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SS 2014 – 16.04.2014 ZUR THEORIE DER SPRACHVARIATION. GRUNDBEGRIFFE Französische Varietätenlinguistik

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SS 2014 – 16.04.2014 ZU R THEO R I E DER S PR A C HV A R IATI ON.

GR U NDBEGR IF F E

Französische Varietätenlinguistik

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Die Sprache als Diasystem

„Dès qu‘il y a communauté linguistique, il y a variation“ Gadet (1952, 5)

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ist eine abstrakte Bezeichnung

• ist keine einheitliche, homogene Struktur

• ist ein „System von Systemen“, ein „Diasystem“/ Makrosystem“/ Maximalsystem“

• ist nicht statisch

• ist eine koiné

• ist ein mehrdimensionales Modell

Das Französisch

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Das sprachliche Zeichen nach Saussure

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Sprachliches Zeichen nach Coseriu

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Varietäten und Sprecher

• Jeder Sprecher verfügt über mehrere Codes, die er je nach Situation, Partner und Gespräch anwenden kann

• Jedem Sprecher stehen unterschiedlich viele Codes zur Verfügung, abhängig von Herkunft, Bildung, Alter; Beruf, Erfahrung usw.

• Der Sprecher wählt den jeweiligen Code nicht immer bewusst

• Der Sprecher ist in seinem Sprachverhalten nicht konstant, dieses ist abhängig von Lebensabschnitt, Situation, Gemütszustand usw.

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Die ersten Versuche einer Definition von Varietäten: Leiv Flydal

•Ausgangspunkt Flydals: Saussures Cours de Linguistique générale

Flydal, Leiv. 1952. „Norsk Tidsskrift for Sprogvidenskap “.

Norsk Tidsskrift for Sprogvidenskap 16. 241-28.

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Saussure: „Sprachzustand“ – „état de langue“

Flydal: „[…] un tout formé de phénomènes solidaires, tels que chacun dépend des autres et ne peut être ce qu'il est que dans et par sa relation avec eux“ (Flydal 1952: 243)

„[…] deux variétés du même idiome, à savoir de la structure de langue particulière à quelque province et de la structure dominante du pays, reconnue comme langue officielle“ (Flydal 1952: 249).

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Der Begriff der Extrastrukturalismen/ extrastructuralismes

Extrastrukturalismen = Elemente (= systèmes partiels) aus einer anderen Struktur der gleichen Sprache, die in der dominanten Struktur verwendet werden:

„[…] ces systèmes partiels occasionnellement et individuellement empruntés à d'autres structures du même idiome“ (Flydal 1952: 244).

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Drei Dimensionen „Tout parler [est] localisable, aves les hommes dans l‘esprit desquels il existe, dans le temps, dans l‘espace et dans les divisions hiérarchiques et autres de la société […]“ (1952, 255).

- diachron

- diatopisch

- diastratisch

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diachron:

Sprachstrukturen im Vergleich:

sprachliche Unterschiede zwischen zwei oder mehr zeitlich aufeinanderfolgenden Sprachstrukturen

innerhalb einer betrachteten Sprachstruktur:

Elemente aus älteren Strukturen, die in der gegenwärtig dominanten Struktur verwendet werden: Archaismen

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diatopisch:

Sprachstrukturen im Vergleich:

sprachliche Unterschiede von einer Region zur anderen bzw. zwischen zwei Regionen

innerhalb einer betrachteten Sprachstruktur: sprachliches Element (système partiel), dass aus einer Varietät, die nicht die Standardvarietät ist, entlehnt wurde: Provinzialismen (provincialismes)

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diastratisch:

Sprachstrukturen im Vergleich:

sprachliche Unterschiede zwischen zwei oder mehr Gruppen,

die in der sozialen Hierarchie differieren: z.B. Sprecher aus einer

sehr niederen Schicht vs. Sprecher aus einer sehr hohen Schicht

innerhalb einer betrachteten Sprachstruktur: Elemente, die aus einer sozial niedrigeren in eine sozial höhere

Sprachstruktur (Varietät) entlehnt werden: Vulgarismen (vulgarismes)

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Der Begriff der „Architektur der Sprache“ bei Flydal

Struktur und Extrastrukturalismen (Archaismen, Provinzialismen, Vulgarismen)

bilden zusammen die Architektur der Sprache:

„Structure et extrastructralismes forment un ensemble que [...] nous appellerons ici l'architecture d'ensemble de la langue ou simplement l'architecture de langue“

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Die Weiterentwicklung des Varietätenkonzepts durch Coseriu

Coseriu, Eugenio (1970): Einführung in die strukturelle Betrachtung des Wortschatzes. Tübingen: TBL.

Coseriu, Eugenio. 1988. Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft. Tübingen: Francke.

Coseriu, Eugenio. 1980. „'Historische Sprache' und 'Dialekt'“. In: Joachim Göschel/ Pavle Ivic/ Kurt Kehr (Hg.). Dialekt und Dialektologie. Ergebnisse des internationalen Symposions 'Zur Theorie des Dialekts'. Marburg/Lahn, 5.-10. September 1977. Wiesbaden: Steiner, 106-122.

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Grundannahme: die „historische Sprache“

die historische Sprache...

•ist ein abstraktes Gebilde

•ist ein „historisches autonomes Gefüge von sprachlichen Traditionen“

•kann nicht gesprochen werden

•wird nie direkt und unmittelbar beim Sprechen realisiert

• umfasst eine Vielzahl von Varietäten/ ist ein System von Systemen (Diasystem)

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„[…] eine historische Sprache ‚[wird] nicht gesprochen‘ […]: Sie wird nicht als solche und nicht unmittelbar im Sprechen realisiert, sondern einzig und allein durch jeweils eine ihrer im diatopischen, diastratischen und diaphasischen Sinn bestimmten Formen. Niemand kann (gleichzeitig) die ganze italienische oder die ganze englische Sprache sprechen, das Englische bzw. das Italienische ‚ohne Adjektive‘ (z.B. ein Italienisch, das weder toskanisch noch römisch noch mailändisch usw. klingt, weder umgangssprachlich noch gehoben usw., weder familiär noch feierlich usw., oder aber ein Italienisch, das gleichzeitig toskanisch, römisch und sizilianisch, umgangssprachlich und gehoben, familiär und feierlich, usw. wäre)“ (Coseriu 1988: 284).

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Drei Dimensionen von Unterschieden

– Unterschiede im geographischen Raum: diatopische Unterschiede

– Unterschiede zwischen den sozial-kulturellen Schichten: diastratische Unterschiede

– Unterschiede zwischen den Sprechsituationen/ Ausdrucksweisen: diaphasische Unterschiede

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•diatopische Unterschiede –chèvreton (Auvergne) vs. fromage de chèvre (andere Gebiete Frankreichs) –petit déjeuner, déjeuner, dîner (Frankreich) vs. déjeuner, dîner, souper (Schweiz)

•diastratische Unterschiede: –causer, parler („gehobene Umgangssprache“) vs. causer („Volkssprache“) –mélancolie, tristesse („gehobene Umgangssprache“) vs. Cafard („Volkssprache)

•diaphasische Unterschiede: –s'enfuir („Literatursprache“) vs. s‘en aller („Umgangssprache“) –s‘ennuyer (Umgangssprache) vs. s‘embêter (familiäre Sprache) –demeurer (Umgangssprache) vs. être domicilié (Verwaltungssprache)

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Der Begriff der „Architektur der Sprache“ bei Coseriu

„Gerade diese Gestaltung von Mundarten [Dialekt] , Sprachstufen [Sprachniveaus] und Sprachstilen nenne ich die Architektur einer historischen Sprache“ (Coseriu 1976: 28-29).

Gesamtheit des Aufbaus einer Sprache aus Varietäten der verschiedenen dia-Dimensionen

=

Architektur einer historischen Sprache

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Architektur der Sprache

=

Gefüge von Varietäten einer historischen Einzelsprache (=Varietätengefüge)

„[…] In diesem Sinn ist eine historische Sprache niemals ein einziges ‚Sprachsystem‘, sondern ein ‚Diasystem‘: eine Summe von ‚Sprachsystemen‘, zwischen denen jederzeit Koexistenz und Interferenz herrscht“ (Coseriu 1970, 32).

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Zur Abgrenzbarkeit der Varietäten

„Es sei aber bemerkt, dass all diese Unterscheidungen der historischen Sprache nur in der schematischen Darstellung voneinander getrennt erscheinen. In der Sprache selbst stellen sie vielmehr ein Kontinuum dar. D.h. man hat verschiedene ineinandergreifende Niveaus, bei jedem Niveau z.T. zusammenfallende Sprachstile, Unterschiede im Raume und ineinandergreifende syntopische Einheiten“ (Coseriu 1980: 114).

Wichtig!: es gibt Überlappungen, Überschneidungen es handelt sich eher um ein Kontinuum, als um exklusive, stark voneinander abgrenzbare Varietäten

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varietätenspezifische vs. varietätenfärbende Merkmale (Schafroth)

varietätenspezifische Merkmale: - kommen nur ein einer Varietät vor varietätenfärbende Merkmale: - können in einer oder mehreren Varietäten vorkommen - aber!: ihre Frequenz für die eine charakteristisch und für die andere unauffällig

Varietät (nach Ammon): - muss wenigstens eine für sie spezifische (einzelne) Variante verfügen, oder eine spezifische Kombination von Varianten aufweisen

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zwei verschiedene Konzeptionen zur Definition des Varietätenbegriffs:

partikularistische Konzeption:

holistische Konzeption:

Varietät = Summe/ Auswahl einzelner Elemente (Varianten)

Varietäten = in sich kohärente, diskrete systemartige Gebilde im Sinne von Sprachen in der Sprache

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Fünf Dimensionen der heutigen Varietätenlinguistik

- diachrone Varietäten

- diatopische Varietäten

- diastratische Varietäten

- diaphasische Varietäten

- diamesische Varietäten

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Das français commun/ courant

das „gebräuchliche, gängige, allen französischen Sprechern gemeinsame Durchschnittsfranzösisch“ (Prüßmann-Zemper 1990: 830)

Standardsprache/ Hochsprache

Entwicklung aus dem francien (früherer Pariser Dialekt)

wird von der Mehrzahl der Sprecher aktiv und/oder passiv beherrscht

wird von der Mehrzahl der Sprecher als „normal“ eingestuft

wird als Richtschnur und üblicher Sprachgebrauch verstanden

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Die diatopische Dimension

gr. topos ‚Ort, Stelle‘

geographisch bedingte regionale Sprachvarietät (langue régionale)

Unterscheidung in: français régionaux dialectes et parlers locaux

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Dialekt und Sprache nach Coseriu

Sprache umfasst Dialekt, aber nicht umgekehrt jeder Dialekt ist eine Sprache, aber nicht jede Sprache ist ein Dialekt

Dialekt: ist ein vollständiges Sprachsystem

drei Arten von Dialekten: - primäre Dialekte - sekundäre Dialekte - tertiäre Dialekte

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primäre Dialekte

- Dialekte, die so alt sind wie die Gemeinsprache selbst

- Dialekte, die schon vor der Entstehung der Hoch- bzw. Gemeinsprache existierten

Beispiele: picard, normand, francien

Gemeinsprache:

ist ein primärer Dialekt

entwickelt sich zur überregionalen Varietät (= Koiné)

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sekundäre Dialekte

verbreitet sich die Gemeinsprache anschließend über die verschiedenen Dialektgebiete, entstehen in ihrem Inneren sekundäre diatopische Unterschiede und somit die sekundären Dialekte

Beispiele: z.B. die verschiedenen français régionaux (français régional du Midi/Südfrankreich)

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tertiäre Dialekte

regionale Unterschiede, die sich innerhalb einer Standardsprache zeigen

räumlich bedingt unterschiedliche Realisierung der Gemeinsprache

meistens: Unterschiede in der Aussprache

Beispiele: die Aussprache des francais commun in Paris vs. in Marseille

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Das français régional

- Regionale Sprachvarietät, die in bestimmten Gegenden als langue véhiculaire (‚Verkehrssprache‘) fungiert, die aber nicht nur dort verstanden wird

- Französisch mit ‚Akzent‘

- Zwischenstufe zwischen französischer Norm und Dialekt

- Entstehung des français régional durch Kontakt zwischen français commun und den Dialekten oder anderen nichtfranzösischen Sprachen

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Sprachliche Beispiele für Regionalfranzösisch

phonetisch: - FR du Midi: häufige Artikulation des e instable: femme [fam] Artikulation der auf Nasalvokale folgenden Nasalkonsonanten entrer [tre]

lexikalisch - FR de Lyon: fatigué ‚krank‘ - Lehnübersetzungen (calques) aus anderen Sprachen (Adstrateinfluss) français québécois: prendre une marche ‚se promener‘ < engl. to take a walk

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Die diastratische Dimension

- lat. stratum ‚Schicht‘

- schichten- und (berufs-)gruppenspezifische und soziokulturell bedingte Sprachvarietät - Gruppensprache - Soziolekt

- Abhängig von Alter, Geschlecht, Erziehung, Schulbildung, Beruf, Interessen - gebildete Sprecher verfügen i.d.R. über mehrere diastratische Varietäten, die sie bewusst einsetzen

-Beispiele für Soziolekte: - nach Geschlecht: Männer vs. Frauen - nach Generation: alt vs. Jung - nach Berufsgruppe - Fachsprachen (z.B. argots)

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Beispiele für die diastratische Varietät

-Argot - früher: Bettler- und Gaunersprache, heute: Gruppensprache derer, die am Rande der Gesellschaft leben - Beispiele: poulet ‚police‘ battant ‚coeur‘

- Jugendsprache vs. Sprache älterer Generationen Beispiele: gazette ‚journal‘ jogging, tee-shirt

-Fachsprachen - gruppenspezifische Sprachen, welche der fachlichen und beruflichen Spezialisierung dienen - Verwendung von Internationalismen - Beispiele:

französisch englisch deutsch spanisch italienisch coefficient d’absorption atomique

atomic absorption coefficient

atomarer Absorptions-koeffizient

coefficiente de absorpción atómica

coefficiente di assorbimento atomico

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Die diaphasische Dimension

- gr. phásis ‚Erscheinungsform‘

-Verwendung einer Sprachvarietät unter Berücksichtigung der jeweiligen Kommunikationssituation, -partner und -gegenstand - Sprachregister/ Stil

-genaue Unterscheidung zwischen diastratischer und diaphasischer Varietät oftmals schwierig

-diaphasische Register der Französischen - français cultivé/ soigné/ soutenu - français commun/ courant/ usuel/ standard - français familier - français populaire - français vulgaire/ argotique/ grossier

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Beispiele für diaphasische Varietäten

-français cultivé/ soigné/ soutenu - „Übernorm“ - Verwendung v.a. in der geschriebenen Sprache, z.B. in Reden, offiziellen Briefen - konservativ-archaisch - Beispiele: Archaismen: décéder ‚sterben‘ Verwendung des subjonctif imparfait (que j‘aimasse) häufige liaison: je veuxaimer encore

-français familier - in der zwanglosen, informellen Unterhaltung in der Familie, mit Freunden - lockere, persönliche Kommunikationssituation - Beispiele: sacrément/ vachement ‚très, beaucoup‘ télé ‚télévision‘

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-franais populaire: - mehrheitlich von Sprechern der mittleren und unteren Schichten gesprochen - oft als „schlechtes“ Französisch bezeichnet - Beispiele: Fehlen des Personalpronomens beim Verb: faut pas y aller keine Einhaltung des accord: je suis été, je m‘ai trompé

-franais vulgaire: - unterste Stufe der Registerskala - obszöne, vulgäre, schockierend direkte Sprachwahl, die sich bei der Wahl der Ausdrücke sprachlicher Tabus bedient - Wortfelder der Sexualität, Körperteile, Verdauungsorgane - Beispiele: bordel, chier, merde, putain

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Die diamesische Dimension

- gr. mésos ‚Medium, Vermittlung‘

- geschriebene vs. gesprochene Varietät

-Unterscheidung nach: a) Medium/ Realisierungsform code phonique vs. code graphique b) Konzept, kommunikative Strategie, Kommunikationsmodi code parlé/ Nähesprache vs. code écrit/ Distanzsprache

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Merkmale des code parlé: - privat, vertraut, emotional, subjektiv - spontan, gering vorbereitet - syntaktische Unvollständigkeit: Ellipsen, Satzabbrüche, Nachträge etc. - große Fehlerhaftigkeit - Parataxe - paralinguistische Begleitsignale: Intonation, Mimik, Gestik etc. - geringere sprachliche Variabilität: Redundanzen, Vulgarismen, passe-partout-Wörter (truc, chose) - Interjektionen (bah, ah, zut)

Merkmale des code écrit: - öffentlich (nicht privat), fremd, statisch, , nicht emotional, objektiv - monologisch: in Abwesenheit des Partners - physische Distanz, Reflektierbarkeit - Hypotaxe - hoher Planungsaufwand: kann überdacht und revidiert werden

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Übliche Repräsentationen: a) code phonique und code parlé: z.B. gesprochene Nähesprache in einem Gespräch b) code graphique und code écrit z.B. geschriebene Distanzsprache in einem wissenschaftlichen Aufsatz

ABER: Daneben existieren auch andere Kombinationen aus Medium und Konzeption a) code phonique und code écrit z.B. ein öffentliche Rede (distanzsprachliche konzipiert, aber phonisch übermittel) b) code graphique und code parlé z.B. eine private E-mail, SMS nähesprachlich konzipiert, aber graphisch übermittelt

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Extrastrukturalismen

Architektur der Sprache

Wiederholung einiger Definitionen:

historische Sprache

diatopisch

diastratisch

diaphasisch

diachron

diamesisch

Diasystem

Varietät

Variante

sekundärer Dialekt

primärer Dialekt

tertiärer Dialekt français régional

Argot

Nähesprache

Distanzsprache