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© Copyright Laudius GmbH DE-1017-00-00 Grundwissen Geographie Lernheft 12 Geographie des Tourismus Inhaltsverzeichnis: 12.1 Einleitung ............................................................................................... 2 12.2 Eine Welt ohne Tourismus – kaum vorstellbar ...................................... 3 12.3 Entwicklung des Tourismus – ein Überblick .......................................... 5 12.4 Kein Tourismus ohne Touristen ............................................................. 8 12.4.1 Wirtschaftsfaktor Tourismus .................................................................. 9 12.4.2 Die Touristen .......................................................................................... 11 12.4.3 Die Angebotsseite .................................................................................. 14 12.5 Die vielen Gesichter des Tourismus vor Ort .......................................... 16 12.6 Wohin die Reise geht … Ein Ausblick auf die Zukunft des Tourismus .. 20 12.7 Selbstlernaufgaben ................................................................................ 22 12.8 Zusammenfassung ................................................................................ 23 12.9 Hausaufgabe .......................................................................................... 26 12.10 Lösungen zu den Selbstlernaufgaben ................................................... 27 12.11 Anhang ................................................................................................... 28

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Grundwissen Geographie

Lernheft 12

Geographie des Tourismus

Inhaltsverzeichnis:

12.1 Einleitung ............................................................................................... 2

12.2 Eine Welt ohne Tourismus – kaum vorstellbar ...................................... 3

12.3 Entwicklung des Tourismus – ein Überblick .......................................... 5

12.4 Kein Tourismus ohne Touristen ............................................................. 8 12.4.1 Wirtschaftsfaktor Tourismus .................................................................. 9 12.4.2 Die Touristen .......................................................................................... 11 12.4.3 Die Angebotsseite .................................................................................. 14

12.5 Die vielen Gesichter des Tourismus vor Ort .......................................... 16

12.6 Wohin die Reise geht … Ein Ausblick auf die Zukunft des Tourismus .. 20

12.7 Selbstlernaufgaben ................................................................................ 22

12.8 Zusammenfassung ................................................................................ 23

12.9 Hausaufgabe .......................................................................................... 26

12.10 Lösungen zu den Selbstlernaufgaben ................................................... 27

12.11 Anhang ................................................................................................... 28

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12.1 Einleitung

Im vorausgegangenen Lernheft 11 haben wir uns mit wesentlichen Grundlagen der Wirtschaftsgeographie befasst. Ein großes Themengebiet, welches der Wirtschafts-geographie ebenfalls formal zuzuordnen ist, soll uns in diesem Lernheft beschäftigen: die Geographie des Tourismus. Wir wenden uns dieser „jüngeren“ Teildisziplin der Humangeographie zu, weil sich die Geographie des Tourismus innerhalb der letzten Jahrzehnte durch das Massenphänomen „Urlaub und Reisen“ zu einer der wichtigsten Teildisziplinen der modernen Geographie entwickelt hat (vgl. Steinecke, 2006). Einerseits ist diese Disziplin ein eigenständiges Forschungsfeld, welches Geographen zusammen mit Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen „beackern“. Andererseits bewegen wir uns weiterhin in einem Teilsegment der Wirtschaftgeographie. Bereits im Lernheft 11 deutete eine Frage darauf hin, dass auch Tourismus ein Phänomen ist, welchem sich Wirtschaftsgeographen widmen: „Was hat Tourismus mit Bergbau zu tun?“ – Sie erinnern sich? Erinnern Sie sich auch noch an die verschiedenen Sektoren, mit deren Hilfe die Wirtschaftsgeographie untergliedert wurde? Ja? Sehr gut! Welchem Sektor würden Sie dann den Tourismus zuordnen? Natürlich – dem tertiären Sektor. Denn wir haben es hier mit einem wirtschaftlichen Phänomen zu tun, welches von Dienstleistungen geprägt ist: Sei es der Besuch in einem Reisebüro, wo man sich hinsichtlich bestimmter Reiseziele und Preise beraten lässt, sei es der Transport zum Reiseziel oder dann am Ziel die Betreuungsleistungen im Hotel – überall werden verschiedene Dienstleistungen erbracht. Tourismus ist allerdings kein neues Phänomen unserer Zeit. Schon seit Tausenden von Jahren verreisen Menschen. Dennoch gibt es entscheidende Unterschiede zwischen dem modernen Tourismus von heute und dem Reisen von damals. Zum einen sind heute immer mehr Menschen immer schneller, immer öfter und immer weiter weg unterwegs. Zum anderen haben die Reisenden vergangener Jahrhunderte ihren Urlaub wohl kaum bei TUI, Lidl oder Aldi gebucht (dazu mehr im Kapitel 12.3). Im nächsten Schritt machen wir uns erst einmal näher mit dem Phänomen „Tourismus“ aus humangeographischer Perspektive vertraut (Kapitel 12.2). Die Frage, wie sich der Tourismus insbesondere in den letzten wenigen Jahrzehnten entwickelt hat, wird uns dann im Kapitel 12.3 beschäftigen. In den folgenden zwei Kapiteln setzen wir uns mit verschiedenen Seiten des Tourismus auseinander. Welche Seiten können das sein? Wir haben auf der einen Seite den (potenziellen) Touristen, welcher eine Reise in Betracht zieht. Dieser wird sich wahrscheinlich an einen Reiseanbieter wenden, also an eine „andere“ Seite des Tourismus, welche sich den Dienstleistungen rund um die Reisevermittlung verschrieben hat. Am Ziel seiner Reise wird sich unser Tourist in einer Unterkunft an einem bestimmten Reiseziel aufhalten. Dies kann ein Zelt am Ufer eines einsamen Sees in Kanada sein oder ein Hotelzimmer mitten in Disneyworld in Florida.

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12.2 Eine Welt ohne Tourismus – kaum vorstellbar

Jede Form des Tourismus, ob „sanfter Tourismus“, „Massentourismus“ oder „der Individualreisende“, hat verschiedene Auswirkungen auf sein Umfeld in – wirtschaftlicher, – ökologischer oder – räumlicher Hinsicht. Die Nachrichten aus der „Welt des Tourismus“, welche sich gern um viel bereiste und attraktive Landschaftsräume oder größere kulturreiche Städte drehen, sind bezüglich ihrer Einschätzungen über die Auswirkungen des Tourismus nicht selten sehr gemischt: Landschaftsschützer klagen häufig über Zerstörungen unwiederbringlicher Naturschätze, wie beispielsweise die Zerstörungen der Vegetations- und Bodendecke in den alpinen Skiorten. Beschützer nativer Kulturen befürchten den Verlust einhei-mischen Kulturguts durch Touristen. Andererseits ist der Tourismus in vielen Feriengegenden dieser Welt inzwischen zu einer der wichtigsten Lebensgrundlagen geworden. Gastronomie, Hotellerie oder auch das Bauwesen und Handwerk sind nicht selten florierende Wirtschaftszweige in Urlaubsregionen. Aber nicht nur in ökonomischer Hinsicht sind die Auswirkungen des Tourismus oftmals besser als ihr Ruf. Vielerorts wird durch den Tourismus der extrem kostenaufwändige Erhalt wertvollen Kulturguts erst ermöglicht. Wäre Venedig (siehe Abbildung 1) ohne den starken Touristenandrang nicht bereits viel stärker vom Verfall bedroht?

Abb. 1: Hochwasser auf dem Markusplatz. Quelle: www.wikipedia.de. Urheber: Giovanni.mello. Diese Datei ist unter der Creative-

Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported lizenziert. Diese Datei wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.

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Ist der Tourist vielleicht doch besser als (oftmals) sein Ruf? Nach Urbain in Opaschowski (2002) wäre eine Welt ohne Tourismus wie ein Archipel mit verschiedenen Volksgruppen, die nichts voneinander wüssten. Nach ihm wäre die Welt ohne Tourismus eindeutig ärmer. Schon hier deutet sich an: Tourismus ist mit einem gewissen Für und Wider verbunden. Und damit begeben wir uns schon mitten hinein in die Diskussion um den Tourismus, seine verschiedenen Seiten, seine Auswirkungen und Auswüchse. Eine Diskussion, die von vielen von uns im Privatbereich vermutlich im einen oder anderen Zusammenhang schon geführt wurde. In diese Diskussion und Erörterung wollen wir jedoch nicht tiefer einsteigen, ohne ihr ein gewisses Mindestmaß an theoretischen Grundlagen zu verabreichen. Beginnen wir mit einer Begriffsbestimmung. Was versteht zunächst ein geographisches Wörterbuch kurz und bündig unter dem Begriff Tourismus? Schauen wir nach:

Merke: Tourismus Nach Diercke (1997) wird der Begriff Tourismus weitgehend synonym für „Fremdenverkehr“ verwendet. Der in der Fremdenverkehrsstatistik miterfasste Geschäftsreiseverkehr wird allerdings nicht zum Tourismus mitgerechnet. Der Messe-, Kongress- und Bildungstourismus sind hierbei Grenzfälle, wo sich Aktivitäten aus dem Bereich Arbeit und Freizeit überschneiden.

Aus Gebhardt et al. (2007) lässt sich über „das Reisen“ noch passend hinzufügen, dass das Reisen immer ein mehr oder weniger langes, von einem breiten Spektrum an Motiven getragenes Verlassen der gewohnten Umwelt zugunsten eines anderen, mehr oder weniger fremden Lebensraumes ist. Weltweit zählt die Tourismusbranche nach Latz (2007) zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftszweigen. Seit 1950 wächst die Branche jährlich durchschnittlich um sieben Prozent (vgl. Abbildung 2).

Abb. 2: Entwicklung der Touristenzahlen weltweit. Quelle: Latz, W. (2007), S. 226.

Gehen wir der Auffassung unseres oben genannten Merksatzes von „Tourismus“ nach, klammern wir Geschäftsreisen in diesem Lernheft weitestgehend aus unseren Betrachtungen aus. Somit unterscheiden wir, je nach Ansprüchen und Erwartungen der Reisenden, den Tourismus hauptsächlich in Individual-und Massentourismus. Während der Massentourismus eine nahezu durchorganisierte Form des Reisens an Zielorte mit hoher Touristenfrequenz darstellt, zeichnet sich der Individualtourismus

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hingegen durch individuell durchgeführte Reisen einzelner Personen oder kleinerer Gruppen an weniger stark frequentierte Reiseziele aus. Während die Formen des Massen- und Individualtourismus in den Fremdenverkehrsgebieten eher

– starke Umweltbelastungen,

– Raum- und Landschaftsveränderungen und

– kulturelle Überformungen hervorrufen, sind Formen des sanften bzw. nachhaltigen Tourismus bestrebt, diese Folgen weitgehend zu vermeiden (vgl. Latz, 2007). Dieser erste Überblick verschafft uns bereits ein wenig Einblick in das Thema Touris-mus. Mit dem Thema Tourismus beschäftigen sich verschiedene Interessen-gruppen: Verschiedene Forschungsdisziplinen erfassen, analysieren und modellieren den Tourismus aus verschiedenen Perspektiven, ganze Wirtschaftszweige sind darum bemüht, die Wünsche von Touristen zu erfassen und in geldbringende Reiseprodukte zu verwandeln. Ökologen sind bemüht, Touristenströme in umweltverträgliche Bahnen zu lenken. Unterschiedliche Institutionen, Organisationen, Verbände und Lobbyisten sind aus verschiedenen Gründen und Perspektiven um das Thema „Tourismus“ bemüht. Und die Geographie? Welche spezifische Perspektive hat sie in diesem Zusammen-hang? Schon oft haben wir uns im Rahmen dieses Lehrganges diese Frage im Zusammenhang mit anderen Arbeitsthemen gestellt – und als kleinsten gemeinsamen Nenner immer wieder einen Bezug gefunden: den Raum. Und auch im Zusammen-hang mit dem Tourismus besteht diese Perspektive fort. Gebhardt et al. (2007) bringt sie auf den Punkt:

Merke: Perspektive der Geographie des Tourismus Das Interesse der Tourismusgeographie ist auf die raumbezogenen Dimensionen von Freizeit und Tourismus gerichtet. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch als handelndes Wesen, sei es als Tourist oder als Anbieter in einem touristischen Unternehmen. Beim Tourismus handelt es sich somit um ein raumbezogenes Phänomen.

Bevor wir uns den aktuellen Entwicklungen des nationalen und internationalen Tourismus aus geographischer Perspektive widmen, werfen wir zuvor noch einen Blick zurück, und zwar auf die Wurzeln heutigen Geschehens.

12.3 Entwicklung des Tourismus – ein Überblick

Eingangs wurde bereits angedeutet, dass Reisende bereits seit Jahrtausenden unterwegs sind. Und stecken wir den Rahmen für unsere Auffassung des Begriffs „Fremdenverkehr“, wie wir ihn im Merksatz „Tourismus“ inhaltlich kurz umrissen haben, sehr weit, so trifft dies auch zu. Natürlich fällt es schwer, einen Ortswechsel aufgrund von Nahrungssuche als eine „Reise“ zu begreifen, andererseits fand auch hier eine Bewegung im Raum statt, wenn auch anders motiviert als die meisten Reisen heute. Aber bleiben wir zunächst erst einmal beim „Damals“. Sowohl Bieger

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(2010), Steinecke (2006) als auch Gebhardt et al. (2007) nehmen chronologisch geordnete, etappenartige Gliederungen des Reisegeschehens vor, an die wir uns aufgrund ihrer Übersichtlichkeit anlehnen wollen.

Von der Antike bis zur Industriellen Revolution

In seinen Anfängen war das Reisen ein anstrengendes und sehr zeitaufwändiges Unterfangen. Bereits in der griechischen Antike, so stellt Bieger (2010) fest, wurden etliche Motive heutigen Reisens vorweggenommen. Beispielsweise setzte mit dem Beginn der Olympiaden um 770 v. Chr. bereits ein regelrechter Sporttourismus zum Austra-gungsort der Spiele ein. Ebenfalls in prähistorischer Zeit fanden bereits Bildungs-reisen, wie beispielsweise durch den griechischen Geographen Herodot (480 – 421 v. Chr.), statt. Eine weitere Form des Reisens bildeten in dieser Zeit die Wallfahrten, wie beispielsweise zu den Göttertempeln des Orakels von Delphi. In der Zeit des Römischen Reiches erhielt das Reisen nach Bieger (2010) weiteren Auftrieb durch eine Art „militärischen Tourismus“. Im Zuge des Ausbaus des Straßennetzes und der Herausbildung zahlreicher Garnisonsstädte erhöhte sich die Sicherheit auf den Straßen, wodurch wiederum der Bildungstourismus zu einer Blüte gelangte. Außerdem bildeten sich Vorläufer des heutigen Gesundheitstourismus heraus, denn durch die Römer wurden an einigen zentralen Orten, wie in Baden-Baden oder St. Moritz, Badezentren errichtet. Vor allem im Mittelalter wurden kaum noch Reisen „um des Reisens willen“ gemacht, sondern vor allem dann, wenn sie unumgänglich waren. Dies lag vor allem daran, dass die Herrschaftsverhältnisse stark zersplittert waren und damit auch die Zustän-digkeiten. Dies führte zum Beispiel dazu, dass das römische Straßennetz und mit ihm die Sicherheit auf den Straßen verfiel. Wer vor allem noch reiste, das waren Studenten, Beamte, Wallfahrer und teilweise Händler. Wobei Händler- und Entdeckerreisen in dieser Zeit stark ökonomisch motiviert waren, um beispielsweise neue Märkte zu ergründen. Der größte Teil der Bevölkerung verließ seine direkte Umgebung hingegen zeitlebens nicht. Mit der politischen Stabilisierung im 18. Jahrhundert blühte der Bildungstourismus insbesondere unter jungen Adeligen wieder auf.

Zeit der Industrialisierung

Mit einsetzender Industrialisierung entwickelte sich der Tourismus immer mehr zu einem Standardprodukt. Der Ausbau der Eisenbahn ab 1830 bildete dafür eine wesentliche Voraussetzung. Aber auch die Dampfschifffahrt und der Ausbau von Passstraßen begünstigten den Transport einer großen Anzahl von Reisenden. Durch den Ausbau der Massentransportmöglichkeiten sanken die Reisekosten so stark, dass auch weniger begüterte Menschen reisen konnten. Der wachsende Touristenandrang führte auch zu einer Veränderung der Beherber-gungsbetriebe. Beispielsweise wurden immer mehr und immer größere „Grand“-Hotels mit entsprechender Aufnahmekapazität für Gäste, wenn auch für eher begüterte Gäste, errichtet. Als Geburtsstunde des modernen Massentourismus gilt die erste Pauschalreise, die von Thomas Cook 1841 erstmals angeboten wurde (vgl. Gebhardt et al. 2007; Bieger, 2010).

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Die Zeit zwischen und während der beiden Weltkriege

Während des Ersten Weltkriegs kam der internationale Tourismus quasi vollständig zum Stillstand (vgl. Bieger, 2010). Später, in der Weimarer Republik, verbesserte sich die Situation der Arbeitnehmer durch erste gesetzliche Regelungen der Urlaubs-zeit erheblich, so dass sich das Reiseverhalten insbesondere in der Mittelschicht zu verändern begann. Hinzu kam, dass die breite Mittelschicht durch Umverteilungen des Einkommens finanziell erstarkte und häufigere, meist kürzere Urlaubsreisen möglich wurden. Als neues Tourismusphänomen entwickelte sich in den Zwischenkriegsjahren der aktive Sporttourismus, mit Aktivitäten wie Golf oder Tennis im Sommer und Skitourismus im Winter. In der Zeit während des Nationalsozialismus spielte die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) insofern eine tragende Rolle für die Entwicklung des Tourismus, als dass das Reisen für nahezu jedermann zugänglich zu sein schien, sofern die ideologische Kontrolle dies zuließ (vgl. Gebhardt et al., 2007). Während des Zweiten Weltkrieges kam das Reisen erneut nahezu zum Erliegen.

Massentourismus und Globalisierung

Nach 1945 begann sich in der BRD der Tourismus langsam und kontinuierlich wieder zu erholen. In den Wirtschafts-wunderjahren der 1950iger und 1960iger Jahren wurde das Reisen zur Selbstver-ständlichkeit, wobei zunächst die Bahn und später der Pkw als Reisemittel im Vordergrund standen; der Flugtourismus gewann hingegen ab etwa Mitte der 1950iger Jahre zunehmend an Bedeutung, insbesondere durch Charterflüge.

Abb. 3: Amerikanische Touristin in Malaysia (1967). Quelle: www.wikipedia.de. Urheber: Photo by relative from ancestors' photo collection,

inherited by Infrogmation (talk). Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, ausschließlich in der Version 1.2, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

Durch Flugreisen erhöhte sich die Reichweite erheblich und es entwickelte sich neben einem Badetourismus auch zunehmend ein internationaler Sightseeing-Tourismus (siehe Abbildung 3). Bereits im Jahr 1970 führte über die Hälfte aller Reisen ins Ausland (vgl. Gebhardt et al., 2007). Seit den 1970iger Jahre nahmen in Deutschland Flugreisen im Verhältnis zu Bahn- und Autoreisen weiterhin zu. Der Anteil der Fernreisen stieg ebenfalls weiterhin

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kontinuierlich an. Innerhalb Europas lag Deutschland in den 1990iger Jahren hinsichtlich der Reiseintensität an der Spitze aller Nationen.

Merke: Reiseintensität Bei der Reiseintensität handelt es sich um den Anteil der erwachsenen Bevölkerung, der jährlich mindestens eine Urlaubsreise von fünf Tagen Dauer unternommen hat.

Spätestens seit den 1980iger Jahren sorgen neue Reisezielformen, wie Themen-parks, Kreuzfahrtschiffe oder Resorts, für eine einheitliche, berechen- und bezahlbare Dienstleistungsqualität. Einen kontinuierlichen Zuwachs verzeichnen bis heute der interkontinentale Sightseeing-Tourismus, der Kulturtourismus und der Kurzerlebnis-tourismus (z. B. für Risikosportarten) (vgl. Bieger, 2010). Der Tourismus bzw. das Reisen hat sich damit nach Steinecke (2006) immer mehr zu einem Standardkonsumprodukt entwickelt, das breiten Schichten der Bevölkerung (insbesondere der reichen Industrieländer) zugänglich ist, weshalb Steinecke diesen Prozess auch als „Demokratisierung des Reisens“ bezeichnet. Gegenwärtig wächst die Zahl der Urlaubstage noch und die Arbeitszeit nimmt tendenziell ab. Wie man auch der „Reiseanalyse“ der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (www.fur.de, am 25.05.2010 zugegriffen) entnehmen kann, deutet sich, vermutlich aufgrund wirtschaftlicher Krisen, ein Umschwung hin zu Kurzurlauben an, die neben der Haupturlaubsreise eine immer größere Rolle zu spielen scheinen.

12.4 Kein Tourismus ohne Touristen

Klar: Wenn niemand auf die Reise ginge, fänden keine Reiseaktivitäten an verschiedenen Reisezielen statt. Wie eingangs bereits angedeutet, hat der Tourismus mehrere Seiten zu bieten. Einerseits gibt es die potenziellen Touristen, also Menschen, die aus verschiedenen Gründen beabsichtigen bei geeigneten Bedin-gungen eine Reise zu unternehmen. Andererseits besteht ein weit verzweigtes Netzwerk von Reiseanbietern, welches beständig bestrebt ist, die Absichten und Wünsche der reiselustigen Bevölkerungsteile vorauszusehen, um das erfolgversprechendste Reiseprodukt anzubieten. Und dann existiert noch die Perspektive der Reiseziele, also die Orte, wo sich Reisende hinbegeben, um ihren Urlaub dort zu verbringen. Die verschiedenen touristischen Aktivitäten setzen wiederum verhältnismäßig große Geldströme, nahezu über die ganze Welt verbreitet, in Gang. Der Tourismus hat also auch eine machtvolle wirtschaftliche Komponente, der wir uns zunächst etwas genauer widmen wollen, bevor wir uns die Angebotsseite (Reiseanbieter) und die Nachfrageseite (potenzielle Touristen) aus der Nähe ansehen.

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12.4.1 Wirtschaftsfaktor Tourismus

Bereits die Grafik in Abbildung 2 belegt eindrucksvoll, wie stark das Wachstum der Anzahl der Touristen weltweit ist. Die meisten Reisenden kommen aus den wohl-habenden Industrieländern dieser Erde, was vor allem auf die hohen Einkommen und die relativ umfangreiche Freizeit in diesen Ländern zurückzuführen ist. Nach Latz (2007) ist der Massentourismus für die Fremdenverkehrsbranche am lukrativsten. Denn Individualtouristen erweitern den Reiseradius zwar global immer mehr auch in weniger frequentierte Gebiete, allerdings sind diese kommerziell noch nicht so stark erschlossen.

Merke: Individualtourismus Nach Diercke (1998) ist dieser Tourismus geprägt durch eine individuell von einer Einzelperson, einer Familie oder Kleingruppe durchgeführte Urlaubsreise. Die Reise kann von einem Reiseveranstalter organisiert worden sein oder völlig selbstständig durchgeführt werden.

Nach Diercke (1998) sind dem Begriff Massentourismus zwei inhaltliche Deutungen zuzuordnen:

– Zum einen ist es ein Ausdruck für die in den Industrieländern zunehmende Reiseintensität der Bevölkerung, also dass immer weitere Bevölkerungskreise regelmäßig am Fremdenverkehr teilnehmen.

– Zum anderen ist damit der Teil des Fremdenverkehrs gemeint, der sich im Gegensatz zum Individualtourismus in organisierter Form und in größeren Gruppen abspielt. Das Reiseziel sind meist stark frequentierte Fremdenver-kehrsgebiete. Nicht selten wird diese Bezeichnung abschätzig im Sinn einer Kritik an den Auswüchsen des Tourismus (siehe Abbildung 4) benutzt.

Abb. 4: Massentourismus in der Stadt Mar del Plata in Südost-Argentinien. Quelle: www.wikipedia.de. Urheber: Leandro Kibisz (Loco085). Diese Datei ist unter der

Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert.

Massen-tourismus

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Abbildung 4 gibt einen typischen, vielen wahrscheinlich sofort vor dem inneren Auge vorschwebenden Eindruck vom Massentourismus: Hotelburgen säumen den Strand und in Meeresnähe tummeln sich hunderte Touristen eng beieinander. Solche Bilder spiegeln aber auch eines wider: Der Boom der Tourismusbranche ist weltweit ungebrochen. Nach Gebhardt et al. (2007) sind in den letzten zehn Jahren immer mehr Menschen verreist. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, welcher durch den Fremdenverkehr erwirtschaftet wird, wird nach Latz (2007) weltweit auf ca. zwölf Prozent geschätzt. Der World Tourism Organization (WTO, in Gebhardt et al. 2007) zufolge sind die grenzüberschreitenden Touristenankünfte von Jahr zu Jahr um etwa acht Prozent ungebrochen angestiegen. Diese Zahlen belegen, dass der Reisesektor sogar um etwa zwei Prozent stärker expandiert als die Weltwirtschaft. Und der Trend, so wird geschätzt, wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Der Tourismus stellt – das vorher Gesagte zusammengenommen – aus globaler Perspektive einen zentralen Wirtschaftsfaktor mit weiterhin zunehmender Bedeutung dar. Obwohl der Hauptanteil der Touristenströme innerhalb der Industrieländer zirkuliert (vgl. Abbildung 8), bildet der Tourismus insbesondere in den Entwicklungs-ländern eine wichtige Einkommensquelle, indem er dort neue Arbeitsplätze schafft. Nach Gebhardt et al. (2007) stellt der Tourismus einen der beschäftigungsintensivsten Wirtschaftsbereiche dar, denn um die Touristen zu empfangen, zu versorgen und unterzubringen, müssen verschiedene Vorleistungen erbracht werden, wie etwa die Bereitstellung von:

– Beherbergungen

– Restaurationen

– Freizeiteinrichtungen

– Einzelhandel

– reibungslose Belieferung der Ferienstandorte mit Nahrungs- und Genussmitteln Werfen wir noch einmal einen Blick auf Abbildung 2 und die Entwicklung der inter-nationalen Touristenzahlen nach Großregionen, so kann man eine Ahnung von den zunehmenden räumlichen Veränderungen (insbesondere in „abgelegenen“ Regionen) gewinnen, welche durch die räumlichen Bewegungen von Reisenden und den mit ihnen „reisenden“ finanziellen Mitteln ausgelöst werden. Dabei sind nicht allein die Ausgaben der Reisenden an sich gemeint, sondern auch die Investitionen durch Geldgeber aus dem In- und Ausland, beispielsweise für neu zu erschließende Tourismusstandorte oder für jegliche Infrastruktureinrichtungen im Zusammenhang mit dem Tourismusgeschäft. Ob sich Menschen tatsächlich auf die Reise begeben, hängt von vielen verschiedenen Einflussfaktoren ab. Somit wird der potenzielle Tourist für die Tourismusanbieter ein eher „geheimnisvolles“ Wesen, auf das sich Angebote nur schwer zuschneiden lassen. Hinzu kommt, dass wohl jeder Reisende die von ihm unternommene Reise weniger als ein vorgefertigtes Standardprodukt wahrnimmt, sondern eher als einen Raum größter persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung. Dennoch gibt es unter den Reisenden einige charakteristische Gemeinsamkeiten, zum Beispiel hinsichtlich der Urlaubserwartungen. Schauen wir uns also im Folgenden „die“ Touristen, auf die es die Reiseanbieter „abgesehen“ haben, etwas genauer an.

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12.4.2 Die Touristen

Eine Tour mit der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Wladiwostok, Golf spielen in der Wüste von Dubai oder doch lieber ein Reiturlaub im Harz? Die Wünsche der Kunden sind in der Gegenwart sehr differenziert, was allerdings auch daher rührt, dass sie aus einer riesigen Fülle von Angeboten wählen können und dadurch die Qual der Wahl haben. Sie erwartet ein Spektrum von fernen Reisen, auf denen sie fremde Länder und Kulturen kennen lernen können, Kurztrips im eigenen Land, auf denen sie sich in Kreativkursen selbst verwirklichen können, Abenteuertouren in unzugänglichen Regionen, schillernde Ausflüge in kostspielige Luxushotels und, und, und. Bereits aus den differenzierten Reisewünschen der Kunden lassen sich neben der

– quantitativen Zunahme des Urlaubsreisemarktes, insbesondere durch die Pauschalreisen,

– auch qualitative Veränderungen im Reiseverhalten im Laufe der letzten Jahrzehnte ableiten.

Die qualitativen Veränderungen bestehen nach Gebhardt et al. (2007) vor allem darin, dass sich der Reisemarkt zu einem reinen Käufermarkt entwickelt hat, der vor allem durch eine Fülle von Angeboten und durch harte Preiskonkurrenz gekennzeichnet ist, was wiederum stimulierend auf eine differenzierte Nachfrage wirkt. Dabei sind weder die Konsummuster eindeutig einer bestimmten Käuferschicht zuzuordnen noch die Absichten der Kunden klar zu definieren. Nach Gebhardt et al. (2007) stehen allerdings einige Kundenwünsche im Mittelpunkt:

– Gewünscht wird ein Angebot mit großer Abwechslung.

– Innerhalb dieses Angebots möchte man aus einer großen Produktvielfalt wählen.

– Die rasch wechselnden Wünsche sollen perfekt umgesetzt werden.

– Im Urlaub sollen Erlebnisse oder Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung geboten werden.

Doch um eine Reise unternehmen zu können, benötigt man unter anderem einen Mindestrahmen an Freizeit, sieht man einmal von den Geschäftsreisen ab. Nur: Was ist heutzutage unter „Freizeit“ zu verstehen? Nutzt man verschiedene Informations-quellen, trifft man auch sehr unterschiedliche Auffassungen darüber. Bieger (2010) bietet für diesen Begriff einen sehr weit reichenden Definitionsansatz:

Merke: Freizeit Freizeit ist eine mentale oder spirituelle Haltung, die einem Idealbild entspricht. Demnach sollte Freizeit frei von Arbeit (ökonomische Funktion) sein und psychologisch als Freiheit im Sinne von Autonomie wahrgenommen werden können.

Allerdings: Die einfache Frage, warum Menschen in ihrem Urlaub eine Reise unter-nehmen, also ihr Motiv für eine Reise, ist nach Steinecke (2006) kaum eindeutig zu beantworten, denn eine Reiseentscheidung wird meist neben der persönlichen Motivation von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Werfen wir im Folgenden also einen genaueren Blick darauf, warum – frei nach Tucholsky – einer eine Reise tut.

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Theoretische Modelle zur Motivation für touristische Aktivitäten gehen vor allem von einem Wunsch nach Abwechslung aus, der sich ausdrücken kann in Wünschen nach

– Entspannung.

– Ablenkung.

– Freiheit.

– Kontrast zum Alltag. Gesucht werden vom Touristen, dieser Fluchttheorie zufolge, vor allem Gegenwelten zum Berufsalltag, weg von physischer und psychischer Anspannung und standar-disierten Arbeitssituationen. Eine andere Theorie geht eher von der „Hin-zu-Motivation“ aus, bei der die Urlaubsreise eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung bietet, wobei vor allem Wünsche im Vordergrund stehen nach:

– Sammeln neuer Eindrücke

– Sozialkontakte

– Aktivität und Kreativität Wobei sich diese Motivationsmuster eher bei Urlaubern finden, die mit ihrem beruflichen Alltag zufrieden sind und bei denen darum der Fluchtimpuls aus dem Alltag nicht so stark ausgeprägt ist (vgl. Steinecke, 2006). Die verschiedenen Reisemotive bringen die unterschiedlichen Bedürfnisse und Erwartungen potenzieller Touristen annähernd zum Ausdruck. Ob allerdings tatsächlich eine Reiseentscheidung getroffen wird, hängt einerseits von der individuellen Entscheidung und andererseits von anderen Einflüssen, wie Freunden, dem Partner, Informationen über den Reiseablauf, das Zielgebiet usw., ab.

Informationsbedarf vor einer Reise

Vor Antritt einer Reise besteht nahezu immer ein hoher Informationsbedarf beim Kunden über den Reiseverlauf bzw. das Zielgebiet, denn im Gegensatz zu einer Waschmaschine, die man vor dem Kauf im Geschäft begutachten kann, erweist sich die wahre Qualität einer Urlaubsreise erst dann, wenn man sie in Anspruch nimmt, also nachdem das Produkt gekauft wurde. Allein das Internet bietet eine überquellende Fülle an Informationsmöglichkeiten, um sich über potenzielle Reiseziele zu informieren. Gibt man allein den übergeordneten Begriff „Urlaub“ in eine Suchmaschinenmaske ein, so erhält man seitenweise Angebote für Urlaubsreisen, vollgepackt mit Informationen über die verschiedensten Zielorte. Dennoch gilt nach Steinecke (2006) die Mund-zu-Mund-Propaganda nach wie vor noch als wichtigste Informationsquelle über mögliche Reiseziele. Darauf folgen Informationen aus dem Reisebüro, aus Reisekatalogen und anderen Quellen. Insgesamt kann die Entscheidung für eine Reise als ein mehrstufiger Prozess betrachtet werden, der sich gliedern lässt in Entscheidungen vor allem für:

– das Reiseziel

– den Reisezeitpunkt

– die Reisedauer

– den Preis

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Grundsätzlich erwies sich der Prozess für die Reiseentscheidung und die Motiv-struktur der bundesdeutschen Touristen als eher stabil. Hingegen haben sich die Ansprüche an das Angebot innerhalb der letzten Jahre stark verändert (vgl. Steinecke, 2006).

Ansprüche an das Angebot

Die Ansprüche der Touristen haben sich seit den 1990iger Jahren deutlich verändert, was nach Steinecke (2006) vor allem an der Sättigung des Touristenmarktes und auch an den neuen Wertvorstellungen der Touristen liegt. Die Kunden bzw. Touristen zeigen sich in ihren Ansprüchen zunehmend

– unberechenbarer

– anspruchsvoller

– preissensibler

– individualistischer Das neue Anspruchsdenken lässt sich zusammengenommen vor allem mit der großen internationalen Reiseerfahrung der Reisenden und den sich daraus ergebenden vielseitigen Vergleichsmöglichkeiten, zum Beispiel hinsichtlich der Hotelausstattung, der Servicequalität und der Gastfreundlichkeit, ableiten. Dabei wird seitens der Reisenden ein immer größerer Wert auf ein komplettes Angebot „aus einer Hand“ (verbunden mit umfassender, rascher Information, kompletter Buchbarkeit einer gepflegten Unterkunft mit attraktiven Freizeit- und Animationsangeboten) gelegt. Dieser Anspruch geht einher mit einer fortlaufenden Standardisierung des Konsums, so dass sich zunehmend touristische Großunter-nehmen, wie beispielsweise die Touristik Union International (TUI) AG, gegen andere Anbieter durchsetzen können. Einerseits spiegeln diese neuen, gesteigerten Ansprüche der Reisenden eine neue, wachsende Souveränität aufgrund eines großen Reiseerfahrungsschatzes der „neuen Touristen“ wider. Andererseits nutzt die Tourismusbranche, also die Seite der Anbieter, geschickt und professionell jegliche Informationen über Reisende, um neue, differenziertere und noch erfolgversprechendere Angebote zu kreieren. Dadurch wird von dieser Seite her auch Einfluss auf das Buchungs- und Reiseverhalten genommen. Die Souveränität der Reisenden droht zu einer Schein-Souveränität zu geraten. Doch um diesen Einfluss ausüben zu können, benötigen die Reiseanbieter Informationen über ihre Zielgruppen und deren spezielles Konsumverhalten.

Touristische Zielgruppen

Es gibt nur wenige Unternehmen in der Tourismusbranche, die den gesamten Tourismusmarkt bearbeiten, vielmehr gliedert sich der Markt in verschiedene Anbieter, welche differenzierte Angebote für bestimmte Zielgruppen bereithalten. Dazu gehören der Skiurlaub in Norwegen mit geführten Ausflügen, der einwöchige ayurvedische Kochkurs in einem Biohotel ebenso wie die geführte Autosafari in Südafrika. Um Angebote gezielt entwickeln und an die entsprechende Zielgruppe weitervermitteln zu können, sind differenzierte Informationen über verschiedene Zielgruppen erforderlich. In der einschlägigen Literatur findet man Urlaubertypologien, wie sie auch in Steinecke (2006) zusammengestellt werden:

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– sozialdemographische Zielgruppen, die sich durch ein sozialdemographisches Merkmal (wie Familienstand, Alter, Beruf usw.) relativ genau abgrenzen lassen (wie Singles, Familien, Menschen mit Handicaps, Jugendliche, Senioren usw.)

– neigungstouristische Zielgruppen, für die Verhaltensweisen der Nachfrage als Abgrenzungskriterium genutzt werden, wie die Organisation der Reise (z. B. Individualtouristen, Pauschaltouristen), das Verkehrsmittel (z. B. Auto, Schiff), die Unterkunftsart (z. B. Camping-Urlauber, Hotel), die Urlaubsaktivität (z. B. Radtouristen, Reiturlaub), das Reiseziel (z. B. Fernreisende)

– Lebensstilgruppen, wie anspruchsvolle, egozentrische Freizeitorientierte, Gesundheits- und Umweltbewusste usw.

Grundsätzlich sind Urlaubsreisen, insbesondere für die Bewohner reicher Industrie-länder, zu einem Konsumgut geworden, welches zum Lebensstil einer breiten Masse gehört und auf welches man nur unter besonderen Umständen zu verzichten bereit ist (vgl. Gebhardt et al., 2007).

12.4.3 Die Angebotsseite

Kein Tourismus ohne Touristen – aber ohne Anbieter? Vielleicht ja. Anbieter touristischer Unternehmungen sind wohl kaum eine unerlässliche Voraussetzung für das Stattfinden einer Reise. Dennoch könnte man sie als wesentlichen „Treibstoff“ für den Tourismus ansehen. Worin besteht also der konkrete Nutzen des Anbieters für den Touristen? Bieger (2010) sieht ihn vor allem dann erbracht, wenn es seitens des Kunden um

– komplexe Leistungen (wie Flüge mit Umsteigeverbindungen),

– um Kostenoptimierungsbedarf und um

– Reisen mit höherem Beratungsbedarf (beispielsweise an weniger bekannte Zielorte) geht.

Im vorher Gesagten wurde bereits angemerkt, dass durch maßgeschneiderte Angebote die Nachfrage bei den Reisewilligen angeregt wird. Gleichzeitig wird das Reisen, beispielsweise durch Beratungsgespräche im Reisebüro, in vielerlei Hinsicht erleichtert, denn man kommt relativ zügig an fundierte Informationen über das gewünschte Reiseziel und bekommt, nach einer Reiseentscheidung, auf Wunsch eine komplette Reise „aus einer Hand“, die man am nächsten Tag schon antreten kann. Die Reise an sich besteht dann formal aus einem Ortswechsel und einem vorübergehenden Aufenthalt an einem Zielgebiet. Aus diesem Vorgang leiten sich wesentliche Bedürfnisse des Reisenden ab, und zwar nach:

– Transport

– Unterkunft

– Verpflegung

– Reiseorganisation Dieses Bündel aus verschiedenen Leistungen, aus dem das „Komplettpaket Reise“ in der Regel geschnürt wird, wird traditionell von Anbietern unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche, von Hotels, Charterfluggesellschaften, Verlagen für Reise-literatur usw., erbracht. Bei den im Zusammenhang mit einer Reise erbrachten

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Leistungen handelt es sich wiederum um typische Dienstleistungen mit all ihren charakteristischen Merkmalen, z. B.:

– Immaterialität (Die Leistungen sind selten übertragbar, nicht lagerfähig und nicht transportfähig – der Kunde erwirbt bei der Buchung also lediglich ein Dienstleistungsversprechen, welches mit einem Risiko behaftet ist, da er die Qualität im Voraus nicht kennt und diese lediglich auf der Grundlage des Images des Anbieters einschätzen kann.)

– nicht lagerbar (Für den Anbieter entsteht dadurch (unabhängig von der tatsächlichen Nachfrage) ein hoher Bereitstellungsaufwand, z. B. Flug-gesellschaften, Restaurantplanung oder Hotelbereitstellung. Um eine höhere Auslastungsquote zu erzielen, wird auf Schwankungen der Nachfrage einge-gangen, z. B. durch Frühbucherrabatte oder saisonabhängige Preisstaffelungen.)

– Uno-actu-Prinzip (Das Prinzip besagt, dass der Konsument unmittelbar in den Leistungsprozess integriert ist, also die Erzeugung und der Verbrauch einer Dienstleistung zeitlich und örtlich meist zusammenfallen, wie beispielsweise bei einem Restaurantbesuch am Zielgebiet oder einer Massage im gebuchten Hotel.)

Eine Reise besteht also aus einem ganzen Bündel von Dienstleistungen, welche von verschiedenen Branchen der Tourismuswirtschaft erbracht werden. Die einzelnen touristischen Wirtschaftszweige übernehmen wiederum dabei spezifische Funktionen, entweder als Produzenten oder als Handelsunternehmen:

– Als Produzenten werden dabei das Beherbergungs- und Transportgewerbe sowie ergänzende touristische Angebote (wie Reiseführer) angesehen.

– Als Großhändler gelten Reiseveranstalter, die Leistungen mehrerer Produzenten zu einer Veranstaltungsreise (auch: Pauschalreise) bündeln und an die Reisemittler vertreiben.

– Als Einzelhändler agieren Reisemittler, die wiederum ein breites Sortiment an Reiseangeboten, etwa an Pauschalreisen, Bahnreisen, Mietwagenbuchungen usw., vertreiben.

– Die Tourismusorte selbst sind mit ihren öffentlichen Verkehrsämtern zwar weder als Produzenten noch als Händler einzustufen, sie beeinflussen mit ihren Aktivitäten den Erfolg der Tourismuswirtschaft jedoch erheblich, indem sie diese mit gemeinsamen Werbeaktionen unterstützen.

Allerdings befindet sich dieser Zustand einer recht sauberen Trennschärfe zwischen Einzel- und Großhändlern, Pauschal- und Individualreisen usw. zunehmend in Auflösung. Denn

– neue Technologien

– die Liberalisierung von Visa- und Devisenbestimmungen

– neue Geschäftsmodelle und

– strategische Allianzen bewirken eine grundlegende Veränderung der Marktsituation. Daraus resultiert ein hoher Wettbewerbsdruck auf traditionelle Reiseziele, dem meist mit Kosten-senkungsmaßnahmen, z. B. durch stärkere Orientierung an den Kundenwünschen, durch die Anbieter begegnet wird. Doch trotz der daraus resultierenden Spezia-lisierung und Differenzierung seitens der Anbieter werden Reisen und Reisezielorte immer stärker zu gut aufbereiteten Konsumprodukten umgestaltet, deren Verbrauch dem Kunden wenig Mühe bereiten soll. Wie ein BigMac sollen sie an beliebigen Standorten der Welt konsumierbar sein. Hierfür stehen die künstlichen Urlaubs- und

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Erlebniswelten, wie sie beispielsweise Klubhotelanlagen (siehe Abbildung 5) bieten, als treffendes Beispiel.

Abb. 5: Außenschwimmbecken im Town and Country Resort in San Diego. Quelle: www.wikipedia.de, Diese Datei wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation

veröffentlicht.

Gleichzeitig werden mit zunehmender Standardisierung (trotz Differenzierung) Reiseprodukte und Urlaubsorte immer austauschbarer (vgl. Gebhardt et al., 2007).

12.5 Die vielen Gesichter des Tourismus vor Ort

Zu Beginn des Kapitels 12.4.2 wurde bereits auf die differenzierten Wünsche der Kunden im Hinblick auf ihr Reiseziel hingedeutet. So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Vorstellungen, Wünsche, Erwartungen und Ansprüche an ihr Reiseziel. Beschränkt sich eine Urlaubsreise an ihrem Zielort vor allem auf einen Badeurlaub mit Bräunungsaufenthalt am hotelnahen Badestrand, so ist das Reiseziel räumlich auf einen eher kleinen Ort begrenzt. Eine Reise von Touristen hingegen, die eine interkontinentale Rundreise anstreben, hat eine völlig andere räumliche Dimension. Was ist also das Reiseziel? Wie lässt es sich näher charakterisieren? Der Reisende kann verschiedene Größen von Räumen als sein Reiseziel bestimmen. Damit ist jedoch lediglich ein Faktor des Reiseziels, also seine räumliche Ausdehnung, näher beschrieben. Bieger (2010) stellt, in Anlehnung an eine Definition der WTO, folgende Definition für ein Reiseziel auf:

Definition „Reiseziel“:

Ein Reiseziel ist ein geographischer Raum (Ort, Region usw.), den der jeweilige Gast (oder eine Gruppe) als Reiseziel auswählt. Es enthält sämtliche für einen Aufenthalt notwendige Einrichtungen für die Beherbergung, Verpflegung, Unterhaltung und Beschäftigung. Steinecke (2006) stellt darüber hinaus fest, dass die Abgrenzung

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eines Reiseziels aus Sicht der Besucher unabhängig von administrativen bzw. politischen Grenzen erfolgt. Ferner stellt Bieger (2010) fest, dass ein Reiseziel aus der Perspektive der Ziel-gruppen abzugrenzen ist, zum Beispiel als Raum, der

– einem bestimmten Aufenthaltszweck dient und alle relevanten Angebote dafür enthält (z. B. für einen Golfurlaub, für einen Reiturlaub usw.).

– den Bewegungsraum des Touristen darstellt (zum Beispiel für Wildwasser-touren, für Radtouren, der Besuch von touristischen Attraktionen während einer Fernreise usw.).

Reiseziele sind darüber hinaus Orte oder Regionen, die geprägt sind durch:

– einen regelmäßigen großen Zustrom von Ortsfremden

– eine Wirtschaftsstruktur, in welcher der Tourismus eine große Rolle spielt

– ein Erscheinungsbild, das wesentlich durch touristische Einrichtungen bestimmt wird

Die Entwicklung touristischer Zielgebiete basiert auf mehreren Standort-faktoren:

– etwa auf der naturräumlichen Ausstattung als Basispotenzial (siehe Ab- bildung 6) fast jeder touristischen Erschließung (abgesehen von Kultur- und Geschäftsreisen) sowie auf der in sich geschlossenen und standortunabhängigen Erlebnis- und Konsumwelten (wie z. B. die künstliche tropische Urlaubswelt Tropical Islands bei Berlin); Faktoren wie Lage, Klima und Vegetation bestimmen die grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten eines Ortes oder einer Region (wie Wintersport, Badetourismus usw.)

– etwa auf Infrastrukturvoraussetzungen in Form von technischen und sozialen Einrichtungen (wie Verkehrsinfrastruktur, Ver- und Entsorgungseinrichtungen usw.)

– etwa auf dem Humankapital, einhergehend mit Sprachqualifikationen, Bildung, Kultur oder Bräuchen (kann einerseits eine wichtige Attraktion darstellen, andererseits können Einheimische als Unternehmer und Arbeitskräfte fungieren)

Abb. 6: Sonnenuntergang am Uluru („Ayers Rock“). Quelle: www.wikipedia.de. Diese Datei wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation

veröffentlicht.

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Über das „ursprüngliche Angebot“ hinausgehend (also: Naturraum, Infrastruktur, Bevölkerung) sind spezielle Einrichtungen für Touristen (wie Beherbergungs- und Verpflegungseinrichtungen, Transportmöglichkeiten, Freizeiteinrichtungen usw.) nötig. Reiseziele werden dem Reisenden als Gesamtprodukt angeboten und unterliegen dabei einem Lebenszyklusmodell, das in gleicher Weise wirksam ist wie der Produktlebenszyklus (vgl. Lernheft 11) anderer Gebrauchsgüter. So lassen sich mehrere Phasen ausgliedern:

– Phase der Markteinführung: Die Zahl der Besucher steigt in einer Region stark an, die Preise und die privaten und öffentlichen Investitionen sind hoch.

– Wachstums- und Reifephase: Die Nachfrage verzeichnet noch hohe Zuwachs-raten, geht aber langsam zurück; das Preisniveau beginnt zu stagnieren und später langsam zurückzugehen.

– Degenerationsphase: Zunahme von Kurzurlaubern und Tagesausflüglern, hohes Verkehrsaufkommen und hohe ökologische Belastungen

Aus dem Lebenszyklusmodell für Reiseziele geht hervor, dass diese einer Dynamik unterliegen, welche von verschiedenen Faktoren bestimmt wird. Dazu zählen beispielsweise technische Entwicklungen, um touristische Räume zu erschließen. Dazu zählen auch Transportmittel, mit denen Touristen an ihr Reiseziel befördert werden können, aber auch technische Einrichtungen, mit deren Hilfe die touristische Nutzung an einem Ort oder in einer Region unterstützt wird, wie beispielsweise durch Meerwasserentsalzungsanlagen auf den kanarischen Inseln. Trotz mittel- und langfristiger Schwankungen in der Entwicklung touristischer Zielgebiete fand insgesamt eine kontinuierliche tourismusorientierte Inwertsetzung unterschiedlicher Kultur- und Naturräume weltweit statt:

– Der Tourismus in Städten hat die längste Tourismustradition. Die Reisenden waren vormals Händler und Handwerker, welche Städte meist zweckgebunden aufsuchten. Inzwischen sind es vor allem Bildungs- und Kulturreisende.

– Tourismus an der Küste: Seit dem 18. Jahrhundert findet die Erschließung der Küsten statt.

– Der Tourismus im Hochgebirge entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert.

– Der Tourismus im ländlichen Raum und in den Mittelgebirgen entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung und der boomartigen Entwicklung der Städte.

– Der Tourismus in Industrieregionen setzte ab Mitte des 20. Jahrhunderts ein, und zwar im Zuge des steigenden Interesses am spezifischen kulturellen Erbe ehemaliger Industrieregionen.

– Die Reise in Erlebnis- und Konsumwelten erlebt seit den 1990iger Jahren weltweit eine boomartige Entwicklung.

Die Inwertsetzung von Kultur- und Naturräumen als Reiseziel: Diese Feststellung deutet bereits auf eine Veränderung geographischer Räume für touristische Zwecke hin. Was besagt in diesem Zusammenhang der Begriff „Inwertsetzung“? Schauen wir bei Diercke (1997) nach, so finden wir folgende Beschreibung für diesen Begriff:

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Merke: Erschließung und Entwicklung bisher nicht oder wenig genutzter Räume für Wirtschafts- und Siedlungszwecke durch Einwanderer, Kolonisatoren oder die einheimische Bevölkerung im Zuge des Übergangs zu einer intensiveren Bewirtschaftung und Besiedlung.

Räume werden „erschlossen“ und „entwickelt“, sie werden dadurch einer meist unumkehrbaren Veränderung unterworfen. Die Folge ist, dass an den Reisezielen der Touristen die räumlichen Auswirkungen des Tourismus meist besonders deutlich zutage treten. Im nächsten Abschnitt werden wir uns ein paar ausgewählte, besonders plastische Beispiele für die räumlichen Auswirkungen des Tourismus ansehen.

Tourismus an Küsten

Konzentrieren wir uns hier auf Mallorca als landschaftliches Beispiel einer stark entwickelten Ferienregion und eines hoch frequentierten Urlaubsreiseziels, so werden einem vermutlich unmittelbar verschiedene Gegensätze positiver und negativer Auswirkungen des Tourismus in dieser Region vorschweben: auf der einen Seite wachsender Wohlstand bei der einheimischen Bevölkerung, auf der anderen Seite hoher Landschaftsverbrauch, z. B. durch Hotelneubauten sowie durch Umweltver-schmutzung, Massentourismus und „Bettenburgen“ (vgl. Abbildung 7). Zu Beginn der Tourismusentwicklung prägte Mallorca noch die traditionelle Agrar-gesellschaft mit begrenzten Einkommensmöglichkeiten. Mit der Entwicklung der Tourismusbranche setzte auch eine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung ein, z. B. durch Arbeitsplätze in der Gastronomie und Hotellerie. Die Folge war ein rascher Wandel von einer traditionellen Agrargesellschaft hin zur modernen Dienstleistungs-gesellschaft. Nach Steinecke (2006) zählen zu den auffälligsten negativen Effekten, die der Tourismus in diesem Raum mit sich brachte, der Verbrauch und die Zerstörung von Landschaft, denn bis auf wenige Ausnahmen wurden alle bebaubaren Flächen in Meeresnähe bebaut.

Abb. 7: Massentourismus (Can Picafort) auf Mallorca. Quelle: www.wikipedia.de. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz

Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert.

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Kleine Hafenstädte und Fischerdörfer wurden durch neue touristische Baukomplexe erweitert und überprägt. Baumaßnahmen an der Küste fanden meist planlos und oft sogar ohne bauliche Genehmigung statt. Über die meist auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Bebauungsmaßnahmen hinaus entstanden neben der sehr dichten Bebauung noch Hotel- und Apartmenthochhäuser, die hinsichtlich des Bautyps als völlig regionsfremd anzusehen sind. Ökologische Schäden beziehen sich auf Mallorca nicht nur auf den Landschaftsverbrauch, sondern auch auf die Landschafts-zerstörung, und zwar insbesondere im Binnenland durch touristische Nutzungen (wie Wander- und Reitausflüge, Offroad-Touren mit Jeeps oder mit Motorrädern usw.).

Tourismus im Hochgebirge

Die Auswirkungen touristischer Nutzungen im Hochgebirge (vgl. dazu Lernheft 2 und 5) sollen hier am Beispiel der Alpen näher erläutert werden. Die Auswirkungen des Tourismus sind im Hochgebirge grundsätzlich vergleichbar mit denen in den Küstenregionen: Es wurden Arbeitsplätze geschaffen und Einnahmen erwirtschaftet. Gleichzeitig fand aber durch die Massenhaftigkeit der Nachfrage ein Wandel hinsichtlich der Lebensformen begleitet von ökologischen Belastungen statt. Die massenhafte touristische Nachfrage hat aus räumlicher Perspektive vor allem dazu geführt, dass der sensible Natur- und Kulturraum meist irreparable ökologische Auswirkungen zu verkraften hat, die im Zusammenhang mit touristischen Aktivitäten stehen:

– Belastungen durch den Bau und Betrieb von Skiliften und Skipisten (z. B. Landschaftsverbrauch, Waldschäden, Erosion usw.)

– erhöhtes Verkehrsaufkommen (z. B. Lärmbelästigungen, Luftverschmutzung usw.)

– Erschließung von Gletscherskigebieten (z. B. Verschmutzung von Trinkwasser durch chemische Substanzen für Pistenaufbereitung)

Infolge der wachsenden Sensibilität der meisten Urlauber gegenüber Umweltzer-störungen und der „Gefahr“ des Ausbleibens von Urlaubsgästen, insbesondere in Naturräumen, begann bereits in den 1970iger Jahren die Suche nach Gegenent-würfen zu den herkömmlichen Tourismusformen. Andererseits haben technologische Fortschritte, wie das Großraumflugzeug als modernes Transportmedium oder das Internet, die Tourismusbranche revolutioniert. Wie geht die Entwicklung nun weiter? Dieser Frage wollen wir uns abschließend im folgenden Kapitel zuwenden.

12.6 Wohin die Reise geht … Ein Ausblick auf die Zukunft des Tourismus

Die Boomfaktoren Freizeit, Wohlstand und Mobilität haben vor allem die quantitative Entwicklung des Tourismus in den 1970iger und 1980iger Jahren beeinflusst. Die Urlaubsreise ist seitdem für viele Menschen in den reichen Industrieländern zu einem Standardkonsumgut geworden. Vor dem Hintergrund der reichen Reiseerfahrungen sind die Ansprüche an das Angebot gestiegen, was eine immer größere Differenzierung in spezifische Urlaubs-formen für unterschiedliche Zielgruppen zur Folge hat. Diesen qualitativen Veränderungen im Reiseverhalten wird nach Steinecke (2006) auch in Zukunft ein weiteres quantitatives Wachstum des internationalen Tourismus gegenüberstehen,

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es wird also weiterhin eine Zunahme der Reisenden weltweit geben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die Einflussfaktoren (wie Einkommensverhältnisse, individuelle Freizeitbudgets, preisgünstige Massentransportmöglichkeiten usw.) weiterhin positiv entwickeln. Steinecke sieht als zentrale Triebkräfte für die zukünftige Entwicklung des Tourismus vor allem:

– die Dynamik der Ökonomie (z. B. steigende Mobilität, Globalisierung)

– die Dynamik der Demographie (z. B. Bevölkerungsrückgang Überalterung)

– den Wertewandel (z. B. Individualisierung, wachsendes Sicherheitsbedürfnis usw.)

– die Umweltsituation und das Umweltbewusstsein (z. B. höhere Sensibilität der Reisenden)

Das Wachstum, welches für die Tourismusbranche auch für die kommenden Jahrzehnte prognostiziert wird, wird voraussichtlich nicht in allen Regionen gleich sein (vgl. Gebhardt et al., 2007). Abbildung 8 zeigt die aktuellen Reiseströme weltweit.

Abb. 8: Reiseströme des internationalen Tourismus. Quelle: Latz, W. (2007).

Nach der Prognose von Steinecke (2006) wird Europa weltweit die wichtigste Zielregion bleiben. Weiterhin gelten auf internationaler Ebene insbesondere die Länder in den Großregionen Ostasien/Pazifik (China, Singapore usw.), im Mittleren Osten (z. B. Ägypten) und in Südasien (Sri Lanka, Malediven) als künftige Wachstumsmärkte. Aber auch die weltweit zunehmende Diskussion über alternative Reisekonzepte im Hinblick auf qualitative Veränderungen des Reiseverhaltens wird ihren Fortgang finden. Überlegungen über „sanften“ oder „nachhaltigen“ Tourismus (vgl. Näheres zur Begriffsbestimmung „Nachhaltigkeit“ im Lernheft 8) setzten bereits in den 1970iger Jahren ein und beziehen sich auf eine Form des Reisens, die drei wesentliche Anliegen verfolgt:

– ökologische Verträglichkeit (so wenig wie möglich auf die bereiste Natur einzuwirken bzw. ihr zu schaden)

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– ökonomische Verträglichkeit (Wirtschaftswachstum, das langfristig eine Einkommenssteigerung – unter Berücksichtigung ökologischer Kosten und Nutzen − ermöglicht)

– soziokulturelle Verträglichkeit (sich der Kultur des bereisten Landes möglichst anzupassen)

In diesem Sinne wird versucht, die negativen Auswirkungen des Massentourismus auf die Urlaubsgebiete zu verringern. Beispielsweise wird im Rahmen des sanften Tourismus vermieden, die natürlichen Gegebenheiten am Urlaubsort zu verändern, zum Beispiel, indem im Urlaubsgebiet die verkehrsmäßige Erschließung auf ein Minimum reduziert wird. Die Urlaubsgäste sollen sich stattdessen überwiegend zu Fuß oder mit dem Fahrrad fortbewegen. Auch die Unterkünfte sind im Stil des jeweiligen Landes gehalten. Sanfter Tourismus wird inzwischen auch von der Touristikbranche als Werbeargument eingesetzt, ohne dass die so bezeichneten Einrichtungen und Reiseprogramme immer den Mindestanforderungen entsprechen. Insgesamt wird eine „nachhaltige Entwicklung“ immer wieder als „das“ Konzept der Zukunft in einer globalisierten Welt mit begrenzten Ressourcen gesehen. Dies gilt auch und ganz besonders für den Tourismus, der wie kaum eine andere Branche auf eine intakte Umwelt und authentische Kulturen angewiesen ist.

12.7 Selbstlernaufgaben

1. Bitte kreuzen Sie das Richtige an. Der Begriff Tourismus kann weitgehend synonym verwendet werden für:

a. Beherbergungsgewerbe

b. Geschäftsreiseverkehr

c. Fremdenverkehr

2. Bitte ergänzen Sie sinngemäß den Lückentext:

Reisen ist immer ein mehr oder weniger langes ________________ zugunsten

eines anderen, mehr oder weniger _______________________.

3. Welche wesentlichen Formen des Reisens haben Sie in diesem Lernheft näher kennengelernt? Bitte kreuzen Sie das Richtige an.

a. Globaltourismus

b. Individualtourismus

c. Massentourismus

d. Kreuzfahrttourismus

4. Bitte ergänzen Sie die Textlücken richtig:

Die meisten Reisenden kommen aus den wohlhabenden Industrieländern dieser

Erde, was vor allem auf die _____________________________ und die relativ

___________________________ in diesen Ländern zurückzuführen ist.

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5. Welche neuen Reisezielformen begannen damit, sich seit den 1980iger Jahren herauszubilden? Bitte zählen Sie mindestens zwei auf:

6. Bitte geben Sie sinngemäß und aus Ihrem Gedächtnis wieder, wie der Begriff „Freizeit“ in diesem Lernheft aufgefasst wird.

7. Welche wesentlichen Anliegen verfolgt der „nachhaltige“ Tourismus? Bitte zählen Sie stichwortartig aus Ihrem Gedächtnis drei wesentliche Merkmale auf:

12.8 Zusammenfassung

– Der Tourismus ist eine von Dienstleistungen geprägte Wirtschaftssparte und damit ein Teilsegment der Wirtschaftgeographie.

Eine Welt ohne Tourismus – kaum vorstellbar

– Eine Welt ohne Tourismus wäre wie ein Archipel mit verschiedenen Volksgruppen, die nichts voneinander wüssten; die Welt ohne Tourismus wäre eindeutig ärmer.

– Der Begriff „Tourismus“ kann synonym verwendet werden für Fremdenverkehr.

– Reisen äußert sich im Verlassen der gewohnten Umwelt zugunsten eines anderen, mehr oder weniger fremden Lebensraumes.

– Je nach Ansprüchen und Erwartungen der Reisenden kann man Tourismus untergliedern in

• Individualtourismus und

• Massentourismus.

– Die Tourismusgeographie untersucht die raumbezogenen Dimensionen von Freizeit und Tourismus.

Entwicklung des Tourismus – ein Überblick

– In der Zeit von der Antike bis zur Industriellen Revolution traten folgende Formen des Tourismus bereits auf:

• Sporttourismus

• Bildungsreisen

• Wallfahrten,

• „militärischer Tourismus“

• Gesundheitstourismus

– Während der Industrialisierungsphase entwickelte sich der Tourismus immer mehr zu einem Standardprodukt.

– Die Reisekosten sanken.

– 1841 war die Geburtsstunde des modernen Massentourismus: Die erste Pauschalreise wurde von Thomas Cook angeboten.

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– Zwischen und während der beiden Weltkriege beeinflussten erste gesetzliche Regelungen der Urlaubszeit das Reiseverhalten (insbesondere der Mittelschicht).

– Durch Umverteilungen des Einkommens wurden Urlaubsreisen zunehmend möglich.

– Es entwickelte sich der aktive Sporttourismus.

– Flugreisen in der Phase des Massentourismus erhöhten die Reichweite erheblich.

– neue Reisezielformen, wie Themenparks, Kreuzfahrtschiffe oder Resorts, für eine einheitliche, berechen- und bezahlbare Dienstleistungsqualität

Kein Tourismus ohne Touristen

– Die meisten Reisenden kommen aus den wohlhabenden Industrieländern dieser Erde, was vor allem zurückzuführen ist auf die

• hohen Einkommen und die

• relativ umfangreiche Freizeit.

– Der Boom der Tourismusbranche ist weltweit ungebrochen.

– Räumlichen Bewegungen von Reisenden (und die mit ihnen „reisenden“ finanziellen Mittel) und Investitionen durch Geldgeber aus dem In- und Ausland verursachen räumliche Veränderungen in den Reisezielen.

– Die Wünsche der Kunden sind in der Gegenwart sehr differenziert, so dass neben der

• quantitativen Zunahme des Urlaubsreisemarktes auch

• qualitative Veränderungen im Reiseverhalten auftreten.

– Um eine Reise unternehmen zu können, benötigt man Freizeit: Freizeit ist eine mentale oder spirituelle Haltung, Freizeit sollte frei von Arbeit (ökonomische Funktion) sein und psychologisch als Freiheit im Sinne von Autonomie wahrgenommen werden können.

– Verschiedene Reisemotive bringen unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen der Touristen zum Ausdruck.

– Die Motivstruktur erweist sich allerdings als eher stabil, hingegen haben sich die Ansprüche an das Angebot innerhalb der letzten Jahre stark verändert.

– Anbieter touristischer Reisen bieten touristische Dienstleistungen an.

– Das Bündel aus verschiedenen Leistungen wird traditionell von Anbietern unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche erbracht.

– Aus der gegenwärtigen Veränderung der Marktsituation resultiert ein hoher Wettbewerbsdruck auf traditionelle Reiseziele, dem meist mit Kostensenkungs-maßnahmen begegnet wird.

– Vor Ort, also am Reiseziel, hat der Tourismus viele Gesichter.

– Ein Reiseziel ist ein geographischer Raum, den der jeweilige Gast als Reiseziel auswählt.

– Das Reiseziel ist geprägt durch:

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• regelmäßigen großen Zustrom von Ortsfremden

• In der Wirtschaft spielt der Tourismus eine große Rolle.

• Das Erscheinungsbild wird wesentlich durch touristische Einrichtungen bestimmt.

– Die Entwicklung touristischer Zielgebiete basiert auf mehreren Voraussetzungen:

• naturräumliche Ausstattung

• Infrastrukturvoraussetzungen

• Humankapital

• spezielle Einrichtungen für Touristen

– Weltweit fand eine kontinuierliche und tourismusorientierte Inwertsetzung unterschiedlicher Kultur- und Naturräume statt, das bedeutet die Erschließung und Entwicklung bisher nicht oder wenig genutzter Räume für Wirtschafts- und Siedlungszwecke.

– Räume werden dadurch einer meist unumkehrbaren Veränderung unterworfen.

Wohin die Reise geht … Ein Ausblick auf die Zukunft des Tourismus

– Den qualitativen Veränderungen im Reiseverhalten wird auch in Zukunft ein weiteres quantitatives Wachstum des internationalen Tourismus gegenüberstehen.

– Zentrale Triebkräfte für die zukünftige Entwicklung des Tourismus sind vor allem:

• die Dynamik der Ökonomie

• die Dynamik der Demographie

• den Wertewandel

• die Umweltsituation und das Umweltbewusstsein

– Das Wachstum, welches auch für die kommenden Jahrzehnte prognostiziert wird, wird voraussichtlich nicht in allen Regionen gleich sein.

– Europa wird weltweit die wichtigste Zielregion bleiben, weiterhin gelten auf internationaler Ebene insbesondere die Länder in den Großregionen Ostasien/ Pazifik, Mittlerer Osten und Südasien als künftige Wachstumsmärkte.

– Die weltweit zunehmende Diskussion über alternative Reisekonzepte wird fortgesetzt.

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12.9 Hausaufgabe

1. Denken Sie an Ihr ganz persönliches Lebensumfeld oder an eine Ihrer letzten Reisen. Überlegen Sie sich anhand eines Beispiels, welche konkreten Standortfaktoren wohl für diesen Ort oder diese Region kennzeichnend sind. Nutzen Sie für Ihre Antwort die Tabellenform.

2. Welche positiven wie negativen Folgen kann der Massentourismus mit sich bringen? Recherchieren Sie in den Ihnen verfügbaren Medien für das Beispiel Mallorca.

3. Führen Sie sich noch einmal die zentralen Anliegen des sanften bzw. nachhaltigen Tourismus vor Augen. Überlegen Sie sich ein Reisezielbeispiel, vielleicht eines, das Sie selbst schon einmal besucht haben. Welche Handlungsrichtlinien könnten Ihrer Meinung nach für dieses Beispiel entworfen werden, um den Ansprüchen des sanften Tourismus gerecht zu werden?

4. Bitte füllen Sie folgende Tabelle aus. Informieren Sie sich vorher über die beiden vorgegebenen Beispiele für Tourismusarten. Vergleichen Sie diese hinsichtlich ihrer Merkmale und Auswirkungen. Bewerten Sie Ihre Ergebnisse am Ende der Tabelle.

Auswahl von Merkmalen

und Auswirkungen Tourismusart

Sporttourismus Familienurlaub

Reisemotiv

Jahreszeit

Pauschalreise oder individuell

Landschaftszerstörung

Energie- bzw. Ressourcenverbrauch

Flächenverbrauch

Bewertung PRO

CONTRA

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12.10 Lösungen zu den Selbstlernaufgaben

1. Richtig ist c).

2. Reisen ist immer ein mehr oder weniger langes Verlassen der gewohnten

Umwelt zugunsten eines anderen, mehr oder weniger fremden Lebensraumes.

3. Richtig sind b) und c).

4. Die meisten Reisenden kommen aus den wohlhabenden Industrieländern dieser Erde, was vor allem auf die hohen Einkommen und die relativ umfangreiche Freizeit in diesen Ländern zurückzuführen ist.

5. Themenparks

Kreuzfahrtschiffe

Resorts

6. Freizeit ist eine mentale oder spirituelle Haltung, die einem Idealbild entspricht. Freizeit sollte frei von Arbeit (ökonomische Funktion) sein und psychologisch als Freiheit im Sinne von Autonomie wahrgenommen werden.

7. ökologische Verträglichkeit

ökonomische Verträglichkeit

soziokulturelle Verträglichkeit

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12.11 Anhang

Quellen:

Bieger, T. (2010): Tourismuslehre – Ein Grundriss. UTB. 3. Auflage. Bern, Stuttgart, Wien.

Diercke Weltatlas (2008). Westermann. Braunschweig.

Diercke (1997): Wörterbuch Allgemeine Geographie. Herausgegeben von H. Leser.

Gebhardt, H. et al. (2006): Geographie: Physische Geographie und Humangeographie. Spektrum Akademischer Verlag. Erste Auflage.

Latz, W. (2007): Diercke Geographie. Westermann. Braunschweig.

Opaschowski, H. W. (2002): Tourismus. Eine systematische Einführung - Analysen und Prognosen. Leske + Budrich Verlag. 3. Auflage. Wiesbaden.

Steinecke, A. (2006): Tourismus. Eine geographische Einführung. Das Geographische Seminar. Westermann. 1. Auflage. Braunschweig

World Wide Web:

Deutscher Tourismusverband: http://www.deutschertourismusverband.de/

Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen: http://www.fur.de/

Welttourismusorganisation (WTO): http://www.unwto.org/index.php

www.wikipedia.de; www.en.wikipedia.org

Empfehlenswert zum Weiterlesen:

Steinecke, A. (2006): Tourismus. Eine geographische Einführung. Das Geographische Seminar. Westermann. 1. Auflage. Braunschweig.

Im World Wide Web:

Deutscher Tourismusverband: http://www.deutschertourismusverband.de/