Expertinnenstandard empfiehlt Hebammensprechstunde

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39 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2014; 66 (1) Deutscher Pflegetag 2014 Vor der Geburt Expertinnenstandard empfiehlt Hebammensprechstunde Die Geburt eines Kindes gehört zu den unvergesslichen Erlebnissen von jungen Eltern. Doch bevor die Wehen einsetzen, haben sie viele Fragen: Wie verläuft eine Geburt? Was lindert die Schmerzen? Ist viel- leicht ein Kaiserschnitt besser? In der Hebammensprechstunde erfah- ren Schwangere, was sie über die Geburt wissen sollten. D er erste Expertinnenstandard für das Hebammenwesen „Förderung der physiologischen Geburt“, der 2013 erschien, empfiehlt Kliniken und geburtshilflichen Abteilungen, Schwan- geren eine Hebammensprechstunde anzubieten. Diese Sprechstunde ermög- licht es der werdenden Mutter, sich vor der Geburt mit den Hebammen vor Ort zu treffen und sich über die bevorstehen- de Geburt auszutauschen. Konkret geht es – immer im Zusammenhang mit der bevorstehenden Geburt - um die spezi- ellen Gegebenheiten in der ausgewählten geburtshilflichen Abteilung. Dabei gibt der Expertinnenstandard bewusst nicht vor, zu welchem Zeitpunkt in der Schwangerschaft dieses Gespräch statt- finden sollte. Es macht zwar Sinn, die Sprechstunde in zeitlich absehbarem Zusammenhang mit der Geburt abzu- halten, doch soll sie auch Frauen in frü- heren Phasen der Schwangerschaft of- fenstehen, um beispielsweise vorhandene positive oder auch negative Geburtser- fahrungen besprechen oder dem sich früh formierenden Wunsch nach einer primären Sectio begegnen zu können. Inhalte einer Hebammen- sprechstunde Die Hebammensprechstunde dient dem Austausch zwischen der Schwangeren und der angestellten Hebamme. Die Schwan- gere bekommt die Möglichkeit, ihre Be- fürchtungen, Ängste und Sorgen, aber auch Erwartungen, Bedürfnisse und Wün- sche zu formulieren und an die geburts- hilfliche Abteilung zu adressieren. Gleich- zeitig erhält sie realistische Informationen zu Abläufen, Ausstattung und Strukturen in der Klinik. Das Geburtserleben von Frauen steht in engem Zusammenhang mit den Erwartungen an die bevorstehen- de Geburt. Da diese Erwartungen der Schwangeren besonders durch ihr privates Umfeld geprägt werden, sollte die Hebam- me in der Sprechstunde genau an dieser Stelle ansetzen. So kann sie Einfluss auf die Erwartungen und Vorstellungen der Schwangeren nehmen und ihr so zu einem positiven Geburtserleben verhelfen. Idea- lerweise kann die Hebammensprechstun- de einen professionellen und realistischen Kontrapunkt zu den durch Laien ge- prägten Erwartungen setzen. Daneben ist es immens wichtig, die Schwangere zu motivieren und ihr die Sicherheit zu geben, dass sie gebären kann. Mit Hilfe von Modellen, Bildern und anderem Anschauungsmaterial kann während der Hebammensprechstunde ein tieferes und besseres Verständnis über die Vorgänge während der Geburt vermittelt werden. Darüber hinaus sind schriftliche Informationen (in verschiedenen Spra- chen) empfehlenswert, damit die Schwan- gere bei aufkommenden Fragen oder Unsicherheiten auch zu Hause noch nach- lesen kann. Gespräche gut dokumentieren Da es im Routinebetrieb eher unwahr- scheinlich ist, dass die Frau zur Geburt © Thinkstock DOI: 10.1007/s00058-014-0125-9

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39Heilberufe / Das P�egemagazin 2014; 66 (1)

Deutscher Pflegetag 2014

Vor der Geburt

Expertinnenstandard empfiehlt HebammensprechstundeDie Geburt eines Kindes gehört zu den unvergesslichen Erlebnissen von jungen Eltern. Doch bevor die Wehen einsetzen, haben sie viele Fragen: Wie verläuft eine Geburt? Was lindert die Schmerzen? Ist viel-leicht ein Kaiserschnitt besser? In der Hebammensprechstunde erfah-ren Schwangere, was sie über die Geburt wissen sollten.

Der erste Expertinnenstandard für das Hebammenwesen „Förderung der physiologischen Geburt“, der

2013 erschien, empfiehlt Kliniken und geburtshilflichen Abteilungen, Schwan-geren eine Hebammensprechstunde anzubieten. Diese Sprechstunde ermög-licht es der werdenden Mutter, sich vor der Geburt mit den Hebammen vor Ort zu treffen und sich über die bevorstehen-de Geburt auszutauschen. Konkret geht es – immer im Zusammenhang mit der bevorstehenden Geburt - um die spezi-ellen Gegebenheiten in der ausgewählten geburtshilflichen Abteilung. Dabei gibt der Expertinnenstandard bewusst nicht vor, zu welchem Zeitpunkt in der Schwangerschaft dieses Gespräch statt-finden sollte. Es macht zwar Sinn, die Sprechstunde in zeitlich absehbarem Zusammenhang mit der Geburt abzu-halten, doch soll sie auch Frauen in frü-heren Phasen der Schwangerschaft of-fenstehen, um beispielsweise vorhandene positive oder auch negative Geburtser-fahrungen besprechen oder dem sich früh formierenden Wunsch nach einer primären Sectio begegnen zu können.

Inhalte einer Hebammen- sprechstundeDie Hebammensprechstunde dient dem Austausch zwischen der Schwangeren und der angestellten Hebamme. Die Schwan-gere bekommt die Möglichkeit, ihre Be-fürchtungen, Ängste und Sorgen, aber auch Erwartungen, Bedürfnisse und Wün-sche zu formulieren und an die geburts-

hilfliche Abteilung zu adressieren. Gleich-zeitig erhält sie realistische Informationen zu Abläufen, Ausstattung und Strukturen in der Klinik. Das Geburtserleben von Frauen steht in engem Zusammenhang mit den Erwartungen an die bevorstehen-de Geburt. Da diese Erwartungen der Schwangeren besonders durch ihr privates Umfeld geprägt werden, sollte die Hebam-me in der Sprechstunde genau an dieser Stelle ansetzen. So kann sie Einfluss auf die Erwartungen und Vorstellungen der Schwangeren nehmen und ihr so zu einem

positiven Geburtserleben verhelfen. Idea-lerweise kann die Hebammensprechstun-de einen professionellen und realistischen Kontrapunkt zu den durch Laien ge-prägten Erwartungen setzen.

Daneben ist es immens wichtig, die Schwangere zu motivieren und ihr die Sicherheit zu geben, dass sie gebären kann. Mit Hilfe von Modellen, Bildern und anderem Anschauungsmaterial kann während der Hebammensprechstunde ein tieferes und besseres Verständnis über die Vorgänge während der Geburt vermittelt werden. Darüber hinaus sind schriftliche Informationen (in verschiedenen Spra-chen) empfehlenswert, damit die Schwan-gere bei aufkommenden Fragen oder Unsicherheiten auch zu Hause noch nach-lesen kann.

Gespräche gut dokumentierenDa es im Routinebetrieb eher unwahr-scheinlich ist, dass die Frau zur Geburt

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die gleiche Hebamme antrifft, die sie schon aus der Hebammensprechstunde kennt, ist eine detaillierte Dokumentation der besprochenen Inhalte besonders wich-tig. Nur so ist gewährleistet, dass die Wün-sche und Vorlieben oder Ängste und Befürchtungen in die Betreuung dieser Frau unter der Geburt einfließen können. Die Dokumentation muss also offen le-gen, welche Themen angesprochen wur-den und welche Einstellungen bezie-hungsweise Präferenzen die Schwangere dazu äußerte. Entsprechend ist darauf zu achten, dass dieses Schriftstück auch der Hebamme zur Verfügung steht, die anwe-send ist, wenn die Frau zur Entbindung in der Klinik erscheint.

Es ist beispielsweise vorstellbar, dass in den Kliniken ein Instrument erstellt wird, das einerseits als Gesprächsleitfaden mit vorgegebenen Themenbereichen fungiert und gleichzeitig der Dokumentation die-ser Inhalte dient. Dabei haben die Kli-niken freie Hand und können eine indi-

viduelle Gestaltung wählen, so dass sich die Dokumentation der Hebammen-sprechstunde in die restliche Dokumen-tation der geburtshilflichen Abteilung einfügt.

Personalplanung und BezahlungHebammensprechstunden sind keine Konkurrenz zu der Arbeit freiberuflicher Hebammen oder niedergelassener Gynä-kologen. Der Hebammensprechstunde wird eher ein beratender und vernet-zender Charakter zugeschrieben. Falls in diesem Gespräch weitere Beratungs- und Hilfebedarfe der Schwangeren offenkun-dig werden, werden sie dementsprechend an freiberufliche Hebammen, niederge-lassene Gynäkologen und andere Berufs-gruppen überwiesen.

Das Angebot einer Hebammensprech-stunde sollte sowohl personell als auch räumlich abgekoppelt vom Kreißsaalbe-trieb stattfinden. Es ist auf eine ruhige und ungestörte Atmosphäre zu achten. Kei-nesfalls sollte es dazu kommen, dass das Gespräch durch lautes Tönen oder Schrei-en aus den angrenzenden Kreißsälen ge-stört wird und die Schwangere durch diese Umgebung verunsichert und ver-ängstigt wird. Die Hebamme, die sich in der Hebammensprechstunde mit der Schwangeren austauscht, „muss Mitglied des Teams der geburtshilflichen Abteilung sein“, damit sie realistisch über Abläufe und Gegebenheiten während der Geburt informieren kann.

Da das Angebot der Hebammensprech-stunde nicht über die Krankenkasse ab-gerechnet werden kann, stellt sie eine

unbezahlte Serviceleistung der Kranken-häuser dar. Zugleich warnt der Deutsche Hebammenverband davor, dass die Heb-ammensprechstunde beispielsweise als „Individuelles Vorgespräch“ als freiberuf-liche Leistung von Hebammen abgerech-net wird. Denn diese Vermischung von freiberuflicher und angestellter Tätigkeit kann beispielsweise Probleme bei der Schweigepflicht mit sich bringen. Die Hebamme darf das, was sie in ihrer frei-beruflichen Tätigkeit erfährt und doku-mentiert, nicht ohne die Zustimmung der Frau an andere Kolleginnen oder die Kli-nik weitergeben.

Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass sich das Angebot einer Heb-ammensprechstunde auf Grund anderer Aspekte für die Klinik bezahlt macht. Einerseits kann sie als Alleinstellungs-merkmal dienen, so dass die geburtshilf-liche Abteilung unter Konkurrenten he-raussticht. Andererseits kann sie zu einer individuelleren und gelungeneren Betreu-ung der Frauen unter der Geburt führen. Und es gibt kaum eine wirkungsvollere Werbung für die Entbindungsabteilung einer Klinik als zufriedene Mütter.

Karin SchmidtHebamme und Pflegewissenschaftlerin [email protected] bei der Autorin

▶ Die Hebamme informiert in der Heb-ammensprechstunde professionell und realistisch über die Vorgänge bei der Geburt und kann so Laienwissen revidieren.

▶ Da es im Routinebetrieb unwahr-scheinlich ist, dass die Frau zur Geburt die gleiche Hebamme antrifft, die sie aus der Hebammensprechstunde kennt, ist eine detaillierte Dokumenta-tion der besprochenen Inhalte beson-ders wichtig.

▶ Es gibt keine wirkungsvollere Wer-bung für die Entbindungsabteilung einer Klinik als zufriedene Mütter.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

Expertenstandards

Seit 1999 besteht das in Osnabrück angesiedelte „Deutsche Netzwerk zur Qualitätsent-wicklung in der Pflege“ (DNQP). An dieser Einrichtung wurden seither sieben Experten-standards erarbeitet, überarbeitet und evaluiert. Expertenstandards sind weit verbreitet und in vielen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen implementiert. Ziel der Exper-tenstandards ist es, ein Qualitätsniveau für einen Themenbereich anhand von Struktur-, Prozess- und Ergebniskriterien festzulegen. Nicht zuletzt die Aufnahme ins SGB XI (§113a SGB XI) haben die Expertenstandards in Deutschland gestärkt und zu weitgehen-der Anerkennung verholfen. Einige Expertenstandards konnten zudem schon gesund-heitsökonomisch auf Wirksamkeit, Kosten und Nutzen hin evaluiert werden, so dass die Pflege inzwischen Erfahrung in der Erstellung und Implementierung evidenzbasierter Qualitätsniveaus vorweisen kann.In Zusammenarbeit mit dem ebenfalls in Osnabrück beheimateten „Verbund Hebam-menforschung“ entstand 2013 der erste Expertinnenstandard für das Hebammenwesen „Förderung der physiologischen Geburt“.

Deutscher P�egetag

Treffen Sie Karin Schmidt am 24. Januar in Berlin. Sie referiert zum Thema „Die Hebam-mensprechstunde als Bestandteil des Exper-tinnenstandards zur physiologischen Ge-burt“.

www.deutscher-pflegetag.de