Garage als Zimmer Zuger macht Kasse - Albert VitaliFOLKLORE Tag der Trachten: Am 23. September...

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Sonntag, 26. Mai 2013 / Nr. 21 Zentralschweiz am Sonntag 21 antone K Luzerner Politiker sorgen für Farbe im Bundeshaus FOLKLORE Tag der Trachten: Am 23. September sollen die Parlamentarier in der Tracht im Bundeshaus erscheinen. Nicht alle sind davon begeistert. Für den 23. September, den Montag der letzten Woche in der Herbstsession, hat sich die parlamentarische Gruppe Volkskultur und Volksmusik etwas ganz Besonderes ausgedacht: einen Tag der Trachten. An diesem Tag sollen die Bundesparlamentarier in der Tracht in die Session kommen, auf freiwilliger Basis natürlich. Die Initiative dafür kam unter anderem aus Luzern. «Volkskultur verbindet», sagt FDP-Nationalrat Albert Vitali, der auch Präsident der IG Volks- musik Schweiz ist. «Sie zeigt die Stärke, Vielfalt und den Zusammenhalt unseres Landes auf.» Inklusive Juchzer In der Interessengruppe unter Natio- nalrat Max Binder hätten sie diskutiert, wieder etwas zu bewegen und das Parlament miteinzubeziehen. Gewisse Parlamentarier hätten bereits angekün- digt, eine Tracht zu organisieren. Am Abend des 23. September will Vitali dann sogar noch eins drauf setzen: Beim ge- mütlichen Zusammensein soll die Trachtenvereinigung Schweiz über die Bedeutung der Tracht sprechen, danach tritt Albert Vitali mit seinem Jodlerchör- li Heimelig aus Oberkirch auf und wird einen Juchzer von sich geben. Das freut besonders den Luzerner CVP-Politiker und designierten Präsi- denten des Nationalrats, Ruedi Lusten- berger. «Die Renaissance von Schwin- gen, Jodeln und Trachten in den ver- gangenen Jahren hat gezeigt, dass das bei der Bevölkerung von innen kommt.» Selber wird er nicht in Tracht erschei- nen: «Ich habe keine Tracht, und extra eine aufzutreiben, wäre für mich nicht ehrlich – denn es würde den Anschein erwecken, dass ich irgendwo aktiv dabei sein will, wo ich es sonst nur passiv bin.» Anders hält es Yvette Estermann: Sie wird in der Tracht ins Bundeshaus ge- hen, die sie auch an Jodler- oder Schwingfesten trägt. «Ich finde das eine tolle Idee», sagt die Luzerner SVP-Na- tionalrätin: «Es ist der Ausdruck, dass man zu seinen Wurzeln und Traditionen steht.» Auf ihre fast 100-jährige Sonn- tagstracht aus dem Entlebuch, behutsam mit Wolle gestickt, ist Yvette Estermann besonders stolz. Am falschen Platz Kritischere Töne gibt es auf der andern Seite des Rats. Für die von unserer Zeitung angefragten linken Politiker ist die Tracht in der Session am falschen Platz. SP-Nationalrätin Prisca Birrer- Heimo findet die Tracht zwar eine schöne und festliche Kleidung für be- sondere Anlässe – würde sie jedoch nicht im politischen beziehungsweise beruf- lichen Alltag tragen. «Wir können unse- re Wertschätzung für Kulturgut besser zeigen, indem wir beispielsweise ent- sprechende Institutionen und Projekte unterstützen.» Mit einem Symbol nach aussen, wie es ein Tag der Trachten für sie darstellt, werde kaum etwas bewirkt. Ähnlich sieht das der Grüne Nationalrat Louis Schelbert. Mit Muotathaler Wur- zeln sei er Traditionen und Brauchtum verbunden. Das sei aber eine persön- liche Angelegenheit, keine politische. RAHEL SCHNÜRIGER [email protected] «Volkskultur verbindet»: die beiden Nationalräte Yvette Estermann und Albert Vitali an der Sure in Oberkirch. Bild Pius Amrein Garage als Zimmer – Zuger macht Kasse CHAM Für 850 Franken im Monat vegetiert ein Sozialhilfebezüger in einer rudimentär umgebauten Garage. Für den Vermieter ein gutes Geschäft, denn er selber hat den Raum für nur 80 Franken gemietet. THOMAS HEER [email protected] Es sind noch keine drei Wochen ver- gangen, seit sich ein Westschweizer Architekt im «Blick» folgendermassen zitieren liess: «Ich würde jederzeit wie- der ins Gefängnis gehen.» Der 73-Jäh- rige schwärmte vom guten Essen, dem ungestörten Arbeiten in seiner Einzel- zelle und der wunderbaren Aussicht auf die Jurahänge. «Ich habe mich richtig wohl gefühlt», brachte der fünffache Familienvater seine Knasterfahrung auf den Punkt. Ein solcher Satz kommt dem Sozial- hilfeempfänger Richard H.* nicht über die Lippen. H., der sich selber Ritchie nennt, ist zwar auf dem Papier ein freier Mann, ein Gefangener jedoch seiner prekären Lebensumstände. Dies führte dazu, dass der 50-Jährige heute in einer rund 20 Quadratmeter grossen, leicht umgebauten Garage lebt. Darin findet sich weder ein WC noch eine Dusche. Die rudimentären sanitären Anlagen teilt sich Ritchie mit anderen Personen in einer Nachbarliegenschaft. In Ritchies Behausung findet sich auch kein Fens- ter, das sich öffnen lässt. Und während der kalten Jahreszeit ist das Heizen ein Problem. Ritchie klagt: «Manchmal habe ich keine zehn Grad im Raum.» Die Wohnsituation des Randständigen lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: menschenunwürdig. Übertragen auf die Landwirtschaft hiesse das: Würde ein Bauer sein Vieh unter derart prekären Verhältnissen unterbringen, bekäme er rasch Besuch vom Kantonstierarzt. Wie kann es passieren, dass eine Person im finanziell gut aufgestellten Kanton Zug, in der Ortschaft Cham, die Ende 2011 im schweizweit durchgeführ- ten Gemeinde-Rating der Zeitung «Welt- woche» den ersten Platz belegte, in solch miserablen und menschenunwürdigen Verhältnissen leben muss? Entlassen, Wohnung gekündigt In seinem erfolgreichen Leben arbei- tete der gebürtige Deutsche als Finanz- dienstleister. Entsprechend hoch war sein Salär, angenehm sein Lebensstil. Dann kam das Jahr 2004. Aufgrund von Restrukturierungsmassnahmen kams zur Entlassung. Auch zur Scheidung. Schliesslich musste er seine gediegene Dreieinhalbzimmerwohnung räumen. Die Suche nach einer günstigen Bleibe begann. Einmal fand er ein bezahlbares Domizil, wo er sich wohl fühlte. Aber schon bald meldeten die Vermieter Eigenbedarf an. Ritchie musste gehen. Da er nichts Neues fand, brachte ihn die Gemeinde in einer Wohnung unter, die er mit drei anderen Sozialhilfeemp- fängern teilte. Aber an diesem Ort wur- de Ritchie nicht glücklich. Denn unter den Bewohnern fand sich auch ein Alkoholiker. Dieser verwandelte sich nachts mitunter zum lauten und pol- ternden Wüterich. Der Schlaf wurde zum gelebten Albtraum. Angesichts der schwierigen Situation zog es Ritchie vor, ins eingangs beschriebene Domizil zu zügeln. Dort im Zentrum von Cham wohnt er nun bereits zum zweiten Mal. Pikant: Bei seinem ersten Aufenthalt in diesem Loch bezahlte er, respektive das Sozialamt, nicht die aktuellen 850, son- dern sogar 1100 Franken. Wer sich auf die Suche macht nach jener Person, die für diese schäbige Behausung 850 Franken einstreicht, kommt erstmals mit dem Miteigentümer der Liegenschaft in Kontakt. Dieser Ge- schäftsmann aus Hünenberg weiss nichts von den Umständen in seiner Immobilie und verweist an die Verwal- tung, ein Treuhandunternehmen in Rot- kreuz. Die Sachbearbeiterin gibt folgen- de Auskunft: Von einem Bewohner namens Ritchie wisse sie nichts. Aber sicher könne der Besitzer der Nachbar- liegenschaft weiterhelfen. Denn dieser habe einen Teil des Hauses gemietet, nämlich drei Garagenboxen. Fühlt sich vernachlässigt Dieser Nachbar, ein ehemaliger Spit- zensportler, kennt Ritchie denn auch und findet an der Wohnsituation nichts Anstössiges. «Ich zwinge ihn ja nicht, dort zu leben, er kann jederzeit aus- ziehen», hält er fest. Würde Ritchie zügeln, so sagt er weiter, könne er dort auch zwei Betten reinstellen und Asy- lanten eine Unterkunft bieten. Ob das so einfach ginge und der Kanton dies zuliesse, ist allerdings fraglich. Und wie viel muss Ritchies Vermieter der Rot- kreuzer Treuhandfirma, respektive der Besitzerfamilie, monatlich für die Gara- genboxen überweisen? Der Angespro- chene nennt einen Preis von 80 Franken je Einheit. Man rechne! In der Gemeinde Cham wird Ritchie von omas Bonati, dem Leiter des Sozialdienstes, betreut. Ritchie fühlt sich jedoch von den Behörden vernachläs- sigt, und er erhält dabei Unterstützung aus dem Kanton Graubünden. Denn dort wohnt sein ehemaliger Vermieter. Jener Vermieter, der Ritchie während der Anfangsphase des sozialen Abstiegs aus Goodwill noch in der repräsentati- ven Wohnung bleiben liess. Der Bünd- ner sagt: «Die Gemeinde hat diesen Mann nicht richtig betreut.» Bonati, der die Dienststelle seit Juni 2012 leitet, entgegnet: «Das kann er gar nicht be- urteilen.» Für Bonati ist die Situation von Ritchie unbefriedigend, und er unterstützt den 50-Jährigen, bald etwas Anständiges zu finden. Und nun kommt der zweite Punkt. Neben Ritchies unglücklichem Lebensverlauf spielt der Zuger Woh- nungsmarkt in dieser Geschichte eine zentrale Rolle. Bereits im Januar sagte nämlich Heinz Sennrich, Steinhauser Gemeinderat und Vorsteher Soziales und Gesundheit, gegenüber unserer Zeitung: «Wir haben immer mehr Pro- bleme, günstigen Wohnraum in Stein- hausen zu finden.» Auf der Suche Was für Steinhausen gilt, trifft auch auf Cham zu. Für 1100 Franken – so viel bezahlt die Gemeinde exklusive Nebenkosten für einen Einpersonen- haushalt – ist es kein Leichtes, ein passendes Domizil zu finden. omas Bonati ortet aber noch eine weitere Knacknuss: «Neben der schwierigen Wohnungssituation hat die angespro- chene Person hohe Platzansprüche und zeigt wenig Flexibilität bei der Woh- nungssuche. Dies hat sich insbesonde- re gezeigt, als ihm der Sozialdienst Alter- nativen vermitteln wollte.» Gemäss Bonati wird der gesundheit- lich angeschlagene Ritchie früher oder später eine IV-Rente erhalten. Für Bo- nati ist daher klar: «Hier geht es nun darum, dass eine künftige Unterkunft langfristig durch die IV-Gelder sowie Ergänzungsleistungen finanzierbar ist.» * Name der Redaktion bekannt «Ich zwinge ihn ja nicht, dort zu leben, er kann jederzeit ausziehen.» DER VERMIETER

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Sonntag, 26. Mai 2013 / Nr. 21 Zentralschweiz am Sonntag 21

antoneK

Luzerner Politiker sorgen für Farbe im Bundeshaus Folklore Tag der Trachten: Am 23. September sollen die Parlamentarier in der Tracht im Bundeshaus erscheinen. Nicht alle sind davon begeistert.

Für den 23. September, den Montag der letzten Woche in der Herbstsession, hat sich die parlamentarische Gruppe Volkskultur und Volksmusik etwas ganz Besonderes ausgedacht: einen Tag der Trachten. An diesem Tag sollen die Bundesparlamentarier in der Tracht in die Session kommen, auf freiwilliger Basis natürlich. Die Initiative dafür kam unter anderem aus Luzern. «Volkskultur verbindet», sagt FDP-Nationalrat Albert Vitali, der auch Präsident der IG Volks-musik Schweiz ist. «Sie zeigt die Stärke, Vielfalt und den Zusammenhalt unseres Landes auf.»

Inklusive JuchzerIn der Interessengruppe unter Natio-

nalrat Max Binder hätten sie diskutiert, wieder etwas zu bewegen und das Parlament miteinzubeziehen. Gewisse Parlamentarier hätten bereits angekün-digt, eine Tracht zu organisieren. Am Abend des 23. September will Vitali dann sogar noch eins drauf setzen: Beim ge-mütlichen Zusammensein soll die Trachtenvereinigung Schweiz über die Bedeutung der Tracht sprechen, danach tritt Albert Vitali mit seinem Jodlerchör-li Heimelig aus Oberkirch auf und wird einen Juchzer von sich geben.

Das freut besonders den Luzerner CVP-Politiker und designierten Präsi-denten des Nationalrats, Ruedi Lusten-berger. «Die Renaissance von Schwin-gen, Jodeln und Trachten in den ver-gangenen Jahren hat gezeigt, dass das bei der Bevölkerung von innen kommt.» Selber wird er nicht in Tracht erschei-nen: «Ich habe keine Tracht, und extra eine aufzutreiben, wäre für mich nicht ehrlich – denn es würde den Anschein erwecken, dass ich irgendwo aktiv dabei sein will, wo ich es sonst nur passiv bin.»

Anders hält es Yvette Estermann: Sie wird in der Tracht ins Bundeshaus ge-hen, die sie auch an Jodler- oder Schwingfesten trägt. «Ich finde das eine tolle Idee», sagt die Luzerner SVP-Na-tionalrätin: «Es ist der Ausdruck, dass man zu seinen Wurzeln und Traditionen steht.» Auf ihre fast 100-jährige Sonn-tagstracht aus dem Entlebuch, behutsam

mit Wolle gestickt, ist Yvette Estermann besonders stolz.

Am falschen PlatzKritischere Töne gibt es auf der andern

Seite des Rats. Für die von unserer Zeitung angefragten linken Politiker ist die Tracht in der Session am falschen Platz. SP-Nationalrätin Prisca Birrer-

Heimo findet die Tracht zwar eine schöne und festliche Kleidung für be-sondere Anlässe – würde sie jedoch nicht im politischen beziehungsweise beruf-lichen Alltag tragen. «Wir können unse-re Wertschätzung für Kulturgut besser zeigen, indem wir beispielsweise ent-sprechende Institutionen und Projekte unterstützen.» Mit einem Symbol nach

aussen, wie es ein Tag der Trachten für sie darstellt, werde kaum etwas bewirkt. Ähnlich sieht das der Grüne Nationalrat Louis Schelbert. Mit Muotathaler Wur-zeln sei er Traditionen und Brauchtum verbunden. Das sei aber eine persön-liche Angelegenheit, keine politische.

RAhel SchNüRigeR [email protected]

«Volkskultur verbindet»: die beiden Nationalräte Yvette Estermann und Albert Vitali an der Sure in Oberkirch. Bild Pius Amrein

Garage als Zimmer – Zuger macht KasseChAm Für 850 Franken im Monat vegetiert ein Sozialhilfebezüger in einer rudimentär umgebauten garage. Für den Vermieter ein gutes geschäft, denn er selber hat den Raum für nur 80 Franken gemietet.

ThoMAS heeR [email protected]

Es sind noch keine drei Wochen ver-gangen, seit sich ein Westschweizer Architekt im «Blick» folgendermassen zitieren liess: «Ich würde jederzeit wie-der ins Gefängnis gehen.» Der 73-Jäh-rige schwärmte vom guten Essen, dem ungestörten Arbeiten in seiner Einzel-zelle und der wunderbaren Aussicht auf die Jurahänge. «Ich habe mich richtig wohl gefühlt», brachte der fünffache Familienvater seine Knasterfahrung auf den Punkt.

Ein solcher Satz kommt dem Sozial-hilfeempfänger Richard H.* nicht über die Lippen. H., der sich selber Ritchie nennt, ist zwar auf dem Papier ein freier Mann, ein Gefangener jedoch seiner prekären Lebensumstände. Dies führte dazu, dass der 50-Jährige heute in einer rund 20 Quadratmeter grossen, leicht umgebauten Garage lebt. Darin findet sich weder ein WC noch eine Dusche. Die rudimentären sanitären Anlagen teilt sich Ritchie mit anderen Personen in einer Nachbarliegenschaft. In Ritchies Behausung findet sich auch kein Fens-ter, das sich öffnen lässt. Und während der kalten Jahreszeit ist das Heizen ein Problem. Ritchie klagt: «Manchmal habe

ich keine zehn Grad im Raum.» Die Wohn situation des Randständigen lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: menschenunwürdig. Übertragen auf die Landwirtschaft hiesse das: Würde ein Bauer sein Vieh unter derart prekären Verhältnissen unterbringen, bekäme er rasch Besuch vom Kantonstierarzt.

Wie kann es passieren, dass eine Person im finanziell gut aufgestellten Kanton Zug, in der Ortschaft Cham, die Ende 2011 im schweizweit durchgeführ-ten Gemeinde-Rating der Zeitung «Welt-woche» den ersten Platz belegte, in solch miserablen und menschenunwürdigen Verhältnissen leben muss?

entlassen, Wohnung gekündigtIn seinem erfolgreichen Leben arbei-

tete der gebürtige Deutsche als Finanz-dienstleister. Entsprechend hoch war sein Salär, angenehm sein Lebensstil. Dann kam das Jahr 2004. Aufgrund von Restrukturierungsmassnahmen kams zur Entlassung. Auch zur Scheidung. Schliesslich musste er seine gediegene Dreieinhalbzimmerwohnung räumen. Die Suche nach einer günstigen Bleibe begann. Einmal fand er ein bezahlbares Domizil, wo er sich wohl fühlte. Aber schon bald meldeten die Vermieter Eigenbedarf an. Ritchie musste gehen.

Da er nichts Neues fand, brachte ihn die Gemeinde in einer Wohnung unter, die er mit drei anderen Sozialhilfeemp-fängern teilte. Aber an diesem Ort wur-de Ritchie nicht glücklich. Denn unter den Bewohnern fand sich auch ein Alkoholiker. Dieser verwandelte sich nachts mitunter zum lauten und pol-ternden Wüterich. Der Schlaf wurde zum gelebten Albtraum. Angesichts der schwierigen Situation zog es Ritchie vor, ins eingangs beschriebene Domizil zu zügeln. Dort im Zentrum von Cham wohnt er nun bereits zum zweiten Mal. Pikant: Bei seinem ersten Aufenthalt in diesem Loch bezahlte er, respektive das Sozialamt, nicht die aktuellen 850, son-dern sogar 1100 Franken.

Wer sich auf die Suche macht nach jener Person, die für diese schäbige Behausung 850 Franken einstreicht, kommt erstmals mit dem Miteigentümer der Liegenschaft in Kontakt. Dieser Ge-schäftsmann aus Hünenberg weiss nichts von den Umständen in seiner Immobilie und verweist an die Verwal-tung, ein Treuhandunternehmen in Rot-kreuz. Die Sachbearbeiterin gibt folgen-de Auskunft: Von einem Bewohner namens Ritchie wisse sie nichts. Aber sicher könne der Besitzer der Nachbar-liegenschaft weiterhelfen. Denn dieser habe einen Teil des Hauses gemietet, nämlich drei Garagenboxen.

Fühlt sich vernachlässigtDieser Nachbar, ein ehemaliger Spit-

zensportler, kennt Ritchie denn auch und findet an der Wohnsituation nichts Anstössiges. «Ich zwinge ihn ja nicht,

dort zu leben, er kann jederzeit aus-ziehen», hält er fest. Würde Ritchie zügeln, so sagt er weiter, könne er dort auch zwei Betten reinstellen und Asy-lanten eine Unterkunft bieten. Ob das so einfach ginge und der Kanton dies zuliesse, ist allerdings fraglich. Und wie viel muss Ritchies Vermieter der Rot-kreuzer Treuhandfirma, respektive der Besitzerfamilie, monatlich für die Gara-genboxen überweisen? Der Angespro-chene nennt einen Preis von 80 Franken je Einheit. Man rechne!

In der Gemeinde Cham wird Ritchie von Thomas Bonati, dem Leiter des

Sozialdienstes, betreut. Ritchie fühlt sich jedoch von den Behörden vernachläs-sigt, und er erhält dabei Unterstützung aus dem Kanton Graubünden. Denn dort wohnt sein ehemaliger Vermieter. Jener Vermieter, der Ritchie während der Anfangsphase des sozialen Abstiegs aus Goodwill noch in der repräsentati-ven Wohnung bleiben liess. Der Bünd-ner sagt: «Die Gemeinde hat diesen Mann nicht richtig betreut.» Bonati, der die Dienststelle seit Juni 2012 leitet, entgegnet: «Das kann er gar nicht be-urteilen.»

Für Bonati ist die Situation von Ritchie unbefriedigend, und er unterstützt den 50-Jährigen, bald etwas Anständiges zu finden. Und nun kommt der zweite Punkt. Neben Ritchies unglücklichem Lebensverlauf spielt der Zuger Woh-nungsmarkt in dieser Geschichte eine zentrale Rolle. Bereits im Januar sagte nämlich Heinz Sennrich, Steinhauser Gemeinderat und Vorsteher Soziales und Gesundheit, gegenüber unserer Zeitung: «Wir haben immer mehr Pro-bleme, günstigen Wohnraum in Stein-hausen zu finden.»

Auf der SucheWas für Steinhausen gilt, trifft auch

auf Cham zu. Für 1100 Franken – so viel bezahlt die Gemeinde exklusive Nebenkosten für einen Einpersonen-haushalt – ist es kein Leichtes, ein passendes Domizil zu finden. Thomas Bonati ortet aber noch eine weitere Knacknuss: «Neben der schwierigen Wohnungssituation hat die angespro-chene Person hohe Platzansprüche und zeigt wenig Flexibilität bei der Woh-nungssuche. Dies hat sich insbesonde-re gezeigt, als ihm der Sozialdienst Alter-nativen vermitteln wollte.»

Gemäss Bonati wird der gesundheit-lich angeschlagene Ritchie früher oder später eine IV-Rente erhalten. Für Bo-nati ist daher klar: «Hier geht es nun darum, dass eine künftige Unterkunft langfristig durch die IV-Gelder sowie Ergänzungsleistungen finanzierbar ist.»

* Name der Redaktion bekannt

«Ich zwinge ihn ja nicht, dort zu leben,

er kann jederzeit ausziehen.»DeR VeRMieTeR