Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in...
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Grundlagen der Programmarbeit
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Themen des Jahres
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Das Jahr 2010 war ein Jahr des Umbruchs in der Medienbranche. Es war damit auch ein Schlüssel-jahr zum Beginn eines neuen Jahrzehnts mit ein-schneidenden Veränderungen. Fernsehen und In-ternet werden zusehends verschmelzen. Fernse-hen wird Teil eines deutlich größeren Markts. Es wird auch Teil eines neuen Ökosystems digitaler Kommunikation. Die Digitale Revolution macht Ernst. Geltende Gewohnheiten der alten Fernseh-welt werden fast ins Grenzenlose erweitert. Dar-aus ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, aller-dings auch neue Probleme. Während an den Stellschrauben des globalen Medienmarkts mächtig gedreht wird, darf das Fernsehen seinen zentralen gesellschaftlichen Kernpunkt nicht aus dem Auge verlieren:
2010 war das Jahr, in dem sich der Internet- riese Google anschickte, noch größer zu wer-den und auch den Inhalte-Markt des TV zu ero-bern. Auf der Suche nach entsprechenden Be-wegtbildern wurde ein erster Großangriff auf etablierte Inhalte-Anbieter gestartet. Das Ziel: als Internetportal im Netz die Definitionshoheit über das Fernsehen zu erringen, um möglichst die gesamte Distributionskette in eigener Hand zu haben. Auch wenn der neue Markteintritt zum Internetfernsehen nicht auf Anhieb ge-lungen ist, ist doch der Kampf eröffnet und das Szenario absehbar: Wenn die Bildschirme der neuen Generation schon in Kürze internetfähig standardisiert sind, verändern sich Fernseh- und Internetangebot automatisch. Man wird Netz und Schirm zusammen bald ähnlich ein-fach bedienen können wie das klassische Fernsehen. Ist der Angriff siegreich, kann die Suchmaschine zum gigantischen Staubsauger für sämtliche Inhalte werden. Das Problem: Klassische Sender und etablierte Programm-
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Macher drohen mit ihren publizistischen Mar-ken auf den Listen des algorithmischen Such-laufs unter »ferner liefen« zu verschwinden.2010 war auch das Jahr, in dem das iPad den Markt neu aufgemischt hat: Das flache, leichte Tablet ist E-Reader, Spielekonsole und Arbeits-rechner in einem. Mithilfe von Apps vereinigt es das Beste aus den Print-, Online-, Video- und Spielewelten im Kleinformat. Es ist das erste Gerät, das auf der Couch die Zeitung ersetzen kann. Zur praktischen Handhabung und Ver-marktung der neuen Nutzungsmöglichkeiten ist es Apple mit seinem App-Store gelungen, die Gratiskultur im Internet zu verändern: Die relativ einfach geregelte Einkaufsstruktur des Billings kann auch in der breiten Masse rei-bungslos funktionieren. Ein neues Geschäfts-modell zeichnet sich ab. So bezeichnen deut-sche Medienhäuser das iPad schon heute als die wichtigste Innovation der digitalen Zeit. Das Problem hier: Wie verhält sich ein öffentlich-rechtlicher Inhalte-Anbieter mit seiner bereits gebührenfinanzierten, also bezahlten »Ware« in einem offensiv, ja aggressiv expandierenden Markt allgegenwärtiger Bewegtbilder?2010 war schließlich auch das Jahr des Durch-bruchs von Social Media. Das Schlagwort des Jahres hat die gängigen Vorstellungen von Kommunikation komplett auf den Kopf gestellt. Als scheinbar »soziale« Kommunikation steht Social Media in Wirklichkeit für eine hoch indi-viduelle, sehr persönliche, meist subjektive Kommunikation mit all ihren Bedingtheiten und auch Belanglosigkeiten. Fachleute schätzen, dass die Sozialen Netzwerke das Internet tief-prägender verändern als alles, was wir bisher erlebt haben. Mit 500 Millionen »Fans« vereinigt Facebook als netzbasierte Kommunikations-zentrale bereits im Jahr 2010 – mit stark stei-
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Markus SchächterIntendant des ZDF
Umbruch, Aufbruch, Durchbruch2010 – Ein Schlüsseljahr auf dem Weg in die digitale Welt
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gender Tendenz – mehr Menschen, als Ge-samteuropa Einwohner hat. Dabei entsteht durch die Verknüpfung von persönlicher Kom-munikation und massenmedialer Nutzung auf einer einzigen Plattform nicht nur eine Art zweites Netz, sondern quasi ein personalisier-tes Massenmedium mit einem gesellschafts-politisch nicht zu unterschätzenden Potenzial. Das Problem für uns: Mit seiner nahezu flä-chendeckenden Individualkommunikation be-droht Social Media die klassischen Formen und Formate der Massenkommunikation, also jener eigentlichen »sozialen«, gesellschaftsori-entierten Kommunikation, bei der das Fernse-hen traditionell Leitmedium war und es ist.
Internetfernsehen, App-Store und Social Media sind drei exponierte Beispiele einer neuen Ära, in der die digitale Welt des Netzes unsere Fernseh-welt auf unterschiedliche Weise erreicht, bedrängt, verändert, ja stellenweise umstürzt. Dabei geht es weniger um eine äußerliche Umschichtung von Marktanteilen, sondern um eine substanzielle Um-strukturierung von Massenkommunikation. Die Zeiten des gewohnten Sendesystems »One to many« sind weitgehend vorbei. Im integrierten Hybridfernsehen aus Netz und Schirm entste-hen neue Angebotsformen und Nutzungsstruktu-ren: Die User sind längst keine bloßen Empfänger mehr, sondern suchen ihrerseits das Gespräch mit den Sendern, aber auch mit anderen »Emp-fängern« – kommentierend, kritisierend, reflektie-rend, bewertend, aber auch ergänzend und vor allem weiterempfehlend. So können die »heute«-Nachrichten bereits während der Ausstrahlung auf der gleichen Bildschirmseite von Nutzern ex-tern weiter»verarbeitet« werden. So kann Face-book für Dritte aus der Fan-Community zu einem neuen Portal für ZDF-Programme werden, die von ihnen sonst niemals eingeschaltet würden. Aller-dings ist man damit auch nicht mehr alleiniger Kontaktgeber und Türöffner für das eigene Pro-gramm. Folglich muss sich auch unsere Ange-
botsstruktur ändern, muss die Ansprache diffe-renzierter und individueller werden, auch wenn der öffentlich-rechtliche Anspruch natürlich ge-samtgesellschaftlich, sprich: integral, bleibt.
Doch nicht nur der globale Markt hat im Jahr 2010 die Wettbewerbslage und die eigene Positionie-rungsfrage weiter zugespitzt. Auch die nationalen Marktentwicklungen und Rahmenbedin-gungen haben sich strukturell verändert:
2010 war das Jahr, in dem die kommerzielle TV-Konkurrenz in Deutschland ihr erfolg-reiches Comeback gefeiert hat: RTL ist zurück. Es hat – trotz Supersportjahr für die Öffentlich-Rechtlichen mit den Olympischen Winterspie-len in Vancouver und der Fußball-Weltmeister-schaft in Südafrika – seit 2003 erstmals wieder die Marktführerschaft übernommen. Der plan-mäßige Erfolg ist das Ergebnis einer ebenso radikalen wie konsequenten, sprich: unterhal-tungsorientierten, unterhaltungsdominierten Programmstruktur mit einer homogenen, quasi eindimensionalen Zuschaueransprache, also mit einem geringen Publikumsaustausch über den Tag hinweg. Die Konsequenz für uns: Das öffentlich-rechtliche Programmangebot ist als mehrdimensionaler Vielfaltsgarant gerade in Zeiten eines forcierten digitalen Wettbewerbs unverzichtbar gefordert.Bei einem gleichzeitig rasanten Anstieg des Marktvolumens im Bereich der Fernsehwer-bung kann man auch wirtschaftlich von einer Renaissance des Privatfernsehens sprechen. In diesem Kontext war Sat.1 vor allem damit beschäftigt, seinen immensen Schuldenberg zu reduzieren und seinen Aktienkurs zu stabili-sieren. Zusammen mit ProSieben, aber ohne den verkauften Nachrichtenkanal N24, kam es zu einer massenattraktiven Programmierung unter weitgehendem Verzicht auf journalisti-sche Konzepte. So betrachtet, beleben die kommerziellen Vollprogramme von heute viel-
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leicht das Geschäft, jedoch weniger den publi-zistischen Wettbewerb. Die Konsequenz hier: Der gesellschaftliche Programmauftrag ist und bleibt im Bereich der elektronischen Medien nach Umfang, Inhalt und Vielfalt, nach Qualität und Stabilität eine öffentlich-rechtliche Domäne.Im Printbereich hat das Jahr 2010 den Optimis-mus in die Zeitungs- und Zeitschriftenbran-che zurückgebracht nach dem Motto: »Print is back, Print war nie weg.« Die Verleger spre-chen – ähnlich wie die Gesellschafter und Ei-gentümer der kommerziellen Sender – von re-kordverdächtigen Bilanzzahlen. Mit dem Vor- und Kennzeichen des Internetzeitalters trifft das Kunstwort »i-Phorie« genau das neue Hochgefühl der Printbranche. Nach dem Hor-rorjahr 2009 schauen die deutlich erholten Ver-lage nahezu »euphorisch« in die digitale Zu-kunft. Durch das Internet ist auch ihre eigene Branche variabler, multifunktionaler, wettbe-werbsstärker und damit zukunftsfähiger gewor-den. In diesem Entwicklungs- und Erwartungs-korridor kaum nachvollziehbar ist die völlig un-begründete Angst einiger Verleger vor den elektronischen Textangeboten von ARD und ZDF, die auf diesem Feld eine geradezu margi-nale Größe darstellen. Das vom ZDF-Fernseh-rat in Auftrag gegebene Goldmedia-Gutachten vom Frühjahr 2010 hatte bestätigt: Ein Verzicht auf öffentlich-rechtliche Onlineangebote würde sich, selbst im größten betroffenen Werbe-markt, dem für Onlinenachrichten, mit margina-len 0,433 Prozent auswirken, wäre also für die Konkurrenz kaum wahrnehmbar. Mit dem Abschluss des Drei-Stufen-Tests durch den Fernsehrat war das Jahr 2010 auch für das ZDF von richtungsweisender Bedeu-tung. Es hat künftig Orientierungs- und Pla-nungssicherheit für seine Onlineangebote, also für das mediale Miteinander im Netz in der bis-herigen Grauzone zwischen Bild und Text. Wir wissen nunmehr, in welchem Umfang wir uns in
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der digitalen Welt auf dem Boden unseres Funktionsauftrags und im Rahmen unseres Te-lemedienkonzepts bewegen können. Alle ak-tuellen Onlineangebote sind fortan konkret be-auftragt und rechtlich abgesichert. Die Weichen sind gestellt und die Wegweiser für eine erfolg-reiche Ansprache auch jüngerer Netznutzer beschriftet. Dies ist die gute Nachricht. Die schlechte muss jedem neutralen Beobachter als nahezu grotesk, jedenfalls als widersinnig erscheinen: So mussten alleine im ZDF rund 110 000 Textseiten mit zum Teil zeitgeschicht-lich wertvollen Dokumenten aus dem Netz ge-löscht werden. Solche Depublizierung zeigt, dass es auch Grenzen gibt im vermeintlich grenzenlosen, omnipräsenten und ubiquitären Netz. Sie verstoßen eigentlich sogar gegen dessen Prinzip einer denkbar vielfältigen Offen-heit. Und so spricht es für den Wert der Inhalte, dass bestimmte Nutzergruppen versuchen, gelöschte oder bedrohte Inhalte wieder ins Netz zurückzuholen oder auf anderem Wege zu sichern. Auch wenn dies illegal geschieht, scheint es doch zu bestätigen: Das Netz hat seine eigene Logik. In ihm geht nichts verloren. Einmal Netz, immer Netz.Schließlich hat das ZDF, hat das öffentlich-rechtliche System auch durch die Neuordnung der Rundfunkfinanzierung für seine wirt-schaftliche Zukunft Sicherheit erlangt: Ende 2010 haben die Ministerpräsidenten die Re-form der Rundfunkfinanzierung beschlossen. Sie war durch die Flut neuer multifunktionaler Endgeräte unumgänglich geworden. Ab dem 1. Januar 2013 wird es statt der bisherigen ge-rätebezogenen Rundfunkgebühr nur noch einen geräteunabhängigen Wohnungs- und Betriebsstättenbeitrag geben. Das neue Bei-tragsmodell ist gegenüber der Erosion des alten Systems alternativlos. Es ist einfacher, ef-fektiver und gerechter. Es entspricht sowohl dem technologischen Fortschritt wie auch der vom Verfassungsgericht immer wieder be-
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tonten Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Somit ist es auch ein tragfähiger Stabilisator für unsere finanzielle Basis: Es macht uns zwar nicht reicher, aber es soll uns auch nicht ärmer machen, sondern solider, belastbarer und damit zukunfts- sicherer.
Alles zusammengenommen, war das Jahr 2010 mit seinen weichenstellenden und wegweisenden Umbrüchen auch ein Jahr des Aufbruchs: Es hat die Medienbranche in eine neue Umlaufbahn ge-bracht. Die Korridore einer künftigen Kommunika-tion haben an Kontur gewonnen. Die massiven Veränderungen schlagen Breschen, setzen Zei-chen. Damit die Zeichen nicht zum Menetekel an der Wand werden, hat das ZDF bereits vor einigen Jahren proaktiv seinen Transformationsprozess auf den Weg gebracht. Das Konzept mit dem Kurznamen »Trafo 2012« hat ein ambitioniertes Ziel: den Umbau des alten, vergleichsweise sta-tischen Einkanalsystems »ZDF« zu einem wettbe-werbsfähigen Multimediahaus mit digitaler Dyna-mik. Der Umbau betrifft das gesamte Haus, auf allen Ebenen. Drei Maßnahmen sind dabei von entscheidender strategischer Bedeutung und sol-len schon im Jahr 2011 weitgehend umgesetzt sein:
Auf der konzeptionellen Ebene muss das ZDF künftig strukturell beziehungsweise infrastruktu-rell, dazu technisch, organisatorisch und pro-grammlich auf allen erforderlichen Plattformen präsent sein, sprich: über die passenden Kanäle und Portale seine Inhalte ebenso zielgerichtet wie zielgerecht an die Nutzer bringen. In einer umsich-tigen und umfassenden 360-Grad-Strategie geht es um eine crossmediale Produktions- und Ver-wertungskette, die auf zeitgemäße Weise konse-quent und systematisch das öffentlich-rechtliche Leitziel verfolgt, als »Rundfunk für alle« auch im digitalen Zeitalter möglichst die Gesamtgesell-schaft zu erreichen.
In dieser Absicht ist das Hybrid Broadcast Broadband TV, kurz: HbbTV, ein zukunftswei-sendes Projekt: Es ist der Versuch europäischer Fernsehveranstalter – mit maßgeblicher Beteili-gung des ZDF –, der früher oder später erfol-genden Landnahme von Google- oder Apple-TV durch die technische Alternative eines offenen eu-ropäischen Hybridsystems Grenzen zu setzen. Das auf der IFA 2010 in Berlin vorgestellte Kon-zept bietet standardisierte Möglichkeiten, alleine mit der Fernbedienung, also ohne Tastatur und Maus, Fernsehinhalte und Internetangebote zu verknüpfen. Es zielt dabei bewusst nicht auf eine Interaktivität der Massen, sondern auf eine opti-mierte Interaktivität im traditionellen Kontext eines TV-Programms. Es ist somit der einfachere, lo-gischere und deshalb vielleicht gangbarere Weg in eine digitale Zukunft, in der die Medienwelt nicht alleine den Marktgiganten überlassen werden darf.
Ein bereits etabliertes Grundelement einer sol-chen Synthese oder Symbiose ist die ZDFmedia-thek als Flaggschiff unserer digitalen Zusatzan-gebote. Mit durchschnittlich 23,35 Millionen Sich-tungen pro Monat hat sie im Jahr 2010 eine Nutzungssteigerung von 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr erreicht. Die dadurch gewonnene Er-fahrung und Erkenntnis, dass das Abruffernsehen für die Zuschauer deutlich an Bedeutung gewinnt, hat das ZDF veranlasst, im Jahr 2011 die Media-thek auch als App-Angebot für alle gängigen mo-bilen Endgeräte zu präsentieren. Dabei sind uns einige Zuschauer sogar ein Stück zuvorgekom-men, indem sie bereits eigene Apps für den Zu-griff auf ZDF-Programme selbst installiert haben. Nicht nur die Mediennutzung ist interaktiv, son-dern auch die Medienentwicklung.
Ein dritter substanzieller Baustein unserer Trans-formationssystematik ist die verbreitungstech-nische Diversifikation unserer Inhalte durch digi-tale Kanäle und nichtlineare Portale. Längst ist die
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zusehends fragmentierte Gesellschaft nicht mehr über ein einziges Hauptprogramm zu erreichen. Darum hatten wir Ende 2009 die Babylonische Gefangenschaft des Einkanalsenders verlassen und unseren vormaligen Dokumentationskanal zum neuen Digitalkanal ZDFneo umgestaltet. Komplementär zum Hauptprogramm ist ZDFneo mit über 30 eigenen Formatinnovationen und über 50 weiteren Synergieprojekten ein qualitätsvolles und innovatives Programmangebot für jüngere Zuschauer. Als Synergie- und Kreativkanal, als In-novations- und Entwicklungsmotor ist er innerhalb von nur zwölf Monaten zu einem sowohl beim Pu-blikum wie auch in der Publizistik außerordentlich neugierig und freundlich aufgenommenen Zu-kunftsmodell geworden. Mit seinen beachtlichen Zugewinnen im Digitalmarkt liegt ZDFneo quoten-technisch deutlich vor allen anderen Digitalkanä-len von ARD und ZDF und spielt als »Aufsteiger des Jahres« bereits in einer Liga mit Sendern wie EUROSPORT oder n-tv, die seit über 20 Jahren auf dem Markt sind.
Der Weg, der mit ZDFneo begonnen wurde, wird 2011 Schritt für Schritt konsequent fortgesetzt: Wie die Synergien der Programmdirektion für ZDFneo sinnvoll verwertet und kreativ weiterent-wickelt wurden, wird auch die Chefredaktion im Falle von ZDFinfo sowie die 3sat/ARTE-Direktion mit ZDFkultur verfahren. Dabei entstehen in den Nischen der Digitalkanäle Talenträume für das ganze Haus, die dann auch ins Hauptprogramm zurückstrahlen. Nach erfolgreicher Transformation soll das ZDF 2012 als Programmfamilie für das Digitalzeitalter gerüstet sein: eine homogene Ein-heit in differenzierter Vielfalt.
All dies kostet Geld, allerdings kein zusätzliches: Die neuen Digitalkanäle sollen aus dem Bestand finanziert werden. Da man Geld allerdings immer nur ein Mal ausgeben kann, müssen Prioritäten gesetzt werden. Entsprechend wird in einer strik-ten hausinternen Priorisierungsdiskussion
genau definiert, auf was wir künftig verzichten, um das, was wir machen müssen, auch solide finan-zieren zu können. Dabei geht es um Sendeplätze und ihre finanzielle Ausstattung, um die dazu nöti-gen Konzepte und Investitionen, um größere Syn-ergiepotenziale und nicht zuletzt um Einsparmög-lichkeiten. Unser Haushalt 2011 ist auf Kante ge-näht. Wir sind an der Grenze unserer ökonomischen Flexibilität angekommen. Dennoch bleibt bei allem Aufbruch in Zeiten des Umbruchs unsere Maxime bestehen: Das ZDF will und wird am Ende der Gebührenperiode eine schwarze Null schreiben und damit als eines der wenigen Fernsehhäuser in Europa schuldenfrei bleiben.
Das Priorisierungskonzept belegt, dass es insge-samt nicht um Expansion geht, sondern um Wer-tigkeiten und Wichtigkeiten inhaltlicher Art: Pro-gramminhalte sind das entscheidende Priorisie-rungskriterium einer öffentlich-rechtlichen Programmfamilie. So nehmen wir aus allen Neue-rungen des Umbruchjahres 2010 dann doch die alte Gewissheit mit: Der Inhalt zählt – »Content matters.« Hier liegt unser Vorteil und unser Mehr-wert als Inhalte-Profi gegenüber den technik- und profitgetriebenen »Global Players«. Und hierin wer-den wir uns gemäß unserem Gesellschaftsauftrag stets von allen nationalen wie internationalen Ge-schäftsmodellen unterscheiden. Dabei werden wir uns auch weiterhin von der kommerziellen Konkur-renz im eigenen Land abheben: Wir werden Fehler aus den 90er Jahren nicht wiederholen, als wir mit »Me too«-Imitaten unseren eigenen Erfolg zu stabi-lisieren suchten. Mit einem neuen Programmsche-ma setzen wir 2011 noch exponierter auf die drei Kernkompetenzen des »Public Service«: auf um-fassende Information mit Hintergrund, auf orientie-runggebenden Service und auf hochwertiges, zeitgemäßes Erzählfernsehen von gesellschaft-licher Relevanz. Das heißt: Wir müssen nicht nur technisch und strategisch, sondern vor allem auch inhaltlich auf der Höhe unserer schnelllebigen Zeit bleiben und den rat- oder orientierungsuchenden
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Menschen von heute mehr denn je ein zuverläs-siger Wegweiser sein und bleiben.
Wie erfolgreich wir dabei sind, sagt uns längst nicht mehr die klassische Quote. Wir begegnen unseren Zuschauern, im Unterschied zu früher, als Kunden und immer weniger als »Masse«. Er hat einen individuellen Zeitplan, der sich auch immer weniger nach einem fixen Programmschema rich-tet. Und er sitzt kaum mehr im Wohnzimmer auf der Couch, sondern ist ständig unterwegs, mobil mit mobilen Endgeräten. Wir müssen auf ihn zu-gehen und ihn abholen, wo immer er sich gerade befindet. Dabei verschieben sich einige Parame-ter erheblich: Fast ein Drittel der Nutzung unserer Satire »Neues aus der Anstalt« findet bereits zeit-versetzt statt, also auch mittels Wiederholungen auf anderen Kanälen oder online mithilfe der ZDF-mediathek. Dort hatten alle Ausgaben des Jahres 2010 zusammen 3,22 Millionen Abrufe, die »heute-show« sogar 4,27 Millionen. Damit belegen die beiden Satire-Hits im Netz nicht nur obere Plätze, sondern bestätigen auch, dass dort ein anderes Ranking stattfindet als auf dem Bildschirm.
Dies bedeutet: Der Quotenerfolg eines Programms hängt nicht alleine vom Programm selbst ab, son-dern maßgeblich auch vom Medium, über das es verbreitet wird. Die Quote des ZDF-Hauptpro-gramms – das nach wie vor der Kern- und Schwerpunkt unseres Angebots bleibt – besagt, für sich genommen, nur bedingt etwas über den Erfolg der Marke »ZDF«. Man wird TV-Erfolge künf-tig nicht separat bewerten, sondern muss das ge-samte Netzangebot ins Auge fassen. Das bedeu-tet weiter: Ein nächster Umbruch zeichnet sich in Form einer neuen Quotendiskussion mit neuen Koordinaten ab. Wenn durch die Vielzahl der Ka-näle und durch die Vielfalt des Angebots die Quote klassischer Hauptprogramme zwangsläu-fig sinkt, kann die Programmfamilie sehr wohl da-zugewonnen haben.
Dabei geht es nicht um eine neue Additionsakro-batik, sondern um den eigentlichen öffentlich-rechtlichen Auftrag. Er wäre klassisch verfehlt, wenn man sich mit der Erkenntnis begnügte: Fernsehen als Teil des Netzes fördert und forciert durch sein Vielfaltsangebot die Fragmentierung unserer Gesellschaft, sprich: den »Digital Divide«. Dies wäre geradezu kontraproduktiv ohne die zweite Erkenntnis: Das Netz schafft gleichzeitig neue Wege, um dem Integrationsauftrag für die Gesamtgesellschaft zielgerichteter denn je nach-zukommen. Aus der herkömmlichen Einkanal-struktur »One to Many« wird die neue Distribu-tionsstruktur »Few to Many«. Von der Ausspiel-basis der Senderfamilie aus sollen über »einige« Verteilwege »viele« Menschen, am liebsten »alle«, erreicht werden. Der »Rundfunk für alle« muss auch, und gerade im digitalen Zeitalter der Globa-lisierung, in möglichst allen Gesellschaftskreisen ringsum ankommen. Seine Technik ändert sich, auch seine Struktur ändert sich, aber sein Auftrag bleibt. Er muss – so eine alte sizilianische Weisheit – sich ändern, um zu bleiben, was er ist.
Vor diesem Hintergrund haben wir im ZDF die klassische Balance zweier unterschiedlicher, zu-weilen gegenläufiger Legitimationen neu zu justie-ren: die Legitimation einerseits durch publizisti-sche Relevanz gegenüber einem kommerziell do-minierten Markt; und die Legitimation andererseits durch gesellschaftliche Akzeptanz als gebührenfi-nanziertes »Massenmedium« auf eben diesem Markt. Die Messlatte für den öffentlich-rechtlichen Programmerfolg liegt entsprechend hoch: Wir laufen mit jedem Sendetag neu auf sie zu. Wir müssen uns bei diesem Anlauf gleichzeitig 360 Grad um die eigene Achse drehen, ohne die eige-ne Orientierung zu verlieren. Hinter den täglichen Etappenzielen steht die Gesamtausrichtung auf die hoch komplexe digitale Welt. Für den Weg dorthin sind unsere Wegweiser neu und leserlich beschriftet.
I 17Rundfunkbeitrag statt Rundfunkgebühr
Der Weg von einer geräteabhängigen Rund-funkgebühr zu einem geräteunabhängigen Rundfunkbeitrag war lang und nicht frei von Hindernissen. Aber er musste gegangen wer-den, weil die Zukunft des öffentlichen-recht-lichen Rundfunks dauerhaft gesichert werden muss.
Früher war alles ganz einfach, zumindest in der Medienpolitik: Es gab die Zeitung, die man las, es gab das Radio, das man hörte, und es gab das Fernsehen, das man – bis 1967 sogar nur schwarz-weiß – schaute. Das Sender-Empfänger-Modell war die feste Grundlage der Rundfunkpolitik.
Heute ist nicht mehr alles ganz so einfach, zumin-dest in der Medienpolitik. Denn durch den völligen Strukturwandel in den Medien – bedingt durch die Digitalisierung und das Internet – konvergiert alles: Technik und Inhalte, Formate und Institutio-nen. Grenzen werden verwischt, Funktionen vermischt.
Auch im Hinblick auf die Rundfunkgebühr war frü-her alles ziemlich unproblematisch: Wer ein Radio- gerät hatte, zahlte die so genannte Grundgebühr, wer ein Fernsehgerät hatte, zahlte die Fernsehge-bühr; beides zusammen ergab die Rundfunkge-bühr. Aber das, was jahrzehntelang unproblema-tisch war, wurde durch die schleichende tech-nische Konvergenz problematisch, denn es gab immer mehr Endgeräte wie Computer oder Han-dys, über die Radio und Fernsehen, also Rund-funk, empfangen werden konnte. Der klare An-knüpfungspunkt für die gute alte Rundfunkgebühr, nämlich das Radio- und Fernsehgerät, wurde un-scharf. Der Rundfunkgesetzgeber, die Länder, mussten nun der technischen Konvergenz im wahrsten Sinne des Wortes Rechnung tragen.
Im Jahr 1999 reagierte der Gesetzgeber erstmals mit einer Moratoriumslösung: Für Rechner, die Rundfunkprogramme ausschließlich über das In-ternet wiedergeben können, mussten keine Ge-bühren bezahlt werden. Diese Regelung wurde im Jahr 2007 abgelöst von einer Regelung, die zwi-schen »herkömmlichen« und »neuartigen« Rund-funkempfangsgeräten unterschied. Klar war aber, dass das nur eine Zwischenlösung sein konnte, zumal die Unterscheidung zwischen herkömm-lichen und neuartigen Rundfunkempfangsgeräten immer schwieriger wurde. Hinzu kam, dass der zwischenzeitlich gefundene Kompromiss, für neu-artige Rundfunkempfangsgeräte nur die Grund-gebühr zu erheben, absehbar nicht mehr zu halten war und die Gebührenpflicht für den PC rechtlich angegriffen wurde. Dutzende von Verwal-tungsgerichten beschäftigten sich mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen mit der Frage, ob geräteabhängige Anknüpfungspunkte für die Rundfunkgebühr noch tragen. Und auch, wenn diese Frage vor dem Bundesverwaltungsgericht höchstrichterlich entschieden wurde, hat das Ge-richt doch an den Gesetzgeber appelliert, sorg-sam zu prüfen, wie lange ein geräteabhängiger Anknüpfungspunkt noch trägt. Parallel dazu geriet die – notwendige – Arbeit der Gebühreneinzugs-zentrale des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (GEZ) und die Arbeit der so genannten Gebühren-beauftragten der Rundfunkanstalten zur Durchset-zung der Gebührenpflicht immer mehr in die Kritik, obwohl immer mehr Menschen das Rundfunkan-gebot annehmen, ohne dafür die Rundfunkgebühr zu entrichten.
Im Juli 2010 haben sich die Ministerpräsidenten der Länder für einen Wechsel von der geräteab-hängigen Rundfunkgebühr hin zu einem gerä-teunabhängigen Rundfunkbeitrag entschieden
Rundfunkbeitrag statt RundfunkgebührWie die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesichert wird
Kurt BeckMinisterpräsident des Landes Rheinland-Pfalz/Vorsitzender des Verwaltungsrats des ZDF
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und Eckpunkte zur Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks formuliert. Diese Eckpunkte waren klar: Erstens: Das sehr komplizierte Rundfunkgebührenrecht sollte ver-einfacht und für den Bürger verständlicher wer-den. Zweitens: Die mit dem Gerätebezug verbun-denen Kontrollnotwendigkeiten sollten deutlich re-duziert und die Arbeit der Gebührenbeauftragten mit Nachfragen an der Wohnungstür nach Mög-lichkeit überflüssig gemacht werden. Drittens: Kaum noch plausibel zu erklärende Gebührentat-bestände sollten abgeschafft und durch klare, einfache Regeln ersetzt werden. Viertens: Alle Än-derungen sollten aufkommensneutral erfolgen.
Die verfassungsrechtlich fundierte Grundlage für den Modellwechsel lieferte Professor Paul Kirch-hof. Er sieht in der Annahme des Gesetzgebers, dass jeder Privathaushalt in einer Wohnung grund-sätzlich eine Empfangsgemeinschaft bildet und
jede Betriebsstätte typischerweise von dem Sen-deangebot der Rundfunkanstalten erreicht wird, eine sachgerechte und verfassungsrechtlich ver-tretbare Entscheidung. Mit dem neuen Modell eines Rundfunkbeitrags wurden die von den Mi-nisterpräsidenten der Länder formulierten Ziele weitestgehend erfüllt.
Der Weg von der jahrzehntelang gültigen, gerä-teunabhängigen Rundfunkgebühr hin zu einem geräteunabhängigen Rundfunkbeitrag, der ab dem Jahr 2013 die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern wird, war lang und nicht frei von Hindernissen. Aber ich halte ihn für richtig und notwendig, denn er führt zu einer zu-kunftsfähigen Finanzierung des öffentlich-recht-lichen Rundfunks, zu dem es im so genannten Dualen Rundfunksystem, dem geordneten Ne-beneinander von Öffentlich-Rechtlichen und Pri-vaten, keine Alternative gibt.
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Seit Jahrzehnten wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland im Wesentlichen und vorrangig über die Rundfunkgebühr finanziert. Gebührenpflichtig ist, wer unabhängig von der tatsächlichen Nutzung ein Rundfunkempfangsge-rät zum Empfang bereit hält. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Finanzierung durch Rundfunkgebühren die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemäße Form der Finanzierung. Sie dient der Gewährleis-tung seiner Funktionsfähigkeit in einer durch den Dualismus von öffentlich-rechtlichem und priva-tem Rundfunk geprägten Rundfunkordnung. Die Gebührenfinanzierung soll eine weitgehende Ab-koppelung der Funktionsbedingungen des öffent-lich-rechtlichen Rundfunks vom ökonomischen Markt bewirken und dadurch sicherstellen, dass sich die öffentlich-rechtlichen Programme primär an publizistischen Zielen, insbesondere denen der Vielfalt, orientieren und nicht in Abhängigkeit von Einschaltquoten und Werbeaufträgen geraten.
Die Gebührenfinanzierung ist in letzter Zeit aller-dings zunehmend infrage gestellt worden. So hat besonders die Gebührenpflicht für »Neuartige Rundfunkgeräte«, insbesondere für internetfähige Personalcomputer, Zweifel darüber aufkommen lassen, ob die Anknüpfung der Gebührenpflicht an das Rundfunkempfangsgerät nicht durch die technische Entwicklung überholt ist. Vielen Ge-bührenzahlern, aber auch einigen erstinstanz-lichen Verwaltungsgerichten war nicht mehr zu vermitteln, dass für internetfähige Personalcom-puter als konvergente, multifunktionale Geräte Gebühren bezahlt werden sollten, mit denen zwar Rundfunk empfangen werden kann, die aber ihrer Zweckbestimmung nach auch für andere Funkti-onen ausgelegt sind und in der Praxis auch so
verwendet werden. Konvergente Empfangsgeräte lassen auch die Unterscheidung zwischen Hör-funk- und Fernsehnutzung verschwimmen, an die das staatsvertraglich geregelte Gebührenrecht unterschiedliche Folgen knüpft (Grundgebühr le-diglich für den Hörfunkempfang, Fernsehgebühr zuzüglich der Grundgebühr für den Fernsehemp-fang). Im Ergebnis ist deshalb ein erheblicher all-gemeiner Akzeptanzverlust der Rundfunkgebühr zu verzeichnen, der sich nicht nur in einer anstei-genden Quote der Schwarzseher und -hörer nie-derschlägt, sondern absehbar zu einer Erosion des Gebührenaufkommens insgesamt führt.
1. Der Rundfunkbeitrag – Modell einer zu-kunftssicheren RundfunkfinanzierungDieser für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk problematischen Entwicklung soll eine grundle-gende Reform der Rundfunkfinanzierung Einhalt gebieten. Gefordert war eine Abkehr vom Modell der gerätebezogenen Rundfunkgebühr, gefunden werden sollte eine von der technischen Entwick-lung unabhängige, zukunftssichere Finanzie-rungsform. Sie sollte den verfassungs- und abga-benrechtlichen Anforderungen genügen und unter dem Stichwort der Aufkommensneutralität sowohl das bisherige Gesamtaufkommen aus der Rund-funkgebühr garantieren als auch die Relation zwi-schen den Erträgen aus dem Bereich der privaten Gebührenzahler und dem nicht privaten Bereich wahren.
Geprüft wurden unterschiedliche Modelle der Rundfunkfinanzierung. Sie reichten von einer Fort-entwicklung der gerätebezogenen Rundfunkge-bühr über die Finanzierung aus staatlichen Haus-halten oder Steuern bis hin zu Sonderabgaben. Alle diese Finanzierungsformen erwiesen sich aber nach eingehender Prüfung als nicht tragfä-
Modellwechsel in der Rundfunkfinanzierung
Modellwechsel in der RundfunkfinanzierungDer neue Rundfunkbeitrag
Carl-Eugen EberleJustitiar des ZDF
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hig. Einzig das Modell eines Rundfunkbeitrags wurde als geeignet angesehen, allen gestellten Anforderungen zu genügen. In einem finanzver-fassungsrechtlichen Gutachten entwickelte der ehemalige Richter des Bundesverfassungsge-richts Professor Paul Kirchhof die Eckpunkte der künftigen Rundfunkfinanzierung. Seine wesent-lichen Ergebnisse lauten:
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist durch einen Rundfunkbeitrag zu finanzieren, durch den die Empfänger des Rundfunkangebots zur Finanzierung dieses Rundfunks beitragen.Der Rundfunkbeitrag ist das Entgelt nicht für die empfangene Sendung, sondern für das Nutzungsangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.Anknüpfungspunkt für die Beitragspflicht ist die Wohnung und die Betriebsstätte, wo die Men-schen in einer sozialen Gruppe (Haushalt, Er-werbsgemeinschaft) typischerweise Rundfunk empfangen.Für die Möglichkeit, Rundfunk zu empfangen, wird der Rundfunkbeitrag als Wohnungs- und Betriebsstättenabgabe erhoben.Für jede Wohnung wird ein Beitrag erhoben.Jede Betriebsstätte ist entsprechend der An-zahl der dort Beschäftigten beitragspflichtig.
Indiziert wird die Beitragspflicht also nicht mehr durch das Bereithalten eines Rundfunkempfangs-geräts, sondern durch das Bestehen einer Emp-fangsmöglichkeit, die in Wohnungen und Be-triebsstätten, aber auch in Kraftfahrzeugen vermu-tet werden darf.
Die Vorteile des Rundfunkbeitrags liegen auf der Hand: Durch die Abkoppelung vom Gerätebezug wird das Modell des Rundfunkbeitrags von tech-nischen Entwicklungen unabhängig und führt zu einer zukunftssicheren Finanzierung der Anstal-ten. Das neue Modell ist für den Bürger einfacher und transparenter. Es gilt der Grundsatz, dass für
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eine Wohnung nur ein Beitrag zu entrichten ist. Die Ermittlung der Beitragspflichtigen wird durch den Rückgriff auf Daten aus dem Einwohnermeldewe-sen und aus öffentlichen Registern vereinfacht. Vielfach kann deshalb auch die Tätigkeit der Ge-bührenbeauftragten entfallen. Kontrollen enden vor der Haustür.
Mit der Einführung des Rundfunkbeitrags in seiner konkreten Ausgestaltung im Rundfunkbeitrags-staatsvertrag gehen wesentliche Entlastungen der Beitragspflichtigen einher. So gibt es im privaten Bereich regelmäßig keine Zahlungspflicht für Zweit- oder Drittgeräte mehr. Familien mit Kindern mit eigenem Einkommen im Haushalt werden nicht mehrfach herangezogen. Nichteheliche Le-bensgemeinschaften, Wohnungsgemeinschaften und Mehrpersonenhaushalte zahlen nur ein Mal. Eine gesonderte Beitragspflicht für die berufliche Nutzung in der Wohnung (Arbeitszimmer) entfällt. Allgemein gilt: Für Betriebsstätten, die sich inner-halb einer beitragspflichtigen Wohnung befinden, für die bereits ein Rundfunkbeitrag entrichtet wird, fällt kein zusätzlicher Rundfunkbeitrag an. Durch eine zu erwartende verbesserte Vollzugseffizienz sinkt die Quote der Schwarzseher und -hörer, deren Ausfall bisher von den ehrlichen Gebühren-zahlern auszugleichen war. Dadurch wird die Ab-gabengerechtigkeit verbessert und die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags erhöht.
2. Die Ausgestaltung des Rundfunkbeitrags im RundfunkbeitragsstaatsvertragDie Wohnungsabgabe, als welche der Rundfunk-beitrag im privaten Bereich erhoben wird, wird für die meisten Gebührenzahler keine Veränderung bringen. Denn auch bisher schon war die Rund-funkgebühr für die privaten Gebührenpflichtigen nach Art einer Wohnungsabgabe ausgestaltet: Zweit- und Drittgeräte waren – ebenso wie Rund-funkempfangsgeräte in privat genutzten Kraftfahr-zeugen – gebührenfrei und bleiben auch in Zu-kunft beitragsfrei. Deshalb sieht der Rundfunkbei-
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tragsstaatsvertrag eine Art Bestandsüberführung vor – wer bisher Gebührenpflichtiger war, wird auch als Beitragspflichtiger herangezogen. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Entlastungstatbestand geltend gemacht wird, wozu die entsprechenden Tatsachen der zuständigen Landesrundfunkan-stalt anzuzeigen sind. In Betracht kommen vor allem die Fälle, in denen eine Mehrfachgebühren-pflicht, wie oben dargestellt, künftig entfällt. Ände-rungen ergeben sich allerdings für die bisherigen Nur-Hörfunkteilnehmer, die nunmehr zum vollen Rundfunkbeitrag herangezogen werden, da künf-tig nicht mehr zwischen Hörfunk- und Fernsehteil-nehmern differenziert wird. Änderungen ergeben sich auch für finanziell leistungsfähige Behinderte (Ausnahme: taubblinde Menschen), die bislang gebührenbefreit waren und die künftig mit einem Drittelbeitrag herangezogen werden. Diese Ein-nahmen sollen zur Finanzierung barrierefreier An-gebote genutzt werden,
Größere Änderungen ergeben sich im nicht priva-ten Bereich durch die Einführung des Rundfunk-beitrags als Betriebsstättenangabe, deren Höhe nach Maßgabe der Anzahl der in der Betriebsstät-te sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (mit Ausnahme der Auszubildenden) und nicht mehr – wie bisher – nach der Anzahl der bereitgehaltenen Rundfunkempfangsgeräte bemessen wird. Der Staatsvertrag sieht insoweit eine Staffelregelung vor, bei der für eine Betriebsstätte auf der ersten Stufe (bis zu acht Beschäftigte) ein Drittelbeitrag und auf der zweiten Stufe (neun bis 19 Beschäf-tigte) ein voller Rundfunkbeitrag erhoben wird. Die Staffel setzt sich dann fort bis zu Betriebsstätten mit einer Mitarbeiterzahl von 20 000 Beschäftigten und mehr, für die 150 Beiträge erhoben werden.
Den Bedenken der Wirtschaftsverbände, die unzumutbare Belastungen für Klein- und Mittelbe-triebe, insbesondere Handwerksbetriebe, befürch-tet hatten, ist im Gesetzgebungsverfahren nach-gekommen worden. So wurden die beiden Ein-
gangsstufen der Beitragsstaffel ausgeweitet (die erste von ursprünglich bis zu vier auf nunmehr bis zu acht Beschäftigte, die zweite Stufe von ur-sprünglich bis zu 14 auf bis zu 19 Beschäftigte). Beide Stufen zusammen erfassen nunmehr über 90 Prozent aller Betriebe und tragen deren Situati-on durch eine moderate Beitragsbelastung Rech-nung. Entlastet werden wohl auch grundsätzlich Betriebsstätten des Beherbergungsgewerbes durch einen auf ein Drittel des Rundfunkbeitrags ermäßigten Satz für jedes Hotel- und Gästezim-mer und für jede Ferienwohnung zur vorüberge-henden entgeltlichen Beherbergung ab der zwei-ten Raumeinheit. Darüber hinaus haben eine Reihe von gemeinnützigen Einrichtungen, Schu-len und Hochschulen, Feuerwehr und Polizei, die bisher nach der Zahl der Geräte veranschlagt wurden, künftig nur noch einen Beitrag zu bezahlen.
Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag sieht im nicht privaten Bereich auch eine Beitragspflicht für ge-werblich genutzte Kraftfahrzeuge vor, die aller-dings auf jeweils ein Drittel des Rundfunkbeitrags beschränkt ist; zudem ist jeweils ein Kraftfahrzeug für jede beitragspflichtige Betriebsstätte vom Rundfunkbeitrag ausgenommen. Auch diese Re-gelung entlastet eine Vielzahl von kleineren Betrie-ben und Filialbetrieben gegenüber dem Status Quo.
Anders als im privaten Bereich kann die Heranzie-hung der Betriebsstätteninhaber zur Beitragszah-lung nicht einfach dadurch erfolgen, dass man an die bestehende Gebührenpflicht anknüpft: War bislang die Zahl der Empfangsgeräte maßgeb-licher Bestimmungsfaktor für die Gebührenhöhe, so ist die Beitragshöhe künftig nach Maßgabe der in der Betriebsstätte Beschäftigten zu bestimmen. Aus diesem Grunde hat der Staatsvertragsgesetz-geber eine Auskunftspflicht für die Betriebsstätten vorgesehen, von der auch schon im Jahre 2012 Gebrauch gemacht werden kann und muss.
Modellwechsel in der Rundfunkfinanzierung
2010.Jahrbuch22 I
3. Die Wahrung des DatenschutzesBereits im Gesetzgebungsverfahren wurden von Seiten einiger Datenschutzbeauftragter Bedenken dagegen formuliert, dass mit der Einführung des Rundfunkbeitrags umfangreiche Daten erhoben und gespeichert würden, was mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Datensparsam-keit nicht vereinbar sei. Die Rundfunkanstalten haben daraufhin den ehemaligen Bundesdaten-schutzbeauftragten Professor Hans Peter Bull mit einem Gutachten beauftragt, das die verfassungs- und datenschutzrechtlichen Verfahrensanforde-rungen darlegen sollte.
Das Gutachten bestätigte die im seinerzeitigen Staatsvertragsentwurf enthaltenen Datenschutz-vorkehrungen als verfassungsgemäß. Gleichwohl hat der Gesetzgeber weitere Regelungen aufge-nommen, die den Datenschutz über das hiernach gebotene Maß hinaus verstärken.
Von Bedeutung für die Vollzugseffizienz ist ein einmaliger Abgleich aller Einwohnermeldedaten, der innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes durchgeführt werden soll. Dieser Zeitraum wird benötigt, um die in über 2 000 Ein-wohnermeldeämtern dezentral gespeicherten Daten, aus denen für die Beitragsheranziehung relevante Daten gewonnen werden können, mit den bereits vorhandenen Daten der Gebühren-zahler abzugleichen. Auf diese Weise können Bei-tragspflichtige ermittelt werden, die sich bisher ihrer Zahlungspflicht entzogen haben.
Daneben wird es aber auch weiterhin erforderlich sein, Daten aus anderen Quellen zum Abgleich heranzuziehen, um Lücken, die bekanntermaßen das Einwohnermeldewesen aufweist, verlässlich schließen zu können. Während der Durchführung des einmaligen Einwohnermeldedatenabgleichs (2013 bis Ende 2014) sollen allerdings keine Adressdaten privater Personen angekauft werden dürfen.
Im Übrigen gelten für die Verarbeitung und Spei-cherung aller zur Beitragserhebung ermittelten Daten strenge gesetzliche Zweckbestimmungen und Löschungsfristen. Sie sollen sicherstellen, dass der Datenschutz bei der Beitragserhebung auf dem bei der GEZ vorhandenen hohen Schutz-niveau auch künftig gewährleistet bleibt.
4. Modellwechsel unter Wahrung von BeitragsstabilitätVon politischer Seite wurde im Laufe des Gesetz-gebungsverfahrens wiederholt betont, dass zum Modellwechsel aus Akzeptanzgründen keine Bei-tragserhöhung stattfinden dürfe. Gleichzeitig wurde versichert, dass das turnusmäßig durchzu-führende Verfahren zur Ermittlung des Finanzbe-darfs der Rundfunkanstalten durch die unabhän-gige Kommission KEF, das alle vier Jahre (und damit zum Zeitpunkt des Modellwechsels 2013) mit einem weitgehend bindenden Vorschlag zur Beitragsanpassung abschließt, aus Verfassungs-gründen nicht außer Kraft gesetzt werden dürfe. Um dennoch das Ziel einer Beitragsstabilität zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rundfunkbei-tragsstaatsvertrags zum 1. Januar 2013 zu errei-chen, werden sich die Rundfunkanstalten um eine maßvolle Anmeldung ihres Finanzbedarfs im an-stehenden KEF-Verfahren bemühen. Die KEF ih-rerseits kann angesichts der Unsicherheiten, die bei der Ertragsprognose für den Rundfunkbeitrag bestehen, einen Spielraum möglicher unterschied-licher Ertragsschätzungen nutzen und wider Er-warten eintretende Unterdeckungen in den ersten beiden Jahren nach dem Modellwechsel in ihrem nächsten Bericht korrigieren.
5. Weiteres VerfahrenDer Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, der den be-stehenden Rundfunkgebührenstaatsvertrag ablö-sen wird, ist eingebettet in ein Vertragswerk, in dem auch andere Staatsverträge an den Modell-wechsel angepasst werden. Dieser so genannte Fünfzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist
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im Dezember 2010 von den Ministerpräsiden-tinnen und Ministerpräsidenten aller Länder unter-zeichnet worden und bedarf nunmehr der Ratifi-zierung durch alle Länderparlamente. Deren Zu-stimmung muss bis zum 31. Dezember 2011 vorliegen, damit ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2013 erfolgen kann.
6. FazitEinfach, transparent, effizient, gerecht – mit die-sen Attributen zeichnet sich der Rundfunkbeitrag gegenüber der bisherigen Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus. Erwartet werden darf darüber hinaus eine deutlich verbes-serte Vollzugseffizienz und, daraus folgend, eine erhöhte Abgabengerechtigkeit. Es gilt nun, diese
Ergebnisse einer Neuordnung der Rundfunkfinan-zierung breit zu kommunizieren und damit dem Rundfunkbeitrag zu allgemeiner Akzeptanz zu verhelfen. Zwar wird die Anerkennung des öffent-lich-rechtlichen Rundfunks in erster Linie durch ein vielfältiges und qualitativ hochstehendes, auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtetes Ange-bot zu gewinnen sein. Doch bedarf auch die Her-anziehung der Bürger zur Finanzierung ihres Rundfunks der kommunikativen Vermittlung, die durch den Modellwechsel wesentlich erleichtert wird. Insgesamt steht deshalb der Rundfunkbei-trag für eine zukunftssichere Finanzierung, auf deren Grundlage ARD und ZDF ihrem Funkti-onsauftrag im Dienste der Gesellschaft nachkom-men können.
Modellwechsel in der Rundfunkfinanzierung
Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika
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Die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent stellte das ZDF und den WM-Programmchef Christoh Hamm vor enorme logistische, technische und strate-gische Herausforderungen. Wie diese ange-gangen und gemeistert wurden, erläutert er selbst auf den folgenden Seiten.
Die große Fußballwelt zu Gast in Südafrika – erst-mals ein Sportgroßereignis auf dem afrikanischen Kontinent. »Können die das?«, war die am häu-figsten gestellte Frage vor dem ersten Anstoß am 11. Juni 2010. Sie konnten – wir konnten; ein Mammutprojekt auch für das ZDF-WM-Team, mit vielen Unbekannten und großen Anstrengungen.
Am Anfang stand die übliche Frage: »Was ma-chen wir?«. Zum einen waren da die großen Er-folge der ZDF-Übertragungen aus dem Sony-Center in Berlin 2006 (Deutscher Fernsehpreis) und zuletzt von der Seebühne in Bregenz 2008. Zum anderen lag die WM in einem zwar faszinie-renden Land vor uns, aber in einem Land mit hoher Kriminalitätsrate, schwieriger Infrastruktur und in technischer Hinsicht von einem Kollegen als »Fernsehbrachland« bezeichnet.
Die historische, politische und sportliche Dimensi-on der ersten Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent war für uns als öffentlich-rechtlicher Sender alternativlos: Wir wollten aus dem Gastge-berland senden, nah dran sein an den Menschen, Emotionen, Traditionen und am Sport.
Aufgrund der Gegebenheiten in Südafrika wuchs die Organisation der ZDF-Übertragungen zu einer außergewöhnlichen Herausforderung in den Be-reichen Sicherheit, Logistik, Reisen und Unter-künfte. Hinzu kam die technische Premiere, einen
solchen Event in HD-Qualität zu senden. Dieser Gemengelage geschuldet, aber auch um kosten-ökonomische Synergien erzielen zu können, ar-beiteten wir in allen Aufgabengebieten sehr viel enger mit der ARD zusammen als bei den zurück-liegenden großen Fußballturnieren.
Kern des vielschichtigen ZDF-Programmkonzepts bildeten die vier wesentlichen inhaltlichen As-pekte: Die Spiele, die deutsche Mannschaft, das Gastgeberland Südafrika und die WM-Stimmung in Deutschland.
Den Mittelpunkt der Übertragungen stellte das »Match of the Day« dar. Präsentiert aus dem jewei-ligen Stadion durch das »ZDF-Paar« Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn. Sie, die erste Frau im deutschen Fernsehen an dieser prominenten Stel-le, vor 20 bis 30 Millionen Zuschauern, in einer Männerdomäne. Er, der Torwart-Titan, authentisch, eloquent und kompetent auf der Bühne, auf der er einst als Aktiver agiert hatte. Dieses Duo ent-wickelte sich zum unterhaltsamen, witzigen, aber auch sehr kompetenten Team. Sowohl in den be-gleitenden Medien als auch beim Publikum er-fuhren Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn eine sehr positive Resonanz. Hinter diesen Auftrit-ten in den diversen Stadien und Städten steckte eine ausgeklügelte Organisation der Reisen, der Technik und bezüglich der Sicherheit
Für den Zuschauer nachvollziehbar, war – bei bis zu drei Spielen pro Tag – die zusätzliche Modera-tionsposition im »International Broadcast Center« (IBC) durch einen lockeren, sympathischen Rudi Cerne, der die übrigen Begegnungen begleitete. Das Studio war ein schönes Beispiel für das enge Miteinander zwischen ARD und ZDF. Durch unter-schiedliche Lichtstimmungen und ein paar weni-
Die erste Fußball-WM auf dem afrikanischen KontinentFaszination und Herausforderung
Christoph HammProgrammchef FIFA Fußball-WM 2010 in Südafrika; Stellvertretender Leiter der Hauptredaktion Sport
I 27Die erste Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent
ge, unterschiedliche Deko-Elemente konnte diese Präsentationsfläche gemeinsam genutzt werden.
Michael Steinbrecher, das ZDF-Gesicht bei der Nationalmannschaft, berichtete aus dem deut-schen Quartier nahe Pretoria und analysierte die deutschen Spiele im Interview mit Bundestrainer Joachim Löw. Vor und nach den Spielen schilderten ZDF-Reporter aus aller Welt die Stimmung in den Städten der beteiligten Nationen. Dabei bildete Deutschland den regelmäßigen Schwerpunkt in allen unseren Übertragungen. Martin Leutke mel-dete sich aus Berlin, Hamburg und weiteren Städten.
Trotz des engen organisatorischen Zusammen-spiels mit der ARD war es uns wichtig, einige ex-klusive Elemente zu entwickeln, die deutlich zur Programmqualität beitrugen:
3D-Analyse: Spielzüge und -situationen sowie taktische Elemente konnten mithilfe moderns-ter Computertechnik erklärt werden – regelmä-ßig in einem Beitrag vor dem Spiel und danach in der Analyse bei Oliver Kahn.Jo-Ann Strauss: Die ehemalige Miss Südafrika und heutige TV-Moderatorin erzählte in ihren On-Reportagen sympathisch, authentisch und liebenswert Geschichten aus ihrer Heimat, wobei die Glamourwelt, aber auch Traditio-nelles ebenso wie das arme Südafrika vorkamen.Der Fanexperte: Ein Experiment, eine Innovati-on im deutschen Fernsehen. Dennis Wiese, der aus einem Casting hervorgegangen war, erwies sich als ein würdiger Vertreter der deut-schen Fußballfans in Südafrika. Dabei füllte er seine Rolle einmal als atmosphärischer Bericht-erstatter sowie als Übermittler der Fanmeinung per Internetvotings in einem hohen Maß an Professionalität aus.ZDF-Schiedsrichterexperte Urs Meier: Die man-nigfaltigen Diskussionen um Schiedsrichter-
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leistungen zeigten einmal mehr, dass ein kom-petenter und in der Aussage deutlicher Schiedsrichterexperte unerlässlich geworden ist. In Urs Meier hatte das ZDF den Besten sei-ner Zunft, dazu sympathisch und mit sicherem Auftreten.WM-Splitter: Der letzte Beitrag des Sende-tages, mit leichter Hand gemacht, ein einzigar-tiges ZDF-Element.
Insgesamt zeichneten sich die ZDF-Übertra-gungen durch Kompetenz, eine moderne Bild-sprache sowie eine frische und innovative Mach-art aus. Dabei haben wir auf eine ausgewogene Mischung zwischen sportlichen, hintergründigen, nachdenklichen und leichten Beiträgen geachtet. Dazu gab es eine klare Gesamtausrichtung mit einer auffälligen strategischen Verpackung, die dem Zuschauer ein stringentes, modernes, ein-heitliches Gesamtbild vermittelte.
In enger technischer und redaktioneller Verzah-nung mit den Kollegen der Aktualität, die im ZDF-Studio Johannesburg ihre Basis hatten, flossen auch die politisch und gesellschaftspolitisch rele-vanten Themen ein, ganz im öffentlich-rechtlichen Sinne. Zudem standen Ariane Vuckovic und Axel Storm als Schaltpartner in verschiedenen südafri-kanischen Städten zur Verfügung. Diese beglei-tende Berichterstattung wurde, wie bereits bei der WM 2006 und der EM 2008 über das Koordinati-onszentrum »Strafraum« im Sendezentrum in Mainz gesteuert. Hierdurch wurde ein sehr aktu-eller, schnell reagierender Informationsfluss ge-währleistet, und als Nebeneffekt konnten effizient Ressourcen gemeinsam genutzt werden.
ZDFonline hatte nie zuvor einen solch reichhal-tigen Rechteumfang, der, konsequent und um-fänglich genutzt, zu einem großen Erfolg des ZDF-Internetauftritts führte. So wurden alle ZDF-Spiele im Livestream angeboten, dabei durch-schnittlich 87 962 Sichtungen erzielt. Der Spitzen-
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wert aller Livestreams zur Fußball-Weltmeister-schaft wird mit 191 724 Sichtungen während des Viertelfinales Argentinien gegen Deutschland am 3. Juli 2010 erzielt.
Die Livestream-Nutzung bei dieser WM war so hoch wie nie zuvor. Alle Anbieter stießen an tech-nische Grenzen. Beim ZDF war diese Grenze trotz umfangreicher Vorbereitung beim Spiel Deutsch-land gegen Serbien am 18. Juni erreicht: Aufgrund der hohen Zahl der gleichzeitigen Zugriffe beim Anstoß brach der Livestream ab. Eine halbe Stun-de vor Spielende konnten die Zuschauer das Spiel auch wieder im Internet verfolgen. Das Livestrea-ming der weiteren Spiele verlief ohne Ausfälle. Alle Abrufvideos zur WM erzielten vom 1. Juni bis 18. Juli 2010 insgesamt 4,83 Millionen Sichtungen. Zum Vergleich: Zur Fußball-EM 2008 waren es im Juni 2008 insgesamt 1,17 Millionen Sichtungen.
Neben den Videos und dem WM-Blog lieferte das Onlineangebot eine Rundumversorgung mit Live-Ticker, Statistiken und WM-Kurzmeldungen auf allen drei Plattformen (zdf.de/heute.de/sport.zdf.de), mit Hintergründen aus Südafrika, Berichten zur deutschen Nationalmanschaft und einer um-gebauten Mediathek, um das vielfältige Video-An-gebot präsentieren zu können.
35,9 Millionen Visits erreichten die Onlineange-bote des ZDF, das entspricht einem Plus von fast
50 Prozent im Vergleich zu den Monaten vor der WM und ist der beste Vierwochenwert des ZDF überhaupt.
Das Zuschauerpotenzial war mit 61,88 Millionen insgesamt so hoch wie nie (2006: 61,48 Millio-nen). Im Schnitt sahen 7,66 Millionen Zuschauer (38,4 Prozent Marktanteil) die Übertragungen der Fußball-WM 2010, 10,85 Millionen (48,2 Prozent Marktanteil) die Spiele. Bei den Begegnungen mit deutscher Beteiligung war ein deutlicher Anstieg des Zuschauerinteresses im Vergleich zu 2006 zu verzeichnen.
Die WM-Spiele im ZDF sahen im Schnitt 11,37 Millionen (durchschnittlich 51,3 Prozent Marktan-teil). Damit erreichte das ZDF im Schnitt die meis-ten Zuschauer. Mit dem Halbfinale Deutschland gegen Spanien stellte die ARD mit 31,1 Millionen Zuschauern einen neuen Rekord auf. Dem ZDF gelang mit dem Viertelfinale Argentinien gegen Deutschland mit einem Marktanteil von 89 Prozent Zuschauern (26,01 Millionen) eine neue Bestmarke.
Während das ZDF mit durchschnittlich 8,45 Millio-nen Zuschauerinnen und Zuschauern (41,7 Pro-zent Marktanteil) und RTL mit durchschnittlich 6,46 Millionen Zuschauern (25,8 Prozent Marktan-teil) insgesamt eine höhere Sehbeteiligung als 2006 aufweisen konnten, sank die durchschnitt-liche Sehbeteiligung bei der ARD (durchschnittlich 7,4 Millionen; 40,8 Prozent Marktanteil). Beim ZDF war der Anstieg vor allem auf höhere Werte bei den Spielen ohne deutsche Beteiligung sowie auf die besser eingeschaltete Berichterstattung, ins-besondere der Analyse nach den Spielen, zurück-zuführen. In der Presse wurden die programm-lichen Hervorbringungen des ZDF durchweg als abwechslungsreich, kurzweilig und kompetent gelobt, insbesondere die 3D-Analysen fanden An-erkennung. Die positive Entwicklung des ZDF-Ex-perten Oliver Kahn fand in der Chronologie der
Katrin Müller-Hohenstein, Dennis Wiese und Oliver Kahn
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Berichterstattung ihren Niederschlag. In der zwei-ten Hälfte der WM wurde ihm Lockerheit, Witz, Eloquenz und Kompetenz bescheinigt. So wurde Oliver Kahn in einem Artikel als der »echte neue Netzer« bezeichnet.
In einer repräsentativen Umfrage haben ZDF- und ARD-Medienforschung eine Imagebewertung durchgeführt. Hierbei schnitt das ZDF am besten ab. 73 Prozent der Befragten bewerteten die Sen-dungen mit »sehr gut« oder »gut«. Dies entspricht einem Notenschnitt von 2,2 (Schulnotensystem). Die ARD folgte knapp dahinter mit 71 Prozent »sehr gut« und »gut« und kommt damit ebenfalls auf einen Schnitt von 2,2. Sky ging mit 2,3 in die Wertung ein, RTL landete abgeschlagen mit einer Note von 2,5 auf dem letzten Platz.
Umso verwunderter waren die Kollegen sender-übergreifend bei der Verleihung des deutschen
Fernsehpreises 2010. RTL war aus Sicht der Jury wohl »mal dran«.
Unser Fazit jedenfalls ist positiv. Wir sind gemein-sam mit den Kollegen der ARD ein gewisses Risi-ko eingegangen, aus Südafrika zu senden. Was bei den erheblichen Anstrengungen von Produkti-on, Technik, Internationalen Angelegenheiten, ZDFonline und der Hauptredaktion Sport heraus-gekommen ist, muss keinen Vergleich scheuen.
Die FIFA Fußball-WM im Zweiten war das farben-frohe und emotionale Ereignis, wie wir es uns vor-gestellt hatten. Modern verpackt, umfangreich, stimmungsvoll, charmant und zuschauernah prä-sentiert, crossmedial im TV und Onlinebereich richtungweisend genutzt und, was den Verant-wortlichen aus den verschiedenen Bereichen das Wichtigste war: Alles ist friedlich abgelaufen, nie-mand ist zu persönlichem Schaden gekommen!
Die erste Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent
2010.Jahrbuch30 I
Jo-Ann Strauss verstärkte die ZDF-WM-Be-richterstattung im Sommer 2010. Die gebür-tige Kapstädterin und ehemalige Miss Süd-afrika moderiert in ihrer Heimat TV-Shows, Events und Galas. Den ZDF-Zuschauern prä-sentierte sie ihr Land aus persönlicher Sicht.
Meine Fußball-WMIch konnte es nicht glauben: Nach Jahren der Vorbereitung und Aufregung fand die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika statt – und ehe man sich versah, war sie auch schon wieder vor-bei. Heute ist dieser ganz besondere Monat nur noch eine Erinnerung. Alles ging so schnell, dass viele Südafrikaner das Gefühl haben, dass sie die Aufregung gar nicht richtig genießen konnten. Ich schaue mir die Geschichten an, die ein tolles Team und ich für das ZDF gedreht haben, und mir wird klar: Es war eine fantastische Zeit. Die Reisen durch das ganze Land und all die interessanten Menschen, die wir den Zuschauern vorgestellt haben, dies war ein besonderes Erlebnis für mich.
Das begann schon im Dezember 2009 mit der Auslosung der Gruppenspiele. Es war ein ganz besonderer Moment zu sehen, wie die Südafrika-ner bereit waren, sich und ihre Gäste zu feiern. Unsere Demokratie war gerade mal 15 Jahre alt, und wir wollten der Welt zeigen, dass es auch Po-sitives aus unserem Land zu berichten gibt. Si-cherlich, es gibt Probleme in Südafrika. Aber die gibt es überall auf der Welt. Das Einmalige, das wir haben, ist der Geist von »Ubuntu« in unseren Bevölkerungsgruppen. Wir sagen »Umntu ngumtu ngabantu«, was übersetzt heißt: »Ein Mensch ist ein Mensch, weil es die anderen gibt«. Und in den vier Wochen zwischen Mitte Juni und Mitte Juli konnte die Welt sehen, dass ein Land, dem man bis wenige Monate zuvor nicht zugetraut hatte, die größte Sportveranstaltung der Welt zu organisie-ren, ein wunderbarer Gastgeber war – ja, sogar eine der besten Fußball-Weltmeisterschaften aller
Zeiten auf die Beine gestellt hat. Es hat mich be-rührt zu sehen, wie meine Mannschaft »Bafana Bafana« die Herzen der ganzen Nation gewonnen hat – mit einem Sport, der bis dahin nur von einem Teil der Menschen in unserer Regenbogennation unterstützt wurde. Und natürlich haben wir die Er-folge des Teams aus Deutschland, meiner zweiten Heimat, gefeiert.
Durch die Mitarbeit beim ZDF hatte ich die Mög-lichkeit, mitten im Geschehen zu sein. Mit »meinem« ZDF-Team bin ich durch das ganze wunderbare Land von Süden nach Norden, von Osten nach Westen gereist. Ich wollte den deut-schen Zuschauern das Südafrika zeigen, das kaum ein Besucher verlässt, ohne ein Stück sei-nes Herzens hier verloren zu haben. Aber selbst ich war überwältigt von der Vielfalt unserer Kul-turen und Menschen. Ich habe mit Zulus getanzt, den Geburtsort Nelson Mandelas im fast unbe-rührten Ost-Kap besucht – eine Ehre, die nicht vielen zuteil wird – und habe viele unbekannte Helden in unserem geliebten »Mzantsi« gesehen, die versuchen, die Welt für alle zu verbessern.
Es ist nicht einfach, ein Land mit so vielen Unter-schieden in oft nur wenigen Minuten vorzustellen. Wir haben meine Universität in Stellenbosch be-sucht, das Leben der Schönen und Reichen ge-zeigt, genauso wie die Situation der Menschen, die ihr Leben damit verbringen, den Armen im Land zu helfen.
Was mich berührt hat, war die Reaktion der Zuschauer aus Deutschland, der Schweiz und Österreich. Die vielen E-Mails, die ich von Men-schen bekommen habe, die helfen wollen. Diese Zuschriften haben mir klar gemacht, dass die Welt wirklich ein »Global Village« ist und dass das süd-afrikanische Motto »Ein Mensch ist ein Mensch, weil es die anderen gibt« eigentlich für die ganze Welt gilt.
Jo-Ann Strauss
Jo-Ann Strauss
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Premiere in der WM-Berichterstattung: Den-nis Wiese aus Berlin fuhr als erster ZDF-Fan-Experte zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Südafrika. Der 26-jährige Student konnte sich beim Casting gegen die Mitbewerber durch-setzen und kommentierte das Turnier aus Sicht der Fans.
» … Also, wir haben uns entschieden, dass Den-nis Wiese mit uns nach Südafrika geht!«. Da war er nun, der Ritterschlag, das Wechselbad der Ge-fühle – für mich als Fußballfan perfekt. Sechs Tage zuvor war Hertha BSC, mein Verein, in die Zweite Liga abgestiegen und jetzt, an einem Freitagnach-mittag auf dem Flur des ZDF-Hauptstadtstudios, wo ein provisorisches Casting-Setting aufgebaut war, sprach Oliver Kahn ebenjenen Satz. Fußball-Legende, Idol – und für viereinhalb Wochen mein Kollege. Ich war der frisch gebackene ZDF-Fan-Experte, der aus Sicht der Fans bei und von der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika berichten durfte.
Den Eingangssatz begründete die Jury später mit Fußballfachwissen, Spontaneität, der Fähigkeit, offen und direkt auf Menschen zuzugehen und in etwa dem, was man als »Berliner Schnauze« be-zeichnen könnte.
Mit diesen Tugenden und einer Extraportion Neu-gier ausgestattet, ging es für mich am 9. Juni also nach Südafrika. Eine Mini-DV-Kamera und ZDF-Sportredakteur Daniel Wever waren in der Folge meine treuesten Begleiter, mit denen ich mich auch sehr schnell angefreundet hatte.
Meine Aufgaben in Südafrika waren zweierlei: Zum einen war ich stellvertretend für alle deut-schen Fußballfans vor Ort, habe über den On-
lineblog auf www.sport.zdf.de und über das neu geschaffene Fußballforum www.fanorakel.de den Kontakt mit den »Fankollegen« in der Heimat gehalten und diese Meinungen dann gebündelt im Studio an der Seite von Katrin Müller-Hohen-stein und Oliver Kahn vertreten. Zum anderen habe ich meine Erfahrungen und Erlebnisse rund um die Fußball-WM in einem Videotagebuch auf sport.zdf.de festgehalten. Bei meinen Streifzügen mit der Kamera sollte dabei so manche exotische Begegnung herauskommen:
In einem Tierpark in Bloemfontein traf ich (wohlge-merkt, ohne Zaun) auf zweijährige, fast ausge-wachsene Löwen, im Fitnessraum der Hotelanla-ge in Johannesburg standen plötzlich Trainer-Ur-gestein Bora Milutinovic und der, von der Frisur löwenähnliche, am Ball aber einst virtuose Kolum-bianer Carlos Valderrama vor mir. So viel zu den faszinierenden Randerscheinungen.
Im Mittelpunkt stand selbstverständlich der rol-lende Ball. Und am 13. Juni war es dann soweit: Deutschland gegen Australien in Durban, mein erstes WM-Spiel. 90 Minuten vom Vuvuzela-Getrö-te untermalte Gänsehaut, die Herren Podolski, Klose, Müller und Cacau sorgten für das Zähl-bare – ein Auftakt nach Maß. Nach dem Abpfiff schnell in die Maske und dann der erste Auftritt vor einem Millionenpublikum: »Man sollte die Vu-vuzelas verbieten«, sagten 66 Prozent der deut-schen Fans; »Miroslav Klose als einzige Spitze einzusetzen, war die richtige Entscheidung«, ur-teilten 81 Prozent.
Der Ball rollte – und wir Fans diskutierten. In der nächsten Zeit wurden Trainerentscheidungen hin-terfragt, die Schiedsrichter unter die Lupe genom-men, das Turnier bewertet und so weiter. Auf der
Als Fan-Reporter in Südafrika
Als Fan-Reporter in SüdafrikaErfahrungen eines Fußballbegeisterten
Dennis WieseFan-Experte bei der Fußball-Welt-meisterschaft in Südafrika
2010.Jahrbuch32 I
Suche nach einem Spitznamen für die deutsche Nationalmannschaft beispielsweise entschied sich ein Großteil von über 1.200 Usern des On-lineblogs innerhalb weniger Tage für die »Adler«.
Spannende Fußballthemen und immer wieder Fußballfeste, die ich live vor Ort mitverfolgen konnte. 4:1 gegen England, 4:0 gegen Argenti-nien – Spiele der Kategorie: »Davon erzähle ich meinen Enkelkindern«.
Tolle Geschichten mit Fans aus aller Welt: Zwei befreundete Anhänger aus Deutschland und Ar-gentinien, die sich zu jeder Weltmeisterschaft tref-fen, oder die deutsche Studenten-WG in Port Eli-zabeth, die das Wohnzimmer in einen kleinen He-xenkessel verwandelt, rundeten die unglaublichen Eindrücke ab. Auch das faszinierende Südafrika, mit all seinen Spannungen und für uns unge-wohnten Lebensweisen, verstärkte die Flut der Eindrücke.
Und »ganz nebenbei« war ich Teil der Berichter-stattung von einem der größten Sportereignisse überhaupt. Unter »normalen Umständen« hätte ich diese vier Wochen Fußball-WM garantiert ab-wechselnd auf der heimischen Couch und beim
Public Viewing auf der Berliner Fanmeile verfolgt (gut, ein bisschen Zeit hatte ich auch für meine Linguistik-Magisterarbeit eingeplant).
Es kam bekanntlich anders. Michael Steinbrecher, Béla Réthy und all die anderen, die mein passives Sportlerleben scheinbar schon immer begleitet haben, waren plötzlich ebenso Fußballbegeisterte auf Augenhöhe. Béla Réthy war es übrigens auch, der bei einer Nachbesprechung an meinem Ge-burtstag das Ständchen für mich angestimmt hat. Wer es noch nicht wusste: Singen kann der Mann auch!
Nicht nur diese stimmgewaltige Einlage hat sich dauerhaft in mein Gedächtnis eingeprägt, insge-samt möchte ich allen Kollegen und insbesondere meinem »persönlichen Betreuer« Daniel Wever herzlich für die außergewöhnlichen Wochen danken.
Diese Zeit hat mir bewiesen, dass mein Kindheits-traum, als Fußballmoderator/-kommentator arbei-ten zu wollen, weiterlebt. Ein Stück des Traums ist in Erfüllung gegangen, jetzt kann es gerne in die Verlängerung gehen, auch für ein Elfmeterschie-ßen wäre ich gerüstet!
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24 Stunden Programm, zudem noch aus einem fernen Land, in nur fünf Monaten her-stellen. Das geht nur, wenn alle Bereiche des Hauses Hand in Hand arbeiten. Nach anfäng-licher Skepsis hatten alle Beteiligten bald den unbedingten Willen, es möglich zu ma-chen. Dabei entstand ein einmaliger Team-geist, ein »Wir-Gefühl«, das auch noch Mo-nate nach der Ausstrahlung unvergessen ist.
Samstag, 6. Juni, morgens Punkt sechs Uhr: Wir haben ZDF-Geschichte geschrieben. Genau 24 Stunden zuvor hat sie begonnen, die längste Süd-afrika-Reportage aller Zeiten. 1 440 Minuten voller unvergleichbarer Einblicke in das Leben der Men-schen am Kap, in ein Land, das noch immer zwi-schen Aufbruch und Umbruch steckt, das eine schwere Vergangenheit hinter sich und eine schwierige Zukunft vor sich hat.
Es ist aber nicht allein die schiere Länge und die inhaltliche Strahlkraft, die das Projekt zu etwas Besonderem macht. »24 Stunden Südafrika« hat bewiesen, was das ZDF mit seinen Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern leisten kann, denn der Startschuss fiel nur fünf Monate vor dem Sendetermin.
Am Anfang standen Fragen: Was wissen wir, im Herzen Europas, heute von Südafrika – 16 Jahre nach Abschaffung der Apartheid? Kennen wir mehr als die Klischees aus der Tourismuswer-bung? Mehr als Diamanten, wilde Tiere, Garten-route und Soweto? Das Jahr 2010 lenkte mit der Fußball-Weltmeisterschaft die Blicke auf Südafri-ka, und ohne die WM hätten wir vermutlich nie-mals unsere Idee verwirklichen können – die Idee, dieses spannende, wunderbare Land im Spiegel seiner Menschen einen Tag und eine Nacht lang zu betrachten.
In den ersten redaktionellen Sitzungen wird ent-schieden, dass die Autoren möglichst in allen Landesteilen unterwegs sein sollen, um ein aus-gewogenes Verhältnis herzustellen zwischen Stadt und Land, Arm, Reich und neuer Mittelschicht, Jung und Alt, Schönheit des Landes und Elend, Kultur und Politik.
Immer wieder kommen neue Fragen auf. Wie kommen die Kinder in Südafrika morgens zur Schule? Richten sich Familien in Kapstadt anders ein als in Johannesburg? Was wird mittags in den Küstengebieten aufgetischt und was im Binnen-hochland? Wie weit ist das Land mit der Überwin-
»24 Stunden Südafrika«
Claudia RueteHauptredaktion Politik und Zeitge-schehen, Redaktionsleiterin Dokumentationen/Reportagen
»24 Stunden Südafrika«Ein unvergessliches »Wir-Gefühl«
Peter WagnerKoordinator ZDFinfokanal
Tebogo Ratau, ein 15-jähriger Fußballfan
Das Kernteam: Autoren, Cutter und Redaktion
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dung der jahrzehntelangen Apartheid? Welche Vorbehalte gibt es immer noch, welche Hoff-nungen sind erfüllt? Wie sieht das Zusammenle-ben von Schwarz und Weiß heute aus? Welche Rolle spielt die Kriminalität im täglichen Leben? Und wie kleidet sich eigentlich der südafrikanische Fußballfan?
So kommen nach und nach über 70 Protagonis-ten ins Spiel, die einen Querschnitt Südafrikas darstellen. Oberstes Gebot: Echtzeit. Und das bedeutet: Was die Autoren um sechs Uhr mor-gens filmen, wird um sechs Uhr morgens gesen-det werden, was um zwölf Uhr mittags geschieht, wird auch im Film um zwölf Uhr mittags stattfin-den. Es müssen also Protokolle geführt werden. Die Erzählweise: nicht kommentierend, die Men-schen selbst sollen Einblicke in ihre Sorgen, Nöte und Hoffnungen gewähren.
Zwölf Reporter, darunter neun Videojournalisten, sind im Frühjahr wochenlang überall in Südafrika unterwegs, erleben Alltag und Abenteuerliches mit den Menschen, die sie begleiten. Die Nähe der Autoren zu den Protagonisten prägt den Charak-ter über 24 Stunden. Sie tauchen intensiv ein in das Leben vieler Menschen in Südafrika und geben einen einmaligen Einblick in die wider-sprüchliche Realität des Landes, zu der neben der Freude über den politischen Aufschwung und die Fußball-WM nach wie vor die Angst vor Kriminali-tät und Gewalt gehören.
»24 Stunden« zeigt auch die Probleme dieser jun-gen Demokratie deutlich: immer noch gravierende Rassengegensätze, die bittere Armut vieler Men-schen, die verheerende Ausbreitung von Aids, die Angst vor der Wiederkehr der Apartheid unter um-gekehrten Vorzeichen.
Buelani Futshane betreibt ein Aids-Aufklärungsprojekt für
Jugendliche in Kapstadt
VJ Birgitta Schülke im WM-Stadion Soccer City in Johannesburg
Robert bildet eine Gruppe junger Ranger aus, die Wilderer fangen
sollen
Buschmänner in der Kalahari-Wüste
I 35
Herz und Seele des Projekts wurde Lukas Schmid, der Regisseur. Schmid, 33 Jahre alt, Absolvent der Filmhochschule Ludwigsburg, erfahrener Ka-meramann und Cutter, ein überzeugter »Freier« mit schweizerischen Wurzeln. Dass wir ihn ge-wonnen haben, ist ein wahrer Glücksfall. Ein ru-hender Pol, ein kreativer Wirbelwind, ein Vermittler zwischen den Welten, diplomatisch, bestimmt, verbindlich. Zusammen mit den beiden Redakteu-rinnen Lisa Borgemeister und Andrea Gries bildet Lukas Schmid den harten Kern des Projekts. Alle sind stets erreichbar, steuern die Autoren und sor-tieren die Geschichten.
Mehr als 400 Stunden Drehmaterial kommen zu-sammen – klar, dass die Organisation der Post-produktion zu den größten Herausforderungen gehört. Das geht nur mit Disziplin und mathema-tischem Geschick. Die Zeit sitzt allen bis zuletzt im
Nacken: einer der Gründe, sich für eine unge-wöhnliche Bearbeitungsweise zu entscheiden. Die Autoren müssen ihr Drehmaterial auswerten und dann aus den Händen geben. Im Schnitt arbeite-ten sie überwiegend mit dem Material anderer Autoren. Dabei entsteht ganz nebenbei die längs-te Timeline der Welt – Matthias Haedecke berich-tet in seinem Jahrbuch-Beitrag (S. 37 ff.) vom »Abenteuer Schnitt«. Auch die Vermarktung und die crossmediale Begleitung wird durch die re-daktionelle Zelle in Mainz koordiniert.
ZDFonline begleitet die »24 Stunden Südafrika«-Dokumentation mit einem interaktiven Spezial. Der Onlineauftritt orientiert sich an der klaren zeit-lichen 24-Stunden-Struktur. Der User kann aus-wählen, welche Person er zu welcher Stunde sehen will, kann aus verschiedenen Kategorien konkret auswählen, Steckbrief-Informationen zu
»24 Stunden Südafrika«
Mark Robertson hat ein Krokodil bezwungen, das nun ausgewildert werden soll
VJ Carsten Behrendt mit dem »Eggmann«, der die Touristen in Kapstadt zum Lachen bringt
Fans der Orlando Pirates bei einem Spiel im Stadion
Stefanie Schöneborn filmt die Be-sucher einer Shembe-Zeremonie
2010.Jahrbuch36 I
den einzelnen Protagonisten und deren persön-liche Kommentare abrufen. Natürlich ist ein 24-stündiger Livestream der Dokumentation im An-gebot. Und die 24-Stunden-Facebook-Seite wird zum Forum von 1 500 Fans, die dort am Sendetag mit den Protagonisten und den Machern chatten.
Ein Satz aus unserer Dokumentation hat uns bis heute nicht mehr losgelassen. Thandi Ndlovu hat ihn formuliert, eine imposante schwarze Frau im besten Alter, deren kleiner Bruder 1976 bei Schü-lerunruhen in Soweto erschossen wurde, eine Frau, die im Untergrund für den ANC (African Na-tional Congress) kämpfte, die dann Ärztin wurde und heute eine erfolgreiche Bauunternehmerin ist: »Wenn mir jemand 1989, vor der Freilassung Man-
delas, gesagt hätte, dass ich eines Tages ein Un-ternehmen führe, in dem ein junger Weißer alles überwacht und leitet, so wie ich mir das vorstelle, den hätte ich für verrückt erklärt. Weiß war weiß und schwarz war schwarz. Es ist so viel, was wir geschafft haben in einer so kurzen Zeit, und meine Befürchtung ist, dass wir nicht genug von der Hoffnung erzählen, die aus diesem Land kommt.«
»24 Stunden Südafrika« erzählt von dieser Hoff-nung. Für dieses Projekt sind alle Beteiligten fünf Monate lang über sich hinausgewachsen. Jeder, der dabei war, weiß, dass er etwas ganz Besonde-res mitgestalten durfte. Eine Erfahrung fürs Leben.
Hammerhai im Netz der Shark Boards
Zulu-Junge in traditioneller Kleidung
Gewürzmischung auf dem Victoria-Markt in Durban
Lifeguard Sithembiso am Trainingspool in Durban
Strand von Kapstadt bei Sonnenuntergang
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400 Stunden Drehmaterial---------------------------------------- = »24 Stunden Südafrika«300 Tage Schnitt + Tonsynchro
Eine Gleichung, die allen Kolleginnen und Kollegen im Geschäftsfeld Bildgestaltung nicht plausibel erschien, als der Plan an uns herangetragen wurde, die gesamte Post-produktion für eine 24 Stunden lange Re-portage für den ZDFinfokanal innerhalb von drei Monaten durchzuführen. Aber natürlich haben wir die Herausforderung begeistert angenommen.
»May I have a copy ?« – ein Satz, der im Schneide-raum von Cutterin Eva Littau große Erleichterung auslöste. Lulu Xingwana, die Ministerin für Kunst und Kultur der Republik Südafrika höchstpersön-lich war gekommen, um sich die ersten Ergebnisse von »24 Stunden Südafrika« anzuschauen. Und wer könnte besser beurteilen, ob die Produktion den Charakter ihres Landes wiedergibt als die höchste Repräsentantin der südafrikanischen Kultur? Eva hatte den Schneideraum extra mit einer Südafrika-flagge aus dem Fundus verschönert, doch das wäre gar nicht nötig gewesen. Die Ministerin war sichtlich angetan und versuchte sich im Erraten der Drehorte, die sie natürlich fast alle kannte. Die Ma-cher der Reihe waren erleichtert und aufs Neue motiviert. Dennnoch lag eine beträchtliche Strecke Wegs vor ihnen. Der »Tag« war noch längst nicht vollständig geschnitten und der Sendetermin, der 5. Juni 2010, rückte bedrohlich näher.
Als Claudia Ruete1 uns Ende 2009 vom Projekt erzählte, war meine erste Reaktion: Das ist eigent-
1 Claudia Ruete und Peter Wagner schildern die redaktionelle Sicht auf diese Produktion ab Seite 33 ff.
lich unmöglich. Denn die Produktion sollte nicht nur »24 Stunden« heißen, sie sollte auch wirklich 24 Stunden Sendezeit dauern, und das bedeutete eine nie dagewesene technische und logistische Herausforderung, die es zudem binnen kürzester Frist zu stemmen galt. Natürlich sollten die »24 Stunden« im Vorfeld der Fußball-WM laufen, und bis dahin war es kaum mehr als ein halbes Jahr hin. Aber nachdem die Teamleiter von Schnitt und Ton, Sabine Engelhardt und Bruno Hebestreit, erst einmal kräftig schlucken mussten, sagten sie mutig ja. Zu erwarten waren mehr als 400 Stunden Material, die es zu verwalten und zu verdichten galt. Für den Feinschnitt fielen dann elf Schnitt-tage an – für jede geplante Sendestunde. Das heißt, jedes Schnittteam, bestehend aus Cutter und Autor, hatte drei Stunden des magischen Tages vor sich, und es musste Kapazität für 264 Schnitttage geschaffen werden. Sabine Engel- hardt und die Redaktion erstellten einen ausgeklü-gelten Plan, der vorsah, dass acht Cutterinnen und Cutter in acht zum Teil vernetzten Schnei-deräumen vom Tagesgeschäft freigestellt werden mussten, um ausschließlich für die »24 Stunden« zur Verfügung zu stehen.
Eigentlich ist der Bereich Schnitt ohnehin sehr gut ausgelastet, sodass Arbeit mindestens im Zwei-schichtbetrieb zu erwarten war. Nach Schnittende würde dann die Fackel an die Tonsynchro weiter-gegeben werden, die das Großprojekt ebenfalls neben ihren Tagesaufgaben würde stemmen müssen. Schließlich mischten sieben Toningeni-eure 300 Arbeitsstunden lang in bis zu drei Syn-chroregieräumen parallel. Zwei Hauptsprecher und sechs Nebensprecher meisterten die Mara-thonstrecke mit Bravour. Und am Ende lag da ein echtes Mammutwerk, das es in solchen Ausma-ßen im ZDF, und wahrscheinlich so auch in kei-
»24 Stunden Südafrika«
»24 Stunden Südafrika«Das Unmögliche wird möglich
Matthias HaedeckeLeiter des Geschäftsfeldes Bildge-staltung, Produktionsdirektion
2010.Jahrbuch38 I
nem anderen deutschen Fernsehsender, je gege-ben hatte.
Für Redaktion und Sender bedeuteten die »24 Stunden« einen erstklassig monothematisch ge-füllten Sendetag, doch für das Geschäftsfeld Bild-gestaltung war diese Produktion sogar noch mehr. Die Ausmaße des Projektes waren nicht ohne außergewöhnlichen Teamgeist zu meistern. Um die enge redaktionelle Betreuung der ver-schiedenen Schneideräume zu gewährleisten, wurde ein eigener Raum im Schnittflur eingerich-tet. Regisseur Lukas Schmid war hier für die Kol-legen stets erreichbar und ansprechbar. Auch die Cutterinnen und Cutter untereinander mussten sich aufs engste mit Kolleginnen und Kollegen abstimmen, um am Ende ein homogenes Ge-samtwerk zu präsentieren. Das schränkte die je-weiligen Möglichkeiten der individuellen Bildspra-che, die jedem Cutter eigen ist, ein. Kompromisse waren zwingend notwendig.
Auf der anderen Seite boten sich visuelle Gele-genheiten, die manche schon lange vermisst hat-ten. Zum Beispiel, endlich mal wieder eine Szene stehen zu lassen: Zwei, drei oder sogar fünf Minu-ten – ohne dass ein nervöser Autor oder Redak-teur entgeistert auf die begrenzte Sendezeit ver-wies. In seinem Ausmaß zog die Produktion auch viel Aufmerksamkeit aus dem Kollegenkreis nach sich. Denn über Wochen ertönten südafrikanische
Musikklänge über die Schnittflure, und selbst ein kurzer Blick auf die Monitore zeigte die faszinie-rende Schönheit des Landes an der Südspitze Afrikas. An einem Abend schmetterten Cutterin Kirstin Weber und die Übersetzerin sogar die Na-tionalhymne Südafrikas. »Was macht ihr da ei-gentlich?«, diese Frage hörten die angehenden »Südafrikaner« in den Schneideräumen immer häufiger.
Viele der Fragen aus dem Kollegenkreis konnten wir mit der Ausstellung »Die längste Timeline der Welt« beantworten. Cutter Klaus Eichler hatte die Idee, das Großprojekt in einem neun Meter langen Ausdruck zu visualisieren, bei dessen Realisie-rung uns das Geschäftsfeld Design und das Team der Bühne tatkräftig unterstützten. Diese »Kons-truktionszeichnung« der Sendung wirkt für sich als grafisches Kunstwerk und zeigt auf verschieden-
Lulu Xingwana im Schneideraum
Die »Timeline«
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farbigen Ebenen die von den Cuttern gestalteten Video- und Tonspuren. Hier lassen sich auch die unterschiedlichen Handschriften gut erkennen, und es wird auch für Laien nachvollziehbar, wie sich die Sendung in ihrer kaum vorstellbaren Länge zusammensetzt. Die Ausstellung am Be-ginn der Schnittflure hat das Interesse und auch das Verständnis für die Arbeit des Geschäfts-feldes Design auch bei denjenigen Kolleginnen und Kollegen geweckt, die mit der Postproduktion sonst wenig zu tun haben. Auch ein Effekt, der uns sehr freut.
Die »24 Stunden Südafrika« haben für die Cutter, die Tonmeister, die Schnitt-Disponenten, die be-hutsam das »normale Geschäft« um die Südafri-kaner herum platzierten, und die Systembetreuer erst einmal eine große Herausforderung darge-stellt. Sie alle standen vor einem Berg, dessen wahre Höhe zu Anfang kaum absehbar war. Doch am Ende hat sich gerade diese Produktion für alle zu einer großen Bereicherung entwickelt. Ob wir in vier Jahren dabei sein möchten, wenn es vor der Fußball-Weltmeisterschaft heißen sollte: »24 Stun-den Brasilien«? Mit Sicherheit ja.
»24 Stunden Südafrika«
2010.Jahrbuch40 I
Seit August 2007 leitet Ariane Vuckovic das ZDF-Studio in Johannesburg. Kristina Kepp-ler ist Producerin im Studioteam, das aus dem gesamten südlichen Afrika berichtet. Die erste Fußball-WM auf dem Kontinent war für den Gastgeber Südafrika und auch für das Studio ein voller Erfolg …
Vom Lerchenberg etwa 8 700 Kilometer entfernt, an der Südspitze Afrikas, liegt das Studio Johan-nesburg. Von hier aus berichten wir über das ge-samte südliche Afrika, das die Länder Südafrika, Namibia, Angola, Botswana, Sambia, Simbabwe, Malawi, Mosambik, Lesotho und Swasiland sowie Madagaskar, Mauritius, Mayotte und die Komoren umfasst. Eine vielgestaltige Region also, in der Fortschritt und Rückschritt Hand in Hand gehen, Verzweiflung und Hoffnung oft nah beieinander liegen.
Im Fokus unserer Aufmerksamkeit stand in den letzten Jahren besonders ein Land: Südafrika, Gastgeber der ersten Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Schon seit Ende der WM in Deutschland 2006 richtete sich der Blick der (Fußball-)Welt auf den Kapstaat. Und so wurde es unsere Aufgabe, Antworten auf die zahl-reichen Fragen nach Stadionbau, Kriminalität und Vorbereitungen zu geben – und das WM-Land vom ersten Spatenstich an journalistisch zu be-gleiten. Eine spannende und arbeitsintensive Er-fahrung für unser Team.
Durch die neue »Lust auf Afrika« bei Zuschauern und Redaktionen konnten wir von sämtlichen Fa-cetten des Lebens im südlichen Afrika erzählen: Von Politik über Gesellschaft, von Kultur über Wirt-schaft und natürlich Sport reichten unsere Be-richte und Dokumentationen. Denn das Interesse
an Südafrika war gigantisch, sowohl im ZDF-Hauptprogramm als auch in den Redaktionen von ZDFonline, ZDFinfokanal, ZDFneo oder 3sat und PHOENIX. Und deshalb bemühten wir uns also, das Land, im Sinne des ZDF-Programmauftrags, auf unterschiedlichste Weise und mit den ver-schiedensten Themen abzubilden. Die Studio-Ver-stärkungen vor und während des Turniers unter-stützten uns dabei.
Aufgrund des gesteigerten Interesses bedeutete das Mammutprojekt WM-Logistik für unser kleines Studioteam natürlich eine hohe zusätzliche Belas-tung, die den Enthusiasmus der fünf festen und auch der zusätzlichen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch nicht trübte. Für Sport und Ak-tualität bereiteten wir über Monate hinweg auf-wändige Logistik vor, recherchierten von Hotels über Sicherheitsfirmen und Büroräumen bis hin zu Satellitenleitungen für die über 200 ZDF-Kollegen. Und unterstützten die Afrika-Projekte des Hauses, wie etwa die crossmedialen »24 Stunden Südafri-ka« oder »Afrika unplugged«.
Und der Einsatz hat sich gelohnt: Die WM war nicht nur für das Austragungsland Südafrika ein großer Erfolg, sondern auch für die sportliche und politische ZDF-Berichterstattung rund um das Fußballfest. Dem »WM-Fieber« im Land selbst konnten wir uns natürlich auch nicht entziehen, hatten wir die Vorbereitungen vor Ort schließlich schon seit Jahren verfolgt. Deshalb waren wir auch persönlich erleichtert, dass die Austragung ohne besondere Vorfälle oder Probleme ein Rie-senerfolg für Südafrika wurde.
Vier Wochen lang herrschte im Land eine einzige Party, überall wurde gesungen und getanzt. Und das gemeinsam: Die neue Kultur des Miteinan-
Ariane VuckovicLeiterin des ZDF-Auslandstudios Johannesburg
Das Studio Johannesburg und die WMNeues Interesse an Afrika
Kristina KepplerProducerin und Koautorin im ZDF-Studio Johannesburg
I 41
ders von schwarzen und weißen Südafrikanern, ein neues Nationalgefühl – das erlebten wir als den schönsten WM-Erfolg und hoffen, dass dieser dem immer noch in vielen Bereichen der Gesell-schaft geteilten Südafrika erhalten bleibt. Eines je-denfalls ist sicher: Für den Kapstaat bedeutete die erfolgreiche Ausrichtung des Turniers einen unbe-zahlbaren Imagewechsel – der die Wirtschaft auf Investitionen hoffen lässt.
Natürlich gab es auch Nachrichtenereignisse jen-seits des Sports, über die wir in den vergangen Jahren aus dem Studio berichteten. Etwa die ge-walttätigen Hetzjagden auf afrikanische Einwan-derer im Mai 2008, bei denen in Südafrika 62 Menschen ermordet wurden. Die umstrittenen Wahlen in Simbabwe 2008 sowie die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen im Land. Oder Süd-afrikas Präsidentschaftswahlen 2009 – und die darauf folgenden Ausschreitungen in Südafrikas Armenvierteln, bei denen die Menschen für ihre Forderung nach besseren Lebensverhältnissen auf die Barrikaden gingen. Noch sind sie fragil, die Demokratien in den Ländern des südlichen Afrika, die meist durch einen Befreiungskampf nach Apartheidkonflikt und Kolonialisierung oder durch lang anhaltende Bürgerkriege legitimiert sind.
Unsere Arbeit im Berichtsgebiet ist also oft von starken Gegensätzen gezeichnet. Obwohl die
Menschen hier mit vielen Problemen kämpfen, wird unser Team stets mit offenen Armen empfan-gen, werden wir bei unseren Drehs immer wieder besonders warmherzig willkommen geheißen. Bei der Berichterstattung aus unserer Region ist aller-dings auch Sensibilität gefragt – die vielen unter-schiedlichen Kulturen, Sprachen und Denkweisen und nicht zuletzt die Wunden der südafrikanischen Apartheid erfordern im Umgang mit Menschen viel Respekt und Einfühlungsvermögen.
Südafrika ist ein besonderes Land, und wir erfah-ren täglich die Gastfreundschaft und Freundlich-keit seiner Menschen – ganz gleich, welche Haut-farbe sie haben oder aus welcher sozialen Schicht sie kommen. Und doch ist das Leben und Arbei-ten hier so ganz anders als in anderen Berichtsge-bieten. Unser Studio liegt mitten in Johannesburg, der gefährlichsten Stadt Südafrikas, einer der ge-fährlichsten Metropolen der Welt. Die Polizeistatis-tik verzeichnet im Land etwa 50 Morde pro Tag, die Vergewaltigungsrate ist im internationalen Ver-gleich extrem hoch.
So sind auch wir täglich der hohen und scheinbar willkürlichen Gewalt ausgesetzt, müssen auf der Arbeit und privat ständig wachsam sein. Fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Studios waren schon selbst Opfer von (Gewalt-)Kriminali-tät. Die Tochter eines Kollegen wurde vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Der Bruder einer Kollegin
Das Studio Johannesburg und die WM
Äthiopische Kinder
Kristina Keppler, Producer Mfanasibili Nkosi und Ariane Vuckovic
2010.Jahrbuch42 I
beim Hijacking erschossen. Ehefrau und Sohn eines weiteren Kollegen wurden beim Hausein-bruch von den Eindringlingen gefesselt und mit Waffen bedroht. Diese und andere Geschichten machen deutlich, dass die schwierigen Lebens-bedingungen auch bei unserer Zusammenarbeit im Studio viel Flexibilität und Verständnis fordern.
Dennoch überwiegen unsere positiven Erfah-rungen, steckt im südlichen Afrika so viel Lebens-freude und Hoffnung, gibt es hier so viele Ge-schichten von Aufbruch und Heilung. Deshalb wünschen wir uns für die Zeit nach der Fußball-Weltmeisterschaft vor allem eines: Nachhaltig-keit – auch in unserer Berichterstattung aus dem südlichen Afrika. Wir sind gespannt, wie sich das Interesse an Themen aus unserer Region nun
weiterentwickelt – und hoffen sehr, dass Zuschau-er und Redaktionen ihren Blick aufs südliche Afri-ka durch die WM-Berichterstattung geschärft und weiterhin Freude an Berichten aus dem Studio Johannesburg haben.
Fischer bieten ihren Fang an
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…, dass an einem Abend mehr als 15 Millio-nen Zuschauer deutschlandweit ein und das-selbe Programm sehen? ARD und ZDF. Ge-meinsam. Mit der gleichzeitigen Ausstrahlung des TV-Spots der Kampagne »ARD, ZDF und Sie« zur FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika am 6. Juni 2010 um 20.14 Uhr. Wie es dazu kam, erläutert Hans-Joachim Suchan, ZDF-Verwaltungsdirektor und Leiter der AG »ARD, ZDF und Sie«.
Bis Sommer 2010 war der Öffentlichkeit die Be-werbung des gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Auftritts unter dem Motto »ARD und ZDF. Ihr gutes öffentliches Recht.« bekannt. Pünktlich zum Be-ginn der FIFA Fußball-WM 2010 Anfang Juni star-tete die neue Gemeinschaftskampagne von ARD und ZDF erstmals mit neuem Logo und neuem Claim.
In einer großen Gemeinschaftlichkeit haben die öffentlich-rechtlichen Programme – ARD, die Drit-ten, Deutschlandradio, ARTE, KI.KA, PHOENIX, 3sat und das ZDF – seitdem in TV und Radio Spots und Trailer ausgestrahlt, die alle das gleiche Kommunikationsziel hatten: die Gebührenakzep-tanz bei den Zuschauerinnen und Zuschauern zu stärken. Die dafür eingesetzten Elemente waren zum einen der Hinweis im Claim » … weil Sie Ge-bühren zahlen« sowie die Absender. Im Fokus der Marketingaktivitäten rund um die Fußball-WM standen hierbei die gemeinsam produzierten Kino-, TV- und Radiospots sowie Online- Maßnahmen.
Die Kampagne wurde schließlich Mitte Juli mithilfe von zwei neu überarbeiteten TV-Spots (»Kinder/Neugier« und »Kultur«) weitergeführt und startete Ende Oktober mit einem zweiten großen Flight mit
dem Thema »Krimi-Kompetenz« in eine weitere Runde.
Die Ansprache der Zielgruppe (Zuschauer und Meinungsbildner; Schwerpunkt: junge Menschen zwischen 17 und 28 Jahren) erfolgte dabei im Sinne einer auffallenden und modernen Kommu-nikation. Hierbei galt es, das vielfältige Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Qua-lität des Programms unter dem Motto »Gebühren sind für die Gesellschaft notwendig und sinnvoll« zu verzahnen. Konkret bedeutet dies:
Meine Gebühren sorgen dafür, dass Millionen Kinder gewaltfreie Sendungen sehen können.Meine Gebühren ermöglichen für alle weltweite Informationsfreiheit.Meine Gebühren helfen, die Demokratie in Deutschland zu fördern.Meine Gebühren fördern alle Richtungen von Kunst und Kultur.Meine Gebühren sorgen dafür, dass wir alle unabhängig informiert werden können.Meine Gebühren sorgen dafür, dass gute (deutsche) Krimis produziert werden, die da passieren, wo ich zu Hause bin.Meine Gebühren sorgen dafür, dass wieder ganz Deutschland mitfiebert und die FIFA Fuß-ball-Weltmeisterschaft live und unverschlüsselt gesehen und gehört werden kann.
Erfrischend neuAnders als bei der Kampagne »ARD und ZDF. Ihr gutes öffentliches Recht.« wurde im Mediamix zur Fußball-WM die Werbung im Internet erstmals deutlich intensiviert und gleichzeitig aufgrund des Absenders der Kampagne auf die Ausstrahlung von Spots in Privatsendern verzichtet. Bei der neuen ARD/ZDF-Kampagne sind die kommerzi-
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Die ARD/ZDF-WM-Kampagne
Hans Joachim SuchanZDF-Verwaltungsdirektor und Lei-ter der AG »ARD, ZDF und Sie«
Die ARD/ZDF-WM-KampagneWer sorgt eigentlich dafür …
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ellen Fernsehsender daher nicht mehr Teil des Mediaplans. Die dadurch wegfallenden Kontakte wurden einerseits durch zielgruppenaffine Inter-netwerbung ausgeglichen und um die erstmals stattfindenden Radio-Bewerbungen durch die Landesrundfunkanstalten zielorientiert ergänzt.
In der Zeit vom 1. Juni bis einschließlich 11. Juli 2010 wurde die neuartige Kampagne durch enge Zusammenarbeit aller öffentlich-rechtlichen Rund-funkanstalten als Kampagnen-Spot 1 156 Mal im TV ausgestrahlt und das Kampagnen-Motto im Radio insgesamt mehr als 2 725 Mal gesendet. Flankierend zur Ausstrahlung im öffentlich-recht-lichen Programm wurde eine 45-sekündige Vari-ante des Spots produziert, welche parallel zur Fußball-WM auch deutschlandweit im Kino zu sehen war.
Viraler ErfolgWichtiges Anliegen der Gemeinschaftskampagne ist es, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insbe-sondere bei den jungen Menschen ins Bewusst-sein zu rücken, die ARD und ZDF nicht mehr so stark nutzen. Deshalb wurden die TV- und Radio-spots zusätzlich zu den eigenen Flächen auch im Internet geschaltet. Damit erreichte die klassische Kampagne auch die Fans vieler Sendungen des Privatfernsehens durch Prerolls (Schaltung des TV-Spots vor der jeweiligen Sendung im Internet) und die Freunde von über 4 000 Radiosendern
durch Schaltung des Spots auf einer speziellen Onlineplattform.
Die Onlinekampagne holte die junge Zielgruppe also sowohl bei ihrem Kommunikationsverhalten via Internet ab, als auch bei ihren Sport- und TV-Interessen, bei ihrem Bedürfnis nach Unterhaltung und bei ihrem Informationsbedürfnis.
Den Anstoß für diese erste virale Aktion gab die breit angelegte Onlinekampagne im Rahmen der Fußball-WM, die mit großformatigen und impact-starken Werbeformaten auf die Aktionsplattform aufmerksam gemacht hat. Zusätzlich wurden Ent-scheider aus den Bereichen Politik und Gesell-schaft beispielsweise auf prominenten Portalen der Nachrichtenpresse gezielt angesprochen.
Mithilfe von Onlinewerbemitteln wurde auf den von den Zielgruppen frequentierten und bevor-zugten Seiten geworben. Ergänzt wurde das On-
Plakatmotiv der ARD/ZDF-WM-Kampagne
Kampagnenmotiv
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lineangebot um die zum Start der Kampagne neu geschaffene, so genannte »Landingpage« www.ardzdf.de mit Informationen über das neue Bei-tragsmodell (früher »Gebühren«). Unter einer dar-unter verlinkten weiteren Seite (»Microsite«) konn-ten zudem alle Informationen zur Gemeinschafts-kampagne abgerufen werden.
Letztere bot darüber hinaus auch die Plattform für einen »viralen Spot«. Ein Spot, der sich durch die Mitwirkung der Internetuser und ihr ganz persön-liches Sich-Einbringen im Netz verbreitet. Hier konnte der User mit dem Hochladen seines Fotos eine personalisierte Variante des Spots an Freunde und Bekannte verschicken.
Wichtige KommunikationsbasisDie Homepage www.ardzdf.de (Landingpage) und die Microsite sind wichtige Kommunikations-bausteine für die Kampagne und darüber hin-aus – und darin liegt der eigentliche Wert – eine wichtige Ausgangsbasis sowohl für die für die Öf-fentlichkeit relevanten Informationen sowie für die Bewerbung derselben.
Unter der Seite www.ardzdf.de, die als einziger Di-rektlink kommuniziert wird, sind alle Informationen rund um die Gemeinschaftskampagne sowie über
Gebührenfragen im Allgemeinen nachzulesen. Von hier aus wird es auch zukünftig einen Direkt-link zur Kampagnen-Website (Microsite) geben, auf der analog zur Schaltung von Bannern Kam-pagnenmotive und Extras zu finden sind. In der gemeinsamen Kombination und Verlinkung unter-einander bieten beide Homepages eine gute Basis für die Beitrags- und Markenkommunikation der Gemeinschaftskampagne.
Der Zuschauer im MittelpunktDie Print-Kampagne im ersten Flight hatte das Ziel, zum Start der Fußball-WM die größtmögliche
Die ARD/ZDF-WM-Kampagne
Plakate zur Kampagne
Kampagnenplakat
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Reichweite zu erzielen und gleichzeitig die Ge-bührenkommunikation zu unterstützen.
Um möglichst viele Menschen zu erreichen, wur-den Titel wie 14-tägige TV-Zeitschriften und wö-chentliche Illustrierte belegt. Da die Kampagne im ersten Flight den Mittelpunkt »Fußball« hatte, wur-den auch Anzeigen in Sportmagazinen geschal-tet. Zusätzlich sollten Meinungsführer erreicht werden, die über die Entscheiderpresse ange-sprochen werden.
Die Anzeigenmotive – mit dem Bild einer riesigen, jubelnden und mit Deutschlandtrikots ausgestat-teten Menschenmenge – wurden in der Zeit von 1. Juni 2010 bis 11. Juli 2010 in reichweitenstar-ken und zielgruppenaffinen Publikumszeitschriften und Zeitungen eingesetzt und erreichten 56,7 Prozent der im Vorfeld der Kampagne definierten Zielgruppe (Erwachsene zwischen 17 und 28 Jahre). Auch für die zukünftigen Flights ist eine ebensolche, insgesamt sehr erfolgreiche Vorge-hensweise angedacht.
Kampagnenmotive
Das ZDF und die Neuen Medien
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Der Drei-Stufen-Test zum Telemedienbestand wurde im August erfolgreich abgeschlossen. Rückblick und Fazit des Vorsitzenden des ZDF-Fernsehrats.
Er war schon vor seinem Start als »bürokratisches Monster« bezeichnet worden. Nun ist der Drei-Stufen-Test zum Telemedienbestand von ZDF, 3sat und PHOENIX erfolgreich abgeschlossen. Mit der Bekanntgabe der Ergebnisse der rechts-aufsichtlichen Prüfung am 13. August 2010 fand der Drei-Stufen-Test seinen formalen Abschluss. Die zuständige Staatskanzlei des Landes Schles-wig-Holstein teilte dem Intendanten mit, dass einer Veröffentlichung der Telemedienkonzepte nichts mehr entgegensteht. Die Rechtsaufsicht bestätigte damit erfreulicherweise, dass der Fern-sehrat beim Drei-Stufen-Test korrekt gearbeitet und die Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrags eingehalten hat.
Für den Fernsehrat und seine Geschäftsstelle be-deutete dies den Abschluss von zwei Jahren in-tensiver Arbeit zusätzlich zu den laufenden Aufga-ben des Gremiums. Für das Haus brachte das Ergebnis Planungssicherheit und Rechtssicher-heit. Zum ersten Mal gibt es nun einen klar defi-nierten Auftrag für die Telemedien. Die Telemedi-enkonzepte geben Richtlinien dafür vor, was das Haus im Netz anbieten darf und wo die Grenzen zu nicht zulässigen Angeboten liegen. Auch für Dritte und Marktteilnehmer besteht nun Klarheit, wie weit der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Tele-medienangebote reicht.
Kritik der VerlegerverbändeLeider entsteht angesichts der auch nach Ab-schluss der Verfahren immer noch heftig vorgetra-genen Kritik der Verlegerverbände in den Printme-
dien der Eindruck, ihre spezifischen Interessen in dem Verfahren seien nicht angemessen gewürdigt worden. Dem kann ich für das Verfahren des ZDF-Fernsehrates entschieden widersprechen. In der eigens für den Drei-Stufen-Test eingerichteten Projektgruppe Telemedien wurden alle Stufen des Prozesses in zahlreichen Sitzungen intensiv be-gleitet. Daran waren auch die Verleger mit einem der beiden Vertreter des Bundes Deutscher Zei-tungsverleger (BDZV) im Fernsehrat beteiligt. Dass am Ende nicht alle Entscheidungen im Sinne der Verleger ausgefallen sind, liegt in dem demokratischen Meinungsbildungsprozess inner-halb des Gremiums Fernsehrat begründet.
In einem Rückblick möchte ich noch einmal den Hintergrund des Drei-Stufen-Tests und den Verlauf des Verfahrens darstellen, um abschließend ein erstes Fazit aus den dort gesammelten Erfah-rungen zu ziehen.
Hintergrund des Drei-Stufen-TestsDie Europäische Kommission hatte das Beihilfe-verfahren, das durch Beschwerden unter ande-rem über die Online-Aktivitäten der deutschen öf-fentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bereits im Jahr 2002 angestoßen worden war, im April 2007 eingestellt. Vorausgegangen war ein Kompromiss mit der Bundesregierung, der für ARD und ZDF eine gesetzliche Präzisierung des Auftrages sowie die Einführung eines Testverfahrens für neue und wesentlich veränderte Telemedienangebote vor-sah. Nach dem in der Folge novellierten Rund-funkstaatsvertrag war dieses Testverfahren, der so genannte Drei-Stufen-Test, auch für den Bestand der Telemedien durchzuführen. »Herren des Ver-fahrens« waren die für das Programm zuständi-gen Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten, im Fall des ZDF also der Fernsehrat.
Transparenz zahlt sich ausZum Abschluss des Drei-Stufen-Tests
Ruprecht PolenzVorsitzender des ZDF-Fernsehrats
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VerfahrenDer Fernsehrat prüfte die Telemedienkonzepte des ZDF (zdf.de, heute.de, sport.zdf.de, ZDFme-diathek, tivi.de, theaterkanal.de, unternehmen.zdf.de und ZDFtext), von 3sat (3sat.de, 3sat-Media-thek und 3sat-Text) und PHOENIX (PHOENIX.de und PHOENIX-Text). Grundlage der daraus resul-tierenden Entscheidungen waren die jeweiligen vom Intendanten fortgeschriebenen Telemedien-konzepte. Die weiterentwickelten Konzepte be-rücksichtigten vor allem die im Zuge des Verfah-rens formulierten Erwartungen des Fernsehrats an die Telemedienkonzepte.
Der Fernsehrat konnte bei seinen Beratungen auf verschiedene Erkenntnisquellen zurückgreifen. Dazu zählten die Telemedienangebote selbst, die Stellungnahmen Dritter, die Ausführungen des In-tendanten, die Gutachten zu den marktlichen Auswirkungen sowie eine zusätzliche, gesetzlich nicht vorgegebene Expertenkonsultation. Diese bot ausgewählten gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden die Möglichkeit, zusätzlich zu ihren schriftlichen Stellungnahmen ihre Positionen im Dialog mit dem Gremium darzulegen. Eingela-den waren sowohl Kritiker als auch Befürworter der Telemedienangebote sowie der Intendant des ZDF.
Die marktlichen Gutachten wurden nach einem vorangegangenen europaweiten Vergabeverfah-ren von der Bietergemeinschaft Goldmedia GmbH, Salans LLP und Goldmedia Custom Re-search GmbH erstellt. Die Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Telemedien von ZDF, 3sat und PHOENIX nur in geringem bis sehr gerin-gem Ausmaß auf die untersuchten Märkte auswir-ken. Bei einem Marktaustritt der ZDF-Onlineange-bote würden werbefinanzierte Anbieter lediglich in einem Umfang von 0,4 Prozent des Marktes profi-tieren. Bei den 3sat-Onlineangeboten wären es 0,1 Prozent, bei den PHOENIX-Onlineangeboten 0,01 Prozent.
In die Entscheidungen zu den 3sat- und den PHOE- NIX-Telemedien wurden die Beschlussempfeh-lungen der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD einbezogen, da es sich hierbei um Gemein-schaftsangebote von ARD und ZDF handelt.
Ein weiterer wichtiger Verfahrensbestandteil war die Durchführung eines Workshops zur Identifizie-rung von Qualitätskriterien. Hierfür zog der Fern-sehrat mit verschiedenen renommierten Wissen-schaftlern externen Sachverstand hinzu. Darauf aufbauend konnte er eine Konkretisierung von Qualitätskriterien nach verschiedenen Rubriken (Information, Sport, Unterhaltung/Fiktion, Bildung/Wissen, Ratgeber, Kultur, Kinderangebote) und bezogen auf die staatsvertraglich vorgegebenen Werte (demokratischer, sozialer und kultureller Wert) erarbeiten. Diese Kriterien leiteten den Fern-sehrat bei der Beurteilung des qualitativen Bei-trags der ZDF-Telemedienangebote zum publizis-tischen Wettbewerb.
Entscheidungsfindung und Beschlüsse des FernsehratsDer Fernsehrat wurde bei seinen Aufgaben in den Prüfverfahren durch die Projektgruppe Telemedien unterstützt. Die Beschlüsse des Fernsehrats ba-sieren außerdem auf den Beratungen des Aus-schusses für Finanzen, Investitionen und Technik sowie der jeweiligen Programmausschüsse für die Chefredaktion, die Programmdirektion und die Partnerprogramme.
Die Projektgruppe Telemedien sowie die Aus-schüsse und das Plenum des Fernsehrats prüften die Genehmigungsfähigkeit (Einhaltung der ge-setzlichen Ge- und Verbote) sowie die Genehmi-gungsvoraussetzungen (die drei Stufen) des § 11 f Rundfunkstaatsvertrag: Erstens, das kommunika-tive Bedürfnis, zweitens, den qualitativen Beitrag zum Wettbewerb und drittens, den finanziellen Aufwand der Telemedien von ZDF, 3sat und PHOENIX. Dabei wurden deren marktliche Aus-
Transparenz zahlt sich aus
2010.Jahrbuch50 I
wirkungen berücksichtigt und der publizistische Beitrag der vorhandenen Angebote von Wettbe-werbern gewürdigt. Die abschließende Prüfung ergab, dass der publizistische Wert dieser Ange-bote bei weitem den von Kritikern befürchteten Einfluss auf den Markt überstieg. Der Aufwand für die Telemedien wurde vom Intendanten plausibel dargelegt, sodass keine Anzeichen für eine Über-kompensierung zu erkennen waren.
Streitfrage »Presseähnlichkeit«Besonders ausführlich erörterte der Fernsehrat die Frage, ob etwa bei heute.de Verstöße gegen das gesetzliche Verbot von presseähnlichen An-geboten ohne Sendungsbezug vorliegen. Nach umfänglicher In-Augenscheinnahme der Ange-bote und Prüfung der Telemedienkonzepte kam er mit klarer Mehrheit zu dem Ergebnis, dass die Te-lemedien von ZDF, 3sat und PHOENIX nicht pres-seähnlich sind. Aufgrund ihrer hohen Videoanteile und der Kombination von Standbildern und Texten mit Verlinkungen sowie Blogs und anderen inter-aktiven Elementen unterschieden sie sich in ihrer Gestaltung von Zeitungen und Zeitschriften.
Dessen ungeachtet lieferte der Intendant auf Auf-forderung des Fernsehrats in den fortgeschrie-benen Telemedienkonzepten eine ausführliche Begründung für die umfangreiche Textbasierung von Angeboten wie heute.de. Auch sicherte er zu, den Fernsehrat bei einer erheblichen Ausweitung des Textanteils bestehender Angebote zu informieren.
FazitDer Fernsehrat wird sich noch mit der systemati-schen Evaluation des Drei-Stufen-Tests beschäfti-gen, um daraus Schlüsse für eventuelle weitere Verfahren zu ziehen. Eine wichtige Erkenntnis kann an dieser Stelle bereits vorweg genommen werden: Sämtliche Befürchtungen, der Fernsehrat als binnenplurales Aufsichtsgremium sei mit dem Drei-Stufen-Test überfordert, wurden widerlegt. Es
ist gelungen, das Verfahren in einem engen Zeit-korsett und in Einklang mit den gesetzlichen Vor-gaben erfolgreich durchzuführen. Wir haben hier gemeinsam Neuland betreten. Die Fernsehräte mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen, wirt-schaftlichen und politischen Hintergründen konn-ten gerade in diesem Verfahren ihr jeweiliges Know-how konstruktiv einbringen. Ich bestreite nicht, dass mit dem Drei-Stufen-Test ein hoher personeller und finanzieller Aufwand verbunden war. Die externen Kosten beliefen sich auf insge-samt rund 808 000 Euro, wobei die Kosten für die Erstellung des Marktgutachtens mit rund 511 000 Euro den größten Teil davon ausmachten. Die ge-wonnenen Erfahrungen und die noch zu leistende Evaluation werden dazu beitragen, den Aufwand bei eventuellen weiteren Verfahren in Zukunft zu minimieren.
Die Transparenz im Verfahren gegenüber der Öffentlichkeit und innerhalb des Fernsehrates hat sich ausgezahlt: Die wesentlichen Dokumente wurden zeitnah zu den Entscheidungen auf der Webseite des Fernsehrats der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Alle wichtigen Verfahrensschritte wurden mit entsprechenden Pressemeldungen begleitet. Mit der Expertenkon-sultation ging der Fernsehrat im Interesse der Transparenz des Verfahrens über die gesetzlichen Anforderungen hinaus und erhielt dafür auch eine positive Resonanz. Für den Fernsehrat selbst wurde mit dem Fernsehrats-Intranet eine Infra-struktur geschaffen, die für die Mitglieder auch in Zukunft von großem Nutzen sein wird.
Mit dem Drei-Stufen-Test wurde schließlich die Zusammenarbeit der beiden Organe Fernsehrat und Intendant auf eine neue Grundlage gestellt. Der Fernsehrat wurde durch die neue Aufgabe als Kontrollorgan und »Quasi-Gesetzgeber« aufge-wertet, was auch für seine zukünftige Rolle von Bedeutung sein wird. Denn er musste den vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen zur Konkre-
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tisierung des Auftrags für die Telemedienangebote ausfüllen. Zu beachten war dabei die so genannte »chinesische Mauer«: Auf der einen Seite stand das Gremium als Aufsichtsorgan der Rundfunkan-stalt, das die Telemedienkonzepte zu prüfen hatte, und auf der anderen Seite das Haus als zu kon-
trollierende Institution. Eine zeitlich und fachlich derart intensive Auseinandersetzung mit einem höchst komplexen Thema wie dem Telemedien-auftrag hatten beide Organe seit Bestehen des ZDF noch nicht zu bewältigen. Dass dies nun ge-lungen ist, erfüllt mich mit besonderer Freude.
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Das ZDF ist »drin« – im Netz. Seit 2010 mehr denn je. Politisch haben wir eine nicht heiß geliebte, aber tragfähige Ordnung bekom-men. In den Köpfen der Mitarbeiter nistet sich crossmediales Denken ein. Mitten im unru-higen Strom der Entwicklungen im Internet bereiten wir den nächsten Sprung in eine gute Zukunft vor. Und es gibt ein Zauberwort für unseren Erfolg: die »Marke« – im Netz erst recht.
Ein paar Tage im Oktober 2010. Die Welt schaut auf einen Fleck im chilenischen Nirgendwo. Zehn Kameras der EBU (European Broadcasting Union) fangen selbst das unterirdische Gefängnis ein, in dem 33 Bergkumpel seit Wochen gefangen sind. In der Schaltkonferenz der Chefredaktion ent-scheiden wir, das EBU-Angebot als schlichten Stream ins Netz zu stellen. Nackte Livebilder aus einem Wüstenort am anderen Ende der Welt, mit spanisch sprechenden Menschen – ohne Kom-mentar, ohne Übersetzer. Kein Mensch im ZDF hätte Vergleichbares als Fernsehübertragung an-geboten. Aber der Livestream findet im Netz am Ende mehr Zuspruch als der Stream der dazuge-hörigen »ZDF spezials« oder die legendäre »Obama-Netz-Nacht« vor zwei Jahren. Ein schö-ner quantitativer Erfolg. Aber mehr als das: Der Entschluss der Redaktion dokumentiert, dass in diesem Sender »online gedacht« wird. Wir sind »drin« – im Netz sowieso, aber nicht weniger in den (meisten) Köpfen unserer eigenen ZDF-Pro-gramm-Macher. Das ist die Standortbeschreibung 2010.
Es gibt viele erfolgreiche Onlineprojekte, die dieses Fazit untermauern könnten. Die Preise, die das ZDF im vergangenen Jahr für seine Online-Ideen und deren Umsetzung bekam, belegen das
(siehe Kasten) ebenso, wie die ständig steigende Nutzung der Mediathek und der anderen Portale. Dass wir dabei in der Konkurrenz der Informati-onsangebote im Mittelfeld liegen, spornt uns nur an. Im Übrigen sind wir nachrichtlich schneller als die meisten Konkurrenten. Wir begleiten TV-Groß-projekte wie das »Terra X«-Produkt »Universum der Ozeane« mit einem vielfach beachteten 3D-Auftritt im Netz. In der Selbstverpflichtung für die Jahre 2011/2012 sagt das ZDF mehr »Interaktivi-tät« und »Crossmedialität« zu. Mit anderen Wor-ten: Wir versprechen, das Netz ernst zu nehmen.
Dabei spielen die Sozialen Netzwerke eine ent-scheidende Rolle. Sie sind die Diskussionsräume der Moderne. Wir generieren deshalb längst ganze Fernsehsendungen nur aus Online und or-ganisieren einen interaktiven »Dialog« zwischen TV und Sozialen Netzwerken. Menschen, die im Begriff sind, sich medial von dem klassischen In-formationsmedium Fernsehen zu verabschieden, schickt heute.de zwei Mal am Tag politische und gesellschaftlich relevante Fragen auf ihren Face-book-Account. So organisieren wir auch fernab von Fernsehgerät und Startseite Meinungsaus-tausch über Rente, Hartz IV oder Integration. Und als ZDF-Korrespondent Stephan Hallmann Mitte des Jahres in eindringlichen Reportagen aus dem pakistanischen Katastrophengebiet berichtete, fanden seine täglich mehrfach verschickten, knap-pen Twitter-Botschaften eine zusätzliche, eigene Netzöffentlichkeit. »Eine neue Form von Journalis-mus!«, rief dem ZDF-Mann das mediale Echo zu. Eines der vielen Beispiele für die wachsende Selbstverständlichkeit, mit der sich das ZDF auf die Netzöffentlichkeit einlässt. Mit anderen Wor-ten: Wir sind »drin« – mit unseren Inhalten und un-serem gesellschaftlichen Auftrag, der im Netz mehr denn je Geltung haben muss.
Die »Anarchos« wollen noch mehrOnline 2010 fordert vom linearen TV mehr Mobilität, mehr Flexibilität und vor allem »Marke«
Eckart GaddumHauptredaktionsleiter Neue Medien
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Wir sind »drin«! Das lässt sich seit 2010 auch als gesicherte Zukunftsperspektive ausrufen. Möge niemand von Redakteuren Begeisterung für Tele-medienkonzepte, Drei-Stufen-Tests und Depubli-zierung erwarten! Sie kosteten Geld, das man lie-ber ins Angebot gesteckt, Zeit, die man lieber dem Nutzer geschenkt und Kreativität, die man lieber ins Erstellen statt ins Unsichtbarmachen von Inhalten investiert hätte. Lange Listen von Ar-tikeln zu Sport, Politik, aber auch Kinderthemen, mussten zum großen Teil händisch aus dem Schaufenster des Angebots entfernt und zugleich möglichst intelligente Automatismen zum künf-tigen Umgang mit neuen Stoffen implantiert wer-den. Nicht nur die Onlinejournalisten des ZDF, auch viele Nutzer empfanden den Drei-Stufen-Test als eine Versündigung an der Grundidee des Netzes, Inhalte frei und wann immer nutzen zu können – gebührenfinanzierte allemal. Zuschriften und Protestmails aus der Netzgemeinde belegen ein weit verbreitetes Unverständnis. Und dennoch kann man unter dem Strich sagen: Jetzt wissen wir, woran wir sind. Mit dem Regelwerk zur Ver-weildauer und erlaubten Inhalten können wir ein glaubwürdiges und konkurrenzfähiges Angebot im Web machen. Die aufgeregte Diskussion um
Sein oder Nichtsein der Öffentlich-Rechtlichen im Netz hat eine wichtige und entscheidende Etappe genommen. Das Jahr 2010 hat eine, wenn auch nicht heiß geliebte, so doch akzeptable Ordnung gebracht.
Wir sind »drin«! Das heißt auch: mitten im stets unruhigen Strom der Entwicklung im Netz. Dieses Medium lebt von ständiger, nervöser Bewegung. Onliner sind ohne ordentlich linearen Programm-ablauf unterwegs – das macht uns zum Dauer-Anarcho in einem sonst durchstrukturierten Medi-enhaus. Unsere User verfolgen eine Fußball-Welt-meisterschaft in Südafrika auf mehreren Plattformen zeitgleich – Livestream, Twitter, Face-book, Chat –, das muss Einkanalplaner irritieren. Selbst die agile ZDF-Medienforschung hat noch nicht alle Winkel der Spezies »User« auszuleuch-ten vermocht. Das macht Unberechenbarkeit zu dem einzig verlässlichen Charakteristikum dieses Mediums. Für das Jahr 2010 gilt es zwei Strö-mungen zu beachten:
Die Markterfolge von iPads und Apps legen in-teressante Facetten zum Nutzungsverhalten offen. Das iPad lädt die Nutzer ein, sich mit Zu-
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Die »Anarchos« wollen noch mehr
Online-Preise für das ZDF
Gewonnene Preise 2010
Designpreis der BRD ZDFmediathek
Medienpreis des deutschen Bundestages Berlin-Bilanz
Red Dot Award Videothek (tivi Mediathek)
Redner- und Dialogpreis Projekt »Open Reichstag«
Goldener Spatz Beste TV-Site www.tivi.de
Giga Maus 2010 Online-Angebot zur Kinderserie »JoNaLu«
Deutscher Multimedia Award (Silber) Auslands-Geothek
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griff auf (vom Hersteller) begrenzte Inhalte zu-frieden zu geben. Apps sortieren die schwer überschaubare Netzwelt in leicht konsumier-bare Häppchen. »Das (offene) Netz ist tot«, mutmaßte einmal mehr die amerikanische Zeit-schrift Wired. Andere prophezeien die organi-sierte geistige Verarmung durch den Schleu-senwärter Apple. Wie auch immer: Beide Inno-vationen sind erfolgreich, auch weil sie ganz offensichtlich ein Bedürfnis nach Vorsortierung und Orientierung erfüllen.
Der Anteil der Nutzer, die ein Onlineangebot wie eine Zeitung »durchblättern«, geht zurück. Längst kommt mehr als jeder dritte Besucher unserer Angebote über gezielte Google-Anfra-gen, nicht über die Startseiten von heute.de oder ZDF.de. Das in sich geschlossene Design einer Site verliert gegenüber einer klaren, leicht
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zu erfassenden Struktur für Seiteneinsteiger in unsere Inhalte an Bedeutung. Suche, Auffind-barkeit und Mobilität von Inhalten werden Schlüsselbegriffe von Erfolg.
Wie begleiten wir den Nutzer auf seinem Weg in dieses sich verändernde mediale Konsumverhal-ten? Die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist das Eine. Vor allem aber kann die Antwort auf beide Strömungen nur heißen, dem Nutzer die Zuverlässigkeit, Qualität und Vertraut-heit anzubieten, die er aus der linearen Welt kennt. Die »Marke« ist der entscheidene Träger dieser Ei-genschaften. Das ZDF hat viele davon. Es muss sie nur konsequent netzgerecht konfektionieren.
Mag sein, dass Text dabei nach wie vor ein zen-traler Anker beim Konsum von Netzinhalten ist. Doch die Zukunft gehört dem Bewegtbild, auf das
Das ZDF und das World Wide Web
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wir unsere Entwicklung ausrichten müssen. Alle Zahlen, alle Perspektiven technischer Entwicklung für mobile und andere Plattformen belegen das. Wenn wir es richtig anstellen, arbeitet die Zeit für uns.
Schließlich: Wir sind »drin« – in der Strukturdebat-te. Die richtige Arbeitsorganisation ist mehr als ein lächerliches Spielfeld strukturverliebter Büro-kraten. Eingefahrene Apparate sind mächtig, zäh und schlucken viele gute Ideen effektlos weg. Sie blockieren Zukunft. Wer das ZDF deshalb inhalt-lich zukunftsfähig aufstellen will, muss es struktu-rell modernisieren. Online hat ein vehementes In-
teresse daran. Dazu gehört, dass sich die verant-wortliche Hauptredaktion Neue Medien selbst als eine Struktur des Übergangs begreift. Das Ziel, in integrierten, crossmedial ausgerichteten Redakti-onen aufzugehen, gehört zum Selbstverständnis der Hauptredaktion. Genauso müssen sich TV-Redaktionen in Organisation und Know-how neu erfinden. Im Jahr 2010 ging eine Arbeitsgruppe »tivi.de/Kinder und Jugend« an den Start. Sie soll beide Einheiten zu einer zusammenführen. Es gibt weitere Initiativen, die auf gemeinsame redaktio-nelle Verantwortung für Online- und TV-Inhalte abzielen. Die Richtung, in die es geht, zeichnet sich ab.
Die »Anarchos« wollen noch mehr
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Der Transformationsprozess im ZDF basiert auf der Erkenntnis, dass die bimediale Nut-zung von Fernsehen und Online eine immer bedeutendere Rolle spielen wird. Ein neues Wissensformat als Beispielprojekt zur Förde-rung des »360-Grad-Blicks« beschreibt im Folgenden Karin Müller aus der Hauptredak-tion Neue Medien.
Die kleine Schildkröte schwimmt um ihr Leben. Sie muss sich ihren Weg durch den Kelpwald in den freien Ozean bahnen, Nahrung finden und den Gefahren, die überall lauern, ausweichen. Plötzlich nähert sich von rechts ein weißer Hai – wird die Schildkröte ihm entkommen können? Was nach einer spannenden Tierdoku klingt, ist noch viel mehr. Denn der Internetnutzer betrachtet das Treiben unter Wasser nicht einfach nur am Bildschirm, er selbst ist die Schildkröte.
Aus ihrer Perspektive oder der eines anderen Meeresbewohners erlebt der Nutzer vor dem Bild-schirm das größte Ökosystem der Erde hautnah. Dieser interaktive Zugang ist der Kern des Online-begleitangebots zum Dreiteiler »Terra X: Univer-sum der Ozeane – Mit Frank Schätzing«. Mit einer aufwändigen 3D-Unterwasserwelt sorgte die Re-
daktion zdf.de Anfang Oktober für Aufsehen. Sie ermöglichte es den Internetnutzern, auf eine faszi-nierende virtuelle Tauchfahrt zu gehen und fünf verschiedene Lebensräume zu erkunden. Mit einer passenden 3D-Brille ist die Erfahrung sogar noch intensiver: Mit dem räumlichen Sehen kommt beim Zuschauer das Gefühl hinzu, tatsächlich unter Fischen zu sein und hautnah die Faszination und die Gefahren der Meere zu durchleben. Ganz nebenbei lernt der Online-User Schwarmverhal-ten, Lebensräume und Lebenszyklen unterschied-lichster Tiere in den Weiten der Weltmeere ken-nen. Schnell vollzieht sich der Rollenwechsel vom Jäger zum Gejagten: Eben noch steuert man die kleine Schildkröte, schon geht man als hungriger Hai auf Beutefang. So anregend und fast beiläufig kann Wissensvermittlung im Internet sein, inhalt-lich gestützt von einer Hochglanzdokumentation im TV-Programm.
Für die Redaktion zdf.de bedeutete dieses Pro-jekt, bekannte Wege der Aufbereitung von TV-In-halten im Internet zu verlassen und völliges Neu-land zu betreten, sowohl technisch als auch in-haltlich. Immer begleitet von der Frage, ob dieses Angebot sein Publikum findet und ein narrativ-un-terhaltender Ansatz überhaupt der richtige Weg
Karin MüllerHauptredaktion Neue Medien, Redaktion zdf.de
Fernsehen und Online wachsen zusammenDas neue Wissensformat
Der Zuschauer als Schildkröte ...
... oder als Weißer Hai im Kelpwald
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ist. Ein Risiko, das es in jedem Fall Wert war ein-zugehen. Wir konnten bei diesem Projekt Erfah-rungen sammeln, die in vielerlei Hinsicht wertvoll waren: Angefangen vom Umgang mit stereo- skopem 3D über Programmierung und Entwick-lung einer komplexen Unterwasserwelt bis hin zur Zusammenarbeit mit der stoffführenden TV-Re-daktion. Dabei hat sich beispielsweise gezeigt, dass die Einbindung von Online in ein solches Produkt eigentlich viel früher stattfinden muss, als es hier der Fall war. Im Idealfall sollte dies bereits in der Konzeptionsphase geschehen, um Syner-gien bei der Produktion nutzen zu können.
Unsere Erfahrungen beim Schätzing-Projekt flie-ßen nahtlos ein in eine Fragestellung, die uns schon länger beschäftigt: Wie können sich die Kompetenzen in der Wissensvermittlung von TV und Online auch abseits solcher aufwändigen Produktionen ergänzen? Wie kann dauerhaft ein Angebot aus einem Guss entstehen? Dieser Her-ausforderung stellt sich das Transformations-Pro-jekt »Wissensformat«, an dem Vertreter aus allen Bereichen des Senderverbundes mitarbeiten: Die Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft, 3sat, die Redaktion Umwelt, die Hauptredaktion Kinder und Jugend, der ZDFinfokanal, die Hauptredaktion Aktuelles, die Formatentwicklung, das Geschäfts-feld Bildgestaltung und die Hauptredaktion Neue Medien. Seit drei Jahren ist »Transformation« das beherrschende Schlagwort in der strategischen
Ausrichtung des ZDF. Viele Kollegen arbeiten daran, Fernsehen und Online immer enger zu-sammenzubringen. Das geplante Wissensformat ist eines der drei »inhaltlichen Beispielprojekte«.
Hilfreich für uns: Ein Kernansatz der Transformati-on ist in der Redaktion zdf.de in vielen Projekten gelebter Alltag. Neben dem Schätzing-Projekt haben bereits die Sendungen »ZDF log-in« und »Was nun, …?« eindrücklich aufgezeigt, wie re-daktionsübergreifende crossmediale Arbeit aus-sehen kann. Während »ZDF log-in« als neuartiges Gemeinschaftsprojekt des »Länderspiegels«, des ZDFinfokanals und der Redaktion zdf.de poli-tische Entscheidungsträger unmittelbar und live mit Fragen und Meinungen aus dem Internet kon-frontierte, zeigten die »Was nun, …?«-Sendungen rund um die Bundespräsidentenwahl, wie ein be-währtes Format ganz selbstverständlich und un-aufgeregt durch Fragen aus dem Netz bereichert werden kann.
Beides sind gelungene politische Formate, bei denen die Meinung des Publikums unmittelbar in die Diskussion im TV zurückfloss – aber kann das auch bei Wissensthemen funktionieren? Wer genau hinschaut, findet sehr schnell auch hier spannende Kontroversen: »Grippeimpfung – ja oder nein?« oder »Atomkraft – Fluch oder Segen?«. Ganz zu schweigen von Gentechnik, Stammzel-lenforschung und Präimplantationsdiagnostik –
Fernsehen und Online wachsen zusammen
... oder auch als Thunfisch
Schwarzer Raucher in der Tiefsee
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die Themenfülle ist gigantisch und bietet Stoff für viele spannende Sendeminuten im TV und Online. Beide Plattformen werden von Anfang an be-dacht. Das Wissensformat soll über alle tech-nischen Grenzen hinweg erkennbar sein und gleichzeitig die Stärken, aber auch die medialen Eigenheiten von TV und Online beachten. Hinzu kommt: Für TV zu entwickeln heißt heute auch die Bespielung der Digitalkanäle mitzudenken, so wie ein erfolgreiches Onlineformat über die eigenen Seiten zdf.de und heute.de hinaus immer auch auf YouTube, Twitter und die Sozialen Netzwerke wie Facebook schauen muss. Keine leichte Aufgabe.
Im Vorfeld musste geklärt werden, mit welcher Art von Wissen wir uns überhaupt beschäftigen wol-len. Gut zu wissen ist schließlich auch die Zusam-mensetzung der Bundesregierung oder der aktu-elle Tabellenplatz von Mainz 05.
Wissen, das war schnell klar, braucht für das neue Format einen wissenschaftlichen Bezug. Gesetz-mäßigkeiten und Zusammenhänge sollen erklärt werden. Damit das Format richtig gut wird, braucht es aber mehr als die trockene Erklärung: Kontro-vers, relevant, infektiös, unterhaltend, ehrlich, ein-ordnend und immer mit Wow-Effekt soll das Er-gebnis sein. Die Zielgruppe: 20- bis 50-Jährige, mehrheitlich eher männlich, formal höher gebil-dete (Abi plus), aktive, technikaffine Zuschauer/Nutzer. Soweit die Rahmenbedingungen.
Das Herzstück des Wissensformats soll der so genannte bimediale Beitrag sein. Im Klartext: Der TV-Beitrag wird im Internet mit weiterführenden In-formationen ergänzt. Und zwar zielgenau dort, wo diese Infos benötigt werden. Spricht ein Experte über den CO2-Abbau durch Meeresalgen, wird im Internet genau an der Stelle eine Infografik zu Photosynthese und CO2 angeboten. Ganz prak-tisch läuft das so ab, dass beim Klick auf ein kleines Vorschaubild der Beitrag stoppt und die Erklärgrafik erscheint. Verlässt man die Grafik, läuft der Beitrag weiter. Um das zu schaffen, braucht man ein völlig neues Erzählen, sozusagen ein bimediales Storyboard.
Kein Herz funktioniert ohne ein ausgeklügeltes Netz an Venen und Arterien. Rund um den bime-dialen Beitrag werden weitere Formatelemente entwickelt. Um im Bild zu bleiben: Die Arterien
Buckelwal im Atlantischen Ozean
Anaglyphe 3D-Darstellung eines Schwarzen Rauchers
Zum Erkennen der räumlichen Tiefe ist eine Rot-Cyan-Brille
erforderlich
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(führen das Blut vom Herzen weg) sind originelle Videos, die sich gut im Internet verbreiten lassen und im Idealfall zum Selbstläufer werden. Sie sol-len die Idee des gesamten Formats nach außen tragen. Die Venen (führen das Blut zum Herzen) sind die Interaktion mit dem Nutzer. Sie führen dem Herz des Formats neue Inhalte zu: Das Thema der Sendung wird vorab im Onlineangebot diskutiert, die Reaktionen werden in einem TV-Bei-trag aufgenommen oder in einem Videoblog auf-gegriffen. Nach der Ausstrahlung im TV wird die Diskussion im Netz weitergeführt. So fließt der
Blutkreislauf ständig weiter. Eine Redaktion steu-ert als Herzschrittmacher den Verlauf der Diskus-sion, hält ihn eng am Thema und empfiehlt weiter-führende Links zu Internetseiten, Foren und Blogs.
Wie die Wissenschaft lebt auch Crossmedia vom Experiment. Auch wir forschen weiter. Profitieren werden TV und Online gemeinsam – vor allem aber die ZDF-Zuschauer, die – wie schon im Bei-spiel unserer 3D-Unterwasserwelt – ihr Wissen er-weitern und sich selbst einbringen können.
Fernsehen und Online wachsen zusammen
Hauptmenü mit Auswahl der Habitate
Ein Buckelwal schwimmt am Tauchboot vorbei