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Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Versöhnung über den Gräbern Arbeit für den Frieden Volksbund Forum Tätiges Erinnern Ansprachen zum Volkstrauertag 2011

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Volksbund DeutscheKriegsgräberfürsorge e.V.

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Volksbund Forum

Tätiges ErinnernAnsprachen zum

Volkstrauertag 2011

Im sechsten Band der Buchreihe Volksbund Forum werden ver-schiedene Ansprachen zum Volkstrauertag 2011 dokumentiert,ergänzt um einen schon älteren, aber immer noch sehr lesens-werten Aufsatz zur Geschichte des Liedes vom „Guten Kame-raden“ und ein Interview mit Dr. Frank-Walter Steinmeier, derdie Ansprache auf der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauer-tag in Berlin hielt.

I. Zentrale Gedenkveranstaltung im Bundestag

II. Aus weiteren zentralen Gedenkveranstaltungen in Berlin

III. Gedenkveranstaltung am Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin

IV. Aus Gedenkveranstaltungen in den Bundesländern

V. Das Lied vom Guten Kameraden

VI. Interview mit Frank-Walter Steinmeier

Die im Jahr 2008 begründete Reihe Volksbund Forum dient derDokumentation von Texten zum komplexen Themenfeld der eu-ro päischen Erinnerungs- und Gedenkkulturen. VolksbundForum ist Plattform für Denkanstöße zur inhaltlichen Weiter-entwicklung der Arbeit der deutschen Kriegsgräberfürsorge undfür den fruchtbaren Austausch von Ideen und Erkenntnissen.

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Tätiges ErinnernAnsprachen zum

Volkstrauertag 2011

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.Kassel 2012

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Die Reihe Volksbund Forum dient der Dokumentationinhaltli cher Reflexionen zum komplexen Themenfeldder europäischen Erinnerungs- und Gedenkkulturen.Volksbund Forum ist Plattform für Denkanstöße zurinhaltlichen Weiterentwicklung der Arbeit der deut-schen Kriegsgräberfürsorge und für den fruchtbarenAustausch von Ideen und Erkenntnissen.

Bisher erschienen:Band 1: „Darf der Rote Baron wieder Held sein?“

Politisch-wissenschaftliches Kolloquium in der Jerusalemkirche, Berlin, 16. Oktober 2008; Kassel 2008.

Band 2: Rolf Wernstedt: Deutsche Erinnerungskul -turen seit 1945 und der Volksbund Deutsche Kriegs gräberfürsorge e. V.; Kassel 2009.

Band 3: Den Frieden gewinnen: Ansprachen zumVolkstrauertag 2009; Kassel 2009.

Band 4: Gemeinsam erinnern. Beiträge aus demWorkshop „Gedenkkultur und Zukunftsper-spektiven im Bereich der universitären Aus-bildung“, Wolgograd, 25. Juni 2009; Kassel2010.

Band 5: Vertrauen ist etwas Kostbares. Ansprachenzum Volkstrauertag 2010; Kassel 2011.

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Ansprachen zum Volkstrauertag 2011 3

InhaltVorwort 5

I. Aus der Zentralen Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag 7

Begrüßungsansprache des Präsidenten des Volksbundes, Reinhard Führer 9

Lesung von Gunther Emmerlich aus seinem Buch „Zugabe“ 15

Volkstrauertag: Tag des tätigen ErinnernsGedenkansprache des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Deutschen Bundestag, Dr. Frank-Walter Steinmeier 21

II. Aus weiteren zentralen Gedenkveranstal-tungen in Berlin 31

Dass wir uns an sie erinnernGedenkansprache des australischen Botschafters in Deutschland, Peter Tesch, bei der internationalen Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof Berlin-Lilienthalstraße 33

Even in our darkest hourGedenkansprache des britischen Botschafters in Deutschland, Simon McDonald, bei derGedenkveranstaltung am 11. November 2011,dem „Remembrance Day“, auf der britischen und Commonwealth-Kriegsgräberstätte Berlin-Heerstraße 39

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Totengedenken 47

III. Gedenkveranstaltung am Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin 49

Das Ehrenmal der Bundeswehr 51

Es gibt keine einfache AntwortGedenkansprache des Generalinspekteurs derBundeswehr, General Volker Wieker 53

IV. Aus Gedenkveranstaltungen in den Bundesländern 59

Erinnerung und Gedenken sind gespaltenGedenkansprache von Staatsminister a. D. Dr. Fritz Behrens, MdL, bei der zentralen Gedenkfeier des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster 61

Der einzige Weg: Frieden und GerechtigkeitGedenkansprache von Pfarrer i. R. Joachim Grunwald bei der Gedenkfeier der Stadt Pforzheim 71

V. Das Lied vom „Guten Kameraden“Die heimliche deutsche HymneEin Text von Kurt Oesterle 77

VI. Tätiges Erinnern Interview mit Dr. Frank-Walter Steinmeier 95

Impressum 104

4 Volksbund Forum

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5Ansprachen zum Volkstrauertag 2011

Vorwort

Der sechste Band der Buchreihe „Volksbund Forum“dokumentiert Gedenkansprachen zum Volkstrauertag2011.

Gemeinsame Gedenk- und Trauerrituale, wie sie sich inJahrhunderten und Jahrtausenden herausgebildet haben,sind unverzichtbare Elemente unserer Kultur. Sie sindprinzipiell jedem Menschen zugänglich und werden ir-gendwann im Leben eines jeden Menschen von ihmpraktiziert oder wenigstens wahrgenommen.

Der staatliche und gesellschaftliche Bedarf nach kollek-tiven Gedenk- und Trauertagen wie dem Volkstrauer-tag ist unabweisbar. Dies gilt trotz des zunehmendenAbstandes zum Zweiten Weltkrieg, trotz der empfun-denen Abnahme der Relevanz für die Menschen in ih-rem Alltag, trotz mancher Kritik an erstarrten Formen.Dies gilt trotz einer gewissen „Zersplitterung des Ge-denkens“, wenn für jede Opfergruppe eine eigene Ze-remonie an einem eigenen Denkmal stattfindet. DieserBedarf erfährt durch die Auslandseinsätze der Bundes-wehr und anderer Organisationen (Opfer unter den Sol-daten und zivilen Einsatzkräften) derzeit sogar eine Ak-tualisierung.

Die Vielfalt der Gedenkveranstaltungen, die unüber-schaubare, nicht einmal in der Anzahl dokumentierbareFülle von Redetexten und anderen Beiträgen machen esselbstverständlich schwer, eine Auswahl zu treffen. Des-

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halb beschränken wir uns auch in diesem Buch auf einekleine Anzahl von Reden, die sowohl an prominenterStelle als auch an der „Basis“ gehalten worden sind. EinAnspruch auf irgendeine Form von Repräsentativitätwird selbstverständlich nicht erhoben.

Die Redetexte werden ergänzt um einen schon älteren,aber immer noch sehr lesenswerten Aufsatz zur Ge-schichte des Liedes vom „Guten Kameraden“ und einInterview mit Dr. Frank-Walter Steinmeier, der die An-sprache auf der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrau-ertag in Berlin hielt.

Dr. Martin Dodenhoeft

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7Ansprachen zum Volkstrauertag 2011

I. Aus der Zentralen Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag

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Begrüßungsansprache des Präsidenten des Volksbundes Deutsche

Kriegsgräberfürsorge, Reinhard Führer

Heute am Volkstrauertag gedenken wir im Besonderender Toten von Krieg, Vertreibung, Gewaltherrschaftund Terror. Dabei sind unsere Gedanken auch bei denOpfern der heutigen Zeit.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Wulff, liebe FrauWulff, mit Ihrer Teilnahme an dieser Feierstunde un-terstreichen Sie erneut, welchen hohen Stellenwert Siedem Volktrauertag und damit dem Gedenken an die To-ten beimessen.

Ich grüße in Vertretung des Bundestagspräsidenten denVizepräsidenten des Deutschen Bundestages, HerrnThierse, für die Bundesregierung den Bundesministerdes Inneren, Herrn Friedrich, den Präsidenten des Bun-desrats, Herrn Seehofer, und den Präsidenten des Bun-desverfassungsgerichts, Herrn Voßkuhle.

Ich freue mich, den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Steinmeier, in unserer Mitte begrüßenzu können, und ich danke Ihnen dafür, dass Sie es inIhrer Verbundenheit zum Volksbund und dessen Ar-beit übernommen haben, heute die Gedenkrede zu hal-ten.

Ich begrüße den neu gewählten Präsidenten des Abge-ordnetenhauses von Berlin, Herrn Wieland, sowie Mit-

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glieder der Landesregierungen von Berlin und Bran-denburg.

Die Teilnahme von Abgeordneten des Deutschen Bun-destages und Mitgliedern des Abgeordnetenhauses vonBerlin zeigt, dass auch den Parlamentariern die Erinne-rung an die Toten der Kriege und der Gewaltherrschaftund die damit verbundene Mahnung zum Frieden einwichtiges Anliegen ist.

Ich grüße den Bischof der Evangelischen Kirche Ber-lin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Herrn Dröge,und für die katholische Kirche Herrn WeihbischofHeinrich sowie den Archimandriten Herrn Sfiatkos fürdie griechisch orthodoxe Kirche. Weiter begrüße ich dieVorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, FrauSüßkind, und die Vertreter anderer Religionsgemein-schaften,

den Wehrbeauftragten des Bundestages, Herrn Königs-haus,

den Generalinspekteur der Bundeswehr, Herrn GeneralWieker,

Mitglieder des Diplomatischen Corps und besondereGäste aus Estland, den Niederlanden, Österreich, Po-len, Russland, der Ukraine und Weißrussland.

Es freut mich besonders, dass heute auch viele jungeMenschen unter uns sind.

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Herzlich grüße ich Vertreter der uns nahe stehendenVerbände und Sie alle, die hier oder zu Hause an denFernsehgeräten diese Gedenkfeier mit uns begehen.

Musikalisch begleiten uns die Regensburger Domspat-zen, die auf Einladung des Präsidenten des Bundesra-tes – und dafür danke ich Ihnen, Herr Seehofer, rechtherzlich – an dieser Feier teilnehmen, sowie Musiker desMusikkorps der Bundeswehr.

Ihnen und Herrn Emmerlich, der für uns heute aus ei-nem seiner Werke liest, gilt mein herzlicher Dank.

Die politischen Rahmenbedingungen waren zwarschwierig, aber es ist uns trotzdem gelungen, unserenzweiten großen Soldatenfriedhof in Weißrussland imJuli dieses Jahres einzuweihen. Über 20 000 deutscheSoldaten des Zweiten Weltkrieges erhielten in Schat-kowo dort an der Beresina inzwischen ihre letzte Ru-hestätte. Tausende werden in den nächsten Jahren nochhinzukommen. Danken möchte ich ganz besonders denweißrussischen Behörden der Gebiets- und Kreisver-waltung für ihre Unterstützung in dieser für uns sowichtigen Angelegenheit.

Im Oktober vergangenen Jahres begann mitten in Wol-gograd, dem ehemaligen Stalingrad, ein Familienvaterin seinem Garten zur Vergrößerung seines Hauses mitden Grabungsarbeiten für das neue Fundament. Hierbeistieß er auf menschliche Knochen. Er grub sorgfältigweiter und barg ein komplettes Skelett.

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Dieser Tote, das war dem Familienvater bewusst, warein Toter der Schlacht um Stalingrad.

Beim Graben fand er auch eine vollständige Erken-nungsmarke. Nun war ihm klar: Das war ein Soldat derDeutschen Wehrmacht, der Armee, die am 22. Juni 1941seine Heimat mit einem Krieg überzog, der so viele Toteforderte und soviel Leid verursachte.

Das war also ein Feind von damals.

Was sollte er mit diesen Gebeinen tun? Für ihn, der indiesem Toten auch ein Opfer des Krieges sah, und ausder Achtung vor jedem Toten heraus gab es nur eineEntscheidung: Die Übergabe an den in Wolgograd be-kannten Volksbund.

Wir haben anhand der Erkennungsmarke den Gefalle-nen mit Hilfe der Deutschen Dienststelle identifizierenkönnen: Es ist Andreas Dicker, geboren am 4. August1910 in Oberösterreich, gefallen am 29. September 1942in Stalingrad.

Ich freue mich, dass der Familienvater aus WolgogradHerr Schelestow, heute mit seiner Frau unter uns ist. Ne-ben ihnen sitzt, mit seiner Frau aus Österreich angereist,der dankbare Enkelsohn des von ihnen geborgenen To-ten. Weitere Worte hierzu sind glaube ich nicht nötig.

Frieden, den wir uns alle wünschen, existiert leider nichtüberall auf der Welt. Unsere Bundeswehr ist mit einem

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Mandat des Deutschen Bundestages in verschiedenenLändern im Einsatz. Soldaten der Bundeswehr wie auchzivile Kräfte haben ihren Einsatz mit dem Leben be-zahlt.

In Zusammenarbeit mit der Bundeswehr haben wir An-gehörige der Soldaten, die in Erfüllung ihres Auftragesihr Leben gaben, zu der heutigen Gedenkstunde einge-laden, und ich freue mich, dass sie unserer Einladunggefolgt sind. Wir wollen Ihnen, liebe Angehörige, da-mit zeigen, dass wir Anteil nehmen an Ihrem Schmerzund Ihrer Trauer.

Wir würdigen die Opfer und werden sie nicht verges-sen!

Die Erinnerung an sie wach zu halten, ist unsere ge-meinsame Pflicht.

***

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Lesungvon Gunther Emmerlich

aus seinem Buch „Zugabe“

TARPENBEKSTRASSE

Wenige Wochen nach meiner Geburt wurde mein Va-ter für „verschollen“ erklärt. Die ersten Bilder von mirhatte meine Mutter noch an die Ostfront geschickt undmein Vater hat sie glücklich, gerührt und stolz in denHänden gehalten. Das weiß ich aus seiner Feldpost. Erhat mich nur als Bild in den Händen gehalten, ich habeihn nie gesehen.

Über den Suchdienst des Nordwestdeutschen Rund-funks hatte meine Mutter Kontakt zu Herrn Lüsten-öder in Hamburg, Tarpenbekstraße, bekommen. HerrLüstenöder war der letzte Kriegskamerad, der meinenVater lebendig sah. Es war Januar 1945 und der Rück-zug war schon in vollem Gange. Ein Feuerüberfall, soschrieb er meiner Mutter in einem Brief, traf die beidenim Jeep auf einer Brücke in Ostpreußen. Sie sprangenaus dem Auto in den darunter liegenden Fluss und seit-her fehlt von meinem Vater jede Spur.

Meine Nachforschungen dauern bis zum heutigen Tagan, sind aber bisher erfolglos geblieben. Bei jeder Folgevon History-Sendungen sitze ich vorm Fernseher undhoffe meinen Vater zu sehen. Wenn es heißt, dass bis-her unveröffentlichte Aufnahmen dabei sind, sitze ichnoch aufmerksamer davor. Wenn ich verhindert bin,

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zeichne ich die Sendungen auf und spule sie später vorund zurück. Es ist ein trauriger Vorgang, der mit denJahren immer trauriger und aussichtsloser wird.

Mit allen zuständigen Stellen bin ich in Kontakt, aberes gab noch keinen Anhaltspunkt.

1953 bekam meine Mutter eine Einladung der FamilieLüstenöder aus Hamburg, Tarpenbekstraße 156. Mut-ter, schon von Krankheit gezeichnet, fuhr mit mir imSommer ‘53 in die Hansestadt. Die Reise war mit einemletzten kleinen Hoffnungsschimmer verbunden, aberauch mit Angst vor furchtbarer Gewissheit. Für mich,der ich als Neunjähriger noch nicht aus Ostthüringenhinausgekommen war, war es darüber hinaus ein ersterBlick in die große weite Welt.

Lüstenöders waren überaus freundliche Leute. DerKriegskamerad meines Vaters ging mit mir zu „Hagen-beck“, „Planten un Bloom“, zeigte mir den Fischmarktund die großen Schiffe im Hafen. Von da an wollte ichKapitän werden.

Meiner Mutter erzählte er alles, was er in Briefen schongeschrieben hatte. Er war, wie mein Vater, aus dem Jeepin den Fluss gesprungen und, ohne mit ihm noch einmalKontakt gehabt zu haben, flussabwärts bis zu den deut-schen Stellungen getrieben worden. Lüstenöder hattegehofft, so erzählte er, bei dieser Einheit meinen Vaterwiederzutreffen, aber diese vage Hoffnung erfüllte sichnicht. Meine Mutter hing an seinen Lippen, als könne

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sein Erleben und Überleben auch für sie noch zu einemguten Ende führen.

Herr Lüstenöder kam gegen Kriegsende in russischeGefangenschaft und von da 1950 wieder nach Hause,nach Hamburg.

In all den Jahren nach 1945 hat meine Mutter unzähligeAktivitäten unternommen, um auch nur ein kleines Zei-chen von ihrem oder zumindest über ihren vermisstenMann, meinen Vater, zu bekommen. 1953 war es dannendlich so weit. Wir saßen bei Lüstenöders in der klei-nen Wohnung am oberen Ende der Tarpenbekstraßeund der Kriegskamerad meines Vaters konnte gar nichtgenug vom Leben an der Front, von meinem Vater undihrem letzten gemeinsamen Augenblick erzählen. VomSterben an der Front wurde nicht gesprochen.

Er zeichnete auf einem Blatt Papier einen Lageplan vonder Brücke, dem Fluss, den vermuteten Stellungen derPartisanen und der Roten Armee. Es wurde anhand derselbst gemalten Karte deutlich, aus welcher Richtungder Angriff auf ihren Jeep kam, er zeigte die deutscheStellung, von der sie kamen, und die Einheit, zu der esihn auf dem kalten Fluss trieb.

Alle Eventualitäten wurden durchgespielt. Von der bit-teren Möglichkeit, dass mein Vater dabei zu Tode ge-kommen sein könnte, war keine Rede. Eine dahinge-hende traurige Vermutung meinerseits, die ich vorsich-tig äußerte, wurde mit einem langen Wimpernschlag

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kommentarlos übergangen. Noch ein Blick und ichwusste, dass Neunjährige bei solchen Themen schweigensollten. Für Menschen voller Hoffnung ist die Annahmeder möglichen Katastrophe illusionsraubend und dem-zufolge tabu. Es waren ja auch noch so viele deutscheKriegsgefangene in der Sowjetunion. Warum sollte meinVater nicht dabei sein? Im Hoffen und Bangen verbun-den, saßen wir am Tisch mit dem Lageplan in der Mitteund Herr Lüstenöder sprach von den Bemühungen derBundesregierung, die verbliebenen deutschen Soldatenaus der Gefangenschaft nach Hause zu holen. Von mei-nem Vater sprach er freundschaftlich und voller Sympa-thie. Meine Mutter weinte – und ich wollte ihn sehen.

Als Adenauer 1955 die letzten Kriegsgefangenen heim-holte, ging ein Gefühl der Freude und Dankbarkeitdurchs Land, für viele war es aber auch das Ende allenHoffens. Es war die letzte Chance auf Wiederkehr oderwenigstens Hinweise auf den Verbleib der Männer, Väterund Brüder. Meine Mutter, obwohl schon gehbehindert,fuhr zu Zügen mit den Ankommenden, hielt auf einemSchild den Namen meines Vaters und seiner Kompaniehoch und fragte laut und verzweifelt, ob sie von WaltherEmmerlich irgendetwas wüssten. Sie schickte auch Be-kannte zu anderen Zügen, um etwas zu erfahren, aberHerr Lüstenöder aus der Hamburger Tarpenbekstraßeblieb der Letzte, der meinen Vater gesehen hatte.

Ich gebe nicht auf, den Ort zu finden, um trauern zukönnen um einen Mann, den ich nicht kenne und dermein Vater war.

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Wenn ich in Hamburg zu tun habe und vom Flughafenin die Innenstadt fahre, führt der Weg über die Tarpen-bekstraße. Bei Lüstenöders am oberen Ende bin ichnoch nie gedankenlos vorbeigefahren.

***

Sie finden den Text der Lesung auch im Buch von Gun-ther Emmerlich: Zugabe. Anekdoten, Ansichten undAnderes. Berlin, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2010,S. 173-176.

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Volkstrauertag: Tag des tätigen ErinnernsGedenkansprache des Fraktionsvorsitzenden

der SPD im Deutschen Bundestag, Dr. Frank-Walter Steinmeier

Gunther Emmerlich hat uns gerade in bewegendenWorten verstehen lassen, warum Geschichte nicht ver-geht. Erinnerungen – wie eingebrannt. Die Zeit heilteben nicht alle Wunden; Wunden, die der Krieg ge-schlagen hat, was er an Leid auch den Kindern zugefügthat. Das Schicksal als Kriegskind – das prägt für ein Le-ben! Und Millionen Menschen mit einem ähnlichenpersönlichen Schicksal, wie Sie es erlitten haben, HerrEmmerlich, sind von solchen tiefen Gefühlen erfüllt.Nicht nur an diesem Gedenktag, sondern immer wie-der, wenn die Erinnerung sich meldet. Selbst wenn dasLeben nach dem Krieg die Erfahrung von Tod, Demü-tigung und Entbehrungen in den Hintergrund tretenlässt: Die Narben auf der Seele, auch der Hinterbliebe-nen, hören nicht auf zu schmerzen. Sie bleiben!

Die Trauer um alle Opfer von Krieg und Gewalt führtuns heute hier im Bundestag zusammen. Aber zugleichblicken wir an diesem Volkstrauertag nicht nur zurück.Dieser Tag ist auch ein Tag der Vergewisserung, poli-tisch und persönlich. Die Fragen, die wir uns stellen, be-treffen uns alle und unmittelbar: Tun wir genug und tunwir vor allem das Richtige, um Krieg, Gewalt und Ter-ror heute und künftig zu vermeiden? Ist unser Engage-ment für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Mensch-lichkeit hier und in der Welt nachdrücklich, glaubwür-

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dig und lebendig genug? Werden wir unserer Verant-wortung für den Frieden gerecht, als Individuum wieals Gesellschaft? Geben wir damit ein gutes Beispiel fürandere oder liefern wir mit unserem Verhalten gar Vor-wände, hinter denen auch andere sich verstecken kön-nen?

Wir Deutsche haben aufgrund der Geschichte unseresLandes besonderen Anlass, uns diese Fragen immerwieder vorzulegen. Wir wissen, wie rasch Nationalis-mus, Rassismus und totalitärer Fanatismus in Kriegmünden und die schlimmsten Eigenschaften und grau-samsten Abgründe der menschlichen Natur offenlegenund entfesseln können. Meine Generation, die wir dasGlück hatten, das keine Generation vor uns hatte – einganzes Leben in Friedenszeiten zu verbringen – wirwissen immerhin noch aus Erzählungen unserer Väterund Mütter, was Krieg bedeutet: die Abwesenheit allesMenschlichen, die Umkehrung, ja die Vernichtung allerWerte.

Sie waren die überlebenden Zeugen einer Zeit, in der –ausgehend von unserem Land – zwischen 1939 und1945 eine Feuerwalze von nicht enden wollender Ge-walt und Zerstörung über Europa und die Welt rollte;Kriegszeiten, in denen Menschen – Soldaten wie Zivi-listen –, einander millionenfaches Leid antaten, Städteniederbrannten, Familien auseinanderrissen, Menschenin Gefängnisse und Lager sperrten, hungern ließen, fol-terten und wahllos Leben auslöschten. In der mancheso abgestumpft werden, dass sie schließlich zu Hand-

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werkern des Todes werden und ihr Werk mit Gleich-gültigkeit, viele gar mit bestialischem Eifer verrichten.Manche, die heute hier sind, haben diese Hölle noch er-lebt, einige mit letzter Kraft überlebt. Mehr als 60 Mil-lionen Menschen haben es nicht. Sie sind im ZweitenWeltkrieg gestorben. Mindestens 60 Millionen zerstörteLebensträume, abgerissen wie ein Faden – für immer.Wir gedenken all dieser Menschen heute mit tiefem Re s-pekt.

Und ich sage heute all denen, die nach 1945 in EuropaVerantwortung getragen haben, als Vertreter einer nach-kommenden Generation einen tiefen Dank. Ich bin Ih-nen allen sehr dankbar, dass Sie aus den Erfahrungenvon Krieg und Gewalt die richtigen Schlüsse gezogenhaben. Die aus einem Kontinent der Kriege und Bür-gerkriege, die er über Jahrhunderte war, einen Konti-nent des Friedens gemacht haben. Das dürfen wir beiall den Mühen und Lasten dieser Tage in Europa nie-mals vergessen. Ich denke heute an den Satz von WillyBrandt: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist al-les nichts.

Die Einigung Europas ist die vielleicht größte politischeLeistung, die auf diesem Kontinent vollbracht wurde.Sicher eine Leistung mutiger politischer Führungsper-sönlichkeiten. Aber mindestens genauso auch die Leis-tung von Millionen Menschen von lange miteinanderverfeindeten Völkern, die diesen politischen Weg mit-gegangen sind und ihn getragen haben. Wie viel Über-windung werden viele gebraucht haben? Die, die ihre

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Heimat, ihre Eltern, Kinder oder Geschwister verlorenhaben, die bis heute an diesen persönlichen Verlustenleiden, sich über die Gräber hinweg die Hand zu rei-chen, die Geschichte von Feindschaft und Ressenti-ments hinter sich zu lassen und den Weg der Versöh-nung zu gehen. Es war Jean-Claude Juncker, der mir vorvielen Jahren inmitten einer vielen europäischen Krisensagte: Wenn Dich jemand nach dem Grund für Europafragt, nimm ihn an die Hand und gehe mit ihm für einehalbe Stunde über einen europäischen Soldatenfriedhof!

Das große europäische Versöhnungswerk ist zum An-ker der Hoffnung für viele geworden. Selbst auf demBalkan, wo vor zwölf Jahren noch einmal die Gespens-ter des Nationalismus und Rassismus auferstanden undzu Völkermord und Krieg führten, trägt die Aussicht,Mitglied einer europäischen Völkerfamilie zu werden,mittlerweile zu einem – noch unfertigen – Frieden bei,der die Rückkehr von Gewalt hoffentlich undenkbarmacht.

Aussöhnung und Versöhnung, wie sie uns in Europa ge-lungen ist, ist historisch fast beispiellos. Und einenwichtigen Anteil an diesem Erfolg hat der VolksbundDeutsche Kriegsgräberfürsorge. Schon die Zahlen spre-chen ihre eigene Sprache: Der Volksbund betreut824 Kriegsgräberstätten in 45 Ländern mit über 2 Mil-lionen Kriegstoten. Doch das erfasst nicht die großar-tige menschliche Dimension, die sich hinter diesem En-gagement verbirgt. Der Trost für viele Menschen, diefür ihre verstorbenen Angehörigen einen Ort für ihre

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Trauer finden konnten; einen Ort, bei dem das immer-währende Gespräch mit dem Vater, der Mutter, demBruder, dem Sohn, der nicht mehr lebte, eine besondereDimension erfahren hat. Gunther Emmerlich hat be-schrieben, welche Trauer darin liegt, diesen Ort zu ver-missen, ihn nicht zu kennen.

Der Volksbund trägt großen Anteil daran, dass Solda-tengräber Orte wurden, an den man Frieden macht.Frieden mit seinem persönlichen Schicksal, aber auchmit früheren Feinden. Orte des Todes, die vom sinnlo-sen Grauen des Krieges zeugen und gerade deshalb zuOrten der Versöhnung, der Mahnung und Verpflich-tung werden.

Das ging oft nicht ohne Konflikt. Auch 50 oder 60 Jahrenach Kriegsende war Ihre Arbeit nicht einfacher ge-worden. Ich selbst habe in meinen Außenministerjah-ren die langen Schatten des Zweiten Weltkrieges, dieüber Ihren Anstrengungen liegen, noch erlebt. DasSchicksal der Gebeine von Tausenden Soldaten inTsche chien, die der Volksbund geborgen hatte, sorgtenoch vor wenigen Jahren für Unruhe im deutsch-tsche-chischen Verhältnis. Wiederholt stand die Frage auf derTagesordnung bilateraler Gespräche. Und wir verdan-ken es der Beharrlichkeit des Volksbundes – natürlich!Aber auch dem Verständnis und der Unterstützung vie-ler tschechischer Freunde, zuvörderst meinem damali-gen Amtskollegen Karel Schwarzenberg, dass trotzschwierigen politischen und medialen Umfelds eine Lö-sung möglich wurde.

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Im September vergangenen Jahres wurden schließlichdie Gebeine von fünfeinhalbtausend Menschen auf demalten Friedhof von Eger begraben. 2 734 Tote bekamenwieder einen Namen. Und unter den rund 3 000 Men-schen, die zur Einweihung dieser Kriegsgräberstätte ka-men, waren viele, die zum ersten Mal am Grab ihrerAngehörigen standen, die sie vor mehr als 65 Jahren ver-loren hatten.

Besonders schätze ich die Jugendarbeit des Volksbun-des: Die freiwilligen Ferienfreizeiten, bei denen tau-sende junger Leute aus ganz Europa bei der Pflege vonSoldatengräbern den Wert des Friedens auf eine Weiseverinnerlichen, wie ihn kein Geschichtslehrer im Schul-unterricht so praktisch und unverfälscht vermittelnkann. Ich weiß, dass dieses Erlebnis viele junge Men-schen zutiefst verändert hat. Das Säubern von Solda-tenkreuzen hat gleichgültige Teenager zu politisch wa-chen Menschen gemacht, die sich engagieren für einebessere Welt. Eine Welt ohne Schlachtfelder und neueSoldatenfriedhöfe. Für diese wichtige Arbeit danke ichdem Volksbund sehr herzlich!

Ganz wesentlich hat der Volksbund, auf der zwischen-menschlichen Ebene besonders, zur Versöhnung mitden Völkern Osteuropas beigetragen. In diesem Jahr ha-ben wir uns an den Überfall Nazi-Deutschlands auf dieSowjetunion vor 70 Jahren erinnert, ein Vernichtungs-krieg mit verbrecherischen Gräueltaten an Millionenvon unschuldigen Zivilisten und russischen Soldaten.Die Teilung Deutschlands war eine der vielen grausa-

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men Folgen dieses Krieges. Aber auch diese Phase istüberwunden. Immer mehr wird vorstellbar, dass Ver-söhnung und gute Nachbarschaft, wie sie in den Jahr-zehnten etwa mit Tschechien und Polen gewachsen undzu Freundschaft geworden ist, auch mit Russlandwächst und zu einem dichten Netzwerk kultureller undzwischenmenschlicher Beziehungen wird.

Dafür brauchen wir nicht nur politische und wirt-schaftliche Zusammenarbeit, sondern vor allem auchper sönliche Beziehungen, wie sie beim Schüler- undStudentenaustausch, Städtepartnerschaften und ähnli-chem mehr entstehen. Arbeiten wir gemeinsam dafür,dass dieses Jahrhundert für die Menschen in Deutsch-land, wie Polen, Tschechien, Ukraine, Weißrussland,Russland und ganz Osteuropa ein friedliches Jahrhun-dert wird!

Der Volkstrauertag ist ein Tag des Gedenkens; und ermuss auch ein Tag des tätigen Erinnerns sein. DennFrieden entsteht nicht von selbst und bleibt auch nichtvon selbst. Frieden ist niemals ein selbstverständlichesGut. Nicht in Europa, auch nicht nach 65 Jahren fried-licher Entwicklung; und genauso wenig in der übrigenWelt. Hier bei uns ist der Frieden zwischen den Völ-kern zur Zeit nicht bedroht. Aber ich sehe mit Sorge,wie neue nationalistische Stimmungen in Europa wach-senden Widerhall finden und Zulauf erhalten. Wie kul-turelle und ethnische Minderheiten in einzelnen Regio-nen Europas unter Druck geraten, eingeschüchtert wer-den, wieder in Angst leben müssen. Gegenüber solchen

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Tendenzen müssen wir wachsam und empfindsam blei-ben. Dagegen müssen wir unsere Stimme laut und ver-nehmbar erheben. Ein freies und demokratischesEuropa, in dem die Grundrechte für alle Menschen gel-ten, ist das Fundament unseres Friedens. Freiheit undDemokratie sind der wirksamste Schutz gegen dieRückkehr von Krieg und Gewalt in diesen Kontinent,der über Jahrhunderte von Krieg und Gewalt gezeich-net war. Millionen unschuldige Tote mahnen uns an die-sem Tag, dass Nationalismus, Rassismus und totalitäreIdeologien in Europa nie wieder eine Chance bekom-men dürfen!

Die Förderung und die Verteidigung von Freiheit undDemokratie sind uns Deutschen Verpflichtung gewor-den; auch in der internationalen Politik. Wir stehen inder Verantwortung, außenpolitische Konflikte frühzei-tig zu erkennen und zu entschärfen. Häufig gelingt dies,und wir Deutsche haben dafür in vielen Regionen derWelt inzwischen Respekt und Glaubwürdigkeit erwor-ben. Aber es gelingt nicht immer!

Wenn Konflikte unvermeidbar und nicht mehr ab-wendbar sind, dann ist unsere Position ebenso klar:Dann können wir nicht abseits stehen, wenn andere, zu-mal unsere Freunde und Partner, es auf sich nehmen,Menschen vor Gewalt und Terror zu schützen. Deshalbsind wir mit Soldaten der Bundeswehr seit 16 Jahren inBosnien-Herzegowina, seit zwölf Jahren im Kosovo,seit zehn Jahren in Afghanistan und mit kleineren Kon-tingenten in anderen Konfliktregionen. Nicht nur mit

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Soldaten, auch mit Polizisten und mit Entwicklungs-helfern, die im Einsatz für andere ihr eigenes Leben ris-kieren!

Deutsche Soldaten erfüllen ihren Auftrag auf Beschlussdieses Bundestages, der Vertretung des deutschen Vol-kes. Sie tun es, weil wir sie geschickt haben, nicht nurweil wir glauben, dass es notwendig ist, um etwa dieMenschen und den Aufbau des Landes in Afghanistanvor fanatischen Terroristen zu schützen. Sondern auchweil ihr Einsatz dort im Interesse unserer eigenen Si-cherheit liegt.

Und obwohl diese Zielsetzungen klar sind: Entschei-dungen über Einsätze im Ausland dürfen im DeutschenBundestag nicht leicht fallen. Ob es Ziel und Aufgabedes Einsatzes rechtfertigt, das Leben von anderen, vonjungen Menschen zu riskieren, darüber muss hier mitaller Ernsthaftigkeit gerungen werden. Jedes Mandat,jede Mandatsverlängerung bringt ein besonderes Maßvon Verantwortung mit! Eine Verantwortung, diemanchmal auch für Abgeordnete schwer zu tragen ist,aber die wir tragen müssen, wie Regierungen und Par-lamente anderer befreundeter Nationen sie auch tragen.

In diesem Jahr sind wieder sieben Bundeswehrsoldatenin Afghanistan getötet worden. Sie sind gestorben imEinsatz für eine sicherere, friedlichere Welt. Heute sindunter uns auch Angehörige von Soldaten, die in Afgha-nistan umgekommen sind. Ich versichere Ihnen: Wir alledenken heute ganz besonders an Sie und diejenigen, die

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ihr Leben im Einsatz verloren haben. Die Trauer derAngehörigen ist auch unsere Trauer – und nicht nur andiesem Tag.

Aber: Nehmen wir alle diesen Volkstrauertag als Tag derBesinnung auf das Wesentliche, politisch wie persön-lich. Wir verneigen uns in Trauer vor allen Opfern vonKrieg und Gewalt. Wir nehmen ihr Schicksal als Ver-pflichtung, uns für eine bessere Welt zu engagieren alsdie, in der sie den Tod fanden.

Die Zukunft ist nicht vorherbestimmt. Wir alle habenAnteil daran, sie zu gestalten. Dafür stehen wir in derVerantwortung, jeder und jede einzelne. Frieden, Frei-heit, Demokratie, Gerechtigkeit und Menschlichkeitsind niemals selbstverständlich. Sie müssen jeden Tagdurch konkretes Handeln, durch konkrete Taten neuerlebt und vermittelt werden. Nicht nur von den Poli-tikern. Sondern von allen Bürgerinnen und Bürgern,von uns allen gemeinsam.

Das ist das Vermächtnis der Opfer an diesem Volks-trauertag.

***

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I. Aus weiteren zentralen Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag in Berlin

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Dass wir uns an sie erinnernGedenkansprache des australischen Botschafters

in Deutschland, Peter Tesch, bei der internationalen Gedenkveranstaltung

auf dem Friedhof Berlin-Lilienthalstraße

Heute zu Ihnen in diesem Rahmen sprechen zu dürfen,ist eine besondere Ehre für mich und gar keine Selbst-verständlichkeit.

Ich verstehe es jedoch als ein Zeichen für die zuneh-mende internationale Verbundenheit und Zusammen-arbeit Deutschlands und Europas, aber auch als eineWürdigung unserer nun bald 60-jährigen engen bilate-ralen Partnerschaft, dass ich als Vertreter Australiens beidiesem Anlass an die Rolle meines Landes zunächst inden innereuropäischen und später globalen Konfliktenund Kriegsschauplätzen erinnern darf.

Die jährlichen „stillen Tage“ im November – der Volks-trauertag in Deutschland, der Remembrance Day beiuns und in anderen Ländern des Commonwealth, derWaffenstillstandstag in Frankreich – verbinden uns jaim Gedenken an die Toten der schrecklichen Kriege derVergangenheit.

Sie sind uns eine bleibende Mahnung und Verpflich-tung, den gemeinsamen Weg des Friedens weiterzuge-hen und in gemeinsamen Anstrengungen auf friedlicheLösungen dort zu dringen, wo die Menschen sie auchheute noch oder wieder suchen.

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Australien wird für viele Menschen in Deutschlandnicht im Vordergrund stehen, wenn sie an die vielenOpfer der europäischen Geschichte des letzten Jahr-hunderts denken. Und doch hat kein Land, gemessenan der Zahl seiner gesamten Bevölkerung, so viele jungeSoldaten im Ersten Weltkrieg verloren wie Australien.

60 000 Australier waren damals unter den Toten – ihrletzter Ruheort ist für immer in fremder Erde. Unddann gab es die Verwundeten – 150 000, deren Körperund Geist für immer von den Schrecken des Kriegs ge-prägt war.

Und all dies aus einem Land mit nur etwa vier MillionenMenschen.

Diese junge Nation – Australien besteht als unabhängi-ges Land seit 1901 – hat sich damals noch stark ihrer al-ten Heimat verpflichtet gefühlt und sich mit vollemHerzen in dem großen Krieg in Europa engagiert, umeinen hohen Preis.

Für mein Land sind die Einsätze im Ersten Weltkrieg –in Nordfrankreich und Flandern, aber auch auf derHalbinsel Gallipoli, an den Dardanellen südlich vomdamaligen Konstantinopel – bis heute eine prägende Er-fahrung auf dem Weg zu einer eigenen Identität. JedesJahr kommen viele Tausend, auch gerade junge Leuteaus Australien zu den zentralen Gedenkfeiern in dieTürkei, nach Frankreich und Belgien, und überall inAustralien finden dazu eigene Veranstaltungen statt.

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Im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich das Szenario in-soweit, als viele Australier erneut in großem Umfangweit entfernt von ihrem eigenen Land im Einsatz wa-ren.

Auch in diesem Krieg standen wir in direkter Weise denDeutschen gegenüber.

In Deutschland selbst sind damals viele Australier ge-fallen, vor allem Soldaten der Luftwaffe, die mit eige-nen Einheiten bei der Royal Air Force eingesetzt wa-ren. So sind in den letzten Jahren noch an verschiedenenStätten in Deutschland, auch im Umland von Berlin, diesterblichen Überreste von Australiern gefunden wor-den, die dann erst jetzt würdig bestattet werden konn-ten.

Der Heeresfriedhof in Charlottenburg erinnert uns andiese gemeinsame Geschichte, aber auch andernorts inDeutschland sind insgesamt etwa 1 100 Australier alsKriegsopfer bestattet.

Umgekehrt hat das globale Szenario der Kriege deut-sche Marinesoldaten bis vor die Küsten Australiens ge-bracht. Auch dazu finden wir uns in gemeinsamem Ge-denken in diesen Tagen wieder zusammen: NächsteWoche wird der 70. Jahrestag des Untergangs zweierSchiffe unserer Länder sein, der HMAS SYDNEY IIund des deutschen Hilfskreuzers HSK Kormoran. Da-bei verloren damals vor der Küste Westaustraliens vieleHundert Mann ihr Leben – für Australien war die Ver-

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senkung der „Sydney“ mit allen 645 Mann das opfer-reichste einzelne Ereignis des Kriegs.

Die beiden Wracks konnten übrigens erst im März 2008gefunden werden, und erst dann konnte für die Ange-hörigen eine persönliche Trauerfeier stattfinden – daszeigt, wie diese Vergangenheit doch auch noch in un-sere nahe Gegenwart hineinreicht.

Mit der damaligen Ausweitung der Kriegsschauplätzeim Pazifik haben wir uns stärker auf unsere Region aus-gerichtet, in Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten –wir wurden damit eigentlich erst zu einer pazifischenNation, eine Entwicklung, die seither auch wirtschaft-lich untermauert wurde.

Wir schätzen uns glücklich, mit Deutschland nach demKrieg ganz neue, friedliche Beziehungen aufgebaut zuhaben. Im Januar wird es 60 Jahre her sein, dass unsereRegierungen den Austausch von Botschaftern verein-bart haben, und seither haben sich unsere Beziehungenstetig intensiviert und es ist zu einer fruchtbaren Zu-sammenarbeit in vielen Bereichen gekommen.

Exemplarisch zeigt sich dies auf der großen politischenBühne, wenn unsere Regierungschefinnen zum Beispielim Rahmen der G20 zusammenkommen. Es zeigt sichaber auch in der gemeinsamen Präsenz in Krisengebie-ten, wo wir jeweils Verantwortung übernehmen bei derFörderung und Durchsetzung des Friedens.

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In Afghanistan ist Australien der größte Partner derNATO, mit Einsatzkräften im Süden des Landes, so wiedie Deutschen im Norden vertreten sind. Und hier tei-len wir das traurige Schicksal, dass wir dort immer wie-der auch Opfer unter unseren Soldaten haben. WirAustralier haben erst vorige Woche wieder Tote undVerwundete zu beklagen gehabt. Deutschland ist füruns dabei ein besonderer Partner – viele verwundeteAustralier sind zur medizinischen Behandlung hierhernach Landstuhl gebracht worden.

Wir sehen auch an unseren Ländern, wie frühere Geg-ner zu Partnern und Freunden werden können, und ichverneige mein Haupt vor all den Opfern, die auf demWeg zu diesem heutigen friedlichen Miteinander ihr Le-ben oder ihre Gesundheit lassen mussten, und auch vordenen, die heute noch im Einsatz sind, um anderswo aufder Welt einen solchen Frieden zu erreichen.

Alle unsere Länder, die wir hier heute vertreten sind,eint dieser Wunsch nach einer friedlichen Welt, und dieErinnerung an unsere Toten möge uns eine Mahnungsein, unbeirrt an diesem Ziel festzuhalten.

Das Andenken an den Krieg kommt in vieler Weise zumAusdruck – in Denkmälern, Kränzen, Gedichten undLiedern. In all diesem wird versucht, das Unsagbarezum Ausdruck zu bringen, aber der einzige Ausdruck,der der Ungeheuerlichkeit des Kriegs gerecht wird, istvielleicht das Schweigen.

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Viele Soldaten, die aus dem Krieg zurückkamen, habensich in Schweigen gehüllt. Sie haben Dinge gesehen undgetan, die zu scheußlich waren, um sie in die schüt-zende Welt ihres eigenen Lebens zu bringen, oder siemit Menschen zu teilen, die sie nie verstehen konnten.Dinge, über die nichts mehr gesagt werden kann. Dinge,für die es keine Worte oder Symbole gibt.

Und stille Kontemplation bleibt wohl unser bestes undeinziges Geschenk.

In der Weisheit und Würde unseres Schweigens wollenwir daher nicht vergessen. Es ist wenig genug verlangtvon uns, die wir so viel erhalten haben von denen, die soviel gegeben haben.

In unseren stillen und dankbaren Herzen möge dahernur Schweigen sein – dass wir uns an diesem Tag, undallen Tagen, in allen Monaten und Jahreszeiten, an sieerinnern.

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Even in our darkest hourMemorial address by the British Ambassador in

Germany, Simon McDonald, at the memorial service on 11 November, the “Remembrance Day”

on the British war cemetery Berlin-Heerstraße

We gather every year in Heerstraße, and in Common-wealth Cemeteries across the world, to remember thosewho fought and fell in combat. We gather today insolemnity and with dignity to contemplate the sacrificeof those who went before, a sacrifice which ensured thatwe meet today in freedom and with hope.

In this cemetery are interred the remains of soldiers,sailors and airmen from the United Kingdom, Canada,Australia, New Zealand, South Africa, undivided Indiaand Poland. We honour their me mory. Three years agoin London I was privileged to be in Whitehall on 11 No-vember when the last three veterans from the FirstWorld War took part in the Act of Remembrance at theCenotaph; they were 112, 110 and 108 years old. Sadlyby the following November all three had died.

The personal link with the First World War was broken.For me, that makes tbe act of remembrance even moreimportant – to honour the memory of bravery and prin-ciple and to consolidate the lessons.

This week I met a senior British parliamentarian. Be-cause he is now in Opposition he has time for otherprojects. His most absorbing is a book provisionally ti-tled “Ten Football Matches That Changed History –

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And One That Did Not”. The “one that did not”, in hisopinion, was the most famous football match of all, theone which kicked off in No Man’s Land on ChristmasDay 1914 when private soldiers on both sides – Germansand Scots – met in an informal truce to exchange simplepresents and then spontaneously to play football.

Lieutenant Johannes Niemann took part in the match.Later he wrote:

„We came up to take over the trenches on the front be-tween Frelinghien and Houplines, where our Regimentand the Scottish Seaforth Highlanders were face to face.lt was a cold, starry night and the Scots were a hundredor so metres in front of us in their trenches where, aswe discovered, like us they were up to their knees inmud. My Company Commander and I, savouring theunaccustomed calm, sat with our orderlies round aChristmas tree we had put up in our dugout.“

“Next morning the mist was slow to clear and suddenlymy orderly threw himself into my dugout to say thatboth the German and Scottish soldiers had come out oftheir trenches and were fraternising along the front. Igrabbed my binoculars and looking cautiously over theparapet saw the incredible sight of our soldiers ex-changing cigarettes, schnapps and chocolate with theenemy.

Later a Scottish soldier appeared with a football whichseemed to come from nowhere and a few minutes latera real football match got underway. The Scots markedtheir goal mouth with their strange caps and we did the

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same with ours. lt was far from easy to play on thefrozen ground, but we continued, keeping rigorouslyto the rules, despite the fact that it only lasted an hourand that we had no referee. A great many of the passeswent wide, but all the amateur footballers, althoughthey must have been very tired, played with huge en-thusiasm.

But after an hour's play, when our Commanding Offi-cer heard about it, he sent an order that we must put astop to it. A little later we drifted back to our trenchesand the fraternisation ended.”

The match was an aberration. Generals on both sideswere appalled. Next Christmas they ordered theshelling of that patch of No Man’s Land to guaranteeno repetition. The fact that the match was unique is whyour Shadow Defence Secretary concluded it did notchange history.

But 22 soldiers were never going to alter the course ofthe war. In my opinion, though, they achieved some-thing almost as important; they reminded themselvesand subsequent generations of a common humanity;even in our darkest hour, human beings have more incommon that what divides them; even in the mostdreadful circumstances, human beings reach out to eachother if they have the chance.

That truth was the basis for the reconciliation that fol-lowed the Second World War. So today we can pay trib-ute to the sacrifice of the past in the certain knowledgethat those sacrifices mean that, in Europe at least, we

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live in a peace which we every reason to believe is bothsecure and permanent.

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Der „Remembrance Day“, immer am 11. November, istin Großbritannien und den anderen Ländern des briti-schen Commwealth seit Ende des Ersten Weltkrieges of-fizieller Gedenktag für die Gefallenen der Kriege.

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Selbst in unserer dunkelsten StundeGedenkansprache des britischen Botschafters

in Deutschland, Simon McDonald, bei der Gedenkveranstaltung am 11. November 2011, dem „Remembrance Day“, auf der britischen

und Commonwealth-Kriegsgräberstätte an der Heerstraße in Berlin

Jedes Jahr kommen wir auf Commonwealth-Friedhö-fen zusammen, an der Heerstraße und überall auf derWelt, um derer zu gedenken, die in den Kriegen gefal-len sind. Wir haben uns heute feierlich und in Würdeversammelt, im Andenken an das Opfer vergangenerGenerationen – ein Opfer, dem wir es zu verdanken ha-ben, dass wir heute in Freiheit und voller Hoffnung zu-sammenkommen können.

Auf diesem Friedhof sind die sterblichen Überreste vonSoldaten, Seeleuten und Fliegern aus dem VereinigtenKönigreich, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika,dem noch ungeteilten Indien und Polen beigesetzt. Wirehren ihr Andenken. Vor drei Jahren hatte ich in Lon-don das Privileg, am 11. November in Whitehall dabeizu sein, als die letzten drei Veteranen des Ersten Welt-kriegs am Gedenkakt vor dem Kenotaph teilnahmen.Sie waren 112, 110 und 108 Jahre alt. Traurigerweise wa-ren im darauffolgenden November alle drei verstorben.

Damit gibt es keine Zeitzeugen des Ersten Weltkriegsmehr. Für mich macht das den Gedenkakt umso wich-tiger – es geht darum, das Andenken an Tapferkeit und

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Prinzipientreue zu ehren und die Lehren der Geschichtezu vertiefen.

Diese Woche traf ich einen einflussreichen britischenParlamentarier. Da er nun der Opposition angehört, hater Zeit für weitere Projekte. Am meisten Energie steckter dabei in ein Buch mit dem Arbeitstitel „10 Fußball-spiele, die die Geschichte änderten – und eines, das diesnicht tat.“ Dasjenige, welches dies seiner Meinung nachnicht tat, war das berühmteste von allen. Angestoßenwurde der Ball am 1. Weihnachtstag 1914 im Niemands-land, als einfache Soldaten beider Seiten – Deutsche undSchotten – in einer informellen Waffenruhe zusammen-kamen, um einfache Geschenke auszutauschen, unddann spontan anfingen, Fußball zu spielen.

Leutnant Johannes Niemann spielte bei diesem Matchmit. Später schrieb er:

„Wir kamen herauf, um die Gräben an der Front zwi -schen Frelinghien und Houplines zu übernehmen, wounser Regiment und die Scottish Seaforth Highlandereinander gegenüberstanden. Es war eine kalte, sternen-klare Nacht und die Schotten lagen ungefähr hundertMeter vor uns in ihren Schützengräben, wo sie, wie wirherausfanden, wie wir bis zu den Knien im Matschsteckten. Mein Kompaniechef und ich, die ungewohnteRuhe genießend, saßen mit unseren Ordonnanzen umeinen Christbaum, den wir in unserem Unterstand auf-gestellt hatten.

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Am nächsten Morgen hob sich der Dunst nur langsamund plötzlich warf sich meine Ordonnanz in meinenUnterstand, um mir zu sagen, dass sowohl deutsche alsauch schottische Soldaten aus ihren Gräben gekommenwaren und entlang der Front fraternisierten. Ich packtemein Fernglas und als ich vorsichtig über den Wallspähte, bot sich mir der unglaubliche Anblick unsererSoldaten, wie sie Zigaretten, Schnaps und Schokolademit dem Feind austauschten.

Später tauchte ein schottischer Soldat mit einem Fuß-ball auf, der aus dem Nichts gekommen zu sein schien,und ein paar Minuten später war ein richtiges Fußball-spiel im Gange. Die Schotten markierten ihr Tor mit ih-ren seltsamen Baretten und wir taten dasselbe mit un-seren. Es war alles andere als einfach, auf dem gefrore-nen Untergrund zu spielen, aber wir machten weiter,hielten uns streng an die Regeln, obwohl das Spiel nureine Stunde dauerte und wir keinen Schiedsrichter hat-ten. Nicht wenige Pässe gingen ins Leere, aber alleAmateurfußballer spielten mit großem Enthusiasmus,obwohl sie müde sein mussten.

Doch nach einer Stunde, als unser befehlshabender Of-fizier davon erfuhr, befahl er, dass wir aufhören sollten.Etwas später rutschten wir wieder in unsere Gräbenund die Verbrüderung war vorbei.“

Das Spiel war eine Entgleisung. Die Generäle beiderSeiten waren entsetzt. Am darauf folgenden Weih-nachts fest befahlen sie den Beschuss dieses Streifens

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Niemandsland, um sicherzustellen, dass es keine Wie- derholung der Vorgänge gab. Die Tatsache, dass diesesFußballspiel eine einmalige Angelegenheit war, brachteunseren Schattenverteidigungsminister zu dem Schluss,dass es keinen Einfluss auf den Gang der Geschichtehatte.

Doch 22 Soldaten hätten niemals den Kriegsverlauf än-dern können. Meiner Meinung nach erreichten sie aberetwas fast genauso Wichtiges, riefen sie doch sich undnachfolgenden Generationen in Erinnerung, dass unseinfach die Menschlichkeit verbindet – selbst in derdunkelsten Stunde haben Menschen mehr Gemeinsa-mes als Trennendes; selbst unter den furchtbarsten Um-ständen reichen sich Menschen die Hand, wenn sie dieMöglichkeit dazu haben.

Auf diese Erkenntnis gründete sich die Aussöhnung, dieauf den Zweiten Weltkrieg folgte. Und so können wirheute dem Opfer früherer Generationen Achtung zol-len in der Gewissheit, dass dieses Opfer zumindest füruns in Europa bedeutet, dass wir in einem Frieden lebenkönnen, von dem wir allen Grund haben anzunehmen,dass er sicher und beständig ist.

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Totengedenken

Wir denken heutean die Opfer von Gewalt und Krieg,an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenkender Soldaten, die in den Weltkriegen starben,der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,die verfolgt und getötet wurden,weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden,Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen,weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauernum die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,

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um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,um die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer,die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren, diesen Schmerz.

Aber unser Lebensteht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern,

und unsere Verantwortunggilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

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Das Totengedenken wird vom Bundespräsidenten während der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauertaggesprochen.

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III. Gedenkveranstaltung am Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin

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Das Ehrenmal der Bundeswehr

Auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums inBerlin (dem Bendlerblock) befindet sich das Ehrenmalfür Angehörige der Bundeswehr, die in Folge der Aus-übung ihrer Dienstpflichten für die BundesrepublikDeutschland ihr Leben verloren haben. Der Bau desEhrenmals begann im Herbst 2008; am 8. September2009 wurde es eingeweiht. Bundespräsdident Prof. Dr.Horst Köhler hielt bei dieser Veranstaltung die An-sprache. Er wünschte sich, „dass dies ein Ort der Erin-nerung an gute Kameraden wird, ein Ort an dem derSinn und der Ernst ihres Dienstes zum Ausdruckkommt. Und ein Ort, an dem deutlich wird: Die Men-schen in Deutschland stehen zu ihrer Bundeswehr.“

Das Ehrenmal ist als öffentlicher Gedenkort für Ange-hörige und Bürger und für offizielle Zeremonien errich -tet worden. Es steht für das Gedenken an die bisherrund 3 200 Soldatinnen und Soldaten und zivilen An-gehörigen der Bundeswehr, die seit Gründung der Bun-deswehr in Ausübung ihrer Dienstpflichten das Lebenverloren haben.

In der Gestaltung durch den Münchner Professor An-dreas Meck soll es den unmittelbaren Bezug zwischenBundeswehr und Gesellschaft herstellen. Es versinn-bildlicht das Besondere des soldatischen Dienstes: denEinsatz von Leib und Leben. Das Ehrenmal ist einrecht eckiger Baukörper von 8 x 32 Metern und 10 Me-tern Höhe aus Stahlbetonteilen, der von einer filigran

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durchbrochenen Bronzehülle umgeben ist. In die Bron-zehülle sind halbovale Formen gestanzt, die in parallelverlaufenden, waagerechten Bändern die Hülle durch-brechen. Die halbovalen Öffnungen nehmen die Formder Erkennungsmarke auf, einer Blechmarke, die jederSoldat im Dienst trägt. In der Ansichtsfläche der hori-zontal über dem Zugang liegenden Betonplatte erblicktman ein Lichtband, das in wechselnder Folge die Na-men der Toten nennt. Die Schrift leuchtet durch einenlichtdurchlässigen Beton.

Gestalt und Größe des Baus korrespondieren mit demgegenüberliegenden Bendlerblock und dem dazwischenvermittelnden Paradeplatz. Ein einfach zu bedienendes,wandartiges Schiebeelement schließt das Bauwerk ent-weder zur Straßenseite oder zum Paradeplatz ab. DieMöglichkeit zur Öffnung nach beiden Seiten erlaubteine flexible Nutzung, die Erinnern, Gedenken undTrauern sowohl im öffentlichen als auch im privatenRahmen zulässt.

Im unmittelbarer Nähe zum Ehrenmal, in einem Sei-tenflügel des Bendlerblocks, befindet sich die Gedenk-stätte Deutscher Widerstand.

***

Zusammengestellt nach Informationen aus der Bro-schüre „Das Ehrenmal der Bundeswehr“, herausgege-ben vom Bundesministerium der Verteidigung, Berlin,November 2009.

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Es gibt keine einfache AntwortGedenkansprache des Generalinspekteurs

der Bundeswehr, General Volker Wieker

Wieder haben wir haben uns am Ehrenmal der Bundes-wehr versammelt, um unserer Toten zu gedenken, undich bin dankbar, dass wir uns jüngst gemeinsam diesenOrt und diese Tradition gegeben haben.

Wir gedenken heute all derer, die in Erfüllung ihres Auf-trags für unser Land gefallen sind. Wir sind in Gedan-ken bei ihnen. Und wir stehen hier, um die Erinnerungan sie wach zu halten.

Erinnerung braucht Orte. Die Erinnerung an unsereToten hat nun ihren festen Platz hier am Ehrenmal derBundeswehr. Und unsere Verstorbenen haben ihren fes-ten Platz in unseren Herzen.

Sie werden immer Teil unserer Gemeinschaft bleibenund wir wollen ihnen ein würdiges Gedenken berei-ten.

Wir gedenken heute derer, die im Dienst für unser Landihr Leben gelassen haben. Und unsere Gedanken sindbei denen, die auch heute noch an körperlichen und see-lischen Verwundungen in Folge ihres Dienstes leiden.

Wir halten heute inne, um ihr großes Opfer zu würdi-gen und unserer tiefen Dankbarkeit öffentlich Aus-druck zu geben. Wir stehen hier, um Ihnen, den Hin-

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terbliebenen, unseren dauerhaften Beistand zu bekun-den. Sie sind in ihrer Trauer nicht allein.

In Stille und Ehrfurcht gedenken wir all jener, die imvergangenen Jahr ihr Leben verloren und verneigen unsvor ihrem Opfer.

Obermaat (OA) Sahra Lena Seele3. Inspektion, Marineschule Mürwik, am 7. November 2010 bei der Segelvorausbildung aufdem Segelschulschiff Gorch Fock vor Brasilien

Hauptgefreiter Oliver Oertelt2. Kompanie, Gebirgsjägerbataillon 232, Bischofswiesen, am 17. Dezember 2010 in Afghanistan

Hauptgefreiter Denis Hajdu4. Kompanie, Fallschirmjägerbataillon 261, Lebach, am 31. Januar 2011 in Deutschland

Hauptgefreiter Martin Malucha4. Kompanie, Fallschirmjägerbataillon 261, Lebach, am 31. Januar 2011 in Deutschland

Hauptgefreiter Georg Kurat4. Kompanie, Panzergrenadierbataillon 112, Regen, am 18. Februar 2011 in Afghanistan

Stabsgefreiter Konstantin Menz4. Kompanie, Panzergrenadierbataillon 112, Regen, am 18. Februar 2011 in Afghanistan

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Hauptfeldwebel Georg Missulia4. Kompanie, Panzergrenadierbataillon 112, Regen, am 18. Februar 2011 in Afghanistan;

Hauptmann Markus MatthesDivisionsstab Division Spezielle Operationen, Stadtallendorf, am 25. Mai 2011 in Afghanistan

Major Thomas TholiFührungsunterstützungsbataillon 282, Idar-Oberstein,am 28. Mai 2011 in Afghanistan

Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein5. Kompanie Feldjägerbataillon 152, Hannover,am 28. Mai 2011 in Afghanistan

Oberstabsgefreiter Alexej Kobelew2. Kompanie Panzergrenadierbataillon 212, Augustdorf,am 2. Juni 2011 in Afghanistan

Kapitänleutnant Alf WagenerMarineoperationsschule Bremerhaven,am 8. August 2011 in Deutschland

Sie, gemeinsam mit allen Toten unserer Bundeswehr,mahnen uns Lebende, dass Frieden und Freiheit nichtselbstverständlich sind, sondern jeden Tag neu errun-gen werden müssen.

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Die Würde des Menschen zu schützen, ihrer FreiheitFrieden und Sicherheit zu geben, ist die vornehmste undbedeutendste Aufgabe unseres Staates. Die Bundeswehrgibt dieser Verpflichtung ein Gesicht.

Daher verpflichtet uns die Würde des Menschen aberauch gegenüber unseren Toten, denn sie reicht weit überden Tod hinaus.

Soldaten wie zivile Angehörige der Bundeswehr ver-bindet das besondere Band der Kameradschaft − im Le-ben wie im Tode. Das unterscheidet uns von anderen,denn ohne sie können wir unseren Auftrag nicht erfül-len.

Ludwig Uhland hat dem guten Kameraden mit seinemGedicht ein literarisches Denkmal gesetzt. Seine Verto-nung von Friedrich Silcher ist uns in diesen Momentenallzu sehr vertraut. Es schließt mit den Zeilen: „KannDir die Hand nicht geben; bleib Du im ewigen Leben;als wär’s ein Stück von mir.“

Dieses Leid teilen wir mit den Angehörigen und Freun-den, nicht nur am Volkstrauertag und nicht nur hier amEhrenmal. Wir teilen den grausamen Schmerz und spü-ren unsere lähmende Hilflosigkeit im Angesicht des To-des.

Wohin sollen wir unsere Hoffnung richten? Darauf gibtes keine einfache Antwort, denn wir müssen sie in unsselbst finden.

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Aber vielleicht gibt es uns ein wenig Trost und Zuver-sicht, dass auch Trauer die Gnade erweist, sich selbst zuverzehren und stattdessen liebevolle Erinnerung wach-sen zu lassen.

Ihnen allen wünsche ich, dass sie aus dieser GewissheitZuversicht schöpfen können. Zuversicht in IhremSchmerz, für den es keinen Trost gibt.

Ich wünsche ihnen, dass sie die Kraft finden, dem Schre-cken scheinbarer Endgültigkeit des Todes das ermuti-gende Vertrauen auf ein Wiedersehen im ewigen Lebenentgegenzusetzen.

Wir schulden unseren Toten, dass wir uns von unseremSchmerz nicht überwältigen lassen, sondern das Lebenfür uns und unsere Kinder gewinnen.

Solche Hoffnung und Zuversicht erwachsen aus derLiebe und der Gnade Gottes.

Seinen Beistand und Segen erbitte ich daher in dieserStunde am Ehrenmal für Sie und ihre Familien, wie füralle Angehörigen der Bundeswehr.

***

Der Generalinspekteur der Bundeswehr hielt die An-sprache in Vertretung des erkrankten Bundesministersder Verteidigung, Thomas de Maizière.

57Ansprachen zum Volkstrauertag 2011

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IV. Aus Gedenkveranstaltungen in den Bundesländern

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Erinnerung und Gedenken sind gespaltenGedenkansprache von Staatsminister a. D.

Dr. Fritz Behrens, MdL, bei der zentralen Gedenkfeier des Landes

Nordrhein-Westfalen in Münster

Der Volkstrauertag ist der Gedenktag der Bundesrepu-blik Deutschland an alle Opfer von Krieg und Gewalt-herrschaft. An welche Toten wir erinnern und welcherwir gedenken, wird im Totengedenken und auch imGräbergesetz, dem Gesetz, in dem bei uns in der Bun-desrepublik definiert ist, welche Gräber unter das so ge-nannte dauernde Ruherecht fallen, deutlich: Soldaten,Kriegsgefangene, Bombenopfer, Opfer der nationalso-zialistischen Gewaltherrschaft, Vertriebene, Verschlepp -te, Internierte, Zwangsarbeiter, Flüchtlinge.

Dazu lässt sich in diesem Jahr vielleicht ein besondererGedenktag heranziehen: Nachdem bereits in den Jah-ren zuvor Polen, Dänemark, Norwegen, Belgien, dieNiederlande Luxemburg, große Teile Frankreichs, Ju-goslawien und Griechenland durch die Wehrmacht er-obert und besetzt worden waren, begann am 22. Juni1941 – also vor 70 Jahren – der von vornherein als Ver-nichtungskrieg angelegte Feldzug gegen den – wie es da-mals hieß – „jüdischen Bolschewismus“ oder den „sla-wischen Untermenschen“ oder – auch ein Zitat aus da-maliger Zeit – um den „Lebensraum im Osten“.

Schon die Planung und Vorbereitung sah vor, großeTeile der sowjetischen Bevölkerung zu vertreiben, zu

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versklaven und zu ermorden. Bewusst wurde in Kaufgenommen, dass Millionen Zivilisten und Kriegsgefan-gene den Hungertod starben. Am 70. Jahrestag des Be-ginns des so genannten „Unternehmens Barbarossa“wurde an vielen Orten mit Veranstaltungen an denÜberfall auf die Sowjetunion erinnert.

Die Sowjetunion hatte die meisten Toten des ZweitenWeltkriegs zu beklagen. Christian Hartmann vom In-stitut für Zeitgeschichte gibt in diesem Jahr die Zahl dersowjetischen Opfer mit 26,6 Millionen Menschen an:11,4 Millionen Soldaten, von denen 8,4 Millionen wäh-rend der Kampfhandlungen fielen und etwa 3 Millionenin deutscher Kriegsgefangenschaft starben. Die über-wiegende Zahl aber waren 15,2 Millionen Zivilisten.

Etwa 3 Millionen Wehrmachtssoldaten fielen an derOstfront oder starben in sowjetischer Kriegsgefangen-schaft. Während der Zeit des Kalten Kriegs waren ihreGräber unzugänglich. Erst nach dem Untergang derSowjetunion hatte der Volksbund Deutsche Kriegsgrä-berfürsorge die Möglichkeit, ihre Gräber zu suchen, dieToten zu bergen und zu identifizieren und auf neu an-gelegte Sammelfriedhöfe umzubetten. Seitdem wurdenüber 300 Kriegsgräberstätten auf dem Gebiet der ehe-maligen Sowjetunion neu gebaut oder wieder herge-richtet. ...

Und – lassen Sie mich das betonen – dabei geht es nichtum die Versöhnung der Toten, der auf den Kriegsgrä-berstätten Beigesetzten, sondern um die Versöhnung

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der Überlebenden, der Angehörigen der Toten, derNachgeborenen, der heutigen Generationen ehemalsverfeindeter Nationen.

Der Volksbund pflegt heute die Gräber von über zweiMillionen Toten auf 824 Kriegsgräberstätten. In jedemJahr bergen wir auch heute noch die Gebeine von über40 000 Toten und betten sie – zum größten Teil nachvorheriger Identifizierung – auf Kriegsgräberstätten um.Für die heute noch lebenden Angehörigen der Toten –überwiegend heute die Generation der Kriegskinder –gibt es somit endlich, weit über 60 Jahre nach dem Endedes Zweiten Weltkrieges, ein Grab, das besucht werdenkann, den konkreten Ort der Trauer und des Abschied-nehmens.

Diese Information der Angehörigen ist jedoch keineEinbahnstraße. Zunehmend erreichen uns Anfragenvon Angehörigen aus osteuropäischen Ländern, die In-formationen über die Gräber ihrer Toten – hier bei uns– erbitten. Das ungeklärte Schicksal der Toten ist nachwie vor eine Frage, die die Menschen in Ost und Westinteressiert und berührt. Gemeinsam mit den hier imInland zuständigen Kommunen versuchen wir auchdiese Fragen zu beantworten.

In unmittelbarem Zusammenhang mit dem 22. Juni1941 stehen aber weitere besondere Jahrestage, die sichebenfalls in diesem Jahr zum 70. Male jährten oder nochjähren werden. Ich meine die Daten, die mit dem größ-ten Verbrechen der Geschichte der Menschheit, der

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Shoah, der organisierten Massenvernichtung der euro-päischen Juden, in Verbindung stehen.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht in dieSowjetunion begannen die im Frühjahr 1941 aufgestell-ten Einsatzgruppen der SS und des SD mit Massen-morden an Juden und Kommunisten. Bereits im erstenKriegsjahr ermordeten diese eigenen Angaben zufolgenahezu eine Millionen Menschen.

Es folgten die Deportationen der jüdischen Bürger eu-ropäischer Länder in Ghettos wie Lodz, Kaunas, Rigaund Minsk sowie in die Vernichtungslager wie Ausch-witz-Birkenau, Majdanek, Belzec, Sobibor oder Tre-blinka.

Für Münster ist dieses Datum der 13. Dezember. Andiesem Tag im Jahr 1941 wurden 1 031 jüdische Bürgeraus Münster, Bielefeld und Osnabrück in das Ghettonach Riga deportiert. Die meisten von ihnen wurden inRiga ermordet und in Massengräbern im Wald von Bi-kernieki verscharrt. Nur wenige überlebten.

Am 30. November 2001 konnte der Volksbund Deut-sche Kriegsgräberfürsorge die wieder hergerichtetenMassengräber im Wald von Riga-Bikernieki offizielleinweihen. Ich selber habe damals den Volksbund dortvertreten. Die damalige lettische Staatspräsidentin, FrauVaira Vike-Freiberga, hielt während der Eröffnungsze-remonie eine sehr beeindruckende Ansprache. Vertre-ter der Heimatstädte hinterlegten die Namenlisten ih-

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rer ermordeten Mitbürgerinnen und Mitbürger in ei-nem Schrein auf dem zentralen Gedenkplatz der Grä-ber- und Gedenkstätte.

Zusätzlich wurde ein Gedenkbuch mit dem Titel „Buchder Erinnerung“ herausgegeben, das die Erinnerung andie Opfer wach halten und den Holocaust dokumen-tieren soll. Die Veröffentlichung der Namen und Le-bensdaten in diesem Buch war zugleich auch der Ab-schluss der Anstrengungen des Volksbundes, den zahl-losen Opfern des Rigaer Ghettos ihre Menschenwürdezurückzugeben.

Die betroffenen Städte hatten sich bereits im Mai 2000auf Anregung des Volksbundes zum „Deutschen Riga-Komitee“ zusammengeschlossen. Bundespräsident Jo-hannes Rau hatte damals alle Gründungsmitglieder, zudenen auch Münster zählte, im Schloss Bellevue emp-fangen und die gemeinsamen Anstrengungen gegen dasVergessen besonders gewürdigt. Alle im Komitee ver-tretenen Herkunftsstädte der Opfer haben sich bereiterklärt, die Herrichtung und Pflege der Gräber- undGedenkstätte durch einen einmaligen finanziellen Bei-trag zu unterstützen.

Mit dem Betritt der Stadt Moers am 4. Oktober 2011gehören dem Deutschen Riga-Komitee jetzt insgesamt35 deutsche Städte, davon 21 aus Nordrhein-Westfalen,an. Wir wissen, dass derzeit in fünf weiteren Städten inNordrhein-Westfalen überlegt wird, dem DeutschenRiga-Komitee beizutreten, um die Erinnerung an ihre

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ermordeten Mitbürgerinnen und Mitbürger dauerhaftzu bewahren.

Ich habe diese Daten und Aspekte hier angeführt, umdie Ambivalenz des Themas „Erinnern und Gedenken“aufzuzeigen. Erinnerungskultur war und ist ein gesell-schaftlicher, ein dialektischer Prozess, der ebensolchenVeränderungen unterliegt wie andere gesellschaftlicheEntwicklungen. Dieser reicht von unreflektierter Hel-denrhetorik der 1920er und 1930er Jahre, Leugnungund Verdrängung der Verbrechen in den Jahren nachdem Ende des Zweiten Weltkrieges, über die großenKZ-Prozesse der sechziger Jahre, die Proteste und Fra-gen der 68er Generation bis zur Gedenk- und Erinne-rungskultur der heutigen Tage.

Heute setzen wir uns auseinander mit der „Täter-Op-fer-Frage“, mit Fragestellungen wie „Können auchDeutsche Opfer sein?“, deren Beantwortung von deruneingeschränkten Verneinung bis zur uneinge-schränkten Bejahung reicht. Peter Glotz hat dazu we-nige Wochen vor seinem Tod – wie ich finde zutref-fend – formuliert: „Jedes Volk ist eine vertrackte Mi-schung aus Tätern, Mittätern, Mitläufern und Opfern.Wir haben nie bezweifelt, dass das deutsche Volk imGriff Hitlers viel zu viele Täter, Mittäter und Mitläuferhatte. Das ist aber kein Grund, der deutschen Opfer, diees eben auch gab, nicht zu gedenken.“

Die Schwierigkeiten unserer Gesellschaft im Umgangmit dem Erinnern und Gedenken fanden zum Beispiel

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Ausdruck in den Protesten gegen die Ausstellung „Ver-brechen der Wehrmacht“ und finden ihn auch in derDiskussion über viele Gedenktage von nationaler, re-gionaler und lokaler Bedeutung:

Neben dem jährlichen Gedenken an die Pogromnachtam 9. November ist der 27. Januar zu nennen, der Tag,an dem 1945 die Überlebenden des Konzentrationsla-gers Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee be-freit wurden, der 1996 vom damaligen Bundespräsiden-ten Roman Herzog als „Tag des Gedenkens an die Op-fer des Nationalsozialismus“ eingeführt worden ist. Am1. November 2005 wurde dieser Tag von der General-versammlung der Vereinten Nationen offiziell zum In-ternationalen Holocaust-Gedenktag erklärt.

Am 13. Februar wird stets an die Bombardierung Dres-dens erinnert werden, und für viele ist der 12. März mitder Erinnerung an die Bombardierung Swinemündesverbunden. Der 20. Juli schließlich steht für das Erin-nern an den deutschen Widerstand gegen Hitler.

Ich halte es für eine wichtige Aufgabe unserer demo-kratischen Gesellschaft, alle Felder der Erinnerung zubesetzen, keine Opfergruppe zu vergessen. Wenn diesnicht geschieht, kann es beispielsweise wie in Dresdenpassieren, dass Neonazis instinktsicher versuchen, ei-nen nicht oder nur unzureichend bearbeiteten Teil derErinnerung für sich zu buchen. Mit dem unsäglichenBegriff vom „Bombenholocaust“ haben sie es im säch-sischen Landtag getan.

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Die Erklärung des Deutschen Bundestages vom 15. Mai1997, dass „der Zweite Weltkrieg ein Angriffs- und Ver-nichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutsch- land ausgehendes Verbrechen“ war, was auch dem heu-tigen Stand der historischen Forschung entspricht, mussdabei unsere Grundlage sein.

Man sollte annehmen, dass diese Erklärung Allgemein-gültigkeit erlangt hat. Aber leider ist dem nicht so, wiewir immer wieder Äußerungen ewig Unverbesserlicherentnehmen müssen.

Unzweifelhaft ist, dass es auch deutsche Opfer gegebenhat. Auch unter den Soldaten zählt der weit überwie-gende Teil zu den Opfern. Es gehört aber zur politi-schen Hygiene einer Gesellschaft, den in der zitiertenErklärung des Deutschen Bundestages deutlich wer-denden historischen Zusammenhang nicht zu ver-schweigen und keine falschen Entlastungsargumenteder eigenen Verantwortung finden zu wollen.

Im Wissen um die Verbrechen während der Zeit desNationalsozialismus und der daraus erwachsenen Ver-antwortung können wir von einem gespaltenen Geden-ken und Erinnern in Deutschland sprechen. Die Einenerinnern sich und gedenken der Opfer in den Konzen-trationslagern, in der Zwangsarbeit, den Gefängnissen,in der Verfolgung und Emigration. Die Anderen den-ken an die Opfer der Bombenangriffe, der Flucht undder Vertreibung. Am schwersten ist die Erinnerung andie Soldaten, die in der konkreten Situation zwischen

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Tapferkeit, Grausamkeit, Befehl, Gehorsam, Angst undschuldhafter Verstrickung standen.

Die Würde der jeweils eigenen und anderen Erinnerungund Trauer zu akzeptieren, das Eigene in allgemeine Zu-sammenhänge zu stellen und als gültig zu kennzeich-nen, ist ein Prozess, der immer noch andauert, den esnoch zu leisten gilt.

Auch deshalb sind der jährliche Volkstrauertag und diemit ihm verbundene Auseinandersetzung mit Ge-schichte, Trauern und Erinnern so wichtig für die Zu-kunft, damit Versöhnung über den Gräbern nicht zurFloskel verkommt, sondern für uns alle verpflichtendeHandlungsanleitung bleiben kann.

Der Frieden in Europa und in der Welt muss immerwieder neu gesichert und gefestigt werden – nicht zu-letzt die Ereignisse in Europa während der letzten Mo-nate um den Euro und die Staatsschuldenkrise zeigenuns: Nichts ist von Dauer. Um Frieden und Wohlstandmuss in der zusammenwachsenden Welt immer wiederneu gerungen werden, damit nicht alte Gräben wiederaufgerissen werden. Die vielen Kriegsgräber überall inder Welt zeigen uns, wohin das führen würde.

***

Dr. Fritz Behrens ist auch Landesvorsitzender des Volks-bundes in Nordrhein-Westfalen.

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Der einzige Weg: Frieden und Gerechtigkeit Gedenkansprache von

Pfarrer i. R. Joachim Grunwald auf demHauptfriedhof der Stadt Pforzheim

beim Ehrenmal der Gefallenen beider Kriege

Ende Oktober berichtete die Tagespresse unter derÜberschrift „Bagger befreien die vergessenen Soldaten“.Was war passiert? Beim Straßenbau im elsässischenSundgau wurden 21 Leichen von deutschen Soldatenaus dem Ersten Weltkrieg entdeckt. Archäologen wuss-ten, dass die Männer in diesem Sektor in einem Stollenverschüttet waren. Erst nach 93 Jahren können die Män-ner durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfür-sorge identifiziert werden. Es dauert, bis die Stiefel undHelme, die Knochen und Schädel einem Namen zuge-ordnet werden können. Danach finden die Gefallenenendlich eine letzte Ruhestätte in Deutschland und aufdem Soldatenfriedhof im elsässischen Illfurth.

Das ist ein Beispiel für die ausgezeichnete und segens-reiche Arbeit des Volksbundes deutscher Kriegsgräber-fürsorge. Es könnten noch weitere hier angeführt wer-den.

Gräber sind für die Nachfahren wichtige Orte derTrauer. Sie dienen der Bewältigung des Schmerzes überden Verlust eines Ehegatten, eines Sohnes, Bekanntenoder Freundes. Gräber werden deshalb gepflegt und inEhren gehalten.

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Gräber sind Orte der Erinnerung an Lebensgeschich-ten, an gemeinsam Erlebtes und auch Erlittenes. AnGräbern steigen aus der Tiefe des Seelengrundes Szenenvon gemeinsamen Erlebnissen auf. Diese inneren Bilderkönnen alte Wunden aufreißen, aber auch trösten unddie Hinterbliebenen zum dankbaren Innehalten anre-gen.

Wir Menschen brauchen solche Tage der Erinnerungwie den Volkstrauertag, aber auch Orte, wie die Gräberhier, wo wir uns eben eingefunden haben, um die Mah-nung all der Millionen Toten der unseligen Kriege, desMenschenhasses, des Rassenwahns, der Gewalt, desTerrorismus. der Menschenverachtung erneut wahrzu-nehmen.

Und die Mahnung kann nur heißen: Nie wieder Ge-walt! Nie wieder Krieg! Nie wieder Terrorismus!

Unter dieser Mahnung waren Vertreter der verschiede-nen Weltreligionen und auch der religiös ungebunde-nen Humanisten auf Einladung von Papst BenediktXVI im vergangenen Oktober in Assisi versammelt.Dieses Ereignis wurde in der Öffentlichkeit leider we-nig oder kaum beachtet und gewürdigt. Dabei haben diein Assisi versammelten Persönlichkeiten aus aller Weltin einer Erklärung mit dem Titel: „Gemeinsame Ver-pflichtung für den Frieden“ Wesentliches zu den wich-tigen Themen Gerechtigkeit und Frieden für die Weltin zwölf Punkten zum Ausdruck gebracht.

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Aus diesen zwölf Punkten seien hier einige zitiert*:

Punkt 1: Wir verpflichten uns, unsere feste Überzeu-gung kundzutun, dass Gewalt und Terrorismus dem au-thentischen Geist der Religionen widersprechen. Indemwir jede Gewaltanwendung und den Krieg im NamenGottes oder der Religion verurteilen, verpflichten wiruns, alles Mögliche zu tun, um die Ursachen des Terro-rismus zu beseitigen.

Punkt 2: Wir verpflichten uns, die Menschen zu gegen-seitigem Respekt und gegenseitiger Hochachtung zu er-ziehen, damit sich ein friedliches und solidarisches Zu-sammenleben zwischen den Angehörigen unterschied-licher Ethnien, Kulturen und Religionen verwirklichenlässt.

Punkt 6: Wir verpflichten uns, einander die Irrtümerund Vorurteile der Vergangenheit und Gegenwart zuverzeihen. Wir müssen uns im gemeinsamen Bemühenunterstützen, Egoismus und Übergriffe, Hass und Ge-walt zu beseitigen und aus der Vergangenheit zu lernen,dass Friede ohne Gerechtigkeit kein wahrer Friede ist.

Punkt 7: Wir verpflichten uns, an der Seite der Leiden-den und Verlassenen zu stehen und uns zur Stimme de-rer zu machen, die selber keine Stimme haben. Wir müs-sen konkret an der Überwindung solcher Situationenmitwirken, von der Überzeugung getragen, dass nie-mand allein glücklich sein kann.

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Punkt 8: Wir verpflichten uns, uns den Ruf derer zu Ei-gen zu machen, die nicht vor der Gewalt und dem Bö-sen resignieren. Wir wollen mit all unseren Kräften dazubeitragen, der Menschheit unserer Zeit eine wirklicheHoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden zu geben.

Punkt 10: Wir verpflichten uns, die Verantwortlichender Nationen dazu aufzufordern, auf nationaler wie in-ternationaler Ebene alle Anstrengungen zu unterneh-men, damit auf der Grundlage von Gerechtigkeit eineWelt der Gerechtigkeit und des Friedens aufgebaut undgefestigt wird.

Punkt 11: Wir, die Angehörigen unterschiedlicher reli-giöser Traditionen, werden unermüdlich verkünden,dass Frieden und Gerechtigkeit nicht voneinander zutrennen sind und dass Frieden und Gerechtigkeit dereinzige Weg sind, auf dem die Menschheit in eine Zu-kunft der Hoffnung gehen kann. In einer Welt mit im-mer offeneren Grenzen, abnehmenden Entfernungenund besseren Beziehungen als Ergebnis eines dichtenKommunikationsnetzes, sind wir überzeugt, dass Si-cherheit, Freiheit und Frieden nie durch Gewalt, son-dern nur durch gegenseitiges Vertrauen garantiert wer-den können.Möge Gott diese unsere Vorsätze segnen und der WeltGerechtigkeit und Frieden gewähren.

Punkt 12: Wir Humanisten im Dialog mit den Glau-benden verpflichten uns, gemeinsam mit allen Frauenund Männern guten Willens eine neue Welt zu bauen,

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in der der Respekt für die Würde einer jeden Person,für ihre innere Sehnsucht und für die Freiheit, auf derBasis ihres eigenen Glaubens zu handeln, die Grund-lage für das Leben in der Gesellschaft ist. Wir werden al-les tun, um sicherzustellen, dass Glaubende und Nicht-glaubende in gegenseitigem Vertrauen leben und ge-meinsam der Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit undFrieden nachgehen können.

...

Wenn uns der Volkstrauertag 2011 hier und anderswoan den Gräbern der Toten in unserem Bemühen erneutbestärkt, im Kleinen wie im Großen und im täglichenEinerlei für Gerechtigkeit und Frieden und Bewahrungder Schöpfung einzutreten, dann hat diese Gedenkfeierihren Sinn erfüllt.

***

* Quelle: Die Tagespost, Katholische Zeitung für Poli-tik, Gesellschaft und Kultur (Verlagsort Würzburg),Nr. 129/130, Seite 14.

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V. Das Lied vom Guten Kameraden

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Das Lied vom „Guten Kameraden“Die heimliche deutsche Hymne

Von Kurt Oesterle

Der gute Kamerad

Ich hatt einen Kameraden,Einen besseren findst du nit

Die Trommel schlug zum Streite,Er ging an meiner Seite

In gleichem Schritt und Tritt.

Eine Kugel kam geflogen,Gilt’s mir oder gilt es dir?

Ihn hat es weggerissen,Er liegt mir vor den Füßen,Als wär’s ein Stück von mir.

Will mir die Hand noch reichen,Derweil ich eben lad.

Kann dir die Hand nicht geben,Bleib du im ew’gen Leben

Mein guter Kamerad!

Wie bei den meisten Volksliedern sind seine Urhebervergessen. Auch sein Titel ist eher unbekannt. Wer dasLied kennt, glaubt gern, es heiße: „Ich hatt einen Kame-raden“, doch das ist nur sein erster Vers. Sein richtigerTitel lautet: „Der gute Kamerad“, und es wurde 1809von Ludwig Uhland in Tübingen gedichtet, FriedrichSilcher gab ihm 1825, ebenfalls in Tübingen, die Melodie.

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Das Lied entfaltete eine beispiellose Wirkung. Es wurdenationales Trauerlied, ertönte an Kriegsgräbern und anden Gräbern von Zivilisten. Heute ist es nur noch amVolkstrauertag zu hören, zum Gedenken an die Opferbeider Weltkriege sowie deutscher Gewaltherrschaft.

Der Soziologe Norbert Elias entdeckte in ihm einen Wi-derhall kollektiver Todesphantasien. Bis in die Gegen-wart hat das Lied sich im kulturellen Gedächtnis derDeutschen gehalten. Als Frontgespenst geistert der„Gute Kamerad“ durch Heiner Müllers Werk, undselbst in Kassibern der „Roten-Armee-Fraktion“ blit-zen seine Worte auf.1)

Der Bundespräsident traute dem „Guten Kameraden“nicht. Er ließ einen Mitarbeiter beim Volksliedarchiv inFreiburg anfragen, woher Text und Musik stammtenund welche „Aufführungstradition“ das Lied habe. Er-wünscht war eine „zuverlässige Rudimentärunterrich-tung“, wie es in dem Brief vom 7. September 1993 inschönstem Bundespräsidialdeutsch heißt. Welche Sorgeden ersten Mann der Republik wegen des Lieds plagte,verraten Notizen eines Archivars unter dem Briefkopf:„Neue Wache in Berlin – Einigungsvertrag – Wehr-machtstradition“. Mit anderen Worten: Paßte das Liednoch in die politische Gedenkkultur des wiederverei-nigten Deutschland?

Im Westen gehört es zum Zeremoniell des Volkstrauer-tags. „Es wird gebeten, nach der Totenehrung stehen-zubleiben, bis das Lied verklungen ist“, lautete die Bitte

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auf den Einladungskarten zur zentralen Gedenkfeier imBonner Bundestag. Bei Trauerfeiern der Bundeswehrintoniert ein Solobläser das Lied „nach Absenken desSarges“. Im Osten war die Uhland-Silcher-Tradition ab-gebrochen. Andere Töne begleiteten dort die Gedenk-feiern von Partei und Armee: Chopins Trauermarschoder die Arbeiterlieder „Unsterbliche Opfer“ und „Derkleine Trompeter“. Geteiltes Land, geteilte Lieder.Nichts, was zusammenklingen könnte.

Die Antwort des Archivs an den Bundespräsidentenwar tröstlich: Seit 1918, also auch in der Weimarer De-mokratie, sei das Lied bei staatlichen Totenfeiern „auf-geführt“ worden. Selbst so erhabene Konkurrenz wieBeethovens „Eroica“, Wagners „Parsifal“-Vorspiel undChopins „Marche funèbre“ hätten es nicht verdrängenkönnen. „Im Alltagsleben des Durchschnittsmenschengibt es einige musikalische Standardtypen“, schließt derArchivar, „dazu gehört ,Stille Nacht‘, MendelssohnsHochzeitsmarsch und das Lied vom ,Guten Kamera-den‘. Diese Standardtypen sind kaum durch etwas an-deres zu ersetzen. Deshalb glaube ich nicht, daß es ge-lingen könnte, den ‚Guten Kameraden‘ zu entthronen.“

Er thront auch weiterhin. Aber fast jedes Jahr, wennDeutschland sich im November seiner Opfer erinnert,entbrennt irgendwo im Land neuer Streit um das Lied.Die Debatten verlaufen meist nach zwei Mustern: Zumeinen ist es ein junger Bürgermeister, dem der „GuteKamerad“ unheimlich wird. Er untersagt, ihn am Volks-trauertag zu spielen. Als Grund nennt er die dritte

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Strophe, obwohl das Lied auch in seiner Gemeinde im-mer nur instrumental zu hören war. Die Strophe sei„kriegsverherrlichend“ und habe in der Vergangenheitden Sinn gehabt, „zum Weiterkämpfen zu animieren“.Eine Leserbriefschlacht beginnt. Ehemalige Kriegsteil-nehmer klagen über die Verletzung ihrer Gefühle. Ei-ner von ihnen schert aus und erinnert daran, wie dasLied an den „Heldengedenktagen“ des „DrittenReichs“ eingesetzt wurde, „um das Volk auf Hitlers An-griffskrieg einzustimmen“.

Nach dem zweiten Muster empören sich Friedensakti-visten über das Lied. Wenn es bei der Trauerfeier er-klingt, wenden sie sich demonstrativ ab und fangen zuplaudern an. Gefühle sind verletzt, eine Leserbrief-schlacht beginnt. Zum Gemeindefrieden trägt die Be-lehrung bei, das Lied sei längst „international“: Es findesich in japanischen Liederbüchern, werde in der Frem-denlegion gesungen („J’avais un camarade“), ja selbst inHolland habe der Soldatensong aus dem Fundus desungeliebten Nachbarn einen Übersetzer gefunden („Ikhad een wapenbroeder“), und für den Fall, daß die Na-tionen absterben sollten, sei in der Weltsprache Ido miteiner globalisierten Fassung vorgesorgt:

Me havis kamaradotu plu bonan trovas netamburo nin vokadis

il apud me iradissampaze quale me.

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Am schwersten wiegt das Argument, daß Silchers Me-lodie von den Franzosen zum Nationalfeiertag am14. Juli am Grabmal des unbekannten Soldaten gespieltwerde. Zur Versöhnung der Bürgerschaft taugt ebensoder Hinweis, daß der Bundespräsident an der zentralenGedenkfeier in Berlin teilnehme, obwohl dort der„Gute Kamerad“ ertöne.

Es ist nicht schwer zu verstehen, daß vorwiegend Be-lege von außen in einem an seinen Traditionen irre ge-wordenen Land Entlastung bringen – mehr als dasklügste Argument von innen. Darum muß sich derschon 1985 unterbreitete Vorschlag des GermanistenPeter Horst Neumann, der in Uhlands Lied ein un-schuldiges Opfer deutscher Verhältnisse sieht, wie eineDonquichotterie ausnehmen. Neumann plädiert aufFreispruch: „Da die Vereinnahmung auf der rechtenSeite geschah, könnte die Ehrenrettung nur von linksher erfolgen. Die militaristische Aura wäre zerstoben,hätte Marlene Dietrich auch den ‚Guten Kameraden‘gesungen oder Ernst Busch zusammen mit dem Liedder Spanischen Brigaden oder Wolf Biermann zum An-denken an Robert Havemann.“

Auf unabsehbare Zeit wird das Lied ohne Worte die Be-gleitmusik staatlichen Gedenkens bleiben. Ärger ent-zündet sich daran vermutlich auch künftig vor allem auflokaler Ebene. An der Staatsspitze scheint es unum-stritten. Unten müssen Widersprüche im Gedächtnis of-fenbar weniger krampfhaft aufgehoben werden alsoben, wo die Angst vor übler Außenwirkung oder dem

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endgültigen Verlust einheitsstiftender Symbole die Har-monie erzwingt. Das Lied soll ein Gemeinplatz der Er-innerung sein: Doch in Deutschland existieren zu viele,zu verschiedene Erinnerungen, als daß sie auf diesemGemeinplatz zusammenfinden könnten. Ob das immerso war?

Uhland schrieb sein Lied während der Befreiungskriegegegen Napoleon. Österreich hatte sich 1809 zuerst er-hoben gegen den Imperator. Der junge Poet nahm amLeiden auf beiden Seiten Anteil: Er fühlte mit den Ba-denern, die unter französischem Befehl gegen die auf-ständischen Tiroler ziehen mußten, und er trauerte umseinen Förderer Leo von Seckendorf, der als österrei-chischer Hauptmann gefallen war. Uhland war aufge-fordert worden, für ein Flugblatt „zum Besten der (ba-dischen) Invaliden des Feldzugs“ ein Kriegslied zu ver-fassen. Sein Beitrag kam jedoch zu spät, und so nahmsein Freund Justinus Kerner den „Guten Kameraden“zwei Jahre später in seinen „Poetischen Almanach fürdas Jahr 1812“ auf. Danach erschien er in allen eigen-ständigen Gedichtbänden Uhlands und 1848 im „Deut-schen Volksgesangbuch“ Hoffmanns von Fallersleben.

Doch in welcher Nachbarschaft das Lied auch stand, esblieb ein Solitär. Ihm fehlte der Völkerschlachtton, dernational-heroische Doppelklang, der in den Kriegslie-dern der Zeit dominierte: Arndts „Was ist des Deut-schen Vaterland?“, Körners „Das Volk steht auf, derSturm bricht los“, Nonnes „Flamme empor“. Lieder(fast) dieses Schlags dichtete Uhland später auch selbst,

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und dabei mag er seinem Wunsch nach Parteinahmenachgegeben haben – anders als beim „Guten Kamera-den“, bei dem er seinen Ehrgeiz darauf verwandte, denVolksliedton zu treffen, so wie die Sammlung „DesKnaben Wunderhorn“, für die Tübinger Romantikereine Art Bibel, diesen Ton traf.

Obgleich Uhlands Gedicht schon vertont war, nahmFriedrich Silcher, der Tübinger Universitätsmusikdi-rektor, sich seiner nochmals an. Volkstümlich wurde ro-mantische Poesie, wenn sie sich singen ließ. Doch kei-ner im 19. Jahrhundert setzte romantische Poesie so po-pulär in Singbares um wie Silcher.

Ein Leben lang jedoch mußte er gegen das Vorurteil an-gehen, daß er Uhlands Lied eine Melodie erfundenhabe; gefunden hatte er ihm eine, und zwar in derSchweiz, wo ihm das Volkslied „Ein schwarzbraunesMädchen hat ein’ Feldjäger lieb“ zu Ohren kam. Wahr-heitsgemäß teilt er auf dem Notenblatt des „Guten Ka-meraden“ mit: „Aus der Schweiz, in 4/4 Takt verändert,v. Silcher“.

Trotzdem wurde er unverdrossen für den Schöpfer ge-halten. Es kursierte sogar eine Sage, die glauben machenwollte, ein Herbststurm habe Silcher ein Blatt mit Uh-lands Versen durchs Fenster seiner Tübinger Kammerzugeweht. Die Entstehung eines Lieds von derart mys-teriösem Erfolg war ohne überirdische Hilfe offenbarnicht zu denken.

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Man hat es in der Folge gedreht und gewendet, um ihmdas Geheimnis seiner Wirkung zu entreißen. 1977 er-schien eine Schrift des „Wiener Seminars für Meloso-phie“, die den „heilenden Kräften“ in Silchers Verto-nung nachlauscht. Ihr Autor, Victor Lazarski, glaubt,daß das Lied sich durch eine ihm selbst innewohnendeKraft aus „militärischer Enge“ befreit und zum Ab-schiedslied der gesamten Menschheit gewandelt habe.Für Lazarski hat die „Seele“ des Lieds ihren Sitz imzehnten Takt. Genau dort aber findet sich eine der we-nigen Stellen, wo Silcher in die vorgefundene Melodieeingriff, indem er bei der unechten Wiederholung derjeweiligen Schlußzeile den harten Auftakt weicher ge-staltete und so den Marsch ins Elegische umkippen ließ.

Was Lazarski beim genialischen Individuum fand, hattezuvor Heyman Steinthal beim singenden Kollektiv aus-gemacht. 1880 veröffentlichte er in der „Zeitschrift fürVölkerpsychologie“ einen Aufsatz, in dem er sich mitden „Umsingungen“ von Uhlands Lied befaßt. Er zi-tiert eine Variante, die er von einem Dienstmädchen sin-gen hörte:

Die Kugel kam geflogenGilt sie mir? Gilt sie dir?Ihn hat sie weggerissen,Er lag zu meinen Füßen

Als wär's ein Stück von mir.

Für Steinthal hat der Volksmund hier verbessernd ge-wirkt und Klarheit geschaffen: „Nicht ,eine‘ Kugel, son-

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dern die fatale kam geflogen. Er sieht sie kommen, unddas ,Gilt sie mir? Dir?‘ schildert die Angst des Soldaten,die er aber um sich nicht mehr als um den Kameradenhat, was auch in dem Mangel des ,oder‘ liegt, welchestrennen würde. Den Wandel des ,es‘ in ,sie‘ kann ich nurbilligen, denn das ,es‘ der dritten Zeile ist ohne rechteBedeutung. Eine Verbesserung wiederum ist ,er lag zumeinen Füßen‘, parallel zu ,er ging an meiner Seite‘.“

Uhlands Fassung scheint ihm nur „volksmäßig“, erstdurch die Veränderungen werde ein echtes Volkslied da-raus. Voraussetzung sei nur, daß so ein Lied gefalle,dann werde es allmählich umgesungen. „Dies gehtdurch die Jahrhunderte und breitet sich aus wie dieSprache des Volkes und mit ihr.“ Einspruch erhebtSteinthal im Namen des Volkes auch gegen die dritteStrophe. Er verwirft sowohl die „Sentimentalität“ desSterbenden, der dem Kameraden die Hand reichen will,wie auch die „Härte“ des anderen, der die Hand nichtnimmt. Zudem mag er die Formulierung vom „ew’genLeben“ nicht, sie sei „abstract“. Aus all diesen Gründenwerde die dritte Strophe denn auch nirgendwo gesun-gen. Doch die Stunde von Härte und Sentimentalitätsollte noch kommen. Dem „Guten Kameraden“ standsein Aufstieg zu unüberbietbarer Beliebtheit noch be-vor.

In ihrer Anthologie „Lieder, die die Welt erschütterten“,präsentiert Ruth Andreas-Friedrich Uhlands Lied beiden Liedern aus dem deutsch-französischen Krieg, wieübrigens auch das Deutschlandlied. War es 1870/71

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noch eher ein ergreifendes Soldatenlied als ein „trotzi-ger Kriegsgesang“, so sollte sich das im nächsten Kriegändern. Eine Umfrage unter Soldaten des Ersten Welt-kriegs, gemacht von Volkskundlern, ergab, daß das Liedan deutschen Fronten das meistgesungene war, undzwar wegen seiner „begeisternden Wirkung“. Dazumuß man wissen, daß es jetzt nur noch zum wenigstenaus Uhlands Text bestand, sondern aus einem Potpourrierzpatriotischer Kehrreime. Vorneweg wurden im Ori-ginalton jeweils nur die ersten drei Verse gesungen –und dann:

Gloria, Gloria, Gloria Viktoria!Ja mit Herz und Hand

Fürs Vaterland, fürs Vaterland.Die Vöglein im Walde,

die sangen all so wunderschön.In der Heimat, in der Heimat,

da gibt’s ein Wiedersehn.

Noch im ersten Kriegsjahr brachten Uhland-Puristenein Flugblatt heraus („Der ,Gute Kamerad‘ in schlech-ter Verfassung“), in dem sie für derlei „Verhunzungen“das „Eindringen von Operettenschlagern“ in die All-tagskultur verantwortlich machen. Doch den wahrenSchuldigen entlarvte im August 1918 die „Turn-Zei-tung“: Er heiße Wilhelm Lindemann, sei Kabarettist inBerlin und berühmt für die bösen Scherze, die er „zuVortragszwecken“ mit vaterländischem Liedgut treibe.Kein Wunder, daß der an das Lied geklebte Kehrreimso komisch klingt; gesungen wurde er aber im Ernst.

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Die Verteidiger des Kehrreims kamen der Sache näher.In ihren Streitschriften begrüßen sie das „Gloria“ alsVentilation „unsagbarer Gefühle“ zwischen Heimwehund Todesfurcht. Willkommen ist ihnen das Schlag-wort-Gewitter des „Gloria“ auch, weil es wie ein na-tionales Glaubensbekenntnis tönt. Der „Gute Kame-rad“ scheint heimgekehrt ins Kaiserreich, zum „Ge-müt“ hat er endlich „Gesinnung“ erworben.

Konnte man mehr recht behalten als Heyman Steinthal,der das Schicksal des Volkslieds mit dem der Volks-sprache verbunden sah? Die Phrase beherrschte die öf-fentliche Rede – im Sinn von Karl Kraus’ Erkenntnis,daß das erste Opfer des Kriegs immer die Sprache sei –und folglich Uhlands Lied.

Die nationale Vereinnahmung erzeugte aber auch ihr Ge-genstück: die (bewußte) Parodie. Als von 1916 an die Sie-geszuversicht schwand, blühten an allen Fronten dieSpottversionen. Sie richten sich oft gegen die miserableVersorgung („Ich hatt einen Katzenbraten“) oder schwel-gen – teils mit pazifistischem Unterton – im Überdruß:

Ich hatt einen Kameraden.Einen schlechtern findst du nit.

Die Trommel schlagt zum Streite,Er schleicht von meiner Seite

Und sagt: ,I tu nit mit‘.

Fortan wurde das Lied von allen Seiten beansprucht.Doch sein Sinnkern blieb unverletzt, mochten die Seiten

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noch so gegensätzlich sein. Den stärksten Beleg dafürbietet Wolfgang Langhoff in seinen „Moorsoldaten“,den Erinnerungen an seine KZ-Haft während der frü-hen Nazi-Zeit: Die SS hat einen Häftling erschossen.Die anderen überlegen, wie sie dagegen „protestieren“können. Als beim Appell der Befehl kommt: Singen!,stimmen sie den „Guten Kameraden“ an. Die SS-Män-ner sind irritiert. Einer fragt die Häftlinge: Wieso diesesLied? Sie sagen es ihm, und er „stiefelt nachdenklich aufseinen Platz zurück“.

Ob sich deutsche Landser im Zweiten Weltkrieg durchUhlands Lied bei ihren Vorgesetzten ähnlichen Respektverschafften, ist zweifelhaft, zumindest im folgendenFall. Es scheint unglaublich, aber da getrauen sich einpaar Todgeweihte, in ihrer „FrontkämpferzeitungNr. 31, Dez. 42“ diese Zeilen zu drucken:

Wir hab’n einen großen FührerEinen größern findt ihr nicht.Er führt durch blut’ge KriegeVier Jahr lang uns zum Siege,

Doch das Ende sehn wir nicht.Gloria, Gloria, Gloria Viktoria!

Für das Hakenkreuz,Mit dem RitterkreuzGehn wir zu Grab.

Wie auch Ernst Buschs antifaschistische Neuschöpfungaus dem Spanischen Bürgerkrieg, gewidmet dem gefal-lenen Kommunisten Hans Beimler („Eine Kugel kam

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geflogen / aus der ,Heimat‘ für ihn her“), belegt dieseVariante den mythischen Charakter, den das Lied in-zwischen angenommen hatte. Es ließ sich endlos aktua-lisieren, immerfort neuen Erfahrungen und Positionenangleichen, aber stets so, daß darunter der Urkameraderkennbar blieb. Uhlands Lied wurde sozusagen einÜberschreib-Lied, eine Palimpsest-Hymne nach derArt der mittelalterlichen Schreibvorlagen, die abge-kratzt und wieder beschrieben werden konnten, undzwar so, daß die ältere unter der jüngeren Schrift nochlesbar war.

Warum aber entstand statt der zahllosen Überschrei-bungen kein neues Lied? Ein ganz persönliches, unver-wechselbares? Fanden die Deutschen im „Guten Ka-meraden“ zu allen Zeiten ihre heimliche Hymne? Viel-leicht wurde für jene, die auf Uhlands Form zurück-griffen, die eigene Erfahrung gerade in dieser Form ver-trauter, glaubwürdiger, teilbarer und mitteilbarer.

Eine weitere Antwort gibt in seinen „Studien über dieDeutschen“ Norbert Elias, der das Lied als Soldat imErsten Weltkrieg kennenlernte. Die Deutschen hättenden „Guten Kameraden“ stets so inbrünstig gesungen,weil er ihr „verdüstertes Selbstgefühl“ ausdrückte. Daßihre Lieblingslieder fast alle eine „starke Vorahnung desTodes“ erfülle, sei historisch zu erklären: Vom 16. Jahr-hundert an war Deutschland durch seine staatlicheSchwäche viele Male Europas „Hauptkriegsschau-platz“. Vor allem der Dreißigjährige Krieg hinterließtraumatische Spuren im „Habitus der Deutschen“. Ge-

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blieben sei ihnen eine unauslöschliche Erinnerung anZerstörung, Tod, Vergeblichkeit.

Elias weist so dem „Guten Kameraden“ seine Bedeu-tung im größtmöglichen Zeitraum deutscher Geschichtezu. Doch ist dies unselige Kontinuum mittlerweile be-endet? Was den „Guten Kameraden“ betrifft, sieht es soaus. Zumindest, wenn man den Blick auf sein Erschei-nungsbild in Heiner Müllers frühem Drama „DieSchlacht“ lenkt. Darin gibt es eine Szene, in der deut-sche Soldaten des Zweiten Weltkriegs, vor Hunger demWahnsinn nahe, zu Silchers Klang und Uhlands Wor-ten einen Kameraden verspeisen. Das ist die äußersteKatastrophe, die den „Guten Kameraden“ ereilen kann.Im kannibalischen Irrsinn des totalen Kriegs findet dieTübinger Romantik ihr Ende.

Doch seine bisher letzte Wiederkehr fand in denStammheimer Zellen der RAF statt, und sie ist keine Er-findung. Stefan Aust zitiert in seinem „Baader-Mein-hof-Komplex“ aus einem konfiszierten Kassiber Gud-run Ensslins, in dem inmitten kleingehackter RAF-Prosa der Vers steht: „Ich hatt einen Kameraden“. Erblitzt auf, als die Verfasserin sich wieder einmal zu-gunsten Baaders gegen die „Verräterin“ Meinhof ent-scheidet. Der „Gute Kamerad“ als Orientierungshelferzwischen Freund und Feind: So kompliziert konnte imVolksbefreiungskrieg die Lage mitunter sein.

1) Der Autor dankt dem Deutschen Volksliedarchiv inFreiburg für vielfältige Hilfe.

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Der Aufsatz wurde abgedruckt in: Schwäbisches Tag-blatt, Nr. 264 vom 15. November 1997; der Autor er-hielt dafür 1997 den Journalistenpreis der deutschen Zei-tungen – Theodor-Wolff-Preis in der Kategorie „Allge-meines“. (Quelle: http://www.bdzv.de/kurt_oesterle.html)

Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigungdes Autors und des Zeitungsverlages!

Über 14 Jahre sind seit Erscheinen dieses gut recher-chierten Textes vergangen. Vor 14 Jahren war es nochnicht absehbar, dass Soldaten der Bundeswehr inKampf einsätzen im Ausland das Leben verlieren wür-den. Dies ist nun leider traurige Realität geworden.

Bei den offiziellen Gedenkfeiern in Deutschland wirdin der Regel die Melodie vom Guten Kameraden ge-spielt; der Text allerdings wird nicht gesungen. Und so istdaraus letztlich ein Totensignal geworden, wie es ana-log auch andere Nationen verwenden, so die „Last Post“von den Briten und „La Sonnerie aux morts“ von denFranzosen.

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VI. Interview

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Tätiges ErinnernInterview mit Dr. Frank-Walter Steinmeier

Wir treffen uns heute im Bundestag anlässlich des Volks-trauertages. Bei Kriegsende musste Ihre Mutter im Altervon fünfzehn Jahren mit der eigenen Mutter, also IhrerGroßmutter, und Schwester sowie deren Kindern ausBreslau fliehen. Hat das für Sie persönlich, für Ihre spä-tere Entwicklung, auch politisch, eine prägende Bedeu-tung gehabt?

Ja, aber das ist mir erst sehr viel später klar geworden,weil es in meiner Familie vermutlich nicht viel anderswar als in vielen anderen Familien. Die Folgen der Ver-treibung waren noch so spürbar bei den sieben Frauen,mit denen meine Mutter geflüchtet ist, allesamt Ver-wandte: ihre Großmutter, Mutter, Tante, Geschwisterund Kinder von ihrer Schwester. Die Folgen warennoch so tief und die Verletzungen so groß, dass bei unszuhause eigentlich zunächst über Jahre gar nicht dar -über gesprochen wurde. Und es hat Jahrzehnte gedau-ert, bis meine Mutter dann in der Lage war, auch mituns Kindern darüber zu sprechen oder bei Familienfes-ten das ein Thema wurde. Insofern bin ich mir sicher,dass es mich geprägt hat, aber ich habe es eigentlich inmeiner eigenen Jugend gar nicht so sehr gemerkt.

Aber ich bin mir sicher, dass ein Teil dieser Verunsiche-rung und Unsicherheit dieser Generation unserer El-tern davon rührt, dass ihre Lebensträume so tief grei-fend zerstört worden sind und sie wissen oder mindes-

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tens ahnen, dass sie nur mit knapper Not auch dem Todentgangen sind.

Sie selbst bezeichnen sich als ein Kind der Bundesrepu-blik. Was heißt das für Sie?

Wir haben das Glück, einer Generation anzugehören,die als erste Generation möglicherweise die Chance hat,ihr ganzes Leben in Friedenszeiten zu verbringen. Undes sind Tage wie dieser Volkstrauertag, an denen uns dasklar wird. Es gab keine Generation vor uns, in der nichtKrieg oder Bürgerkrieg Menschenleben ausgelöschthätten. Wir haben die längste Friedensperiode seit Jahr-hunderten und wir sollten lernen, das stärker wertzu-schätzen, als wir es tun.

ln Ihrer Gedenkrede haben Sie auch den Begriff vomtätigen Gedenken aufgebracht. Was genau verstehen Siedarunter?

Ich bin mir ganz sicher, dass der Volkstrauertag und an-dere Gedenktage Auslöser sein können, die Erinnerungwieder zu aktivieren. Aber Gedenktage werden nichtausreichen, um in den jüngeren Generationen wirklichwach zu halten, was in den Jahren zwischen 1939 und1945 passiert ist: Welches Elend von unserem Lande ausüber Europa und die Welt gegangen ist. Welche Schmer-zen, welches Leid, welche Opfer diejenigen zu erleidenhatten, die als Opfer des Krieges vertrieben wordensind. Das alles wird man nicht an einem einzigen Ge-denktag in Erinnerung rufen oder gar für die jungen

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Leute spürbar machen können. Wir müssen uns jetzt,da die Zeitzeugen des Krieges und der unmittelbarenNachkriegszeit weniger werden, Gedanken machen,wie wir das jungen Menschen noch begreifbar machen.Das ist der Teil, der das Erinnern betrifft.

Und dann geht es um das tätige Erinnern. Dabei geht esdarum, junge Menschen zu interessieren, selbst aktiv zuwerden. Und zwar, um einen Rückfall in Zeiten, wie wirsie in Deutschland erlebt haben und in anderen Regio-nen Europas immer noch erleben, zu verhindern. Umeinen Rückfall in Zeiten von Ressentiments und Natio-nalismus zu verhindern. Man darf nicht vergessen, dassdie Zivilisation und damit auch die Demokratie ganzdünne Schichten sind. Die müssen wir pflegen und dasgeht nicht allein durch professionelle Politik, sonderndazu brauchen wir die Menschen, jede und jeden ein-zelnen.

Gedenken war immer eine nationale Angelegenheit. Siehaben es vorhin in Ihrer Rede erwähnt. Sie waren un-ter anderem Chef des Bundeskanzleramtes und von2005 bis Oktober 2009 Bundesaußenminister. Wie wich-tig ist nach Ihrer Erfahrung eine europäische Gedenk-kultur?

Ich habe in meiner Rede hier zum Volkstrauertag ja eineGeschichte eingewoben – die Geschichte, die mir vorzehn Jahren klar gemacht hat, dass das nationale Ge-denken nicht ausreicht. Wir erleben ja derzeit nicht dieerste europäische Krise, wenn auch vielleicht die tiefste.

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In einer der vielen europäischen Krisen, die wir hinteruns haben, habe ich mit Jean-Claude Juncker, dem lu-xemburgischen Ministerpräsidenten, zusammen ge-standen. Da sagte er mir damals in dem Gespräch: Wenndich jemand fragt, was eigentlich der Grund für Europaist, dann nimm ihn an die Hand und geh mit ihm einehalbe Stunde über einen Soldatenfriedhof. Das ist derGrund für Europa. Und das ist auch der Grund dafür,warum nationales Gedenken nicht ausreicht, sonderneuropäisches Gedenken sinnvoll und notwendig ist, umdie Erinnerung daran wach zu halten, dass dieses Euro -pa die Antwort ist auf Krieg und Gewalt. Und dass wirals junge Generation die Arbeit derjenigen, die diesesEuropa gebaut haben, nicht verraten dürfen.

In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit gilt der Volks-trauertag zumeist den Gefallenen des Zweiten Welt-krieges. Es gibt aber auch Opfer und Tote aus den Ein-sätzen der internationalen Staatengemeinschaft, derUNO. Wie kann man beide verknüpfen und den Totenunserer Zeit und der Demokratie im besonderen Maßeund in welcher Form gedenken?

Ich finde es wichtig und habe das auch versucht in mei-ner Rede heute hier im Bundestag zu sagen. Der Volks-trauertag darf nicht zum Ritual erstarren. Ein wichtigerTeil wird immer das Gedenken an die Opfer von Kriegund Gewalt sein. Ein zweiter wichtiger Teil wird sein,den jüngeren Generationen nahe zu bringen, wie wirdie Rückkehr von Krieg und Gewalt vermeiden kön-nen.

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Aber es wäre unvollständig, wenn wir nicht auch an dieGegenwart denken, in der deutsche Soldaten ihre Auf-gabe in Afghanistan, auf dem Balkan und in anderenRegionen der Welt erfüllen. Ein Volkstrauertag wäreunvollständig, wenn wir nicht auch daran erinnerten,dass heute Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen undPolizisten und Entwicklungshelfer sich für andere ein-setzen und dabei ihr Leben riskieren. Sieben Bundes-wehrsoldaten sind dieses Jahr in Afghanistan ums Le-ben gekommen und es gehört sich, dass wir an diesemVolkstrauertag nicht nur zurückschauen, sondern unsauch derer erinnern, die heute für unser Land und imEinsatz für Demokratie und Freiheit sterben.

Gedenken ist nicht zu verordnen. Wie soll die Jugendfür die Geschichte allgemein und insbesondere die Ge-schichte der verheerenden Kriege im heutigen Europasensibilisiert werden und welche Rolle können Kriegs-gräberstätten Ihrer Meinung nach dabei spielen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Geschichtsunterrichtallein nicht ausreicht. Er hätte auch für meine Genera-tion nicht ausgereicht. Eine Sensibilität für geschichtli-che Ereignisse entsteht nur, wenn man eigene Erfah-rungen macht. Bei uns waren es die Erzählungen derVäter- und Großvätergeneration. In Zukunft wird dasschwieriger sein. Schulen, Erinnerungsstätten müssensich neue Zugangsformen erschließen, um die Zeitzeu-gen zu den nachwachsenden Generationen reden zu las-sen. Und wir müssen den Jugendlichen Gelegenheitenverschaffen, sich mit den Folgen des Krieges, mit den

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Opfern von Krieg und Gewalt zu befassen. Eine derMöglichkeiten ist ganz sicherlich die Jugendarbeit, dieder Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge macht.Sie gibt Jugendlichen bei Einsätzen im Ausland, auf denSoldatenfriedhöfen die Möglichkeit, Gemeinschaft zuerfahren, wenn sie dort mit zehn oder fünfzehn Ju-gendlichen unterwegs sind. Sie gibt die Möglichkeit, Ju-gendliche aus Russland, Weißrussland, aus Frankreich,Luxemburg kennen zu lernen.

Aber vor allem können sich die Jugendlichen klar wer-den, in der gemeinsamen Arbeit bei der Pflege der Sol-datenfriedhöfe, und zwar über das ganze Ausmaß derZerstörung und des Leidens, das der Krieg in Europagebracht hat. Ich habe von Jugendlichen gehört, dassdiejenigen, die gänzlich unbefangen, vielleicht sogar un-vorbereitet, in solche Camps gegangen sind, erwachse-ner zurückkommen und sich sogar vornehmen, auchdanach weiter für eine bessere Welt zu arbeiten. Inso-fern müssen wir dafür sorgen, dass diese Jugendarbeitdie notwendige Unterstützung erfährt.

Das Gespräch führten Thomas Rey und Maurice Bonkat.

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ImpressumHerausgeberVolksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.Werner-Hilpert-Straße 2, 34112 KasselTelefon: 0561-7009-0Telefax: 0561-7009-221E-Mail: [email protected]: www.volksbund.de

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VerantwortlichRainer Ruff, Generalsekretär

Redaktion, Gestaltung und SatzDr. Martin Dodenhoeft

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TitelbildDer Opernsänger und Entertainer Gunther Emmerlichliest aus seinem Buch „Zugabe“ (Foto: Uwe Zucchi)

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