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© Copyright Laudius GmbH DE-1042-00-00 Grundwissen Deutsche Geschichte Lernheft 11 „Heimatfront“ und Holocaust – die innere Entwicklung des „Dritten Reiches“ 1939 – 1945 Inhaltsverzeichnis: 11.1 Einleitung ............................................................................................... 2 11.2 Das Leben an der „Heimatfront“ ............................................................ 2 11.2.1 Die Entwicklung der deutschen Kriegswirtschaft ................................... 2 11.2.2 Die Versorgungslage der Bevölkerung .................................................. 5 11.2.3 Der Bombenkrieg ................................................................................... 6 11.2.4 Kriegspropaganda.................................................................................. 7 11.2.5 Repression und Terror ........................................................................... 8 11.3 Die nationalsozialistische Vernichtungsindustrie ................................... 9 11.3.1 Die „Euthanasie“-Morde ......................................................................... 9 11.3.2 Der Holocaust ........................................................................................ 10 11.4 Loyalität und Widerstand ....................................................................... 15 11.5 Der Zusammenbruch des NS-Regimes ................................................. 19 11.6 Selbstlernaufgaben ................................................................................ 21 11.7 Zusammenfassung ................................................................................ 21 11.8 Hausaufgabe .......................................................................................... 23 11.9 Lösungen zu den Selbstlernaufgaben ................................................... 23

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Grundwissen Deutsche Geschichte

Lernheft 11

„Heimatfront“ und Holocaust – die innere Entwicklung des „Dritten Reiches“ 1939 – 1945

Inhaltsverzeichnis:

11.1 Einleitung ............................................................................................... 2

11.2 Das Leben an der „Heimatfront“ ............................................................ 2 11.2.1 Die Entwicklung der deutschen Kriegswirtschaft ................................... 2 11.2.2 Die Versorgungslage der Bevölkerung .................................................. 5 11.2.3 Der Bombenkrieg ................................................................................... 6 11.2.4 Kriegspropaganda .................................................................................. 7 11.2.5 Repression und Terror ........................................................................... 8

11.3 Die nationalsozialistische Vernichtungsindustrie ................................... 9 11.3.1 Die „Euthanasie“-Morde ......................................................................... 9 11.3.2 Der Holocaust ........................................................................................ 10

11.4 Loyalität und Widerstand ....................................................................... 15

11.5 Der Zusammenbruch des NS-Regimes ................................................. 19

11.6 Selbstlernaufgaben ................................................................................ 21

11.7 Zusammenfassung ................................................................................ 21

11.8 Hausaufgabe .......................................................................................... 23

11.9 Lösungen zu den Selbstlernaufgaben ................................................... 23

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„Heimatfront“ und Holocaust – die innere Entwicklung des „Dritten Reiches“ 1939 – 1945

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11.1 Einleitung

Das vorliegende Lernheft beschäftigt sich mit der inneren Entwicklung Deutschlands während des Zweiten Weltkrieges. In den Mittelpunkt des Interesses rücken hierbei die verschiedenen Bereiche des Lebens an der „Heimatfront“, die nationalsozia-listische Vernichtungsindustrie, der Millionen für „lebensunwert“ befundene Menschen zum Opfer fielen, sowie der Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ im Frühjahr 1945.

Lernziele:

Sie können nach Durcharbeitung dieses Lernhefts

– die kriegswirtschaftliche Entwicklung des „Dritten Reiches“ zu erläutern.

– die Lebensbedingungen der deutschen Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkrieges beschreiben.

– die Elemente und Phasen der nationalsozialistischen Kriegspropaganda erklären.

– die Funktionsweise des NS-Vernichtungsapparates darlegen.

– einen Überblick über die Formen und Träger des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Terrorherrschaft geben.

– den Zusammenbruch des NS-Regimes schildern.

Erklärung der Symbole

Selbstlernaufgaben

Hausaufgabe

Zusammenfassung

Hinweise/Tipps

Lösungen zu den Selbstlernaufgaben

Notizen

Anhang

11.2 Das Leben an der „Heimatfront“

11.2.1 Die Entwicklung der deutschen Kriegswirtschaft

Zum Zeitpunkt des deutschen Angriffes auf Polen war das „Dritte Reich“ keineswegs für eine längerfristige militärische Auseinandersetzung gewappnet. Probleme bereiteten insbesondere ein akuter Mangel an Rohstoffen und Arbeitskräften sowie eine ineffiziente Organisationsstruktur.

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Rohstoffmangel

Zu den größten Schwachstellen der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie zählte die Abhängigkeit von Rohstoffeinfuhren. Die Kriegswirtschaft des „Dritten Reiches“ war z. B. dringend auf Eisenerz aus dem neutralen Schweden und Erdöl aus dem mit den „Achsenmächten“ verbündeten Rumänien angewiesen. Wiederholt wurden auf deutscher Seite den Kriegsverlauf nachhaltig prägende militärische Entscheidungen vor dem Hintergrund des Bedarfes an ausländischen Ressourcen getroffen. Der Angriff auf Norwegen und Dänemark etwa diente nicht zuletzt dem Zweck, die schwedischen Eisenerzlieferungen zu sichern. Die systematische Ausplünderung von der Wehrmacht eroberter Gebiete sollte der deutschen Rüstungsindustrie zusätzliche Rohstoffreserven erschließen. So begaben sich u. a. Vertreter der staatseigenen „Reichswerke Hermann Göring“, die 1937 zur Verhüttung einheimischen Eisenerzes gegründet worden waren, auf regelrechte Beutetour durch die besetzten Staaten Europas, um sich dortige Rohstoffvorkommen und Industrieanlagen einzuverleiben. Auf diese Weise stiegen die „Reichswerke“ zum größten Wirtschaftsunternehmen des Kontinents auf. Die Überlegenheit des feind-lichen Wirtschaftspotenzials ließ sich durch derartige Raubzüge jedoch auf Dauer nicht kompensieren. Der Zweite Weltkrieg zehrte nicht nur an der materiellen, sondern auch an der personellen Substanz der deutschen Wirtschaft, der allein im Sommer 1939 durch Einberufungen rund 2,5 Millionen Arbeitnehmer verloren gingen. Eine naheliegende Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitskräfteknappheit bestand in der Einführung einer Arbeitspflicht für Frauen. Aus ideologischen Gründen sah die NS-Führung, deren Weltbild dem weiblichen Teil der Bevölkerung die Rolle der Hausfrau und Mutter zuwies, aber zunächst hiervon ab. Da Soldatenfrauen nach Kriegsausbruch hohe Unterhaltsleistungen bezogen, sank die Quote der berufstätigen Frauen zwischenzeitlich sogar. Die Anfang 1943 schließlich im Zuge der Ausrufung des „Totalen Krieges“ doch für ledige Frauen zwischen 17 und 45 Jahren eingeführte Arbeitspflicht wurde nicht mit der für viele andere Bereiche des NS-Staates typischen Rigorosität durchgesetzt, wovon insbesondere sozial privilegierte Frauen profitierten. Auch die zeitgleich forcierten Stilllegungen für nicht kriegswichtig befundener Betriebe, von denen vorrangig das Handwerk und der Handel betroffen waren, vermochten die Problematik des Arbeitskräftemangels nur geringfügig abzumildern.

Zwangsarbeit

Nur unter Einsatz von immer mehr aus den besetzten Gebieten stammenden Menschen gelang es den NS-Machthabern, die Lücken auf dem Arbeitsmarkt halbwegs zu füllen. Da die Anwerbung Freiwilliger schleppend verlief, erfolgten die Rekrutierungen überwiegend zwangsweise. Ab März 1941 hatte Fritz Sauckel in seiner Eigenschaft als „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“ den Nach-schub an „Menschenmaterial“ zu garantieren. In den eroberten Teilen Osteuropas wurden wahre Sklavenjagden durchgeführt, um den Arbeitskräftebedarf der deutschen Kriegswirtschaft zu decken. Bis Ende 1944 stieg die Anzahl der in den besetzten Gebieten selbst sowie innerhalb des Deutschen Reiches Zwangsarbeit verrichtenden Frauen und Männer auf über 7,5 Millionen an. Sie wurden in nahezu allen wirtschaftlichen Bereichen, bevorzugt aber in der Landwirtschaft und Rüstungsindustrie eingesetzt. Das NS-Regime legte Wert auf strikte Trennung der in eigens errichteten Lagern lebenden Zwangsarbeiter von der deutschen Zivilbevölkerung und bestrafte Kontaktaufnahmen privaten

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Charakters schwer. Die Behandlung der Zwangsarbeiter fiel umso unmenschlicher aus, je tiefer sie im Rahmen der nationalsozialistischen „Rassenhierarchie“ ange-siedelt waren. So erhielt ein aus der Sowjetunion verschleppter „Ostarbeiter“ weit weniger Nahrung, musste kräftezehrendere und oftmals gefährlichere Arbeiten leisten und war stärker von brutalen Übergriffen deutscher Vorarbeiter bedroht als sein westeuropäisches Pendant. Auch die Arbeitskraft von sowjetischen Kriegsgefangenen sowie KZ-Insassen wurde rücksichtslos und sehr häufig mit tödlichen Folgen ausgebeutet.

Organisationschaos

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges litt die Effizienz der deutschen Kriegswirtschaft stark unter unklaren Zuständigkeitsregelungen: Eine übergeordnete Lenkungsinstanz fehlte, stattdessen rangen diverse zivile und militärische Stellen um eine Ausweitung ihrer rüstungswirtschaftlichen Befugnisse. In Konkurrenz zueinander standen u. a. das Reichswirtschaftsministerium, die Vierjahresplanbehörde sowie das wiederum in seinen Planungen von Rivalitäten der Teilstreitkräfte behinderte Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt im OKW. Dass sich in der Person Görings, der zugleich als Chef der Vierjahresplanbehörde und der Luftwaffe fungierte, der zivile mit dem militärischen Sektor vermischte, verschärfte das organisatorische Chaos noch. Um den die Rüstungsproduktion hemmenden Kompetenzdschungel zu lichten, ernannte Hitler am 17. März 1940 Fritz Todt, der sich als Koordinator des Reichsauto-bahnbaus profiliert hatte, zum „Reichsminister für Bewaffnung und Munition“. Todt drängte zielstrebig den Einfluss der Wehrmachtsbürokratie zu Gunsten einer aktiveren Einbindung der Privatwirtschaft zurück. Mit der Aussicht auf steigende Gewinne versicherte er sich der Kooperationsbereitschaft der Rüstungsgüter fertigenden Unternehmerschaft. Um eine optimale Ausnutzung des in den entsprechenden Betrieben vorhandenen betriebswirtschaftlichen und technischen Fachwissens zu gewährleisten, setzte Todt auf eine weitgehende Selbstverwaltung der Rüstungsindustrie. So bildeten etwa die mit der Herstellung von Munition betrauten Firmen Arbeitsgemeinschaften, in denen sie Absprachen bezüglich der Erfüllung von Wehrmachtsaufträgen trafen. Die Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaften tauschten sich auf regionaler Ebene im Rahmen von Munitionsausschüssen aus, die ihrerseits Vertreter in den Munitions-beirat des von Todt geleiteten Ministeriums entsandten. Mit Hilfe dieses pyramiden-artig angeordneten Gremiensystems konnte die Produktivität der deutschen Rüstungsindustrie wesentlich verbessert werden.

Das „System Speer“

Im Februar 1942 verunglückte Todt bei einem Flugzeugabsturz tödlich. Seine Nach-folge trat der von Hitler überaus geschätzte Architekt Albert Speer an. Schrittweise gelang es Speer, die auf dem Feld der Kriegswirtschaft noch ausgefochtenen Machtkämpfe zu Gunsten seines Ministeriums zu entscheiden. So sicherte er sich u. a. den Todt verwehrt gebliebenen Zugriff auf die Marine- und Luftrüstung. Die Ausdehnung seines Kompetenzbereiches schlug sich auch in der im September 1943 vollzogenen Umbenennung der ihm unterstehenden Behörde nieder, die fortan „Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion“ hieß. Durch die Installation eines als „Zentrale Planung“ firmierenden Amtes ebnete Speer den Weg für eine gesamtwirtschaftliche Steuerung der Rohstoffflüsse. Dennoch rückte er keineswegs vom Prinzip der privatwirtschaftlichen Selbstverwaltung ab. Speer baute vielmehr das von seinem Vorgänger angestoßene Organisationsgefüge weiter aus, indem er eine Unterteilung der Rüstungsindustrie in nach Wirtschaftssparten und

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Produktionsbereichen geordnete Hauptringe und –ausschüsse vornahm. Jedem dieser von Unternehmensvertretern geleiteten Gremien wurden ebenfalls unter dem Vorsitz von Wirtschaftspraktikern tagende Untergruppen angegliedert, was einen direkten Abstimmungsprozess zwischen den Zuliefer- und den Endfertigungsbetrieben in Gang setzte. Darüber hinaus initiierte Speer umfassende Rationalisierungsmaßnahmen. Hierzu zählten u. a. eine vermehrte Fließbandproduktion und die Umstellung von Mehr- auf Einzweckmaschinen, die sich auch von ungelernten Arbeitskräften relativ leicht bedienen ließen. Speers ministerielle Tätigkeit trug insofern Früchte, als die Zahl der produzierten Rüstungsgüter von Anfang 1942 bis Mitte 1944 um mehr als das Dreifache anstieg. Dieser „Erfolg“ wurde jedoch mit dem millionenfachen Leid zu Sklavenarbeit in der Rüstungsindustrie des „Dritten Reiches“ gezwungener Menschen erkauft, ganz abgesehen davon, dass er die Fortführung eines verbrecherischen Krieges ermöglichte. 11.2.2 Die Versorgungslage der Bevölkerung

Vor dem Hintergrund der Hungerunruhen, die das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg erschüttert hatten, zeigte sich das NS-Regime sehr darum bemüht, eine stabile Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Kleidung zu gewährleisten. Beschränkungen des entsprechenden Angebotes waren unvermeidlich, sollten aber auf einem recht hohen Niveau erfolgen. Hierzu wurde unmittelbar nach Kriegsaus-bruch ein Rationierungssystem eingeführt, das Deutschen „arischer“ Abstammung existenzielle Entbehrungen ersparte. Kartoffeln und Gemüse gelangten weiterhin in den freien Handel, ansonsten regelten Lebensmittelkarten und Bezugsscheine die Zuteilung von Nahrungsmitteln sowie Textilien und Schuhen. Einem „Normalver-braucher“ standen wöchentlich u. a. 2.400 Gramm Brot und 500 Gramm Fleisch zu, bestimmte Personengruppen wie Soldaten, „Schwerarbeiter“ und Schwangere hatten Anspruch auf Sonderzulagen. Mit fortschreitender Kriegsdauer war der Agrarsektor des „Dritten Reiches“ in Folge eines akuten Mangels an Düngemitteln, Landmaschinen und Arbeitskräften immer weniger in der Lage, den Nahrungsmittelbedarf der deutschen Bevölkerung zu decken. Um Versorgungskrisen an der vielbeschworenen „Heimatfront“ zu verhindern, wurde ein Großteil der in den besetzten Gebieten erzeugten Lebens- und Futtermittel nach Deutschland geschafft. Insbesondere die Einwohner Polens und der als Kornkammer der UdSSR geltenden Ukraine beraubte das NS-Regime unter Inkauf-nahme zahlreicher Hungertoter systematisch ihrer Lebensgrundlagen. Durch diese rücksichtlose Ausbeutungspolitik war es den nationalsozialistischen Machthabern möglich, den Kaloriengehalt der zugeteilten Nahrungsmittel fast den gesamten Krieg über weitgehend konstant zu halten. Lediglich die Qualität der Rationen sank im Zuge der zunehmenden Verwendung von Ersatzstoffen.

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11.2.3 Der Bombenkrieg

Luftschutz

Schon bald nach der Machtübertragung an die NSDAP setzte eine systematische Vorbereitung der deutschen Bevölkerung auf etwaige feindliche Luftangriffe ein. So wurde Ende April 1933 der dem Luftfahrtministerium angegliederte Reichsluftschutz-bund (RLB) gegründet, dessen Mitgliederbestand bis 1939 auf etwa 13,5 Millionen anwuchs. Dem RLB oblag u. a. die Schulung ehrenamtlich tätiger Luftschutzwarte und die Abhaltung von Luftschutzübungen. Kraft eines Luftschutzgesetzes vom 26. Juni 1935 war jeder Deutsche „zu Dienst- und Sachleistungen sowie zu sonstigen Handlungen, Duldungen und Unterlassungen verpflichtet, die zur Durchführung des Luftschutzes erforderlich sind (Luftschutzpflicht).“ Doch im Laufe des Zweiten Weltkrieges sollten sich alle getroffenen Luftschutzvorkehrungen, die z. B. den Bau von Luftschutzbunkern, nächtliche Verdunkelung sowie die Ausgabe von „Volksgas-masken“ und Löschsandtüten umfassten, in Anbetracht des Zerstörungspotenzials der alliierten Luftstreitkräfte als unzureichend erweisen.

Flächenbombardements

Die verheerenden Angriffe der deutschen Luftwaffe auf Warschau und Rotterdam bildeten den Auftakt eines weite Teile Deutschlands in Trümmerlandschaften verwandelnden Bombenkrieges. Auf alliierter Seite bemühten sich insbesondere die britischen Luftstreitkräfte in Ermangelung geeigneter Navigationstechnik immer weniger um die Zerstörung von Militär- und Industrieanlagen, sondern überzogen zunehmend reine Wohngebiete mit Flächenbombardements, um die Kampfmoral der deutschen Zivilbevölkerung zu brechen. Die größte Gefahr ging hierbei von Feuerwalzen aus, die im Zuge des kombinierten Einsatzes von Spreng- und Brandbomben entfacht wurden. Anlässlich der Konferenz von Casablanca legten Roosevelt und Churchill Anfang 1943 das weitere alliierte Vorgehen im Bombenkrieg gegen das „Dritte Reich“ fest: Der US Air Force fiel die Aufgabe zu, tagsüber Präzisionsangriffe auf militärisch-industrielle Ziele zu fliegen, während das von Luftmarschall Arthur Harris befehligte britische Bomber Command (BC) die nächtlichen Flächenbombardements intensi-vieren sollte. Dieser geballten Schlagkraft war die deutsche Luftabwehr auf Dauer nicht gewachsen, so dass die feindlichen Bomberstaffeln binnen eines knappen Jahres die absolute Luftherrschaft über Deutschland erlangten. Zu den folgen-schwersten der zahlreichen Luftangriffe auf deutsche Städte zählten Massenbombar-dements auf Hamburg und Dresden, die im Sommer 1943 bzw. Mitte Februar 1945 jeweils zehntausende Todesopfer forderten. Insgesamt verloren etwa 600.000 Deutsche bei alliierten Bombenangriffen ihr Leben. Der mit den Flächenbombardements bezweckte Demoralisierungseffekt blieb jedoch aus. Die als „Bombenterror“ wahrgenommenen Luftschläge dürften den Durchhalte-willen der deutschen Bevölkerung und ihre Empfänglichkeit für die NS-Kriegs-propaganda eher noch verstärkt haben.

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Abb.: Das zerstörte Dresden nach dem alliierten Bombardement vom 13. bis zum 15. Februar 1945

Quelle: Bundesarchiv 11.2.4 Kriegspropaganda

Nach dem Überfall auf Polen wurde der Krieg zum beherrschenden Thema der nationalsozialistischen Propaganda. Seitens des Propagandaministeriums initiierte Kampagnen forderten die Bevölkerung zu erhöhter Wachsamkeit vor feindlicher Agententätigkeit und Sabotage sowie zum Sammeln in der Kriegswirtschaft verwert-barer Altstoffe auf. Zahlreiche die Wehrmacht verherrlichende Schriften und Bücher erhoben „Kriegshelden“ wie den „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel, die „Fliegerasse“ Hans-Ulrich Rudel und Werner Mölders oder den U-Boot-Kommandanten Günther Prien in den Rang von Jugendidolen. Die populäre Radiosendung „Wunschkonzert für die Wehrmacht“ sollte im Zuge des Austausches von Grüßen und Musikwünschen den Zusammenhalt zwischen den Frontsoldaten und der Zivilbevölkerung fördern.

Film

Ein Leitmedium der NS-Propaganda blieb auch nach Kriegsausbruch der Film. Der filmischen Massenbeeinflussung diente z. B. die fest zum Programm damaliger Kinos gehörende Deutsche Wochenschau. Letztere war u. a. darauf ausgerichtet, mit Hilfe von speziellen Propagandakompanien der Wehrmacht aufgenommenen und suggestiv aufbereiteten Filmmaterials den Eindruck einer ebenso heroischen wie erfolgreichen Kriegführung zu erwecken. Antisemitische Hetzwerke wie „Jud Süß“ (1940) und Durchhaltefilme wie „Kolberg“ (1945) sollten die Bevölkerung ideologisch auf Linie halten und ihre Kampfmoral stärken. Die meisten Produktionen der deutschen Filmindustrie waren allerdings weiterhin unpolitischer Natur. Der Zweck von Unterhaltungsfilmen wie „Münchhausen“ (1943) oder „Die Feuerzangenbowle“ (1944) bestand darin, das Kinopublikum von seinen kriegsbedingten Alltagsnöten abzulenken.

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Der „Totale Krieg“

Als sich die Vorzeichen der militärischen Niederlage kaum noch leugnen ließen, intensivierte das NS-Regime seine Appelle an die Opferbereitschaft der deutschen Bevölkerung. Diese finale Phase der nationalsozialistischen Kriegspropaganda läutete Goebbels öffentlich ein, als er am 18. Februar 1943 wenige Wochen nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad im Berliner Sportpalast den „Totalen Krieg“ ausrief. Damit die nicht mehr abreißende Kette militärischer Hiobsbotschaften keiner allgemeinen Kriegsmüdigkeit Vorschub leistete, beschwor die NS-Führung immer öfter und eindringlicher die Gefahr eines „Einfalls asiatischer Horden“. 11.2.5 Repression und Terror

Auf innenpolitischer Ebene ging die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch das „Dritte Reich“ mit einer Erhöhung des Repressionsdrucks einher. Die Verschärfung der staatlichen Unterdrückung schlug sich deutlich in der Einführung neuer Straftat-bestände nieder. Von drakonischen Strafen bis hin zu Todesurteilen war fortan z. B. bedroht, wer „Wehrkraftzersetzung“ in Form kritischer Bemerkungen zum Kriegs-verlauf betrieb, als „Kriegswirtschaftverbrechen“ eingestufte Tätigkeiten wie Schwarz-schlachtungen unternahm oder auf Grund angeblichen Plünderns bei Luftangriffen eines Verstoßes gegen die „Volksschädlingsverordnung“ angeklagt wurde. Gleiches galt für das ab dem 7. September 1939 unter Strafe stehende Hören ausländischer „Feindsender“. Innerhalb der deutschen Justiz bei Kriegsausbruch noch vorhandene Überbleibsel rechtsstaatlicher Ordnung tilgte die NS-Führung, indem sie die Zuständigkeit für Fälle, durch die Belange der öffentlichen Sicherheit als berührt galten, mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten Sondergerichten übertrug. Zum Inbegriff nationalsozialis-tischer Gesinnungsjustiz entwickelte sich, insbesondere nach der Übernahme des Vorsitzes durch Roland Freisler im August 1942, der in Berlin ansässige Volks-gerichtshof, der in etlichen Schauprozessen vermeintliche und tatsächliche Regimegegner aburteilte.

RSHA

Als Schaltzentrale der nationalsozialistischen Repressions- und Terrormaßnahmen wurde am 27. September 1939 das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) gegründet. Das RSHA setzte sich aus sieben Ämtern zusammen und war seinerseits ein Haupt-amt der SS. Seine Effizienz bei der Bekämpfung politischer Gegner sowie Verfolgung und Vernichtung „rassisch minderwertiger Elemente“ ergab sich aus einer organisa-torischen Verquickung von Kriminalpolizei, Gestapo, SD und Sipo. An der Spitze der Behörde stand zunächst Reinhard Heydrich. Nachdem Heydrich im Frühjahr 1942 in Prag einem von der tschechischen Exilregierung in Auftrag gegebenen Attentat zum Opfer gefallen war, trat Ernst Kaltenbrunner an seine Stelle.

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11.3 Die nationalsozialistische Vernichtungsindustrie

11.3.1 Die „Euthanasie“-Morde

Der Kriegsausbruch gab den Startschuss für eine mörderische Radikalisierung der NS-Rassenpolitik. Die erste Personengruppe, deren staatliche Verfolgung in system-atische Vernichtung umschlug, waren an unheilbaren Erkrankungen geistiger, psychischer oder körperlicher Natur leidende Menschen. Aus nationalsozialistischer Sicht handelte es sich bei ihnen um wertvolle Ressourcen verschlingende „Ballastexistenzen“, die es mittels des 1933 erlassenen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ an der Fortpflanzung zu hindern galt. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges schien Hitler die Zeit reif, in der Behandlung „lebensunwerten Lebens“ zur „Euthansasie“ (griechisch: „guter/schöner Tod“), wie die beschönigende Umschreibung von Krankenmorden lautete, überzugehen. Als Anlass diente ihm der Fall eines Mannes, der den „Führer“ brieflich um die Tötung seines schwerbehinderten Kindes ersuchte. Auf Hitlers Geheiß wurde das Kleinkind Ende Juni 1939 in einer Leipziger Klinik umgebracht. Kurz darauf erteilte er Philipp Bouhler, dem Leiter der für an Hitler gerichtete Bittgesuche zuständigen „Kanzlei des Führers der NSDAP“ (KdF), und seinem Begleitarzt Karl Brandt mündlich den Auftrag, bei gleichgelagerten Krankheitsbildern zukünftig ebenso zu verfahren.

„Euthanasiebefehl

Auf die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die hierdurch initiierte „Euthanasieaktion“ verzichtete Hitler. Im Rahmen einer nur aus einem Satz bestehenden schriftlichen Anordnung wies er lediglich Bouhler und Brandt im Oktober 1939 persönlich an, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass unter Hinzuziehung von ihnen „namentlich zu bestimmender Ärzte (...) unheilbar Kranken (...) der Gnadentod gewährt werden kann.“ Das Schreiben trug das Datum des 1. September 1939. Mit dieser symbolträchtigen Rückdatierung auf den Tag des Kriegsbeginns verlieh Hitler der Auffassung Ausdruck, dass der Kampf gegen die äußeren Feinde Deutschlands eine innere Entsprechung in der „Euthanasie“ finde.

„Aktion T 4“

Da die „Euthanasieaktion“ unter strenger Geheimhaltung erfolgen sollte, wurde eine Reihe von Tarnorganisationen mit ihrer Durchführung betraut. Die Erfassung potenzieller Opfer etwa oblag einem als „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ firmierenden Ärzteteam, das Meldebögen entwickelte und an Pflegeeinrichtungen verschickte. Die „Verlegung“ zur Tötung vorgesehener Patienten war Aufgabe der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft mbH“, die Zugriff auf den Wagenpark der SS besaß. Die organisatorischen Fäden der „Euthanasieaktion“ liefen bei einer zentralen Dienststelle mit Sitz in der Berliner Tiergartenstraße 4 zusammen, weshalb die Krankenmorde die Tarnbezeichnung „Aktion T 4“ erhielten. Die Auswahl der zu „erlösenden“ Patienten trafen Gutachter ausschließlich auf Grundlage der ausgefüllten Meldebögen. Bei Behinderten jüdischer Herkunft unterblieb selbst diese Ferndiagnose, da sie generell als „lebensunwert“ galten. Schauplatz der Krankenmorde waren die „Euthanasie“-Anstalten Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg und Hadamar. Zwischen Anfang 1940

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und August 1941 wurden dort durch tödliche Injektionen sowie in als Duschräume getarnten Gaskammern mehr als 70.000 Menschen umgebracht. In Anbetracht der Dimension des Massenmordes ließ sich die „Aktion T 4“ auf Dauer nicht verheimlichen. Als Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster, am 3. August 1941 im Rahmen einer Predigt Protest gegen die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ erhob, verfügte Hitler aus Rücksichtnahme auf die öffentliche Stimmung die Einstellung der „Euthanasieaktion“. Aber auch ohne zentrale Steuerung setzte sich das Morden hinter Anstaltsmauern fort, wobei Ärzte und Pflegepersonal sich bevorzugt überdosierter Beruhigungsmittel bedienten. Die „Vergasungstechniker“ der „Aktion T 4“ hatten sich derweil bereits einem neuen Aufgabenfeld zugewandt: der Vernichtung der europäischen Juden. 11.3.2 Der Holocaust

Mit Kriegsbeginn verschärfte sich die ohnehin schon bedrohliche und von zahlreichen Einschränkungen gekennzeichnete Situation der noch zirka 200.000 innerhalb des Deutschen Reiches lebenden Juden erheblich. Letztere unterlagen z. B. nun einer nächtlichen Ausgangssperre, die im Sommer ab 20 und während der Wintermonate ab 21 Uhr galt. Nach und nach wurden ihnen der Besitz von Radiogeräten, Telefon-apparaten und Kraftwagen sowie das Halten von Haustieren untersagt. Sie mussten sich mit weit geringeren Lebensmittelrationen als die „arische“ Bevölkerung begnügen, die Ausgabe erfolgte zudem in gesonderten Geschäften. Kleiderkarten blieben ihnen ab Ende 1939 ganz vorenthalten. Am 19. September 1941 trat eine Verordnung in Kraft, die jede mindestens sechs Jahre alte Person jüdischer Abstammung zum Tragen eines sechszackigen gelben Sterns mit der Aufschrift „Jude“ auf der linken Brustseite der Kleidung verpflichtete. Mitte des darauffolgenden Monats setzten die Massenverschleppungen deutscher Juden in Richtung Osteuropa ein. Für die meisten der Deportierten war es eine Reise in den Tod.

Madagaskar-Plan

Bei Kriegsausbruch war die Ermordung aller im deutschen Machtbereich lebenden Juden keineswegs bereits seitens des Nazi-Regimes definitiv beschlossen worden. Noch im Sommer 1940 galt vielmehr nach dem militärischen Triumph über Frankreich eine Massenzwangsumsiedlung europäischer Juden auf die vor Ostafrika gelegene Insel Madagaskar, die zum französischen Kolonialreich gehörte, innerhalb der NS-Führung als ernsthafte Option. Im Auftrag Heydrichs verfasste Adolf Eichmann, der im RSHA das Referat „Judenangelegenheiten und Räumung“ leitete, eine die Madagaskar-Idee konkretisierende Denkschrift. Eichmann schlug hierin die Verschlep-pung von vier Millionen Juden vor, die auf Madagaskar wohl ein strenger SS-Aufsicht unterliegendes Dasein in qualvollem Siechtum erwartet hätte. Der Madagaskar-Plan zerschlug sich jedoch mit dem Scheitern der Invasion Englands, da die britischen Seestreitkräfte dem „Dritten Reich“ die in Frage kommenden Transportwege versperrten. Die Radikalisierung der NS-Judenpolitik schritt auch deshalb mit zunehmender Kriegs-dauer fort, weil die Gauleiter des „Altreiches“, der „Ostmark“, sowie der militärisch eroberten und dem Deutschen Reich einverleibten Gebiete geradezu darum wett-eiferten, sich als erste „ihrer“ Juden zu entledigen. Aus ihrer Sicht bot sich das

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„Generalgouvernement“, also der nicht „eingedeutschte“ Teil des polnischen Territoriums, als eine Art „menschlicher Schuttabladeplatz“ an, doch auf Grund von Überfüllung, Nahrungsmittelknappheit und Seuchengefahr waren die Aufnahme-kapazitäten der dortigen Judenghettos weitgehend erschöpft. Zudem setzte Verwaltungschef Frank seinerseits alles daran, das „Generalgouvernement“ schnellstmöglich „judenfrei“ zu machen. Die zwischenzeitlich erwogene Errichtung eines „Judenreservates“ auf sowjetischem Boden erwies sich ebenfalls als nicht kurzfristig realisierbar, da der erwartete „Blitzsieg“ der Wehrmacht über die Rote Armee ausblieb. Der Entschluss zur physischen Auslöschung der europäischen Juden fiel in der zweiten Hälfte des Jahres 1941 und somit zu einem Zeitpunkt, als die Einsatzgruppen bereits mordend durch die UdSSR zogen. Anders als im Fall der „Aktion T 4“ konnte bislang kein schriftlicher Vernichtungsbefehl Hitlers aufgefunden werden. Womöglich autorisierte der „Führer“ die entsprechenden Maßnahmen nur in mündlicher Form. Unzweifelhaft ist jedenfalls, dass die „Endlösung der Judenfrage“, wie die verharm-losende Umschreibung der geplanten „Ausrottung“ des europäischen Judentums im internen NS-Sprachgebrauch lautete, mit seiner Billigung anlief.

Wannsee-Konferenz

Die organisatorischen Weichen für die „Endlösung“ stellte Heydrich. Auf seine Einladung trafen sich am 20. Januar 1942 in der Berliner Villa „Am Großen Wannsee 56-58“ hochrangige Vertreter diverser Reichsministerien, der SS und der NSDAP zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“. Die 15 Teilnehmer der Wannsee-Konferenz stimmten das logistische Vorgehen bei der „Evakuierung der Juden nach dem Osten“ ab. Heydrich prognostizierte, dass von den europaweit mehr als elf Millionen in die Deportationen einzubeziehenden Menschen bei Arbeitseinsätzen „ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen“ werde, die Überlebenden müssten „entsprechend behandelt werden“, um sie als besonders widerstandsfähige „Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues“ auszuschalten. Aus den Reihen der Anwesenden wurden keinerlei Bedenken gegenüber den Völkermordplanungen geäußert. So gelang Heydrich mit der Wannsee-Konferenz die Einbindung der gesamten NS-Bürokratie in den auf millionenfachen Mord ausgerichteten Vernichtungsprozess. Die Dimension der angestrebten Massenvernichtung erforderte die Anwendung einer neuen Tötungsmethodik, da die von den Einsatzgruppen vorgenommenen Erschießungen als nicht effizient genug angesehen wurden und die Täter auf Dauer einer zu hohen Nervenbelastung aussetzten. Eine naheliegende Alternative stellten Vergasungen dar, die sich im Rahmen der Krankenmorde „bewährt“ hatten. Das erste mit entsprechender Tötungstechnik ausgestattete Vernichtungslager nahm im Dezember 1941 auf dem Gebiet des nach der Zerschlagung Polens gebildeten Reichsgaus Wartheland seinen Betrieb auf, und zwar in der Ortschaft Kulmhof (polnisch: Chelmno). Als Mordinstrumente dienten dort Gaswagen, in denen insgesamt mehr als 150.000 Menschen, überwiegend Juden, aber auch tausende Sinti und Roma, durch das Einleiten von Motorabgasen erstickt wurden.

„Aktion Reinhardt“

Weitere fünf Vernichtungslager entstanden innerhalb des „Generalgouvernements“. Drei davon, nämlich die jeweils in abgelegenen Gegenden des Distrikts Lublin aus logistischen Gründen in der Nähe von Eisenbahnlinien erbauten Tötungszentren Belzec, Sobibor und Treblinka, waren fest in die Mitte 1942 startende „Aktion Reinhardt“ eingebunden. Diese ursprünglich wohl nach dem Staatssekretär im

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Reichsfinanzministerium Fritz Reinhardt benannte, von der SS aber nach dessen Tod auf RSHA-Chef Reinhard Heydrich bezogene Mordaktion zielte auf die Auslöschung aller im „Generalgouvernement“ lebenden Juden ab. In überfüllten Viehwaggons wurden die Opfer aus den Judenghettos in die Vernichtungslager transportiert. In angeblichen Duschräumen bereitete durch Dieselmotoren erzeugtes Kohlenmonoxid ihrem Leben ein qualvolles Ende. Nach und nach leerten sich so die Judenghettos des „Generalgouvernements“. Als sich die endgültige Auflösung des Warschauer Ghettos abzeichnete, begann die jüdische Widerstandsbewegung dort am 19. April 1943 einen bewaffneten Aufstand. Deutsche Truppen benötigten einen knappen Monat, um die Kontrolle über das Ghetto zurückzugewinnen, das sie hierbei vollkommen zerstörten. Der Warschauer Ghettoaufstand bewog die SS-Spitze zur Forcierung der „Aktion Reinhardt“, die noch bis zum Herbst 1943 andauerte. In ihrem Verlauf wurden in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka etwa 1,75 Millionen Menschen umgebracht. Ein kombiniertes Konzentrations- und Vernichtungslager unterhielt die SS in Majdanek, einem Vorort Lublins. Die dortigen KZ-Insassen mussten aus der Kleidung ermordeter Juden fronttaugliche Textilien fertigen. Wer als nicht mehr arbeitsfähig galt, wurde vergast und anschließend in einem Krematorium verbrannt. Durch Unruhen in den Vernichtungslagern Sobibor und Treblinka alarmiert, führte die SS im November 1943 als „Aktion Erntefest“ titulierte Massenerschießungen durch, denen allein in Majdanek um die 17.000 Häftlinge zum Opfer fielen. Insgesamt starben in Majdanek annähernd 80.000 Menschen.

Auschwitz

Die für Majdanek typische Verbindung von KZ und Vernich tungszentrum war auch für das ostoberschlesische Lager Auschwitz kennzeichnend, das zum Inbegriff des nationalsozialistischen Vernichtungsapparates schlechthin werden sollte. Auschwitz bestand aus drei Hauptbereichen: dem Stammlager (Auschwitz I), dem knapp drei Kilometer entfernt erbauten Lagerareal Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II) und einem auf dem Gelände der zum IG Farben-Konzern gehörenden Buna-Werke in Monowitz (Monowice) errichteten Zwangsarbeiterlager (Auschwitz III). Dem Komplex Auschwitz III waren mehr als drei Dutzend weitere Außenlager angegliedert, deren Häftlinge von der SS an im oberschlesischen Industriegebiet mit Niederlassungen vertretene Firmen „vermietet“ wurden.

Vernichtungsindustrie

Im September 1941 nahm die SS im Stammlager erste „Probe vergasungen“ sowjetischer Kriegsgefangener und kranker Häftlinge mit dem blausäurehaltigen Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B vor, das sich hierbei als geeignet für Massentötungen erwies. Zum systematischen Einsatz kam Zyklon B ab März 1942 in Auschwitz-Birkenau, das sich zu einer regelrechten „Mordfabrik“ mit industrieartigen Vernichtungsabläufen entwickelte. Aus sämtlichen der Kontrolle des „Dritten Reiches“ unterliegenden Gebieten Europas wurden in Güterwagen gepferchte Opfer des NS-Rassenwahns nach Auschwitz-Birkenau transportiert. Bis zum Mai 1944 hielten die Züge an der „Alten Rampe“, deren Entfernung zum Lagertor rund einen Kilometer betrug. Danach verfügte Auschwitz II über einen eigenen Gleisanschluss mit einer etwa zehn Meter breiten „Neuen Rampe“. Noch auf den „Rampen“ fand die „Selektion“ der Neuankömmlinge durch SS-Ärzte statt, d. h. als „arbeitsfähig“ eingestufte Personen wurden ausgesondert und ins Lager überstellt.

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Den zumeist weitaus größeren Teil der Gruppe, darunter in der Regel alle alten und kranken Personen, Kinder sowie schwangeren Frauen, erfasste die SS erst gar nicht als Häftlinge. Diese Personen wurden vielmehr direkt nach ihrer Ankunft in die als Duschräume getarnten Gaskammern geführt und ermordet. Die Vergasungen erfolgten anfangs in zwei ehemaligen Bauernhöfen, den so genannten Bunkern. Im Laufe des Jahres 1943 wurde die Tötungskapazität von Auschwitz-Birkenau durch die Inbetriebnahme von vier kombinierten Vernichtungsanlagen, jeweils bestehend aus einem Entkleidungsraum, einer Gaskammer und einem Krematorium, beträchtlich erhöht. So konnten ab Mitte 1943 täglich zirka 10.000 Menschen vergast und 5.000 Leichen verbrannt werden. Die Mordopfer wurden einem umfassenden Verwertungsprozess unterworfen: In einer „Sortierstelle“ beschäftigte Häftlinge ordneten das auf der „Rampe“ zurückgelassene Gepäck und die Kleidung der zur Vernichtung bestimmten Menschen. Ebenfalls aus KZ-Insassen gebildete „Sonderkommandos“ brachen zwischen Vergasung und Verbrennung die Goldzähne aus den Mündern der Ermordeten, sammelten Prothesen ein und schoren den Leichen die Haare. Den Verkauf der so geraubten Wertgegen-stände und Materialien wickelte das Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) der SS ab, den Erlös strich die Reichskasse zur Kriegsfinanzierung ein. Für diejenigen Neuankömmlinge, welche die „Selektion“ überstanden hatten, sah das Konzept der SS „Vernichtung durch Arbeit“ vor. Entsprechend waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen der KZ-Insassen: Die dünne Häftlingskleidung bot einen ebenso dürftigen Schutz vor den häufig extremen Witterungsbedingungen wie die eigentlich für die Unterbringung von Pferden gedachten Häftlingsbaracken. Eine minimale Verpflegung, katastrophale hygienische Bedingungen, die zu verrichtende Sklavenarbeit und gewalttätige Übergriffe des SS-Wachpersonals bewirkten in der Regel einen raschen körperlichen Verfall. Häftlinge, die bei einem der jeweils morgens und abends durchgeführten Zählappelle oder bei der Arbeit zusammenbrachen, drohte der Gang ins Gas. Nicht minder gefürchtet war die Einweisung in den Häftlingskrankenbau, da zahlreiche kranke Häftlinge mittels einer Phenolinjektion ins Herz umgebracht wurden („Abspritzen“). Etliche Häftlinge fielen zudem den grausamen Menschenversuchen des Dr. Josef Mengele und anderer SS-Ärzte zum Opfer.

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Abb.: „Selektion“ an der Rampe von Auschwitz (um 1943) Quelle: Deutsches Historisches Museum

„Zigeunerlager“

„Anfang 1943 errichtete die SS innerhalb von Auschwitz-Birkenau ein spezielles Teillager für Sinti und Roma. Knapp 23.000 Personen wurden in dieses „Zigeunerlager“, in dem ausnahmsweise Familien zusammenleben durften, verschleppt. Die Mehrzahl von ihnen starb an Unterernährung, Krankheiten oder als menschliche Versuchsobjekte. Im August 1944 löste die SS das „Zigeunerlager“ auf und vergaste die annähernd 3.000 dort noch festgehaltenen Kinder, Frauen und Männer. Als die Rote Armee immer näher rückte, ordnete die Lagerleitung die Zerstörung der Vernichtungsanlagen an. Tausende Häftlinge mussten sich auf „Todesmärsche“ in Richtung Westen begeben. Wer nicht mehr laufen konnte, wurde von den SS-Begleit-mannschaften auf dem Weg erschossen. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee Auschwitz, in dem sich noch etwa 7.500 Häftlinge, viele von ihnen mehr tot als lebendig, befanden. In Auschwitz starben etwa 1,1 Millionen Menschen. Insgesamt wurden mindestens 5,6 Millionen Juden im Zuge nationalsozialistischer Vernichtungsmaßnahmen ermordet. Die Angaben über die Zahl der getöteten Sinti und Roma variieren stark, die meisten Schätzungen bewegen sich in einem Rahmen zwischen 220.000 und 500.000. Für den unter dem Tarnbegriff der „Endlösung“ verübten Völkermord setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg das dem Griechischen entlehnte Wort „Holocaust“ durch. Letzteres ist aber nicht unumstritten, da es ursprünglich zur Umschreibung religiös motivierter Brandopfer diente. Die gebräuchlichste Alternative stellt das aus dem Hebräischen stammende Wort „Shoah“ („große Katastrophe“) dar.

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11.4 Loyalität und Widerstand

Popularität des NS-Regimes

Zu keinem Zeitpunkt formierte sich während des „Dritten Reiches“ in Deutschland eine Massenbewegung gegen die NS-Diktatur. Zu ausgeprägt war die Furcht vor möglichen Repressalien, zu stark aber auch der Rückhalt des Nazi-Regimes innerhalb der deutschen Bevölkerung. So ergab sich die Wirksamkeit des nationalsoziali-stischen Überwachungs- und Terrorapparates nicht zuletzt aus der Tatsache, dass ihn zahlreiche „normale“ Deutsche freiwillig mit Informationen über sich angeblich verdächtig verhaltende oder systemkritisch äußernde Menschen versorgten. Die weit verbreitete Identifikation mit dem Nationalsozialismus beruhte auf einer Reihe von Gründen: Viele Personen verdankten der Machtübergabe an die NSDAP einen beruflichen Aufstieg oder gesellschaftliche Machtpositionen, noch weitaus mehr profitierten von sozialen Gefälligkeiten, wie sie etwa in Friedenszeiten von der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ organisierte Freizeitvergnügungen darstellten. Die nach Kriegsausbruch zur Vermeidung von Hunger an der „Heimatfront“ unter-nommenen Anstrengungen honorierten weite Teile der Bevölkerung ebenfalls mit ungebrochener Loyalität. Dass die NS-Sozialpolitik schon zu Beginn des „Dritten Reiches“ eine Kehrseite besaß, die in der menschenverachtenden Ausgrenzung und Verfolgung ganzer Bevölkerungsgruppen bestand, wurde vielfach ausgeblendet, wenn nicht sogar bewusst mitgetragen. Auf ein hohes Maß an Zustimmung stießen insbesondere gegen Juden gerichtete Maßnahmen. Der Antisemitismus zählte nämlich zu den populärsten Elementen der nationalsozialistischen Weltanschauung, knüpfte er doch an eine seit Jahrhunderten grassierende Judenfeindschaft an. Auch das Weltmachtstreben des NS-Regimes hatte in Deutschland durchaus Tradition und war weiten Bevölkerungsteilen vermittelbar. Die in alle Lebensbereiche ausstrahlende Staatspropaganda tat ein Übriges, um die allgemeine Verbundenheit mit dem Nazi-Regime zu fördern. Trotz der breiten Unterstützung, die das NS-System bis zu seinem Untergang innerhalb des Deutschen Reiches genoss, gab es eine beträchtliche Anzahl von Einzelpersonen und Gruppierungen, die sich dem nationalsozialistischen Herrschaftsanspruch entzogen, Protest artikulierten oder gar aktiven Widerstand leisteten.

Widerstand aus dem Exil

Viele Nazi-Gegner, die nach der Machtübergabe an die NSDAP Zuflucht im Ausland gesucht hatten, kämpften aus dem Exil gegen das NS-Regime. Der sich in Prag Mitte 1933 bildende SPD-Parteivorstand im Exil (Sopade) bemühte sich z. B. darum, Informationen über staatliche Verfolgungen im „Dritten Reich“, die dort illegal tätige sozialdemokratische Widerstandszirkel lieferten, der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen. Emigrierte Schriftsteller zogen literarisch gegen den Nationalsozialismus zu Felde, etwa Lion Feuchtwanger und Anna Seghers im Rahmen ihrer Romane „Die Geschwister Oppermann“ (1933) und „Das siebte Kreuz“ (1942) oder Bertolt Brecht mit seinem während der Jahre 1935-1938 im dänischen Exil entstandenen Theaterstück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“. Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann rief die deutsche Bevölkerung ab 1940 in dutzenden BBC-Radio-ansprachen zum Sturz des NS-Regimes auf. Seine Kinder Erika, Klaus und Golo Mann stellten ihre intellektuellen Fähigkeiten in den Dienst der US-Streitkräfte.

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Kirchlicher Widerstand

Das Bestreben führender Kirchenkreise, sich mit dem NS-Staat zu arrangieren, verhinderte von vornherein einen breiten christlichen Widerstand gegen das „Dritte Reich“. Mutige Vertreter beider großer Konfessionen sorgten jedoch dafür, dass der nationalsozialistische Repressionsapparat den kirchlichen Widerstand nie vollends auszuschalten vermochte. Innerhalb der katholischen Kirche erregte der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen mit seiner öffentlichen Kritik an den Krankenmorden großes Aufsehen. Wiederholt bezahlten weniger prominente katholische Geistliche ihr Eintreten für NS-Opfer mit dem Leben. Der Berliner Domprobst Bernhard Lichtenberg beispielsweise, der sich auch für Menschen jüdischer Herkunft einsetzte, verstarb im November 1943 auf dem Transport ins KZ Dachau. Auf evangelischer Seite wurde in Abgrenzung zu den der NS-Bewegung nahe stehenden „Deutschen Christen“ der Pfarrernotbund gegründet, aus dem Mitte 1934 wiederum die sich dem Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus verweigernde Bekennende Kirche hervorging. Zu den Leitfiguren der Bekennenden Kirche zählten die evangelischen Theologen Martin Niemöller, der das „Dritte Reich“ trotz mehr-jähriger KZ-Haft überlebte, und Dietrich Bonhoeffer, der wenige Wochen vor Kriegs-ende im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde.

Jugendopposition

Angehörige diverser Jugendkulturen und -bewegungen widersetzten sich auf vielfältige Art und Weise dem NS-System. Die vorwiegend dem gehobenen Bürgertum entstammende Swing-Jugend erteilte dem HJ-Drill durch einen lässigen Kleidungsstil, relativ lange Haare und ihre Vorliebe für die US-Musikrichtungen des Swing und Jazz eine deutliche Absage. Eher im proletarischen Milieu angesiedelt waren die Edelweiß-piraten, die ebenfalls eine eigene Subkultur mit speziellen Kleidungscodes ausbildeten. Mit der von ihnen verachteten HJ lieferten sich die Edelweißpiraten regelmäßig handfeste Auseinandersetzungen. Die Grenze zwischen Protest und Widerstand überschritt insbesondere eine Köln-Ehrenfelder Gruppe. Ihre Widerstandsformen reichten von der Unterstützung untergetauchter Deserteure und Zwangsarbeiter über das Anbringen von Anti-Nazi-Parolen auf Hauswänden bis zu Attentaten auf NS-Funktionäre. Im Herbst 1944 zerschlug die Gestapo die Ehrenfelder Gruppe, dreizehn ihrer Mitglieder wurden ohne vorherigen Gerichtsprozess öffentlich gehängt.

Weiße Rose

Überwiegend aus jungen Leuten setzte sich auch ein in München unter dem Namen „Weiße Rose“ aktiver Widerstandszirkel zusammen. Den Kern der Gruppe bildeten die Studenten Hans und Sophie Scholl, Willi Graf, Alexander Schmorell und Christoph Probst sowie der Philosophie-Professor Kurt Huber. Die Weiße Rose produzierte ab Mitte 1942 sechs Flugblätter NS-kritischen Inhaltes, die sie zunächst an einen recht überschaubaren Adressatenkreis im Großraum München verschickte, später auch in höherer Auflage überregional zu verbreiten versuchte. Zudem rief die Gruppe in Form von Wandparolen zum Sturz des Nazi-Regimes auf. Die am 18. Februar 1943 nach einer Flugblattverteilaktion an der Münchener Universität erfolgende Festnahme der Geschwister Scholl leitete das Ende der Weißen Rose ein. In mehreren Prozessen wurden die Kernmitglieder zum Tode verurteilt und hingerichtet.

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Arbeiterwiderstand

Der Arbeiterwiderstand litt nachhaltig unter dem Terror und der Verhaftungswelle, die über KPD- und SPD-Mitglieder nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hereinbrachen. Je mehr nach Deutschland geschmuggeltes oder dort illegal hergestelltes Propagandamaterial kommunistische oder sozialdemokratische Widerstandskreise in Umlauf zu bringen vermochten, desto massiver wurde der staatliche Verfolgungsdruck. Trotz zunehmender Vorsichtsmaßnahmen gelang den Überwachungsbehörden immer wieder die Unterwanderung und Ausschaltung entsprechender Gruppen. Auf den kommunistischen Widerstand wirkte sich zudem der Abschluss des „Hitler-Stalin-Paktes“ äußerst lähmend aus. Erst nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion kam es zu einem Wiederaufleben kommunistischer Widerstands-tätigkeit. In Hamburg war Bernhard Bästlein, in Berlin Anton Saefkow maßgeblich am Aufbau von Strukturen beteiligt, durch die u. a. ausländische Zwangsarbeiter mit Kleidung und Lebensmitteln versorgt, gegen den Nationalsozialismus gerichtete Texte verbreitet und Sabotageakte in Rüstungsbetrieben verübt werden konnten. Sowohl Bästlein als auch Saefkow wurden 1944 festgenommen und exekutiert.

„Rote Kapelle“

Mit kommunistischem Gedankengut sympathisierten auch einige Mitglieder eines Berliner Widerstandsnetzwerkes, das von der Gestapo die Bezeichnung „Rote Kapelle“ erhielt. Die unterschiedlichen sozialen Milieus entstammenden Angehörigen dieser Organisation, die einen hohen Frauenanteil aufwies, leisteten u. a. von staatlicher Verfolgung betroffenen Menschen Unterstützung, dokumentierten deutsche Kriegsverbrechen, von denen sie erfuhren, und verliehen ihrer strikten Ablehnung des Nazi-Regimes durch das Verbreiten bzw. Verkleben illegaler Flugschriften und Plakate Ausdruck. Ein innerer Kreis um den Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium Arvid Harnack und den im Reichsluftfahrtministerium tätigen Offizier Harro Schulze-Boysen beschäftigte sich mit der Übermittlung kriegswichtiger Informationen an den sowjetischen Nachrichtendienst. Im Sommer 1942 gelang der Gestapo die Enttarnung der „Roten Kapelle“. Von den mehr als 120 festgenommenen Mitgliedern starb annähernd die Hälfte in Haft oder wurde hingerichtet.

„Kreisauer Kreis“

Den breitesten gesellschaftlichen Querschnitt aller gegen das NS-Regime opponier-enden Gruppen verkörperte, obwohl nur etwa 20 Kernmitglieder und etwa ebenso viele Sympathisanten umfassend, ein von der Gestapo nach seiner Aufdeckung als „Kreisauer Kreis“ geführter Widerstandszirkel. Letzterer vereinte z. B. fortschrittlich denkende Adlige wie die Juristen Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, den katholischen Geistlichen Alfred Friedrich Delp, den evangelischen Theologen Eugen Gerstenmaier sowie die Sozialdemokraten Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein. Ab 1940 traf sich die Gruppe in wechselnder Zusammensetzung regelmäßig in Berlin, München und auf dem niederschlesischen Gut Kreisau der Familie Moltke. Hierbei entwarf sie die Grundzüge einer von sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Teilhabe des Einzelnen geprägten gesellschaftlichen Neuordnung nach dem Sturz des NS-Regimes. Nach der Verhaftung Moltkes Anfang 1944 zerfiel die Gruppe. Die entschiedensten Nazi-Gegner unter den „Kreisauern“ intensivierten daraufhin ihre Kontakte zum militärischen Widerstand. Erst nach dem missglückten Attentat auf

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Hitler am 20. Juli 1944 kam die Gestapo im Rahmen ihrer Ermittlungen auch dem „Kreisauer Kreis“ auf die Spur, was u. a. für Moltke, Yorck von Wartenburg, Delp und Reichwein das Todesurteil bedeutete.

Militärischer Widerstand

Nachdem die Wehrmachtführung die Politik des „Dritten Reiches“ ein halbes Jahrzehnt lang nahezu vorbehaltlos unterstützt hatte, ging zumindest eine Minderheit innerhalb der deutschen Generalität im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges auf Distanz zu Hitler. Generalstabschef Ludwig Beck etwa trat im August 1938 von seinem Posten zurück. Ein von ihm, seinem Nachfolger Franz Halder und anderen hohen Offizieren für den Fall einer kriegerischen Eskalation der Sudetenkrise erwogener Umsturzversuch unterblieb auf Grund von Hitlers Verhandlungserfolg bei der Münchener Konferenz. Zu einem Zentrum des militärischen Widerstandes entwickelte sich zunehmend der geheime Nachrichtendienst der Wehrmacht, das von Admiral Wilhelm Canaris geleitete Amt Ausland/Abwehr. Treibende Kraft der entsprechenden Aktivitäten war Oberst Hans Oster, der etwa mit Billigung seines Chefs nach Kriegsausbruch das feindliche Ausland über deutsche Angriffspläne auf Dänemark, Norwegen, Belgien und die Niederlande informierte. Die „Blitzsiege“ über Polen und Frankreich entzogen jedoch den gegenüber Hitler innerhalb der Wehrmacht vorhandenen Vorbehalten weitgehend den Nährboden.

20. Juli 1944

Das Wissen um die in Osteuropa verübten Kriegsverbrechen und die immer aussichtslosere militärische Lage des „Dritten Reiches” stärkten den militärischen Widerstand gegen Hitler. Vor einem Attentat auf den „Führer” schreckten aber auch die meisten regimekritischen Angehörigen des deutschen Offizierkorps zurück, da sie sich an ihren auf Hitler geleisteten Eid gebunden fühlten. Eine Gruppe um die jungen Offiziere Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow sah jedoch eben hierin eine politische und moralische Notwendigkeit. Ihre diesbezüglichen Vorbereitungen wurden von General Friedrich Olbricht gedeckt, der als Chef des Allgemeinen Heeresamtes den Aufbau eines militärisch-zivilen Widerstandsnetz-werkes deckte. Die zum Umsturz entschlossenen Offiziere fassten den Entschluss, Hitler zu eliminieren und dann unter Ausnutzung des ursprünglich zur Nieder-schlagung etwaiger innerer Unruhen entwickelten Operationsplans „Walküre” den NS-Herrschaftsapparat auszuschalten. Zur Durchführung des Anschlages erklärte sich Stauffenberg bereit, der nach seiner Ernennung zum Stabschef des Befehlshabers des Ersatzheeres ab Mitte 1944 regelmäßig an militärischen Lagebesprechungen mit dem „Führer” teilnahm. Bei einer dieser Gelegenheiten deponierte Stauffenberg am 20. Juli 1944 im ostpreußischen „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ ein mit einem Zeitzünder versehenes Spreng-stoffpaket in Hitlers Nähe, um anschließend unter einem Vorwand den Raum zu verlassen und zur Koordinierung des Staatsstreiches nach Berlin zu fliegen. Die Sprengstoffexplosion verletzte Hitler jedoch nur leicht, was den Umsturzversuch zum Scheitern verurteilte. Stauffenberg wurde noch in der Nacht zum 21. Juli 1944 mit Olbricht und zwei weiteren Mitverschwörern erschossen. Eine aus mehr als 400 Beamten bestehende „Sonderkommission 20. Juli“ setzte eine massive Verfolgungswelle in Gang, die sich beileibe nicht nur auf den Kreis der in die Attentatspläne eingeweihten Personen beschränkte. Nach dem 20. Juli 1944 wurden vielmehr knapp 5.600 Personen verhaftet, von denen viele das „Dritte Reich” nicht überlebten.

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Kriegsdienstverweigerung

Eine männerspezifische Form passiven Widerstandes bestand darin, den Kriegsdienst zu verweigern bzw. zu desertieren. Generell den Kriegsdienst verweigerten aus Gewissensgründen z. B. die Zeugen Jehovas. Zirka 250 Angehörige dieser christ-lichen Glaubensgemeinschaft bezahlten hierfür mit ihrem Leben. Wegen Fahnenflucht verhängte die NS-Militärjustiz rund 22.000 Todesurteile, von denen knapp 15.000 vollstreckt wurden.

Humanitärer Widerstand

Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft und politischer Gesinnung leisteten humanitären Widerstand, indem sie Opfern nationalsozialistischer Verfolgung halfen. In Berlin war beispielsweise seit der Reichspogromnacht im November 1938 die nach ihrem internen Warnruf benannte „Onkel-Emil-Gruppe” aktiv. Aus einem Freundes-kreis um die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich entstanden, beschaffte dieser Widerstandszirkel etwa untergetauchten Juden Quartiere, Lebensmittel und falsche Papiere. Das humanitäre Engagement der „Onkel-Emil-Gruppe” blieb bis zum Ende des „Dritten Reiches“ von der Gestapo unentdeckt. 11.5 Der Zusammenbruch des NS-Regimes

„Volkssturm“

Nach der erfolgreichen Landung alliierter Truppen in der Normandie rückten die feindlichen Streitkräfte in der zweiten Jahreshälfte 1944 aus zwei Richtungen unaufhaltsam auf das Gebiet des Deutschen Reiches vor. In dieser aussichtslosen militärischen Lage beschloss das NS-Regime die Aufstellung eines letzten Aufgebotes. So erging per „Führererlass“ vom 25. September 1944 die Anordnung, „aus allen waffenfähigen Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren de(n) deutsche(n) Volkssturm zu bilden“, der „den Heimatboden mit allen Mitteln und Waffen verteidigen“ sollte. Für die Rekrutierung der unter die Bestimmungen fallenden Jugendlichen und Männer waren die Gauleiter zuständig, die militärische Befehlsgewalt hatte in seiner Eigenschaft als Befehlshaber des Ersatzheeres der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler inne. Das Kalkül der NS-Spitze, den Alliierten durch die fanatische Gegenwehr von bis zu sechs Millionen zusätzlichen Kämpfern die Unmöglichkeit einer Besetzung Deutschlands vor Augen zu führen, erwies sich jedoch schon allein auf Grund massiver Ausrüstungsdefizite als illusorisch: Die meist aus schlecht ausgebildeten Hitlerjungen und älteren Männern bestehenden „Volkssturm“-Verbände verfügten kaum über kriegstaugliche Waffen und zu wenig Munition. Selbst an Uniformen fehlte es, weshalb die Einheiten des „Volkssturms“ oft nur an Armbinden mit der Aufschrift „Deutscher Volkssturm – Wehrmacht“ als solche erkennbar waren. Unter diesen Voraussetzungen ließ sich der „Volkssturm“ allenfalls bei Unter-stützungstätigkeiten, etwa im Rahmen der Errichtung von Abwehrstellungen oder des Objektschutzes, sinnvoll einsetzen. Selten vermochten entsprechende Verbände hingegen wirksam in Kämpfe zwischen der Wehrmacht und feindlichen Truppen einzugreifen. Zu den Ausnahmen zählte die Verteidigung der schlesischen Stadt Breslau, die fast bis Kriegsende unter maßgeblicher Beteiligung von etwa 15.000 Angehörigen des „Volkssturms“ der Belagerung durch die Rote Armee standhielt. Insgesamt herrschte jedoch ein eklatantes Missverhältnis zwischen den

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Verlusten des „Volkssturms“ in Höhe von bis zu 175.000 Mann und seinem militärischen Wert.

Massenflucht

Im Oktober 1944 stieß die Rote Armee erstmals auf das Territorium des Deutschen Reiches vor. Die NS-Gräuelpropaganda scheinbar bestätigende Nachrichten von Übergriffen sowjetischer Soldaten auf die Zivilbevölkerung versetzten die Bewohner der östlich der Flüsse Oder und Neiße gelegenen Gebiete Ostpreußen, Schlesien und Pommern in Angst und Schrecken. Regionale NS-Führer wie der ostpreußische Gauleiter Erich Koch weigerten sich jedoch strikt, rechtzeitig eine geordnete Evakuierung in die Wege zu leiten. So kam es stattdessen zu einer unkontrollierbaren Massenflucht, als die Rote Armee Anfang 1945 eine Winteroffensive startete: Flüchtlingstrecks wurden zum Ziel alliierter Tieffliegerangriffe oder gerieten zwischen die Fronten, Hunger, Kälte und Erschöpfung forderten zahlreiche Todesopfer, von sowjetischen Verbänden eingeholte Frauen mussten mit Vergewaltigung rechnen. Da Ostpreußen ab Ende Januar 1945 über den Landweg nicht mehr verlassen werden konnte, initiierte die deutsche Kriegsmarine eine großangelegte Rettungsaktion über die Ostsee. Bis Kriegsende gelangten auf diese Weise etwa 1,5 Millionen Zivilisten und 500.000 Soldaten nach Dänemark und Schleswig-Holstein. Zehntausende Flüchtlinge überlebten die riskante Überfahrt allerdings nicht. Mehr als 9.000 Menschen starben allein am 30. Januar 1945 bei der Versenkung des ehemaligen „Kraft durch Freude“-Kreuzfahrtschiffes „Wilhelm Gustloff“ durch ein sowjetisches U-Boot.

„Nero-Befehl“

Dass Hitler sein Schicksal untrennbar mit dem Deutschlands verknüpft wähnte, schlug sich in einem „Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet“ betreffenden Führererlass vom 19. März 1945 nieder. Mit dieser in Anspielung auf einen römischen Kaiser, der im Jahr 64 n. Chr. angeblich Rom niederbrennen ließ, als „Nero-Befehl“ bezeichneten Anordnung verfügte Hitler die Zerstörung sämtlicher „militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in abseh-barer Zeit nutzbar machen kann“. Da sich jedoch bei Rüstungsminister Speer und führenden Industrievertretern Widerstand gegen die „Politik der verbrannten Erde“ regte, wurde sie nicht konsequent umgesetzt.

Selbstmord Hitlers

Als am 12. April 1945 US-Präsident Roosevelt verstarb, schöpfte Hitler, der sich knapp ein Vierteljahr zuvor in den nahe der Berliner Reichskanzlei errichteten „Führerbunker“ zurückgezogen hatte, kurzzeitig Hoffnung auf einen Bruch des alliierten Militärbündnisses. Doch die Anti-Hitler-Koalition hielt und fuhr mit der Besetzung des Deutschen Reiches fort. Während Truppen der Westmächte die Rhein-Ruhr-Region sowie Nord- und Süddeutschland unter ihre Kontrolle brachten, leitete die Rote Armee am 16. April 1945 die Schlacht um Berlin ein. Wenige Tage später drangen erste sowjetische Einheiten auf das Gebiet der Reichs-hauptstadt vor, deren Einkesselung am 25. April 1945 vollzogen war. Nachdem er tags zuvor seine langjährige Lebensgefährtin Eva Braun geheiratet hatte, verübte Hitler gemeinsam mit ihr am 30. April 1945 Selbstmord. Auf Grundlage eines von Hitler diktierten „Politischen Testamentes“ übernahm Großadmiral Karl Dönitz das Amt des Reichspräsidenten. Der als Reichskanzler vorgesehene Propagandaminister

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„Heimatfront“ und Holocaust – die innere Entwicklung des „Dritten Reiches“ 1939 – 1945

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Joseph Goebbels beging am 1. Mai 1945 samt Ehefrau und sechs Kindern ebenfalls in den Räumen des „Führerbunkers“ Selbstmord.

Kapitulation

Am 7. Mai 1945 unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl im Hauptquartier General Eisenhowers in Reims die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Streitkräfte. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 wiederholte Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel die Prozedur im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Der Zweite Weltkrieg war somit in Europa beendet, sollte allerdings im Pazifikraum noch mehr als drei Monate lang andauern. Erst nachdem der vom neuen US-Präsidenten Harry S. Truman angeordnete Abwurf zweier Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. bzw. 9. August 1945 über 200.000 Menschenleben ausgelöscht hatte, erklärte sich auch Japan zur Kapitulation bereit. Die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern des „Dritten Reiches“ begangenen Massenmorde eingerechnet, dürfte der Zweite Weltkrieg insgesamt zirka 55 Millionen Todesopfer gefordert haben. 11.6 Selbstlernaufgaben

1. Stellen Sie bitte die Rolle des Mediums Film im Rahmen der nationalsozial-istischen Kriegspropaganda dar.

2. Erklären Sie bitte, inwiefern die „Euthanasie-Morde“ der NS-Weltanschauung entsprachen.

3. Benennen Sie bitte drei Formen des Widerstandes gegen das NS-Regime.

4. Erläutern Sie bitte die Zusammensetzung, die offizielle Funktion und die tatsächliche militärische Bedeutung des „Volkssturms“.

11.7 Zusammenfassung

Die Wirtschaft des „Dritten Reiches“ wies bei Kriegsausbruch drei gravierende Schwachstellen auf, und zwar die Abhängigkeit von Rohstoffimporten, einen akuten Mangel an Arbeitskräften sowie einen bürokratischen Kompetenzwirrwarr. Der ersten beiden Defizite versuchte das NS-Regime durch eine rücksichtslose Ausbeutung der eroberten Gebiete bzw. der in ihnen lebenden Menschen Herr zu werden. Das Organisationschaos bereinigte Rüstungsminister Albert Speer. Indem er den Zuständigkeitsbereich seines Ministeriums schrittweise ausweitete, den von seinem tödlich verunglückten Vorgänger Fritz Todt angestoßenen Prozess der privatwirtschaftlichen Selbstverwaltung forcierte und sich für umfassende Rationalisierungsmaßnahmen stark machte, stellte Speer die Weichen für eine Verdreifachung der Rüstungsproduktion. Um Hungerunruhen wie im Ersten Weltkrieg zu vermeiden, legte die NS-Führung großen Wert auf eine stabile Grundversorgung der deutschen Bevölkerung. Indem sie unter Inkaufnahme zahlreicher Hungertoter in den besetzten Gebieten von dort

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„Heimatfront“ und Holocaust – die innere Entwicklung des „Dritten Reiches“ 1939 – 1945

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Nahrungsmittel nach Deutschland schaffen ließ, gelang ihr nahezu bis Kriegsende die Aufrechterhaltung eines entsprechenden Rationierungssystems. Ein zentrales Element der alliierten Kriegführung war die Bombardierung des „Dritten Reiches“. Die auf deutscher Seite teilweise bereits lange vor Kriegsausbruch getroffenen Luftschutzvorkehrungen vermochten die geballte Zerstörungskraft britisch-amerikanischer Bomberstaffeln nicht wirksam abzumildern. Die insbesondere mit den Flächenbombardements der Royal Air Force bezweckte Demoralisierung der deutschen Zivilbevölkerung blieb allerdings aus. Mit dem Überfall auf Polen rückte das Kriegsgeschehen in den Mittelpunkt der nationalsozialistischen Propaganda. Je negativer sich die militärische Lage für das „Dritte Reich“ entwickelte, desto eindringlicher wurden die Opferbereitschaft und der Durchhaltewille der deutschen Bevölkerung beschworen. Nichtsdestotrotz blieb für die Filmindustrie der Unterhaltungssektor weiterhin ein Hauptbetätigungsfeld, da sich das NS-Regime sehr an einer regelmäßigen Ablenkungsmöglichkeit von den kriegsbedingten Alltagssorgen interessiert zeigte. Innergesellschaftlich ging die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch das „Dritte Reich“ mit einer erheblichen Verschärfung des ohnehin schon massiven Repressionsdrucks einher. Die Zunahme der Unterdrückung fand in der Einführung neuer Straftatbestände, der Ausweitung des Sondergerichtswesens sowie der Gründung des bei der Bekämpfung politischer Gegner und „rassisch minderwertiger Elemente“ als Schaltzentrale fungierenden Reichssicherheitshauptamtes Ausdruck. Während des Krieges schlug die staatliche Verfolgung angeblicher Träger minder-wertiger Erbanlagen in systematische Vernichtung um. Die ersten von dieser Entwicklung betroffenen NS-Opfer waren Menschen mit Behinderungen geistiger, psychischer oder körperlicher Natur, die im Rahmen der „Aktion T 4“ ab Anfang 1940 zu zehntausenden in speziellen Tötungszentren umgebracht wurden. In der zweiten Hälfte des Jahres 1941 fiel an der Spitze des „Dritten Reiches“ die Entscheidung, alle im deutschen Machtbereich befindlichen Juden zu ermorden. Da die von den Einsatzgruppen praktizierte Methodik der Massenerschießungen für ein Mordunternehmen dieser Größenordnung als ungeeignet galt, wurde auf die Tötungstechnik des Vergasens zurückgegriffen, die sich bei den Krankenmorden „bewährt“ hatte. Die Vergasungen erfolgten in sechs auf dem Gebiet des besetzten Polens errichteten Vernichtungslagern. Zum Inbegriff des nationalsozialistischen Vernichtungsapparates wurde das kombinierte Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, und zwar insbesondere der Lagerkomplex Auschwitz-Birkenau, der aufgrund der industrieartig organisierten Tötungs- und Verwertungsabläufe Züge einer „Mordfabrik“ trug. Zu keinem Zeitpunkt bildete sich innerhalb der deutschen Bevölkerung eine gegen den NS-Staat gerichtete Massenbewegung. Dennoch leisteten quer durch Generationen, Konfessionen, soziale Schichten und politische Lager Einzelpersonen und Gruppierungen unterschiedlichste Formen des Widerstandes, die u. a. die Herstellung und Verbreitung NS-kritischer Propagandamaterialien, die Unterstützung verfolgter Menschen sowie auf den Sturz des Nazi-Regimes abzielende Aktivitäten umfassten. Mit der Landung alliierter Truppen in der Normandie Mitte 1944 war die militärische Niederlage Deutschlands endgültig besiegelt. Zu jedem Opfer an Mensch und Material

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„Heimatfront“ und Holocaust – die innere Entwicklung des „Dritten Reiches“ 1939 – 1945

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bereit, zögerte Hitler den Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ aber noch ein knappes Jahr hinaus. 11.8 Hausaufgabe

1. Legen Sie bitte die zentralen Merkmale der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft dar.

2. Vergleichen Sie bitte die Versorgungslage der deutschen Bevölkerung während des Zweiten Weltkrieges mit jener, die im Ersten Weltkrieg an der „Heimatfront“ herrschte. Erklären Sie etwaige Unterschiede.

3. Begründen Sie bitte argumentativ, inwiefern es angemessen ist, im Hinblick auf den Holocaust von einer regelrechten „Vernichtungsindustrie“ zu sprechen.

11.9 Lösungen zu den Selbstlernaufgaben

1. Dem Medium Film kam innerhalb der NS-Kriegspropaganda zentrale Bedeutung zu. So wurde mit Hilfe von Beiträgen der Deutschen Wochenschau, die jeweils vor dem Hauptfilm im Kino liefen, die offizielle Version des Kriegsverlaufes verbreitet. Propagandastreifen wie das antisemitische Hetzwerk „Jud Süß“ sollten die nationalsozialistische Weltanschauung tiefer im allgemeinen Bewusstsein verankern und lieferten ideologische Rechtfertigungsmuster für den Krieg. Die meisten der während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland produzierten Kinofilme waren allerdings unpolitischer Natur. Ihr vorrangiger Zweck bestand darin, die Bevölkerung zu unterhalten und für eine kurze Zeit von den Sorgen und Nöten des Kriegsalltags abzulenken.

2. Die mit dem beschönigenden Wort „Euthanasie“ umschriebenen Krankenmorde entsprachen insofern der NS-Ideologie, als sie sich im Einklang mit deren sozialdarwinistischen und rassentheoretischen Vorstellungen befanden. So unterschied die nationalsozialistische Weltanschauung sowohl innerhalb eines Volkes als auch im Vergleich der Völker untereinander zwischen Trägern hoch- und minderwertigen Erbgutes. Den vielbeschworenen „Rassenkampf“ galt es daher aus NS-Sicht auf zwei Ebenen zu führen, nämlich gegen „lebensunwertes Leben“ in den eigenen Reihen sowie gegen „fremdrassige“ Völker. Der „Rassenkampf“ innerhalb des deutschen Volkes wurde mit dem 1933 erlassenen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ eröffnet, das darauf abzielte, „genetische Mängel“ aufweisende Menschen per Zwangs-sterilisation an der Fortpflanzung zu hindern. Die nach Kriegsausbruch zügig in die Wege geleitete „Euthanasieaktion“ erschien den Machthabern des „Dritten Reiches“ als logischer weiterer Schritt im Umgang mit geistig, psychisch und körperlich Behinderten, die laut herrschender Ideologie als „Ballastexistenzen“ die Position des deutschen Volkes im Kampf gegen seine äußeren Feinde schwächten.

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„Heimatfront“ und Holocaust – die innere Entwicklung des „Dritten Reiches“ 1939 – 1945

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3. Zu den häufigsten Formen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zählten die Herstellung und Verbreitung das „Dritte Reich“ kritisierenden Propagandamaterials, wie etwa von der Weißen Rose und diversen Gruppen des Arbeiterwiderstandes praktiziert. Quer durch soziale Schichten und politische Lager wurde auch humanitärer Widerstand, z. B. im Zuge der Versorgung von Juden und Zwangsarbeitern mit Lebensmitteln, geleistet. Weitaus seltener waren hingegen konkrete Umsturzplanungen, wie sie die dem militärischen Widerstand angehörenden Verschwörer des 20. Juli 1944 verfolgten.

4. Der „Volkssturm“ kann als das letzte Aufgebot des „Dritten Reiches“ bezeichnet werden, sah doch der seine Bildung regelnde „Führererlass“ vom 25. September 1944 die Einziehung aller kriegsverwendungsfähigen Männer im Alter zwischen 16 und 60 Jahren vor. Entsprechend setzten sich die „Volkssturm“-Verbände vorrangig aus Hitlerjungen und älteren Männern zusammen. Die Aufgabe des „Volkssturms“ bestand darin, die Besetzung Deutschlands durch die aus zwei Richtungen vorstoßenden feindlichen Streitkräfte zu verhindern. Auf Grund massiver Ausbildungs- und Ausrüstungsdefizite erwiesen sich die entsprech-enden Verbände jedoch allenfalls als geeignet, militärische Unterstützungs-tätigkeiten zu verrichten. Wirksame Kampfeinsätze blieben die Ausnahme, so dass der „Volkssturm“ trotz hoher Verluste nur eine untergeordnete militärische Bedeutung erlangte.