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18 Forum SOZIAL 1/2010 für noch nicht absehbare gesell- schaftliche Belastungen sorgen wird. Arm sein het auch: früher tot sein. 1 Heißt dumm bleiben, heißt drau- ßen bleiben, quasi vor der Tür. Einer verschlossenen Tür , auf der geschrieben steht: „Eintritt ver- boten!“ und die zur gesellschaft- lichen Teilhabe führt: Mal ins Kino gehen, mit den Kindern den Zoo besuchen. Dinge, die nach Mei- nung des Gesetzgebers locker aus dem Existenzminimum finanziert werden könnten. Und da das nicht gelingt, bleibt die Tür zu. Partizipa- tion ist und bleibt ein Fremdwort. Und dann gibt es noch die ver- deckte Armut. Hierunter fallen viele, oft alte Menschen, die sich schämen dem Staat „zur Last“ zu fallen. Lieber kochen sie jeden Tag morgens, mittags, abends ihren Milchbrei von der kargen Rente und sparen sich sprichwörtlich tot. Es wird vermutet, dass von dieser Es ist jedoch nicht allein die Ein- kommensarmut, die verelenden lässt. Es ist der gravierende Mangel an Verwirklichungschancen, der mit anhaltender Armut stets verbunden ist. Denn gleich eines bösartigen Geschwürs, wuchert die Armut mit ihren Auswüchsen, streut immer weitere Herde, bringt immer neues Unheil und immer neues Verderben r die Betroffenen. Denn arm sein heißt auch krank sein: Die Chancen auf Gesundheit sind nahezu halbiert. Signifikant erhöht sind die Risiken für Dia- betes, Schlaganfall, Gelenkerkran- kungen, Herz- und Kreislaufer- krankungen und Krebs. Chronische Krankheiten erhöhen eindeutig das Risiko zu verarmen. Allein die dramatische Zunahme psychischer Erkrankungen lässt ahnen, dass aufgrund der sich gegenseitig verstärkenden Wech- selwirkung zwischen armutsbe- dingten Lebenslagen und Krank- heit die Armut stetig zunimmt und Es sind fünf Buchstaben, hinter denen sich die Tragödie verbirgt: ARMUT. Eine Tragödie, die seit Menschenge- denken die Massen verelenden lässt und ausmerzt. Schlimmer als alle Kriege, als Krankheit wütet weltweit die Armut und ist nicht in den Griff zu kriegen. Wer glaubt, sie mache vor unserem Sozialstaat halt, irrt. Das Elend ist mitten unter uns. Rund 8,25 Mio. Menschen leben in unserem Sozialstaat von staatlichen Trans- ferleistungen, also vom Existenz- minimum. Was konkret heißt: Der Mensch verhungert nicht. Er hat ein Dach über dem Kopf, friert nicht, hat Wasser , Strom. Er kann überleben. Basta. Betroffen sind breite Bevölkerungsschichten: Ar- beitslose, Alte, Alleinerziehende, Kinder, Migranten, Inhaftierte, Behinderte und Kranke, insbeson- dere psychisch Kranke, Sucht- kranke, Wohnungslose. Somit das typische Klientel Sozialer Arbeit. Denn arm sein heißt auch krank sein: Die Chancen auf Gesund- heit sind nahezu halbiert. Signifikant erhöht sind die Risiken für Diabetes, Schlag- anfall, Gelenkerkran- kungen, Herz- und Kreislauferkrankungen und Krebs. Leben am Limit oder: Arm bleibt arm bleibt arm … Uta Herzog Für Essen reichte das Geld üblicherweise nur gut zwei Wochen.“ FUSSNOTE 1 Erhöhtes Mortalitätsrisiko bei Gruppe mit niedrigem Einkom- men, in: Lebenslagen in Deutsch- land 2008, Kap. VI. 1.2., S. 84

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für noch nicht absehbare gesell-schaftliche Belastungen sorgenwird. Arm sein heißt auch: frühertot sein.1

Heißt dumm bleiben, heißt drau-ßen bleiben, quasi vor der Tür.Einer verschlossenen Tür, auf dergeschrieben steht: „Eintritt ver-boten!“ und die zur gesellschaft-lichen Teilhabe führt: Mal ins Kinogehen, mit den Kindern den Zoobesuchen. Dinge, die nach Mei-nung des Gesetzgebers locker ausdem Existenzminimum finanziertwerden könnten. Und da das nichtgelingt, bleibt die Tür zu. Partizipa-tion ist und bleibt ein Fremdwort.

Und dann gibt es noch die ver-deckte Armut. Hierunter fallenviele, oft alte Menschen, die sichschämen dem Staat „zur Last“ zufallen. Lieber kochen sie jeden Tagmorgens, mittags, abends ihrenMilchbrei von der kargen Renteund sparen sich sprichwörtlich tot.Es wird vermutet, dass von dieser

Es ist jedoch nicht allein die Ein-kommensarmut, die verelenden lässt.Es ist der gravierende Mangel anVerwirklichungschancen, der mitanhaltender Armut stets verbundenist. Denn gleich eines bösartigenGeschwürs, wuchert die Armut mitihren Auswüchsen, streut immerweitere Herde, bringt immer neuesUnheil und immer neues Verderbenfür die Betroffenen.Denn arm sein heißt auch kranksein: Die Chancen auf Gesundheitsind nahezu halbiert. Signifikanterhöht sind die Risiken für Dia-betes, Schlaganfall, Gelenkerkran-kungen, Herz- und Kreislaufer-krankungen und Krebs. Chronische Krankheiten erhöheneindeutig das Risiko zu verarmen.Allein die dramatische Zunahmepsychischer Erkrankungen lässtahnen, dass aufgrund der sich gegenseitig verstärkenden Wech-selwirkung zwischen armutsbe-dingten Lebenslagen und Krank-heit die Armut stetig zunimmt und

� Es sind fünf Buchstaben,hinter denen sich die

Tragödie verbirgt: ARMUT. EineTragödie, die seit Menschenge-denken die Massen verelendenlässt und ausmerzt. Schlimmer alsalle Kriege, als Krankheit wütetweltweit die Armut und ist nichtin den Griff zu kriegen. Werglaubt, sie mache vor unserem Sozialstaat halt, irrt. Das Elend ist mitten unter uns. Rund 8,25Mio. Menschen leben in unseremSozialstaat von staatlichen Trans-ferleistungen, also vom Existenz-minimum. Was konkret heißt: DerMensch verhungert nicht. Er hatein Dach über dem Kopf, friertnicht, hat Wasser, Strom. Er kannüberleben. Basta. Betroffen sindbreite Bevölkerungsschichten: Ar-beitslose, Alte, Alleinerziehende,Kinder, Migranten, Inhaftierte,Behinderte und Kranke, insbeson-dere psychisch Kranke, Sucht-kranke, Wohnungslose. Somit dastypische Klientel Sozialer Arbeit.

Denn arm sein heißtauch krank sein: DieChancen auf Gesund-heit sind nahezu halbiert. Signifikanterhöht sind die Risikenfür Diabetes, Schlag-anfall, Gelenkerkran-kungen, Herz- undKreislauferkrankungenund Krebs.

Leben am Limit oder: Arm bleibt armbleibt arm … Uta Herzog

„Für Essen reichte das Geld üblicherweise nur gut zwei Wochen.“

FUSSNOTE1 Erhöhtes Mortalitätsrisiko beiGruppe mit niedrigem Einkom-men, in: Lebenslagen in Deutsch-land 2008, Kap. VI. 1.2., S. 84

Klientel zwei Berechtigte auf einentatsächlichen Sozialleistungsemp-fänger fallen.Es beginnt bei den Kleinsten: Häu-fig werden sie bereits hineinge-boren in ein defizitäres Umfeld undtragen ab sofort den Stempel: Un-terschichtkind. So wie die Elternzuvor und die Kinder danach. IhreUmweltbedingungen sind deutlichschlechter: einseitige Ernährung.Schlechte Wohnverhältnisse. We-nig Anregendes in der Nachbar-schaft. Eintönigkeit allüberall.Die Erziehungskompetenzen derEltern sind oft dürftig. Zudem be-steht bei „Unterschichteltern“ eindeutlich erhöhtes Risiko, psychischzu erkranken – insbesondere beiAlleinerziehenden.Was Kinder zu ihrer körperlichen,geistigen und seelischen Entwick-lung brauchen sind Erfahrungenund Anregungen. Gemeinsam mitGleichaltrigen, mit den Eltern. Ei-nen Baum erklettern, einen Bachbestauen. Malen, reimen, singen.Dabei lernen. Unterschichtkinder lernen nichtviel. „Vom Suchen und Finden der Synapsen?“ – Fehlanzeige!Nicht bei Playstation ganztags.Für Hobby- und Freizeitaktivitätenfehlt das Geld. Also: Ponyheftchenstatt Reiterferien. Nintendo stattPiano. Konsum statt Tun.

Kinder aus unterprivilegierten Ver-hältnissen haben ein doppelt sohohes Risiko, in ihrer Gesundheit,insbesondere in ihrer emotionalen,sozialen, motorischen und kogni-tiven Entwicklung, beeinträchtigtzu sein. Signifikant ist das hoheAuftreten von psychischen Störun-gen. Das Stigma, zur Unterschichtzu gehören, drückt sich mitunterbereits im Vornamen aus: „Kevin“,so ein Lehrer, „sei kein Name, son-dern eine Diagnose!“2

Unterschichtkinder sind Haupt-schulkinder. Die Chancen auf einenhöheren Schulabschluss oder eineBerufsausbildung sind gering. AmSchlimmsten betroffen sind Kin-der mit Migrationshintergrund: Siesind doppelt so häufig von Ar-mut betroffen und haben mehr alssechsmal häufiger keinen Schul-abschluss. In der Sozialen Arbeit

sind diese Jugendlichen als Schul-abbrecher bestens bekannt. Etwadie Hälfte der Mädchen, ein Drittelder Jungen, bleibt ohne Ausbil-dung – die nächste Generation der„working poor“!

Dabei befinden sich unzähligebegabte Kinder der Unterschichtmitten unter uns. Kinder, die ihreherausragenden Talente nicht ent-wickeln können. Weil Anregungenfehlen und das nötige Geld. Das istdas eigentliche Drama dabei. DennBildung ist der Schlüssel zu mehrEinkommen, mehr Teilhabe, mehrLebensglück.Allein die Vorstellung, dass – welt-weit – hoch intelligente Kinder inihren Plattenbauten sitzen und inden Slums. Kinder, welche die Kapazitäten dazu hätten, als For-scher endlich den Krebs zu besie-gen, die uns mit ihrer Musik ver-zaubern, deren Bilder wir vergöt-tern, deren Bücher wir verschlin-gen würden … dass all diese Kinderohne Verwirklichungschancen bes-tenfalls ein Hilfsarbeiterleben füh-ren werden, dass sie geistig vorsich hin dümpeln müssen und ver-suchen ihren Alltag irgendwie zustemmen. So wie die Eltern zuvorund wie die Kinder danach.Das ist die Wurzel aller Ungerech-tigkeit, Quelle aller Armut.

Materielle Armut verringern stehtinsbesondere dort im Vordergrund,wo Armut sich bereits verfestigthat: etwa bei Wohnungslosen undSuchtkranken.Besteht extreme Armut, so findenSozialarbeiter bei HausbesuchenZustände vor, die an den „kleinenLord“ in den Elendsvierteln am Ende des 19. Jahrhunderts erin-nern: Wohnviertel voller Unrat undDreck. Menschen, die in Verschlä-gen hausen, vereinsamt, verwahr-lost, von Ungeziefer befallen, hun-gernd, ohne Wasser, ohne Strom –kein Tier dürfte so gehalten wer-den.Im Übrigen nimmt der Gesetzgeberin Kauf, dass Menschen verhun-gern oder erfrieren würden: Gem.§ 31 SGB 2 darf bis auf ein Ein-kommen von „Null“ herunter sank-tioniert werden! Das nennt sichdann „Wegfall von Leistungen“.

Einige meiner psychisch krankeKlienten waren hiervon betroffen,da diese krankheitsbedingt keineBescheide mehr öffneten und aufder Behörde niemandem aufge-fallen war, dass diese Menschenauf dem „ersten Arbeitsmarkt“ fehl-platziert waren. Artikel 1 Grund-gesetz erscheint hier wie Hohn!

Beim Vorliegen extremer Armutgeht es ums nackte Überleben.Sozialarbeiterisch ist hier Krisen-intervention angesagt. Unser Hand-werkszeug hierbei: das Sozialge-setzbuch. Und das Wissen um dieGeltendmachung der Ansprücheunserer Klientel. Das ist das A und O, Alpha undOmega, und es muss gestrittenwerden bis in die letzte Instanz,wenn es erforderlich ist. Denn:„Verwaltungsrecht ist das Rechtdes Bürgers gegen die Verwaltung“– und Verwaltung ist gleich Staat.

Aus meiner Berufserfahrung kannich versichern: Neben den übli-chen Anträgen, die zu stellen sind,gibt es eine Reihe von Spezialge-setzen, nach denen man im un-endlichen Irrgarten des Sozialleis-tungsrechts mitunter lange suchenmuss: Sollte sich tatsächlich keineRechtsnorm finden, gibt es spe-zielle Fonds, etwa um Bedürftigeneinen neuen Fernseher zukommenzu lassen, Entschuldungsfonds fürehemalige Drogenabhängige oderkaritative Stiftungen, um etwa einenOfen zu erhalten, was im Gesetznicht mehr vorgesehen ist.

Zusätzlich sind viele Klienten vonÜberschuldung betroffen. Und so-mit liegen sie, mitunter drama-tisch, unter dem Existenzminimum.Überschuldung wirkt als „negativerVerstärker“ auf alle Lebensberei-che; erreicht ist der „Point of no Return“. Die Belastungen hierdurchsind immens – bis hin zum Suizid.

Unbedingte „Basics“ eines jedenSozialarbeiters sind somit sichereKenntnisse der Schuldenregulie-rung als „Erste Hilfe“ im Notfall:Hierbei geht es um Interventionen,die aktuell besorgungsbedürftigsind, quasi um die „bedrohlicheSpitze des Schuldenbergs“. Denndie Wartezeiten der Schuldner-

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Was Kinder zu ihrerkörperlichen, geistigenund seelischen Ent-wicklung brauchensind Erfahrungen undAnregungen. Doch fürHobby- und Freizeit-aktivitäten fehlt dasGeld. Also: Ponyheft-chen statt Reiterferien.Nintendo statt Piano.Konsum statt Tun.

FUSSNOTE2 „Die Rheinpfalz Am Sonn-tag“, vom 1. 11. 2009, Leserbrief„Kindernamen“

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Einkaufen, Arztbesuchen, Freizeit-gestaltung, administrativen Tätig-keiten usw.4

Denn das erst macht die Sache„rund“: Armut bekämpfen UND Integration ermöglichen.

Ein FallbeispielMir wurde die gesetzliche Be-treuung übertragen mit den Auf-gabenkreisen: Gesundheitsfürsor-ge, Vermögenssorge, Behörden-angelegenheiten für die 49-jährigeFrau G. und ihren 30-jährigen Sohn.Die verwitwete Frau war minder-begabt und litt an einer Alkohol-erkrankung. Der Sohn hatte Büro-kaufmann gelernt und war vor Jahren an einer drogeninduzierten,mittlerweile chronifizierten Psy-chose erkrankt.

Beim ersten Hausbesuch verhieltsich Herr G. akut psychotisch.Mit im Haushalt lebte ein weitererSohn der Frau G. in dem recht ver-wahrlosten Eigenheim, welchesnur spärlich eingerichtet und zu-dem hoch verschuldet war. Auchzwei abgemagerte Hunde lebten inder Familie. Eine Heizung gab esnicht. Einkommen meiner Klientenwaren Witwenrente und ALG II.Der aggressiv auftretende Bruderhatte einen Hilfsarbeiterjob undbeteiligte sich nicht an den Lebens-haltungskosten.Bei Betreuungsübernahme warenWasser und Strom gesperrt. In dieKonten waren jeweils Pfändungeninstalliert.

Für Essen reichte das Geld üb-licherweise nur gut zwei Wochen,dann wurde Brot mit Margarinegegessen und Wasser getrunken.Mitunter schenkten Nachbarn derFamilie etwas. Die Klienten lebtenisoliert und schämten sich für ihreLebenssituation.

Kurzfristige Interventionen:

� Organisation der Einweisung desHerrn G. in die Akutpsychiatrie,

� Energielieferanten kontaktieren(Ratenzahlung, Rücknahme derSperre),

� Anträge auf: Wohngeld, Pfän-dungsschutz, Feststellung derSchwerbehinderung, GEZ-Be-freiung, Begutachtung der Ar-

sie von der Unpfändbarkeit derSchuldner Kenntnis haben.

Zur Stabilisierung der Interventio-nen rate ich dazu, die Schuldner-beratungsstellen zu kontaktieren.Mitunter kann es, gerade bei see-lisch kranken, behinderten oderhoch verschuldeten Klienten sinn-voll sein, eine gesetzliche Betreu-ung für Behördenangelegenheitenund Vermögenssorge anzuregen.Es ist jedoch nicht allein der Man-gel an Einkommen, der unterprivi-legierte Menschen „arm sein“ lässt.Sie fühlen sich außerdem als man-gelhaft abgewertet und als uner-wünscht ausgegrenzt.Etliche Sozialleistungen mildernnicht nur materielle Armut, son-dern ermöglichen gleichzeitig auchwieder menschliches Miteinander:So etwa konkretisiert sich eineSozialleistung, zum Beispiel in Formvon „Essen auf Rädern“, für die alte Frau, die von Brei lebte, nichtallein in Form einer besseren Er-nährung. Wenn mittags das Essengebracht wird, passieren mögli-cherweise noch andere Dinge imLeben der vereinsamten alten Da-me: Ihr Tag hat plötzlich eineStruktur. Sie wäscht und kämmtsich, denn es kommt ja „Besuch“. Es ist wieder aufgeräumt undwohnlich. Ein paar Worte werdengewechselt, es entsteht mensch-liche Nähe, die „Tür“ steht nicht nur ganz konkret offen, um den„Zivi“ hineinzulassen, es ist auchein Hauch von Teilhabe entstanden.Denn der Mensch als ganzheit-liches Wesen hat ein Bedürfnis nach Selbstbestimmung, nach Wert-schätzung, nach menschlichen Kon-takten, und so wird mit solch einerbewilligten Leistung oftmals auchein wenig „Licht ins Dunkle“ ge-tragen.

Anführen möchte ich hier ebenfallseine recht neue Sozialleistung: dasPersönliche Budget für behinderteMenschen, also auch für seelischKranke, Suchtkranke etc. Mittelseines am individuellen Bedarf ori-entierten Geldbetrages kauft sichder Klient quasi als „Arbeitgeber“Hilfen ein, die gewissermaßen maß-geschneidert sind: etwa Unter-stützung bei Haushaltsführung,

beratungsstellen sind lang. Undin dieser Wartezeit vermehrensich Schulden, liegt vielleicht Räu-mungsklage vor, werden die üb-lichen Sperren installiert usw.

Sinnvollerweise werden lediglichRaten für „Primärschulden“ be-glichen, also: Miete, Wasser, Strom,Gas, ggf. Versicherung, Telefonu. ä. – eben für alles, was für denKlienten wirklich sinnvoll und not-wendig ist. Konsumschulden wer-den (zumindest vorerst) nicht zu-rück bezahlt – wichtig ist das Wohl der Klienten, nicht das vonPremiere, Otto, „Handy“ & Co.3

Mitunter sehen die Gläubiger vonweiteren Forderungen ab, wenn

FUSSNOTEN3 Es kann nicht im Sinne desGesetzgebers sein, dass Schul-den aus dem Existenzminimumbeglichen werden, denn der Ge-setzgeber hat die Pfändungsfrei-grenzen festgelegt.

4 Hier sehe ich eine konkrete„Tür“, nein geradezu einen gol-denen Torbogen zu mehr gesell-schaftlicher Teilhabe in Eigen-verantwortung.

LITERATURLebenslagen in Deutschland – Dritter Armuts- und Reichtumsbericht.Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode. Drucksache 16/9915 vom 30.6.2008

Kamensky, J.: Kinderarmut – Folgen für die Ernährung, in: Kamensky,J./Heusohn, S./Klemm, U.: Kindheit und Armut in Deutschland, Beiträgezur Analyse, Prävention und Intervention, Ulm 2000). Ebenfalls:

Kurt Meier und Uwe Glinka: „Hartz-IV-Kochbuch“ bzw. „Das Sparkoch-buch“, Gesund und ausgewogen ernähren für rd. 4,00 Euro/pro Tag

Wesel 2002, S. 253: Uwe Wesel, Fast alles, was Recht ist, Eichborn 2002

Schuldnerberatung in der Drogenhilfe, Stiftung Integrationshilfe fürehemals Drogenabhängige e. V., Loseblattsammlung, Luchterhand-Verlag

Bock-/Weigand (Hrsg.): Handwerksbuch Psychiatrie, Bonn, Psychiatrie-Verlag 1987

Soltauer Impulse, S. 34: Zu Sozialpolitik und Ethik am Beispiel psychia-trischer Arbeitsfelder, in: „Soziale Psychiatrie“ 4/2004

Frietsch, Groth/Hornung/Schulz-Rackoll, Zimmermann/Zipf/Müller (2004):Kap. 3

Rosenow: BtPrax 2/04, S. 57

Krüger Michael: „Subjektorientierung in der Betreuung“ BtPrax 1/2008

Anger: BtPrax 4/94, S. 131

Herzog Uta: „Die Zusammenhänge zwischen Armut, psychischer Erkran-kung und Überschuldung“, BtPrax 1/2008, S. 7–10

Thiersch, H. (2002): „Gerechtigkeit und Soziale Arbeit“, in: Thole Wer-ner (Hrsg.)

Grundriss Soziale Arbeit – ein einführendes Handbuch: Leske & Budrich,Opladen 2002

Cremer-Schäfer, Helga, (2001): „Ein politisches Mandat schreibt mansich zu. Zur Politik mit der Sozialen Arbeit“ (2001) In: Merten Roland(Hrsg.), Hat Soziale Arbeit ein politisches Mandat? Opladen

Blätter deutscher Wohlfahrtspflege, 4/05: Nomos-Verlag, Baden-Baden

Staub-Bernasconi, Silvia: „Soziale Arbeit als (eine) Menschenrechtspro-fession“, in: Sorg, Soziale Arbeit zwischen Politik und Wissenschaft. (Ver-lag nicht benannt.)

„Das trägerübergreifende Persönliche Budget. Jetzt entscheide ichselbst“: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bonn

Die Rheinpfalz Nr. 267: „Alle fünf Sekunden stirbt auf der Welt ein Kind“

Die Rheinpfalz vom 1. 11. 2009, Seite 7, Leserbriefe: „Kindernamen“

Die Rheinpfalz Nr. 252,vom 30. 10. 2009: „Maria Böhmer für Gutschei-ne statt Bargeld“

Frankfurter Rundschau, 19. 10. 2006: Zur verdeckten Armut. Françes Hodgson, Der kleine Lord

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beitsfähigkeit, ggf. Grundsiche-rung, EU-Rente für Herrn G.,

� „Tafelkarten“ besorgen5,

� Miet- und Verpflegungsvertragmit Bruder abschließen.

Mittelfristige Interventionen:

� Verordnung für Ambulante psy-chiatrische Pflege/Soziotherapie,

� Gläubiger anschreiben,

� Verhandeln mit der Landestreu-handbank (Kredite Haus),

� Anträge auf: Stationäre Leis-tung zur medizinischen Rehabi-litation für Frau G., Antrag aufTeilhabe am Arbeitsleben (WfB)für Herrn G., Persönliches Bud-get für beide Klienten,

� Versicherungen überprüfen, ggf.ändern,

� diverse Fonds kontaktieren (Öfen,Möbel),

� langfristige Interventionen,

� Schuldnerberatung,

� Haushaltskompetenzen fördern.

Fazit:Die Lebenssituation der Familie G.hat sich aufgrund der Interven-tionen erheblich verbessert. Die finanzielle Krise ist überwunden:Es ist mehr Einkommen vorhan-den (mittels Wohngeld, EU-Rente,Mietbeteiligung Bruder, Verrin-gerung Hauskredit). Die Sozialleis-tungen werden innerhalb vonsieben Tagen abgehoben (Pfän-dungsschutz). Bei beiden Klientenwurde eine Schwerbehinderungfestgestellt. Die „Tafel“ wird zwei-mal wöchentlich besucht, dieFahrten sind dank einer „Wertmar-ke“ kostenlos.Die beiden Hunde werden vom ört-lichen Tierheim mit Futter undärztlicher Versorgung unterstützt.Auf die fachpsychiatrische Unter-stützung hat Herr G. sehr positivreagiert. Er arbeitet inzwischenin einem Werkhaus für psychischbehinderte Menschen und knüpftdort zunehmend freundschaftlicheKontakte. Zweimal wöchentlichsucht eine Sozialarbeiterin im Rah-men des „Persönlichen Budgets“die Familie G. auf und bietet be-darfsorientierte Unterstützung an,wie etwa gemeinsames Einkaufen,

geschraubt, so haben wir es jetztmit einer Regierung zu tun, die sichnoch stärker am Nutzwert einesMenschen orientiert.Die Schere zwischen arm und reichwird weiter auseinander klaffenwie ein weit aufgerissenes Maulund es ist zu erwarten, dass dieVerteilungskämpfe noch härterwerden.Wenn Zyniker öffentlich kundtun,dass nach einer Erhöhung des Regelsatzes „in der deutschen Un-terschicht das zusätzliche Geldversoffen werde“, so wie kürzlichvom Neuköllner BürgermeisterBuschkowsky geäußert 9, oder„vom süßen Leben der Sozial-schmarotzer“ geschwärmt wird10,gefährdet dies den sozialen (Un-)-Frieden zusätzlich.In der öffentlichen Meinung wer-den die Verlierer unserer gesell-schaftlichen Bedingungen zu Tä-tern diskriminiert. Zugewiesenwird eigene Schuld.Es liegt an uns, die tatsächlichenUrsachen für ein gesellschaftlichbedingtes, persönliches Scheiterntransparent zu machen. Nur dasBewusstsein der Zusammenhängeverspricht auch nachhaltige Inter-ventionserfolge. Und deshalb istdem Wort mit den fünf Buchstaben– nämlich ARMUT – ein Wort mitdrei Buchstaben entgegenzusetzen– nämlich MUT.Mut dazu, jeden Tag aufs Neue dieZustände, die wir am und „rund umunsere Klienten“ vorfinden auszu-halten.Mut dazu, im öffentlichen DiskursMissstände im Sozialstaat öffent-lich zu benennen, sei es mittels Ge-werkschaft, Berufsverband usw.,und für mehr Gerechtigkeit einzu-treten.Und auch den Mut, uns selbstbe-wusst zu unserer Profession zu be-kennen. Denn Soziale Arbeit istunabhängig von unseren eigenenpolitischen, ethischen oder religiö-sen Motiven doch immer vor allemeines: Menschenrechtsprofession.

miteinander Kochen, Hilfe bei derGeldeinteilung sowie Hilfestellungbei anstehenden Problemen im lösungsorientierten Gespräch.Ein Klinikaufenthalt zur Entwöh-nung wird von Frau G. leider ab-gelehnt, jedoch hat sich ihr Alko-holkonsum deutlich reduziert.

Als gesetzliche Betreuerin bestim-men das Wohl meiner Klienten undinsbesondere deren Wille meinHandeln. Meine Aufgabe ist dieBeratung, Unterstützung und Ver-tretung der Klienten auf der Ba-sis rechtlicher und psychosozialerKompetenzen. Die Zusammen-arbeit gestaltet sich kooperativund vertrauensvoll. Als „Case-Managerin“ koordiniere ich zu-dem sämtliche Hilfen des „Multi-professionellen Teams“.Betonen möchte ich hier, dass nureine gelingende Beziehungsgestal-tung mit dem Anspruch auf „un-bedingte Anerkennung des Ande-ren in seinem So-Sein“6 zum lang-fristigen Erfolg der Interventionenführen kann.Insgesamt hat sich das ganze Fa-miliensystem G. erheblich stabili-siert. Die Lebensqualität ist deut-lich gestiegen. Aus ihrer Notsitua-tion heraus sind die Betroffenenauf dem Weg, sich Schritt fürSchritt wieder selbst als Expertenihres Lebens vorzustehen.

Schlussbetrachtung und Ausblick:Tagtäglich begegnen wir Sozial-arbeiter Menschen in der Krise. Undtagtäglich sind wir mit einer wei-teren, dramatischen Krise konfron-tiert: nämlich der des Sozialstaats.Denn Soziale Arbeit spielt sich im-mer im gesellschaftlichen Kontextab. Zunehmend – vor dem Hinter-grund eines „globalisierten Kon-kurrenzkapitalismus“7 – werden„Kategorisierungen noch enger gefasst, Ausschließungsprozessenoch weitreichender vorgenom-men“. 8 Insbesondere wird dortweggenommen, wo die Schwächs-ten getroffen werden, die sich amwenigsten wehren können. Die große, aber entscheidende Un-bekannte ist hier die neue Bundes-regierung.Hatte bereits die „alte“ Regierungkräftig am Sozialstaat herum-

AutorinUTA HERZOG,Diplom-Sozialarbeiterin/-pädagogin (FH), wohnhaftKirchheimbolanden/Pfalz.Seit 2000 als freiberuflicherechtliche Betreuerin/Berufsbetreuerin für mehrereBetreuungsgerichte in Rhein-land-Pfalz tätig.

Kontakt:[email protected]

FUSSNOTEN5 Die Notwendigkeit von „Ta-feln“ in einem Sozialstaat ist kri-tisch zu sehen. Konkret bietendiese jedoch deutliche finanziel-le Entlastung der Bedürftigen.

6 Thiersch, Hans (2002. „Ge-rechtigkeit und soziale Arbeit“,in: Thole Werner (Hrsg.) Grun-driss Soziale Arbeit – ein ein-führendes Handbuch, Leske &Budrich, Opladen 2002.

7 Cremer-Schäfer, Helga (2001)S. 57

8 Cremer-Schäfer, Helga (2001)

9 „Die Rheinpfalz“ Nr. 252,30. 10. 2009: „Maria Böhmer fürGutscheine statt Bargeld“

10 „Focus“ vom 23. 10. 2005,Titel, in: Kiehl 2001, S. 14, „Be-treuungsbehörden auf dem Wegins 21. Jahrhundert“