Hans-HeinzBrandt Kaiserreiches DerFreiheiteine Gasse · DerFreiheiteine Gasse ErstedemokratischeAn-...

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Der Freiheit eine Gasse Erste demokratische An- fänge 1918 bis1921 im Landkreis Oldenburg in Holstein Hans-Heinz Brandt Dieser äußerst kurze, nur rd. 2Vi Jahre umfassende Zeitraum vom Zusammenbruch des Kaiserreiches imNovember 1918 bis zumKapp-Putsch im März 1920und die hierausresultierenden gesellschaftlichen wie politischen Folgen für den Landkreis Oldenburg, deren Konsequenzen sich in den Wahlergebnissen der Kreistagswahl 1921 niederschlugen, lassen sich, grob skiz- ziert,in fünf in sich abgeschlossene Teilbereiche untergliedern. Durchhinzukommende äußere politische Einflüsse aus Ber- linund Kielkann dieser Zeitraum wie folgt dargestellt werden. I. Die kurze Zeit der Ar- beiten-/Bauern- und Soldatenräte Bis zur Revolution im Jahre 1918 hatte sich die bürgerliche Selbstverwaltung der Städte, zusammen mit der landrätlichen Kreisverwaltung, als eine solide Stütze des Kaiserreiches er- wiesen. Landräte und Bürgermeister repräsentierten ein politisches System, das auf örtlicher Ebeneüberall mit einigen Einschrän- kungen funktionierte. Ihre gesellschaftliche Position wurde, außer von den Sozialdemokraten und einigen Liberalen, nicht bestritten. So setzten sich der Magistrat und das Stadtverordnetenkolle- gium - nach dem Stand vom 3. Februar 1914 - in Neustadt als der größten Stadt des Landkreises wie folgt zusammen: Bürgermeister Tauscher Beigeordneter Konsul Heise, Kaufmann Stadtrat Thienemann, Landmann Stadtrat Meynerts, Kaufmann Stadtverordneten-Vorsteher Martens, Apotheker stellv. Stadtverordneten- Vorsteher Klüwer, Rentier Stadtverordneter Vaupel, Kaufmann Stadtverordneter Meislahn, Kapitän a.D. Stadtverordneter Lange, Fotograf Stadtverordneter Dr. Mühlenhardt, Arzt Stadtverordneter Dr. Griebel, Arzt Stadtverordneter Hörn, Tischlermeister Stadtverordneter Dünnweber, Landesbauführer Infolge einiger Nachwahlen während des Krieges fanden nur unwesentliche Veränderungen statt. Sowurden für die verstor- benen bzw. für die turnusmäßig ausscheidenden Stadtverord- neten nachgewählt: Schlachtermeister Struwe, Amtsgerichts- sekretär Dehning, Schuhmachermeister Kroger und Buch- druckereibesitzer Ehlers. 1 Ähnlich wie in Neustadt setzten sich auch in den anderen Städten des Kreises sowie im Kreistag die Parlamente zusam- men. Die Anfang November 1918 einsetzende revolutionäre Be- wegung richtete sich gegen die örtliche militärische und politi- sche Macht, wie z. B. die kommunalen Verwaltungsbehörden. Die immer trostloser werdende Ernährungslage und das Miß- trauen gegen die Absichten der Reichsregierung bewirkten, daß die Arbeiter mit dem Schwinden der Hoffnung auf einen militärischen Sieg und politische Reformen das Vertrauen in die von den Regierungsparteien verfolgte Politik gänzlich ver- 1 Zusammenstellungder verschiede- nen Wahlergebnisse aus den Jahren 1914 und 1918. Entnommen den Neu- städter Wochenblättern. Schleswig-Holstein heute 117

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Der Freiheit eineGasseErstedemokratische An-fänge 1918 bis1921 imLandkreisOldenburg inHolstein

Hans-HeinzBrandtDieser äußerst kurze,nur rd. 2Vi Jahre umfassende ZeitraumvomZusammenbruchdesKaiserreiches imNovember 1918biszumKapp-Putsch imMärz1920und diehierausresultierendengesellschaftlichen wie politischen Folgen für den LandkreisOldenburg,derenKonsequenzen sich inden Wahlergebnissender Kreistagswahl 1921niederschlugen, lassen sich, grob skiz-ziert,infünf insichabgeschlossene Teilbereicheuntergliedern.

Durchhinzukommende äußere politische Einflüsse ausBer-linundKielkanndieserZeitraumwie folgt dargestellt werden.

I.Die kurzeZeit der Ar-beiten-/Bauern- undSoldatenräte

Bis zur Revolution im Jahre 1918 hatte sich die bürgerlicheSelbstverwaltung der Städte, zusammen mit der landrätlichenKreisverwaltung, als eine solide Stütze des Kaiserreiches er-wiesen.

Landräte und Bürgermeister repräsentierten ein politischesSystem,dasauförtlicherEbeneüberall miteinigenEinschrän-kungen funktionierte. Ihre gesellschaftliche Position wurde,außer vondenSozialdemokraten undeinigenLiberalen,nichtbestritten.

SosetztensichderMagistratunddasStadtverordnetenkolle-gium-nachdem Stand vom 3.Februar 1914- inNeustadt alsder größten Stadt des Landkreises wie folgt zusammen:Bürgermeister TauscherBeigeordneter KonsulHeise, KaufmannStadtrat Thienemann,LandmannStadtrat Meynerts, KaufmannStadtverordneten-Vorsteher Martens, Apothekerstellv. Stadtverordneten-Vorsteher Klüwer, RentierStadtverordneter Vaupel,KaufmannStadtverordneterMeislahn, Kapitän a.D.Stadtverordneter Lange, FotografStadtverordneterDr.Mühlenhardt, ArztStadtverordneterDr.Griebel, ArztStadtverordneter Hörn,TischlermeisterStadtverordneter Dünnweber, Landesbauführer

Infolge einigerNachwahlen währenddes Krieges fanden nurunwesentliche Veränderungen statt. Sowurden für dieverstor-benen bzw. für die turnusmäßig ausscheidenden Stadtverord-neten nachgewählt: Schlachtermeister Struwe, Amtsgerichts-sekretär Dehning, Schuhmachermeister Kroger und Buch-druckereibesitzer Ehlers.1

Ähnlich wie in Neustadt setzten sich auch in den anderenStädten des Kreises sowie imKreistag die Parlamente zusam-men.

Die Anfang November 1918 einsetzende revolutionäre Be-wegungrichtete sichgegen dieörtlichemilitärische undpoliti-sche Macht,wie z. B.die kommunalenVerwaltungsbehörden.Die immer trostloser werdende Ernährungslage und das Miß-trauen gegen die Absichten der Reichsregierung bewirkten,daß die Arbeiter mit dem Schwinden der Hoffnung auf einenmilitärischen Sieg und politische Reformen das Vertrauen indievon denRegierungsparteien verfolgte Politik gänzlich ver-

1 Zusammenstellungder verschiede-nen Wahlergebnisse aus den Jahren1914 und 1918.Entnommen denNeu-städter Wochenblättern.

Schleswig-Holsteinheute

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loren.Zwischen dem 5.und10.November bildetensichinallengrößeren Städten an derNord- und Ostseeküste -später auchimInnerndes Reiches-Arbeiter- und Soldatenräte.2

Am5.November 1918nachmittagserreichte, vonKielkom-mend, durchheimkehrendeMatrosendie sich schnell ausbrei-tende Revolution Lübeck. Gegen 19 Uhr wurde ein Demon-strationszugdurchdieStadtveranstaltet.DerBahnhofundallewichtigen Gebäude wurden von Matrosen und Soldaten be-setzt.DerStandortkommandant GeneralWright wurdefestge-nommen und unter Gewahrsam gestellt. Militärischer Wider-stand wurde nicht geleistet. Aus Mehrheitssozialisten, Solda-ten und Vertretern der örtlichenGewerkschaften wurde einArbeiter-und Soldatenratgebildet.Dieser errichteteeinBüroimHotel„International".3

Über EutinerreichtedieRevolutionals ersteStadt desKrei-ses Oldenburg Neustadt am 8. November 1918. Nachmittagsum15.30Uhr hieltendie Verfechter der neuenBewegung,mitvier Mann im Pferdewagen kommend, als angebliche Abge-sandtedes KielerArbeiter- undSoldatenrates, ihrenEinzug inNeustadt.4 Wie sich aber bei einer vom zwischenzeitlich ge-wählten Neustädter Arbeiter- und Soldatenrat vorgenomme-nenNachprüfung herausstellensollte, warendiezweiSoldatenundMatrosengarnichtberechtigt, imNamendesKieler Arbei-ter- und Soldatenrates aufzutreten. Trotzdem ließ sich ersteinmal derGangder Dinge nicht weiteraufhalten. WacheundRathaus wurden, da niemand Widerstand leistete, von denSoldaten bzw. Matrosen Rademacher und Pohl inBesitz ge-nommen. Die Mannschaftender inder Stadt liegenden Land-sturm-Kompanie wurden-mit wenigen Ausnahmen-vorläu-fig für 14Tage nachHause entlassen.Anschließend hieltRade-macher vonderRathaustreppe aus eineRede andieinzwischendort versammelte Neustädter Bevölkerung, der er das BlauevomHimmel versprach. Alsnächstes versuchtenRademacherund Pohl, denNeustädter Bürgermeister abzusetzenbzw. vonNeustadt aus den Landratin Cismar telefonisch seines Amteszuentheben. Da durch Einspruch des Führers der Mehrheits-sozialdemokraten, August Meyer,diesesProblem schnellstensgeklärt werden konnte - beide Vertreter blieben vorläufig inihren Ämtern -,veranstaltete man abends imTivoli eine Ar-beiterversammlung.5 AnDubiosität übertraf sie noch das Ge-schehen nachmittags vor dem Rathaus. Da zwischenzeitlichRademacher und Co. den geistigen Getränken mehr als nötigzugesprochen hatten, konnte nur durchdie Anwesenheit Au-gust Meyers, der den Teilnehmern auch Rede und Antwortstand, das Schlimmste gerade nochverhindert werden. Einzigpositives Ergebnis war die Gründung eines Arbeiter- und Sol-datenratesauch inNeustadt.6

Diesem Arbeiter- und Soldatenrat gehörten an als Vorsit-zender: Arbeiter Erich Kahnke, sowie die Beisitzer: AugustVahlendieck, August Meyer, August Grümmert und KarlWehrend. Alle GenanntenwarenMitglieder der Mehrheitsso-zialdemokraten. Vonder bürgerlichen Seite wurden dem Ar-beiter- und Soldatenrat als Mitglieder Haase (Kaufmann),

2 Siehe auch Eberhard Kolb,Die Ar-beiterräte in derdeutschen Innenpoli-tik 1918/1919, Frankfurt a.M. 1978,Seite75 ff.3 S.a. Franz Osterroth, Chronik derLübecker Sozialdemokratie1866-1972, Lübeck 1973, Seite3l.4 Zusammengefaßte Darstellung derVorgänge inNeustadt jener Tage vonJohnGenzelvom26. April1931,abge-druckt im Neustädter Tageblatt vom8.November 1934, siehe auch Neu-städter Wochenblatt vom10.Novem-ber 1918.5 Ebd.6 Ebd. sowie Neustädter Wochenblattvom12.November1918.

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Kieckbusch(Bäckermeister),Jalas (Kaufmann),Wieland (Hu-morist),HansDohmund Hauke Bremen beigegeben.

Nachdemdie ,Abgesandten' desKielerArbeiter-undSolda-tenrates ihr kurzes, aber unrühmliches Gastspiel inNeustadtbeendethatten,zogensie unter Mitnahmeder Kriegskasse derhier stationierten Landsturm-Kompanie sowie der Unterlas-sung einer Bezahlung der verzehrten Speisen und Getränkenach Oldenburg weiter, umdort ein ähnliches Spiel zu versu-chen, was ihnenaber nicht gelang.7

Nachdem durch den gewählten Arbeiter- und Soldatenratnach Rücksprache inKiel dieIdentität vonRademacher undseinem Anhang festgestellt worden war, wurde, um anderenStädtenund Gemeinden eingleiches Schauspiel zu ersparen,Haftbefehl gegen diese erlassen.

In Oldenburg wurden unter weniger aufsehenerregendenUmständen in den Arbeiter- undSoldatenrat gewählt:

H.Fehmerling (Vorsitzender), M. Dehlert (stellv. Vorsit-zender), K.Nissen (Schriftführer), C.Rienau (stellv. Schrift-führer) undEdvart Schattaver und Joh.Pries.

In dieser Versammlung wurde auch die Gründung einesKonsumvereins für OldenburgundUmgebung beschlossen. 78anwesende Personen erklärten sich sofort bereit, dem Kon-sumverein beizutreten.

Ebenso inHeiligenhafen. Inihrer Ausgabe vom13.Novem-ber berichtetedie Heiligenhafener Post u.a.:

!rAmSonnabend, d. 9. November, um B'A Uhr kam mit demFuhrwerk eineAbordnung desKielerArbeiter- und Soldatenra-tes, bestehendaus2 Feldgrauen und2Matrosen. AnschließendfandimRathauseineSitzungderStadtverordnetenversammlungstatt. Gegen10 Uhr, nachBeendigung derSV-Sitzung, hielt derObmanndes Soldatenrates aufdemMarktplatzeineRedean dieBevölkerung. Anschließend fand im Hotel zur Börsedie Bil-dung eines Heiligenhafener Arbeiter- und Soldatenrates statt.Während desganzen Tages (Sonnabend) wurdenaufden öffent-lichen Gebäuden von Bahn, Post und auf dem Rathaus roteFahnen gehißt.

Die Einführung des Beigeordneten Fischer Friedrich Schuherfolgte am18.November, nachmittags um2 Uhr, durch Stadt-rat Poller, Kiel, in der gemeinsamen Sitzung der städtischenKollegien".

Besonders betroffen von dieser Entwicklung war aber dieInselFehmarn. Infolge der Unruhen war die Verbindung derInselmit demFestlandzeitweiligunterbrochen. Sokames,daßAbordnungen von Matrosenmit roten Schleifen an der Brustund rotenBändern umdieMützen durch die Straßen derStadtBurg gingenund dieSoldaten, dieangetroffen wurden, auffor-derten, ihre Seitengewehre abzulegen. Bedingt durchdie an-dauernden schwierigen Verkehrsverbindungen zum Festlanderreichte die Abordnung des Arbeiter- und Soldatenrateserstam 11.November die Stadt Burg. ImFehmarnschen Wochen-blatt lesen wir u.a. folgendes darüber:

„Burg, 11.NovemberZu erregten Vorfällen kam es am gestrigen Nachmittag in

7Neustädter Wochenblatt vom10.und12.November1918 sowie 18.Novem-ber 1918.8Neustädter Wochenblatt vom9. De-zember 1918.

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unsererStadt. Es erschien eineAbordnung von 4Mann,diesichalsDelegierte des Soldatenrates inKielausgaben und Verhand-lungen mit den Behörden ausführten. Sie traten sehr selbstbe-wußt auf und haben auf unserer Insel sich allerlei zuschuldenkommen lassen, indemsie einfachPferde und Wagen requirier-tenundsonstige Gewalttaten ausübten. DurchFunkspruch auf-merksam gemachte Matrosen kamen aber bald darauf an undgleichzeitig der richtige, mitAusweispapieren versehene Solda-tenrat aus Kiel, der die 4 Mannfestnehmen und abführen ließ.Sie wurden nach Burgstaaken gebracht und von dort mittelsSchiffnach Heiligenhafen befördert."9

Nachdemdie Bevölkerungindiesem Artikel weiterhindar-auf hingewiesen wurde,daß alles wiebisher seinengewohntenGang gehen würde, setzte der Verfasser abschließend seineLeser davon inKenntnis, daß zu Änderungen inder Verwal-tung und im weiteren öffentlichenLeben nur die Soldatenbestimmt seien,dieeinenvomSoldatenrat inKielausgestelltenAusweis führten.

Mit einem Aufruf wandte sich der inzwischen entstandenezentrale Arbeiter-undSoldatenrat derProvinz Schleswig-Hol-stein an die gesamte Bevölkerung.Darinhieß es u.a.:

„Unser Ziel ist die freie, soziale Volksrepublik. UnsereHauptaufgabe wird zunächstsein, den Frieden zusichern unddie Schäden des Krieges zu heilen. Schleswig-Holsteiner!Einalter Traum vonFreiheitundEinheit, für denvieleEurerBestengekämpft haben, wird jetzt auf neueren und höheren BahnenWirklichkeit!"10

Alsdieser Aufruf indenZeitungenerschien,hattedieKielerMatrosenerhebung bereits auf andere Großstädte wie Mün-chen undBerlin übergegriffen. Der Kaiser unddie Landesfür-stenhatten abgedankt.Die Republik war inzwischen ausgeru-fen und ein aus Führern der MehrheitssozialdemokratenundderUSPD bestehenderRatder Volksbeauftragten alsRevolu-tionsregierung gebildet worden.

Inder ersten Verordnung des Rates der Volksbeauftragtenwurden der Belagerungszustand und die Zensur aufgehobensowie unbeschränkte Vereins- und Versammlungsfreiheit unddieMeinungs- undReligionsfreiheit inWort undSchriftherge-stellt, außerdem die Gesindeordnung und die Ausnahmege-setzegegenLandarbeiteraußer Kraftgesetzt. Weiterhinführteder Rat der Volksbeauftragten den 8-Stundentagund das glei-che geheime Wahlrecht für alleMännersowie erstmalsauch fürFrauen ab 20 Jahren ein.

Bereits am 6. November wurden aus dieser Entwicklungauch in der Provinz Schleswig-Holstein von den Sozialdemo-kraten Folgerungen aufgrund der Ereignisse der vergangenenTage gezogen.

Eduard Adler, stellv. Stadtverordnetenvorsteher der StadtKiel, wurde dem Oberbürgermeister als Beigeordneter, derBezirksvorsitzende der Mehrheitssozialdemokraten, HeinrichKürbis, dem Oberpräsidenten der Provinz alsBeigeordneterzur Seite gestellt. IneinemRunderlaß wandte sich der Ober-präsident der Provinz Schleswig-Holstein am 9. November

9 S.a. Fehmarnsches Wochenblattvom 9. November 1918 Nr.132 undvom12.November1918 Nr.133.10 S.a. Osterroth, 100 Jahre SPDSH,Seite 62,auch abgedruckt imNeustäd-ter Wochenblatt vom 8.November1918.

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1918 an alle Landräte und Oberbürgermeister. Dieser Erlaßlautete:

„Kiel, den 9.November 1918Aufdiemirheute vorgetragenenBeschlüsse des Arbeiterrates

Kiel- der sich alsprovisorischeRegierung der Provinz Schles-wig-Holsteinerklärthat-über dieDurchführung der innerhalbder Provinzgeplanten Maßnahmen habeichmichunterRechts-verwahrung bereit erklärt, auf dem Boden der Staats- undReichsgesetzgebung, solange meine Pflicht undmein Gewissenmirsolches gestatten,unter ZuziehungdesmirbenanntenBeige-ordnetenKürbis einstweilen weiterzuarbeiten, soweitessichumdie Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung, die möglichstungestörteFortführung der Volksernährung und umdie Wohl-fahrt der Bevölkerungdienenden Aufgaben handelt. Ich richtean diemir unterstellten Behörden das Ersuchen, es nach dengleichen Richtlinienauch innerhalb ihrer Geschäftsbereiche zuverhalten,gez.Kürbis gez. vonMoltke,Oberpräsident"11

DasEnde desKaiserreicheskamfür vieleBehördeneinfachzu überraschend, deshalb versuchten diese in der bisher ge-kanntenFormihreTätigkeiten teilweise weiter fortzuführen.

Diese Verhaltensweise der staatlichen Stellen führte zu er-stenKonflikten mitdenneuentstandenen Arbeiter- und Solda-tenräten. Aufgrund der vermehrt inBerlin eintreffenden Be-schwerden sah sich der zentrale Vollzugsausschuß zueiner imReichs- und Preußischen Staatsanzeiger vom 18.November1918abgedruckten Bekanntmachung veranlaßt.

Diesehatte folgenden Wortlaut:„Nach eingegangenen Meldungen sind die reaktionären Re-

gierungsgewalten vielerorts bestrebt, ihre Tätigkeit nach demaltenSystem fortzusetzen. DurchErlaß der Preußischen Regie-rungsindalleRegierungspräsidenten und Landräteermächtigt,ihrAmt weiterzuführen. Diesist jedochnursozu verstehen,daßihreAmtsführung unterschärfster Kontrolle durch dieörtlichenArbeiter- und Soldatenräteerfolgt.

AlleLandräte und sonstigen Beamten, die ihreAmtstätigkeitnach dem alten System fortsetzen oder gegenrevolutionäre Be-strebungen bezeigten oder unterstützen, sind durch den zustän-digen Arbeiter- und Soldatenrat unverzüglich abzusetzen. Un-bedingtsindallenLandratsämternBeauftragtederArbeiter-undSoldatenräte beizuordnen, denen dieständige Überwachung al-ler Maßnahmen obliegt. Offener Widerstand ist gegebenenfallsmit Waffengewalt zubrechen.

Berlin, den16.November1918Der Vollzugsrat desArbeiter- undSoldatenratesMolkenbuhr, Rieh. Müller" 12

Das Schwergewicht der nun überall entstehenden örtlichenArbeiter-und Soldatenräte lag auf der Kontrolle der Verwal-tung. In den mittleren und kleineren Städten sowie in denländlichenGemeinden und Gutsbezirken zog sich die Entste-hung bis MitteNovember hin. Anordnungen der Verwaltungwurden vom zuständigen Arbeiterrat gegengezeichnet. Diewichtigsten Aufgaben der Räte lagen aufdem Gebiet der Auf-

11DergemeinsameAufruf vonMoltkeund Kürbis wurde imNeustädter Wo-chenblatt vom 12.November 1918 ab-gedruckt. S.a. Amtsblatt der Regie-rungzu Schleswig,Jahrgang1918, Sei-te393-395bzw.406/407.Bekanntgabeder provisorischenRegierunginKiel,dem Regierungspräsidenten beigege-benenBeigeordneten.Nr. 967. Orga-nisationder Arbeiter-undSoldatenrä-te inSchleswig-Holstein,bzw.993a +b. Ordnung der Bauernräte, Zustän-digkeit der Arbeiter-undSoldatenrätevom 23.Dezember 1918.12 S.a.LAS Abt. 309 Nr. 6993 Arbei-ter-, Soldaten- und Bauernräte,hierReichsanzeiger Nr.273.

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Rechterhaltung deröffentlichenSicherheit undOrdnungsowieder Sicherstellung der Lebensmittelversorgung für dieörtlicheBevölkerung.

Wie segensreich sich die Tätigkeit des Arbeiter- undSolda-tenrates für die schaffende NeustädterBevölkerungauswirkensollte,kannschondaranersehenwerden, daß erstmalseineArtRechtsberatung eingerichtet wurde.

Außerdem richteteder Arbeiterrat denersten Arbeitsnach-weis-einen Vorläufer desheutigen Arbeitsamtes-ein.

Dasich der vom Arbeiterrat eingerichtete Arbeitsnachweisnach den üblichen Anlaufschwierigkeiten gut entwickelnsollte, wurdeer Anfang Februar1919 ineine offizielleNeben-stelle des Kreisarbeitsnachweises des Landkreises Oldenburgumgewandelt. Dieser wurdeden Arbeitgebernund Arbeitneh-mern in einer Großanzeige im Neustädter Wochenblatt vom30.Januar 1919bekanntgegeben.

Die Arbeiter- undSoldatenrätesicherten so aufderkommu-nalpolitischen Ebene zum größten Teil den gesellschaftspoliti-schenMachtwechsel. Meist wenige Tage nach der Improvisie-rungder Orts-,Gemeinde- oder Guts-Arbeiter-und Soldaten-bzw. Bauernräte traten deren Vorsitzende und weitere Dele-gierte zumKreisarbeiterrat zusammen undwählteneinenVoll-zugsausschuß, dem dieKontrolledeszuständigen Landratsam-

Die Arbeiterräte verstandensich nichtnur alspolitischeKontrollorgane,son-dern versuchten z. B. auch, Arbeits-plätzezuvermitteln oderAuskünfte all-gemeinerArtzugeben(aus:NeustädterWochenblatt, November/Dezember1918).

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tes übertragen wurde. Im allgemeinen übten ein oder zweiPersonen diese Kontrolle aus.

ImLandkreis Oldenburg übernahm der aus Neustadt kom-mende Vorsitzende des sozialdemokratischen Zentralvereinsfür den 9. Schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreis, Au-gust Meyer, den Vorsitz im Vollzugsausschuß - Sitz wurdeNeustadt.Beigeordneter desLandrates wurde derebenfalls inNeustadt beheimatete bürgerliche Vertreter, Amtsgerichtsse-kretär Dehning. Die Einführung in ihre neuen Ämter wurdedurch Stadtrat Poller,Kiel,vorgenommen.14

WiesichdieUmwälzung indenkleinenLandstädtenvollzog,läßt sich amBeispiel derStadt Neustadt gut zeigen.

Ineiner als dringend einberufenen,gemeinschaftlichen Kol-legiensitzung unterrichtete Stadtrat Poller, Kiel, als Vertreterdes Beigeordneten beim Oberpräsidentender Provinz Schles-wig-Holstein, Kürbis, Magistrat und Stadtverordnetenkolle-gium am16.November 1918 über die augenblicklichen politi-schen Verhältnisse sowie die gewünschte Arbeitsweise derVerwaltung.15

In dieser wichtigen Sitzungwurde demnoch aus Kaiserszei-ten amtierenden Magistrat aufgegeben:1. den gewähltenBürgermeister Oberreich telegrafisch aufzu-

fordern, sein Amt sofort anzutreten,16

2. die Lebensmittelkommission um drei Mitglieder aus der

13 S.a. bei Kolb, Arbeiterräte in derdeutschenInnenpolitik,Seite98 sowie101-108; Bericht imNeustädter Wo-chenblattvom7.Dezember 1918übereine am 6. Dezember 1918 in Olden-burg durchgeführte Delegiertenver-sammlung zur Bildungeines Kreisver-bandes der Arbeiter-undSoldatenrä-te.AusNeustadt nahmenvomBürger-rat dieMitgliederKochundGiesenha-gen, vom Arbeiterratdie MitgliederVahlendieck undMeyer daran teil.14 S. a. Mitteilungen im NeustädterWochenblatt vom 28.November 1918sowie Heiligenhafener Post vom30. November 1918.15 S.a. NeustädterWochenblatt vom18.November 1918 sowie Protokoll-buch der Stadtverordnetenversamm-lung.16 Der noch kurz vor Kriegsende ge-wählte Bürgermeister Oberreichlehn-tenachderRevolutioneine Übernah-me des Amtes ab.

Der Redner auf dieser Veranstaltungdes Neustädter Arbeiterrats, Willi Ver-dieck, war Geschäftsführer desMetall-Arbeiter-Verbandes. Er wurde 1921zum SPD-Bezirksvorsitzenden inSchleswig-Holstein gewählt.

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Bürgerschaft zu ergänzen. Vorschläge dazu werden vomhiesigen Arbeiter- und Soldatenrat unterbreitet. Ebenfallsisteinem ArbeiterdasAmt desstellvertretendenVorsitzen-den zu übertragen;

3. dem Kaufmann Theodor Ahrendtz die Verteilung der Le-bensmittelzunehmen. AllesweiterewirdderLebensmittel-kommission überlassen;

4. für alle imstädtischenLohnund Brot stehendenKopf-undHandarbeiter dieBstündige Arbeitszeit nichtzu überschrei-ten;

5. den Arbeiter August Vahlendieck als Beigeordneten demMagistrat zuzuweisen. Ihm ist in allen Sachen Einsicht zugewähren;

6. dendem Arbeiterrat angehörendenBürgern eine angemes-seneEntschädigung zu zahlen.Es wird beschlossen, vorbe-haltlich der formellen Formeln,die inder nächstenSitzungnachzuholen sind, den o.a.Herreneine wöchentlicheEnt-schädigung von je RM6O,- zu zahlen.17

DieEinführung desdemMagistrat alsBeigeordneten zugeteil-tenMehrheitssozialdemokratenAugust Vahlendieck wurde indernächstengemeinsamen SitzungdesstädtischenKollegiumsam 25.November 1918 vom Mitglied deshiesigen Arbeiter-und Soldatenrates, August Meyer, vorgenommen. Auch wur-den als Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates der städti-schen Lebensmittelkommission J. Mehrpahl, August Grüm-mert und ErichKahnkebeigeordnet.18

Ähnlich wieinNeustadtbeschloß auchinBurg aufFehmarndasStadtverordnetenkollegiuminseinerSitzungam4.Dezem-ber 1918 unter Punkt2 der Tagesordnung, die Entschädigungdes Arbeiterrates durch die Stadt Burg zu übernehmen. An-ders dagegen in der Stadt Heiligenhafen. Hier kam es zumStreit zwischen dem Arbeiter- und Soldatenrat und dem Bür-germeister, als dieser sich weigerte, den Mitgliedern BingerundEbert einetägliche Entschädigung von10,-RMauszuzah-len.Außerdem forderte der Arbeiter- und Soldatenrat, nach-demdierotenFahnenvordemRathaus zweimalnachtsgestoh-len bzw. entfernt worden waren, den Bürgermeister auf, fürdas sofortige Anbringen neuer FahnenSorge zu tragen. NacheinigemHinundHerkam derBürgermeister dieser Aufforde-rung nach. Trotz dieser Einigung wandtesich der Bürgermei-steretwasspäter mit einerBeschwerdean denGouverneur desReichskriegshafens Kiel.Indiesem SchreibenforderteJantzendie Abberufung des Soldatenrates.19

IndieserAufbruchssituation wolltenauch dieBürgervereinenicht zurückstehen. Da die alte Macht langsam und für allesichtbar dahinschmolz, beschlossen seine Mitglieder, sich derneuen Situationanzupassen,um zur Sicherung ihrer altherge-brachten Interessen an der jetzt heraufziehenden Autoritätteilzuhaben. So beschloß z. B. der Neustädter Bürgerverein,nebendembisher bestehenden Arbeiter-undSoldatenrat aucheinenBürgerrat insLebenzurufen. Trotz anfänglicher Beden-ken von sozialdemokratischer Seite gegen die Einrichtung ei-nesBürgerrates wurdendannindiesenRat gewählt:Bürovor-

"S.a.abgedrucktesSitzungsprotokollim Fehmarnschen Wochenblatt vom12.Dezember 1918Nr. 145.18 Neustädter Wochenblatt vom26. November 1918.19S.a. gesamterVorgangimLASAbt309Nr. 6993.

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Steher Franz Dohm, Lehrer Koch, Stadtkassierer Giesenha-gen,Zimmermeister Ehrich,FischerEvers undder LandmannKarstens,Ruhleben.20

Diesembürgerlichen Ratwurdeumdie Jahreswende1918/19eine gewisse Bedeutung zuteil. SeineMitglieder gingen späteraber in der für die am 23.März 1919stattfindenden ordentli-chen Wahl zum Arbeiter-undSoldatenrat inder Vorschlagsli-ste Nr.2 „Bürgerlich, verschiedene Berufsgruppen" auf.

Ähnlich wieinNeustadtverliefen auch indenanderenKlein-städten des LandkreisesOldenburginHolsteindieEinführun-gen der Arbeiter- und Soldatenräte bzw. die Versuche vonbürgerlicher Seite, durch Gründung von Bürgerräten ihrenbisherbestehendenEinfluß -so auch inBurg aufFehmarn-imöffentlichenLeben aufrechtzuerhalten.21

Anders als in den Städten, in denen meist Organisationender Arbeiterschaft wieParteiund Gewerkschaften vorhandenwaren, sollte die Entwicklung auf dem flachen Lande in den

20 Ausführlicher Berichtdes Neustäd-ter Bürgervereins über die am 5.De-zember 1918 im Hotel Germaniadurchgeführte öffentliche Volksver-sammlung. Teilnehmer ca.150 Perso-nen.DiemännlichenBewerbererhiel-ten zwischen50 und143 Stimmen.DiebeidenweiblichenBewerbererhieltenjeweilsnureine Stimme.21 S.a. Fehmarnsches Wochenblattvom22. Mai1919 Nr.59.

HotelGermania um 1900. Aufgrunddesgeräumigen SaalesfandenhiervieleVeranstaltungenfür NeustadtundUm-gebung statt (Foto: PrivatarchivKoch).

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Dörfernund großen Gutsbezirken erfolgen. Die Revolutionbedeutete für dieLandbevölkerung,undhier überwiegend fürdieLandarbeiter,eineLoslösungvonderaltenpatriarchischenAbhängigkeit. So wurden indenersten Tagen nach der Revo-lution von beherzten Männern aller Schichten, entsprechenddem Vorbild der Arbeiter- und Soldatenräte,einfacheZusam-menschlüsse gebildet, bei denen, durch gute Agitation, dieGefahr „zunehmender Radikalisierung" bestand. Diese Ge-fahr erkannten sowohl Konservative und GroßgrundbesitzerwieauchMehrheitssozialdemokratenund derenInteressenver-treter auf dem flachen Lande, der Deutsche Landarbeiter-Verband.22

Ineinem gemeinsamen Aufrufan dieLandbevölkerung, beidemvom BundderLandwirteüber denDeutschenLandarbei-ter-Verband,den Generalverbandderdeutschen Raiffeisenge-nossenschaften bis zum Verband der preußischen Landkreiseallesvertreten war,wurdenersteRichtlinien zurGründung vonBauern- undLandarbeiterrätenherausgegeben.23

Eshieß dort unter anderem:„EinBauern- und Landarbeiterrat ist in jeder selbständigen

Gemeinde zuwählen. Gutsbezirke sind einer benachbarten Ge-meinde anzuschließen. Jeder Rat muß aus mindestens sechsPersonen bestehen undzu gleichen Teilen der imHauptberufselbständigen Landwirteund Arbeiter bzw. der nicht landwirt-schaftlichen Landbevölkerunggebildet werden.

Aufgabe der Bauern-und Landarbeiterräteist Unterstützungderzuständigen Behördendurch:1) Mitwirkung und Beratung bei Erfassung und Schutz der

vorhandenen Lebensmittel, bei der Regelung ihrer Abliefe-rung an die bezugsberechtigten Stellen undbeider Bekämp-fung des Schleichhandels.

2) Erhaltung der landwirtschaftlichen Betriebe. FörderungderErzeugung, insbesondere durch Sicherung vonSaatgut undSteigerungdes Anbaues, Wiederaufbau der Viehzucht, För-derung des Genossenschaftswesens.

3) MitwirkungbeiderAufnahmederentlassenenKriegsteilneh-mer und derBeschaffung vonArbeitund Wohnungfür diesegemäß denBestimmungen derDemobilmachungsbehörden.

4) Gegenseitige Hilfe beim Schutz von Personen und Eigen-tum.

"Zwar warennach diesen Richtlinien die Tätigkeiten der Bau-ern- undLandarbeiterräteim Gegensatz zudenSoldatenrätenerheblich eingeschränkt, da aber das Zwangsabgabensystemdes Krieges weiterhin beibehalten wurde, fiel ihnen die un-dankbare Aufgabe zu, zusammen mit der Kreislebensmittel-kommission die Versorgung der Kreisbevölkerung sicherzu-stellen. Wieschwer dieses Unterfangen teilweise war, läßt sichambesten anHand desVorganges „Bauern!Arbeiterrat Peters-dorf a.F.lBurgcontra Firma Steenbocklßurg a. F." nachvoll-ziehen.24 AlsbeieinerHausdurchsuchungbeiderFirma Steen-bock ineiner Gemeinschaftsaktion desBauernratesinPeters-dorfunddes Arbeiter-undSoldatenratesBurgca.30-40Zent-ner schwarz gehorteter Kohlen entdeckt und beschlagnahmt

22 S.a. LASAbt. 309 Nr.8303 Arbei-ter- und Landräte;dort Reichsanzei-ger vom 25.November 1918 Nr.278,in dem der Aufrufan die Landbevöl-kerung zur Gründung von Bauemu-ndLandarbeiterräten abgedruckt ist.23 S.a. LASAbt. 309Nr.6993 Arbei-ter, Soldaten und Bauernräte; Ein-gang des Aufrufes bei der RegierunginSchleswig am1.Dezember1918 so-wie Weiterleitung an die Kreise mitderBitte,daß Meldungenüber dieBil-dung vonBauern- und Landarbeiter-räten an die Landwirtschaftskammerfür die Provinz Schleswig-Holstein,Kiel,Kronshagener Weg 5,zurichtensind.24S.a.LAS Abt.309 Nr.6993 Arbei-ter, SoldatenundBauernräte.

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worden waren, versuchte dieser (Steenbock), durch eine Be-schwerde an den Gouverneur der Marinestation in Kiel dieVerhaltensweise zu kritisieren. Nachdem der vom dafür zu-ständigenRegierungspräsidenten angeforderteBerichtdesAr-beiterratesunddesbeider Haussuchungbegleitenden Polizei-wachtmeisters eingegangen war und durch weitere Überprü-fung des Landratsamtes in Cismar festgestellt wurde, daßSteenbocknicht imBesitzeinesgültigen Bezugsscheines gewe-senwar,wurdendiesevomKommunalverband zur Versorgungder Bevölkerungverwendet. Der Firma Steenbock teilte derRegierungspräsident nach Abschluß der Überprüfung mitDurchschrift an denLandratunddenBürgermeister folgendesmit:

„Ichmißbillige dieArtundWeise der vorgenommenenHaus-suchung aufs Entschiedenste. Die Arbeiterräte oder einzelneMitglieder sindnichtbefugt, indie Zuständigkeit der ordnungs-gemäßen VerwaltungsbehördeneinzugreifenundselbstHaussu-chungen oder Beschlagnahmungen vorzunehmen. Ich bin je-doch nicht in der Lage, gegen die genannten Arbeiter- undSoldatenräte vorzugehen, dasiemeiner Aufsichtnicht unterste-hen. Wegen des gleichfalls nicht vorschriftsmäßigen Verhaltensdes Polizeiwachtmeisters Achilles habe ichden Herrn Bürger-meister mit entsprechender Anweisung versehen.

InmateriellerHinsicht liegtfür SieeinGrundzurBeschwerdenicht vor, weildie angestellten Ermittlungen ergeben haben, daßSie nicht im Besitze eines ordnungsgemäßen Kohlen-Bezugs-cheines gewesensind undsichdemnach dieKohlensendung aufunzulässige Weise verschafft haben.

"DieBevölkerungin denGutsbezirkenhatte zum ersten Mal

die Möglichkeit,direkt Einfluß zunehmen auf Bereiche ihresunmittelbaren Lebensraumes. Konnte sie doch in geheimerWahl ihreVertreter indenBauern-undLandarbeiterrat wäh-len.25 Die Zusammensetzung dieses Rates erfolgte wie beimArbeiter-und Soldatenrat. SitzdesKreis-Bauern- undLandar-beiterrates wurde Lensahn. Vorsitzender wurde Amtsrat Jo-hannsen vonder erbgroßherzoglichen Verwaltung.

Wiestark diese Bewegung auch im ländlichenBereichihrenNiederschlag fand, kannman schondaraus ersehen,daß nacheiner Aufstellung des Landrates vom 21. Januar 1919 in 101Gemeinden und Gutsbezirken Bauern- und Landarbeiterrätevorhanden waren.26

In der Zeit von November 1918 bis Mai 1919 stellten dieörtlichenRäte unumstritten die einzig bestehende politischeAutorität auf kommunaler Ebene dar. Sie sichertenaufdieserEbene den politischen und gesellschaftlichen Machtwechsel.Dadurch wurde eine breite Basis für eine Demokratisierungdes Deutschen Reiches begründet. Durch die Räte wurdenerstmals breite Schichten der Arbeiter an der Politik sowie ander Verwaltung der Städte und Gemeinden beteiligt. Sie bil-deten eindemokratisches Potential, das es in diesemUmfangweder vorher nochnachher inderdeutschenGeschichte gege-benhat.

Nach denWahlen zur Nationalversammlung am 19.Januar

25 S. a. Neustädter Wochenblatt vom27.November 1918; Kohn gehörteauch dem ersten frei gewähltenKreis-tagalsDDP-Abgeordneteran.Außer-dem war er bis Ende der 20er JahreAmtsvorsteher des Amtes Brodau.26 S. a.LAS Abt.309Nr. 21048,Neu-städter Wochenblatt vom 9. Dezem-ber1918.IndieserAusgabefindet sicheinelängereAbhandlungüber die am6.Dezember in Oldenburg durchge-führte Wahleines KreisvorstandesderArbeiter- und Bauernräte. In diesesGremiumwurdengewählt,alsVertre-ter der Arbeiter: Meyer-Wintersha-gen, Robin-Teschendorf bei Olden-burg undNissen-Bannesdorfa.F. AlsbäuerlicheVertreter wurdengewählt:Hufenpächter Timmermann-GroßSchlamm,Landmann Aug.Albert-Te-schendorfund LandmannVorderger-Dänschendorf. Als Vertreter derHandwerker gehörten dem Rat dieHerrenHamerich-Lensahn undLam-pe-Niendorf a.F. an. Für die Beam-tenschaft wurde der Fischereiinspek-tor Johannsen-Lehnsahngewählt.

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1919 zeichnete sich das langsame Ende der Rätebewegung ab,ohne daß dieentscheidenden gesellschaftlichenMachtfragen inDeutschland geklärt worden waren.

Dieseit denTagender Abspaltung derUSPDvondenMehr-heitssozialdemokraten vorgenommene strikte Abgrenzungnach „links" unter gleichzeitiger Öffnung nach „rechts" indenBereich der Kräfte, die schon im Kaiserreich wichtige Herr-schaftspositionen eingenommen hatten, ermöglichtenes demweiterbestehenden Verwaltungsapparat, trotz der kurzenPhase der Ohnmacht, wieder in seine alte Position zurückzu-kehren. Es sollte ihm um so leichter gelingen, da mit Aus-nahmeeiniger Großstädte, dieArbeiterrätefastnie inderLagewaren, politische Konzepte für eine Umstrukturierung undDemokratisierung der Verwaltung durchzusetzen. Nicht dieArbeiterräte, sondern die Verwaltungsbürokratie wurde vonder neuen, mehrheitlich aus Sozialdemokraten bestehendenRegierunginPreußen gestützt. DurchdieseHaltung solltesichvorerst auch an der Struktur der lokalen Verwaltung wenigändern.Es reichte in denLandkreisen einfachnicht aus, daßvereinzeltkaisertreueundkonservativeLandrätedurchDemo-kraten oder Sozialdemokraten ersetzt wurden.Daallezusätz-lichdurchzuführenden Umbesetzungen ausblieben (umauch inder mittleren Beamtenschaft republikanisch demokratischesGedankengut zu verbreiten), konnten die vereinzelt hier unddaunternommenen Schrittenur als politische Augenwischereigegenüber der Arbeiterschaftbezeichnet werden. Zwar wur-den die Arbeiter- und Soldatenräte am 23.März 1919 nocheinmalneu gewählt, ihrbisdahinbestehenderEinfluß waraberschon im Schwinden begriffen. InNeustadt wurden zudieserWahl zwei unterschiedliche Vorschlagslisten eingereicht, einesozialdemokratische sowie die vereinigteBürgerliste. Es wur-denfür diesozialdemokratischeListe253Stimmen abgegeben,die bürgerliche Vorschlagsliste erhielt 262 Stimmen. Von dersozialdemokratischenListe wurdenErich Kahnke, Arbeiter,August Meyer, Tischler, August Vahlendieck, Pantoffelma-cher,gewählt. Vonderbürgerlichen Listekamen indenArbei-ter- und Soldatenrat Friedrich Rütting, Anstaltstischler, Au-gustLindenkohl, Stadtsekretär, KarlJürß, Kaufmann.28

Nachdem die neuen Kommunalparlamente gewählt waren,gingder Einfluß der Arbeiter- undSoldatenräte rapidezurück.Sobeschloß u.a. der Vollzugsausschuß des Kreises Oldenburginseiner Sitzung am 16. Juli 1919 in Oldenburg, in allen vierStädtendesKreises öffentlicheVeranstaltungen abzuhalten,indenen eine Stellungnahme gegen die Auflösungder Arbeiter-und Soldatenräte abgegeben werden sollte. Außerdem be-schloß der Vollzugsausschuß, sich dafür einzusetzen, daß derBeigeordnete beimLandratsamt weiterhin inderKreisverwal-tung verblieb, da nachMeinung des Vollzugsausschusses eineKontrolle indem verkehrsfern liegenden Cismar trotzDemo-kratisierung des Kreistages und des Kreisausschusses andersnicht möglicherschien.DerGang derDinge ließ sich abernichtmehr aufhalten.29

Bis Mitte 1920 waren die meisten Arbeiterräte aufgelöst

27 S.a. Kolb,Arbeiterräte,Seite280;im Juni 1919 gab es in Preußen zweisozialdemokratischeOberpräsidenten(von 12), einensozialdemokratischenRegierungspräsidenten (von 36) undnur,manhöreundstaune,eineneinzi-gen sozialdemokratischen Landrat(von470).IndenachtMonatennachderRevolu-tion hatte die SPD also genau 0,2%derLandratspostenaus ihreneigenenReihen besetzt. Zum Vergleich: Am19. August 1932- 4 Wochen nach Pa-pens Staatsstreich inPreußen - wur-den vonder PapenregierungaufeinenSchlag 61Landräteabgesetzt.28 S.a. Neustädter Wochenblatt vom21.März1919und24.März 1919.S.a.Fehmarnsches Wochenblatt vom25.März 1919 Nr.35,dort dasErgeb-nis der Wahlen zum Arbeiterrat inBurgaufFehmarn:abgegebene Stimmen 368, davon:Li-ste Schönfeld230(SPD),ListeWitt 90(Berufs- und Interessengruppen),Li-ste Wiese 48 (Beamtenvertreter).29 S.a. LAS Abt. 309 Nr.6994; hierSchreiben des Magistrats der StadtHeiligenhafen vom 17.Juni 1919 anden Regierungspräsidenten, ob eineweitere Kontrolle des Arbeiterratesgegenüber demMagistratnoch erfor-derlichsei, da inzwischendurchNeu-wahleneine demokratischeStadtver-tretung gewählt wordenist, die denMagistratkontrollierenwirdbis zusei-nerNeuwahl.Außerdem abgedruckter Bericht imFehmarnschen Wochenblatt vom17.Juli 1919 Nr.82 über die Sitzungdes Vollzugsausschusses in Olden-burg. Ebd. vom 19.Juli 1919 Nr.83Zeitungsanzeige für eine Volksver-sammlung am 20.Juli 1919 zum The-ma„DerKampf gegendieArbeiterrä-te".

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LediglichaufdemwirtschaftlichenSektorbliebendieseInstitu-tionen infolge der miserablen Versorgungslage der Bevölke-rung ineinigen Landesteilennoch in ihrer Funktion erhalten.Größtes Handikap der Arbeiter- und Soldatenräte für ihreArbeit war,daß sienie über eineneigenen Etatverfügen konn-ten, sondern immer auf das Wohl der Verwaltung und derStadtverordnetenkollegien angewiesen waren. In Burg a.F.und Neustadt, wo von den Arbeiter- und Soldatenräten zumWohle derschaffendenBevölkerunggewisse sozialeErleichte-rungen (Arbeitsnachweis, Rechtsberatung) durchgesetzt wur-den,gabesbei derMittelbewilligungnichtsolcheProblemewiez.B. inHeiligenhafen, wo sich die Verwaltung generell wei-gerte,zuzahlen. InNeustadt beschloß z. B.dasStadtverordne-tenkollegium inseiner Sitzungam3.Februar1920,denBetragvon10530,70Mark,diealsKostenanUnterhalts-undSachauf-wendungen dem Arbeiter- undSoldatenratentstanden waren,durchordentlicheMittelderStadt abzudeckenunddiese indenHaushaltsplan einzusetzen.30

Daß dieLandarbeiter- undBauernräte inpunctoEntschädi-gungsleistungenmit fast denselbenProblemenzukämpfenhat-ten wieein Teil ihrer städtischenKollegen, dafür gibt es eben-fallsBelege.31

30S.ProtokollbuchderStadtverordne-tenversammlung.31 S.a. AktenvorgangbeiEntschädi-gungfür Arbeiter-undSoldatenräteinLAS Abt. 309 Nr.6994.

EineNeuwahl desNeustädterArbeiter-rats. Die Berufsangaben zeigen, daßdieses Organ keine reine Arbeiterein-richtung war(aus:Neustädter Wochen-blatt,21.3. 1919).

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In der Kreistagssitzung am25. Oktober1919 wurde einstim-migbeschlossen, aufdie weitere AnwesenheitdesBeigeordne-ten zuverzichten,sobalddiebisherkommissarischeBesetzungdes Landratsamtes endgültig bestätigt wäre. Mit diesem Be-schluß endete einStück versuchter und teilweise praktizierterDemokratie.32

II.Erste Versuche ei-ner demokratischenKommunalpolitik

Wie unvorbereitet die Sozialdemokraten der Revolution undihrenFolgen teilweisegegenüberstanden, läßt sich am bestenam Werdegang der Demokratisierung des Gemeinde- undKreiswahlrechtesinPreußen verfolgen.Zwar erließ derBeige-ordnete beim Regierungspräsidenten, Eduard Adler, gleichnach der Revolution an alle Arbeiter- und Soldatenräte derProvinz Schleswig-Holstein folgende Verfügung:

„Nachdem der Rat der Volksbeauftragten mit Gesetzeskraftfür Deutschland das allgemeine unddirekte Wahlrecht für allePersonenbeider Geschlechter vom 20.Lebensjahrab verkündethat, istdas Wahlrechtderschleswig-holsteinischen Landgemein-deordnung außer Kraftgesetzt.

Wir empfehlen deshalb allen Stadt- und Landgemeinden, indenen Kommunalwahlen angesetztsind, die Vornahme dieserWahlen vertagenzu lassen. Wirkung der Vertagung ist nach denBestimmungen der Städteordnung, daß die Ausscheidendenvorläufig im Amte bleiben."33

Aber erst am 24. Januar 1919, rund 254 Monate nach demvollzogenen Machtwechsel, wurde die Verordnung betr. „DieNeuordnung des Gemeindewahlrechtes" in der PreußischenGesetzessammlung veröffentlicht.34 Wenn wirklich beabsich-tigt war, die Errungenschaften der Revolution vor Ort, inGemeinden und Kreisen, schnellstens auf eine demokratischeBasiszustellen, wardaseinüberaus unangemessener Zeitraumbeieiner vollständig intakt gebliebenenMinisterialbürokratie.

Noch mehr Zeit sollte mit der Verordnung betr. „Zusam-mensetzung derKreistage miteinigen weiteren Änderungen derKreisordnung" insLandziehen.Diese erfolgte erst am 18.Fe-bruar 1919.3^

DiebestehendenKreistage wurdendurchdiese Verordnungaufgelöst,eineNeuwahl bis spätestens 4.Mai1919 festgesetzt.Binnen 30 Tagen nach der Wahl hatten die neuen Kreistagezusammenzutreten. Bis zu diesem Zeitpunkt blieben die ausdem Dreiklassenwahlrecht hervorgegangenen Abgeordnetennoch im Amt. So kam es, daß trotz erfolgter Revolution deralte Krei.stag noch zu Sitzungen am 10. und 27. März 1919zusammentrat.36 Die Konstituierungdes am 4.Mai gewähltenKreistages erfolgte erst am 31.Mai1919.37

Da in dieser Sitzung auch erst die Neuwahl des Kreisaus-schusses erfolgte, vergingen rd. 7 Monate,ehe die durch dieStaatsumwälzung zur Macht gekommene, größtenteils ausMehrheitssozialdemokraten bestehende Regierung, die nachdemDreiklassenwahlrechtentstandenenSelbstverwaltungsor-gane durch neue ersetzt hatte.

Die Neuwahlen der unbesoldeten Gemeindevorsteher,

32 S. a. abgedrucktes Protokoll nebstAnlagen der Kreistagssitzung vom25. Oktober 1919 im Kreisblatt desKreises Oldenburg i.H., Jahrgang1919,Seite853-861.33Abgedruckt imNeustädterWochen-blatt vom23.November 1918.34 Preuß. Gesetzessammlung 1919,Nr.10, Seite13.35 Ebd.,Seite 2336 KreisblattdesKreises Oldenburg inHolstein, Jahrgang 1919, abgedruck-tesProtokollderKreistagssitzungvom10.März1919inOldenburg,Seite293/294. Ebd.,der Sitzung vom27.März1919 in Oldenburg,Seite333/334.37Ebd.,derSitzung vom31.Mai1919inOldenburg,Seite 504 bis 515. Zwarwurden unter dem Tagesord-nungspunkt 4 zu KreisdeputiertenBürgermeister Jantzen-Heiligenhafenfür die vereinigten Bürgerlichen undFischer Lange-Neustadt für die SPDgewählt, trotzdem erfolgte in derKreistagssitzung am 30. August 1919(Seite 753 bis 763) eine Neuwahl derKreisdeputierten. Da die Wahl vom31. Mai 1919 ungültig war, wurdenjetzt als Kreisdeputiertebürgerlicher-seits der Gutsbesitzer Feddersen,Ro-senhof,sowiefür dieSPD FischerLan-ge,Neustadt,gewählt.

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Schöffen, Magistratsmitglieder, Beigeordneten und Kreisde-putierten konnten nochbis zum31. August 1919 erfolgen. Diebis dahin vom Oberpräsidenten ernannten Amtsvorstehermußten bis spätestens 31. Oktober 1919 von den Kreistagenneu gewählt werden.38

So erfolgte imLandkreis Oldenburg z. B. die Neuwahl derKreisdeputierten undder Amtsvorsteher erstinder Kreistags-sitzung am 30.August 1919. Dieser überlange Zeitraum, indemdieNeuordnung derpreußischen Selbstverwaltungvorge-nommen wurde, kann (aus heutiger Sicht) nur so bewertetwerden, daß weder bei den sozialdemokratischen MinisternnochbeiderMinisterialbürokratie derWille nacheinerraschenund für den arbeitendenMenschen entscheidendenReform(Auflösungder Gutsbezirke) vorhanden war.

Wie schnell auch zu damaliger Zeit etwas gesetzgebungs-technischmöglichwar,kann an der Verordnung über die Wah-len zur Nationalversammlung vom 30.November 1918 für je-dermann sichtbar nachvollzogen werden.39

Die preußische Regierung lösteerst durchdie Verordnungvom 24.Januar 1919 die bis dahin noch formell bestehenden,nach dem alten Zensuswahlrecht bzw. DreiklassenwahlrechtzusammengesetztenGemeinde-,Stadt- und Kreisvertretungenaufund ordneteNeuwahlen aufder Grundlage desVerhältnis-Wahlrechtes an.40 Die Einführung dieses Verhältnis-Wahl-rechtes bedeutete für das kommunale Verfassungsrecht dieAufhebung derbisdahinüblichen bürgerlichen, patrimonialenSelbstverwaltung. Alle weiteren Reformen blieben bei dengegebenen Mehrheitsverhältnissen aus, abgesehen von der inden Jahren 1927/28 vollzogenen Auflösungder bis dahin selb-ständigen Gutsbezirke durch die preußische Regierung. An-sonsten wurde, wie bisher, die Verfassungsstruktur weiterhindurch die nochaus der ,Dänischen Zeit' stammende, überausobrigkeitsstaatliche Städteordnung von 1856 bestimmt, dieu.a. die Bestätigung der von den Stadtverordnetenversamm-lungen gewählten leitenden Kommunalbeamten durch diestaatlichen Aufsichtsbehörden vorsah. Dieses Bestätigungs-recht wirkte sich vor allem negativ bei der Besetzungkommu-nalerStellen mit Vertreternder Linksparteien, SPD-USPD-KPD, aus. Hier sollnur aufdie SchwierigkeitenbeiderBeset-zung der Landratsposten in den Landkreisen Bordesholm,Rendsburg und Eckernfördeduch Arthur Zabel,Robert PfaffundEduard Adler hingewiesen werden.41Die Sozialdemokra-ten, denenes bisher verweigert war- abgesehen vonden letz-tenKriegsjahren-Zugang zudenBeamtenstellenzuerhalten,konnten daher nach 1918 nur selten auf erfahrene Verwal-tungsfachleute zurückgreifen. Häufig wurdenPartei- undGe-werkschaftsfunktionärebenannt, umüberhaupt die ihnenauf-grund des Wählerwillens ineinigen LandesteilenzustehendenPosten wieBürgermeister, Beigeordneter,Landratusw.beset-zen zu können.Den staatlichen Aufsichtsbehördenfiel es indenmeistenFällen nicht schwer, diese von denLinksparteienbenanntenAußenseiter wegen „mangelnder fachlicher Qualifi-kation" zurückzuweisen.

38 Preuß. Gesetzessammlung 1919,Nr.33, Seite 118ff.39 Reichsgesetzblatt 1918/2, Nr. 167,Seite 1345ff.Die Wahlordnung bestandaus 13 Sei-ten mit 65 §§ sowie16 SeitenAnlagenüber den technischen Ablauf derWahl.40 Preußische Gesetzessammlung1919, Nr. 10, Seite13.41S. a. Entlassungsgesuch des Bordes-holmer Landrates Zabel nebst Be-gründung, abgedruckt in der KielerZeitung vom 20. Januar 1921 Nr.31;s.a.LAS Abt. 390Nr. 22855 Kapp-Putsch-in dieser Aktebefinden sichPresseartikel gegen den bisherigenkommissarischen, sozialdemokrati-schenLandratdesKreisesRendsburg,Robert Pfaff,undeine StellungnahmePfaffs, abgedruckt in der VZ vom16.Juli 1920Nr.164. PfaffwehrtesichindiesemArtikel gegendie vonkon-servativerundbürgerlicher Seiteerho-benenUnterstellungen,die z.T. auchprivate Dinge beinhalteten.S. a.Neu-städter Wochenblatt vom Q.Novem-ber 1920 mit einem Berichtüber Ad-lers Situation in Eckernförde.

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Wesentliche Veränderungen brachte das neue Wahlrechtallerdings bei der Zusammensetzungder Gemeindevertretun-gen,Stadtverordnetenversammlungen undKreistage. Anstelleder früher nach dem Zensuswahlrecht bzw. Dreiklassenwahl-recht gewählten Honoratiorengruppen zogen jetzt die örtli-chen Vertreter der politischen Parteien als Abgesandte derverschiedenstenBevölkerungsschichtenindieRathäuserbzw.Landratsämter ein.

Wie in dendrei anderen Städten des Kreises auch vollzogsich dieser Wandlungsprozeß in Neustadt verhältnismäßigschnellund reibungslos. Inder Kollegiensitzung am 3. Februar1919 wurde einstimmig beschlossen, das Ortsstatut der StadtNeustadt inHolstein vom1.November 1906aufgrund derOrd-nung über die anderweitigen Regelungen des Gemeindewahl-rechts vom 24.Januar 1919 und des Erlasses desMinisters desInnern vom 28.Januar 1919 dahingehend zu ändern, daß dieStadtverordnetenversammlung statt wie bisher aus 9 künftigaus 18 Mitgliedern bestand.42 Diese Zahl lag weit unter demlandesüblichen Durchschnitt, da inStädtenüber 5000Einwoh-ner die Stadtverordnetenversammlungen bis zu 24 Mitgliederbetragenkonnten.1919 sollte für dieBürger Preußens und desgesamten Reiches als eines der zahlreichsten' Jahre in dieGeschichteeingehen.DiedurchdieRevolutionherbeigeführteDemokratie,die ihre gesellschaftliche Verankerung inder vonder Nationalversammlung in Weimar beschlossenen Verfas-sung gefunden hatte, rief alle Bevölkerungsteile häufiger zurEntscheidung mit dem Stimmzettel auf, als es im altenDeutschlandderFall war.Der Reichspräsident und alleparla-mentarischen Körperschaften wie Reichstag, Landtage, Pro-vinziallandtage, Kreistage sowie Gemeinde- und Stadtverord-netenversammlungen waren aufgrund diesesneuendemokrati-schenWahlrechtes zu wählen.

AlsTermin für die Wahlen zudenGemeinderats- undStadt-verordnetenversammlungen wurde der2.Mai1919 festgelegt.Hierauf richteten sich, nachdem die Wahlen zur Nationalver-sammlung und der verfassungsgebenden Versammlung Preu-ßens abgeschlossen und in den unteren Parteigliederungendurchdiskutiertwaren,dieInteressenaller Parteien,besondersaber die der Mehrheitssozialdemokraten. Konnten sie dochjetzt, nachdem das Zensuswahlrecht abgestreift war, endlichauch der heimischenBevölkerung zum erstenMalihre wahreStärke alsParteizeigen. Sowurdenz.B. für dieseersten freienWahlen zur Stadtverordnetenversammlung in Neustadt vonden hiesigen Parteien und Wählergruppen insgesamt dreiWahlvorschläge eingereicht.

Beider am 2. März 1919stattfindendenKommunalwahl er-hielten die Wahlvorschläge:43

1) SPD 606 Stimmen 7 Sitze2) Deutsche-Demokratische-Partei 670 Stimmen 8Sitze3) Liste ohne Parteienzwang 273 Stimmen 3 SitzeDiegenaue Aufstellung dergewählten Stadtverordneten, aberauch aller Kreistagsabgeordneten bis zum Jahre 1921ist demAnhang zudiesemBericht zuentnehmen.

42 Ausführlicher Bericht im Neustäd-ter Wochenblatt vom 7.Februar1919über die Sitzung des Stadtverordne-ten-Kollegiums sowievom13.Februar1919.43 Hinterder„Liste ohneParteizwang"verbarg sich die DeutschnationaleVolkspartei, OrtsverbandNeustadt.

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Nunmehr kamen Vertreter aus Bevölkerungsschichten insParlament, die vorher wenig, ja, gar nicht vertreten waren.Diese erste nach dem demokratischen Wahlgesetz gewählteStadtverordnetenversammlung zeigte einen repräsentativenQuerschnitt durchdie Bevölkerungsstrukturder Stadt.

Die ersten Kommunalwahlen nach demokratischem Wahl-recht führten in Stadt und Land viele Sozialdemokraten zumersten Malin Gemeinde-und Stadtvertretungen.

Statt der zwei Stadtverordneten in Heiligenhafen, die dieSPD vor dem 1.Weltkrieg im Kreise Oldenburg alsKommu-nalvertreter der Arbeiterschaft stellte, rückten jetzt überallmehrere Sozialdemokraten in die Parlamente ein. In Burga.F.,Heiligenhafen undNeustadt bereitete es den Sozialde-mokraten keine Schwierigkeiten. ,Rühmliche' Ausnahme wa-ren wieder einmal die Sozialdemokraten in der Stadt Olden-burg. Zwar gab es seit der Revolution auch dort einen SPD-Ortsverein. Zur Aufstellungeiner eigenenListe reichte jedochdie Kraft noch nicht. Nur durch eine Listenverbindung miteinem Teil des liberalenBürgertums konntehier sichergestelltwerden, daß auch in die Oldenburger Stadtverordnetenver-sammlung Sozialdemokraten einzogen.44

Inder Sitzungam 31.März wähltendie Oldenburger Stadtver-ordnetenzum Stadtverordnetenvorsteher RektorLudwigWulf(DDP). Stellvertreter wurdeder Mehrheitssozialist Obertele-grafenassistent a.D. Alexander Stornier.45 Langsam fandensichdieneuenParlamentarier inihren Aufgabenbereichen zu-recht, nachdem die ersten AnlaufSchwierigkeiten, besondersfür dievielenNeulinge,durchEnergieundeineUnmenge Fleißüberwunden waren.

So beschloß das Stadtverordnetenkollegium z.B.inder Sit-zungam 23.April,die ausdemJahre1906stammende Ortssat-zung dahingehendzu ändern,„daß der Magistrat vergrößert und in Zukunft aus dem Bürger-meister, dem Beigeordneten und vier Stadträten bestehen soll.Dem Beigeordneten wurde eine jährlicheDienstaufwandsent-schädigung von360,-RMundden unbesoldetenStadträtenvon180,-RMzugestanden."

44NachdemschonvordenKommunal-wahlen1919 durchverschiedene Pres-semitteilungen ersichtlich war, daß inOldenburg inzwischen ein SPD-Orts-vereinbestand,wurdezumerstenMa-le öffentlichinden WFB vom 8.März1919 Nr.57 vomSPD-Ortsverein Ol-denburgmitgeteilt, daß als Vereinslo-kal das „Holsteinische Haus - H.Gier" zubetrachtenist. AufderListe„Duborg" wurdenindie Stadtverord-netenversammlung in Oldenburg fol-gende Sozialdemokraten gewählt:Oberpostassistent MaxDehlert, For-merEdvartSchattaver,ZimmermannOtto Güldensupp, s.a. amtliche Be-kanntmachung des BürgermeistersMeyerhoff vom 7.März 1919, abge-drucktin denWFB vom8.März1919.45 S. Protokolle derStadtverordneten-kollegien.

Tabelle1:Zusammensetzung dergrößten Gemeinde- und Stadtvertretun-gen imgesamten ostholsteinischen Bereich:

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Burg a.F.HeiligenhafenOldenburgBordesholmLütjenburgPlönPreetzCismarGrömitz

Bürgerlich11

6988

111357

Sozialdemokraten76344

111117

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Aber nicht nur indenvier StädtendesKreises zogenSozial-demokratenindieParlamenteein. Auch ineinem Großteil derDörferund Gemeinden. So unter anderem in Grömitz,Cis-mar, Petersdorf a.F. und Landkirchen. Eine genaue Feststel-lung, wo überall Sozialdemokraten indie Gemeinderäte einzo-gen, ist leider nichtmöglich,da die einzelnenWahlergebnissein der Heimatpresse nicht detailliert dargestellt werden undProtokollbücher indenallermeistenFällennicht mehr vorhan-den sind.

Als weiterer Schritt zur Demokratisierung Preußens konn-tendie für Anfang Mai1919 angesetztenWahlen zuden Kreis-tagenangesehen werden.Inder dazuvomInnenminister erlas-senenVerordnung wurdefestgestellt, daß inZukunft die Wahl-verbände der größeren Grundbesitzer und die einschränken-denBestimmungen für diestädtischenStimmenindenKreista-gen fortfielen. Die einzigen Wahlverbände stellten jetzt dieStädteunddieLandgemeinden. Aufsie wurden dieKreistags-abgeordneten nach dem Verhältnis der städtischen zur ländli-chen Bevölkerungverteilt. In den Städten wurden die Abge-ordneten durch die Stadtverordnetenversammlung, in denLandgemeinden, aufdiemindestenseinAbgeordneter entfiel,durchdieGemeindevertretunggewählt.InkleinenGemeindenund in den Gutsbezirken wurden die Abgeordneten direktdurchdie Einwohnerschaft nach Wahlbezirken gewählt.

Erstmals fand auch hier das Verhältniswahlrecht Anwen-dung. Es bezog sich auch aufalle Kreiskommissionen und dieneu zubestimmenden Kreisausschüsse. Einzig beider Ernen-nung der Landräte blieb es wie bisher nur beim Vorschlags-recht der Kreistage. Allerdings fielenhier die Qualifikations-rechte für dieses Amt fort.46

In seiner letzten Sitzung, am 27.März 1919, beschloß dernoch aus ,Kaisers Zeiten' amtierende Kreistag die notwendi-gen Regularien, um densicheren Ablauf dieser ersten demo-kratischen Kreistagswahl zugarantieren. Entsprechend ihrerEinwohnerzahl (Städte 12897, Landgemeinden 30493 Ein-wohner) erhieltendie Städtesechsunddie Landgemeinden 15Kreistagsabgeordnete zugebilligt. Die einzelnen Städte wur-den gemäß der Verordnung des Innenministers wie folgt be-dacht: Burg a.E, Heiligenhafen und Oldenburg stellten jeeinen Abgeordneten. Neustadt hingegen drei Abgeordnete.Die Wahlbezirke für die Wahlverbände der Landgemeindenund Gutsbezirke wurdeninvier Wahlkreise, vondenendrei jevier undeiner (Fehmarn)dreiKreistagsabgeordnete zuwählenhatte, eingeteilt.47

In einer Mitgliederversammlung am 3.April 1919 wurdenvom Sozialdemokratischen Verein Neustadt die Kandidatenfür die Kreistagswahlen aufgestellt. Es waren FischermeisterAugust Lange, Arbeitsamtsnachweisleiter August Vahlen-dieck und Telegrafenaufseher KarlSchutt.48

Inder Stadtverordnetensitzung am 4.Mai 1919 wurden dieder Stadt Neustadt zustehenden drei Kreistagsabgeordnetennach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Eingegangen war jeein Vorschlagvon denimParlament vertretenenParteien und

46 Preußische Gesetzessammlung1919,Nr.10, Seite23.Gleichzeitig mit dieser Verordnungsetzte unter Teilen der schleswig-hol-steinischen Landräte eine Diskussionein,ob dieseneueEinteilung imHin-blickaufdiezuerwartenden Stimmen-gewinne derSozialdemokratenüber-hauptsinnvoll sei; s.a.LAS Abt. 320OldenburgNr.5K.47 S.a. Kreisblatt des KreisesOlden-burg, Jg. 1919, Nr.10, Seite 333/334.Abgedrucktes Protokoll der Sitzungdes Oldenburger Kreistages vom27. März 1919.48 S. Protokollbuchdes SPD-Ortsver-eins Neustadt 1910bis 1933.

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DieBandbreite derArbeiterbewegungin Neustadt (ohne die Organisationender USPD und KPD). Die VerbändederHolzarbeiterundBauarbeiterhiel-tenfür ihreMitgliedereigene Veranstal-tungen ab (aus: Neustädter Wochen-blatt, 5.12. 1919).

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Gruppen. Diese lauteten:1) Ehlers, Wulf, Kroger DDP2) Lange, Vahlendieck,Schutt SPD3) Dr.Walter-

Aufden WahlvorschlagNr.eins entfielenacht,aufNr. zweisiebenund aufNr.dreientfielen dreiStimmen.Dadurch wur-den inden ersten demokratischgewählten KreistagdesLand-kreises OldenburginHolsteinals Vertreter der StadtNeustadtBuchdruckereibesitzerJohannesEhlers,RektorLudwig Wulfund Fischermeister AugustLangegewählt.49

Bei den von den Stadtverordnetenversammlungen zu wäh-lendenstädtischen Kreistagsabgeordneten sollte es nur inHei-ligenhafen für die SPD eine faustdicke Überraschung geben.Sozialdemokraten wieBürgerliche verfügten über jeweilssechsMandateimStadtparlament. AlsKandidatderSozialdemokra-ten für den Oldenburger Kreistag wurde der Gartenbauer undlangjährige Stadtverordnete Friedrich Heeckt, als KandidatdesvereinigtenBürgertums Bürgermeister ArthurJantzenvor-geschlagen. Inder entscheidenden Abstimmung in der Stadt-verordnetenversammlung erhielten Heeckt fünf Stimmen,Jantzen sechs Stimmen. Ein weißer Zettel wurde abgegeben.

Dieses Abstimmungsergebnis führte anschließend innerhalbder SPD-Fraktionunddes Ortsvereins zustarken SpannungenundAuseinandersetzungen, dadie Stimmenthaltungeindeutigvon einem Abgeordnetender SPD vorgenommen wurde.50

Die Kreistagswahlen brachten der Sozialdemokratie einenbeachtlichenErfolg.DemKreistag gehörtenachtMehrheitsso-zialdemokraten bei 13 Vertretern bürgerlicher Parteien an.Hiervon waren allein acht Mitglieder der DNVP. Insgesamtbestanddieser Block ausvier Parteien. Allein die DNVPwarmit dem Ausgang dieser Kreistagswahlen nicht vollzufrieden.HattenderenVertreter doch nach dem schlechten Abschnei-den beidenWahlenzur Nationalversammlungund derverfas-sungsgebenden Preußischen Landesversammlung durcheinenPropagandafeldzug ohnegleichen gehofft, wieschon imwilhel-minischenKreistag, ihre dominierende Stärke wieder zuerlan-gen.51

Der Kreistag trat zum ersten Mal in seiner neuen Zusam-mensetzung am Sonnabend, dem31.Mai1919,inOldenburg,Hotel „Stadt Hamburg" zusammen. Den Vorsitz führte nachfast 26jähriger Tätigkeit zum letzten Mal Landrat Springer,Cismar,dessen Amtszeit am 30.Juni1919 endete.

Der Kreistag setzte sich somit zusammen:52

49 S. Protokoll der Stadtverordneten-koüegien sowieBericht imNeustädterWochenblatt vom5.Mai1919.50 S.a.BerichtundKommentarinderVZ vom6. Mai 1919.51 S.a. J. Bertram „Die Wahlen zumDeutschen Reichstag vom Jahre1912", Düsseldorf 1964. Art derDurchsetzungvonkonservativenZie-lenindenGutsbezirken. Seite17, 129folgendesowieSeite194/195.Bertramweist dort imeinzelnen nach, wie dieBewohner eines GutsbezirkeshäufigvomGutsherrnbeider Stimmabgabebeeinflußt wurden. S.a. WFB vom3. Mai1919 Nr.101.Dortwurdenz.T.ganzseitige Aufrufe, Wahlreklamepp.derKonservativensowiedesrechtsste-hendenBürgertums zur Kreistagswahlals letzte Entscheidungshilfe abge-druckt.S.a.Fehmarnsches Wochenblattvom26. und29.April 1919.52 Anfragedes Verbandes derPreußi-schenLandkreise,Tgb. Nr.3224 vom26.April1919 (eingegangen am3.Mai1919),über dieZusammensetzungdesKreistages.

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Landgemeinden Städte15 AbgeordneteDNVP DDP SPD

7 1 7 = 15

6 AbgeordneteDNVP DVP DDP

1 1 3SPD

1 =6

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Esgehörten zumBereichGroßgrundbesitzer 3 AbgeordneteKleinbesitzer 2 AbgeordneteHandel und Gewerbe 2 AbgeordneteFreieBerufe u.Beamte 4 AbgeordneteLandarbeiter 4 AbgeordneteGroßhandel u. Industrie 1AbgeordneterFreieBerufe u.Beamte 5 Abgeordnete

Als letztenWahlakt sollte man die Wahl der Provinzialabge-ordneten vollziehen. Nachdem der Provinzial-Ausschuß alshöchstesVerwaltungsgremiumderProvinz Schleswig-Holsteinin seiner Sitzung am 29.August 1919 die Verteilung der zuwählenden Abgeordneten nach dem Bevölkerungsstand derletzten Volkszählung vom 1.Dezember 1910 (einschließlichder Militärpersonen) vorgenommen hatte, entfielen auf dieLandkreiseBordesholm, Oldenburgund Plönfolgende Abge-ordnetenanteile:53

Außerdem wurde ineinem Runderlaß bestimmt, daß diePro-vinziallandtagsabgeordneten nach dem Verhältniswahlsystemzu wählen waren. Dies bedeutete für denLandkreis Olden-burg, daß von den drei zu wählenden Abgeordneten minde-stens einer von denSozialdemokratengestellt wurde.

Zumersten und letzten Mal während der Weimarer Repu-blik wurde denKreistagen die Aufgabe zuteil, die MitgliederdesProvinziallandtages zuwählen.Inder Sitzungam25.Okto-ber 1919 wurdenvomOldenburgerKreistag für dievereinigtenBürgerlichen LudwigStockmann,HofAltona,undBürgermei-ster Arthur Jantzen, Heiligenhafen, als Abgeordnete desschleswig-holsteinischen Provinziallandtages gewählt. Abge-ordneter derSozialdemokratie imProvinziallandtag wurdederGastwirt Julius Prüß aus Petersdorf a.F.54

Nach Abschluß dieser Wahlen warenalleparlamentarischenInstitutionen endlicharbeitsfähig.

Im ersten demokratisch gewählten Kreistag gab es keineklaren Rechts- oder Linksmehrheiten. Diese wechselndenMehrheitsverhältnisse regten die Rechte an, zur Wahl deszweiten Kreistages am 20.Februar 1921 den Versuch einerbäuerlich-bürgerlichen Sammlungsbewegungzuunternehmen.Die inzwischen auch im Landkreis Oldenburg erfolgte Spal-tung der Sozialisten hatte zur Folge, daß die bürgerliche Ein-heitslistedie gleiche Anzahlan Mandatenerhielt wie die stim-menmäßig etwas stärkere Gruppe der beiden sozialistischenParteien SPD und USPD und die erstmals neu auftretendekommunistische Partei.55 Eskandidierten zudieser Wahl vierParteienund Gruppen.Diese waren:

53 S.a. Amtsblatt der Regierung zuSchleswig, Jg. 1919Abgedruckter Erlaß Nr. 827 vom29. August1919, Seite289.54S. a.Kreisblattfür denKreisOlden-burg, Jg. 1919, Nr.40, Seite 753 bis763.55 Hierzu auchder imNeustädter Wo-chenblattvom23.Februar 1921abge-druckte Kommentar. Die markante-stenErscheinungen indenStädtendesKreises waren das starke WachstumderDeutschnationalen VolksparteiinBurg,die ebensobedeutungsvolle Zu-nahme der Deutschen VolksparteiinOldenburg, der beträchtliche Stim-menverlust der Deutschdemokrati-schenParteiinNeustadtunddieziem-lich hohe Ziffer der Kommunisten inHeiligenhafen.

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Landkreis Einwohnerzahl AbgeordneteBordesholmOldenburg

405104339249278

333Plön

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1. dievereinigten Bürgerlichen mit ihremWahlvorschlag „Ei-nigkeit" Spitzenkandidat: Hofbesitzer Ludwig Stockmann,Hof Altona

2. die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten: Ar-beitsnachweisleiter August Vahlendieck, Neustadt

3. die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, Spitzenkan-didat: Maurer Gustav Staack, Sartjendorf a.F.

4. die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands mitdem Spitzenkandidaten: Landarbeiter Hermann Schröder,Heiligenhafen.

Es erhielten bei der Kreistagswahl die Vorschläge folgendeStimmen und Sitze:56

1. „Einigkeit" 9514 Stimmen 11Sitze2. SPD 8839 Stimmen 10 Sitze3. USPD 536 Stimmen 1Sitz4. KPD 301 Stimmen -SitzeDer Ausgang dieserWahl bedeutete für die vereinigten Bür-gerlichen einen großen Mißerfolg, saßen doch imaltenKreis-tag neben 13 bürgerlichen Abgeordneten, die zwar von vierverschiedenenParteienentsandt waren,nur acht Sozialdemo-kraten. EinTeilder bürgerlichen Wähler, wahrscheinlich An-hänger derDemokratischenPartei,hattesichoffenbar nichtandie getroffenen Vereinbarungen der bürgerlichen Einheits-front gehalten.57

Saßen im erstenKreistag noch vier Abgeordnete der DDP,zog mit der bürgerlichen Gemeinschaftsliste „Einigkeit" nurnochein Abgeordneter wiederins Parlament ein.Dieerzkon-servative DNVPhingegen konntedie ZahlihrerSitze verteidi-gen, was gleichzeitig einen Rechtsruck des Bürgertums zumAusdruck brachte. Dieser Rechtsruck sollte sich auch alsbaldin der politischen Tagesarbeit des neugewählten Kreistagesniederschlagen. Zwar hattedie gesamte Linke ihre Positionenim Landkreis gefestigt, da aber der USPD-Abgeordnete Gu-stav Staack in den Kreistagssitzungen häufig unentschuldigtfehlte, gelang es den vereinigten Bürgerlichen vielfach, ihreVorstellungen im Kreistag durchzusetzen. Zur weiterenSchwächung imsozialistischen Lager trugen diebesonders aufFehmarn, inHeiligenhafen undeinigen GutsbezirkenimFest-landsteil immer wieder ausbrechenden ideologischen Zwistig-keiten bei, die eine Zusammenarbeit teilweise unmöglichmachten.

Die Wahlergebnisse der SPD,USPDund KPDbei zweivonvier gleichzeitig durchgeführten Wahlen am 21.Februar 1921zeigen anhand dieser ausgewählten Gemeinden und Gutsbe-zirke dielokalunterschiedliche Stärke der Arbeiterparteien58.

56 Veröffentlichungen der einzelnenWahlvorschläge zur Kreistagswahl1921imKreisblatt desKreises Olden-burg, Jg. 1921, vom10.Februar1921,Tgb.Nr.1320,Seite141bis 143. Abge-drucktes Protokoll des Kreiswahlaus-schusses vom 25.Februar 1921 nebst-Bekanntgabe aller gewählten Kreis-tagsabgeordneten. Ebd., Seite 175,Tgb. Nr. 1694.57 S.a. zum Ausgang der Kreistags-wahl abgedruckter Kommentar imNeustädter Wochenblatt vom 25.Fe-bruar 1921und einin derselben Aus-gabe übernommener Presseberichtdes Fehmarnschen Tageblattes.58 AbgedrucktimNeustädterWochen-blatt vom 22. und 23.Februar 1921,Nr.44 bzw.45.

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Tabelle 2:Die Wahlam 21.2. 1921

III.Besetzung des Ol-denburger Landrats-postens

Um für die Zukunft gerade in den ländlichen Gebieten einengeregelten Verwaltungsablauf zu gewährleisten, forderte derRat der Volksbeauftragten bzw. die vonSPD undUSPD neu-gebildete provisorische preußische Regierung alle Landräteauf, bis auf weiteres in ihren Ämtern zu verbleiben. DiesemAufruf konnte sich auch Landrat Springer nicht entziehen,obgleich sein Gesundheitszustandnicht der beste war, und erseit geraumer Zeit seine Versetzung in denRuhestandbetrieb.Infolge des Kriegsendes und der Revolution hatte sich abereine endgültige Entscheidung hierüber immer wieder hinaus-gezögert.Erst nacheinerVereinbarungmit dem Innenministe-rium wurde als Termin seines endgültigen Ausscheidens nachüber 26jähriger Tätigkeit als Landrat des Kreises Oldenburgder 30.Juni1919 festgelegt.

Nachdem diese Tatsache bekannt wurde, begann vor oderhinter den Kulissen das große TauziehenumdieNeubesetzungder Landratsstelle inCismar. So setzte sich z.B.auf Beschlußdes Vollzugsausschusses der Arbeiter-undSoldaten-,Bauemu-ndLandarbeiterrätederen Vorsitzender August Meyer sehrmassiv für den bisherigen Beigeordneten des Landrats, Deh-ning, ein.59 Dehning, in Neustadt wohnend, entstammte derbürgerlichen Mitte und war imZivilberuf Amtsgerichtssekre-tär. Da dieses Vorhaben weder die Zustimmung des Regie- 59 S.LAS Abt. 301Nr. 4865,

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.eicl istagswai ,an< ItagswaiSPD USPD KPD SPD USPD KPD

FestlandQuaisGremersdorfSchashagenFehmarn:

107240275

10

27

420

105240274

11

28

422

BannesdorfPuttgardenLemkenhafenAvendorfLandkirchenStädte:

645871

14686

3113575496

1747535

616276

14794

3415556198

5049525

Burg a.F.HeiligenhafenOldenburgNeustadt

355436500610

92

264

30112

514

362447510613

98

270

34111

514

Wahlergebnis imLandkreisOldenburgDNVP DVP DDP SPD USPDKPD LP

Reichstagswahl1921 5983 1958 1716 8632 508 303 26Nationalvers. 1919 3540 1291 4835 8880

Differenz1919-1921+2443 6673119 248

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rungspräsidenten noch dieBilligung des Innenministers fand,konnte Landrat Springer dem neugewählten Kreistag in derkonstituierendenSitzungam 31.Mai1919 inOldenburg,Hotel„Stadt Hamburg", in einer kurzen Einführungsrede seinenNachfolger, Regierungsrat Dr. Voigts, als kommissarischenLandrat vorstellen.60

Nachdem vom Vollzugsausschuß der Widerstand gegen denneuen Landrat aufgegeben worden war, und die im KreistagvertretenenParteien größere Bedenken gegen die endgültigeErnennungDr.Voigts nichtvorbringen konnten, wurde dieserdurchdenInnenministermit Wirkung vom16.Dezember1919zum endgültigen Landrat desKreises Oldenburgernannt.

Bedingt aberdurchseinbeimKapp-Putsch indenMärztagen1920an denTag gelegtes Verhalten (siehe hierzu auch Kapitelfünf) sollte allerdings die TätigkeitDr.Voigts als OldenburgerLandrat nur vonsehr kurzer Dauer sein.

Inder sichnun anschließenden öffentlichenPersonaldiskus-sion umdie Wiederbesetzung bzw. den Verbleib Landrat Dr.Voigts im Amt schaltetensich zum ersten Mal auchdie Sozial-demokraten ein.Zwar waren siesich dessenbewußt, daß sie inder Provinz nicht über eine ausreichende Anzahl juristischausgebildeter Fachkräfteverfügten und ausdiesemGrundemiterheblichenSchwierigkeitenbeiderBesetzung zurechnenhät-ten, aber den bisherigen Amtsinhaber wollten sie auch nichtlänger auf diesem Posten sehen. Aus diesem Grunde wandtesich der Parteisekretär Wilhelm Hackelberg an den preußi-schenInnenminister Severingmit derBitte,sich für denFlens-burger Sekretär undMitgliedder Nationalversammlung PeterMichelsen als neuen Landrat des Kreises Oldenburg in Hol-steinzuverwenden.61Ebensosetztensich die AngestelltendesLandratsamtes beim Innenminister für eine Einsetzung Mi-chelsensein. Gegen diese Absicht wandten sichvor allem dieRechten.Unter der Führung desFehmarner LandwirtesRau-ert drohteder „Landwirtschaftliche Verein"mit einemLiefer-streik.62

Um aberihrer Forderungmit derBesetzung desLandratspo-stens durch einen Sozialdemokraten Nachdruck zuverleihen,veranstaltete dieSPD,anders als zu Zeitendes Arbeiter- undSoldatenrates, überall im Kreise Protestveranstaltungen, de-renZiel es war, eine Wiedereinsetzung Dr.Voigts zu verhin-dern.63Dadie SozialdemokratenbeidenBesetzungsbemühun-genden Schleswiger Regierungspräsidenten strikt übergangenhatten - alles lief über den Dienstweg des sozialdemokrati-schenOberpräsidentenKürbis -beschwerte sich dieser umge-hend beim Innenminister. Hierauf wurde der Oberpräsidentvom Innenminister am 6.Oktober 1920 angewiesen, denRe-gierungspräsidenten bei den Verhandlungen über die Beset-zungder Landratsämter in der Provinz Schleswig-Holstein zubeteiligen. Umzueiner schnellen Beendigung inder leidigenLandratsaffäre zu gelangen, verhandelte als Beauftragter desOberpräsidentenDr.Rittwegeram26.September 1920 inLen-sahn in einer als Kreiskonferenz deklarierten Veranstaltungmit Vertretern der SPD-Kreistagsfraktion und Vorstandsmit-

60Ebd.,sieheauchKreisblatt desKrei-ses Oldenburg,Jg. 1919, Nr.29.Protokoll der Kreistagssitzung vom31.Mai 1919, Seite 504 bis 516, sowieausführlicher Bericht über dieseKreis-tagssitzung im Neustädter Wochen-blattvom2. Juni 1919.61 Ebd.62Ebd.,besagtesTelegrammüber denLieferstreik an den OberpräsidenteninKiel. Von dortals Staatstelegrammam27. September1920 weiter an denInnenminister in Berlin geleitet, s.a.NeustädterWochenblattvom29.Sep-tember 1920Nr.227.63 S. dieverschiedensten Protestreso-lutionen von Veranstaltungen der*SPD-OrtsvereineimKreis Oldenburggegen ein weiteres Verbleiben desLandratesDr. Voigts im Amt an denOberpräsidenten in Kiel, so u.a.Schreiben des SPD-Ortsvereins Len-sahn vom 5.Oktober1920 - eine vonrd. 250Personenbesuchte öffentlicheVolksversammlung am 3. Oktober inLensahnsprachsichgegen dieWieder-einsetzungDr. Voigtsaus-Protestresolution des SPD-Ortsver-eins Kröß in der Veranstaltung inKröß, ca. 60 Teilnehmer,- SPD-Ortsverein Neukirchen undUmgebung vom 5.Oktober, ca. 200Teilnehmer,- SPD-Ortsverein SchönwaldeunterLeitungvonAugustWittern,ebenfallsvom12.Oktober 1920.

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gliedern der Kreisorganisation. Insgesamt nahmen an diesenBesprechungen 15Personen teil.Ebenso führte er am2. Okto-ber1920 inNeustadt einGespräch mitdemVorstanddesDDP-Kreisverbandes, zudem auchdieDDP-Kreistagsabgeordnetenhinzugeladen wordenwaren.64Wenige Tagespäter wurdedannvom Innenminister die Oldenburger Landratsfrage dahinge-hendentschieden, daß der bisherige LandratDr.Voigts indeneinstweiligen Ruhestand versetzt und der Wetzlarer Regie-rungsassessorDr.Scheunemannbeauftragt wurde,dieVerwal-tung in Cismar zu übernehmen. 65 Wenige Wochen späterwurde allerdings dieser Auftrag aufgehoben. Am 19.Novem-ber 1920erhieltdannder AssessorPoel,derbisher beimRegie-rungspräsidenten in Schleswig tätig war, eine entsprechendeAnweisung, als kommissarischerLandrat dieAmtsgeschäftezuübernehmen. Nach seiner endgültigen Ernennung am 6. Mai1921sollte er bis zumHerbst 1926Landrat desKreises Olden-burgbleiben.Damit war dererste Versuch vonsozialdemokra-tischer Seite, imLandkreis OldenburgdenLandrat zu stellen,endgültig gescheitert.66

IV.Arbeitsplatz-undWirtschaftssituation

Nochtiefgreifender alsdiekriegsbedingten Neuordnungen wa-rendieFolgen für den Arbeiter ausderNiederlage des Kaiser-reiches.Bereitsinden letztenKriegsmonatenklagten die Ver-waltungen über dieschwindendeAchtung derBevölkerungaufAnordnungen der städtischen und landrätlichen Behörden.Nachder Revolution aber,bedingt durch lange Kriegsnot unddie täglich sichtbaren Engpässe in der Konsumgüterversor-gung,sankendiealtenWertbegriffe aufdenNullpunkt.DadieAlliierten auch nachder Waffenstillstandsunterzeichnung ihreBlockade der deutschen Küste fortsetzten, wurde die Versor-gung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen immerschwieriger. Außerdem kamen immer mehr entlassene Solda-tennachHause undfordertenBrot,Arbeit undeine Wohnung.Diese große Lastmit all ihrenSchwierigkeiten wurde weitge-hend den Städten und Kreisen aufgebürdet. Wohnungsnot,Nahrungssorgen, Kampf um denErhalt des Geldwertes unddie schnell um sich greifende Arbeitslosigkeit warendie Pro-bleme, mit denen sich die Arbeiter- und Soldatenräte bzw.Bauern- und Landarbeiterräte sowie dieanschließend gewähl-ten Volksvertreter der Nachrevolution zubeschäftigen hatten.So wurde, einemdringenden Bedürfnis entsprechend, für dieStadtNeustadtundUmgebungam28.Januar1919eineNeben-stelledesKreisarbeitsnachweises Oldenburgeingerichtet.Lei-ter wurdederSozialdemokrat August Vahlendieck.67Erst1918wurde als Folge des verlorenen Krieges eine staatliche Er-werbslosenfürsorge eingeführt. Sie wurde zu Anfang nur ge-währt, wenn Arbeitslosigkeit und Bedürftigkeit infolge desKriegesvorlagen.IndenJahren1923bis1924wurde diesedanndem Versicherungsprinzip angenähert. Unterstützung wurdefür eine bestimmteZeit nur danngewährt, wenn der zuUnter-stützende vorher eine krankenversicherungspflichtige Beschäf-tigung von gewisserDauer ausgeübt hatte. Dadurchdaß man

64S. Jahrbuchfür Heimatkunde,KreisOldenburginHolstein,Jg. 1967, Prof.Dr. Hans Beyer- Verwaltung, politi-sches Leben und Wirtschaft im KreisOldenburg1867-1967, Seite60ff., sie-he auch LAS Abt. 301Nr. 4865: dieEntschließung der Vorsitzenden derInnungen des Kreises Oldenburg anden Oberpräsidenten zum Verbleibdes Landrates Dr. Voigts, abgesandtdurch die Kreishandwerkerschaft am15.Juli1920."Ebd.66Ebd.Nachdemdie SPD-Fraktion imKreistag gegen die endgültige Ernen-nunggestimmthatte,wurdedieser mitdem 6.Mai 1921 zum endgültigenLandraternannt.67 Erstmals wurde der Arbeitsnach-weis um die Jahrhundertwende imLandkreis Oldenburg eingeführt, s.KreisblattdesKreises Oldenburg,Jg.1897, Seite 3/4; in einer Rundverfü-gung des Kreisausschusses vom23.Dezember1896 wurdeeine öffent-liche Arbeitsnachweisstellefür Indu-striearbeiter, Handwerker, ländlicheArbeiter,Dienstboten und Gelegen-heitsarbeiterfür dasGebietdesLand-kreises Oldenburg eingerichtet.Nachder Revolution 1918 errichteten dieArbeiter- und Soldatenräte in Burga.F.und NeustadtöffentlicheRechts-auskunftsstellen, die gleichzeitig alsArbeitsnachweisfüngierten.

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versuchte, langsam vonder Kriegswirtschaft zueinerFriedens-wirtschaft überzuwechseln, wurde durch Verordnung desOberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein vom 3.Juni1919 derKreisarbeitsnachweis inOldenburginein Arbeitsamtumgewandelt. Dieses führte dann die Bezeichnung Arbeits-amtfür denKreisOldenburg".DieBezeichnungen derArbeits-nachweisnebenstelleBurg a.F. undNeustadt sollten unverän-dert bleiben.68 Allediese Maßnahmen bliebennurFlickwerk,solange auch diese Dienststelle dem Arbeitssuchendenbzw.Arbeitswilligen keine neuen Arbeitsplätze schaffen bzw. dieVorbotender Inflationunddie schwierige Versorgungslage ausder Welt schaffen konnte.Um diese Lage zu verbessern, fan-denallerortsDemonstrationenstatt.Neustadtsollteseineerstedieser Art am10.Mai1919erleben.69AmSonnabendvormittagzogeine Anzahlvon Arbeiternund ArbeiterinnenzumMarkt-platzvordas Rathaus.DieseDemonstration wareineFolgederVersammlung des sozialdemokratischen Ortsvereins, die amAbend vorherstattfand.DieDemonstrantenverlangten u.a.,daß von der Meiereigenossenschaft Käse für Neustadt zumVerkaufgestellt werde. InreichlichzweiJahrenseidieses nichtgeschehen unddie Arbeiterschaftder Stadt wollte jetzt wissen,woderKäse geblieben sei.Weiter verlangte maneine gerechteKoksausgabe derGasanstalt, „anständigeBehandlung" derBe-völkerungdurch denGasmeister undeinesofortige Absetzungdesstellv. Bürgermeisters, Stadtrat KonsulHeise, weiler seinAmt nicht zur Zufriedenheit der Allgemeinheit ausführenwürde. Der ebenfalls hinzukommende Vorsitzende des Voll-

68 S. Aussprache und Protokoll derKreistagssitzung vom 25.Oktober1919 nebst Satzungfür dasArbeitsamtdes Kreises Oldenburg. AbgedrucktimKreisblatt, Jg. 1919, Seite 853 bis861.69 S. Neustädter Wochenblatt vom16.Mai 1919Nr. 113.

Wirtschaftliche Krise: Käuferschlan-gen imund nach demErsten Weltkriegvor einem Bäckerladen in Neustadt(EckeMarktlßosenstraße).Heutestehtan dieserStelle der1985 errichtete Rat-hausanbau (Foto:PrivatarchivKoch).

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Zugsausschusses des Kreises Oldenburg, August Meyer, ver-suchte, die Demonstranten zu beruhigen und gab ihnen Aus-künfte - soweit er konnte- aufdie in der SPD-Versammlungam Abend vorher offengebliebenenFragen.

In der Sitzung am 24.Mai1919 mußte sich die Stadtverord-netenversammlung mit einem Antrag des Fabrikarbeiterver-bandes auf Lohnerhöhungbefassen. Einstimmig wurde be-schlossen, eine Kommission,bestehendausdem StadtratThie-nemann und den Stadtverordneten Vahlendieckund Prüß, zubilden. Hinzugezogen werden sollten Arbeitgeber- und Ge-werkschaftsvertreter. In Ihrer Sitzung am 28.Mai 1919 be-schloß die Stadtverordnetenversammlung einstimmig, daß derLohnsatz für die städtischen Notstandsarbeiten rückwirkend,aufgrund der anhaltenden Teuerungen, vom 12.Mai an aufRM1,50pro geleistete Arbeitsstunde festgesetzt würde. Damitwaren alleBeteiligten einverstanden.71

Dieleidige Käsegeschichte war inzwischenan dieProvinzial-regierung in Schleswig weitergeleitet worden, wo sie, wie sovieles, imBehördengangversandete.

Nicht nur inNeustadt, im gesamten Kreis Oldenburg ver-stärkte sich die Bereitschaft der Arbeiter, für die durch dieschonbeginnende Inflation sich verringernden Einkommen indenStreikzu treten.Besondersstreikbereitwar dieLandarbei-terschaft. Zwar gelang es dem Landarbeiterverband,mit denArbeitgebern für denFestlandteildesKreisesOldenburg schonam 19.März 1919denerstenTarif mit einer Gültigkeit bis zum1.Mai 1920 abzuschließen, der Tarifvertrag für die InselFeh-marn erfolgte aber erst am29.April 1919. Die indenTarifen

70 S. Bericht im Neustädter Wochen-blatt vom27.Mai1919 Nr. 122.71 Protokoll der Stadtverordnetenver-sammlung Jg. 1919.12 Beide abgeschlossenen Landarbei-tertarifebefindensich im Original imBesitz des Verfassers.

Maidemonstrationder Gewerkschaftenundder SPD ausNeustadt undUmge-bungvordemNeustädterRathaus. Andieser Kundgebung vom 1.5. 1921nahmen ca. 1200Menschen teil.

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ausgehandeltenLöhnewurdendurchdiebeginnende Inflationaber sehr bald überholt.

Der sich auch imKreis Oldenburg-hier besonders auf derInsel Fehmarn - ausbreitende Radikalisierungsprozeß unterderLandarbeiterschaft solltedazu führen, daß die erst Anfang1919 gegründete KPD im Verein mit der USPD eine regeAktivität entwickelnkonnte.DieKPDverstand es,sichhäufigan die Spitze von Erwerbslosen-Demonstrationen (oder, wieauf Fehmarn, von unzufriedenen Arbeitern) zu stellen, dieinfolgeder allgemeinen wirtschaftlichenNot stattfanden.Trotzeines noch gültigen Tarifvertrages streikten vor Erntebeginndie Landarbeiter der gesamten Insel Fehmarn für höhereLöhne.73 Wie schwer es zudamaliger Zeit war, die Interessenvon Arbeiternund Arbeitgebern von Seitender Gewerkschaftunter einenHut zubekommen, verdeutlicht ambestendas imAnhang abgedruckte Schreiben des Sekretärs des Landarbei-terverbandes vom7.August1919 andenLandrat inCismar.

Alssehr schweres wirtschaftlichesJahrsolltesich 1920erwei-sen. Da sich die wirtschaftliche Situation im Kreise weiterverschlechterte und die Preise den gezahlten Löhnenrapidedavonliefen, sank die Stimmungin der Arbeiterschaft auf denNullpunkt. EinFunke sollte genügen, um die Arbeiter zumStreikzubewegen.

DieRevolutionmitihren teilweisenegativen Begleiterschei-nungen (das Hineinströmenungeschulter Massen in die Ge-werkschaften) brachtestarkeBestrebungen, denStreikals letz-tesallerKampfmittel häufigerzuerprobenunddiealteRegel-nur imäußersten Notfall und nur bei Billigung der zentralen,gewerkschaftlichen Instanzen zu diesem Mittel zu greifen -immer mehr außer acht zu lassen. Mißerfolge, die hierbei un-ausbleiblich waren, ließen aber den Streik bald wieder indiebishergewohntenBahnenzurückfließen. DieneugeschaffenenInstitutionen, so die Betriebsräte und der gleichfalls begon-nene Ausbaudes Schlichtungswesens, trugendazubei,größereSpitzen auf beiden Seitenabbauen zuhelfen. So konnte An-fangJuli1920inNeustadt sichergestellt werden,daß das städti-sche Gaswerk trotz eines vomFabrikarbeiterverband ausgeru-fenen Streiks wegenDifferenzen inderEntlohnung der Arbei-ter imTorfwerkseinenBetrieb aufrechterhaltenkonnte.Magi-strat, Stadtverordnetenversammlung undBetriebsrat einigtensich darauf,daß eineErhöhungderEntlohnung vorgenommen

73 S. LAS Abt. 320 Kreis OldenburgNr. 465: Berichteder Gemeinde-undAmtsvorsteheran denLandratin Cis-mar über den Streik der Landarbeiterauf der gesamtenInselFehmarn.Aufgrund der Gegensätze vonArbeitund Kapital wurde gerade auf Feh-marnderLandarbeiterstreik mit erbit-terterHärtegeführt, aufdessenHöhe-punkt derLandrat sich veranlaßt sah,aus KieleinKommandovon50Mari-nesoldaten anzufordern, das zusam-menmit denLandjägerndieRuhe undOrdnung wiederherstellensollte. Sie-he hierzu auch die Berichte im Feh-marnschenWochenblattvom 20. Sep-tember 1919 Nr. 110 und 1.Oktober1919Nr. 115.

Die gewerkschaftliche Organisierungder Landarbeiter nahm in den An-fangsjahren der Weimarer Republikstark zu (aus: FehmarnschesWochen-blatt,Juli1919).

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werdensollte.Beschlossenwurde, den ortsüblichen Tageslohnerweitert nachden bisherigen Prämiensätzenzuzahlen. Sollteder Verkaufspreis für Torf fallen, wollten Magistrat und Be-triebsrat zuneuenVerhandlungen zusammentreten.74Für SPDund freie Gewerkschaften kam hinzu, daß die bis Mitte derzwanziger Jahre anhaltende schwere wirtschaftliche Krise be-wirkte, daß aus Enttäuschungüber die ausgebliebenen Refor-

74NeustädterWochenblattvom1.und4.Juli1920Nr.150und153sowie vom2.Juli1920Nr. 151. Aufrufdes 1.Bei-geordneten der Stadt Neustadt Mar-

AufFehmarn warennach demErstenWeltkrieg Ortsgruppen edler dreiPar-teien der Arbeiterbewegungsehr aktiv.

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men während und nach der Revolution eine Massenaustritts-wellestattfand.Hinzu kam durch diebeginnende Inflation diefinanzielle Notsituation vieler Landarbeiter. Vielfach ange-führt (wie aufFehmarn)durchUSPDundspäterKPD-Mitglie-der kam es inden Jahren1919 bis 1923 vor oder währendderErnteimmer wieder zuwildenStreiks.Diesenahmenteilweiseauf Fehmarn und in den großen Gutsbezirken derartige For-menan,daß auchdie Gewerkschaften als Verhandlungsführernicht mehr anerkannt wurdenundderLandratsichgezwungensah, sollte das Einbringen der Ernte nicht ganz unmöglichgemacht werden, zur Unterstützung der Landjäger 50 Marine-soldatenoder, wie im Jahre 1923, eine Hundertschaft Schutz-polizei ausKielanzufordern.75Erst nachBeendigung derInfla-tionsollte sichzumindest imwirtschaftlichenBereichdesLand-kreises Oldenburg die Situation allmählich stabilisieren. Einepolitische Stabilisation fand hingegen erst mit der Kreistags-wahl1929unddann-wiewir wissen-auchnur vorübergehendstatt.

Welches Auf und Ab von 1917 bis 1925, bedingt durch diepolitischen Ereignisse, die Arbeiterschaft durchmachte, läßtsichambestenanhandderMitgliederentwicklung desBezirkesHamburg desDeutschenMetallarbeiterverbandes nachvollzie-hen. Dieser Bezirk umfaßte die heutigen Länder Schleswig-Holstein,Hamburgund Teile Niedersachsens:1917-ca.37000,1918-ca.75000,1919-ca.102000,1922-ca.107000, 1923-ca. 80000, 1925- ca. 60000Mitglieder.76

tens andie Bevölkerungder Stadt, ei-nenNotdienst zu verrichten. So u.a.Berichtüber eineöffentlicheProtest-demonstration abgedruckt im Neu-städter Wochenblattvom9.Juli 1920.Ebenfalls LAS Abt. 320 OldenburgNr. 465. Bericht des Landrats an dieRegierunginSchleswig vom6. August1920 über alle bei den verschiedenenStreiks inNeustadt gemeldetenVor-gänge.-Neustädter Wochenblatt vom27.November 1920, Bericht über ei-nenStreik der Holzarbeiter und einerErwerbslosenversammlung im Bahn-hofshotel (Tivoli), und vom 24.De-zember 1920, Bericht über eine Er-werbslosendemonstration vor und imRathaus,an der über 60Personenteil-nahmen.75 Neustädter Tageblatt vom 12.Au-gust1923,Berichtüber die Wiederauf-nahme der Arbeit auf der Wagria-Werft.S.a. Wirtschaftsbericht im Verwal-tungsbericht der StadtverwaltungNeustadtinHolstein,Jg. 1926, Seite 6.ebenso:Bekanntmachung Landrats Poel vom11.Juli 1923, Tgb. Nr. 7798. Abge-druckt im Kreisblatt des Kreises Ol-denburg,Jg. 1923,Seite163,Neustäd-terTageblattvom13.Juli1923 Nr161.Inder Umgebung derStadt NeustadtwurdendieGüter Sierhagen,Brodau,Beusloe, Wintershagen, Oevelgönneund Hasselburg nach einem Aufruf

der KPD vonder gesamten Arbeiter-schaft gegen den Willen des Landar-beiterverbandesbestreikt.Inder Ausgabe vom 5.Juli 1923 be-richtete das Tageblatt ausführlichnebst Kommentar über die von derKPDinEutinabgehaltene,gutbesuch-te Landarbeiterkonferenz.Auf dieserKonferenz wurde das weitere Vorge-hender Arbeiterschaft desKreisesOl-denburg gegen LandarbeiterverbandundGutsbesitzer beschlossen.76 Vgl. „DerDMV in Zahlen" hrsg.vonder Verlagsgesellschaft des Deut-schen MetallarbeiterverbandesGmbH-Berlin 1932.

V. DerKapp-Putschund seine Folgen fürdenLandkreis Olden-burg inHolstein

Mitder Wahldes ersten demokratischenKreistages trat, abge-sehen von der schlechten Ernährungs- und Versorgungslageder Bevölkerung,einegewisseZeit der politischenBeruhigungim Kreisgebiet ein.Die alten Gegensätze solltenerst mit demKapp-Putsch inaller Deutlichkeit wieder indenVordergrundtreten. Am 13.März 1920 versuchte ein Militär-Putsch unterder Leitung des Landschaftsdirektors Kapp und des Generalsvon Lüttwitz, die Macht im Reich an sich zu reißen und dieWeimarer Republik zubeseitigen. Um dieses zu verhindern,wurdendie Arbeiter von GewerkschaftenundParteienaufge-fordert, überall imLandedieRäder stillstehenzulassen. Auf-grund dieses Generalstreiks sollte der Spuk in einer Wochevorüber sein.Während dieser Zeit kam es zwischen ArbeiternundmeuterndenTruppenteilen undihren Anhängern zubluti-genKämpfen, die Toteund Verwundeteforderten. So z. B.inSchleswig,am Sitz des Regierungspräsidentenund inKiel, woes zu verlustreichenKämpfen kam.77

ImKreise Oldenburgdagegen ging es, wieinfast allen Din-gen, beschaulicher zu. Unruhen, Schießereien, Verhaftungenusw. sind nicht vorgekommen. Soweit bekannt, wurden nurzwei Personen von aufgebrachten Arbeitern verhaftet undnach Burg gebracht, auf Veranlassung des Landrats Voigts,Cismar, aber wieder freigelassen.78 Außerdem wurde der Ge-meindevorsteher J. Rauert, Puttgarden, unter Hausarrest ge-

77 Siehe Johannes Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, EinBeitragzurdeut-schen Innenpoütik 1919/20, S. 179,s.a. bei Franz Osterroth, 100 JahreSPD SH,Seite 69/70,H. Clausen,DerAufbau der Demokratiein der StadtSchleswig, Flensburg 1966, Seite 14ff.78 S.a.BerichtdesLandratsDr. Voigts

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stellt.79 Zu dieser Verhaftung schrieb die Streikleitung demFehmarnschen Tageblatt:

„DadieStreikleitungerfahrenhatte, daß derGemeindevorste-her J. Rauert mit dem Major der Reserve a.F. Feddersen inVerbindunggestanden unddie vonFeddersenherausgegebenenFlugblätter undVerordnungen verteilthatte, mußte sich Rauertmit HausundHof verbürgen, sein Grundstück nichtzu verlas-sen, bevor nicht die Entscheidung des Oberpräsidenten ein-geht."

Um die junge Republik zuretten, wurdeninvielen Städten,so auch inNeustadt, bewaffnete undstaatlichanerkannteEin-wohnerwehren gebildet. Ineiner außerordentlichen Stadtver-ordnetenversammlung am 16.März 1920 wurde beschlossen,für Neustadt zur Verteidigung der Republik eine Einwohner-wehr ins Leben zu rufen. Als Mitglieder in die Kommission„Gründung einer Einwohnerwehr" wurden die AbgeordnetenHaase, DDP, Schutt, SPD, Störmer,SPD, und Dohm,DDP,gewählt. Schonam anderenTageerfolgte der Aufrufzur Grün-dung einerEinwohnerwehr durchBürgermeister Rehr ineinergroßen Anzeige im Neustädter Wochenblatt vom 17.März1920. Außerdem berichtete dasWochenblatt inderselbenAus-gabe aufdererstenSeite,daß sich schonam14.März1920einegutbesuchte Gewerkschaftsversammlung im„Kollosseum" mitder Umsturzbewegung im Deutschen Reich befaßt hatte. Indieser Versammlung seibeschlossen worden, eine öffentlicheVesammlung einzuberufen,inder über denGeneralstreik undseinepolitischen Auswirkungen auf Neustadt beraten werdensollte.

Die nächste Gewerkschaftsversammlung des ADGB-Orts-ausschusses fandamMontagmorgen, dem 15.März 1920, statt.Wie dem NeustädterWochenblatt zuentnehmenist,entschiedsich dieseVersammlung fast einstimmigfür denGeneralstreik.Außerdem wurde inderVersammlungeineStreikleitung gebil-det, die alles weitere veranlassen sollte. Dieser Streikleitungwurde auch die Vollmacht erteilt, über Ausnahmeregelungenbeschließen zukönnen,so z. 8.,daß das Neustädter Wochen-blatt wegen der Wichtigkeit als Informationsquelle nicht be-streikt werden sollte.80 So heißt es dort ineinem am 17.März1920 abgedruckten Bericht über die Lage inderStadt:

,Jn vielen Betrieben unserer Stadt ruht seit Montag früh dieArbeit. Der Zugverkehr hat auch hier fast gänzlich aufgehört.AuchderFernverkehr nach auswärts ist unterbrochen."

Die beiden großen Parteien in der Stadt waren hingegennicht untätig. Während vomKreisverband derDDPschon am17.März ein großer Aufruf, in dem die Gegenrevolution inBerlin aufs schärfste verurteilt wurde, im Wochenblatt abge-druckt wurde,erfolgte vomDDP-Ortsverbandam18.März einAufruf an alleNeustädter Parteimitglieder, zum Schütze derRepublik sich der Einwohnerwehr zur Verfügung zustellen.Von der SPD wurde in einer Versammlung im Kolosseumbeschlossen, einenDemonstrationszug durchdie Stadtzu ver-anstalten.Lt.Wochenblatt vom 18.März1920nahmen andie-ser Demonstration für dieRepublik und gegen diePutschisten

inder außerordentlichenKreistagssit-zung des Oldenburger Kreistages am23. März 1920 (KreisblattdesKreisesOldenburg, Jg. 1920, Seite 210).IneinerErklärung desKreistages,dieauf Antrag des AbgeordnetenLange(Neustadt SPD) inallenZeitungendesKreises veröffentlicht werden sollte,hieß esu.a. (auf Seite 213 des Kreis-blattesJg. 1920 abgedruckt):,A" dieEinwohnerschaft desKreisesrichtetderheuteinOldenburg versammelteKreis-tag dieBitte, diesomustergültig bewie-seneRuhe und Ordnung auch weiter-hin aufrecht zu erhalten..."79 S. WFB vom26.März 1920 Nr.68.80 Im Gegensatz zu Oldenburg, wowährenddes gesamtenKapp-Putscheskeine Zeitungen erschienen (s. Be-richt in den WFB vom21.März 1920Nr. 64 „Oldenburg 7 Tage ohne Zei-tungen"),wurdedieBevölkerungdesSüdkreises durch das durchgehend er-scheinende Neustädter Wochenblattunterrichtet.

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ca. 2000Menschenteil,von denenauch vieleaus demUmlandindie Stadt kamen.

Nicht nur inNeustadt,sondernauchineinigen großen Guts-bezirken bildeten Demokraten, SPD und Landarbeiterver-band Einwohnerwehren zum Schütze derRepublik. So teilteu.a. Landrat Poel am 21.Dezember 1921, Tgb. Nr.13513,dem Regierungspräsidenten mit, daß nach erfolgreicher Ab-wehr desKapp-Putsches sich die gebildetenEinwohnerwehreninSierhagen,Kassau, Hasselburg, Ehlerstorfund Testorf vonselber aufgelösthätten.Diese warenauch nötiggewesen,nach-dem sich in Lensahn eine Kommandantur als Ableger derKappschen Regierung gebildet hatte. Als Repräsentant fün-giertederGutsbesitzer KarlFeddersen,Rosenhof,dervorgab,im Auftrage der Regierung Kapp die vollziehende Gewalt fürden Kreis Oldenburg übernommen zu haben. Er setzte denLandrat zwar nicht ab, erwartete aber vonihm Loyalität. Umzu verhindern, daß bei den bekannten großen politischen Ge-gensätzen imKreisezwischen Großgrundbesitzern und Arbei-tern die Ruheund Ordnungbeeinträchtigt wurde,unterstellteLandrat Voigtsder KappschenKommandantur inLensahndenRegierungsreferendar Kölle,derdieAufgabehatte,denLand-ratüber diedortigenMaßnahmen aufdemlaufendenzuhalten.Da innerhalb des Kreises über die Tätigkeit der Kapp'schenKommandantur die wildestenGerüchte entstanden, wandtensich die Vorsitzenden der staatstragenden Parteien an denLandrat und ersuchten diesen dringend, auf den GutsbesitzerFeddersen einzuwirken, sein sich selbst angemaßtes Amt nie-

Protestversammlung gegen den Kapp-Putsch 1920 vor demNeustädterRat-haus. A. Koch von der linksliberalenDDP (Deutsche Demokratische Par-tei) redethier zurBevölkerung (Foto:Privatarchiv Koch).

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derzulegen, daindengroßen Ortenund StädtendesKreiseszuGegendemonstrationen aufgerufen würde, die dasZielhätten,diesen Spuk zu beseitigen. Ebenfalls hatte der Landarbeiter-verband am 18.März 1920 zu einer großen Delegiertenver-sammlung, an der auch der Landrat teilnahm, eingeladen. Indieser Versammlung richteten die Landarbeiterfunktionärescharfe Angriffe gegendiebisher gezeigte VerhaltensweisedesLandrats gegenüber der rechtmäßigen Regierung. Ebenfallsbemängelt wurde, daß dieser bisher nicht eingeschritten sei,um seinensich noch im Amt befindlichen Stellvertreter, denKreisdeputierten Feddersen, vonseinem Tunabzuhalten.81

Nachdemdie Putschisteneinsahen, daß ihre Sache verlorenwar,erklärte sichFeddersenalsderenSprechernochamselbenTagebereit,dieKommandantur inLensahnaufzulösenunddiegehorteten schwarzen Waffenbestände dem Landratsamt zurVerfügung zustellen.82 Durch sein indieser kritischen Zeit andenTag gelegtes Verhaltensowie die eingeleitete Beschwerdevon Seiten der Sozialdemokraten wurde Landrat Voigts aufeigenen Antraghin vomRegierungspräsidenten bis auf weite-res beurlaubt. Seine Vertretung wurde dem Kreissekretärübertragen. InAngelegenheiten, die denKreisausschuß betra-fen, wurde dessen ältestes Mitglied,Hofbesitzer Stockmann,tätig.

Gutsbesitzer Feddersen,Rosenhof, legte, nachdemsich dieersten Nebel des vereitelten Umsturzes gelichtet hatten, auf-grund seiner führenden Beteiligung an diesem Putsch am9. April 1920 seine Ämter als Kreistagsabgeordneter undKreisdeputierter sowie alsGutsvorsteher nieder. Wenig späterlegte Zimmerer Franz Wildfang aus Kellenhusen auspersönli-chen Gründen sein Amt als Kreistagsabgeordneter ebenfallsnieder.83

Diesen Mandatsniederlegungen folgte am 14.April dieschriftliche Mitteilung, daß auch der zweite Kreisdeputierteund sozialdemokratischeKreistagsabgeordnete, August Langeaus Neustadt,mit sofortiger Wirkungalle Ämter niederlegte.84

Seit seinemEintritt indie SPD imJahre 1918war dasVerhält-nis zur NeustädterSPDimmer einergewissenSpannungunter-worfen. Diese teilweise persönlichenSpannungen sollten mitdem Ausbruch des Kapp-Putsches voll zum Tragen kommen.Da dieDifferenzen zwischen Lange und dem SPD-OrtsvereinNeustadt sich nicht beilegen ließen, wurde in der Mitglieder-versammlung am 10.April 1920 beschlossen, daß AugustLange seineMandateals StadtverordneterundKreisdeputier-ter niederzulegen hätte, da er seinenPflichtennicht nachkom-men würde. 85

Nachfolger für die ausgeschiedenen sozialdemokratischenAbgeordneten Wildfang und Lange wurden der Leiter derNeustädter Arbeitsnachweisnebenstelle, August Vahlendieck,undderTöpfermeisterKarlSchmidt, Cismar. AufbürgerlicherSeite rückte als neuer Abgeordneter der Hufenbesitzer AdolfGrapengeter, Neuratjensdorf, nach.

Neuer Kreisdeputierter wurde seitens der Bürgerlichen derHeiligenhafener Bürgermeister und Provinziallandtagsabge-

81 S.a. Neustädter Wochenblatt vom26. März1920Nr.71. Unterder Über-schrift„DieTagederGegenrevolutionimKreiseOldenburg" wurdendievomLandrat niedergeschriebenen Berich-te über die Ereignisse eines jedenTages vom13. bis zum 19.Märzwört-lich abgedruckt.82 Ebd.83S. a.LAS Abt.320 OldenburgNr.5Kreisausschuß.84 LAS Abt. 309 Nr. 22855 Kapp-Putsch.85 S. a. Protokollbuch des SPD-Orts-vereins,Jg. 1910 bis1933,NeustädterWochenblatt vom10.Mai1919, Neu-städter Wochenblatt vom 16. April1920, s.a. Protokoll über die SitzungdesKreistages vom15.Mai 1920, ab-gedruckt imKreisblatt desKreisesOl-denburg, Jg. 1920, Seite333.

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ordnete Arthur Jantzen. Für die Sozialdemokraten wurde esals Nachfolger Langes der Fuhrmann Hermann Hahn, Len-sahn. Das ungeschickte Verhalten Landrat Voigts in denPutschtagen warf die dann auch öffentlich diskutierte Frageauf,ob dieser nochgeeignet sei, seinAmt weiterzuführen. Dievon der Regierung eingeleitete Untersuchung kam zu demEntschluß, daß dieser, wenn der Kreistag mehrheitlich zu-stimmte, alsLandrat weiter verwendet werden könne,da z.B.auchdie demokratischeFraktionfür dieWiedereinsetzung vonLandrat Voigts sich starkmachte. Zuvor aber beschloß derKreistag in seiner Sitzung am 15.Mai1920 einstimmig, daß1. der Kreisfür alleam Streikbeteiligten Arbeiter desKreises

einschließlich derDeputatisten50% der Barlöhnefür läng-stens 5 Streiktage bis zur Erstattung durchdasReichüber-nahm,

2. inHöheder erforderlichen Ausgaben eine Anleihe zu ei-nem möglichst niedrigen Zinssatz aufzunehmen war, dienachErstattung durch das Reichinganzer Summe zutilgenwar.86

Zwischenzeitlich versuchtenalleFraktionen,das leidige Land-ratsthema vom Tisch zubekommen.87

Im Auftrage des Kreisausschusses fuhr eine aus den Abge-ordneten Jantzen,Heiligenhafen, Steenbock, Burg a.F., undPrüß, Petersdorf a.F.,bestehendeDelegation zum Innenmini-ster nach Berlin.88 Als Besprechungsergebnis wurde demKreistag ein Antragzur Beschlußfassung vorgelegt, der es be-grüßte, daß endlich das Straf- sowie das Disziplinarverfahrengegen denLandrat Voigts eingestellt wordenseiund forderte,ihmdie Leitung desKreises wieder zu übertragen. 89

Die SPD war sich über ihreHaltung nicht einig.Die Mehr-heit derFraktion war bemüht, denFlensburger ParteisekretärMichelsenalsNachfolger vonVoigts für diesenLandratspostenzugewinnen.

Die Kreistagsfraktion der SPD erklärte schließlich, daß dieArbeiterschaft des Kreises nicht von der Schuldlosigkeit desLandrats Voigts überzeugt sei.90

GegendasVorgehen derSozialdemokraten wandtesich aberentschieden die vereinigte Rechte. Der landwirtschaftlicheVerein drohte sogar mit einem Lieferstreik.91

Ingeheimer Abstimmung setzte sich der Kreistag in seinerSitzung am 27.September 1920mit 12Stimmen gegen 5 Stim-men für dieRückkehr Voigts ein. Ein Stimmzettel war unbe-schrieben, der sozialdemokratische Provinziallandtags- undKreistagsabgeordneteJuliusPrüß war nicht anwesend.92

Alles sollte aber nichtsmehr nützen. Landrat Voigts über-nahmdie Verwaltungsgeschäfte im Landratsamt Cismar nichtwieder.Bis zum Jahre1927sollte derKreisnocheinige Land-räte kommen und gehen sehen. Längere Dienstzeiten absol-vierte keiner von ihnen,dadiese Herrenmit den wechselndenKreistagsmehrheiten einfachnichtzurechtkamen.Eine Beru-higung' setzte erst im Herbst 1927 mit der Ernennung desRegierungsassessors Dr.Hübner zumkommissarischen Land-rat in Oldenburg ein. Obgleich Dr. Hübner Sozialdemokrat

86 Ebd.,Seite334und336.87 Ebd.,Seite335 und336, Anlage9,ein Antrag desKreisausschusses, dasVerfahren gegen Landrat Voigts be-schleunigt durchzuführen, und wennnichts Belastendesvorliegt, ihm wie-der dieLeitungdes Kreises zu übertra-gen, wurde mehrheitlich angenom-men.88Ebd.,Kreistagssitzung vom14.Juni1920,Seite 396 bis 398.89Ebd.,Kreistagssitzungvom27. Sep-tember1920,Seite 804 und822, abge-druckt imProtokoll alsAnlageNr.20.90 Ebd., abgedruckt im ProtokollalsAnlage Nr. 19.91Der gesamte Aufruf des Landwirt-schaftlichen Vereins des Kreises Ol-denburg ist im Neustädter Wochen-blattvom7. Oktober1920 Nr.234 ab-gedruckt; gez.für denVorstand: Fed-dersen.(!)92 SieheSeite 804 der Kreistagssitzungvom 27.September 1920, abgedrucktimKreisblatt.In dieser Sitzung wurde auch unterPunkt 12 der Tagesordnung „Bezah-lung der Streiktage" mit Stimmen-mehrheit der Beschluß des Kreistagesvom 15.Mai1920, den am General-streik beteiligten Arbeitnehmern ei-nenTeildes entgangenenLohnausfal-les zu ersetzen, mit Mehrheit abge-lehnt.

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war, gelang es ihm, eine Verständigung zwischen den beidengroßen politischen Blöckenherbeizuführen. In der Kreistags-sitzung am 27. April 1928 schlug Hofbesitzer Stockmann fürdenBürgerblock vor,Dr.Hübner mögeendgültig zumLandratdes Landkreises Oldenburg inHolstein ernannt werden. Die-sem Vorschlag schloß sich der sozialdemokratischeFraktions-sprecher, Gewerkschaftssekretär KarlPanitzki, an.Dr. Hüb-nersolltebiszuseinerEntlassung durchdieNationalsozialistenam 5. April 1933 der letzte freiheitliche Landrat Oldenburgssein.

Der Kapp-Putsch undseine Auswirkungen solltenentschei-dend dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit der Mehrheitsso-zialdemokratenbei vielen Arbeiternweiter zuerschüttern, daes nicht verstanden wurde, den Erfolg bei der Abwehr desKapp-Putsches zukonsolidieren.Nur wenige Außenseiter wa-renbereit,den Versuchzuunternehmen, mit einschneidendenVeränderungendie immer weiternachrechts abtreibendeEnt-wicklung innerhalbdesDeutschenReiches zukorrigieren.

Da nach dem Kapp-Putsch auch in Schleswig-Holstein imwesentlichen allesbeim altenblieb,mußte es zumindest indendemokratischeingestellten BevölkerungskreisenVerbitterunghervorrufen,daß die angekündigte strengeBestrafung alleramKapp-Putsch führend Beteiligten fast nieerfolgte oderdiese somilde bestraft wurden, daß diese Handlungsweise von denreaktionärenKreisenimLandealsBestätigung ihresHandelnsangesehen werden konnte. Der Keil zwischen der Führungs-schichtderMehrheitssozialdemokratenundderArbeiterschaftsollte durch diese Hinhaltetaktik noch größer werden, undseine ersten negativen Auswirkungen in Schleswig-Holsteinsolltensich bei denReichs-, Land-,Provinzial- undKreistags-wahlendes Jahres 1921und1924 zeigen.

VI.SchlußbetrachtungDie Weimarer Republik war der ersteVersuchinder jüngerendeutschen Geschichte, das Volk imRahmen einer demokrati-schen Verfassung an der Staatsgewalt zubeteiligen. Leider istdieser Versuchüber Ansätzenichthinausgekommen. SostellteschonJuliusLeber,einerder führenden Köpfedessozialdemo-kratischen Widerstandes während derNS-Zeit,inseiner inderUntersuchungshaft 1933 inLübeck geschriebenen schonungs-losen Analyse zumVerbot der deutschenSozialdemokratie imJuni 1933 über die Zeit vomNovember 1918 bis zum Sommer1919 fest:

,Auchder vorurteilslose Kritiker[muß] zu dem Urteilkom-men, daß die Leistungen jener Revolutionsregierung zwischendem 9. November 1918 und dem 11. August 1919 schmählichklein waren. Besonders klein hinsichtlich der größten undschönstenAufgabe: derSchaffungeigener undhaltbarerGrund-lagen für den neuen Staatsaufbau.Esgab imJahre1918 zweiMöglichkeitenstaatlicherSchöpfung:Mankonnteentweder denStaataufsich selbststellen, um ihnsoals unabhängige und tatsächliche Staats-und Regierungsmachtder später zu wählenden Volksvertretung gegenüberzustellen.

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OdermankonnteihnmitderSozialdemokratischenPartei iden-tifizieren, jede liberal-demokratische Einwirkungbis auf weite-res ausschaltend. Der erste war der mehr demokratische, derzweite dermehr sozialistische Weg. BeideMöglichkeitenwarenvor der Geschichteundvorden Grundsätzendes Sozialismuszuverantworten.Die Sozialdemokraten entschieden sich weder für den einennochfür denanderen Weg. Sie entschiedensich überhaupt nicht.Man kann sich beinachträglicher Betrachtung des Eindruckesnicht erwehren, daß sie gar nicht recht wußten, was sie solltenund was sie wollten. Zum ersten waren die beiden Gruppen (jedrei Vertreter der Mehrheit und drei der Unabhängigen) nieeinig, weshalb ja auch bald die Unabhängigen ausschieden.Dannaberflackerten überall undinallenInstanzendieuferlose-stenDebatten aufüber Sozialismus und Sozialisierung, diesichschließlich aufdengewundenenPfaden dermarxistischen Theo-rien imEndlosen verloren. Und so war es nachEberts Ansichtnoch dasbeste, dasGanzealseinProvisorium,alseinevorüber-gehende Verlegenheitslösunganzusehen, dasnur die eine Auf-gabehatte, den Wegfreizuhaltenfür eindemokratisches Parla-ment, dessen höhereAutoritätsich ja dann mit den Grundlagenund dem Ausbau der neuen Volksgemeinschaft herumschlagenkonnte.Um diese sich später so verderblich auswirkende Zwischenlö-sungzu verteidigen, hatman oft aufdiedisziplinloseundgedan-kenarme ewigeRedereider im übrigen totalversagenden Arbei-ter- und Soldatenkongresse hingewiesen. Als ob das irgendeineEntschuldigung wäre. <<93

Diesen Gedankengängen ist aus der Sicht des Verfasserswenighinzuzufügen. Sie zeigen aber auch, daß dieMehrheits-sozialdemokraten kein Interesse hatten, die Rätebewegunglänger alsunbedingt nötigam Lebenzuerhalten. Alleinhierinliegteineder Ursachen für die teilweiseunzulänglichen Entfal-tungsmöglichkeitender gesamtenRätebewegung. DadieRätein den seltenstenFällen über eigene Mittel verfugten, warensie,bevor sieihre eigentliche Tätigkeit ausüben konnten,schonzumScheiternverurteilt. Gleichwohlhatte im Zuge der Räte-bewegungdieBevölkerungdergroßen GutsbezirkezumerstenMal die Gelegenheit, mittels demokratischer Wahlen Einflußauf ihr Gemeinwesen zu nehmen-ein Umstand, der großenTeilender Bevölkerungerstmit Auflösungder 47GutsbezirkeundUmwandlung inpolitische Gemeinden wieder1928, dannaber als Recht, zugestanden wurde. Mit Stand vom 16.Juni1925 betrug der Flächenanteilder Gutsbezirke 51,6 % der Ge-samtfläche des LandkreisesOldenburg.32,3 % derKreisbevöl-kerung wohnten indiesen Gutsbezirken.

So wichtig auch die sozialpolitischen Errungenschaften fürdie ländlicheBevölkerungnachdem9. November 1918 waren,wie tarifvertragliche Lohnvereinbarungen, Wegfall der Gesin-deordnung und diskriminierender Sondergesetze, die Macht-stellung des Großgrundbesitzes wurde dadurch nicht wesent-lich geschmälert. Diepolitische Vorherrschaft der Großagra-riersollte in weitenLandstrichen die republikanischenNeuan-

93 „Ein Mann geht seinen Weg".Schriften,RedenundBriefevonJuliusLeber, Berlin-Schöneberg 1952, S.201£.

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fangenichtnurnach1918/20, sondernteilweise auchnochnach1945 überdauern. DaderSPD wie auchder USPD dieWesens-art der Landwirtschaft äußerst fremd war, waren beide Par-teien auch der Gefahr gegenüber blind, die ihnen und derRepublik gerade von dieser drohten.So bildeten imFrühjahr1920danndiepreußischen Gutsbesitzer dieReservearmee der

Tariflöhneauchfür Musiker:ImKreisOldenburg hatte sich eine Ortsgruppeeiner Musiker-Gewerkschaft gegrün-det, die dem ADGB (AllgemeinerDeutscher Gewerkschaftsverband) an-geschlossen war (aus:Neustädter Wo-chenblatt, Januar/September1919).

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Kapp-Lüttwitz-Putschisten (siehe auch Kreis Oldenburg). Au-ßerdem betrieb kein Teil der Rechten so geschlossen und er-folgreich 1932/33 die Zerstörung der Weimarer Republik -gemeinsammitdenNationalsozialisten-wieeben jenepreußi-schen Gutsbesitzer.

Die Abwehr des Kapp-Putsches im Frühjahr 1920 durcheinen sechstägigen Generalstreik stellte den letzten Höhe-punkt politischer Einflußnahme dar. Das Zusammenwirkenvon SPD und Gewerkschaften zur Sicherung des demokrati-schen Staates warerfolgreich.Dieneuegute Ausgangspositionzur Festigung der Republik konnte allerdings aufgrund derSpaltung der Arbeiterbewegung nicht genutzt werden.Bereitsdie Jahre1918/19ließen denHerrschendender Vergangenheitgenügend Spielraum, sich neue Positionen zu erringen. Sohatte die Demokratie schon nach wenigen Jahren ihrFunda-mentverloren.Durch dieTrennung inSPD,USPDundSparta-kusbund/KPD standensich Anfang1919drei feindlicheLagerinnerhalb der Arbeiterbewegung gegenüber, zwischen denenteilweise bis zum Jahre 1933 keine Versöhnungund gemein-same Aktionenmöglich waren. Zudemkonnte dieKPD zeit-weiligbeachtlicheErfolgebeidenWahlen erzielen(Maiwahlen1924, Septemberwahlen 1930, Novemberwahlen 1932). DiewirtschaftlichenundsozialenHypotheken aus der zusammen-gebrochenen Monarchie waren für den staatstragenden Teilder Arbeiterbewegung so stark, daß kaum die Kraft für dieFestigung unddenAusbaudes Staatesblieb. Als dannimMärz1930eine große Koalition aus Sozialdemokraten undBürgerli-chenan sozialpolitischen Auseinandersetzungen endgültig aus-einanderfiel,war das endgültige „Aus" derparlamentarischenDemokratiegekommen, an derenEnde1933 AdolfHitler undseineNSDAP standen.

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AnhangMandatsverteilung im Landkreis Oldenburg/Holsteininner-halb des Zeitraumes 1919 bis 1933

Quelle:LAS Abt. 301Nr. 4948Mitteilung des Regierungspräsidenten in Schleswig an denOberpräsidenten in Kiel über die endgültige Zusammenset-zung der einzelnenKreistage nachder jeweiligen Kommunal-wahl.

Diepolitische ZusammensetzungdesKreistagesindenJahren1918 bis 1921Personelle Veränderungen, die innerhalb einer Legislaturpe-riodeeintraten, konntenleider aus Platzmangel keineBerück-sichtigung finden.

Mitglieder des letzten unter demDreiklassenwahlrecht ge-wählten Oldenburger Kreistages, dessen Amtszeit mit demZusammentreten deserstenaufdemokratischer Grundlagege-wählten Kreistages am 31. Mai1919endete:Amtsrat Philipp Johannsen, LensahnGutsbesitzer Graf von Scheel-Plessen, SierhagenGutsbesitzer ErichvonNeergaard, OevelgönneGutsbesitzer Rittmeister a.D. Herrmann von Lassen,SiggenGutsbesitzer Graf vonReventlow, FarveGutsbesitzer KarlFeddersen, Rosenhof

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.andkreis)ldenburg i.Holstein: 1919 1921 1925 1929 1933

DNVP 8DVP 1SPD 8JSPD

101

9 10 6

"CPDDDP 4Wirtschaftsliste - 11

1

12

119

2

;onstige Listen -VölkischeParteien(NSDAP) -Jste Schwarz-Weiß-RotSitze insgesamt: 21 22

2

24

3

24

124

24

'an:eial :urzung)NVP)VP;pdJSPD

:pd)DPiSDAV

Ichwarz-Veiß-Rot

DeutschnationaleVolksparteiDeutsche VolksparteiSozialdemokratischeParteiDeutschlandsUnabhängige SozialdemokratischeParteiDeutschlandsKommunistische Partei DeutschlandsDeutscheDemokratische ParteiNationalsozialistische Deutsche Arbeiter-parteiZusammenschluß der Rechtsparteien(DNVP-DVP u.a.)

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Gutsbesitzer Ernst von Abercron,EhlerstorfGutsbesitzer Hans Theophile, SatjewitzGutsbesitzer Robert Beckmann, SeegalendorfHofbesitzer Ludwig Stockmann,Hof AltonaHofbesitzer JohannHütscher, DahmeGemeindevorsteher HansBecker,Petersdorfa.F.Gemeindevorsteher Jürgen Wulf, PuttgardenGemeindevorsteher Otto Babbe,KlötzinGemeindevorsteher Christian Westphal, GrömitzBürgermeister Kurt Meyerhoff, OldenburgBürgermeister Otto Waage, NeustadtRatsmann Jürgen Witte, Burga.F.SanitätsratErnst Brüchmann, NeustadtBuchdruckereibesitzer JohannesEhlers, NeustadtKaufmannJohannMaßmann, Heiligenhafen

Mitglieder des Kreisausschusses, die nicht als AbgeordnetedemKreistag angehörten:Amtsvorsteher Wilhelm Höper,RellinAmtsgerichtsrat Sehwartau, Heiligenhafen1. Kreistagvom 4.Mai 1919 bis zum19.Februar 1921Bürgerliche:Dieser Block umfaßt insgesamt 4Parteien.1. WilhelmBostelmann, Amtssekretär, Lensahn2. Ludwig Stockmann, Hofbesitzer, Hof Altona3. Otto Krohn,Lehrer, Albersdorf4. Otto Storm, Hofbesitzer, Dazendorf5. Hagius Kruse, Landmann,Barensdorf6. Karl Feddersen, Gutsbesitzer, Rosenhof7. Hans Becker,Landmann, Petersdorfa.F.8. Peter Björnsen,Lehrer, Sulsdorfa.F.9. KurtMeyerhoff, Bürgermeister, Oldenburg10. Gottlieb Steenbock, kom. Bürgermeister, Burg a.F.11. Arthur Jantzen, Bürgermeister, Heiligenhafen12. Ludwig Wulf,Rektor,Neustadt13. JohannesEhlers, Buchdruckereibesitzer, NeustadtSozialdemokraten:1. August Lange, Fischermeister, Neustadt2. Herrmann Hahn,Fuhrmann,Lensahn3. WilhelmHarner, Arbeiter,Beschendorf4. Robert Winkelmann, Arbeiter, Kasseedorf5. Franz Wildfang, Zimmerer, Kellenhusen6. Wilhelm Junge, Fischer, Grömitz7. Franz Edelhäuser, Arbeiter, Lütjenbrode8. Julius Prüß, Gastwirt, Petersdorfa.F.

Mitglieder des Kreisausschusses:gewählt am 31.Mai1919Bürgerliche:JohannesEhlers, Buchdruckereibesitzer, NeustadtKurt Meyerhoff, Bürgermeister, OldenburgLudwig Stockmann, Hofbesitzer, Hof Altona

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HansBecker,Landmann,Petersdrof a.F.Sozialdemokraten:Max Dehlert, Oberpostassistent, OldenburgJuliusPrüß, Landmann und Gastwirt,Petersdorf a.F.1. KreisdeputierterArthur Jantzen, Bürgermeister, Heiligenhafen2. KreisdeputierterAugust Lange, Fischermeister,NeustadtInfolge einer Wahlanfechtung wurdenin der Kreistagssitzungam 30.August 1919gewählt zum1. Kreisdeputierten bis zum 6.April1920KarlFeddersen, Gutsbesitzer, Rosenhof2. Kreisdeputierten bis zum14. April1920August Lange, Fischermeister, NeustadtBedingt durch den Kapp-Putsch wurden in der Sitzung am4.Mai1920zum1. KreisdeputiertenArthur Jantzen, Bürgermeister, Heiligenhafen2. KreisdeputiertenHerrmannHahn,Lagerhalter, Lensahngewählt.

2. Kreistagvom 20.Februar 1921bis zum 28.November 1925Vereinigte bürgerliche Liste Einigkeit:1. Ludwig Stockmann, Hofbesitzer, Hof Altona2. Johannes Hillbrandt,Malermeister, Neustadt3. Hans Becker,Landwirt,Petersdorf a.F.4. KurtMeyerhoff, Bürgermeister, Oldenburg5. HeinrichMumm,Landmann, Dahme6. Jens Jensen,Lehrer,Alt Gahlendorf7. Arthur Jantzen, Bürgermeister, Heiligenhafen8. GottliebSteenbock, Kupferschmiedemeister, Burg a.F.9. Max Rehr,Bürgermeister, Neustadt10. Wilhelm Bostelmann, Amtsvorsteher, Lensahn11. Otto Storm, Hofbesitzer,DezendorfSPD:1. August Vahlendieck, Arbeitsnachweisleiter, Neustadt2. JuliusEvers, Gewerkschaftssekretär, Oldenburg3. August Wittern, Tischlermeister, Schönwalde a.B.4. Wilhelm Knaak,Lokomotivführer, Heiligenhafen5. NikolausPrüß, Arbeiter, Petersdorf a.F.6. RudolfBergeest, Amtsgehilfe, Cismar7. Otto Martens, Zimmerer,Hansühn8. KarlBröer,Gastwirt, Kröß9. KarlBaade,Landarbeiter, Bliesdorf10. Max Kuckei,Lehrer, SuxdorfUSPD:1. GustavStaack, Maurer, Sartjendorf a.F.

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Mitglieder desKreisausschusses:gewählt am 21.März 1921Bürgerliche:Ludwig Stockmann, Hofbesitzer,Hof AltonaHansBecker,Landwirt, Petersdorf a.F.Kurt Meyerhoff, Bürgermeister, OldenburgSPD:August Vahlendieck, Arbeitsnachweisleiter, NeustadtJuliusEvers, Gewerkschaftssekretär, OldenburgNikolausPrüß, Arbeiter,Petersdorf a.F.1. KreisdeputierterArthur Jantzen, Bürgermeister, Heiligenhafen2. KreisdeputierterHerrmannHahn,Lagerhalter,Lensahn

Die partei- bzw. wirtschaftspolitische Zusammensetzung dererstendemokratischgewähltenStadtverordnetenversammlungderStädteBurgaufFehmarn,Heiligenhafen,Oldenburg/Hol-stein und Neustadt.Eingetretene Veränderungen infolge Wahl einzelner Stadtver-ordneter in die Magistrate unter gleichzeitigem Niederlegendes Stadtverordnetenmandats konnten leider keine Berück-sichtigung finden.

Burg auf Fehmarn1. Wahlperiode vom 23.Februar 1919 bis 2.Mai1924Bürgerverein1. Matthäus Störtenbecker,Landwirt2. Florentine Schönfeld,Hausfrau3. Christian Graap, Angestellter4. EberhardKropp, Malermeister5. FritzBachmann,Lehrer6. HinriehKölln,Kaufmann7. NikolausHinz,Bauer8. Wilhelm Wichmann, Zimmermeister9. AdolfKleingarn, Textilkaufmann10. August Winter,Fischer undGastwirt11. Hermann Mader, GärtnerSPD1. CarlSchönfeld,Lagerhalter2. Peter Höppner,Gastwirt3. Gustav Cordts, Arbeiter4. Otto Kaminski, Maschinenführer5. Matthäus Vadersen, Zimmermann6. KarlDonath, Arbeiter7. August Scheef, Arbeiter

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Heiligenhafenl.Wahlperiode vom 2.März 1919bis 3.Mai 1924Bürgerliche, 6 AbgeordneteSozialdemokraten, 6 Abgeordnete

Infolge von Kriegseinwirkungen befinden sich weder bei derStadtHeiligenhafen nochbeiderinHeiligenhafen erscheinen-denZeitung „Heiligenhafener Post"hierüber Unterlagen. Ab-gedrucktesSitzergebnis inderVZvom 6.März1919.EbenfallsimNeustädter Wochenblatt gleichen Datums angegeben.

Oldenburg/Holstein1. Wahlperiode vom 2.März 1919bis 3.Mai1924ListeFügner1. PaulFügner, Rechtsanwalt2. Ernst Möhl,Schlachtermeister3. Wilhelm Dunker,Landmann4. Hermann Stengel sen., Schlachtermeister5. Heinrich Sehmahl, Maschinenfabrikant6. Carl Westensee,Landmann7. KätheSimonsen, HausfrauListeDuborg1. JohannDuborg, Organist2. MaxDehlert, Oberpostassistent3. EduardSchattaver, Former4. Arthur Wesche, Rendant5. Otto Güldensupp, Zimmermann

Die Abgeordneten der ListeDuborg-Dehlert,Schattaverund Güldensupp -gehörtender SPD an.

Neustadt inHolstein1. Wahlperiode vom 2.März 1919bis 3.Mai1924Deutsche DemokratischePartei1. Ludwig Wulf, Rektor2. JohannesEhlers,Buchdruckereibesitzer3. Albert Haase, Kaufmann4. FriedrichWittmack, Landmann5. LudwigKroger, Schuhmachermeister6. FriedrichGiesenhagen, Stadtkassierer7. Hugo Prüß, Maurermeister8. FranzDohm,BürovorsteherSPD1. August Vahlendieck, Pantoffelmacher2. Karl Schutt, Telegrafenleitungsaufseher3. Alexander Störmer,Obertelegrafenassistent a.D.4. Adolf Soltau, Tischler5. August Lange, Fischer6. BerthaFriedrichsen, Kriegerwitwe7. Theodor Heynsen-Meisterlin, BüroassistentListeohne Parteienzwang1. Karl Abel,Landmann2. Dr.Otto Walther, Oberarzt, Heilanstalt3. Luise Green,Ehefrau

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Kreistagswahl1919Wahlbezirk I,Bekanntmachung des Wahlkommissars Johann-sen vom14.Mai 1919

ImWahlbezirk Nr.I,derdenAmtsbezirkLensahn sowiedieGutsbezirkeBollbrügge, KremsdorfundTeileder GutsbezirkeKuhofund Sievershagen umfaßte, entfielenauf den1. WahlvorschlagBostelmann 869gültige Stimmen2. WahlvorschlagHahn 1422gültige StimmenZuKreistagsabgeordneten wurdenhier gewählt:1) Wilhelm Bostelmann,Lensahn, Amtssekretär2) HermannHahn, Lensahn, Arbeiter3) Wilhelm Harner,Beschendorf, Arbeiter4) Robert Winkelmann, Kasseedorf, Arbeiter

Ebd., für den Wahlbezirk IIBekanntmachung des Wahl-kommissars Feddersen vom 10.Mai 1919, Seite 372. ImWahl-bezirk11,der dieAmtsbezirkeEhlerstorf,Farve,Testorf,Wei-ßenhaus, Siggen,Gaarz,Neukirchen,Großenbrode, Seegalen-dorf sowie Teiledes AmtsbezirkesPutlosumfaßte, erhielt der1. WahlvorschlagEdelhäuser 876gültige Stimmen.

Die als Gruppe verbundenen Wahlvorschläge Feddersen,Kruseund Storm erhielten1394 gültige Stimmen.

Danach waren inden Oldenburger Kreistag gewählt:1) FranzEdelhäuser, Lütjenbrode, Arbeiter2) HagiusKruse, Barendorf, Landmann3) KarlFeddersen, Rosenhof, Gutsbesitzer4) Otto Storm, Dazendorf,Hofbesitzer

Der Neustadt umgebende Kreiswahlbezirk 111 Cismar um-faßte die Amtsbezirke Oevelgönne, Sierhagen, und Brodausowie dieLandgemeinden Grömitz, Grube, Dahme und Cis-mar. Es waren hier vier Abgeordnete für den OldenburgerKreistag zu wählen.Die Wahl erfolgte durch Vorschlagslistenaufgrund der Wählerlisten für dieNationalversammlung.

Aufgrund der am 4.Mai 1919 erfolgten Wahl erhieltendieeinzelnen Wahlvorschläge folgende Stimmen:1. WahlvorschlagHütscher 391gültige Stimmen2. WahlvorschlagKrohn 410gültige Stimmen3. WahlvorschlagStockmann 593 gültige Stimmen4. WahlvorschlagJunge 1146 gültige Stimmen

FolgendeBewerberwurdensomitzuAbgeordneten gwählt:1) Lehrer Otto Krohn,Albersdorf2) HofbesitzerLudwig Stockmann, Hof Altona3) Fischer Wilhelm Junge, Grömitz4) Zimmerer Franz Wildfang, Kellenhusen

Amtliche Bekanntmachung des Wahlkommissars B.Meiervom 13.Mai 1919 im Kreisblatt des Kreises Oldenburg, Jg.1919, Seite 404, für den Wahlbezirk IV, Bekanntgabe desWahlkommissars Hagen vom 10.Mai 1919, Seite 372. ImWahlbezirk IV, der die gesamte InselFehmarn ohne die StadtBurgumfaßte, erhielten der Wahlvorschlag Becker 1194 gül-tigeStimmen sowiederWahlvorschlagPrüß 1189gültige Stim-men.

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Hier wurden alsKreistagsabgeordnete gewählt1) HansBecker,Petersdorf a.F., Landmann2) PeterBjörnsen,Sulsdorf a.F.,Lehrer3) JuliusPrüß, Petersdorf a.F., Gastwirt

Schreiben des Landarbeitersekretärs FriedrichHansen an denLandratin der AkteLAS Abt. 320 Oldenbrug Nr.465. Dort heißt esu.a.:

„Wzemirsoebenmitgeteilt wird,sindaufdem Gutedes HerrnGutsbesitzers Struckmann inGaarzKündigungen von2Arbei-tern vorgenommen worden.Dereine, namensStephan, ist Vor-sitzender des Landarbeiterverbandes und der andere, namensBartels, MitglieddesArbeiter-Ausschusses. Welche Gründe zurKündigung vorliegen, istmir nichtgenaubekannt.Es zeigt sichaber vielfach, daß immer geradeLeute, welchefür unsere Orga-nisation tätig sind, vondenKündigungen betroffen werden.

Damir aberaußerordentlich vieldaran liegt, daß wirinunse-rer Provinz Ruhe und Ordnung haben, um unsereErntenher-einzuschaffen, halte ich es von seilen der Gutsbesitzer für tak-tischunklug, gerade indieser ZeitKündigungen vorzunehmen.Habeauchheutemorgenschonmit demHerrnRegierungspräsi-denten diesen Fall besprochen und handle mit demselben imEinverständnis, wenn ich die dringende Bittean Sie richte, indiesem Fallvermittelnd einzugreifen.

Habe ebenfalls anden ArbeiterStephan geschrieben, daß ichmichandasLandratsamtgewandt habe, unddenselbengebeten,einen Streik vorläufig mitallenMittelnzu unterdrücken.

Hochachtungsvoll!Fr.Hansen

NB. Die Arbeiter desbetreffenden Gutes habenmir mitgeteilt,falls dieKündigung derbeiden Arbeiternicht zurückgenommenwird, sie geschlossen indenStreik treten wollen.

D. O."Der in diesem Schreiben angesprochene Arbeiter Bartels

gehörtederUSPD an. Auf Platz 2derListe kandidierteer fürdie USPD zur Kreistagswahl 1921 (der Verfasser).

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