittagessen. Gemütlich

lassen wir uns nieder und hängen den Gedanken nach,

erzählen und lauschen der Musik. Ein Barde spielt für

die Gäste, ein anerkannte Beruf eines Poeten, der die

alten Legenden Indiens vorsingt. Seinen Dialekt

versteht auch Gopal nur zu 15 %. Eine Musik, die wir

aus Bollywoodfilmen kennen. Hier passt sie einfach zur

Umgebung und zum Moment. Im Buchladen des Forts

gibt es ein deutsches Buch mit dem Titel: „Die Erinnerung einer Prinzessin“. Hier

erzählt eine Maharani (die Hauptfrau eines Maharadschas) ihre Lebensgeschichte

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neben 11 Ranis (Nebenfauen). Allein die Ankündigung lässt uns zugreifen und voller

Spannung auf die Geschichte das Buch kaufen. Was bedeutet ein solches Leben in

diesen Mauern, voller Reichtum und doch verloren in der Aussichtslosigkeit auf ein

selbstbestimmtes Leben. Dann im Innenhof ein kleiner Junge, höchstens drei Jahre

alt, tiefschwarze Augen und die Liedstriche schwarz. Gopal erklärt uns, dass man in

Indien Kerzenruß nimmt und den Kindern abends

in die Augen macht, damit diese nachts nicht

verkleben. Dadurch wirken die Augen wie

geschminkt, kaum zu glauben, dass diese

Behandlung medizinisch sinnvoll ist. Der

Höhepunkt wird der Besuch des Observatoriums

im Palast. In Stein gehauene Präzision des Abbildes

der Sterne. Die größte Sonnenuhr der Welt, 25

Meter hoch, steht hier und misst auf zwei

Sekunden genau die Ortszeit. Jede Hochkultur der

Erde verfügte über astronomisches Wissen, Indien

stellt sich damit neben die Ägypter, die Maya und

die Europäer und beweist ein wissenschaftliches

Können mit höchster Genauigkeit. Die Uhrzeit in Indien nennt sich „Indienzeit“,

dieses riesige Land hat eine vereinheitlichte Zeitzone. Wir sind hier momentan am 27.

Breitengrad, fast am Wendekreis der Sonne. Wir merken es deutlich, denn heute sind

27 Grad und das nennt sich hier Winter. Viele

Inder laufen mit Mütze und Jacke herum, uns

laufen die Schweißtropfen. Die Burg

verlassen wir nun und sehen vom Bus aus

noch einmal hinauf. Die Sonne hat langsam

den Dunst aus der Luft aufgesogen und das

Fort schimmert am Horizont. Zwischen den

Besichtigungen der beiden Paläste finden

wir uns auf einem Hinterhof wieder, an

dessen Ende ein Schulschild zu finden ist. Das Gebäude wirkt eng, klein und finster

von außen. Keine Farben, Staub und von innen schallt der Ruf nachplappernder

Kinderstimmen im Chor. Nach kurzem Aufenthalt im Vorraum gehen wir unglaublich

dunkle Gänge entlang in den ersten Raum eines Kindergartens. Es riecht unsauber,

ein Wasserhahn tropft aus der Wand und 2 Neonröhren spenden im fensterlosen

Raum etwas Licht. Es handelt sich hier um eine bessergestellte private Schule.

Unglaublich, die Kinder winken uns fröhlich zu, sind 4 -5 Jahre und sitzen auf ihren

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kleinen Stühlen. Englisch wird gerade unterrichtet. Wir gehen zu ihnen und sie fragen

uns nach unseren Namen und wir sie nach ihren Lieblingsfächern. Wie kann man so

leben, unterrichten und Hoffnung behalten? Der zweite Raum gehört einer 7. Klasse,

die Jungs geben sich als Freunde, bitten darum, dass wir Fotos von ihnen machen und

erzählen von sich. Die Lehrerin wirkt wie ein 16 jähriges Mädchen. Sie muss hier 2

Jahre einen Bachelorabschluss machen und darf dann unterrichten. Ihr Gehalt beträgt

200 Euro. Wir haben keine Ahnung, ob das für ein Leben und den Alltag in diesem

Land ausreicht. Weitere Räume warten auf uns, einer davon voller Computer, die an

den Friedhof einer PC-Firma erinnern. Hier blinkt ein Cursor auf schwarzem

Bildschirm. Ich frage die Lehrerin, ob sie eine Software unterrichtet, sie verneint und

erklärt, dass die 5. Klasse programmiert. Hier wachsen gerade die neuen PC-

Spezialisten für Europa heran, leider unter zum Teil schwierigen Schulverhältnissen.

Ein Wasserhahn kommt aus der Wand und ein Junge geht zum Trinken in die Knie.

Was für eine Arroganz herrscht an unseren Schulen, was für interessenlose und

materiell satte Kinder unterrichten wir manchmal? Hier fehlt alles, was wir für

würdevoll erachten. Kaputte Tafeln sind vollgeschrieben mit englischen Sätzen und in

manchen Räumen leuchtet eine spärliche Glühlampe. Die Kinder haben keine Bücher

und schreiben alle Fächer in ein einziges Heft. Dieser Eindruck macht sprachlos und

unsere mitgebrachten Hefte, Stifte und Radiergummis erscheinen wie ein verlorenes

Stück Holz im Ozean. Die Weiterfahrt bringt Zeit zum Reden und Nachdenken, alle

brauchen das und die Hoffnung, dass so der Eindruck sich verändert, vergeht schnell.

Letzte Station ist an diesem Tag eine

Stoffdruckerei und Teppichweberei.

Wir sehen zu, wie Karin die

traditionellen Farben auf ein Stück

Stoff aufträgt und in 5 Schritten ein

Tuch mit indischen Mustern

schmückt. Nach dem Bad in Salz und

Essig sind diese natürlichen Farben

dann für 5 Jahre verewigt. Sie sollte

über einen Berufswechsel

nachdenken, denn das Endergebnis

ist beeindruckend. Im Innenhof sitzen Frauen an Webstühlen und knüpfen Teppiche.

Ihre Handwerklichkeit ist unglaublich, die Arbeitsbedingungen erscheinen

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vordergründig zumutbar. Tausende Fäden ergeben nach unendlichen Schritten

mühevoller Arbeit von 9 Monaten dann einen Seidenteppich. Am Ende finden wir uns

in einem klimatisierten Raum voller unterschiedlicher Teppiche und in einer

Verkaufsveranstaltung. Charmant und interessant werden uns bei kalten Getränken

die unterschiedlichsten Muster und Arten erklärt. Vieles ist farbenfroh, wunderschön

und einmalig und so folgt die Frage nach

den Kaufinteressen. Eventuelle Probleme

mit dem deutschen Zoll sind schnell geklärt.

Mit roten Wangen und weichen Knien

verhandeln einige von uns hart. Muster

werden verglichen, Farbe und Qualität

überprüft und dann per Handschlag der

Kauf besiegelt. Der Fußboden ist nicht mehr

zu erkennen, zig Teppiche liegen

übereinander, durcheinander, nebeneinander. Diese Schlacht war geschlagen und

ziemlich erfolgreich - drei Teppiche sind gekauft und nun in Taschen verpackt oder

gehen direkt auf dem Weg nach Deutschland. Nach der Rückfahrt treffen wir uns alle

zum Abendbrot im Hotel und lassen diesen Tag zu Ende gehen. Elke hat zuvor mit

Gopal ihren Koffer vom Flughafen geholt – ein Vorrat an sauberer Wäsche wartet auf

sie. Auf den Zimmern angekommen dann ein Höllenlärm vor dem Hotel. 30 Mann mit

Trompeten, Trommeln und Lampen begleiten einen Reiter zu Pferde. Wir folgen dem

Zug noch einen Augenblick und bewundern Schmuck und Musik.

Dienstag, 04.02.2014

Jaipur werden wir heute wieder verlassen,

zusammen mit erlebnisreichen Erinnerungen an die

rote Stadt Rajasthans, dem hektischen

Straßentreiben und die abendliche Hochzeit

gestern. Kurz vor dem Einschlafen hörten wir eine

Band vor unserem Hotel mit einer Mischung aus

Jazz und Blues. Ein Bräutigam saß zu Pferd,

umgeben von den tanzenden Gästen und

„Lichtträgern“. Frauen tanzen auf der Straße im

roten Sari und begleiteten den Bräutigam auf

seinem Weg zu seiner Frau. Die Hochzeitsfarbe ist

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hier Rot, Weiß steht für die Trauer. Ein lebensfrohes Bild inmitten des tobenden

Verkehrs, der hupend daran vorbeifährt. Gopals lächelnder Hinweis des Tages heute

früh: „Den Führerschein kann man in Indien machen lassen.“ gefolgt von „Zum

Fahren braucht man in Indien starke Bremsen, laute Hupen und viel Glück.“ Am

frühen Morgen aber sind die Straßen noch etwas leerer und wir sind auf dem Weg

zum 1990 erbauten Tempel. Uns empfängt ein Gebäude aus weißem Marmor, linkst

eine steile, spitze Kuppel für den Himalaya und den Hinduismus, mittig eine rundere

Kuppel für die buddhistische Stupa und rechts eine Rundkuppel für den Islam. Der

Tempel soll außen als ein Sinnbild der Gemeinsamkeiten dieser drei Religionen

gelten. Im Innern bunte farbige Fensterbilder die Brahman als den Erschaffer der

Welt, Vishnu als den Erhalter der Welt und Shiva als den Vernichter der Welt in einer

Dreifaltigkeit darstellen. Wir sehen hier das Abschreibungsobjekt einer der reichsten

Familien Indiens. Es gibt Vermutungen, dass mit dem Bau auch Schwarzgelder

gewaschen wurden. Wir warten mittlerweile indisch gelassen 20 Minuten auf die

angekündigte Zeremonie. Nur wenige Menschen strömen in das Gebäude. Der

Vorhang bewegt sich und wird geöffnet. Vishnu, die Schlange ist sein

Erkennungszeichen ebenso wie die vier Arme, wird mit einer Art Kerzenforke

umwedelt und zum Abschluss die Anwesenden mit Wasser bespritzt. Der Blick fällt ab

und an auf Bilder der Darstellungen von Ganesha, dem Glücksgott, der mit seiner

ganzen Familie und seinem Vater Shiva in Stein gemeißelt ist. Einer seiner Stoßzähne

ist zerbrochen, weil sein Gesang so schlimm war, dass Gott ihm dafür einen Zahn

zerbrach. Die Zeremonie endet überraschend schnell, nachdem 5 Minuten lang

Klangschalen geschlagen und unverständliche Rituale vollzogen wurden. An einer

Außenwand wieder eine überdimensionale

Svastika des alten Indiens. Glück und Verheißung

soll sie dem bringen, der sie trägt. So taucht sie

auf unserer Reise sehr oft auf den Motorhauben

der neueren Autos auf. Auf den Mauern um den

Park sehen wir wieder wilde Pfauen, die

Nationalvögel Indiens. Neben ihnen ist der Löwe

das Nationaltier und Lotus die Nationalblume

dieses Landes. An den Straßenrändern stehen, so

erklärt es uns Gopal, Milchmänner, die in die

Haushalte frische Milch liefern, und die

Henkelmänner, die den Angestellten in den Büros

das Essen ihrer Frauen liefern. Der

anschließende Besuch in der Steinschleiferei

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verläuft eine halbe Stunde später schnell und informativ. Wie bei der

Teppichherstellung sitzen die männlichen Arbeiter auf dem Boden und schleifen per

Hand kleine Edelsteine glatt, die dann im hauseigenen Shop verkauft werden.

Staubige Luft umgibt sie, die Maschinen sind eine wilde Konstruktion aus E-Motor

und Eigenbau. Indien ist reich an Edelsteinen und billigsten Arbeitskräften. 200.000

Angestellte hat diese Firma in der Umgebung. Im Bus dann nach der Weiterfahrt ein

kleiner Vortrag über die Sekte der Sikh, denn auch unser junger Busfahrer ist Sikh,

aber ohne erkennbaren Turban. Dieser religiösen Gruppe ist stark mitgespielt

worden. Erkennbar waren und sind sie durch ihren farbigen Turban, der vorne spitz

zugebunden wird. Das unterscheidet ihn vom indischen Turban. Wörtlich übersetzt

sind die Sikhs einfach nur „Schüler“, sie machen ca. 2% der indischen

Gesamtbevölkerung aus und sind eine Verbindung aus Islam und Hinduismus. Fünf

Sanskrit-Ks sind für sie verpflichtend: keine Haare schneiden, ein Armband tragen,

eine Dolch zur Verteidigung führen, einen Kamm für die Frisur besitzen und eine

Unterhose nutzen. Diese fünf Pflichten gelten auch für Frauen. Panjab ist die Heimat

der Sikh, doch 1984 kam es zu einem erschütternden Ereignis. Aufständische in

Panjab forderten die Eigenständigkeit dieser nördlichen Region Indiens. Indira Gandhi

besetze mit dem Militär den Hauptsitz in Ambritza und dabei wurden Teile des

Tempels zerstört. Die Sikhs hassten die Premierministerin dafür und erschossen sie.

Danach wurden die Sikh verfolgt und über 10.000 von ihnen ermordet. In dieser Zeit

legten viele von ihnen den Turban ab, wie unser Busfahrer, um unerkannt zu bleiben.

Kanada wurde eine neue Heimat für sie und heißt heute in Indien das „neue Panjab“.

Ihre Glaubensvorstellung klingt wie eine Mischung aus Backbuch und Heilsarmee. Sie

verehren ein Buch als personalisierten Gott selbst, haben 10 Propheten, welche die

Lehre verbreiteten, ihr Tempel ist der Speisesaal der Armen und jeder gibt freiwillige

Spenden. Sie dürfen nicht rauchen, trinken und müssen rein vegetarisch essen. Ihre

Vorstellung von der Wiedergeburt beinhaltet das Karma als Folge des Handelns und

das Moksha als Ziel des Lebens, nämlich die Erlösung. Unvergesslich bleibt der

persönliche Moment Gopals im Bus, als er uns von seiner arrangierten Ehe erzählt.

Wie zu guten Freunden spricht er von seiner Vermittlung durch seine Eltern, als er 29

Jahre alt ist. Seine Frau musste seiner Mutter Fragen beantworten. Es gab kein

Standesamt, sondern das brennende Feuer bei der Trauung zeigt, dass ein lebendiger

Gott Zeuge der Handlung war. Ein tolles Symbol in unserer heutigen bindungslosen

und symbolarmen Zeit. Sie gaben sich beide traditionell sieben Versprechen, wie

Ehrlichkeit. Für ihn symbolisiert eine arrangierte Ehe den Respekt gegenüber seinen

Eltern und die Frau ist für Gopal der Spiegel der Gesellschaft. So sehr ich mich

anstrenge, die Haltung einiger indischer Männer gegenüber Frauen beweist absolut

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das Gegenteil. Wie oft hörten wir in den letzten Wochen von Vergewaltigungen in

Indien. Auf unsere Frage, warum Bombay nun Mumbai und Kalkutta eben Kolkata

heißt, erfahren wir, dass Indien sich damit

deutlich von der britischen

Namensgebung abgrenzen und die alten

regionalen Namen verwenden will.

Schnell sind wir an unserer

Zwischenstation mitten auf dem Land im

Dorf Albhaneri. Die Landschaft wird sehr

viel weitläufiger, ausgedehnte Felder sind

zu sehen und mitten in dieser Landschaft

ein in das Erdinnere bis zu 30 Meter tief in den Felsen gehauener Stufenbrunnen.

Unzählige Treppen führen hinab zum Wasser tief unten, welches dieser Region vor

2000 Jahren das Leben schenkte. Heute ist dieser Tempel verlassen. Ein Zeichen

unglaublicher Baukunst und menschlicher Schöpferkraft. Die Fahrt geht weiter durch

die Landschaft und bei einer kleinen Pause an Steinmetzwerkstätten treffen wir auf 3

Handwerker, die uns eine kleine und freundliche Vorführung liefern, wie sie aus

einem 2 Meter langen Felsbrocken eine Säule

herstellen. Einfachste Geräte und mit Fingern zeigen

sie uns 6-7 Tage an, die sie dafür brauchen. Einer von

ihnen ist schwer an seiner linken Hand verletzt,

sicherlich eine Folge des fehlenden Arbeitsschutzes.

Beim Untergang der Sonne wandern wir dann gute

500 Meter in die verlorene Stadt Fathepur Sikin nahe Agra. Der Mogul Akbar schuf

hier im 16. Jahrhundert ein Bauwerk, das heute Weltkulturerbe ist. Er musste schon

nach 4 Jahren sein erschaffenes Werk aufgeben, da eine Dürre und der Einfall der

Afghanen ihn dazu zwangen. Die Stadt verfiel und wurde in der Gegenwart

restauriert. Der Kaiserpalast in China

könnte hier ein Vorbild gewesen sein.

Unzählige Höfe grenzen aneinander,

wechseln sich mit Funktionsgebäuden,

Mausoleen, Wirtschaftsgebäuden und

Gängen ab. Nach jedem Innenhof gehen

wir durch eine Tür in den nächsten. In der

Zwischenzeit versinkt die Sonne über den

Kuppeln der Anlage im Dunst der

Landschaft. Der letzte Innenhof ist dann

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aber eine Herausforderung an unsere Nerven. Kinderscharen begleiten uns und

wollen Postkarten und Holzelefanten verkaufen. Kein „Nein“ hilft, um ihnen

klarzumachen, dass wir kein Interesse haben. Eine Traube von ihnen begleitet uns

fast 20 Minuten und lässt erst von uns ab, als wir in den Bus einsteigen. Erschöpft

sehnen wir uns Agra entgegen. Doch die Einfahrt in die vor uns liegende Stadt bei

Dunkelheit lässt uns erstarren. Ein Geruch aus verbrannter Plastik, Feuer und

Menschen liegt über allen Straßen. Staubiger Schmutz weht in die Fenster. Dort, wo

die Straße vermutlich war, klaffen Löcher, mit Unrat verfüllt und der Bus schaukelt

durch diese Straßen wie ein Elefant auf 3 Beinen. Sicher fährt uns unser Fahrer durch

diese Hölle. Ein Verkehr, der nicht in Worte zu fassen ist. Autos, Motorroller und

Busse, Fußgänger und Radfahrer, alle quälen sich gleichzeitig durch die viel zu engen

Spuren. Wir brauchen fast eine Stunde zum Hotel. Ein Höllenlärm durchzieht die

Stadt. In den Straßen 8-10 Hochzeitsgesellschaften, wie wir sie gestern in Jaipur

sahen. Heute scheinen die Horoskope für Hochzeiten gut zu stehen, denn Gopal

erzählt uns, dass erst ein Astrologe zustimmen muss, ehe in Indien geheiratet werden

darf. Sein Bruder durfte seine vermittelte Frau nicht heiraten, da das Horoskop einen

frühen Tod einer der beiden Partner vorausgesagt hatte. Das Hotel erscheint wie ein

Fels in der Brandung, wie eine Quelle in der Wüste, wie die Erlösung nach

unendlichen Qualen. Pure Saubereit umgibt uns und alle freuen sich auf Abendbrot

und Schlaf.

Mittwoch, 05.02.2014

Heute werden wir es sehen, das Taj Mahal (gesprochen Täs Mähäl). Bisher nur ein

Traum, diesen Ort betreten zu können. Irgendwie geht aber alles sehr schnell. Gegen

6 Uhr holen uns Pferdewagen vor dem Hotel ab und bringen uns im Halbdunkel

diesem magischen Ort näher. Der Anblick hat Menschen gerührt, sie verzückt, ihnen

ein Lachen ins Gesicht gezaubert oder mythisch auf sie gewirkt. Wir mussten aber

erst einmal durch eine Sicherheitsabfertigung. Kein offenes Feuer, keine Messer, kein

Wasser, kein Kaugummi und keine Zigaretten dürfen den Eingang passieren. Wir

hatten nur Fotoapparat und Stifte dabei. Nach einem kleinen Vorhof und den Weg

durch das Osttor steht es vor uns. Weißer Marmor umgeben von Nebel. Die Konturen

verschwimmen und man ahnt manchmal nur, wo das Bauwerk aufhört und der

Himmel anfängt. Kein Postkartenmotiv aber eins für die Seele. Taj heißt Krone und

Mahal Palast, es ist die „Nachbildung des Paradieses“, ein Grabmal und ein

Touristenmagnet. Es wurde 1631 erbaut und 22 Jahre lang daran gearbeitet. 22

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Kuppeln sind an den Toren zum Taj zu sehen. Zahlenmystik oder Zufall? Wohl eher

nicht, denn eine tragische Geschichte ist der Grund für dieses heutige

Weltkulturerbe. Die Lieblingsfrau des Mogul Shan Jehan starb bei der Geburt ihres

14. Kindes mit nur 39 Jahren. Der Kaiser war mit ihr im Krieg und sie starb in seiner

Nähe, ein Schicksal einer Kaiserin eben. Bevor sie starb, versprach er ihr ein großes

Grabmal und erbaute es auch in besagter Zeit. Durch seine persischen Wurzeln wurde

es eine indoarische Architektur. Akbar scheute keine Ausgaben und erbaute das

Gebäude aus Backstein im Innern und ließ den kostbarsten Marmor aus 400

Kilometer Entfernung heranschaffen. Große Werkstätten befanden sich auf dem

Gelände und die besten Baumeister der Zeit waren vor Ort. Der Architekt ist bis heute

unbekannt. Auch die Legende, dass Akbar am gegenüberliegenden Ufer des nahen

Yamuna ein schwarzes identisches Gebäude für sich erbauen lassen wollte, ist bis

heute nicht beweisbar. Als die Briten das Gebäude 1948 vorfanden, war es dicht von

Bäumen umstellt. Sie ließen diese abholzen und fanden heraus, dass die Türme wie

Minarette gebaut waren, aber nur optische Verschönerung sind. Damit sie niemals

bei einem Erdbeben auf das Gebäude stürzen können, neigen sie sich leicht nach

außen. Heute sind die Fundamente bedroht, da der Fluss nicht genügend Wasser

trägt und der Untergrund austrocknet und weil die Millionen Besucher es durch ihr

Gewicht belasten. Vorbei an der Lady Diana Bank (hier saß sie und ließ geduldig die

Reporter Fotos machen) stehen wir nun direkt davor und sehen, wie die Sonne es

langsam rötlich färbt und der Dunst verschwindet. Die Konturen werden deutlicher.

Der Marmor schimmert und der Blick ist atemberaubend. Grüne Wiesen umgeben

das Taj und kleine Wasserbecken sind künstlich davor angelegt worden. In ihnen

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spiegeln sich die Kuppeln und die vier Minarette. In den Zeiten des Krieges wurde es

mit riesigen weißen Folien überzogen, damit kein Treffer das Gebäude zerstört. Man

vergisst schnell, dass es sich um ein Grabmal handelt. Die Lieblingsfrau war Muslima,

deshalb in dem Land, das seine Toten verbrennt, ein eher ungewöhnlicher

Bestattungsort. Ihr Grab befindet sich in einer Gruft, die wir nicht betreten dürfen. Ihr

Kopf zeigt nach Süden, ihre Füße nach Norden und ihr Mund nach Westen. Wir

bekommen Zeit für einen eigenen Moment an diesem Ort, Augenblicke für Fotos, für

Gespräche mit Touristen oder zum Stillwerden und Träumen. „Dieses Gebäude ist die

Erhabenheit der Form, nicht der Technik.“ So steht es in einem mitgebrachten

Reiseführer. Vom Plateau des Taj aus blicken wir auf den Yamuna, einen Nebenarm

des Ganges, der aus dem Himalaya kommt. Sein Wasser entspringt dort kristallklar,

hier schimmert es schwarz, Plastik und unbeschreiblicher Unrat treiben mit. „In

Deutschland habe ich 2 Mal eine Hupe am Auto gehört, beide Male wegen mir.“ lacht

uns Gopal an. Im Bus erzählt Gopal. „Es war bei meinem Besuch in Deutschland sehr

still auf den Straßen. Da gibt es ein Andreaskreuz, einen Beschleunigungsstreifen,

einen Fußgängerüberweg. Wenn ich Sehnsucht nach Deutschland habe, sehe ich in

mein mitgebrachtes Führerscheinheft und genieße die Vorfahrtsregeln.“ Wir

wechseln gerade über den Yumana und sehen vor uns ein weißes Gebäude, das Mini-

Taj-Mahal. Für die Frau „Das Licht der Welt“, eine Perserin, wurde dieses Gebäude

1622-1628 errichtet und war die Inspiration für das weltbekannte Taj. Es schimmert

wie Elfenbein und der Innenhof ist malerisch gestaltet. Eine Schulklasse in Uniform

winkt uns zu und verlässt den Hof. Wir folgen ihnen langsam. Die Weiterfahrt ist

durch die Rushhour blockiert. Wir stehen lange im Stau und beobachten einen mit

Menschen beladenen Traktor. Sein Anhänger ist zum Bersten mit Menschen besetzt.

Neben uns ein LKW mit Lademulde. Oben

schauen 20 bis 30 Köpfe heraus. Ein

Krankenwagen mit Martinshorn schafft es im

Schritttempo voranzukommen, ob er jemals

sein Ziel erreicht? Mitten im Stau springt

Gopal aus dem Bus und holt von einem Stand

frische Pflaumen und Bananen. Die Pflaumen

sind eine Mischung aus Schlehen und Birnen, die Bananen ein Traum an Geschmack.

Auf einmal hält unser Bus in einer Nebenstraße und wir stehen vor einer kleinen

Kirche mit Innenhof. Den Gang entlang kommt eine kleine indische Frau mit weißem

Ornat und blauen Streifen – so, wie es einst Mutter Theresa trug. Die kleine zarte

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Nonne mit dem zerfurchten Gesicht widmete ihr Leben der Hilfe obdachloser Kinder

und begann damit 1958 in Afrika und Asien. 1997 verstarb sie und erhielt für ihr

Lebenswerk den Friedensnobelpreis. Sie war eine

kritische Stimme der katholischen Kirche und

forderte immer wieder die Geburtenkontrolle,

gerade weil sie als Katholikin lange in Indien

arbeitet. Die Schwester ist ein kleiner Energiewirbel

und führt uns durch das Heim. 80 Kinder,

Jugendliche und Erwachsene mit und ohne

Handikap werden hier betreut. Als sie unsere Tüten

mit Mullbinde, Gummihandschuhen, Waschmitteln

und Seifen sieht, schließt sie schnell einen

Nebenraum auf und bittet uns, diese dort abzustellen. Sie leben von den Spenden,

die andere ihnen geben. Zusammen mit einer anderen Gruppe sehen wir in die

Räume der Kinder. Alles ist sehr sauber und fast still, ein Kind spielt an einer Tür, zwei

Jungs streiten um ein Holzspielzeug, doch schwer lasten die Bilder hier. Bewunderung

steigt auf für diese tägliche Arbeit angesichts des Leides. Aufopferung ist das Motiv,

still und ohne viele Worte. Danach machen wir Rast in einem kleinen Restaurant und

genießen die frühlingshafte Stimmung, die sich wie Balsam auf die wunde Seele legt.

Hier bekommen wir die bestellten Gruppenfotos vor dem Taj Mahal. Eine

unvergessliche Erinnerung für uns. Nach einer ruhigen Mittagspause mit Roti, einem

in Butter getränkten

Brotfladen, starten wir

zum Fort von Agra. Vor

uns stehen Mauern aus

rötlichem Sandstein, die

sich zum Himmel recken.

Ein weiteres

Weltkulturerbe wird heute

zu 1/3 für Besichtigungen

freigegeben und zu 2/3

vom Militär genutzt. Das

Fort scheint perfekt geeignet für Truppenübungen. Wenn die Vorhut sich versteckt,

braucht man sicherlich 3-4 Tage, um sie auf dem riesigen Gelände zu finden. Ich

verliere die Übersicht über Höfe und Hallen, Gemächer und Mosaike. Akbar, den wir

schon aus Fatehpur Sikri kennen, erbaute es 1565. Die Engländer verschanzten sich

darin und restaurierten es im 20. Jahrhundert. Bescheidenheit war nicht ihre Tugend,

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eine große Steintafel berichtet jedem Besucher davon. Für das Abendbrot hatte

Gopal wieder einen genialen Tipp. Ein kleines verstecktes Restaurant hatte „Tappas

für Inder“ – 7-8 kleine Edelstahlschüsseln voller Soßen, Reis und Nachspeise. Dort

schlug die Nachricht wie eine Bombe ein. Unser Zug - Abfahrt Jaipur abends 20.45

Uhr nach Varanasi - hatte bereits 11 Stunden Verspätung. Diese Meldung in einer

deutschen Zeitung über die DB wäre der sichere Tod des Unternehmens. Wir hatten

alle davon schon gehört, dass Busse und Züge im Winter in Indien sehr unpünktlich

sind, jetzt waren wir betroffen. 11 Stunden warfen unser Programm für den

folgenden Tag durcheinander und schnell ging es um Alternativen. Ein Flug ging von

Delhi nach Varanasi, der 100 € kosten würde, doch wie nach Delhi kommen? Unser

Bus musste in der Nacht schon zur nächsten Reisegruppe. Wir beschlossen, auf den

verspäteten Zug zu warten, ein Ersatzhotel zu suchen und dann einen Tag später in

Varanasi anzukommen. Das Hotel wurde von der Agentur vermittelt. Zuvor lud uns

Gopal aber noch zu seiner Frau und Familie ein, die in Agra mit ihm wohnt. Ein paar

Blumen zur Begrüßung waren schnell gekauft und so standen wir vor dem Tor zu

seinem Haus. Seine Frau, eine bildschöne Inderin, begrüßte uns mit Tee und erlaubte

uns Einblicke in ihr Leben. Unglaublich herzlich wurden wir durch die moderne und

aufgeräumte Wohnung geführt und umsorgt. Ein Schweizer Ehepaar, so um die 55,

war gerade gestern angekommen und erzählte von den Plänen der kommenden

Tage. Gopal hat 2 weitere Brüder, die hier mit ihm wohnen. Der Garten wirkt wie eine

Oase der Stille, zugewachsen und liebevoll angelegt. Viel Arbeit hat er in sein Heim

gesteckt. Für uns ein schöner Abend. Wann werden wir jemals wieder die Chance

haben, eine indische Familie zu besuchen? Hier scheint die Welt klein, wir sitzen mit

drei verschiedenen Nationen an einem Tisch und unterhalten uns über unsere

Familien und Länder. Der Anruf der indischen Agentur beendet die Gemütlichkeit und

so starten wir in das „Nothotel“. Ursprünglicher Plan war, gegen 4.00 Uhr aus dem

Hotel zu starten, um gegen 7.00 Uhr in den verspäteten Zug einzusteigen, doch der

Hotelweckruf war keiner.

Donnerstag, 06.02.2014

Unsere Schlafenszeit verlängerte sich

nämlich um 2 Stunden und es war ein

buntes nächtliches Hotelflurtreffen,

weil die Nachricht über unsere

verspätete Abreise nicht bei allen

richtig angekommen war. Das

Frühstück verläuft eher

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homöopathisch – Toastbrot und Ei, dazu Marmelade und Butter – und schon ging es

nach Tundla, dem Bahnhof für Fernreisende in Richtung Kalkutta, nahe bei Agra. In

alten kolonialen Gewändern gekleidete Kofferträger helfen beim Weg zum Bahnsteig.

Innerhalb der nächsten 4 Stunden hören wir immer wieder vom verspäteten Zug, der

dann erst gegen 10.40 einlief. Unzählige Regionalzüge sind schon an uns

vorbeigefahren, Gitter vor den

Fenstern. Die Menschen schauen mit

abgestumpften Blicken heraus und

versorgen sich manchmal mit

Lebensmitteln. Die elektrischen

Leitungen der Beleuchtung über uns

schlagen Funken, weil die Isolierung

fehlt und knistert, Gerüche von

Unsauberkeit und Müll umgeben uns. Immer wieder kommen Menschen und

schauen uns an wie seltene Gäste einer fernen Welt. Ihre Blicke und Geste sind aber

freundlich und höflich. Wir ahnen, dass die vor uns liegende achtstündige Zugfahrt in

der 2. Klasse eine Herausforderung wird. Doch der Zug selbst ist innen überraschend

sauber und es herrscht eine klimatisierte und stille Atmosphäre. Wir suchen hektisch

unsere verstreuten Plätze zwischen den indischen Reisenden, die Koffer werden uns

schnell zugereicht und schon rollten wir an. Im Zug schlafen viele von uns, schreiben

Tagebücher und Notizen, sehen die Bilder der letzten Tage an und hoffen, dass der

Zug keine weitere Verspätung aufbauen wird. „Inder haben Zeit, sehr viel Zeit.“ - so

beschreibt Gopal die Atmosphäre. „Ranikoldre“ klingt es durch den Zug, wenn ein

Mann mit Wassereimer und Wasserflaschen durch den Gang geht. Manch einer kauft

etwas, mancher döst uninteressiert weiter. Trotz Klimatisierung dünsten alle vor sich

hin, Gerüche von Essen ziehen an uns vorbei. Die Zeit verrinnt und wir merken, wie

gut es sein kann, bei unserem vollen Programm auch einfach nur mal Zeit zu haben.

Auf dem Fußboden huschen Mäuse vorbei und versuchen in die Taschen zu kommen,

wir hindern sie daran, indem wir alle Taschen gut verschließen. Das ist Indien, wir

stecken mittendrin und kommen voran. Wir freuen uns auf Varanasi und auch wenn

wir heute die Totenzeremonie am Ganges verpassen, morgen wollen wir uns die

Treppen zum Fluss ansehen. Nach 17 Stunden Bahnfahrt dann endlich die Ankunft.

Unser Hotel wieder schnuckelig und sauber. Um 23.30 Uhr werden wir dort noch zu

einem Abenbrotbüfett eingeladen. Wo in Deutschland wäre das so fröhlich und

gastfreundlich zu dieser Zeit noch möglich. Früh morgens gehen wir zu Bett.

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Freitag, 07.02.2014

Um 6.30 Uhr steht unser Bus bereit und unser Ziel ist der Ganges bei Sonnenaufgang.

Ist es wirklich echt, ganz real? Wir gehen gemeinsam mit unserem buddhistischen

Guide zum Ganges und stehen nach kurzer Zeit an den Ufern dieses Flusses.

Lebensader im Norden

Indiens, religiöses

Heiligtum - denn wer

hier stirbt, geht direkt

den Weg der Erlösung –

Bestattungsort für die

Asche der Verstorben-

en, Kloake für Abfall

und tote Tiere, oder

größter Fluss

Nordindiens. Das alles sind Gründe, in seinem Leben an den Ganges zu reisen. Ein

Hindu sollte es zwei Mal in seinem Leben machen, nach seiner Geburt und vor

seinem Tod, denn die Stadt Varanasi (Stadt des Lichtes) besteht in hinduistischer

Vorstellung seit der Existenz der Erde ewiglich und unzerstörbar. Hier traten die

Lichtsäulen Gottes aus der Erde heraus und machten diese Stelle zum „Mekka der

Hindus“. Historiker sind sich einig, dass diese Stadt eine weit zurückreichende

Geschichte hat, höchstens aber 4000 Jahre alt ist. Nach der Lehre des Hinduismus

gibt es sechs weitere dieser Orte in Indien, die aufgesucht werden können. Das

Wasser des Ganges schimmert rötlich, denn die Sonne geht langsam auf und

erscheint als dunkelrote Scheibe im leichten Nebel. Ein religiöses Treiben wohin man

blickt. Brahmanen sitzen im Turban am Ufer und lassen sich fotografieren. Menschen

steigen halbnackt in den Ganges

und tauchen sich unter. Tiefes

religiöses Handeln verbunden

mit Hingabe und Demut. Wir

bekommen 15 Minuten Zeit für

die Suche nach Fotomotiven.

Mich spricht ein junges Mädchen

an, die Postkarten und Souvenirs

verkaufen möchte. Als ich ihr

sage, dass ich nichts kaufen, sondern einfach nur den Anblick des Ganges genießen

möchte, bietet sie sich als kleine Reiseführerin an. Sie geht mit mir ans Wasser und

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warnt mich, davon zu trinken, beschreibt die religiösen Übungen der Brahmanen und

lächelt mich mit einem Stapel Postkarten an. Diesen kaufe ich für 4€ und frage sie

danach, ob sie nicht in die Schule gehe. Diese beginnt für sie heute erst um 10 Uhr

und sie hat Hindi, Sport und Englisch. Die Schule macht ihr Freude. Sie spricht ein

sauberes und exzellentes Englisch. Charmant, pfiffig, aber auch aufdringlich mischt sie

sich immer wieder in unsere Gruppe, um Karten oder Bindi zu verkaufen. Ihr Name

ist Poona und beim Lachen hat sie tiefe Grübchen. Wir gehen nun auf unser

Ruderboot, das an den Ghattreppen wartet. Gaths sind die Terrassen, die hier

zahlreich zum Ufer führen und von den Hindus genutzt werden, um ins Wasser zu

steigen und dort unterzutauchen, ohne auszurutschen. Von Wasserseite aus

schimmern die Gaths rötlich. Ihre Gebäude sind zum Teil 20 Meter hoch errichtet.

Tausende Menschen stehen hier am oder im Wasser, unzählige Boote sind zu sehen,

manche brummen laut an uns vorbei, unseres wird still von zwei Indern gerudert. Es

ist unglaublich, was sich hier abspielt. Unsere Blicke streifen umher und versuchen zu

begreifen, was hier passiert. Mit den menschlichen Sinnen ganz sicher nicht

nachvollziehbar. Uns wird über das Kastensystem, über hinduistische Götter und über

Verbrennungstechniken erzählt.

Das Verbrennungsghat darf nicht fotografiert werden, wir sind Zeugen, wie dort ein

toter Mensch in einer Prozession zu Verbrennung gebracht wird. Pro Tag verbrennen

hier 200 Leichen. Für die 1000 Kilo Holz, die Duftöle, Gewänder und Tücher

verschuldet sich ein Hindu sehr hoch, umgerechnet etwa 80 €. Vor einiger Zeit

wurden elektrische Verbrennungsöfen installiert, die helfen sollen, die

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Indienbericht Seite 23

Umweltverschmutzung zu reduzieren, doch kaum jemand nutzt sie. Erst ab dem 13.

Lebensjahr wird im Hinduismus der Körper verbrannt. Wer vorher verstirbt, ist noch

zu rein und wird beerdigt oder im Ganges an einem Stein versenkt. Dafür gibt es

einige wenige Friedhöfe im Land. Ganz anders bei den Parsen, persische Inder, wie

der Mann von Indira Gandhi, die als Aas in den Naturkreislauf gegeben werden. Wir

setzten jeder für uns eine Blumenschale mit einer Kerze ins Wasser, während der

Mönch ein Mantra spricht, und sehen zu, wie diese aus unseren Blicken

verschwindet. Ein Ritual, mit dem jeder von uns eigene Gedanken verbindet. Ein paar

Sätze sind mir noch in Erinnerung geblieben, die wir hier hören. “Der Körper ist der

Tempel der Seele. Hindus sind deshalb Fanatiker körperlicher Sauberkeit.“ und uns

umgibt an vielen Orten nur Schmutz und Unrat. Viele Menschen leben im Dreck.

Dieser Gedanke kann nur mystisch gemeint sein. „Varanasi ist das Heidelberg

Indiens“ - eine Stätte philosophischer Fragen also. „Sanskrit ist die ältere Schwester

des Latein.“ - mindestens 3000 Jahre älter, wenn ich richtig rechne. Als wir das Boot

verlassen, lacht uns Poona schon wieder am Ufer an. „I have see you in the boot and

follow you!“ – sieht sie in uns gute Kunden? Warum macht sie das? Auf dem Weg

durch die Altstadt erzählt sie dann, dass sie vier kleine Geschwister hat, in der Nähe

am Ganges wohnt und uns gerne ihre Emailadresse geben würde. Mit krakeliger

Schrift schreibt sie in mein Heft [email protected] und fragt mit absolut

ernstem Blick, ob ich wirklich schreiben werde. Ihr ernstes „realy“ werde ich nie

vergessen. Dann ist sie verschwunden, der Blick auf die Uhr sagt uns, dass für sie jetzt

gleich die Schule beginnt. Unser Weg durch die Altstadt ist ein Hindernislauf. Kühe,

Händler, Kuhfladen, Hunde, Wasserlöcher und tausende Menschen in diesen engen

Gassen haben scheinbar nur ein Ziel - uns am Vorwärtskommen zu hindern. Der Bus

ist in Reichweite und wir

auf der Fahrt nach

Sarnath. Dieser Ort ist

auf ewig mit dem Leben

des Siddhartha Gautama

Buddha verbunden, der

560 v. Chr. in Lumbini

geboren wurde, in Bodh

Gaya seine Erleuchtung

hatte und hier in Sarnath

das erste Mal im Gazellenhain predigte. Buddhas Lebenswerk füllt Bücher und

beschäftigt ganze Klosterschulen. Er schaffte die Kasten ab und gab einen Ausweg aus

dem ewigen Rad des Lebens (Samsara). Die vier edlen Wahrheiten sind seine

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Philosophie, konzentriert auf das Leid als Ursache aller Probleme, welches es zu

überwinden gilt. Durch Meditation scheint es möglich. Nur er wurde ein Buddha und

ging in das Nirwana (nichts/verwehen) ein. Hier in Sarnath stehen wir vor der Stupa,

die an Buddha erinnert und den Resten der Anlage. Eine Frau betet in Richtung Stupa

und verwendet den Perlenkranz mit 108 Perlen. Zahlenastrologie, wie wir hören, ist

der Grund. Die Veden teilen das Kalenderjahr in 4 große Zyklen zu 27 Tagen, daher

die 108. Eine andere Erklärung: 9 Planeten und 12 Sternenbilder. Hier überrascht uns

die Nachricht, dass bereits nachmittags unser Zug nach Darjeeling (gesprochen

Darseling) acht Stunden Verspätung hat. Gopal gibt uns eine Alternative. Wir fahren

um 16.00 Uhr mit zwei Kleinbussen nach Parnath (ca. 300 km) zu einer anderen

nördlicheren Zuglinie und müssen dort um 22.50 Uhr einsteigen. Bis 16.00 Uhr

bekommen wir Freizeit für Mittag und Geldautomaten und dann beginnt eine Jagd

gegen die Zeit, die brutal wird. Unsere beiden Fahrer jagen durch die Innenstädte und

den Verkehr. Hier ist Freitag, die Straßen sind abends alle voll, Traktoren mit

Lautsprechern bepackt lärmen moderne Discoklänge. Jugendliche blockieren die

Straßen, weil sie um den Traktor herum tanzen. Alle Straßen sind mit den Tata-LKW

überfüllt. Sie lassen kaum Platz

zum Überholen und nur mit

Zwang kann an ihnen

vorbeigefahren werden.

Manchmal stockt der Atem, weil

der Gegenverkehr ohnehin mit

Aufblendlicht fährt und keine 10

Meter vor uns auftaucht. Gopal

erklärt uns, dass jeder

Autofahrer weiß, dass er gelyncht wird, wenn dabei ein anderer Mensch stirbt. Das ist

keine Beruhigung für uns. Die Straßen existieren eigentlich gar nicht. Es sind Schotter-

oder Sandpisten voller riesiger Löcher und Absätze. Es staubt unbeschreiblich, alles

knirscht zwischen den Zähnen und der Ford Sprinter springt wie ein Känguru. Als wir

nach Parnat reinjagen, zeigt die Uhr 23.15 Uhr und der Zug wird gerade angekündigt.

Endlich bringt eine Verspätung auch mal Vorteile. Vor dem Zug stehen Hunderte, wir

finden unseren Wagon kaum, stürzen hektisch hinein, die reservierten Plätze sind

nach 30 Minuten gefunden und wir versuchen, die Liegeplätze irgendwie gemütlich

einzurichten. Da hilft nur ein großer Schluck Whisky und die Nacht kommt dumpf

und kalt. Im Wagen läuft die Klimatisierung auf 100 % und lässt sich nicht regeln.

Unsere drei Mitreisenden im Viererabteil steigen nach vier Stunden aus und jetzt

haben wir Platz. Morgens weckt uns die Sonne, wir genießen den Kaffee im Zug.

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Manch eine(r) traut sich an die offenen Lebensmittel zum Verkosten heran. Bohnen,

Erbsen, Zwiebeln werden in alten Blechdosen aus dem Bauchladen serviert. Um 14.00

Uhr sind wir dann endlich am Endbahnhof angekommen, in New Jalpaiguri.

Sonnabend, 08.02.2014

Den halben Tag haben wir heute also in der Bahn verbracht, doch nur so sind wir nun

endlich in der Provinz Sikkim hoch im Norden angekommen. Es war ein langer Weg,

der sich aber sehr gelohnt hat. Die Landschaft ist weit, kaum Schmutz zu sehen,

Reisfelder wechseln sich mit Teeplantagen und Bananenfeldern ab. Wir sehen das

Ende dieser Bahnfahrt herbei und nachdem wir den Bahnhof in Jalpaiguri erreicht

haben, treffen wir dort unseren neuen Guide für Darjeeling. Wir werden auf vier PKW

verteilt und fahren gemächlich zu einem Restaurant. Dort gibt es ein kleines, aber

leckeres Mittag und schnell soll weitergefahren werden, da Darjeeling noch gute drei

Stunden entfernt ist. Bald verlassen wir die Ebene und sehen die Berge auf uns

zukommen. Je höher wir fahren, um so diesiger wird es. Unsere Fahrt beginnt auf 400

Meter und führt uns bis auf 2220 Meter hinauf. Dargeeling hat etwa 100.000

Einwohner und ist für seinen Tee bekannt. Hier wächst er überall, soweit das Auge

reicht. Der Nebel wird immer dichter und mittlerweile ist es dunkel. Bei einem

kleinen Stopp merken wir, dass die Temperaturen auf unter 9 Grad gefallen sind. Die

Tage vorher lagen bei 30 Grad und so werden alle Jacken, Socken und Westen schnell

herausgesucht. Im Dunkel sind Lichter zu sehen und eine kleine gemütliche Stadt mit

niedlichen Geschäften taucht schemenhaft auf. Schnell sind wir am Hotel. Da wir hier

auf über 2000 Meter sind, wird das Tragen der Koffer eine Herausforderung. Wir

japsen wie die

Hunde nach Luft,

als wir die Treppe

geschafft haben.

Die Zimmer sind

gemütlich, im

oberen Bereich des

Hotels gibt es eine

kleinen Bullerofen,

um den wir uns

setzen, denn uns

allen ist kalt hier. Das Abendbrot ist lecker, doch heute verschwinden alle schnell in

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den Betten. Morgen gibt es ein gekürztes Programm, denn alle müssen zu Kräften

kommen und leider soll die Sicht auf den Kangchenjunga durch Nebel versperrt

bleiben. Kurz vor dem Einschlafen klopft es an der Tür und wir bekommen alle eine

Wärmflasche für die Nacht - hot waterboddel für jeden! So schlummern wir schnell in

den warmen Betten ein.

Sonntag, 09.02.2014

Dieser Tag gehört Darjeeling, einer überschaubaren Stadt in der Region Sikkim. Wir

sind nun ganz weit im

Norden gelandet und

genießen die Einöde.

Darjeeling erinnert ein

wenig an eine Stadt im

Thüringer Wald, schmale

Gassen, alles sehr

verwinkelt und wenig Verkehr in den Straßen, die Häuser wie Schwalbennester am

Hang. Entweder es geht eine Straße hoch oder runter. Ebenerdig ist hier wenig. Die

Menschen begegnen uns sehr freundlich, überhaupt nicht aufdringlich und im Hotel

ist es absolut schnuckelig. Auch wenn die Zimmer keinen hohen Standard haben, der

Gemeinschaftsraum mit dem Ofen und einer großen Bibliothek ist ein Ort, wo man

gerne sein möchte. Am frühen Morgen sehen wir durch das riesige Panoramafenster

und zuerst ist es völlig neblig. Als die Sonne den Nebel aufleckt werden alle Gäste im

Raum unruhig, fotografieren und auch wir blicken schnell aus dem Fenster. Die Spitze

des dritthöchsten Berges im Himalaya - der Kangchenjunga - ist zu sehen. Mit Eis

bedeckte Bergkuppen in vielleicht 100 Kilometer Entfernung und 8598 Meter hoch.

Bläulich-weiß schimmernd, in der Sonne glänzend, unendlich klar und scharfkantig, so

liegt er vor uns. Ein Bild zum Träumen. Dann versinkt er schon wieder in Wolken.

Schnell ist das leckere Frühstück verputzt und wir schmeißen uns in warme Sachen.

Draußen sind 5 Grad und wir hüllen uns in warme Schalen aus Jacken, wie eine

Zwiebel. Unten vor dem Hotel scheint die Sonne und wärmt die müden Knochen.

Unser erster Weg führt zu einem kleinen Kloster im Zentrum von Darjeeling. 100e

Gebetsfahnen wehen hier, ein Tempel in der Mitte, natürlich wieder Shiva gewidmet.

Mönche beten, leben hier und pflegen ihre Religion. Der Buddhismus ist sehr beliebt,

so erzählt uns der regionale Guide Bijou, da er die Natur verehrt, so viele Formen hat,

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Bilder zulässt, Musik einschließt, nicht zu viele Vorschriften erhebt. Hier sehen wir

überall Fotos vom Dalai Lama. Im Hotel war er sogar persönlich. Hier in der

Grenzregion sind viele Nepalesen eingewandert und mit ihnen der Lamaismus. Wir

wandern die erste Anhöhe hinauf und merken, wie Puls und Atmung pumpen, weil

wir die Höhe nicht gewöhnt sind. Bald sind wir noch 1500 Meter höher, wie mag es

uns dort ergehen? Das Wetter ein Wechselspiel aus Sonne und kaltem Wind. Zuerst

ziehen wir uns die Jacken aus, im nächsten Moment weht ein eisiger Wind die Hänge

hinauf und mit ihm Wolken zum Greifen nahe, die Sonne verschleiert sich und wir

werfen alle Pullover und Jacken über, die wir haben. Wir ahnen schon, dass wir zu

dünn angezogen sind für die

kommende Bergwanderung. Wenig

später stehen wir an der Haltestation

zur Toy Train (Spielzeugeisenbahn).

Sie gehört zum Weltkulturerbe, denn

sie ist eine der höchsten

Schmalspurbahnen der Welt. Die

Briten errichteten sie 1870, weil sie

ein Transportmittel für den Tee ins Tal benötigten. Bis dorthin braucht sie 9 Stunden

und ist immer eng an den Hang gebaut. Wir fahren mit der Dampflock gute 45

Minuten mit und sind erinnert an den Rasenden Roland. Keine 10 Km/h schafft sie

und müht sich einige Steigungen ordentlich hoch. Von ihrer Endstation auf 2257

Meter geht es zum Kloster Gohm. Hier ist aktiver Buddhismus zu erleben. Im Kloster

werden junge Mönche ab dem 5. Lebensjahr ausgebildet. Für indische Buddhisten

gibt es den Mahayana-Buddhismus, oder auch großes Fahrzeug genannt (unser

Reiseführer sagt dazu „like a bus“) und den Hinayana-Buddhismus, oder auch kleines

Fahrzeug genannt (Reiseführer “like a bicycle“). Beide Wege stehen ihnen hier offen.

Die Bodhisattvas sind dabei eine besondere Form. Sie verzichten im Kreislauf der

Wiedergeburt auf ihre nächste Inkarnation und opfern sich auf für einen anderen

Menschen, um ihm bei seinem Karma zu helfen. Eine Inkarnation aus Mitleid für die

Menschheit. Manchen Menschen fällt es schon schwer, hier und heute Mitleid zu

leben. Wie dann erst für ein kommendes Leben? Am Kloster dann eine Reihe von

Gebetsmühlen. Sie dürfen einfach im Vorbeigehen angestoßen werden und das

Mantra wird dann Wirklichkeit. „Ich setze ein Juwel der Erleuchtung von Lotus in

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mein Herz“. Dieses Mantra steht auf kleinen Zetteln in den Gebetsmühlen und alle

Buddhisten kennen es. Wir erfahren, dass wir an einer buddhistischen Zeremonie

teilnehmen dürfen, also wieder die Schuhe aus und 10 Minuten warten, ehe sich die

Tür öffnet und der

Gebetssaal sich

füllt. Ein großer

Gong wird

geschlagen, Kerzen

entzündet, die

Mönche treten in

die Halle und

verneigen sich vor

der Buddhastatue.

Immer mehr

Mönche betreten den Saal nacheinander und besetzen alle freien Plätze. Die

Trommeln werden schneller, alles um uns ist dunkelrot durch die Gewandung der

Mönche. Plötzlich beginnt ein gemeinsames Murmeln, alle Mönchen sprechen einen

Text nach, zwei Hörner werden geblasen, die Geräusche schwellen an und werden

wieder leiser, dann wird es auf einmal wie eine Melodie, alles wird rhythmisch und

man hat den Eindruck, in einer Welle aus Geräuschen zu versinken. Die ca. 100

Mönche sitzen versteinert, ohne ihr Gesicht zu verziehen und nach 15 Minuten gehen

wir hinaus. Die Zeremonie geht noch 2 Stunden weiter. So lange können wir nicht

warten - Europäer eben durch und durch. Nach der Rückkehr ins Hotel und einem

leckeren Mittag ist der Nachmittag vorgesehen für eine Teeverkostung. In einem

kleinen Laden nahe der Innenstadt sitzen wir zusammen und bekommen in kleine

Glastassen das Getränk der Region. Wo, wenn nicht in Darjeeling möchte man so

etwas gerne ausprobieren? Hier in Darjeeling gibt es 70 verschiedene Anbaugebiete.

Assam ist auch nicht weit und zählt zu den billigeren Anbausorten hier. Die Briten

brachten dieses Getränk heimlich aus China nach Indien über die Grenze mit, eine

Pflanze der Kamelienfamilie. Zuerst

bekommen wir Schwarzen Tee -

first flush (Erntezeit Februar/März),

kaum zu schmecken, fast wie

Wasser. Danach second flush

(Erntezeit April bis September)

schon besser, gefolgt von autumn -

einer Herbsternte - sehr köstlich.

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Grüner und Weißer Tee fallen geschmacklich völlig durch. Danach entdecken wir im

Laden leckere Mischungen und kaufen nach unseren Wünschen ein. Nun ist Freizeit,

wir durchstreifen in kleinen Gruppen oder alleine die Innenstadt und entdecken

kleine Läden mit indischem Whisky, Pullovern, Jacken, Postkarten und abends treffen

alle mit ihrer Beute vor dem Bullerofen oben im Lesezimmer ein. Gemütlich schreiben

einige Karten, lesen oder erzählen, alles ist gedämpft und die Gesichter glühen von

der Luft und der Sonne. Nach dem Abendbrot brechen wir recht schnell auf, denn

morgen geht es um 5.00 Uhr auf den Tiger Hill.

Montag, 10.02.2014

Temperaturen um den Gefrierpunkt begrüßten uns am frühen Morgen, es ist dunkel

und trotzdem hält uns das alles nicht davon ab, heute auf den Tiger Hill, ca. 11

Kilometer von Darjeeling entfernt, zu fahren. Warum trägt ein Berg einen solchen

Namen? Hier lebten einst Tiger, war es der Spitzname eines britischen Offiziers, oder

einfache Fantasie? Für uns der Weg auf einen 2600er Berg, um bei Sonnenaufgang

das Kangchenjunga-Massiv als Teil der Himalayakette zu sehen. Die Auffahrt ist

beschwerlich, Serpentinen ohne Ende und das alles im Konvoi mit vier Fahrzeugen.

Nach 30 Minuten sind wir oben und wandern noch gute 100 Meter. Oben sind viele

Menschen zusammengekommen. Wir mischen uns unter sie und sehen schon einen

rosafarbenen Streifen am Horizont. Wir haben es gerade richtig geschafft. Hier weht

ein eisiger Wind, der durch Mark und Knochen geht. Doch bald wird der rosafarbene

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Streifen immer breiter. Die gegenüberliegende Gebirgskette ist zur unteren Hälfte

von Wolken bedeckt. Wir stehen hier über ihnen und dürfen einem Schauspiel

beiwohnen. Ein Raunen geht durch die Menschenmenge, als ein kleiner Teil der

Sonne seine Spitze über den Horizont reckt. Blitzlichter leuchten immer wieder auf

und die gegenüberliegende Gebirgskette wird goldgelb. Kein Foto kann diesen

Moment festhalten oder wiedergeben. Pures Glück, bloße Bewunderung, endlose

Versunkenheit in den Moment - wenn da nicht die Kälte wäre, die uns in die

Wirklichkeit zurückholt. Welche Gewalten schufen diese Bergkette als Zeugnis einer

Erdgeschichte. Wir weichen von hier nur ungern, doch der Moment ist in die Seele

gebrannt. Das Frühstück gibt die Möglichkeit, wieder warm zu werden, denn der Tag

hat weitere schöne Punkte. Nach kurzer Fahrt stehen wir vor einer Siedlung

geflüchteter Tibeter. Uns wird erst nach und nach klar, was uns hier erzählt wird.

1959 musste der 14. Dalai Lama Tibet verlassen, da China die Religion verboten hat.

Auf 2,5 Mio Km² lebten damals 6 Mio Menschen. Sie flohen, heute leben nur noch

20% dort. Sie dürfen ihre Religion nicht ausüben, da China es ihnen verbietet. Der

Dalai Lama floh nach Dharamsalam (nördlich von Delhi) in den Norden Indiens.

Seinen Panchenlama, der für die Wahl der Nachfolge des 15. Dalai Lama

verantwortlich ist, folterte und

tötete man vermutlich. Sein

Verbleib ist unbekannt. Ein neuer

kann nicht gewählt werden, weil

man nicht sicher sein kann, ob der

echte noch lebt. Ganz sicher ein

Vorgehen mit konkreten Zielen.

Unglaublich, hier fand ein Genozid

statt, der von der Welt beobachtet

und geduldet wurde, nur um die

wirtschaftliche Zusammenarbeit mit

China nicht zu gefährden und die

politischen Beziehungen zu wahren.

Der Lamaismus in Lhasa wurde

ausgerottet. Hier in Nordindien fanden 1,2 Mio. Anhänger eine Heimat, in Nepal 3

Mio. Dieser kleine Ort, den wir besuchen, ist so ein Beispiel. Einfachste Verhältnisse,

in den Räumen eisige Kälte, die Frauen sitzen auf dem Fußboden und knüpfen

Teppiche, Stricken oder spinnen Wolle. Die Männer schnitzen filigrane Ornamente,

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nähen oder helfen den Frauen. Überall hängen Fotos vom Dalai Lama als junger und

heutiger Mann. Eine alte Frau erzählt am Spinnrad sitzend und unser Guide übersetzt,

dass sie mit 2 Jahren hierher kam und große Sehnsucht nach Tibet hat. Sie weiß aber,

dass sie ihre Heimat niemals wiedersehen wird. Ein gezeichnetes Gesicht, das nicht

zur quirligen Erzählweise passt. Unheimlich lebendig spricht die 56 jährige und man

spürt förmlich die Energie ihrer Worte, als sie ihr persönliches Schicksal

zusammenfasst. 25 Freunde von ihr wurden bei der damaligen Flucht umgebracht.

Wir kaufen im Souvenirladen ihre Arbeiten, keine

wirkliche Hilfe aber ein Zeichen unserer Betroffenheit.

Danach geht es weiter in das Himalaya Mounteniering

Insitut. Unter diesem umständlichen Namen verbirgt

sich eine Ausbildungsschule für Bergsteiger im

Himalaya. Angeschlossen ist ein Museum zur

Geschichte des Mount Everest. Zwei Männer, der Inder

Tenzing Norgay und der Neuseeländer Edmund Hillary

machten sich unter der Leitung von John Hunt 1953

auf, um den größten Berg der Erde zu bezwingen.

Damals brauchte Hillary drei Monate

Vorbereitungszeit. Den letzten Weg gingen beide

Männer alleine, die Crew blieb im Basiscamp. Am

29.05.1953 um 10.30 Uhr war es so weit. Als sie

herunterkamen, wird Hillary später berichten, er habe

Tenzing getragen, da dieser erschöpft war und somit

sei Hillary der erste Mann auf dem Mount Everest (der Namensgeber war ein

britischer Vermesser). Beide schweigen lebenslang und Tenzing wird in Indien als

erster Bezwinger, Hillery in England als ebendieser verehrt. Zwei Männer am Ende

ihrer physischen Kräfte schaffen es nicht, in der Weltgeschichte den Ruhm zu teilen?

Lieber gehen sie mit diesem Geheimnis in den Tod, als darüber zu reden. Ganz sicher

Stoff für Bücher und Geschichten, die an Amundsen und Scott erinnern. Waren diese

Herausforderungen für sie ein Krieg, ein Wettlauf, ein Beweis, dass sie leben. Lieber

den Tod in Kauf nehmen, als zu versagen. Auch unsere Zeit kennt solche Menschen,

die Extreme bezwingen wollen. Der Mount Everest heißt auf Nepali Sagarmatha

(„Stirn des Himmels“) und ist dort heilig. Deshalb mussten bis 1959 Anfragen zur

Bezwingung an den Dalai Lama gestellt werden. Heute werden alle Expeditionen hier

in Sikkim/Darjeeling vorbereitet, deshalb hier auch die Ausbildungsschule. Das

Museum berichtet von Abstürzen und missglückten Versuchen, von der ersten Frau

(eine Japanerin) 1975 auf dem Mount Everest und von Reinhold Messner. Der

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Südtiroler verlor ja vor wenigen Jahren seinen Bruder bei der Bezwingung des

Himalayas. Für uns endet hier der Tag, damit wir die nun folgende dreitägige

Wanderung vorbereiten können.

Dienstag, 11.02.2014, bis Donnerstag 13.02.2014

Diese drei Tage bilden den Abschluss unserer Reise. Entfliehen wir doch einfach dem

Lärm der überfüllten Städte und gehen in der Natur wandern, so der Plan. Unweit

von Darjeeling, gute 3 Autostunden entfernt, gibt es ein paradiesisches

Naturschutzgebiet in der Provinz Sikkim. Es ist nur leichtes Gepäck angesagt, denn

unsere Übernachtungen sind in Zelten auf den Höhenzügen geplant. Die kleinen

Rucksäcke sind schnell zusammengepackt und die Fragen werden immer deutlicher.

Wie weit werden wir jeden Tag wandern? Wie hoch werden wir aufsteigen? Wie

werden wir dort oben verpflegt? Doch wie so oft ist die Antwort auf die Frage die

Realität. Wir haben einen regionalen Führer – Bijoy Rai ([email protected]). Er ist

Lehrer an einer Schule in Darjeeling und hat gerade Winterferien

(www.schoolaidindia.org) Nach gut fünf Stunden Fahrt kommen wir auf 2700 Meter

Höhe in Chitray an. Dort erfahren wir, dass unser Ziel heute 3636 Höhenmeter sind.

Damit diese auch geschafft werden, geht es zu Fuß weiter. Diese erste Anhöhe ist als

reines Training vorgesehen, denn den Weg hätten die Jeeps locker fahren können.

Doch wir müssen unsere

Körper an die Höhenluft

gewöhnen. Unglaublich, wie

das Herz nach wenigen

Schritten wummert, der

ganze Körper pumpt und

schnell ist eine Pause

notwendig. Wir kommen

nach einer Stunde

Fußmarsch ordentlich ins

Schwitzen. Dann stehen endlich Jeeps bereit, die uns bis Kalpokang auf 3186 Meter

fahren. Diese Jeeps sind aus Zeiten, die längst vergangen sind. Vieles ist notdürftig

geschweißt, an manchen Stellen leckt Flüssigkeit heraus, alles klappert und wackelt.

Sie fahren noch, doch uns vergeht der Mut. In einem Selbstmördertempo jagen die

jungen Fahrer eine Piste hinauf, die hart am Abhang entlang führt, riesige Löcher in

der Piste werfen uns auf den Sitzbänken in die Luft und die Knochen werden

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Indienbericht Seite 33

durchgeschüttelt. Wir erfahren, dass diese Fahrt drei Stunden gehen wird. Überall

Staub, an manchen Stellen sind Wasserfälle mit Eiszapfen als Zeugnis der kalten

Nächte übrig. Unser Atem ist langsam zu sehen und wir ziehen uns immer mehr

Jacken an. Auf 3186 Meter Höhe eine kleine Pause. Wir erfahren, dass wir jetzt schon

in Nepal sind und die Grenze zu Indien hier ineinander übergeht, weil beide Länder

ein gemeinsames Grenzabkommen haben. Wir müssen unsere Pässe mitführen, falls

eine Kontrolle kommt. Die kleine Pause in einer Holzhütte mit Bänken und einer

einfachen Küche wird zur Kälteprobe. Wir bekommen ein kleines Lunchpaket und

futtern die gekochten kalten Kartoffeln, den Apfel und die Teigtasche heißhungrig in

uns hinein. Dann noch einmal ein großes Stück mit dem Jeep. Die letzten fünf

Kilometer nach Sandakphu müssen erwandert werden. Die Luft ist hier noch dünner.

Manche von uns

kommen an ihre

Grenzen. 60 Schritte

sind zu schaffen, dann

fehlt die Luft. Wir

brauchen länger als

geplant. Ein eisiger

Wind weht durch alle

Sachen. Durch die

Bewegung sind wir

warm, aber sobald wir

stehen bleiben, ist es eisig. Die Sonne versinkt langsam hinter den Bergen und gibt

traumhafte Fotomotive. Im Halbdunkeln kommen wir im Zeltlager auf nepalesischer

Seite an. Wir sind entsetzt, der Wind fegt über die Ebene. Die Zelte hält es kaum in

den Verankerungen. Im Gemeinschaftszelt ist der Tisch aufgestellt. Trotz dicker

Jacken frieren wir, bekommen unsere Schlafsäcke und verschwinden nach einem

leckeren Abendbrot schnell. Die

Nacht wird zur Härteprobe. Die

Wasserflaschen sind am Morgen

gefroren. Es gibt minus 5 Grad in

der Nacht, kaum einer kann

schlafen und zur Ruhe kommen.

Durch die dünne Luft wird das

Umdrehen im Schlafsack ein

Angriff an den Kreislauf. In der

Nacht hören wir, wie das Gemeinschaftszelt zusammenbricht. Der Sternenhimmel ist

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unbeschreiblich, denn hier oben auf 3636 Meter stört kein Stadtlicht. Gegen 6 Uhr

morgens sind wir froh, als wir geweckt werden und diese Nacht ein Ende hat. Uns

allen ist klar, eine solche Nacht überstehen wir körperlich nicht ein zweites Mal.

Deshalb besprechen wir beim Frühstück einen vorzeitigen Abstieg auf eine geringere

Höhe. Morgens sehen wir ein unglaubliches Panorama auf vier über

Achttausenderberge. Der Makalu, der Lhotse, der Mt. Everest und der Kangchenjunga

liegen vor uns. Diese Gebirgskette unter einem azurblauen Himmel, nur ungern

geben wir uns geschlagen. Dieser Eindruck ist auf ewig schön. Für den weiteren Weg

haben wir eine Alternative gefunden. Die gestrigen 6 Kilometer Wanderung stecken

uns in den Beinen. Auch heute liegen 6-7 Kilometer vor uns. Aber wir sinken wieder

auf 2340 Meter. Der Wind lässt schnell nach, wir wandern durch endlose Bambus-

und Rhododendrenwälder, die den Weg säumen. Hier ein Unkraut, das oft

Baumsetzlingen den Platz zum Wachsen

nimmt. Wir machen ganz regelmäßige Pausen

und entspannen uns, denn wir haben

Kopfschmerzen, das Essen will nicht

schmecken und die Glieder sind matt. Nach

einem steilen Abstieg sind wir in Gurdung

angekommen. Hier liegt vor uns ein kleines

Sherpa-Dorf, sehr sauber, übersichtlich und gemütlich. Wir finden hier eine

Übernachtung in einer Lodge. Abends sitzen wir in einem Gemeinschaftsraum am

Feuer und genießen die Wärme des Holzes in einer Radfelge. Eine spannende

Gesprächsrunde über die Sherpas bildet sich. Sehr intensiv und interessant, was wir

hier hören dürfen. Ein Sherpamann, 28 Jahre alt, gehört zu unserem Team, der

gerade ein paar Fotos von seiner Mount Everest Besteigung zeigt. Er war im Mai 2012

und 2013 oben - wir können kaum glauben, was er erzählt. Minus 50 Grad, 45

Kilogramm Last tragend und 2

Monate im Basiscamp lebend,

ehe dann in 15 Tagen der

Everest selbst bezwungen

wurde. Er erzählt die Geschichte,

als wenn er sonntags spazieren

war. Sherpas sind das Volk aus

dem Osten, vermutlich aus

Tibet, sie wanderten im 16.

Jahrhundert ein und sind als ein Trägervolk bekannt geworden. Da sie die enorme

Höhe kennen, haben sie keine Probleme mit der Anpassung. Ihr Blut hat höhere

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Hämoglobinanteile, dadurch kennen sie keine Höhenkrankheit. Ihre durchschnittliche

Lebenserwartung liegt bei sehr einfacher Lebensweise über 80 Jahren. Unser

Himalaya-Man“ - wie wir ihn nennen, weil wir seinen Namen nicht kennen - bekam

knapp 4000 € für die Begleitung eines Everest-Besteigers und bereitet sich schon

wieder für kommenden Mai darauf vor. Seine Fotos zeigt er kurz in der Runde. Ein

Volk, das dient, hilfsbereit und bescheiden ist. Ihre Gesichter sind gleichmütig und

freundlich, keine großen Worte, trotzdem liebevoll und irgendwie traurig. Schnell

ziehen wir uns danach in die Zimmer zurück und können schlafen. Ein tiefer,

schwerer Traum aber zum Glück ohne eisigen Wind. Auch hier gibt es von den

Sherpas ein sehr leckeres Frühstück mit einfachen Mitteln zubereitet. Die letzte

Etappe liegt vor uns und wir merken, dass die Beine immer schwerer werden. Doch

weitere sieben Kilometer müssen bezwungen werden. Wir betreten ein Tal, durch

einen kleinen Bach geformt und voller traumhaften Motive. Eine Art Urwald, der hier

beheimatet ist, voller

Orchideen, Ranken,

exotischer Vögel und

Pflanzen. Die Nadelbäume

sind aus Japan

eingeschleppt worden und

bedrohen die einheimische

Vegetation. Ihre Nadeln in

der Hand zerrieben riechen

wie Tannenbaum. Eine

Hängebrücke überspannt das Tal und Mulihändler überholen uns. Die Glöckchen an

den Tieren hört man noch weit, auch wenn sie schon hinter der letzten Ecke

verschwunden sind. Wir treffen auf einzelne Menschen, die freundlich grüßen. An

einer Stelle ein Rest eines Erdrutsches. Man sieht ein tiefes Loch, Reste eines

zerstörten Hauses, Teile der Straße sind weggebrochen - der Monsun hat hier tiefe

Spuren gegraben. Seine Wassermassen müssen im Sommer die Erde ins Tal gerissen

haben. Wir sehen Häuser, eng an den Hang gebaut, mit bunten Blumen davor. Das

Leben findet im Freien statt, Menschen sitzen vor den Haustüren, erzählen, essen,

grüßen. Der Weg will nicht enden. Dann stehen unsere Autos bereit. Auf der Fahrt

nach Darjeeling schlafen einige ein, so stark waren die Strapazen. Doch die

Wanderung war ein besonderes Erlebnis. Wir sahen eine Landschaft, die unser Herz

erobert hat. Abends erzählen wir viel über das Erlebte, sind frisch geduscht und

freuen uns über die Wärme der Zimmer und die saubere Kleidung.

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Ab morgen beginnt dann unserer Rückreise nach Deutschland. Voller Eindrücke, die

erst einmal in Ruhe verarbeitet werden müssen, kehren wir heim.

Was bleibt nun zu sagen über dieses Land, welches uns 14 Tage lang Heimat war. „Für

Indien ist ein Leben zu wenig“ verabschiedet uns Gopal herzlich im letzten Hotel in

Delhi und er wird wieder einmal Recht haben. Er lädt uns als Freunde nach Indien ein

und verspricht, uns im Mai in Deutschland besuchen zu kommen. Gopal war für uns

ein Gesicht dieses Landes. Er hat uns so viel Persönliches geschenkt und uns

Anteil nehmen lassen. Wie oft musste er aushalten, dass wir Indien mit

Deutschland vergleichen und wie viele passende Worte fand er, uns

genau das auszureden. Wir spüren an jedem Muskel, dass die Fahrt

körperlich anstrengend war, unsere Müdigkeit hat uns die letzten Tage

kaum verlassen und doch ist es nicht das, was letztlich bleiben wird. Es

ist eher eine Sehnsucht nach dieser Gelassenheit des Lebens, die

wir fanden, das bunte Leben in Indiens Straßen als Puls eines

Volkes, die farbenfrohen Saris der Frauen als leuchtendes

Zeichen im Grau manchen Alltages und es sind die tiefen,

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freundlichen Blicke der Menschen, denen wir begegneten. Was wir daraus machen,

das liegt an uns. Wir sagen „Namaste Indien“ und legen beide Hände vor dem Gesicht

zusammen.