FAZ Buchmesse Special

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FREITAG, 16. OKTOBER 2009 Piper dreht auf, Fischer dreht ab, Unseld dreht durch Bart, aber fair: Die Haargenauigkeit der Kritiker Arbeit der Nacht: Wenn die Bücher schlafen gehen Crashtest Yummy: Was die Gourmet Gallery anrichtet Last Orders! Perlen vor die Säure Zeitung zur Buchmesse Hans-Olaf Henkel wird geschreddert \

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zeitung zur buchmesse 2009

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2009

Piper dreht auf, Fischer dreht ab, Unseld dreht durch

Bart, aber fair: Die Haargenauigkeit der Kritiker

Arbeit der Nacht: Wenn die Bücher schlafen gehen

Crashtest Yummy: Was die Gourmet Gallery anrichtet

Last Orders! Perlen vor die Säure

Zeitung zur Buchmesse

Hans-OlafHenkel wird

geschreddert

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Seite 2 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

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Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 3

Hat ja super geklappt mit dem kostenlo-sen Download von Herta Müllers „Atem-schaukel“ auf Libreka.de: Kaum gibt esmal einen Besucheransturm auf die Seite,gehen die Server in die Knie und sindnicht mehr erreichbar. Das Angebot wur-de deshalb um 24 Stunden verlängert.Anständig, aber wir kommen trotzdem zufolgendem Spielstand: Buch: 1, E-Book: 0.

Ab heute wird zurückgeglotzt! Das Deut-sche Forschungszentrum für KünstlicheIntelligenz hat auf der Messe das „augmen-ted reading“ vorgestellt. Dabei verfolgteine kleine Kamera Ihre Augenbewegun-gen, und wenn Sie mich auf dem Bild-schirm schnell überfliegen, treten meineSchlüsselbegriffe hervor, und Füllwörtererscheinen blasser und kleiner. BleibenSie an einem fremdsprachigen Begriff zulange hängen, wird automatisch die Über-setzung eingeblendet. Bei langen Doku-menten merke ich mir die Stelle, an derSie aufgehört haben zu lesen, und hebesie hervor, wenn Sie neu beginnen. Undbei der Stelle, wo Pferde fliehen, ertöntplötzlich Hufgetrappel. Sie haben daübrigens noch was zwischen den Zähnen.

Klaus Wagenbach ist eine rote Socke.Wissen wir. Dass der Altverleger aber auchrote Socken trägt, fällt erst auf, wenn erbei einer Happy Hour entspannt ein Beinüber das andere schlägt. Wagenbach kauftrote Socken seit dreißig Jahren bei Lucche-rine & Querciol in Florenz. Etwa bei ei-nem Herrenausstatter? „Was ist das denn?In einem ganz normalen Wäscheladen.“

Was uns Frank Schätzing ist, war denAmerikanern Michael Crichton. Nachseinem Tod ist die Planstelle Biotechno-logie-Thriller verwaist. Nun meldet sichein Nachfolger an. Paul McEuen, Physik-Professor an der Cornell University, hateinen Roman mit dem Titel „Spiral“geschrieben, für dessen Rechte in denVereinigten Staaten 600 000 Dollar be-zahlt wurden. Das Bietergefecht für diedeutsche Ausgabe ist noch nicht beendet.

Glückwunsch! Imre Kertész erhielt gestern

den Jean-Améry-Preis. Foto Helmut Fricke

Unbekanntes Gastland China?

Aktuelle Überschriften klären auf:

1. China ist nicht der „Retter“ derMaschinenbauer (Börsenzeitung)

2. China ist zu früh mächtig geworden(Die Welt)

3. China ist verletzlich(Berliner Zeitung)

4. China ist hässlich wie die Nacht(F.A.S.)

5. China ist dabei, ein Autoland zuwerden (taz)

6. China ist eines der kinderfreund-lichsten Länder der Erde(Badische Zeitung)

7. China ist die größte Rauchernationder Welt (Berliner Zeitung)

8. China ist selbstbewusst in der Moder-ne angekommen (Welt am Sonntag)

9. China ist im Schach beinaheschon Weltspitze (F.A.Z.)

10. „China ist zu Recht beleidigt“ (Zeit)

,,Damals habe ich mirgedacht: Dümmer als ichsind die auch nicht.‘‘Stefan Aust erklärt, warum er kurz vor dem

9. November 1989 als einziger deutscher

Journalist die Öffnung der Mauer durch die

DDR-Regierung vorhersah.

Hilary Mantel, englische Schriftstellerinund soeben in London für den Roman„Wolf Hall“ mit dem Booker Prize aus-gezeichnet, stößt bei deutschen Verlagenauf wenig Gegenliebe. Bis jetzt hat keinhiesiger Verleger Interesse gezeigt, denumfangreichen Roman einzukaufen. Erspielt in den blutigen zwanziger Jahrendes sechzehnten Jahrhunderts am Hof vonHeinrich VIII. – kein schlechtes Geländefür einen historischen Roman.

Fliegenfänger bei Eichborn: Dort musstegestern die gesamte Mannschaft antreten,um die von Werbeleiter Bernd Sparmereigenhändig mit Werbebanner versehenenund durch die Sicherheitschecksgeschmuggelten Fliegen einzufangen –eine feine Aufgabe für Praktikanten undAzubis. Etwa zwanzig Prozent hatte mandrei Stunden später immerhin erjagt, „kei-ne einzige tote“ darunter, wie die Presse-abteilung versichert. Die von der AgenturJung von Matt konzipierte Aktion zumVerlagsrelaunch wird den Besuchern undbestimmt auch den Caterern in Halle 4.1also noch etwas länger Freude bereiten.

Foto Anna Jockisch

Foto Marcus Kaufhold

,, Ich habe gerade einenFilm über Tölpel gesehen.Das Männchen blähtseinen Blähsack auf, umdie Weibchen anzulocken.Er hat eine Botschaft,ohne sich dessen bewusstzu sein. Das ist bei mirauch so.‘‘Frank Schätzing bei seinem Auftritt

am F.A.Z.-Buchmessenstand

Immer mehr Leser wollen immer öfterdas Gleiche lesen. Weswegen immergleichere Bücher erscheinen. Aber es gibtdennoch so etwas wie Trends. Triumphier-ten 2008 noch „misery memoirs“, also Er-innerungen an schreckliche Lebensgänge,sind in diesem Jahr deutliche positivereGeschichten gefragt. Cordelia Borchardt,Lektorin beim Frankfurter Krüger Verlag,freut sich zum Beispiel über den Erfolgvon Judith O’Reillys „Stadt, Land –Schluss“. Schon hunderttausend Taschen-bücher seien verkauft. Das Genre erklärtschon der Untertitel: „Weit weg von zuHause, drei kleine Kinder und der Ehe-mann nie da“.

Unser Titelbild

zeigt den Transport unverkäuflicher Bücher zur

Papierverwertung in dem Würzburger Unter-

nehmen Würo, fotografiert von Lucas Wahl.

Was aus dem hehren Kulturgut Buch wird, wenn

sich nicht einmal mehr die Resterampe dafür

interessiert, lesen Sie auf den Seiten 10 und 11.

Foto Anna Jockisch

Guten Morgen! Heute hätten Sie getrostetwas länger im Bett bleiben können, essoll nämlich Regen geben. Dafür kommtNick Cave auf die Messe! Und wer die rich-tige Lösung zu Jamie Byngs Rätsel weiß(Seite 4), kann Karten für die abendlicheLesung des Popstars im Schöneberger inder Berger Straße gewinnen. Die andereTombola des Tages, nämlich die der Illus-tratoren, weist unserer Erfahrung nach(zwölf Lose) nur hübsche Nieten auf.

Der Tag

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Seite 4 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

Day three and I’amstruggling. Strugglingwith time, wishing itwould stand still so Icould have a nap, readone manuscript, eat

something and chill. Right nowI’m in a calm cab, on my own, enroute to the Frankfurter Hof tomeet Oscar van Gelderen, a greatpublisher and even better friend,who is throwing a party for Nicco-lo Ammaniti who we publish toge-ther along with about forty otherpublishers around the world.

It’s not often that we have au-thors at Frankfurt but this year Iam delighted that three versions ofNicholas will be here. Niccolofrom Italy, Nikolai from Siberiaand Nick from Australia. Or Am-maniti, Lilin and Cave to givethem their other names. They alsoshare qualities as writers, explor-ing the darker sides of humanitythrough powerful and distinctivetales.

It was in Frankfurt in 2003 thatOscar, Niccolo, Halfdan Freihowand I bonded in an extended sessi-on that resulted in Nic being publi-shed by Oscar in Holland. Wewere already publishing him at Ca-nongate but this night forged afriendship between the three of usand tonight feels like an overduereunion. It was Oscar who firsttipped me off to Nicolai Lilin ha-ving pre-empted the Dutch rightsin his strange quasi-memoir, Siberi-an Education. This sharing ofbooks is one of the aspects ofpublishing I like so much as it crea-tes a decentralised cohesiveness, ameans by which stories travel andare shared. The conversations wehave can change the way we under-stand what we read, helping us toplumb the depths of a book’s uni-versality. Selling a book into manylanguages can be financially lucra-tive but it’s about much more thanthe money. Each one teach one.

Which brings me to the thirdnick in this unholy trinity – the Ca-veman! It was in Frankfurt lastyear that we started to sell „TheDeath of Bunny Munro“ interna-tionally and so it is only fitting tohave all his publishers meeting upat a party we are throwing for Nicktonight with his German publi-shers, Kiepenheuer & Witsch. Thepublication of his twisted, poi-gnant and incredibly funny novelis one of the most exciting projectsI have ever been involved in.

I’ve got to go as time is tickingand Nic has arrived. But before sig-ning off I wanted to say that we’vegot 5 pairs of tickets to giveawayfor the party tonight at which NickCave will do a short reading. Allyou need to do is to call069 – 759 125 40 and tell thename of the last Bad Seeds studioalbum.Lesen Sie den Blog von Jamie Byng auchunter www.faz.net/byng

Als Erstes stieß man natürlich auf UweWittstock, jenen Literaturkritiker, derschon im vergangenen Jahr und zu Rechtin einem wohl nicht zuletzt deswegendann mit dem Henri-Nannen-Preis aus-gezeichneten Messe-Artikel von OliverMaria Schmitt als „für gewöhnlich gut-aussehend“ bezeichnet wurde. Und Witt-stock gab auf die Frage, wie alles stehe,zur Antwort: „Ich halte mich eigentlichganz gut“, worauf seine Frau in schallen-des Gelächter ausbrach. So viel zu denallgemeinen Bedingungen dieses Messe-Donnerstagabends.

Bei Joachim Unselds wie immerbuchenswertem Empfang in der heimi-schen Villa erlaubte sich Manesse-Ver-leger Horst Lauinger die im Hause

Unseld gar nicht unpikante Bemerkung,bei ihm, Manesse, seien die verlegtenAutoren so alt, dass man es mit WitwenGott sei Dank schon nicht mehr zu tunhabe. Es las dann der Hausautor Ernst-Wilhelm Händler aus seinem neuenRoman „Die Welt aus Glas“ und schobvorweg, die Krise sei möglicherweise mitLiteratur besser zu bewältigen als mitGeld, mit anderen Worten: „mit Bewusst-sein und Phantasie“, woraufhin nunwiederum der notorische Lyriker GeraldZschorsch laut meckernd loslachte, dendann young Unseld energisch und dochnicht ohne eine gewisses Wohlwollen zu-rechtwies: „Gerald, bitte nicht so lustig!“

So blieb es dann aber leider, bis zumsehr späten süßen Ende: lustig, mit vielBewusstsein und Phantasie. edo. Foto Wolfgang Eilmes

Herbert von Karajan wollte einmal in einHotel, das ausgebucht war. „Ich bin Her-bert von Karajan.“ Darauf die Dame ander Rezeption: „Ich sagte doch, es ist ausge-bucht.“ – „Aber ich bin Herbert von Kara-jan“ – „Und wenn Sie Heino wären.“Nennt uns Heino. Vor der harten Tür desVelvet-Club in der Frankfurter Innenstadtspielten sich in der vergangenen Nachtvergleichbare Szenen ab. LiteraturkritischeWichtigtuer, die an der Schlange zur Piper-Party mit Pressedamenhilfe vorbei-drängeln, werden vom Türsteher, nennenwir ihn Ismael, zurechtgewiesen. Manmuss zurück ins Glied, Berichterstatter-pflichten hin oder her.

Selbst sugar babes, die sich unter derAbsperrung hindurchschlängeln, werdenim Ton echter Entrüstung von Ismaelzurechtgeschickt. „Ich hätte nicht gedacht,dass ich hier heute Abend solche Szenenerleben muss“, sagt Ismael streng undbleibt auch auf Drängen der Begleiterunnachgiebig. Ein Mann wird von derSecurity hinausgeworfen, der von weitemwie Martin Ebel aussieht, bislang alsunbescholtener Schweizer Literatur-kritiker bekannt. Hat er Jakob Hein ver-rissen?

Dann sind wir drin. Ijoma findet, dassdie Frauen hier alle sehr jung aussehen.Sind sie es auch? Und wir? Es läuftAchtziger-Dance-Mucke, Prince, TerenceTrent D’Arby und Michael Jackson. Umhalb eins will Verleger Marcel Hartges, derseinen Amtsantritt bei Piper gleich mit derEtablierung der neuen Frankfurter Festi-vität krönte, selbst auflegen. (Das Spielwar bei Redaktionsschluss noch nicht be-endet.) rikAchtziger-Dance-Mucke Foto Michael Hauri

Fotos Wonge Bergmann

Was gab’s bei Fischer? Das Übliche,Albert Ostermeier halt. Außerdem gab esGedränge im Innenhof, auf der Treppeund zwischen den beiden großen Sälen imersten Stock. Sonst gab es Bücher an denWänden, belegte Brötchen und Wein – rotoder weiß. Was sonst noch? Einen beseel-ten Roger Willemsen, der sich aus der inni-gen Umarmung mit der charmanten Caro-lin Emcke nicht lösen wollte. Er hege einetiefe Liebe zu dieser Frau, gestand er. Vorvielen Jahren habe man sich am Flughafenin London kennengelernt, er habe angebo-

ten ihre Tasche zu tragen, sie habe akzep-tiert, dass er zumindest einen Henkel neh-me. Es folgten zahllose Faxe von ihm, ge-schrieben in einer Handschrift, in die siesich sofort verliebte. So sprach man undsinnierte weiter, man könnte doch ein ge-meinsames Buch schreiben über die Gren-ze zwischen Afghanistan und Tadschikis-tan. Und weiter? Na ja, dann wieder Ge-dränge im Innenhof, auf der Treppe undzwischen den Sälen. Und einen aufgereg-ten Pressesprecher, der nicht wollte, dassman das Unfassbare, das hier geschah, zuoft fotografierte. Deswegen bringen wirnur ein Bild mit aus der Hedderichstraßeund die böse Vorahnung, dass es im nächs-ten Jahr womöglich gar keines gibt. Machtnichts. Wir fahren weiter zu Unseld. lbo

Liebeserklärungenund Zensur

Aufder Party-

Meile

Piper-Party, Velvet-Club, 21 Uhr

Empfang bei Joachim Unseld, 20 Uhr

Fair andLoathing

S. Fischer, Hedderichstraße, 19 Uhr

Gut sortiert: AufgebrezelteMänner bei Joachim

Unseld, junge Dinger beiPiper und gepflegte

Schnösel bei S. Fischer.

Ismael und Sugar Babes

Bewusstsein und Phantasie

Jamie Byng

Page 5: FAZ Buchmesse Special

Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 5

Es sind schon sehr nette Menschen, diese Kol-legen. Auch diesmal. Beim Suhrkamp-Emp-fang. Bei Rowohlt. Bei Piper. Nur eines war an-ders. Es war, sagen wir, etwas im Gesicht. Frü-her, in revolutionsfreudigen Zeiten, hätteman von der Che-Guevarahaftigkeit der Din-ge gesprochen; heute denkt man wohl eher andas zusselige Gewächs von Brad Bitt oder dasintellektuelle Einschüchterungspotential desUmberto-Eco-Barts. Unter den Repräsentan-ten des neuen Gesichtsbewuchses stachen dieLiteraturkritiker heraus. Einer sah aus, als hät-ten sich im Schlaf Mäuse über seine Wangenhergemacht. Ein anderer fragte einen eben-falls dicht behaarten Kollegen, wie dieser sei-nen Bart so schön gestutzt bekomme. Woraufdieser antwortete, er stutze nicht, er schneideab und lasse dann alles neu sprießen. Es gabJahre, da wurde bei Verlagsempfängen überden magischen Realismus diskutiert. Denüberraschendsten, auch erfreulichsten An-blick bot Hubert Winkels. Er trug einen zu-rückhaltend bevölkerten Bart in Winterweißund eine schön zurückgeworfene graue Tolle,die seine Anmutung kühn zwischen FrankSchätzing und Thomas Gottschalk changie-ren ließ. Ein eindringliches Plädoyer für kon-sequente Haltung in der Krise: Wachstum,Wachstum, Wachstum. PAUL INGENDAAY

Die Revolution ist günstig: Zehn Bretter,eine Rückwand, dazu Schrauben, Nägel, Dü-bel – fertig ist Billy. Das Ikea-Regal, das die-ses Jahr dreißig wird, war allerdings immerschon mehr als die Summe seiner Teile.Ende der siebziger Jahre trieb es den Deut-schen die eichenfurnierten Einbauschränkeaus ihren Wohnzimmern. Es ward licht unddemokratisch, denn das schlichte Regal ver-eint auf Augenhöhe Charles Bukowski mitPeter Handke, Max Frisch mit JohannaSpyri, J.W. Goethe mit J.M. R. Lenz.

Einundvierzig Millionen Mal weltweit ver-kauft, ging fast die Hälfte aller Billys nachDeutschland, überwiegend in Weiß. Zufallist es daher nicht, dass Zweitausendeins dasRegal jetzt zur Doppelgeburtstagsparty ein-lud. Denn der Kultur-Aldi für die KritischeIntelligenz wird auch schon vierzig. Und Ver-lag und Regal haben in der Tat einiges ge-mein: Beide sind nach wie vor günstig, undbeide sind längst nicht mehr so unkonventio-nell, wie sie selbst meinen.

In den legendären „Merkheften“ vonZweitausendeins, die Kant-Gesamtausga-ben genau wie Hanf-Bücher versammelnund nun auch eine Glückwunschbroschürefür Billy, spiegelt sich indes nicht weniger

Zeitgeist als in den Ikea-Katalogen, so dassman damit die Bundesrepublik nacherzäh-len könnte. Für die Zukunft hat sich Zwei-tausendeins viel vorgenommen. Schon zuWeihnachten kommen neue Taschenbuch-und DVD-Editionen heraus, wie es beimFest gestern hieß. Und auch Billy, beteuer-te die Marketing-Chefin des Konzerns, wer-de entgegen allen Gerüchten nicht einge-stellt. Oder umbenannt. Wenn heute eineTasse Kaffee Latte-Macchiato-Medium-To-Go und Geldanlangen Invest-Wachs-tums-Bluechip-Fonds heißen, freut mansich, dass ein Regal einfach nur den NamenBilly trägt. SANDRA KEGEL

Immer noch günstig, aber längst nicht

mehr so unkonventionell: Billy wird dreißig,

Zweitausendeins vierzig. Foto Michael Hauri

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Der »neue Seewolf« zu Gast auf der Buchmesse!

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Gesichtskunde Ganz in weiß

Unter Literaturkritikern und Autoren hat

in dieser Saison eine Tendenz zu Bart und

kontrollierter Wildheit um sich gegriffen.

Fotos Frank Röth, Julia Zimmermann, Anna Jockisch, Helmut Fricke

Die Buchmesseder BärteTrend: Mehr Haar ans Kinn

ZweitausendeinsJahre BillyEin Verlag baut auf Regale

Page 6: FAZ Buchmesse Special

Seite 6 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

Lässt sich mit dem Namen Henry Kissin-ger heute noch Geld verdienen? WennAndrew Wylie ihn vertritt, ganz bestimmt.Der New Yorker Literaturagent, der denFriedensnobelpreisträger der Ära Vietnamerst seit wenigen Monaten zu seinen Klien-ten zählt, lud gestern Abend internationaleVerleger zur „China Reception“ in die Bardes Frankfurter Hofs. Erdnüsse auf denTischen, ein Piano plänkelt vor sich hin:

Erst als Kissinger eintrifft, wird die von Ker-zenlicht verdunkelte Bar zum Schauplatzder Weltgeschichte. Er schreibt an einemBuch über China, die geladenen Verlegerkommen auch im nächsten Jahr nicht umdieses Thema herum. „Es ist schwer, mitWylie keine Geschäfte zu machen“, sagtIbrahim El Moallem, Chairman der Sho-rouk Group, eines der führenden Medien-häuser der arabischen Welt. „Aber es läuftein bisschen langsamer in diesem Jahr“, soWylie. Beim anschließenden Dinner, fürdas eine Lesung aus Kissingers work in pro-gress vorgesehen war, hat sich die Weltwirt-schaft hoffentlich wieder erholt. thdaFoto Helmut Fricke

09.30 Best Ager, Silver

Surfer, Generation

Gold – was man früher 50 plus

nannte, wird jetzt lyrisch

verpackt. Und dazu gibt es ein

eigenes Produktdesign. Akade-

mie des Deutschen Buchhan-

dels, Halle 4.2.

10.00 Tim Parks träumt

im Interview ganz

öffentlich von Flüssen und

Meeren. 3sat, Halle 4.1.

Ab ins Kloster: Das Leben von

Pater Anselm Grün wird in

seiner Biographie zum 65. Ge-

burtstag beleuchtet. Vier-Tür-

me-Verlag, Agora, Lesezelt.

10.15 Deutschland und

China entdecken

einander, zuallererst allerdings

ihre Vorurteile. Ehrengast

China, Halle 6.1.

Zeitreisen für Kinder sind bei

Professor Balduin im Angebot:

Kunstanstifter Verlag, Halle 3.0.

10.30 Wie man sich eine

gewitzte Schiller-

Literatur-Schau vorzustellen

hat, erfährt man bei Klöpfer

& Meyer, Halle 4.1.

Im Jahr 1951 veröffentlichte Isaiah Ber-lin in einer akademischen Zeitschrift ei-nen Essay mit dem spröden Titel „LeoTolstois historischer Skeptizismus“.Zwei Jahre später erschien dieser bril-

lante Aufsatz bei Weidenfeld and Nicolson.Das Buch wurde ein internationaler Klassi-ker. Ganz am Anfang seiner verlegerischenLaufbahn hat George Weidenfeld die mögli-che Breitenwirkung des ursprünglichen Es-says erkannt. Er regte eine erweiterte Fas-sung an und gab ihr den griffigeren Titel„Der Igel und der Fuchs“. Damit habe er, be-hauptet Michael Ignatieff in seiner Biogra-phie Isaiah Berlins, mehr zum öffentlichenAnsehen des Ideenhistorikers beigetragenals irgendein anderer Verleger.

Der schmale Band festigte wiederum denRuf der dynamischen jungen Firma, die sichim November 1949 mit einem Empfang imLondoner Hotel Browns eingeführt hatte,bei dem 109 Flaschen (billigen) Champa-gners konsumiert wurden, wie die Büchervon Nicolson Vater (Harold) und Sohn (Ni-gel) verraten. George Weidenfeld behaup-tet, es seien damals Wetten abgeschlossenworden, dass der Neuankömmling nichtmehr als ein Jahr überdauern werde.

Er hat die Zweifler widerlegt. In diesemJahr feiert das Haus ein Doppeljubiläum:das sechzigjährige Bestehen des Verlagesund den neunzigsten Geburtstag seinesGründers. Das erste Programm umfasstenur sechs Titel, darunter Mussolinis Erinne-rungen und das Buch „Abrechnung mit Hit-ler“ von Hjalmar Schacht, dem ehemaligenReichsbankpräsidenten, der als Wirtschafts-minister in Hitlers Regierung gedient hatte.Es schien Weidenfelds Partner Nigel Nicol-son, wie er in seinen Erinnerungen anmerk-te, eine kuriose Auswahl für ein Opfer dernationalsozialistischen Unterdrückung zusein. Dabei erklärt sich das Programm gera-de durch die Biographie Weidenfelds.

Schachts „Abrechnung mit Hitler“ wardas erste von zahlreichen Büchern, mit de-nen der aus Wien emigrierte Verleger das ei-gene Bedürfnis nach Information mit der

Mission verband, die britische Öffentlich-keit über das Hitler-Regime aufzuklären.Weidenfeld war entschlossen, „den Nazisnicht das letzte Wort zu überlassen“. Bereitsmit den ersten sechs Büchern wurden dieWeichen gestellt für die spätere Ausrichtungdes von Nachkriegshoffnungen beflügeltenVerlags. Die Erinnerungen von Staatsmän-nern, Zeitgeschichte, Biographien und Welt-literatur prägten das Profil von Weidenfeldand Nicolson. Der Entschluss, den Konfliktmit der Zensur zu riskieren und Nabokovs„Lolita“ zu veröffentlichen, verschaffte demVerlag 1959 nicht nur den ersten Bestseller,sondern auch internationales Renommee.Saul Bellow, Mary McCarthy und SybilleBedford zierten das Verlagsprogramm, dankder Vermittlung von George Orwells Witwe

Sonia, die als Lektorin beschäftigt war. Bü-cher wie James Watsons „Doppelhelix“, dieTagebücher von Harry Graf Kessler und„Chips“ Channon, die Shelley-Biographievon Richard Holmes und die Erinnerungenvon Golda Meir kennzeichnen den breitgefä-cherten Anspruch. Daneben gab es die gro-ßen Serien, allen voran die auf zwanzig Bän-de angelegte Zivilisationsgeschichte.

Jahrzehntelang bewährte sich die doppel-gleisige Strategie, weniger auflagenstarke,aber achtbare populärwissenschaftliche Ti-tel durch kommerzielle Erfolge zu untermau-ern. In der Ära der Großkonzerne hat auchWeidenfeld and Nicolson dem Marktdrucknicht standhalten können. Heute bestehtder Verlag als Imprint der Orion-Gruppe in-nerhalb des Hachette-Konglomerats fort.

Andrew Wylie, Frankfurter Hof, 19.30 Uhr

Foto Marcus Kaufhold

Foto Frank Ossenbrink

,,Die Buchmessesieht immer so großaus. Aber wir solltennicht vergessen: Wiralle zusammen ma-chen so viel Umsatzwie Aldi Süd.‘‘Claudia Baumhöver,

Geschäftsführerin des Hörverlags

Mit Lolitagegen dasErbe Hitlers

Als das erste Verlagsprogramm erschien, amüsierte sich der Literat Cyril Connoly: Es sei, als

habe sich George Weidenfeld – hier im Jahr 1988 – einen Aktenkoffer aus Krokodilleder zuge-

legt und dann entdeckt, dass das Tier noch lebte. Foto Herlinde Koelbl

Weltgeschichtemit Kissinger

> Termine

Mit der Geschichte gehtman nicht, man prägt sie:Weidenfeld and Nicolsonzum sechzigsten Jubiläum.

Von Gina Thomas

Page 7: FAZ Buchmesse Special

Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 7

Besuchen Sie uns in Halle 3.0 E 161www.fackeltraeger-verlag.de

Kai Diekmann (Hrsg.)

Die Mauer Fotografien von 1961–1992

248 Seiten • 119 s/w Fotografien in Großformat • Gebunden • Halbleinen 29,95 € • ISBN 978-3-7716-4430-7

Das fotografische Dokument der deutschen Teilung

Mit einem Vorwort

von Helmut Kohl

»20 Jahre nach ihrem glücklichen Ende ist dieRealität der deutschen Teilung und vor allemder Mauer vielen Menschen gar nicht präsent.An die Brutalität dieser Wunde zu erinnern, ist deshalb das Anliegen dieses Buches.«

Kai Diekmann

6. Hula-Hoop-Reifenverschluckt.Soll sagen: KeinHändchen für dieForm.

1. KAPITALER VERLAG und kleineparty. Soll sagen: Wie diese hippenjungen Leute eben so schreiben.

2. Sondereinsatz-kommande Eimer.Soll sagen:Es darf gekotztwerden.

5. Erwin-Wurm-Befall der Ein-ladung. Sollsagen: We are soartsy fartsy.

3. PeppigesHairy Monster.Soll sagen: UnserDJ ist zu Piperabgewandert.

7. Rechter Winkel.Soll sagen: In KürzeMathematikbücherim Angebot.

8. Grammatisches Passiv.Soll sagen: Den Leit-Wolffkennt ja eh kaum einer

4.PoppigesLoch-Monster.Soll sagen:Der Eimer von 2. istunten offen. Foto Dumont

Ikonen der Buchmesse

Die Wurmkür

Page 8: FAZ Buchmesse Special

Seite 8 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

So überlegt hat der Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler die Kamera für unseingesetzt, als habe er sich vor der digi-

talen Flut schützen wollen. Vor jedem Klicksuchte er erst nach der Ordnung der Dinge,

die uns Messemenschen in diesen Tagenumgibt. Unmittelbarkeit des Blicks fand erunter anderem bei Kollegin Claire Beyervor ihren Rohlingen. Daniel Kehlmann saher im Spiegel auf einer besonderen Örtlich-

keit. Auch Alexander Fest und seine Presse-dame Ursula Steffens entdeckte der vorsich-tige Paparazzo. Unser Fotograf, ein beken-nender Leser der italienischen „Vogue“, hatsich von seinem Vorbild freigemacht.

Am eher unscheinba-ren Stand der chinesi-schen Epoch Times inHalle 3.1 ist die Höllelos. Schon eine Viertel-stunde vorher ballen

sich hier die Massen, denn alle wol-len Herta Müller sehen. Dannkommt sie, schiebt sich durch denPulk und berichtet von den Ideolo-gien der Diktaturen, die immerseltsame Menschenbilder ausfor-men, den Sowjetmenschen, den so-zialistischen Menschen, und dassso etwas nie gutgeht, weil es sol-che Menschen nicht geben kann.

Da klingelt das Telefon, und Hol-gi ruft an, der ein Radiomenschist, kein Büchermensch, und sichtreffen will. Mensch!, sagt er, als erendlich den F.A.Z.-Stand gefun-den hat. Die sind hier ja alle wahn-sinnig gut angezogen, diese Ver-lagsmenschen! In dieser Branchewolle er auch arbeiten, wenn diealle so nett aussehen. Warum ei-gentlich, frage ich, sehen Literatur-menschen immer so viel besser an-gezogen aus als etwa Musiker, ob-wohl beide mit abstrakten Zeichen-systemen zu tun haben? Es ist unsein Rätsel, auf das wir keine Ant-wort finden.

Übrigens, so bekomme ich be-richtet, sei das meistgeklaute Buchder Leipziger Buchmesse SarahKuttners „Mängelexemplar“ gewe-sen. Nun werden Wetten angenom-men, was das meistgeklaute Buchder Frankfurter Messe sein wird.Ich wette, der Autor wird entwe-der Frank Schätzing oder DanBrown heißen, was jetzt nicht son-derlich überraschend wäre, aberwenigstens werden die beiden sichein spannendes Duell auf der Ziel-geraden liefern. Denn geklautwird vor allem am Wochenende,vom Publikum, und was der Bauernicht kennt, das klaut er nicht. Ichwürde lieber „Loslabern“ klauen,habe aber Skrupel, weil es Suhr-kamp auch so schon schlecht ge-nug geht. Außerdem ist es ein biss-chen dünn, und wenn klauen,dann was richtig Dickes, sonstlohnt es sich nicht.

Dann stoßen Holgi und ichschon wieder auf eine Verdichtunggutangezogener Menschen, das istdie Standparty bei Kunstmannund Wagenbach, es gibt tsche-chisches Bier. Was machen diehier?, fragt er. Die glühen vor, er-kläre ich, bevor es am Abend dannzur Sache geht. Es geht jedenAbend zur Sache, und Buchmen-schen brauchen immer etwasmehr Alkohol, um sich innerlichzu lockern. Es ist ein ganz eigenerMenschenschlag, der hier durchdie Gänge eilt, aber diese Men-schen haben sich von selbst ausge-formt, sie sind nicht von jeman-dem verordnet worden oder gehor-chen einer Ideologie. Sie lesen alleentsetzlich viel, das ist alles.

Ernst-WilhelmHändler wählt allseine Motive mitBedacht. Hier seineSicht auf Messe,Mensch und Ding.

Von Ernst-WilhelmHändler

Messeà laVogue

Überdruck

Andrea Diener

Page 9: FAZ Buchmesse Special

Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 9

10.30 Für Bürgerrechte

kämpft Ilija Troja-

now mit seinem Pamphlet „An-

griff auf die Freiheit“. Fünf Tage

Buchmesse untergraben zwar

eher die Menschenrechte, aber

dazu kann er sicher auch etwas

sagen. ARD, Forum, Level 0.

11.00 Dissidententum für

Anfänger: Mitglieder des un-

abhängigen chinesischen P.E.N.

berichten vom System der

Zensur und Unterdrückung in

China. P.E.N., Halle 3.1.

Es ist verboten, aus Reimwort-

Lexika abzuschreiben! Lyrik-

workshop für Schüler, begrenz-

te Platzanzahl. Deutschland-

funk, Halle 3.1.

Als der Berliner KritikerGerrit Bartels vor dreiJahren wie immer vorfreu-dig zur Messe anreiste,beschied ihm seine Haus-wirtin in Oberrad, dass dasvereinbarte Zimmer schonvergeben sei: „Sie wolltendoch noch mal anrufen,Herr Bartels.“ Der KollegeChristoph Schröder botspontan eine Notunter-kunft an; seither verbringtBartels seine anstrengen-den Buchmessenvormittagein einem Teenagerzimmerin Sachsenhausen unterPostern der Hindu-GottheitGanesha und Werbekalen-dern beliebter China-Res-taurants. Die inzwischendreizehneinhalbjährigeBewohnerin des Zimmersmuss daher in ihren Herbst-ferien stets ausquartiertwerden. (rik)

Ich habe gera-de „Bad Sci-ence“ von BenGoldacre und„59 Seconds“von RichardWiseman gele-sen. Abgese-hen davon,dass beide Bü-cher lehrreichsind, handelnsie von unse-rer Beziehungzur Wissen-schaft und zu unserer eigenen Natur und da-von, wie diese von den Medien beeinflusstwird – Information, die unsere faulen undkindischen Medien in Großbritannien im-mer wieder schlucken. Angesichts meinereigenen verzweifelten Wut über eine wach-sende und wachsend gefährliche Kultur derIgnoranz ist es faszinierend, sich anzuschau-en, wie wir funktionieren, was der menschli-che Geist leisten kann und wie wir vernünf-tiger und sogar glücklicher sein können.

Im Bett mit . . .

„Wer denkt fliegt raus“ – das lässt sich Gerrit Bartels

nicht zweimal sagen. Wichtigster Hausgenosse in der Gast-

familie ist übrigens der Kaninchenteckel Finchen, der nur

deswegen nicht mit auf dem Bild ist, weil er unter anderem

Fotografen gar nicht mag. Foto Frank Röth

Foto dpa

Wer liest was

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Jean-Louis Fournier�� �� � �� �� ��������� ��� �������� ��� ���������� !������� "���������# $��� !%��������&��

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Margaret Peterson Haddix�' ,- � �, ,- ��������� ��� �������� ��� "������� .������� /����0 ��� /1�2����������� /��� �13 "���������# ��� 4������!���� !���� /1�2���6 /�� , � * �';

Michael Schindhelm�' ,- � �, ,- ���<=�2�� 7����> � .���������6 7������� ��� 4�+��+���&��# ?�� ?�5�������2������ "����� 7�������� �� �������� ��� ������ . 7������$�?�7����6 4���5���6 /�� ' �

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Kevin Brooks �� �- � �' �- ��������� ��� (�)�� *���+� ��� 82������&�� �3��"����� ���&������� (������ ��� ������2���5����6 /�� ' �

Iván Sándor �, �� � �- �� ��������� ��� F)G� 7G���� =�������� ��0�# �1�� =��� 7���� /�������� *��+ !���������6 /�� - � @ ;��

Luo Lingyuan und Yun Lin�: �� � �H �� ��������� ��� �������� ��� ��� ������� ��� I�� ��� $��������� @���������� �� !���+5����� /����2�����5

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��Autoren auf der Buchmesse!������ �: �� ���; 7������ �H �� ���; 7������ �K �� ���;

> Termine

GerritBartelsEinfach göttlichausschlafen

Wege zu Glückund VernunftA.L. Kennedy empfiehltzwei erhellende Sachbücher

Page 10: FAZ Buchmesse Special

Seite 10 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 11

12.00 Nach „Mein

Knutschfleck und

ich“ und „Mein Pickel und ich“

liest Ilona Einwohlt jetzt aus

„Die Schule und ich“. Wird ja

immer schlimmer. Arena-Ver-

lag, Halle 3.0.

Kommen wir zu den unpoeti-

schen Dingen: Altersvorsorge

für Illustratoren. Riester, Rürup,

Fonds und Aktien statt Pinsel,

Farbe und Bleistift. Illustratoren

Organisation, Raum Effekt, 3.C.

12.30 Nein, das ist nicht

Ingo Schulze. Da

sitzt tatsächlich Andrea Nahles

auf dem blauen Sofa. Bertels-

mann, Übergang 5.1. zu 6.1.

Das kommt jetzt wirklich ein

bisschen spät: Mit „Wählen

für Anfänger und Fortgeschrit-

tene“ will Florian Schroeder die

Bürger fit für die Bundes-

tagswahl machen. Eichborn,

Halle 4.1.

13.00 Wenn es blitzt und

donnert, muss das

nicht unbedingt ein Gewitter

sein. Eher die Molekularküche.

Tre Torri Verlag, Halle 5.0.

13.30 So viel Sand und

keine Förmchen!

Wüstenfotograf Michael Martin

erzählt und zeigt Bilder aus sei-

nem neuen Buch. Frederking &

Thaler Verlag, Forum, Level 1.

11.00 Große Augen:

Die erste deutsche

Mangazeichnerin Christina

Plaka gibt einen Workshop

und signiert ihre Bücher.

Buchmesse, Halle 3.0.

Der koreanische Buddhismus

sorgt dafür, dass sich jeder

wohl fühlt. Hanmaum Seon-

won, Halle 6.0.

Wünsche werden lebendig im

Interview mit Thomas Glavinic.

ARD, Forum, Level 0.

11.15 Kaum ist die Dis-

kussion über Flat-

rate-Bordelle vorbei, kommt

die nächste: über Kultur-Flat-

rates. Focus Magazin, Halle 4.1.

12.00 Schokowölfe

und Schnecken-

erschrecker helfen Kindern,

eigene Bücher zu machen.

Buchkinder Leipzig, Halle 3.0.

Christian Marks hat die einzi-

ge von Michael Jackson autori-

sierte Biographie geschrieben.

Palmyra Verlag, Halle 3.1.

Helmut K. liest aus „Wer steu-

ert Deutschland?“ Unseres Wis-

sens die Regierung. Frankfurter

Verlagsgruppe, Halle 4.1.

Foto ddp

Auf einem Hof in Würzburgsteht eine Maschine, die Bü-cher frisst. Ein Arbeiter wirftdie verlagsfrischen, noch ein-geschweißten Hardcover voneiner Transportpalette auf ein

Förderband: Am Ende ihrer Reise erkenntman sie nicht wieder. Staub in der Luft, einHöllenlärm. Wenn der Schredder mit acht-einhalbtausend Umdrehungen pro Minutedie Bücher zerschlägt, sind Wörter nichtsals Schall und Rauch, bis eine Absaugungsie wieder einfängt und eine weitere Ma-schine sie unter achtzig Tonnen Druck zusiebenhundert Kilo schweren Ballen presst.

Tausend Taschenbücher oder bis zu acht-hundert Hardcover passen auf eine Palette,handelt es sich um einen „Harry Potter“, na-türlich deutlich weniger. „Unser Schredderist ein sogenannter Schnellläufer“, sagt Pe-ter Fischer. „Er hat Hämmer, die an einer Ei-senwelle hängen und die Bücher gegen einSieb schlagen. Es gibt auch Langsamläufer,aber ein Schnellläufer schafft die dreifacheMenge. Ein Langsamläufer hat Messer.“

Als Prokurist der Würo Papierverwer-tung ist Peter Fischer für den Ein- und Ver-kauf von Altpapier zuständig, sein ältererBruder Siegfried ist der Geschäftsführerdes in dritter Generation geführten Famili-enunternehmens Karl Fischer & Söhne, zudem die Würo gehört. Im Schützengrabenhinter dem Haus sammelte Siegfried Fi-scher schon als Fünfjähriger gemeinsammit seinem Vater Aluminium. „Wenn wirnur Bücher fahren, nimmt unser Schredderacht Paletten pro Stunde, zwischen drei undfünf Tonnen sind gar kein Problem.“

In ihrem Büro im Würzburger StadtteilHeidingsfeld sitzen die Brüder an einemTisch, Besuchern schenken die beiden mit-telständischen Unternehmer gern mal eineFlasche Williams Christ. „Abladen, vernich-ten, pressen, lagern“, sagt Peter Fischer.„Die Ballen werden dann von einem Sattel-zug in eine Papierfabrik gebracht und in ei-nem sogenannten Pölper aufgelöst. Die Plas-tikfolie, in der die Bücher eingeschweißt wa-ren, wird abgeschöpft, die Papiermasse wirdgetrocknet und dann zu Hygiene- und ande-rem Gebrauchspapier verarbeitet.“ Sie mei-

nen, aus einem Buch wie Clemens Meyers„Die Nacht, die Lichter“, das letztes Jahr mitdem Preis der Leipziger Buchmesse ausge-zeichnet wurde, wird am Ende Klopapier?„Richtig“, sagt Peter Fischer. „Aber besserso, als einfach nur verbrannt.“

„Das Thema Makulatur ist ein unglaub-lich heißes Eisen“, sagt Gernot Wolf, Pres-sesprecher der Vereinigten Verlagsausliefe-rung VVA. „Ich muss natürlich erst den Ver-trieb fragen, ob das topsecret ist oder obman darüber reden darf“, so Gudrun Fähn-drich von Kiepenheuer & Witsch. „Aberein Buch von John Banville“, nimmt sie den-noch schon einmal an, „würden wir natür-lich nie einstampfen – um nur mal einen Na-men zu nennen.“

E-Mails an Verlage bleiben unbeantwor-tet, Karsten Jakuschona, Chef des zur VVAgehörenden Verlegerdienstes München, istfür Journalisten nicht zu sprechen, der Ver-triebsleiter der VVA, Horst Rämsch, lässtvon einer Sekretärin ausrichten, es gäbe zudem Thema nichts zu sagen. Die VVA, er-klärt Gernot Wolf, habe sich daran schon ein-mal die Finger verbrannt. „Sie wollen etwaswissen über die Bücher, die wir am Endenicht verkaufen, aber auch nicht lagern kön-nen“, sagt die Leiterin der Presseabteilungdes Rowohlt Verlags, Ursula Steffens. „Daskommt zum Glück nicht so häufig vor, wieman vielleicht befürchten muss.“

Als die 1970 gegründete Würo Mitte derSiebziger auf das heutige Betriebsgeländeexpandierte, war die Schredderanlage derFischers die größte in ganz Nordbayern: Un-ter den sechstausend Tonnen Altpapier, diedie Firma monatlich vernichtet, sind imSchnitt hundert Paletten Bücher, die zuetwa siebzig Prozent von Sigloch, aber auchvon anderen Unternehmen wie der Augs-burger Verlagsgruppe Weltbild abgestoßenwerden. Auch die für den Harry-Potter-Ver-lag Carlsen tätige Verlagsauslieferung KNObegleite das Buch „von der Wiege bis zurBahre“, wie Markus Fels, der Einkaufsleiterdes Grossisten KNV, eines Schwesterunter-nehmens der KNO, mitteilt: Sein Sekretari-at bittet jedoch um Verständnis, „dass wiraus Sicherheitsgründen keine Besucher beider Makulatur zulassen können“.

Die Vernichtung mehrerer Lastwagenla-dungen „Harry Potter“, „zwischen fünfzig-und achtzigtausend über Kopf eingebunde-nen Exemplaren“, wie sich Peter Fischer er-innert, brachte die Schredderanlage, diesich auch der Akten Würzburger Behörden,von Firmen und Privatpersonen annimmt,im vergangenen Jahr überhaupt erst so rich-tig in Schwung. „Es ist freilich eine Frageder Ehre, einen Autor wie García Márquezauch im Hardcover lieferbar zu halten,selbst wenn er sich nicht verkauft“, sagtReinhold Joppich, seit fünfundzwanzig Jah-ren Vertriebsleiter von Kiepenheuer &Witsch. Gibt es denn überhaupt kein Buchaus Ihrem Programm, das Sie gern vernich-tet sehen würden? „Ein Buch wie JürgenRüttgers’ ,Die Marktwirtschaft muss sozialbleiben‘ könnte man meinetwegen schoneinstampfen“, antwortet Joppich. „Doch eswürde mir in der Seele weh tun, Bücher zu

makulieren, und bisher mussten wir uns dar-über keine Gedanken machen.“ ReinholdJoppich hat eine glückliche Hand. „Aber fra-gen Sie doch mal bei Lübbe“, ergänzt er,„oder bei Rowohlt und S. Fischer.“

„Ich kann nicht nachvollziehen, weshalbdie Vernichtung von Büchern tabuisiertwird.“ Im baden-württembergischen Blaufel-den sitzt Klaus Vetter, der Geschäftsführerdes Fulfillmentdienstleisters Sigloch Distri-bution, in einem hellen Konferenzzimmer.Grauer Himmel über dem kargen Buchbergauf der Hohenloher Ebene, draußen riechtes nach Landwirtschaft und Gülle. AmSamstag steigt in der Markthalle der für ih-ren Ferkelmarkt berühmten Gemeinde einRockkonzert. „Grundsätzlich sind wir natür-lich sehr glücklich, wenn wir im Handel Bü-cher sehen, die von uns kommen“, sagt Vet-ter. Die Verlagsauslieferung, die im Jahr1978 aus dem Versandhandel einer Buchbin-

derei hervorgegangen ist, wird heute vonmehr als achtzig Verlagen in Anspruch ge-nommen – darunter Droemer-Knaur, Kie-penheuer & Witsch, Rowohlt und S. Fischer.„Gleichwohl sind wir uns darüber im Kla-ren, dass bestimmte Dinge durchs Sieb fal-len“, sagt Vetter. „Das ist in anderen Bran-chen genauso. Unter dem Strich bleibt einnicht verkäuflicher Rest, und der wird ent-sorgt. Das sehen wir ganz leidenschaftslos.“

Weshalb werden Bücher überhaupt ma-kuliert? „Aus unterschiedlichen Gründen.“Auf hundertfünftausend Palettenplätzen la-gern die kompletten Auflagen von etwaachtundvierzigtausend Titeln, Sigloch ver-schickt mehr als zweihunderttausend Sen-dungen täglich, knapp hundert MillionenBücher pro Jahr. „Es gibt zum Teil Neuerun-gen oder gesetzliche Auflagen wie dieRechtschreibreform, die eine Makulierungnötig machen. Dann wird durchaus mal wasaus dem Handel genommen. Es sind vielfäl-tige Gründe, die uns im Einzelnen abernicht interessieren. Wir sind der Dienstleis-ter, der das lediglich im Auftrag des Kun-den organisiert.“

Und wie viele Bücher lassen Sie im Jahrschreddern? „Wenn man unsere Kunden zu-sammennimmt, maximal zwei MillionenExemplare pro Jahr. Das sind im Schnittzwei bis drei Züge im Monat und ist für un-ser Business prozentual zu vernachlässigen.Aber wenn Sie das solo sehen“, sagt Vetter,dessen Unternehmen auch die kompletteEndauslieferung für die Elektrowerkzeugeder Firma FEIN abwickelt, „sieht das ganzanders aus. Ein Lkw mit Hänger, das ist na-türlich schon heftig.“ Die Dienstleistungender VVA werden von mehr als doppelt sovielen Verlagen genutzt.

Paletten mit der im März veröffentlich-ten Hardcover-Ausgabe von Peter James’Thriller „So gut wie tot“, andere mit NeilBeltons „Ein Spiel mit geschliffenen Klin-gen“. Paletten mit Clemens Meyers „DieNacht, die Lichter“ und Iny Lorentz’ „DiePilgerin“, mit Birgit Vanderbekes „Die son-derbare Karriere der Frau Choi“ und JuttaDitfurths „Rudi und Ulrike“. WährendBernd Hambrecht, der Einkaufsleiter vonSigloch Distribution, mit Siegfried Fischer

neben den knochenharten Papierballensteht, die die schwere Presona-Presse unab-lässig aus sich herausdrückt, wirft der Arbei-ter in der Aktenhalle stapelweise Hans-Olaf Henkels „Der Kampf um die Mitte“ inden Schredder.

Im September hat Sigloch der Würo zwei-hundertfünfundsechzig Tonnen Bücher ge-liefert: „Zweihundertfünfundsechzigtau-send Kilogramm“, sagt Peter Fischer. „Diegenaue Stückzahl weiß ich nicht, aber es wa-ren etliche Hunderttausende. Ladenhüter,die nicht gegangen sind, oder Überkapazitä-ten“, erklärt er. „Es sind auch ganz aktuelleBücher dabei und viele Kochbücher, zumBeispiel die von Johann Lafer. Bücher, beidenen man denkt: Oho, da könnte manaber jemandem eine Freude machen. Aberdie Bücher sind ja nicht da, um jemandemeine Freude zu machen, sondern zum Ver-nichten.“ Die neue Ballenpresse, die Sieg-fried und Peter Fischer gerade bei der Fir-ma PAAL bestellt haben, wird leider erst imDezember aufgestellt.

„Ich weiß gar nicht, welche Bücher wir zu-letzt makuliert haben“, sagt Hans JürgenBalmes, Cheflektor für internationale Lite-ratur im S. Fischer Verlag. „Wo das dannpassiert und wo die Pappmaché endet? Ichfahre in Fulda mit dem ICE immer an einerPapierfabrik vorbei und denke: „Da könnt’sschon sein.“ Aber ich habe keine Ahnung.“Paletten mit Joseph O’Connors im Februarbei S. Fischer erschienenen Roman „Wo dieHelden schlafen“. Ein Gabelstapler fährtdie nächsten Bücher heran, einen sorgfältiggestapelten Würfel schöner Literatur, nachder der Arbeiter sogleich begierig mit bei-den Händen greift, um sie auf das Förder-band zu werfen. Das gelbe Softcover desBuchs ist für den „Alro“ der niederländi-schen Firma Bollegraaf ein leichtes Spiel.

Darf ich wenigstens ein einziges Exem-plar vor der Vernichtung retten? Der Ein-käufer Bernd Hambrecht und der Vernich-ter Peter Fischer sehen sich amüsiert an.„Neuerscheinung“ heißt der Anfang des Jah-res im Scherz-Verlag veröffentlichte Ro-man, und die beiden haben recht: Das Buchhat den Schredder verdient.

Foto Felix Seuffert

Foto dpa

Foto laif

BuchamEnde

Karl und Peter Fischer sind die Eigentümer der Würo Papierverwertung in Würzburg. Fotos Lucas Wahl

,,Die Deutschenhaben keine Knie.Wenn man sie auf dieErde wirft, kommensie nicht mehrhoch.‘‘Mo Yan, chinesischer Schriftsteller

> Termine

,,Mein Zimmer imOrient-Hotel kostetso 240 Euro, siehtaber höchstens nach90 Euro aus.‘‘Richard David Precht, Groß-Denker

Neuwertige Bücher gehen in den Schredder. Was vom Schredder übrig blieb: Drei bis fünf Tonnen Bücher kann er pro Stunde zerkleinern.

Abladen, vernichten,pressen, lagern:Die Firma Würo stampftBücher ein.

Von Thomas David

> Termine

Page 11: FAZ Buchmesse Special

Seite 12 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

3 Wir aßen aus Aschenbechern. Es gabkeine freien Teller, Tassen, Töpfe

mehr, alles war belegt, befüllt, beschmiertmit bräunlich-gelblichen, rotbraunen undbraunschwarzen Substanzen, die Namentrugen wie „Rindfleisch mit Fischduft“,„Tofu nach Art der pockennarbigen Frau“oder „Nummer 34“. Nachdem ich die Blu-mentopfuntersetzer gespült und zu Tellernerklärt hatte, waren jetzt die Aschenbecherdran, was den rauchenden Chinesen in mei-ner Wohnung jedoch nichts auszumachenschien. Sie aschten einfach auf den Boden.

Bu Yao, der Dissident, der seit Tagen aufmeiner Couch wohnte, hatte sich spontanentschlossen, sämtliche Chinesen und Chi-naaffine auf der Frankfurter Buchmesse zumir nach Hause einzuladen, um sie auf mei-ne Kosten zu bewirten. „Dadurch konnteich sehr viel Gesicht gewinnen, LaoOu“, hatte er mir erklärt. Es schien dieeinzige echte Gratisparty an diesem Don-nerstagabend zu sein, denn auch alleNicht-Chinesen Frankfurts waren derEinladung gefolgt. Nun versuchten sie,bis in meine Wohnung vorzudringen.

Von außen drosch jemand mit Fäustengegen die Wohnungstür und schrie: „Ichbin Juuuuude! Lasst mich rein!“ Die Türwar aber nicht mehr zu öffnen, der Gangwar, wie alle anderen Zimmer auch, ge-stopft voll, man konnte man sich nur mitHilfe von Brechstangen vorwärtsbewegen.

In meinem Bett lag ein Mann, der sich als„der echte Joachim Lottmann“ ausgab. Erflüsterte mir zu: „Ich bin inkognito hier.Offiziell bin ich in Indien. Sagen Sie bloßniemandem, dass Sie mich gesehen haben,wiederschaun.“ Er zog sich die Decke überden Kopf.

„Ist das ein Dissident?“, fragte Bu Yao.„Keine Ahnung. Er ist jedenfalls nicht

da.“„Dann ist er nicht von meinem Interesse.

Kannst du mich anderen Dissidenten vor-

stellen? Ich muss sehr dringend internatio-nale Beziehungen mit anderen Opponen-ten aufnehmen.“

„Frag doch mal den da hinten!“ Ich deute-te auf einen hageren, abgezehrten Mannmit Stoppelbart und auftoupiertem grauenWuschelkopf. Obwohl keiner zuhörte, riefer immer wieder: „Ich habe Krebs, Leute,Krebs! Hallo, Kreee-hebs! Das müsst ihreuch mal geben!“

„Ist das Herr Se-Lin-Gen-Sif?“„Frag ihn doch.“Ich drängte mich weiter, ich musste Xiao

Yun finden, meine kleine Wolke. Vorhinhatte ich Gelegenheit gefunden, mit diesersüßesten Versuchung Chinas auf dem Klozu knutschen. Ich fand erst, dass der Ort un-passend sei, Xiao Yun auch, aber nachdemwir ein unbekanntes Pärchen in meinerBadewanne kopulieren sahen, schlossenwir uns dem allgemeinen Gehabe an. Sogut das im Stehen halt ging.

Ich drückte mich durch die Menge. EinChinese sprach mich an, er trug einen Ruck-sack auf dem Rücken, der sich merkwürdigbewegte, sich wölbte und krümmte. Da ichkein Wort verstand, drückte er mir freund-lich lächelnd ein Kärtchen in die Hand –dann wurde er weitergeschoben. Auf demKärtchen stand eine Telefonnummer unddarunter: „Ich habe Interesse fuer IhreHund, zahle Bar.“

Ein anderer Gast rief aufgeregt in dieRunde: „Habt ihr das gesehen? Überall inden Parks, an den Ententeichen und Tüm-peln, da sind Schilder aufgestellt: ‚LiebeChinesen! Bitte nicht aufessen! StädtischesEigentum!‘“

Im Wohnzimmer stand ein Mann, der soähnlich aussah wie der dicke Dichter Tho-mas Hettche, er war aber nicht so dick wieHettche. Das verwirrte mich. Als ich denÄhnlichen darauf ansprach, meinte er: „Ma-chen Sie sich keine Sorgen, ich bin nur dieDünndruckausgabe von Thomas Hettche.“

Plötzlich drang aufgeregtes Geschrei ausder Küche, Chinesen stritten. Bu Yao, um-ringt von anderen Schlitzaugen, fuchteltewild mit den Händen, alle teufelten aufein-ander ein. Meine kleine Wolke stand auchdabei und plazierte mit greller Stimme ver-bale Einwürfe, welche die Debatte nurnoch weiter anheizten.

Ich ging dazwischen und schrie: „Schnau-ze jetzt! Könnt ihr euren Politikscheiß nichtwoanders regeln?“

„Es ist nicht Politik“, rief Xiao Yun. „Esist Essen!“

„Essen?“„Ja“, sagte sie. „Sie unterhalten sich nur

ganz normal über die Speisenkombination.Wir sind alle der Meinung, dass man Hühn-chen nach Art der Kaiserin nicht mit dop-pelt gewürztem Warzenfisch servierenkann. Aber diese beiden Männer hier“ – siedeutete auf zwei sehr feindselig stierendeRotchinesen – „sind anderer Ansicht. Sie sa-gen, dass man sogar sauer-scharfe Kartoffel-streifen dazu essen könne.“ Mein DissidentBu Yao nickte, andere Chinesen wandtensich ab, um sich zu übergeben.

Ich ging einen Lappen holen, doch alsich wiederkam, war meine kleine Wolke ver-schwunden. Ein bleicher Chinese führtemich zum Fenster und deutete nach unten,auf die Straße.

Vor unserem Haus stand eine große,schwarze Limousine mit laufendem Motor.Die Warnblinker warfen orange unterlegteSchatten an die umliegenden Hauswände.Jetzt kamen zwei Männer aus der Haustüre– die Rotchinesen! Sie trugen etwas Läng-liches. Der Fahrer öffnete den Kofferraum,sie warfen das zappelnde Paket hinein. Esschrie auf, ich erkannte die Stimme sofort:Xiao Yun!

Fortsetzung folgt

Die Leute standen gestern Abend bis auf die Straße vor demMMK Zollamt. Dort wurde Barbara Klemms Ausstellung„Straßen Bilder“ eröffnet. Der Weg zu den Fotografien wargeplastert mit Reden. In einer davon identifizierte FrankfurtsKulturdezernent Semmelroth die hiesigen Wasserhäuschen als„Büdchen“ (Raunen im Volke), und in einer anderen diagnosti-zierte Christoph Stölzl bei der Künstlerin einen wahren „Straßen-rausch“ (Staunen im Volke). Aber sonst ging alles gut, weilBarbara Klemm selbst so schön und klug sprach, wie es ihreBilder eben sind, und weil so viel Zuneigung und Bewunderungim Publikum war, das „seine Fotografin“ feierte. Unbedingt hin-gehen, wenn Platz zum Schauen ist! rmg

FrankfurterVerknotung

Herta Müller versucht dieser Tage nichtnur, alle Autogrammwünsche zu erfüllen,die an sie herangetragen werden. AufBitte der internationalen Zeitung „TheEpoch Times“, dessen chinesische Ausga-be in ihrer aktuellen Nummer auf MüllersRoman „Atemschaukel“ hinweist, sprachsich die Nobelpreisträgerin jetzt für dieStärkung der Menschenrechte in Chinaaus, ohne sich dafür ihren schwarzenRucksack abzuschnallen. „Ich bin froh,wenn ich Ihnen einen Schutz gebenkann“, so die Botschaft der vom Blitzlicht-gewitter der versammelten Weltpressebedrängte Müller an alle Chinesen. „Hof-fentlich entsteht in China bald der innereoder äußere Zwang, an der Menschen-rechtssituation etwas zu ändern.“ thdaSchnell war die kleine Lesebühne des Ver-

lag-Karrees überfüllt. Erwartet wurde einerder bedeutendsten chinesischen Autorender Gegenwart: Mo Yan. Mit bürgerlichemNamen heißt er Guan Moye, sein Synonymbedeutet übersetzt „keine Sprache“ oder„spricht nicht“. Bei Mo Yan kann davon al-lerdings nicht die Rede sein: Pünktlich zurBuchmesse hat er sein jüngstes Werk „DerÜberdruss“ fertiggestellt. Mo Yan ist mitdem Werk zufrieden. „Eigentlich bin ich be-scheiden, aber ,Der Überdruss‘ wird Ihnengefallen, es ist ein gutes Buch“, sagt er. In-nerhalb von nur dreiundvierzig Tagen hat

er 490 000 Schriftzeichen aufgeschrieben –und zwar nicht am Computer, sondern vonHand mit einem Pinsel. „Der Überdruss“schildert die vergangenen fünfzig Jahre derchinesischen Geschichte. Es sind stürmi-sche Zeiten: von der Landreform der fünfzi-ger Jahre, der Massenkampagne „GroßerSprung nach vorn“ und der Kulturevolutionerzählt er ebenso wie von dem sich zu-spitzenden Gegensatz zwischen Stadt undLand am Anfang des einundzwanzigstenJahrhunderts. Angesichts der Länge bemit-leide er die Leser etwas, die sein Werk mitnach Hause tragen, sagt Mo Yan, aber eingutes Buch müsse sich nicht schämen. Diedeutsche Übersetzung ist immerhin auchmehr als achthundert Seiten lang. mim. Foto Daniel PilarFoto Helmut Fricke

Foto Frank Röth

Foto

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live

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Epoch Times, Halle 3.1, 16 Uhr

Mo Yan bei Horlemann, Halle 4.1

Ein Kurzroman in fünf Folgenvon Oliver Maria Schmitt

Die Vernissage des Abends: Barbara Klemm, MMK Zollamt, 19 Uhr

Herta Müller beschützt China

490 000 Schriftzeichen

Eine Stadt feiert ihre Fotografin

Der Autor, Jahrgang 1966, lebt und schreibt in

Frankfurt. Für die Reportage über seinen Auftritt

als türkische Autorenhoffnung Ertugrul bei

der vergangenen Buchmesse erhielt er den

Henri-Nannen-Preis in der Kategorie Humor. Sein

jüngstes Werk ist „Der beste Roman aller Zeiten“.

Page 12: FAZ Buchmesse Special

Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 13

Nach außen tritt die E-Book-Branche selbst-sicher auf. Wer Zweifel an den Vorzügenihrer Produkte anmeldet, wird als Träumerabgetan. Als Verlagen auf der Buchmessedie deutsche E-Book-Plattform „libreka!“schmackhaft gemacht werden sollte, hieß esmit spöttischem Unterton, dass es den Feuil-letons auch mit Elogen auf das haptische Er-lebnis des Buches nicht gelingen werde, dasE-Book wegzureden. Noch fehlt den marki-gen Worten allerdings ein festes Funda-ment. Am Dienstag hatte der amerikanischeVerlag O’Reilly, Spezialist für Informatikbü-cher, seine Konferenz „Tools of Change forPublishing“ (TOC) erstmals in Frankfurtausgerichtet. Dort war viel darüber zu erfah-ren, wie die Verlagswelt der Zukunft ausse-hen sollte: Kundenbindung durch Zusatzan-gebote, neues Selbstverständnis der Verlageals Dienstleistungsunternehmen. Noch seinicht abzusehen, wann sich mit demE-Book nennenswerte Einkünfte erzielenließen, bekannte Johann Kempe (Holtz-brinck), nur dass dies eines Tages der Fallsein werde, dessen war Kempe sich sicher.

Bis es so weit ist, dürfen sich die Kundenüber Werbeaktionen freuen, wie sie sich „li-breka!“ zur Messe ausgedacht hat. An jedemMessetag bietet das Buchportal ein E-Bookzum kostenlosen Download an, gestern Her-ta Müllers Roman „Atemschaukel“. Das ak-tuelle Buch der Nobelpreisträgerin: Wennsolch ein Werk einen Tag lang gratis alsE-Book zu haben ist, wie viele Leser werdenes dann herunterladen, zehn oder zehntau-send? Die Zahl könnte eine Ahnung davongeben, wie breit der Markt für deutschspra-chige E-Books potentiell ist. Am „libreka!“-Stand wollte man in Absprache mit den Ver-lagen keine Zahlen nennen. Aber die Aktionwerde um einen Tag verlängert – wegen desnicht zu bewältigenden Ansturms. Derweilwächst das Angebot an Lesegeräten. DasSpektrum reicht vom Kassenhändler Ada-

sys, der seinen Flatreader bislang nur übersNetz vertreibt, bis zum japanischen Groß-konzern Sony, der das letztes Jahr vorgestell-te Modell PRS-505 zum „Klassiker“ ernenntund nun ein neues Gerät vorstellt, das es er-laubt, Textstellen beim Lesen zu markierenund zu kommentieren. Ankündigungen blei-ben die wichtigste Währung, das gilt auchfür das Berliner Unternehmen txtr, dessenLesegerät als Weltpremiere präsentiert wur-

de und das im Dezember erhältlich seinwird. txtr-Vorstandschef Christophe Mairehatte erklärt, dass bald jeder, dem das Lesenwichtig sei, einen E-Book-Reader besitzenwerde. Ähnliches verkündete Andrew Savi-kas (O’Reilly), indem er den nahen Tod ei-nes Genres verkündete. Bestimmungsbü-cher für Vogelfreunde würden verschwin-den, sobald ihre digitalen Entsprechungenauf Lesegeräten oder Handys auch gleicheine Bild- und Tonerkennung eingebaut hät-ten, die Vögel an Gesang und Gefieder ein-deutig zuordnen könne. Ein E-Book-Rea-der, der auch noch Vogelpiepen erkennt,gibt vielleicht korrekte Auskünfte. Wissenschafft er nicht. THORSTEN GRÄBE

Ganz hinten in Halle 5B, noch hin-ter den Osteuropäern in ihrer ku-linarischen Rote-Beete-Diaspo-ra und sogar hinter dem Bildnisdes iranischen Obergeistlichen

Ali Chamenei, der aller irdischen Lust Got-tes Zorn entgegenschleudert, wollten wirden Paradiesgarten auf Erden finden, dasSchlaraffenland der Buchmesse: die Gour-met Gallery, die zum ersten Mal stattfindet,mit viel Pomp angekündigt wurde, aller-dings erst im Juni beschlossene Sache warund auch genauso aussieht – wie eine halb-gare Trostlosigkeit, in der nur ein paar Koch-shows und Plauderrunden Appetit machen.

Den größten Raum nimmt die Vereini-gung der World Cook Book Awards ein, diedie besten Kochbücher der Erde in gefühl-ten 8000 Kategorien auszeichnet und die Ti-tel mit der Lieblosigkeit einer Ramschreste-rampe herzeigt. Wie Kraut und Rüben stehtdie Literatur auch auf der Handvoll andererRegale, bestückt von Verlagen, die ihrenHauptwohnsitz in anderen Hallen haben.Hier kann man in einem Hartz-IV-Koch-buch blättern, das den Preis jedes Sparme-nüs ausrechnet, der „Sizilianische Fleisch-spieß Vesuv“ kostet 3,55 Euro – hoppsa,denkt sich der nimmersatte Bildungsbürger,da hat man auch an der Bildung gespart,und sucht gleich die „Neapolitanische Fisch-suppe Ätna“. Die finden wir nicht, stattdes-sen greifen wir zum prachtvollen Weinband„Châteauneuf-du-Pape“; der feine Weinwird großmütig schon am Mittag ausge-schenkt, wohl als Trost gegen die Tristesse.

Dabei gibt es wenig Grund zur Trauer.Die meisten Kochbuchverlage zeigen sichwieder in Halle3. Denn Essen und Trinkenbleibt mit einem Anteil von 21 Prozent derSpitzenreiter im Segment Ratgeber. DieUmsätze sind von Januar bis August um mo-derate 2,2 Prozent gesunken; die Krise hatden Menschen die Kochlust nicht verdor-ben. Die Bestseller-Listen spiegeln die Wi-dersprüche des menschlichen Wesens wi-der: Bei den Top Ten bis fünfzehn Euro lie-gen laut Media Control die Titel „Schlankim Schlaf für Berufstätige“ und „Schlank imSchlaf“ auf den ersten beiden Plätzen, aufden hinteren Rängen folgen zwei weitereDiätfibeln. Dazwischen schmuggeln sichdrei Backbücher. Bei den Büchern von fünf-zehn Euro an dominieren die üblichen Fern-sehverdächtigen: Sieben Titel der zehn Erst-plazierten stammen von Oliver, Schuhbeck,Lafer und Rach – Köche mit Vermarktungs-talent, aber ohne Sonderbegabung. Die Lis-ten sind aber nicht repräsentativ, denn dengrößten Anteil haben Themenkochbüchermit 29 Prozent, gefolgt von allgemeinenKochbüchern (20 Prozent), Gesundheits-

und Diätkochbüchern (fünfzehn Prozent),Länderküchen (vierzehn Prozent) undBackbüchern (knapp zehn Prozent).

Der Marktführer Gräfe und Unzer siehtChancen für die Segmente Schnelle Küche,Diät und Grillen. Lukrativ sind die opulen-ten Bücher von Teubner für bis zu 100 Euro;sie könnten sich auf einen Kundenstammunter ambitionierten, konservativen Hobby-köchen verlassen. Problematisch seien dieWeinbücher aus dem Schwesterverlag Hall-wag. Das Internet sei mit seinen Weinporta-len ein Konkurrent. Zuversicht herrscht beiDr.Oetker, der Nummer zwei bei den Deut-schen. Er kann sich auf seine Longseller ver-lassen – vom „Schulkochbuch“ sind seit1911 nahezu zwanzig Millionen Exemplareverkauft worden, von dem Standardwerk„Backen macht Freude“ seit 1930 mehr alsfünfundzwanzig Millionen. Da bleibt Klein-geld übrig für das „Männerkochbuch“, dasjedes Klischee des fleischfressenden, fort-pflanzungswilligen Homo erectus bedientund ihm beim Vanillehühnchen einen „ho-hen Blendfaktor“ verspricht.

Feinschmecker wird es freuen, dass sichauch feinnervigere Titel gut verkaufen. Zu-frieden ist Rolf Heyne, der wie kein zweiterVerlag in Deutschland große, monographi-sche Werke von Spitzenköchen heraus-bringt, gerade das Buch von Harald Rüssel.Zu loben ist der Stuttgarter Matthaes Ver-lag. Er ist das Wagnis eingegangen, vier Bän-de von Alain Ducasses phantastischen„Grands Livres de Cuisine“ auf Deutsch her-auszubringen, Enzyklopädien der HauteCuisine zu babylonischen Preisen. Als Lohnkann er sich über eine Gesamtauflage von30000 Exemplaren freuen. Diesen Erfolgwird ein bahnbrechendes Buch von Nau-mann & Göbel wahrscheinlich nie erleben.„Heilschnäpse selber machen“ heißt dasWerk, das für jede Malaise das passendeLebenswässerchen bereithält: Basilikum-schnaps sorgt für einen rosigen Teint, Fich-tennadelnschnaps vertreibt die Nervosität,Knoblauchschnaps ist gut gegen Bluthoch-druck. Bei Migräne hilft Hochprozentigesaus Lavendel und Tausendgüldenkraut – na,hätten wir das 2008 gewusst, da gab’s nochrichtig böse Partys auf der Buchmesse.

HühnchenmitBlendfaktor

REGENT-MASSTAGE23. und 24. Oktober

DEUTSCHLANDS ERSTERHERRENAUSSTAT T ER

Seit 1801Kaiserstraße 11 · 60311 Frankfurt

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Samstag 10.00 bis 15.00 Uhr

KRANTZ

Halbgare Trostlosigkeit: In der Gourmet

Gallery in Halle 5B machen nur die Koch-

shows Appetit auf mehr. Foto Anna Jockisch

Im Buchregal fällt es am wenigsten auf: das

E-Book. Foto dpa

Hörst du die Vögel zwitschern?Visionen gibt es viele, Zahlen keine: Das E-Book auf der Messe

Im Sortiment ist Essen undTrinken Spitzenreiter. Aufder Messe hat darum dieGourmet Gallery Premiere.

Von Jakob Strobel y Serra

Page 13: FAZ Buchmesse Special

Seite 14 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

Das Perlende unddie Säue. Wenn zwei sich

prickeln, freut sich derSchluckspecht. Zwei

Empfänge finden heute aufder Messe statt, die sich

äußerlich ähneln:

Pilz auf nackter Haut: Champa-gner klingt nach Champignon

Champagner-Führer: Treibtreiche Schweine in den Ruin

In-Champagner: Das Ende derNahrungskette

Glückwunsch Magnumflasche:

Die Dusche nach dem Sport

Märchentrauma: Großmutter isteine derbes altes Früchtchen

Immer verlogen: Wo ist denn derwerte Gemahl?

Schaumweinschläger Schwanitz:

Der Schampus-Roman ist über-schätzt

Veredelung: der große Spaß fürPremiumkunden

Witwe Clicquot: Alte Schabrackeim Anmarsch, hat einen Flaschen-hals wie ein Kombüsenschlot

Hans-Olaf Henkel: ehemaligerBDI-Präsident, ehemaligerManager, ehemaliger Leibniz-Gemeinschaft-Präsident, ständi-ger Talkshowgast

oder Cola? Das ist doch keineFrage.

Der Wallstein Verlaglädt zu Sekt, Hoffmannund Campe offeriertChampagner. EinAbgleich der Edelgesöffe.

(mwit, oju, mmue, apl)

Pelz auf nackter Haut: Sektklingt nach Sex

Sekten-Führer: Treibt armeSchweine in den Ruin

Insekt: Der Anfang derNahrungskette

Hallöchen Piccolöchen: JederTropfen zählt

Mädchentraube: Rotkäppchen istein herbes junges Früchtchen

Immer verlegt: Wo ist derDeinhard?

Ausgeprägter Sprachwitz: Goe-thes „Sekt mich“-Zitat hat welt-literarische Karriere gemacht

Verelendung: die kleine Freudedes Prekariats

Söhnlein Brillant: Hoffnungsvol-ler Sprössling im Glas, originalverkorkt von Pallhuber & Söhne

Henkell Trocken: ehemaligerArbeitgebertrunk, ehemaligeMangelware, ehemaliger Wohn-gemeinschaftströster, ständigesTalkshowgetränk

oder Selters? Das ist hier dieFrage.

Das DuellSekt vs. Champagner

Foto

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Page 14: FAZ Buchmesse Special

Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 15

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Page 15: FAZ Buchmesse Special

Seite 16 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

Das ist aber ein schö-nes Buch, sagt derMetzger und streiftsich die Handschuheab, an denen sich ver-mutlich das aus mei-

nem Kiefer geflossene Blut befin-det, rot und vielleicht ein wenig eit-rig, was nach der letzten Nacht vol-ler Pein keine Überraschung wäre.Ich erkläre dem Metzger, dass ichals Panikpatient gerne jesuitischeSchmähschriften auf Protestantenin Kirchenlatein lese, wenn ichim Wartezimmer des Gemetzelsharre. Ich kann mich voll aufjedes Wort konzentrieren, zitterenicht bei den unheilverkündendenSchritten der Sprechstundenbeihel-ferin, und außerdem kann einerwie Sardegna, der gegen Lutherargumentiert, gar kein schlechterMensch sein. In Gold ist der Auto-renname auf dem dunkel gemaser-ten Ledereinband des achtzehntenJahrhunderts eingeprägt, dahintermarmoriertes Papier und der Buch-block ganz in Blutrot. Ich nehmedas Verdikt des Metzgers, zu krankfür die Buchmesse zu sein, zurKenntnis und lege mich ins Bett.

Neben meinem Bett ist ein Bü-cherschrank mit einer Handbiblio-thek. Ich bin fraglos biblioman;wenn ich etwa eine alte Ausgabeder „Gefährlichen Liebschaften“in Halbleder sehe, kaufe ich sie,auch wenn ich sie schon ein paar-mal habe. Daneben steht dasProsawerk von Schnitzler aus denzwanziger Jahren, Heine mit ei-nem Frauennamen in blassblauerSchrift, Villon, Mirabeau undKant, alles in Würde und Schön-heit gealtert. Vieles aus dem neun-zehnten Jahrhundert zerfällt mitbesten Gründen, und die medio-kre Buchproduktion des spätenzwanzigsten Jahrhunderts gilbtdem Vergessen entgegen – meingeliebter Walter Mehring etwasieht nach fünfundzwanzig Jahrenschlimmer aus als der hetzerischeSardegna nach 230 Jahren. An Bü-chern kann man sehr schön denUnterschied zwischen Patina undZerfall betrachten.

Bevor mein Kiefer wie ein Gu-gelhupf aufzuquellen beschloss,habe ich mir das Programm derBuchmesse angeschaut. Da gab eskein Podium mit dem Titel:„Bücher als zeitresistente Wert-anlage“. Oder: „Der Bibliomane,der Verlage Glück und Segen. Mitwelchem Einband kann man ihnhätscheln?“ Mich als Bibliomaneninteressiert das. Ich wüsste gern,wie es ein Buchbinder schafft,dass zweihundert Jahre nach sei-nem Tod ein Metzger angerührt istvon der Schönheit seines Schaf-fens. Vielleicht könnten Verlagemal ein paar PR-Leute rausschmei-ßen und dafür Künstler einstellen,die wissen, wie das geht: Patina.Zeit. Geschichte. Dauerhaftigkeit.

Wie laut die Klimaanlage wirk-lich ist, merkt man erstnachts. Es herrscht ein Gepus-te, Gerödel und Gebrummein den leeren Messehallen,

das den Eindruck eines Hangars noch ver-stärkt: Gleich muss der Airbus, der diesenLärm macht, landen. Auf den im Halbdun-kel liegenden Gängen ist es ruhiger, dochdie Stille ist unheimlich für denjenigen, derhier einige Meter alleine geht.

Dabei ist die Messe bei Nacht ungefähr-lich wie nie. Das Sicherheitsrisiko Besucherist verschwunden, um und durch die Hallenpatrouilliert der Sicherheitsdienst. Jeder,der angetroffen wird, muss eine Befugnisvorweisen können. Und es sind nicht weni-ge unterwegs in den Hallen: Die größerenVerlage haben ihre eigenen Standwachen,oft Studenten, die Technik und Papier bewa-chen. Gleich am ersten Stand beäugt uns dieWache misstrauisch; auch anderen fallenunbekannte Besucher auf. Wer zurückäugt,dem bietet sich ein faszinierendes Bild: Aufeiner Messe voller Bücher hat kein Menscheines in der Hand. Am Stand einer Zeitungspielt ein junger Mann das Rennspiel „Needfor Speed“, bei einem Verlag sitzt eine Frau

bei amerikanischen Serien auf DVD aufeinem Sofa, und einen Gang weiter schauenzwei Männer im Internet ein Fußballspielan: Uruguay gegen Argentinien. Lesen halteeben nicht ausreichend wach, meint der

Computerspieler. Eine Dame findet sichschließlich, die Kreuzworträtsel löst und aufNachfrage auch ein Buch aus dem Rucksackzieht: Diana Gabaldon, viele hundert Seitendick. Das reicht für einige Nächte.

Vielleicht werden die Wachen absichtlichnach einer Leidenschaft für Freizeitgestal-tung vor Bildschirmen ausgewählt. Denn fürBücherliebhaber sind die Regale eine einzi-ge Verlockung. Manche Verlage haben ihre

Stände für die Nacht leergeräumt, anderewie etwa S. Fischer präsentieren sich herr-licher als tagsüber: Wo sich sonst Menschendrängeln, ist die Sicht nun frei auf meterwei-se bunte Buchcover, appetitlich angerichtet,als müsse man durch eine geöffnete Prali-nenschachtel laufen und dürfe nichts essen.

Es gilt, die Hände in den Taschen zu be-halten, denn der Nachtdienstleiter der Si-cherheit begleitet uns. Harald Sielmannschiebt seit fünf Jahren im Dunkeln Dienstund sieht deutlich weniger übernächtigt ausals die Standwachen, die den harten Ar-beitsrhythmus nicht gewohnt sind. Von 20Uhr bis 8 Uhr schläft die Messe, doch dieWachen wachen. Man ist geneigt, zu glau-ben: Sie bewachen einander.

Denn an „den klassischen Räuber, derdurchs Fenster reinkommt“, glaubt auchSielmann nicht. Zu streng ist das ganze Ge-lände bewacht. Umso heikler ist die Situa-tion, wenn Verlagsmitarbeiter angetroffenwerden, die nach 21 Uhr an diesem Abendeigentlich nicht mehr da sein dürfen. „Jeder,den wir antreffen, hält sich für befugt oderhat irgendeinen plausiblen Grund, warumer noch hier ist“, sagt Sielmann. Sein Tonfalllässt keinen Zweifel daran, dass er das meistanders sieht. Die späten Passanten sind inrecht unterschiedlichem Zustand: „Wenn dajemand um 3 Uhr nachts am Stand über demLaptop sitzt und beim Arbeiten die Zeit ver-gessen hat, lasse ich den natürlich nicht vomSEK überwältigen.“ Es kommt aber schonauch einmal vor, dass den Sicherheitsleutenjemand entgegenfällt, der den Sektumtrunkmit den Kollegen nach Hallenschluss nichtgut verkraftet hat. Solche Fälle werden insTaxi gesetzt und vom Gelände gebracht.

Die größere Gefahr ist Feuer. Beim Auf-bau gab es einen Schmorbrand, der schnellentdeckt und gelöscht wurde. „Wenn eineHalle abbrennt, wäre das schon sehr pein-lich“, bemerkt Sielmann. Wie viele Sicher-heitsmänner unterwegs sind, darf er nicht sa-gen – Betriebsgeheimnis. Vier davon sitzenim Aufenthaltsraum bei „Bild“ und Essiggur-ken, um sich aufzuwärmen. Es ist ein Uhr,und die Temperatur liegt knapp über demGefrierpunkt. Eine kalte Nacht. Der Außen-rundgang dauert zweieinhalb Stunden undführt durch dunkle Ecken. Das Format derTaschenlampe auf dem Tisch hätte AlfredBioleks Pfeffermühle zur Ehre gereicht.

In der Sicherheitszentrale geben die Funk-geräte in den Ladestationen einen Hinweisdarauf, wie viele Einsatzkräfte es gibt: viele.Das Fensterbrett und ein langer Tisch sindvollgestellt mit Geräten. In einer Schubladeklingelt es. Sielmann nimmt den Anrufentgegen und erklärt seinem verwirrten Ge-sprächspartner, die Besitzerin habe ihrHandy verloren. Außerhalb der Öffnungs-zeiten ist die Sicherheitszentrale das Fund-büro, auch die am Eingang konfiszierten Ge-genstände werden hier verwahrt: Vor allemCS-Gas, Teppichmesser und Leathermen ha-ben viele Besucher dabei. Ausgefallener istdie Ausbeute am Samstag, wenn die verklei-deten Cosplay-Fans anrücken. Die bringennämlich gerne Schwerter mit – Mangafigu-ren schützen sich selbst.

Harald Sielmann

schlägt sich fürdie Sicherheit derschlafenden Bücherdie Nächte um dieOhren. Er machtdas gerne.

Fotos Marcus Kaufhold

Nachts wäre mancher Leser

gern allein auf der Messe,

um ungestört zu lesen.

Aber auch Bücher müssen

einmal schlafen. Unser Bild

wurde in der Nacht von

Mittwoch auf Donnerstag

aufgenommen.

Fettdruck

Die Nacht schaffttausend Abenteuer

Don Alphonso

Wer im Dunkeln Dienst tut, den lockt auchdie Versuchung – denn Bücher werden zu Pralinen.Eine Nacht auf der Buchmesse. Von Julia Bähr

Page 16: FAZ Buchmesse Special

Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 17

Türkei, 2008

Jetzt mal ehrlich: Bevor die Türkei Ehren-gast auf der Buchmesse 2008 war, fiel einembeim Stichwort türkische Literatur herzlichwenig ein. Orhan Pamuk, ja, den kannteman; und auch Yasar Kemal, schließlich hat-te er 1997 in der Frankfurter Paulskircheden Friedenspreis des Deutschen Buchhan-dels entgegengenommen. Ansonsten dachteman bei türkischer Literatur eher an dieStreitschriften von Autorinnen wie NeclaKelek und Seyran Ates. Je näher die Buch-messe aber rückte, desto mehr türkische Au-toren schafften es auf einmal in die Feuille-tons. Ihre Werke erzählten keine Gastarbei-tergeschichten, sie erzählten von dem, wasalle Schriftsteller bewegt: vom Glück unddessen Unmöglichkeit. Zur Buchmesse er-schienen über vierhundert Titel zur Türkei,davon etwa einhundertsechzig Übersetzun-gen aus den Bereichen Belletristik und Kin-derbuch. Insgesamt waren zweihundertfünf-zig Autoren und hundert Verlage aus derTürkei auf der Messe vertreten.

Mit seinem Motto „Türkei – faszinierendfarbig“ brach das Land ganz bewusst mitdem bis dato gepflegten Reinheitsgebot dertürkischen Kultur: Auch armenische, jüdi-sche und kurdische Verlage präsentiertenihre Bücher. Ein Jahr später ist es allerdingswieder still um die türkische Literatur gewor-den. Das sei normal, nach der Reminiszenzfolge erfahrungsgemäß die Depression, sagtLucien Leitess, der Verleger des SchweizerUnionsverlags, der mit seiner „TürkischenBibliothek“ die Liste von ins deutsche über-setzten türkischen Autoren anführt. Unddennoch sieht er einen positiven Effekt:„Man muss den Menschen nicht mehr erklä-ren, dass es türkische Literatur gibt.“ kkr

Russland, 2003

Russlands Ehrengaststatus bei der Frankfur-ter Buchmesse 2003 habe der Verbreitungder russischen Literatur in Deutschland ei-nen kräftigen Schub gegeben, ist Schriftstel-ler Viktor Jerofejew überzeugt. Selbst wenndamals Anna Politkowskaja, die drei Jahrespäter ermordete Journalistin, nicht eingela-den war. Auf besonders lebhaftes Echo seiauf der Messe ein runder Tisch zum ThemaFrauenliteratur gestoßen, erinnert sich Jero-fejew. Insbesondere die Krimiautorin IrinaDeneschkina werde seither in Deutschlandviel gelesen. Alexander Iwanow, Leiter deslinksintellektuellen Verlags Ad Marginem,ist skeptisch. Der Russland-Auftritt sei einevor allem bürokratische Veranstaltung gewe-sen, die weder inhaltlich noch formal merk-liche Akzente setzte. Dass die russischenKrimiautorinnen zum Exportschlager derNation aufstiegen, betrachtet er eher als li-terarisches Krisensymptom. Freilich hät-ten es gute jüngere Autoren auch daheimimmer schwerer, stellt der Verleger mitBlick auf den Jungstar Roman Sentschinfest.

In den Augen der Literaturagentin Gali-na Dursthoff hat der Länderschwerpunktder russischen Literatur im Ausland ehergeschadet als genützt. Ein unübersichtli-cher Tross von mehr als hundert Schriftstel-lern habe eine Flut von Büchern vorge-stellt, die kaum nachgewirkt hätten. FrauDursthoff gibt den deutschen Verlagen eineTeilschuld, weil sie sich zu wenig um die Au-

toren gekümmert hätten. Doch angesichtsder unstrukturierten, nicht engagierten Hor-de russischer Kulturträger sei sie sichmanchmal vorgekommen wie auf einer Kol-chose – zumal die Literaten oft schon dasNationalgetränk genossen. kho

Indien, 2006

„Die großen Erwartungen, die die Frankfur-ter Buchmesse 2006 mit Indien als Schwer-punktland geweckt hat, wurden leider nichterfüllt.“ So resümiert Jose Punnamparambil,ein wichtiger Brückenbauer zwischen den Li-teraturen Indiens und Deutschlands. Es gebequalifizierte Übersetzer aus den wichtigen in-dischen Sprachen, was eine Grundvorausset-zung ist, dass indische Literatur in Deutsch-land „ankommt“. Doch fehle eine „gezielteund wohlüberlegte Förderung dieser Litera-tur von offizieller Seite, es fehlt auch zu-kunftsweisende Zusammenarbeit zwischendeutschen und indischen Verlagen“.

Tatsächlich sind nach der Fülle guterÜbersetzungen indischer Literatur, meistaus dem Englischen, nur wenige Übersetzun-gen nachgefolgt. Die großen Verlage konn-ten der indischen Literatur nicht zum erhoff-ten Durchbruch verhelfen. Darum sind au-ßer den etablierten Schriftstellern – KiranNagarkar, Khushwant Singh, Amitav Ghosh– kaum neue Entdeckungen hinzugekom-men. Nur eine sticht hervor: der Booker-Preis-Gewinner Aravind Adiga mit seinemDebüt „Der weiße Tiger“.

Allerdings hat der kleine, der indischenLiteratur gewidmete Draupadi-Verlag einenAufschwung erlebt. Sein Verleger Christian

Weiß sagt: „Im Jahre 2006 wurden viele Jour-nalisten zum ersten Mal auf den DraupadiVerlag aufmerksam.“ kmp.

Katalonien, 2007

Katalonien musste sich als eingeladeneGastkultur der Frankfurter Buchmesse 2007zunächst mit der Frage beschäftigen, was esunter seiner eigenen Literatur verstehe, undder Streit um katalanisch oder spanisch ge-schriebene Bücher beherrschte die Vorberei-tungsphase. Alles andere jedoch wird in Ka-talonien als großer Erfolg gewertet, von derPräsentation des aufwendigen Pavillons bis

zur Verbreitung der eigenen Kultur undSprache. Zwölf Millionen Euro ließ sich Ka-talonien den Auftritt in Frankfurt kosten.Fast eine Viertelmillion ging in die Überset-zungsförderung, damit im Messeherbst2007 dreiundfünfzig katalanische Werke indeutscher Übersetzung vorlagen. Das Insti-tut Ramon Llull, das mit dem Programm be-traut war, betont in seiner Bilanz die Ausge-wogenheit zwischen klassischer und moder-ner Literatur. Fundamentalen Werken derkatalanischen Tradition wie „Der weiße Rit-ter“, der in einer vollständigen dreibändigenÜbersetzung erschien, standen mehr alsdrei Dutzend Romane und Erzählungen zeit-genössischer Autoren gegenüber. Im Jahrnach dem Auftritt erstellte das Institut eineStatistik, wie sich die ins Deutsche übersetz-ten Bücher der katalanischen Literatur ver-kauft hatten, und konnte erstaunliche Erfol-ge melden.

Spitzenreiter war Maria Barbals Roman„Wie ein Stein im Geröll“ (Transit Verlag)mit 50 000 Exemplaren, gefolgt von JaumeCabrés „Die Stimmen des Flusses“ (Suhr-kamp, 40 000 Stück). Selbst die in einemdickleibigen Buch gesammelten Erzählun-gen des Ironikers Quim Monzó (FrankfurterVerlagsanstalt) verkauften sich viertausend-mal. Von der katalanischen Offensive aufdem deutschen Buchmarkt im Jahr 2007 gin-gen starke Impulse für Übersetzungen in an-dere Sprachen aus, unter anderem ins Fran-zösische, Englische, Russische, Portugiesi-sche und Ungarische. Bis heute gilt der Auf-tritt auf der Frankfurter Buchmesse als diewichtigste kulturpolitische Aktion Katalo-niens im Ausland. P.I.

13.30 „Lasst euer Licht

leuchten“ – bei

der Mittagsmeditation mit

Harfenmusik im Kirchencenter.

Evangelische und katholische

Messeseelsorge, Torhaus,

Ebene 4.

14.00 Pu der Bär kehrt in

den Hundertsech-

zig-Morgen-Wald zurück, und

Harry Rowohlts Stimme beglei-

tet ihn. Cecilie Dressler Verlag,

Halle 3.0.

Liebeskummer lohnt sich

nicht, behaupten Monika Dete-

ring und Silke Porath. No, no.

Schade um die Tränen in der

Nacht. Blackbetty Mobilmedia,

Halle 3.0.

14.20 Schmecken Sie

doch mal ein L –

Synästhetikerin Margarete Mül-

ler-Bähr liest aus ihrem Buch

„Essencen“. Frankfurter Verlags-

gruppe, Halle 4.1.

15.00 Unter „lässliche

Todsünden“ sor-

tiert das Buchmessenvolk ger-

ne die Völlerei ein: Eva Menas-

se im Interview. Zeit, Halle 3.1.

Wolfgang Endres präsentiert

„fünf wichtige Rhetoriktipps für

alle, die etwas zu sagen ha-

ben“. Wer nichts zu sagen hat,

für den gilt: lauter sein als alle

anderen. Beltz, Halle 3.1.

Suchen Sie weiter: Wer zu spät kommt, der muss draußen schlafen. Foto Comet

Foto ddp

Ein Glas Wodka zum Frühstück

Foto dpa

> Termine

Während alle gebanntauf China schauen undspekulieren, wie dasLand am Ende wohl ab-schneidet, haben wir unsgefragt: Was hat derBuchmessenauftritt denehemaligen Gastländerneigentlich gebracht?

,,Nein, das kannman nicht heilen, dasbleibt lebenslang.‘‘Chinesische Messebesucher auf die

Frage des ehemaligen „Titanic"-

Chefredakteurs Martin Sonneborn,

ob denn die chinesische Heilkunst

etwas gegen Guido Westerwelles

Homosexualität ausrichten könne.

Page 17: FAZ Buchmesse Special

Seite 18 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

Tomi Ungerer sieht John Banvilles neuen Roman „The Infinities“.

Page 18: FAZ Buchmesse Special

Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse Freitag, 16. Oktober 2009 · Seite 19

„Frankfurter Allgemeine Buchmessezeitung“ heraus-

gegeben von der Frankfurter Allgemeine Zeitung

GmbH.

Verantwortliche Redakteurin:

Felicitas von Lovenberg.

Geschäftsführung:

Tobias Trevisan (Sprecher), Dr. Roland Gerschermann.

Verantwortlich für Anzeigen: Andreas Formen

(Verlagsgeschäftsführer);

für Anzeigenproduktion: Stephan Puls.

Druck: Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH,

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Die Frankfurter Allgemeine Buchmessezeitung und

alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich

geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelasse-

nen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des

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anschrift: 60267 Frankfurt am Main; Hausanschrift:

Hellerhofstraße 2 – 4, 60327 Frankfurt am Main,

Telefon (0 69) 75 91 - 0, zugleich ladungsfähige An-

schrift für alle im Impressum genannten Verant-

wortlichen und Vertretungsberechtigten.

Impressum

Den Fragebogen hat sie infeinster Handschrift aus-gefüllt und jede Frage, die

auf das Zeitalter 2.0 verweist, mitdem Hinweis umschifft, von die-ser Welt verstehe sie nichts. Amé-lie Nothomb, der sonst nichtsfremd ist, zeigt uns eine ihrerunbekannten Seiten. Zwar weißman, dass sie sich jeden Nachmit-tag in das Büro ihres Pariser Verla-ges zurückzuziehen pflegt, um dieLeserbriefe zu beantworten, diesie erhält. Aber dass sie sich dazuan eine Schreibmaschine setzt,hätten wir nicht erwartet. Auchnicht, dass sie trotzdem so schnellist. Jedes Jahr erscheint ein neuesBuch von ihr, in jedem geht es dar-um, wie man sich gegenseitig dasLeben zur Hölle macht. Nebendem guten Dutzend Romane, dassie schon veröffentlicht hat, sollenweitere dreißig Manuskripte inihrer Schublade liegen. Schreiben,so hat Amélie Nothomb einmal ge-sagt, sei wie „das Auskosten einesLustprinzips und das Genießeneiner Sucht“. Will sagen: KeinEnde abzusehen. lbo

Fragebogen

15.30 Berlin, Istanbul, An-

kara, Föhr und zu-

rück: Feridun Zaimoglu nimmt

uns mit auf eine Reise ins „Hin-

terland“. ARD, Forum, Level 0.

17.30 Heute mal länger

aufbleiben: Der

Deutsche Jugendliteraturpreis

wird vergeben in den Sparten

Sachbuch, Jugendbuch, Kinder-

buch und Bilderbuch. Danach

Sandmännchen und ab ins

Bett. Arbeitskreis für Jugendlite-

ratur, Raum Harmonie, Con-

gress Center.

19.00 Nick Cave liest bei

Schöneberger aus

seinem „Der Tod des Bunny

Munro“. Hingehen ist Pflicht

(Einladung auch).

20.00 Die Verlage Blu-

menbar, Liebes-

kind, Kookbooks und ihresglei-

chen trinken darauf, dass sie

jung sind. Um halb elf wird der

Publikumspreis verliehen. Das

Fest der jungen Verlage im

Kunstverein.

Gerade die Bilanz des eige-

nen Dreißigjährigen Krieges

vorgelegt, und nun auch noch

feiern: Die Redaktion der

Titanic lädt zum Untergang, im

Kanuverein.

22.00 Nach dem Aufbau-

Verlag am Mitt-

woch feiert nun DuMont eine

Après-Skiparty auf der eisigen

Terrasse des Mantis Roof-

garden.

23.00 Frank Schätzing

feiert auf dem

Eisernen Steg seine tausendste

Lesung dieser Buchmesse. Hin

darf, wer eine Digitalkamera da-

bei hat. Gastleser: Alf.

Amélie NothombSchriftstellerin

Foto Wolfgang Eilmes

Was ist für Sie das größte Unglück? Eine Heizungspanne.

Wo möchten Sie leben? Dort, wo es gute Bücher gibt.

Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Ein exzellenter Champagner, sehr kalt serviert.

Welche Fehler können Sie nicht verzeihen? Vulgarität.

Ihre liebste Comic-Figur? Der Professor Bienlein aus „Tim und Struppi“.

Ihre meistgehasste Sendung im Fernsehen? Alle „Reality-Shows.“!

Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung? Die Vokale.

Weshalb überhaupt Gedichte lesen? Weil sie die Aristokratie der Literatur sind.

Wann haben Sie sich zuletzt selbst gegoogelt? Ich besitze keinen Computer. Ich weiß nichts vondieser Welt.

Welche Kunstausstellung haben Sie zuletzt besucht? „Pollock et le chamanisme“ in derPinakothek in Paris.

Auf die Musik welches Komponisten könnten Sie am ehesten verzichten? Auf keine.

Welche Eigenschaft schätzen Sie an sich selbst am meisten? Das Erstaunen.

Welche der sieben Todsünden wird überschätzt? Die Lust.

Ihre Lieblingsbeschäftigung? Sehr schöne Musik hören.

Mit welcher literarischen Figur können Sie sich identifizieren? Mit Amélie Nothomb.

Was schätzen Sie an Ihren Freunden am meisten? Ihre Sensibilität.

Ihre größte Leistung? Eine Nacht gut schlafen.

Welchen Lebenstraum haben Sie aufgegeben? Keinen.

Wofür haben Sie sich zuletzt entschuldigt? Ich entschuldige mich die ganze Zeit, deswegenerinnere ich mich nicht mehr.

Ihr Lieblingswort? Im Französischen „pneu“, im Deutschen „Reifen“ – nur wegen des Klangs.

Was macht Sie nervös? Kaffee.

Worauf können Sie verzichten? Auf nichts.

Welchen Roman der Weltliteratur haben Sie nicht zu Ende gelesen? „Berlin Alexanderplatz“.

Welchen Roman hätten Sie gern geschrieben? Die Bibel.

Sind Sie ein Gegner oder ein Befürworter des neuen E-Books? Diese Welt ist mir zu fremd,daher kann ich keine Meinung zu ihr haben.

Wen würden Sie gern einmal wiedersehen? Meine Freundin Claire.

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Wie ein Vogel zu fliegen.

Wie möchten Sie sterben? In dem Bewusstsein, dass ich sterbe.

Und dann? Schauen, was passiert.

Foto Frank Röth

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Page 19: FAZ Buchmesse Special

Seite 20 · Freitag, 16. Oktober 2009 Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Buchmesse

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»Sein erschütterndes Buch berührt unser Herz«

Die Jury des Prix Goncourt

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