GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die...

9
Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected]. Alle Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de. GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie Kenntnisstand und strategische Adaptionsmaßnahmen Dr. Holger Maria Rohde 1 , Dr. Hubertus Rosery 2 , Prof. Dr. Yvonne-Beatrice Böhler 3 1 EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Health Care Management Institute, Oestrich-Winkel, 2 MEDECON GmbH, Schopf- heim, 3 Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der TH Köln, Campus Leverkusen, Leverkusen Seit Juli 2015 gelten in Deutschland für die Hersteller von Medi- zinprodukten neue Anforderungen zur Nutzenbewertung von Me- dizinprodukten der Klassen IIb und III, welche im GKV-Versor- gungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) kodifiziert sind. Im Gesetz- gebungsverfahren ausführlich diskutiert, stellt dieses AMNOG für Medizinproduktedie betroffenen Unternehmen vor erweiterte Herausforderungen beim Marktzugang ihrer Produkte. In dieser empirischen Erhebung wurden der Kenntnisstand zur neuen Gesetzeslage und deren adaptiven Auswirkungen sowie das hiermit verbundene Veränderungsbewusstsein innerhalb der deutschen innovativen Medizinprodukte-Industrie untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die teilnehmenden Experten gute Kenntnisse über die neuen Anforderungen an die Nutzenbewertung von Medizinpro- dukten besitzen und das neue Bewertungsverfahren als eine zu- künftige Kerngröße der Medizinprodukteentwicklung einschätzen. Auf Organisationsebene finden sich jedoch wenig strategische Ak- tivitäten, um den neuen gesetzlichen Anforderungen zu begegnen. Problemstellung und Hintergrund zum GKV-VSG Für den Marktzugang vieler Medizin- produkte ist die Zertifizierung durch eine sog. Benannte Stelle erforder- lich. Ergänzend erfolgen verschie- dene Überprüfungen zur Erstat- tungsfähigkeit in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Diese sind i.d.R. entscheidend für den Market Accessder Medizinpro- dukte und damit den wirtschaftli- chen Erfolg vieler Unternehmen, denn die Regulierungen verstärken sich unter dem Kostendruck einer alternden Gesellschaft immer weiter in Richtung Wirtschaftlichkeit. Mit dem GKV-Versorgungsstär- kungsgesetz (GKV-VSG, Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung), welches am 11. Juni 2015 vom Deut- schen Bundestag beschlossen wurde, ist die Nutzenbewertung von Medi- zinprodukten um einen gesetzlich verankerten Regelungsbereich erwei- tert worden [1]. Mit diesem Artikel- gesetz wurde in die deutsche Sozial- gesetzgebung ein neuer Paragraf § 137h in das SGB V eingefügt, der für neue Untersuchungs- und Be- handlungsmethoden mit Medizin- produkten der Hochrisikoklassen IIb und III mit neuartigen Wirkkonzep- ten[2] eine Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) vorsieht. Damit wurde die Er- stattung vieler Medizinprodukte be- trächtlich erschwert. Mit dieser Realisierung einer sys- tematischen, obligaten und frist- gebundenen Nutzenbewertung für innovative Medizinprodukte steigen die Entwicklungsanforderungen an die Unternehmen, z. B. durch die nun notwendige Durchführung evi- denzbasierter Studien und anderer Datenerhebungen zum Beleg der Wirtschaftlichkeit. Auch muss für das neue Produkt ein Nutzendossier erstellt und ein neues behördliches Bewertungsverfahren durchlaufen werden, zur Bewertung eines hinrei- chenden Nutzens oder Potenzials der neuen Methode durch den G-BA. Ne- ben den erweiterten Datenerhebun- gen zum patientenrelevanten Nutzen beinhaltet dieses neue Verfahren auch neue Prozessschritte, z. B. ein verpflichtendes Beratungsgespräch beim G-BA. So entstehen den betrof- fenen Unternehmen sowohl unmit- telbare Kosten für den Bewertungs- prozess als auch weitere strukturelle organisationale Aufwendungen, wie den Aufbau neuer Abteilungen, Re- krutierung neuer Experten, Aufbau von Fachwissen innerhalb der Beleg- schaft, Änderungen von Geschäfts- prozessen etc. Für die Hersteller von Medizinprodukten in den betrof- fenen Hochrisikoklassen werden die Anforderungen an einen Nutzen- nachweis dadurch deutlich erhöht. Strategisch gesehen ist dies eine nor- mative Verschärfungvon Entwick- lung und Marktzugang, welche als klassischer Umweltfaktor Auswir- kungen für eine ganze Industrie hat und diese Untersuchung nahelegte. Insgesamt ist zu vermuten, dass sich eine solche Veränderung des Um- felds in der Unternehmensstrategie niederschlägt und reaktive Anpas- sungsmaßnahmen in den Bereichen Personal, Wissen und Operating Model Arzneimittelwesen Gesundheitspolitik Industrie und Gesellschaft Pharma-Markt Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629636 (2017) © ECV Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Rohde et al. GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie 629 Zur Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlages / For use with permission of the publisher

Transcript of GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die...

Page 1: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

GKV-VSG in der deutschenMedizinprodukte-IndustrieKenntnisstand und strategische Adaptionsmaßnahmen

Dr. Holger Maria Rohde1, Dr. Hubertus Rosery2, Prof. Dr. Yvonne-Beatrice Böhler3

1EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Health Care Management Institute, Oestrich-Winkel, 2MEDECON GmbH, Schopf-heim, 3Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der TH Köln, Campus Leverkusen, Leverkusen

Seit Juli 2015 gelten in Deutschland für die Hersteller von Medi-zinprodukten neue Anforderungen zur Nutzenbewertung von Me-dizinprodukten der Klassen IIb und III, welche im GKV-Versor-gungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) kodifiziert sind. Im Gesetz-gebungsverfahren ausführlich diskutiert, stellt dieses „AMNOG fürMedizinprodukte“ die betroffenen Unternehmen vor erweiterteHerausforderungen beim Marktzugang ihrer Produkte. In dieserempirischen Erhebung wurden der Kenntnisstand zur neuenGesetzeslage und deren adaptiven Auswirkungen sowie das hiermitverbundene Veränderungsbewusstsein innerhalb der deutscheninnovativen Medizinprodukte-Industrie untersucht. Die Ergebnissezeigen, dass die teilnehmenden Experten gute Kenntnisse über dieneuen Anforderungen an die Nutzenbewertung von Medizinpro-dukten besitzen und das neue Bewertungsverfahren als eine zu-künftige Kerngröße der Medizinprodukteentwicklung einschätzen.Auf Organisationsebene finden sich jedoch wenig strategische Ak-tivitäten, um den neuen gesetzlichen Anforderungen zu begegnen.

Problemstel lung undHintergrund zum GKV-VSG

Für den Marktzugang vieler Medizin-produkte ist die Zertifizierung durcheine sog. Benannte Stelle erforder-lich. Ergänzend erfolgen verschie-dene Überprüfungen zur Erstat-tungsfähigkeit in der GesetzlichenKrankenversicherung (GKV). Diesesind i.d.R. entscheidend für den„Market Access“ der Medizinpro-dukte und damit den wirtschaftli-chen Erfolg vieler Unternehmen,denn die Regulierungen verstärkensich unter dem Kostendruck eineralternden Gesellschaft immer weiterin Richtung Wirtschaftlichkeit.

Mit dem GKV-Versorgungsstär-kungsgesetz (GKV-VSG, Gesetz zurStärkung der Versorgung in dergesetzlichen Krankenversicherung),

welches am 11. Juni 2015 vom Deut-schen Bundestag beschlossen wurde,ist die Nutzenbewertung von Medi-zinprodukten um einen gesetzlichverankerten Regelungsbereich erwei-tert worden [1]. Mit diesem Artikel-gesetz wurde in die deutsche Sozial-gesetzgebung ein neuer Paragraf§137h in das SGB V eingefügt, derfür neue Untersuchungs- und Be-handlungsmethoden mit Medizin-produkten der Hochrisikoklassen IIbund III mit „neuartigen Wirkkonzep-ten“ [2] eine Nutzenbewertung durchden Gemeinsamen Bundesauschuss(G-BA) vorsieht. Damit wurde die Er-stattung vieler Medizinprodukte be-trächtlich erschwert.

Mit dieser Realisierung einer sys-tematischen, obligaten und frist-gebundenen Nutzenbewertung fürinnovative Medizinprodukte steigen

die Entwicklungsanforderungen andie Unternehmen, z.B. durch dienun notwendige Durchführung evi-denzbasierter Studien und andererDatenerhebungen zum Beleg derWirtschaftlichkeit. Auch muss fürdas neue Produkt ein Nutzendossiererstellt und ein neues behördlichesBewertungsverfahren durchlaufenwerden, zur Bewertung eines hinrei-chenden Nutzens oder Potenzials derneuen Methode durch den G-BA. Ne-ben den erweiterten Datenerhebun-gen zum patientenrelevanten Nutzenbeinhaltet dieses neue Verfahrenauch neue Prozessschritte, z.B. einverpflichtendes Beratungsgesprächbeim G-BA. So entstehen den betrof-fenen Unternehmen sowohl unmit-telbare Kosten für den Bewertungs-prozess als auch weitere strukturelleorganisationale Aufwendungen, wieden Aufbau neuer Abteilungen, Re-krutierung neuer Experten, Aufbauvon Fachwissen innerhalb der Beleg-schaft, Änderungen von Geschäfts-prozessen etc. Für die Herstellervon Medizinprodukten in den betrof-fenen Hochrisikoklassen werden dieAnforderungen an einen Nutzen-nachweis dadurch deutlich erhöht.Strategisch gesehen ist dies eine nor-mative „Verschärfung“ von Entwick-lung und Marktzugang, welche alsklassischer Umweltfaktor Auswir-kungen für eine ganze Industrie hatund diese Untersuchung nahelegte.

Insgesamt ist zu vermuten, dasssich eine solche Veränderung des Um-felds in der Unternehmensstrategieniederschlägt und reaktive Anpas-sungsmaßnahmen in den BereichenPersonal,Wissen undOperatingModel

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Pharma-Markt

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie 629

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

Page 2: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

notwendig macht. Die vorliegende Un-tersuchung hatte das Ziel, den Wis-sensstand zu den neuen Erfordernis-sen zur Nutzenbewertung von Medi-zinprodukten und den damit ver-bundenen Anforderungen zu erhebenund entsprechendes Veränderungs-bewusstsein in deutschen Medizinpro-dukte-Unternehmen zu analysieren.Erfragt wurde, ob die neue Regelungmit einer Organisationsentwicklungeinhergeht und adaptive Aktivitätender Unternehmensstrategie auslöst(z.B. Personalaufbau, wissensbildendeMaßnahmen, Berücksichtigung derneuen Erfordernisse in den maßgeb-lichen Organisationsstrukturen wieEntwicklungsteams, Entscheidungs-gremien etc.).

Strategisches Managementund Organisations-

entwicklung als reaktiveAnpassungsstrategie

Für die betroffenen Unternehmen isteine angemessene Änderung derStrategie auf diese sich änderndenregulatorischen Rahmenbedingun-gen unabdingbar, um weiterhin er-folgreich am Markt bzw. in der Er-stattung zu bleiben. Diese Strategie-anpassungen können durch Erfah-

rungsübertrag aus angrenzendenGeschäftsfeldern beschleunigt (z.B.AMNOG-Verfahren bei Arzneimit-teln) und im Idealfall auch zeitnahimplementiert werden.

Unabhängig vom auslösendenoder beeinflussenden Moment derstrategischen Planung werden beider Implementierung einer Strategiedefinierte Maßnahmen umgesetzt,die zu einer geplanten Veränderungder Organisation führen, mit demZiel, deren Problemlösungs- und Ent-wicklungsfähigkeiten zu verbes-sern [3]. Eine solche Organisations-entwicklung sollte als geplanterWandel innerhalb einer reaktivenAnpassungsstrategie der Medizin-produkte-Unternehmen zur Adres-sierung der neuen gesetzlichen An-forderungen zur Nutzenbewertungerfolgen – im Idealfall schon frühzei-tig antizipiert.

Ein entscheidender Faktor für denUnternehmenserfolg in forschungs-getriebenen Organisationen wieMedizinprodukte-Unternehmen sindqualifizierte Mitarbeiter mit ausrei-chendem Kenntnisstand hinsichtlichder neuen gesetzlichen Erfordernisse.In einem solchen hochkomplexen Or-ganismus bedingt dies zwangsläufigauch die Anpassung von Prozessen

und Strukturen, z.B. indem die neuenAnforderungen der Kunden (in die-sem Fall der Behörden und Leistungs-erstatter) in die Entscheidungsmo-delle und -gremien der Organisationeinfließen und bei der Entwicklungs-arbeit und Unternehmenssteuerungmit eingebunden werden.

Zusammenfassend ergibt sich einintegriertes organisationales System.Ein bekanntes Modell aus dem stra-tegischen Personalmanagementmacht den Zusammenhang von Un-ternehmensstrategie, Organisations-struktur und Personal deutlich(Abb. 1, [4]). Im Operating Modelwird der strukturelle Teil des strate-gischen Managements umgesetzt. Esist ein abstraktes Abbild, wie eineOrganisation über die verschiedenenFunktionen und Bereiche agiert undwie diese Zusammenarbeit koor-diniert wird. Innerhalb einer Organi-sation als komplexem System be-schreibt es quasi den „Ablaufteil“und beinhaltet die dazu notwendigenProzesse, Organisationsstrukturen,Entscheidungsgremien etc. [5]. Ur-sprünglich aus dem Informations-management stammend, wird diesestheoretische Konstrukt mittlerweileals allgemeines Managementtool ver-wendet, das den strukturellen Teil

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Pharma-Markt

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)630 Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

n AUTOR

Dr. Holger Maria Rohde, MBAarbeitet seit über 15 Jahren in den Bereichen Ent-wicklung, Market Access und Strategie bei pharma-zeutischen Unternehmen und Medizinprodukte-herstellern, zurzeit bei Merck KGaA in Darmstadt.Nebenberuflich studierte er am Health CareManagement Institute der European BusinessSchool in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBAHealthcare Management.

n AUTOR

Dr. Hubertus Rosery, MPH und Dipl. Kfm.(FH)ist Gründer und Geschäftsführer der Beratungs-firma MEDECON GmbH. Er arbeitet seit über20 Jahren in der internationalen Beratung undAuftragsforschung mit den Arbeitsschwerpunktenevidenzbasierte Gesundheitsökonomie und Kos-tenerstattung von Gesundheitsleistungen, ins-besondere Medizinprodukten.

n AUTOR

Prof. Dr. Yvonne-Beatrice Böhler, MBAist Professorin für Pharmamanagement an derFakultät für Angewandte Naturwissenschaften derTH Köln und zudem als Prodekanin für Forschungund Wissenstransfer der Fakultät tätig. Zuvor warsie mehrere Jahre sowohl am IQWiG, als auch inder pharmazeutischen Industrie beschäftigt. Einerihrer Forschungsschwerpunkte ist die Verknüp-fung von klinischer Studienplanung und Erstattungvon Arzneimitteln und Medizinprodukten.

Page 3: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

zur Umsetzung einer Unternehmens-strategie umschreibt [6].

Methode und Vorgehensweise

In der empirischen Untersuchungwurden die Einschätzungen teilneh-mender Experten aus den vom neuenGesetz betroffenen Unternehmenzum Wissensstand und Bewusstseinhinsichtlich notwendiger Verände-rungsmaßnahmen analysiert undstrategische Anpassungsmaßnah-men zur Organisationsentwicklungerfragt.

Im Kopfteil wurden 12 allgemeineDaten zu Unternehmen und Tätig-keitsschwerpunkten der Experten er-hoben. Dieses Vorgehen ermöglichtedie Zuordnung der Teilnehmer in dieverschiedenen Funktionsbereicheder Organisationen und eine Stratifi-zierung z.B. nach Unternehmens-größe und anderen Merkmalen:. Unternehmensgröße: Hier wurdeeine Einteilung in Beschäftigten-größenklassen ähnlich der Emp-fehlung der EU-Kommission vor-genommen, welche Unternehmenmit weniger als 250 Mitarbeiternals „kleine und mittlere Unterneh-men“ (KMU) definiert [7].

. Funktionale Zugehörigkeit: In einerhalboffenen Frage wurden die Be-reiche Market Access, Health Eco-nomics and Outcomes Research(HEOR), Pricing and Reimburse-

ment den Teilnehmern vorgege-ben, außerdem ein Eingabefeld„Sonstiges“ mit Freitexteingabe.

. Relevanz der neuen Gesetzgebung:Da sich die neuen gesetzlichenAnforderungen zur obligatorischenNutzenbewertung auf Medizin-produkte mit innovativem Cha-rakter (§137h SGB V „neues theo-retisch-wissenschaftliches Kon-zept“) in den Hochrisikoklassen IIbund III beziehen, wurde in 2 Fragenerhoben, a) ob das Unternehmenbereits Medizinprodukte der be-troffenen Hochrisikoklassen IIbund III auf dem deutschen Marktvertreibt und b) ob es eigene For-schung und Entwicklung (F&E)hat.

. Innovationsvolumen: Als weitereIndikatoren der Innovationsrele-vanz der teilnehmenden Unter-nehmen wurden die jährliche An-zahl der „Sprunginnovationen“und der gestellten Anträge zu„Neuen Untersuchungs- und Be-handlungsmethoden“ (NUB) er-mittelt. Die Anzahl neuer Produkte(= Neue Untersuchungs- und Be-handlungsmethoden) pro Jahr isteine klassische Innovationskenn-zahl [8], anhand derer die Innova-tionsfähigkeit einer Organisationgekennzeichnet werden kann.Auch der Begriff der Sprung-innovation stammt aus der Inno-vationsforschung [9]. In der Arz-

nei- und Medizinprodukteent-wicklung wird dieser Ausdruckallgemein als ein neues Produktoder eine neue Methode mit einemneuen innovativen Wirkkonzeptverstanden. Für die weitere Aus-wertung werden diese beiden In-dikatoren als jährliche „Innovati-onsereignisse (IE)“ in einem arith-metischen Mittel zusammenge-fasst dargestellt.

. Nutzenbewertungs-Vorerfahrung:UmUnternehmen zu klassifizieren,die bereits aktuell mit den zu-künftig erhöhten Anforderungenfür die Nutzenbewertung vertrautwaren, wurde zum einen mit demIndikator „US-Nähe“ erfragt, ob dasUnternehmen Medizinproduktefür den US-amerikanischen Marktentwickelt und vertreibt. Hier ver-langt die Entwicklung von Medi-zinprodukten einen weit höherenAufwand an klinischer und ge-sundheitsökonomischer For-schung; es handelt sich um einbehördliches Zulassungsverfahren,das auch als Grundlage für die Er-stattungen notwendig ist [10]. DesWeiteren wurde erfragt, ob dasUnternehmen auch innovativeArzneimittel auf dem deutschenMarkt vertreibt. Dieser Indikator„Arzneimittelnähe“ ist ein interes-santer Anhaltspunkt, ob innerhalbder Organisation bereits Wissenzur gesundheitsökonomischenForschung oder praktische Erfah-rungen zum AMNOG-Verfahrenaus dem Bereich der Arzneimittelvorhanden sind.

Die thematische Befragung fokus-sierte sich auf die 3 ThemenblöckePersonalmanagement, Wissensma-nagement und Operating Model, wo-bei die quantitative Datenerhebungmittels eines standardisierten Fra-gebogens über insgesamt 42 Befra-gungspunkte erfolgte. Für die 3oben genannten Bereiche wurde je-weils zuerst der IST-Zustand erho-ben; Fragen zur zukünftigen strategi-schen Ausrichtung und dazu geplan-ter Maßnahmen schlossen sich an,um Hinweise auf den SOLL-Zustanddes Bereichs zur erhalten.

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie 631

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

n Ab b i l d u n g 1

Operating Model (Quelle aller Abbildungen: die Autoren; Abbil-dung 1: modifiziert nach [4], S. 48).

Page 4: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

. Wissen(s-Management): In diesemAbschnitt wurde auf den 3 Ebenen„Persönliches Wissen“, „Organisa-tionswissen“ und „Bewusstsein derLeitungsebene“ das aktuelle Wis-sen in den befragten Unternehmenzu den neuen Erfordernissen zurMedizinprodukte-Nutzenbewer-tung in Deutschland erhoben, wo-bei die Teilnehmer jeweils eine von0 (= gar nicht) über 1 (= sehrschlecht) bis 10 (= sehr gut) ska-lierte Einschätzung zum Stand desWissens abgaben. Für die Ebenen„Organisation“ und „Leitungs-team“ wurde zusätzlich ein vor-handenes Bewusstsein zur Not-wendigkeit anstehender Verände-rungen erfasst. Um diese schwie-rige Einschätzung zu erleichtern,wurden „sprechende Skalen“ mitjeweils 4 ansteigend vorformulier-ten Auswahlmöglichkeiten vor-gegeben. Zusätzlich wurde evalu-iert, ob es für die Bereiche Wis-sensmanagement/Organisationa-les Lernen strategische und orga-nisationale Anpassungen inner-halb der teilnehmenden Unter-nehmen gab. Nach der Erhebungdieser Details zum IST-Zustand imBereich Wissen folgten Fragenzum geplanten Aufbau von Wissenund Fähigkeiten mittels bekannterMethoden zum organisationalen

Lernen. Ziel war es, zu eruieren, obvon den teilnehmenden Experteneine Notwendigkeit zum Wissens-aufbau in dem Bereich der Nut-zenbewertung gesehen wird, wiedringlich dies gesehen wird und obeventuelle Maßnahmen zum orga-nisationalen Lernen seitens derUnternehmensleitung unterstütztwerden.

. Personalmanagement: In diesemAbschnitt wurde der IST-Zustandmittels 5 Fragen erhoben, welchedie gegenwärtige Personalausstat-tung in den relevanten Funktionender Organisationen abfragen, un-terteilt für das Gesamtunterneh-men weltweit und die in Deutsch-land zuständigen Unternehmens-teile. Zusätzlich wurde erfasst, inwelchen Abteilungen diese Kolle-gen eingesetzt sind. Für den zu-künftigen Zustand im Personalma-nagement wurden zur Erfassungdes Personalstands 5 Fragepunktezur Planung in den betroffenenOrganisationseinheiten verwendetund eruiert, ob von den teilneh-menden Experten eine Notwendig-keit zum Personalaufbau in demBereich der Nutzenbewertung ge-sehen wird, wie dringlich diesergesehen wird und ob eventuelleMaßnahmen seitens der Unterneh-mensleitung unterstützt werden.

. Operating Model: In diesem Ab-schnitt wurden der IST-Zustandhinsichtlich Strukturen und Pro-zessen zur Nutzenbewertung undMarket Access und der Zustän-digkeit und Zuordnung innerhalbder betroffenen Organisationenevaluiert. Im Anschluss wurde er-fragt, ob eine Adaptation des Op-erating Models notwendig sei undob Veränderungen von Strukturenund Prozessen geplant sind. DesWeiteren wurde eine etwaige Im-plementierung durch Task Forces,Strategischen Initiativen, Projekt-gruppen etc. erhoben.

Ergebnisse der empirischenBefragung

Wie oben beschrieben, war es dasZiel der Evaluierung, Experten ausden vom neuen Gesetz betroffenenUnternehmen zu befragen. Dazuwurde das Konzept im Ausschuss„Market Access“ des Bundesver-bands Medizintechnologie e.V.(BVMed) und im Ausschuss für Me-dizinprodukte beim Bundesverbandder Pharmazeutischen Industrie(BPI) vorgestellt und der Fragebogenbzw. der Link dazu verteilt. Die On-line-Datenerhebung fand vom 2. Sept.bis 5. Okt. 2015 statt.

Insgesamt nahmen n = 30 Exper-ten teil. Von den 30 Befragten attes-tierten sich n = 21 ein allgemeinesWissen zum GKV-VSG. Da für dieBeantwortung der weiteren Fragenein allgemeines Wissen notwendigwar, wurden die 9 Nicht-Expertenaus der Grundpopulation entfernt,was die angepasste Gesamtpopula-tion definierte.

In Abb. 2 wird deutlich, dass ausdieser Gesamtpopulation knappe2 Drittel der teilnehmenden Expertenin Arbeitsbereichen tätig sind, die alsKernfunktionen für die Nutzenbewer-tung gelten (Market Access, HEOR,Pricing & Reimbursement, n = 13).Die weiteren vertretenen Organisa-tionsabteilungen sind sowohl demF&E-Bereich (Regulatory Affairs, Cli-nical Development, n = 3) als auchden kommerziellen Bereichen (Mar-

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Pharma-Markt

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)632 Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

n Ab b i l d u n g 2

Arbeitsbereiche der an der empirischen Untersuchung teilnehmenden Experten.

Page 5: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

keting & Sales, n = 2) zuzuordnen.Somit wird im Experten-Portfolio diespätere Wertschöpfungskette derMedizinprodukte-Entwicklung abge-deckt (d.h. ohne Repräsentanten ausder frühen Forschung), mit einemsehr deutlichen und passendenSchwerpunkt auf den Kernfunktionender Nutzenbewertung. Trotz der un-terschiedlichen professionellen Tätig-keiten der Teilnehmer waren die indi-viduellen Wissensstände zwischenden Tätigkeitsfeldern vergleichbar.So kann diese Population als weit-gehend vergleichbar hinsichtlich desVorwissens gelten.

Gut 2 Drittel der teilnehmendenUnternehmen vermarkten Medizin-produkte der betroffenen Hochrisi-koklassen in Deutschland und sinddamit von den neuen Anforderungenzur Nutzenbewertung betroffen. Pas-send dazu zeigen die erhobenen Da-ten, dass es sich bei den Teilnehmernüberwiegend um innovative Unter-

nehmen mit eigener Forschung undEntwicklung (F&E) handelt (An-teil 91 %). Zusammen lassen die Er-gebnisse auf eine hohe Relevanz derneuen Regelung für die Portfolio-Un-ternehmen schließen. Gemessen ander Anzahl der Sprunginnovationenund NUBs haben 2 etwa gleich großeGruppen jeweils ein geringes (40 %der Unternehmen) bzw. mittleres(35 % Anteil) Innovationsvolumen,während ein kleinerer Anteil der Un-ternehmen (25 %) ein hohes Innova-tionsvolumen aufzeigt.

Außerdem wurde ersichtlich, dassüber 2 Drittel der Unternehmen Me-dizinprodukte auch für den US-ame-rikanischen Markt entwickeln unddaher mit den dort notwendigen hö-heren Forschungsanforderungen undeinem umfangreichen Zulassungs-verfahren für Medizinprodukte ver-traut sind. Umgekehrt dazu vertreibtnur ein knappes Drittel der teilneh-menden Unternehmen auch innova-

tive Arzneimittel auf dem deutschenMarkt (28 %) und konstituiert eine„AMNOG-nahe“ Subpopulation, inder vermutlich gesundheitsökono-misches Wissen und auch Erfahrun-gen zum Aufwand des Bewertungs-verfahrens beim G-BA vorhanden ist.

n Kenntnisse zum GKV-VSGund vorhandenesVeränderungsbewusstseinZum vorhandenen Fachwissen zurneuen Gesetzgebung des GKV-VSGfallen die Einschätzungen beim Indi-vidualwissen der Teilnehmer nochrecht hoch aus (Score 7,60 ± 2,60),während die Einschätzung zum vor-handenen Wissen in der Gesamt-organisation deutlich geringer aus-fällt (Score 6,05 ± 2,39). Am gerings-ten wurden die Werte zum Wissendes Leitungsteams (5,21 ± 2,46) ein-geschätzt (Abb. 3).

Um das strategische Bewusstseinin der Organisation hinsichtlich not-wendiger Veränderungen zu ana-lysieren, wurde auf den gleichen 3Organisationsebenen von den Teil-nehmern ihre Einschätzung zur Not-wendigkeit von Organisationsverän-derungen erfragt. Für alle Ebenenüberwiegen mit kumulierten Wertenvon 60 % die oberen beiden Einschät-zungsbereiche mit den Merkmals-ausprägungen „eher dringend“ und„sehr dringend“ (Tab. 1). Damit wirdein erhöhtes Bewusstsein zu strategi-scher Veränderung ausgedrückt.Gleichwohl ist der Anteil der Teilneh-mer, welche die unteren 2 Ausprä-gungen gewählt haben („nicht not-wendig“, „nicht dringend“), relativhoch. Um einen vergleichendenÜberblick über die strategische Ver-änderungsbereitschaft der beteilig-ten Organisationen zur ermöglichen,wurden die Daten der oben beschrie-benen Indikatoren in einem „Organi-sational Readiness Index“ (ORI) ope-rationalisiert. Mittels dieses theoreti-schen Konstrukts wurde untersucht,inwieweit die Organisationen in derEinschätzung der befragten Experten„bereit“ für die anstehenden strategi-schen Veränderungen aufgrund derneuen Erfordernisse zur Nutzenbe-

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie 633

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

n Ab b i l d u n g 3

Ergebnisse der Selbsteinschätzung der Teilnehmer zum Kenntnisstand hinsichtlich GKV-VSG.

Page 6: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

wertung sind. Hier zeigen die Orga-nisationen mit einem hohen Inno-vationsvolumen ein hohes Ver-änderungsbewusstsein, ebenso dieKMU als auch die AMNOG-nahenFirmen. Im Gegensatz dazu sind beiden Großunternehmen nur unter-durchschnittliche Index-Werte hin-sichtlich des Veränderungsbewusst-seins zu verzeichnen.

n Personal-Management undstrategischeAnpassungsreaktionenZur funktionalen Zuordnung der fürdie Nutzenbewertung zuständigenMitarbeiter zeigte sich, dass diese inden beteiligten Firmen am häufigs-ten in den Kernfunktionen derNutzenbewertung (Market Access,HEOR) angesiedelt waren. Da bei die-ser Frage Mehrfachnennungen mög-lich waren und es mehr als doppeltso viele Nennungen (n = 45) wie Teil-nehmer (n = 22) gab, zeigt sich deut-lich, dass an der Nutzenbewertungmehrere Unternehmensfunktionenbeteiligt sind. So gab zur Einschät-zung der Personalsituation einekleine Mehrheit (47 %) der befragtenUnternehmen an, momentan überkeine ausreichende Personaldecke

zu verfügen, während fast der gleicheAnteil mit der momentanen Per-sonalausstattung zufrieden war(42 %). Stimmig in das Gesamtbildpassen die gewonnenen Daten zurPersonalplanung, nach denen nur47 % der Teilnehmer einen Personal-aufbau planen, von diesen wiederumaber nur ein kleiner Teil (5 %) bereitskonkrete Planungszahlen nennt.

Zur Umsetzung der Personalpla-nungen gaben 2 Drittel (69 %) derTeilnehmer ihren internen Eindruckwieder, dass die relevanten Stellen inden Nutzenbewertungsfunktionenvom Management in üblichen Zeit-räumen bewilligt werden und drück-ten damit eine eher normale Ein-schätzung zur Dringlichkeit in denOrganisationen aus. Dabei hattenüber die Hälfte den Eindruck, dassdie notwendigen Experten von ex-tern schwer zu akquirieren sind.

Insgesamt lassen diese Daten ver-muten, dass die Angaben eine situa-tionsbedingte Einschätzung der Per-sonalplanungen wiedergeben undz.B. eher die konkreten Arbeitsbelas-tungen als eine langfristige Planungund Aufbauarbeit hinsichtlich derneuen Erfordernisse abbilden. Dieempirischen Ergebnisse zum strate-

gischen Personalmanagement sindkonsistent mit den oben beschriebe-nen Daten zur Veränderungsbereit-schaft und zum Wissensmanage-ment. Auch hier ist eine Hälfte derUnternehmen zufrieden mit der vor-handenen Personalsituation, wäh-rend nur eine knappe Hälfte einenAufbau von Personal plant. Von die-ser zweiten Hälfte konnte nur einkleiner Teil bereits konkrete Anga-ben zu den geplanten Einstellungengeben. Dabei wurden diese Aussagenauf einer Basis zur Personalsituationgetätigt, die subjektiv als eher unzu-reichend einzuschätzen ist, aber mitden an anderer Stelle gefundenenempirischen Zahlen übereinstim-men. Für die nutzenbewertungsrele-vanten Tätigkeitsfelder haben diemeisten in der Untersuchung vertre-tenen Unternehmen eine Mitarbei-teranzahl im niedrigen einstelligenBereich. Auf die Personalschlüsselals relative Kennzahl heruntergebro-chen (Mitarbeiter in den für die Nut-zenbewertung notwendigen Tätig-keitsfeldern pro Mitarbeiter Gesamt-unternehmen), ergeben sich inDeutschland für KMU Werte im Pro-zentbereich (0,0364) und für Groß-unternehmen im Promillebereich

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Pharma-Markt

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)634 Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

n Tabel le 1

Analyse des strategischen Veränderungsbewusstseins innerhalb der Teilnehmer derOrganisationen auf 3 Ebenen (individuell, Organisation, Leitungsteam).

Page 7: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

(0,0024). Eine Analyse des Medizin-technik-Verbands Spectaris kam zuähnlichen Kennzahlen: Bezogen aufdie Mitarbeiter im gesamten BereichF&E wurden dort entsprechendePersonalschlüssel gefunden (0,14Mitarbeiter in F&E bei Kleinunter-nehmen > 50 Mitarbeiter und 0,05Mitarbeiter bei Großunternehmen< 250 Mitarbeiter [11]).

In absoluten Zahlen erscheinendie erhobenen Mitarbeiterzahlen inden relevanten Funktionen zu geringzu sein, um den zu erwartenden Auf-wand des neuen Nutzenbewertungs-verfahrens adäquat zu antizipieren.So gibt es neben den Kostenschät-zungen von ca. 500000 Euro proAMNOG-Dossier auch Aufwands-schätzungen vom PharmaverbandBPI, dass allein für die Erstellung ei-nes AMNOG-Dossiers 2–3 Vollzeit-kräfte für ein Jahr gebunden sind[12, 13]. Auch wenn es vielleichtbeim neuen Bewertungsverfahrenfür Medizinprodukte erleichterndeModifikationen im Vergleich zumBewertungsprozess von Arzneimit-teln geben wird, sind die entspre-chenden Institutionen mit IQWiGund G-BA mit ihren Anforderungendie gleichen Akteure im Bewertungs-prozess [14]. Hierzu zeigt sich pas-send als empirischer Befund, dassnur ein Unternehmen aus der arznei-mittelnahen Subgruppe keinen Per-sonalaufbau plant. Im Gesamtblickstellt sich heraus, dass die weiteroben gezeigte geringe Veränderungs-bereitschaft und das fehlende Dring-lichkeitsbewusstsein dadurch bestä-tigt werden, dass nur ein kleiner Teilder Unternehmen Personaleinstel-lungen geplant hat, um auf die neuenErfordernisse vorbereitet zu sein.

n Operating ModelDie Analyse des aktuellen OperatingModel zu nutzenbewertungsrelevan-ten Tätigkeiten in den befragten Un-ternehmen zeigte, dass in den aktuel-len Organisationsstrukturen nur beieinem geringen Anteil der befragtenUnternehmen die für die Nutzenbe-wertung federführende Abteilungdem Bereich F&E zugeordnet ist

(16 %), während doppelt so viele anden Bereich Commercial (32 %) be-richten. Allerdings wurde von vielenUnternehmen berichtet, dass die klareZuordnung der federführenden Funk-tion nicht möglich sei, sei es aufgrundder geringen Unternehmensgrößeoder durch die Organisationsformselbst bedingt, z.B. bei einer Matrix-oder Spartenorganisation.

Klare Aussagen gab es zum Ti-ming der Einbindung der nutzenbe-wertungsrelevanten Tätigkeitsfelderin den Entwicklungsteams zur inno-vativen Produktentwicklung. Diesewerden bei ca. 2 Drittel (68 %) derOrganisationen bei Bedarf in die Ent-wicklung miteinbezogen und nur bei16 % sind sie als Core-Team-Memberin den Produktentwicklungsteamsvertreten (bei 11 % sind diese über-haupt nicht involviert). Eine ähnlicheDatenlage ergibt sich für das Vorhan-densein von Entscheidungsgremienund Governance-Strukturen, für dieNutzenbewertung in den Unterneh-men eine Steuerungs- und Entschei-dungsrelevanz haben. In den meistenUnternehmen sind diese nicht vor-handen (74 %) und nur ein kleinererTeil hat dies installiert (16 %). Ver-ständlicherweise ist dieses Merkmalauch größenabhängig und alle aus-gewiesenen Unternehmen mit sol-chen Governance-Strukturen habenmehr als 5000 Beschäftigte.

Eine Mehrheit der Experten warder Meinung, dass das Operating Mo-del verändert werden sollte (68 %).Jedoch wurden nur von 25 % der Un-ternehmen auch bereits Aktivitätendazu wie strategische Initiativen,Task Forces etc. vorgenommen, diekoordiniert auf Organisationsebenedie notwendigen Veränderungen im-plementieren. Die funktionale Vertei-lung zeigt eine klare Präferenz fürMarket Access und HEOR und drücktdamit wahrscheinlich den Wunsch-oder Idealzustand des zukünftigenOperating Models aus. Dabei ergabeine offene qualitative Frage nach ei-ner grundlegenden Veränderung derGovernance-Prozesse durch dieneuen Erfordernisse zur Nutzenbe-wertung keine weiteren Hinweise

auf große Aktivitäten in den teilneh-menden Organisationen. Lediglichein Unternehmen bekundete in dieseRichtung, dass der Aufbau einer Ab-teilung für klinische Studien in derÜberlegung sei.

Zusammenfassend ist den meis-ten Teilnehmern klar, dass sich inihren Prozessen, Strukturen und Ent-scheidungsgremien durch die neuenAnforderungen zur Nutzenbewer-tung etwas ändern muss. Dabei exis-tieren jedoch keine konkreten Vor-stellungen zum „Wie“ und das Be-wusstsein um die neuen Anforderun-gen an die Nutzenbewertung vonMedizinprodukten hat nur bei einemViertel der Unternehmen zu Verän-derungsreaktionen im Sinne einerStrategie-Implementierung geführt.

In der Analyse des aktuellen Sta-tus ergab sich, dass bei den meistenUnternehmen die jeweilige für dieNutzenbewertung federführende Ab-teilung dem kommerziellen Bereichzugeordnet ist. Dieser Sachverhalt re-flektiert, dass die dominierenden Ak-tivitäten dieses Bereichs in der Mar-ket-Access-Tätigkeit und weniger inder Erstellung eines Nutzenverspre-chens („Value Proposition“) derneuen Produkte innerhalb der Ent-wicklung gesehen werden. Dies wirdauch durch das Umfrageergebnis do-kumentiert, welches zeigt, dass dieseFunktionen und Abteilungen mehr-heitlich nur bei Bedarf in die Pro-duktentwicklungsteams miteinbezo-gen werden und keine Mitgliederdes Kernteams sind. Für das Oper-ating Model lässt sich zusammenfas-sen, dass eine notwendige Verlage-rung der nutzenbewertungsrelevan-ten Tätigkeiten vom kommerziellenin den Entwicklungsbereich nochnicht vollzogen wurde.

Fazit

In der vorliegenden empirischen Un-tersuchung wurden erste Einschät-zungen aus der Medizinprodukte-In-dustrie zu den neu eingeführten ge-setzlichen Vorgaben rund um diesystematische, obligate und frist-gebundene Nutzenbewertung von

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie 635

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

Page 8: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

Medizinprodukten in Deutschlandgeneriert. Zusätzlich wurde unter-sucht, ob dadurch hervorgerufenestrategische Positionierungsreaktio-nen existieren. Grundlegend war dieAnnahme, dass die betroffenen Un-ternehmen durch die Erfahrungender verwandten Arzneimittelbranchemit dem AMNOG-Bewertungsverfah-ren für Arzneimittel „vorgewarnt“seien und Maßnahmen zur strategi-schen Anpassung der Organisationgeplant oder eingeleitet hatten.

Es wurde untersucht, inwieweitnotwendige Fachkenntnisse zur ge-setzlichen Grundlage des GKV-VSGin den Organisationen vorhandensind und strategische Anpassungs-maßnahmen zur notwendigen organi-sationalen Neupositionierung geplantwerden. Die relevanten Dimensionender Organisationsentwicklung warendabei Wissens- und Personalaufbausowie die Planung struktureller Ände-rungen. Obwohl es sich um eine ex-plorative Untersuchung handelte,konnten auf Grundlage der erhobe-nen Unternehmensmerkmale Sub-gruppen definiert und durch Querver-gleich positiv beeinflussende Merk-male identifiziert werden. So sind un-abhängig von den verschiedenen Tä-tigkeitsfeldern der Experten gute bissehr gute Kenntnisse der befragtenTeilnehmer hinsichtlich der gesetzli-chen Anforderungen festgestellt wor-den, das Zutrauen in das Wissen vonOrganisation und Leitungsteam fälltjedoch weit geringer aus.

3 definierte Subgruppen hebensich mit einer erkennbar erhöhtenVeränderungsbereitschaft von die-sem Durchschnitt ab: kleine undmittlere Unternehmen, Unterneh-men mit innovativen Arzneimittelnim Portfolio und solche mit einemhohen Innovationsgrad. Die erhöhteVeränderungsbereitschaft hat beiden KMU vermutlich strukturelle Ur-sachen, da bekannt ist, dass bei klei-nen Organisationen eine grundsätz-lich höhere Agilität und bessere In-formationstransparenz gegeben ist.Gemessen als Anzahl innovativer Er-eignisse pro Jahr deutet dieser Mar-ker darauf hin, dass betroffene Orga-

nisationen mit hohem Innovations-grad bald oft mit dem neuen Nutzen-bewertungsverfahren konfrontiertsein werden und deshalb besser vor-bereitet sind. Außerdem indizierendie erhöhten Werte bei arzneimittel-nahen Firmen, dass hier ein Erfah-rungstransfer stattgefunden hat, derdie Firmen in eine erhöhte Verän-derungsbereitschaft versetzt. Die Er-gebnisse zum Personalmanagementindizieren 2 Firmengruppen: zum ei-nen Firmen, die aufgrund von Vor-wissen und Relevanz nicht mit derPersonaldecke zufrieden sind undPersonalaufbau betreiben wollenund zum anderen Firmen, bei denenkeine Notwendigkeit zur Personal-anpassung geäußert wurde.

Zusammenfassend spiegelt einKommentar eines Experten im Frei-text des Fragebogen die Situationsehr treffend wider: Er gibt an, dassdas Verfahren eine neue Kerngröße„werden wird, mit neuen umfangrei-chen und mitunter bürokratischenErfordernissen.“ Die Verwendungdes Futurs zeigt deutlich, dass dasneue Bewertungsverfahren mit sei-nen Anforderungen noch nicht inder Realität vieler Medizinprodukte-Unternehmen angekommen ist, auchwenn vorab die Zeit für entspre-chende strategische Planungen ge-nutzt werden sollte.

Danksagung

Die Autoren danken dem Bundesver-band Medizinprodukte und demBundesverband PharmazeutischerIndustrie für die Unterstützung derUmfrage durch die entsprechendenAusschüsse.

n L ITERATUR

 [1] GKV-VSG. Gesetz zur Stärkung der Ver-sorgung in der gesetzlichen Krankenver-sicherung (GKV-Versorgungsstärkungs-gesetz). 2015. http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl115s1211.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl115s1211.pdf%27 %5D__1443952222044

 [2] Wille, E. Herausgeberkommentar – DieZulassung von Medizinprodukten kri-

tisch betrachtet. Gesundh ökon Qual-manag. 2014. 19(06): 246–7.

 [3] Klimecki, R., Probst, G.J.B. und Eberl, P.Entwicklungsorientiertes Management.1994: Schäffer-Poeschel.

 [4] Fombrun, C., Tichy, N. und Devanna, M.Strategic Human Resource Management.1984: Wiley.

 [5] de Vries, M., et al. A method for identi-fying process reuse opportunities to en-hance the operating model. IEEM. 2011.IEEE.

 [6] Blenko, M., et al. Winning operating mo-dels that convert strategy to results. Bain& Company 2014 26.10.2015. http://www.bain.com/publications/articles/winning-operating-models-that-convert-strategy-to-results.aspx

 [7] 2003/361/EG. EU-Kommissionempfeh-lung Kleine und Mittlere Unternehmen.2003.

 [8] Stern, T. und Jaberg, H. Erfolgreiches In-novationsmanagement: Erfolgsfaktoren –Grundmuster – Fallbeispiele. 2010,Springer-Verlag: Gabler Verlag.

 [9] Hauschildt, J. und Salomo, S. Innovati-onsmanagement. 2011: Vahlen.

[10] Federal Drug Administration. PremarketNotification 510(k). 2015. http://www.fda.gov/MedicalDevices/DeviceRegulationandGuidance/HowtoMarketYourDevice/PremarketSubmissions/PremarketNotification510k/default.htm

[11] Bohnet-Joschko, S. und Jandeck, L.M. Er-folg durch Innovation: Das Innovations-management der deutschen Medizin-technikhersteller. Spectaris – Verbandder Hightech-Industrie. 2011, Witten undBerlin.

[12] pharmafakten.de. Nutzenbewertung imAMNOG – Teure Dossiers nicht immernotwendig. 2014. https://www.pharma-fakten.de/news/details/64-teure-dossiers-nicht-immer-notwendig/

[13] Greiner, W. und Witte, J. AMNOG-Report2015 – Nutzenbewertung von Arzneimit-teln in Deutschland. Beiträge zur Ge-sundheitsökonomie und Versorgungsfor-schung (Band 8). 2015, Heidelberg: med-hochzwei Verlag.

[14] Cassel, D. und Ulrich, V. AMNOG auf demökonomischen Prüfstand – Funktions-weise, Ergebnisse und Reformbedarf derPreisregulierung für neue Arzneimittel inDeutschland. Gutachten, 2015. Bundes-verband der Pharmazeutischen Industrie(BPI).

Alle Links wurden zuletzt am 16.März 2017 abgerufen.

Korrespondenz:Dr. Holger Maria RohdeEBS Universität für Wirtschaft und RechtEBS Busniness SchoolHealth Care Management InstituteRheingaustr. 165375 Oestrich-Winkel (Germany)e-mail:[email protected]

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft

Pharma-Markt

Pharm. Ind. 79, Nr. 5, 629–636 (2017)© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)636 Rohde et al. • GKV-VSG in der Medizinprodukte-Industrie

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher

Page 9: GKV-VSG in der deutschen Medizinprodukte-Industrie · 2017. 10. 10. · School in Wiesbaden; die vorliegenden Unter-suchungen sind Teil seiner Masterarbeit zum MBA Healthcare Management.

Dieses Dokument ist lizenziert für [email protected] Rechte vorbehalten. © pharmind. Download vom 31.05.2017 22:30 von www.genios.de.

ZurVerw

endungmitfreundlicher

Genehmigung

desVerlages

/Forusewith

permission

ofthepublisher