FMR-Ukraine: Hilfeschrei von der Krim

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Fokus Menschenrechte Nr. 10 / März 2015 Ein Hilfeschrei von der Krim Dissident Sinawer Kadyrow zur Annexion der Krim Eskender Barijew Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit | Fokus Menschenrechte 1944 deportierte das sowjetische Regime das gesamte Volk der Krimtataren – mehrheitlich Alte, Frauen und Kinder – nach Zentralasien, Sibirien und in den Ural. Fast die Hälfte starb infolge der Deportation. Als die Männer nach dem Krieg von der Front zurückkehrten, organisierten sie die nationale Bewegung der Krimtataren. Deren Ziele waren die Rückkehr in die Heimat, die Wiederherstellung der Krimtatarischen Autonomen Sowjetrepublik und die vollständige rechtliche Rehabilitierung. Nachdem 1956 das Sonderreglement aufgehoben wurde, welches strikt auferlegte, wo genau sich die Krimtataren in der Sowjetunion ansiedeln durften, konnte sich die nationale Bewegung besser organisieren. In der Folge entwickelte sich daraus die größte Menschenrechtsbewegung der UdSSR. Die Anführer der Bewegung kooperierten eng mit anderen Dis- sidenten der Sowjetunion. Das sowjetische totalitäre Regi- me verurteilte hunderte Aktivisten und sperrte sie hinter die Mauern von Lagern und psychiatrischen Anstalten. Mustafa Dzhemilev, einer der bekannte©sten Sowjetdissidenten und langjähriger Vorsitzender des Medschlis, des höchsten reprä- sentativen Organs der aus der Verbannung zurückgekehrten Krimtataren seit 1991, verbrachte fünfzehn Jahre seines Le- bens in sowjetischen Lagern. Für andere Aktivisten wie etwa Jurij Osmanow, ebenfalls Sowjetdissident und führende Per- sönlichkeit der krimtatarischen nationalen Bewegung, 1993 unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen, waren es mehr als zehn. Erst durch Gorbatschows Perestroika konnte der Großteil des krimtatarischen Volkes nach einem 50 Jahre währenden Kampf in die Heimat zurückkehren. Doch die Wiederherstellung ihrer politischen Rechte bleibt ihnen bis heute verwehrt. Sinawer Kadyrow. ©www.avdet.org

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1944 deportierte das sowjetische Regime das gesamte Volk der Krimtataren – mehrheitlich Alte, Frauen und Kinder – nach Zentralasien, Sibirien und in den Ural. Fast die Hälfte starb infolge der Deportation. Als die Männer nach dem Krieg von der Front zurückkehrten, organisierten sie die nationale Bewegung der Krimtataren. Deren Ziele waren die Rückkehr in die Heimat, die Wiederherstellung der Krimtatarischen Autonomen Sowjetrepublik und die vollständige rechtliche Rehabilitierung.

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  • Fokus Menschenrechte

    Nr. 10 / Mrz 2015

    Ein Hilfeschrei von der KrimDissident Sinawer Kadyrow zur Annexion der Krim

    Eskender Barijew

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit | Fokus Menschenrechte

    1944 deportierte das sowjetische Regime das gesamte Volk der Krimtataren mehrheitlich Alte, Frauen und Kinder nach Zentralasien, Sibirien und in den Ural. Fast die Hlfte starb infolge der Deportation. Als die Mnner nach dem Krieg von der Front zurckkehrten, organisierten sie die nationale Bewegung der Krimtataren. Deren Ziele waren die Rckkehr in die Heimat, die Wiederherstellung der Krimtatarischen Autonomen Sowjetrepublik und die vollstndige rechtliche Rehabilitierung.

    Nachdem 1956 das Sonderreglement aufgehoben wurde, welches strikt auferlegte, wo genau sich die Krimtataren in der Sowjetunion ansiedeln durften, konnte sich die nationale Bewegung besser organisieren. In der Folge entwickelte sich daraus die grte Menschenrechtsbewegung der UdSSR. Die Anfhrer der Bewegung kooperierten eng mit anderen Dis-sidenten der Sowjetunion. Das sowjetische totalitre Regi-me verurteilte hunderte Aktivisten und sperrte sie hinter die Mauern von Lagern und psychiatrischen Anstalten. Mustafa Dzhemilev, einer der bekanntesten Sowjetdissidenten und langjhriger Vorsitzender des Medschlis, des hchsten repr-sentativen Organs der aus der Verbannung zurckgekehrten Krimtataren seit 1991, verbrachte fnfzehn Jahre seines Le-bens in sowjetischen Lagern. Fr andere Aktivisten wie etwa Jurij Osmanow, ebenfalls Sowjetdissident und fhrende Per-snlichkeit der krimtatarischen nationalen Bewegung, 1993 unter ungeklrten Umstnden ums Leben gekommen, waren es mehr als zehn.

    Erst durch Gorbatschows Perestroika konnte der Groteil des krimtatarischen Volkes nach einem 50 Jahre whrenden Kampf in die Heimat zurckkehren. Doch die Wiederherstellung ihrer politischen Rechte bleibt ihnen bis heute verwehrt.

    Sinawer Kadyrow. www.avdet.org

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    Sinawer Bej1, erzhlen Sie kurz ber Ihr Wirken als Brger-rechtler zur Sowjetzeit. Wofr wurden Sie verurteilt? Wann kamen Sie frei und unter wel-chen Bedingungen?Mein Engagement fr die Men-schenrechte ergab sich, wie das vieler meiner Kollegen, im Rah-men der nationalen Bewegung der Krimtataren. Wir wurden in der Verbannung geboren, noch vor 1967, als das Prsidium des Obersten Sowjets per Erlass die Rckkehr unseres Volkes in die Heimat ausschloss. Und whrend die krimtatarischen Aktivisten der lteren Generation noch berwiegend einen Pe-titionskrieg fhrten, hat sich unsere Generation dann mehrheitlich im aktiven gewaltfreien Widerstand or-ganisiert. Genau dank dieser Entwicklung haben wir uns auch nicht an der Umsetzung der Programme der Kommunistischen Partei beteiligt, die unsere Verwur-zelung an den Orten unserer Verbannung zum Ziel hat-te, vor allem in Usbekistan, und so konnten wir dann spter in unsere historische Heimat, auf die Krim, zu-rckkehren.

    Meine Verhaftung fand am 12. Dezember 1985 statt. Mir wurde der Versuch vorgeworfen, Informationen ber die Lage der Menschenrechte in der UdSSR ins Ausland weiter zu geben. Ich wurde angeklagt, Doku-mente organisiert und ausgearbeitet zu haben, die das sowjetische System diskreditieren sollten. Auer mir kam auch Reschat Ablajew [ebenfalls krimtatarischer Aktivist Anm. d. Red.] vor Gericht. Wir wurden zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Das war das maxi-male Strafma fr die uns vorgeworfene Tat.

    Vollzogen wurde die Haftstrafe in der Stadt Lensk, in der Jakutischen Autonomen Sowjetrepublik. Ich wur-

    1 Bej ist die krimtatarische Hflichkeitsanrede. Anm. d. Red.

    de am 8. Dezember, vier Tage vor dem eigentlichen Ende meiner Strafe, pltzlich entlassen. Al-les geschah sehr eilig, ich wurde sprichwrtlich hinausgeworfen. Ich verstand nichts und sah erst abends in den Nachrichten, dass Michail Gorbatschow nach New York gereist war, um vor der Ge-neralversammlung der Vereinten Nationen zu sprechen. Zu Hause erst erzhlten mir meine Freun-de von den Umstnden meiner Befreiung und der Reschat Ab-lajews, der etwas frher frei ge-kommen war. AMNESTY INTER-NATIONAL hatte Gorbatschow

    eine Liste mit 300 politischen Hftlingen in der UdSSR bergeben, die er sich freizulassen verpflichtete. Unter diesen 300 waren auch unsere Namen.

    Die Annektierung der Krim wie haben Sie sie er-lebt, als Brgerrechtler und Aktivist der nationalen Bewegung der Krimtataren?Politische Prozesse verstehen und analysieren zu kn-nen und in gewissem Sinn die Fhigkeit, diese beein-flussen zu knnen sind nicht die wesentlichen Fhig-keiten, die ein Aktivist haben sollte, der von Menschen in Tarnuniformen umgeben ist, mit hinter Masken ver-steckten Gesichtern und echten Sturmgewehren und MGs. berall Soldaten, Soldaten und Soldaten. Solda-ten zu Fu, auf Lastwagen, auf gepanzerten Transport-wagen, Schtzenpanzern, welche jeden Moment bereit sind, bei jeder kleinsten Bewegung, auf unbewaffnete Brger zu schieen. In so einer Situation ist Selbstbe-herrschung das Wichtigste. Meiner Meinung nach war es die Hauptaufgabe des MEDSCHLIS und anderer Ver-tretungsorgane, sowie auch von Aktivisten unserer na-tionalen Bewegung, keine Panik unter den Menschen zuzulassen und zu verhindern, dass sich Menschen-

    Eskender Barijew als Seminarleiter der FNF.

    Das folgende Interview fhrte Eskender Barijew, Krimtatar, Brgerrechtsaktivist und langjhriger Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit, im Februar 2015 mit Sinawer Kadyrow, einem der Koor-dinatoren des Komitees fr die Verteidigung der Rechte der Krimtataren, das Kadyrow als Antwort auf die russische Annexion der Krim initiierte (das Komitee ist seit Frhling 2014 aktiv und seit der Annexion der Krim immer wieder Repressalien seitens der russischen Besatzungsbehrden ausgesetzt). Schon whrend des kommunistischen totalitren Regimes setzte sich Kadyrow aktiv fr die Rechte der Krimtataren in der Sowjetunion ein und wurde dafr mehrmals verhaftet.

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    mengen zu Provokationen hinreien lassen. Ich denke, diese Aufgabe hat unsere nationale Bewegung sehr gut bewltigt.

    Kann man sich einen anderen Lauf der Ereignis-se vorstellen, wenn die ukrainischen Politiker sich die vergangenen 23 Jahre anders gegenber den Krimtataren verhalten htten?Man sagt, die Geschichte kenne keinen Konjunktiv. Aber wenn die Ukraine den Status unseres Volkes auf der Krim rechtzeitig wiederhergestellt htte, wenn die krimtatarische nationale Autonomie wiedererrichtet worden wre, die die Russische Sozialistische Fdera-tive Sowjetrepublik 1944 liquidiert hat, nachdem sie unser gesamtes Volk deportierte wir knnen sagen, dass sich der Prozess der ukrainisch-russischen Bezie-hungen in der Krim-Frage ein wenig anders gestaltet htte. Und htten die russischen Soldaten unter sol-chen Umstnden eine gewaltsame Besetzung der Krim versucht, so htte es bereits von Beginn an heftigen Widerstand seitens der krimtatarischen Bevlkerung gegeben, und, mglicherweise, htten sich die Ereig-nisse gar nicht bis zum Osten der Ukraine weiterent-wickelt.

    Das Komitee fr die Verteidigung der Rechte des krimtatarischen Volkes, das Sie mit anderen Akti-visten koordinieren ist das ein Allheilmittel fr

    die Krimtataren, oder ein Hilfeschrei der Seele? Weder noch. Obwohl, unter den gegenwrti-gen Umstnden, wenn Russen versuchen, die Bevlkerung in dem nun von Russland kont-rollierten Territorium total einzuschchtern, dann erinnert die Errichtung eines Komitees zum Schutz von Brgerrechten tatschlich an einen Hilfeschrei der Seele. Doch ich denke, das ist nicht ganz korrekt. Das Komitee ist viel mehr der Versuch der Selbstorganisation, der Versuch, Mechanismen eines effektiven Wi-derstandes zu schaffen, oder nennen wir es ei-nen Versuch, dem Aggressor gewaltfrei etwas entgegenzusetzen, mit der Untersttzung der Weltgemeinschaft und ihrer Institutionen.

    Sie wurden krzlich von der Krim ausge-wiesen? Wie geschah dies und warum?Formell wurde ich wegen eines administrati-

    ven Gesetzesverstoes ausgewiesen, nach Artikel 18.8 Teil 1.1 des russischen Verwaltungsstrafverfahrens-kodex: Versto auslndischer Brger gegen die Auf-enthaltsbestimmungen in der Russischen Fderation durch nicht rechtzeitige Ausreise nach Ablauf der Auf-enthaltsfrist.

    Es war merkwrdig, weil ich diesen russischen Kon-trollpunkt zwischen dem Festland und der Krim seit Mrz 2014 schon mehrmals berquert habe, das letz-te Mal am 20. Dezember. Aber dieses Mal galt ich als auslndischer Staatsbrger und wurde aus dem Rus-sischen Staat ausgewiesen.

    Ich bin sicher, dass der Hauptgrund meiner Ausweisung meine Aktivitten im Komitee fr die Verteidigung der Rechte des krimtatarischen Volkes liegen, wo ich den Posten eines Koordinators wahrnehme. Am 17. Januar 2015 haben wir auf der Krim die zweite Krimkonferenz des Komitees abgehalten, bei der ungefhr 40 Provoka-teure in Sportkleidung und Kapuzen, geschickt von den lokalen Machthabern, die Veranstaltung zu verhin-dern suchten. Solche Leute nennt man in der Ukraine Tituschki [nach dem Familiennamen eines als bezahlt entlarvten Strers Anm. d. Red]. Dennoch gelang es uns, vier aus meiner Sicht sehr wichtige Dokumente anzunehmen. Erstens ein Schreiben an den Generalse-kretr der VEREINTEN NATIONEN, Ban Ki Moon, in dem wir die Weltgemeinschaft auffordern, uns dabei Hilfe zu leisten, dass die Urvlker der Krim, die Krimtata-

    Die Schwarzmeerregion um 1600 mit dem Khanat der Krim. Quelle: FNF

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    ren, die Karaimen und die Krimtschaken, die als Volk im Verschwinden begriffen sind, nicht in die russische Armee einberufen werden.

    Schreiben Nummer 2 ging an den trkischen Prsiden-ten Recep Tayyip Erdogan, um zu den Falschinforma-tionen Prsident Putins Stellung zu nehmen und auf die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen die Krimtataren hinzuweisen. Schreiben Num-mer 3 ging an den ukrainischen Prsidenten Petro Po-roschenko, an das Parlament der Ukraine und an das ganze ukrainische Volk aller Nationalitten. Darin rufen wir das ukrainische Parlament auf, sog. Selbst-bauten zu legalisieren, die zwischen zehn und zwanzig Jahre alt sind [Selbstbauten sind von den Krimtata-ren nach ihrer Rckkehr aus dem Exil gebaute Huser, fr die sie von den Autoritten der Krim keine Bauge-nehmigung erhielten Anm. d. Red.]. Zudem rufen wir dazu auf, die vorsowjetische Ortsnamensgebung der Krim wiederherzustellen. Viertens verabschiedete die Konferenz eine Resolution zur Grndung einer neuen Bewegung von krimtatarischen Mttern, Schwestern und Ehefrauen gegen den Dienst krimtatarischer Mn-ner in der russischen Armee.

    Was meine Ausweisung betrifft, so sind wir, die drei Koordinatoren des Komitees, von Simferopol aus in Richtung Cherson [Festlandukraine Anm. d. Red.] ge-fahren. Wir hatten Flugtickets nach Istanbul. Ich hatte mehrere Arztbesuche dort geplant, denn ich bin vor ei-nem Jahr am Herzen operiert worden.

    Wie gewohnt kamen wir zum Kont-rollpunkt, wo die Psse kontrolliert werden. Wir waren es gewohnt, am Kontrollpunkt von einer Stunde bis zu dreieinhalb Stunden festgehalten zu werden. Doch dieses Mal gab man uns nach einer Stunde und zehn Minu-ten die Anweisung, unser Auto an der Grenzkontrollstation zu parken und auszusteigen. Dann bat man uns aus dem Auto in einen kleinen Waggon, wo wir in ein Zimmer mit einem zwei-stckigen Bett gesperrt wurden. Wir beschwerten uns und forderten Do-kumente, welche unsere Festsetzung rechtfertigten. Wir bekamen die Ant-wort, gar nicht festgehalten zu werden und durften in unser Auto zurckkeh-ren. Allerdings sperrte man uns auch dort ein; die Schlssel nahm man uns

    weg. Nach mehreren Stunden wurde ich zu einem Ge-sprch gefhrt, in dem mir nahegelegt wurde, dass ich einen administrativen Versto begangen htte, nach dem genannten Artikel des Verwaltungsstrafkodex der Russischen Fderation der Versto eines auslndi-schen Staatsbrgers gegen die Aufenthalts-(Melde-)Richtlinien. Dabei bin ich schon 20 Jahre lang auf der Krim gemeldet. Und obwohl ich dann einen Antrag auf Verschieben des Gerichtsprozesses stellte, welcher mein Flugticket sowie Belege zu meinem Gesundheits-zustand enthielt, wurde ich ins Gericht der Stadt Arm-jansk gebracht, wo ich per Gerichtsurteil zur Ausreise sowie zu einer Strafe von 2000 Rubeln verurteilt wur-de. Ich verpasste meinen Flug und konnte erst einen Tag spter reisen.

    Ein Jahr Okkupation der Krim und seiner Bewohner. Wird die Bevlkerung der Krim die Rckkehr in die Ukraine wollen? Was muss dafr geschehen?Wenn wir ber die Bevlkerung der Krim sprechen, mssen wir, so denke ich, uns klar machen, ber wen wir sprechen. Heute leben auf der Krim mehrheitlich Menschen, mit denen die Krim nach der vollstndi-gen Deportation der Krimtataren im Mai des Jahres 1944 besiedelt wurde. Wenn wir ein Augenmerk auf den sozialen Status dieser Krim-Brger legen, sehen wir, dass fast die Hlfte von ihnen pensionierte Mit-arbeiter des Verteidigungsministeriums oder anderer Spez-Behrden der frheren UdSSR sind [Behrden

    Physische Karte der Krim. CC BY-SA 2.0/Maximilian Drrbecker

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    vor allem sensibler Bereiche wie Sicherheit und Auf-klrung Anm. d. Red.], sowie Pensionre aus der al-ten Nomenklatura der Kommunistischen Partei. Genau dieses Kontingent der Bevlkerung stimmte nach der Unabhngigkeit [der Ukraine] zu jeder Zeit gegen das Werden und die Entwicklung der unabhngigen Ukrai-ne.

    Und eben deshalb wrde ich sie aus der Zahl der Men-schen, deren Meinung wir bercksichtigen sollten, aus-schlieen wie es nach 1991 in Estland und Lettland geschah. [Nach der Unabhngigkeit Estlands und Lett-lands 1991 mussten nach der Annexion der genannten Lnder durch die UdSSR eingewanderte Sowjetbrger zunchst einen Prozess der Naturalisierung zur Erlan-gung der jeweiligen Staatsbrgerschaft durchlaufen. Erst so erhielten sie Wahl- und Mitbestimmungsrechte Anm. d. Red.] Was die anderen betrifft, die sich als Russen oder Slawen identifizieren, so hat sich fr deren Meinung niemand besonders interessiert. Bei egal wel-chem Szenario kam ihnen die Rolle jubelnder Massen zu.

    Alles, was im Frhling 2014 auf der Krim passiert ist, sollten wir richtigerweise eine militrische Spezialope-ration zur Eroberung von Territorium nen-nen, die, das kann man nicht umhin festzustellen, gln-zend durchgefhrt wurde. Alles sah wie ein innerstaatlicher, sozial-politischer, nationalistisch ge-frbter Aufstand aus, welcher mit Blick auf die instabile Situa-tion in Kiew und die schwache ukraini-sche Fhrung be-nutzt wurde.

    Deshalb bin ich der Meinung, dass die Frage der Rckkehr der Krim in die Ukraine nicht von den Wnschen oder Launen der ge-nannten Kategorien von Menschen abhngig gemacht werden sollte. Wenn man jemanden fragt, sollte das rechtmig von statten gehen, und rechtens wre es, die wirkliche Bevlkerung der Krim zu fragen die Krimtataren. Unsere Staatlichkeit hat man zerstrt, und unser Volk hat man seit der ersten Annexion der

    Krim durch Russland im Jahre 1783 [durch Zarin Kat-harina II.- Anm.d. Red.] kontinuierlich und bis heute gewaltsam unterdrckt.

    Wie sehen Sie die Rolle der Ukraine und ihres po-litischen Establishments bei der Wiederherstellung des Status quo ante (die Krim unter Kontrolle der ukrainischen Regierung)?Fr die Wiederherstellung des Status quo ante ist die Rolle der Ukraine gar nicht zu berschtzen. Bei jeder mglichen Entwicklung wird sie das letzte Wort ha-ben. Leider ist das kein an einem Tag lsbares Problem, und gerade deshalb ist es sehr wichtig, eine Strategie des Zusammenwirkens des ukrainischen Staates und der pro-ukrainischen Bevlkerung auf der okkupier-ten Krim zu entwickeln. Allein die Parole Die Krim ist ukrainisch! reicht nicht aus, wenn man dabei unttig bleibt, oder, noch schlimmer, Gesetze wie zum Beispiel das zur freien Wirtschaftszone annimmt. [Im Septem-ber 2014 unterschrieb Prsident Poroschenko ein Ge-setz zum Schaffen einer freien Wirtschaftszone auf der Krim, mit besonderen Zoll- und Personenverkehr-Be-stimmungen Anm. d. Red.]

    Meiner Meinung nach ist es unab-dingbar, schnell ein Gesetz ber den Status des krimta-tarischen Volkes als Urvolk der Krim anzunehmen und alle Gesetze abzu-schaffen, welche die Rechte der krimtata-rischen Bevlkerung beschneiden und noch zu Sowjetzei-ten angenommen wurden. Dazu gehrt auch der Erlass ber die nderungen der

    krimtatarischen Ortsbezeichnungen ins Russische.

    Die Krimtataren sollten als eigenstndiges Subjekt oder als dritte Seite im ukrainisch-russischen Konflikt ber die Krim anerkannt werden.

    Khanpalast von Bachtschyssaraj - Palast des Gartens

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    Was muss die Ukraine fr eine friedliche Rckgabe der Krim unternehmen?Wenn man mit Russland zu tun hat, klingt die Formulierung friedliche Rckgabe irgendwie unangebracht. Man kann ber eine Rckgabe mit minimalen Opfern und Verlusten reden. Aber schon frher ist die Ukraine mit diesem Problem alleine nicht zu Recht gekommen. Sie braucht Hilfe. Die EU und die USA, Kanada und die anderen demokratischen Staaten mssen die unumst-lichen Verbndeten der Ukraine bleiben. Die Zahl der die Ukraine untersttzenden Staaten sollte mit jedem Tag, an dem die Krim

    okkupiert bleibt, wachsen. Es ist unabdingbar, die Zahl der Untersttzer der Ukraine zu erhhen. Aber das ist schon die Aufgabe der Ukraine und ihres politischen Establishments.

    Ist der krimtatarische Faktor ein Mechanismus, auf Russland oder die Ukraine einzuwirken, oder ak-zeptieren Sie das schwere Schicksal des krimtata-rischen Volkes?Der Faktor Krimtataren hat alle rechtlichen Grundla-gen, um einbezogen zu werden, um auf Russland und auch auf die Ukraine einzuwirken. Alles hngt davon ab, welche der Parteien davon richtig Gebrauch ma-chen kann.

    Was ist die Rolle der EUROPISCHEN UNION bei der Wiederherstellung des Status quo ante und bei der Garantie der Sicherheit des krimtatarischen Volkes?Die Europische Union besitzt ein breites Spektrum an Mglichkeiten, auf die ukrainisch-russische Krise ein-zuwirken. Wichtig ist, dass die EU weiter konsequent auf die Wiederherstellung der territorialen Einheit der Ukraine pocht. Man muss leider eingestehen, dass das krimtatarische Volk als die am Wenigsten geschtzte Bevlkerungsgruppe in diesem Konflikt dasteht. Ich denke, eine wichtige Grundlage fr die Sicherheit des krimtatarischen Volkes knnte geschaffen werden, wenn ein Punkt der an Russland gestellten Sanktions-bedingungen unmittelbar die Sicherheit der Krimtata-ren betreffen wrde.

    Geschichtliche Entwicklung des Staatsgebietes der Ukraine im 20 Jh. CC BY-SA 3.0/Spiridon Ion Cepleanu

    ImpressumFriedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit Bereich Internationale Politik - Referat Asien und Menschenrechte - Karl-Marx-Str. 2

    14482 Potsdam

    [email protected] www.freiheit.org

    Das Interview spiegelt die persnliche Meinung von Sinawer Kadyrow und nicht zwangslufig der Fried-rich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit wider.