Fatale Bewegungen | Auto + Musik
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CC BY-NC-ND
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juttafranzen | 2004
juttafranzen | 2004 [Fatale Bewegungen: Auto und Musik]
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[Fatale Bewegungen: Auto und Musik] Auto-Mobil und Musik ziehen mich in den Bann durch ein Spiel von Still-Stand und Bewegung: Vier Szenarien: in allen spielen Auto-Mobil und Musik die bewegenden Rollen. Mehr als bloße Hilfsmittel zur Überwindung von Raum und zur Erzeugung von Klang, agieren sie als Medien, magische Vermittler eines Geschehens, das seine Spuren an den Dingen und mir hinterlässt.
Auto-Mobil und Musik ziehen mich in den Bann durch ein Spiel von Still-Stand und
Bewegung: das Auto-Mobil ist für mich die "Zelle", in der "einsitze", um mich fort zu
bewegen- immobil kann ich das Auto-Mobil als meine Selbst- Bewegung er-fahren.
Musik lässt alles um mich herum verstummen - die "Welt" steht still und ich lasse mich in die
Bewegung, den Rhythmus und Klang der Musik ziehen.
Still- Stand und Bewegung von Auto-Mobil und Musik entfalten ihre Magie in Szenarien
eigentümlicher Er-fahrungen: im Videoclip eröffnet das play> der Musik mit den Bildern des
Auto-Mobils eine Story fataler Bewegungen; im RL [Real Life] einer Autofahrt verdichten sich
Auto-Mobil und Musik zum Geschehen, das mich (nicht nur fort) bewegt.
1. Szenario ["My favourite game", Version 1]: play>
Ein schwarzes Cabrio steht am Rande eines Highways startbereit:
aus dem Radio warnt eine Stimme vorsichtig zu fahren. Eine junge
Frau am Fahrbahnrand sucht einen der dort liegenden Steine aus
und legt ihn auf das Gaspedal. Sie steigt in das Auto, das Radio verstummt, Musik setzt ein
und mit ihr beginnt eine rasende Fahrt. Im Song wiederholt sich ein bestimmter Rhythmus
und der Refrain: "And I'm losing my favourite game". Während der Fahrt verursacht die Frau
mehrere Unfälle, drängt andere Autos von der Bahn, überfährt Menschen, setzt aber ihre
Fahrt ungehindert und ohne Zögern fort. Sie steht zwischendrin auf oder lenkt mit den
Füßen. Als sie einen Kleintransporter entgegenkommen sieht, stellt sie sich mit
ausgestreckten Armen hin, gibt das Steuer frei und lässt ihr Auto auf den anderen Wagen
zurasen.
"My favourite Game" Musik: The Cardigans Regie : Jonas Akerlund 1998 http://youtu.be/ktmMAad7NTY
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Was zunächst nach der Schilderung einer Autofahrt aussieht, wird mit dem Einsatz der
Musik und dem Ausblenden der Umgebungsgeräusche zu einer Erzählung, in der sich eine
eigene Welt eröffnet. Der Musikclip "My favourite Game" (Musik: The Cardigans; Regie :
Jonas Akerlund 1998) zeigt eine Bildabfolge, die nicht die Ereignisse einer Autofahrt
abbildet, sondern erst die Ereignisse inszeniert, die es nur im Musikvideo und seiner Story
gibt. Auto und Musik spielen dabei besondere Rollen: die Musik setzt einen Schnitt, der die
Bilder von den Geräuschen dessen, was zu sehen ist, trennt und mit dem Ablauf der
Erzählung verbindet. Anders als die Filmmusik referiert die Musik des Clips nicht auf
Körper/Bilder und die von ihnen initiierten Handlungsabläufe, sondern stellt ein solches
Szenario erst her.
Das Auto-Mobil wird zur Metapher für die fatale (Selbst-) Bewegung und Steuerung auf dem
"Highway" des Lebens, der Linearität und Kontinuität vorgibt. Sie wird durch die
Kontingenzen, die Zu/Un/fälle der einzelnen Autos und das heißt der einzelnen "Schicksale"
nicht unterbrochen. Die Fahrt geht weiter, die Zeitdimension ist das vorwärts gerichtete play>
der Musik und der Bildabfolge.
Im Clip sind es zunächst die anderen Autos, mit denen die Protagonistin zusammentrifft, die
von der Straße abkommen, während sie, teilweise durch riskante Wendemanöver weiter
dem Highway, ihrem "Favourite Game" des Lebens folgt. Ihr Auto-Mobil, ihre Form der
Bewegung durch das Leben ist eine Selbstbehauptung gegen alle Widerstände und Formen
der Beziehung zu anderen. "...in the end it's always me alone". Die Botschaft des Songs "I'm
loosing my favourite game" kündigt indes den finalen Verlust an, die fatale wie tödliche
Bewegung des Auto-Mobils, als die Fahrerin die Steuerung aufgibt und das
Zusammentreffen mit einem anderen (Auto-Mobil), nahezu magisch angezogen, zulässt.
Mit dem Zusammenprall der aufeinander zufahrenden Autos endet die Musik, und es sind
wieder Stimmen aus dem Radio zu hören. Die Fahrerin liegt bewegungslos außerhalb des
Auto-Mobils auf der Fahrbahn. Dann erfolgt ein <<rewind, eine Rückbewegung und ein
erneutes Spiel, im Doppelsinn des play> der Musik und der Bildabfolge sowie des "Game"
mit verschiedenen Varianten der Schlussszene. Die Musik setzt erneut ein und die Fahrt
vom Loslassen des Steuers bis zur fatalen Begegnung der beiden Auto-Mobile wiederholt
sich.
Neben der ersten "Dead- Version", bei der die Fahrerin auf der Fahrbahn liegen bleibt, gibt
es zwei weitere Todesfassungen: Die "Head- Version" zeigt im Stil eines Splatter- Movie den
abgetrennten Kopf der Frau auf dem Asphalt. In der "Stone- Version" richtet sich die Fahrerin
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zunächst wieder auf und wird erst dann von dem Stein tödlich getroffen, den sie auf das
Gaspedal gelegt hatte und der durch den Aufprall mit ihr aus dem Auto geschleudert wird. In
der "Walkaway"- Version steht die Fahrerin auf und geht von der Fahrbahn und aus dem
Bild.
Das <<rewind stellt eine zeitliche Bewegung zurück her, von der aus die Ereignisse anders
inszeniert werden können. Doch mit dem erneuten Sprung in den play> Modus der Musik
und der Fahrt des Auto-Mobils auf dem Highway werden zwar nicht dieselben Ereignisse,
aber ihre Linearität und Eindimensionalität wiederholt. Es gibt nur Varianten im Ablauf des
"Games" Leben, seiner Kontingenz und Finalität. Die "Walkaway"- Version ist nicht das
"Happy- End", sondern nur eine weitere Form des "loosing my favourite game", indem auch
das game im Verlassen des Highway und das heißt des Lebens endet. Das Auto-Mobil bleibt
immobil, zerstört zurück. Die Musik lässt nicht verstummen, sondern verstummt selbst.
2. Szenario ["What it feels like for a girl"]: play>
Zwei Frauen bereiten sich zum Ausgehen vor: die junge "styled"
sich, die alte Frau wartet, während sie ein Puzzle legt, in ihrem
"guten" Kleid darauf, dass man ihr aus dem Rollstuhl hilft. Im
Hintergrund ist die Stimme der jungen Frau zu hören."... you think that being a girl is
degrading. But secretly you'd love to know what it's like. Wouldn't you. What it feels like for a
girl." Die Musik dringt in den Vordergrund, die junge Frau steigt in das Auto und holt die alte
Frau zu einer gemeinsamen Fahrt ab.
Foto: juttafranzen 2004
Der Rhythmus der Musik und das hektische Geschehen verbinden sich zu einem intensiven
Szenario, durch das der Refrain klingt, "Do you know what it feels like for a girl. Do you know
what it feels like in this world. For a girl." Die Autofahrt durch eine Stadt gerät zur gezielten
Attacke gegen männliche Personen, deren Autos die junge Frau mit ihrem Auto rammt, die
"What it feels like for a girl" Musik: Madonna Regie: Guy Ritchie 2001 http://youtu.be/2lS780CWph0
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sie ausraubt und mit deren gestohlenem Auto sie schließlich gegen einen Laternenpfosten
rast.
Der Clip "What it feels like for a girl" (Musik: Madonna, Regie: Guy Ritchie 2001) inszeniert
eine Story, in der das Auto die genderspezifische Form des Selbst und seiner Bewegung
innerhalb eines urbanen sozialen Kontextes symbolisiert. Die Oberfläche des Aussehens der
jungen Frau und der Autos werden als Zeichen für Verhaltensmuster und Praktiken
aufeinanderbezogen, die als typisch weiblich und als typisch männlich codiert sind. Die
Musik setzt die Schnitte, von denen aus die Story als das zwangsläufige Aufbrechen der
Oberflächen inszeniert wird. Unterbrochen vom Refrain des weiblichen Chors und der
Stimme der jungen Frau treibt ihr Rhythmus die aggressive Bewegung der Auto-Mobile
voran bis zum finalen Zerbersten der Oberflächen.
Das "Make-Up" der jungen Frau entspricht den üblichen Erwartungen an ein positiv
bewertetes weibliches Äußeres. Gegenüber der alten Frau zeigt sie sich fürsorglich, und
einer weiblichen Serviceperson steckt sie das zuvor einem Mann geraubte Geld zu. In
Differenz dazu steht ihr Verhalten beim Fahren der Auto-Mobile, deren glänzende und
ebenfalls "aufgemotzte" Oberfläche in Form und Ausstattung die Clichés von Penis-Symbol
und "Macho" -Attitude bedienen.
Die junge Frau übernimmt, sobald sie hinter dem Lenkrad sitzt, die den Auto-Mobilen
zugeordnete aggressive, männlich codierte Pose als ihre eigene Selbstbewegung. Sie
imitiert das Verhaltensmuster, das sie zugleich angreift. Ihr weibliches Aussehen wird nur
mehr zum Mittel, das sie gezielt bei ihren Attacken auf die männlichen Personen bzw. Auto-
Mobile einsetzt, etwa wenn sie ihnen erst zuzwinkert, bevor sie sie mit ihrem Auto-Mobil
rammt.
Das Durchdrehen der Räder beim aufheulen lassen des Motors symbolisiert die fatale
Bewegung, in die sich das Geschehen in rasender Fahrt und im raschem Rhythmus der
Musik steigert. Das Auto -Mobil bewegt nicht fort und nicht weiter, sondern auf den
gewaltsamen Still-Stand von Auto-Mobil und Musik zu.
3. Szenario ["Karma Police"]: play>
Mit dem Einsetzen der Musik schweift der Blick durch das
leere Innere einer Limousine. Es sind Schritte und das
Zuschlagen der Tür zu hören. Das Auto-Mobil setzt sich in Bewegung. Aus der Sicht hinter
dem Lenkrad rollt das Auto-Mobil geradeaus einen Highway entlang, einem dunklen Horizont
entgegen. Nach einer Weile ist im Scheinwerferkegel ein Mann zu erkennen, der vor dem
„Karma Police“ Musik: Radiohead Regie: Jonathan Glazier 1997 www.youtube.com/watch?v=IBH97ma9YiI
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Auto-Mobil davon läuft. Schließlich bleibt er stehen und dreht sich um. Die Limousine weicht
zurück und hinterlässt auf dem Asphalt eine Benzinspur. Zitternd und hinter seinem Rücken
verborgen zündet der Mann ein Streichholz an und wirft es auf die Benzinspur, die sofort
Feuer fängt. Das Auto-Mobil, in dem zwischenzeitlich im Fond ein Mitfahrer, aber nie eine
Person hinter dem Lenkrad zu sehen war, gleitet weiter zurück, wird aber von den Flammen
eingeholt, die die nun wieder leere Karosse umschließen.
In "Karma Police" ( Musik: Radiohead; Regie: Jonathan Glazier 1997) ist das Auto ein Auto-
Mobil im engen Sinn der Selbstbewegung: es gibt keine Person, die es steuert. Umgekehrt
steuert es vielmehr das Verhalten der Person außerhalb, die vor ihm davon läuft.
Der Refrain des Songs "This is what you get. When you mess with us," verstärkt die diffuse
Drohung, die in der Machtbeziehung liegt, die vom Auto-Mobil ausgeht. Die Musik inszeniert
mit ihrem langsamen Rhythmus und der Monotonie des Gesangs die Beharrlichkeit des
Auto-Mobils, das sie als unentrinnbares und kontrollierendes Karma erscheinen lässt. Die
kontinuierliche, fast immobile Bewegung des Auto-Mobils lässt den Mann auf dem Highway
nicht los, holt ihn aber auch nicht ein, überfährt ihn nicht, obwohl sie es könnte.
Mit dem Still-Stand des Mannes kehrt sich die Machtbeziehung um. Er unterbricht die
Wirkung des Auto-Mobils und seiner fatalen Bewegung, die sein Verhalten zwanghaft
steuerte. Der Mann stellt sich seinem Karma. Das Auto-Mobil weicht zurück und gibt die
Energie frei, mit der der Mann aktiv werden und die fatale Bewegung des Auto-Mobils
endgültig im Feuerring bannen kann.
Der Blick in das Auto-Mobil zeigt es wieder leer: die Macht des Auto-Mobils war die Ohn-
Macht des Mannes und seiner Flucht- Bewegung. Die Musik, die die Machtbeziehung mit-
bewegt hat, verstummt im Auflodern der Flammen, deren Geräusch an ihre Stelle tritt.
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4. Szenario [Real Life]: Go!
Mit dem Umdrehen des Zündschlosses schalte ich die Musik in meinem Auto-Mobil ein. Der
Motor kann starten, die Fahrt beginnt. Ich befinde mich in einem Raum, der meinen Körper
wie eine Zelle umschließt: Stahl, Kunststoff und Glas trennen mich von meiner Umwelt, die
ich allein durch die Sichtfenster und die Rück- und Seitenspiegel wahrnehme. Der Klang der
Musik sperrt die Geräusche der Umgebung aus und lässt mich nur die des Motors gedämpft
wahrnehmen. Der Differenz nach außen entspricht nach innen die Wirkung, dass die Zelle
mir einen Schutzraum bietet, für meinen physischen Körper sowie für eine Welt, die sich mir
durch den Vorgang des Fahrens eröffnet. Ich sitze am Steuer und an den Hebeln, die mich
mit der Maschine verschalten. Ich kontrolliere und lenke die Energie des Auto-Mobils, so
dass seine Bewegung zu meiner wird.
Die Musik lässt die Außen-Welt verstummen. Sie stellt eine Auto- Welt her, in der Klang und
Rhythmus der Musik mit der Praktik und dem "feeling" des Fahrens verschmelzen. Die
Bewegung und das Tempo von Auto-Mobil und Musik erzeugen in mir jenes lustvolle Gefühl
eines "Flow", das sich bis zum Rausch steigern kann. Das Geschehen und die Ereignisse
außerhalb meiner Zelle reduzieren sich auf Punkte, die ich hinter mir lasse. Ich beachte sie
nur, um zu verhindern, dass sie in meine Auto- Welt eindringen.
Was und wer auch immer ich "draußen" bin, im Auto-Mobil bin ich zugleich Subjekt und
Objekt der Energie, die von der Maschine ausgeht und der Musik, die sie und mich seit ihrem
Starten begleitet. Ich nutze sie für meinen Weg, indem ich mich von ihnen be- wegen lasse.
Foto: juttafranzen 2004
"Nichts bewegt Sie wie ein Citroen", verheißt auch der Werbe-Slogan für eine Automarke,
deren berühmtestes Modell DS einst als "Déesse", "Göttin", bezeichnet wurde. (Roland
Barthes, Mythologies, 1957) Das Auto-Mobil ist mehr als ein bloßes Transportmittel, es
"erschafft" mir eine eigene Welt, während es mich transportiert. Es verändert die Muster, mit
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denen ich meine Außenwelt und meine Innenwelt wahrnehme. Wie ich Geschwindigkeit und
Mobilität er-fahre, so kann ich mich selbst er-fahren, als stark, als aggressiv, als schwach.
Die Differenz von Innen und Außen, durch die das Auto-Mobil zur Zelle (m)einer eigenen
Welt wird, ist indes instabil und trügerisch.
Das Auto-Mobil ist immer auch eine potentielle Todeszelle. "Reality sucks."
Der physische Körper und die Materialität des Auto-Mobils bleiben Wider- Stände gegenüber
den fatalen Bewegungen und ihrer lustvollen Er-fahrung. Geschwindigkeit, Rhythmus und
Klang der Musik erscheinen als Spiel und sind doch kein play>, das ein <<rewind, die
Bewegung zurück, zuließe.
Still- Stand im "Real life" ist blutiger Still- Stand.
# Aus dem Autoradio tönt der Werbespruch eines Senders: "...Massenkarambolage auf der
Autobahn. ...Auffällig... Alle hatten denselben Musiksender eingestellt.." #
Veröffentlicht in:
konkursbuch 42, "Auto"
hrsg. von Gerburg Treusch- Dieter, Claudia Gehrke & Ronald Düker,
Tübingen 2004