Freispieler - Theater im Gefängnis

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FREISPIELER Theater im Gefängnis

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Freispieler

Theater im Gefängnis

Freispieler TheaTer im GefänGnisProjekTdokumenTaTion»GefänGnis – kunsT – GesellschafT«

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partizipation: spielräume schaFFeningrid raschke-stuwe, Vorstand der montag stiftung kunst und Gesellschaft

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Das projekt »GeFänGnis – kunst – GesellschaFt«elisabeth hoffmann, Projektleiterin »minor – Projektkontor für Bildung und forschung e. V.«

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Die haben mein Feuer wieDer entzünDetein Gespräch mit der schauspielerin sabine Winterfeldt über freiräume, chancen, herausforderungen und das heilende in ihrer arbeit

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Da ist etwas, Das bleibt. Das Geht nicht mehr verloren.ein Gespräch hinter den mauern der jVaf Berlin-reinickendorf mit astrid hannemann (sozialdienst) und melanie friebe (mitarbeiterin der Vollzugsleitung) über chancen und risiken, Grenzgänge und freigänger

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von temporären Freiräumen unD Dem menschlichen kontakt zwischen Den Gitterstäbenein Gespräch über Gefängnistheater zwischen den kontinenten von mirella Galbiatti und Till Baumann

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so ein theater – unD Das im häFn! ein (österreichisches) Plädoyer für das Theater im Gefängnissabine sandberger

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bioGraFien Der akteurinnen

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impressum

DvD mit dem film »dornenkronen« und der Projektpräsentation im Berliner kino BaBYlon

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theater im GeFänGnis – herausForDerunG unD chanceein Gespräch mit elisabeth hoffmann, Projektleiterin »minor – Projektkontor für Bildung und forschung e. V.«

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Geschenkte schuhe unD würDe, Die man nicht siehtein Probenbericht.

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stimmen Der teilnehmerinnen

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ausverkauFtes haus unD tosenDer beiFall im berliner kino babYloneine Projektpräsentation.

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sechs köniGinnen trotzen Dem weltunterGanGder film »dornenkronen« stellt die frage nach Gerechtigkeit und Verantwortungstefan keim

nicht nur in der Politik, auch in der zeitgenössischen kunst aller sparten ist heute verstärkt von Partizipation die rede. Gemeint sind damit prozessorientierte, meist ortsbezogene und an be-stimmte Zielgruppen gerichtete Projekte, die mit künstlerischen mitteln eine soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen wollen. so arbeiten künstlerinnen in ganz unterschiedlichen gesell-schaftlichen Bereichen, um einen Beitrag zu leisten für mehr Toleranz, demokratie und chancengleichheit. dies geschieht zum Beispiel mit Blick auf die drängenden Themen der Zeit, auf armut, migration und stadtentwicklung. aber welche möglich-keiten entstehen durch künstlerische Partizipation? oder an-ders gefragt: Wie kann die kunst in gesellschaftliche Prozesse eingreifen? Wie kann sie zur Überwindung von ausgrenzungen und sozialen missständen beitragen, um dadurch die lebens-verhältnisse der menschen nachhaltig zu verbessern? und wel-cher maßnahmen bedarf es, um solche Projekte zu fördern und in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken?

diese fragestellungen waren ausschlaggebend für die entscheidung der montag stiftung kunst und Gesellschaft, im jahr 2011 erstmals eine auslobung mit dem Titel »faktor kunst« zu starten. Gemäß dem zentralen anliegen des stif-ters carl richard montag – handeln und Gestalten in sozialer Verantwortung – wurden innovative ideen und konzepte für partizipatorische kunstprojekte gesucht. Zur Teilnahme einge-laden waren künstlerinnen, künstlergruppen und künstlerische initiativen aus deutschland, Österreich und der schweiz, deren Vorhaben geeignet sind, gerade menschen an den wachsen-den rändern der Gesellschaft neue Perspektiven einer aktiven, selbstbestimmten Beteiligung zu eröffnen.

die resonanz auf die auslobung übertraf alle erwartungen: mehr als 800 einreichungen gingen ein. sie kamen aus den Bereichen bildende kunst, musik, Theater und Tanz inklusive ihrer vielfältigen mischformen – folglich keine leichte aufgabe für die jury, die im november 2011 die Preisträger bekannt gab: sechs Projekte bekamen eine auszeichnung, dotiert mit jeweils 10.000 €. eines von ihnen – ein Projekt mit besonde-rem modellcharakter – erhielt zusätzlich eine fördernde Be-gleitung durch die stiftung im jahr 2012. es war der Berliner Verein »minor – Projektkontor für Bildung und forschung e. V.«, der als Träger der initiative »Gefängnis – kunst – Gesellschaft« Theaterprojekte mit insassinnen verschiedener Berliner haft-anstalten realisiert.

Von der stiftung inhaltlich begleitet und gefördert wurde das Projekt »Gefängnis – kunst – Gesellschaft plus«, mit dem eine zusätzliche Werkstattbühne für inhaftierte frauen einge-richtet werden konnte. Gearbeitet wurde zum Thema »Würde« und so entstand der film »dornenkronen«, der im september 2012 im Berliner kino BaBYlon seine gefeierte Premiere hatte. Gerade diese öffentlichen Projektpräsentationen sind wichtig. sie befördern das anliegen von minor e. V., den umgang mit-einander selbstverständlicher zu machen, festgefügte, gesell-schaftliche Bilder in frage zu stellen und menschen diesseits und jenseits der haftanstalten gemeinsam ins Gespräch zu bringen. davon berichtet die vorliegende Publikation, die sich

partizipation: spielräume schaFFeninGriD raschke-stuwe, vorstanD Der montaG stiFtunG kunst unD GesellschaFt

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beGrünDunG Der jurYdas spartenübergreifende Projekt mit inhaftierten jugendlichen und erwachsenen frauen in jus-tizvollzugsanstalten in Berlin überzeugt durch seine innovative Vorgehensweise und ist konse-quent durchdacht. insbesondere der ansatz, mit den ideen, ressourcen und fähigkeiten der inhaftierten zu arbeiten, ist vorbildlich. die Themen der gemeinsam erarbeiteten Theaterstücke werden konsequent aus deren Bedürfnissen und deren lebenswelt entwickelt. dieser partizipa-torische ansatz ist ganz besonders geeignet, das selbstwertgefühl und die sozialen kompetenzen der inhaftierten zu stärken und erhöht deren resozialisierungschancen. die arbeit des interdisziplinären Teams, bestehend aus film- und Theaterleuten, musikerinnen, Pädagoginnen und Psychologinnen ist alltagsnah, künstlerisch ambitioniert und sozial engagiert. insbesondere die idee, die Welt innerhalb und außerhalb der haftanstalt durch den einsatz neu-er medien miteinander zu vernetzen, war mitentscheidend für die nominierung. Besonders positiv wird auch die geplante erweiterung um eine »draußenwerkstatt« gewertet, mit der menschen im offenen Vollzug und haftentlassene einbezogen werden sollen. damit besteht eine gute chance, die nachhaltigkeit des Projekts zu erhöhen und die getrennten Welten zwischen Gefängnis und offener Gesellschaft miteinander zu verbinden.als Teil unserer förderung versteht. sie dokumentiert damit

nicht nur die vielfältigen aktivitäten von minor e. V., sondern will auch dazu beitragen, das Thema »Gefängnistheater« vorzu-stellen und den stimmen der unterschiedlichen akteurinnen – in Berlin und anderswo – ein öffentliches forum zu geben. in diesem sinne sei allen, die an unserem Buchprojekt mitgewirkt haben, herzlich für ihre Beiträge gedankt.

die montag stiftung kunst und Gesellschaft hat sich in den vergangenen monaten im rahmen ihrer fördernden Begleitung bei zahlreichen Besuchen und Gesprächen in Berlin ein Bild von der vielschichtigen, engagierten arbeit machen können, die minor e. V. gemeinsam mit einem Team professioneller künst-lerinnen innerhalb und außerhalb der verschiedenen Berliner haftanstalten leistet. dabei haben das hohe künstlerische ni-veau der Projekte, die spielfreude und das Talent der mitwir-kenden einen ebenso bleibenden eindruck hinterlassen wie der gesellschaftspolitische anspruch, Theater und film als Bühne zur selbstreflexion und zur Beziehungsarbeit zu nutzen. denn auf diese Weise werden den Beteiligten – nicht zuletzt – neue Perspektiven zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft er-öffnet.

das Theater reagiert heute, in Zeiten gesellschaftlicher um-brüche, auf konfliktfelder verstärkt mit mitteln der sozialen intervention, indem es nicht-professionelle darstellerinnen einbezieht. auch vor diesem hintergrund zeigen die Gefäng-nisprojekte von minor e. V. ihre besondere Qualität. denn hier, an diesem wenig inspirierenden, von festen regeln und ord-nungen bestimmten ort, sind die Werkstätten, Bühnen- und filmproduktionen nicht im herkömmlichen sinne auf das künst-lerische ergebnis ausgerichtet, sondern entwickeln sich prozess - orientiert, aus den individuellen fähigkeiten, Geschichten und erlebnissen der mitwirkenden. entscheidend sind somit kom-munikation und dynamik in der gemeinsamen arbeit, die von den professionellen künstlerinnen mit großer leidenschaft, aber auch mit sehr viel empathie und Vertrauen begleitet wird. Gerade darin sieht die stiftung ihr eigenes Verständnis von echter Partizipation auf modellhafte Weise bestätigt: statt die zur Teilnahme eingeladenen menschen einem vorgefertigten künstlerischen konzept zu unterwerfen, geht es idealerweise um kollektive Beteiligungsprozesse, die sehr konkret von den kreativen Potenzialen, den ressourcen und anliegen der mit - wirkenden ausgehen und mit den mitteln der kunst neue Per-spektiven und handlungsräume schaffen. Genau in diesem sinne ist »freispieler«, der Titel der vorliegenden dokumenta-tion, durchaus programmatisch zu verstehen – als eine Brücke (zurück) in die Gesellschaft.

76 ParTiZiPaTion: sPielräume schaffen

»Gefängnis – kunst – Gesellschaft« – so nennt sich das Projekt, um das sich diese dokumentation dreht. als koordinatorin des Projekts möchte ich hier vorstellen, wie wir das Projekt gestal-ten und warum uns diese arbeit wichtig ist.

»Gefängnis – kunst – Gesellschaft« wird von dem Berliner Verein »minor – Projektkontor für Bildung und forschung e. V.« getragen. die arbeit mit inhaftierten stellt einen wichtigen Be-reich unserer arbeit dar. darüber hinaus führen wir Bildungs- und forschungsprojekte für verschiedene »benachteiligte« Zielgruppen aus. Wir fördern durch unsere modellprojekte in Betrieben und Bildungseinrichtungen oder durch die Verknüp-fung von theater- und musikpädagogischen ansätzen sowie der politischen und interkulturellen Bildung soziale und berufli-che kompetenzen unserer Teilnehmenden.

die arbeit im Gefängnis wird möglich, weil wir mit einem interdisziplinären Team von Berliner künstlerinnen kooperie-ren, die über langjährige erfahrungen im umgang mit inhaf-tierten verfügen. seit Beginn des Projekts arbeiten wir in der justizvollzugsanstalt für frauen an den standorten Pankow und lichtenberg sowie in der jugendstrafanstalt Berlin. Wir legen dabei großen Wert auf eine enge kooperation mit den haftanstalten, um die reibungslose einbindung in die Behand-lungs- und freizeitarbeit zu gewährleisten. durch einen regel-mäßig stattfindenden steuerkreis wird gemeinsam über alle wichtigen Belange des Projekts entschieden.

Team geleitet werden, haben dabei einen zuverlässigen, struk-turierten ablauf, um orientierung geben zu können. dies ist auch Grundlage für eine Beziehungsarbeit, die auf der Balance zwischen nähe und distanz basiert, und die essentiell wichtig in der arbeit mit inhaftierten ist.

die Trainingswerkstätten finden immer über einen Zeitraum von neun monaten statt. dabei treffen sich die Gruppen wö-chentlich für drei stunden. am ende des Projektzyklus’ prä-sentieren wir auf unterschiedliche art und Weise den Prozess der vergangenen Zeit. Wir haben bisher verschiedene formate ausprobiert, die von der diskussion via skype mit inhaftier-ten und fachpublikum über eine öffentliche film- und Thea-terpräsentation im Berliner kino BaBYlon bis zu einer Werk-schau für geladenes Publikum in der jugendstrafanstalt und aufführungen nur für andere inhaftierte reichen. Wir wollen dadurch Perspektivwechsel anregen – und zwar sowohl einen Perspektivwechsel der inhaftierten in ihrer sichtweise auf die Gesellschaft als auch einen Perspektivwechsel der Gesellschaft in ihrer Wahrnehmung von inhaftierten frauen und männern.

Gemeinsam mit allen beteiligten Partnern (minor e. V., jus-tizvollzugsanstalten, künstlerteam) legen wir vor Beginn des jeweiligen Werkstattzyklus’ ein Thema fest, an dem gearbeitet wird. Wir knüpfen dabei an die lebenswelten der Teilnehmen-den an, um reflexionsprozesse und eigene kreativität anzu-regen. im mittelpunkt der auseinandersetzungen standen bisher die Themen »Vorbilder« und »Würde«. ein weiterer Projektzyklus thematisiert den umgang mit »entscheidungen« und welche rolle sie für das leben vor, während und nach der inhaftierung spielen. die Trainerinnen suchen also zu Beginn eines Projektzyklus’ das inhaltliche Gespräch mit den inhaf-tierten, um Vertrauen für den weiteren Prozess aufzubauen. so entstehen erste Texte, die durch dramaturgische und mu-sikalische improvisationen in szenen oder songs umgesetzt werden. nach und nach entwickeln sich aus den eigenen ideen und persönlichen ressourcen der inhaftierten Teilnehmenden szenen, Theaterstücke, Gedichte und kleine musikbands.

neben wöchentlichen Trainings im geschlossenen strafvollzug bieten wir auch regelmäßige Theater- und musiktrainings für Teilnehmende aus den offenen Vollzügen und für haftentlas-sene an. so ermöglichen wir, dass die Teilnehmenden wäh-rend ihres gesamten Prozesses der Wiedereingliederung in die Gesellschaft vom Projekt begleitet werden können. in vielen jahren haben wir gelernt, dass wir mit unserer Theater- und musikarbeit die Teilnehmenden aufmerksam für sich und an-dere machen können, dass sie sich öffnen und verändern kön-nen, dass sie über ihren lebensweg reflektieren. diese sensible chance, sich selbst zu verändern, bedarf der kontinuierlichen Begleitung über eine möglichst lange Zeit. deshalb begleiten wir die inhaftierten auf ihrem Weg von »drinnen nach drau-ßen«.

unsere arbeit zeichnet sich besonders dadurch aus, dass wir nicht mit vorgefertigten stücken in die arbeit mit den Teil-nehmenden gehen, sondern auf deren fähigkeiten, ressour-cen und ideen setzen. dabei sind Pädagogik und Partizipation ebenso wichtig wie der künstlerische anspruch. Wir arbeiten nach einem einheitlichen rahmenkonzept, dessen Ziel es ist, informelles lernen zu ermöglichen sowie persönliche und so-ziale kompetenzen zu stärken. die erfahrungen unserer bishe-rigen theater- und musikpädagogischen arbeit belegen, dass die beteiligten inhaftierten durch die regelmäßige Trainingsar-beit ein hohes maß an Teamfähigkeit, sozialer Verantwortung, selbstreflexion, kritikfähigkeit, kreativität und motivation ent-wickeln. die Trainings, die von einem gemischtgeschlechtlichen

auch wenn es – außer in der Werkstatt für inhaftierte aus den offenen Vollzügen – für die Teilnehmenden keine möglichkeit gibt, sich zu begegnen, so versuchen wir dennoch, die einzelnen Werkstätten miteinander zu verbinden. es werden beispielswei-se Briefe geschrieben, weitergegeben und beantwortet oder es wird ein gemeinsames Bühnenbild entwickelt. ein besonderes Beispiel dieser kooperation ist die entstehung des films »dor-nenkronen«. durch die förderung, Begleitung und unterstützung der montag stiftung kunst und Gesellschaft wurde es uns er-möglicht, einen film zum Thema »Würde« zu drehen. die haupt-darstellerinnen sind inhaftierte frauen, die gemeinsam mit dem künstlerischen Team charaktere und eine Geschichte entwickel-ten. diese Geschichte wurde dann vor einem sogenannten Green screen gedreht, damit nachträglich ein hintergrund eingebaut werden konnte. dadurch wurde es möglich, den film außerhalb der Gefängnismauern spielen zu lassen. ebenso konnten sich da-durch inhaftierte aus den anderen Vollzugsanstalten im film be-gegnen. dem Zuschauer erscheint es dann so, als ob gemeinsam gespielt und gedreht wurde.

Wir versuchen immer, auch unter den Teilnehmenden das Be-wusstsein für ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. für uns stehen somit der gemeinsame Prozess und die Beteiligung der inhaftierten im Vordergrund des handelns. das bedeutet aller-dings auch für alle, dass es keinen fertigen Plan geben kann, sondern spontaneität und flexibilität (allerdings selbstverständ-lich in den Grenzen des Vollzugs) Grundvoraussetzung für die mitarbeit im Projekt sind. dafür haben wir aber die möglichkeit, ergebnisse zu schaffen und zu erleben, die ein ehrliches und authentisches resultat der Zusammenarbeit sind.

Wie bereits zu Beginn erwähnt, wäre das Projekt ohne die künstlerinnen und die unterstützung der justizvollzugsanstalten nicht möglich. fritz Bleuler, fritz eggert, hanna essinger, mirella Galbiatti, Viola neumann, jarek raczek, julia rogge, christian schodos, lexa schäfer und sabine Winterfeldt präsentieren im-mer wieder mit sehr viel engagement wunderbare resultate ih-res künstlerischen und pädagogischen schaffens. davon zeigen wir in dieser dokumentation einige ausschnitte, eindrücke und erlebnisse – und hoffen, dass wir vermitteln können, wie span-nend und anregend diese arbeit für uns ist.

Das projekt »GeFänGnis – kunst – GesellschaFt«elisabeth hoFFmannprojektleiterin »minor – projektkontor Für bilDunG unD ForschunG e. v.«

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ist das die chance der kunst? es sieht eher nach Pädagogik aus.es ist eher etwas heilendes. ich finde, Pädagogik macht manchmal ein bisschen schmal, und wir wollen die menschen freier machen – im Geist. Wir wollen sie öffnen, sodass sie sich gut fühlen und mit ihren stärken in kontakt kommen. um sie ein wenig kennenzulernen machen wir Biografie-arbeit. dann stellt sich heraus, dass es häufig menschen sind, die erfahren haben, dass das leben nichts Gutes für sie bereithält, die ab-gewertet wurden. deshalb konzentrieren wir uns darauf, was gut ist. und dann wachsen die, die dabei bleiben, über sich hinaus – immer.

Woran sehen sie das?an vielen sachen. Zum Beispiel: jemand, der nach der vierten klasse von der schule abgegangen ist, nur noch raubüberfälle begangen hat. Plötzlich schreibt der, er lernt Text, spricht bei der aufführung alle Texte mit, passt auf, dass alle requisiten am Platz sind, usw. das meine ich damit. und das alles, ohne dass wir gesagt haben, das brauchen wir. da fließt plötzlich so viel ineinander, weil die Teilnehmer merken, da ist etwas, das ist größer als ich, und ich möchte ein Teil davon sein. ich bin aber nur dann ein Teil davon, wenn ich meine aufgaben sehe, wenn ich mich einbringe, und das hat viel mit Vertrauen zu tun. deshalb ist es ganz wichtig, dass die Theaterleute, die in den Projekten arbeiten, gut mit distanz und nähe klarkom-men. aber es müssen auch leute sein, denen die Gefangenen vertrauen können, denen sie folgen wollen. die Trainer müssen das, was sie machen, menschlich ernst meinen.

intensive Theaterarbeit kann verdeckte, verdrängte, gezügelte Gefühle an die oberfläche bringen, die mit der Bühnensituation nichts zu tun haben. Was machen sie, wenn der freiraum ihrer Trainings eine unkontrollierte Gruppendynamik auslöst?ich glaube, es gibt Gesetzmäßigkeiten, regeln in der kunst, in deren rahmen man freiheit schaffen kann und Wertschätzung. es gab immer wieder momente bei den Proben, wo ich gesagt habe: »Passt auf kinder, ich gehe jetzt eine halbe stunde raus und ihr guckt mal, wie weit ihr mit der szene kommt. ich bin nicht eure mutti. macht was draus.« dann bin ich wiederge-kommen und peng – alle waren konzentriert, die szene war toll. Was die Teilnehmer hier lernen, ist selbstverantwortung. am anfang macht es einfach spaß, dann entdecken sie die eigenen ressourcen und irgendwann Verantwortung für die ei-gene kraft. das ist es, was wir versuchen mitzugeben.

es geht ihnen bei ihrer arbeit in erster linie um den Prozess, aber wie sieht es mit den ergebnissen aus?für mich ist immer wichtig, dass das, was da passiert, authen-tisch ist, dass es von den Teilnehmern kommt. die sachen, die wir bisher gemacht haben, fand ich großartig. Bei auffüh-rungen, bei Präsentationen war das Publikum begeistert. es berührt einen sehr, weil wir die Teilnehmer ermutigen, nicht einfach etwas vorzuspielen, sondern wirklich reinzugehen. et-was von sich zu zeigen, im schutz einer rolle. es ist wichtig, dass die Teilnehmer aus ihrer eigenen kraft heraus agieren, und das ist immer schön anzuschauen, finde ich. ich gehe heu-te wieder zu den jungs nach Plötzensee. einer, mit dem ich im letzten Projekt gearbeitet habe, ist jetzt wieder dabei – leider. ein ganz toller junge, ein Palästinenser. er hat eine szene ge-spielt und ich habe gedacht: ich wünsche mir, dass viele junge schauspieler sich das mal anschauen, zu studienzwecken. das ist gutes Theater, weil es mit mut und kraft und ehrlichkeit zu tun hat und nicht mit überzüchtetem sprechen und schönsein. es geht ja ganz viel um eitelkeit in unserem Beruf, und wenn dann jemand einfach spielt, aus einer lust heraus, sich austobt und dabei stark ist – dann ist das einfach toll anzusehen.

1312 die haBen mein feuer Wieder enTZÜndeT

Zigarettenpause. die Vollzugsbeamtin wird angerufen. das schlüsselbund rasselt, sie öffnet die Tür des Probenraums und begleitet uns auf den hof. man kann die renovierten altbauten auf der anderen seite der mauer sehen. Große fenster, Balkon mit Gefängnisblick. sehnsuchtsorte? claudia wendet sich ab und zeigt mir die rabatten, die sie hier selbst pflegen. ende des kurzausflugs in die sonne.

christian schodos berichtet von den Vorbereitungen für die Projektpräsentation. die findet in gut vier Wochen im kino Ba-BYlon statt. Geplant ist die erstaufführung von »dornenkro-nen«, dem film, der hier entwickelt wurde, und in dem auch inhaftierte aus den anderen haftanstalten mitspielen. die draußenwerkstatt, mit haftentlassenen und Teilnehmern aus dem offenen Vollzug, steuert ein eigenes Theaterstück bei.

heute soll hier noch eine Ton-aufnahme gemacht werden. die beiden frauen haben Gedichte geschrieben, über liebe und Toleranz. sie lesen sie vor, erst einzeln, dann im chor. christian schodos korrigiert wenig. es klappt gut, er richtet das mikrofon aus, drückt die aufnahme-Taste:

»es gibt da eine abgrenzung… und davor ist eine mauer. der rand der Gesellschaft. nach der mauer kommt die randgruppe. und vor der mauer liegt die freiheit.« die frau, die das sagt, ist fast im rentenalter, hat wache augen und beobachtet aufmerk-sam. nennen wir sie claudia. sie ist schon lange hier und sie muss noch viele jahre bleiben. es ist montagnachmittag, ein heller sommertag. Wir sitzen zu fünft im großen allzweckraum der justizvollzugsanstalt für frauen in Berlin. die Tür ist ver-schlossen, die fenster sind vergittert. Gefängnis-alltag.

heute ist Training. so nennen sie die Theater-Workshops, die einmal wöchentlich von schauspielerinnen in verschiede-nen Berliner haftanstalten angeboten werden. ich bin Gast hier. »Verstellen sie sich nicht. die merken alles. seien sie of-fen, machen sie einfach mit«, hatte christian schodos gesagt. Gemeinsam mit sabine Winterfeldt leitet er die Trainings.

die situation ist ungewohnt: am eingang ausweis und handy abgeben, Taschen und jacken einschließen, dann das klirrende Geräusch eines dicken schlüsselbundes, graue flure, abgenutzte Treppen. Von wegen klischees.

ob ich störe? scheinbar nicht. ich werde erwartet, mit neu-gier, mit vorsichtiger freude, vielleicht sogar mit etwas stolz. da kommt jemand von »draußen«, ist interessiert an uns und an dem, was wir hier tun…

heute sind nur zwei frauen gekommen. manchmal sind es acht oder mehr. die Trainer stellen sich spontan auf die jeweilige situation ein. claudia hat schon beim filmprojekt »dornenkro-nen« mitgemacht. die andere frau (wir geben ihr hier den na-men ilona) ist relativ neu. sie ist mitte zwanzig, spricht leise, etwas schüchtern und ist zum dritten mal beim wöchentlichen Theater-Training. das beginnt um 16.30 uhr, wenn die frauen von ihrer arbeit in den Werkstätten zurück sind, und endet um 19.30 uhr. der raum ist fast quadratisch. stühle und Tische sind an einer seite gestapelt, es gibt ein Bühnenpodest, eine Vitrine mit weißen skulpturen aus dem kunstkurs und ein paar alte musikinstrumente.

Wir alle sind neugierig und versuchen es voreinander zu verbergen. stühle werden in die mitte des raumes gestellt, man setzt sich. Zuerst kommt immer der »Talking stick«. Wer den auf dem Boden liegenden kugelschreiber aufhebt, ist an der reihe, erzählt, wie es ihm geht und was gerade los ist. die anderen hören zu, aufmerksam, ohne zu kommentieren.

heute ist lese-Probe. der Trainer hat den Text schon beim letzten mal verteilt. ein hintergründiges Zwei-Personen-stück, das in einem friseursalon spielt. es gibt sehr viele regiean-weisungen. die soll ich lesen. mit verteilten rollen beginnen wir. die beiden frauen haben sich gut vorbereitet. kaum ein Versprecher. claudia gibt ihrer figur schon erste konturen. aber worum geht es hier wirklich? christian schodos und sabine Winterfeldt diskutieren mit den beiden über unterschiedliche interpretationsmöglichkeiten. aufgeführt wird das stück nicht. es ist Übungsobjekt, arbeitsmaterial.

die liebe ist ein bekanntes instrument.unterschiedliche Töne bis zu unterschiedlichen melodienkönnen nur klingen, wenn sie gespielt und gehört werden.die vielen instrumente, die es gibt, passen alle zusammenin ein orchester und jedes das will, darf mitspielen.

es ist ein Beitrag für die Theaterszenen der »jungs« in der jugendstrafanstalt Berlin. dort geht es um Würde und auch immer wieder um liebe. kein einfaches Thema im Gefängnis. spielt homosexualität eine rolle? Bei uns, sagen die frauen, ist das egal, es ist kein Problem, wenn eine lesbisch ist. Bei den jungs ist das anders. »schwulsein ist eigentlich kein randgrup-pen-Thema mehr«, wirft claudia ein. »aber im knast schon.« Bei den jugendlichen bieten die schauspielerinnen jetzt ein Training dazu an.

jeder mensch in der Gesellschaft spielt in der liebe seine eigene melodie.Geschlechtsneutrale instrumente begeistern mit unterschiedlichen klangtönen,die eine harmonie ausdrücken. aber die auch unruhig und zerstörend wirken können (…)

Geschenkte schuhe unD würDe, Die man nicht sieht ein probenbericht.

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»das sind so Gedanken, die fallen mir blitzartig ein. die muss ich dann aufschreiben«, sagt claudia. »Ganz am anfang der Trainings wurden wir gefragt: Was versteht ihr unter Würde? das sind so neue denkanstöße. ich habe die Würde dann un-terteilt. Würde, die man sieht, die man mit dem verbindet, was eine Person leistet, beruflich, gesellschaftlich. und dann die Würde, die nicht nach außen tritt, die man aber hat. die, die Gesellschaft nicht sieht. Wir sind hier würdevolle menschen.«

Würde war das gemeinsame Thema der Workshops in allen haftanstalten. die Gespräche über Würde wurden zum aus-gangspunkt für improvisationen und Texte und schließlich für den film »dornenkronen«. claudia drängt es, davon zu erzäh-len. christian schodos macht mit. ilona hört konzentriert zu, fragt, steuert manchmal etwas allgemeines bei.

schon sechs jahre nicht mehr getragen. und dann liefen mir die Tränen runter. aber ich bin gelaufen. ich will nicht sagen, dass ich mich wieder als frau gefühlt habe, aber irgendwie anders. und die schuhe, die hat sie mir später geschenkt.« »das ist das schöne an dalida«, sagt christian schodos, »in der steckt ein großes herz, da kann spontan so viel liebe rüber-kommen.« dalida ist unterdessen im offenen Vollzug. claudia und christian schodos hoffen, dass ihr die erfahrungen aus der Probenzeit, aus dem filmprojekt helfen werden, besser ihren Weg zu finden.

19.30 uhr. hier ist man pünktlich. Wir räumen auf und clau-dia gibt mir ein zusammengerolltes Blatt Papier, verschlossen mit einer selbstgedrehten Wollkordel. »das habe ich für euch geschrieben«, sagt sie und verabschiedet sich.

»als wir gedreht haben«, sagt christian schodos, »haben wir hier sechs Tage hintereinander gearbeitet. 50 stunden. alle zusammen in diesem raum, kamera, kostümständer, maske, requisiten, scheinwerfer.« »es war so heiß«, ergänzt claudia, »und dann diese kostüme und das frauliche Getue, mit den roten fingernägeln und so. das ist nicht so meine sache.« christian schodos lacht. »aber erinnere dich, wie dalida dir die schuhe zur Probe mitgebracht hat.« claudia zeigt auf ihre füße: »ich hatte wieder so flache an und dalida sagt: eh, die sind ja furchtbar. so willst du als königin regieren, das geht doch gar nicht. ich bring dir nächstes mal andere mit.«

dalida, erklären sie mir gemeinsam, trägt schuhe mit »sa-genhaften« absätzen, flucht ständig und lautstark und bekam auf den Proben Wutausbrüche, wenn sie mal eine Viertelstun-de nur zuhören musste. claudia lacht: »ich habe gedacht, oh Gott, jetzt bringt die mir so dinger mit, in denen kann ich gar nicht laufen. und dann kommt sie mit riemchenschuhen, mit einem ganz normalen absatz. ich zieh die an, geh ein paar schritte und dann geht mir durch den kopf: so etwas hast du

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