Fähndrich Besatzung in Der Palästinensischen Lit ZDMG1983

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    FACHGRUPPE 6:

    MODERNER ORIENT UND DIALEKTOLOGIE

    Leitung: Stefan Wild, Bonn

    PALSTINENSISCHE GESELLSCHAFT UNTER

    ISRAELISCHER BESETZUNG.

    ZU ZWEI ROMANEN VON SAHAR HALIFA

    Von Hartmut Fhndrich, Bern

    Vor allem mchte ich Ihnen kurz die Pal-

    stimnserfr&ge klarlegen, wie s ie sich heutelur uns darstellt. Sie i st ein z wiefaches Pro

    blem, ein Problem, das man vielleicht mit

    dem einen Wort charakterisieren kann:

    die Heimatlosigkeit eines Volkes."

    (Cr. Weizmann: Das jdische Volk und

    Palstina. Erklrung vor der KniglichenPalstina-Kommission in Jerusalem am 25.

    November 1936. Jerusalem 1937. S. 5

    [Kursiv Gedrucktes gendert!])

    Heimatlosigkeit, Fremdsein ist ftir die palstinensische Literatur und

    Literaturbetrachtung ein wesentlicher Begriff; gurba, garba und igtirb

    treten in Texten wie bei deren Interpretation immer wieder auf, auch im

    Zusammenhang mit den Arbeiten von Sahar Halifa . . . Betont sei auch,

    da sich die Handlung der zwei Romane Halifas, von denen hier die Rede

    sein soll, innerhalb Palstinas abspielt, teils in Israel, teils im besetzten

    Westjordanland, teils im annektierten Jerusalem. Fremdsein mu also hier nicht heien Auer-Landes-Sein. Fremder sein kann man und ist man in

    Sahar Halifas Romanen auch im eigenen Lande, das eben nicht mehr das

    eigene ist. Fremder sein kann man auch in der eigenen Familie, in der

    Berufsgruppe, in der Gesellschaftsklasse. Fremd sein kann man ebenfalls

    im Hinblick auf kulturelle Traditionen oder im Hinblick auf das, was man

    sich vom Leben erhofft. Fremdsein hat unzhlige Aspekte und der Vorgang

    der Entfremdung unzhlige Grnde.

    Unter diesen Vorbemerkungen darf man wohl die beiden neuesten

    Werke von Sahar Halifa, a^Subbr (Der Feigenkaktus; 1976) und 'Abbd

    dS-Sams (Die Sonnenblume; 1980) als Romane bezeichnen ber dasFremdsein, das Heimatlos-Werden und den Kampf dagegen, und zwar am

    palstinensischen Beispiel.

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    Sahar Halifa ist Palstinenserin. 1941 ist sie in Nablus geboren. Ihr

    Elternhaus war nicht unvermgend, ihr Vater Kaufmann, Muslim. Aus

    ihrer Jugend sind bisher keine einschneidenden Saulus-Paulus-Ereignisse

    bekannt. Sie ging in Nablus zur Schule bis zum Abitur {taubihi) und wm-de

    dann verheiratet. Spter folgte sie ihrem Mann nach Libyen. Einige Jahre

    danach kehrte Sahar Halifa nach Nablus zurck und lie sich scheiden.

    Darauf sorgte sie eine Zeitlang mittels verschiedener Ttigkeiten fr sich

    und ihre beiden Tchter und studierte dann Englisch an der Bir-Zeit-Uni-

    versitt bis zum Abschlu mit einem B.A. im Jahr 1975. Danach war sie

    noch lngere Zeit an der Bir-Zeit-Universitt ttig. Augenblicklich lebt

    Sahar Halifa, nach mehrjhrigem Aufenthalt in Chapel Hill in North Caro

    lina, wo sie ihre Englisch- und Literaturstudien fortsetzte, wieder im West

    jordanland.

    Sahar Halifa ist als Prosaschriftstellerin bekannt geworden, ja, sie

    wurde auch schon als Pionierin der Romanliteratur im besetzten Westjor

    danland bezeichnet. Nur vereinzelt in Zeitschriften hat sie einige wenige

    Gedichte verffentlicht. Die Titel ihrer beiden ersten Romane, Nach der

    Niederlage und Wir sind nicht mehr eure Sklavinnen, umreien schon die The

    men, die im Mittelpunkt ihrer folgenden zwei Werke, Der FeigenJcaktus und

    Die Sonnenblume, stehen. Der erste Roman, Nach der Niederlage, ist nie

    erschienen. Die Isrealis nahmen ihn der Autorin als Manuskript 1969 an

    der Jordanbrcke ab. Der zweite, Wir sind nicht mehr eure Sklavinnen {Lam

    na'ud lakum ^awri) wurde 1973 in Kairo verffentlicht, ohne jedoch groe

    Reaktionen auszulsen. Darin stellt die Autorin das Milieu der Bourgeoisie

    des Westjordanlandes in Vor-mfoa-Zeit, also vor 1967, dar. Mit den beiden

    Romanen schlielich, deren Titel der Flora entnommen sind, asSubbr

    und 'Abbd aS-Sams, begrndete Sahar Halifa ihren Ruhm als Prosaschrift

    stellerin, der es in diesen beiden Werken gelungen ist, die Vernderung

    innerhalb der gesamten Gesellschaft im Westjordanland unter dem Einflu

    zunchst nur der israelischen Besetzung, dann der immer strker werden

    den Annexionstendenzen darzustellen.

    Die Handlung dieser beiden Romane ist, krzestmglich zusammenge

    fat, folgende:*

    In a^-Subbr kehrt Usma, ein etwa fnfundzwanzigjhriger junger

    Mann, ins Westjordanland zurck, das er unmittelbar nach der naksa, der Niederlage von 1967, verlassen hat. Fnf Jahre sind seitdem vergangen,

    und das Bild Usmas' vom Westjordanland hatte inzwischen hinreichend

    Gelegenheit, in romantische Sphren zu entschweben. Die Wirklichkeits

    ferne seiner Vorstellungen war auch durch Kontakt mit gewissen Wider

    standsgruppen im Ausland gefrdert worden. Doch schon die Fahrt zur

    Grenze, dann der Grenzbertritt, das Verhalten der israelischen Grenzsol

    daten und der Palstinenser an der Grenze leiten eine Desillusionierung bei

    * a?-$ubhr. Beirut: Dr Ibn Rud ^1978: Deutsch: Der Feigenkaktus. Aus dem Arabischen bersetzt und mit einem Nachwort von Hartmut Fhndrich. Zrich:

    Unionsverlag 1983. 'Abbd aS-ams. Jerusalem: Dr al-Ktib 1980.

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    Usma ein, die aber auch spter fur sein Denken und Handeln folgenlos

    bleibt. Er wird zwar auf die Erde herabgeholt, aber er will die Wirklichkeit

    nicht wahrhaben:

    Nach fnf Jahren betrat Usama nun zum ersten Mal wieder das Westjordanland. Das Wiedersehen war anders als er es sich vorgestellt und ausgedacht, aus

    gemalt und zurechtgelegt hatte. Er hatte das Gefhl, das Westjordanland sei auf

    das A usma einer Flasche geschrumpft und seine Seele, die sich immer wieder in

    den Sphren zrtlicher Sehnsucht verlor, sei vom siebenten Himmel gefallen.

    Seine leidenschaftlichen und lebhaften Phantasien, mit denen er whrend langer,

    fruchtloser, entbehrungsreicher Jahre gelebt hatte, und seine Trume, die ihn

    jeden Abend zur Brcke und ber die Brcke trugen . . ., all das war wegge

    wischt. Nichts war brig in seiner Erirmerung, nur eine Folge von Bildern und

    Wrtern. . . .

    Whrend er ins Auto stieg, schaute er sich um. Das Paradies lag zu seinen

    Fen und vor seinen Augen. Doch er war zum Gefangenen dieser Flasche geworden." (S. 23 bzw. 23)

    Danach macht Usma mit der westjordanischen Wirklichkeit nach fiinf

    Jahren israelischer Besetzung Bekarmtschaft. Er mu zu seiner berra

    schung erfahren, da die Haltung der Bevlkerung nicht seiner Vorstellung

    von ^wnd, von Widerstand, oder von rh al-muqwama, vom Geist des

    Aufbegehrens, entspricht. Die Leute befassen sich mit Alltagsproblemen,

    essen aus Israel importierte Nahrungsmittel, rauchen imperialistische

    Kent-Zigaretten, und sogar die Person, die ihm immer am nchsten stand,

    sein Vettter 'Adil, sagt beim Wiedersehen auf die Frage, was er so treibe:

    Ich beuge mich dem Leben." (S. 33 bzw. 32)

    'dil wird darm auch Usmas groes Problem. Usma hat nmlich den

    Auftrag mit ins Westjordanland gebracht, Anschlge gegen Arbeiterbusse

    durchzufhren, um die in Tel Aviv arbeitenden Palstinenser von diesem

    dem Feinde ntzenden Tun abzubringen. Doch auch 'dil, Sohn eines

    Grundbesitzers und Lokalnotabeln, geht seit einigen Monaten in Tel Aviv

    arbeiten, da ihm seine Arbeiter von der Plantage fortgelaufen sind. Die

    Plantage verkommt. Doch Usma nun hat erstens noch ein ausgeprgtes

    Klassendelsen, zweitens eine starke emotionale Bindung an 'Adil.

    Wochen vergingen, doch Usama konnte keinen seiner Plne in die Tat u msetzen. Nicht einmal Adel koimte er erreichen. Auch war er nicht in der Lage, seine

    geheimen Auftrge auszufhren. Zweierlei ri ihn hin u nd her. Zwar war er fest

    davon berzeugt, da man alle Egged-Busse hochgehen lassen msse. Auch da

    die Arbeiter die urieilvoUe Rolle, die s ie spielten., aufgeben mten. Doch die

    unvorhergesehene Gegenwart Adels in diesem elenden Mieu strzte ihn in einen

    erbarmungslosen Zwiespalt. Er versuchte krampfhaft, sich davon zu berzeugen,

    da Adel nur einer von Tausenden sei. Auch sei die Mglichkeit, da es Adel im

    Verlauf eines der geplanten Unternehmen treffen knnte, Teil des groen Opfers,

    welches er auf sich genommen hatte. Er war schlielich ein engagierter Mensch,

    und Gefhle waren in Fllen wie diesem abzulehnen. Was wre, wenn Adel

    umkme? Was wre, wenn zehn wie er umkmen? Der Einzelne zhlt nicht, wo esum die Gemeinschaft geht. Und Adel war auch nur ein Einzelner.

    Doch darm fiel ihm ihre gemeinsame Kindheit wieder ein."

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    Whrend dieser Zeit geschehen alltghche Vorgnge. Diese werden

    nicht nur dargestellt, sondem die Autorin lt in krzeren und lngeren

    inneren Monologen die handelnden Personen diese Vorgnge auslhrlich

    reflektieren. Und alle erscheinen - entweder selbst auftiretend oder von

    jemandem erwhnt -, alle, die auf die eine oder andere Weise die gesell

    schaftlichen und wirtschaftlichen Folgen israelischer Besatzungs- und

    Annexionspolitik verkrpem. Es gibt Demonstrationen und Ausgangssper

    ren. Die Autorin fhrt den Leser in die Welt der palstinensischen Arbeiter

    in Tel Aviv, samt der Auseinandersetzung mit israelischen Arbeitern; sie

    fhrt auerdem in die ja (auch quantitativ) sehr wesentliche Welt des

    Gefngnisses; ebenso ins Zuhause der Arbeiterschaft und der Bourgeoisie

    - letzteres in Form von 'Adils Familie, den al-Karmis, wo der Vater - mit

    tels einer knstlichen Niere berlebend - ein Tyrannenregiment fhrt,

    gegen das sich mu* der halbwchsige Sohn Bsil allmhlich aufzulehnen

    wagt.

    Fiu- den Vater ist die Welt eigentlich noch in Ordnung, das heit sie wre

    es, wenn nur die Besetzung zu Ende wre. Sein Beitrag zu ihrer Beendi

    gung besteht darin, vor auslndischen Journalisten von den Schrecken der

    Besetzung zu lamentieren und von den frheren Heldentaten der Araber zu

    schwrmen. Alles wre wieder schn und gut ohne die Besatzimgsarmee.

    Fr die Verndemngen, die sich um ihn herum abspielen, will er, ebenso

    wie die anderen Reprsentanten seiner Klasse, nicht verantwortlich sein.

    (Die Arbeiter im Roman machen das Gegenteil deutlich.) Fr ihn werden

    die Arbeiter von den Besatzungssoldaten gezwungen, in Israel arbeiten zu

    gehen. Auch sein Rollenverhalten als Vater, zumal als Vater einer Tochter,

    ist fast bis zum Schlu von a^-Subbr ungebrochen.

    Gegen Ende des Buches kommt Usma bei einem Anschlag gegen Arbei

    terbusse um und mit ihm fr die Autorin offenbar die Vorstellung, der

    Widerstandskampf sei auf seine Art zu fhren. Bsil dagegen tut die ent

    scheidende und zukunftweisende Tat. Er hatte durch sein Verhalten und

    dessen Folgen schon zuvor einen tatschlich hufig anzutreffenden Weg

    angedeutet: Bei einem Spektakel von Kindern und Jugendlichen auf der

    Strae wird er zum erstenmal aufgegriffen; im Gefngnis nimmt er Kon

    takte auf; wieder drauen begiimt er in Zusammenarbeit mit Usma aktive

    Arbeit fr den Widerstand, die ihn dann lngerfristig ins Gefngnis bringt.Doch zuvor bringt er noch in einer abschlieenden Auflehnung die Fami

    lienfassade aus Lge und Heuchelei zum Einstrzen, die Israelis kurz

    darauf ihr bauliches Symbol, das herrschaftliche Haus, aus dem 'dil sich

    weigert, die knstliche Niere herauszuholen. Bsil taucht unter.

    'Abbd aS-Sams spielt sieben Jahre spter. Die P ersonen sind dieselben,

    zustzlich einer ganzen Anzahl neuer und abgesehen von denen, die im Ver

    lauf der Handlung von aj-

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    tionelle arabische Miheu in Nablus. Auf beiden Schaupltzen werden, wie

    zuvor in a^-Subbr, durch Darstellung (samt Reflexion) und Verknpfung

    einer Flle von Einzelepisoden und Einzelvorgngen, wie sie auch aus

    anderen Dokumenten ber das tagtgliche Leben in den besetzten Gebieten bekaimt sind, verschiedene Wege von ^umd gezeigt, von Arten des

    Ausharrens trotz aller Widrigkeiten, trotz allen Drucks. 'dil ist auch hier,

    teils durch seine Prsenz, teils durch uerungen anderer ber ihn, die

    eigentliche Hauptperson - schon in 04- ubbr zeigt seine Darstellung Ten

    denzen zur Verklrung. Seine Art, mit der Besetzung fertigzuwerden, in

    steter Beharrlichkeit und trotz aller Zweifel, die ihn wahrscheinlich oft qu

    len, fr ein Zusammenleben zu arbeiten, wird im ersten wie im zweiten

    Roman als beispielhaft in den Vordergrund gerckt.

    Eine Reihe von Themen aus dem Bereich der tagtglichen Vorgnge

    zeigt, da 'Abbd aS-Sams sieben Jahre nach a^-$uhbr spielt, die Wirklich

    keit im Westjordanland hat sich weiter drastisch gewandelt: Es ist von dem

    gewaltigen Grtel von Stadtrandberbauungen um das ltere Jerusalem

    herum die Rede; es gibt jdische Siedlungen in der Nhe von Nablus und

    auch den Kampf ums Wasser", einen wahrhaft ungleichen Kampf; es wird

    auch von den Personen im Roman noch viel mehr ber Auswanderung

    nachgedacht und ber deren Folgen gesprochen: die Frauen, zumal die

    lteren, bleiben zurck, der Araberanteil in der westjordaichen Wohnbe

    vlkerung im Arbeitsalter reduziert sich.

    Noch ein weiterer wichtiger, vielbeachteter und mehrfach kritisierter

    Aspekt kommt hinzu, an dem sich die weltanschauliche Entwicklung der

    Autorin seit der Verffentlichung von a^-Subbr ablesen lt - die Frage

    der Frauenemanzipation im Rahmen der arabisch-palstinensischen

    Gesellschaft. Der Vorgang wird besonders an drei Frauengestalten gezeigt:

    Da ist zunchst Rafif, 'Adils Kollegin bei der Zeitung al-Balad und seine

    gute Freundin; da ist dann Sa'diya, die Witwe Zuhdis, des in a^-$ubbar im

    Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Busse umgekommenen Arbei

    ters, die nun mit Heimarbeit-Nherei ihren und ihrer Kinder Lebensunter

    halt verdient; und da ist schlielich Hadra, Opfer der Geschichte Palsti

    nas seit 1948 und Auenseiterin einer oft brutalen Mimergesellschaft mit

    stark moralisierenden Tendenzen. Besonders die Entwicklung Rafifs, der

    Intellektuellen, und Sa'diyas, der Arbeiterwitwe, sollen offenbar Wege auf

    zeigen, die mit Energie und Willenskraft fiir Frauen gangbar und fr die

    Gesellschaft ntzlich sind, eben Wege des ^umd. Hadra dagegen, die

    Auenseiterin und Prostituierte, und Nuwr, 'dils Schwester, die schon in

    a^-Subbr auf die Freilassung Slihs, ihres eingekerkerten Geliebten war

    tete, werden offenbar als nicht sinnvolle Wege gehend dargestellt und des

    halb sehr marginal behandelt.

    Die Beschftigung Sahar Halifas mit der Frauenfrage hat ihr vehemente

    Kritik eingetragen, zumal da sie diese Frauenfrage, die Frage nach Rolle

    und Behauptungsmglichkeit von Frauen innerhalb der palstinensischen

    Gesellschaft, der politischen Frage nach Unabhngigkeit nicht unter-, sondern beiordnet und sagen kann: Wir wollen nicht nur ein befreites Land,

    wir wollen ein befreites Leben." Die Kritik kommt dann von Leuten,

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    welche allen gesellschaftlichen Druck nur als Ergebnis der politischen

    Lage, das heit der israelischen Besetzung sehen.

    Das Ende der Handlung von 'Abbd aS-Sams, ein Tumult in Nablus, an

    dem israelische Soldaten, palstinensische Intellektuelle, palstinensische

    Arbeiter und Frauen und israelische Oppositionelle beteiligt sind, ist eine

    eindrucksvolle Synthese der Zustnde im Westjordanland und, aufgrund

    der Kontaktnahme verschiedener Gruppen in ganz Palstina, gleichzeitig

    Ausdruck einer deutlichen Zukunftsvision der Autorin.

    Es ist also ganz Palstina, das hier dargestellt wird, Palstina vom Jor

    dan bis zum Mittelmeer. Insofern entspricht das geografische Palstinabild

    hier weitgehend der alten Definition, wie sie beispielsweise schon bei Jqt

    zu finden ist:

    Filastin umfat die Randregionen SjTiens in Richtung gypten. Seine

    Hauptstadt ist Jerusalem. Andere berhmte Stdte dort sind 'skaln (alsoAschkelon), ar-Ramla, Gaza, Arsf, Qaisariya (also C sarea), Nblus, Arih (also

    Jericho), 'Amman, Jfa . . . Anders definiert bildet es die erste MUitrganuson

    Syriens von Westen her."

    Es ist zu Pferd drei Tagesreisen lang, und zwar von Rafah, das aufder Seite

    nach gypten zu liegt, bis nach al-Laggn, das auf der Seite zum Syrischen Gra

    ben zu liegt. Auch seine Breite betrgt, von Jfa nach Arib, drei Tagesreien . . .

    Der grte Teil des Landes ist Bergland und Flachland mit wenig darauf"

    Dieses Palstina ist sehr prsent, gerade auch physisch, durch das Erle

    ben der Personen hindurch: Die Erde wird berhrt, tastend erlebt; Gerche

    gibt es, die in der Erirmerung fortleben; und die Flora erscheint ausgiebig -

    Bume, Blumen, Frchte . . .

    Doch dieses Palstina ist vom heutigen arabisch-palstinensischen

    Blickwiifel aus betrachtet. Nablus, Stadt traditioneller arabischer

    Lebens- und Denkweise, ist Hauptschauplatz beider Romane. Dort exi

    stiert die palstinensische Gesellschaft, in der aufgrund der Besetzung

    einige Vernderungen ins Rollen gekonunen sind: Die alte Grund- und

    Manufakturbesitzerschicht verkmmert zur Fassade ihrer selbst. Wegen

    schlechter Behandlung und ausbeuterischer Bezahlung und wegen wirt

    schaftlicher Vemachlssigung des Westjordaidandes laufen die Land- und

    Werkstattarbeiter fort imd gehen als Arbeiter nach Israel. Beim Gesprch

    mit einem alten Landarbeiter, dem Vater eines Spielkameraden aus frhe

    rer Zeit, erhlt Usma eine rechte Lektion:

    Usama fragte: 'Warum arbeitet Schahada nicht hier aufder Orangenplanta

    ge?'

    Der alte Mann meinte gleichgltig: 'Dort ist's besser.'

    'Dort ist's besser? Was soll das heien, Alter? Dort ist es besser!'

    Dort ist's besser. Es g ibt viel Geld. Es ist was los. Niemand sagt: Hierher,

    Hundesohn. Niemand: Hau ab, Scheikerl. Dort ist's besser. Es gibt viel G eld,

    viele schne Sachen, gemtliche Arbeit. Es gibt k einen Vorgesetzten. Niemand

    macht dich fertig und lt dich von morgens bis a bends wie einen Esel schuften.*

    'Aber die Orangenplantage, Alter. Wem haben sie die berlassen?'

    Der alte Marm liob das Haupt, verscheuchte eine Mcke von seinem Gesicht

    und antwortete mit seinem Lieblingsausdruck: 'Wei ich's?'

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    Pltzlich blieb [Usma] stehen und schrie: 'Wem gehrt denn dieses Land,

    mein Herr, Verehrtester? Wem gehrt denn dieses Land?'

    Der alte Mann erwiderte zornig: 'Dem, dem's gehrt, Effendi! Warum so auf

    gebracht? Ich bin ein Lohnarbeiter, mein Herr. Mein ganzes leben lang war ichLohnarbeiter. Ich hab nie Land besessen oder sonst was. Auch mein Sohn war

    immer Lohnarbeiter und ist's noch. Und solange das Land nicht mir g ehrt und

    nicht Schahada, warum sollten wir drauf sterben? Als wir vor H unger krepiert

    sind, hat keiner nach uns gefragt. Jetzt fragt ihr. Warum?'

    Somit stellen die Arbeiter das Bindeglied zu dem anderen Teil Palstinas

    dar, zu Israel, gezeigt am Beispiel Tel Avivs, in beiden Romanen Neben

    schauplatz, gekermzeichnet durch die Errungenschaften der modernen

    Industriegesellschaften: Lrm, Hektik, Produktivitt und eine brokra

    tisch formalisierte Menschenfeindlichkeit. Auch bei der im israelischen

    Teil Palstinas vorherrschenden Bevlkerung, den Juden, werden Klassenunterschiede aufgezeigt, und die Frage, wieviel mehr ein palstinensischer

    mit einem israelischen Arbeiter gemein habe als mit dem palstinensischen

    Ausbeuter, durchzieht beide Werke. Ja, es ist die eigentliche Erwartung,

    die in den Romanen zum Ausdruck kommt, da die Zukunft ganz Palsti

    nas durch einen Klassen-, nicht durch einen Rasseisampf bestimmt ist.

    In 'Abbd aS-Sams kommt ein weiterer Hauptschauplatz hinzu, Jerusa

    lem, gedacht hier als kulturelles Zentrum auf der Scheideliie zwischen

    den beiden groen Teilen Palstinas.

    Grafisch dargestellt sieht dieses Palstina, wie es in Sahar Halifas

    Romanen erscheint, etwa folgendermaen aus:

    PALSTINA

    Tel Aviv

    -->

    ._L >

    Nablus

    ^

    Jerusalem

    jdisch (mehrheitl.) arabisch

    unter jdischer/israelischer Herrschaft

    Die unterschiedlichen Pfeile der Skizze symbolisieren die Bewegungen

    oder die Bewegungsmglichkeiten der Bewohner: So ist fiir israelische

    Staatsbrger Aus- und Einreise problemlos (einmal abgesehen von der Reisesteuer). Israelische Staatsbrger kimen auch beliebig in die besetzten

    Gebiete" reisen und dort in wachsendem Mae auch sehaft werden.

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    Anders die Bevlkerung der besetzten Gebiete". Sie knnen ziun Arbeiten

    nach Israel, mssen aber danach wieder zurck ins Westjordaiand. Sie

    kimen auch das Westjordanland verlassen, um anderswo zu leben und

    dem Druck zuhause zu entgehen. Eine Rckkehr gestaltet sich aber allemal

    sehr schwierig.

    Doch bricht bei allen Schwierigkeiten zwischen den beiden Teilen Pal

    stinas und trotz aller degradierender Behandlung des arabischen Bevlke

    rungsanteils durch den jdischen immer wieder die Hoffnung auf eine mg

    liche Lsung, auf einen modus vivendi durch, genhrt durch Kontaktmg

    lichkeiten zwischen den zwei Bevlkerungsgruppen. Und auf der Grenze

    zwischen dem Staat Israel und dem Westjordanland, eben in Jerusalem,

    entsteht, bzw. lebt eine neue Gruppe palstinensischer Bevlkerung, Intel

    lektuelle verschiedenster ideologischer Provenienz und Prgung, darge

    stellt in erster Linie in Form des Redaktionsteams einer Zeitung, innerhalb

    dessen die unterschiedlichsten politischen und weltanschaulichen Positio

    nen zum Ausdruck kommen. 'dil ist, zusammen mit seiner Kollegin Rafif,

    auch hier die zentrale Gestalt. Er ist, durch a^-Subbr und 'Abbd aS-Sams

    hindurch einen langen Weg gegangen, z.T. auch gestoen worden: Einst

    als ltester Sohn eines Grundbesitzers verantwortlich fiir die Plantage, war

    er zum Arbeiter unter Arbeitern, auch seinen eigenen ehemaligen, gewor

    den. Auch da hat er nie seine berzeugung aufgegeben, da Beharrlichkeit,

    Ausdauer und Ausharren, eben ^umd, zum Ziel fiihren werden. Dann

    wurde er Journalist, konnte seine berzeugung in der Zeitung darlegen,

    konnte auch mit der anderen Hlfte der Bevlkerung Palstinas, den

    Juden, in Kontakt treten. Doch auch dann findet er immer wieder den Weg

    zurck nach Nablus, in die Gesellschaft, die sich wandelt, zu den Leuten,

    die ausharren. Sie sind seine Hoffnung fr ein gemeinsames Leben im Pal

    stina von morgen. Aber es sind die ngste, die Sahar Halifa an einer Stelle

    Sa'diya, die Arbeiterwitwe, artikulieren lt, die vielleicht eher die

    Zukunft Palstinas bestimmen werden. Sa'diya macht sich Gedanken ber

    ihre eigene Zukunft, eine Zukunft, die Modellcharakter hat:

    Da sitzt sie in ihrer Ecke auf der Bank beim Fenster, kaut an i hrer Traurig

    keit und an i hrer Einsamkeit, lt die Vergangenheit an sich vorberziehen,

    denkt ber die Gegenwart nach und malt sich aus, welch schreckliche und trost

    lose Zukunft ihrer harrt: Bald sind die Kinder gro. In drei Jahren wird Hamadasein Examen machen; dann wird er in Saudiarabien oder am Golf a rbeiten gehen,

    um zur AusbUdung seiner Geschwister beizutragen und auf ein eigenes Haus zu

    sparen. Danach wird ihm Dschamal folgen, dann Samija, dann Raschad und

    schlielich der kleine Asis. Hierhin und dorthin werden die Kinder verstreut sein,

    und sie wird allein in ihrem Haus, da o ben auf dem Berg, sitzen. Sie wird mit ihrer

    Nherei aufhren, sobald die Jungen eine Stelle gefunden haben und Samija ver

    heiratet ist. Doch sie wird unter der Einsamkeit leiden, und Jahre zu frh wird sie

    eine alte Frau sein."

    Es ist diese Entwicklung, die auch in der Presse und in statistischen Stu

    dien ber Palstina immer mehr in den Vordergrund tritt. Einer groeninternationalen Tageszeitung war am 28. Dezember 1982 beispielsweise

    folgende lapidare Information zu entnehmen:

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    Palstinische Gesellschaft unter israelischer Besetzung 209

    Mehr als 100000 Palstinenser sind seit 1974 aus dem Westjordanland

    ausgewandert, um sich in Saudiarabien, Jordanien und den Golfstaaten

    niederzulassen. Das geht aus einer jetzt verffentlichten Studie der Bank

    von Israel ber die wirtschaftliche Entwicklung in den seit 1967 israelisch

    besetzten arabischen Gebieten hervor . . . Als Grnde fr die zunehmende

    Auswanderungstendenz werden in der Studie die wirtschaftliche

    Stagnation in den besetzten Gebieten, die schwierige Arbeitsmarktlage

    und die Arbeitsangebote der Golfstaaten genaimt." (NZZ 28. 12. 1982)

    Indem ich dies sage, liegt es mir vllig fem,

    Ihre Gefhle belasten zu wollen, aber es ist

    zu wenig bekannt. Obwohl es allgemein

    bekannt ist, da die Lage des palstinensi

    schen Volkes keine sehr glckliche ist, ver

    steht man, glaube ich, zu wenig, was sein

    Elend ist, und deswegen habe ich mir

    gestattet, etwas ausfuhrlich bei d iesemThema zu verweilen."

    (Ch. Weizmann: a.a.O. S. 9 [Kursiv

    Gedrucktes gendert!])

    Bibliografisches:

    Im Folgenden werden nur einige wenige Arbeiten genannt, die sich speziell mit

    Sahar Halifa und ihrem Werk befassen. Da es im Artikel nur um ein aus den beiden

    Romanen gewonnenes Palstina-Bild geht, wurde auf bibliografische Angaben zum

    Thema 'Westjordanland unter israelischer Besetzung' verzichtet.

    Abu 'Uqb, 'Umab: Sahar Halifa fi "Abbd aS-Sams'. at-tastih aS-Sah^iya dt al-

    ab'd at-talta. In: al-Ktib 11 (Nov. 1980), S. 43-48.

    Aeschbacher, Mabtin: Studie zu den Romanen a-ubbr und 'Abbd a-Sams

    der palstinensischen Schriftstellerin Sahar Halifa. Lizentiatsarbeit; Bern. 1982.

    Bannra, aml: Taltat namdi^ lil-mar'a fi riwyat SaJ^ar H alifa "Abbd aS-

    Sams'. In: al-Ktib 12 (Dez. 1980), S. 81 f.

    Granet, Christian: Analyse du roman de Sahar Halifa a^-^ubbr. Memoire de

    maitrise; University de Paris VIII. 1981.

    Qaimari, 'At al-: Qir'a li^Subbr. In: al-Ktib 21-22 (Nov. 1981), S. 42-50.

    Qsim, Nabih al-: Ma'a SaJiar Halifa fi bkratih al-adabiya 'Lam na'ud ^awrilakum'. In: ders.: Dirst fi l-qi^^a al-mahalliya. Akka. 1979. S. 183-199.

    DERS.: Ma'a Sahar Halifa fi riwyatih 'a^-Subbr'. In: ebd. S. 200-221.

    Mauqif n wa-rislatn - baina Amil Habibi wa-Sakar Halifa: Min al-MutaS 'il ' hat

    t 'a-Subbr' Sa'b whid. In: al-adid 9 (1977), S. 35-37. 40.

    awb al-ktiba Sahar Halifa 'al r islat al-ktib Amil Habibi: Bed amarr wa-aqs. In:

    ebd. 10 (1970), S. 28-33.