GeschichtederoperativenChirurgie...V Geleitwort Der vierte Band der „Geschichte der operativen...

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Michael Sachs Geschichte der operativen Chirurgie Band 4

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  • Michael Sachs

    Geschichte der operativen Chirurgie

    Band 4

  • Band 1Historische Entwicklung chirurgischer Operationen

    Band 2Historische Entwicklung des chirurgischen Instrumentariums

    Band 3Historisches Chirurgenlexikon

    Ein biographisch-bibliographisches Handbuch bedeutender Chirurgen und Wundärzte

    Band 4Vom Handwerk zur Wissenschaft

    Die Entwicklung der Chirurgie im deutschen Sprachraum vom 16. bis zum 20. Jahrhundert

    Band 5Ergänzungs- und Registerband

    Geschichteder

    operativen Chirurgie

    von Michael Sachs

  • Band 4

    Vom Handwerk zur WissenschaftDie Entwicklung der Chirurgie im deutschen Sprachraum

    vom 16. bis zum 20. Jahrhundert

    von Michael Sachsmit einem Geleitwort von Dr. med. Jörg Bojunga

    Kaden VerlagHeidelberg

  • © 2003 Kaden Verlag, HeidelbergAlle Rechte vorbehaltenPrinted in Germany

    Satz & Reproduktion: Ch. Molter, Kaden Verlag, 69115 HeidelbergDruck: Strauss Offsetdruck GmbH, 69509 MörlenbachBinden: Buchbinderei Schaumann, 64293 Darmstadt

    ISBN 3-922777-28-7

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    Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliographie;detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://www.dnb.ddb.de abrufbar.

    Prof. Dr. med. Michael SachsOberarzt der Klinik für Allgemein- und Gefäßchirurgieund Lehrbeauftragter des Senckenbergischen Institutsfür Geschichte der MedizinKlinikum der Johann Wolfgang Goethe-UniversitätTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am Main

    Gefördert von der Wolfgang Müller-Osten Stiftung

  • V

    Geleitwort

    Der vierte Band der „Geschichte der operativenChirurgie“ befaßt sich mit der historischen Ent-wicklung, die die Chirurgie weg vomHandwerk hinzum akademischen Beruf vom 16. bis zum 20.Jahrhundert genommen hat.Die Betrachtung und Aufarbeitung der historischenEntwicklung der Chirurgie ist zugleich auch eineAuseinandersetzung mit der allgemeinen Kultur-und Sozialgeschichte unserer Zivilisation. Im vor-naturwissenschaftlichen Zeitalter der Humoral-pathologie wurde die praktische Medizin durch dieNotwendigkeit der unmittelbaren Versorgung vonWunden und Verletzungen begründet. Chirur-gische Eingriffe außerhalb des Gebietes dieser sog.„Wundarznei“ – beispielsweise Tumoroperationen– erschienen im Konzept der Humoralpathologiesinnwidrig.Erst mit der beginnenden naturwissenschaftlichenMedizin seit der Aufklärung fand eine Änderungvon Krankheitskonzepten statt, die den Horizontder Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkei-ten in der Chirurgie erweiterte, neue Anforderun-gen entstanden, die erst durch neue wissenschaftli-che Erkenntnisse und daraus abgeleitete Krank-heitskonzepte (lokalistische pathologische Anato-mie), anatomische Kenntnisse mit mechanistischzentriertem Menschenbild sowie technischer Inno-vationen (Anti- und Asepsis, Anästhesie) auchpraktisch möglich wurden. Dies eröffnete der Chir-urgie den Weg weg von reaktivem hin zu aktivemHandeln.Die wissenschaftliche Chirurgie hat damit unver-gleichliche Erfolge erzielt. Dennoch ist in der west-lichen Zivilisation die zunehmend Skepsis undKritik der wissenschaftlichen Medizin gegenübernicht zu überhören. Dies soll Anlaß sein zu Re-flexionen über das Selbstverständnis der Medizin

    und des Arztes in einem überwiegend – im SinneDescartes – dualistisch angelegten Grundkonzept.Darüber dürfen die unbestreitbaren Erfolge undFortschritte der modernen Heilkunde jedoch nichtvergessen werden. Kaum eine andere Heilkunde imweiteren Sinne hat sich immer wieder derart kritischüberprüft und Raum für zukünftige Verbesserungenin allen Bereichen gelassen, die ärztliches Handelnumfassen. Die moderne Chirurgie ist Teil desFundamentes geworden, das die heutigen gesell-schaftlichen wie individuellen Lebensbedingungenermöglicht.Die Entstehung der fünfbändigen „Geschichte deroperativen Chirurgie“ ist den profunden Kennt-nissen, dem vorbildhaftem Engagement sowie dembeispiellosen Enthusiasmus des Verfassers MichaelSachs zu verdanken. Der vorliegende Band gibtdetailliert Einblicke in die Entwicklung, die dasFach Chirurgie in den letzten Jahrhunderten ge-nommen hat und trägt nicht zuletzt seinerQuellennähe wegen zum tieferen Verständnis derMedizin, wie wir sie heute betreiben, bei. Dabeiwird nicht nur der historische Weg der Chirurgieauf allgemeiner Ebene nachgezeichnet, sondernauch auf einzigartige Weise die Entwicklung derwissenschaftlichen Chirurgie als akademischesUnterrichtsfach mit Einzeldarstellung der jeweili-gen Universitäten des deutschen Sprachraumes vonden Anfängen bis 1945 dargestellt. Das vorliegendeWerk wird den historisch wie medizinisch interes-sierten Leser bereichern und erfreuen.

    Frankfurt am Main, im April 2003

    Dr. med. Jörg Bojunga

  • VII

    Während in den den ersten drei Bänden die Ent-wicklung der Operationstechniken bzw. einzelnerOperationsverfahren (Band 1) und des dazu benö-tigten Instrumentariums (Band 2) dargestellt wor-den sind und im dritten Band die bedeutendstenChirurgen vorgestellt wurden, soll im vorliegendenvierten Band die Entwicklung untersucht werden,die den Chirurgen vom innungspflichtigen Hand-werker zu einem akademisch ausgebildeten Arztwerden ließ. Gleichzeitig soll die Entwicklung desUniversitätsfaches „Chirurgie“ von einem Neben-fach der Anatomie zu einem selbständigen undgleichberechtigten Lehrstuhl (Ordinariat) aufge-zeigt werden. Im Gegensatz zu den ersten dreiBänden der „Geschichte der operativen Chirurgie“, indenen die Beiträge von Chirurgen aller Länder zuEntwicklung der operativen Chirurgie berücksich-tigt wurden, mußte sich in Band 4 zunächst auf dendeutschen Sprachraum beschränkt werden.

    Ziel dieses Bandes war es unter anderem, sämtlicheOrdinarien für Chirurgie an den Universitäten desdeutschen Sprachraumes bis zum Ende des II.Welt-krieges zu erfassen. Zusätzlich sollten auch – mög-

    lichst vollständig – die Ordinarien für Anatomieoder Medizin seit dem 16. Jahrhundert aufgeführtwerden, die Publikationen über Chirurgie geschrie-ben haben. Damit ist gleichzeitig ein lexikalischesNachschlagewerk der Universitätschirurgen ent-standen, das durch das in Band 5 erscheinende aus-führliche Sach- und Personenregister vollständigerschlossen werden wird.

    Gerade dieser Band ist unter schwierigen äußerenUmständen entstanden und deshalb ist es mir einBedürfnis neben meiner Familie auch meinenFreunden für deren Unterstützung zu danken (inalphabetischer Reihenfolge): Frau Dr. med. MariaBecker, Konrad Bochennek, Dr. med. Jörg Bojunga,Familie Prof. Dr. med. Harald Förster, Familie Dr.med. Winfried Gundelsheimer, Prof. Dr. med.Volkmar Jacobi, Frau Gabriele Rudolph, FrauRoswitha Zeller und Familie Ulli und Tine Vogel.

    Bali (Indonesien), im Dezember 2002

    Michael Sachs

    Vorwort

  • Inhalt

    Geleitwort von J. Bojunga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Grundzüge der historischen Entwicklung der Chirurgievom Handwerk zur Wissenschaft vom 16. bis zum 20. Jahrhundertim deutschen Sprachraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

    Entwicklung des Unterrichtsfaches „Chirurgie“ und die Ordinarien für Chirurgiean den Universitäten des deutschen Sprachraumes von den Anfängen bis 1945

    Grundzüge der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    Die Entwicklung an den einzelnen UniversitätenAltdorf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Basel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Bern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Breslau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Dillingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Dorpat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Erfurt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Erlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Frankfurt am Main . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

  • X

    Frankfurt/Oder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Freiburg im Breisgau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71Gießen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Graz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90Greifswald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Halle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100Heidelberg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107Helmstedt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Herborn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117Innsbruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127Köln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130Königsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135Mainz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144Marburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147[Ingolstadt-Landshut-] München. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152Münster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158Olmütz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164Rinteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170Rostock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172Salzburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180Straßburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188Tübingen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199Würzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

    Anhang: Universität Padua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

  • XI

    Entwicklung des Chirurgen vom zunftpflichtigen Handwerkerzum akademisch ausgebildeten Arzt

    Grundzüge der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

    Der Wundarzt (Chirurg) alsinnungspflichtiger Handwerker [16. Jhdt.] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

    Beginnende staatliche Einflußnahme auf die Ausbildungder Chirurgen; Prüfung vor den Innungsmeistern („Oberältesten“)und vor amtlich bestellten Ärzten („Physici“) [17./18. Jhdt.]. . . . . . . . . . . . 247

    Der Wundarzt (Chirurg) erhält eine staatlich organisierte undkontrollierte Ausbildung an einem „Theatrum anatomicum“,später an einer „medizinisch-chirurgischen Lehranstalt“ [18. Jhdt.] . . . . . . . 263Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268Breslau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283Dresden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291Frankfurt am Main. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

    Das gehobene Sozialprestige der Chirurgen um 1800,dargestellt am Beispiel des Wundarztes in Goethes„Wilhelm Meisters Wanderjahre“ (1821) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

    Die Ausbildung zum Chirurgen kann nur noch nach einemMedizinstudium an einer Universität begonnen werden [19. Jhdt.]. . . . . . 303

  • ie Entwicklung der Chirurgie vom Hand-werk zur Wissenschaft (bzw. die Entwick-

    lung des Chirurgen vom innungspflichtigen Barbierzum akademisch ausgebildeten Arzt) vollzog sichim deutschen Sprachraum in mehreren Entwick-lungslinien gleichzeitig auf drei unterschiedlichenEbenen:

    � auf wissenschaftlicher Ebene durch zunehmende,empirisch gewonnene wissenschaftliche Erkennt-nisse (16.–19. Jhdt.);

    � auf staatlicher Ebene durch eine verbesserte Me-dizinalgesetzgebung (16.–18. Jhdt.). Der erste Schrittdieser staatlichen Einflußnahme war zunächst dieReglementierung der bis zum 16. Jhdt. ausschließ-lich von den Zünften geleisteten Ausbildung derChirurgie-Lehrlinge (z.B. durch Einrichtung vonAnatomiekursen und Prüfungsüberwachung durchstaatlich angestellte Ärzte), über die Errichtung vonChirurgenschulen (18./19. Jhdt.) und zuletzt dieSchließung dieser Chirurgenschulen und die Ab-schaffung des Standes der Barbierchirurgen in derMitte des 19. Jhdts.;

    � auf universitärer Ebene durch verbesserte Ausbil-dung von Medizinstudenten im Fach Chirurgie u. a.durch Schaffung von selbständigen, d.h. vom FachAnatomie unabhängigen Ordinariaten für Chirur-gie an den Universitäten (18.–19. Jhdt.).

    Früher hat man diese Entwicklung als „Kampf“ umdie Gleichberechtigung der Fachgebiete Chirurgieund (innerer) Medizin (und damit vom Barbier-chirurgen zum akademisch ausgebildeten Arzt) be-zeichnet. Wie besonders H-H E ¹²gezeigt hat, war dieser Vorgang weniger ein revolu-tionärer Kampf, als eine evolutionäre Entwicklung.Die Wichtigkeit einer chirurgischen Behandlungvon Patienten war dabei wissenschaftlich nie bestrit-ten, sondern die Probleme ergaben aus der berufli-chen Konkurrenz zweier unterschiedlich ausgebil-deter Personengruppen des Medizinalwesens. Der„Kampf“ zwischen Chirurgen und Medizinern hattekeine wissenschaftlichen, sondern eher soziologi-sche oder ökonomische Gründe und wurde mehrauf persönlicher Ebene ausgetragen. Der HallenserUniversitätsprofessor Johannes Juncker (1679–1759)bezeichnete dies 1722 zutreffender als „Zwietracht“(siehe Seite 102). Ein Beispiel hierfür ist die polemi-sche Antrittsvorlesung, die der Chirurg MatthäusMederer 1773 anläßlich seiner Ernennung zum Pro-fessor für Chirurgie und Geburtshilfe an der Uni-versität Freiburg/Br. hielt (siehe Seite 74–76; vgl.Eulner 1970, 301–303). Nicht die Chirurgie als

    Grundzüge der historischen Entwicklung der ChirurgievomHandwerk zurWissenschaft vom16. bis zum 20. Jahrhundert im deutschen Sprachraum

    D

    ¹ Eulner, Hans-Heinz (1965): Zum „Kampf“ um die Gleich-berechtigung von Chirurgie und Medizin. Berliner Medizin 16:504–507.

    ² Eulner, Hans-Heinz (1970): Die Entwicklung der medizini-schen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprach-gebietes. Stuttgart: F. Enke (Studien zur Medizingeschichte desneunzehnten Jahrhunderts, Bd. 4).

  • Wissenschaft stand zur Diskussion, sondern dasunterschiedliche Bildungsniveau, das soziale An-sehen und die berufliche Kompetenz von studiertenMedizinern und Handwerkschirurgen. Auch wardie Trennung zwischen ärztlicher und chirurgischerTätigkeit nicht so streng, wie oft vermutet wird;übrigens verdanken Kosmas und Damian, die heili-gen Schutzpatrone der Ärzte, ihre Autorität einerchirurgischen Handlung. Es hat deshalb auch im16.–18. Jhdt. immer wieder akademisch ausgebildeteÄrzte gegeben, die auch praktisch-chirurgisch tätigwaren (zum Ärgernis der Barbierchirurgen). In eini-gen Staaten (z.B. Preußen) waren die Wundversor-gung und die Durchführung von chirurgischenOperationen den studierten Ärzten ausdrücklichverboten; umgekehrt durften die Chirurgen keine„inneren Kuren“ durchführen (siehe Königl. Preus-sische Medizinalordnung von 1725; siehe Seite 253–257). Einige Beispiele von praktisch-chirurgisch täti-gen, akademisch ausgebildeten Ärzten des 17. und18. Jhdts. mögen dies belegen:

    � der in Padua promovierte Arzt Matthias LudwigGlandorp (1595-1640) in Bremen, „qui ad Italorum,quos audiverat, exemplum etiam manu medebatur “[H 1 (1774), 304] ³ . Haller bezeichnet diesechirurgisch tätigen „Medici“, als solche, „die mit derHand heilen“.

    � der Stadtarzt in Frankfurt am Main JohannHelfrich Jüngken (1648–1726) verteidigte sich 1696gegen Vorwürfe seiner Kollegen, „weilen ich michauch der Chirurgie, als einer zur Medicin gehörigenTheil zu tractiren/keine Schande zu sein erachte “[J 1696] ⁴.

    Die erste Entwicklung, die zu diesem fundamenta-len Wandel vom Handwerk zur Wissenschaft führ-te, war die Zunahme des Wissens auf allen Gebietder Chirurgie durch empirisch gewonnenen Er-kenntnisse über die Behandlung chirurgischer Er-krankungen (Wunden, Frakturen, Leisten‘brüche’).Gleichzeitig wurde das chirurgische Instrumenta-rium stetig fortentwickelt. Diese Entwicklungwurde in den beiden ersten Bänden ausführlich dar-gestellt. Die Durchsetzung eines lokalistischen,organbezogenen Denkens in der Medizin (Giovanni

    Battitia Morgagni [1682–1771] und Rudolf Virchow[1821–1902]) war eine der entscheidenden Voraus-setzungen für den Aufstieg der Chirurgie vomHandwerk zur Wissenschaft. Denn im Zeitalter derHumoralpathologie hatte eine chirurgische Entfer-nung von inneren Organen auch noch keine theore-tische Begründung. Entscheidend für die Entwick-lung der modernen Chirurgie waren ferner die Ein-führung der Inhalationsnarkose (seit 1846) und derAntisepsis (L 1867, siehe Bd. 3, S. 253–260).

    Der zweite Entwicklungsschub kam von Seitender Landesfürsten in ihrem Bestreben, die medizi-nische Versorgung ihrer Untertanen zu verbessernund insbesondere die wundärztliche Versorgungihrer Soldaten zu optimieren. In den zahlreichenKriegen des 16. und 17. Jahrhunderts hatte sich diewundärztliche Versorgung der Verletzten als völligunzureichend erwiesen. Deshalb wurde schon im 17.Jahrhundert begonnen, die ursprünglich den Zünf-ten überlassene Ausbildung der Barbierchirurgenunter staatliche Kontrolle zu bringen. Daraufhinwurde im 17. Jahrhundert in zahlreichen deutschenStädten, Fürstentümern und Königreichen begon-nen, die Abschlußprüfung der Wundärzte vor denInnungsmeistern („Oberältesten“) in Gegenwart stu-dierter und amtlich bestallter Ärzte („Physici“) abzu-legen. Mit diesen Maßnahmen hofften die Landes-herren, das Niveau der Chirurgenausbildung zuheben (z.B. Kurbrandenburgisches Medizinalediktvon 1685). Der zunehmende Bedarf von gut ausge-bildeten Feldschern (Militärchirurgen) im 18. Jhdt.führte dann zu einer staatlich organisierten undbeaufsichtigten Ausbildung der Wundärzte in neu-gegründeten Ausbildungsstätten, die unabhängigvon den jeweiligen Universitäten (sofern bereits vor-handen) waren:� 1713 Berlin (Königreich Preußen): „Theatrumanatomicum“ und 1724 „Collegium medico-chirurgi-cum“ (siehe Seite 268–271);

    2 Historische Entwicklung

    ³ Haller, Albertus von (1774/75): Bibliotheca chirurgica. Quascripta ad artem chirurgicam facientia a rerum initiis recens-entur. Tomus I.–II. Berna & Basilea: J. Schweighauser.

    ⁴ Jüngken, Johann Helfrich (1696): Antwort/ Auff das Herrn D.Christian Frantz Paulini, An Ihn abgegangene Schreiben […]betreffend […]. Frankfurt am Main 1696, Bl. 1.

  • � 1716 Hannover (Kurfürstentum Hannover):„Collegium medico-chirurgicum“;� 1748–1813 Dresden (Kurfürstentum Sachsen):„Collegium medico-chirurgicum“; später „medicinisch-chirurgische Akademie und der mit ihr vereinigtenThierarzneischule“ (siehe auch Burkhard WilhelmSeiler, Seite 203, 291).� 1750–1869 Braunschweig (Herzogtum Braun-schweig): „Collegium anatomico-chirurgicum “. Ge-gründet durch Herzog Carl I. (1713–1780): Profes-soren für Chirurgie waren hier u.a. 1794–1805Christian Rudolph Wilhelm Wiedemann (sieheSeite 129), Karl Himly (siehe Seite 87), GeorgAugust Spangenberg (1779–1837), Victor Bruns(siehe Bd. 3, S. 66) und Carl Wilhelm FerdinandUhde (1813–1885).� 1754 Gotha (Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha): „Theatrum anatomicum“ 1773-1859 „anato-misch-chirurgisches Lehrsinstitut“� 1754–1799 Mannheim (Kurfürstentum Pfalz):„Collegium anatomico-chirurgicum electorale palati-num militare “; gegründet durch Kurfürst KarlTheodor von der Pfalz (1724–1799) auf Vorschlagseines Leibchirurgen Raymond de Vermale.� 1755 Erfurt (Kurfürstentum Mainz): „Theatrumanatomicum“ (siehe Seite 58–59);� 1765–1813 Düsseldorf (Herzogtum Jülich-Berg/Kurfürstentum Pfalz): „Chirurgial-Akademie“ (sieheSeite 56);� 1773 Breslau (Herzogtum Schlesien; KönigreichPreußen): „anatomische Anstalt mit Hebammen-Schule“ (siehe Seite 285–287);� 1775 Fulda (Hochstift/Bistum Fulda): „Schule fürChirurgie und Hebammenkunst“;� 1771–1794 Stuttgart (Herzogtum Württemberg):„Hohe Karlsschule“ (1771 Gymnasium, 1775 Akade-mie, 1782 Universität mit Promotionsrecht) (sieheSeite 188–189);� 1777 Magdeburg (Königreich Preußen): „medizi-nisch-chirurgische Lehranstalt“;� 1782–1833 Zürich (Schweiz): „medizinisch-chirur-gisches Institut“ (siehe Seite 213);� 1782–1826 München (Kurfürstentum/KönigreichBayern): „theoretisch-praktische Schule für Chirurgie“(siehe auch Philipp Wilhelm, Seite 154);

    � 1784 Dillingen (Hochstift Augsburg): „medizi-nisch-chirurgisches Institut“ (siehe Seite 49);� 1784–1825 Celle (Fürstentum Lüneburg): „Chirur-gische Lehranstalt“;� 1785–1848 und 1854–1874 Wien (k.k. Österreich-Ungarn): „medizinisch-chirurgische Josephs-Akade-mie“ (siehe Seite 193–197);� 1788–1863 Graz (Innerösterreich/Steiermark):„medizinisch-chirurgische Lehranstalt “ (siehe Seite90–92);� um 1790-1855 Olmütz (k.k. Kronland Mähren):„medizinisch-chirurgische Studienanstalt“ (siehe Seite161–163);� 1791 (Groß-)Glogau (preuß. Provinz Schlesien):„Königl. Lehranstalt für Hebammen, Geburtshelfer undWundärzte“ (Leiter: Dr. med. Immanuel GottlobGerdessen [1754–1821], „Prof. der Geburtshülfe, Stadt-physikus von Glogau und Assessor des Collegium medi-cum et sanitatis“);� 1797–1805 Bern (Schweiz): privates „MedizinischesInstitut “ zur Ausbildung von Wundärzten; 1805–1834 in eine „Akademie“ (mit medizinischer Fakul-tät) umgewandelt (siehe Seite 33–34);� um 1828 gab es auch in Landshut eine „Chirur-genschule“ (siehe Seite 152–153);� 1806–1875 Salzburg (k.k. Österreich): „medizi-nisch-chirurgische Lehranstalt“ (siehe Seite 181).

    In einigen Universitäten (z.B. in Erlangen; Freiburgi. Br.) wurde die Ausbildung der Wundärzte aus-drücklich der Universität übertragen (siehe Seite 62,74). Der Unterricht der Wundärzte wurde dabei seitdem 18. Jhdt. meist von den Prosektoren derOrdinarien für Anatomie übernommen (z.B. inFreiburg seit 1755).

    Der Besuch von anatomischen Demonstrationenwurde in Preußen (nach 1685 bzw. 1724) und ande-ren deutschen Staaten Voraussetzung für dieApprobation als Chirurg. Auch Operationskurse ander Leiche sind an den Universitäten urkundlich im18. Jhdt. belegt: z.B. 1726 in Würzburg, 1741 inErfurt, 1764 in Tübingen, 1775 in Gießen (siehe Seite60, 81, 191 und 205). Erst 1811 waren die Zünfte inPreußen abgeschafft worden, damit war auch derZunftzwang der Chirurgen zur Zunft der Barbiereaufgehoben; in Sachsen war dies bereits 1802

    Historische Entwicklung 3

  • geschehen. Dafür wurden in Preußen und anderendeutschen Staaten mehrere Chirurgenschulen(„medizinisch-chirurgische Lehranstalten“) gegründet:

    � Münster (Kgr. Preußen) 1821–1849 (siehe Seite158–159);� Breslau (Kgr. Preußen) 1823–1849 (siehe Seite 287);� Magdeburg (Kgr. Preußen) 1827–1849;� Greifswald (Kgr. Preußen) 1831–1848);� Frankfurt am Main (vorübergehend Groß-herzogtum Frankfurt) 1812–1813 („medizinisch-chir-urgische Spezialschule“; siehe Seite 298).� Hamburg (Freie Hansestadt). 1833 publizierte derHamburger dirigierende Wundarzt am Allgemei-nen Krankenhaus Dr. med. Johann Carl GeorgFricke (1790–1841) eine Schrift: „Ueber die Errichtungeiner anatomisch-chirurgischen Lehranstalt in Ham-burg“ [Hamburg: Langhoff, 8°, 8 S.].

    Erst in der Mitte des 19. Jhdts. (in Preußen 1847/50)wurden diese Chirurgenschulen geschlossen und einärztlicher Einheitsstand geschaffen, d.h. jederapprobierte Arzt war nach seinem Universitäts-studium „Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer “. DieAusbildung zum Chirurgen konnte nach 1850 inPreußen nur während eines Medizinstudiums aneiner Universität (Promotion zum „Dr. med. etchir.“) bzw. nach dessen Abschluß (als Assistent aneiner chirurgischen Klinik) erlangt werden. Mit derEinführung des „Doktorates der gesamten Heilkunde“in Österreich im Jahre 1872 wurde auch in den k.k.Staaten die geteilte Ausbildung zum Chirurgenbzw. Mediziner aufgehoben. Das Josephinum inWien wurde deshalb 1874 als militärärztliche Bil-dungsanstalt geschlossen. 1875 wurde dann auch die„medizinisch-chirurgische Lehranstalt“ in Salzburg alsletzte Anstalt dieser Art geschlossen.

    Unterstützt wurde diese Entwicklung auf einerdritten Ebene von Seiten der Universitäten. Vor-lesungen über chirurgische Erkrankungen undderen Behandlung wurden zwar als selbstverständli-cher Teil der medizinischen Ausbildung an allenUniversitäten angeboten und sind seit dem 16. Jhdt.urkundlich nachgewiesen (siehe unten: Univer-sitäten Leipzig, Wien und Würzburg [S. 135, 193,203]). Diese chirurgischen Vorlesungen wurden

    aber bis in das 18. Jahrhundert hinein vorwiegendvon den Professoren der Anatomie oder der „theo-retischen Medizin“ gelesen, die aber keine eigenenpraktisch-chirurgischen Erfahrungen aufwiesen.Selbst das Fach Anatomie wurde vorwiegend durchVorlesungen aus Lehrbüchern den Studenten prä-sentiert, erst später wurden Sektionen und anatomi-sche Demonstrationen (im 15.–17. Jhdt. zunächst nurvereinzelt, seit dem 18. Jhdt. dann regelmäßig)durchgeführt (siehe Tabelle 1). Ein Beispiel für die-sen Typus eines „theoretischenUniversitätschirurgen“ war Albrecht von Haller(1708–1777), Professor für Anatomie und Chirurgiean der Universität Göttingen, der zwar ein hervor-ragender Universalgelehrter und Anatom war, aberniemals eine chirurgische Behandlung auch nureines einzigen Patienten durchgeführt hat. Hallerschrieb über sich selbst: „etsi chirurgica cathedra perseptemdecim annos mihi concredita fuit, etsi etiam incadaveribus difficillimas adminstrationes chirurgicasfrequenter ostendi, non tamen unquam vivum homi-nem incidere sustinui, nimis, ne nocerem, veritus “[H 2 (1775), p. 171]. Erst im 16. Jhdt. waren aneinigen deutschen Universitäten nach italienischemVorbild (siehe Universität Padua, S. 216–218)Lehrstühle für „Anatomie und Chirurgie“ geschaf-fen worden: zuerst vorübergehend an denUniversitäten Wien (Franz Em[e]rich aus Troppau1536) und Leipzig (1542), Würzburg (1587) undHeidelberg (1614).

    Einige Hochschullehrer begannen aber schon im17. und 18. Jahrhundert neben einem Studium derMedizin an einer Universität auch noch wundärztli-che (chirurgische) Erfahrungen bei den in Zünftenorganisierten Handwerkschirurgen oder bei Feld-schern zu sammeln. Ein bekanntes Beispiel für die-sen fortschrittlichen Gelehrtentypus ist der Helm-stedter Professor für Anatomie und ChirurgieLorenz Heister (1683–1758; siehe Bd. 3, S. 162–169),der neben seiner akademischen Ausbildung aucheine wundärztliche Ausbildung bei Barbierchirur-gen absolviert hatte. Dabei war der Arzt und Chir-urg Lorenz Heister keine Einzelerscheinung, son-dern diese doppelte Ausbildung wurde von zahlrei-chen Hochschullehrern vor und nach ihm absol-viert, wie folgende Beispiele zeigen:

    4 Historische Entwicklung

  • � Simon Koch wurde 1614 auf die dritte Professurder Medizin an der Universität Heidelberg berufen,weil er „auch eine gute erfahrung […] in praxi chirur-gica, die Hand, wo vonnöten, selbsten anleget, indem ernicht allein Vulnera et Ulcera periculosa verbindet, son-dern auch in Luxationibus et fracturis ossium“;� der Professor für Anatomie, Chirurgie undBotanik Werner Rolfink (1599–1673) an der Univer-sität Jena wird von Haller als „vir laboriosus, ex scho-la Italica etiam chirurgiae amorem retulit, quam, &potissimum etiam obstetriciam, ipse exercuit […]Herniam incarceratam manu sua curavit“ [H 1(1774), 335]. Rolfink hat also auch Patienten mitinkarzerierten Leistenhernien operiert;� der Professor extraordinarius für Anatomie undChirurgie Heinrich Bass (1690–1754) an derUniversität Halle hatte ebenfalls praktisch-chirur-gische Erfahrungen, „qui etiam manu medicatus est“[H 2 (1775), 44];� von dem Professor für Anatomie und ChirurgieJohann. Zacharias Platner (1694–1747) an der Uni-versität Leipzig schreibt Haller „qui chirurgiam pecu-liariter coluit, & sua manu curavit“ [H 2 (1775),65];� auch der Medizinprofessor Karl FriedrichKaltschmied (1706–1769) an der Universität Jenaheilte mit deinen Händen („manu sua curabat “)[H 2 (1775), 184];� der Professor für Anatomie, Chirurgie und Bota-nik Hermann Friedrich Teichmeyer (1685–1744) inJena, welcher „chirurgiam docuit, & manu sua exer-cuit“ [H 1 (1774), 585],

    An den oberitalienischen Universitäten Padua undBologna hatte diese Entwicklung bereits im 13. und14. Jhdt. begonnen. Haller beschreibt dies in seiner„Bibiotheca chirurgica“ folgendermaßen; „In Italia,scientiarum matre, […] professores medici Academiae[…] manu curaverunt & consilio“ [H 1 (1774),p. 162]. Die dortigen Professoren behandelten „mitder Hand“, d.h. sie waren chirurgisch tätig. An eini-gen oberitalienischen Universitäten war im 16. und17. Jhdt. sogar eine Promotion zum „Dr. chir.“ mög-lich, einige deutsche Universitäten folgten in Ein-zelfällen: Basel 1594, Zürich 1672, Halle seit 1750.Der weit verbreitete Titel „Doctor utriusque Medici-

    nae“ bedeutete aber „Doctor medicinae theoreticae etpracticae“. Die Promotion zum Dr. (med. et) chir.war aber weniger eine Frage der Ausbildung, son-dern eine Frage des Preises (höhere Prüfungs-gebühren).

    Von diesen auch praktisch-chirurgisch tätigenUniversitätsprofessoren wurden die ersten wissen-schaftlichen Lehrbücher der Chirurgie in deutscherSprache verfaßt, die von den akademisch gebildetenHochschullehrern sprachlich korrekt und vorwie-gend aufgrund ihrer eigenen chirurgischer Erfah-rungen geschrieben wurden, aber auch unter Be-rücksichtigung der vorwiegend in lateinischerSprache verfaßten älteren Literatur. Ein Beispielhierfür ist das berühmte Chirurgie-Lehrbuch desLorenz Heister (1. Auflage 1719; Faksimile Ausgabe1990), von dem zahlreiche Auflagen und Überset-zungen in alle seinerzeitigen Weltsprachen erschie-nen (siehe Bd. 3, S. 170–171). Dieses Lehrbuch istqualitativ wesentlich besser als die bisherigen Lehr-bücher der theoretischen Chirurgen bzw. Anato-men ohne eigene praktische Erfahrung (wie z.B.von J. Agricola; siehe Bd. 3, S. 1–3) und auch besserals die Lehrbücher der Barbierchirurgen (wie z.B.M. G. Purmann; siehe Bd. 3, S. 319–326). DieseEntwicklung an den Universitäten führte dann imLaufe des des 18. Jahrhunderts zur Schaffung vonselbständigen, gleichberechtigten („ordentlichen “d.h. planmäßigen) Ordinariaten für das Fach Chir-urgie an fast allen Hochschulen, die jetzt unabhän-gig vom „Mutterfach“ Anatomie waren (sieheTabelle 1). C. J. M. Langenbeck (1776–1851; sieheBd. 3, S. 231–236) war 1848 der letzte Ordinarius fürAnatomie und Chirurgie in Deutschland.

    Erst seit dem Ende des 18. Jhdts. wurden zurAusbildung der Medizinstudenten und zur Kran-kenversorgung spezielle Universitätskliniken ge-gründet, die meist finanziell und personell unab-hängig von den jeweils am Ort befindlichen städti-schen Hospitälern waren, manchmal aber auchinnerhalb der städtischen Kliniken untergebrachtwurden: Freiburg i. Br. (1767; auf Anordnung vonKaiserin Maria Theresia), Würzburg (Carl CasparSiebold 1769/1791), Göttingen (August GottliebRichter 1781), Wien (Allgemeines Krankenhaus1784), Halle (Philipp Friedrich Theodor Meckel

    Historische Entwicklung 5

  • 1786). In einigen kleineren Universitätsstädtenwaren die medizinischen und chirurgischen Klini-ken machmal vereinigt unter einem Direktor (z.B.1826–1855 unter dem Internisten und Chirurgen KarlFriedrich Strempel [1800–1872] in Rostock) oderaber in einer Klinik (z. B. in Göttingen 1850–1889)untergebracht. Diese Universitätskliniken begannenmeist in Privathäusern mit 5-10 Betten. Erst in derzweiten Hälfte des 19. Jhdts. wurden für die Fach-gebiete getrennte Neubauten unter Berücksichti-gung der Studentenausbildung und hygienischerGesichtspunkte errichtet. Die 1810 gegründete chir-urgische Universitätsklinik in Berlin (Direktor: CarlFerdinand von Graefe) wurde erst 1818 in einemeigenen Haus in der Ziegelstraße untergebracht.Erst im Jahre 1817 wurde die seit 1727 bestehendeCharité als zweite Berliner Universitätsklinik derUniversität angegliedert. Als zweiter Lehrstuhl-inhaber wurde Johann Nepomuk Rust (1775–1840)aus Wien berufen, weil der leitende Chirurg derCharité, der seit 1787 amtierende Christian LudwigMursinna (1744–1823) bereits zu alt war (siehe Seite277–278). Die chirurgische Universitätsklinik inBonn wurde 1819 durch Franz von Walther mit 30Betten eröffnet (siehe Seite 40). Die chirurgischeUniversitätsklinik in Breslau bestand zunächst nuraus einem Ambulatorium und war in der Wohnungdes Ordinarius untergebracht. 1855 wurde die Bres-lauer Universitätsklinik in das städtische Aller-heiligenhospital verlegt, bis Johann Mikulicz 1891den Neubau am Stadtrand bezog. In Göttingenwurde bereits 1764 eine Poliklinik eingerichtet,deren chirurgische Patienten von dem Universitäts-

    chirurgus versorgt wurden. 1781 errichtete AugustGottlieb Richter als Ordinarius für Chirurgie einchirurgisches Hospital mit 15 Betten.

    Der schnelle Zuwachs an Kenntnissen währenddes 19. Jahrhunderts führte dann aber schon bald zueiner zunehmenden Spezialisierung und Abspaltungvon Fachgebieten, die ursprünglich von den Chirur-gen mit versorgt wurden. Als erstes wurde das FachGeburtshilfe von der „Mutter Chirurgie“ abgetrennt(siehe Tabelle 1). Diese Entwicklung begann schonim 18. Jahrhundert an den Universitäten Straßburg(1728), Wien (1754), Göttingen (1754) und Heidel-berg (1773). Es folgte das Fach Augenheilkunde.Obwohl diese Trennung in Frankreich bereits im18. Jahrhundert begann und 1812 in Wien vollzogenwurde, gab erst die Erfindung des Augenspiegels1851 durch Hermann von Helmholtz (1821–1894) denentscheidenden Anstoß zur Abtrennung diesesFaches auch in Deutschland (siehe Tabelle 1, Seite12). Dieses Instrument erschloß den Ärzten denBlick in eine neue Welt, auf endoskopischem Wege,unblutig in das Körperinnere. In den Jahren zwi-schen 1860 und 1870 wurden an den meistendeutschsprachigen Universitäten (Extra-)Ordinari-ate für Ophthalmologie geschaffen. Andere Fachge-biete folgten diesem Vorbild gegen Ende des 19.Jahrhunderts: Dermatologie sowie Hals-, Nasen-und Ohrenheilkunde. Zunächst wurden diese Fächergegen Ende des 19. Jhdts. als Extraordinariate ge-gründet, später dann in Ordinariate umgewandelt:Erst im 20. Jhdt. wurden die Fächer Orthopädie,Urologie und Anaesthesiologie zu selbständigenProfessuren an den deutschen Universitäten.

    6 Historische Entwicklung

  • E U C

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    ie ersten Universitäten im deutschen Sprach-raum wurden im 14. Jhdt, vom jeweiligen

    Landesherrn nach Erteilung eines Privilegs durchden Papst gegründet: zuerst in Prag (1348), dann inWien (1365), Heidelberg (1386) und Erfurt (1392).Erst seit dem 16. Jhdt. wurden Universitäten auchdurch die Initiative städtischer Regierungen gegrün-det (Nürnberg [Universität Altdorf], Straßburg,Basel). Die letzte päpstliche Bestätigungsurkundezur Gründung einer deutschen Universität wurde imJahre 1773 für die Universität Münster ausgestellt(siehe Seite 158).

    In den etwa 40 Universitäten des deutschenSprachraumes haben sich vom 14. bis zum Beginndes 19. Jhdts. etwa 1,2 Millionen Studenten imma-trikuliert. Während heute die Universität eine Fach-anstalt zur Ausbildung für einen bestimmten Berufdarstellt, ist sie im Mittelalter und in der frühenNeuzeit eher mit der Oberstufe eines heutigenGymnasiums vergleichbar. Der damalige Studentwar nicht mehr als ein Schüler, der die Universitätbezog, um sich das aus der Antike überlieferteWissen anzueignen. So mußte sich der jungeStudent bis in das 17. Jhdt. hinein zunächst an einer„Artistenfakultät“ (später „Philosophische Fakultät“genannt) immatrikulieren lassen. Diese entsprachetwa unserer heutigen gymnasialen Oberstufe. Eswurden sieben Fächer gelehrt: Rhetorik, Gramma-tik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astrolo-gie/Astronomie und Musik.

    Erst nach Abschluß des meist zweijährigenGrundstudiums der freien Künste („Artes liberales“)an dieser „unteren“ Artistenfakultät (als Bakka-

    laureus, Magister), das in der Regel zwei Jahre dau-erte, konnte sich der Studiosus dann einer der dreisog. „höheren“ Fakultäten zuwenden (Theologie,Jurisprudenz oder Medizin). Davon machten abernur etwa ein Viertel der immatrikulierten StudentenGebrauch. Ein Magister artium konnte nach weite-ren zwei Jahren das Bakkalaureat der Medizin er-werben und nach weiteren zwei Jahren das Licentiatder Medizin. Das Medizinstudium dauerte alsoauch damals insgesamt 6 Jahre.

    Erst seit der Ausbreitung der Reformation im 16.Jhdt. entwickelte sich die Universität langsam zueiner Berufsbildungsanstalt. Da die evangelischenPfarrer gleichzeitig Staatsbeamte waren (denn derjeweilige Landesfürst war nach dem Willen Luthersgleichzeitig oberster Bischof) wurde jetzt von denPfarrern eine bessere Ausbildung verlangt, als es bis-her der Fall war. Außerdem waren nach der Über-nahme des römischen Rechtes im Heiligen Römi-schen Reich, gut ausgebildete Richter notwendig.Deshalb kam an den Universitäten den theologi-schen und juristischen Fakultäten gegenüber dermedizinischen Fakultät die größere Bedeutung zu.Der Anteil der Medizinstudenten (siehe Tabelle 2)schwankte im 18. Jhdt. an den deutschen Univer-sitäten zwischen 1 % (Würzburg, Heidelberg) und34 % (Straßburg).

    Eine medizinische Fakultät bestand in der Regelaus 2 bis 4 ordentlichen (d.h. planmäßig besoldeten)Professoren (siehe Tabelle 2), deren Reihenfolgedurch das Dienstalter des jeweiligen Professors fest-gelegt war. Mit dem Amt des ersten Professors(„Professor primarius“) war der Unterricht im Fach

    Grundzüge der Entwicklung

    D

  • „Therapie bzw. praktische Medizin („Praxeos“; ent-spricht etwa heute der „inneren Medizin“)“ verbun-den, der zweite („Professor secundarius“) hielt Vor-lesungen über Krankheitslehre („Pathologia “),während der dritte bzw. letzte Hochschullehrer(„Professor tertarius “) der theoretischen Medizin(„Institutiones medicorum“) in der Regel Anatomie(meist mit Chirurgie und Botanik) unterrichtenmußte. Die Reihenfolge der Ordinariate drücktauch die damalige Wertigkeit der von ihnen unter-richteten Fächer aus. Erst nach dem Ausscheidenoder Aufsteigen eines Lehrstuhlinhabers konnteaufgerückt werden, was dann aber mit einemWechsel des Unterrichtsfaches verbunden war.Dieses mit einem Fachwechsel verbundene Auf-rücken hatte nachteilige Folgen für die Kontinuitätder wissenschaftlichen Arbeit und Lehre. DasAufrücken wurde an den deutschen Universitätenerst in der zweiten Hälfte des 18. Jhdts. allmählichabgeschafft (z.B. in Prag 1747, in Freiburg i.Br. 1785,in Bayern um 1800, in Wittenberg 1803). Einer derersten Professoren der aufrückte, aber seine Lehr-fächer nicht wechseln wollte, war 1736 der der Ana-tom und Botaniker Abraham Vater in Wittenberg(siehe Seite 202). Neben dem Aufrücken wirkte sichferner die „Universitätsinzucht“ nachteilig auf denwissenschaftlichen Fortschritt aus. Bei den Beru-fungen wurden Landeskinder meist eindeutig be-vorzugt, so daß „Professorendynastien“ entstanden,die über mehrere Generationen in der Hand einerFamilie blieben. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfürsind die Professoren für Anatomie (und Chirurgie)an der Universität Basel von 1589–1829, die fast alleauch in Basel geboren wurden (siehe Seite 23–25).Die Familie des Caspar Bauhin (1560–1624) in Baselist dreimal in der Liste der dortigen Anatomie-Professoren vertreten (Großvater Caspar, SohnJohann Caspar und Enkel Hieronymus). In der vomstädtischen Rat beaufsichtigten Universität Straß-burg stammten 21 von 22 Professoren der Medizinin den Jahren zwischen 1621 und 1792 aus der StadtStraßburg (siehe Seite 182–185).

    Ein weiteres Problem für die Berufungen war dieKonfession des Kandidaten. Die Berufung einesJuden auf einen Lehrstuhl für Anatomie oder Chir-urgie war die absolute Ausnahme (z.B. erhielt Jaco-

    bus Israel 1652 einen Ruf nach Heidelberg; siehe Seite108). Im Jahre 1731 war es eine Sensation, daß derFürstbischof von Würzburg den Protestanten LorenzHeister an seine Universität berufen wollte bei Zu-sicherung „ freier Religionsausübung“ (siehe Seite 205).

    Bis zur Schaffung eines selbständigen Lehr-stuhles (Ordinariates) für Anatomie durfte prinzipi-ell jeder ordentliche Professor der Medizin in seinenVorlesungen auch anatomische und chirurgischeThemen behandeln. Deshalb ist es heute bei einigenUniversitäten schwierig zu entscheiden, wer seiner-zeit im 17. Jhdt. der „Anatom“ oder „Chirurg“ gewe-sen sein mag. Erst im 16.–18. Jhdt wurden an denUniversitäten des deutschen Sprachraumes Lehr-stühle explicit für Anatomie (meist in Kombinationmit Botanik und Chirurgie) geschaffen: zuerst anden Universitäten Leipzig (1554/1580) und 1589 inBasel (siehe Tabelle 1). Auch danach durften nochalle Professoren Vorlesungen über chirurgischeInhalte halten. Erst seit der Schaffung von chirurgi-schen Lehrstühlen (Ordinariaten) im 18. und 19.Jahrhundert blieb dies dem Ordinarius für Chir-urgie vorbehalten (vgl. der Berufungsstreit desProfessors Karl Friedrich Quittenbaum 1829 an derUniversität Rostock; siehe Seite 177).

    Anatomischer Unterricht läßt sich an denUniversitäten des deutschen Sprachraumes seit dem15. Jhdt. nachweisen, in Italien (Universität Bologna)schon seit dem Beginn des 14. Jhdts. (Mondini deLuzzi [1316] und Berengario da Carpi [1470–1530]).Beispielsweise bekam die medizinische Fakultät derUniversität Tübingen bereits 1482 die päpstlicheErlaubnis, die Körper von Hingerichteten zu sezie-ren (siehe S. 190). An der Universität Wien warenbereits 1404, 1416 und 1436 nachweislich Sektionendurchgeführt worden. Bis in das 17. Jhdt. hineinwaren jedoch die anatomischen Schriften des GalensGrundlage fast aller Vorlesungen. Noch im Jahre1577 verordnete Erzherzog Ferdinand von Österreichder medizinischen Fakultät der vorderösterreichi-schen Universität in Freiburg i. Br., daß „allein diealten Classici authores als Hypokrates, Galenus,Dioscorides, Avicenna […] publice“ gelesen werdendürften. Das aufgrund von vorurteilsfreien eigenenBeobachtungen verfaßte Lehrbuch des AndreasVesal (Erstauflage 1543) fand erst spät Eingang in

    10 Grundzüge der Entwicklung

  • den universitären Unterricht (mit Ausnahme inBasel, wo Vesal selbst vorübergehend Vorlesungenabhielt). Schon die Anschaffung eines Skeletts fürden anatomischen Unterricht galt als Sensation undwurde in den Chroniken speziell erwähnt; die fort-schrittliche Universität Basel erhielt beispielsweiseihr Skelett 1542 von Vesal geschenkt, als er währendder Drucklegung seines Werkes (siehe Seite 23, 218)dort Vorlesungen abhielt. 1636 wurde für die medizi-nische Fakultät in Erfurt ein menschliches Skelettangeschafft (siehe Seite 58), an der HeidelbergerUniversität bereits 1569. Anatomische Sektionenwurden seit dem 15. Jhdt. nur vereinzelt, meist alsöffentliche Demonstrationen („Anatomia publica“)durchgeführt. Regelmäßige durchgeführte anatomi-sche Sektionen für den Studentenunterricht wurdenerst im 18. Jahrhundert üblich. Im 17. und 18.Jahrhundert wurden an den Universitäten spezielleHörsäle für die anatomischen Sektionen gegründet(„Theatrum anatomicum“):

    � um 1590 an der Universität Basel;� 1620 an der Universität Freiburg i.Br.;� um 1635 an der Universität Jena;� 1650 in Altdorf;� 1684 in Frankfurt/Oder;� um 1690 an der Universität Tübingen;� 1706 Universität Greifswald;� 1707 Universität Gießen;� 1723 in Ingolstadt „Theatrum anatomicum“ der

    Universität (darin ist heute das Medizinhistori-sche Museum Ingolstadt untergebracht; sieheSeite 152);

    � 1726/27 in Würzburg;� 1755 in Erfurt;� 1790 an der Universität Rostock.

    Die Vorlesungssprache an den deutschen Universi-täten und der Text der Inaugural-Dissertationenwaren bis in das 19. Jahrhundert hinein meist La-tein. Eine „Dissertatio inauguralis medica“ konnteentweder zur Erwerbung der Doktorwürde („progradu doctoris“) dienen oder aber nur zum Erwerbdes Licentiats („pro Licentia“). Dementsprechendtrug der junge Arzt entweder den Titel „Doctormedicinae “ oder aber „Licentia medicinae “. Diese

    Unterscheidung war noch im 18. Jahrhundert üblich(z.B. auf den gedruckten Dissertationen der Uni-versität Halle um 1720–1735). Die Gebühren für einePromotion zum Dr. med. und den damit verbunde-nen Feierlichkeiten waren seinerzeit so hoch, daßviele Studenten sich dies nicht leisten konnten.

    An der Universität Würzburg war deutsch alsVorlesungssprache bereits 1785 eingeführt worden;im Jahre 1843 wurden sowohl deutsch- als auch latei-nischsprachige Dissertationen an dieser Universitätgedruckt [G. Ebersberger 1843 (lateinisch) und KarlEbersberger 1843 (deutsch) beide aus Lichtenau(Baden?)]. An der Universität in Leipzig wurde erstim Jahre 1840 Deutsch als Vorlesungssprache einge-führt, 1848 an der Universität in Wien. Seit demJahre 1867 wurden dann auch an den preußischenUniversitäten Berlin und Breslau die medizinischenDissertationen in lateinischer Sprache öffentlichverteidigt und gedruckt, an der Universität Dorpatbereits seit 1859/60.

    Die in den Residenzstädten der Landesherrenbefindlichen medizinischen Fakultäten (z.B. Freiburgi. Br., Göttingen, Greifswald, Jena, Heidelberg, Kiel,Tübingen, Wien) hatten dort bis in das 18. Jhdt. hin-ein auch eine Funktion als Medizinalbehörde. Dervorderösterreichischen Universität in Freiburg (i. Br.)wurde diese Funktion schon bei der Gründung 1457übertragen und noch 1768 ausdrücklich bestätigt(siehe Seite 71, 75). In der Stadt Greifwald war von1559 bis 1818 sogar das Stadtphysikat mit einer derUniversitätsprofessuren verbunden (siehe Seite 93–94). Eine ähnliche Verknüpfung von Professur undPhysikat läßt sich auch in Leipzig im 17. und 18. Jhdt.nachweisen. Diesen medizinischen Fakultäten oblagbeispielsweise die Kontrolle der in der Stadt bzw. imFürstentum tätigen Ärzte und die Kontrolle der son-stigen Medizinalpersonen (Chirurgen, Hebammen).Teilweise mußten ihnen auch die im jeweiligen Herr-schaftsbereich gedruckten medizinischen Publika-tionen zur Zensur vorgelegt werden. Beispielsweisemußte 1689 das berühmte Hebammenlehrbuch derJustine Sigismundin der medizinischen Fakultät derUniversität Frankfurt/Oder zur Zensur (und auchden Berliner Hofpredigern) vorgelegt werden (sieheSeite 67). Diese Aufsichtsfunktion über das Medizi-nalwesen wurden den Universitäten aber im 18. Jahr-

    Grundzüge der Entwicklung 11

  • hundert meist wieder entzogen und speziellen, staat-lich kontrollierten „Medizinalkollegien“ übertragen(siehe z. B. die „Braunschweig=Wolffenbüttelsche Medi-cinal-Ordnung“ 1721, „Königl. Preußisches […]Medicinal-Edict“ 1725).

    Im folgenden soll diese bisher allgemein darge-stellte Entwicklung an den einzelnen Universitätendes deutschen Sprachraumes dargestellt werden undmöglichst vollständig die dort jeweils tätigenProfessoren für Chirurgie ermittelt werden. Dabeisoll besonders untersucht werden, wann an der je-

    weiligen Universität Lehrstühle für Anatomie undChirurgie geschaffen wurden und wann die Tren-nung dieser Lehrstühle erfolgte und damit gleichbe-rechtigte Ordinariate für Chirurgie geschaffen wur-den. Auch fand die Entwicklung der Spezialisierunginnerhalb des Faches Chirurgie an den Universi-täten Berücksichtigung, d.h. wann die Abspaltungder Fachgebiete Geburtsheilkunde und Augen-heilkunde jeweils erfolgte. Die wichtigsten der beidieser Untersuchung ermittelten Daten wurden inTabelle 1 zusammengefaßt.

    12 Grundzüge der Entwicklung

    Tabelle 1 Überblick über die Entwicklung des Faches Chirurgie an den Universitäten des deutschen Sprach-raumes im 18. und 19. Jahrhundert

    Universität Gründungs- Erste Erste Erwähnung eines selbständigen Lehrstuhl fürjahr anatomische Anatomie Chirurgie Geburts- Augenheil- Praktischer

    Sektion und (ohne hilfe kunde Unterricht inChirurgie Anatomie) (ohne Chir.) (ohne Chir.) Univ.-Hospital

    Altdorf 1622–1809 1657 1648 – – – 1786

    Basel 1460 1542 1589 1829 1868 1863 erw. 1670

    Berlin 1810 – (1810) 1816 1828/66 1810/20

    Bern 1834 (1834) (1834) (1834) (1834)

    Bonn 1818 (1818) (1818/19) 1863 um 1820

    Breslau 1811 – (1814) (1814) 1869

    Dillingen 1549–1804 um 1780 – – – –

    Dorpat 1802 1805 1804 1867

    Düsseldorf 1923 (1923) (1923) (1923) (1923)

    Duisburg 1655–1818 1662 – – – –

    Erfurt 1392–1816 1635 1683 – – – –

    Erlangen 1743 – 1769/97 1824 1872 1778/1815

    Frankfurt/Main 1914 – (1914) (1914) (1914) (1914)

    Frankfurt/Oder 1501–1811 1600 1738 – – – –

    Freiburg i.Br. 1457 1573 1749 1768 1829 1859/72 1767

    Gießen 1607 1615 – 1775 1837 1877 1765/73

    Göttingen 1737 1737 1849 1754 1868/73 1781

    Graz [1586], med. 1863 1776 (1863) (1863) (1863) 1788

  • Grundzüge der Entwicklung 13

    Tabelle 1 Überblick über die Entwicklung des Faches Chirurgie an den Universitäten des deutschen Sprach-raumes im 18. und 19. Jahrhundert

    Universität Gründungs- Erste Erste Erwähnung eines selbständigen Lehrstuhl fürjahr anatomische Anatomie Chirurgie Geburts- Augenheil- Praktischer

    Sektion und (ohne hilfe kunde Unterricht inChirurgie Anatomie) (ohne Chir.) (ohne Chir.) Univ.-Hospital

    Göttingen 1737 1737 1849 1754 1868/73 1781

    Graz [1586], med. 1863 1776 (1863) (1863) (1863) 1788

    Greifswald 1456 1624 – 1821 1858 1860 1831

    Halle 1694 1718 1811 1808 1864/73 1730/78

    Heidelberg 1386 1614 1818 1773 1865 1815

    Helmstedt 1576–1810 1588 1720 – – – –

    Herborn 1584–1817 1615 – – – – –

    Innsbruck [1677] 1869 1733 (1869) (1869) (1869) (1869)

    Jena 1558 1612 1629 1805 1803 1881 1794

    Kiel 1665 1666 1691 1837 1805 1866 1790/1802

    Köln 1389–1798 1919 1480 1774 (1919) (1919) (1919) (1919)

    Königsberg 1544 1777 1814 1814 1859 1816

    Leipzig 1409 1554/80 1812 1810 1828 1799

    Mainz 1476–1798 1754 um 1780

    Marburg 1527 1535 1614 1786 1786 1871 1786/1803

    München (1826) 1472 1648 1754 1782 1826 1859 1826Ingolstadt-Landshut

    Münster 1773–1818 1923 1765 1774 (1923) (1923) (1923) (1923)

    Prag 1348 1600 1721 1773 1790 1820

    Rinteln 1621–1810 1644 1747 – – – –

    Rostock 1419 1513 1742 1821 1826 1866

    Salzburg (1622) 1804/10 (1804) – – – –

    Straßburg 1621 1517 1708 1835 1728 1872 1728/70

    Tübingen 1477 15. Jh. 1726 1806/15 1843 1864 1793

    Wien 1365 1404 1785 1754/1808 1812

    Wittenberg 1502–1815 1598 1594 1805 1812 – –

    Würzburg 1582 1603 1691 1803 1799 1855 1749

    Zürich 1833 – (1833) (1833) 1862/72

    Die Jahreszahlen in Klammern () bedeuten das Vorhandensein eines selbständigen Lehrstuhles zum Zeitpunkt der Gründung derbetreffenden Universität.

  • 14 Grundzüge der Entwicklung

  • Grundzüge der Entwicklung 15

    Abb. 1 Die Universitäten des deutschen Sprachraumes[Abb. aus: E (1904); siehe Tabelle 2].