Experimentieren in Physikunterricht

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„Einführung in die Physikdidaktik“ Experimentieren in Physikunterricht Silke Mikelskis-Seifert

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„Einführung in die Physikdidaktik“

Experimentieren in Physikunterricht

Silke Mikelskis-Seifert

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Gliederung

Experimentieren im Physikunterricht

Experimentieren in der Schulrealität

Experimentieraufgaben

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Experimentieren als Forschungsinstrument

Es besteht ein sehr verbreiteter Mythos über Beobachtung und Experiment. Das erkennende Subjekt figuriert als eine Art Eroberer vom Typus Julius Cäsars, der nach der Formel veni-vidi-vici seine Schlachten gewinnt. Man will etwas wissen, man macht die Beobachtung oder das Experiment – und schon weiß man es.

(L. Fleck, 1935: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen

Tatsache)

● Wäre ein Forschungsexperiment klar, wäre es unnötig. ● Je „neuer“ ein Forschungsgebiet ist, desto unklarer sind die Experimente. ● Gilt umsomehr für das Beobachten!

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Experimentieren als Forschungsinstrument

Mannigfaltigkeit der unmittelbaren (Sinnes-) Erlebnisse

E

A System der Axiome

S1 S2 S3 gefolgerte Sätze

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Experiment

Naturw. Argumentation

Theorie / Modell

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Experimentieren als Forschungsinstrument

•  Es gibt die typische Methode zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis- gewinnung nicht. •  Jedoch kann man Folgendes über das Experimentieren zusammenfassen:

•  Mithilfe eines Experiments werden im Allgemeinen Ursache-Wirkungs- Beziehungen ermöglicht. •  Es lassen sich die einzelnen Arbeitsphasen zu einem Kreislauf systematisieren:

1. Hypothesen generieren, 2. passende Experimente aufbauen und durchführen und 3. empirische Befunde interpretieren.

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Experimente und Modelle – Säulen physikalischer Erkenntnisgewinnung im

Forschungs- und im Lernprozess

Erhebliche Defizite

im Bereich der Arbeitsweisen sowie beim Experimentierens

Experimentieren – Schlüssel für Erkenntnisse in der Physik

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Entwicklung angemessener naturwissenschaftlicher

Arbeitsweisen

Erwerb physikalischen Fachwissens

Aktuelle Anforderungen

n  Internationale Vergleichsstudien wie TIMSS und PISA:

§  Defizite beim Verständnis von naturwissenschaftlichen Arbeitsweisen §  z.B. nur 3 % der deutschen Schüler auf Kompetenzstufe eines

angemessenen Umgangs mit Modellen (PISA 2000) §  Verbesserung im Bereich der naturwissenschaftlichen Kompetenz (PISA

2006)

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Ausgewählte Probleme:

Experimentieren Schüler beobachten nicht selten etwas anderes als die Lehrkraft erwartet. Schüler interpretieren ein Experiment in aller Regel anders als aus der naturwissenschaftlichen Sicht der Lehrkraft zu erwarten.

Im Unterricht gibt es für Schüler nur wenige Möglichkeiten, eigenständig experimentieren zu lernen.

Im Unterricht werden häufig aus einem einzelnen Experiment recht weitgehende Schlüsse gezogen.

Aktuelle Anforderungen

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Im Unterricht werden häufig aus einem einzelnen Experiment recht weitgehende Schlüsse gezogen.

Problem: Im Physikunterricht geht das Experiment oft der Hypothesenbildung (durch die Schüler) voraus. è Neigung, zur induktiven Interpretation des Verhältnisses von experimenteller Erfahrung und erklärender Theorie Die Gefahr hierbei ist, dass die Lernenden den Eindruck gewinnen, (physikalische) Theorien sind durch Experimente auf Erfahrungen gestützt und daher unumstößlich. è Wie können dann aber gleiche Erfahrungen (Beobachtungen) zu unter- schiedlichen Theorien führen?

Probleme beim Experimentieren

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Lehrveranstaltung „Einführung in die Physikdidaktik“ Silke Mikelskis-Seifert 18. November 2008

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Schlussfolgerung:

Experimentieren

Die Lernschwierigkeiten zeigen sich bei •  dem Suchen von Hypothesen: es gibt nur einen eingeschränkten Suchraum und multiple Hypothesen werden nicht angenommen; •  dem Vorgehen: Variablen werden nicht systematisch kontrolliert, mehrere Variablen werden gleichzeitig getestet; •  dem Entkräften unplausibler Hypothesen: Hypothesenrevisionen sind bei Schülern kaum zu beobachten; •  „Positive Capture“: es werden nur die Daten wahrgenommen, welche die Anfangshypothese bestätigen

Probleme beim Experimentieren

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Das Experiment im Physikunterricht

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Funktionen und Ziele des Experimentierens im Physikunterricht

Fachwissenschaftliche Perspektive

Metawissen- schaftliche Perspektive

Fächer verbindende Perspektive

Psychologische Perspektive Pädagogische Perspektive

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I) Fachwissenschaftliche Perspektive

Funktionen und Ziele des Experimentierens im Physikunterricht:

•  Experiment als Vermittlungsmedium für Fakten, Theorien und Modelle – das Experimentieren lernen •  Experimentieren zum Aufbau fachspezifischer Handlungskompetenz (qualitative Prüfung von Aussagen, quantitative Prüfung von Gesetzmäßigkeiten) •  klare und überzeugende Darstellung von Phänomenen •  Experiment zur Operationalisierung von Begriffen und Größen •  Aufbau physikalischer Vorstellungen •  Experiment als „Filter“ bzw. „Linse“ zum Hervorheben und Ausblenden bestimmter Phänomenbereiche

(vgl. Haspas, 1969, S. 149; Muckenfuß, 1995, S. 339; Reinhold, 1996, S. 18)

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Funktionen und Ziele des Experimentierens im Physikunterricht:

•  Experiment als zentrales Element der naturwissenschaftlichen Methode (Bewusstmachen des Zusammenhangs zwischen Hypothese, Experiment und Theorie)

è Das Experiment wird damit auch zumLehrgegenstand •  Quantifizierbarkeit / Mathematisierbarkeit der Natur •  Vermittlung der Bedeutung wissenschaftshistorischer Meilensteine

(vgl. Kircher/Girwidz/Häußler, 2000, 257 ff.; Muckenfuß, 1995, S. 339)

II) metawissenschaftliche Perspektive

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Funktionen und Ziele des Experimentierens im Physikunterricht:

•  mathematische Durchdringung physikbezogener Problemstellungen •  Herstellung von Bezügen zur Praxis und Technik (Vermittlung praktischer Fertigkeiten z.B. im Umgang mit technischen Geräten) •  Integration moderner Technologien (computergestützte Messdatenerfassung und -auswertung) •  Schaffen von Verbindungen zu nichtnaturwissenschaftlichen Fächern wie Geschichte, Kunst, Sport (z.B. „begehbare Lochkamera“, Bewegungsanalysen beim Sport, ...)

(vgl. Kircher/Girwidz/Häußler, 2000, 257 ff.; Muckenfuß, 1995, S. 339)

III) Fächer verbindende Perspektive

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Funktionen und Ziele des Experimentierens im Physikunterricht:

•  Unterstützung der (intrinsischen) Motivation (z.B. durch Erzeugung „kognitiver Konflikte“ mit überraschenden Effekten und erstaunlichen Phänomenen; Experimentieren als Angebot am methodischer Selbst- bzw. Mitbestimmung; Förderung von Selbstvertrauen durch Schaffen von Erfolgserlebnissen; ...) •  Aktivierung von Lernprozessen •  Unterstützung von Gedächtnisleistungen •  lernpsychologischer Aspekt im Sinne der Theorie des erfahrungsbasierten Lernens / embodied mind: Experimentieren als Stiften sinnlichen Wahrnehmungen

(vgl. Reinhold, 1996, S. 17; Muckenfuß, 1995, S. 339; Lakoff & Johnson, 1999; Gropengießer, 2007)

IV) psychologische Perspektive

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Funktionen und Ziele des Experimentierens im Physikunterricht:

•  Förderung des kausalen und logischen Denkens •  Erziehung zur Sorgfältigkeit, Genauigkeit und Geduld •  Schulung der Beobachtungsfähigkeit •  Entwicklung der Kooperationsfähigkeit •  Förderung kommunikativer Kompetenz (z.B. Fähigkeit zur sachbezogenen rationalen Argumentation) •  Erziehung zur Übernahme von Verantwortung (z.B. beim Umgang mit Geräten) •  Förderung von Kritik- und Reflexionsfähigkeit

(vgl. Muckenfuß, 1995, S. 339)

V) pädagogische Perspektive

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Gliederung

Experimentieren im Physikunterricht

Experimentieren in der Schulrealität

Experimentieraufgaben

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Das Experimentieren in der Schulrealität: eine Videostudie

2 Typen von Unterricht:: •Typ 1: überwiegend Klassengespräch (fragend-entwickelnd), einige wenige Experimente, meist Demonstrationsexperimente •Typ 2: ausgewogenes Verhältnis zwischen Klassengespräch und Experimenten, häufig Schülerexperimente

Zusammenhang mit der Leistungsentwicklung: Für beide Unterrichtstypen finden sich sowohl günstige als auch ungünstige Lernentwicklungen auf Seiten der Schüler

Analyse nach Sichtstruktur

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Das Experimentieren in der Schulrealität: eine Videostudie

•  Es findet sich ein starker Zusammenhang zwischen der insgesamt aufgewendeten Experimentierzeit (Vorbereitung, Experiment, Nachbereitung) und dem Lernerfolg der Schüler. •  Es findet sich kein Zusammenhang zwischen der reinen Experimentierzeit und dem Lernerfolg.

Zusammenfassung

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Das Experimentieren in der Schulrealität: eine Videostudie

•  Der Erfolg eines Experiments hängt wesentlich von der Einbettung in den Unterricht (Vor- und Nachbereitung des Experiments) ab. •  Entscheidend für den Erfolg eines Experiments ist die angemessene Balance zwischen Theorie und Experiment sowie zwischen Instruktion (dem angeleiteten Lernen) und Konstruktion (der eigenständigen Exploration, Diskussion, Planung, Durchführung und Auswertung der Experimente und der Darstellung der Ergebnisse).

Fazit

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§  (Viele) Schülerexperimente allein machen noch keinen guten Unterricht §  Guter Unterricht fordert das Denken heraus. §  Guter Unterricht schafft vielfältige Vernetzungen §  Guter Unterricht bezieht das Vorwissen und die Alltagserfah- rungen der Schüler systematisch ein §  Guter Unterricht thematisiert die vorunterrichtlichen Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler. §  Guter Unterricht bemüht sich um eine intensive Einbettung und ausführliche Diskussion von Experimenten.

Zusammenfassung: Merkmale „guten“ Unterrichts

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Experimentieren in der Schulrealität

Experimentieraufgaben

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Ziel:

•  Schülerinnen und Schüler (14 Jahre) sollen anhand schriftlicher Anleitungen kleine Experimente planen, die Ergebnisse protokollieren, Trends aus den Daten herauslesen und Schluss- folgerungen ziehen. •  Schülerinnen und Schüler sollen selbstständig Versuche durchführen und auswerten, physikalische Vorgänge und Daten mit theoretischen Fachbegriffen verbinden sowie über ihre Problemlöse- und Experimentierverhalten nachdenken und diskutieren.

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

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TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

(Routine-)Verfahren einsetzen Experimente planen, durchführen und auswerten

Problemlösen und Fachbegriffe anwenden

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Beispiel 1: Das Herstellen von Knetklumpen einer bestimmten Masse

•  Teilbereich „Masse“ (Körper und Stoffe / Klasse 6) •  Schülerinnen und Schüler sollen Knetklumpen unterschiedlicher Masse (10g, 15g, 20g und 35g) herstellen und ihre Problemlöse- strategien dokumentieren. •  Zur Verfügung stehendes Material:

•  Knetmasse / Plastikschalen / ein 20g-Massestück, ein 50g- Massestück / Balkenwaage / klebende, farbige Labels für das Beschriften

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

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Beispiel 1: Das Herstellen von Knetklumpen einer bestimmten Masse

Stelle einen Knetklumpen mit einer Masse von 20 g (10g, 15g, 35g) her. Verwende dazu eine Balkenwaage. Nach den Herstellung des Klumpens beschrifte diesen mit „20 g“ („10g“, „15g“, „35g“). Schreib auf, wie du bei der Herstellung des Knetklumpens vorgegangen bist.

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

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Beispiel 1: Das Herstellen von Knetklumpen einer bestimmten Masse

Leistungserwartung: •  Anwenden physikalischer und mathematischer Konzepte (Masse, Proportionalität, etc.) •  mathematisch-naturwissenschaftliches Problemlösen (Abwägen von Knetklumpen) •  Ausführen eines Routineverfahrens (Wägen)

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

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Beispiel 2: Untersuchungen am Gummiband

•  Teilbereich „Kraftmessung“ (Mechanik / Klasse 7) •  Schülerinnen und Schüler sollen die Längenänderung eines Gummibandes in Abhängigkeit vom angehängten Gewicht unter- suchen. •  Zur Verfügung stehendes Material:

•  Klemmplatte bzw. Schreibunterlage mit einem Gummiband / ein Blatt Papier, das auf der Schreibunterlage befestigt wird / Unterlegscheiben / Lineal / Papier für Diagramme

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

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Beispiel 2: Untersuchungen am Gummiband

•  Hänge die Unterlegscheiben nacheinander an das Gummiband. •  Messe die Länge des Gummibandes für jede neue Scheibe. •  Dokumentiere deine Messwerte in einer Tabelle.

•  Stelle deine Messwertergebnisse in einem Balkendiagramm dar. •  Beantworte die Fragen mit Hilfe deiner Messdaten.

•  Wenn 2 Scheiben am Gummiband hängen und du noch 3 weitere dazuhängst, wie lang wäre das Gummiband? •  Beschreibe, wie sich die Länge des Gummibands ändert, wenn du mehre Scheiben daran befestigst? •  ...

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

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Beispiel 2: Untersuchungen am Gummiband

•  Leistungserwartung: •  naturwissenschaftliche Untersuchungen durchführen und auswerten sowie Schlussfolgerungen ziehen (einen Trend beschreiben und begründen, extrapolieren) •  Einsetzen naturwissenschaftlicher Routineverfahrens (Längen messen, Messwerte erstellen, einen Graph zeichnen)

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)

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Beispiel 3: Masse eines Reiskorns

•  Gegeben: Reiskörner; Walkenwaage mit Massestücken

•  Aufgabe:

Bestimmen Sie die Masse eines Reiskornes! Beschreiben Sie, wie Sie dabei vorgegangen sind!

TIMSS-Experimentiertest (TIMSS Performance Asessment)