Handlungsprogramme Und Gewohnheiten

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  • 8/18/2019 Handlungsprogramme Und Gewohnheiten

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    HANDLUNGSPROGRAMME UND GEWOHNHEIT

    Ein Handlungsprogramm beschreibt eine Sequenz von Operationen – 

    wobei es gleichgültig ist, ob es sich um reine Denkprozesse handelt oderum körperliche Vorgänge. Die meisten Handlungsprogramme sind imweitesten Sinn sprachlich. Die Sprache hat beim Handeln vielfach einelenkende Funktion. Aber auch die bloße Nachahmung einer Bewegungkann als Handlungsprogramm fungieren. Beispiele fürHandlungsprogramme sind Befehle, eine Wegbeschreibung, Arbeitsanweisungen, die Partitur für ein Musikstück,Gebrauchsanweisungen, usw. Handlungsprogramme steuern dasVerhalten.

    Das Handeln kann man somit als ein von Handlungsprogrammengelenktes Verhalten interpretieren.

    Wichtig ist hier noch der Hinweis, dass Handlungsprogramme nicht aufindividualpsychologische Kategorien zu reduzieren sind. Man kann esauf die Formel bringen: »Ein Handlungsprogramm, viele Subjekte«, und»Ein Subjekt, viele Handlungsprogramme«. Organisationen sind durchihre Handlungsprogramme bestimmt, und Mitglieder von Organisationenmachen sich Handlungsprogramme »zu eigen«, stellen also auf diese

    Weise eine soziale Struktur her. Diese Doppelstellung desHandlungsprogramms charakterisiert es als soziale, nicht reinpsychologische Grundkategorie1.

    Ich habe den Begriff des Handlungsprogramms auch vorgeschlagen, umauf die Analogie und die Differenz zu einer bloß kybernetisch-informationstheoretischen Beschreibung des Handelns hinzuweisen.Tatsächlich gibt es hier eine Analogie zu einer Turing-Maschine.Handlungsprogramme sind vielfach nicht an ihren Träger gebunden, sie

    können kopiert und nachgeahmt werden –

     fast jede Sprache wird soerlernt. Sie lenken auch das Verhalten, wie MaschinenprogrammeMaschinen steuern. Doch diese Analogie ist rein formal.Handlungsprogramme haben in der Regel eine Bedeutung, einen Wert;sie sind bewusst. Werden Handlungsprogramme im Lernprozess aber oftwiederholt, so entwickeln sich nicht nur Fertigkeiten, es bilden sich auchGewohnheiten.

    1 Wie mir scheint, zielt Max Webers Kritik der psychologischen Grundlegung der Nutzentheorie durch das»psycho-physische Grundgesetz« in eine ähnliche Richtung; vgl. M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur

    Wissenschaftslehre, Tübigen 19683, S. 397f. Richard Dawkins´ Begriff der »Meme« hat eine gewisseÄhnlichkeit mit dem Begriff des Handlungsprogramms, R. Dawkins, Das egoistische Gen, Berlin-Heidelberg-

     New York 1978, S. 226ff.; die wesentliche Differenz liegt darin, daß Dawkins die Meme individualistischkonzipiert (nach Analogie der Gene). Vgl. Abschnitt 5. 

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     Was sind, vor diesem Hintergrund, Gewohnheiten? Gewohnheiten sind,einfach gesagt, unbewusst gewordene Handlungsprogramme. SowohlFertigkeiten als auch einfache Reaktionen auf vertraute Situationen sind

    vielfach unbewußt gewordene Handlungsprogramme. DerartigeHandlungsprogramme sind nicht völlig unbewußt; man weiß, was mantut. Allerdings hat das Bewußtsein aufgehört, die einzelnen sequentiellenElemente eines Handlungsprogramms zu steuern. Die gesamte Sequenzder Handlung kann automatisch ablaufen. Alle routinierten Abläufe – seies des häuslichen Alltags oder in der betrieblichen Praxis – besitzendiesen Charakter. Vom Autofahren, über die Fähigkeit, eine Matrix zuinvertieren, bis zur betrieblichen Organisation ist der Alltag durchsetzt mitautomatisierten Handlungen, mit Handlungsprogrammen, die zu einerGewohnheit, einer Routine geworden sind.

    Handlungsprogramme, die zur Gewohnheit wurden, also in ihrerSequenz wiederholbar sind, können auch durch Maschinen substituiert,wenigstens mit Maschinen kombiniert und an sie adaptiert werden. Es isthierbei gleichgültig, ob es sich um Gewohnheiten des Körpers, desDenkens oder um Gewohnheiten kollektiven Verhaltens handelt. EineGewohnheit ist gleichsam stets ein potentielles Maschinenprogramm.Die der Gewohnheit eigentümliche Unbewusstheit ist es gerade, die dasCharakteristikum einer Maschine ausmacht. In der Gewohnheitsbildung,

    im Unbewusstwerden, in der Reduktion des Handelns auf bloßesVerhalten antizipiert menschliches Handeln die Maschine oder gleichtsich der Maschine an. Wenn wir Handlungsprogramme, die Verhaltendurch Gewohnheitsmuster programmieren, mit Maschinenprogrammenvergleichen, zeigt sich gleichwohl ein grundlegende Differenz. Menschenkönnen Handlungsprogramme  – wenigstens prinzipiell – auch wiederbewusst machen. Wenn nicht die Gewohnheit, sondern die Achtsamkeitoder Bewusstheit das Steuerruder der Handlung übernimmt, dann»verflüssigen« sich die Handlungsprogramme. Sie können verändert

    werden. Das drückt sich psychologisch auch darin aus, dass immerdann, wenn gewohnte Handlungen nicht mehr funktionieren, eine Art Alarmstimmung herrscht. Eigentlich muss jedes Handlungsprogrammauch bei einfachen Wiederholungen immer wieder neu an andereSituationen adaptiert werden. Es gibt, streng genommen, kein völligunkreatives Verhalten2.

    Kreativität heißt hier: die Fähigkeit, Handlungsprogramme in jeweilsneuen Situationen anzupassen und zu verändern. In der

    2 Schumpeter irrt, wenn er sagt, daß »gewohnheitsmäßiges Handeln« nicht »riskant« sei, J. A. Schumpeter,Konjunkturzyklen Bd. I, Göttingen 1961, S. 112, Note. Wenn sich die Umgebung ändert, bedeutet gerade dieWiederholung einer Handlung ein Risiko.

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    Gewohnheitsbildung liegt ein zutiefst ökonomisches Moment. Sie erspart»Kosten der Aufmerksamkeit«, nicht jede Bewegung langsam undbewusst ausführen zu müssen, nicht jeden Gedanken neu durchdenkenzu müssen. Eine Handlung, für die eine Gewohnheitsbildung

    stattfindet, zeichnet sich durch eine Entlastung aus, dadurch, »dass sienicht jedesmal erneuert und bewusst zu werden braucht, sondernhinabsinkt auf die vorhandenen Schichten von Unterbewusstem

    3«, sagt

    Schumpeter, und Arnold Gehlen ergänzt diesen Gedanken: »Man kanndiesen wichtigen Entlastungsvorgang, bei dem die Gewohnheitsbildungdie Basis für ein höheres Verhalten legt, sogar bis in den bedingtenReflex hinein verfolgen4.« Dieses ökonomische, entlastende Momenterklärt die tiefe Neigung zur Bildung von Gewohnheiten. Umgekehrt zeigtaber die Fähigkeit, sich relativ rasch an neue Situationen anzupassen,daß die adaptive nicht von der kreativen Reaktion getrennt werdenkann.....Es braucht nicht geleugnet zu werden, dass dieGewohnheitsbildung bei verschiedenen Menschen, Organisationen oderhistorische Kulturen unterschiedliche Ausmaße angenommen hat.

    Gleichwohl sind Gewohnheitsbildung und kreative Veränderung vonHandlungsprogrammen grundlegende Strukturen jeder menschlichenHandlung, weil es in keinem System konstante Umweltverhältnisse gibt.

     Aus: Karl-Heinz Brodbeck, Gewohnheitsbildung und kreative Destruktion,Gröbenzell-Würzburg 1998. - Vortrag vom 10. Juni 1997 am Max-Planck-Institut zurErforschung von Wirtschaftssystemen. 

    3 J. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 19515, S. 123f.4 A. Gehlen, Der Mensch, Wiesbaden 197611, S. 66.