Handreichung für JournalistInnen...Jun 11, 2014  · 3. Das Dokumentationsprojekt des Denkorts...

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1 Handreichung für JournalistInnen Gedenkfeier am 14./15. Juni 2014 in Murat/Frankreich in Anwesenheit des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft, Christian Weber, sowie einer Delegation vom Denkort Bunker Valentin; dem Leiter der Bremer Landeszentrale für politische Bildung, Dr. Thomas Köcher, sowie der Bremer Leiterin des Institut Français Frau Dr. Nadège Le Lan ,Vertretern von lokalen und regionalen Behörden Frankreichs und Vertretern des regionalen Verbandes der ehemaligen Neuengamme Häftlinge. 1. Historische Ereignisse Welche Verbindung besteht zwischen Murat und Bremen? Im Kriegsjahr 1944 zählte Murat, gelegen in der Auvergne ca. 500 km südlich von Paris, rund 2.500 Einwohner. Nach der Landung der Alliierten an der Normandie- Küste am 6. Juni 1944 verstärkten die dortigen Widerstandsgruppen ihre Aktionen mit dem Ziel, den Nachschub der deutschen Truppen zu erschweren. Die deutschen Repressalien waren verheerend: Am 10. Juni 1944 verübten Einheiten der Waffen-SS ein Massaker im 400 Kilometer westlich von Murat gelegenen Städtchen Oradour-sur-Glâne. Am Vortag waren im südlich gelegenen Tulle 99 Geiseln erhängt worden. Beide Vernichtungsaktionen wurden offiziell als „Vergeltungsmaßnahmen“ hingestellt. Am 12. Juni 1944 marschierten deutsche Polizisten und französische Miliz auch in Murat ein. Mehrere Einwohner wurden verhaftet und verhört. Am Nachmittag griff eine Widerstandsgruppe aus der Gegend die in der Stadt versammelten deutschen Soldaten an und tötete dabei unter anderem deren Befehlshaber. Als erste „Vergeltungsmaßnahme“ wurden 25 Geiseln, darunter drei Männer aus Murat, am 14. Juni erschossen. Am 24. Juni 1944 umstellten dann deutsche Truppen Murat. Sie zerstörten zehn Wohnhäuser vermuteter Widerstandskämpfer (siehe Bildmaterial).

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Handreichung für JournalistInnen

Gedenkfeier am 14./15. Juni 2014 in Murat/Frankreich

in Anwesenheit des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft, Christian Weber,

sowie einer Delegation vom Denkort Bunker Valentin; dem Leiter der Bremer

Landeszentrale für politische Bildung, Dr. Thomas Köcher, sowie der Bremer Leiterin

des Institut Français Frau Dr. Nadège Le Lan ,Vertretern von lokalen und regionalen

Behörden Frankreichs und Vertretern des regionalen Verbandes der ehemaligen

Neuengamme Häftlinge.

1. Historische Ereignisse

Welche Verbindung besteht zwischen Murat und Bremen?

Im Kriegsjahr 1944 zählte Murat, gelegen in der Auvergne ca. 500 km südlich von

Paris, rund 2.500 Einwohner. Nach der Landung der Alliierten an der Normandie-

Küste am 6. Juni 1944 verstärkten die dortigen Widerstandsgruppen ihre Aktionen

mit dem Ziel, den Nachschub der deutschen Truppen zu erschweren. Die

deutschen Repressalien waren verheerend: Am 10. Juni 1944 verübten Einheiten der

Waffen-SS ein Massaker im 400 Kilometer westlich von Murat gelegenen Städtchen

Oradour-sur-Glâne. Am Vortag waren im südlich gelegenen Tulle 99 Geiseln erhängt

worden. Beide Vernichtungsaktionen wurden offiziell als „Vergeltungsmaßnahmen“

hingestellt.

Am 12. Juni 1944 marschierten deutsche Polizisten und französische Miliz auch in

Murat ein. Mehrere Einwohner wurden verhaftet und verhört. Am Nachmittag griff

eine Widerstandsgruppe aus der Gegend die in der Stadt versammelten deutschen

Soldaten an und tötete dabei unter anderem deren Befehlshaber. Als erste

„Vergeltungsmaßnahme“ wurden 25 Geiseln, darunter drei Männer aus Murat, am

14. Juni erschossen. Am 24. Juni 1944 umstellten dann deutsche Truppen Murat. Sie

zerstörten zehn Wohnhäuser vermuteter Widerstandskämpfer (siehe Bildmaterial).

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Über einhundert Männer zwischen 18 und 50 Jahren wurden verhaftet, in das

deutsche Gefängnis in Clermont‐Ferrand und anschließend in das Sammellager

Compiègne, nördlich von Paris, gebracht. Von dort wurden 113 von ihnen am 18. Juli

1944 in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg deportiert und später in

verschiedene Außenlager überstellt. Die meisten von ihnen kamen nach Bremen‐

Farge, um dort auf der Baustelle des Bunkers „Valentin“ unter unmenschlichen

Bedingungen Zwangsarbeit zu leisten.

Nur 34 von ihnen kehrten ein Jahr später nach Frankreich zurück.

Bild: Ausschnitt aus „Die Wehrmacht“ vom 2.8.1944, aus der Perspektive eines

Kriegsberichterstatters, Bildrechte/Fotograf unbekannt (Verwendung im Kontext möglich)

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Die Geschehnisse in Murat wurden durch einen deutschen Kriegsberichterstatter

fotografisch dokumentiert und Anfang August 1944 in der deutschen Presse

veröffentlicht. Auf den Aufnahmen sieht man u.a., wie die Geisel – als „Terroristen“

definiert – am 24. Juni 1944 abtransportiert werden (unten rechts).

2. Gedenkveranstaltung in diesem Jahr und rückblickend

Die Ereignisse in Murat jähren sich in diesem Jahr zum 70. Mal. Es ist allerdings das

erste Mal, dass eine Delegation der Freien Hansestadt Bremen offiziell an den

Gedenkfeierlichkeiten teilnimmt.

Bürgerschaftspräsident Christian Weber wird eine Rede halten, einen Kranz am

Landesdenkmal zur Erinnerung an die Deportation niederlegen und mit den

Nachkommen der Opfer zusammentreffen. Die Veranstaltung findet am Sonntag dem

15. Juni an verschiedenen Stationen statt, die die Ereignisse von 1944

nachvollziehen. Neben dem Bürgerschaftspräsidenten werden auch Vertreter des

Denkorts Bunker Valentin und der Landeszentrale für politische Bildung Bremen vor

Ort die mehrtägige Gedenkveranstaltung begleiten.

Rückblick: Bereits am 1. Juli 1945 besuchte der General de Gaulle das als „

Märtyrerstadt“ anerkannte Städtchen Murat. Ende November 1948 wurde dann im

Zentrum der Stadt das „Monument départemental de la déportation“ – das

Landesdenkmal zur Erinnerung an die Deportation – durch einen Überlebenden des

KZ-Außenlagers Bremen-Farge, in Anwesenheit von Kindern von in Deportation

verstorbenen Männer eingeweiht. Später wurde die zentrale Straße Murats

umbenannt und heißt nun: „Straße des 12. und 24. Juni 1944“.

Weitere Stationen des „Märtyrerwegs“ in und um Murat wurden über die Jahre durch

Gedenkstelen markiert, so z.B. am Pont Notre-Dame, wo die Geisel vor ihrem

Abtransport gesammelt worden oder am Ortseingang, wo die ersten 4 Geisel

erschossen wurden.

Die Erinnerung an das Trauma von Juni 1944 ist in Murat überall sichtbar. Jedes

Jahr finden Gedenkveranstaltungen statt.

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Jährlich werden auch durch die Amicale de Neuengamme, den Verband der

ehemaligen Häftlingen und Familien, sogenannte Pilgerreisen („Pélerinage“) nach

Deutschland organisiert. Die erste Reise an die Orte der Deportation fand Mitte der

1950er Jahre statt und wurde speziell für die Witwen organisiert. Einige Jahre später

folgte eine Erinnerungsreise der Kinder.

3. Das Dokumentationsprojekt des Denkorts Bunker Valentin

Die tragischen Ereignisse, die im Juni 1944 das Städtchen Murat erschütterten,

haben tiefe Spuren hinterlassen: über 80 Männer haben ihr Leben frühzeitig verloren.

Selbst die Überlebenden haben sich nie richtig von dem Trauma der Deportation

erholt. Diese traumatische Erfahrung liegt auf Murat bis zum heutigen Tag. Familien

wurden auseinandergerissen, junge Frauen wurden zu Witwen und mussten auf sich

selbst gestellt für ihre Kinder aufkommen, Kinder wurden ohne ihre Väter groß. Auch

dies gehört zur Geschichte des Bunkerbaus.

Die Landeszentrale für politische Bildung Bremen, vertreten durch Dr. Christel

Trouvé, führte zahlreiche lebensgeschichtliche Interviews mit den Angehörigen der

Opfer durch. Diese gehören zur Grundlage der wissenschaftlichen Arbeit am Denkort

Bunker Valentin und sind Grundlage für das im Aufbau befindliche Archiv der

Gedenkstätte. Sie werden Teil der künftigen Ausstellung über die Geschichte des

Bunkers.

Das aufgezeichnete Material erzählt neben den Geschehnissen auch die Geschichte

der Angehörigen, der Zurückgebliebenen. Zusammen mit weiteren

dokumentarischen Zeugnissen wird so der Frage nach den Auswirkungen der

willkürlichen Verhaftung und der darauffolgenden Deportation auf die Generation der

Nachfahren, beginnend mit den Kindern, die dabei waren, als ein Familienmitglied

plötzlich verschwand, nachgegangen. Am Denkort soll ein umfassendes

Informationsprojekt entstehen, das die Auswirkungen der Deportation im Gedächtnis

der Menschen des Ortes und der Nachfahren erzählt.

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4. Ein Beispiel aus dem „Oral History“-Projektes des Denkortes:

Die Familiengeschichte der Zeitzeugin Michéle Delrieu

Michéle Delrieu war erst 6 Jahre alt, als ihr Vater, der 37jährige Handwerker Jean

Rancilhac deportiert wurde. „Da wir danach kein Lebenszeichen mehr von ihm

erhielten, gibt es nichts“, außer ein schwarz-weißes Foto (s. Anlage) aus der

Vorkriegszeit, das sie an ihren Vater erinnert. Es ist nicht bekannt, wann und woran

Jean Rancilhac, der im Sommer nach Bremen-Farge kam, verstorben ist. Für seine

Familie ist diese Ungewissheit bis heute die Quelle einer unerträglichen Qual. „Ich

habe lange Jahre darauf gewartet, dass mein Vater eines Tages doch an der

Türschwelle stehen würde“, berichtete Madame Delrieu in einem Gespräch. Für sie

ist der Bunker eine wichtige Pilgerstätte: dies war der Ort, an dem ihr Vater gelitten

hat – und möglicherweise gestorben ist.

Madame Delrieu während des Interviews, Sommer 2013,

Quelle: Denkort Bunker Valentin/LzpB

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Jean Rancilhac (geb. 1907, verstorben in Deportation), Quelle: Denkort Bunker

Valentin/LzpB

Kontakt: Denkort Bunker Valentin, Telefon 0421 - 696 73 670

Download der gezeigten Bilder über Pressebereich

(Aktuelles/Presseinformation):

www.denkort-bunker-valentin.de

Achtung: Bildmaterial der Gedenkveranstaltung in Murat ist ab Montag Morgen (16.

Juni 2014) ebenfalls abrufbar!

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Weiteres verfügbares Bildmaterial:

Das heutige Murat mit Blick auf das Rathaus, Quelle: Denkort Bunker Valentin/LzpB

Zerstörte Häuser in Murat 1944 als Teil der „Vergeltungsmaßnahmen“,

Quelle: Denkort Bunker Valentin/LzpB

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