GORKI UND MAJAKOWSKI -...

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GORKI UND MAJAKOWSKI Der Realismus in der Lyrik In der Poesie. unterscheiden wir zwei Gattungen, die lyrische und die lyrisch-epische. Zur lyrisch-epischen Gattung gehören die Ballade, das Poem und der Versroman. Diese stellen Menschen und ihre Handlungen dar. Die Möglichkeit, ein realistisches Spiegelbild der Wirklichkeit in dieser oder jener Form zu geben, ist darum für die lyrisch-epische Dichtung offensichtlich. Schwieriger scheint auf den ersten Blick die Anwendung des realistischen Prinzips in der Lyrik. Sie hat weder ein bestimmtes Geschehen noch die aus- fuhrliehe Zeichnung eines menschlichen Charakters zum Thema. Wie kann aber dann der Lyriker ein realistisches Lebensbild entwerfen? In der Lyrik werden die Erscheinungsformen des Lebens nicht unmittelbar, sondern durch die Beschreibung des von ihnen ausgelösten Gefiihlserlebnisses wiedergegeben. Aus dem, was ein Mensch fühlt, schließen wir auf das, was seine Gefiihle hervorgerufen hat, und damit auf den Menschen selbst. Ein lyrisches Gedicht weckt also bei uns die Vorstellung von einem ganz bestimm- ten Menschentypus und von ganz bestimmten Umständen, durch die seine Ge- fühle ausgelöst wurden, d. h. die Vorstellung von seinem Erleben. Nach diesem Erleben beurteilen wir dann auch das Leben, das dem Menschen eben diese und keine anderen Gefühle und Gedanken eingegeben hat. Wenn wir die lyrischen Gedichte Puschkins, Lermontows, Nekrassows, Alexander Blocks, Majakowskis oder anderer Dichter lesen, so erkennen wir das Leben ihrer Zeit durch die von ihnen geschilderten Gefiihlserlebnisse und können uns die Men- schen vorstellen, die in ßolcher Weise fühlten und dachten. Vor uns tritt als lyrischer Held ein ganz bestimmter Menschentyp, der bei jedem der ange- führten Dichter seine unwiederholbare Eigenart hat; denn er spiegelt jene be- stimmten historischen Gegebenheiten wider, unter denen er entstand. Indem der Dichter jeweils das Typische seines eigenen Erlebens und seiner eigenen Situation zum Ausdruck bringt, vermittelt er eine Vorstellung von dem Typi- schen im allgemeinen Leben seiner Zeit und seines Landes. Engels hat seiner- zeit den Realismus als die Darstellung typischer Charaktere unter typischen Umständen definiert. Wir können sagen, daß das lyrische Gedicht durch menschliche Erlebnisse, die von der Wirklichkeit ausgelöst wurden, das Leben in seinen typischen Zügen realistisch und wahrheitsgemäß wiedergibt: Auf diese Weise kann also die Lyrik eine realistische Schilderung des Lebens geben, indem sie typische Erlebnisse unter typischen Umständen aufzeichnet, durch die wir uns die Charaktereigenschaften eines Menschen in einer be- stimmten historischen Situation vorstellen können. Untersuchen wir einmal von diesem Gesichtspunkt aus Puschkins bekanntes Gedicht »An Tschaadajew« (1818), das mit den Worten schließt:

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GORKI UND MAJAKOWSKI

Der Realismus in der Lyrik

In der Poesie. unterscheiden wir zwei Gattungen, die lyrische und dielyrisch-epische. Zur lyrisch-epischen Gattung gehören die Ballade, das Poemund der Versroman. Diese stellen Menschen und ihre Handlungen dar. DieMöglichkeit, ein realistisches Spiegelbild der Wirklichkeit in dieser oder jenerForm zu geben, ist darum für die lyrisch-epische Dichtung offensichtlich.

Schwieriger scheint auf den ersten Blick die Anwendung des realistischenPrinzips in der Lyrik. Sie hat weder ein bestimmtes Geschehen noch die aus-fuhrliehe Zeichnung eines menschlichen Charakters zum Thema. Wie kannaber dann der Lyriker ein realistisches Lebensbild entwerfen?

In der Lyrik werden die Erscheinungsformen des Lebens nicht unmittelbar,sondern durch die Beschreibung des von ihnen ausgelösten Gefiihlserlebnisseswiedergegeben. Aus dem, was ein Mensch fühlt, schließen wir auf das, wasseine Gefiihle hervorgerufen hat, und damit auf den Menschen selbst. Einlyrisches Gedicht weckt also bei uns die Vorstellung von einem ganz bestimm-ten Menschentypus und von ganz bestimmten Umständen, durch die seine Ge-fühle ausgelöst wurden, d. h. die Vorstellung von seinem Erleben. Nach diesemErleben beurteilen wir dann auch das Leben, das dem Menschen eben dieseund keine anderen Gefühle und Gedanken eingegeben hat. Wenn wir dielyrischen Gedichte Puschkins, Lermontows, Nekrassows, Alexander Blocks,Majakowskis oder anderer Dichter lesen, so erkennen wir das Leben ihrer Zeitdurch die von ihnen geschilderten Gefiihlserlebnisse und können uns die Men-schen vorstellen, die in ßolcher Weise fühlten und dachten. Vor uns tritt alslyrischer Held ein ganz bestimmter Menschentyp, der bei jedem der ange-führten Dichter seine unwiederholbare Eigenart hat; denn er spiegelt jene be-stimmten historischen Gegebenheiten wider, unter denen er entstand. Indemder Dichter jeweils das Typische seines eigenen Erlebens und seiner eigenenSituation zum Ausdruck bringt, vermittelt er eine Vorstellung von dem Typi-schen im allgemeinen Leben seiner Zeit und seines Landes. Engels hat seiner-zeit den Realismus als die Darstellung typischer Charaktere unter typischenUmständen definiert. Wir können sagen, daß das lyrische Gedicht durchmenschliche Erlebnisse, die von der Wirklichkeit ausgelöst wurden, das Lebenin seinen typischen Zügen realistisch und wahrheitsgemäß wiedergibt:

Auf diese Weise kann also die Lyrik eine realistische Schilderung des Lebensgeben, indem sie typische Erlebnisse unter typischen Umständen aufzeichnet,durch die wir uns die Charaktereigenschaften eines Menschen in einer be-stimmten historischen Situation vorstellen können.

Untersuchen wir einmal von diesem Gesichtspunkt aus Puschkins bekanntesGedicht »An Tschaadajew« (1818), das mit den Worten schließt:

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»Uns lockt der Ehre Himmelsschein,Der Freiheitsdrang reißt uns von hinnen -Laß uns dem Vaterlande weihnAll unser Streben, unser Sinnen!

Freund, sei getrost: Bald wirst du sehnDes Glückes Frühlingssonne schimmern!Das Volk erwacht beim Lenzeswehn,Und auf des Thrones morschen TrümmernWird unser Name leuchtend stehn!«>

Puschkin gibt hier keine genaue Schilderung der Leibeigenschaft und derWillkürherrschaft in Rußland zu Beginn des 19.Jahrhunderts, jedoch be-schreibt er konkret menschliches Erleben: die Aufforderung an den Freund,fürdie Freiheit zu kämpfen. Und wir begreifen, daß wir einen Menschen auseinem Land vor uns haben, in dem das'volk durch die Selbstherrschaft unter-drückt wird. Uns wird weiter klar, daß der Kampfgegen diese Selbstherrschaftim Namen der Freiheit geführt wird und daß er von der Liebe zur Heimat, dieder Dichter frei und glücklich sehen möchte, verursacht ist.

Nach dem vom Dichter dargestellten inneren Vorgang fällen wir infolge-dessen ein Urteil über das Leben, das dazu geführt hat. Die Lyrik liefert unsein Abbild der Wirklichkeit, indem sie zeigt, wie jene die Geisteswelt desMenschen beeinflußt. Dadurch hilft sie uns, die Wirklichkeit selbst und die fürsie charakteristische Struktur der menschlichen Gefühle und Gedanken zuerkennen.

Je tiefer und typischer der Dichter diese gestaltet, um so bedeutender istseine Lyrik und in um so größerem Maße finden wir in ihr die Darstellungtypischer Erlebnisse unter typischen Umständen.

Natürlich steht die Lyrik eines jeden Dichters in engem Zusammenhangmit der gegebenen historischen Situation. So hat Puschkin die Gedanken undGefühle des fortschrittlichen, revolutionären jungen Adels im beginnenden19. Jahrhundert, der Dekabristen, geschildert.

Unter den neuen geschichtlichen Bedingungen im Sowjetlande, wo dieWidersprüche zwischen Mensch und Gesellschaft beseitigt wurden, hat auchdie Lyrik einen neuen Charakter angenommen. Sie behandelt Erlebnisse, indenen die Harmonie zwischen dem Sowjetmenschen und seinem Land be-sonders überzeugend zum Ausdruck kommt.

Wenn sich Puschkins Patriotismus darin zeigte, daß er die Beseitigung dergegen das Volk gerichteten Zarenherrschaft ersehnte, so ist der Patriotismusder sowjetischen Dichter voller Stolz auf ihr Land, das die Träume der fort-schrittlichen Menschheit verwirklicht.

1 Entnommen aus: Alexander Puschkin, Gedichte und Poeme, SWA-Verlag, Berlin 1947,S. 28, übersetzt von Fiedler.

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Majakowski beschreibt in seinem Gedicht »Der Sowjetpaß« die Empfin-dungen des Sowjetmenschen, der voller Stolz aufsein Land ist:

»Mit welcher Gendarmkasten-Wollust,der dämmrigen,

würd man kreuzigen michmit dem Haßfluch

dafür,daß in meiner Hand

das hämmrige,das sichlige

Sowjet-Paßbuch ...Lest denn

voll Neid:als Bürger

bin ichder Sowjetunion zu achten.e+

In diesem Erlebnis werden die Empfindungen des sozialistischen Menschen,dessen Heimat das Land des Sozialismus ist, zutiefst realistisch ausgedrückt.Das ist sozialistische Lyrik.

Gorkis Einfluß auf Majakowski

Schon vor der Oktoberrevolution hat WIadimir Majakowski den Weg zurEntwicklung einer sozialistischen Lyrik beschritten.

Für die Prosa hatte Maxim Gorki bereits die neuen Prinzipien und Gestal-tungsformen gefunden. Er hatte Charaktere ganz neuer Menschen gezeichnetund den Blick auf die kommende Revolution gerichtet, in deren Licht derProzeß der gesellschaftlichen Entwicklung des 20. Jahrhunderts erst verständ-lich wurde. Mit außerordentlicher Schärfe hatte er die Gebrechen der altenGesellschaftsordnung aufgedeckt, die von der Revolution zerschlagen werdenmußte. Er hatte in die Literatur hineingetragen, was die alte Welt heuchlerischverbergen wollte. Er hatte die »bleischweren Scheußlichkeiten« dieser Weltenthüllt, indem er die Gesichter der Lumpenproletarier zeigte, die als lebendeBeispiele bewiesen, in welche Abgründe diese Welt den Menschen gestürzthatte. Er hatte aber auch in diesen Gesichtern die Züge der wahren Mensch-lichkeit entdeckt. Vor den gleichen Aufgaben stand die Poesie.

Um 1900 herrschte in der russischen Poesie eine zutiefst antirealistischeStrömung vor, der Symbolismus. Aus seinem Lager kamen erbitterte Angriffe

JMajakowski, »Aus vollem Halses, SWA-Verlag, BerIin, S. 161/162.

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gegen Gorki. Der Symbolismus predigte einen aristokratischen Individualis-mus, er rief die Dichter auf, sich aus der Welt der Wirklichkeit in eine vonder Wirklichkeit gelöste Phantasiewelt zu flüchten.

Wenn die besten und begabtesten Dichter dieser Richtung, Alexander Blockund Waleri Brjussow, auch dazu übergingen, die alte Welt abzulehnen, undsogar von der kommenden Revolution sprachen, so erkannten sie doch nochnicht die Züge der neuen Menschen, die das Prinzip der Revolution vertraten,ohne die man kein realistisches Bild der Zeit geben konnte. Die neue sozia-listische Lyrik, die auf dem Gebiet der Poesie die von Gorki in die Kunst des20. Jahrhunderts hineingetragenen Schaffensprinzipien durchgesetzt hat,wurde von Majakowski geschaffen. 1

»Genosse Konstantin« - so nannte man in der bolschewistischen Partei-organisation den jungen illegalen Propagandisten Wladimir Majakowski. Beider Ochrana, die ihn überwachte, hieß er »der Langes. Dreimal- 1908, 1909und 1910 - saß der junge Majakowski im zaristischen Gefängnis, und geradehier fühlte er die Kraft in sich, eine neue sozialistische Kunst zu schaffen, fühlteer die Berufung, die alten literarischen Formen zu zertrümmern, um einenneuen Inhalt ausdrücken zu können. In Erinnerung an die Gefängniszeit inMoskau schrieb Majakowski in seiner Autobiographie: »lch habe alle Neu-erscheinungen gelesen. Die Symbolisten Bely, Balmont. Das formal Neue beiihnen bestach mich. Doch es war mir fremd. Die Themen, die Gestalten sindnicht aus meinem Leben. Ich habe selbst versucht, ebenso gut, aber über etwasanderes, zu schreiben. Es stellte sich heraus, ebenso über etwas anderes - dasgeht nicht.« Was war nun das »andere«? Auf diese Frage gibt Majakowski klareAntwort: »Es verstärkt sich das Bewußtsein von der nahenden Revolution ...Ich werfe die Frage ,Thema' auf. Ein revolutionäres Thema. Ich denke über,Wolke in Hosen' nach.e In diesem Poem heißt es:

»Im Dornenkranz der RevolutionenNaht das Jahr neunzehnhundertundsechzehn.({

Wer sich Gorkis Legende vom jungen Danko erinnert, der sich das Herzaus der Brust riß, um seinem Volke den Weg zu erleuchten, der erkennt zweifel-los Majakowskis tiefe geistige Verwandtschaft mit Gorki. Wie Danko will derDichter des Poems »Wolke in Hosen« als rotes Banner sein blutrotes Herzemporheben.

Auch Gorkis Worte: »Ein Mensch - wie stolz klingt das!«wiederholt Maja-kowski in einer Variante seines Gedichtes »Krieg und Welt({:

»Mit Stolz tragt den Namen des Menschen.«

1 MajakowskisSchaffen werden Wir ausführlich in dem ihm gewidmeten Kapitel be-handeln. Hier berühren wir nur die Wechselbeziehungzwischen dem Schaffen Gorkis undMajakowskis,um Gorkis Schule innerhalb der Literatur des 20. Jahrhunderts besser zucharakterisieren.

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Gorki war der Lieblingsschriftsteller des jungen Majakowski. Es war ins-besondere seine Verbindung mit der revolutionären Bewegung, mit der bol-schewistischen Partei, die Majakowski das Herannahen der Revolution er-kennen und ihn die Ideen und Gestalten Gorkis aufgreifen ließ.

Nicht zufällig hat sich Gorki schon den ersten dichterischen SchöpfungenMajakowskis so aufinerksam zugewandt. Er spürte die Notwendigkeit neuerlyrischer Ausdrucksformen. »Rußland braucht einen großen Dichter«, schrieber. »Es gibt viele Talente ... Doch wir brauchen einen großen Dichter wiePuschkin, wie Mickiewicz l, wie Schiller. Wir brauchen einen Dichter, derDemokrat und Romantiker ist, denn wir, Rußland, sind ein junges demo-kratisches Land.«

Als 1915 die bürgerliche Kritik eine Hetzkampagne gegen Majakowski er-öffnete, trat Gorki zu seiner Verteidigung auf. »Er istjung«, schrieb er, »er isterst 20 Jahre alt ... Er wird gute, echte Gedichte schreiben.«

ImJuni 1915 traf Majakowski mit Gorki zusammen und las ihm sein Poem»Wolke in Hosen« vor. Gorki zog ihn zur ständigen Mitarbeit an seiner Zeit-schrift »Letopis« heran. 1916 wurde mit Gorkis Hilfe eine Sammlung von Ge-dichten Majakowskis herausgegeben und 1917 sein Poem »Krieg und Welt«veröffentlicht. Dieses Interesse Gorkis für Majakowskis Schaffen kam natürlichnicht von ungefähr. Gorki sah in Majakowski den großen demokratischen undromantischen Dichter, auf dessen Erscheinen er gewartet hatte. Diese Über-zeugung Gorkis war um so bedeutender, da in Majakowskis erster Schaffens-periode sein revolutionäres Fundament durch formalistische, nebelhafte Ge-stalten und Begriffe verdeckt war, d. h. durch Einflüsse einer Gruppe vonKünstlern und Dichtern, die sich Futuristen 2 nannten (die Brüder Burljuk,W. Chlebnikow, die Krutschonychs u. a.).

Was die Futuristen schrieben, war reiner Formalismus. Zwar lag im Futuris-mus ein Protest gegen die Verhältnisse im zaristischen Rußland. Aber dieserProtest erschöpfte sich in der Verneinung und hatte der von den Futuristenverhöhnten Ordnung nichts entgegenzustellen. In dem Individualismus derFuturisten offenbarte sich sogar dieselbe bürgerliche Kultur, die den Futuristenverhaßt war. So blieb der russische Futurismus im Endergebnis nur die Auf-lehnung einer gewissen Gruppe der künstlerischen Intelligenz, die zur echten.sozialen Bewegung, die Rußland die Befreiung brachte, keine Beziehung fand.

1Adam Mickiewicz (1798-1855), durch sein fundamentales Wirken bedeutendster pol-nischer Dichter, Zeitgenosse Goethes, bekannt mit Puschkin,Vertreter der revolutionärenRomantik, schufu. a. »Balladenund Romanzen«, sDziadye (IlAhnenfeier{<),das Epos IlKonradWaIlenrod«, das aus 12 Gesängen bestehende große ländliche Epos sPan Tadeusz« (,)Herr'Thaddäus«, deutsch 1836). (Die Red.)

B Der Futurismus (vom lateinischen ,)futurum{<= Zukunft) war eine literarische Strö-mung, die im Ausland und in Rußland einige Jahre vor dem ersten Weltkrieg Verbreitunggefunden hatte. Die Futuristen wollten in der Dichtung Neuartiges schaffen, suchten neueFormen für die schöpferische Arbeit.

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Das I)Rebellentum« der Futuristen war das Rebellentum der »Ritter auf eineStunde«,

Die Rufe nach einer Erneuerung, die aus der Mitte der Futuristen kamen,ihre Ablehnung allgemeingültiger Ansichten entsprachen in literarischer Hin-sicht auch den Erneuerungsbestrebungen des jungen Majakowski.

Allerdings »deckt sich eine Erneuerung durchaus nicht immer mit demFortschritte, bemerkt A. A. Shdanow. Die von den Futuristen angestrebte Er-neuerung aber war gerade nicht fortschrittlich.

Majakowskis Protest gegen die zaristischen Verhältnisse war bedeutendstärker. Er stützte sich auf die revolutionäre Schulung, die er genossen hatte.So überwand er sehr schnell die »Kinderkrankheit« des Futurismus.

Ungeachtet der gleichen Bezeichnung bestand zwischen dem westeuropäischen, haupt-sächlich in Italien verbreiteten Futurismus und dem russischenFuturismus ein sehr wesentlicherUnterschied.

Der Futurismus im Westen gab die Stimmungen der im höchsten Grad aggressiv imperia-listisch gesonnenen bürgerlichen Jugend wieder. Sie verherrlichte den Krieg, verkündete denKult der Maschine, stand dem gesamten Kulturerbe äußerst ablehnend gegenüber und vertrateine fornialistische Kunsttheorie. Dem Futurismus des Westenslag ein ungesunder bürgerlicherIndividualismus zugrunde. Die Futuristen predigten die Ungleichheit der Menschen ver-schiedener Rassen und waren somit Wegbereiter der faschistischen Theorien. In seinem 1909zu Paris veröffentlichten Manifest schrieb der Führer der italienischen Futuristen, Marinetti;~Wir wollen die Ohrfeige und den Faustschlag preisen .•• den Krieg verherrlichen als dieeinzige Gesundheitslehre der Welt •.. lobsingen den großen Ideen, die töten, und rühmendie Verachtung der Frau ••• Brandstifter mit geschwärzten Fingern mögen kommen ... Siesind da! Sie sind da! Zündet die Regale der Bibliotheken an! Laßt das Wasseraus den Kanälenin die Museumsgewölbe strömen! •.. Sollen die Fluten die berühmten Gemälde fortreißen!Greift zum Spaten und zum Hammer! Reißt die Fundamente der berühmten Städte nieder !«-·»DasTier soll uns Vorbild sein!«so hieß es in dem futuristischen Manifest, das ein ProgrammfaschistischerBanditen war. Kein Wunder, daß Marinetti einer der bedeutendsten Faschistenwurde. 1942 befand er sich bei den italienischen Truppen, die Stalingrad belagerten.

Wie sie alle Errungenschaften der Kultur außer der Technik ablehnten, so versuchten diewestlichen Futuristen auch den bisherigen Inhalt, die Ideen, Gestalten und Formen der Lite-ratur zunichte zu machen, indem sie die Literatur zu einem individualistischen Wortspielherabwürdigten, das nur dem Sprecher selbst verständlich war. Sie gaben die Losungen aus;»Freiheit für das Wort«, »Drahtlose Phantasiee und forderten unbeschränkte Freiheit derWortschöpfung, Ablehnung der Syntax, Einführung mathematischer Zeichen und Anwendungvon Lautmalerei in der Sprache u.a.m. - Der westeuropäische Futurismus war ein Vorboteder Verwilderung, die der Faschismus der Welt bringen sollte.

Der russische Futurismus war trotz gewisseräußerlicher Übereinstimmungen mit demFuturismus des Westens eine Erscheinung ganz anderer Art. Er war als literarische Strömungam Vorabend desersten Weltkrieges,viel später als der Symbolismus,entstanden. Die russischenFuturisten spürten deutlich das Nahen der gesellschaftlichen Krise in Rußland, empfandendie Scharfe der sozialen Spannungen, die zur Explosion geführt haben. Aber da sie zu dergesellschaftlichen Bewegung keine Verbindung hatten, sondern sich als Künstler in klein-bürgerlich engen Boheme-Zirkeln abkapselten, konnten sie ihre Unzufriedenheit mit demLeben weder in greifbare Formen kleiden noch einen Weg des wirksamen Kampfes gegenjeneWirklichkeit finden, deren Untragbarkeit siefühlten. Deshalb äußerte sich beiihnen ein eigen-artiger Protest gegen das Leben ihrer Epoche in der höhnischen Ablehnung der zeitgenössischen

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Ideen und Gestaltendes jungen Majakowski

Majakowski empfand deutlich, was ihn von den Futuristen schied. »InDavid«, so schrieb er über Burljuk, »ist der Zorn des Meisters, der die Zeit-genossen überholt hat. Ich dagegen habe die Begeisterung des Sozialisten, derweiß, daß die.Zertrümmerung des alten Plunders unvermeidlich ist.«

Eben dieses revolutionäre Grundelement in Majakowskis Verhältnis zumLeben hatte Gorki erkannt. Er hat einmal gesagt: »Eigentlich existiert keinFuturismus, sondern nur Majakowski. Ein Dichter. Ein großer Dichter.«

Majakowskis dichterische Tätigkeit begann 1909. In seinen Erinnerungenschreibt er, er habe im Gefängnis ein ganzes Heft Gedichte geschrieben, dochman habe es ihm abgenommen, und so sei es verloren gegangen.

Seine ersten Gedichte erschienen im Jahre 1912 in dem futuristischen Sam-melband »Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack«. Von 1912 bis zurOktoberrevolution schrieb er die bemerkenswerten Poeme »Wolke in Hosen«(1915), »Der Mensch« (1916) und »Krieg und Welt« (1916).

Nachdem der junge Majakowski in seinen ersten Gedichten dem futuristi-schen Einfluß seinen Tribut entrichtet hatte, griff er sehr bald Lebensfragenvon ernsthafter Bedeutung auf. Das Thema vom Leiden des Menschen, dieStimme des Humanisten begann zu erklingen.

Der Dichter kennt den Urheber der menschlichen Leiden. Es ist das Geld,»die goldpfotige Mikrobe«. Wie bei Gorki, so treten auch bei Majakowski zweieinander entgegengesetzte Gestaltenkreise in Erscheinung: die Menschen alsOpfer - und ihre Unterdrücker, die »Beherrscher des Lebens«, die Besitzer desGeldes.

Kultur, in der Bestrebung, sie zum Kampf herauszufordern, den üblichen Anstand zu ver-letzen und alle anerkannten gesellschaftlichen Werte für unsinnig zu erklären.

Diese russischen Futuristen trugen grellfarbige, durch ihre Extravaganz aufsehenerregendeKleidung (gelbe Frauenjacken usw.), schminkten sich, steckten sich statt Blumen Mohrrübenins Knopfloch und dergleichen mehr.

In ihrem Schaffen zielten sie vor allem darauf hin, den Spießer zu verhöhnen, ihm einespöttische Herausforderung ins Gesicht zu schleudern und sich über seinen Geschmackzu amü-sieren. Als DavidBurljuk ein futuristisches Bild gemalt hatte, tauchte er es in eine Pfütze,sch1eiftees die Straße entlang, überpinselte die anhaftenden Erdklümpchen und brachte esso zur Kunstausstellung. Da sie das wirkliche Leben ihrer Zeit nicht anerkannten, orakeltendie Futuristen, daß sder Traum der Nachkommen zum Dasein der ersten Wilden zurückfliege«(Chlebnikow). Sie verteidigten das Recht des Schriftstellers auf eine ssuperrationale Sprachee,d. h. ·aufvom Schriftsteller selber erfundene und nur ihm allein verständliche Wortgebilde :

»Weeomisangen die Blicke,Bobeobi sangen die Lippen,Pieeo sangen die Brauen,Lieeejei sang das Antlitz,Gsi-gsi-gseosang die Kette.s

(Chlebnikow)

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So fließt im Schaffen des jungen Majakowski wie bei Gorki die realistischeBetrachtung der von sozialen Gegensätzen zerrissenen Welt mit dem revolu-tionär-romantischen Protest gegen diese Welt zusammen.

Das bestimmt seine geistige Verwandtschaft mit Gorki. Diese Verwandt-schaft schließt selbstverständlich nicht die Originalität seines Schaffens aus.Er packt das realistische Thema vom tragischen Leiden des Menschen, dasrevolutionäre Thema in mehr allgemeiner romantischer Form ohne die fürGorki charakteristische Konkretisierung an. Diese Unterschiedlichkeit ändertjedoch nichts an der entscheidenden grundsätzlichen Schlußfolgerung, daßMajakowski in der breiten literarischen Bewegung, an deren Spitze Gorkistand, einen hervorragenden Platz einnahm.