„Glaubst du an Gott?“ - SPIEGEL

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SPIEGEL WISSEN 6 / 2015 12 „Glaubst du an Gott?“

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SPIEGEL WISSEN 6 / 201512

„Glaubst du an Gott?“

FAMILIENGESPRÄCHE

Meyer-Prigge: Und denkst du denn auch,dass es für alle Gläubigen der gleiche Gottist? Die Muslime beten zum Beispiel zu Allah.Carlotta: Vielleicht gibt es auch mehrereGötter. Aber das ist Gott bestimmt egal, wieman ihn nennt. Für ihn sind alle Menschengleich. Wahrscheinlich stelle ich mir Gottauch ganz anders vor als du. Meyer-Prigge: Wie sieht er in deiner Vor-stellung denn aus?Carlotta: Er hat einen langen weißen Bart.Prigge: So einen wie ich?

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CARLOTTA KENKEL ( 12) , HEINO PRIGGE (68) ,

GERDA MEYER-PRIGGE (65)

Carlotta: Glaubt ihr an Gott?Meyer-Prigge: Ich würde sagen, ich zweiflesehr stark. Prigge: Ich glaube nur manchmal. Aber ichhabe auch gelesen, dass das selbst bei vielenPfarrern der Fall ist, dass sie ganz oft zwei-feln. Carlotta: Wann sind denn Situationen, indenen ihr nicht glaubt?Prigge:Bei großen Unglücken. Vor ein paarJahren sind bei dem Tsunami im Pazifik vie-le Menschen gestorben. Da heißt es dann:Das ist der Mensch, der dafür verantwort-lich ist, weil er keine Rücksicht auf die Um-welt nimmt. Für mich bleibt trotzdem dieFrage, warum Gott das zulässt. Darauf habeich bis heute keine befriedigende Antwortgefunden. Als Kind habe ich gelernt, dasses den strafenden Gott gibt.Meyer-Prigge: Bei mir war immer vom lie-ben Gott die Rede.Prigge:Das hat bei mir auch Ablehnung her-vorgerufen. Dieses Absolute, dieses Von-oben-Herab, das früher ganz typisch für dieKirche war, das habe ich nicht verstanden. Meyer-Prigge: Wir hätten früher niemalsinfrage stellen dürfen, dass es Gott gibt. Manwurde da mit seinen Zweifeln als Kind alleingelassen.Carlotta: Ich glaube auch, dass es einen gü-tigen Gott gibt, den ich um Hilfe bitten kann.Aber ich will ihn auch nicht überfordern.Er muss sich ja um alle Bitten kümmern.Vor einer Klassenarbeit bitte ich ihn nichtum gute Noten, das muss ich selbst schaffen.Aber ich bitte ihn, dass er mir hilft, dass ichnicht so aufgeregt bin.

Carlotta: Noch ein bisschen länger. Früherhabe ich mir immer vorgestellt, dass er inden Wolken wohnt. Und wenn dann in denWolken Löcher waren und die Sonne durch-gestrahlt hat, habe ich gedacht, dass er viel-leicht gerade zu uns herunterschaut. Prigge: Für mich zeigt sich das Göttlicheauch in der Natur. Die lieben Menschen ummich herum, die Bäume und auch die Wes-pe, die mich im Sommer sticht – die Schöp-fung ist etwas ganz Wunderbares.Carlotta: Aber glaubst du, die Schöpfungkommt von Gott? Das ist ja eigentlich einreligiöser Begriff. Meyer-Prigge: Das ist eine gute Frage. DieWissenschaft kann ja heute eigentlich alleserklären – dass alles beim Urknall entstan-den ist zum Beispiel. Aber wenn ich ein neu-geborenes Kind sehe, dann frage ich michschon: Und das soll Zufall sein? So ein nied-liches Geschöpf, da muss doch mehr dahin-terstecken.

Kinder fragen, Großeltern antworten

TEXT CHRISTINE HAAS FOTOS MARIE HOCHHAUS

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FAMILIENGESPRÄCHE

„Du bist ja noch ein jungerMensch. Du musst erst noch

ganz viel lernen.“

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KONRAD WAUSCHKUHN (12) ,HEIDE FISCHER (74)

Konrad: Glaubst du an Gott, Großmutter?Fischer: Ich bin mit dem lieben Gott großgeworden. Meine Großmutter ging jedenSonntag mit uns Mädchen in die Kirche.Konrad: Wie stellst du dir Gott denn vor? Fischer: Es steht schon in der Bibel, dassman sich kein Bild machen soll. Ich habeaber ein altes Märchenbuch, da trägt der lie-be Gott einen blauen Mantel mit Sternen.Als Kind habe ich ihn mir so vorgestellt. Konrad: Hat er dir auch manchmal gehol-fen? Fischer: Wir brauchen nur an die letztenzwei Jahre zu denken, in denen ich zweiSchwestern verloren habe und zwei Unfällehatte. Da ist man erst fassungslos und fragt:Warum ich schon wieder? Es gibt diesenSpruch: Da falle ich doch vom Glauben ab.Das passiert, glaube ich, allen gläubigenMenschen in ihrem Leben, wenn sie Schlim-mes erlebt haben. Aber ich konnte immermit Gott reden und die Dinge auf diese Wei-se für mich verarbeiten.Konrad: Wieso glaubst du immer noch anGott, wenn er das alles duldet? Auch wenndu an die Geschehnisse im Mittelalterdenkst, die ja angeblich im Namen von Gottgetan wurden.Fischer: Im Mittelalter gab es nur die ka-tholische Kirche. Da gab es Frauen, die mitKräutern heilen konnten, die wurden ver-brannt. Und wenn die Menschen einen Ab-lass an die Kirche zahlten, dann wurden sievon ihren Sünden freigesprochen. Aberdann kam Martin Luther und hat gesagt: Dasdarf so nicht sein. Konrad:Aber wenn es den Gott gibt, an dendie Protestanten glauben, dann gab es denja auch schon im Mittelalter. Und er hatnichts unternommen.Fischer:Nein, das kann er auch nicht. Aberer ist da. Ich finde es ganz wunderbar, demlieben Gott etwas erzählen und ihn um Din-ge bitten zu können. Die Kirche war fürmich immer ein Zufluchtsort. Konrad: Das ist sie für mich nicht. Fischer:Du bist ja noch ein junger Mensch.Du musst erst noch ganz viel lernen, auchüber die Religionsgeschichte. Deshalb findeich es auch nicht gut, dass du dich nicht kon-firmieren lässt. Noch kannst du gar nichtüberschauen, ob das die richtige Entschei-dung ist.

Konrad: Nur weil das Christentum hier dieganze Ordnung aufgebaut hat, muss ich janicht Christ sein. Ich glaube nicht dran. Undich möchte mich nicht nur konfirmieren las-sen, weil man das halt macht. Fischer: Wir sind da so reingewachsendurch die Sonntage in der Kirche und dieGebete jeden Tag. Aber wenn man gar nicht in die Kirche geht, lernt man das nicht. Konrad: Ich hatte Religionsunterricht. Dahaben wir über so was gesprochen. Das isteinfach nicht so mein Ding. Fischer: Das halte ich für sehr kindlich.

Konrad: Ich halte deine Aussage auch fürnicht so überdacht. Du bist damit aufge-wachsen. Aber damals hatte die Wissen-schaft auch noch nicht so viele Erkenntnisse. Fischer: Auch früher gab es Vereinigungenwie das Rote Kreuz und die Malteser. Die hel-fen Menschen ohne Ansehen der Person. Esist viel Humanismus im christlichen Glauben. Konrad: Das ist für mich trotzdem keinGrund, Christ zu werden. Die Werte kannich auch so befolgen.

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FAMILIENGESPRÄCHE

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LOLA LÜBKER ( 14) , URSULA LÜBKER (77)

Lola: Glaubst du an Gott, Oma?Lübker: Nicht an eine bestimmte Gestalt.Aber es muss irgendeine Macht geben, dieuns hier auf der Erde lenkt. Das ist meinGlaube – und das gibt mir Halt.Lola: Gab es schon mal eine Situation, wodu gedacht hast: Da hätte Gott mir aber hel-fen sollen?

Lübker: Als ich elf Jahre alt war und meineMutti gestorben ist, habe ich ganz doll ge-zweifelt, ob ich weiter an den lieben Gottglauben soll. Oder als deine Mutter dein Brü-derchen gekriegt hat, und es ist leider nichtam Leben geblieben. Wir haben eine Stundelang geweint, und dann kamst du herein -gelaufen. Wie alt warst du da?Lola: Drei Jahre, glaube ich.Lübker: Du bist zu deiner Mama aufs Bettgehüpft und hast gesagt: Mama, du musstnicht traurig sein, wir probieren das nochmal. Da haben wir trotz der Tränen gelacht.Und – Gott sei Dank – es hat geklappt. Viel-leicht hat der liebe Gott da auch geholfen.Du bist doch jetzt glücklich, dass du eineSchwester hast. Es hat alles seinen Sinn. Lola: Ich glaube auch, dass da irgendwas ist,was alles bewegt. So ein richtig großes Er-lebnis hatte ich noch nicht. Aber alleinschon, wenn man auf der Treppe stolpertund sich nichts tut …Lübker: … dann denkt man: Mein Schutz-engel war schnell genug, der hat mich auf-gefangen. Es ist doch schön, wenn man et-was hat, an das man sich halten kann. Lola: Es könnte ja auch alles viel schlimmersein. Ich denke jetzt nicht jeden Tag darübernach, wie es den Kindern in Afrika geht.Aber wir regen uns in Deutschland zum Teilüber Sachen auf, davon können andere Leu-te nur träumen. Lübker: Ganz genau! Wenn du siehst, wieviele Lebensmittel hier weggeworfen wer-

den. Wir haben als Kinder immer den Tellerblank gegessen. Lola: Du hast auch erzählt, dass ihr früherLeute aufgenommen und mit denen das Es-sen geteilt habt.Lübker: Ja, da wurde der Brotkant nochdurchgeschnitten und geteilt. Wenn du garnichts hast, dann sagst du: Gott, du hastdoch dafür gesorgt, dass ich hier auf derErde bin. Wieso gibst du mir dann nicht ge-nug zu essen? Aber scheinbar muss es sosein. Es gibt Höhen und Tiefen. Gerade dasist ein Grund zu glauben. Wenn es immerwieder aufwärtsgeht, wenn das Schöneüberwiegt. Ich würde in jeder Notsituationwieder die Hände falten und bitten: LieberGott, hilf mir doch, das schaffe ich nicht allein. Lola: Ich habe auch ganz lange jeden Abendgebetet. Wenn Papa mich ins Bett gebrachtund mir eine Geschichte vorgelesen hat,dann haben wir gebetet. Aber das machenwir jetzt nicht mehr.Lübker: Das kann man auch für sich alleinmachen. Es muss ja nicht abends sein. Je-denfalls solltest du dich dann voll auf deineGedanken konzentrieren und nicht neben-bei den Fernseher laufen haben. Ich dankeGott ganz oft, dass wir Frieden haben – seit70 Jahren, das ist eine Sensation! Und dassich meinen Mann habe, der voll zu mir steht.Und meine Familie. Was will man dennmehr im Leben? Dass wir Abschied nehmenmüssen und hier nur ein kleines Gastspielgeben – das ist doch bekannt von Anfangan, da mache ich mir nichts vor. Lola: Ich denke manchmal darüber nach,dass es ja sein könnte, dass man noch malneu geboren wird. Es könnte ja sein, dassich schon 50-mal auf der Welt war, aber dasalles vergessen habe. Lübker: Vielleicht komme ich noch mal alsMaikäfer wieder … Nein, das glaube ichnicht. Aber das macht jeder mit sich selbstaus, Lola.

„Ich danke Gott ganz oft, dass wir Frieden

haben – seit 70 Jahren, das ist eine Sensation.“

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FAMILIENGESPRÄCHE

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WIE REDE ICH MIT KINDERNÜBER GOTT?

Respektieren Sie, dass Kinder an etwas glauben wollen.Die Frage, ob es Gott gibt, stellen man-che Kinder schon mit drei Jahren, ande-re im Grundschulalter. „Kinder wollenglauben“, sagt die Münchner Grund-schullehrerin Katrin Lex, 32 – woran,das verändere sich mit der Zeit. Lex un-terrichtet Ethik, da kommt die Fragehäufig. „Für manche Menschen gibt esGott, für manche nicht, das ist ganz un-terschiedlich“, sagt sie ihren Schülern.

Erkennen Sie die Überlegungen derKinder an.„Was glaubst du denn?“, fragt die Lehre-rin in ihrer multikulturellen Klassemanchmal die Kinder. Besonders dieJüngeren orientieren sich noch an Figu-ren, die ihnen wichtig sind, wie Niko-laus, Christkind oder Weihnachtsmann.Auch bei Kindern, die aus einem nichtreligiösen Elternhaus kommen, tauchtGott häufig auf. Ob zu Hause oder in derSchule, wichtig ist, dass jede Antwortangehört und anerkannt wird.

Muten Sie Kindern auch mehrdeutigeAntworten zu.Schon Sechs- bis Zehnjährige könnendamit sehr gut umgehen. Auf die Frage,wo Gott wohne, genügt es zu erklären,dass manche Menschen, die an Gottglauben, ihn in der Natur sehen, zumBeispiel in einem schönen Schmetter-ling, andere gehen in die Kirche, undwieder andere glauben, wenn Menschenetwas Gutes tun, sei das ein göttlichesZeichen. Nicht gläubige Eltern ermutigtdie Pädagogin: „Kinder kommen gut da-mit klar, dass es nicht auf alle Frageneine Antwort gibt.“

Geben Sie Kindern den Freiraum,selbst nachzudenken.Wenn es Gott gibt, warum erlaubt er,dass schreckliche Dinge geschehen?Und warum sorgt er nicht dafür, dassich einen Hund bekomme? Das sind Fra-gen, die Kinder beschäftigen. Sie verste-hen, betont Ethiklehrerin Lex, wennman ihnen sagt, dass die Menschenselbst dafür verantwortlich sind, wie siezusammenleben. Und dass Gott keinegute Fee ist, die alle Wünsche erfüllt.