Heft 04 2013 final v2 - Verlag Barbara Budrich

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Inhaltsverzeichnis

Haushalt in Bildung amp Forschung | 2 Jahrgang 2013 | Heft 4 1

Ursula Buchner Editorial 2

Ursula Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche 3

Silke Bartsch und Petra Buumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung 18

Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene 32

Larissa Kessner und Melanie Braukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen 42

Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und der Mahlzeitengestaltung 49

Silke Bartsch und Jana Brandstaumltter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung 61

Gabriela Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft 72

Brigitte Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz 83

Sigrid Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen 94

Ute Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche 105

Regine Bigga Rezension Ernaumlhrungs- und Konsumbildung 117

Editorial

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Der Unterricht in der Schulkuumlche eroumlffnet ein weites Lernfeld Dementsprechend vielfaumlltig sind die Aspekte die im Rahmen der Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis und den (schul)praktischen Studien in der Lehramtsausbildung als relevant erachtet werden

Mit einer Taxonomie der Lernwege wird versucht Ernaumlhrungspraxis bdquoals Gan-zesldquo zu denken und grundlegende Paradigmen die dem Handeln in der Schulkuumlche zugrunde gelegt werden koumlnnen aufzuzeigen Wie Puzzleteile fuumlgen sich die ein-zelnen Beitraumlge zum Thema bdquoDie [Schul-]kuumlche als Lernortldquo ins Gesamte ein grei-fen bedeutsame Teilaspekte und Handlungsphasen auf oder betrachten diese aus unterschiedlichen Perspektiven

Silke Bartsch und Petra Buumlrkle skizzieren konstitutive Eckpfeiler des Unter-richts in der Schulkuumlche wie Raum (Ausstattung) Zeit und Phasen im Handlungs-ablauf Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann zeigen wie kompe-tenzorientiertes Lernen an einem konkreten Thema ndash Hygiene ndash umgesetzt werden kann Gute Leittexte unterstuumltzen eigenstaumlndiges Handeln die Kuumlchenkartei erfuumlllt diesen Anspruch so die Ausfuumlhrungen von Larissa Kessner und Melanie Brauk-mann

Der Lernbereich Ernaumlhrung ist nicht nur aufgrund des Inhalts sondern auch aufgrund der Unterrichtsorganisation ein Traumlgerfach fuumlr soziale Bildung Im fach-praktischen Unterricht muumlssen fuumlr soziales Handeln keine bdquokuumlnstlichenldquo Lernanlaumls-se geschaffen werden kooperative und kommunikative Prozesse ergeben sich un-mittelbar aus dem gemeinsamen Tun in der Schulkuumlche

Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies erweitern den Blick bei der Nahrungszubereitung in der Schule um den kulturellen Deutungszusammenhang Silke Bartsch und Jana Brandstaumltter inspirieren mit erlebnispaumldagogischen Ansaumlt-zen und Gabriela Leitner mit Reflexionen zu Gastfreundschaft Brigitte Mutz fo-kussiert in ihrem Beitrag den Erwerb von Sozial- und Selbstkompetenz beim Ar-beiten in der Groszligkuumlche

Waumlhrend Sigrid Kuumlstler quasi den Input den Schritt vom Wissen zum Handeln beleuchtet widmet Ute Bender sich in ihrem Beitrag dem bdquoOutcomeldquo und stellt das Portfolio als Moumlglichkeit vor den vielfaumlltigen Lernhandlungen gerecht zu werden

Ursula Buchner fuumlr das Redaktionsteam Thematisches Netzwerk Ernaumlhrung (Oumlsterreich)

Gerda Kernbichler Sigrid Kuumlstler Gabriela Leitner Brigitte Mutz Heidemarie Wagner

Taxonomie der Lernwege

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Ursula Buchner

Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche Mit dem Anspruch eines handlungsorientierten Unterrichts in der Schulkuumlche stellt sich die Frage welcher Erkenntnisgewinn uumlber welche Art von Handlungen erschlossen werden soll Die Vielfalt moumlglicher Lernwege in der Schulkuumlche soll in eine didaktisch begruumlndete Ord-nung gebracht werden die als Orientierungshilfe in der fachdidaktischen und schulprakti-schen Ausbildung fuumlr Planung und reflektierende Praxis gleichermaszligen dienen kann

Schluumlsselwoumlrter Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis (schul-)praktische Studien Paradigmen Konzeptionen fuumlr handlungsorientierten Unterricht

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1 Ausgangslage

11 Schulrechtliche Rahmenbedingungen

sbquoErnaumlhrung und Haushaltlsquo (EH) ist als Pflichtfach in der Stundentafel der Neuen Mittelschule (NMS) verankert Die schulautonomen Stundentafeln weisen dem Fachunterricht in EH einen Gestaltungsspielraum von 1-4 Stunden zu waumlhrend in den subsidiaumlren Stundentafeln je nach Schwerpunktbereich1 1 bzw 3 Wochenstun-den fuumlr den EH-Unterricht vorgesehen sind (BMUKK 2012 S 17f) wobei Unter-richtsgegenstaumlnde mit weniger als zwei Wochenstunden in groumlszligeren Einheiten geblockt gefuumlhrt werden koumlnnen (BMUKK 2012 S 22)

Im Rahmen schulautonomer Lehrplanbestimmungen koumlnnen die in sect21b SchOG geregelten Schwerpunktbereiche naumlher ausgestaltet bzw auch andere Schwerpunkte gesetzt werden Auch ein Zusammenlegen von Unterrichtsgegen-staumlnden ist moumlglich Grundsaumltzlich bestehen vielfaumlltige Moumlglichkeiten einer Schwerpunktsetzung in denen das Fach sbquoErnaumlhrung und Haushaltlsquo seinen Beitrag zur Allgemeinbildung einbringen kann Fuumlr jede Art der Schwerpunktsetzung ist jedenfalls ein sachlich fundiertes Gesamtkonzept zu erstellen (BMUKK 2012 S 14-16)

In diesem Sinne werden im Folgenden grundlegende didaktische Konzeptionen fuumlr den fachpraktischen Unterricht in der Schulkuumlche (NMS Sek1) vorgestellt die dem fachdidaktischen Grundsatz bdquoDie praktische Anwendung von Erkenntnissen ist ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts in Ernaumlhrung und Haushaltldquo (BMUKK 2012 S 97) Rechnung tragen

Taxonomie der Lernwege

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12 Taxonomie der Lernwege

Unterricht ist ein houmlchst komplexes Geschehen viele Bedingungsfaktoren stehen in wechselseitiger Beziehung und Ruumlckkoppelung (Helmke 2010 S 73) Im Rah-men ihrer schulpraktischen Ausbildung lernen die Studierenden Modelle und Stra-tegien kennen mit deren Hilfe sie die Vielfalt der Wirkungsfaktoren von Unter-richt handhaben lernen sollen Didaktische Analysen Situationsanalysen Zieldefinitionen und Kompetenzbeschreibungen Methodenanalysen sowie das im Zuge der NMS-Unterrichtsentwicklung als bdquoruumlckwaumlrtiges Lerndesignldquo bezeichnete Planungsinstrument sind Werkzeuge die auch zur Planung und Gestaltung des Fachunterrichts in der Schulkuumlche angewendet werden sollen

Zahlreiche facheinschlaumlgige Publikationen argumentieren die Anschlussfaumlhig-keit des Lernens in der Schulkuumlche an neuere didaktische Paradigmen wie Kon-struktivismus kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Neurodidaktik Subjekto-rientierung selbstgesteuertes Lernen und Aufgabenkulturen schluumlssig und untermauern die Ausfuumlhrungen mit fachbezogenen Praxisbeispielen Was fehlt ist ein in sich konsistentes Konzept fuumlr die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung ndash zumindest ist der Autorin kein solches bekannt

Die hier vorgestellte Taxonomie versteht sich als Klassifikationsschema moumlgli-cher Lernwege in der Schulkuumlche Sie reduziert die Komplexitaumlt der Unterrichts-wirklichkeit auf maszliggebliche Planungsgroumlszligen und erfuumlllt damit eine Orientierungs-funktion sowohl fuumlr eine reflektierende Unterrichtspraxis als auch fuumlr die Unterrichtsplanungen der Studierenden fuumlr Dozentinnen und Dozenten im Ausbil-dungsteam und Praxislehrpersonen die nur phasenweise im Rahmen der schul-praktischen Studien in den Ausbildungsprozess eingebunden sind Sie gibt fach-fremden Kolleginnen und Kollegen die im Rahmen innovativer Schul- und Unterrichtsprojekte gemeinsame Lernfelder entwickeln einen uumlbersichtlichen Ein-blick in die fachspezifischen Bildungsanliegen

Mit der Beschreibung der Lernwege ist keine Wertung verknuumlpft Es soll die Vielfalt moumlglicher Schwerpunktbildungen und das allgemein bildende Potential des Unterrichts in der Schulkuumlche aufgezeigt werden Die hier vorgestellte Taxo-nomie der Lernwege erhebt auch keinen Anspruch auf Vollstaumlndigkeit Vielmehr ist die Hoffnung verbunden dass uumlber den kollegialen hochschuldidaktischen Dis-kurs ein taugliches erweiterbares Fundament fuumlr die fachdidaktische und (schul)praktische Ausbildung entwickelt werden kann

2 Handelnd lernen ndash Handeln lernen

Als Antwort namhafter Reformpaumldagogen auf das passiv-rezeptive Lernen in der obrigkeitsorientierten Pauk- und Drillschule entstanden eine Reihe von Konzepten (Anschauungspaumldagogik Arbeitsschulbewegung Lebensweltorientierung usw)

Taxonomie der Lernwege

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und Methoden (Projektunterricht Freiarbeit Leittext-Lernen Planspiele problem-basiertes Lernen Werkstattarbeit usw) die fuumlr sich den Anspruch erheben bdquoganzheitlichesldquo Lernen (Lernen mit Kopf Herz und Hand ndash Johann Heinrich Pestalozzi 1746-1827) zu foumlrdern um muumlndige vernunftbegabt entscheidungs- und handlungsfaumlhige Individuen hervorzubringen (Aebli 1997 Gudjons 2001 Hackl 1990 Stoumlring 2007)

Die Form der aktiv-handelnden Wissensaneignung erfaumlhrt aktuell durch neu-rowissenschaftliche Erkenntnisse quasi einen Legitimationsschub wenngleich aus dem bdquopraktischenldquo Taumltigsein per se (bzw aus dem Sichtbarmachen beteiligter Hirnregionen) noch kein Bildungsgehalt begruumlndet werden kann

bdquoWer gut zu arbeiten lernt kann auch sich selbst regieren und ein guter Staatsbuumlrger werdenldquo(Sennett 2009 S 356) Selbststaumlndigkeit und Selbstverant-wortlichkeit im Handeln ndash das gesellschaftspolitische Ziel von (Allgemein)Bildung (im zeitgeschichtlichen Kontext Aufklaumlrung Muumlndigkeit Emanzipation genannt) ndash soll Buumlrger und Buumlrgerinnen zur aktiven Teilhabe (Partizipation) an demokrati-schen Gesellschaften und zum Aufbau nachhaltiger Entwicklungen befaumlhigen (Education for Democratic Citizenship2)

21 Didaktische Prinzipien fuumlr handlungsorientierten Unterricht

Handlungen sind mehr als Fertigkeiten es sind zielgerichtete in ihrem inneren Aufbau verstandene Vollzuumlge die ein fassbares Ergebnis erzeugen (Aebli 2011 S 182)

Unter handlungsorientiertem Unterricht werden Verfahren subsummiert bei wel-chen Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht bzw moumlglich wird (Gudjons 2001)

Unter Handlungen werden zielgerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrneh-mungen konkrete Operationen und intellektuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Aebli 2011 Baumgartner 2011 Flechsig 1991 Gudjons 2001 Peterszligen 2009 Riedl 2011)

22 Handeln lernen in der Schulkuumlche

221 Fertigkeiten erwerben

Ausdruumlcklich weist Peterszligen (2009 S 144) darauf hin dass nicht von handlungs-orientiertem Unterricht gesprochen werden kann wenn auf Anweisung von auszligen die Durchfuumlhrung einer Taumltigkeit eigenstaumlndig vorgenommen wird

Taxonomie der Lernwege

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Tab 1 Merkmale von Handlungen (Quelle Edelmann 2000 Gudjons 2001 Peterszligen 2009)

Merkmal Erlaumluterungen

zielgerichtet Lernen muss Sinn haben ein sinnstiftendes Ziel eine bewaumlltigbare Aufgabenstellung eine selbst gestellte (motivierende) Herausforderung Es gibt Leitlinien (Kriterien fuumlr den Prozess fuumlr das Produkt) die indizieren ob und wie das Ziel erreicht wurde Das Ziel ist realistisch (angemessenes Anspruchsniveau) dh es muss mit den zur Verfuumlgung stehenden Mitteln Fertigkeiten und der Zeit auch erreichbar sein

geplant Ein Handlungsschema wird entwickelt Teilhandlungen werden in einen groumlszligeren Sinnzusammenhang gebracht Effizientes Handeln ist dabei stabil-flexibel (grundsaumltzliches Festhalten am Ziel bei variablen Eingehen auf situative Bedingungen) Bei der Faumlhigkeit zur Antizipation von Handlungsablaumlufen und Handlungsergebnissen stoszligen Lernende naturgemaumlszlig an ihre Grenzen

selbststaumlndig Die Entwicklung eines Denk- und Handlungsschemas liegt in der Verantwortung des Lernenden die Handlungsplanung wird nicht von der Lehrkraft vorgegeben Allerdings sind Hilfestellungen notwendig wo liegt das Problem im Handlungsablauf (vgl Denkfoumlrderung in Dubs 2009) Selbstaumlndig muss nicht bdquoalleineldquo heiszligen Die Abstimmungsprozesse und Entscheidungen die in Lerngruppen zu treffen sind sind konstitutive Merkmale handlungsorientierten Lernens beduumlrfen jedoch auch der Instruktion (Helmke 2010 S 207-208)

vollstaumlndig Handlungen umfassen grundsaumltzlich Planung Durchfuumlhrung und Kontrolle Das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung ist zum Aufbau von Verantwortlichkeitskonzepten unumgaumlnglich

mehrperspektivisch

Die Lernenden wechseln die Perspektive sie sind Ausfuumlhrende und Beurteilende des Handlungsablaufs und Handlungsergebnisses Handeln wird von Metakognitionen begleitet Sprechen uumlber das Tun foumlrdert den Erkenntnisgewinn uumlber das Tun

Lernen am Modell durch Beobachtung und vor allem das nachahmende Uumlben ist wirksames Lernen ndash wenn die Lehrerdemonstration gut ist (Dubs 2009 S 187) Auch in der Schulkuumlche fertigen die Lernenden planvoll und gezielt ein Produkt (eine Speise) nach vorgegebener schriftlicher muumlndlicher und praktischer Anlei-tung an Hier sind nicht erarbeitende problemloumlsende Unterrichtsverfahren son-dern darbietende Methoden hilfreich die sich auf eine Grundkompetenz im Lehr-

Taxonomie der Lernwege

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beruf naumlmlich klare und gut nachvollziehbare Anleitungen geben zu koumlnnen stuumlt-zen (vgl dazu Grundform 2 Vormachen in Aebli 2011 S65-80 vgl dazu Ausdrucksstarke Anleitungen in Sennett 2009 S240-284) Tab 2 Fertigkeiten lernen (nach Peterszligen 2009)

Schritte im Lernprozess

Anforderungen Hilfestellungen wo liegt das Problem

Planung Ruumlsten des Arbeitsplatzes Koordination der einzelnen Arbeitsschritte Hilfestellungen zum Leseverstaumlndnis bei schriftlichen und graphischen Rezept-Darstellungen gute Visualisierung des Zielzustandes um die Antizipation desselben zu unterstuumltzen

Durchfuumlhrung Gute (muumlndliche schriftliche praktische) Schritt-fuumlr-Schritt Anleitungen gute Demonstrationen (Vormachen-Nachmachen) mit begleitendem Sprechhandeln (Dubs 2009 S 187-188) Vorausschauendes Eingreifen zur Korrektur von fachlichen Fehlern bei kritischen Gefahrenpunkten um auch ein Sicherheits- und Hygienebewusstsein aufzubauen Vgl Direktes Unterricht nach Grell J in Wiechmann 1999 S 35-49 Instruktion und Unterweisung in Terhart 1989 sowie die Ausfuumlhrungen in Sennett 2009 zu bdquoDie Handldquo S 201 und bdquoFaumlhigkeitldquo S 355)

Bewertung Auswertung der Ergebnisse Produkt- und Prozesskriterien Selbst- und Fremdkontrolle

Das Ziel naumlmlich den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten kann im Arbeitsunter-richt nur durch wiederholten Vollzug erreicht werden (Baumgartner 2011)

bull Uumlbung aumlhnliche Inhalte Aufgaben haben eher exemplarischen Charakter bull Drill Uumlberlernen durch Wiederholen (gleicher Inhalt sehr oft sehr lange)

sodass die Taumltigkeiten quasi bdquoautomatischldquo in die Handlung einflieszligen (zB Schneidetechniken Hygiene Sicherheit Ordnungsarbeiten)

bull Training schrittweise Leistungssteigerung bei gleichem Inhalt mit steigen-den Anforderungen

bull Probehandeln Handeln im bdquoAls-ob-Modusldquo wie es in der berufliche Bil-dung im Rahmen von Groszligkuumlchenunterricht der Fall ist (vgl dazu das Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung)

Dass bdquoArbeiten ohne Anleitungldquo als bdquokreativesldquo Tun interpretiert wird ist ebenso vermessen wie von sporadisch durchgefuumlhrten praktischen Taumltigkeiten schon Koumln-nerschaft zu erwarten Kreativitaumlt setzt Koumlnnerschaft voraus in groszligen Zeitabstaumln-den (woumlchentlich vierzehntaumlgig) einmalig durchgefuumlhrte praktische Taumltigkeiten fuumlhren sicher nicht zur Ausbildung von Routinen

Taxonomie der Lernwege

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222 Handeln lernen

Tab 3 vollstaumlndige Handlungen (kompiliert aus Peterszligen 2009 S 20 S 45 S 173)

Schritte im Handlungs-ablauf

Wo liegt das Problem Wo werden Lernhindernisse auftreten

Methodische Hilfestellungen

Informieren Ist der Arbeitsauftrag bzw Arbeitsumfang klar Muumlndliches und schriftliches Sprachverstehen Sind Lernende in der Lage den Zielzustand zu antizipieren

Leittexte (Leitfragen Leitsaumltze) Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lesetraining Bilder die den Zielzustand zeigen

Beraten und Entscheiden

Soziale Organisation in der LerngruppeLernpartner Gemeinsam in der Lerngruppe wird das Vorgehen gedanklich durchgespielt Partnerschaftliche Arbeitsteilung Zustaumlndigkeiten und Verantwortlichkeiten werden geregelt

Zufallsprinzip (Lose) Zuweisung oder freie Wahl Bild- und Textkarten zum Legen der Handlungsabfolge Checklisten fuumlr einzelne Taumltigkeiten

Ausfuumlhren Sachlogische Reihenfolge Vorarbeiten ndash Durchfuumlhrung ndash Nacharbeiten Fehler sofort korrigieren damit sich keine falschen Routinen einschleichen Zu den Vollendungsarbeiten zaumlhlt nicht nur das Anrichten und Praumlsentieren der Speisen sondern ebenso das Aufraumlumen des Arbeitsplatzes (bdquoNacharbeitenldquo)

Orientierung in der Kuumlche (Inventarsysteme) und angemessen ausgestattete Arbeitsplaumltze Bildtafeln fuumlr grundlegende Arbeitstechniken

Kontrollieren Schon waumlhrend der Handlung wird das Endprodukt mit dem Zielzustand verglichen Wie kann eigenstaumlndig das Erreichen des Zielzustandes festgestellt werden

Kontrollboumlgen mit Indikatoren die anzeigen wann der Zielzustand erreicht ist

Bewerten Produkt fachlich-sachliche Richtigkeit des Handelns Prozess soziales Verhalten (Kommunikation Kooperation Konfliktbewaumlltigung) Entwicklung von Bedeutsamkeits- und Verantwortlichkeitskonzepten

Gelenktes Fachgespraumlch Pensenbuch Lernpass zur Selbstbewertung ICH habeWIR haben

Taxonomie der Lernwege

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Die einzelnen Phasen im Handlungsablauf bieten sich als Anker sowohl fuumlr die schulpraktischen Vor- und Nachbereitungen fuumlr die Fachpraxis also auch fuumlr die Foumlrderung des metakognitiven Bewusstseins (zB Dubs 2009 S 328-341) bei Ler-nenden an

Die Handlung bdquoNahrung zubereitenldquo umfasst neben den einschlaumlgigen hand-werklich-technischen Kuumlchenfertigkeiten auch das Kuumlchenmanagement (Arbeits-organisation unter Beachtung von Sicherheits- und Hygienerichtlinien bei Beschaf-fung Lagerung Zubereitung Aufbewahrung und Ausgabe von Speisen) sowie das Gestalten von Essenssituationen unter Beruumlcksichtigung kultureller Fragen subjek-tiver Motive und Problemlagen menschlichen Ernaumlhrungshandelns Auch wenn Alltagssituationen wie die taumlgliche Ernaumlhrungspraxis gerne trivialisiert werden die Zubereitung einer Tagesmahlzeit ist ein anspruchsvoller weil komplexer Lernan-lass fuumlr eine Lerngruppe gekennzeichnet durch Polytelie und Paradigmenvielfalt

3 Ernaumlhrung ndash ein weitlaumlufiges Lernfeld

Die Ernaumlhrung des Menschen ist ein weitlaumlufiges Wissensgebiet mit zahlreichen Bezugswissenschaften die sich spezielleren Fragen der Ernaumlhrung des Menschen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven methodischen Zugaumlngen Arbeitsweisen und theoretischen Modellen unter Ruumlckgriff auf die einschlaumlgigen fachlichen Sys-tematiken und Begrifflichkeiten zuwenden Von Atomen und Elementen uumlber Zell-strukturen biologischer Organismen bis hin zu sozialen Gruppen Gesellschaften und Zivilisationen werden saumlmtliche Wissensgebiete durchlaufen Physik Chemie Biologie Psychologie Soziologie und Kulturwissenschaften liefern eine Fuumllle von Theorien und Gesetzmaumlszligigkeiten

Weil die Ernaumlhrung des Menschen in Verbindung mit allen Lebensbereichen steht spricht der Soziologe Marcel Mauss (1968 S 17) von einem totalen gesell-schaftlichen Phaumlnomen bei dem alle Arten von Institutionen gleichzeitig zum Ausdruck kommen religioumlse rechtliche moralische oumlkonomische aumlsthetische ebenso wie technisch-instrumentelle Aus dieser Tatsache leitet sich auch der An-spruch an Ernaumlhrungsbildung in der Schule ab diese nicht auf normative Ernaumlh-rungserziehung zu reduzieren und zu verzwecken (bdquoHauptsache gesundldquo) sondern Bildung im Sinne der Faumlhigkeit die Phaumlnomene der Welt aus unterschiedlicher Perspektive bdquolesenldquo zu koumlnnen (Dressler 2006) zu verstehen

Eine in diesem Sinn verstandene Ernaumlhrungsbildung (nutrition literacy) soll zu einem reflektierten Verhaumlltnis zu sich zur Sache und zur Welt fuumlhren (Buchner 2013 S 9)

31 Praxis Anwendung welchen Wissens

Schulisches Lernen im Lernfeld Ernaumlhrung ist einer angewandten Lehre und hand-lungsorientierten Didaktik verpflichtet und Ernaumlhrungspraxis im Sinne von Nah-

Taxonomie der Lernwege

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rungszubereitung ist seit jeher ein zentrales Element im Fachunterricht Die uumlber die unmittelbare sinnaumlsthetische Erfahrung beim praktischen Tun zwangslaumlufig hervorgerufene emotionale Beteiligung die jeden Lernprozess begleitet ist eine nicht zu unterschaumltzende Qualitaumlt des Lernens in der Schulkuumlche

Wenn in Anlehnung an Weinert (1998) bdquoguterldquo Unterricht jener ist in dem bdquomehr gelernt als gelehrt wirdldquo3 dann koumlnnte man annehmen dass praktischer Unterricht in der Schulkuumlche per se bdquogutldquo ist weil hier vielfaumlltige Lernhandlungen stattfinden Beim Lob der Praxis wird ja stets auch darauf hingewiesen dass das bdquoVieleldquo eben nicht zur Gaumlnze formal definiert werden kann und gelingende Unter-richtsverlaumlufe einen Schatz impliziten Wissens Einstellungen und Haltungen (vgl Definition Kompetenz) sichtbar machen der auch Schuumllerinnen und Schuumllern mit weniger uumlberzeugenden formalen Lernleistungen eine gute Performanz beschei-nigt

Angesichts der Komplexitaumlt sowohl des Lerninhalts Ernaumlhrung des Menschen als auch der Vielfalt moumlglicher Lernerfahrungen beim Handeln in der Schulkuumlche erachte ich es fuumlr die Studierenden in der Ausbildung als notwendig eine grundle-gende (fach)didaktische Frage als Schluumlssel fuumlr die fachspezifische Unterrichtspla-nung in den fachpraktischen Uumlbungen zu klaumlren

Um die Anwendung welchen Wissens geht es

Welche Denkprozesse sollen gefoumlrdert werden und werden daher bei der jeweili-gen praktischen Anwendung in den Fokus gestellt Neben der Analyse der allge-meinen situativen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen lautet die inhaltliche Pruumlffrage unterstuumltzt der besondere Bildungsgehalt des ge-waumlhlten Themas das angestrebte Ziel des Fachunterrichts in der Schulkuumlche

Geht es um die Foumlrderung von sozial-integrativem Verhalten (agrave Soziales Ler-nen) von sinnerfassendem Lesen einer Rezeptanleitung (agrave Schluumlsselkompetenz mutter- oder fremdsprachliche Kompetenz) und Selbststaumlndigkeit in der Arbeitsor-ganisation (agrave Denk- und Handlungsstrategien entwickeln) oder agrave Kulturtechnik und kulinarisches Handwerk in der Kuumlche technisch-praktischem Verstaumlndnis bei der Nahrungszubereitung (agrave angewandte PhysikChemieTechnik) der Unterstuumlt-zung eines neugierig fragend- und forschenden Interesses bei 10-14jaumlhrigen (agrave naturwissenschaftliches Weltverstehen) oder um Meinungsbildung als Basis muumln-diger Entscheidungen (agrave politische Bildung)

Dementsprechend unterschiedlich sind dann auch die theoretischen Grundla-gen auf denen die Unterrichtsplanung basiert Professionalitaumlt im Lehrberuf entwi-ckelt sich wenn das Handeln in komplexen Ausbildungssituationen zu einem sys-tematischen Unterfangen wird bei dem die Studierenden sowohl das Spezifische einer Situation (Praxis) als auch das hinter dem konkreten Fall liegende Allgemei-ne (das potenziell Generalisierbare ndash die Theorie bzw das Paradigma) zu erken-nen vermoumlgen (vgl EPIK 2009)

Taxonomie der Lernwege

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32 Ernaumlhrungspraxis

Grundlage zur Definition von Ernaumlhrungspraxis4 sind der Lehrplan der Sekundar-stufe 1 sowie die im Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich (EVA) ausgewiesenen Inhalts- und Handlungsdimensionen der ein-zelnen Teilkompetenzen Tab 4 Das Verstaumlndnis von Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung fuumlr die

Sekundarstufe 1

Ernaumlhrungsbildung - Teilkompetenzen (EVA)

Daraus abgeleitete Inhalte und Handlungsdimensionen fuumlr die fachpraktischen Uumlbungen

Das eigene Essverhalten reflektieren und bewerten

Ernaumlhrungsbiografien im Spiegel von Raum (lokal-global) Zeit (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und Person (intra- und interpersonale Faktoren - psychische soziale und kulturelle Einfluumlsse auf das individuelle Essverhalten) verstehen Paradigma ein metakognitives Bewusstsein entwickeln

Sich vollwertig (bedarfsgerecht) ernaumlhren koumlnnen

Evidenz basiertes Wissen uumlber die Inhaltsstoffe unserer Nahrung (Bedarf Aufgaben Vorkommen in Lebensmitteln kuumlchentechnische Eigenschaften) erwerben Paradigma naturwissenschaftliches Verstehen foumlrdern

Eine empfehlenswerte Lebensmittelauswahl treffen

Entscheidungen zur Auswahl von Lebensmitteln aus dem Essenskreisder Ernaumlhrungspyramide nach differenzierten Gesichtspunkten argumentieren (Preis Umwelt- und Sozialvertraumlglichkeit Gesundheitswert Genusswert) Paradigma Urteils- und Handlungsfaumlhigkeit in divergenten Wirklichkeiten

Nahrung naumlhrstoffschonend zubereiten

Gartechniken uumlben bzw erproben (Sicherheit Hygiene Kulturtechniken im Vergleich) Physikalisch-chemische Phaumlnomene bei der Nahrungszubereitung erkennen und nutzen (angewandte Naturwissenschaften) Paradigma handwerklich-technische Fertigkeiten erwerben (effizientes und effektives Arbeiten)

Ernaumlhrung im Alltag nachhaltig und gesundheitsfoumlrderlich gestalten

Haushaltsmanagement Tagesmahlzeiten planen und zubereiten gemeinsam Essenssituationen gestalten (Esskultur lernen) Paradigma selbststaumlndiges und sozial-integratives Handeln lernen

Taxonomie der Lernwege

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Aufgrund der eingangs geschilderten Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschu-le werden sich die fachpraktischen Uumlbungen im Schulunterricht einem ausgewaumlhlten Verstehensweg zuwenden muumlssen Um einem umfassenden Bildungsanspruch ge-recht zu werden werden die Studierenden in der Fachdidaktik angehalten mittelfris-tige Planungen (5-6 Einheiten) als Basismodule und Erweiterungsangebote zu konzi-pieren die jeweils einen relevanten Ausschnitt der Ernaumlhrungspraxis in den Fokus stellen Diese Reduktion und Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg in den fachpraktischen Uumlbungen wird im Folgenden didaktische Konzeption genannt

4 Didaktische Konzeptionen fuumlr die Fachpraxis

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Lernwege besteht in dem der Hand-lung zugrundeliegendem Paradigma bdquoWorin liegt der besondere Erkenntnisge-winn Was soll der Schuumllerdie Schuumllerin tunldquo Das Paradigma oder die Kernidee beschreibt das was letztlich erreicht und verstanden werden soll und ndash salopp for-muliert ndash auch noch nachdem die Schulkuumlche verlassen wurde angewendet werden kann

Worin besteht das Besondere was enthaumllt dieser Lernweg als bestimmende Ka-tegorie und worin unterscheidet er sich von anderen Als Deskriptoren werden in der als Matrix dargestellten Taxonomie modelltypische Phasen im Unterrichtsver-lauf skizziert die fuumlr das Erreichen der Zielvorgabe (Faumlhigkeitsbereich) unabding-bar sind Moumlgliche Themen geeignete Sozialformen typische Lernaufgaben sowie das Lernen unterstuumltzende Materialien ergaumlnzen die Uumlbersicht beispielhaft Jeder Lernweg verlangt dass sich die Studierenden neben der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung des gewaumlhlten beispielhaften Lerninhaltes mit den jeweils spezifischen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Bedingtheiten des ge-waumlhlten Paradigmas befassen und die subjektiven Lernvoraussetzungen ihrer Schuuml-lerinnen und Schuumller mit einbeziehen

Lernprozesse die wir im Unterricht ausloumlsen und steuern sollen dem Schuumller [sic] in der Regel neue Moumlglichkeiten des Handelns und des Erlebens also des Denkens Fuumlhlens und Wertens eroumlffnen Sie sollen sich in einem Wissen niederschlagen aus dem der Schuumller [sic] in neuen Situationen richtig zu handeln und zu urteilen vermag und das ihn befaumlhigt emotional angepasst zu reagieren und Dinge die Gegenstand von Wertungen sind richtig zu beurteilen (Aebli 2011 S 277)

Die Taxonomie der Lernwege fuumlr die Fachpraxis trifft keine Werturteile Jede hier verortete didaktische Konzeption ist per se zulaumlssig weil sie den Vorgaben des Lehrplans entspricht und dem Referenzrahmen Ernaumlhrungsbildung zuarbeitet Le-diglich im gegebenen situativen Kontext ist eine Konzeption mehr oder weniger zielfuumlhrend Die Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg fuumlr zumindest 5-6 Lehreinheiten (mittelfristige Planung mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Lehreinheit) erscheint jedoch notwendig um eine Kompetenzentwicklung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden uumlberhaupt zu ermoumlglichen

Taxonomie der Lernwege

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Tab 51 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (1)

Kategorie NAWI-Lernfeld GESO-Lernfeld

Paradigma Naturwissenschaftliches Den-ken

(Moralische) Urteilsbildung

Modellphasen Muster im Lernweg

1 Beobachten und Wahrneh-men (mit allen Sinnen) 2 Beschreiben (messen wiegen analysieren) Wahrnehmungen objektivieren 3 Ursache-Wirkungs-Gesetzmaumlszligigkeiten erforschen Versuche und Experimente in der Kuumlche (wenn ndash dann) 4 Schlussfolgerungen fuumlr die Nahrungszubereitung (Transfer in den Kuumlchenalltag)

1 Beobachten und Wahrnehmen relevante Kriterien fuumlr die unterschiedlichen Kategorien von Lebensmittelqualitaumlt 2 Vergleiche nach differenzierten Gesichtspunkten das eine und das andere 3 Folgen einer Entscheidung abschaumltzen (Szenarien antizipie-ren) 4 Bewerten und begruumlnden (Rangreihen bilden)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Naturwissenschaftliche Phaumlno-mene im Alltag erkennen und nutzen

Argumentieren die den Normen zugrunde liegenden Werte vertreten

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Mit allen Sinnen wahrnehmen und genieszligen Die Inhaltsstoffe unserer Nah-rung bdquoerforschenldquo Angewandte Chemie Physik Technik in der Kuumlche

Lebensmittelgruppen und Ernaumlhrungsempfehlungen aus differenzierter Sicht (Gesundheit Nachhaltigkeit Kultur) Lebensmitteltechnologien Kaufen oder Selbermachen

Sozialform EA PA EA PA KG

Lernaufgabe Forschungsfragen Fallbeispiel

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Beurteilungsboumlgen fuumlr Sensori-sche Tests Merksaumltze bdquoFor-schungsfibelnldquo

Visualisierungshilfen fuumlr Kategorien Guumltesiegel fuumlr Nachhaltigkeit Entscheidungs-Matrix

Hinweise (1) Der sinnaumlsthetische Zugang ndash der quasi bdquonatuumlrlichsteldquo Zugang zur Ernaumlhrung des Menschen (vgl Buchner Kernbichler amp Leitner 2011 S 66) ndash wird als fachspezifische Methode verstanden die in allen Konzeptionen zum Ein-satz kommt (sensorische Bewertung der hergestellten Speisen Verkostungen Wa-rentests vergleichende Produktbewertungen) aber per se noch kein Paradigma erschlieszligt (2) Da das biografische Lernen nicht an den Lernort Schulkuumlche gebun-den ist findet dieser Praxisbezug keinen Einzug in die Taxonomie

Taxonomie der Lernwege

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Tab 52 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (2)

Kategorie Praktisches Lernen Selbstaumlndigkeit lernen

Paradigma Fertigkeiten lernen ICH

Sozial-integratives Lernen WIR

Modellphasen Muster im Lern-weg

Arbeitsunterricht Erlernen handwerklicher Taumltigkeiten 1 Vorbereiten (Ruumlsten) 2 Durchfuumlhren der Taumltigkeit (wiederholter Vollzug) 3 Bewerten des Arbeitsergebnis-ses (Produkt Prozess)

Problemorientiertes Lernen Selbstaumlndig vollstaumlndige Handlungsablaumlufe planen ausfuumlhren und kontrollieren 1 Informieren 2 Planen 3 Entscheiden 4 Durchfuumlhren 5 Kontrollieren (Ziel er-reicht) 6 Bewerten (Produkt Pro-zess)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Effizientes und effektives Arbei-ten in der Kuumlche

Haushaltsmanagement in variierenden Alltagssituatio-nen

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Lehrgang Gartechniken Konservierung Produkte und Dienstleistungen aus der Kuumlche (Geschenke aus der Kuumlche gesunde Schuljause)

Die Mahlzeiten des Tages Die bdquoZauberformel fuumlr gesunde Ernaumlhrungldquo anwenden kulturelle Uumlbersetzungen fuumlr bdquorichtigeldquo Mahlzeiten Kulinarische Weltreisen (Gast sein hier und anderswo) Food Design

Sozialform EA PA KG

Lernaufgabe Arbeitsauftrag Problemstellung

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Leittexte Rezeptkarten Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lehrfil-me

Leittexte Checklisten zur Arbeitsorganisation zur ProduktProzessbewertung Pensenbuumlcher

Taxonomie der Lernwege

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Ausblick

Die Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschule erfordern ein forciertes Vor-gehen bei der fachspezifischen Unterrichtsentwicklung Im Rahmen ihres Studiums an der Paumldagogischen Hochschule Salzburg arbeiten die Studierenden an bdquoLehrstuuml-ckenldquo (Wiechmann 1999) fuumlr Lernwege und erproben diese Planungen im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien Die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis arbeitet der (schul-)praktischen Ausbildung zu

Zu Studienbeginn erproben Studierende kuumlrzere Unterrichtssequenzen in de-nen einerseits das Training von Fertigkeiten im Zentrum steht (gute muumlndliche schriftliche praktische Anleitungen geben koumlnnen) und andererseits die sensori-sche Produktbewertung als genuin fachspezifische Methode zur Anwendung kommt

In den Folgesemestern wird das fachspezifische Methodentraining dahingehend erweitert dass das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung im (schul)praktischen Un-terricht umgesetzt werden kann

Das NAWI und GESO Lernfeld wird in den houmlheren Semestern in denen Stu-dierende bereits uumlber einen laumlngeren Zeitraum die Klassenfuumlhrung uumlbernehmen verfolgt

Professionalitaumlt im Lehrberuf bedeutet ebenfalls dass behauptete Ursache-Wirkungszusammenhaumlnge auch empirisch bewiesen werden koumlnnen Insofern ist die Taxonomie der Lernwege auch ein Ausgangspunkt fuumlr die Generierung von Hypothesen im Rahmen einer wissenschaftsorientierten Auseinandersetzung mit Unterricht in der Schulkuumlche und seiner Bildungswirksamkeit wie dies in der ab-schlieszligenden Bakkalaureatsarbeit unter Beweis zu stellen ist

Anmerkungen 1 Naturwissenschaftlich und mathematischer Schwerpunktbereich (SP) sprachli-

cher humanistischer und geisteswissenschaftlicher SP musisch-kreativer SP (je-weils eine Wochenstunde) oumlkonomisch und lebenskundlicher einschlieszliglich pra-xisbezogener SP (drei Wochenstunden)

2 Europaumlischer Referenzrahmen Schluumlsselkompetenzen fuumlr lebenslanges Lernen [httpeceuropaeudgseducation_culturepublpdfll-learningkeycomp_depdf]

3 In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Franz E Weinert in Freund J Gruber H amp Weidinger W (Hrsg) (1998) Guter Unterricht - Was ist das As-pekte von Unterrichtsqualitaumlt (S 7-18) Wien OumlBV Paumldagogischer Verlag

4 Zur Bestimmung von Ernaumlhrungspraxis siehe auch das Glossar von REVIS

Taxonomie der Lernwege

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Literatur

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Verfasserin

Maga Ursula Buchner

Paumldagogische Hochschule Salzburg

Akademiestraszlige 23 A-5020 Salzburg

E-Mail ursulabuchnerphsalzburgat Internet wwwphsalzburgat

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Silke Bartsch und Petra Buumlrkle

Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung Den Rahmen fuumlr die Anspruumlche an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung bietet das REVIS-Bildungsziel 3 Die Nahrungszubereitung wird als ein methodischer Zugang mit vier Phasen (Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen Nachbereitung) verstanden Gezeigt wer-den soll dass aus einer theoriegeleiteten Praxis didaktisch-methodische Gestaltungsmoumlglich-keiten im Umgang mit diesen Phasen erwachsen die Lehren und Lernen erleichtern

Schluumlsselwoumlrter Schulkuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

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Einleitung

Nach dem REVIS zugrunde liegenden Bildungsverstaumlndnis von Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (EVB) hat die Fachpraxis Ernaumlhrung folgende Aufgabe bdquoDamit Fertigkeiten und Faumlhigkeiten als zentrale Elemente von Kompetenz Grundlage fuumlr eigenverantwortliches Handeln werden koumlnnen muumlssen sie theoretisch geleitet transferfaumlhig und reflektiert angeeignet genutzt und weiterentwickelt werdenldquo (Onli-ne-Glossar zur EVB1) Das dazugehoumlrige REVIS-Bildungsziel 3 legt in seiner Inter-dependenz mit dem uumlbrigen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildungscurriculum2 somit die Grundlagen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Schuumllerinnen und Schuumller sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen Dazu gehoumlrt dass sie hellip Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnen hellip Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinn-lichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumlnnen hellip Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwen-den koumlnnen hellip Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnen (Fachgruppe EVB 2005)

Damit wird ein kompetenzorientierter Anspruch an eine theoriegeleitete Fachpraxis Ernaumlhrung formuliert der uumlber die tradierte fachpraktische Nahrungszubereitung deutlich hinausgeht Gleichzeitig sehen sich viele der Lehrerinnen (und Lehrer3) in sogenannten Lehrkuumlchen stehen die nach tradierten Lernzielvorstellungen konzipiert

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sind Entsprechend unterrichten Lehrerinnen Nahrungszubereitung noch haumlufig nach tradierten Lernzielvorstellungen Trotz fantasievoller Einstiegsszenarien die den Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen suchen sind es uumlberwiegend ge-schlossen konzipierte Unterrichtseinheiten mit Lehrgangscharakter die der Systema-tik des Lehrbuches folgen Oft wird dies durch die vorgegebene Stundenaufteilung und der Raumaufteilung (Theorieraum und Schulkuumlche) bdquobegruumlndetldquo In vielen Schulen wird nach dem Muster bdquoPraxis folgt Theorieldquo unterrichtet Bei der fachprak-tischen Arbeit in den Schulkuumlchen fuumlhlen sich Lehrende vielen Belastungen ausge-setzt Geraumluschkulisse hoher Beratungsbedarf der nur selten warten kann Schuumller und Schuumllerinnen die auf das gemeinsame Essen fixiert sind und das alles im 45-Minuten-Takt Ritualisierte Unterrichtsmuster werden von vielen daher als Entlas-tung empfunden

In unserem Beitrag soll der Anspruch des REVIS-Konzepts an die Fachpraxis Ernaumlhrung zusammenfassend vor dem Hintergrund der damit verbundenen Heraus-forderungen fuumlr die Nahrungszubereitung betrachtet werden um einen Rahmen fuumlr die didaktisch-methodischen Uumlberlegungen zu umreiszligen und damit (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer zu bestaumlrken neue Wege zu gehen Entsprechend leitet fol-gende Frage unsere Ausfuumlhrungen

Welche konkreten Ansatzpunkte koumlnnen im Sinne der Kompetenzorientierung eine handlungsorientierte Nahrungszubereitung foumlrdern und gleichzeitig zur Entlas-tung der Lehrenden im Spagat zwischen Anspruch und Schulwirklichkeit fuumlhren

Dazu wird zunaumlchst die Begriffsverwendung geklaumlrt und heutige Herausforde-rungen an die Lehrenden beschrieben um dann auf der Grundlage des Anspruchs an eine kompetenzorientierte Nahrungszubereitung ausgewaumlhlte Ansatzpunkte zu den Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung zu konkretisieren

1 Fachpraxis Ernaumlhrung

11 Begriff Fachpraxis Ernaumlhrung

Da besonders im (Schul-)Alltag die Begriffe Nahrungszubereitung Fachpraxis Ernaumlhrung und zuweilen auch noch Kochen synonym verwendet werden ist erst mal zu klaumlren welche Begriffsverwendung gemaumlszlig dem Anspruch an eine kompe-tenzorientierte Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung uumlblich ist Unter Ernaumlhrungs-praxis versteht man im schulischen Kontext meist den bdquoauf die Nahrungszuberei-tung bezogene Teil der Ernaumlhrungsbildungldquo (Online-Glossar zur EVB4) Intendiert ist Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln bdquodie zur Anwendung der ernaumlh-rungswissenschaftlichen Erkenntnisse im Alltag und Beruf notwendig sindldquo (ebd) Zur intendierten bdquoNutrition Literacyldquo gehoumlrt die Grundorientierung eines bdquonachhal-tigen Konsumsldquo sowie ein bdquokulturelles Verstaumlndnis der Fachpraxis Ernaumlhrungldquo (vgl Methfessel 2005 Methfessel Schlegel-Matthies in diesem Heft)

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Methodische Zugaumlnge

Anknuumlpfend an die Arbeiten von Tornieporth va aus den 1990er Jahren ist auch Konsens dass Nahrungszubereitung nur eine der moumlglichen methodischen Umset-zungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung ist Daher ist fuumlr die nachfolgenden Ausfuumlh-rungen grundlegend dass die Fachpraxis Ernaumlhrung weder Inhalte noch Methode begruumlndet sondern vielmehr didaktisch-methodische Entscheidungen erfordert die ihrerseits im jeweiligen Unterrichtsarrangement verankert werden muumlssen

In unserem Beitrag interessieren methodische Zugaumlnge die eine Nahrungszube-reitung (= Ernaumlhrungspraxis) einschlieszligen um an diesem bevorzugt gewaumlhlten Zu-gang zur Fachpraxis Ernaumlhrung die Anspruumlche und Herausforderungen an eine theo-riegeleitete Fachpraxis zu verdeutlichen Das sind beispielsweise SchmeXperimente (Oepping 2005) Lehrgaumlnge zB Schneidelehrgaumlnge) Zubereitung einer Mahlzeit oder Speise etc Schuumllerwarentests oder Markterkundungen Fachexkursionen (zB zu Orten der Lebensmittelproduktion) sind beispielsweise Methoden der Fachpraxis Ernaumlhrung die nicht zwingend eine Nahrungszubereitung vorsehen

12 Schulkuumlche und Lernwerkstatt als fachdidaktische Konzepte

Uumlber den heutigen Zustand und die Ausstattung von Schulkuumlchen gibt es keine aktu-elle Studie Die in der EIS-Studie beschriebenen Unzulaumlnglichkeiten in deutschen Schulkuumlchen der Sekundarstufe I und ihr hoher Stellenwert bei der Nahrungszuberei-tung als genuine Domaumlne der haushaltsbezogenen Bildung sowie der Sinnesbildung waren daher Anlass im Rahmen des REVIS-Modellprojekts5 eine mobile Esswerk-statt (MEW) zu entwickeln und einen didaktischen Rahmen fuumlr Lernwerkstaumltten vor-zulegen Schlieszliglich sind die vorhandenen Fachraumlume und deren Ausstattung maszlig-gebliche Einflussfaktoren auf die Gestaltung der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Kuumlche [als kulturelles Regelwerk Anmerkung der Autorinnen] bestimmt (also auch) die Auf- und Abwertung von Lebensmitteln durch die damit verbundenen Speisen Zubereitungsarten und Technologien (Methfessel 2005 S 13)

Die in den Schulen noch haumlufig anzutreffenden bdquoLehrkuumlchenldquo folgen tradierten Emp-fehlungen wie sie beispielsweise in einem Merkblatt fuumlr Bau und Einrichtung von Fachraumlumen im Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt aus dem Jahr 2003 zu finden sind Eine Schulkuumlche kann mit Gruppeninseln 4-Kojen und Essbereich 4-Kojen Essbereich und Vorraumlume Gruppeninseln und Essbereich U-Kojen und Essbereich und L-Kojen und Essbereich als Laborkuumlche ausgestattet sein Der Hinweis auf so-genannte bdquoFachnebenraumlumeldquo mit bdquoTheorie- und Essraumldquo die als bdquoErgaumlnzung der Schulkuumlcheldquo dienen (vgl Landesinstitut fuumlr Erziehung und Unterricht Stuttgart 2003) wird von vielen Lehrerinnen (und Lehrern) beherzigt

Dem steht das Lernwerkstattkonzept entgegen wie es beispielweise an der Uni-versitaumlt Paderborn6 umgesetzt wurde Idee ist eine Schulkuumlche mit Werkstattcharak-

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ter und integriertem Seminarbereich um vielfaumlltige fachpraktische Zugaumlnge zu er-moumlglichen und Theorie und Praxis auch raumlumlich zu verknuumlpfen

Anstehende Renovierungen in den Schulen bieten hier Chancen nicht nur die Einrichtungen sondern auch die Fachraumkonzepte zu uumlberdenken und zu moderni-sieren

Eine Mobile Esswerkstatt (MEW) ist eine bewegliche kleine Kuumlchen-einheit die mit einer Grundausstat-tung (Glas-Keramik-Kochfeld mit zwei Kochstellen Backofen An-schlusskabel vier Steckdosen fuumlr den Anschluss von elektrischen Geraumlten zB eines Handruumlhrgerauml-tes Besteck- und Groszligraumschub-laden fuumlr Zubehoumlr) fuumlr die Nah-rungszubereitung eingesetzt werden kann ndash allerdings ohne integrierten Wasseranschluss

Abb 1 Mobile Esswerkstatt (MEW)

13 Herausforderungen bei der Umsetzung

Unterrichtszeiten sind eine Herausforderung Zunaumlchst wecken sie (unabhaumlngig von der zeitlichen Lage im Stundenplan) aufgrund der tradierten Unterrichtspraxis Erwar-tungen an die Gestaltung nach dem bdquo1 + 2 Musterldquo (eine Unterrichtsstunde Theorie zwei Praxis) mit der Vorstellung dass schlussendlich gegessen wird Lehrerinnen die diese Vorstellungen bedienen sind bei Schuumllerinnen und Schuumllern meist beliebt Tageszeit und Essenszubereitung passen je nach Stundenplan nicht zusammen was von Lehrerinnen als Problem wahrgenommen wird ndash aber nach dem EVB-Ansatz keines ist

Unterrichtsraumlume haben Aufforderungscharakter und legen Unterrichtskonzepte nahe bdquoWann kochen wir (endlich)ldquo sind dann immer nagende Fragen der Schuumlle-rinnen und Schuumller an die Lehrenden Klassenraumlume sind zuweilen bdquoFluchtraumlumeldquo so dass nur bei Bedarf in die Schulkuumlche gegangen wird

Geringschaumltzung der Fachpraxis Ernaumlhrung Die (Auszligen-)Wahrnehmung der Nahrungszubereitung als bdquoKochunterrichtldquo wird durch eine auf Zubereitungsfertig-keiten reduzierte Fachpraxis oft von den Lehrpersonen selbst reproduziert und geht entsprechend mit einer geringen Wertschaumltzung einher (Bartsch amp Methfessel 2012)

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Anspruch an die Professionalitaumlt

Dagegen sind die Herausforderungen an ein professionelles Lehren hoch Die Schwierigkeit der Uumlbertragung und der Explikation des Themenfeldes Esskulturrsquo im Unterricht liegt ndash auszliger in der Komplexitaumlt ndash noch in anderen Zusam-menhaumlngen Erstens in den unterschiedlich gewichteten Aspekten und zweitens in der Einbindung in unterschiedliche Ebenen Hinzu kommt drittens der kulturelle Wandel der je nach Zeitepoche in der Esskultur mehr oder weniger Veraumlnderungen hervorbringt (Roumlszligler-Hartmann 2012 S 101)

Niemand kann bei jeder Unterrichtsplanung und -durchfuumlhrung im Unterrichtsalltag stets alle Aspekte beruumlcksichtigen deshalb ist die Grundhaltung entscheidend die sich in Unterrichtsroutinen wiederum niederschlaumlgt Schwerpunktsetzungen helfen bisherige Rituale zu uumlberdenken und auf ihren didaktisch-methodischen Sinn zu pruumlfen Das Theorie- und Praxisverstaumlndnis der Lehrenden ist fuumlr die fachpraktische Arbeit in der Lehrkuumlche handlungsleitend (vgl Buchner 2011) Das bedeutet auch dass sich Lehrende bei der Unterrichtsplanung fragen sollten ob eine Vernetzung von Thema und Nahrungszubereitung sowie ein Zusammenhang von Lernzielen und Unterrichtsaktivitaumlt gegeben und dieses fuumlr die Lernenden erkennbar ist (vgl Wespi amp Senn Keller 2008)

2 Anspruch an die Fachpraxis Ernaumlhrung

21 Verhaumlltnis zwischen Theorie und Praxis

Didaktische Prinzipien leiten die gesamte Unterrichtsgestaltung Kompetenzorientie-rung ist heute der grundlegende Anspruch Demgemaumlszlig gehen didaktisch-methodische Uumlberlegungen vom essenden und konsumierenden Menschen aus (Fachgruppe EVB 2005) Weitere didaktische Prinzipien die sich als foumlrderlich fuumlr den Kompetenzerwerb erweisen ordnen sich der Kompetenzorientierung entspre-chend unter

Dieser Anspruch an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung erscheint auf den ersten Blick einfach so ist doch die Anwendung durch die Praxis dabei Entsprechend der Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001 S 27f) geht es hier um transferfaumlhige Kompetenzen die Dimensionen Kognition Volition Motivation einschlieszligen und eigenstaumlndiges verantwortliches Handeln intendieren Um diesem zu genuumlgen muss die Fachpraxis theoriegeleitet sein und didaktische Prinzipien zielgerichtet beruumlcksichtigen Fuumlr eine theoriegeleitete Fachpraxis ist die Handlungsorientierung zentral sie ist vielen Lehrerinnen ein gelaumlufiger Begriff (Fachgruppe EVB 2005 S 87) haumlufig ohne das dahinterstehende Konzept tatsaumlch-lich umsetzen zu koumlnnen

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22 Handlungsorientierung und Handlungsprodukte

Das Waschen Schaumllen Schneiden einer Kartoffel ist kein handlungsorientiertes Vorgehen an sich vielmehr geht es um eine zielgerichtete reflektierte Aktivitaumlt der Lernenden (vgl Tornieporth 1995 Buchner 2002 Meyer 2007)

Handlungsorientierter Unterricht beschreibt ein Verfahren bei dem Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht wird Unter Handlungen werden ziel-gerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrnehmungen konkrete Operationen und intellek-tuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Buchner 2002 S 1)

Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist also durch Elemente des Handelns gekennzeichnet und schlieszligt nach der Handlungstheorie eine Handlungsevaluation dh Ruumlckkopplungs-prozesse ein Es liegt nahe dazu Handlungsziele in Teilplaumlne Teilhandlungen und Teilziele zu zerlegen Die Lernenden muumlssen immer wieder neu vergleichen und anpassen denn erst wenn das gesteckte Ziel erreicht ist ist die Handlung abgeschlos-sen

Ein Kind lernt durch vielmaliges Durchleben und Beteiligen dass das Handlungs-schema fuumlr eine Mahlzeit zubereitenrsquo aus mehreren Teilhandlungen besteht 1 Sich Speisen aussuchen (hellip) 2 Zutaten besorgen (hellip) 3 Nahrung zubereiten (hellip) Tisch decken und ndash nach dem Essen und Genieszligen die 5 Reinigungsarbeiten erledigen (Buchner 2011 S 129)

Das nachfolgende Beispiel weist dabei auf eine entscheidende Problematik bei der schulischen Nahrungszubereitung hin Sind Handlungsprodukte des Unterrichts nicht fuumlr alle Beteiligten transparent unterscheiden sich haumlufig Schuumllererwartungen und unterrichtliche Handlungsziele Beispiel Schuumllerinnen und Schuumller wollen schnellstmoumlglich ein Essen auf den Tisch bekommen und sind damit in erster Linie an der Fertigstellung des Essens interessiert und weniger an Handlungsprozessen Folglich lassen sie sich kaum auf Lernprozesse ein sondern bereiten ein Essen wie aus dem haumluslichen Umfeld gewohnt nach ihrem Geschmack und ihren Gewohnhei-ten zu Erwartungen und Handeln der Lernenden werden durch die haumlusliche Situati-on geleitet Aber im Unterschied dazu geht es bei der schulische Nahrungszuberei-tung nicht um eine Ernaumlhrungsversorgung sondern um Lernen Es muss folglich auch eine Lernsituation hergestellt werden Damit sind nachfolgende Anforderungen an die handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung geknuumlpft

1 Die Komplexitaumlt des Unterrichtsgegenstandes Ernaumlhrung erfordert auch klar definierte Unterrichtsziele mit Schwerpunktsetzungen in den Unterrichtsstunden bzw Unterrichtsbloumlcken

2 Die Festlegung eines Handlungsproduktes fuumlr jeden Unterrichtsblock ist ab-haumlngig vom jeweiligen Unterrichtsziel und kann auch in der Fachpraxis sehr unter-

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schiedlich sein Handlungsprodukt kann eine Mahlzeit und das gemeinsame Essen sein muss aber nicht

3 Handlungsprodukte muumlssen fuumlr Lehrende und Lernende transparent sein 4 Die gemeinsame Festlegung der Handlungsprodukte erhoumlht die persoumlnliche

Bedeutsamkeit und damit die Motivation sich darauf einzulassen sich damit ausei-nanderzusetzen und das Handlungsziel zu erreichen

5 Fachpraxis Ernaumlhrung ist eine Lernsituation fuumlr die eine Reproduktion der haumluslichen Nahrungszubereitung nicht zielfuumlhrend ist

Unterrichtsziel und Festlegung des Handlungsprodukts

Die Bereiche der Nahrungszubereitung und des Essens sind komplexe Bereiche da sie von mehreren Phaumlnomenen und Sachverhalten uumlberlappt werden (Roumlszligler-Hartmann 2012 vgl Methfessel 2005)

Die Komplexitaumlt der Thematik erfordert eine mehrperspektivische Betrachtung die mit beispielhaft entwickelten Unterrichtsmodellen wie zB bdquoTomatenkulturldquo (Tornieporth 1997) bereits in den 1990er Jahren fuumlr unsere Fachdomaumlne fuumlr einen projektorientierten Unterricht begruumlndet wurde Idee ist eine Thematik uumlber die un-terschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder zu erschlieszligen Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist dabei ein Handlungsfeld das ebenso wie die weiteren Unterrichtsbau-steine die aus den unterschiedlichen natur- und kulturwissenschaftlichen Perspekti-ven heraus entwickelt werden hinsichtlich ihres Bildungsgehaltes einer didaktischen Analyse standhalten muss Das bedeutet Jede Unterrichtsstunde bzw jeder Unter-richtsblock erfordert ein Unterrichtsziel mit klar definiertem Handlungsprodukt weil nur so die Komplexitaumlt theoretisch aufgebrochen werden kann Unterrichtsarrange-ments unterscheiden sich folglich gemaumlszlig dem festgelegten Handlungsprodukt Das kann die Situation einer Mahlzeit sein die dann einen gedeckten Tisch und gemein-sames Essen erfordert Das kann auch die Auswertung einer Supermarkterkundung sein die dann eine Praumlsentation der Erkundungsergebnisse erfordert Das koumlnnen auch bdquoProbierhaumlppchenldquo fuumlr eine sensorische Pruumlfung sein Diese hier beispielhaft skizzierten Unterrichtssituationen sind geeignet um Unterrichtsergebnisse zu reflek-tieren und zu evaluieren Reflexionsphasen sind notwendige Bestandteile eines kom-petenzorientierten Lernprozesses Wespi und Senn Keller (2008 S 20) empfehlen fuumlr Lehrende zusammenfassend Kompetenzen sollten fuumlr eine Einheit ausgewaumlhlt und festgelegt beobachtet und beschrieben (Beobachtungsinstrument) ruumlckgemeldet und interpretiert (Feedback) bewertet (Effekte bestimmt) transformiert (Selbstwirk-samkeit uumlberpruumlft) und mit der Ausgangssituation verglichen werden

Transparenz und Bedeutsamkeit eines Handlungsprodukts

Bleiben bei der Zerlegung in Teilhandlungen die (Teil-)Ziele die der Lehrenden werden die Lernenden dieses Vorgehen fantasievoll umschiffen Sind Lehr- und

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Lernziele (in)direkt Teil des Unterrichts dann koumlnnen Lernende ihre Sichtweisen einbringen und Unterrichtsprozesse mitgestalten Der Grad der Mitbestimmung kann dabei ganz unterschiedlich sein Bei Lehrgaumlngen sind es haumlufig die Lehrziele die fuumlr Lernende transparent sein sollten um deren unterrichtliche Bedeutung nachvollzie-hen zu koumlnnen Beispielsweise haben Lehrgaumlnge ihre Berechtigung zur Erreichung von Projektzielen oder bei Vorgaben wie sie beispielsweise bei der Hygieneschu-lung der Fall sind Bei Formen des forschend-entdeckenden Lernens kann das (Lern)Ziel die Loumlsung einer selbstgestellten Frage sein zB der Biskuit ist beim letzten Backen bei vielen zusammengefallen Woran kann das liegen Wie laumlsst sich das vermeiden

Durch bdquoechteldquo d h alltagsrelevante Problemstellungen (Beispiel Helfen Light-Produkte beim Abnehmen Foumlrdert ein hoher Fleischverzehr den Muskelaufbau) ist eine houmlhere Motivation zu erwarten als bei rein bdquoakademischenldquo Problemen (Bei-spiel Uumlbergewicht ein Uumlbel unserer Zeit Ursachen und Folgen) Daraus resultieren Anforderungen an die Aufgabenstellungen Aufgaben sollten komplex anwen-dungsbezogen auf konkrete Handlungssituationen sein um damit Lernprozesse in Gang zu setzen die wiederum eine umfassende Informationssuche und Vernetzung von Fachwissen und Fachkompetenzen in Gang setzen (vgl Wellensieck amp Peter-mann 2002)

Durch die im Alltag vorhandene hohe Komplexitaumlt lassen sich solche problem-orientierten Aufgaben kaum in drei Unterrichtsstunden loumlsen und legen ein projekt-orientiertes Vorgehen nahe Wie bereits bei Tornieporth (1995) die sich ihrerseits unter anderem auf reformpaumldagogische Ansaumltze des 19 Jahrhunderts bezieht sind offene Unterrichtsformen mit handlungsorientierten projektorientierten und prob-lemorientierten Vorgehen erfolgsversprechend Aktuelle Forschungen zum bdquogehirn-gerechtem Unterrichtenldquo bestaumltigen das (Terhart 2009 S 154)

Umgang mit Erfahrungen und Meinungen in der Lernsituation

Die Vielzahl von Erfahrungen (bdquoZuhause machen wir das soldquo) und daraus resultie-rende Meinungen (bdquoDas schmeckt nichtldquo) die Schuumllerinnen und Schuumller mitbringen koumlnnen bei einem subjektorientierten Unterricht die Lernprozesse bereichern Sub-jektorientierte Methoden setzen am bdquosubjektiven Vorverstaumlndnis der Lernendenldquo an und machen bdquodiese (auch) zur Arbeitsgrundlage fuumlr den Unterrichtldquo (Bartsch 2012) Subjektorientiertes Vorgehen ist nicht immer moumlglich trotzdem ist ein sensibler und offener Umgang mit Erfahrungen und Meinungen der Lernenden notwendig um den Transfer zu foumlrdern

Beispielsweise koumlnnen Schuumllerinnen die manchmal Tomaten in der Hand schneiden weil sie es so von ihren (Groszlig-)Muumlttern kennen schnell uumlberzeugt wer-den wenn sie das professionelle Schneiden ausprobieren und uumlben um es dann mit der haumluslichen Methode zu vergleichen Vor- und Nachteile abwiegend nach ver-schiedenen fachlichen Kriterien (zB fuumlr das Schneiden Sicherheit Schneideergeb-

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nis rationelles Arbeiten etc) wirkt in aller Regel uumlberzeugend Um dem Bildungsan-spruch gerecht zu werden muss ein Handlungstransfer angebahnt werden d h auch Lernende mit ihren Alltagserfahrungen ernst nehmen ohne die Fachlichkeit aufzu-geben Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lehrens und Lernens werden hier vereinfacht gesagt Menschen gestaumlrkt und Dinge geklaumlrt

23 Nahrungszubereitung im Unterricht

Werden Speisen zubereitet gibt es einen durch die Sache begruumlndeten Ablauf von vier Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung die nur bedingt austauschbar sind Die einzelnen Phasen werden zunaumlchst im folgenden Abschnitt beschrieben mit dem Ziel Anregungen zur Gestaltung der einzelnen Phasen zu ge-ben sowie Mut zu machen Handlungsprodukte entsprechend des Unterrichtsziels fuumlr die zur Verfuumlgung stehende Unterrichtszeit festzulegen und die Phasen passend dazu flexibel zu handhaben

Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoumlren saumlmtliche Planungsschritte vor dem Beginn der Speisen-zubereitung Dazu gehoumlren Rezeptwahl Rezeptbesprechung Arbeitsplanung Ein-kaufsplanung und -organisation etc

Rezeptwahl In Anlehnung an die SchmeXperimente (Oepping 2005) haben sich nachfolgende drei Kriterien fuumlr die Rezeptwahl bewaumlhrt 1 Grundnahrungsmittel oder naturbelassene Nahrungsmittel (Erweiterung des Erfahrungshorizontes) 2 Nah-rungsmittel- oder Sortenvielfalt und 3 Beitrag zum Erlernen und Uumlben von Grund-techniken der Nahrungszubereitung als Kulturwerkzeug (Weiterfuumlhrende Literatur Roumlszligler-Hartmann 2005 Bartsch 2009)

Einkauf Entsprechend der Intention des Unterrichtsvorhabens kann zB der Einkauf im Mittelpunkt (in Verbindung mit den REVIS-Bildungszielen 5 bis 9) ste-hen Dabei koumlnnen Kriterien fuumlr die Einkaumlufe (Lebensmittelqualitaumlt Preis Nachhal-tigkeit etc) in der Lerngruppe erarbeitet werden die als Teilhandlungsschritt reflek-tiert und evaluiert werden Ein Unterrichtsblock kann hier enden der Einkauf als Hausaufgabe erfolgen die Verwendung der Lebensmittel an anderer Stelle zB Einkauf von Grundnahrungsmitteln die in der Schulkuumlche vorraumltig sind oder Einkauf fuumlr die nachfolgende Zubereitung von Probierhaumlppchen fuumlr eine sensorische Pruumlfung etc An anderer Stelle kann dann aufgrund einer abweichenden Schwerpunktsetzung auf den Einkauf gegebenenfalls verzichtet werden zB vor den groszligen Ferien wenn eine Aufgabe zum Umgang mit verderblichen Vorraumlten und Nahrungsresten die Ziel-setzung ist

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Durchfuumlhrung

An die Vorbereitungs- und Planungsphase schlieszligt die Durchfuumlhrung der Speisenzu-bereitung an Dabei werden in der Regel einzelne Speisen oder Gerichte von den Schuumllerinnen und Schuumller in Teams unter Anleitung und Aufsicht der Fachlehrper-son zubereitet Auch hier geht es wiederum um die jeweils gesteckten Teilziele Zum Beispiel teilen sich die Schuumllerinnen und Schuumller die Aufgaben im Zeit- und Arbeitsplan auf (gegebenenfalls durch einen Aumlmterplan) werden die Lernenden selbst in die Teilzielbeschreibung eingebunden Lehrpersonen begleiten und unter-stuumltzen die Lernenden dabei

Da fuumlr die Nahrungszubereitung nur die vorgegebene Unterrichtszeit zur Verfuuml-gung steht ist ein angeleitetes zuumlgiges und sicheres Arbeiten noumltig Entsprechend der in den Lerngruppen vorhandenen Kompetenzen sind die Unterrichtsarrangement machbar zu gestalten Dabei spielen Demonstrationen eine wichtige Rolle (zB Schneidelehrgang nach Tornieporth 1997)

Essen

Zubereitete Speisen werden schlussendlich auch gegessen Das bdquoWieldquo ist allerdings fuumlr den Lernprozess entscheidend

Essen als Pause Wird das bei Schuumllerinnen und Schuumller beliebte Essen ndash wie immer wieder zu beobachten ist ndash sowohl von Lehrenden als auch Lernenden als bdquoPauseldquo betrachtet fehlen die notwendigen Ruumlckkopplungsschritte zum Handlungs-abschluss Aus diesem Grund wird hier dafuumlr plaumldiert Unterrichtssituationen von Pausensituationen klar zu trennen Essen in der Pause dient zur Ernaumlhrungsversor-gung und Regeneration Dagegen ist Essen Teil eines Handlungszieles und damit Handlungsprodukt ist eine Unterrichtssituation herzustellen

Essen als Teil des Lernprozesses Essen ist ein Teil der Unterrichtspraxis bei der Nahrungszubereitung (Bartsch 2009) den es entsprechend didaktisch-methodisch zu gestalten gilt Zunaumlchst ist hierfuumlr die paumldagogische Begruumlndung der Wuumlrdigung des Handlungsergebnisses anzufuumlhren Dem folgt eine angemessene Praumlsentationssitua-tion der Speisen zB als Buffet als Probierhaumlppchen als SchmeXperimentiergut als Mahlzeit etc

Der naumlchste Schritt ist die Reflektion des Handlungsergebnisses gemaumlszlig der je-weiligen Zielformulierungen fuumlr die ebenfalls ein organisatorischer Rahmen ge-schaffen werden muss Beispielsweise ist es eine grundsaumltzliche Entscheidung ob die Sensorik oder die Mahlzeit (Teil-)Ziel der Handlung ist Im ersten Fall reichen Probehaumlppchen aus im zweiten Fall ist ein Tisch zu decken um eine Tischgemein-schaft herzustellen (Leitner 2011) In diesem Punkt unterscheidet sich die Lernsitua-tion vom haumluslichen Kochen In der Fachpraxis geht es darum die zubereiteten Spei-sen zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der angewendeten Garmethode zu bewerten und das Arbeitsergebnis entsprechend zu reflektieren Auch eine ge-

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schmackliche Auswertung folgt hier nicht allein persoumlnlichen Vorlieben (vgl Meth-fessel amp Schlegel-Matthies i d Heft)

Essen als Teil der Pause Essen kann auch den Raum bieten wo Lernende und Lehrende sich besser kennen lernen koumlnnen Daruumlber hinaus kann eine bdquovertrauteldquo Lehrperson Lernende eher zum Essen bdquounbekannterldquo Speisen ermutigen und moti-vieren (Vorbildfunktion) Die Tatsache dass Schuumllerinnen und Schuumller eine Speise selbst hergestellt haben motiviert viele zusaumltzlich etwas zu verkosten was sie eigent-lich nicht moumlgen oder noch nie gegessen haben Hierfuumlr ist es sinnvoll ein geson-dertes Zeitfenster als bdquoPauseldquo vom Unterricht einzuplanen Dieses kann als fester Bestandteil der Nahrungszubereitung ritualisiert werden Um den Erwartungsdruck im Unterricht eine Mahlzeit zuzubereiten herauszunehmen ist es hilfreich dass so-wohl uumlbrige Speisen aus der Fachpraxis als auch mitgebrachte Pausenbrote gegessen werden koumlnnen

Nachbereitung

Nach dem Essen folgt fuumlr die Schuumllerinnen und Schuumller die meist unbeliebteste Pha-se der Nachbereitung die selten als Unterricht wahrgenommen wird So muss in der Schulkuumlche aufgeraumlumt werden Arbeitsflaumlchen gesaumlubert Geschirr Besteck und Arbeitsgeraumlte kontrolliert nachgezaumlhlt und eventuelle Reste versorgt werden Hierfuumlr ist ausreichend Unterrichtszeit einzuplanen

Eine sorgfaumlltige und puumlnktliche Nachbereitung sorgt fuumlr einen reibungslosen Ab-lauf der naumlchsten Gruppen In dieser Phase zeigt sich auch ein professionelles Lehr-Lernverstaumlndnis der Nahrungszubereitung Hilfreich ist es mit den Lerngruppen bdquoStandardsldquo zu erarbeiten die dann in einem routinierten Abschluss enden Bei-spielsweise stellen Lerngruppen Uumlberlegungen an zu den Zubereitungsmengen und zum Umgang mit Speiseresten (Koumlrner amp Bartsch 2012) Ethisches Handeln kann sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit so in konkret ausgehandelte Regeln bei der letzten Phase der Nahrungszubereitung in den Lerngruppen niederschlagen

Schlussbemerkungen

Neben den allgemein schulischen Erfahrungen bringen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer Erfahrungen aus ihren privaten Haushalten mit Diese beeinflussen deren Vorstellungen von fachpraktischem Arbeiten sowie ihr Fachverstaumlndnis und behin-dern den Transfer von fachdidaktischen Forschungen in die Unterrichtspraxis Daran schlieszligt die Frage nach der Ausbildung an den Hochschulen an Welche Kompeten-zen beguumlnstigen eine theoriegeleitete Fachpraxis Wie wird mit Praumlkonzepten und subjektiven Theorien bezuumlglich des Fachverstaumlndnisses in der Hochschulausbildung umgegangen Um die (wahrscheinliche) Diskrepanz zwischen dem EVB-Bildungsanspruch und den individuellen Vorstellungen offenzulegen ist ein erster Schritt Fachverstaumlndnis und Fachanspruch zu thematisieren ndash sowohl in der Hoch-

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schule als Teil des Professionalisierungsprozesses der Fachlehrpersonen als auch in der Schule im Sinne der Partizipation und Gestaltung des eigenen Lernprozesses

Meist werden konkrete fachpraktische Bezuumlge von den Studierenden (oder Leh-renden in Fortbildungen) als hilfreich empfunden Entsprechend bietet sich an die Fachpraxis Ernaumlhrung die eng mit der Fachidentitaumlt verknuumlpft ist zum Thema zu machen Mit konkreten Fragen kann eine Bruumlcke zwischen Theorie und Praxis her-gestellt werden Beispielsweise Welche Rahmenbedingungen finden die Studierende an ihren Praktikumsschulen (Unterrichtsraumlumen Stundenplaumlnen Vorstellungen uumlber unser Fach) vor Welche fachdidaktische Konzeptionen sind damit verbunden Wie kann damit im Sinne eines modernen Bildungsanspruchs umgegangen werden Wo-rauf koumlnnen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer unseres Faches Einfluss nehmen Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lernens ist hierbei der Blick auf die Staumlr-kung der (zukuumlnftigen) Lehrenden zu richten und Professionalisierungsprozesse zu foumlrdern

Anmerkungen 1 [wwwevb-onlinedeglossar_ernaehrungspraxisphp] 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Aufgrund der geschlechtstypischen Berufswahl handelt es sich vorwiegend um

Lehrerinnen (Bartsch amp Methfessel 2012) 4 Siehe Anmerkung 1 5 Siehe Anmerkung 2 6 Vgl Paderborner Lernwerkstatt unter

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Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe E-Mail bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Petra Buumlrkle

Paumldagogische Hochschule Freiburg Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Kunzenweg 21 D-79117 Freiburg E-Mail petrabuerkleph-freiburgde

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______________________________________________________________

Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann

Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichtes bietet die Schulkuumlche als Lernumgebung gute Moumlglichkeiten durch praxisorientierte Impulse welche den Lernenden eine zunehmend eigenstaumlndige Gestaltung ihrer Lebensumwelt ermoumlglichen Handlungskompetenzen im Be-reich der Alltagskultur zu initiieren Im Beitrag wird die Gestaltung einer Lehr-Lernsequenz exemplarisch anhand des Themenschwerpunktes Hygiene erlaumlutert

Schluumlsselwoumlrter Lehr-Lernprozesse Kompetenzorientiertes Planungsmodell Hygiene

______________________________________________________________

1 Einfuumlhrung

Ziel der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist die Vermittlung von gesundheitsfoumlrderlichen und nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenzen im Bereich der Alltagskultur Weinert (2001) versteht dabei Kompetenzen als bdquodie bei Individuen verfuumlgbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Faumlhigkeiten und Fer-tigkeiten um bestimmte Probleme zu loumlsen sowie die damit verbundenen motivatio-nalen volitionalen und sozialen Bereitschaften und Faumlhigkeiten um die Problemlouml-sungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu koumlnnenldquo Dh Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und durch das Handeln selbst sichtbar

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf die Kompetenzentwicklung von Schuuml-lerinnen und Schuumllern ab und fokussiert somit weniger auf das Lehren sondern auf das Lernen sowie auf das Wechselspiel zwischen Lehren und Lernen Lehren um-fasst dabei die Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen Da das Lernen nur im Inneren dh im Lerner selbst stattfinden kann hat die Lehrkraft nur uumlber diese Steu-erung einen Einfluss auf die moumlglichen Lernvorgaumlnge Der Lernprozess wird dabei unterrichtsmethodisch uumlber die Determinanten Aufgabenstellung Lernmaterialien Methodenwerkzeug Moderation sowie Ruumlckmeldung und Reflexion gesteuert In idealtypischen Lernsituationen werden Lernumgebungen geschaffen die die Lernen-den in eine intensive aktive selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen (Leisen 2010 2011)

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2 Curriculare und fachwissenschaftliche Vorgaben

Inhalte einer verantwortungsbewussten Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ver-stehen sich als lebensweltbezogen Gegenwarts- und zukunftsrelevante Themen ermoumlglichen fachwissenschaftlich begruumlndete Erkenntnisse entwickeln Kompeten-zen und initiieren fuumlr die private Lebensfuumlhrung relevante Lernprozesse Eine Vermittlung geschieht dabei durch das fachspezifische Geflecht von fachwissen-schaftlichen fachdidaktischen sowie fachpraktischen Inhalten Diese orientieren sich an dem Europaumlischen Kerncurriculum zur Ernaumlhrungsbildung und dem REVIS-Curriculum Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung Das REVIS-Curriculum ist dabei ein in Deutschland bundesweit gefasster Konsens zu den Bildungszielen Kompetenzen Themen und Inhalten die in der schulischen Ernaumlhrungs- und Ver-braucherbildung als bdquogrundbildendldquo verstanden werden (Heseker 2005)

Zentrale Punkte des REVIS-Rahmencurriculums sind didaktische(n) Prinzipien der Kompetenzorientierung des salutogenetisch ori-entierten und lebenslangen Lernens ein Gesamtkonzept fuumlr den Lebensraum Schule das durch entsprechende Schul-entwicklungsprozesse getragen sein muss (Bartsch 2011)

Das Ziel ist also in diesem Bereich immer jungen Menschen gesundheitsfoumlrderli-che und nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenzen im Bereich der Alltags- und Lebensbewaumlltigung zu vermitteln Folgende Faktoren sind dabei zu beruumlck-sichtigen

bull Zugang zu den Themenbereichen einer gesunden Lebensbewaumlltigung sind stets Erfahrungen und Impulse aus der Lebenswirklichkeit der Lernenden

bull Grundlage des Unterrichts sind kompetenzfoumlrdernde Inhalte in der Regel initiiert durch praxisfoumlrdernde Impulse Die Lernenden sollen ihre Lerninhalte zunehmend selbststaumlndig gestalten und sich von der Haltung des ausschlieszliglich Konsumierenden distanzieren

bull Die Lehrkraft wird als Person des Begleitens Beratens bzw als die Person welche die Lernumgebung gestaltet verstanden

bull Materialien die eine Differenzierung sowie Individualisierung des Lernprozesses eines Lernenden ermoumlglichen sind grundlegend Dabei koumlnnen Realmedien verwendet werden bereits veroumlffentlichte Medien ausgewaumlhlt und auf Eignung bewertet werden oder neue Lernmaterialien konzipiert erarbeitet und evaluiert werden

bull Die Lehrenden wissen dass Klassenraumlume so umstrukturiert werden koumlnnen dass fuumlr die Lernenden geeignete Lernarrangements zur Verfuumlgung stehen Dies ist insbesondere im Bereich der Grundschule von Bedeutung

bull Bei den Inhalten zu praxisorientierten Elementen der Ernaumlhrungsbildung werden Fachraumsysteme beansprucht Der Begriff Fachraumsystem muss an

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dieser Stelle mit dem Begriff bdquoFachraumldquo gleichgesetzt werden Dabei kann es sich um Kuumlchen oder anderen Werkstaumltten handeln

bull Lehrende erfahren in den Lehr-Lernprozessen immer wieder umfassend die bdquovier Handlungsfelder einer veraumlnderten Lernkultur Beobachten Beschreiben Bewerten und Begleitenldquo (Landesinstitut fuumlr Schulentwicklung 2009)

Inhaltliche Aspekte werden stets auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erstellt Da die fachwissenschaftlichen Grundlagen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung sehr komplex sind einer staumlndigen Veraumlnderung unterliegen und somit fortschreitend aktualisiert werden muumlssen ist bei der Sachanalyse die Verwendung der aktuellen Fachliteratur bzw der Bezug auf die Fachgesellschaften (aid BfR BzgA DGE HaBiFo vzbv usw) zwingend notwendig

Im Bereich der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung gibt es inzwischen zahl-reiche etablierte Unterrichtshilfen wie zB den aid-Ernaumlhrungsfuumlhrerschein Kon-sumieren mit Koumlpfchen Money amp Kids SchmExperten Science kids Unterrichts-hilfe Finanzkompetenz Versteckt werbende Maszlignahmen und Materialien sowie kommerzielle oder andere interessengeleitete Angebote die nicht mit den Zielset-zungen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung vereinbar sind haben dagegen in Schulen nichts zu suchen

Weitere sehr gut geeignete Moumlglichkeiten der Esskulturbildung bieten auch der Lebensmitteleinkauf die Nahrungszubereitung und die Mahlzeitengestaltung Hier koumlnnen Schuumllerinnen und Schuumller in besonderer Weise ihre gesundheitsfoumlrderli-chen und nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen im Bereich Ernaumlhrung und Konsum erweitern Wird die Kuumlche als Lernumgebung genutzt muumlssen grundle-gende Bedingungen zu Sicherheit und Hygiene gegeben sein

Die im Folgenden dargestellte Lehr-Lernsequenz zum Kompetenzerwerb in der Lernumgebung Kuumlche mit dem Themenschwerpunkt Hygiene bezieht sich auf das Bildungsziel 3 des REVIS-Curriculums zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo

3 Didaktisch-methodische Gestaltung der Lehr-Lernsequenz

Bei der Planung der Lehr-Lernsequenz orientiert sich die Lehrperson explizit am REVIS-Curriculum zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

Entscheidend ist die Transparentmachung dieses Curriculums fuumlr die Lernen-den Es werden nicht einzelne Inhalte aneinandergereiht sondern die Lernenden erfahren in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen die einen Bezug zu ihrer Lebensumwelt haben einen Zuwachs im Bereich der darge-stellten Kompetenzen und Bildungsziele Somit ist ein direkter Bezug zu ihnen selbst sowie ihrer Lebenssituation gegeben Dies vereinfacht wie spaumlter darge-

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stellt die methodische Umsetzung enorm da die Themen stets aus der Alltagssi-tuation der Lernenden stammen

Die Unterrichtsplanung erfolgt auf der Basis des Kompetenzorientierten Pla-nungsmodells (KPM) nach Leisen (2010) mit den sechs Stufen eines kompetenz-orientierten Lernprozesses

1 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdecken 2 Vorstellungen entwickeln 3 a) Lernprodukt erstellen

b) Informationen auswerten 4 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren 5 a) Lernzugewinn definieren

b) Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erproben 6 Sicher werden und uumlben

Als Planungshilfe wird die entsprechende von Hahn und Wiedemann (Seminar-schulraumltinnen am Staatlichen Seminar fuumlr Didaktik und Weiterbildung in Schwauml-bisch Gmuumlnd) entwickelte Moumlglichkeit der tabellarischen Darstellung von Lehr-Lernprozessen verwendet (Leisen 2010 Maier 2012) Tab 1 Auszug aus der Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene1

Fach und Klasse Hauptanliegen Lernziele Wirtschaft Arbeit und Gesundheit (WAG) Mensch und Umwelt (MuM) Thema der Unterrichtssequenz Wie sieht fuumlr mich ein sauberer Arbeitsplatz aus Hygiene rund um die Nahrungszubereitung

Die Lernenden erleben Hygiene als Voraussetzung sich in der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung gesund zu erhalten Inhaltlicher Schwerpunkt Planung Durchfuumlhrung Interpretation und Dokumentation von Hygienebedingungen in der Kuumlche fuumlr eine gesundheitsfoumlrderliche Nahrungszubereitung im Alltag

Die Lernenden - erleben bewusst die alltaumlgliche Situation eines hygienisch anspre-chenden Arbeitsplatzes - formulieren Hygiene-regeln fuumlr die Bereiche - persoumlnliche Hygiene - Lebensmittelhygiene und - Hygiene am Arbeits-platz - artikulieren und doku-mentieren individuell ihre Ergebnisse - sind in der Lage einen Transfer in die prakti-sche Nahrungszuberei-tung in der Schule und im persoumlnlichen Lebens-umfeld zu leisten

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In der Kopfzeile (Tab 1) wird das Hauptanliegen der Unterrichtsstunde als eine Art uumlbergreifendes Lernziel bzw uumlbergreifende Kompetenz dargestellt sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zu denen gearbeitet werden soll Zudem wird zwischen antizipierten Lernprozessen bzw Lernhandlungen der Schuumllerinnen und Schuumller sowie Lehraktivitaumlten bzw Handlungen der Lehrperson differenziert So sollen Lehrkraumlfte zum Nachdenken uumlber die Phasen des Lernprozesses der Lernenden angeregt werden Methodische Uumlberlegungen zur Gestaltung der Lernumgebung bzw organisatorische Aspekte der Unterrichtsdurchfuumlhrung werden in einer mittle-ren Spalte gesondert dargestellt (Gestaltung der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrperson Lernsetting Sozialformen Medien Methoden Gestaltungsele-mente)

4 Methodische Analyse und Begruumlndung der Lehr- Lernsequenz

41 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdeckenEinstieg praumlsentieren

Die Lehrperson verwendet zB als Einstieg Fotos die kritische Umstaumlnde im Be-reich der Hygiene darstellen Die Untergliederung in die Bereiche bdquopersoumlnliche Hygieneldquo die bdquoLebensmittelhygieneldquo und die bdquoArbeitsplatzhygieneldquo wird von der Lehrperson beispielhaft folgendermaszligen praumlsentiert gebrauchtes Pflaster Lebens-mittel mit Gefrierbrand Ausguss mit Speiseresten etc (siehe Kompetenzorientier-tes Planungsmodell Die Lernenden erfahren dadurch einen Lernanreiz aus einer individuellen Alltagssituation welcher ihnen als Impuls bzw als bdquoStoumlrungldquo (Lei-sen 2010) begegnet Dies bietet bewusst allen Lernenden die Moumlglichkeit zur spontanen Artikulation Es entsteht ein kommunikativer und wertfreier Austausch

42 Vorstellungen entwickelnEinstiegsproblem fokussieren und Aufmerksamkeit polarisieren

Die Lehrperson fokussiert das Einstiegsproblem entweder mit der letzten Folie einer PowerPoint-Praumlsentation oder mit einem kurzen Impuls in Form eines Tafel-anschriebs bdquoWir die Kuumlchentesterldquo so dass die Lernenden Vorstellungen entwi-ckeln koumlnnen Sie benennen unhygienische Elemente eines Arbeitsplatzes die sie stoumlren Die Lehrperson stellt nur rote Faserstifte Karten und Magnete zur Verfuuml-gung haumllt sich aber inhaltlich zuruumlck Die Lehrperson sollte nur LernbegleiterIn sein Dennoch ist diese Gelenkstelle fuumlr den weiteren Lernprozess entscheidend da dies die Uumlberleitung bzw Hinfuumlhrung zur Fragestellung der Lernenden ist bdquoWie

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sieht eine Kuumlche aus in der ich arbeiten willldquo und bdquoWas kann ich zur Hygiene beitragenldquo

43 Lernprodukt erstellen und Informationen auswerten Aufgabenstellungen anbieten

Das Lernprodukt bezeichnet Leisen als bdquoHerzstuumlckldquo des kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozesses Leisen spricht von der bdquoTrias sbquoLernprodukt ndash Aufgabenstel-lung ndash MaterialMethodenlsquo (Leisen 2013) Er empfiehlt bei der Planung bdquozu pruuml-fen ob die Aufgabenstellung zu dem Lernprodukt fuumlhrt ob der Zeitansatz passt ob das Anspruchsniveau stimmt ob die Lehrkraft dem Thema gerecht wird ob wirklich die Kompetenzen entwickelt werden die anstehen und der Sache dienlich sindldquo (ebd S 67) bdquoLernprodukte entstehen im handelnden Umgang mit Wissenldquo (ebd S14) Hier muss eine Lernumgebung gestaltet werden die stark gepraumlgt ist von Individualisierung und Differenzierung Es muumlssen zahlreiche Lernaufgaben und Lernmaterialien bereitliegen mit deren Hilfe sich die Lernenden eine Thema-tik individuell erarbeiten koumlnnen

Diese Lernaufgaben und Materialien muumlssen so konzipiert bzw variiert wer-den dass ein eigenstaumlndiges Tun uumlberhaupt moumlglich ist dh die Lernaufgaben muumlssen mit ihren Aufgabenstellungen so praumlzise formuliert sein dass sie sich selbst erklaumlren oder mit einer rasch erfassbaren und verstaumlndlichen Erklaumlrung bear-beitbar sind Interessant kann hier auch die Methode des Verfremdens sein Ein Gedicht im Mathematikunterricht ein Bewegungsspiel in Deutsch ein Spiel in den Naturwissenschaften etc Laumlngst sind diese Methoden Teil eines schuumller- und handlungsorientierten Unterrichts

Im vorliegenden Beispiel sind unter den Lernmaterialien beispielsweise Spiele wie Domino oder Memory zu finden Spiele haben einen starken Aufforderungs-charakter und bieten Anreize fuumlr eine praktische Auseinandersetzung mit einer Thematik Ferner wird ein virtuelles Quiz (bdquoLagern Sie richtig im Kuumlhlschrankldquo [wwwinformde] eingesetzt bei welchem es um die sachgerechte Lagerung bzw Bevorratung von Lebensmitteln durch Kuumlhlen geht Vorgefertigte Medien aus den Ordnern bdquoSchmExpertenldquo des aid (2011 und 2012) koumlnnen eingesetzt werden Beim aid erhaumllt man auch Infobroschuumlren zur genannten Thematik Diese koumlnnen ergaumlnzend fuumlr vertiefende Studien bereitgelegt werden Die fachpraktischen Ele-mente der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung werden uumlber zahlreiche Real-medien wie Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte sowie Kuumlhlschrank ergaumlnzt Um an-wendungsorientiert zu arbeiten bietet sich in jedem unterrichtlichen Geschehen in den ernaumlhrungs- und verbraucherbildnerischen Faumlchern die Kulturtechnik der Nah-rungszubereitung an das bdquoKochenldquo Hierfuumlr liegt ein Rezeptblatt vor welches durch seine Struktur ein selbststaumlndiges Zubereiten ermoumlglicht Das Rezeptblatt ist so strukturiert dass die Lernenden zunaumlchst anhand der Uumlberschrift einen Zugang zur Zubereitung erfahren Im Kontext werden dann zunaumlchst alle benoumltigten Kuuml-

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chengeraumlte benannt Eine Tabelle ndash unterteilt in bdquoZutatenldquo und bdquoZubereitungldquo die einander durch Trennungslinien in der Tabelle zugeordnet werden ndash ermoumlglicht durch rasches Erfassen des komprimierten Textes ein sofortiges Nacharbeiten

Um ein Lernprodukt zu erstellen wird den Lernenden ein Leporello (blanko) bereitgelegt Darin notieren bzw dokumentieren sie individuell ihre neu gewonne-nen Erkenntnisse nachdem sie sich die Materie durch die Lernmaterialien er-schlossen haben Ein signifikantes Element dieser kompetenzorientierten Unter-richtsform ist die Anwendung Das Erlernte wird im Kontext der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung unmittelbar in die praktische Umsetzung uumlberfuumlhrt Die Frage ob die Lernenden alles verstanden haben kann in der Vorbereitung eines hygieni-schen Arbeitsplatzes fuumlr eine Schokoladencreme zielgerichtet geloumlst werden Wa-rum hier ausgerechnet eine Schokoladencreme ausgewaumlhlt wurde kann ua mit dem hohen Motivationscharakter dieses Rezeptes beantwortet werden

44 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren auswerten

Der Sinn dieser Phase liegt in der individuellen und selbst formulierten Praumlsentati-on Sachverhalte die in eigenen Worten vorgestellt werden koumlnnen besser behal-ten werden (Gudjons 1997 1998) und machen Lernenden und dem Lehrenden sofort deutlich ob die Inhalte verstanden wurden

Mit der Kugellagermethode erfahren die Lernenden zunaumlchst einen ersten in-teraktiven Austausch Im vorliegenden Planungsmodell wurden bewusst unter-schiedliche Medien und Methoden zur Praumlsentation gewaumlhlt Zum einen die schrift-liche Fixierung mittels Tafel Karten und Leporellos zum anderen die handlungsorientiert gestalteten Arbeitsplaumltze

Die Lernenden erfahren durch den Austausch eine Erweiterung der Sozialkom-petenz im Bereich der Kommunikation Zuhoumlren sowie Sprechen und Ausreden lassen werden hier in der Anwendung er-gelernt und vertieft Ferner wird auch die Schreibkompetenz durch die Verschriftlichung der Ergebnisse geschult und geuumlbt Entscheidend fuumlr die Fachwissenschaft sind hier der direkte Zugang zu Fachbegrif-fen und die sofortige situative Umsetzung Durch den Einsatz der gruumln zu beschrif-tenden Karten wird eine Verbindung zum Einstiegsproblem geschaffen (vgl Kar-ten mit roter Beschriftung) naumlmlich mangelhafte Hygienebedingungen und Fachbegriffe werden dabei vertieft

45 Lernzugewinn definieren und Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erprobenLernbewusstheit foumlrdern und neue Kontexte anbieten

Um den Lernzugewinn zu definieren vergleichen die Lernenden ihre individuellen Lernprodukte mit ihren eingangs formulierten Vermutungen Dadurch koumlnnen sie ihren persoumlnlichen Lernzuwachs artikulieren und ihre eigenen Lernprozesse reflek-

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tieren und erleben dadurch ihren eigenen Kompetenzzuwachs Die Lehrperson setzt einen Impuls zur Reflexion in Form eines Fotos (unhygienischer Arbeits-platz) Nach der eigenen Reflexion des Lernprozesses durch die Lernenden kann die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen dazu in individuellen Feedbacks aumlu-szligern

Um die Kernkompetenz Bewaumlltigung von Alltagssituationen zu erweitern muss die Aufgabe in einem neuen Kontext erprobt werden Diese Transferleistung wird in einer praktischen Taumltigkeit erfahren Die Lernenden bereiten zB eine Schokoladencreme zu Konkret werden die erlernten Kompetenzen rund um die Gestaltung eines Arbeitsplatzes der den neu formulierten Hygienebedingungen entspricht uumlbertragen Dadurch beweisen sich die Lernenden als Spezialisten fuumlr persoumlnliche Hygiene Lebensmittelhygiene sowie hygienisches und damit gesund-heitsfoumlrderndes Arbeiten Sie haben damit eine Alltagskompetenz erworben die sie staumlndig in auszligerschulischen Handlungsfeldern benoumltigen

46 Sicher werden und uumlben

Das einmalige Zubereiten eines Teilgerichts kann nun natuumlrlich noch nicht als stets abrufbare Kompetenz vorausgesetzt werden Durch staumlndig wiederkehrende und auch leicht abgeaumlnderte Zubereitungssituationen wird der Lernende das Erfahrene nun eigenstaumlndig (freiwillig) erproben und umsetzen Die Lernenden gewinnen zunehmend aus eigenem Interesse an ihrer persoumlnlichen Gesunderhaltung Sicher-heit bzw Routine in der Gestaltung eines hygienischen Arbeitsplatzes

5 Evaluation und Reflexion Um die Thematik Hygiene zu reflektieren und zu bewerten muss festgestellt wer-den dass bei der Entwicklung einer Lehr-Lernsequenz der Fokus auf der Gestal-tung der Lernumgebung liegen muss Nach der Durchfuumlhrung stehen Fragen wie bdquoWelche der geplanten Lehr-Lernsequenzen muss abgewandelt bzw eliminiert werdenldquo im Mittelpunkt Waren die in der Lernumgebung bereitgestellten Medien und Materialien schuumller- handlungs- bzw leistungsorientiert Wie oft wurde die Lehrperson in welcher Lernsequenz von den Lernenden involviert (als Hilfestel-lung) Mit welchen Kriterien bewerten die Lernenden die bereitgestellten Materia-lien Im Gegensatz dazu reflektieren die Lernenden oft schwerpunktmaumlszligig die Elemente Zubereitung und Verzehr Dies muss in der Reflexionsphase aber durch-aus einbezogen werden In der gemeinsamen Reflexion vereinfachen die Bezugs-punkte des gewaumlhlten Beispiels (Schokocreme Geschmack Darbietung Menge Zutaten Preis Aufwand etc) eine Diskussion

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6 Ausblick Fakt ist dass der Lernkontext bdquoAlltagldquo welcher sich in verschiedenen Faumlcherver-buumlnden und Faumlchern wiederfindet stets einen Lebensweltbezug hat Eine intrinsi-sche Motivation den individuellen Alltag zu meistern bietet hervorragende Moumlg-lichkeiten Kompetenzen auch im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu erwerben Durch Lernaufgaben mit Lebensweltbezug fuumlr die Lernenden kann der Individua-lisierung der Heterogenitaumlt sowie der Interkulturalitaumlt in diesem Fach Rechnung getragen werden Die Kuumlche ist also in vielfaumlltiger Art und Weise eine geeignete Lehrumgebung um Lehr-Lernprozesse zu initiieren

Anmerkung

1 Die komplette Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene steht uumlber [wwwhibifode04_2013html] zum Download zur Verfuumlgung

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Leisen J (2010) Das Lehr-Lernmodell in den naturwissenschaftlichen Fachsemi-naren Studienseminar Koblenz [wwwleisenstudienseminar-koblenzde]

Leisen J (2011) Kompetenzorientiert unterrichten ndash Fragen und Antworten zu kompetenzorientiertem Unterricht und einem entsprechenden Lehr-Lernmodell Naturwissenschaften im Unterricht Physik 123124 S 4-10

Leisen J (2013) Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Vortrag in Schwauml-bisch-Gmuumlnd am 12713 [wwwlehr-lern-modellde]

Maier U (2012) Lehr-Lernprozesse in der Schule Studium Bad Heilbrunn Klinkhardt

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Weinert F (2001) Leistungsmessungen in der Schule Weinheim-Basel Beltz

Verfasserinnen

Barbara Dittrich Barbara Franta und Profin Dr Petra Luumlhrmann

Paumldagogische Hochschule Schwaumlbisch Gmuumlnd Institut fuumlr Gesundheitswissenschaften Abteilung Ernaumlhrung Konsum und Mode Oberbettringer Str 200 D-73525 Schwaumlbisch Gmuumlnd E-Mail barbaradittrichph-gmuendde barbarafrantaph-gmuendde

petraluehrmannph-gmuendde Internet wwwph-gmuendde

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Larissa Kessner und Melanie Braukmann

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen Der Artikel beschreibt den Einsatz der Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht Die Kar-tei wurde fuumlr die Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8ldquo entwickelt und unterstuumltzt selbststaumlndiges Lernen Anhand vier ausge-waumlhlter Beispiele wird dargestellt wie Schuumllerinnen und Schuumller mit den Karten arbeiten und diese in ihren individuellen Lernprozess einbinden

Schluumlsselwoumlrter Kuumlchenkartei SchmExperten Experimente Binnendifferenzierung

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1 Selbststaumlndig lernen mit der Kuumlchenkartei

Die Kuumlchenkartei1 des aid infodienst e V liefert alle wesentlichen Informationen und Anleitungen die Schuumllerinnen und Schuumller fuumlr das Arbeiten in der Kuumlche benouml-tigen Aussagekraumlftige Fotos und leicht verstaumlndliche Texte verdeutlichen wichtige Hygieneregeln den Einsatz verschiedener Arbeitsgeraumlte allgemeine Arbeitstechni-ken und den Umgang mit ausgewaumlhlten Lebensmitteln

Da die Kuumlchenkartei fuumlr die aid-Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuuml-cheldquo entwickelt wurde thematisiert sie solche Geraumlte Techniken und Lebensmittel die in diesem Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen Die Kuumlchenkartei ist Be-standteil des Medienpaketes bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche

Steckbrief zu den SchmExperten in der Lernkuumlche bull unterrichtsbegleitendes Material zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen bull Zielgruppe Schuumllerinnen und Schuumller der Jahrgangsstufen 6 bis 8 aller Schulformen und

Bundeslaumlnder bull curriculare Einbindung im Fachunterricht und Wahlpflichtbereich zB Hauswirtschaft

Verbraucherbildung Hauswirtschaft und Soziales Arbeitslehre Arbeit-Wirtschaft-Technik bull kompetenzorientiert mit Moumlglichkeiten zur Binnendifferenzierung bull individuell veraumlnderbare Arbeitsblaumltter auf CD-ROM bull Kuumlchenkartei mit 47 Karten zu den wichtigsten Fachinhalten in Wort und Bild bull Kernstuumlck Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte mit allen Sinnen erforschen selbststaumlndig

warme Speisen zubereiten und dabei Rezepte variieren bull Ziel Kuumlchenfertigkeiten und Lebensmittelkenntnisse so vermitteln das die Schuumllerinnen

und Schuumller Speisen gesundheitsorientiert bewerten mit Freude zubereiten und genieszligen koumlnnen

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Tab 1 Themen ausgewaumlhlte Inhalte und Rezepte der SchmExperten in der Lernkuumlche

Thema Inhalte Rezepte

1 Startklar im Team

Portfolio Essknigge Hygiene und Aufraumlumen Krallengriff

Wraps leicht gemacht

2 Getraumlnke ndash Ohne Zucker kein Geschmack

Trinkgewohnheiten Energiespartipps und Sicherheit Rezeptaufbau Messen und Wiegen Etikett und Zutatenliste

Cooler Eistee

3 Gemuumlse ndash Auch im Winter frisch auf den Tisch

5 am Tag und Saisonalitaumlt Einkaufszettel Arbeitsplatzgestaltung Schneiden Kochen Duumlnsten

Gemuumlsesuppe mit Biss Veggietasche mit Soszlige Salat mit Sattwerdgarantie

4 Getreide ndash Typisch italienisch

Getreidevielfalt interkulturelle Aspekte Kraumluter und Gewuumlrze Vollkorn und Saumlttigung

Italienische Gemuumlsebolognese mit Nudeln Feurige Asiapfanne mit Reis Orientalische Kichererbsenpfanne mit Couscous

5 Kartoffeln ndash Frisch oder aus der Tuumlte

Kaufen versus selber machen Mahlzeiten planen Kochen Braten und Backen

Knusprige Kartoffelecken Bunte Kartoffelpuffer Cremiges Kartoffelcurry Salat- und Diprezepte

6 Milch ndash Mindestens haltbar bis

Zutatenmengen umrechnen Muumlllvermeidung und Klimaschutz Mindesthaltbarkeit und Verbrauchsdatum Kuumlhllagerung und Lebensmittelhygiene Naumlhrwerttabelle

Gefuumlllte Pfannkuchen Fruchtiger Milchreis Uumlberbackene Bruschetta

7 Abschlussbuumlfett ndash Kreativitaumlt gewinnt

Speisen fuumlr ein Buumlfett variieren Portfolios praumlsentieren Schulverpflegung bewerten Einkaufstipps

Alle Rezepte

8 aid-Ernaumlhrungs-pyramide

Kernbotschaften der Pyramide Handmaszlig fuumlr Portionsgroumlszligen Bewegungsverhalten Essgewohnheiten reflektieren

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Der aufstellbare Ringordner zur Kuumlchenkartei gliedert sich in fuumlnf verschiedene Themen Unter dem Begriff bdquoSauberkeitldquo sind Inhalte zum hygienischen Arbeiten in der Kuumlche zusammengefasst ndash beginnend mit der persoumlnlichen Hygiene uumlber die Arbeitsplatzhygiene bis hin zur hygienischen Zubereitung Weitere Rubriken greifen Arbeitsgeraumlte wie Kuumlchenwaage oder Vierkantreibe Arbeitstechniken zB das Putzen von Gemuumlse und ausgewaumlhlte Lebensmittel auf Hier zeigen Step-by-Step-Fotos wie bestimmte Lebensmittel vor- und zubereitet werden Unter bdquoExtrasldquo finden die Schuumllerinnen und Schuumller weitergehende Informationen zB zum Tischdecken oder zur aid-Ernaumlhrungspyramide

Insgesamt umfasst die Kuumlchenkartei 47 ndash teilweise doppelseitig bedruckte ndash DIN-A5-Karten Dem Unterrichtspaket bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo liegt dar-uumlber hinaus eine CD-ROM mit veraumlnderbaren Blanko-Karten bei Mit diesen Vorla-gen koumlnnen Lehrende und vor allem Lernende eigene Karten entwickeln und eben-falls im Ringordner abheften

Mit Hilfe der Kuumlchenkartei bull erarbeiten sich die Schuumllerinnen und Schuumller selbststaumlndig Inhalte (zB zur aid-

Ernaumlhrungspyramide) bull uumlberpruumlfen und ergaumlnzen die Jugendlichen selbststaumlndig ihre eigenen Arbeitsergebnisse

(zB Energiespartipps die von KuumlchenExperimenten abgeleitet werden) bull erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller praktische Hilfestellungen die ihrem Kompetenzni-

veau entsprechen (zB Erklaumlrung von Basistechniken wie Gemuumlse putzen ndash wer das schon kann braucht die Karte nicht)

bull gestalten die Lernenden eigene Karteikarten (zB Tipps fuumlr den Einkauf)

2 Eine Kartei ndash verschiedene Lernwege und Einsatzmoumlglichkeiten

Im Folgenden wird anhand exemplarisch ausgewaumlhlter Unterrichtsvorschlaumlge aus dem Unterrichtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo erlaumlutert wie sich die Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht einsetzen laumlsst

21 Experimentieren am Beispiel Raspeltest

Wie das Kunstwort bdquoSchmExpertenldquo (Schmecken + Experimentieren + Experte wer-den) verdeutlicht ist das Experimentieren ein wesentliches Merkmal der SchmEx-perten Neben zahlreichen SinnExperimenten bietet das Unterrichtsmaterial auch verschiedene KuumlchenExperimente mit Lebensmitteln und Kuumlchengeraumlten an

Beim Raspeltest werden die Schuumllerinnen und Schuumller beispielsweise vor die Frage gestellt bdquowie die Gurke in den Zaziki kommtldquo Zur Loumlsung der Aufgabe steht ihnen eine Vierkantreibe und eine Gurke zur Verfuumlgung So koumlnnen sie ausprobieren was die unterschiedlichen Seiten der Reibe bewirken und erarbeiten sich das Hobeln

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Raspeln und Reiben Die Karte zur Vierkantreibe unterstuumltzt die Schuumllerinnen und Schuumller dabei dieses Arbeitsgeraumlt sicher einzusetzen und die verschiedenen Seiten richtig zu benennen Sie macht jedoch keine Vorgaben welche Seite der Vierkant-reibe sich fuumlr Gurken bzw fuumlr einen Zaziki am besten eignet Dies sollen die Schuumlle-rinnen und Schuumller auf Grundlage ihrer Ergebnisse selbst beurteilen

SinnExperimente wecken Neugier Das Experimentieren mit allen Sinnen ermoumlglicht Jugendlichen neue Lernzugaumlnge und schafft Lernmotivation Dabei testen die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Lebensmittel mit allen Sinnen und notieren was sie wahrnehmen

Fuumlr SinnExperimente eignen sich unverarbeitete und auch verarbeitete Lebensmittel So lassen sich verschiedene Verarbeitungsformen auch aus oumlkologischer ernaumlhrungsphysiologi-scher und hauswirtschaftlicher Sicht sowie im Kontext nachhaltigen Handelns diskutieren KuumlchenExperimente trainieren Fach- und Methodenkompetenz Im Mittelpunkt der KuumlchenExperimente steht die Erforschung von physikalischen chemi-schen und biologischen Zusammenhaumlngen die bei der Nahrungszubereitung eine Rolle spie-len Dabei koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller auch Schritte ausprobieren die bei der ei-gentlichen Rezeptzubereitung wenig zielfuumlhrend waumlren

Das Besondere dabei ist dass die Lernenden sowohl naturwissenschaftliche Arbeitsme-thoden als auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten trainieren koumlnnen Wenn mit Lebensmitteln in der ein oder anderen Weise umgegangen wird (zB laumlngere Garzeiten fuumlr haumlrteres Gemuumlse) oder Kuumlchengeraumlte in bestimmter Weise zum Einsatz kommen (zB Toumlpfe immer mit De-ckel) dann stehen meist naturwissenschaftliche Gesetzmaumlszligigkeiten dahinter die es zu verste-hen und dann im Alltag anzuwenden gilt

22 Binnendifferenzierung am Beispiel Pellkartoffeln

Die Schuumllerinnen und Schuumller unterscheiden sich stark in ihren manuellen Geschick-lichkeiten Manche koumlnnen bereits kleine Menuumls alleine zubereiten anderen haben noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln

So sind besonders im haushaltsbezogenen Unterricht die unterschiedlichen Kenntnis-se der Jugendlichen die bereits vorhandenen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Werthaltun-gen das vermeintliche Expertenwissen und das in Herkunftshaushalten und Medien gepraumlgte Alltagsverstaumlndnis der Inhalte bedeutsam fuumlr die Konzeption von Lernpro-zessen (Leutnant 2012 S 66)

Die Kuumlchenkartei kann die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schuumllerinnen und Schuumller beruumlcksichtigen indem sie jederzeit als Nachschlagewerk zur Verfuuml-gung steht Wenn die SchmExperten fuumlr ein SinnExperiment beispielsweise Pellkar-toffeln brauchen finden Kuumlchenneulinge auf der Karte bdquoPellkartoffeln kochenldquo eine schrittweise Anleitung mit Fotos und kurzen Erlaumluterungen Jugendliche mit mehr Erfahrung koumlnnen zunaumlchst auf diese Hilfestellung verzichten Ihnen stellt sich viel-leicht erst zum Ende der Zubereitung die Frage woran sie erkennen dass ihre Kar-toffeln gar sind Auch hier hilft dann die Kuumlchenkartei mit der Karte bdquoGarprobeldquo

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Somit handelt es sich bei den Karteikarten um differenzierende Unterrichtsmate-rialien die einen wichtigen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts bedeuten koumlnnen Laut Leutnant (2012 S 67) muss ein individualisierter Unterricht neben den differenten Lernvoraussetzungen auch die unterschiedlichen Interessens-lagen und vor allem die individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen be-ruumlcksichtigen

23 Rezepte variieren am Beispiel Gemuumlsesuppe

Obwohl die Zubereitung warmer Speisen zu den Kernkompetenzen der SchmEx-perten zaumlhlt enthaumllt das Unterrichtsmaterial eine uumlberschaubare Auswahl an Re-zepten Diese dienen exemplarisch dazu wichtige Basistechniken und das Arbeiten nach Anleitung zu trainieren Dabei laumlsst die Formulierung der Rezepte den Schuuml-lerinnen und Schuumllern insbesondere in Bezug auf Obst und Gemuumlse so viele Frei-raumlume wie moumlglich Daruumlber hinaus finden sich auf allen Rezepten Ideen zur Va-riation von Speisen die die Jugendlichen anregen sollen selbst kreativ zu werden

Das Rezept fuumlr Gemuumlsesuppe ist beispielsweise so konzipiert dass es mit den verschiedensten Gemuumlsesorten gelingt Diese Freiheit ist noumltig um saisongerechtes Gemuumlse verwenden zu koumlnnen Dies soll den Jugendlichen aber auch ermoumlglichen das Rezept nach ihren Vorlieben und Beduumlrfnissen abzuwandeln Statt einer klaren Vorgabe wie welches Gemuumlse vorbereitet werden soll erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller deshalb lediglich allgemeine Anweisungen wie bdquoGemuumlse waschen putzen und falls noumltig schaumllenldquo oder bdquohartes Gemuumlse kleiner schneiden damit es schneller weich wirdldquo

Die Kuumlchenkartei dient in diesem Fall dazu die allgemeinen Anweisungen zu konkretisieren und die Fragen aufzufangen die sich bei der Abwandlung von Rezep-ten ergeben Sie zeigt was bdquoGemuumlse putzenldquo bedeutet welches Gemuumlse geschaumllt werden muss oder wie der Puumlrierstab zu bedienen ist wenn sich die Jugendlichen fuumlr eine cremige Variante der Suppe entscheiden

Die eigenstaumlndige Variation von Rezepten foumlrdert nicht nur die Motivation und Begeisterung sondern auch die Selbststaumlndigkeit und Methodenkompetenz der Schuuml-lerinnen und Schuumller

24 Selbstkontrolle am Beispiel Hygiene

Neben praktischen Anleitungen bildet die Kuumlchenkartei auch theoretische Grundla-gen und unverzichtbare Hygiene- und Sicherheitshinweise ab Ziel ist es hierbei den Sinn bestimmter Regeln und Vorgaben zu verstehen und anwenden zu koumlnnen Die SchmExperten erarbeiten sich die wichtigsten Maszlignahmen zur persoumlnlichen Hygiene deshalb in Form eines Expertenpuzzles

Dabei uumlbernimmt in jeder Arbeitsgruppe ein Jugendlicher die Rolle des bdquoHygie-newaumlchtersldquo und erarbeitet in drei Schritten einen Hygiene-Check Zunaumlchst uumlberlegt

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sich jeder Hygienewaumlchter alleine eine Loumlsung Anschlieszligend findet eine Partnerar-beit mit Bildkarten statt bevor alle Hygienewaumlchter ihre Ergebnisse vergleichen und gemeinsam eine Checkliste erarbeiten Dieses dreistufige Vorgehen foumlrdert und er-leichtert das kooperative Lernen (vgl Bartsch 2012 S 61)

Die Kuumlchenkartei dient den Schuumllerinnen und Schuumller hierbei zur Selbstkontrol-le Sie uumlberpruumlfen ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse mit Hilfe der passenden Karten Bei Bedarf ergaumlnzen sie daraufhin ihre eigene Checkliste oder erstellen eine eigene Karteikarte mit einem auf ihre Anforderungen abgestimmten Hygiene-Check Ist die Kartei im weiteren Unterrichtsverlauf stets verfuumlgbar bleibt auch der Hygie-ne-Check praumlsent und kann jederzeit wiederholt und abgerufen werden

3 Schritt fuumlr Schritt zu mehr Selbststaumlndigkeit

Die gesamte Unterrichtsreihe betrachtet die Schuumllerinnen und Schuumller als Akteure ihres eigenen Lernprozesses und stellt sie mit ihren Beduumlrfnissen ihrer Lebenswelt ihrem biografischen Hintergrund und ihren Lebensmoumlglichkeiten in den Mittelpunkt

Die Lehrenden uumlbernehmen dabei die Rolle des Moderators der die Schuumllerin-nen und Schuumller begleitet lenkt und motiviert

Lehrpersonen sind fuumlr die Bereitstellung von didaktisch-methodisch durchdachten Unterrichtsarrangements verantwortlich die ein exemplarisches und strukturiertes Lernen an geeigneten Beispielen ermoumlglichen Dabei veraumlndert sich allerdings das Lehr-Lernverhaumlltnis so begleiten und uumlberzeugen Lehrende den Lernprozess durch ihre Fachexpertise bei Moderation Anleitung Beratung etc (Bartsch 2012 S 57)

Ziel des Unterrichtsmaterials ist es jedem Einzelnen Perspektiven und Moumlglichkei-ten aufzuzeigen wie er oder sie seinen bzw ihren physiologischen Bedarf nach aus-gewogenem Essen und Trinken mit den individuellen Beduumlrfnissen in Einklang brin-gen kann

Die Kuumlchenkartei kann Lehrkraumlfte dabei unterstuumltzen auch im fachpraktischen Unterricht eine moderierende Rolle einzunehmen Wie die zahlreichen Schultests mit dem Material gezeigt haben ist die Kuumlchenkartei jedoch kein bdquoSelbstlaumluferldquo Waumlh-rend der praktischen Zubereitung sind die Schuumllerinnen und Schuumller haumlufig versucht ihre Lehrkraft um eine schnelle Anleitung zu bitten anstatt Arbeitsanleitungen genau zu lesen und bei Unklarheiten zunaumlchst die Kuumlchenkartei zu Hilfe zu nehmen

Deshalb ist es wichtig die Kuumlchenkartei zu Beginn einer praktischen Unter-richtsreihe ausfuumlhrlich einzufuumlhren und im weiteren Verlauf immer wieder auf sie zu verweisen Fragechips koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller motivieren zuerst selbst nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen Wenn jede Gruppe pro Stunde beispiels-weise nur vier Chips erhaumllt wird sie versuchen nach eigenen Loumlsungswegen zu su-chen bevor die Lehrkraft zurate gezogen wird Natuumlrlich schlieszligt dieses Vorgehen nicht aus dass die Lehrkraft auch direkte Unterweisungen gibt wenn sie diese fuumlr angebracht und effektiver haumllt

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4 Fazit

Wie die vier ausgewaumlhlten Beispiele zeigen unterstuumltzt die Kuumlchenkartei schuumllerori-entiertes Lernen und selbststaumlndiges Arbeiten Sie ergaumlnzt damit optimal das Unter-richtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo Als Nachschlagewerk und Selbst-lernprogramm laumlsst sie sich aber auch unabhaumlngig davon sehr flexibel im fachpraktischen kompetenzorientierten Unterricht einsetzen

Anmerkung 1 Idee und Konzept der Kuumlchenkartei Susanne Gruumlnwald

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Kessner L Braukmann M Bruumlggemann I (2012) SchmExperten in der Lernkuuml-che Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8 Bonn aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Kessner L Braukmann M Wanzek P (2012) Die Kuumlchenkartei Bonn aid info-dienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Leutnant S (2012) Selbstdifferenzierende Aufgabenformate im kompetenzorien-tierten Unterricht Haushalt in Bildung amp Forschung 3 65-76

Fuumlr die Verfasserinnen

Dipl-Oecotrophin Larissa Kessner

aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz eV

Heilsbachstr 16 D-53123 Bonn

E-Mail lkessneraid-mailde Internet wwwaidde

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im folgenden Beitrag sollen einige grundlegende Aspekte der Esskultur1 vorgestellt werden um darauf aufbauend an Beispielen aus dem Unterricht zu erlaumlutern welche Bedeutungen diese kulturellen Voraussetzungen fuumlr die Fachpraxis haben

Schluumlsselwoumlrter Handwerkliche Praxis der Nahrungszubereitung Esskultur Theorie-Praxis-Verknuumlpfung

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Fachpraxis gilt als beliebte Alternative zum sog Theorie-Unterricht und wird oft nach dem Motto sbquoLieber mit der Hand gemacht als daruumlber nachgedachtlsquo erledigt Die intendierten Lernprozesse beinhalten Forderungen an sbquodas Kochenlsquo die von Schuumllerinnen und Schuumllern (leider auch von vielen Lehrpersonen) als unnoumltige Er-schwernis wenn nicht gar als Stoumlrung gesehen werden Tab 1 REVIS-Bildungsziel 3 (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung 2005)

3 Die Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung

Die Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage hellip sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen

Dazu gehoumlrt dass sie hellip bull Mahlzeiten situations- und

alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen

bull Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten

bull Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden

bull Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren

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Lehrpersonen haben erfahrungsgemaumlszlig sehr unterschiedliche Anspruumlche an die Fach-praxis Falls sie nicht den leichteren Weg nehmen und die Jugendlichen sbquokochenlsquo lassen (bdquoDas brauchen die doch fuumlr ihr Lebenldquo) muumlhen sie sich ihnen grundlegende Fertigkeiten und deren theoretische Begruumlndung nahezubringen ndash abhaumlngig vom eigenen Grad der Professionalisierung

Im REVIS-Curriculum2 wurde der bisherige Zugang zur Fachpraxis entscheidend erweitert bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo Der sich hieraus ergebende Bildungsauftrag geht uumlber sbquoKochenlsquo hinaus und wird erst vollstaumlndig wenn die ange-strebte Kompetenz bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzenldquo (s Tab 1) hinzukommt

1 Grundlagen eines sbquokulturellen Verstaumlndnisseslsquo der Nahrungszubereitung3

Menschen sind von Natur aus sbquoKulturwesenlsquo Als sbquoinstinktlose Omnivoren (Alles-fresser)lsquo benoumltigen sie Wissens- und Handlungsstrukturen die es ermoumlglichen die alltaumlgliche Versorgung mit Nahrung zu sichern Diese Strukturen sind grundlegende Legitimation dafuumlr dass Ernaumlhrungsbildung Teil des verbindlichen gesellschaftli-chen sbquoKulturwissenslsquo sein muss gleichberechtigt zu Sprachen Mathematik oder Informatik (vgl Barloumlsius 2011 Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies 2011)

Die geforderten Wissens- und Handlungsstrukturen muumlssen durch leitende Werte und Ziele definiert werden Vorherrschende Begruumlndungen basieren in der Schulkuuml-che meist (falls nicht vorrangig auf Erfahrungen der Lehrkraft) auf natur- und ar-beitswissenschaftlichen Grundlagen ergaumlnzt durch politische Ziele (wie zB Nach-haltigkeit) ndash alles ohne Einordnung in einen groumlszligeren auch kulturellen Zusammenhang Kulturelle Zusammenhaumlnge ermoumlglichen aber erst die Strukturie-rung und Analyse und sind deshalb fuumlr die Ausgestaltung der Fachpraxis zentral

Drei Institutionen des Essens Menschen regeln ihre Wertung von Nahrungsmitteln deren Zubereitung und Ver-zehr uumlber drei Institutionen (vgl Barloumlsius 2011 S 93ff)4

(1) Die kulturelle Bestimmung von bdquoessbarldquo und bdquonicht essbarldquo

Menschen als sbquoOmnivorenlsquo koumlnnten mehr Nahrungsmittel nutzen als sie kennen koumlnnen Dies fuumlhrt dazu dass kulturell bestimmt wird welche Nahrungsmittel ak-zeptiert werden und welche nicht Neben Vertraumlglichkeit und Oumlkonomie (Effizienz des notwendigen Arbeitseinsatzes) gibt es eine Vielzahl von offiziellen (zB religiouml-sen politischen) und inoffiziellen (zB Tabus Moden) Reglementierungen Entspre-chend ist die Nahrungsauswahl auch ein Ausdruck von Normen und Werten bis hin zu den Bewertungen dazu was sbquomanlsquo (wer in welcher Situation) isst oder nicht isst

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Auf dieser Basis entwickelt sich Geschmack welcher dann der sozialen Distink-tion dient Subjektiv wird dieser Zusammenhang selten bewusst wahrgenommen Jugendliche kennen zwar auch sbquoEss-Modenlsquo aber sie empfinden ihre Auswahl zu-naumlchst als selbstverstaumlndlich als Ausdruck ihres sbquoGeschmackslsquo Sie wissen und ver-stehen weder die naturwissenschaftlichen noch die kulturellen Hintergruumlnde fuumlr die sbquoEntwicklung von Geschmacklsquo ndash wie viele Lehrpersonen leider auch nicht

In der Nahrungszubereitung dient die Konfrontation mit Nahrungsmitteln Ge-richten und Geschmaumlckern auch der Entwicklung und Erweiterung eines sbquokulturellen Geschmackslsquo als Teil kultureller Bildung Mit der Zubereitung von Gerichten wer-den nicht nur Kompetenzen angebahnt sondern auch Geschmaumlcker Wertungen und Zuschreibungen (gut ndash schlecht traditionell ndash modern Alltag ndash Sonntag etc) tradiert Ein Geschmack der sbquoHeimatlsquo der sbquoModernelsquo der sbquoGesundheitlsquo oder des sbquoExotischenlsquo wird so erworben ndash oder abgelehnt Geschmackserfahrungen gehen ndash mit Gefuumlhlen und Wertungen verbunden ndash in zunaumlchst unreflektierte sbquoGrundstimmungenlsquo (u a wichtig fuumlr Identitaumlt und Sicherheit) und -haltungen (Zuwendung Abwehr etc) so-wie damit verbundene Handlungsmuster uumlber Erst wenn diese Zusammenhaumlnge verstanden werden kann die eigene Entwicklung als sbquogewordenelsquo reflektiert und die Nahrungszubereitung gezielt zur Erweiterung der Akzeptanzen genutzt werden

(2) Die Kuumlche als kulturelles Regelwerk

Kuumlchen sind sowohl Raumlume mit spezifischer technologischer Ausstattung als auch Bezeichnung fuumlr typische Arten und Weisen der Zubereitung die uumlberdies Botschaf-ten beinhalten (Sprache der Kuumlche) In beider Hinsicht sind sie soziokulturelle Phauml-nomene mit entsprechenden Charakteristika und dienen der kulturellen und sozialen Identitaumlt bdquoZwischen Beduumlrfnis (Hunger) und Befriedigung (Essen und Trinken) setzt der Mensch das ganze kulturelle System der Kuumlcheldquo betont Tolksdorf (1976 S 67) und hebt damit hervor dass die Auswahl Bearbeitung und Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Speisen und Mahlzeiten einem komplizierten und differenzierten Regelwerk unterliegt

Obwohl viele Nahrungsmittel in vielen Laumlndern aumlhnlich oder gleich sind (wie zB Huumllsenfruumlchte Getreide) schmecken die daraus bereiteten Gerichte aufgrund der unterschiedlichen sbquoKuumlchenlsquo voumlllig anders (vgl Schlegel-Matthies 2002) Die Verarbeitung mit teuren Zutaten (fruumlher oft Eier und Fett heute seltene Zutaten) und mit einem houmlheren Aufwand (Arbeit Zeit Wissen und Fertigkeiten) kann zur Auf-wertung fuumlhren (vgl Roumlszligler-Hartmann 2012)

In der Nahrungszubereitung finden diese Aspekte ihren Platz durch vorgegebene leitende Werte und damit verbundene Rezepte sbquoGesundelsquo Rezepte sind fett- und sbquonachhaltigelsquo fleischaumlrmer sbquotraditionellelsquo sind eher fett- und fleischreicher Alltags-speisen beanspruchen weniger Wissen und Zeit als Feiertagsspeisen etc Dabei sind Werte wie sbquogesundlsquo meist unhinterfragt gesetzt werden aber durch andere Werte wie sbquofestlichlsquo sbquoschmackhaftlsquo sbquoexotischlsquo etc verdraumlngt bzw ausnahmsweise ausgesetzt Kuumlchentechniken werden entweder arbeitswissenschaftlich begruumlndet (rationell

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sicher hygienisch) oder mit dem schlichten Hinweis bdquoDas macht man soldquo So kann der kulturelle Hintergrund schnell verdeckt werden

(3) Die Mahlzeit als soziale Institution

Mahlzeiten dienen der Herstellung und Bewahrung von Gemeinschaft und Zugehouml-rigkeit In ihren unterschiedlichen Elementen den Tischgemeinschaften-sitten und -gespraumlchen) ihren Auspraumlgungen in Alltag und Festtag ihrer haumlus-lichfamiliaumlren und auszligerhaumluslichen Erscheinungsform haben sie eine soziokulturell strukturierende Bedeutung (vgl Barloumlsius 2011 S 172ff Schlegel-Matthies 2002 2011)

Eine integrierende bzw ausgrenzende Funktion haben die Bestimmungen wer wann wo in welchem Rahmen zusammen isst sowie die Tischsitten Die Bedeutung der Letzteren ist so stark dass von vielen Menschen sbquoEsskulturlsquo vor allem mit dem Benehmen bei Tisch verbunden wird Dabei sind die Regeln bei genauerer Betrach-tung von den jeweiligen sozialen Zusammenhaumlngen abhaumlngig Sie hatten und haben u a die Aufgabe die soziale Stellung angemessen wiederzugeben Heute gelten zB traditionelle buumlrgerliche Regeln will man sich nicht im Restaurant blamieren oder anderen Menschen denen sie wichtig sind sbquovor den Kopf stoszligenlsquo

Die Nahrungszubereitung ist im Unterricht haumlufig mit gemeinsamem Essen ver-bunden wobei eine Einfuumlhrung in diese sbquoKultur des Essenslsquo erfolgen soll Deren Beherrschung ist haumlufig eine Voraussetzung fuumlr die soziale Akzeptanz von Men-schen ihre Vermittlung ist damit Teil des demokratischen Auftrags von Schule Die hinter den (sozio-kulturell unterschiedlichen) Regeln verborgenen Zusammenhaumlnge sind allerdings wenig bekannt und selten beruumlcksichtigt

Das Bildungsziel zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahl-zeitengestaltung verlangt mehr als die mehr oder (meist) weniger reflektierte Ver-mittlung vorherrschender (sozio-)kultureller Standards auf dem Stand der biogra-phisch erworbenen Erfahrung der Lehrkraft Erfahrungswissen ist wertvoll aber begrenzt (vgl Brandl 2012) Professionalitaumlt verlangt auch bei der Nahrungszuberei-tung Hintergrundwissen Wissen zu natur- und arbeitswissenschaftlichen Zusam-menhaumlngen ist weitgehend als notwendig akzeptiert Es wird aber weniger reflektiert dass und wie auch dieses Wissen kulturellen Einfluumlssen unterliegt Eine solche Re-flexion kann fuumlr einen gelingenden Unterricht hilfreich und das Wissen damit auch notwendig sein

2 Unterschaumltzte Grundwiderspruumlche

21 Professionalitaumlt versus Alltagswissen und -routinen

Jugendliche haben Erfahrungen (zB aus dem Elternhaus oder aus dem Fernsehen) oder Vorstellungen (darunter auch spontane Planungen) wie Nahrung bearbeitet und zubereitet werden kann ndash und sind oft stolz darauf Die haumlusliche Nahrungszuberei-

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tung ist nicht systematisch und rationell organisiert sondern von Raumgestaltung Alltagsroutinen und auch von der Vermischung mit anderen Arbeitsgaumlngen abhaumln-gig Die Ausstattung der Kuumlchen ndash und damit auch Kenntnis und Nutzung einzelner Geraumlte ndash ist entsprechend unterschiedlich

Wenn im Bildungsziel 3 (siehe Tab 1) formuliert ist bdquoTechniken der Nahrungs-zubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden koumlnnenldquo dann sind damit mehr kulturelle Strukturen verbunden als auf den ersten Blick erkennbar Die (im Elternhaus) erlernten Praktiken entsprechen haumlufig nicht professionellen Kriterien die in der Schulkuumlche die Arbeit leiten sollten Die Begruumlndung dafuumlr warum in der Schule professionelle Techniken vorgezogen und damit auch Handlungsalternativen geboten werden und die Unterscheidung zwischen sbquoVerbesserunglsquo von Arbeitspro-zessen sowie nicht verhandel- aber begruumlndbaren Grundlagen von Hygiene und Sicherheit kommen meist zu kurz Eine bloszlige Gegenuumlberstellung von sbquorichtiglsquo und sbquofalschlsquo kann Widerstand wecken Die explizite Gegenuumlberstellung haumluslicher und professioneller Arbeitstechniken die eine Analyse ihrer Unterschiedlichkeit auf-grund verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen zur Grundlage hat ermoumlg-licht beides zu respektieren

Arbeits- und Gartechniken beruumlcksichtigen zB Kriterien wie Arbeitsersparnis Naumlhrstoffschonung oder Geschmack Damit neue Arbeitsprozesse als Erleichterung wahrgenommen werden muumlssen sie Teil der Alltagsroutinen werden Erst dann werden sie Handlungsalternativen Mit offenen Diskussionen daruumlber dass Schule Wissen und Koumlnnen erweitern soll und Unterricht daher keine Spiegelung privater Verhaltensweisen zum Ziel hat sondern Reflexion und Entscheidungsfaumlhigkeit daruumlber kann die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen gefoumlrdert werden Viele Dinge werden klar wenn man die mit ihnen verbundene Arbeitslogik offen legt Der Umgang mit professionellen Kochmessern ist fuumlr Studierende und Jugendliche oft ungewohnt und zunaumlchst befremdlich Sie fuumlhlen sich mit einem kleinen Messer sicherer Man kann zB demonstrieren dass man mit einem kleinen und schmalen Messer auf einem kleinen Brett nicht sinnvoll und auch nicht sicher Gemuumlse schneiden kann Der Umgang mit einem Kochmesser erfordert eine gute Einwei-sung und Uumlbung (vgl Tornieporth 1993) Motivation dazu koumlnnen zB Koch-shows bieten in denen mit solchen Messern gearbeitet wird Voraussetzung ist allerdings dass gute (scharfe) Kochmesser in den Schulkuumlchen nicht nur vorhan-den sind sondern von den Lehrpersonen auch beherrscht und genutzt werden An dem beliebten sbquoHausfrauen-Allzweck-Suppenloumlffellsquo kann und sollte analysiert werden dass man mit ihm auf einem Topfboden nur Kratzspuren hinterlassen und keine Masse mischen kann Schneebesen sind dazu sinnvoller Es gilt entscheiden zu koumlnnen wann man nur kurz umruumlhren und probieren oder wann man Ansetzen vermeiden oder mischen will

Die Entwicklung einer Haushaltstechnik und Arbeitsorganisation sollte der Ar-beitserleichterung im Haushalt dienen Beide druumlcken kulturelle Errungenschaften aus die erlernt und eingeuumlbt werden koumlnnen Werden diese Zusammenhaumlnge klar-

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gestellt ohne den haumluslichen Alltag abzuwerten kann auch die Einhaltung von Regeln leichter werden Dabei sollte auch nicht geleugnet werden dass die ar-beitswissenschaftliche Logik die sich meist auf einzelne Arbeitsprozesse bezieht nicht immer kompatibel ist mit einer sbquoLogik des Alltagslsquo in diesem Alltag sind komplexe Situationen zu bewaumlltigen

22 Buumlrgerliche Kultur und einfache Alltagskuumlche

Die Haushaltslehre orientiert sich in weiten Bereichen an den Normen der buumlrgerli-chen Haushaltsfuumlhrung Bezogen auf eine kulturelle Sozialisation und Integration oder auf eine spaumltere Berufstaumltigkeit kann dies auch sinnvoll sein sollte aber nicht unreflektiert geschehen

Rezepte Gerichte und Mahlzeitengestaltung waren immer durch die unterschied-lichen Lebensbedingungen und -stile bestimmt In reichen Haushalten durfte die Bruumlhe den Appetit anregen in anderen musste eine dicke Suppe den (ersten) Hunger stillen damit Fleisch und andere Lebensmittel gespart werden konnten Wer wenig Zeit und Geld hatte konnte sich auch keinen groszligen Aufwand bei der Nahrungszu-bereitung leisten Wenige Menschen wissen dass das mehrgaumlngige Menu mit geson-dertem Geschirr und Besteck fuumlr jeden Gang in Schuumlsseln aufgetragen auf einen Tisch auf dem eine Tischdecke und Stoffservietten liegen einer Norm aus dem 19 Jahrhunderts folgt Und diese Norm entstand in Haushalten in denen Dienstboten die damit verbundene Arbeit uumlbernahmen Heutige Jugendliche merken zu Recht an dass sie mit den Servierschuumlsseln und -platten mehr Arbeit haben als wenn die Kochtoumlpfe und Pfannen auf den Tisch gestellt werden Nach welchen Regeln das Essen auf den Tisch kommt sollte nicht (nur) die Wiederholung buumlrgerlicher Nor-men beinhalten sondern auch deren Reflexion ndash und damit auch die Suche nach arbeitssparenden Alternativen fuumlr den Alltag in Haushalten (Teller auffuumlllen in der Kuumlche aumlsthetische Bewertung von Kochgeschirr etc) Die Teilkompetenz bdquoMahlzei-ten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnenldquo (s Tab 1) beinhaltet u a solche Uumlber-legungen Die Wertschaumltzung der Arbeit ist im doppelten Sinn geboten (1) Nur wer erkennt dass Nahrungszubereitung auch Freude machen kann und ein wichtiger Teil der Selbstbestimmung daruumlber ist was gegessen wird wird auch bereit sein sich die notwendigen Kompetenzen so anzueignen dass die Arbeit sbquoleicht von der Hand gehtlsquo (2) Die Wertschaumltzung derer ist geboten die diese Arbeit leisten und den ande-ren damit Nahrung bieten Die heutige Familienkultur verhindert haumlufig dass damit verbundene Arbeit erkannt und anerkannt wird weil Kinder und Jugendliche haumlufig nicht mehr sehen wie Nahrung zubereitet wird sondern sie bdquojust in timeldquo vorgesetzt bekommen (vgl Roumlszligler-Hartmann 2007 S 224)

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23 Bewertungen und Qualitaumltskriterien

Mit der ersten Teilkompetenz bdquoSpeisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumln-nenldquo (s Tab 1) sind drei Qualitaumltskriterien festgelegt

Fuumlr Jugendliche (und Studierende) enthaumllt der Hinweis bdquoMir schmecktrsquos aberldquo meist die Botschaft dass alle anderen Kriterien als unwichtig erachtet werden Geschmackswertungen sollten daher explizit von anderen Kriterien wie rationelle und hygienische Arbeitsorganisation Gesundheitswert getrennt werden Zudem sollte Geschmack ein eigenstaumlndiges Thema im Unterricht sein

Der Satz sbquoUumlber Geschmack laumlsst sich nicht streitenlsquo gilt durchaus wenn es um individuelle Praumlferenzen geht Wie diese entstehen und welche Unterschiede zur sensorischen Bildung bestehen ist eine gesonderte Frage Sensorische Bildung leitet an Unterschiede zu analysieren oder die Wirkung von Kombinationen unter-schiedlicher sensorischer Eindruumlcke (Geschmack Geruch Konsistenz etc) ken-nenzulernen ndash und nicht Praumlferenzen vorzuschreiben sbquoGeschmacksbildunglsquo dage-gen legt offen wie Geschmack entsteht was er bedeutet und wie man damit umgehen kann ndash dazu gehoumlrt auch dass und wie man ihn selbst aumlndern kann Sinn-lichkeit beinhaltet all dies und noch mehr Jugendliche sollen Freude am Essen und an der Nahrungszubereitung haben sollen genieszligen lernen denn das muss gelernt werden (vgl Bergler amp Hoff 2011 Houmlhl 2009) Sensorische Bildung und Ge-schmacksbildung gehoumlren zur Sinnlichkeit ebenso wie eine gute Beziehung zum Koumlrper (vgl Bartsch 2008 Methfessel 2002) Versteht man diese Zusammenhaumln-ge muss man sich nicht mehr wundern dass viele Jugendliche von sich aus wenig Interesse zeigen zu probieren und Wuumlrzmoumlglichkeiten zu variieren

Soziokulturelle Differenzen finden sich auch beim Ziel einer Gesundheitsfoumlr-derung Zum einen haben unterschiedlich vorhandene Ressourcen (Zeit Geld Kompetenzen) Einfluss auf das haumlusliche Essensangebot Zum anderen haben Ju-gendliche auch unterschiedliche Haltungen zur Bedeutung des Essens fuumlr die Ge-sundheit In Abhaumlngigkeit vom sozialen Milieu differiert was als sbquogutes Essenlsquo angesehen wird Waumlhrend zB Saumlttigung und Geschmack wichtige Kriterien fuumlr koumlrperlich Arbeitende sind orientieren Menschen aus Milieus mit houmlherem Bil-dungsniveau ihre Nahrung staumlrker an anderen Werten wie Gesundheit Schlankheit angesagten Ernaumlhrungskonzepten (vgl Barloumlsius 2011 Bourdieu 1993 Stieszlig amp Hayn 2005) Bei solchen Orientierungen spielen neben Wissen um die Bedeutung der Nahrung auch Vorstellungen uumlber die Kontrollierbarkeit von Koumlrper und Ge-sundheit eine Rolle (vgl Faltermaier 2005) Daneben ist auch festzustellen dass eine problematische soziale Lage und damit verbundene geringe Erwartungen an die Zukunft auch die Bereitschaft reduzieren kann das Essverhalten selbst zu kon-trollieren bzw kontrollieren zu lassen Wenn das Leben wenig Freuden bietet

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kann das Essen ein wichtiger bdquoFreudengeberldquo und eine bdquoBastionldquo der Selbstbe-stimmung sein5 Diese und andere Zusammenhaumlnge koumlnnen erklaumlren warum Ler-nende sehr unterschiedlich auf Vorgaben der Lehrkraft zum Thema Gesundheit reagieren

Mit dem dritten Kriterium der Nachhaltigkeit ist der Konflikt zwischen indivi-duellem Genuss und politischen Werten der Nachhaltigkeit (Beruumlcksichtigung globaler oumlkologischer sozialer und oumlkonomischer Zusammenhaumlnge) verbunden Jugendliche sind gegenwartsorientiert und viele suchen nach einfachen Wegen zum Wohlbefinden Die Reflexion der globalen Auswirkungen individuellen Konsums (zB bezogen auf Fleisch) und die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung muumlssen erst erlernt werden Damit wird dann ein wertvoller Beitrag zur Bildung fuumlr nachhaltige Entwicklung (BNE) geleistet Fuumlr Jugendliche ist allerdings nicht uumlber-zeugend wenn dies zB nur in einer einzelnen Unterrichtseinheit thematisiert wird dann einmalig Bio-Produkte zubereitet werden und das Kriterium sbquoNachhaltigkeitlsquo keinen Eingang in die handwerkliche Praxis ndash auch mit alltaumlglichen Umsetzungs-moumlglichkeiten ndash findet

Bei der Diskussion um Qualitaumlt und deren Bewertungskriterien sind auch wei-tere Bewertungen und Begruumlndungen welche den Jugendlichen wichtig sind zu erfragen und zu beruumlcksichtigen Dies kann alle Lebensbereiche betreffen religioumlse Vorgaben unterschiedliche Geschmackspraumlferenzen Gesundheitsvorstellungen Sinn und Qualitaumlt von (Halb-)Fertigprodukten etc Die Entwicklung und Begruumln-dung von Qualitaumltskriterien sind eine eigene Bildungsaufgabe Die didaktische Herausforderung liegt darin konstruktiv mit Widerspruumlchen zwischen Kriterien bzw zwischen schulischen Bildungszielen und Interessen von Jugendlichen umzu-gehen

3 Folgerungen

Aus den beschriebenen Zusammenhaumlngen erwachsen viele Herausforderungen an (angehende) Lehrpersonen Zunaumlchst muumlssen sie reflektieren welche kulturellen Muster ihr eigenes Verhalten leiten ndash und sich ggf das dazu notwendige Wissen aneignen Schon allein bei der Auswahl der Rezepte und der damit verbundenen Techniken bewegen sie sich meist nur in dem ihnen vertrauten Rahmen (Jugendli-che sollen zB alles probieren selten wird aber zubereitet was die Lehrkraft selbst nicht mag oder bei der Rezeptauswahl orientiert sie sich nicht an Lehr-Lernzielen und fragt auch nicht nach der Bedeutsamkeit des zu Erlernenden fuumlr die Jugendli-chen) Ein Verstaumlndnis der sbquokulturellen Gewordenheitlsquo schafft einerseits mehr Be-reitschaft sich anderen Gerichten und Techniken zu oumlffnen Anderseits gewinnen Lehrpersonen mehr Faumlhigkeiten mit den unterschiedlichen zu beachtenden Dimen-sionen der Nahrungszubereitung und den Widerspruumlchen zwischen diesen Dimen-sionen umzugehen und Alternativen entwickeln zu koumlnnen Diese Faumlhigkeiten sind

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notwendig um die vierte Teilkompetenz bdquoInformationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnenldquo (s Tab 1) verstehen und vermitteln zu koumlnnen Im Unterricht stehen sich oft Lehrpersonen und Jugendliche gegenuumlber die sehr unterschiedliche Erfahrungen Vorstellungen und Praumlkonzepte zu Haushaltsfuumlhrung und Nahrungs-zubereitung sowie zum Zusammenhang von Essen Koumlrper Gesundheit etc haben Der Umgang mit Widerspruumlchen erfordert mehr als eine rationale Argumentation Eine sbquokultursensiblelsquo Analyse und Reflexion sollte beruumlcksichtigen dass ndash direkte oder indirekte ndash Infragestellungen der familialen sozialen religioumlsen milieuspezi-fischen etc Kultur immer auch Identitaumlt und Selbstwertgefuumlhl beruumlhren

Die Legitimation der Ernaumlhrungsbildung als Teil der Naturwissenschaftlichen Bildung undoder die jeweilige wissenschaftliche Sozialisation verleiten Lehrperso-nen zu oft dazu nur arbeits- und naturwissenschaftliche Theorien zur Begruumlndung der Regeln fuumlr die Nahrungszubereitung heranzuziehen Damit unterliegen sie zwei Begrenzungen Zum einen werden das Alltagshandeln leitende kulturwissenschaftli-che Zusammenhaumlnge ausgeblendet ndash und damit auch ein Zugang zum Handeln und Verhalten der Lernenden verwehrt Zum anderen kann mit dem alleinigen (durchaus sinnvollen und notwendigen) naturwissenschaftlichen Denken (zB bei Experimen-ten) nicht die Komplexitaumlt des Alltags bewaumlltigt werden Kuumlstlers (2012) Bezug auf die MINT6 Faumlcher mag positiv bewertet werden erfasst aber nicht den vollstaumlndigen Fachauftrag welcher uumlber die MINT-Faumlcher hinaus geht

Es kann daher sinnvoll sein Kompetenzmodelle (zB Dachtler-Freiler amp Kuumlst-ler 2012) noch einmal daraufhin zu uumlberpruumlfen wieweit sie kulturelle Aspekte ex-plizit aufgenommen haben Die Kombination naturwissenschaftlicher Bezuumlge mit der Analyse und Reflexion der Entwicklung der Alltagskultur ist nicht nur sinnvoll son-dern bietet auch die fuumlr Lernprozesse notwendige Sinnhaftigkeit So kann zB die Kombination des Verstaumlndnisses der Lebensbedingungen von (Mikro)Organismen mit Wissen zur Denaturierung von Eiweiszlig viele Zusammenhaumlnge von Hygiene und Konservierung erklaumlren Dies fuumlhrt nicht unbedingt zum hygienischen Umgang im Kuumlchenalltag Wissen wird oft erst persoumlnlich sinnhaft wenn bewusst Konsequenzen fuumlr das eigene Handeln gezogen werden Dazu ist zB sinnvoll auch zu diskutieren und zu reflektieren warum viele meinen dass ein Kuumlhlschrank weniger geputzt wer-den muss als eine oumlffentliche Toilette (welche oft nachweislich weniger Keime ent-haumllt) undoder welche anderen Gruumlnde daran hindern ihn alle zwei bis drei Wochen gruumlndlich zu reinigen

Roumlszligler-Hartmann (2012) hat dargestellt dass und wie das Modell einer Mahlzeit zum Ausgangspunkt der Reflexion von Esskulturen genutzt werden kann sbquoDarum herumlsquo kann man noch weitere Moumlglichkeiten schaffen Nahrungszubereitung in all ihren Schritten und Dimensionen als Ergebnis kultureller Entwicklung zu verstehen Der Anthropologe Levi-Strauss (1972) merkte einmal an dass der Mensch sich vom Tier durch den Kult und das Kochen unterscheide Es ist lohnenswert diese mensch-liche Kompetenz zu vermitteln

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Anmerkungen 1 Auf eine theoretische Grundlegung des Begriffes Kultur bzw Alltagskultur oder

wird hier verzichtet (vgl dazu Methfessel amp Schlegel-Matthies im Druck) 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Hier kann kein systematischer Einblick in die Diskussion der Esskultur gegeben

werden (zum Uumlberblick vgl Barloumlsius 2011 Methfessel 2005 Schlegel-Matthies 2001 2002 und die darin jeweils angegebene Literatur)

4 Die Strukturierung von Barloumlsius (2011) bietet eine hervorragende Analysegrund-lage alle weiteren vorgestellten Kategorien koumlnnen sich ihnen gut zu- bzw un-terordnen

5 Ein niedriger Schulabschluss fuumlhrt zu weniger Gesundheit und Lebenszufrieden-heit Bildungsstrukturen benachteiligen sozial Schwache (vgl Daten der GEDA-Studie 2009 nach BMAS 2013 S 198ff)

6 MINT Mathematik Informatik Naturwissenschaft und Technik

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Verfasserinnen

Profin (i R) Dr Barbara Methfessel Paumldagogische Hochschule Heidelberg Fachgebiet Ernaumlhrungs- und Haus-haltswissenschaft und ihre Didaktik E-Mail methfesselph-heidelbergde Internet wwwph-heidelbergdeernaehrungs-und-haushaltswissen-schaftpersonendozentinnenprof-dr-barbara-methfesselhtml

Profin Dr Kirsten Schlegel-Matthies Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Ge-sundheit Department Sport amp Gesund-heit Fakultaumlt fuumlr Naturwissenschaften der Universitaumlt Paderborn E-Mail schlegelmailupbde Internet httpdsguni-paderborndeevbpersonenprof-dr-kirsten-schlegel-matthies

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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______________________________________________________________

Silke Bartsch und Jana Brandstaumldter

bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung Zunaumlchst wird uumlber eine begriffliche Klaumlrung eine Annaumlherung an das Phaumlnomen der bdquoErleb-niskuumlcheldquo gesucht um sie als Inspiration fuumlr neue Zugaumlnge fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung nach REVIS1 zu nutzen Ausgangspunkt dafuumlr ist das Erlebnis in seiner Abgrenzung durch das Besondere vom Alltaumlglichen Daran schlieszligen sich in dem hier essayhaft verfassten Beitrag erste fachdidaktische Uumlberlegungen und Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung an

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Erlebnis Kuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung

______________________________________________________________

Einleitung Zurecht hat er selbst darauf hingewiesen dass Essen die moumlglicherweise komple-xeste menschliche Aktivitaumlt darstellt Man sieht ein Gericht riecht es fasst es an und fuumlhlt es nimmt beim Konsum sowohl Geschmack als auch akustische Reize ndash beispielsweise Knuspern beim Essen eines Eiswuumlrfels ndash wahr Gesellt sich dann noch ein Konzept hinzu wie beispielsweise bei den sich aufloumlsenden Ravioli wird sogar noch das Gehirn stimuliert In dieser Gleichzeitigkeit so vieler Sinneswahr-nehmungen und Reize liegt eine unglaubliche Chance zu neuen Erlebnissen und Erfahrungen die sich Adriagrave immer wieder zu Nutze macht (Blogger uumlber Ferran Adriagrave Sternekoch im spanischen Restaurant El Bulli2)

Das Zitat des spanischen Sternekochs Ferran Adriaacute illustriert ein umfassendes Sin-neserlebnis beim Essen das hier durch die Molekularkuumlche kreiert und inszeniert wird Die Geheimnisse der Kochkunst begleiten die Kulturgeschichte so ist zB aus der Antike bekannt dass besondere Geschmacks- und Sinneserlebnisse zum Vergnuumlgen gesucht wurden (vgl zB Lemke 2007) An diese Tradition knuumlpfen die Vertreter der Molekularkuumlche gerne an die durch die heute zur Verfuumlgung stehenden kuumlchentechnischen Moumlglichkeiten neue Dimensionen schaffen koumlnnen

Die hier gewaumlhlte Wortschoumlpfung Erlebniskuumlche3 greift die Idee der Erlebnis-gastronomie auf Beispiele dafuumlr sind die sog Dinnershows wie bdquoPomp Duck and Circumstancesldquo die Zirkus oder Varieteacute und (gehobene) Gastronomie effektvoll in auszligergewoumlhnlichen bdquoLocationsldquo wie einem Spiegelzelt kombinieren und als Ge-samtevent vermarkten Mit dem Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo soll aber nicht allein auf ein interessantes Geschmackserlebnis fokussiert werden sondern vielmehr soll die gegenwaumlrtig in vielen Varianten anzutreffende Verbindung zwischen bdquoErleb-nisldquo und bdquoKuumlcheldquo sowie Essen und Mahlzeiteninszenierung (Unterhaltung) als

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Phaumlnomen in unserer Gesellschaft herausgestellt werden Bei der Systematisierung der Beispiele faumlllt auf dass Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo in sehr unter-schiedlichen Zusammenhaumlngen beobachtbar sind

Speise13 als13 Erlebnis13 Speise13 und13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

(Essen13 und13 Unterhaltungsprogramm)13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

13 13

Verzehr13 Kein13 Verzehr13 auszligergewoumlhnliche13 Gerichte13 exotische13 Nahrungsmit-shy‐tel13 (zB13 geroumlstete13 In-shy‐sekten)13 mit13 Brausepulver13 13 gefuumlllte13 Kaugummis13 Bubble-shy‐Tea13 FroYo13 (Frozen13 Yogurt)13 hellip13

13

Dinnershows13 Schaukuumlchen13

Themenbezogene13 Kochkurse13 bdquoKrimidinnerldquo13

Dinner13 im13 Dunkeln13 Dicircner13 en13 Blanc13

Restaurants13 mit13 Molekularkuumlche13 (Bsp13 bdquoEl13 Bullildquo13 mit13 Sternekoch13 F13 Adriagrave)13

hellip13

Food-shy‐Blog13 Kochshow13 (TV)13

Lebensmittelfotografie13 Kochbuch13 Kinofilm13

hellip13

13

Abb 1 Kategorisierung von Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo (Quelle Eigene Darstellung)

Wie Abbildung 1 zeigt reicht das Spektrum der Beispiele vom Verzehr bis hin zu solchen bei denen das Essen keine Rolle mehr spielt Auf der einen Seite loumlst der Nahrungsmittelkonsum ein Erlebnis aus und auf der anderen Seite findet kein Kon-sum statt und dennoch wird der Erlebnischarakter uumlber Essen erfasst

Beispiele fuumlr letzteres Phaumlnomen sind Kochshows Food-Blogs etc Unter Food- Blogs werden im Allgemeinen Internetblogs verstanden auf denen Blogger (Privatpersonen Schauspieler Models etc) mehr oder weniger regelmaumlszligig Beitrauml-ge uumlber das weite Themenfeld Essen oft in Verbindung mit Bildern veroumlffentli-chen Ebenso werden hier sog Kochshows im Fernsehen4 als Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo aufgefasst da auch hier eine Verbindung zwischen Erlebnis und Kuumlche besteht ohne dass die Zuschauenden selbst beim Essen teilnehmen Das Beispiel von Kochbuumlchern die einfach nur durchgeblaumlttert werden koumlnnen gehouml-ren ebenfalls in diese Spalte gleichzeitig wird deutlich dass die Uumlbergaumlnge flie-szligend sind da zuweilen das eine oder andere auch gekocht wird Fuumlr die im Schau-bild in der rechten Spalte aufgezaumlhlten Beispiele steht folglich der Unterhaltungscharakter auf visueller Ebene im Vordergrund

Im mittleren Bereich der Abbildung werden Beispiele angeordnet bei denen das Essen selbst mit weiteren (meist essensfremden) Unterhaltungselementen fuumlr die Sinne mehr oder weniger gleichgewichtig inszeniert wird Beispiele fuumlr diesen Bereich stammen uumlberwiegend aus der Erlebnisgastronomie zu der nach heutiger Auffassung etwa Mahlzeiten im Dunkeln und das Krimidinner gehoumlren An dieser Stelle gilt allerdings hervorzuheben dass die Erlebnisgastronomie keine Erfindung

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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des 21 Jahrhunderts ist wie historische Quellen aus dem 15 Jahrhundert belegen (Boron 2005) Ein weiteres Beispiel sind die bdquoDicircner en Blancldquo (Abb 2) bei denen uumlber private (Internet-)Netzwerke ein bdquoMassenpicknickldquo bevorzugt an populaumlren Plaumltzen in Staumldten wie Avenue des Champs-Eacutelyseacutees in Paris organisiert wird Alle Beteiligten sind weiszlig gekleidet

Abb 2 Dicircner en blanc in Karlsruhe 2013 (Bild copy Schlittenhardt [httpdiner-en-blanc-

karlsruhede] Schlieszliglich kann auch die Speise bzw darin verarbeitete Lebensmittel allein der Grund fuumlr ein Erlebnis sein (linke Spalte) Erfahrungsgemaumlszlig loumlsen einige Beispiele ndash auch aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten ndash uumlberwiegend bei Jugendli-chen einen Reiz aus Hierzu zaumlhlen etwa Kaugummis die zunaumlchst eine saure Oberflaumlche haben welche aber durch eine beim Zerbeiszligen austretende suumlszlige Fluumls-sigkeit neutralisiert wird oder Modegetraumlnke (zB Bubble-Tea FroYo) die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen haben

Allen beobachten Formen der bdquoErlebniskuumlcheldquo ist die Hervorhebung der Speise undoder des Essens aus dem Alltaumlglichen und die gleichzeitige Inszenierung eines i d R aumlsthetisch ansprechenden (Sinnes-)Erlebnisses gemeinsam Daraus ergeben sich Fragen und Ansatzpunkte fuumlr die fachdidaktische Diskussion Ziel dieses Beitrages ist die Idee des bdquoErlebnissesldquo aufzugreifen im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Fachpraxis Ernaumlhrung zu explorieren sowie erste Folgerungen fuumlr die Unterrichtsarbeit mit exemplarisch ausgewaumlhlten Lernideen aufzuzeigen Der vorlie-gende Beitrag kann und will dazu lediglich Impulse geben und zur Diskussion anre-gen

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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1 Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo

Wie dargestellt druumlckt der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo die Verbindung zwischen Erleb-nis und Kuumlche aus mit der Idee verbindende Elemente zwischen den unterschiedli-chen Erscheinungsformen der Erlebnisorientierung rund ums Essen hervorzuheben (vgl Brandstaumldter 2013)

Erlebnisse die grundsaumltzlich in Verbindung mit Emotionen5 stehen (vgl Salz-mann 2007) werden haumlufig auch als Buumlndelung einzelner Emotionen beschrieben (vgl Woll 1997) Diese Buumlndel koumlnnen von einem Zusammenspiel unterschiedli-cher Emotionen wie Freude Bewunderung Hass oder Billigung bestimmt sein (vgl Ortony amp Clore 1990) Eine einheitliche begriffliche Definition von Erlebnis exis-tiert derzeit nicht Vielmehr befindet man sich bdquoaugenblicklich noch auf der Suche nach einer schaumlrferen begrifflichen Fassungldquo (Muumlller-Hagedorn 2011 S49) Viele Definitionen zum Thema Erlebnis sind im Marketingbereich angesiedelt da dort Erlebnisse als Marketinginstrument in einer auf jugendliche Ausgelassenheit ausge-richteten bdquoSpaszliggesellschaftldquo zunehmend an Relevanz gewonnen haben Aumlhnliche Tendenzen und Ausdifferenzierungen sind in der (Erlebnis-)Paumldagogik6 beobachtbar

Zusammenfassend koumlnnen Erlebnissen trotz unterschiedlicher Begriffsverwen-dung Attribute wie Auszligergewoumlhnlichkeit Emotionen und Subjektivitaumlt als zentrale Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden Fuumlr die nachstehenden fachdidaktischen Uumlberlegungen ist relevant dass das Erleben selbst keine Verarbeitung des Erlebten einschlieszligt dh fuumlr einen Reflexionsprozess muss zunaumlchst eine bdquoAneignungldquo statt-finden (vgl dazu Scheller 1980)

Durch die Verbindung zwischen Kuumlche die hier als bdquokomplexes kulturelles Re-gelwerkldquo gemaumlszlig der Definition bei Barloumlsius (2011 S 126) verstanden wird und Erlebnis wird bei der bdquoErlebniskuumlcheldquo nun die Wahrnehmung von Speisen undoder Mahlzeiten zum (besonderen) Erlebnis Gemaumlszlig den drei Institutionen von Esskultur (Barloumlsius 2011) kann das Besondere durch die ausgewaumlhlten Nahrungsmittel i d R in Verbindung mit deren Zubereitung undoder uumlber die Mahlzeit erreicht werden

2 Fachdidaktische Uumlberlegungen

21 Abgrenzung von der Alltagskuumlche

Um Alltagskuumlche7 von der bdquoErlebniskuumlcheldquo abzugrenzen muss zunaumlchst festgestellt werden dass hinter den beobachteten Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo eine Profikuuml-che steht Das wird im Umgang mit kommerziellen Erlebnissen (sog bdquoEventsldquo) wichtig da diese von medialen Uumlbersteigerungen leben die weder in der Schule so realisierbar sind noch der Zielsetzung der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ent-sprechen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Uumlber die Abgrenzung der bdquoErlebniskuumlcheldquo von der Alltagskuumlche findet ein Per-spektivwechsel statt Dadurch kann erstens ndash durch den Vergleich ndash erfahrungsba-siertes (Alltags-)Wissen fuumlr den Aufbau fachspezifischer Kompetenzen bedeutsam und zweitens der Blick auf das Alltaumlgliche geschaumlrft werden Die Idee ist uumlber das Besondere den Zugang zum Alltaumlglichen zu bekommen

Wodurch wird bdquoEssenldquo zum Erlebnis Zur Beantwortung dieser Frage muss das Auszligergewoumlhnliche (Erlebnis) vom Gewoumlhnlichen (Alltag) abgegrenzt werden Das bedeutet Alltaumlgliches wird in der Abgrenzung zum Besonderen wahrgenom-men und kann dabei bdquoneuldquo entdeckt analysiert und reflektiert werden

Uumlber das Erlebnis koumlnnen auch Fragen zur Kultur und Technik der Nahrungs-zubereitung sowie Mahlzeitengestaltung herausgefordert sowie das Reflektieren uumlber die entsprechenden Prozesse angestoszligen werden ebenfalls herausgeloumlst aus dem Alltagskontext Funktionsprinzipien (Wie- und Warum-Fragen) koumlnnen inte-ressant werden um zB kuumlchentechnische Effekte zu erzielen (zB Wie entsteht ein Karamellgeschmack) Fertigkeiten und Faumlhigkeiten koumlnnen dabei gefragte fachliche Kompetenzen sein und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermoumlglichen

Intendiert ist ein vertieftes Verstaumlndnis der alltaumlglichen Handlungen dh zum Beispiel zu verstehen dass beim Essen Gemeinschaft (Familie) hergestellt wird oder im genannten Beispiel zu analysieren dass es auf die trockene Hitze beim Karamellisieren ankommt Das fuumlr die Lernprozesse notwendige Fachwissen kann (und sollte) durch die (beratende) Lehrperson und durch entsprechende Materialien bereitgestellt werden

Esskulturelle Bestimmungsgruumlnde der Wahl von Nahrungsmittel koumlnnen dabei ebenso eine Rolle spielen wie naturwissenschaftliche Erklaumlrungen Beispielsweise koumlnnen folgende Fragen wichtig werden Welche Farben lehnen wir bei Lebens-mitteln warum ab Essen wir schwarzen Reis (der im alten China dem Kaiser vor-behalten war) oder lehnen wir ihn ab Warum Wodurch erhalten bdquoSpaghetti al Nero di Seppialdquo ihre schwarze Farbe Fragen zur Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung haumlngen dabei eng zusammen (vgl Methfessel amp Schlegel-Matthies idH)

Die Schaffung eines Erlebnisses uumlber die Situation der Mahlzeit bzw der Dar-bietung der Speisen hat einen hohen Stellenwert in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Was habt ihr wie anders gemacht als im Alltag Was hat euch warum besonders gut gefal-len Welche Lebensmittel sind alltaumlglich Welche sind an besondere Anlaumlsse oder Zeiten gebunden Welche sind wobei undenkbar Auch hier geht es um Alltags-routinen die als solche erkannt werden muumlssen und wiederum auch in ihrer persoumln-lichen und gemeinsamen Bedeutung hinterfragt werden koumlnnen8

22 bdquoLerngeschichtenldquo

Im Ruumlckblick auf die Schulzeit bleiben im Allgemeinen Geschichten in Erinne-rung die oft mit bdquoAha-Erlebnissenldquo verknuumlpft sind So ist auch aus der Erlebnispauml-

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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dagogik bekannt dass erstens Lernprozesse durch Erlebnisse initiiert (motiviert) werden koumlnnen (vgl Schenz 2006) und zweitens durch Erlebnisse Lernen unter-stuumltzt wird (vgl Ebrecht 1998) Das gilt nicht nur fuumlr schulisches sondern auch fuumlr informelles Lernen Die uumlber das Erlebnis zu erreichende Aufmerksamkeit ist als Motivation aus fachdidaktischer Sicht interessant wenn daraus die Lernbereit-schaft zur Auseinandersetzung mit Einzelphaumlnomenen gefoumlrdert werden kann

Allerdings ist ein effekthaschendes Erlebnis an sich noch keine hinreichende Be-gruumlndung fuumlr die fachpraktische Eignung weil dadurch allein kein Kompetenzaufbau gefoumlrdert wird Ersetzen beispielsweise (zeitaufwaumlndige) Kreationen in Anlehnung an die Molekularkuumlche (zB Bubble-Tea) herkoumlmmliche Rezepte aus der Schulkuuml-che kann das zwar unterhaltsam sein und gut ankommen doch ohne weitergehende didaktisch-methodische Uumlberlegungen bleibt es dann auch dabei es ginge uumlber die Unterhaltung die kommerzielle Eventangebote besser realisieren kaum hinaus

23 Sinneserfahrungen

Sinneserfahrungen haben einen prominenten Platz in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Auf-grund der allgemeinen hohen Attraktivitaumlt des Themas ist von Seiten der Schuumlle-rinnen und Schuumller eine latente Offenheit gegenuumlber Neuem zu erwarten (vgl Bartsch 2008) Wird das Gewohnte zB durch veraumlnderte Kontexte oder Verfrem-dung zum Ungewohnten (Bsp Wie schmecken Karotten gedaumlmpft frittiert gegrillt getrocknet etc) kann das Alltaumlgliche interessantes Experimentiergut werden Oder es koumlnnen Geschmackserlebnisse geschaffen werden indem zB Unbekann-tes (Nahrungsmittel) mit Gewohntem (Zubereitungstechniken) gemischt wird Das Erlebnis kann neugierig machen Experimentierfreude wecken den Geschmack-sinn herausfordern und zum Kosten verlocken Aspekte der aumlsthetisch-kulturellen Bildung auf die hier lediglich hingewiesen wird sollten dabei bedacht werden (vgl Heindl 2005) Begleiten positive Emotionen dieses Unterrichtserlebnis wer-den eher Speisen gekostet die vielleicht unter anderen Bedingungen mit Aversion gegessen werden (zB Rosenkohl Fischgerichte) oder gaumlnzlich abgelehnt wuumlrden (vgl Bartsch Methfessel amp Schlegel-Matthies 2006) Auf diese Weise koumlnnen persoumlnliche Sinneserfahrungen ermoumlglicht und thematisiert werden was im Allge-meinen motivierend ist und Neugier und Interesse weckt und im Idealfall zur Voli-tion fuumlhrt

Aus fachdidaktischer Sicht stellt sich daher an dieser Stelle die Frage Wie koumlnnen Sinneserfahrungen zur Sinnesbildung beitragen Beispiel Mit bdquoDinner im Dunkelnldquo werden durch die Ausschaltung des Sehsinns auszligergewoumlhnliche Erleb-nisse in groszliger Perfektion durch kommerzielle Eventveranstalter ermoumlglicht Sin-nesbildung geht daruumlber hinaus So kann das emotionale Erleben Basis fuumlr die Re-flexion werden zB welche Funktionen Bedeutungen haben Sinne fuumlr die Ausbildung einer Esskultur fuumlr die Pruumlfung der Nahrung etc Anders als bei kom-merziellen Angeboten ist hierfuumlr eine perfekte Inszenierung nebensaumlchlich

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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3 Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

31 Erlebnis als Thema in der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die bdquoErlebniskuumlcheldquo als gesellschaftliches Alltagsphaumlnomen fordert den schulischen Unterricht in der Domaumlne Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung mehrfach heraus Perfektion und mediale Uumlbersteigerung fuumlhren haumlufig zu hohen Erwartungen seitens der Jugendlichen und insbesondere in Kombination mit bdquoEdutainmentldquo (Unterhal-tung mit Lernmoumlglichkeiten) vermehrt zu einer Konsumhaltung ndash auch in Unter-richtssituationen in denen die Eigenaktivitaumlt im Vordergrund steht und Selbstwirk-samkeitserfahrungen gemacht werden koumlnnen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

Zunaumlchst ist daher eine Positionierung sinnvoll Unterrichtserlebnisse von Frei-zeiterlebnissen abzugrenzen Ansonsten besteht die Gefahr sich in Inszenierungsde-tails zu verlieren und die fachdidaktische Zielsetzungen zu verfehlen Gleichzeitig lohnt es sich Impulse aus der Erlebnispaumldagogik aufzunehmen um jugendgerechte Zugaumlnge fuumlr die Unterrichtsarbeit zu bekommen ohne sich anzubiedern undoder den Bildungsanspruch aufzugeben (vgl Bartsch 2008) Last but not least koumlnnen Erscheinungsformen der bdquoErlebniskuumlcheldquo im Unterricht einer kritischen Bewertung unterzogen werden um daran exemplarisch Ernaumlhrungstrends und Essmoden zu erarbeiten

32 bdquoErlebnis Unterrichtldquo

Erlebnisse im Unterricht

Uumlber das Besondere kann ein jugendgerechter Zugang gefunden werden um (per-soumlnliche Grenzen uumlberschreitende) Esserlebnisse zu ermoumlglichen Jugendaktionen wie bdquoGut Draufldquo9 arbeiten im Freizeitbereich mit Inszenierungen zu Ernaumlhrung Be-wegung und Entspannung gemaumlszlig dem erlebnispaumldagogischen Ansatz (vgl Mann Schulz amp Streif 2011) Esserlebnisse im sozialen Miteinander bieten in schulischen Unterrichtssituationen einen Mehrwert der im Rahmen des didaktischen Konzepts der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung eine fruchtbare Reflexionsbasis schaffen kann ohne nachtraumlglich die Freude daran zu verderben

So eignet sich die Mahlzeit als eine zentrale Institution der Esskultur (Barloumlsius 2011) gut fuumlr Unterrichtserlebnisse (vgl Mahlzeit als Handlungsprodukte bei Bartsch amp Buumlrkle idH) Uumlber Mahlzeiten wird Gemeinschaft geschaffen die das Lernklima in den Lerngruppen uumlberwiegend positiv beeinflusst In den begleitenden Vor- und Nachbereitungen kann dazu nicht nur Speisen Tischgestaltung und -sitten eingegan-gen werden sondern koumlnnen auch soziale Mechanismen uumlber das Erleben zugaumlnglich gemacht werden um uumlber die (emotionalen) Erfahrungen auch zu reflektieren und im Hinblick auf die heutige Mahlzeitengestaltung zu diskutieren

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Beispiele

bdquoDinnerldquo unter einem Motto Dazu sind verschiedene Szenarien (bdquoAuftischen bei Koumlnigsldquo bdquoMittelalterliches Ge-lageldquoetc) denkbar Handlungsprodukt kann eine Menuumlinszenierung sein bei der die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Rollen (Essende Dienerschaft Kuuml-chenpersonal etc) uumlbernehmen die allerdings einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung beduumlrfen Dazu bietet sich ein faumlcheruumlbergreifender Unterricht an Wettbewerb als Erlebnis Eine weitere Moumlglichkeit ist die Bewertung von Mahlzeiten Fachdidaktisch inte-ressant sind dabei die Bewertungskriterien die zB reflektiert werden koumlnnen hin-sichtlich ihrer Funktion als gesellschaftliche Norm und Distinktionsinstrument Das Erlebnis kann die Gestaltung der Mahlzeit sein moumlglicherweise sind TV-Formate Vorbilder Bleibt es beim bdquoNachmachenldquo ist eine Lernchance vertan Impro-Cooking Mit der Thematik was aus Lebensmittelresten gezaubert werden kann ist ein Wettbewerb verknuumlpft (Baustein 4 des Unterrichtsmoduls bdquoWertschaumlt-zung und Verschwendung von Lebensmittelnldquo)10

Kinofilme oder Lesungen koumlnnen ebenfalls als Erlebnisse (im fachuumlbergreifenden oder bilingualen Unterricht) inszeniert werden Hier gibt es zahlreiche Ausgestal-tungsmoumlglichkeiten zB entsprechend des Formates des bdquoKulinarischen Kinosldquo11 auf der Berlinale koumlnnen diese unter verschiedenen Perspektiven analysiert inszeniert und reflektiert werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo als Unterrichtsthema

Das Phaumlnomen der bdquoErlebniskuumlcheldquo laumldt dazu ein verschiedene Aspekte zu Ernaumlh-rungsmoden zu bearbeiten und eignet sich daher gut als Projektthema Allein der Versuch die Frage zu beantworten wodurch wird Essen oder eine Speise zum Er-lebnis fuumlhrt zu einer Vielzahl von Unterrichtsthemen die bearbeitet werden koumln-nen Vergleichbar mit anderen Konsumbereichen (zB Bekleidung und Musik) folgen auch Esstrends bzw Ernaumlhrungsmoden einem Modezyklus der beispielhaft anhand der Verbreitung von Modegetraumlnken oder bdquoKochmodenldquo (Beispiel Mole-kularkuumlche) erarbeitet werden kann Eine kritische Wuumlrdigung aus fachwissen-schaftlicher Sicht gibt den Jugendlichen einen Rahmen sich eine fachlich begruumln-dete Meinung zu kommerziellen Angeboten zu bilden ohne bevormundet zu werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Ausblick

Die veraumlnderten Lebensbedingungen in Konsumgesellschaften des 21 Jahrhunderts fordern die Schule heraus Bleibt Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ihrem Bil-dungsauftrag treu geht Unterricht nicht mit freizeitorientierten Unterhaltungsange-boten in Konkurrenz Erlebnisse erzeugen Aufmerksamkeit und motivieren zum Mitmachen Die zum Lernen notwendige Volition bedeutet aber auch zielgerichtetes Wollen In Abgrenzung zur bdquoreinenldquo Unterhaltung besteht daher die Staumlrke des Un-terrichts der Sinngebung Die Beschaumlftigung mit paumldagogischen Zugaumlngen uumlber Er-lebnisse ist ein zukuumlnftiges Arbeits- und Forschungsfeld das zu einer zukunftsfaumlhi-gen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung beitragen kann

Anmerkungen 1 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 2 Blogger Tobias auf [httpbloggekonntgekochtdemolekularkueche-2-kochen-als-

kunst] 3 Der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo wurde von Jana Brandstaumldter (2013) im Rahmen ihrer

ersten wissenschaftlichen Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe entwickelt um Moumlglichkeiten des bilingualen Unterrichts in Verbindung mit The-men aus der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung zu verknuumlpfen Impulse fuumlr die-sen Beitrag kommen aus dieser Hausarbeit

4 Zu den Diskussionen um Fernsehen und Ernaumlhrung gibt es zahlreiche Literatur zB bei Roumlssler amp Willhoumlft (2004) Luumlcke Roumlssler amp Willhoumlft (2003)

5 Auf die theoretischen Grundlegungen des Begriffs Emotion wird an dieser Stelle verzichtet Weiterfuumlhrende Grundlagenliteratur zum Emotionsbegriff zB Schmidt‐Atzert (1996) Literatur zu Essen und Emotionen Pudel amp Westenhoumlfer (2003) Macht (2005)

6 Im vorliegenden Beitrag geht es darum das Phaumlnomen bdquoErlebnisldquo im Zusammen-hang mit der bdquoKuumlcheldquo essayhaft im Hinblick auf die Fachdidaktik EVB zu beleuch-ten Einzelne Elemente der Erlebnispaumldagogik sind in diesem Zusammenhang inte-ressant weitergehende Diskussionen darum sind hierfuumlr irrelevant und werden daher nicht ausgefuumlhrt Aus den gleichen Gruumlnden wird hier auch auf weitergehen-de Ausfuumlhrungen zum erfahrungsbezogenen Lernen verzichtet (vgl Scheller 1980)

7 Weiterfuumlhrende Literatur zum Alltagsbegriff Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck)

8 Weitergehende Uumlberlegungen zur Mahlzeit als Zugang zur esskulturellen Aspekten in der Fachpraxis Ernaumlhrung bei Roumlszligler-Hartmann (2012) Essen und Kommunika-tion ist ein zusaumltzlicher Aspekt der in diesem Beitrag ebenfalls nicht vertieft wer-den konnte Literatur dazu bei Heindl amp Plinz-Wittorf (2013)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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9 bdquoGut Draufldquo ist eine Jugendaktion der BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) Weitere Informationen unter [httpswwwgutdraufnet]

10 Siehe [wwwevb-onlinedeschule_materialien_wertschaetzung_uebersichtphp] 11 Weiterfuumlhrende Literatur zu Kulinaristik im Film in Kofahl Froumlhlich und Alberth

(2013)

Literatur

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Bartsch S Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (2006) Pizza Pasta Doumlner Kebab ndash Mittelmeerkost im Alltag deutscher Jugendlicher Historische und soziale Hintergruumlnde Haushalt amp Bildung 83(4) 17-26

Bartsch S (2008) Jugendesskultur Bedeutungen des Essens fuumlr Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup In Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklauml-rung (BZgA) (Hrsg) Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsfoumlrderung Band 30 Koumlln BZgA

Boron B (2005) Erlebnisgastronomie Muumlnchen GRIN Verlag Brandstaumldter J (2013) Die Erlebniskuumlche als Chance fuumlr den bilingualen

Unterricht in der Sekundarstufe I Wissenschaftliche Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe

Ebrecht A (1998) Leben und Erleben - Die Lebensphilosophie um die Wende zum 20 Jahrhundert In T Ruumllcker amp J Oelkers (Hrsg) Politische Reformpaumldagogik (S 261-277) Bern Peter Lang Verlagsgruppe

Fachgruppe REVIS (2005) Bildungsziele und Kompetenzen in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung [wwwernaehrung-und-verbraucherbildungde]

Heindl I (2005) Perspektiven einer aumlsthetisch-kulturellen Ernaumlhrungs- und Ge-sundheitsbildung - Intelligenz in den Sinnen In D von Engelhardt und R Wild (Hrsg) Geschmackskulturen - Vom Dialog der Sinne beim Essen und Trinken (S 262-277) Frankfurt Campus Verlag

Heindl I amp Plinz-Wittorf C (2013) Essen ist reden mit anderen Mitteln - Esskultur Kommunikation Kuumlche Ernaumlhrungsumschau 60(1) 8-15

Lemke H (2007) Ethik des Essens Eine Einfuumlhrung in die Gastrosophie Berlin Akademie Verlag

Luumlcke S Roumlssler P amp Willhoumlft C (2003) Appetitlich verpackt aber schwer zu verdauen Darstellung und Wirkung von Ernaumlhrung in Massenmedien ein For-schungsuumlberblick Medien amp Kommunikationswiss 51(3-4) 407-430

Kofahl D Froumlhlich G amp Alberth L (Hrsg) (2013) Kulinarisches Kino Bielefeld Transcript Film

Macht M (2005) Essen und Emotion Ernaumlhrungs-Umschau 52 (8) 304-308

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Mann R Schulz B amp Streif S (2011) GUT DRAUF ndash zwischen Wissenschaft und Praxis In BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) (Hrsg) Reihe Gesundheitsfoumlrderung konkret Band 15 Koumlln BZgA

Methfessel B Bartsch S amp Roumlszligler-Hartmann M (2001) Zielgruppe Kinder und Jugendliche Bildung Marketing oder Warentest In Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (DGE) Sek Baden-Wuumlrttemberg (Hrsg) Werbung und Ernaumlh-rungsverhalten (S 74-88) Schorndorf DGE Baden-Wuumlrttemberg

Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck) Alltagskultur ndash viel beschworen ndash wenig wissenschaftlich durchdrungen Hauswirtschaft und Wissenschaft 61(4)

Muumlller-Hagedorn L (2011) Handelsmarketing Stuttgart Kohlhammer Ortony A amp Clore GCA (1990) The Cognitive Structure of Emotions

Cambridge Cambridge University Press Pudel V amp Westenhoumlfer J (2003) Ernaumlhrungspsychologie (3 Aufl) Goumlttingen

Toronto Zuumlrich Hofgrefe minus Verlag fuumlr Psychologie Roumlssler P amp Willhoumlft C (2004) Darstellung und Wirkung von

Ernaumlhrungsinformationen im Fernsehen In DGE (Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (Hrsg) Ernaumlhrungsbericht 2004 (S 347-406) Bonn DGE

Roumlszligler-Hartmann M (2012) Esskultur ndash eine zentrale Kategorie der Nahrungszubereitung Haushalt in Bildung amp Forschung 1(4) 99-107

Salzmann R ( 2007) Multidimensionale Erlebnisvermittlung am Point of Sale Wiesbaden Deutscher Universitaumlts-Verlag

Scheller I (1980) Erfahrungsbezogener Unterricht Oldenburg Universitaumlt Oldenburg

Schenz A (2006) Erlebnis und Bildung Karlsruhe Universitaumltsverlag Karlsruhe Schmidt-shy‐Atzert L (1996) Lehrbuch der Emotionspsychologie Stuttgart

Kohlhammer Woll E (1997) Erlebniswelten und Stimmungen in der Anzeigenwerbung

Analyse emotionaler Werbebotschaften Wiesbaden Deutscher Universitaumltverlag

Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch amp Jana Brandstaumldter

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe

Email bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Gastfreundschaft

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Gabriela Leitner

Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft Gastfreundschaft und Gastlichkeit sind kommunikative kulturelle Konzepte die das Zusam-menleben der Menschen historisch und aktuell praumlgen Wie weit diese als ethische Verbind-lichkeit oder konsumatorische Dienstleistung verstanden werden beeinflusst eine Gesell-schaft in politischer und kultureller Hinsicht Die Schule als Ort der Vermittlung und insbesondere der Lernbereich Ernaumlhrung sind gefragt an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mitzuarbeiten

Schluumlsselwoumlrter Gastfreundschaft Gastlichkeit Kuumlche Lernort Ernaumlhrungsbildung

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bdquoAlle Fremden und Ankoumlmmlinge sollen unbeschraumlnkt als Gaumlste aufgenommen werden wo immer sie wollenldquo

Erlass Friedrich II

1 Gastfreundschaft und Gastlichkeit

Der europaumlische Sommer ist gerade mal wieder vorbei Es sind wieder (fast) alle an ihren Platz zuruumlckgekehrt ndash sind nicht mehr Fremde an einem fremden Ort - sind wieder daheim Der Sommer gilt als Jahreszeit der Reiselust als Synonym fuumlr freie Ortswahl oder das Entdecken neuer Landschaften Kulturen Weltanschauungen Geschmacksrichtungen etc als Zeit mal wieder uumlber den Tellerrand zu blicken und die Schoumlnheiten der Welt (als Gast) wahrzunehmen und zu genieszligen

Der heutige Sprachgebrauch des Wortes Gastfreundschaft meint die voruumlberge-hende Aufnahme Bewirtung undoder Beherbergung fuumlr Fremde genauso wie fuumlr Angehoumlrige der jeweiligen eigenen Gruppe Gastfreundschaft sollte ehrlich herz-lich groszligzuumlgig und zumeist wechselseitig erfolgen kann aber auch nur einseitig als echt gelten sie wird haumlufig einer oumlkonomisch bloszlig auf Gewinn abzielenden Gastlichkeit entgegengesetzt (Kayed 2003 S 1)

Echte Gastfreundschaft zu erfahren ist nicht unbedingt selbstverstaumlndlich denn in einer oumlkonomisierten Welt ist auch Gastlichkeit eine Dienstleistung und kann ge-kauft bzw konsumiert werden bdquohellipGastlichkeit liegt allen Ablaumlufen zwischen Be-wirtung und Kundschaft Kuumlche und Gast zugrunde und gehoumlrt insofern zum er-weiterten Gegenstandsbereich einer allgemeinen Theorie und praktischen Philosophie der Esskultur kurz der Gastrosophieldquo (Lemke 2011 S 83) In die-sem Kontext ist der Gast ein Kunde (und Koumlnig) und bezahlt fuumlr die bdquoservile Gast-lichkeitldquo (ebd) Im Wirtschaftsbereich der bdquohospitality industryldquo wird das Vertrau-

Gastfreundschaft

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en welches der Gast seinem Gastgeber entgegenbringt mittels bdquoAuszeichnungenldquo (Sterne oder Aumlhnliches) verbrieft auf der Ebene der Speisen beruumlhrt dieses Thema auch die Nahrungsmittelsicherheit bdquoSie ist angesichts vieler Lebensmittelfaumll-schungen die auf heutzutage wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften aufbauen zu einem herausragenden Thema der oumlffentlichen Aufmerksamkeit ge-wordenldquo (Wierlacher 2011 S 100)

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung unserer Gesellschaften muumlssen traditionelle Kommunikationsformen wie die Gastfreundschaft unter ande-ren Gesichtspunkten uumlberlegt werden

Drei Formen der Gastlichkeit sind zu unterscheiden die anthropologische Form (wir sind alle Gast des Lebens) die politische Form bis hin zum Asyl und die kul-turelle Form die wir praktizieren wenn wir nach kulturell verschiedenen Regeln jemanden zum Essen einladen oder beherbergen Alle drei Formen sind Kultur-muster haben ihre Chancen und ihre Grenzen leiten uns an geben Regeln vor er-oumlffnen Perspektiven produktiven Umgangs miteinander und staumlrken unsere Faumlhig-keit auch dann miteinander zu reden wenn wir nicht der gleichen Ansicht oder Gesinnungsfreunde sind (Wierlacher 2011 S 1)

Der Gast kommt also nicht immer als zahlender oder geladener Gast er kommt auch als Hilfesuchender Asylsuchender Beduumlrftiger1 Diesem Gast Gastfreund-schaft zu erweisen oder nicht kann fuumlr diesen Leben oder Tod bedeuten Ihn abzu-weisen wird von den meisten Religionen und Kulturen abgelehnt es wird daran erinnert dass man selbst in eine derartige Lage kommen koumlnnte bzw dass man sich an Gott selbst vergehen koumlnnte (siehe christliche Herbergssuche) In vorchrist-licher Zeit wurde ein Gastrecht formuliert welches dem Gast zumindest fuumlr drei Tage ohne sachlichen Gegenwert Unterkunft und Verpflegung sicherte (vgl Bahr 1994 S 36)

So stehen wir vor dem zwiespaumlltigen Befund dass die verschiedenen religioumlsen Traditionen an eine urspruumlnglich uumlbermaumlszligige und nicht von vornherein limitierte Gastlichkeit erinnern wohingegen die in rechtliche Anspruumlche transformierte Gast-lichkeit jede Uumlberforderung durch eine unbegrenzte Gastlichkeit auszuschlieszligen sucht (Liebsch 2008 S 68)

Ist Gastlichkeit heute keine ethische Verpflichtung mehr sondern als bdquohospitality managementldquo Teil der Aufgaben internationaler Hotel- und Gastronomiekonzerne

2 Was bedeutet Gastsein

Ein Gast zu sein bedeutet zuallererst fremd zu sein nicht im eigenen Haus oder Land zu sein Die Bedeutung von bdquohostisldquo (lat) oder bdquoxenosldquo (griech) ist ur-spruumlnglich bdquoFremderldquo das Wort kann aber auch Feind bedeuten2 Damit ist die Ambivalenz des Gastseins schon in der urspruumlnglichen Begrifflichkeit vorhanden Der Gast ist an dem Ort an welchem er als Gast auftritt fremd und beduumlrftig eben

Gastfreundschaft

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weil er sich nicht wie in seinem eigenen Haus oder Land verhalten kann Nun ist Fremdheit genau das was wir in unserem bdquoHeimldquo oder bdquoZuhauseldquo uumlblicherweise nicht haben und auch nicht haben wollen Das eigene Heim wird als ein Ort gese-hen an welchem alles bekannt zugehoumlrig und sicher erscheint an welchem bdquoent-hemmte Kommunikationldquo (vgl Luhmann 1990 S 203f) genauso moumlglich ist wie Intimitaumlt Schwaumlche und Ruumlckzug Das Fremde Andersartige bdquostoumlrtldquo das eigene bdquoSo-seinldquo indem dieses durch das bdquoAnders-seinldquo in Frage gestellt wird Der Gast kann demnach durch sein bdquoDa-seinldquo in einem fremden Haus (oikos) oder Land fuumlr die dort zu Hause Seienden durch die Verpflichtung ihn in seiner Beduumlrftigkeit wahrzunehmen und ihm Herberge und Verpflegung zu bieten um sein Mensch Sein anzuerkennen (und das eigene Mensch Sein anzuerkennen)3 zu einer Last einer Belastung ja sogar zu einem Feind werden

Eine absolute unbedingte Gastfreundschaft wuumlrde verlangen dass wie im oben angefuumlhrten Zitat von Friedrich II jedem Unbekannten oder X-beliebigen ein Gast-status zukommen muumlsste

Die absolute Gastfreundschaft erfordert daszlig ich mein Zuhause () oumlffne und nicht nur dem Fremden (hellip) sondern auch dem unbekannten anonymen absolut Ande-ren (eine) Statt gebe (hellip) daszlig ich ihn kommen lasse ihn ankommen und an dem Ort () den ich ihm anbiete Statt haben (hellip) lasse ohne von ihm eine Gegenseitig-keit zu verlangen (hellip) oder ihn nach seinem Namen zu fragen (Derrida 2007 S 27)

In manchen Gegenden der Welt so zB in Wuumlstengebieten im beduinisch-arabischen Raum (vgl Kayed 2003 S2) hat sich historisch aufgrund der Ungast-lichkeit der TopographieGeographie eine unbedingte Gastfreundschaft entwickelt Eine derartige Gastfreundschaft ist in unserer westlichen Gesellschaft die in Nati-onalstaaten funktioniert obwohl wir sehr wohlhabend sind uumlberaus schwierig wenn nicht gar unmoumlglich vorzustellen

Zwischen einem unbedingten Gesetz der Gastfreundschaft oder einem absoluten Wunsch nach Gastfreundschaft auf der einen und einem mit Bedingungen ver-knuumlpften Recht einer mit Bedingungen verknuumlpften Politik oder Ethik auf der an-deren Seite besteht ein Unterschied eine radikale Heterogenitaumlt wenngleich sie auch untrennbar miteinander verknuumlpft sind (Derrida 2007 S105)

Es ist also geboten zumindest eine geregelte bedingte Gastlichkeit zu entwickeln in welcher der Fremde der in der bdquokosmopolitischen Tradition (hellip) ein Recht auf Gastfreundschaft besitztldquo (Derrida 2007 S 28) zuerst nach seinem Namen gefragt wird sein Name macht ihn zu einem Rechtssubjekt zu einer Person die anderswo eine Zugehoumlrigkeit (der Name bdquoals eine(r) Hypothese der Generationenldquo Derrida 2007 S 29) besitzt und mit der man aufgrund dieser Sicherheiten einen bdquoPaktldquo schlieszligen kann (vgl Derrida 2007 S 24ff) Auch auf Reisen ndash international oder national ndash muumlssen wir uns alle mittels eines Identitaumltsnachweises ausweisen unse-ren Namen und unsere Herkunft bekannt geben um als (zahlender meldepflichti-ger) Gast aufgenommen zu werden um als paktfaumlhig im Sinne einer bedingten

Gastfreundschaft

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Gastfreundschaft zu gelten bdquoDie eigentliche Gastfreundschaft hat demnach nur noch im Privaten uumlberlebt wohingegen die Beherbergung von Fremden zu einer oumlffentlichen und politischen Angelegenheit geworden istldquo (Liebsch 2008 S 65) bdquoJe mehr der Staat die Gastlichkeit zu seiner Sache gemacht habe und je mehr sie oumlkonomisiert worden sei desto mehr habe sich die eigentliche Gastfreundschaft die rechtliche Regeln und gewerbliche ignorierte ins Private zuruumlckgezogenldquo (Liebsch zitiert HC Peyer ebd)

3 Geladene Gaumlste

Der Begriff des Gastes verweist aber auch darauf dass das Verhaumlltnis zwischen Gastgeber bzw Gastgeberin und Gast nicht wie im herkoumlmmlichen Austausch von Guumltern und Leistungen reziprok ist Beide gesellschaftlichen Rollen ndash Gastgeber Gastgeberin und Gast ndash haben ihre Implikationen und verweisen aufeinander bdquoDoch warum sprach man nie von einem sbquoGast-nehmerlsquo warum ist es der sbquoGast-geberlsquo der den Gast sbquoempfaumlngtlsquo Verweist das nicht darauf daszlig der Gast nicht restlos auf den Tauschenden zuruumlckfuumlhrbar istldquo (Bahr 1994 S 13)

Der Gastgeber die Gastgeberin wird sich fuumlr das Kommen der geladenen Gaumlste bedanken obwohl er (oder sie) in den meisten Faumlllen einen groumlszligeren Aufwand betrieben hat als die Gaumlste und bdquoer stellt sich in den Dienst seines Gastes ohne daszlig () er dadurch zu dessen Herrn wuumlrdeldquo (Bahr 1994 S 12) Der Gast bringt zwar als eine Form des Ausgleichs ein Gastgeschenk mit und betont gegenuumlber dem Gastgeber der Gastgeberin seine dankbare Anerkennung die Beziehung zwi-schen Gast und Gastgeber bzw Gastgeberin bleibt aber unausgeglichen bdquoMan kann daher in einem gastlichen Austausch der die Wechselseitigkeit der gleichen Personen uumlberschritt die erste Form einer allgemeinen Menschlichkeit manifestiert sehenldquo (Bahr 1994 S 35)

Der Gastgeber die Gastgeberin bietet noch viel mehr an als Bewirtung oder voruumlbergehende Behausung ersie bietet den Gaumlsten eine institutionelle Freund-schaft an die Schutz gewaumlhrt und welche eine moumlgliche Ausgeliefertheit an die reine Barmherzigkeit Anderer abwendet (4) bdquoDie Person des Gastfreundes gilt als heilig weil sein Verhaumlltnis als uumlbereinstimmend mit dem des Schutzflehenden aufgefaszligt wirdldquo (Wundt zit in Bahr 1994 S46) Das Interesse des Gastgebers ist es bdquodie Person des Gastes vor der geringsten Verletzung zu bewahren (hellip) jede Spur von Hostilitaumlt auszuschlieszligen als Voraussetzung ungestoumlrten Genieszligensldquo (Bahr 1994 S 49)

Das heiszligt Gastfreundschaft erfuumlllt drei Bedingungen die zum Leben noumltig sind Gaumlste bleiben grundsaumltzlich am Leben (werden nicht getoumltet) ihnen wird materiell beim Uumlberleben geholfen (mit Nahrung Unterkunft und Schutz) und Gastfreund-schaft stiftet und erhaumllt ein soziales Band und traumlgt zum Zusammenleben bei (in-dem Gaumlste zumeist umgekehrt auch ihren Gastgeberinnen und Gastgebern und al-len anderen Gastfreundschaft gewaumlhren werden) Leben ermoumlglichen heiszligt hier

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also mehr als Menschen nur am Leben lassen es heiszligt auch sie naumlhren staumlrken stuumltzen begleiten ihnen Kenntnisse vermitteln und Freude bereiten (Kayed 2003 S 1)

Als Gast genieszligt man die volle Aufmerksamkeit des Gastgebers bezuumlglich der ei-genen Beduumlrfnisse ndash zumindest waumlhrend der Dauer des Gaststatuses Allerdings ist es auch geboten den Gastgeber nicht uumlber die Maszligen zu beanspruchen Gast sein bedeutet auch bdquodie Kunst sich rechtzeitig verabschieden zu koumlnnen ehe man Para-sit zu werden drohtldquo (Bahr 1994 S 44)

bdquoWir waren seit langem Gaumlste der Schoumlpfung und sind es glaube ich immer noch Die Houmlflichkeit unserem Gastgeber gegenuumlber gebietet es daszlig wir fragenldquo (Steiner 2004 S 345) Vielleicht ist es ein spiritueller Gedanke ein Gast auf Erden zu sein Moumlglicherweise wuumlrde es unserer Mitwelt und Umwelt und uns selbst besser bekommen wenn wir unser Da-sein auf diese Art verstehen wuumlrden eben als Gaumlste in der Welt als geladene Gaumlste Welches Gastgeschenk waumlre angesichts unserer Lebendigkeit und der Schoumlnheit der Welt angemessen und wie koumlnnten wir unsere Dankbarkeit aumluszligern

4 Dimensionen der Gastfreundschaft

Zusammenfassend koumlnnen die folgenden Dimensionen der Gastfreundschaft unter-schieden werden Sie kann

bull einseitig oder wechselseitig sein bull offen gegenuumlber allen sein oder bestimmte Personen oder Gruppen aus-

schlieszligen bull geregelt sein (Asylrecht) oder freiwillig bull begrenzt sein (drei Tage) oder unbegrenzt (vgl Kayed 2003 S 2) bull bdquokann nur poetisch seinldquo (Jaques Derrida)

5 Das Gastmahl Gastmaumlhler auf denen der sbquofremde Gastlsquo nicht mehr kannibalisch verzehrt son-dern selbst zum gemeinsamen Verzehr geladen ist stellen insofern noch dessen sbquoEinverleibunglsquo dar als er gleichsam wie ein Kind durch seine Teilnahme an der gleichen Nahrung und Ernaumlhrungsweise zum Mitglied einer Gemeinschaft wird (Bahr 1994 S 157)

In der philosophischen Literatur sind zwei Gastmaumlhler beruumlhmt geworden Das Gastmahl des Trimalchio (Petronius Arbiter in Satyrikon) und Platons Gastmahl In beiden Erzaumlhlungen oder Gleichnissen wird das Mahl halten zu einer Aussage die weit uumlber die Banalitaumlt des Hunger Stillens hinausgeht

Trimalchio ein freigelassener Sklave moumlchte seinen neu gewonnenen Status als reicher gebildeter Mann durch eine opulente Einladung zu einem Festessen mit

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literarischen akrobatischen musikalischen und theatralischen Darbietungen der suumlditalienischen Gesellschaft kommunizieren

Auf einer Platte wird ein enormes Wildschwein hereingetragen bedeckt mit der phrygischen Freiheitsmuumltze an den Hauern zwei Koumlrbchen mit Datteln An dem Tier liegen wie an seinen Eutern kleine Schweinchen aus Kuchenteig Zum Tran-chieren erscheint ein baumlrtiger Kerl in Jagdkleidung stoumlszligt dem Schwein einen Hirschfaumlnger in die Flanke Aus den sbquoWundenlsquo fliegen Drosseln heraus die ein Vogelfaumlnger wieder einfaumlngt (Bahr 1994S 160)

Die Speisenfolge ist ebenso ungewoumlhnlich als die Darbietung der Speisen tatsaumlch-lich aber wird durch die Inszenierung nur der schlechte Geschmack und die Halb-bildung des Trimalchio sichtbar er erreicht also genau das Gegenteil dessen was er beabsichtigt hat als Gastgeber seinen hohen Status zu Schau zu stellen alles in den Schatten zu stellen was vorher an Festlichkeiten geboten wurde

Geschmack klassifiziert ndash nicht zuletzt den der die Klassifikationen vornimmt Die sozialen Subjekte Klassifizierende die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede die sie zwi-schen schoumln und haumlsslich fein und vulgaumlr machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdruumlckt oder verraumlt (Bourdieu 1982 S 25)

Pierre Bourdieu macht deutlich dass der Geschmack immer das Ergebnis sozialer Zugehoumlrigkeit ist man somit anhand der Artefakte und Inszenierungen des Habi-tus feststellen kann welcher Schicht man zugehoumlrig ist Es kann demzufolge Tri-malchio gar nicht gelingen das bdquosomatisierte Klassenbewuszligtseinldquo (Sloterdijk 2009 S284) zu uumlberwinden

bdquoZwischen dem Eszligbaren und Uneszligbaren zwischen der Einverleibung und der Ausscheidung berichtet die Erzaumlhlung von einem Mahl das sich ohne sbquoGastlich-keitlsquo nur selber verzehrt haumltteldquo (Bahr 1994 S 174)

In der Erzaumlhlung von Petronius Arbiter wird aufgezeigt dass der Gastgeber mit seiner Einladung auch uumlbertreiben kann und sich damit selbst aber auch die Gaumlste der Laumlcherlichkeit preisgibt Ausufernde Dekoration zur Farce verkommene Spei-sen und uumlberladene Portionen und Darbietungen wirken der Gastfreundschaft ent-gegen Die Gaumlste des Trimalchio werden instrumentalisiert nicht um ihretwillen findet das Mahl statt und nicht um einen sozialen Zusammenhalt zu generieren sondern nur um zu protzen Gastfreundschaft gebietet auch eine Angemessenheit welche weder den Gast beschaumlmt noch den Gastgeber

Platons Gastmahl (Gastmahl griech Symposion) hingegen ist eine Siegesfeier Die Geladenen sind allesamt Freunde und berichten einander von ihrer Auffassung bezuumlglich Liebe und Leidenschaft (Eros) Es ist mehr ein Trinkgelage und eine Gelegenheit zu Wort zu kommen als ein Essen und fuumlhrt schlieszliglich dazu dass eine der wenigen weiblichen Rollen in Platons Werk Diotima (indirekt) zu Wort kommt Sie ist nicht leibhaftig anwesend in der Gruppe der allesamt maumlnnlichen Freunde wird von Sokrates zitiert und bekommt dadurch noch deutlicher den Sta-tus des Anderen Fremden Nichtgeladenen

Gastfreundschaft

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Das Zusammenkommen zum gemeinsamen Mahl wird in diesem Werk als Moumlglichkeit zum Philosophieren gesehen Nicht zufaumlllig waumlhlt Platon das Thema bdquoLiebeldquo (im Sinne von Eros) fuumlr das Gastmahl und ebenso durchdacht ist es dass eine Frau die Hauptrednerin ist Gemeinsames Mahlhalten verstaumlrkt die Beziehung der Geladenen untereinander die waumlhrenddessen genau dieses Thema (im weites-ten Sinn) eroumlrtern

Gastmaumlhler finden auch in der Populaumlrkultur immer wieder ihren Niederschlag beispielsweise in dem daumlnischen Spielfilm bdquoBabettes Festldquo (Oscar 1988) oder den als Tabubruch geltenden franzoumlsisch-italienischen Film bdquoDas groszlige Fressenldquo (1973)

Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird ist abhaumlngig von den Kultur-kreisen der Lebensgemeinschaften ist Ausdrucksmittel der Menschen und dient der symbolischen Kommunikation Dieses spiegelt sich in Gerichten Rezepten und Ritualen wider und dient als individuelles und gemeinschaftliches Verstaumlndi-gungsmittel Kuumlchen sind bis heute Orte dieses Geschehens durch sie wird die Be-friedigung des Beduumlrfnisses nach Nahrung zu einem kulturellen System (Barloumlsi-us 1999 zit in Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies S 195)

Gemeinsames Essen soviel ist sicher schafft Zugehoumlrigkeit und damit ein Ein- und Ausschlieszligungsmilieu in welchem es fraglich ist wer als Gast zugelassen bzw eingeladen und wer ausgeschlossen wird Diese Dynamik wird auch in Maumlr-chen verwendet um die Kraumlnkung der Ausgeschlossenheit und deren Folgen zu beschreiben Die dreizehnte Fee bei Dornroumlschen raumlcht sich schlieszliglich dafuumlr dass sie nicht eingeladen worden ist

6 Die (Schul-)Kuumlche als Ort der Gastfreundschaft

Betrachtet man das bisher Gesagte so koumlnnen wir feststellen dass Gastfreund-schaft fuumlr uns Menschen in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll ist Sie gibt uns die Sicherheit in einer ungastlichen Welt bzw in unsicheren Zeiten bei anderen Ruumlckhalt zu finden Umgekehrt uumlbernehmen wir auch Verantwortung fuumlr andere Beides staumlrkt den sozialen Zusammenhalt und die soziale Zugehoumlrigkeit was wie-derum die Lebensqualitaumlt verbessert oder sogar lebenserhaltend wirken kann Da sich die Gastfreundschaft jedoch historisch betrachtet von einer allgemeinen ethi-schen Verpflichtung jedes Menschen gegenuumlber jedem anderen Menschen fortent-wickelt hat und ein Groszligteil der diesbezuumlglichen Verpflichtung vom Staat uumlber-nommen wird ist der Anspruch des Teilens voumlllig in den Bereich des Privaten uumlbergegangen So ist der Akt des konkreten Teilens der Lebensressourcen Essen und Wohnen mit Menschen auszligerhalb des eigenen Familienkreises kaum mehr erfahrbar

Hier tritt der eigentliche Anknuumlpfungspunkt fuumlr die gesamte Thematik zutage Erfahrungen mit Gastfreundschaft koumlnnen uumlber das gemeinsame Essen aller (Mit-

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glieder einer Schulklasse oder Kochgruppe) in den Schulkuumlchen als Orte der Zube-reitung und des Geschehens selbst gemacht werden So wie das Essen selbst vom wilden fremden womoumlglich gefaumlhrlichen Rohzustand (Natur) durch putzen schauml-len kochen etc in einer Kuumlche in eine essbare Speise (Kultur) uumlbergefuumlhrt werden muss so wird auch der Verzehr der Speisen durch kulturelle Bedingungen und Regeln ritualisiert Dies ist auch bedeutsam wenn Gastfreundschaft gelernt werden soll denn auch diese kulturelle Leistung setzt soziales Wissen und Handeln voraus Wer die Rolle des Gastgebers der Gastgeberin bzw der Gaumlste uumlbernimmt und welche Implikationen daraus folgen ist dabei ebenso erfahrbar wie die Angemes-senheit einer Mahlzeit oder entsprechende Tischsitten

Die Aufnahme und der Genuss von Nahrung haben auch regressive Aspekte und so vermittelt Essen uumlblicherweise Emotionen der Geborgenheit Zuversicht des Aufgehoben- und Angenommenseins also das Gegenteil dessen was im Kapi-tel 2 als Fremdsein und Ausgeschlossensein beschrieben wurde Welche Bedin-gungen vonnoumlten sind um eine solche Mahlzeit fuumlr alle teilnehmenden Personen zu gestalten sollte ua Gegenstand der Ernaumlhrungsbildung als Kulturbildung sein

Ein Gast wird eine Mahlzeit auch dann als gastfreundlich empfinden wenn seine kulturellen weltanschaulichen gesundheitsbezogenen undoder geschmack-lichen Beduumlrfnisse und Vorlieben beruumlcksichtigt werden In einer multikulturellen (postmodernen) Welt ist es daher angebracht dass sich die regionalen Kuumlchen gegenuumlber diesen Anspruumlchen oumlffnen unter dem Aspekt der Fremdheit des Ande-ren (zT Interkulturalitaumlt) neue Variationen entwickeln bzw sich insgesamt einer kritischen Pruumlfung unterziehen Dabei geht es nicht um Aufgabe der gewachsenen kulinarischen Identitaumlt sondern um Ausweitung der gustatorischen sensorischen und produktorientierten Moumlglichkeiten um auch fuumlr spezielle Anspruumlche (Vegeta-rismus Veganismus Diaumltkuumlche kulturelle und religioumlse Vielfalt etc) Angebote zu machen Regionalitaumlt in Bezug auf Produkte und Produktionsweisen als quasi-ethische Forderung fuumlr das Paradigma der Nachhaltigkeit ist dabei nicht in Frage gestellt die regionalen Kuumlchentraditionen jedoch schon So findet man beispiels-weise in vielen Restaurants mit oumlsterreichischer Kuumlche schwerlich vegane oder koschere Speisen bestimmte Zutaten die eine Speisenwahl moumlglich oder unmoumlg-lich fuumlr spezielle Gruppen machen (zB Speck im Krautsalat) werden nicht ausge-wiesen etc

Um einem Gast Gastfreundschaft zu gewaumlhren ist es also notwendig nicht nur wie oben beschrieben nach seinem Namen zu fragen sondern daruumlber hinaus in diskreter und ruumlcksichtsvoller Manier nach seinen Lebensgewohnheiten Ableh-nungen Vorlieben und diese entsprechend kulinarisch umzusetzen Dies ist im Rahmen des Schulunterrichts in den Fachpraktischen Uumlbungen anwendbar berei-chert die fachlichen Inputs durch einen moumlglichen persoumlnlichen Bedeutungsgehalt fuumlr bestimmte Schuumllerinnen und Schuumller ndash oder auf der Ebene der Hochschule fuumlr die Studierenden ndash und eroumlffnet fuumlr alle neue Perspektiven

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Die private Kuumlche aber auch die Schulkuumlche sind Orte an welchen Ge-schmackserfahrungen moumlglich gemacht werden koumlnnen die sichern herausfordern Anspruumlche konkretisieren und Perspektiven eroumlffnen Ebenso verhaumllt es sich mit Tischsitten bdquodos and don`tsldquo in der Zubereitung und Praumlsentation Das Lernpoten-tial in Bezug auf die Thematik der Gastfreundschaft fuumlr Kinder und Jugendliche ist enorm einerseits weil Essen als konkrete unmittelbare primaumlre Lebenserfahrung lustvoll erlebt wird ebenso wie die handwerkliche Zubereitung und bdquoWerkschaf-fungldquo andererseits weil in Kuumlchen und Schulkuumlchen zumeist auch fuumlr andere ge-kocht wird Die Erfahrung der taumltigen Fuumlrsorge der hingewendeten Sorge um und Aufmerksamkeit fuumlr Andere ermoumlglicht ndash anders als bei vielem was in der Schule gelernt wird ndash den Erwerb sozialer Kompetenz auf einer direkten Ebene

Zwar dient das Essen unter dem Aspekt der Nutrition allein der Erhaltung des ei-genen Koumlrpers zugleich ermoumlglicht es aber die Oumlffnung zu den Anderen indem es die formale Voraussetzung fuumlr die Atmosphaumlre der Gastlichkeit bildet Man fuumlhrt die gleichen Bewegungen aus wie die anderen man erhaumllt seinen (Hervorhebung dd Autor) Koumlrper mit Speisen durch die auch die Koumlrper der Anderen (Hervorhe-bung d d Autor) erhalten werden Man wendet sich dem Tischnachbarn zu Diese Gemeinsamkeiten ermoumlglichen eine konfliktfreie Kommunikation (Duumlcker 2011 S 76)

Indem eine Speise auf eine bestimmte Art und Weise hergestellt wird spezielle Zutaten verwendet werden und sie in einem kulturellen Rahmen praumlsentiert einver-leibt und genossen wird kann die eigene Fremdheit und die Fremdheit des Ande-ren erkannt und oder sichtbar werden

Eine methodische Aufbereitung der Vermittlung dieser Inhalte reicht von der Ausrichtung (interkultureller) Feste uumlber die Erstellung von Ernaumlhrungsbiographien bis hin zu Verkostungen Rezeptentwuumlrfen Filmanalysen Literaturrecherchen und (Lied-) Textanalysen Das Thema Gast und Gastfreundschaft ist in allen Kuumlnsten verbreitet5

Der Themenkomplex der Gastfreundschaft ist zu umfangreich und vielschich-tig um ihm in der Kuumlrze der vorhandenen Moumlglichkeiten gerecht zu werden Die Leserinnen und Leser sind gebeten dies zu beruumlcksichtigen Eine Erhellung der Thematik und der Zusammenhaumlnge mit der Ernaumlhrungsbildung in der Fachpraxis ist hoffentlich trotzdem gelungen

Anmerkungen 1 bdquoLaut UNHCR dem UNO-Fluumlchtlingshilfswerk sind weltweit mehr als 20 Milli-

onen Frauen Maumlnner und Kinder grenzuumlberschreitend auf der Flucht gleichzeitig gibt es mehr als 20 Millionen sogenannte Binnenvertriebene die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind Sie alle fliehen vor Krieg Verfolgung Unter-druumlckung Gewalt Folter Naturkatastrophen von Menschen zerstoumlrter Umwelt Elend Armut Hunger ndash sie suchen Lebenldquo (Kayed 2003 S 2)

Gastfreundschaft

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2 franzoumlsisch hospitaliteacute Gastfreundschaft franzoumlsisch hostiliteacute Feindschaft 3 Emmanuel Levinas erachtet die Gastfreundschaft als etwas das uns grundsaumltzlich

uumlberhaupt zu Menschen macht bdquoIch bin fuumlr den Anderen verantwortlich ohne mich um seine Verantwortung fuumlr mich zu kuumlmmern uneigennuumltzig und nicht aus Selbsterhaltung Die Verantwortung ist kein bloszliges Attribut sondern die grundle-gende Struktur der Subjektivitaumlt Gastfreundschaft ist nicht eine von vielen Hand-lungsweisen fuumlr die oder gegen die ein Mensch sich entschieden werden kann [sic] Gastfreundschaft ist vielmehr das was das Menschsein ausmacht nicht wechselseitig im Tausch sein sondern den Anderen als Anderen leben lassenldquo (Kayed 2003 S 3)

4 In der Novelle von Albert Camus bdquoDer Gastldquo (spielt in Algerien waumlhrend der franzoumlsischen Besetzung) wird dem im algerischen Exil lebenden Lehrer Daru ein gefangener Araber der seinen eigenen Cousin getoumltet hat von einem franzoumlsi-schen Polizisten in Gewahrsam gegeben Daru laumlsst dem bdquoGastldquo nach schwerwie-genden Uumlberlegungen die Freiheit zur Flucht Der Araber aber bleibt und geht (freiwillig) ins Gefaumlngnis Von der Sippe des Arabers wird Daru bedroht weil er ihren Bruder scheinbar ausgeliefert hat

5 Lied von Arik Brauer (oumlsterreichischer Liedermacher der mit dem Fahrrad halb Europa und Israel erradelt hat) 4 Strophe bdquoFohr weg min Radl drah mi ned um I fohr weg min Radl und drah mi nimma um I kumm in a Araberzelt da waschns mir die Fuumlszlig und sing i ans von Schubert Franz da kochns mir an Grieszlig nur am dritten Tag werns grantig do bleibt der Teller leer do stirdlns ma im Rucksack um und spieln sich mitn Gwehr

Literatur

Bahr HD (1994) Die Sprache des Gastes Eine Metaethik Leipzig Reclam Barloumlsius E (1999) Soziologie des Essens Eine sozial- und kulturwissenschaftli-

che Einfuumlhrung in die Ernaumlhrungsforschung Weinheim und Muumlnchen Juven-ta zit in Heindl Methfessel Schlegel-Matthies Ernaumlhrungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer bdquokulinarischen Vernunftldquo In Ploumlger Hirsch-felder amp Schoumlnberger (Hrsg) (2011) Die Zukunft auf dem Tisch Wiesbaden Springer

Bourdieu P (1982) Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft Frankfurt am Main Suhrkamp

Derrida J (2007) Von der Gastfreundschaft (2 Aufl) Wien Passagen Duumlcker B (2011) Ritualitaumltsformen von Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg)

Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf Kayed C (2003) Gastfreundschaft und Philosophie

[wwwstoryguideatGastfreundschaft-Artikelpdf]

Gastfreundschaft

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Lemke H (2011) Philosophie der Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg) Gast-lichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Liebsch B (2008) Fuumlr eine Kultur der Gastlichkeit Muumlnchen Karl Alber Luhmann N (1990) Sozialsystem Familie In N Luhmann N Soziologische

Aufklaumlrung (Bd 5 Konstruktivistische Perspektiven) OpladenWestdeutscher Verlag

Sloterdijk P (2009) Du musst dein Leben aumlndern Frankfurt am Main Suhrkamp Steiner G (2004) Grammatik der Schoumlpfung Muumlnchen DTV Wierlacher A (2011) Aumlsthetik der Gastlichkeit oder der muumlndige Gast In A

Wierlacher (Hrsg) Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Verfasserin

Gabriela Leitner

Paumldagogische Hochschule Oberoumlsterreich Fachbereich Ernaumlhrung Humanwissenschaften

Kaplanhofstraszlige 40 A-4020 Linz

E-Mail gabrielaleitnerph-ooeat

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Brigitte Mutz

Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz Die Betriebskuumlche ndash Ort der Zubereitung in der Gemeinschaftsverpflegung1- soll vor allem ein Lernort der Selbstkompetenzen als auch der Sozialkompetenzen sein Hauptaugenmerk soll auf die Ausbildung und Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz gelegt werden Die besondere Bedeutung liegt dabei auf der Entwicklung von Empathie die sich auf das Zu-sammenleben der Menschen im Wesentlichen auswirkt

Schluumlsselwoumlrter Betriebskuumlche Selbstkompetenz Sozialkompetenz Qualitaumltsstandards Gemeinschaftsverpflegung nachhaltige Verpflegung

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1 Einleitung

Wesentliches Ausbildungsziel einer berufsbildenden mittleren und houmlheren Schule fuumlr wirtschaftliche Berufe ist es dass Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind ihr Fachwissen nicht nur durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern das erworbene Fachwissen in realen persoumlnlichen und beruflichen Herausforderungen einzusetzen vermoumlgen Schuumllerinnen und Schuumller machen unmit-telbar nach der Schule bzw waumlhrend ihrer Ausbildung ein Praktikum in der Gastro-nomie Um Jugendliche auf die Anforderungen der Arbeitswelt bestmoumlglich vorzu-bereiten ihre Persoumlnlichkeit zu staumlrken um Belastungen durch das soziale Umfeld leichter zu verkraften bedarf es einer Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenzen Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung kann diese Foumlrderung stattfinden denn Schuumllerinnen und Schuumller kochen im Rahmen ihres Unterrichts in der Betriebskuumlche der eigenen Schule oder im Rahmen ihres Pflichtpraktikums in anderen Einrichtun-gen wie Gastronomie und Hotellerie

2 Die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in Oumlsterreich

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fuumlhren zu einer steigen-den Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in der Ernaumlhrung weiterer Bevoumllke-rungsschichten der Gesellschaft Neben berufstaumltigen Erwachsenen werden auch Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Berufstaumltigkeit von Eltern oft schon in einem sehr fruumlhen Alter auszliger Haus versorgt Dazu kommen in Wohneinrichtun-

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gen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Kranken-haumlusern die durch Gemeinschaftsverpflegungsdienste versorgt werden

Betriebe der Auszliger-Haus-Verpflegung tragen somit nicht nur in steigendem Ma-szlige Verantwortung fuumlr die Gesundheit der Essensgaumlste sondern auch fuumlr Wirtschaft Gesellschaft und Umwelt Dies hat folgenden Grund Zum einen nehmen sie uumlber die Auswahl der Lebensmittel Einfluss auf eine bestimmte Art der Erzeugung Verarbei-tung und Vermarktung mit den jeweiligen oumlkonomischen sozialen und oumlkologischen Folgen Zum anderen nutzen sie bei der Zubereitung der Lebensmittel zu Speisen direkt und indirekt die Guumlter der Natur Diese Erkenntnis bildet die Grundlage fuumlr die Forderung nach einer nachhaltigen bzw zukunftsfaumlhigen Wirtschaftsfuumlhrung in Be-trieben der Auszliger-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung muss sich weiterentwickeln Weg von der vor-herrschenden Menuumlgestaltung die von unausgewogener Ernaumlhrung gepraumlgt ist hin zu ausgewogener Speiseplangestaltung die sich vor allem an den Beduumlrfnissen ihrer Gaumlste orientiert Gesunde Ernaumlhrung muss bereits im Kindergarten ansetzen und sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche und - abschnitte ziehen Die Gemein-schaftsverpflegung hat dabei eine unterstuumltzende Rolle und sollte ein gutes Vorbild sein

Um diese Wandlung in der Gemeinschaftsverpflegung voranzutreiben und um kuumlnftig einen gewissen Mindeststandard hinsichtlich Qualitaumlt sichern zu koumlnnen ist es notwendig Richtlinien zu definieren und Grenzen festzulegen

Rund 18 Millionen Menschen darunter 380000 Kinder und Rund 70000 Senio-ren und Seniorinnen nutzen taumlglich das Speisenangebot oumlsterreichischer Groszligkuumlchen (Toumlscher 2011)

21 Auszliger-Haus-Konsum

Aufgrund von veraumlnderten zeitlichen und persoumlnlichen Umstaumlnden greifen Konsu-mentinnen und Konsumenten vermehrt auf Essen auszliger Haus zuruumlck Laut einer Online-Umfrage an 501 Personen (repraumlsentativ fuumlr Oumlsterreicherinnen und Oumlsterrei-cher ab 15 Jahren) isst die oumlsterreichische Bevoumllkerung regelmaumlszligig zu 24 in Kan-tinen zu 21 in Restaurants und zu 16 in Fast-Food-Lokalen das Mittagessen wird immer haumlufiger auszliger Haus verzehrt (Bundesministerium fuumlr Land- und Forst-wirtschaft Umwelt und Wasserwirtschaft 2010)

Neben dem Konsum von Speisen in Restaurants Imbissbuden Fast-Food-Lokalen und aumlhnlichem nimmt die Gemeinschaftsverpflegung einen immer wichti-geren Stellenwert in der Bewirtung der Bevoumllkerung ein Berufstaumltige Erwachsene in betreuten Wohneinrichtungen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Krankenhaumlusern werden von Gemeinschaftsverpflegungsdiensten versorgt Durch die steigende Berufstaumltigkeit der Frauen essen auch vermehrt Kinder auszliger Haus zB in Kindergaumlrten Schulbuffets Horten etc (Elmadfa et al 2012)

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22 Gastgewerbe

Unter der Bezeichnung Gastgewerbe werden alle Dienstleistungen fuumlr den Gast ver-standen welche im Zusammenhang mit Verpflegung und Beherbergung stehen (sie-he Abbildung 1)

Abb 1 Die Gemeinschaftsgastronomie im Gesamtkontext des Auszliger-Haus-Konsums

(Quelle Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Das Gastgewerbe kann in vier Sparten unterteilt werden o Gastronomie (Gemeinschaftsgastronomie Individualgastronomie) o Transport mit Verpflegung (Flugzeug Schiff) o Beherbergung mit Verpflegung (Hotel Jugendherberge) o Beherbergung ohne Verpflegung (Motel)

23 Gastronomie

Der Bereich Gastronomie laumlsst sich wiederum in die Gemeinschaftsgastronomie und die Individualgastronomie unterteilen Der Begriff Individualgastronomie umfasst alle kommerziellen Einzelgastronomiebetriebe mit wechselnder Kundschaft wie zB Restaurants Cafeacutes Bars Take-away- und Fast-Food-Lokale sowie Event-Catering Party-Service etc

Die Taumltigkeitsfelder der Gemeinschaftsgastronomie sind die Bereiche Betriebs- und Personalverpflegung Spital- und Heimverpflegung und Verpflegung im Erzie-

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hungs- und Bildungssektor Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen das Angebot entweder als Teilverpflegung (Kindergaumlrten Schulen) oder Vollverpfle-gung (Internate Seniorenwohnheime Strafvollzugsanstalten etc) in Anspruch (vgl Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Die Individualgastronomie kann auch mit der Gemeinschaftsgastronomie ver-knuumlpft sein wenn zB Einzelgastronomiebetriebe taumlglich Speisen an Unternehmen oder Kindergaumlrten liefern

24 Gemeinschaftsverpflegung (GV)

Die Definition fuumlr bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo laut oumlsterreichischem Ernaumlhrungsbe-richt 2012 lautet bdquoEine im Preis limitierte Verpflegung eines begrenzten Personen-kreises an einem Ort an dem ein laumlngerer Aufenthalt dieser Personen aus organisato-rischen Gruumlnden erforderlich istldquo (Elmadfa Freisling Nowak amp Hofstaumldter 2009)

bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo im Sinne der Groszligkuumlchen-Leitlinie ist bdquoDie regel-maumlszligige Versorgung einer grundsaumltzlich konstanten Personengruppe mit Speisen im Rahmen eines laumlngerfristigen Auftragesldquo (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

Allgemeine Kennzeichen fuumlr die Gemeinschaftsgastronomie-verpflegung sind o Die Konsumentinnen und Konsumenten haben verschiedene Aufenthaltsformen in

der InstitutionEinrichtung (zB Bewohner Arbeitspersonal) o Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen regelmaumlszligig ein gastronomisches

Angebot in derselben InstitutionEinrichtung in Anspruch o Je nach Verpflegungssystem (zB Mischkuumlche Tiefkuumlhlsystem Cook-and-Chill2

oder Warmverpflegung) sind verschiedene Akteure an der Produktion und Bereit-stellung des Speisenangebots beteiligt

o Die Verpflegungsleistung kann entweder durch Eigenregie (Spitalskuumlchen) oder durch externe Betriebe (Catering-Unternehmen im Geschaumlftsfeld Gemeinschafts-gastronomie) erbracht werden

o Ein Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb hat als erstrangiges Ziel die Verpflegung der Personengruppen sicher zu stellen nachrangig ist die Erwirtschaftung von Gewin-nen (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

3 Der Unterschied von Selbst- und Sozialkompetenz

Die uumlberarbeiteten kompetenzbasierten Lehrplaumlne der Houmlheren Lehranstalten fuumlr Wirtschaftliche Berufe und Fachschulen sind in Entwurf und treten voraussichtlich im Jahr 2014 in oumlsterreichischen Schulen in Kraft Laut allgemeinen Bildungszielen werden Absolventinnen und Absolventen zu folgenden Kompetenzen befaumlhigt Fachkompetenz Methodenkompetenz Medienkompetenz soziale und personale Kompetenz kommunikative Kompetenz und emotionale Kompetenz

Kompetenzen sind Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zur Bewaumlltigung komplexer Problemstellungen Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen

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zum Handlungsvollzug Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Faumlhigkei-ten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus (vgl Beer amp Benischek 2011 S 9)

Die Selbstkompetenz (auch personale Kompetenz) beschreibt den Umgang des oder der Einzelnen mit sich selbst Die Selbstkompetenz bildet die Basis fuumlr die Entwicklung der Sozialkompetenz Nur ein Mensch der sich uumlber sich selber im Klaren ist und mit sich selbst wertschaumltzend umgehen kann wird ein solches Verhal-ten auch bei seinen Mitmenschen zeigen (vgl Strasser Osinger amp Sburny 2001 S 60ff)

Selbstkompetenz setzt sich aus fuumlnf Bausteinen zusammen Alle fuumlnf Bausteine sind notwendig um die Persoumlnlichkeitsentwicklung der Schuumllerinnen und Schuumller zu unterstuumltzen und zu foumlrdern

o Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sich selbst wertzuschaumltzen auf die selbst erbrachte Leistung stolz sein fuumlr ein selbstsicheres Auftreten ist die Faumlhigkeit sich ein Bild uumlber seine eigenen Gefuumlhle Staumlrken Schwaumlchen Grenzen und Verhal-tensmuster machen zu koumlnnen sehr wichtig

o Selbstverantwortung und Selbststeuerungsfaumlhigkeit Verantwortung fuumlr sich selbst uumlbernehmen aber auch fuumlr andere seine Gefuumlhle kennen und steuern koumlnnen

o Eigeninitiative sich selbst motivieren koumlnnen freiwilliges Engagement zeigen und aktiv mitarbeiten koumlnnen

o Flexibilitaumlt gewohntes Denken Verhalten und Einstellungen zu hinterfragen um fuumlr neue Ansichten oder Werte offen zu sein

o Belastbarkeit und Durchsetzungsvermoumlgen Umgang mit Stress Aumlrger und Frustra-tion (Giessen 2009)

Tab 1 Emotionale Intelligenz-Theorie (Quelle vgl Giessen 2009 S 23)

Ich Selbstkompetenz

Andere Sozialkompetenz

Erkennen Selbstbewusstsein uuml Emotionales Selbstbewusst-

sein uuml Korrekte Selbstbeurteilung uuml Selbstvertrauen

Sozialbewusstsein uuml Empathie uuml Dienstleistungsorientierung uuml Organisationsbewusstsein

Lenken Selbstmanagement uuml Selbstkontrolle uuml Vertrauenswuumlrdigkeit uuml Gewissenhaftigkeit uuml Anpassungsfaumlhigkeit uuml Erfolgsorientierung uuml Entschlusskraft

Beziehungsmanagement uuml Einfluss uuml Kommunikationskompetenz uuml Konfliktmanagement uuml Fuumlhrungskompetenz uuml Innovationen ermoumlglichen uuml Vertrauens erweckend uuml Teamwork Zusammenarbeit

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Bei der Sozialkompetenz steht eine Person in der Interaktion mit anderen Personen im Mittelpunkt Zentraler Punkt dieser Faumlhigkeit ist mit sich und seinem Umfeld zurechtzukommen Soziale Kompetenz fordert aber einige Grundvoraussetzungen an die eigene Person Unterstuumltzend wirken zum Beispiel ein gesundes Maszlig an Selbst-wertgefuumlhl und Selbstvertrauen Eigenverantwortung und Selbstdisziplin (vgl Adler 2012 S 21ff)

Gaisbacher und Pongratz beschreiben die Sozialkompetenz als wichtiges Hilfs-mittel um sowohl privaten als auch beruflichen Erfolg gewaumlhrleisten zu koumlnnen Mit Menschen zu kommunizieren sich in ein Team einzufuumlgen und zusammenzuarbei-ten ist bereits fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller in ihrem alltaumlglichen Umfeld von groszliger Bedeutung Spaumlter kommen Faumlhigkeiten wie uumlberzeugendes Argumentieren und Praumlsentieren hinzu Sozial kompetent zu sein bedeutet sich sowohl in privaten als auch beruflichen Konfliktsituationen uumlber das eigene Handeln bewusst zu sein und eine angemessene Loumlsung zur Konfliktbewaumlltigung finden zu koumlnnen (Gaisbacher amp Pongratz 2012)

Fuumlr Lernende ist es in der heutigen Zeit von groszliger Bedeutung ihr Wissen nicht durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern es in realen per-soumlnlichen und beruflichen Herausforderungen zu nutzen Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet die Schuumllerinnen und Schuumller in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihnen dabei zu helfen ihre Staumlrken zu finden und diese zu festigen Die Jugendlichen sollen sich am Unterrichtsgeschehen aktiv beteiligen und in kon-kreten Lernsituationen selbststaumlndig Lern- und Loumlsungswege finden Lernende sollen durch Interaktionen mit anderen Personen Kompetenzen ausbilden

4 Die Bedeutung des Unterrichts in der Betriebskuumlche auf die Selbst- und Sozialkompetenz von Jugendlichen

Es gibt eine Reihe von Modellen und Moumlglichkeiten die Sozial- und Selbstkompe-tenz auszubilden beziehungsweise zu foumlrdern Bei dem von der Autorin angefuumlhrten Modell liegt der Schwerpunkt auf der Selbstwahrnehmung das heiszligt der Umgang mit eigenen Gefuumlhlen der Wahrnehmung eigener Staumlrken und Schwaumlchen und der Faumlhigkeiten zur Selbstmotivation Ruumlcksichtnahme Akzeptanz und Mitgefuumlhl sind Voraussetzung fuumlr ein friedliches Zusammensein Der bewusste Umgang mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend fuumlr ein sozial kompetentes Verhalten Das sagt auch schon J Bauer in seinem Buch bdquoPrinzip Menschlichkeitldquo bdquoDie staumlrkste und beste Droge fuumlr den Menschen ist der andere Menschldquo (Bauer 2008 S 54)

bdquoSoziales Lernen resultiert zum einen aus der absichtlichen gezielten Foumlrderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung (Sozialerziehung) zum anderen aber auch aus dem taumlglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernenldquo (Keller amp Hafner 2003 S 9) Schuumllerinnen und Schuumller lernen unbewusst durch Beobachten bzw Nachah-

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men von ihren Eltern Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch ihre Mitschuumllerin-nen und Mitschuumller

5 Umsetzung im Unterricht Arbeiten im Team ndash Unterricht in der Betriebskuumlche

Der Methodeneinsatz zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz kann nur er-folgreich sein wenn die Voraussetzungen der Klasse mit den Voraussetzungen fuumlr die Umsetzung der Methode uumlbereinstimmen Dieser Grundsatz bedeutet dass nicht jeder Methodeneinsatz immer in jeder Klasse erfolgreich sein kann Es geht vielmehr darum den Schuumllerinnen und Schuumllern unterschiedliche Wege und Moumlglichkeiten vorzustellen wie sie kompetenzorientierte Faumlhigkeiten ausbilden koumlnnen (vgl BMUKK 2011 S 12f)

Um die Komplexitaumlt der Bildungsstandards vereinfacht darzustellen wurden kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele entworfen In den Unterrichtsbeispielen wird die Anwendung des Kompetenzmodells und der Deskriptoren illustriert Um den aktuellen Anforderungen der Unterrichtsplanung gerecht zu werden wurde das Kompetenzmodell fuumlr soziale und personale Kompetenz des Bundesministeriums fuumlr Unterricht Kunst und Kultur in die Entwicklung des vorliegenden Unterrichtsbei-spiels herangezogen und als Hilfestellung fuumlr alle Lehrerinnen und Lehrer gedacht (vgl BMUKK 2012 S 5f)

Im Folgenden wird ein Auszug eines Unterrichtsbeispiels mit dem Thema bdquoDas Arbeiten im Teamldquo vorgestellt Der methodische Ansatz dient zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz der Jugendlichen Im Sinne des kompetenzorientierten Zuganges wurde als Erarbeitungsform das kooperative Lernen2 gewaumlhlt Die Lernen-den sind mit dieser Methode bereits vertraut und haben damit schon positive Erfah-rung gemacht Dies wurde aus fruumlheren Reflexionsphasen evaluiert

In einer Vorbereitungsphase planen die Lernenden im Team die Unterrichtsse-quenz in der Betriebskuumlche Sie bekommen dafuumlr die notwendigen Unterlagen Ziel ist es das die Lernenden selbststaumlndig die Arbeiten aufteilen die Arbeitsschritte detailliert ausarbeiten und in der Unterrichtseinheit umsetzen Die Schuumllerinnen und Schuumller geben einander Hilfestellungen Je besser die Lernenden zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstuumltzen desto besser wird auch das Ergebnis sein In der folgenden Aufgabenstellung bekommen die Schuumllerinnen und Schuumller genaue Erlaumlu-terungen fuumlr die Arbeitsaufgabe und das Stundenziel

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Tab 2 Arbeiten im Team Aufgabenstellung und Erlaumluterungen fuumlr Lernende (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011)

AUFGABENSTELLUNG UND ERLAumlUTERUNGEN ndash LERNENDE

Ausgangssituation Die Aufgabenstellungen die in der Unterrichtseinheit in der Betriebskuumlche zu bewaumlltigen sind koumlnnen im Wesentlichen in folgende Teilbereiche gegliedert werden

1 Vorbereitungsphase Studieren der bereitgestellten Unterlagen Wiederholen der wesentlichen the-oretischen Lehrinhalte wie zB Zubereitungsarten Verteilen der Aufgaben auf die Teammitglieder Erstellen eines Arbeitsplans mit Arbeitsschritten verteilt auf Teammitglieder und Betriebsmittel ge-naue Zeiteinteilung fuumlr die Durchfuumlhrungsphase (incl Mise en place Praktische Arbeit wie Zuberei-tungszeit Essensausgabe und Nacharbeit)

2 eventuelle Ruumlckfragen bei Lehrerin (kann entfallen) 3 Durchfuumlhrungsphase (Mise en place Praktische Arbeit Nacharbeit) 4 Ergebniskontrolle und Feedbackphase (Selbst- und Gruppenreflexion)

Sie erhalten fuumlr die Unterrichtseinheit (mindestens 1 Woche vor dem Unterricht) Rezepte Einkaufszettel und genaue Personenanzahl Je besser die Teammitglieder zusammenarbeiten desto effizienter und ergebnisorientierter kann die Unter-richtseinheit durchgefuumlhrt und die praktische Arbeit bewaumlltigt werden Aufgabenstellung Sie fuumlhren mit Ihren Mitschuumllerinnen in Teams 4 ndash 5 Personen in der Betriebskuumlche gemeinsam eine Unter-richtseinheit durch Sie erhalten dafuumlr eine praktische Aufgabenstellung die Rezepte ev Schwerpunktsetzung Zeiten fuumlr Essensausgabe genaue Personenanzahl in der Betriebskuumlche Der Inhalt wird Ihnen in einer Vorbesprechung von demder Lehrerin erlaumlutert und enthaumllt im Wesentlichen die oben angefuumlhrten Teilaufgaben Im Rahmen Ihrer Vorbereitung muumlssen Sie die notwendigen Arbeitsschritte erkennen und innerhalb Ihres Teams aufteilen Zusaumltzlich werden Sie Regeln erfolgreicher Teamarbeit versuchen anzuwenden Abschlieszligend reflektieren Sie die Einhaltung der Regeln und Ihre Zusammenarbeit im Team Vorgangsweise

Schritt 1 Besprechen Sie als Teil der Vorbereitung in Ihrem Team den Unterrichtsverlauf und fuumlhren Sie die notwendige Zuordnung der notwendigen Teilaufgaben durch Beruumlcksichtigen Sie dabei die indi-viduellen Faumlhigkeiten der einzelnen Teammitglieder Versuchen Sie im gemeinsamen Gespraumlch einen Konsens zu finden Wiederholen Sie auch die Regeln erfolgreicher Teamarbeit die Sie mit Ihrer Lehrerin in der Klasse erarbeitet haben Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 2 Am Beginn der Unterrichtseinheit bespricht Ihr Team mit demder Lehrerin die fachlichen In-halte Zuordnung der Arbeitsaufgaben auf die einzelnen Teammitglieder und zeitlichen Rahmen Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 3 Waumlhrend der Unterrichtseinheit versuchen Sie und Ihre Teammitglieder die Ihnen zugeordne-ten Teilaufgaben so gut wie moumlglich zu erledigen gegenseitige Unterstuumltzung ist dabei sinnvoll und fuumlhrt zu besseren Ergebnissen Zusaumltzlich versuchen Sie Ihre Regeln erfolgreicher Teamarbeit umzusetzen Kontrollieren Sie vor der Essensausgabe im Team Ihre Ergebnisse Setzen Sie eventuell Verbesserungs-vorschlaumlge um Zeitbedarf in Abhaumlngigkeit der Unterrichtseinheit

Schritt 4 Vor Ende der Unterrichtseinheit fuumlllt jedes Teammitglied das Feedbackblatt aus und in einer Abschlussbesprechung mit demder Lehrerin eroumlrtern Sie gemeinsam die wesentlichen Ergebnisse und die Zusammenarbeit im Team Zeitbedarf ca 10 ndash 15 min

GUTES GELINGEN IM TEAM SIND SIE STARK

Betriebskuumlche als Lernort

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Fuumlr ein erfolgreiches Arbeiten sollten zu Beginn Teamregeln definiert werden Als Beispiel kann das angefuumlhrte Arbeitsblatt dienen Tab 3 Arbeiten im Team Arbeitsblatt Teamregeln (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash

Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011) ARBEITSBLATT bdquoTEAMREGELNldquo

Regeln fuumlr erfolgreiche Teamarbeit Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Arbeits- und Verhaltensregeln die wesentlich zum Erfolg der gemeinsamen Arbeit beitragen

Verwenden Sie dabei die folgende Vorgangsweise

1 Jedes Teammitglied notiert zunaumlchst einzeln fuumlr sich die ihm persoumlnlich wichtigsten fuumlnf Regeln fuumlr eine erfolgreiche Teamarbeit

2 Anschlieszligend werden diese im Team besprochen und eventuell durch Nachfragen eroumlrtert 3 Bestimmen Sie nun gemeinsam mit Ihrem Team die acht wesentlichen Regeln fuumlr erfolgreiche

Teamarbeit Dies sollte nach intensiver Diskussion und auf demokratische Weise geschehen 4 Praumlsentieren Sie nun Ihre Teamregeln in der Klasse Gemeinsam mit demder Lehrerin und den

Mitschuumllerinnen einigen Sie sich anschlieszligend auf zehn Regeln die verbindlich in allen Teams eingefuumlhrt werden sollen

5 Versuchen Sie die beschlossenen Regeln im Rahmen Ihrer Teamarbeit bei den Unterrichtseinheiten in der Betriebskuumlche einzuhalten

Meine persoumlnlichen fuumlnf Teamregeln

Die acht Teamregeln unseres Teams

Die zehn Teamregeln in unserer Klasse

In einer abschlieszligenden Besprechung nach der Unterrichtseinheit wird von den Ler-nenden ein Feedbackbogen ausgefuumlllt im Team besprochen und Verbesserungsvor-schlaumlge ausgesprochen

6 Fazit

Abschlieszligend laumlsst sich sagen dass mit Hilfe des theoretischen Fachwissens klar erkennbar wird dass nur ein Mensch der seine eigene Identitaumlt gefunden hat seine Persoumlnlichkeit akzeptiert und wertschaumltzt in der Lage ist ein solches Verhalten auch seinen Mitmenschen gegenuumlber zu zeigen Mit Hilfe des beschriebenen Unterrichts-entwurfes bdquoArbeiten im Team in der Betriebskuumlcheldquo konnte aufgezeigt werden welche Moumlglichkeiten bereits vorhanden sind um eine Foumlrderung von Selbst- und Sozialkompetenz durchzufuumlhren Eine zentrale Funktion der Lehrkraumlfte sollte sein jene Kompetenzen zu foumlrdern welche es den Jugendlichen ermoumlglichen sowohl selb-staumlndig als in Zusammenarbeit mit anderen Menschen effektiv und mit Freude zu arbeiten

Betriebskuumlche als Lernort

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Anmerkungen 1 bdquoVersorgung bestimmter Verbrauchergruppen mit Speisen und Getraumlnken oft uumlber

einen laumlngeren Zeitraum und regelmaumlszligig waumlhrend der Anwesenheit in Betrieben Gesundheitseinrichtungen Schulen Heimen Kindergaumlrten Kasernen usw Die Versorgung kann sich auf einzelne Mahlzeiten (zB Schuumllerspeisung) oder alle Ta-gesmahlzeiten (zB in Krankenhaumlusern) erstreckenldquo (Zobel 2000 S 133)

2 bdquoDidaktische Strategie mit dem Ziel alle Lernenden ertragsorientiert in den Unter-richt zu integrieren kombiniert mit dem dazu geeigneten Methodenrepertoireldquo (Mattes 2011 S 20f)

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Betriebskuumlche als Lernort

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Verfasserin

Brigitte Mutz

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung

Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien

E-Mail brigittemutzphwienacat Internet wwwphwienacat

Ernaumlhrungskompetenz

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______________________________________________________________

Sigrid Kuumlstler

Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen In den berufsbildenden Schulen treffen auf dem Gebiet der Ernaumlhrungsbildung zwei Lernorte aufeinander der theoretische Unterricht Ernaumlhrung (Lernort Klassenzimmer) und der fach-praktische Unterricht (Lernort Schul- bzw Betriebskuumlche) Es soll aufgezeigt werden wie Ernaumlhrungskompetenz in diesen beiden Lernorten entwickelt werden kann

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Ernaumlhrungskompetenz Empowerment Handlungsfauml-higkeit Selbststaumlndigkeit

______________________________________________________________

1 Bedarfsgerechtes Ernaumlhrungsverhalten ermoumlglichen

Das Problem dem Menschen in nahezu allen Lebensbereichen gegenuumlberstehen ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln Als Beispiele seien hier das Umwelt- Ernaumlhrung- und Sportverhalten genannt Fuumlr alle diese Lebensbereiche gilt das Glei-che Wir wissen zwar wie es theoretisch ginge das heiszligt wir verfuumlgen uumlber das entsprechende fachliche Know-how aber leider handeln wir nur in wenigen Faumlllen auch entsprechend Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Fach-bereiche beschaumlftigen sich mit diesem Phaumlnomen Waumlhrend Biologen und Biologin-nen der Frage nachgehen bdquoWie kommt man vom Umweltwissen zum Umwelthan-delnldquo ist die ernaumlhrungsrelevante Frage bdquoWie kommt man vom Ernaumlhrungswissen zur Ernaumlhrungskompetenzldquo

Grau amp Legutke (2013) sehen den Lernort Klassenzimmer als Kernzone fuumlr das Erlernen von fremdsprachlicher Kompetenz Gleiches muss auch fuumlr den Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz gelten Die Kernzone Klassenzimmer wird in oumlsterreichischen berufsbildenden Schulen durch den Lernort Schulkuumlche erweitert So koumlnnen die ernaumlhrungsbildenden Kompetenzen die im oumlsterreichischen Referenzrahmen fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbrauchbildung formuliert wurden in beiden Lernorten verankert und trainiert werden Der vorliegende Artikel versucht dies an den beiden Kompe-tenzen bdquoEB 1 Das eigene Essverhalten reflektieren und bewertenldquo und bdquoEB 2 sich vollwertig ernaumlhren koumlnnenldquo (Buchner amp Schuh 2009 S 8) zu verdeutlichen Die Frage die sich stellt ist wie diese beiden innerschulischen Lernorte auch primaumlre Lernorte genannt (vgl Thomas 2009) die Entwicklung der Ernaumlhrungskompetenz von Lernenden foumlrdern koumlnnen Die zwei Lernorte schaffen ideale Voraussetzungen um bei entsprechender Lernbereitschaft der Lernenden sowohl kognitive als auch operationale Kompetenzen zu erwerben bzw weiterzuentwickeln in anderen Worten die Handlungsfaumlhigkeit der Lernenden anzubahnen

Ernaumlhrungskompetenz

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Um Schuumller und Schuumllerinnen zu handlungsfaumlhigen Akteuren zu erziehen brau-chen sie im Unterricht konkrete Handlungsanlaumlsse Diese koumlnnen im geschuumltzten Rahmen dem Lernort umgesetzt geuumlbt und letztlich reflektiert werden Peterszligen (2001) definiert Handlungsfaumlhigkeit wie folgt bdquoAls handlungsfaumlhig gilt wer imstan-de ist selbststaumlndig mit moumlglichst vielen Situationen fertig zu werden in die sein Leben ihn hineinfuumlhrt weil er die darin vorfindbaren Probleme eigenstaumlndig zu loumlsen faumlhig istldquo (S 10) Handlungsfaumlhigkeit ist fuumlr Peterszligen ein ganzheitlich-integratives Konzept dass sich aus der Schnittmenge von fundierter Sach- Sozial- Moral- und Methodenkompetenz ergibt1

Ziel des Ernaumlhrungs- und Kuumlchenfuumlhrungsunterrichtes muss diese Handlungsfauml-higkeit bzw der Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz sein Im Vorwort des aid-Tagungsbandes Du isst wie du bist Ernaumlhrungskompetenz ist Lebenskompetenz fasst Buumlning-Fesel Ernaumlhrungskompetenz wie folgt zusammen

Ernaumlhrungskompetenz [ist] die Faumlhigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Ernaumlhrungsalltag in ein angemessenes Handeln umzusetzen zum Beispiel im Sinne einer gesunden und nachhaltigen Ernaumlhrung (Buumlning-Fesel 2011 S 6)

Das Umsetzen der erworbenen Faumlhigkeiten das Entwickeln von Kompetenzen muss also im Fokus des Unterrichts stehen Im Sprachunterricht orientiert man sich zur Erfuumlllung dieser Aufgabe am handlungsorientierten Unterricht (task-based teaching) So werden im primaumlren Lernort Klassenzimmer Alltagssituationen kreiert sogenann-te bdquotasksldquo (Aufgabenstellungen) gegeben die so realitaumltsnah wie moumlglich geuumlbt wer-den Eine Vielzahl der verwendeten Sprachschulbuumlcher erleichtert diese Form des Sprachunterrichts maszliggeblich

Da sich der Groszligteil der Ernaumlhrungspaumldagoginnen und -paumldagogen auf das Schulbuch stuumltzt wird hier der Frage nachgegangen inwiefern das Konzept des Han-delnlernens in diversen inter-nationalen Ernaumlhrungslehre-Schulbuumlchern verankert ist Eine Analyse des an den berufsbildenden Schulen verwendeten Schulbuchs Er-naumlhrung ndash bewusst ndash aktuell ndash lebensnah (Reischl et al 2009) zeigt auf dass der rein kognitive Wissenserwerb im Vordergrund steht Handlungsanlaumlsse bzw hand-lungsorientiertes Lernen spielen eine untergeordnete Rolle Zu Beginn jedes Kapitels werden Ziele formuliert die nur Operatoren (zB Bescheid wissen kennen erlaumlu-tern erklaumlren etc) aus dem Bereich der kognitiven Ebene bedienen Aumlhnliches gilt fuumlr die Rubrik Arbeitsaufgaben Auch hier zielen die Arbeitsaufgaben darauf ab Kognitionsfragen zu beantworten So zB bdquoIn welche Gruppen werden Kohlenhydra-te eingeteilt Worin besteht der Unterschied zwischen den einzelnen Artenldquo (S 36) Im gesamten Schulbuch findet sich ein Rollenspiel in Form einer Ernaumlhrungsbera-tungssituation zum Thema Kleinkindernaumlhrung (S 238)

Handlungsanleitungen oder Vorschlaumlge fuumlr Projekte wie sie zB in Richters (2009) Kreativ Ernaumlhrung entdecken Usus sind oder die Rubrik bdquoUnd jetzt Sieldquo in de Groot amp Farhadis (2007) Schulbuch In Sachen Ernaumlhrung in der es neben Kogni-tionsaufgaben auch Anwendungsaufgaben (zB Fallbeispiele wie etwa zum The-

Ernaumlhrungskompetenz

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menbereich Salmonellose S 313) zu loumlsen gibt finden sich auch in anderen oumlsterrei-chischen Pendants Richtige Ernaumlhrung (Linder amp Robitza 2003) oder Gesundheit und Ernaumlhrung (Knapp et al 2009) noch nicht Eine Erweiterung im Bereich Hand-lungsorientierung in den oumlsterreichischen Schulbuumlchern waumlre wuumlnschenswert um so eine bessere Ernaumlhrungskompetenz bei den Lernenden zu erzielen

Moumlglichkeiten die Ernaumlhrungskompetenz der Lernenden zu foumlrdern werden bei Strotkamp aufgelistet bdquoexemplarisches Lehren und Lernen schuumllerInnenorientiert [sic] handlungsorientiert Wissenschaft dient als Informationsgeberin (Orientie-rungs- und Entscheidungshilfen) konkretes Ausprobieren handelnd lernen Alltags-bezug [sic]ldquo (Strotkamp 2002 S 189)

Um Ernaumlhrungskompetenz zu ermoumlglichen bedarf es auch einer gezielten Aus-einandersetzung mit dem Begriff des Empowerments Duumlr (2008) bringt den Termi-nus folgendermaszligen auf den Punkt

Der Begriff des Empowerments steht in gewisser Weise fuumlr das Paradox Individuen dazu zu bringen von sich aus so zu leben zu denken und zu handeln wie es mit den anspruchsvoller werdenden Bedingungen der Gesellschaft vereinbar ist ohne dabei Herrschaft Macht und Zwang ausuumlben zu muumlssen bzw sich in die Gestaltung der sozialen Systeme und der Gesellschaft insgesamt aktiv in einer Weise einzubringen dass diese zugleich gegenuumlber individuellen Einfluumlssen und Stoumlrungen paradoxer-weise resistenter werden (Duumlr 2008 S 11)

Bevor gezeigt wird wie ein Zusammenspiel von Ernaumlhrungskompetenz Handlungs-orientierung und Empowerment im Ernaumlhrungsunterricht aussehen kann wird im folgenden Kapitel das Augenmerk auf die eingangs beschriebene Diskrepanz zwi-schen Handeln und Wissen gelegt

2 Theorien zum nicht-stattfindenden Wissenstransfer

Aumlhnlich wie die biologiedidaktische steht auch die ernaumlhrungsdidaktische Forschung vor demselben Problem Obwohl das theoretische Wissen bei der Bevoumllkerung vor-handen ist mangelt es an der praktischen Umsetzung bzw am Wissenstransfer Die-ses Dilemma wird in zahlreichen Studien aus dem naturwissenschaftlichen sowie dem Publich Health-orientierten Bereich aufgezeigt Dieses Phaumlnomen des Nicht-uumlbertragens von vorhandenem Wissen des Ungenutztlassens von Erlerntem wurde 1929 von Whitehead als traumlges Wissen (inert knowledge) bezeichnet (vgl Renkl 1996) In seinem Artikel fasst Renkl drei Erklaumlrungsmoumlglichkeiten fuumlr diese Wis-sens-Handels-Diskrepanz zusammen

a) Metaprozesserklaumlrung Diese Theorie geht davon aus dass es zu keiner Nutzung des existierenden Wissens kommt weil die sogenannten me-takognitiven Steuerungsprozesse mangelhaft sind

Ernaumlhrungskompetenz

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b) Strukturdefiziterklaumlrung Hierbei geht man davon aus dass das eigentliche Wissen luumlckenhaft bzw nicht ausreichend ist um es entsprechend anwen-den zu koumlnnen

c) Situiertheitserklaumlrung Diese Theorie geht von der Situiertheit des Wissens aus und kritisiert somit auch die Ansaumltze der Kognitionspsychologie zur Thematik Wissen und Transfer (vgl Renkl 1996 S 84-87)

Um schlieszliglich anwendbares Wissen zu erlangen wird mithilfe von Modellen des situierten Lernens (zB kognitive Lehre verankerte Instruktion und Kognitive Flexibilitaumlt) im Unterricht gearbeitet bdquoAls Gemeinsamkeit dieser Ansaumltze kann hervorgehoben werden daszlig [sic] an komplexen authentischen oder zumindest realitaumltsnahen Problemstellungen gelernt wird (problemorientiertes Lernen)ldquo (Renkl 1996 S 87) Wissen werde so bereits im Anwendungskontext erarbeitet und somit auf bdquobestimmte Anwendungsbedingungen hin konditionalisiertldquo (S 88) Dieses anwendungsorientierte Lernen soll auch durch kooperatives Vorgehen in der Klasse gestuumltzt werden da bdquobei den Modellen des situierten Lernens der Sozi-alaspekt betont und Lernen als Enkulturation aufgefaszligt [sic]ldquo (S 88) wird

Wie ein entsprechend situiertes Lernarrangement im Ernaumlhrungsunterricht aus-sehen koumlnnte soll hier skizziert werden Die Themen des situierten Lernarrange-ments sind die Naumlhrwertberechnung und der Umgang mit Naumlhrstofftabellen Im Schulbuch wird ein fiktives Berechnungsbeispiel angegeben Eine vorgegebene Menge Haferflocken Apfel und Joghurt sind zu berechnen Der Arbeitsauftrag lautet bdquoWie viel Energie hat dieses Muumlslildquo Die Schuumller und Schuumllerinnen berech-nen rein mechanisch und haben beim naumlchsten Mal wieder vergessen wie sie den Energiewert berechnen koumlnnen

Eine handlungsorientierte und zugleich kooperative Moumlglichkeit die die kogni-tive Ebene mit der operationalen Ebene verbindet sieht folgendermaszligen aus

Den Lernenden wird in Kleingruppen ermoumlglicht sich selbst ihr Muumlsli zusam-menzustellen Die entsprechenden Ingredienzen stehen zur Verfuumlgung und duumlrfen frei gewaumlhlt abgewogen und in eine entsprechende Tabelle eingetragen werden Schlieszliglich wird der Energiegehalt der eigenen realen Muumlsliportion berechnet Die Schuumller und Schuumllerinnen werden angehalten den Energiegehalt ihrer Portion mit den Empfehlungen der DGE zu vergleichen wenn noumltig werden innerhalb der Gruppen Veraumlnderungen vorgenommen bzw Verbesserungs-vorschlaumlge gemacht

Neben der Zurverfuumlgungstellung von Muumlsliingredienzien (Orientierungshilfe) und dem Auswaumlhlen (sich entscheiden) dem Berechnen (Kognition) dem Abglei-chen von Ist- und Soll-Zufuhr am konkreten Beispiel (Reflexion) und dem Erbrin-gen von Verbesserungsvorschlaumlgen (Ernaumlhrungskommunikation -beratung) finden wichtige praktische Taumltigkeiten (Herstellung des Muumlslis Anrichten) statt Die ge-meinsame Verkostung (soziales Setting und sensorische Bewertung) schlieszligt diese Einheit ab Dieses konkrete Unterrichtsbeispiel veranschaulicht wie Wissenser-werb Empowerment und Ernaumlhrungskompetenz Hand in Hand gehen

Ernaumlhrungskompetenz

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3 Handlungstheorien und ihre didaktische Umsetzung

Im Zusammenhang mit Ernaumlhrungsbildung und Gesundheitsfoumlrderung in der Schule muss sich die Ernaumlhrungsdidaktik auch mit Handlungstheorien bzw der Handlungs-psychologie auseinandersetzen Die fuumlr diesen Artikel ausgewaumlhlten Theorien wer-den kurz umrissen Die Auswahl dieser Theorien erfolgt aufgrund ihrer ernaumlhrungs-didaktischen Tauglichkeit

Was versteht die Wissenschaft unter Handeln Der Neurobiologe Roth (2003) versteht unter Handeln bdquodas Verfolgen von Zielen genauer den Versuch Wuumlnsche Plaumlne und Absichten in die Tat umzusetzen Handeln unterscheidet sich hierdurch vom bloszligen Reagieren auf bestimmte Sinnesreize jenes wird uumlberwiegend intern dieses uumlberwiegend extern bestimmtldquo (S 472) Ein wichtiger Aspekt um ein Ziel zu erreichen ist die Willensanstrengung2 Roth erlaumlutert die Erkenntnisse der Hand-lungs- und Volitionspsychologie und geht in diesem Zusammenhang auf Heckhau-sen ein und benennt fuumlnf Phasen des Handelns

(1) die realitaumltsorientierte Motivationsphase (2) die Intentionsbildung (3) realisie-rungsorientierte praumlaktionale Phase (4) die aktionale Volitions- bzw Handlungs-phase und (5) die postaktionale Phase die das Erzielte bewertet und fuumlr spaumltere Handlungen beruumlcksichtigt (Roth S 476)

Um den Jugendlichen bei der Planung ihres Trinkverhaltens zu helfen wurde fol-gendes Beispiel von ihnen erarbeitet Tab 1 Planungsschritte fuumlr das Trinkverhalten

Phasen Teilaspekte ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Phase 1 Was Trinkverhalten verbessern

Phase 2 Wie Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch bereithalten

Phase 3 amp 4 das Handeln Wasser trinken und im Trinkprotokoll die entspre-chenden Portionen festhalten

Phase 5 das Bewerten Was ist gut gelaufen Was muss ich verbessern

Eine Theorie die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Einstellungen und Ver-halten auseinandersetzt ist Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens Ajzen erforscht ebenfalls Phasen im Handeln Laut Graf (2007) haben Ajzen und Fishbein unter anderem folgende vier Aspekte fuumlr diverse Haltungen sowie fuumlr das Verhalten for-muliert den Handlungs- Ziel- Kontext- und Zeitaspekt Nachfolgend eine Tabelle die diese vier Teilaspekte des Handelns auf das Ernaumlhrungsverhalten uumlbertraumlgt

Ernaumlhrungskompetenz

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Tab 2 Beschreibung der Einstellungs- und Verhaltensperspektiven

Aspekte Fragen (lt Graf S 34) ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Handlungsaspekt Welches Verhalten soll ausgefuumlhrt oder unterlassen werden

morgen kein Dessert essen

Zielaspekt Welches Ziel hat das Verhalten morgen nicht naschen

Kontextaspekt In welchem Kontext steht das Verhal-ten

Gehe ich morgen essen oder koche ich selbst

Zeitaspekt Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zeitrahmen soll das Verhalten ausge-fuumlhrt werden

einen Tag lang nichts naschen od gaumlnzlich darauf verzichten

Fuumlr die Ernaumlhrungsbildung in der Schule koumlnnen diese beiden Tabellen zB zur Nachbesprechung in der Reflexionsphase eines Essverhaltensprotokolls (vgl Heindl 2003 S 75) herangezogen werden Heindl fuumlhrt zB als Methode der Gesundheits-bildung bdquoEssgewohnheiten ndash Die Spirale der Veraumlnderungldquo an (vgl Heindl 2003 S 77)

Abb 1 Essgewohnheiten ndash Spirale der Veraumlnderung (nach Heindl 2003 S 77) Um den Lehrenden bei der Spirale der Veraumlnderung weiterzuhelfen haben die in Tabelle 1 und 2 angefuumlhrten Aspekte gute Dienste geleistet da dem Groszligteil der Jugendlichen nicht bewusst ist aus welchen Komponenten sich ihr Handeln zusam-mensetzen kann

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4 Handlungsorientiertes Lernen und Ernaumlhrungsbildung

Um Lernende moumlglichst wirklichkeitsnahe handeln zu lassen wurde der handlungs-orientierte Unterricht entwickelt Laut Bender (2013) trifft man ihn im Lernfeld Er-naumlhrung haumlufig an Peterszligen (2001) formuliert zum Thema handlungsorientiertes Lernen3 sehr plakativ bdquoWer Handlungsfaumlhigkeit will muss handeln lassenldquo (S 142) Fuumlr ihn bedeutet Handlungsorientierung dass Lernende die Faumlhigkeit besitzen ihr bdquoeigenes Handeln intellektuell regulieren zu koumlnnenldquo (S 142) Er fordert weiter dass die Lernenden bdquoihr Handeln von A bis Z [hellip] selbstaumlndig steuernldquo (S 145) muumls-sen damit sie das Erziehungsziel Selbstaumlndigkeit4 erreichen koumlnnen Aumlhnlich wie Heckhausen oder auch Ajzen sieht Peterszligen Handeln in Dimensionen unterteilt Er stuumltzt sich auf das Modell des vollstaumlndigen Handelns von Hacker dieses unterteilt sich wie folgt Planen Ausfuumlhren und Kontrollieren Peterszligen kreiert sein didakti-sches Modell des handlungsorientierten Lernens in Anlehnung an das des vollstaumlndi-gen Handelns (vgl Abb 2)

Abb 2 Didaktisches Modell vollstaumlndigen Handelns (Quelle Peterszligen 2001 S 145) Fuumlr den ernaumlhrungsbildenden Unterricht kann dieses Modell wie folgt in die Praxis umgesetzt werden In der HLW19 Straszligergasse wurde in den letzten drei Jahren das Projekt bdquoGesunde Jauseldquo gestartet Die Intentionen sind erstens auf die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden Einfluss zu nehmen zweitens beiden Gruppen Orien-tierungshilfen zu bieten und drittens die Zubereitungskompetenz der Schuumllerinnen und Schuumller bezuumlglich der Herstellung von einfachen bedarfsgerechten sowie naumlhr-stoffdichten Snacks in den schuleigenen Kuumlchen zu foumlrdern Dieser Zugang bedingt

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eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Faumlchern Ernaumlhrung und Kuuml-chenfuumlhrung einerseits Er erfordert aber auch andererseits dass die Lernenden typi-sche Nahrungszubereitungsmethoden gezielt uumlben naumlhrstoffdichte Snacks erkennen und gemaumlszlig den Hygienevorschriften herstellen sowie im Team arbeiten koumlnnen Neben der fachlichen Kompetenz werden auch die Methodenkompetenz und die personalensozialen Kompetenzen trainiert Im konkreten Fall wird dargestellt wie die Lernenden bei der Auswahl und Herstellung von bedarfsgerechten Snacks unter-stuumltzt werden um dann entsprechend handeln zu koumlnnen Die Schritte die an der HLW19 gesetzt wurden sind

a) Produktion von naumlhrstoffdichten Pausensnacks (Kochkompetenz) b) Verkauf und Beratung der Snacks in der Schulaula (Beratungskompetenz) c) Marketing durch Schuumllerinnen und Schuumller d) Konsum und Bewertung dieser Snacks durch Schuumllerinnen und Schuumller

Um die Lernenden zum Handeln zu motivieren brauchen sie im Unterricht konkrete Anlaumlsse die sie im geschuumltzten Rahmen umsetzen uumlben und reflektieren koumlnnen Das 6-stufige didaktische Modell von Peterszligen stand Pate fuumlr die folgende Vorge-hensweise Das Thema im Ernaumlhrungsunterricht ist die bdquoGesunde Jauseldquo und unter-stuumltzt somit das obenerwaumlhnte Projekt Buumlnning-Fesels Definition von Ernaumlhrungs-kompetenz Duumlrs Sicht des Empowerments und die beiden Deskriptoren EB1 und EB 2 des oumlsterreichischen Referenzrahmens fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bilden den weiteren didaktischen Hintergrund

Tab 3 Ernaumlhrungsdidaktische Umsetzung (basierend auf Peterszligens Modell)

Phasen Umsetzung

1 Information Lernenden erarbeiten sich das Thema bdquoGesunde Jauseldquo

2 Planung Lernende planen ihre eigene gesunde Jause Der Handlungsplan muss folgendes beinhalten 5 Tagesplaumlne bdquoGesunde Jauseldquo fuumlr Teenager entsprechend des in Schritt eins erworbenen Wissens Rezeptplanung Naumlhrstoffdichte-Berechnung Einkaufsliste Zube-reitungsinformation Marketingstrategie fuumlr die gesunde Jause

3 Beratung Lehrende beraumlt

4 Ausfuumlhrung Lernende fuumlhren ihre Planung mithilfe der Lehrkraumlfte aus

5 Evaluation Evaluation des Vorhabens

6 Bewertung Bewertung des Vorhabens

Am Ende dieser Einheit stehen nicht nur Rezepte Einkaufslisten Handlungsplaumlne sowie Jausensnacks als konkrete Handlungsprodukte zur Verfuumlgung die Schuumllerin-nen und Schuumller haben sich im Bereich der Selbststaumlndigkeit weiterentwickelt Ihre Planungskompetenz und ihre Ernaumlhrungskompetenz (theoretischer sowie operationa-ler Art) konnte weiterentwickelt werden

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5 Conclusio

Um der Forderung in der Schule ernaumlhrungskompetente Schuumllerinnen und Schuumller auszubilden damit sie sich gemaumlszlig der Idee des Empowerments gesundheitsfoumlrdernd ernaumlhren und verhalten koumlnnen gerecht zu werden bedarf es einer fundierten Ausei-nandersetzung mit Handlungstheorien und handlungsorientiertem Lernen Diese profunde Beschaumlftigung muss in der Aus- Weiter- und Fortbildung geschehen

Anmerkungen 1 Naumlhere Ausfuumlhrungen betreffend der ernaumlhrungsrelevanten Moral- bzw Methoden-

kompetenz finden sich in Buchner et al (2011) und Bender et al (2013) 2 Einen eingehenden Uumlberblick zu den Moumlglichkeiten und Grenzen der Willens-

erziehung bietet Langer (2011) 3 Es wurde bewusst der Begriff bdquohandlungsorientiertes Lernenldquo und nicht bdquohand-

lungsorientierter Unterrichtldquo gewaumlhlt Dies geschieht einerseits weil mit dem Be-griff des Lernens verdeutlicht werden soll dass die Lernenden im Vordergrund ste-hen und andererseits weil der Begriff handlungsorientiertes Unterrichten bei Meyer (2003a 2003b) und Jank und Meyer (2008) nicht auf Handlungstheorien basiert

4 Eine ausfuumlhrliche Einfuumlhrung zum Erziehungsziel Selbststaumlndigkeit gibt Drieschner (2007)

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Verfasserin

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Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung Ernaumlhrungspaumldagogik Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien E-Mail sigridkuestlerphwienacat Internet wwwphwienacat

Beurteilungsportfolio

105

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Ute Bender

Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche Das Lernatelier Kuumlche stellt eine wichtige materielle Lernumgebung fuumlr den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung dar Die damit verbundenen Lernprozesse stehen in Verbindung mit Methoden der Leistungsbeurteilung welche die angestrebten Kompetenzen in ihrer ganzen Breite auch tatsaumlchlich erfassen koumln-nen Der folgende Beitrag schlaumlgt hierzu ein Beurteilungsportfolio vor

Schluumlsselwoumlrter Portfolio Leistungsbeurteilung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungsbildung

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1 Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche als Lernumgebung der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

In der Tradition der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung war das Lernatelier Kuumlche1

lange Zeit die typische materielle Lernumgebung Heute hat sich dies gewandelt Nichtsdestotrotz sind insbesondere in der Ernaumlhrungsbildung fachliche Lernprozesse im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung unver-zichtbar die im Lernatelier am besten unterstuumltzt werden koumlnnen

Diese Lernprozesse sind mit vielfaumlltigen Teilkompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung verknuumlpft so dass im Lernatelier keineswegs ausschlieszliglich am Kompetenzaufbau in der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung gearbeitet wird Lehr-Lernarrangements im Lernatelier Kuumlche stellen folglich keinen separier-ten oder bdquobesonderenldquo Sektor innerhalb der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung dar sondern sind in die uumlbergeordneten Intentionen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung integriert Auch fuumlr die Leistungsbeurteilung gelten somit keine bdquobesonderenldquo Rege-lungen - allerdings sind bestimmte Fokussierungen vorzunehmen um den spezifi-schen angestrebten Kompetenzen gerecht werden zu koumlnnen Ein Beurteilungsportfo-lio kann diesem Anspruch entgegenkommen2

Die Begriffe bdquoLeistungsbeurteilungldquo und bdquoLeistungsbewertungldquo werden im Fol-genden nicht synonym verstanden bdquoLeistungsbeurteilungldquo bezieht sich auf die Ver-fahren die uumlber einen laumlngeren Zeitraum zum Einsatz kommen und bdquoLeistungsbe-wertungldquo auf bdquodie konkrete und detaillierte Einordnung einer beschriebenen Leistung in einem bestimmten Maszligstabldquo (Bohl 2009 S 60f in Anlehnung an v Saldern 1999)

Beurteilungsportfolio

106

11 Leistungsbeurteilung im Zuge der Kompetenzorientierung

Das in schulischen Fachkreisen gaumlngigste Verstaumlndnis von bdquoKompetenzldquo greift auf die Definition von F E Weinert zuruumlck (Weinert 2001) bdquoKompetenzenldquo beinhalten demnach mehrere inhalts- und prozessbezogene Facetten Faumlhigkeiten Fertigkeiten und Wissen aber auch Bereitschaften Haltungen und Einstellungenldquo (D-EDK 2013b S 7) Konsequenterweise hat sich die Leistungsbeurteilung an diesem an-spruchsvollen Kompetenzbegriff zu orientieren In der Ernaumlhrungs- und Konsumbil-dung im Allgemeinen und im Lernatelier Kuumlche im Besonderen wird sie sich also nicht nur auf Faumlhigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren sondern anstreben saumlmtli-che Aspekte von Kompetenz zu erfassen (vgl Bender 2013 S 46ff)

Selbstverstaumlndlich kann sich die Leistungsbeurteilung nur auf jene Teilkompe-tenzen beziehen an denen vorher im Unterricht gearbeitet wurde Sie hat prinzipiell den bdquoGrundsatz der proportionalen Abbildungldquo (Sacher 2011 S 29 vgl Bohl 2012 S 327) zu beachten das heiszligt dass die jeweils gewaumlhlten Modalitaumlten der Leistungserhebung und -bewertung die im Unterricht unterstuumltzten Kompetenzen im Sinne einer repraumlsentativen Stichprobe spiegeln sollten Zugleich sind die Verfahren der Leistungsbeurteilung gemaumlszlig dem bdquoGrundsatz der Variabiliaumltldquo (Sacher 2011 S 29) so zu gestalten dass sie der Zielgruppe gerecht werden Gerade in der Ernaumlh-rungs- und Konsumbildung beduumlrfen die heterogenen Voraussetzungen der Lernen-den (zB Geschlecht Interkulturalitaumlt) und ihre individuellen situativen Problemlouml-sungen besonderer Aufmerksamkeit (Fachgruppe 2005 S 31 vgl Methfessel Ritterbach amp Schlegel-Matthies 2008)

Eine der Herausforderungen des skizzierten Kompetenzverstaumlndnisses liegt si-cherlich in dem Anspruch Leistungsbeurteilung auch auf die bdquoBereitschaften Hal-tungen und Einstellungenldquo (siehe oben) zu beziehen In der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung kommen manche Bereitschaften zB die Absicht sich gesund zu ernaumlhren und angemessene Zubereitungstechniken zu praktizieren vor allem im auszligerschulischen Alltag zum Vorschein sie bleiben somit fuumlr die schulische Leis-tungsbeurteilung prinzipiell unzugaumlnglich Diese ist auf entsprechende Aussagen der Schuumllerinnen und Schuumller angewiesen Dabei hat sie sich selbstverstaumlndlich nicht auf gewisse bdquoerwuumlnschteldquo Absichtserklaumlrungen der Lernenden zu beziehen sondern auf explizierte Argumentationen und Erwaumlgungen

Der Maszligstab der Kompetenzorientierung wird von allen aktuellen deutschspra-chigen fachdidaktischen Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung vertreten In diesen kommen noch weitere Anspruumlche zur Geltung welche die Leistungsbeur-teilung beeinflussen koumlnnen und im Folgenden skizziert werden

Beurteilungsportfolio

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12 Leistungsbeurteilung in Bezug auf die Faumlhigkeit zur Reflexion

So wird in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung aus Oumlsterreich und Deutschland ua angestrebt dass Schuumllerinnen und Schuumller ihr Verhalten und ihre Entscheidungen reflektieren koumlnnen und wollen (Thematisches Netzwerk 2009 Fachgruppe 2005 vgl D-EDK 2013a S 8) Die Lernenden sollen uumlber das eigene Tun nachdenken und nicht nur spontan oder gewohnheitsmaumlszligig agieren In dieses Nachdenken flieszligen sehr unterschiedliches Wissen (zB aus den eigenen Erfahrun-gen oder wissenschaftliches Wissen) Einstellungen Emotionen etc ein Doch bdquoNachdenkenldquo ist bekanntlich unsichtbar Um es der Performanz zuzufuumlhren wird im Zuge der Leistungsbeurteilung erwartet dass die Schuumllerinnen und Schuumller ihre Gedanken in Texten oder auf andere Weise symbolisieren und ausfuumlhren Die Leis-tungsbeurteilung sollte folglich fuumlr solche Symbolisierungen Raum bieten

13 Leistungsbeurteilung vor dem Hintergrund ethischer Aspekte des Lernens

Eng mit den bdquoReflexionenldquo aber auch mit bdquoBereitschaften Einstellungen und Hal-tungenldquo (siehe oben) verknuumlpft sind solche Formulierungen in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung welche die Lernenden in Richtung eines nachhal-tigen Handelns oder Lebensstils bilden wollen (Fachgruppe 2005 S 26 ff vgl D-EDK 2013a S 2 Thematisches Netzwerk 2009 S 8 f) Nachhaltiges Entscheiden und Handeln impliziert immer auch ethische Gesichtspunkte (Schlegel-Matthies 2013) Dasselbe gilt fuumlr die in den Konzepten mehrfach genutzten Termini des bdquover-antwortlichenldquo oder bdquoverantwortungsbewusstenldquo Handelns (Fachgruppe 2005 S 27 Thematisches Netzwerk 2009 S 7 11) Wiederum kann es bei der Leistungsbe-urteilung nicht darum gehen bestimmte bdquoerwuumlnschteldquo Antworten zu erhalten son-dern um moumlglichst differenzierte mehrperspektivische Explorationen

14 Leistungsbeurteilung im Sinne des salutogenetischen Prinzips

Das bdquosalutogenetische Prinzipldquo als didaktisches Prinzip der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung findet sich in expliziter Form ausschlieszliglich im deutschen Konzept REVIS wieder (Fachgruppe 2005 S 30) Es zielt darauf ab die je individuellen he-terogenen Ressourcen der Lernenden zu foumlrdern und zu fordern Leistungsbeurtei-lung im Sinne der Salutogenese beruumlcksichtigt das Prinzip der Variabiliaumlt (siehe oben) und beachtet daruumlber hinaus dass die damit verbundenen Anforderungen fuumlr die Lernenden handhabbar sinnvoll und verstaumlndlich bleiben und somit dem persoumln-lichen bdquoKohaumlrenzgefuumlhlldquo nach Antonovsky (1999) dienlich sind

Beurteilungsportfolio

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15 Leistungsbeurteilung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens

Nicht zuletzt sei noch auf das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens hingewiesen welches ebenfalls im Konzept REVIS genannt ist Lernprozesse in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung sind demzufolge alltagsnah zu konzipieren vorhandene Erfah-rungen der Lernenden wert zu schaumltzen und Offenheit fuumlr weiteres Lernen ist ebenso zu foumlrdern wie bdquoLebensgestaltungs- und Bewaumlltigungskompetenzenldquo (Fachgruppe 2005 S 31) Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung versucht also idealerweise jene Offenheit fuumlr das weitere Lernen zu unterstuumltzen oder sogar Hilfestellungen hierfuumlr zu geben Sicherlich lieszligen sich noch weitere grundsaumltzliche Anforderungen an die Leistungs-beurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung formulieren Im Sinne eines Minimalanspruchs sollten konkrete Leistungsbewertungen jedoch den genannten zumindest nicht zuwiderlaufen Welche Rolle kann ein Beurteilungsportfolio dabei innehaben

2 Das Beurteilungsportfolio in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Portfolios als Lern- und Beurteilungsinstrumente werden mit unterschiedlichen Funktionen und fuumlr unterschiedliche Zielgruppen eingesetzt In der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung hat Brandl (2004) ein Konzept fuumlr die Lehrerinnen- und Lehrerbil-dung entwickelt Mit Blick auf Schuumllerinnen und Schuumller sind Portfolios folgender-maszligen zu definieren

Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Schuumllerarbeiten welche die An-strengung des Lernenden den Lernfortschritt und die Leistungsresultate auf einem oder mehreren Gebieten zeigt Die Sammlung schlieszligt die Beurteilung des Schuumllers bei der Auswahl der Inhalte Aufstellung der Kriterien fuumlr die Auswahl und zur Beur-teilung sowie selbstreflexive Gedanken ein (Lissmann 2008 S 137 in Anlehnung an Paulson Paulson amp Meyer 1991 vgl Brunner amp Schmidinger 2004 S 17 Bohl 2009 S 147f Haumlcker 2011a Winter 2012 S 200f)

Zu den bdquoselbstreflexiven Gedankenldquo gehoumlren meist Reflexionen der Lernenden uumlber ihre Portfolioentwicklung aber auch Uumlberlegungen zu ihren eigenen Lernprozessen Auszligerdem wird der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernenden uumlber Leis-tungen und Lernprozesse hoher Wert eingeraumlumt die dann ebenfalls Eingang ins Portfolio findet (Haumlcker 2011b S 218 Winter 2012 S 217)

Ein bdquoBeurteilungsportfolioldquo stellt eine von fuumlnf moumlglichen Formen eines Portfo-lios dar (siehe Tabelle 1 Lissmann 2008 S 141 vgl Glaumlser-Zikuda amp Hascher 2007 S 12f Paulson Paulson amp Meyer 1991 Winter 2012 S 200)

Beurteilungsportfolio

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Tab 1 Formen eines Portfolios (Lissmann 2008 S 141)

Aufgabe Portfolioformen

Lernprozess diagnostizieren Arbeitsportfolio

Lernerfolg beurteilen Beurteilungsportfolio

Lernergebnisse mitteilen Vorzeigeportfolio

Entwicklung dokumentieren Entwicklungsportfolio

Lernende vorstellen Bewerbungsportfolio

Das Beurteilungsportfolio dient somit dazu den Lernerfolg und die Schritte dorthin zu dokumentieren und der Bewertung zugaumlnglich zu machen folgerichtig hat es einen deutlich formaleren Charakter als zB das bdquoArbeitsportfolioldquo Wie fuumlr alle Portfolioformen gilt auch fuumlr das Beurteilungsportfolio dass es nicht nur einen ein-zigen Zeitpunkt im Lernprozess dokumentiert sondern auf eine laumlngere bdquoRegelstre-ckeldquo zuruumlckblickt (Winter 2012 S 213) Daruumlber hinaus beteiligt es wenn moumlglich die Lernenden an der Entscheidung welche ihrer Leistungen bewertet werden sollen und staumlrkt deren Selbstregulierung (Haumlcker 2011b S 220f)

In loser Anlehnung an Brunner und Schmidinger (1997 2004) sowie an Bohl (2009) sollte ein Beurteilungsportfolio folgende Dokumente umfassen Formale und strukturierende Elemente wie Titelblatt Inhaltsverzeichnis etc Pflichtdokumente aus dem Unterricht Dokumente nach Wahl der Lernenden die inner- oder auszliger-halb des Unterrichts entstehen koumlnnen Ruumlckmeldungen der Lehrperson zum Lern-prozess oderund zur Portfolioarbeit Schuumllerreflexionen

Waumlhrend das Beurteilungsportfolio in der deutschsprachigen Diskussion einer-seits als Alternative zum bdquoNotenfetischismusldquo (Vierlinger 1999) angesehen wurde und wird (Stern 2010 Vierlinger 2011) ist es heute andererseits auch als ergaumlnzen-de Beurteilungsmodalitaumlt denkbar (Bohl 2009 Winter 2012)

21 Ein Beurteilungsportfolio fuumlr das Lernatelier Kuumlche

Das Lernatelier Kuumlche ist der typische Ort fuumlr den Erwerb von Teilkompetenzen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im Sinne des Kompetenzbegriffes gehoumlren dazu Fertigkeiten etwa Arbeitstechniken aber auch diverse Kenntnisse und Faumlhigkeiten ebenso entsprechende Motivationen und Bereitschaften Daruumlber hinaus sind die genannten Teilkompetenzen zu verknuumlpfen mit weiteren Kompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Das Beurteilungsportfolio bietet ein breiteres Potenzial zur Leistungsbeurteilung an (siehe Tabelle 2)

Beurteilungsportfolio

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Tab 2 Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung durch ein Portfolio

Die Verfahren der Leistungs-beurteilung solltenhellip

Ein Beurteilungsportfoliohellip

hellipKompetenz im umfassenden Sinn variabel erfassen koumlnnen

helliperlaubt sehr vielfaumlltige Dokumentationen die uumlber einen laumlngeren Zeitraum entstanden sind So kann es die Aspekte von Kompetenz vielseitiger abbilden als eine punktuelle Leistungserhebung Prozesse Produkte bzw Zwischenprodukte lassen sich mit Hilfe von Zeichnungen Fotos oder Videos fuumlr das Portfolio festhalten (Brunner amp Schmidinger 2004 Winter oJ) Die im Portfolio skizzierten Kommunikationen und Dokumentationen erlauben es auch sinnliche Qualitaumlten zu erfassen zB Verkostungen

hellipReflexionen der Lernenden erheben koumlnnen

hellipbeinhaltet Reflexionen zum je individuellen Lernprozess (einschlieszliglich der jeweils bearbeiteten Inhalte genutzten Strategien und Techniken Medien Uumlberlegungen zu eigenen Staumlrken und Schwierigkeiten) und zum Portfolioprozess (etwa zur Auswahl der Dokumente) Lehrpersonen unterstuumltzen die Reflexionsfaumlhigkeit indem sie den Lernenden moumlgliche Fragen aufzeigen diese mit ihnen erarbeiten sowie spezifische Arbeitsblaumltter bereitstellen (vgl Poumllzleitner 2011)

hellipethischen Implikationen Rechnung tragen koumlnnen

helliplaumlsst zu dass Lernende selbst entscheiden zu welchen (verschiedenen) thematischen Aspekten sie ihre Uumlberlegungen und Meinungen darlegen moumlchten Es ermoumlglicht so ein vielgestaltiges Bild das auch Widerspruumlche zulaumlsst

hellipdie salutogenetische Orientierung beruumlcksichtigen

helliplaumldt Schuumllerinnen und Schuumller ein ihre Kompetenzen und damit ihre Staumlrken zu zeigen ndash statt nach Schwachstellen oder Fehlern zu suchen (Haumlcker 2005) Lernende entscheiden welche Wahldokumente sie beifuumlgen moumlchten Eigene Schwerpunkte lassen sich abbilden Die Ruumlckmeldungen der Lehrperson als konkretes konstruktives Feedback erweisen sich wie Studien zeigen als hocheffizient zur Foumlrderung von Lernprozessen (Black amp Wiliam 2009 Maier 2010)

helliplebensbegleitendes Lernen unterstuumltzen

hellipfoumlrdert den Erwerb von Lernstrategien indem es die Reflexion des Lernprozesses initiiert Schuumllerinnen und Schuumller verbessern ihre Faumlhigkeiten zur Selbsteinschaumltzung indem sie Produkte fuumlr ihr Portfolio auswaumlhlen und ihre Wahl dokumentieren Der Unterricht stellt ihnen Zeitgefaumlszlige fuumlr die Arbeit am Portfolio zur Verfuumlgung (Internationales Netzwerk Portfolioarbeit 2010) Das Portfolio laumlsst auch Dokumente zu auszligerschulischen Lernprozessen zu

Beurteilungsportfolio

111

211 Vorgehensweise

Lehrpersonen werden die Konzeption und Umsetzung des Beurteilungsportfolios an den jeweiligen Lernstand der Schuumllerinnen und Schuumller die jeweiligen situativen Bedingungen und andere Voraussetzungen anpassen Sie entscheiden daruumlber in-wieweit sie die Schuumllerinnen und Schuumller an der Leistungsbeurteilung mit dem Port-folio beteiligen moumlchten Lernende die uumlber wenig Erfahrung mit der Portfolioarbeit verfuumlgen benoumltigen zumeist mehr Hilfestellungen etwa Unterstuumltzung bei Reflexi-onsprozessen und formale Kriterien als andere Lernende Trotz dieser paumldagogi-schen Gestaltungsspielraumlume welche die Lehrperson hat sollte das Portfolio nicht zu einer Ansammlung von Pflichtdokumenten degradiert und den Schuumllerinnen und Schuumllern jegliches Mitspracherecht an der Zusammenstellung undoder Bewertung genommen werden Ein solches bdquoPortfolioldquo wuumlrde der Grundphilosophie widerspre-chen (Haumlcker 2005)

Die hohe Plastizitaumlt des Portfolios macht es zudem moumlglich das Beurteilungsver-fahren an sehr unterschiedliche Lehr-Lernarrangements zu adaptieren Wiederum jedoch wuumlrde es der Portfolio-Philosophie (und auch der Kompetenzorientierung von Unterricht) widersprechen wenn dieses Lehr-Lernarrangement keinerlei selbstregu-lierte Phasen fuumlr die Lernenden vorsaumlhe

212 Beispiel fuumlr ein Beurteilungsportfolio

Beurteilungsportfolios sollen widerspiegeln welche Teilkompetenzen Lernende erworben haben So richtet sich zB das nachstehend skizzierte Portfolio auf mindes-tens folgende Teilkompetenzen bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller koumlnnen Nahrungs-mittel uumlber die Sinne vergleichenhellip sensorische Eigenschaften beschreibenhellip und Vermutungen formulieren wie Unterschiede entstehenldquo sie bdquokoumlnnen Nahrungsmittel unter Beruumlcksichtigung von gesundheitlichen Aspekten auswaumlhlen und zuberei-tenhellipldquo und bdquokoumlnnen Mahlzeiten situationsgerecht planen und zubereitenhellipldquo (D-EDK 2013a S 7f) Weitere Teilkompetenzen lieszligen sich anfuumlgen

Das Portfolio-Beispiel bezieht sich auf einen Zeitraum von fuumlnf Wochen pro Woche findet der Unterricht in einem vierstuumlndigen Lektionenblock statt Die Schuuml-lerinnen und Schuumller sollen mindestens einmal selbst in Kleingruppen ein Menuuml planen einkaufen und zubereiten Sie werden informiert welche Speisen bzw Me-nuumls im genannten Zeitraum im Ganzen vorgesehen sind und vereinbaren im Vorfeld ihre Arbeitsteilung in den Kleingruppen Die Lehrperson pruumlft ob diese Arbeitstei-lung gewaumlhrleistet dass alle Schuumllerinnen und Schuumller die Chance haben die Aufga-ben fuumlr das Portfolio sehr gut zu erfuumlllen Sie plant ein dass alle Jugendlichen eine nicht benotete Ruumlckmeldung zu ihren Lernhandlungen erhalten koumlnnen sowie Zeit fuumlr das Portfolio zur Verfuumlgung steht Die Lernenden werden uumlber die Portfolioarbeit ausfuumlhrlich informiert und der Prozess mit ihnen abgesprochen Das Portfolio setzt sich aus vielfaumlltigen Dokumenten zusammen (siehe Tabelle 3)

Beurteilungsportfolio

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Tab 3 Dokumente fuumlr ein Portfolio (Beispiel Liste fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller)

Pflichtdokumente

In dein Portfolio gehoumlren alle Dokumente die gemeinsam im Unterricht bearbeitet wurden (siehe Arbeitsblatt Checkliste)3 sowie Titelblatt und Inhaltsverzeichnis

Bearbeite mindestens einmal die Fragen mit deren Hilfe du uumlber die Nahrungszubereitung und dein Lernen dabei nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Suche dir eine Speise aus die eine Mitschuumllerin oder ein Mitschuumller zubereitet hat und schreibe dieser Person eine konkrete Ruumlckmeldung wie du diese Speise mit allen Sinnen wahrnimmst Lege die Kopie in dein Portfolio

Fuumlge die Ruumlckmeldung der Lehrperson in dein Portfolio Du markierst was dabei fuumlr dich wichtig ist und notierst dir falls noumltig Nachfragen

Fuumlr das Menuuml das ihr euch selbst auswaumlhlt Legt alle Rezepte in das Portfolio oder bezeichnet sie mit Seitenzahlen gemaumlszlig eures Lehrmittels bdquoTiptopfldquo Klaumlrt im Unterricht gemeinsam warum ihr die Rezepte gewaumlhlt habt Jeder von euch soll diese Uumlberlegungen nochmals in eigenen Worten fuumlr das Portfolio aufschreiben

Was hast du bei der Portfolioarbeit gelernt Bearbeite einige der Fragen mit deren Hilfe du uumlber deine Portfolioarbeit nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Beispiele fuumlr freiwillig einzufuumlgende Dokumente

Dokumentiere mit einem Foto ein besonders gut gelungenes Produkt aus der Nahrungszubereitung im Unterricht oder von zuhause und begruumlnde warum es aus deiner Sicht gut gelungen ist

Skizziere mit einer Zeichnung oder fotografiere wie du den Tisch fuumlr ein bestimmtes Menuuml decken wuumlrdest oder gedeckt hast

Welche Speisen aus dem Unterricht koumlnntest du auch zuhause zubereiten Warum und zu welchen Gelegenheiten Wenn du keine Speisen findest Wo liegen die Schwierigkeiten

Welche Speisen haben dir besonders gut geschmeckt und warum

Welche Uumlberlegungen habt ihr euch zum finanziellen Budget fuumlr euer Menuuml gemacht

Wie sieht die Zeit- und Arbeitsplanung fuumlr euer Menuuml aus Warum wollt ihr so vorgehen

Lege Bilder und Rezepte bei die fuumlr euer Menuuml ebenfalls in Frage gekommen waumlren und schreibe uumlber ihre Vor- und Nachteile

Schreibe als Einleitung zu deinem Portfolio einen Brief an die Lesenden

Beurteilungsportfolio

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3 Guumltekriterien fuumlr das Beurteilungsportfolio

Fuumlr die Benotung eines Beurteilungsportfolios gelten prinzipiell dieselben Guumltekrite-rien wie bei jeder anderen Beurteilung Dazu gehoumlrt dass die Schuumllerinnen und Schuumller genau wissen wie die Bewertung zustande kommt und nach welchen Krite-rien die Lehrperson ihr Portfolio benoten wird Wenn moumlglich sind sie bei der Er-stellung dieser Kriterien zu beteiligen Gerade bei einem offenen Leistungsbewer-tungsinstrument wie dem Portfolio ist die Transparenz der Bewertung kommunikativ sicherzustellen (Bach-Blattern amp Bohl 2011 Bohl 2009 S 73ff Juumlrgens 2010 Lissmann 2008 S 76f)

4 Resuumlmee

Das Beurteilungsportfolio bietet die Chance vielfaumlltige individuelle Lernergebnisse der Schuumllerinnen und Schuumller im Lernatelier Kuumlche uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinweg zu erfassen Insbesondere gibt das Portfolio den Lernenden die Gelegenheit ihre Staumlrken darzustellen Fuumlr Lehrende und Lernende kann dieser Weg der Beurtei-lung manchmal mit sich bringen dass sie unbekanntes Terrain betreten und gemein-sam Unsicherheiten uumlberwinden muumlssen Trotzdem zeigen Studien dass die Akzep-tanz bei den Beteiligten im Allgemeinen hoch ist (Bohl 2012 Glaumlser-Zikuda Rohde amp Schlomske 2010 Lissmann Haumlcker amp Fluck 2009)

Anmerkungen 1 In der Schweiz ist der Begriff bdquoAtelierldquo allgemein gebraumluchlicher als bdquoWerkstattldquo 2 Ich danke den engagierten Lehrerinnen die im Rahmen einer Weiterbildung im

Kanton Solothurn ein Konzept fuumlr ein Portfolio fuumlr die Ernaumlhrungsbildung gemein-sam mit mir entwickelt und mit ihren Klassen realisiert haben

3 Zur Unterstuumltzung der Portfolioarbeit erhalten die Lernenden zusaumltzliche Arbeits-blaumltter

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Beurteilungsportfolio

116

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In M Glaumlser-Zikuda amp T Hascher (Hrsg) Lernprozesse dokumentieren reflek-tieren und beurteilen Lerntagebuch und Portfolio in Bildungsforschung und Bil-dungspraxis (S 109-129) Bad Heilbrunn Klinkhardt

Winter F (2012) Leistungsbewertung eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schuumllerleistungen (5 uumlberarb u erw Aufl) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Verfasserin

Profin Dr Ute Bender

PH FHNW Basel und Brugg

Clarastr 57 CH-4058 Basel

E-Mail utebenderfhnwch Internet wwwgesundheitundhauswirtschaftch

Rezension

117

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Regine Bigga

Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Ute Bender (Hrsg) (2013) Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Perspektiven und Praxisbei-spiele fuumlr den Hauswirtschaftsunterricht Fachdidaktische Entwicklungen in Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz Bern Schulverlag plus AG 200 Seiten mit CD-ROM

ISBN 978-3-292-00724-7 (D 3375 EURO A 3465 EURO CH 4190 CHF)

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In einem ersten Block werden die Entwicklungen und Positionspapiere zum deut-schen Projekt bdquoReform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulenldquo (REVIS) zum schweizerischen Projekt bdquoHauswirtschaftliche Bildung fuumlr eine Ge-sellschaft im Wandelldquo und der oumlsterreichische Referenzrahmen bdquoErnaumlhrungs- und Verbraucherbildung Austria (EVA)ldquo vorgestellt Unterkapitel widmen sich dem kompetenzorientierten Unterricht in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung und der Frage wie Lern- und Pruumlfaufgaben entwickelt werden koumlnnen

In einem zweiten Block werden ausgewaumlhlte Makromethoden (handlungsorien-tierter Unterricht Projekte Problemorientiertes Lernen Instruktionales Lernen Bio-graphieorientiertes Lernen SchmeXperiment und Experiment Dialogisches Lernen Stationenlernen) dicht angelehnt an entsprechende Fachartikel beschrieben Offen bleibt warum in diesem Kontext das Stationenlernen aber nicht typische Methoden der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung wie der vergleichende Schuumllerwaren- bzw Schuumllerdienstleistungstest und die Erkundung vertieft werden

In einem dritten Block werden Praxisbeispiele zum essbiographischen Arbeiten in multikulturellen Klassen zum fachpraktischen Arbeiten insbesondere dem Um-gang mit Rezepten zum experimentellen Arbeiten zur Entwicklung von Konsum-kompetenzen mittels Warentest und problemorientierten Lernen sowie der Entwick-lung von Haltungen in Richtung nachhaltiger Konsumentscheidungen ausfuumlhrlich dargestellt und auf entsprechende Makromethoden bezogen Hier liegt eine der Staumlr-ken des Buches deutlich werden Kompetenzen genannt und mit fachinhaltlichen und methodischen Uumlberlegungen verknuumlpft und reflektiert Im Anschluss werden die jeweiligen Vorschlaumlge kommentiert Im Sinne eines Studienbuches fuumlr die Lehrkraumlf-teausbildung waumlren hier Lern- und Pruumlfaufgaben bezogen auf die bdquoBeispiele fuumlr re-flektierte Unterrichtspraxisldquo hilfreicher gewesen

Der Sinn der beigelegten CD erschlieszligt sich nicht da viele der Dokumente gut online verfuumlgbar und die Medien fuumlr den Unterricht zum Teil nicht veraumlnderbar sind Ausgesprochen aumlrgerlich ist es dass sich teilweise Literaturhinweise weder im Buch noch auf der CD finden

Rezension

118

Trotz der aufgezeigten Maumlngel ist die Anschaffung des Buches zu empfehlen Es wird eine Luumlcke in der fachdidaktischen Diskussion der Ernaumlhrungs- und Verbrauch-erbildung geschlossen denn bislang fehlte ein Studienbuch fuumlr Studierende und eine interessierte Fachoumlffentlichkeit das sich mit den Domaumlnen Konsum Ernaumlhrung und Gesundheit im Kontext der allgemein bildenden Schulen befasst und das die aktuelle fachdidaktische Diskussion in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in den deutschsprachigen Laumlndern Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz der letzten 20 Jahre vorstellt und diskutiert

Verfasserin

Regine Bigga

Universitaumlt Paderborn Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Gesundheit

Warburger Straszlige 100 D-33098 Paderborn E-Mail Bigga mailupbde

  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche
  • BartschBuumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung
  • DittrichFrantaLuumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene
  • KessnerBraukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen
  • MethfesselSchlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung
  • BartschBrandstaumldter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung
  • Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft
  • Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen
  • Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche
  • Rezension

Editorial

2

Der Unterricht in der Schulkuumlche eroumlffnet ein weites Lernfeld Dementsprechend vielfaumlltig sind die Aspekte die im Rahmen der Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis und den (schul)praktischen Studien in der Lehramtsausbildung als relevant erachtet werden

Mit einer Taxonomie der Lernwege wird versucht Ernaumlhrungspraxis bdquoals Gan-zesldquo zu denken und grundlegende Paradigmen die dem Handeln in der Schulkuumlche zugrunde gelegt werden koumlnnen aufzuzeigen Wie Puzzleteile fuumlgen sich die ein-zelnen Beitraumlge zum Thema bdquoDie [Schul-]kuumlche als Lernortldquo ins Gesamte ein grei-fen bedeutsame Teilaspekte und Handlungsphasen auf oder betrachten diese aus unterschiedlichen Perspektiven

Silke Bartsch und Petra Buumlrkle skizzieren konstitutive Eckpfeiler des Unter-richts in der Schulkuumlche wie Raum (Ausstattung) Zeit und Phasen im Handlungs-ablauf Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann zeigen wie kompe-tenzorientiertes Lernen an einem konkreten Thema ndash Hygiene ndash umgesetzt werden kann Gute Leittexte unterstuumltzen eigenstaumlndiges Handeln die Kuumlchenkartei erfuumlllt diesen Anspruch so die Ausfuumlhrungen von Larissa Kessner und Melanie Brauk-mann

Der Lernbereich Ernaumlhrung ist nicht nur aufgrund des Inhalts sondern auch aufgrund der Unterrichtsorganisation ein Traumlgerfach fuumlr soziale Bildung Im fach-praktischen Unterricht muumlssen fuumlr soziales Handeln keine bdquokuumlnstlichenldquo Lernanlaumls-se geschaffen werden kooperative und kommunikative Prozesse ergeben sich un-mittelbar aus dem gemeinsamen Tun in der Schulkuumlche

Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies erweitern den Blick bei der Nahrungszubereitung in der Schule um den kulturellen Deutungszusammenhang Silke Bartsch und Jana Brandstaumltter inspirieren mit erlebnispaumldagogischen Ansaumlt-zen und Gabriela Leitner mit Reflexionen zu Gastfreundschaft Brigitte Mutz fo-kussiert in ihrem Beitrag den Erwerb von Sozial- und Selbstkompetenz beim Ar-beiten in der Groszligkuumlche

Waumlhrend Sigrid Kuumlstler quasi den Input den Schritt vom Wissen zum Handeln beleuchtet widmet Ute Bender sich in ihrem Beitrag dem bdquoOutcomeldquo und stellt das Portfolio als Moumlglichkeit vor den vielfaumlltigen Lernhandlungen gerecht zu werden

Ursula Buchner fuumlr das Redaktionsteam Thematisches Netzwerk Ernaumlhrung (Oumlsterreich)

Gerda Kernbichler Sigrid Kuumlstler Gabriela Leitner Brigitte Mutz Heidemarie Wagner

Taxonomie der Lernwege

3

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Ursula Buchner

Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche Mit dem Anspruch eines handlungsorientierten Unterrichts in der Schulkuumlche stellt sich die Frage welcher Erkenntnisgewinn uumlber welche Art von Handlungen erschlossen werden soll Die Vielfalt moumlglicher Lernwege in der Schulkuumlche soll in eine didaktisch begruumlndete Ord-nung gebracht werden die als Orientierungshilfe in der fachdidaktischen und schulprakti-schen Ausbildung fuumlr Planung und reflektierende Praxis gleichermaszligen dienen kann

Schluumlsselwoumlrter Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis (schul-)praktische Studien Paradigmen Konzeptionen fuumlr handlungsorientierten Unterricht

______________________________________________________________

1 Ausgangslage

11 Schulrechtliche Rahmenbedingungen

sbquoErnaumlhrung und Haushaltlsquo (EH) ist als Pflichtfach in der Stundentafel der Neuen Mittelschule (NMS) verankert Die schulautonomen Stundentafeln weisen dem Fachunterricht in EH einen Gestaltungsspielraum von 1-4 Stunden zu waumlhrend in den subsidiaumlren Stundentafeln je nach Schwerpunktbereich1 1 bzw 3 Wochenstun-den fuumlr den EH-Unterricht vorgesehen sind (BMUKK 2012 S 17f) wobei Unter-richtsgegenstaumlnde mit weniger als zwei Wochenstunden in groumlszligeren Einheiten geblockt gefuumlhrt werden koumlnnen (BMUKK 2012 S 22)

Im Rahmen schulautonomer Lehrplanbestimmungen koumlnnen die in sect21b SchOG geregelten Schwerpunktbereiche naumlher ausgestaltet bzw auch andere Schwerpunkte gesetzt werden Auch ein Zusammenlegen von Unterrichtsgegen-staumlnden ist moumlglich Grundsaumltzlich bestehen vielfaumlltige Moumlglichkeiten einer Schwerpunktsetzung in denen das Fach sbquoErnaumlhrung und Haushaltlsquo seinen Beitrag zur Allgemeinbildung einbringen kann Fuumlr jede Art der Schwerpunktsetzung ist jedenfalls ein sachlich fundiertes Gesamtkonzept zu erstellen (BMUKK 2012 S 14-16)

In diesem Sinne werden im Folgenden grundlegende didaktische Konzeptionen fuumlr den fachpraktischen Unterricht in der Schulkuumlche (NMS Sek1) vorgestellt die dem fachdidaktischen Grundsatz bdquoDie praktische Anwendung von Erkenntnissen ist ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts in Ernaumlhrung und Haushaltldquo (BMUKK 2012 S 97) Rechnung tragen

Taxonomie der Lernwege

4

12 Taxonomie der Lernwege

Unterricht ist ein houmlchst komplexes Geschehen viele Bedingungsfaktoren stehen in wechselseitiger Beziehung und Ruumlckkoppelung (Helmke 2010 S 73) Im Rah-men ihrer schulpraktischen Ausbildung lernen die Studierenden Modelle und Stra-tegien kennen mit deren Hilfe sie die Vielfalt der Wirkungsfaktoren von Unter-richt handhaben lernen sollen Didaktische Analysen Situationsanalysen Zieldefinitionen und Kompetenzbeschreibungen Methodenanalysen sowie das im Zuge der NMS-Unterrichtsentwicklung als bdquoruumlckwaumlrtiges Lerndesignldquo bezeichnete Planungsinstrument sind Werkzeuge die auch zur Planung und Gestaltung des Fachunterrichts in der Schulkuumlche angewendet werden sollen

Zahlreiche facheinschlaumlgige Publikationen argumentieren die Anschlussfaumlhig-keit des Lernens in der Schulkuumlche an neuere didaktische Paradigmen wie Kon-struktivismus kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Neurodidaktik Subjekto-rientierung selbstgesteuertes Lernen und Aufgabenkulturen schluumlssig und untermauern die Ausfuumlhrungen mit fachbezogenen Praxisbeispielen Was fehlt ist ein in sich konsistentes Konzept fuumlr die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung ndash zumindest ist der Autorin kein solches bekannt

Die hier vorgestellte Taxonomie versteht sich als Klassifikationsschema moumlgli-cher Lernwege in der Schulkuumlche Sie reduziert die Komplexitaumlt der Unterrichts-wirklichkeit auf maszliggebliche Planungsgroumlszligen und erfuumlllt damit eine Orientierungs-funktion sowohl fuumlr eine reflektierende Unterrichtspraxis als auch fuumlr die Unterrichtsplanungen der Studierenden fuumlr Dozentinnen und Dozenten im Ausbil-dungsteam und Praxislehrpersonen die nur phasenweise im Rahmen der schul-praktischen Studien in den Ausbildungsprozess eingebunden sind Sie gibt fach-fremden Kolleginnen und Kollegen die im Rahmen innovativer Schul- und Unterrichtsprojekte gemeinsame Lernfelder entwickeln einen uumlbersichtlichen Ein-blick in die fachspezifischen Bildungsanliegen

Mit der Beschreibung der Lernwege ist keine Wertung verknuumlpft Es soll die Vielfalt moumlglicher Schwerpunktbildungen und das allgemein bildende Potential des Unterrichts in der Schulkuumlche aufgezeigt werden Die hier vorgestellte Taxo-nomie der Lernwege erhebt auch keinen Anspruch auf Vollstaumlndigkeit Vielmehr ist die Hoffnung verbunden dass uumlber den kollegialen hochschuldidaktischen Dis-kurs ein taugliches erweiterbares Fundament fuumlr die fachdidaktische und (schul)praktische Ausbildung entwickelt werden kann

2 Handelnd lernen ndash Handeln lernen

Als Antwort namhafter Reformpaumldagogen auf das passiv-rezeptive Lernen in der obrigkeitsorientierten Pauk- und Drillschule entstanden eine Reihe von Konzepten (Anschauungspaumldagogik Arbeitsschulbewegung Lebensweltorientierung usw)

Taxonomie der Lernwege

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und Methoden (Projektunterricht Freiarbeit Leittext-Lernen Planspiele problem-basiertes Lernen Werkstattarbeit usw) die fuumlr sich den Anspruch erheben bdquoganzheitlichesldquo Lernen (Lernen mit Kopf Herz und Hand ndash Johann Heinrich Pestalozzi 1746-1827) zu foumlrdern um muumlndige vernunftbegabt entscheidungs- und handlungsfaumlhige Individuen hervorzubringen (Aebli 1997 Gudjons 2001 Hackl 1990 Stoumlring 2007)

Die Form der aktiv-handelnden Wissensaneignung erfaumlhrt aktuell durch neu-rowissenschaftliche Erkenntnisse quasi einen Legitimationsschub wenngleich aus dem bdquopraktischenldquo Taumltigsein per se (bzw aus dem Sichtbarmachen beteiligter Hirnregionen) noch kein Bildungsgehalt begruumlndet werden kann

bdquoWer gut zu arbeiten lernt kann auch sich selbst regieren und ein guter Staatsbuumlrger werdenldquo(Sennett 2009 S 356) Selbststaumlndigkeit und Selbstverant-wortlichkeit im Handeln ndash das gesellschaftspolitische Ziel von (Allgemein)Bildung (im zeitgeschichtlichen Kontext Aufklaumlrung Muumlndigkeit Emanzipation genannt) ndash soll Buumlrger und Buumlrgerinnen zur aktiven Teilhabe (Partizipation) an demokrati-schen Gesellschaften und zum Aufbau nachhaltiger Entwicklungen befaumlhigen (Education for Democratic Citizenship2)

21 Didaktische Prinzipien fuumlr handlungsorientierten Unterricht

Handlungen sind mehr als Fertigkeiten es sind zielgerichtete in ihrem inneren Aufbau verstandene Vollzuumlge die ein fassbares Ergebnis erzeugen (Aebli 2011 S 182)

Unter handlungsorientiertem Unterricht werden Verfahren subsummiert bei wel-chen Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht bzw moumlglich wird (Gudjons 2001)

Unter Handlungen werden zielgerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrneh-mungen konkrete Operationen und intellektuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Aebli 2011 Baumgartner 2011 Flechsig 1991 Gudjons 2001 Peterszligen 2009 Riedl 2011)

22 Handeln lernen in der Schulkuumlche

221 Fertigkeiten erwerben

Ausdruumlcklich weist Peterszligen (2009 S 144) darauf hin dass nicht von handlungs-orientiertem Unterricht gesprochen werden kann wenn auf Anweisung von auszligen die Durchfuumlhrung einer Taumltigkeit eigenstaumlndig vorgenommen wird

Taxonomie der Lernwege

6

Tab 1 Merkmale von Handlungen (Quelle Edelmann 2000 Gudjons 2001 Peterszligen 2009)

Merkmal Erlaumluterungen

zielgerichtet Lernen muss Sinn haben ein sinnstiftendes Ziel eine bewaumlltigbare Aufgabenstellung eine selbst gestellte (motivierende) Herausforderung Es gibt Leitlinien (Kriterien fuumlr den Prozess fuumlr das Produkt) die indizieren ob und wie das Ziel erreicht wurde Das Ziel ist realistisch (angemessenes Anspruchsniveau) dh es muss mit den zur Verfuumlgung stehenden Mitteln Fertigkeiten und der Zeit auch erreichbar sein

geplant Ein Handlungsschema wird entwickelt Teilhandlungen werden in einen groumlszligeren Sinnzusammenhang gebracht Effizientes Handeln ist dabei stabil-flexibel (grundsaumltzliches Festhalten am Ziel bei variablen Eingehen auf situative Bedingungen) Bei der Faumlhigkeit zur Antizipation von Handlungsablaumlufen und Handlungsergebnissen stoszligen Lernende naturgemaumlszlig an ihre Grenzen

selbststaumlndig Die Entwicklung eines Denk- und Handlungsschemas liegt in der Verantwortung des Lernenden die Handlungsplanung wird nicht von der Lehrkraft vorgegeben Allerdings sind Hilfestellungen notwendig wo liegt das Problem im Handlungsablauf (vgl Denkfoumlrderung in Dubs 2009) Selbstaumlndig muss nicht bdquoalleineldquo heiszligen Die Abstimmungsprozesse und Entscheidungen die in Lerngruppen zu treffen sind sind konstitutive Merkmale handlungsorientierten Lernens beduumlrfen jedoch auch der Instruktion (Helmke 2010 S 207-208)

vollstaumlndig Handlungen umfassen grundsaumltzlich Planung Durchfuumlhrung und Kontrolle Das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung ist zum Aufbau von Verantwortlichkeitskonzepten unumgaumlnglich

mehrperspektivisch

Die Lernenden wechseln die Perspektive sie sind Ausfuumlhrende und Beurteilende des Handlungsablaufs und Handlungsergebnisses Handeln wird von Metakognitionen begleitet Sprechen uumlber das Tun foumlrdert den Erkenntnisgewinn uumlber das Tun

Lernen am Modell durch Beobachtung und vor allem das nachahmende Uumlben ist wirksames Lernen ndash wenn die Lehrerdemonstration gut ist (Dubs 2009 S 187) Auch in der Schulkuumlche fertigen die Lernenden planvoll und gezielt ein Produkt (eine Speise) nach vorgegebener schriftlicher muumlndlicher und praktischer Anlei-tung an Hier sind nicht erarbeitende problemloumlsende Unterrichtsverfahren son-dern darbietende Methoden hilfreich die sich auf eine Grundkompetenz im Lehr-

Taxonomie der Lernwege

7

beruf naumlmlich klare und gut nachvollziehbare Anleitungen geben zu koumlnnen stuumlt-zen (vgl dazu Grundform 2 Vormachen in Aebli 2011 S65-80 vgl dazu Ausdrucksstarke Anleitungen in Sennett 2009 S240-284) Tab 2 Fertigkeiten lernen (nach Peterszligen 2009)

Schritte im Lernprozess

Anforderungen Hilfestellungen wo liegt das Problem

Planung Ruumlsten des Arbeitsplatzes Koordination der einzelnen Arbeitsschritte Hilfestellungen zum Leseverstaumlndnis bei schriftlichen und graphischen Rezept-Darstellungen gute Visualisierung des Zielzustandes um die Antizipation desselben zu unterstuumltzen

Durchfuumlhrung Gute (muumlndliche schriftliche praktische) Schritt-fuumlr-Schritt Anleitungen gute Demonstrationen (Vormachen-Nachmachen) mit begleitendem Sprechhandeln (Dubs 2009 S 187-188) Vorausschauendes Eingreifen zur Korrektur von fachlichen Fehlern bei kritischen Gefahrenpunkten um auch ein Sicherheits- und Hygienebewusstsein aufzubauen Vgl Direktes Unterricht nach Grell J in Wiechmann 1999 S 35-49 Instruktion und Unterweisung in Terhart 1989 sowie die Ausfuumlhrungen in Sennett 2009 zu bdquoDie Handldquo S 201 und bdquoFaumlhigkeitldquo S 355)

Bewertung Auswertung der Ergebnisse Produkt- und Prozesskriterien Selbst- und Fremdkontrolle

Das Ziel naumlmlich den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten kann im Arbeitsunter-richt nur durch wiederholten Vollzug erreicht werden (Baumgartner 2011)

bull Uumlbung aumlhnliche Inhalte Aufgaben haben eher exemplarischen Charakter bull Drill Uumlberlernen durch Wiederholen (gleicher Inhalt sehr oft sehr lange)

sodass die Taumltigkeiten quasi bdquoautomatischldquo in die Handlung einflieszligen (zB Schneidetechniken Hygiene Sicherheit Ordnungsarbeiten)

bull Training schrittweise Leistungssteigerung bei gleichem Inhalt mit steigen-den Anforderungen

bull Probehandeln Handeln im bdquoAls-ob-Modusldquo wie es in der berufliche Bil-dung im Rahmen von Groszligkuumlchenunterricht der Fall ist (vgl dazu das Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung)

Dass bdquoArbeiten ohne Anleitungldquo als bdquokreativesldquo Tun interpretiert wird ist ebenso vermessen wie von sporadisch durchgefuumlhrten praktischen Taumltigkeiten schon Koumln-nerschaft zu erwarten Kreativitaumlt setzt Koumlnnerschaft voraus in groszligen Zeitabstaumln-den (woumlchentlich vierzehntaumlgig) einmalig durchgefuumlhrte praktische Taumltigkeiten fuumlhren sicher nicht zur Ausbildung von Routinen

Taxonomie der Lernwege

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222 Handeln lernen

Tab 3 vollstaumlndige Handlungen (kompiliert aus Peterszligen 2009 S 20 S 45 S 173)

Schritte im Handlungs-ablauf

Wo liegt das Problem Wo werden Lernhindernisse auftreten

Methodische Hilfestellungen

Informieren Ist der Arbeitsauftrag bzw Arbeitsumfang klar Muumlndliches und schriftliches Sprachverstehen Sind Lernende in der Lage den Zielzustand zu antizipieren

Leittexte (Leitfragen Leitsaumltze) Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lesetraining Bilder die den Zielzustand zeigen

Beraten und Entscheiden

Soziale Organisation in der LerngruppeLernpartner Gemeinsam in der Lerngruppe wird das Vorgehen gedanklich durchgespielt Partnerschaftliche Arbeitsteilung Zustaumlndigkeiten und Verantwortlichkeiten werden geregelt

Zufallsprinzip (Lose) Zuweisung oder freie Wahl Bild- und Textkarten zum Legen der Handlungsabfolge Checklisten fuumlr einzelne Taumltigkeiten

Ausfuumlhren Sachlogische Reihenfolge Vorarbeiten ndash Durchfuumlhrung ndash Nacharbeiten Fehler sofort korrigieren damit sich keine falschen Routinen einschleichen Zu den Vollendungsarbeiten zaumlhlt nicht nur das Anrichten und Praumlsentieren der Speisen sondern ebenso das Aufraumlumen des Arbeitsplatzes (bdquoNacharbeitenldquo)

Orientierung in der Kuumlche (Inventarsysteme) und angemessen ausgestattete Arbeitsplaumltze Bildtafeln fuumlr grundlegende Arbeitstechniken

Kontrollieren Schon waumlhrend der Handlung wird das Endprodukt mit dem Zielzustand verglichen Wie kann eigenstaumlndig das Erreichen des Zielzustandes festgestellt werden

Kontrollboumlgen mit Indikatoren die anzeigen wann der Zielzustand erreicht ist

Bewerten Produkt fachlich-sachliche Richtigkeit des Handelns Prozess soziales Verhalten (Kommunikation Kooperation Konfliktbewaumlltigung) Entwicklung von Bedeutsamkeits- und Verantwortlichkeitskonzepten

Gelenktes Fachgespraumlch Pensenbuch Lernpass zur Selbstbewertung ICH habeWIR haben

Taxonomie der Lernwege

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Die einzelnen Phasen im Handlungsablauf bieten sich als Anker sowohl fuumlr die schulpraktischen Vor- und Nachbereitungen fuumlr die Fachpraxis also auch fuumlr die Foumlrderung des metakognitiven Bewusstseins (zB Dubs 2009 S 328-341) bei Ler-nenden an

Die Handlung bdquoNahrung zubereitenldquo umfasst neben den einschlaumlgigen hand-werklich-technischen Kuumlchenfertigkeiten auch das Kuumlchenmanagement (Arbeits-organisation unter Beachtung von Sicherheits- und Hygienerichtlinien bei Beschaf-fung Lagerung Zubereitung Aufbewahrung und Ausgabe von Speisen) sowie das Gestalten von Essenssituationen unter Beruumlcksichtigung kultureller Fragen subjek-tiver Motive und Problemlagen menschlichen Ernaumlhrungshandelns Auch wenn Alltagssituationen wie die taumlgliche Ernaumlhrungspraxis gerne trivialisiert werden die Zubereitung einer Tagesmahlzeit ist ein anspruchsvoller weil komplexer Lernan-lass fuumlr eine Lerngruppe gekennzeichnet durch Polytelie und Paradigmenvielfalt

3 Ernaumlhrung ndash ein weitlaumlufiges Lernfeld

Die Ernaumlhrung des Menschen ist ein weitlaumlufiges Wissensgebiet mit zahlreichen Bezugswissenschaften die sich spezielleren Fragen der Ernaumlhrung des Menschen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven methodischen Zugaumlngen Arbeitsweisen und theoretischen Modellen unter Ruumlckgriff auf die einschlaumlgigen fachlichen Sys-tematiken und Begrifflichkeiten zuwenden Von Atomen und Elementen uumlber Zell-strukturen biologischer Organismen bis hin zu sozialen Gruppen Gesellschaften und Zivilisationen werden saumlmtliche Wissensgebiete durchlaufen Physik Chemie Biologie Psychologie Soziologie und Kulturwissenschaften liefern eine Fuumllle von Theorien und Gesetzmaumlszligigkeiten

Weil die Ernaumlhrung des Menschen in Verbindung mit allen Lebensbereichen steht spricht der Soziologe Marcel Mauss (1968 S 17) von einem totalen gesell-schaftlichen Phaumlnomen bei dem alle Arten von Institutionen gleichzeitig zum Ausdruck kommen religioumlse rechtliche moralische oumlkonomische aumlsthetische ebenso wie technisch-instrumentelle Aus dieser Tatsache leitet sich auch der An-spruch an Ernaumlhrungsbildung in der Schule ab diese nicht auf normative Ernaumlh-rungserziehung zu reduzieren und zu verzwecken (bdquoHauptsache gesundldquo) sondern Bildung im Sinne der Faumlhigkeit die Phaumlnomene der Welt aus unterschiedlicher Perspektive bdquolesenldquo zu koumlnnen (Dressler 2006) zu verstehen

Eine in diesem Sinn verstandene Ernaumlhrungsbildung (nutrition literacy) soll zu einem reflektierten Verhaumlltnis zu sich zur Sache und zur Welt fuumlhren (Buchner 2013 S 9)

31 Praxis Anwendung welchen Wissens

Schulisches Lernen im Lernfeld Ernaumlhrung ist einer angewandten Lehre und hand-lungsorientierten Didaktik verpflichtet und Ernaumlhrungspraxis im Sinne von Nah-

Taxonomie der Lernwege

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rungszubereitung ist seit jeher ein zentrales Element im Fachunterricht Die uumlber die unmittelbare sinnaumlsthetische Erfahrung beim praktischen Tun zwangslaumlufig hervorgerufene emotionale Beteiligung die jeden Lernprozess begleitet ist eine nicht zu unterschaumltzende Qualitaumlt des Lernens in der Schulkuumlche

Wenn in Anlehnung an Weinert (1998) bdquoguterldquo Unterricht jener ist in dem bdquomehr gelernt als gelehrt wirdldquo3 dann koumlnnte man annehmen dass praktischer Unterricht in der Schulkuumlche per se bdquogutldquo ist weil hier vielfaumlltige Lernhandlungen stattfinden Beim Lob der Praxis wird ja stets auch darauf hingewiesen dass das bdquoVieleldquo eben nicht zur Gaumlnze formal definiert werden kann und gelingende Unter-richtsverlaumlufe einen Schatz impliziten Wissens Einstellungen und Haltungen (vgl Definition Kompetenz) sichtbar machen der auch Schuumllerinnen und Schuumllern mit weniger uumlberzeugenden formalen Lernleistungen eine gute Performanz beschei-nigt

Angesichts der Komplexitaumlt sowohl des Lerninhalts Ernaumlhrung des Menschen als auch der Vielfalt moumlglicher Lernerfahrungen beim Handeln in der Schulkuumlche erachte ich es fuumlr die Studierenden in der Ausbildung als notwendig eine grundle-gende (fach)didaktische Frage als Schluumlssel fuumlr die fachspezifische Unterrichtspla-nung in den fachpraktischen Uumlbungen zu klaumlren

Um die Anwendung welchen Wissens geht es

Welche Denkprozesse sollen gefoumlrdert werden und werden daher bei der jeweili-gen praktischen Anwendung in den Fokus gestellt Neben der Analyse der allge-meinen situativen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen lautet die inhaltliche Pruumlffrage unterstuumltzt der besondere Bildungsgehalt des ge-waumlhlten Themas das angestrebte Ziel des Fachunterrichts in der Schulkuumlche

Geht es um die Foumlrderung von sozial-integrativem Verhalten (agrave Soziales Ler-nen) von sinnerfassendem Lesen einer Rezeptanleitung (agrave Schluumlsselkompetenz mutter- oder fremdsprachliche Kompetenz) und Selbststaumlndigkeit in der Arbeitsor-ganisation (agrave Denk- und Handlungsstrategien entwickeln) oder agrave Kulturtechnik und kulinarisches Handwerk in der Kuumlche technisch-praktischem Verstaumlndnis bei der Nahrungszubereitung (agrave angewandte PhysikChemieTechnik) der Unterstuumlt-zung eines neugierig fragend- und forschenden Interesses bei 10-14jaumlhrigen (agrave naturwissenschaftliches Weltverstehen) oder um Meinungsbildung als Basis muumln-diger Entscheidungen (agrave politische Bildung)

Dementsprechend unterschiedlich sind dann auch die theoretischen Grundla-gen auf denen die Unterrichtsplanung basiert Professionalitaumlt im Lehrberuf entwi-ckelt sich wenn das Handeln in komplexen Ausbildungssituationen zu einem sys-tematischen Unterfangen wird bei dem die Studierenden sowohl das Spezifische einer Situation (Praxis) als auch das hinter dem konkreten Fall liegende Allgemei-ne (das potenziell Generalisierbare ndash die Theorie bzw das Paradigma) zu erken-nen vermoumlgen (vgl EPIK 2009)

Taxonomie der Lernwege

11

32 Ernaumlhrungspraxis

Grundlage zur Definition von Ernaumlhrungspraxis4 sind der Lehrplan der Sekundar-stufe 1 sowie die im Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich (EVA) ausgewiesenen Inhalts- und Handlungsdimensionen der ein-zelnen Teilkompetenzen Tab 4 Das Verstaumlndnis von Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung fuumlr die

Sekundarstufe 1

Ernaumlhrungsbildung - Teilkompetenzen (EVA)

Daraus abgeleitete Inhalte und Handlungsdimensionen fuumlr die fachpraktischen Uumlbungen

Das eigene Essverhalten reflektieren und bewerten

Ernaumlhrungsbiografien im Spiegel von Raum (lokal-global) Zeit (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und Person (intra- und interpersonale Faktoren - psychische soziale und kulturelle Einfluumlsse auf das individuelle Essverhalten) verstehen Paradigma ein metakognitives Bewusstsein entwickeln

Sich vollwertig (bedarfsgerecht) ernaumlhren koumlnnen

Evidenz basiertes Wissen uumlber die Inhaltsstoffe unserer Nahrung (Bedarf Aufgaben Vorkommen in Lebensmitteln kuumlchentechnische Eigenschaften) erwerben Paradigma naturwissenschaftliches Verstehen foumlrdern

Eine empfehlenswerte Lebensmittelauswahl treffen

Entscheidungen zur Auswahl von Lebensmitteln aus dem Essenskreisder Ernaumlhrungspyramide nach differenzierten Gesichtspunkten argumentieren (Preis Umwelt- und Sozialvertraumlglichkeit Gesundheitswert Genusswert) Paradigma Urteils- und Handlungsfaumlhigkeit in divergenten Wirklichkeiten

Nahrung naumlhrstoffschonend zubereiten

Gartechniken uumlben bzw erproben (Sicherheit Hygiene Kulturtechniken im Vergleich) Physikalisch-chemische Phaumlnomene bei der Nahrungszubereitung erkennen und nutzen (angewandte Naturwissenschaften) Paradigma handwerklich-technische Fertigkeiten erwerben (effizientes und effektives Arbeiten)

Ernaumlhrung im Alltag nachhaltig und gesundheitsfoumlrderlich gestalten

Haushaltsmanagement Tagesmahlzeiten planen und zubereiten gemeinsam Essenssituationen gestalten (Esskultur lernen) Paradigma selbststaumlndiges und sozial-integratives Handeln lernen

Taxonomie der Lernwege

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Aufgrund der eingangs geschilderten Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschu-le werden sich die fachpraktischen Uumlbungen im Schulunterricht einem ausgewaumlhlten Verstehensweg zuwenden muumlssen Um einem umfassenden Bildungsanspruch ge-recht zu werden werden die Studierenden in der Fachdidaktik angehalten mittelfris-tige Planungen (5-6 Einheiten) als Basismodule und Erweiterungsangebote zu konzi-pieren die jeweils einen relevanten Ausschnitt der Ernaumlhrungspraxis in den Fokus stellen Diese Reduktion und Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg in den fachpraktischen Uumlbungen wird im Folgenden didaktische Konzeption genannt

4 Didaktische Konzeptionen fuumlr die Fachpraxis

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Lernwege besteht in dem der Hand-lung zugrundeliegendem Paradigma bdquoWorin liegt der besondere Erkenntnisge-winn Was soll der Schuumllerdie Schuumllerin tunldquo Das Paradigma oder die Kernidee beschreibt das was letztlich erreicht und verstanden werden soll und ndash salopp for-muliert ndash auch noch nachdem die Schulkuumlche verlassen wurde angewendet werden kann

Worin besteht das Besondere was enthaumllt dieser Lernweg als bestimmende Ka-tegorie und worin unterscheidet er sich von anderen Als Deskriptoren werden in der als Matrix dargestellten Taxonomie modelltypische Phasen im Unterrichtsver-lauf skizziert die fuumlr das Erreichen der Zielvorgabe (Faumlhigkeitsbereich) unabding-bar sind Moumlgliche Themen geeignete Sozialformen typische Lernaufgaben sowie das Lernen unterstuumltzende Materialien ergaumlnzen die Uumlbersicht beispielhaft Jeder Lernweg verlangt dass sich die Studierenden neben der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung des gewaumlhlten beispielhaften Lerninhaltes mit den jeweils spezifischen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Bedingtheiten des ge-waumlhlten Paradigmas befassen und die subjektiven Lernvoraussetzungen ihrer Schuuml-lerinnen und Schuumller mit einbeziehen

Lernprozesse die wir im Unterricht ausloumlsen und steuern sollen dem Schuumller [sic] in der Regel neue Moumlglichkeiten des Handelns und des Erlebens also des Denkens Fuumlhlens und Wertens eroumlffnen Sie sollen sich in einem Wissen niederschlagen aus dem der Schuumller [sic] in neuen Situationen richtig zu handeln und zu urteilen vermag und das ihn befaumlhigt emotional angepasst zu reagieren und Dinge die Gegenstand von Wertungen sind richtig zu beurteilen (Aebli 2011 S 277)

Die Taxonomie der Lernwege fuumlr die Fachpraxis trifft keine Werturteile Jede hier verortete didaktische Konzeption ist per se zulaumlssig weil sie den Vorgaben des Lehrplans entspricht und dem Referenzrahmen Ernaumlhrungsbildung zuarbeitet Le-diglich im gegebenen situativen Kontext ist eine Konzeption mehr oder weniger zielfuumlhrend Die Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg fuumlr zumindest 5-6 Lehreinheiten (mittelfristige Planung mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Lehreinheit) erscheint jedoch notwendig um eine Kompetenzentwicklung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden uumlberhaupt zu ermoumlglichen

Taxonomie der Lernwege

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Tab 51 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (1)

Kategorie NAWI-Lernfeld GESO-Lernfeld

Paradigma Naturwissenschaftliches Den-ken

(Moralische) Urteilsbildung

Modellphasen Muster im Lernweg

1 Beobachten und Wahrneh-men (mit allen Sinnen) 2 Beschreiben (messen wiegen analysieren) Wahrnehmungen objektivieren 3 Ursache-Wirkungs-Gesetzmaumlszligigkeiten erforschen Versuche und Experimente in der Kuumlche (wenn ndash dann) 4 Schlussfolgerungen fuumlr die Nahrungszubereitung (Transfer in den Kuumlchenalltag)

1 Beobachten und Wahrnehmen relevante Kriterien fuumlr die unterschiedlichen Kategorien von Lebensmittelqualitaumlt 2 Vergleiche nach differenzierten Gesichtspunkten das eine und das andere 3 Folgen einer Entscheidung abschaumltzen (Szenarien antizipie-ren) 4 Bewerten und begruumlnden (Rangreihen bilden)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Naturwissenschaftliche Phaumlno-mene im Alltag erkennen und nutzen

Argumentieren die den Normen zugrunde liegenden Werte vertreten

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Mit allen Sinnen wahrnehmen und genieszligen Die Inhaltsstoffe unserer Nah-rung bdquoerforschenldquo Angewandte Chemie Physik Technik in der Kuumlche

Lebensmittelgruppen und Ernaumlhrungsempfehlungen aus differenzierter Sicht (Gesundheit Nachhaltigkeit Kultur) Lebensmitteltechnologien Kaufen oder Selbermachen

Sozialform EA PA EA PA KG

Lernaufgabe Forschungsfragen Fallbeispiel

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Beurteilungsboumlgen fuumlr Sensori-sche Tests Merksaumltze bdquoFor-schungsfibelnldquo

Visualisierungshilfen fuumlr Kategorien Guumltesiegel fuumlr Nachhaltigkeit Entscheidungs-Matrix

Hinweise (1) Der sinnaumlsthetische Zugang ndash der quasi bdquonatuumlrlichsteldquo Zugang zur Ernaumlhrung des Menschen (vgl Buchner Kernbichler amp Leitner 2011 S 66) ndash wird als fachspezifische Methode verstanden die in allen Konzeptionen zum Ein-satz kommt (sensorische Bewertung der hergestellten Speisen Verkostungen Wa-rentests vergleichende Produktbewertungen) aber per se noch kein Paradigma erschlieszligt (2) Da das biografische Lernen nicht an den Lernort Schulkuumlche gebun-den ist findet dieser Praxisbezug keinen Einzug in die Taxonomie

Taxonomie der Lernwege

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Tab 52 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (2)

Kategorie Praktisches Lernen Selbstaumlndigkeit lernen

Paradigma Fertigkeiten lernen ICH

Sozial-integratives Lernen WIR

Modellphasen Muster im Lern-weg

Arbeitsunterricht Erlernen handwerklicher Taumltigkeiten 1 Vorbereiten (Ruumlsten) 2 Durchfuumlhren der Taumltigkeit (wiederholter Vollzug) 3 Bewerten des Arbeitsergebnis-ses (Produkt Prozess)

Problemorientiertes Lernen Selbstaumlndig vollstaumlndige Handlungsablaumlufe planen ausfuumlhren und kontrollieren 1 Informieren 2 Planen 3 Entscheiden 4 Durchfuumlhren 5 Kontrollieren (Ziel er-reicht) 6 Bewerten (Produkt Pro-zess)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Effizientes und effektives Arbei-ten in der Kuumlche

Haushaltsmanagement in variierenden Alltagssituatio-nen

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Lehrgang Gartechniken Konservierung Produkte und Dienstleistungen aus der Kuumlche (Geschenke aus der Kuumlche gesunde Schuljause)

Die Mahlzeiten des Tages Die bdquoZauberformel fuumlr gesunde Ernaumlhrungldquo anwenden kulturelle Uumlbersetzungen fuumlr bdquorichtigeldquo Mahlzeiten Kulinarische Weltreisen (Gast sein hier und anderswo) Food Design

Sozialform EA PA KG

Lernaufgabe Arbeitsauftrag Problemstellung

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Leittexte Rezeptkarten Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lehrfil-me

Leittexte Checklisten zur Arbeitsorganisation zur ProduktProzessbewertung Pensenbuumlcher

Taxonomie der Lernwege

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Ausblick

Die Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschule erfordern ein forciertes Vor-gehen bei der fachspezifischen Unterrichtsentwicklung Im Rahmen ihres Studiums an der Paumldagogischen Hochschule Salzburg arbeiten die Studierenden an bdquoLehrstuuml-ckenldquo (Wiechmann 1999) fuumlr Lernwege und erproben diese Planungen im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien Die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis arbeitet der (schul-)praktischen Ausbildung zu

Zu Studienbeginn erproben Studierende kuumlrzere Unterrichtssequenzen in de-nen einerseits das Training von Fertigkeiten im Zentrum steht (gute muumlndliche schriftliche praktische Anleitungen geben koumlnnen) und andererseits die sensori-sche Produktbewertung als genuin fachspezifische Methode zur Anwendung kommt

In den Folgesemestern wird das fachspezifische Methodentraining dahingehend erweitert dass das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung im (schul)praktischen Un-terricht umgesetzt werden kann

Das NAWI und GESO Lernfeld wird in den houmlheren Semestern in denen Stu-dierende bereits uumlber einen laumlngeren Zeitraum die Klassenfuumlhrung uumlbernehmen verfolgt

Professionalitaumlt im Lehrberuf bedeutet ebenfalls dass behauptete Ursache-Wirkungszusammenhaumlnge auch empirisch bewiesen werden koumlnnen Insofern ist die Taxonomie der Lernwege auch ein Ausgangspunkt fuumlr die Generierung von Hypothesen im Rahmen einer wissenschaftsorientierten Auseinandersetzung mit Unterricht in der Schulkuumlche und seiner Bildungswirksamkeit wie dies in der ab-schlieszligenden Bakkalaureatsarbeit unter Beweis zu stellen ist

Anmerkungen 1 Naturwissenschaftlich und mathematischer Schwerpunktbereich (SP) sprachli-

cher humanistischer und geisteswissenschaftlicher SP musisch-kreativer SP (je-weils eine Wochenstunde) oumlkonomisch und lebenskundlicher einschlieszliglich pra-xisbezogener SP (drei Wochenstunden)

2 Europaumlischer Referenzrahmen Schluumlsselkompetenzen fuumlr lebenslanges Lernen [httpeceuropaeudgseducation_culturepublpdfll-learningkeycomp_depdf]

3 In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Franz E Weinert in Freund J Gruber H amp Weidinger W (Hrsg) (1998) Guter Unterricht - Was ist das As-pekte von Unterrichtsqualitaumlt (S 7-18) Wien OumlBV Paumldagogischer Verlag

4 Zur Bestimmung von Ernaumlhrungspraxis siehe auch das Glossar von REVIS

Taxonomie der Lernwege

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Literatur

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Verfasserin

Maga Ursula Buchner

Paumldagogische Hochschule Salzburg

Akademiestraszlige 23 A-5020 Salzburg

E-Mail ursulabuchnerphsalzburgat Internet wwwphsalzburgat

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Silke Bartsch und Petra Buumlrkle

Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung Den Rahmen fuumlr die Anspruumlche an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung bietet das REVIS-Bildungsziel 3 Die Nahrungszubereitung wird als ein methodischer Zugang mit vier Phasen (Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen Nachbereitung) verstanden Gezeigt wer-den soll dass aus einer theoriegeleiteten Praxis didaktisch-methodische Gestaltungsmoumlglich-keiten im Umgang mit diesen Phasen erwachsen die Lehren und Lernen erleichtern

Schluumlsselwoumlrter Schulkuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

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Einleitung

Nach dem REVIS zugrunde liegenden Bildungsverstaumlndnis von Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (EVB) hat die Fachpraxis Ernaumlhrung folgende Aufgabe bdquoDamit Fertigkeiten und Faumlhigkeiten als zentrale Elemente von Kompetenz Grundlage fuumlr eigenverantwortliches Handeln werden koumlnnen muumlssen sie theoretisch geleitet transferfaumlhig und reflektiert angeeignet genutzt und weiterentwickelt werdenldquo (Onli-ne-Glossar zur EVB1) Das dazugehoumlrige REVIS-Bildungsziel 3 legt in seiner Inter-dependenz mit dem uumlbrigen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildungscurriculum2 somit die Grundlagen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Schuumllerinnen und Schuumller sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen Dazu gehoumlrt dass sie hellip Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnen hellip Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinn-lichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumlnnen hellip Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwen-den koumlnnen hellip Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnen (Fachgruppe EVB 2005)

Damit wird ein kompetenzorientierter Anspruch an eine theoriegeleitete Fachpraxis Ernaumlhrung formuliert der uumlber die tradierte fachpraktische Nahrungszubereitung deutlich hinausgeht Gleichzeitig sehen sich viele der Lehrerinnen (und Lehrer3) in sogenannten Lehrkuumlchen stehen die nach tradierten Lernzielvorstellungen konzipiert

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sind Entsprechend unterrichten Lehrerinnen Nahrungszubereitung noch haumlufig nach tradierten Lernzielvorstellungen Trotz fantasievoller Einstiegsszenarien die den Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen suchen sind es uumlberwiegend ge-schlossen konzipierte Unterrichtseinheiten mit Lehrgangscharakter die der Systema-tik des Lehrbuches folgen Oft wird dies durch die vorgegebene Stundenaufteilung und der Raumaufteilung (Theorieraum und Schulkuumlche) bdquobegruumlndetldquo In vielen Schulen wird nach dem Muster bdquoPraxis folgt Theorieldquo unterrichtet Bei der fachprak-tischen Arbeit in den Schulkuumlchen fuumlhlen sich Lehrende vielen Belastungen ausge-setzt Geraumluschkulisse hoher Beratungsbedarf der nur selten warten kann Schuumller und Schuumllerinnen die auf das gemeinsame Essen fixiert sind und das alles im 45-Minuten-Takt Ritualisierte Unterrichtsmuster werden von vielen daher als Entlas-tung empfunden

In unserem Beitrag soll der Anspruch des REVIS-Konzepts an die Fachpraxis Ernaumlhrung zusammenfassend vor dem Hintergrund der damit verbundenen Heraus-forderungen fuumlr die Nahrungszubereitung betrachtet werden um einen Rahmen fuumlr die didaktisch-methodischen Uumlberlegungen zu umreiszligen und damit (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer zu bestaumlrken neue Wege zu gehen Entsprechend leitet fol-gende Frage unsere Ausfuumlhrungen

Welche konkreten Ansatzpunkte koumlnnen im Sinne der Kompetenzorientierung eine handlungsorientierte Nahrungszubereitung foumlrdern und gleichzeitig zur Entlas-tung der Lehrenden im Spagat zwischen Anspruch und Schulwirklichkeit fuumlhren

Dazu wird zunaumlchst die Begriffsverwendung geklaumlrt und heutige Herausforde-rungen an die Lehrenden beschrieben um dann auf der Grundlage des Anspruchs an eine kompetenzorientierte Nahrungszubereitung ausgewaumlhlte Ansatzpunkte zu den Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung zu konkretisieren

1 Fachpraxis Ernaumlhrung

11 Begriff Fachpraxis Ernaumlhrung

Da besonders im (Schul-)Alltag die Begriffe Nahrungszubereitung Fachpraxis Ernaumlhrung und zuweilen auch noch Kochen synonym verwendet werden ist erst mal zu klaumlren welche Begriffsverwendung gemaumlszlig dem Anspruch an eine kompe-tenzorientierte Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung uumlblich ist Unter Ernaumlhrungs-praxis versteht man im schulischen Kontext meist den bdquoauf die Nahrungszuberei-tung bezogene Teil der Ernaumlhrungsbildungldquo (Online-Glossar zur EVB4) Intendiert ist Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln bdquodie zur Anwendung der ernaumlh-rungswissenschaftlichen Erkenntnisse im Alltag und Beruf notwendig sindldquo (ebd) Zur intendierten bdquoNutrition Literacyldquo gehoumlrt die Grundorientierung eines bdquonachhal-tigen Konsumsldquo sowie ein bdquokulturelles Verstaumlndnis der Fachpraxis Ernaumlhrungldquo (vgl Methfessel 2005 Methfessel Schlegel-Matthies in diesem Heft)

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Methodische Zugaumlnge

Anknuumlpfend an die Arbeiten von Tornieporth va aus den 1990er Jahren ist auch Konsens dass Nahrungszubereitung nur eine der moumlglichen methodischen Umset-zungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung ist Daher ist fuumlr die nachfolgenden Ausfuumlh-rungen grundlegend dass die Fachpraxis Ernaumlhrung weder Inhalte noch Methode begruumlndet sondern vielmehr didaktisch-methodische Entscheidungen erfordert die ihrerseits im jeweiligen Unterrichtsarrangement verankert werden muumlssen

In unserem Beitrag interessieren methodische Zugaumlnge die eine Nahrungszube-reitung (= Ernaumlhrungspraxis) einschlieszligen um an diesem bevorzugt gewaumlhlten Zu-gang zur Fachpraxis Ernaumlhrung die Anspruumlche und Herausforderungen an eine theo-riegeleitete Fachpraxis zu verdeutlichen Das sind beispielsweise SchmeXperimente (Oepping 2005) Lehrgaumlnge zB Schneidelehrgaumlnge) Zubereitung einer Mahlzeit oder Speise etc Schuumllerwarentests oder Markterkundungen Fachexkursionen (zB zu Orten der Lebensmittelproduktion) sind beispielsweise Methoden der Fachpraxis Ernaumlhrung die nicht zwingend eine Nahrungszubereitung vorsehen

12 Schulkuumlche und Lernwerkstatt als fachdidaktische Konzepte

Uumlber den heutigen Zustand und die Ausstattung von Schulkuumlchen gibt es keine aktu-elle Studie Die in der EIS-Studie beschriebenen Unzulaumlnglichkeiten in deutschen Schulkuumlchen der Sekundarstufe I und ihr hoher Stellenwert bei der Nahrungszuberei-tung als genuine Domaumlne der haushaltsbezogenen Bildung sowie der Sinnesbildung waren daher Anlass im Rahmen des REVIS-Modellprojekts5 eine mobile Esswerk-statt (MEW) zu entwickeln und einen didaktischen Rahmen fuumlr Lernwerkstaumltten vor-zulegen Schlieszliglich sind die vorhandenen Fachraumlume und deren Ausstattung maszlig-gebliche Einflussfaktoren auf die Gestaltung der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Kuumlche [als kulturelles Regelwerk Anmerkung der Autorinnen] bestimmt (also auch) die Auf- und Abwertung von Lebensmitteln durch die damit verbundenen Speisen Zubereitungsarten und Technologien (Methfessel 2005 S 13)

Die in den Schulen noch haumlufig anzutreffenden bdquoLehrkuumlchenldquo folgen tradierten Emp-fehlungen wie sie beispielsweise in einem Merkblatt fuumlr Bau und Einrichtung von Fachraumlumen im Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt aus dem Jahr 2003 zu finden sind Eine Schulkuumlche kann mit Gruppeninseln 4-Kojen und Essbereich 4-Kojen Essbereich und Vorraumlume Gruppeninseln und Essbereich U-Kojen und Essbereich und L-Kojen und Essbereich als Laborkuumlche ausgestattet sein Der Hinweis auf so-genannte bdquoFachnebenraumlumeldquo mit bdquoTheorie- und Essraumldquo die als bdquoErgaumlnzung der Schulkuumlcheldquo dienen (vgl Landesinstitut fuumlr Erziehung und Unterricht Stuttgart 2003) wird von vielen Lehrerinnen (und Lehrern) beherzigt

Dem steht das Lernwerkstattkonzept entgegen wie es beispielweise an der Uni-versitaumlt Paderborn6 umgesetzt wurde Idee ist eine Schulkuumlche mit Werkstattcharak-

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ter und integriertem Seminarbereich um vielfaumlltige fachpraktische Zugaumlnge zu er-moumlglichen und Theorie und Praxis auch raumlumlich zu verknuumlpfen

Anstehende Renovierungen in den Schulen bieten hier Chancen nicht nur die Einrichtungen sondern auch die Fachraumkonzepte zu uumlberdenken und zu moderni-sieren

Eine Mobile Esswerkstatt (MEW) ist eine bewegliche kleine Kuumlchen-einheit die mit einer Grundausstat-tung (Glas-Keramik-Kochfeld mit zwei Kochstellen Backofen An-schlusskabel vier Steckdosen fuumlr den Anschluss von elektrischen Geraumlten zB eines Handruumlhrgerauml-tes Besteck- und Groszligraumschub-laden fuumlr Zubehoumlr) fuumlr die Nah-rungszubereitung eingesetzt werden kann ndash allerdings ohne integrierten Wasseranschluss

Abb 1 Mobile Esswerkstatt (MEW)

13 Herausforderungen bei der Umsetzung

Unterrichtszeiten sind eine Herausforderung Zunaumlchst wecken sie (unabhaumlngig von der zeitlichen Lage im Stundenplan) aufgrund der tradierten Unterrichtspraxis Erwar-tungen an die Gestaltung nach dem bdquo1 + 2 Musterldquo (eine Unterrichtsstunde Theorie zwei Praxis) mit der Vorstellung dass schlussendlich gegessen wird Lehrerinnen die diese Vorstellungen bedienen sind bei Schuumllerinnen und Schuumllern meist beliebt Tageszeit und Essenszubereitung passen je nach Stundenplan nicht zusammen was von Lehrerinnen als Problem wahrgenommen wird ndash aber nach dem EVB-Ansatz keines ist

Unterrichtsraumlume haben Aufforderungscharakter und legen Unterrichtskonzepte nahe bdquoWann kochen wir (endlich)ldquo sind dann immer nagende Fragen der Schuumlle-rinnen und Schuumller an die Lehrenden Klassenraumlume sind zuweilen bdquoFluchtraumlumeldquo so dass nur bei Bedarf in die Schulkuumlche gegangen wird

Geringschaumltzung der Fachpraxis Ernaumlhrung Die (Auszligen-)Wahrnehmung der Nahrungszubereitung als bdquoKochunterrichtldquo wird durch eine auf Zubereitungsfertig-keiten reduzierte Fachpraxis oft von den Lehrpersonen selbst reproduziert und geht entsprechend mit einer geringen Wertschaumltzung einher (Bartsch amp Methfessel 2012)

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Anspruch an die Professionalitaumlt

Dagegen sind die Herausforderungen an ein professionelles Lehren hoch Die Schwierigkeit der Uumlbertragung und der Explikation des Themenfeldes Esskulturrsquo im Unterricht liegt ndash auszliger in der Komplexitaumlt ndash noch in anderen Zusam-menhaumlngen Erstens in den unterschiedlich gewichteten Aspekten und zweitens in der Einbindung in unterschiedliche Ebenen Hinzu kommt drittens der kulturelle Wandel der je nach Zeitepoche in der Esskultur mehr oder weniger Veraumlnderungen hervorbringt (Roumlszligler-Hartmann 2012 S 101)

Niemand kann bei jeder Unterrichtsplanung und -durchfuumlhrung im Unterrichtsalltag stets alle Aspekte beruumlcksichtigen deshalb ist die Grundhaltung entscheidend die sich in Unterrichtsroutinen wiederum niederschlaumlgt Schwerpunktsetzungen helfen bisherige Rituale zu uumlberdenken und auf ihren didaktisch-methodischen Sinn zu pruumlfen Das Theorie- und Praxisverstaumlndnis der Lehrenden ist fuumlr die fachpraktische Arbeit in der Lehrkuumlche handlungsleitend (vgl Buchner 2011) Das bedeutet auch dass sich Lehrende bei der Unterrichtsplanung fragen sollten ob eine Vernetzung von Thema und Nahrungszubereitung sowie ein Zusammenhang von Lernzielen und Unterrichtsaktivitaumlt gegeben und dieses fuumlr die Lernenden erkennbar ist (vgl Wespi amp Senn Keller 2008)

2 Anspruch an die Fachpraxis Ernaumlhrung

21 Verhaumlltnis zwischen Theorie und Praxis

Didaktische Prinzipien leiten die gesamte Unterrichtsgestaltung Kompetenzorientie-rung ist heute der grundlegende Anspruch Demgemaumlszlig gehen didaktisch-methodische Uumlberlegungen vom essenden und konsumierenden Menschen aus (Fachgruppe EVB 2005) Weitere didaktische Prinzipien die sich als foumlrderlich fuumlr den Kompetenzerwerb erweisen ordnen sich der Kompetenzorientierung entspre-chend unter

Dieser Anspruch an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung erscheint auf den ersten Blick einfach so ist doch die Anwendung durch die Praxis dabei Entsprechend der Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001 S 27f) geht es hier um transferfaumlhige Kompetenzen die Dimensionen Kognition Volition Motivation einschlieszligen und eigenstaumlndiges verantwortliches Handeln intendieren Um diesem zu genuumlgen muss die Fachpraxis theoriegeleitet sein und didaktische Prinzipien zielgerichtet beruumlcksichtigen Fuumlr eine theoriegeleitete Fachpraxis ist die Handlungsorientierung zentral sie ist vielen Lehrerinnen ein gelaumlufiger Begriff (Fachgruppe EVB 2005 S 87) haumlufig ohne das dahinterstehende Konzept tatsaumlch-lich umsetzen zu koumlnnen

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22 Handlungsorientierung und Handlungsprodukte

Das Waschen Schaumllen Schneiden einer Kartoffel ist kein handlungsorientiertes Vorgehen an sich vielmehr geht es um eine zielgerichtete reflektierte Aktivitaumlt der Lernenden (vgl Tornieporth 1995 Buchner 2002 Meyer 2007)

Handlungsorientierter Unterricht beschreibt ein Verfahren bei dem Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht wird Unter Handlungen werden ziel-gerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrnehmungen konkrete Operationen und intellek-tuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Buchner 2002 S 1)

Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist also durch Elemente des Handelns gekennzeichnet und schlieszligt nach der Handlungstheorie eine Handlungsevaluation dh Ruumlckkopplungs-prozesse ein Es liegt nahe dazu Handlungsziele in Teilplaumlne Teilhandlungen und Teilziele zu zerlegen Die Lernenden muumlssen immer wieder neu vergleichen und anpassen denn erst wenn das gesteckte Ziel erreicht ist ist die Handlung abgeschlos-sen

Ein Kind lernt durch vielmaliges Durchleben und Beteiligen dass das Handlungs-schema fuumlr eine Mahlzeit zubereitenrsquo aus mehreren Teilhandlungen besteht 1 Sich Speisen aussuchen (hellip) 2 Zutaten besorgen (hellip) 3 Nahrung zubereiten (hellip) Tisch decken und ndash nach dem Essen und Genieszligen die 5 Reinigungsarbeiten erledigen (Buchner 2011 S 129)

Das nachfolgende Beispiel weist dabei auf eine entscheidende Problematik bei der schulischen Nahrungszubereitung hin Sind Handlungsprodukte des Unterrichts nicht fuumlr alle Beteiligten transparent unterscheiden sich haumlufig Schuumllererwartungen und unterrichtliche Handlungsziele Beispiel Schuumllerinnen und Schuumller wollen schnellstmoumlglich ein Essen auf den Tisch bekommen und sind damit in erster Linie an der Fertigstellung des Essens interessiert und weniger an Handlungsprozessen Folglich lassen sie sich kaum auf Lernprozesse ein sondern bereiten ein Essen wie aus dem haumluslichen Umfeld gewohnt nach ihrem Geschmack und ihren Gewohnhei-ten zu Erwartungen und Handeln der Lernenden werden durch die haumlusliche Situati-on geleitet Aber im Unterschied dazu geht es bei der schulische Nahrungszuberei-tung nicht um eine Ernaumlhrungsversorgung sondern um Lernen Es muss folglich auch eine Lernsituation hergestellt werden Damit sind nachfolgende Anforderungen an die handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung geknuumlpft

1 Die Komplexitaumlt des Unterrichtsgegenstandes Ernaumlhrung erfordert auch klar definierte Unterrichtsziele mit Schwerpunktsetzungen in den Unterrichtsstunden bzw Unterrichtsbloumlcken

2 Die Festlegung eines Handlungsproduktes fuumlr jeden Unterrichtsblock ist ab-haumlngig vom jeweiligen Unterrichtsziel und kann auch in der Fachpraxis sehr unter-

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schiedlich sein Handlungsprodukt kann eine Mahlzeit und das gemeinsame Essen sein muss aber nicht

3 Handlungsprodukte muumlssen fuumlr Lehrende und Lernende transparent sein 4 Die gemeinsame Festlegung der Handlungsprodukte erhoumlht die persoumlnliche

Bedeutsamkeit und damit die Motivation sich darauf einzulassen sich damit ausei-nanderzusetzen und das Handlungsziel zu erreichen

5 Fachpraxis Ernaumlhrung ist eine Lernsituation fuumlr die eine Reproduktion der haumluslichen Nahrungszubereitung nicht zielfuumlhrend ist

Unterrichtsziel und Festlegung des Handlungsprodukts

Die Bereiche der Nahrungszubereitung und des Essens sind komplexe Bereiche da sie von mehreren Phaumlnomenen und Sachverhalten uumlberlappt werden (Roumlszligler-Hartmann 2012 vgl Methfessel 2005)

Die Komplexitaumlt der Thematik erfordert eine mehrperspektivische Betrachtung die mit beispielhaft entwickelten Unterrichtsmodellen wie zB bdquoTomatenkulturldquo (Tornieporth 1997) bereits in den 1990er Jahren fuumlr unsere Fachdomaumlne fuumlr einen projektorientierten Unterricht begruumlndet wurde Idee ist eine Thematik uumlber die un-terschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder zu erschlieszligen Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist dabei ein Handlungsfeld das ebenso wie die weiteren Unterrichtsbau-steine die aus den unterschiedlichen natur- und kulturwissenschaftlichen Perspekti-ven heraus entwickelt werden hinsichtlich ihres Bildungsgehaltes einer didaktischen Analyse standhalten muss Das bedeutet Jede Unterrichtsstunde bzw jeder Unter-richtsblock erfordert ein Unterrichtsziel mit klar definiertem Handlungsprodukt weil nur so die Komplexitaumlt theoretisch aufgebrochen werden kann Unterrichtsarrange-ments unterscheiden sich folglich gemaumlszlig dem festgelegten Handlungsprodukt Das kann die Situation einer Mahlzeit sein die dann einen gedeckten Tisch und gemein-sames Essen erfordert Das kann auch die Auswertung einer Supermarkterkundung sein die dann eine Praumlsentation der Erkundungsergebnisse erfordert Das koumlnnen auch bdquoProbierhaumlppchenldquo fuumlr eine sensorische Pruumlfung sein Diese hier beispielhaft skizzierten Unterrichtssituationen sind geeignet um Unterrichtsergebnisse zu reflek-tieren und zu evaluieren Reflexionsphasen sind notwendige Bestandteile eines kom-petenzorientierten Lernprozesses Wespi und Senn Keller (2008 S 20) empfehlen fuumlr Lehrende zusammenfassend Kompetenzen sollten fuumlr eine Einheit ausgewaumlhlt und festgelegt beobachtet und beschrieben (Beobachtungsinstrument) ruumlckgemeldet und interpretiert (Feedback) bewertet (Effekte bestimmt) transformiert (Selbstwirk-samkeit uumlberpruumlft) und mit der Ausgangssituation verglichen werden

Transparenz und Bedeutsamkeit eines Handlungsprodukts

Bleiben bei der Zerlegung in Teilhandlungen die (Teil-)Ziele die der Lehrenden werden die Lernenden dieses Vorgehen fantasievoll umschiffen Sind Lehr- und

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Lernziele (in)direkt Teil des Unterrichts dann koumlnnen Lernende ihre Sichtweisen einbringen und Unterrichtsprozesse mitgestalten Der Grad der Mitbestimmung kann dabei ganz unterschiedlich sein Bei Lehrgaumlngen sind es haumlufig die Lehrziele die fuumlr Lernende transparent sein sollten um deren unterrichtliche Bedeutung nachvollzie-hen zu koumlnnen Beispielsweise haben Lehrgaumlnge ihre Berechtigung zur Erreichung von Projektzielen oder bei Vorgaben wie sie beispielsweise bei der Hygieneschu-lung der Fall sind Bei Formen des forschend-entdeckenden Lernens kann das (Lern)Ziel die Loumlsung einer selbstgestellten Frage sein zB der Biskuit ist beim letzten Backen bei vielen zusammengefallen Woran kann das liegen Wie laumlsst sich das vermeiden

Durch bdquoechteldquo d h alltagsrelevante Problemstellungen (Beispiel Helfen Light-Produkte beim Abnehmen Foumlrdert ein hoher Fleischverzehr den Muskelaufbau) ist eine houmlhere Motivation zu erwarten als bei rein bdquoakademischenldquo Problemen (Bei-spiel Uumlbergewicht ein Uumlbel unserer Zeit Ursachen und Folgen) Daraus resultieren Anforderungen an die Aufgabenstellungen Aufgaben sollten komplex anwen-dungsbezogen auf konkrete Handlungssituationen sein um damit Lernprozesse in Gang zu setzen die wiederum eine umfassende Informationssuche und Vernetzung von Fachwissen und Fachkompetenzen in Gang setzen (vgl Wellensieck amp Peter-mann 2002)

Durch die im Alltag vorhandene hohe Komplexitaumlt lassen sich solche problem-orientierten Aufgaben kaum in drei Unterrichtsstunden loumlsen und legen ein projekt-orientiertes Vorgehen nahe Wie bereits bei Tornieporth (1995) die sich ihrerseits unter anderem auf reformpaumldagogische Ansaumltze des 19 Jahrhunderts bezieht sind offene Unterrichtsformen mit handlungsorientierten projektorientierten und prob-lemorientierten Vorgehen erfolgsversprechend Aktuelle Forschungen zum bdquogehirn-gerechtem Unterrichtenldquo bestaumltigen das (Terhart 2009 S 154)

Umgang mit Erfahrungen und Meinungen in der Lernsituation

Die Vielzahl von Erfahrungen (bdquoZuhause machen wir das soldquo) und daraus resultie-rende Meinungen (bdquoDas schmeckt nichtldquo) die Schuumllerinnen und Schuumller mitbringen koumlnnen bei einem subjektorientierten Unterricht die Lernprozesse bereichern Sub-jektorientierte Methoden setzen am bdquosubjektiven Vorverstaumlndnis der Lernendenldquo an und machen bdquodiese (auch) zur Arbeitsgrundlage fuumlr den Unterrichtldquo (Bartsch 2012) Subjektorientiertes Vorgehen ist nicht immer moumlglich trotzdem ist ein sensibler und offener Umgang mit Erfahrungen und Meinungen der Lernenden notwendig um den Transfer zu foumlrdern

Beispielsweise koumlnnen Schuumllerinnen die manchmal Tomaten in der Hand schneiden weil sie es so von ihren (Groszlig-)Muumlttern kennen schnell uumlberzeugt wer-den wenn sie das professionelle Schneiden ausprobieren und uumlben um es dann mit der haumluslichen Methode zu vergleichen Vor- und Nachteile abwiegend nach ver-schiedenen fachlichen Kriterien (zB fuumlr das Schneiden Sicherheit Schneideergeb-

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nis rationelles Arbeiten etc) wirkt in aller Regel uumlberzeugend Um dem Bildungsan-spruch gerecht zu werden muss ein Handlungstransfer angebahnt werden d h auch Lernende mit ihren Alltagserfahrungen ernst nehmen ohne die Fachlichkeit aufzu-geben Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lehrens und Lernens werden hier vereinfacht gesagt Menschen gestaumlrkt und Dinge geklaumlrt

23 Nahrungszubereitung im Unterricht

Werden Speisen zubereitet gibt es einen durch die Sache begruumlndeten Ablauf von vier Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung die nur bedingt austauschbar sind Die einzelnen Phasen werden zunaumlchst im folgenden Abschnitt beschrieben mit dem Ziel Anregungen zur Gestaltung der einzelnen Phasen zu ge-ben sowie Mut zu machen Handlungsprodukte entsprechend des Unterrichtsziels fuumlr die zur Verfuumlgung stehende Unterrichtszeit festzulegen und die Phasen passend dazu flexibel zu handhaben

Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoumlren saumlmtliche Planungsschritte vor dem Beginn der Speisen-zubereitung Dazu gehoumlren Rezeptwahl Rezeptbesprechung Arbeitsplanung Ein-kaufsplanung und -organisation etc

Rezeptwahl In Anlehnung an die SchmeXperimente (Oepping 2005) haben sich nachfolgende drei Kriterien fuumlr die Rezeptwahl bewaumlhrt 1 Grundnahrungsmittel oder naturbelassene Nahrungsmittel (Erweiterung des Erfahrungshorizontes) 2 Nah-rungsmittel- oder Sortenvielfalt und 3 Beitrag zum Erlernen und Uumlben von Grund-techniken der Nahrungszubereitung als Kulturwerkzeug (Weiterfuumlhrende Literatur Roumlszligler-Hartmann 2005 Bartsch 2009)

Einkauf Entsprechend der Intention des Unterrichtsvorhabens kann zB der Einkauf im Mittelpunkt (in Verbindung mit den REVIS-Bildungszielen 5 bis 9) ste-hen Dabei koumlnnen Kriterien fuumlr die Einkaumlufe (Lebensmittelqualitaumlt Preis Nachhal-tigkeit etc) in der Lerngruppe erarbeitet werden die als Teilhandlungsschritt reflek-tiert und evaluiert werden Ein Unterrichtsblock kann hier enden der Einkauf als Hausaufgabe erfolgen die Verwendung der Lebensmittel an anderer Stelle zB Einkauf von Grundnahrungsmitteln die in der Schulkuumlche vorraumltig sind oder Einkauf fuumlr die nachfolgende Zubereitung von Probierhaumlppchen fuumlr eine sensorische Pruumlfung etc An anderer Stelle kann dann aufgrund einer abweichenden Schwerpunktsetzung auf den Einkauf gegebenenfalls verzichtet werden zB vor den groszligen Ferien wenn eine Aufgabe zum Umgang mit verderblichen Vorraumlten und Nahrungsresten die Ziel-setzung ist

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Durchfuumlhrung

An die Vorbereitungs- und Planungsphase schlieszligt die Durchfuumlhrung der Speisenzu-bereitung an Dabei werden in der Regel einzelne Speisen oder Gerichte von den Schuumllerinnen und Schuumller in Teams unter Anleitung und Aufsicht der Fachlehrper-son zubereitet Auch hier geht es wiederum um die jeweils gesteckten Teilziele Zum Beispiel teilen sich die Schuumllerinnen und Schuumller die Aufgaben im Zeit- und Arbeitsplan auf (gegebenenfalls durch einen Aumlmterplan) werden die Lernenden selbst in die Teilzielbeschreibung eingebunden Lehrpersonen begleiten und unter-stuumltzen die Lernenden dabei

Da fuumlr die Nahrungszubereitung nur die vorgegebene Unterrichtszeit zur Verfuuml-gung steht ist ein angeleitetes zuumlgiges und sicheres Arbeiten noumltig Entsprechend der in den Lerngruppen vorhandenen Kompetenzen sind die Unterrichtsarrangement machbar zu gestalten Dabei spielen Demonstrationen eine wichtige Rolle (zB Schneidelehrgang nach Tornieporth 1997)

Essen

Zubereitete Speisen werden schlussendlich auch gegessen Das bdquoWieldquo ist allerdings fuumlr den Lernprozess entscheidend

Essen als Pause Wird das bei Schuumllerinnen und Schuumller beliebte Essen ndash wie immer wieder zu beobachten ist ndash sowohl von Lehrenden als auch Lernenden als bdquoPauseldquo betrachtet fehlen die notwendigen Ruumlckkopplungsschritte zum Handlungs-abschluss Aus diesem Grund wird hier dafuumlr plaumldiert Unterrichtssituationen von Pausensituationen klar zu trennen Essen in der Pause dient zur Ernaumlhrungsversor-gung und Regeneration Dagegen ist Essen Teil eines Handlungszieles und damit Handlungsprodukt ist eine Unterrichtssituation herzustellen

Essen als Teil des Lernprozesses Essen ist ein Teil der Unterrichtspraxis bei der Nahrungszubereitung (Bartsch 2009) den es entsprechend didaktisch-methodisch zu gestalten gilt Zunaumlchst ist hierfuumlr die paumldagogische Begruumlndung der Wuumlrdigung des Handlungsergebnisses anzufuumlhren Dem folgt eine angemessene Praumlsentationssitua-tion der Speisen zB als Buffet als Probierhaumlppchen als SchmeXperimentiergut als Mahlzeit etc

Der naumlchste Schritt ist die Reflektion des Handlungsergebnisses gemaumlszlig der je-weiligen Zielformulierungen fuumlr die ebenfalls ein organisatorischer Rahmen ge-schaffen werden muss Beispielsweise ist es eine grundsaumltzliche Entscheidung ob die Sensorik oder die Mahlzeit (Teil-)Ziel der Handlung ist Im ersten Fall reichen Probehaumlppchen aus im zweiten Fall ist ein Tisch zu decken um eine Tischgemein-schaft herzustellen (Leitner 2011) In diesem Punkt unterscheidet sich die Lernsitua-tion vom haumluslichen Kochen In der Fachpraxis geht es darum die zubereiteten Spei-sen zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der angewendeten Garmethode zu bewerten und das Arbeitsergebnis entsprechend zu reflektieren Auch eine ge-

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schmackliche Auswertung folgt hier nicht allein persoumlnlichen Vorlieben (vgl Meth-fessel amp Schlegel-Matthies i d Heft)

Essen als Teil der Pause Essen kann auch den Raum bieten wo Lernende und Lehrende sich besser kennen lernen koumlnnen Daruumlber hinaus kann eine bdquovertrauteldquo Lehrperson Lernende eher zum Essen bdquounbekannterldquo Speisen ermutigen und moti-vieren (Vorbildfunktion) Die Tatsache dass Schuumllerinnen und Schuumller eine Speise selbst hergestellt haben motiviert viele zusaumltzlich etwas zu verkosten was sie eigent-lich nicht moumlgen oder noch nie gegessen haben Hierfuumlr ist es sinnvoll ein geson-dertes Zeitfenster als bdquoPauseldquo vom Unterricht einzuplanen Dieses kann als fester Bestandteil der Nahrungszubereitung ritualisiert werden Um den Erwartungsdruck im Unterricht eine Mahlzeit zuzubereiten herauszunehmen ist es hilfreich dass so-wohl uumlbrige Speisen aus der Fachpraxis als auch mitgebrachte Pausenbrote gegessen werden koumlnnen

Nachbereitung

Nach dem Essen folgt fuumlr die Schuumllerinnen und Schuumller die meist unbeliebteste Pha-se der Nachbereitung die selten als Unterricht wahrgenommen wird So muss in der Schulkuumlche aufgeraumlumt werden Arbeitsflaumlchen gesaumlubert Geschirr Besteck und Arbeitsgeraumlte kontrolliert nachgezaumlhlt und eventuelle Reste versorgt werden Hierfuumlr ist ausreichend Unterrichtszeit einzuplanen

Eine sorgfaumlltige und puumlnktliche Nachbereitung sorgt fuumlr einen reibungslosen Ab-lauf der naumlchsten Gruppen In dieser Phase zeigt sich auch ein professionelles Lehr-Lernverstaumlndnis der Nahrungszubereitung Hilfreich ist es mit den Lerngruppen bdquoStandardsldquo zu erarbeiten die dann in einem routinierten Abschluss enden Bei-spielsweise stellen Lerngruppen Uumlberlegungen an zu den Zubereitungsmengen und zum Umgang mit Speiseresten (Koumlrner amp Bartsch 2012) Ethisches Handeln kann sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit so in konkret ausgehandelte Regeln bei der letzten Phase der Nahrungszubereitung in den Lerngruppen niederschlagen

Schlussbemerkungen

Neben den allgemein schulischen Erfahrungen bringen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer Erfahrungen aus ihren privaten Haushalten mit Diese beeinflussen deren Vorstellungen von fachpraktischem Arbeiten sowie ihr Fachverstaumlndnis und behin-dern den Transfer von fachdidaktischen Forschungen in die Unterrichtspraxis Daran schlieszligt die Frage nach der Ausbildung an den Hochschulen an Welche Kompeten-zen beguumlnstigen eine theoriegeleitete Fachpraxis Wie wird mit Praumlkonzepten und subjektiven Theorien bezuumlglich des Fachverstaumlndnisses in der Hochschulausbildung umgegangen Um die (wahrscheinliche) Diskrepanz zwischen dem EVB-Bildungsanspruch und den individuellen Vorstellungen offenzulegen ist ein erster Schritt Fachverstaumlndnis und Fachanspruch zu thematisieren ndash sowohl in der Hoch-

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schule als Teil des Professionalisierungsprozesses der Fachlehrpersonen als auch in der Schule im Sinne der Partizipation und Gestaltung des eigenen Lernprozesses

Meist werden konkrete fachpraktische Bezuumlge von den Studierenden (oder Leh-renden in Fortbildungen) als hilfreich empfunden Entsprechend bietet sich an die Fachpraxis Ernaumlhrung die eng mit der Fachidentitaumlt verknuumlpft ist zum Thema zu machen Mit konkreten Fragen kann eine Bruumlcke zwischen Theorie und Praxis her-gestellt werden Beispielsweise Welche Rahmenbedingungen finden die Studierende an ihren Praktikumsschulen (Unterrichtsraumlumen Stundenplaumlnen Vorstellungen uumlber unser Fach) vor Welche fachdidaktische Konzeptionen sind damit verbunden Wie kann damit im Sinne eines modernen Bildungsanspruchs umgegangen werden Wo-rauf koumlnnen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer unseres Faches Einfluss nehmen Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lernens ist hierbei der Blick auf die Staumlr-kung der (zukuumlnftigen) Lehrenden zu richten und Professionalisierungsprozesse zu foumlrdern

Anmerkungen 1 [wwwevb-onlinedeglossar_ernaehrungspraxisphp] 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Aufgrund der geschlechtstypischen Berufswahl handelt es sich vorwiegend um

Lehrerinnen (Bartsch amp Methfessel 2012) 4 Siehe Anmerkung 1 5 Siehe Anmerkung 2 6 Vgl Paderborner Lernwerkstatt unter

[httpsdsguni-paderborndeenevblernwerkstatt]

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Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe E-Mail bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Petra Buumlrkle

Paumldagogische Hochschule Freiburg Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Kunzenweg 21 D-79117 Freiburg E-Mail petrabuerkleph-freiburgde

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Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann

Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichtes bietet die Schulkuumlche als Lernumgebung gute Moumlglichkeiten durch praxisorientierte Impulse welche den Lernenden eine zunehmend eigenstaumlndige Gestaltung ihrer Lebensumwelt ermoumlglichen Handlungskompetenzen im Be-reich der Alltagskultur zu initiieren Im Beitrag wird die Gestaltung einer Lehr-Lernsequenz exemplarisch anhand des Themenschwerpunktes Hygiene erlaumlutert

Schluumlsselwoumlrter Lehr-Lernprozesse Kompetenzorientiertes Planungsmodell Hygiene

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1 Einfuumlhrung

Ziel der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist die Vermittlung von gesundheitsfoumlrderlichen und nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenzen im Bereich der Alltagskultur Weinert (2001) versteht dabei Kompetenzen als bdquodie bei Individuen verfuumlgbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Faumlhigkeiten und Fer-tigkeiten um bestimmte Probleme zu loumlsen sowie die damit verbundenen motivatio-nalen volitionalen und sozialen Bereitschaften und Faumlhigkeiten um die Problemlouml-sungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu koumlnnenldquo Dh Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und durch das Handeln selbst sichtbar

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf die Kompetenzentwicklung von Schuuml-lerinnen und Schuumllern ab und fokussiert somit weniger auf das Lehren sondern auf das Lernen sowie auf das Wechselspiel zwischen Lehren und Lernen Lehren um-fasst dabei die Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen Da das Lernen nur im Inneren dh im Lerner selbst stattfinden kann hat die Lehrkraft nur uumlber diese Steu-erung einen Einfluss auf die moumlglichen Lernvorgaumlnge Der Lernprozess wird dabei unterrichtsmethodisch uumlber die Determinanten Aufgabenstellung Lernmaterialien Methodenwerkzeug Moderation sowie Ruumlckmeldung und Reflexion gesteuert In idealtypischen Lernsituationen werden Lernumgebungen geschaffen die die Lernen-den in eine intensive aktive selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen (Leisen 2010 2011)

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2 Curriculare und fachwissenschaftliche Vorgaben

Inhalte einer verantwortungsbewussten Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ver-stehen sich als lebensweltbezogen Gegenwarts- und zukunftsrelevante Themen ermoumlglichen fachwissenschaftlich begruumlndete Erkenntnisse entwickeln Kompeten-zen und initiieren fuumlr die private Lebensfuumlhrung relevante Lernprozesse Eine Vermittlung geschieht dabei durch das fachspezifische Geflecht von fachwissen-schaftlichen fachdidaktischen sowie fachpraktischen Inhalten Diese orientieren sich an dem Europaumlischen Kerncurriculum zur Ernaumlhrungsbildung und dem REVIS-Curriculum Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung Das REVIS-Curriculum ist dabei ein in Deutschland bundesweit gefasster Konsens zu den Bildungszielen Kompetenzen Themen und Inhalten die in der schulischen Ernaumlhrungs- und Ver-braucherbildung als bdquogrundbildendldquo verstanden werden (Heseker 2005)

Zentrale Punkte des REVIS-Rahmencurriculums sind didaktische(n) Prinzipien der Kompetenzorientierung des salutogenetisch ori-entierten und lebenslangen Lernens ein Gesamtkonzept fuumlr den Lebensraum Schule das durch entsprechende Schul-entwicklungsprozesse getragen sein muss (Bartsch 2011)

Das Ziel ist also in diesem Bereich immer jungen Menschen gesundheitsfoumlrderli-che und nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenzen im Bereich der Alltags- und Lebensbewaumlltigung zu vermitteln Folgende Faktoren sind dabei zu beruumlck-sichtigen

bull Zugang zu den Themenbereichen einer gesunden Lebensbewaumlltigung sind stets Erfahrungen und Impulse aus der Lebenswirklichkeit der Lernenden

bull Grundlage des Unterrichts sind kompetenzfoumlrdernde Inhalte in der Regel initiiert durch praxisfoumlrdernde Impulse Die Lernenden sollen ihre Lerninhalte zunehmend selbststaumlndig gestalten und sich von der Haltung des ausschlieszliglich Konsumierenden distanzieren

bull Die Lehrkraft wird als Person des Begleitens Beratens bzw als die Person welche die Lernumgebung gestaltet verstanden

bull Materialien die eine Differenzierung sowie Individualisierung des Lernprozesses eines Lernenden ermoumlglichen sind grundlegend Dabei koumlnnen Realmedien verwendet werden bereits veroumlffentlichte Medien ausgewaumlhlt und auf Eignung bewertet werden oder neue Lernmaterialien konzipiert erarbeitet und evaluiert werden

bull Die Lehrenden wissen dass Klassenraumlume so umstrukturiert werden koumlnnen dass fuumlr die Lernenden geeignete Lernarrangements zur Verfuumlgung stehen Dies ist insbesondere im Bereich der Grundschule von Bedeutung

bull Bei den Inhalten zu praxisorientierten Elementen der Ernaumlhrungsbildung werden Fachraumsysteme beansprucht Der Begriff Fachraumsystem muss an

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dieser Stelle mit dem Begriff bdquoFachraumldquo gleichgesetzt werden Dabei kann es sich um Kuumlchen oder anderen Werkstaumltten handeln

bull Lehrende erfahren in den Lehr-Lernprozessen immer wieder umfassend die bdquovier Handlungsfelder einer veraumlnderten Lernkultur Beobachten Beschreiben Bewerten und Begleitenldquo (Landesinstitut fuumlr Schulentwicklung 2009)

Inhaltliche Aspekte werden stets auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erstellt Da die fachwissenschaftlichen Grundlagen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung sehr komplex sind einer staumlndigen Veraumlnderung unterliegen und somit fortschreitend aktualisiert werden muumlssen ist bei der Sachanalyse die Verwendung der aktuellen Fachliteratur bzw der Bezug auf die Fachgesellschaften (aid BfR BzgA DGE HaBiFo vzbv usw) zwingend notwendig

Im Bereich der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung gibt es inzwischen zahl-reiche etablierte Unterrichtshilfen wie zB den aid-Ernaumlhrungsfuumlhrerschein Kon-sumieren mit Koumlpfchen Money amp Kids SchmExperten Science kids Unterrichts-hilfe Finanzkompetenz Versteckt werbende Maszlignahmen und Materialien sowie kommerzielle oder andere interessengeleitete Angebote die nicht mit den Zielset-zungen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung vereinbar sind haben dagegen in Schulen nichts zu suchen

Weitere sehr gut geeignete Moumlglichkeiten der Esskulturbildung bieten auch der Lebensmitteleinkauf die Nahrungszubereitung und die Mahlzeitengestaltung Hier koumlnnen Schuumllerinnen und Schuumller in besonderer Weise ihre gesundheitsfoumlrderli-chen und nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen im Bereich Ernaumlhrung und Konsum erweitern Wird die Kuumlche als Lernumgebung genutzt muumlssen grundle-gende Bedingungen zu Sicherheit und Hygiene gegeben sein

Die im Folgenden dargestellte Lehr-Lernsequenz zum Kompetenzerwerb in der Lernumgebung Kuumlche mit dem Themenschwerpunkt Hygiene bezieht sich auf das Bildungsziel 3 des REVIS-Curriculums zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo

3 Didaktisch-methodische Gestaltung der Lehr-Lernsequenz

Bei der Planung der Lehr-Lernsequenz orientiert sich die Lehrperson explizit am REVIS-Curriculum zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

Entscheidend ist die Transparentmachung dieses Curriculums fuumlr die Lernen-den Es werden nicht einzelne Inhalte aneinandergereiht sondern die Lernenden erfahren in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen die einen Bezug zu ihrer Lebensumwelt haben einen Zuwachs im Bereich der darge-stellten Kompetenzen und Bildungsziele Somit ist ein direkter Bezug zu ihnen selbst sowie ihrer Lebenssituation gegeben Dies vereinfacht wie spaumlter darge-

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stellt die methodische Umsetzung enorm da die Themen stets aus der Alltagssi-tuation der Lernenden stammen

Die Unterrichtsplanung erfolgt auf der Basis des Kompetenzorientierten Pla-nungsmodells (KPM) nach Leisen (2010) mit den sechs Stufen eines kompetenz-orientierten Lernprozesses

1 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdecken 2 Vorstellungen entwickeln 3 a) Lernprodukt erstellen

b) Informationen auswerten 4 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren 5 a) Lernzugewinn definieren

b) Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erproben 6 Sicher werden und uumlben

Als Planungshilfe wird die entsprechende von Hahn und Wiedemann (Seminar-schulraumltinnen am Staatlichen Seminar fuumlr Didaktik und Weiterbildung in Schwauml-bisch Gmuumlnd) entwickelte Moumlglichkeit der tabellarischen Darstellung von Lehr-Lernprozessen verwendet (Leisen 2010 Maier 2012) Tab 1 Auszug aus der Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene1

Fach und Klasse Hauptanliegen Lernziele Wirtschaft Arbeit und Gesundheit (WAG) Mensch und Umwelt (MuM) Thema der Unterrichtssequenz Wie sieht fuumlr mich ein sauberer Arbeitsplatz aus Hygiene rund um die Nahrungszubereitung

Die Lernenden erleben Hygiene als Voraussetzung sich in der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung gesund zu erhalten Inhaltlicher Schwerpunkt Planung Durchfuumlhrung Interpretation und Dokumentation von Hygienebedingungen in der Kuumlche fuumlr eine gesundheitsfoumlrderliche Nahrungszubereitung im Alltag

Die Lernenden - erleben bewusst die alltaumlgliche Situation eines hygienisch anspre-chenden Arbeitsplatzes - formulieren Hygiene-regeln fuumlr die Bereiche - persoumlnliche Hygiene - Lebensmittelhygiene und - Hygiene am Arbeits-platz - artikulieren und doku-mentieren individuell ihre Ergebnisse - sind in der Lage einen Transfer in die prakti-sche Nahrungszuberei-tung in der Schule und im persoumlnlichen Lebens-umfeld zu leisten

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In der Kopfzeile (Tab 1) wird das Hauptanliegen der Unterrichtsstunde als eine Art uumlbergreifendes Lernziel bzw uumlbergreifende Kompetenz dargestellt sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zu denen gearbeitet werden soll Zudem wird zwischen antizipierten Lernprozessen bzw Lernhandlungen der Schuumllerinnen und Schuumller sowie Lehraktivitaumlten bzw Handlungen der Lehrperson differenziert So sollen Lehrkraumlfte zum Nachdenken uumlber die Phasen des Lernprozesses der Lernenden angeregt werden Methodische Uumlberlegungen zur Gestaltung der Lernumgebung bzw organisatorische Aspekte der Unterrichtsdurchfuumlhrung werden in einer mittle-ren Spalte gesondert dargestellt (Gestaltung der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrperson Lernsetting Sozialformen Medien Methoden Gestaltungsele-mente)

4 Methodische Analyse und Begruumlndung der Lehr- Lernsequenz

41 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdeckenEinstieg praumlsentieren

Die Lehrperson verwendet zB als Einstieg Fotos die kritische Umstaumlnde im Be-reich der Hygiene darstellen Die Untergliederung in die Bereiche bdquopersoumlnliche Hygieneldquo die bdquoLebensmittelhygieneldquo und die bdquoArbeitsplatzhygieneldquo wird von der Lehrperson beispielhaft folgendermaszligen praumlsentiert gebrauchtes Pflaster Lebens-mittel mit Gefrierbrand Ausguss mit Speiseresten etc (siehe Kompetenzorientier-tes Planungsmodell Die Lernenden erfahren dadurch einen Lernanreiz aus einer individuellen Alltagssituation welcher ihnen als Impuls bzw als bdquoStoumlrungldquo (Lei-sen 2010) begegnet Dies bietet bewusst allen Lernenden die Moumlglichkeit zur spontanen Artikulation Es entsteht ein kommunikativer und wertfreier Austausch

42 Vorstellungen entwickelnEinstiegsproblem fokussieren und Aufmerksamkeit polarisieren

Die Lehrperson fokussiert das Einstiegsproblem entweder mit der letzten Folie einer PowerPoint-Praumlsentation oder mit einem kurzen Impuls in Form eines Tafel-anschriebs bdquoWir die Kuumlchentesterldquo so dass die Lernenden Vorstellungen entwi-ckeln koumlnnen Sie benennen unhygienische Elemente eines Arbeitsplatzes die sie stoumlren Die Lehrperson stellt nur rote Faserstifte Karten und Magnete zur Verfuuml-gung haumllt sich aber inhaltlich zuruumlck Die Lehrperson sollte nur LernbegleiterIn sein Dennoch ist diese Gelenkstelle fuumlr den weiteren Lernprozess entscheidend da dies die Uumlberleitung bzw Hinfuumlhrung zur Fragestellung der Lernenden ist bdquoWie

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sieht eine Kuumlche aus in der ich arbeiten willldquo und bdquoWas kann ich zur Hygiene beitragenldquo

43 Lernprodukt erstellen und Informationen auswerten Aufgabenstellungen anbieten

Das Lernprodukt bezeichnet Leisen als bdquoHerzstuumlckldquo des kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozesses Leisen spricht von der bdquoTrias sbquoLernprodukt ndash Aufgabenstel-lung ndash MaterialMethodenlsquo (Leisen 2013) Er empfiehlt bei der Planung bdquozu pruuml-fen ob die Aufgabenstellung zu dem Lernprodukt fuumlhrt ob der Zeitansatz passt ob das Anspruchsniveau stimmt ob die Lehrkraft dem Thema gerecht wird ob wirklich die Kompetenzen entwickelt werden die anstehen und der Sache dienlich sindldquo (ebd S 67) bdquoLernprodukte entstehen im handelnden Umgang mit Wissenldquo (ebd S14) Hier muss eine Lernumgebung gestaltet werden die stark gepraumlgt ist von Individualisierung und Differenzierung Es muumlssen zahlreiche Lernaufgaben und Lernmaterialien bereitliegen mit deren Hilfe sich die Lernenden eine Thema-tik individuell erarbeiten koumlnnen

Diese Lernaufgaben und Materialien muumlssen so konzipiert bzw variiert wer-den dass ein eigenstaumlndiges Tun uumlberhaupt moumlglich ist dh die Lernaufgaben muumlssen mit ihren Aufgabenstellungen so praumlzise formuliert sein dass sie sich selbst erklaumlren oder mit einer rasch erfassbaren und verstaumlndlichen Erklaumlrung bear-beitbar sind Interessant kann hier auch die Methode des Verfremdens sein Ein Gedicht im Mathematikunterricht ein Bewegungsspiel in Deutsch ein Spiel in den Naturwissenschaften etc Laumlngst sind diese Methoden Teil eines schuumller- und handlungsorientierten Unterrichts

Im vorliegenden Beispiel sind unter den Lernmaterialien beispielsweise Spiele wie Domino oder Memory zu finden Spiele haben einen starken Aufforderungs-charakter und bieten Anreize fuumlr eine praktische Auseinandersetzung mit einer Thematik Ferner wird ein virtuelles Quiz (bdquoLagern Sie richtig im Kuumlhlschrankldquo [wwwinformde] eingesetzt bei welchem es um die sachgerechte Lagerung bzw Bevorratung von Lebensmitteln durch Kuumlhlen geht Vorgefertigte Medien aus den Ordnern bdquoSchmExpertenldquo des aid (2011 und 2012) koumlnnen eingesetzt werden Beim aid erhaumllt man auch Infobroschuumlren zur genannten Thematik Diese koumlnnen ergaumlnzend fuumlr vertiefende Studien bereitgelegt werden Die fachpraktischen Ele-mente der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung werden uumlber zahlreiche Real-medien wie Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte sowie Kuumlhlschrank ergaumlnzt Um an-wendungsorientiert zu arbeiten bietet sich in jedem unterrichtlichen Geschehen in den ernaumlhrungs- und verbraucherbildnerischen Faumlchern die Kulturtechnik der Nah-rungszubereitung an das bdquoKochenldquo Hierfuumlr liegt ein Rezeptblatt vor welches durch seine Struktur ein selbststaumlndiges Zubereiten ermoumlglicht Das Rezeptblatt ist so strukturiert dass die Lernenden zunaumlchst anhand der Uumlberschrift einen Zugang zur Zubereitung erfahren Im Kontext werden dann zunaumlchst alle benoumltigten Kuuml-

Schulkuumlche als Lernumgebung

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chengeraumlte benannt Eine Tabelle ndash unterteilt in bdquoZutatenldquo und bdquoZubereitungldquo die einander durch Trennungslinien in der Tabelle zugeordnet werden ndash ermoumlglicht durch rasches Erfassen des komprimierten Textes ein sofortiges Nacharbeiten

Um ein Lernprodukt zu erstellen wird den Lernenden ein Leporello (blanko) bereitgelegt Darin notieren bzw dokumentieren sie individuell ihre neu gewonne-nen Erkenntnisse nachdem sie sich die Materie durch die Lernmaterialien er-schlossen haben Ein signifikantes Element dieser kompetenzorientierten Unter-richtsform ist die Anwendung Das Erlernte wird im Kontext der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung unmittelbar in die praktische Umsetzung uumlberfuumlhrt Die Frage ob die Lernenden alles verstanden haben kann in der Vorbereitung eines hygieni-schen Arbeitsplatzes fuumlr eine Schokoladencreme zielgerichtet geloumlst werden Wa-rum hier ausgerechnet eine Schokoladencreme ausgewaumlhlt wurde kann ua mit dem hohen Motivationscharakter dieses Rezeptes beantwortet werden

44 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren auswerten

Der Sinn dieser Phase liegt in der individuellen und selbst formulierten Praumlsentati-on Sachverhalte die in eigenen Worten vorgestellt werden koumlnnen besser behal-ten werden (Gudjons 1997 1998) und machen Lernenden und dem Lehrenden sofort deutlich ob die Inhalte verstanden wurden

Mit der Kugellagermethode erfahren die Lernenden zunaumlchst einen ersten in-teraktiven Austausch Im vorliegenden Planungsmodell wurden bewusst unter-schiedliche Medien und Methoden zur Praumlsentation gewaumlhlt Zum einen die schrift-liche Fixierung mittels Tafel Karten und Leporellos zum anderen die handlungsorientiert gestalteten Arbeitsplaumltze

Die Lernenden erfahren durch den Austausch eine Erweiterung der Sozialkom-petenz im Bereich der Kommunikation Zuhoumlren sowie Sprechen und Ausreden lassen werden hier in der Anwendung er-gelernt und vertieft Ferner wird auch die Schreibkompetenz durch die Verschriftlichung der Ergebnisse geschult und geuumlbt Entscheidend fuumlr die Fachwissenschaft sind hier der direkte Zugang zu Fachbegrif-fen und die sofortige situative Umsetzung Durch den Einsatz der gruumln zu beschrif-tenden Karten wird eine Verbindung zum Einstiegsproblem geschaffen (vgl Kar-ten mit roter Beschriftung) naumlmlich mangelhafte Hygienebedingungen und Fachbegriffe werden dabei vertieft

45 Lernzugewinn definieren und Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erprobenLernbewusstheit foumlrdern und neue Kontexte anbieten

Um den Lernzugewinn zu definieren vergleichen die Lernenden ihre individuellen Lernprodukte mit ihren eingangs formulierten Vermutungen Dadurch koumlnnen sie ihren persoumlnlichen Lernzuwachs artikulieren und ihre eigenen Lernprozesse reflek-

Schulkuumlche als Lernumgebung

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tieren und erleben dadurch ihren eigenen Kompetenzzuwachs Die Lehrperson setzt einen Impuls zur Reflexion in Form eines Fotos (unhygienischer Arbeits-platz) Nach der eigenen Reflexion des Lernprozesses durch die Lernenden kann die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen dazu in individuellen Feedbacks aumlu-szligern

Um die Kernkompetenz Bewaumlltigung von Alltagssituationen zu erweitern muss die Aufgabe in einem neuen Kontext erprobt werden Diese Transferleistung wird in einer praktischen Taumltigkeit erfahren Die Lernenden bereiten zB eine Schokoladencreme zu Konkret werden die erlernten Kompetenzen rund um die Gestaltung eines Arbeitsplatzes der den neu formulierten Hygienebedingungen entspricht uumlbertragen Dadurch beweisen sich die Lernenden als Spezialisten fuumlr persoumlnliche Hygiene Lebensmittelhygiene sowie hygienisches und damit gesund-heitsfoumlrderndes Arbeiten Sie haben damit eine Alltagskompetenz erworben die sie staumlndig in auszligerschulischen Handlungsfeldern benoumltigen

46 Sicher werden und uumlben

Das einmalige Zubereiten eines Teilgerichts kann nun natuumlrlich noch nicht als stets abrufbare Kompetenz vorausgesetzt werden Durch staumlndig wiederkehrende und auch leicht abgeaumlnderte Zubereitungssituationen wird der Lernende das Erfahrene nun eigenstaumlndig (freiwillig) erproben und umsetzen Die Lernenden gewinnen zunehmend aus eigenem Interesse an ihrer persoumlnlichen Gesunderhaltung Sicher-heit bzw Routine in der Gestaltung eines hygienischen Arbeitsplatzes

5 Evaluation und Reflexion Um die Thematik Hygiene zu reflektieren und zu bewerten muss festgestellt wer-den dass bei der Entwicklung einer Lehr-Lernsequenz der Fokus auf der Gestal-tung der Lernumgebung liegen muss Nach der Durchfuumlhrung stehen Fragen wie bdquoWelche der geplanten Lehr-Lernsequenzen muss abgewandelt bzw eliminiert werdenldquo im Mittelpunkt Waren die in der Lernumgebung bereitgestellten Medien und Materialien schuumller- handlungs- bzw leistungsorientiert Wie oft wurde die Lehrperson in welcher Lernsequenz von den Lernenden involviert (als Hilfestel-lung) Mit welchen Kriterien bewerten die Lernenden die bereitgestellten Materia-lien Im Gegensatz dazu reflektieren die Lernenden oft schwerpunktmaumlszligig die Elemente Zubereitung und Verzehr Dies muss in der Reflexionsphase aber durch-aus einbezogen werden In der gemeinsamen Reflexion vereinfachen die Bezugs-punkte des gewaumlhlten Beispiels (Schokocreme Geschmack Darbietung Menge Zutaten Preis Aufwand etc) eine Diskussion

Schulkuumlche als Lernumgebung

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6 Ausblick Fakt ist dass der Lernkontext bdquoAlltagldquo welcher sich in verschiedenen Faumlcherver-buumlnden und Faumlchern wiederfindet stets einen Lebensweltbezug hat Eine intrinsi-sche Motivation den individuellen Alltag zu meistern bietet hervorragende Moumlg-lichkeiten Kompetenzen auch im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu erwerben Durch Lernaufgaben mit Lebensweltbezug fuumlr die Lernenden kann der Individua-lisierung der Heterogenitaumlt sowie der Interkulturalitaumlt in diesem Fach Rechnung getragen werden Die Kuumlche ist also in vielfaumlltiger Art und Weise eine geeignete Lehrumgebung um Lehr-Lernprozesse zu initiieren

Anmerkung

1 Die komplette Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene steht uumlber [wwwhibifode04_2013html] zum Download zur Verfuumlgung

Literatur

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Schulkuumlche als Lernumgebung

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Leisen J (2013) Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Vortrag in Schwauml-bisch-Gmuumlnd am 12713 [wwwlehr-lern-modellde]

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Methfessel B (2004) Esskultur und familiale Alltagskultur [httpswwwfamilienhandbuchdecmsErnaehrung_Esskulturpdf_blank]

Weinert F (2001) Leistungsmessungen in der Schule Weinheim-Basel Beltz

Verfasserinnen

Barbara Dittrich Barbara Franta und Profin Dr Petra Luumlhrmann

Paumldagogische Hochschule Schwaumlbisch Gmuumlnd Institut fuumlr Gesundheitswissenschaften Abteilung Ernaumlhrung Konsum und Mode Oberbettringer Str 200 D-73525 Schwaumlbisch Gmuumlnd E-Mail barbaradittrichph-gmuendde barbarafrantaph-gmuendde

petraluehrmannph-gmuendde Internet wwwph-gmuendde

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Larissa Kessner und Melanie Braukmann

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen Der Artikel beschreibt den Einsatz der Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht Die Kar-tei wurde fuumlr die Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8ldquo entwickelt und unterstuumltzt selbststaumlndiges Lernen Anhand vier ausge-waumlhlter Beispiele wird dargestellt wie Schuumllerinnen und Schuumller mit den Karten arbeiten und diese in ihren individuellen Lernprozess einbinden

Schluumlsselwoumlrter Kuumlchenkartei SchmExperten Experimente Binnendifferenzierung

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1 Selbststaumlndig lernen mit der Kuumlchenkartei

Die Kuumlchenkartei1 des aid infodienst e V liefert alle wesentlichen Informationen und Anleitungen die Schuumllerinnen und Schuumller fuumlr das Arbeiten in der Kuumlche benouml-tigen Aussagekraumlftige Fotos und leicht verstaumlndliche Texte verdeutlichen wichtige Hygieneregeln den Einsatz verschiedener Arbeitsgeraumlte allgemeine Arbeitstechni-ken und den Umgang mit ausgewaumlhlten Lebensmitteln

Da die Kuumlchenkartei fuumlr die aid-Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuuml-cheldquo entwickelt wurde thematisiert sie solche Geraumlte Techniken und Lebensmittel die in diesem Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen Die Kuumlchenkartei ist Be-standteil des Medienpaketes bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche

Steckbrief zu den SchmExperten in der Lernkuumlche bull unterrichtsbegleitendes Material zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen bull Zielgruppe Schuumllerinnen und Schuumller der Jahrgangsstufen 6 bis 8 aller Schulformen und

Bundeslaumlnder bull curriculare Einbindung im Fachunterricht und Wahlpflichtbereich zB Hauswirtschaft

Verbraucherbildung Hauswirtschaft und Soziales Arbeitslehre Arbeit-Wirtschaft-Technik bull kompetenzorientiert mit Moumlglichkeiten zur Binnendifferenzierung bull individuell veraumlnderbare Arbeitsblaumltter auf CD-ROM bull Kuumlchenkartei mit 47 Karten zu den wichtigsten Fachinhalten in Wort und Bild bull Kernstuumlck Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte mit allen Sinnen erforschen selbststaumlndig

warme Speisen zubereiten und dabei Rezepte variieren bull Ziel Kuumlchenfertigkeiten und Lebensmittelkenntnisse so vermitteln das die Schuumllerinnen

und Schuumller Speisen gesundheitsorientiert bewerten mit Freude zubereiten und genieszligen koumlnnen

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Tab 1 Themen ausgewaumlhlte Inhalte und Rezepte der SchmExperten in der Lernkuumlche

Thema Inhalte Rezepte

1 Startklar im Team

Portfolio Essknigge Hygiene und Aufraumlumen Krallengriff

Wraps leicht gemacht

2 Getraumlnke ndash Ohne Zucker kein Geschmack

Trinkgewohnheiten Energiespartipps und Sicherheit Rezeptaufbau Messen und Wiegen Etikett und Zutatenliste

Cooler Eistee

3 Gemuumlse ndash Auch im Winter frisch auf den Tisch

5 am Tag und Saisonalitaumlt Einkaufszettel Arbeitsplatzgestaltung Schneiden Kochen Duumlnsten

Gemuumlsesuppe mit Biss Veggietasche mit Soszlige Salat mit Sattwerdgarantie

4 Getreide ndash Typisch italienisch

Getreidevielfalt interkulturelle Aspekte Kraumluter und Gewuumlrze Vollkorn und Saumlttigung

Italienische Gemuumlsebolognese mit Nudeln Feurige Asiapfanne mit Reis Orientalische Kichererbsenpfanne mit Couscous

5 Kartoffeln ndash Frisch oder aus der Tuumlte

Kaufen versus selber machen Mahlzeiten planen Kochen Braten und Backen

Knusprige Kartoffelecken Bunte Kartoffelpuffer Cremiges Kartoffelcurry Salat- und Diprezepte

6 Milch ndash Mindestens haltbar bis

Zutatenmengen umrechnen Muumlllvermeidung und Klimaschutz Mindesthaltbarkeit und Verbrauchsdatum Kuumlhllagerung und Lebensmittelhygiene Naumlhrwerttabelle

Gefuumlllte Pfannkuchen Fruchtiger Milchreis Uumlberbackene Bruschetta

7 Abschlussbuumlfett ndash Kreativitaumlt gewinnt

Speisen fuumlr ein Buumlfett variieren Portfolios praumlsentieren Schulverpflegung bewerten Einkaufstipps

Alle Rezepte

8 aid-Ernaumlhrungs-pyramide

Kernbotschaften der Pyramide Handmaszlig fuumlr Portionsgroumlszligen Bewegungsverhalten Essgewohnheiten reflektieren

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Der aufstellbare Ringordner zur Kuumlchenkartei gliedert sich in fuumlnf verschiedene Themen Unter dem Begriff bdquoSauberkeitldquo sind Inhalte zum hygienischen Arbeiten in der Kuumlche zusammengefasst ndash beginnend mit der persoumlnlichen Hygiene uumlber die Arbeitsplatzhygiene bis hin zur hygienischen Zubereitung Weitere Rubriken greifen Arbeitsgeraumlte wie Kuumlchenwaage oder Vierkantreibe Arbeitstechniken zB das Putzen von Gemuumlse und ausgewaumlhlte Lebensmittel auf Hier zeigen Step-by-Step-Fotos wie bestimmte Lebensmittel vor- und zubereitet werden Unter bdquoExtrasldquo finden die Schuumllerinnen und Schuumller weitergehende Informationen zB zum Tischdecken oder zur aid-Ernaumlhrungspyramide

Insgesamt umfasst die Kuumlchenkartei 47 ndash teilweise doppelseitig bedruckte ndash DIN-A5-Karten Dem Unterrichtspaket bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo liegt dar-uumlber hinaus eine CD-ROM mit veraumlnderbaren Blanko-Karten bei Mit diesen Vorla-gen koumlnnen Lehrende und vor allem Lernende eigene Karten entwickeln und eben-falls im Ringordner abheften

Mit Hilfe der Kuumlchenkartei bull erarbeiten sich die Schuumllerinnen und Schuumller selbststaumlndig Inhalte (zB zur aid-

Ernaumlhrungspyramide) bull uumlberpruumlfen und ergaumlnzen die Jugendlichen selbststaumlndig ihre eigenen Arbeitsergebnisse

(zB Energiespartipps die von KuumlchenExperimenten abgeleitet werden) bull erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller praktische Hilfestellungen die ihrem Kompetenzni-

veau entsprechen (zB Erklaumlrung von Basistechniken wie Gemuumlse putzen ndash wer das schon kann braucht die Karte nicht)

bull gestalten die Lernenden eigene Karteikarten (zB Tipps fuumlr den Einkauf)

2 Eine Kartei ndash verschiedene Lernwege und Einsatzmoumlglichkeiten

Im Folgenden wird anhand exemplarisch ausgewaumlhlter Unterrichtsvorschlaumlge aus dem Unterrichtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo erlaumlutert wie sich die Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht einsetzen laumlsst

21 Experimentieren am Beispiel Raspeltest

Wie das Kunstwort bdquoSchmExpertenldquo (Schmecken + Experimentieren + Experte wer-den) verdeutlicht ist das Experimentieren ein wesentliches Merkmal der SchmEx-perten Neben zahlreichen SinnExperimenten bietet das Unterrichtsmaterial auch verschiedene KuumlchenExperimente mit Lebensmitteln und Kuumlchengeraumlten an

Beim Raspeltest werden die Schuumllerinnen und Schuumller beispielsweise vor die Frage gestellt bdquowie die Gurke in den Zaziki kommtldquo Zur Loumlsung der Aufgabe steht ihnen eine Vierkantreibe und eine Gurke zur Verfuumlgung So koumlnnen sie ausprobieren was die unterschiedlichen Seiten der Reibe bewirken und erarbeiten sich das Hobeln

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Raspeln und Reiben Die Karte zur Vierkantreibe unterstuumltzt die Schuumllerinnen und Schuumller dabei dieses Arbeitsgeraumlt sicher einzusetzen und die verschiedenen Seiten richtig zu benennen Sie macht jedoch keine Vorgaben welche Seite der Vierkant-reibe sich fuumlr Gurken bzw fuumlr einen Zaziki am besten eignet Dies sollen die Schuumlle-rinnen und Schuumller auf Grundlage ihrer Ergebnisse selbst beurteilen

SinnExperimente wecken Neugier Das Experimentieren mit allen Sinnen ermoumlglicht Jugendlichen neue Lernzugaumlnge und schafft Lernmotivation Dabei testen die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Lebensmittel mit allen Sinnen und notieren was sie wahrnehmen

Fuumlr SinnExperimente eignen sich unverarbeitete und auch verarbeitete Lebensmittel So lassen sich verschiedene Verarbeitungsformen auch aus oumlkologischer ernaumlhrungsphysiologi-scher und hauswirtschaftlicher Sicht sowie im Kontext nachhaltigen Handelns diskutieren KuumlchenExperimente trainieren Fach- und Methodenkompetenz Im Mittelpunkt der KuumlchenExperimente steht die Erforschung von physikalischen chemi-schen und biologischen Zusammenhaumlngen die bei der Nahrungszubereitung eine Rolle spie-len Dabei koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller auch Schritte ausprobieren die bei der ei-gentlichen Rezeptzubereitung wenig zielfuumlhrend waumlren

Das Besondere dabei ist dass die Lernenden sowohl naturwissenschaftliche Arbeitsme-thoden als auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten trainieren koumlnnen Wenn mit Lebensmitteln in der ein oder anderen Weise umgegangen wird (zB laumlngere Garzeiten fuumlr haumlrteres Gemuumlse) oder Kuumlchengeraumlte in bestimmter Weise zum Einsatz kommen (zB Toumlpfe immer mit De-ckel) dann stehen meist naturwissenschaftliche Gesetzmaumlszligigkeiten dahinter die es zu verste-hen und dann im Alltag anzuwenden gilt

22 Binnendifferenzierung am Beispiel Pellkartoffeln

Die Schuumllerinnen und Schuumller unterscheiden sich stark in ihren manuellen Geschick-lichkeiten Manche koumlnnen bereits kleine Menuumls alleine zubereiten anderen haben noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln

So sind besonders im haushaltsbezogenen Unterricht die unterschiedlichen Kenntnis-se der Jugendlichen die bereits vorhandenen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Werthaltun-gen das vermeintliche Expertenwissen und das in Herkunftshaushalten und Medien gepraumlgte Alltagsverstaumlndnis der Inhalte bedeutsam fuumlr die Konzeption von Lernpro-zessen (Leutnant 2012 S 66)

Die Kuumlchenkartei kann die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schuumllerinnen und Schuumller beruumlcksichtigen indem sie jederzeit als Nachschlagewerk zur Verfuuml-gung steht Wenn die SchmExperten fuumlr ein SinnExperiment beispielsweise Pellkar-toffeln brauchen finden Kuumlchenneulinge auf der Karte bdquoPellkartoffeln kochenldquo eine schrittweise Anleitung mit Fotos und kurzen Erlaumluterungen Jugendliche mit mehr Erfahrung koumlnnen zunaumlchst auf diese Hilfestellung verzichten Ihnen stellt sich viel-leicht erst zum Ende der Zubereitung die Frage woran sie erkennen dass ihre Kar-toffeln gar sind Auch hier hilft dann die Kuumlchenkartei mit der Karte bdquoGarprobeldquo

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Somit handelt es sich bei den Karteikarten um differenzierende Unterrichtsmate-rialien die einen wichtigen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts bedeuten koumlnnen Laut Leutnant (2012 S 67) muss ein individualisierter Unterricht neben den differenten Lernvoraussetzungen auch die unterschiedlichen Interessens-lagen und vor allem die individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen be-ruumlcksichtigen

23 Rezepte variieren am Beispiel Gemuumlsesuppe

Obwohl die Zubereitung warmer Speisen zu den Kernkompetenzen der SchmEx-perten zaumlhlt enthaumllt das Unterrichtsmaterial eine uumlberschaubare Auswahl an Re-zepten Diese dienen exemplarisch dazu wichtige Basistechniken und das Arbeiten nach Anleitung zu trainieren Dabei laumlsst die Formulierung der Rezepte den Schuuml-lerinnen und Schuumllern insbesondere in Bezug auf Obst und Gemuumlse so viele Frei-raumlume wie moumlglich Daruumlber hinaus finden sich auf allen Rezepten Ideen zur Va-riation von Speisen die die Jugendlichen anregen sollen selbst kreativ zu werden

Das Rezept fuumlr Gemuumlsesuppe ist beispielsweise so konzipiert dass es mit den verschiedensten Gemuumlsesorten gelingt Diese Freiheit ist noumltig um saisongerechtes Gemuumlse verwenden zu koumlnnen Dies soll den Jugendlichen aber auch ermoumlglichen das Rezept nach ihren Vorlieben und Beduumlrfnissen abzuwandeln Statt einer klaren Vorgabe wie welches Gemuumlse vorbereitet werden soll erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller deshalb lediglich allgemeine Anweisungen wie bdquoGemuumlse waschen putzen und falls noumltig schaumllenldquo oder bdquohartes Gemuumlse kleiner schneiden damit es schneller weich wirdldquo

Die Kuumlchenkartei dient in diesem Fall dazu die allgemeinen Anweisungen zu konkretisieren und die Fragen aufzufangen die sich bei der Abwandlung von Rezep-ten ergeben Sie zeigt was bdquoGemuumlse putzenldquo bedeutet welches Gemuumlse geschaumllt werden muss oder wie der Puumlrierstab zu bedienen ist wenn sich die Jugendlichen fuumlr eine cremige Variante der Suppe entscheiden

Die eigenstaumlndige Variation von Rezepten foumlrdert nicht nur die Motivation und Begeisterung sondern auch die Selbststaumlndigkeit und Methodenkompetenz der Schuuml-lerinnen und Schuumller

24 Selbstkontrolle am Beispiel Hygiene

Neben praktischen Anleitungen bildet die Kuumlchenkartei auch theoretische Grundla-gen und unverzichtbare Hygiene- und Sicherheitshinweise ab Ziel ist es hierbei den Sinn bestimmter Regeln und Vorgaben zu verstehen und anwenden zu koumlnnen Die SchmExperten erarbeiten sich die wichtigsten Maszlignahmen zur persoumlnlichen Hygiene deshalb in Form eines Expertenpuzzles

Dabei uumlbernimmt in jeder Arbeitsgruppe ein Jugendlicher die Rolle des bdquoHygie-newaumlchtersldquo und erarbeitet in drei Schritten einen Hygiene-Check Zunaumlchst uumlberlegt

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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sich jeder Hygienewaumlchter alleine eine Loumlsung Anschlieszligend findet eine Partnerar-beit mit Bildkarten statt bevor alle Hygienewaumlchter ihre Ergebnisse vergleichen und gemeinsam eine Checkliste erarbeiten Dieses dreistufige Vorgehen foumlrdert und er-leichtert das kooperative Lernen (vgl Bartsch 2012 S 61)

Die Kuumlchenkartei dient den Schuumllerinnen und Schuumller hierbei zur Selbstkontrol-le Sie uumlberpruumlfen ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse mit Hilfe der passenden Karten Bei Bedarf ergaumlnzen sie daraufhin ihre eigene Checkliste oder erstellen eine eigene Karteikarte mit einem auf ihre Anforderungen abgestimmten Hygiene-Check Ist die Kartei im weiteren Unterrichtsverlauf stets verfuumlgbar bleibt auch der Hygie-ne-Check praumlsent und kann jederzeit wiederholt und abgerufen werden

3 Schritt fuumlr Schritt zu mehr Selbststaumlndigkeit

Die gesamte Unterrichtsreihe betrachtet die Schuumllerinnen und Schuumller als Akteure ihres eigenen Lernprozesses und stellt sie mit ihren Beduumlrfnissen ihrer Lebenswelt ihrem biografischen Hintergrund und ihren Lebensmoumlglichkeiten in den Mittelpunkt

Die Lehrenden uumlbernehmen dabei die Rolle des Moderators der die Schuumllerin-nen und Schuumller begleitet lenkt und motiviert

Lehrpersonen sind fuumlr die Bereitstellung von didaktisch-methodisch durchdachten Unterrichtsarrangements verantwortlich die ein exemplarisches und strukturiertes Lernen an geeigneten Beispielen ermoumlglichen Dabei veraumlndert sich allerdings das Lehr-Lernverhaumlltnis so begleiten und uumlberzeugen Lehrende den Lernprozess durch ihre Fachexpertise bei Moderation Anleitung Beratung etc (Bartsch 2012 S 57)

Ziel des Unterrichtsmaterials ist es jedem Einzelnen Perspektiven und Moumlglichkei-ten aufzuzeigen wie er oder sie seinen bzw ihren physiologischen Bedarf nach aus-gewogenem Essen und Trinken mit den individuellen Beduumlrfnissen in Einklang brin-gen kann

Die Kuumlchenkartei kann Lehrkraumlfte dabei unterstuumltzen auch im fachpraktischen Unterricht eine moderierende Rolle einzunehmen Wie die zahlreichen Schultests mit dem Material gezeigt haben ist die Kuumlchenkartei jedoch kein bdquoSelbstlaumluferldquo Waumlh-rend der praktischen Zubereitung sind die Schuumllerinnen und Schuumller haumlufig versucht ihre Lehrkraft um eine schnelle Anleitung zu bitten anstatt Arbeitsanleitungen genau zu lesen und bei Unklarheiten zunaumlchst die Kuumlchenkartei zu Hilfe zu nehmen

Deshalb ist es wichtig die Kuumlchenkartei zu Beginn einer praktischen Unter-richtsreihe ausfuumlhrlich einzufuumlhren und im weiteren Verlauf immer wieder auf sie zu verweisen Fragechips koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller motivieren zuerst selbst nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen Wenn jede Gruppe pro Stunde beispiels-weise nur vier Chips erhaumllt wird sie versuchen nach eigenen Loumlsungswegen zu su-chen bevor die Lehrkraft zurate gezogen wird Natuumlrlich schlieszligt dieses Vorgehen nicht aus dass die Lehrkraft auch direkte Unterweisungen gibt wenn sie diese fuumlr angebracht und effektiver haumllt

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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4 Fazit

Wie die vier ausgewaumlhlten Beispiele zeigen unterstuumltzt die Kuumlchenkartei schuumllerori-entiertes Lernen und selbststaumlndiges Arbeiten Sie ergaumlnzt damit optimal das Unter-richtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo Als Nachschlagewerk und Selbst-lernprogramm laumlsst sie sich aber auch unabhaumlngig davon sehr flexibel im fachpraktischen kompetenzorientierten Unterricht einsetzen

Anmerkung 1 Idee und Konzept der Kuumlchenkartei Susanne Gruumlnwald

Literatur

Bartsch S (2012) Subjektorientierung Ein Beitrag zur kompetenzorientierten Auf-gabengestaltung in der Verbraucherbildung Haushalt in Bildung amp Forschung 3 52-64

Kessner L Braukmann M Bruumlggemann I (2012) SchmExperten in der Lernkuuml-che Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8 Bonn aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Kessner L Braukmann M Wanzek P (2012) Die Kuumlchenkartei Bonn aid info-dienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Leutnant S (2012) Selbstdifferenzierende Aufgabenformate im kompetenzorien-tierten Unterricht Haushalt in Bildung amp Forschung 3 65-76

Fuumlr die Verfasserinnen

Dipl-Oecotrophin Larissa Kessner

aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz eV

Heilsbachstr 16 D-53123 Bonn

E-Mail lkessneraid-mailde Internet wwwaidde

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im folgenden Beitrag sollen einige grundlegende Aspekte der Esskultur1 vorgestellt werden um darauf aufbauend an Beispielen aus dem Unterricht zu erlaumlutern welche Bedeutungen diese kulturellen Voraussetzungen fuumlr die Fachpraxis haben

Schluumlsselwoumlrter Handwerkliche Praxis der Nahrungszubereitung Esskultur Theorie-Praxis-Verknuumlpfung

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Fachpraxis gilt als beliebte Alternative zum sog Theorie-Unterricht und wird oft nach dem Motto sbquoLieber mit der Hand gemacht als daruumlber nachgedachtlsquo erledigt Die intendierten Lernprozesse beinhalten Forderungen an sbquodas Kochenlsquo die von Schuumllerinnen und Schuumllern (leider auch von vielen Lehrpersonen) als unnoumltige Er-schwernis wenn nicht gar als Stoumlrung gesehen werden Tab 1 REVIS-Bildungsziel 3 (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung 2005)

3 Die Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung

Die Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage hellip sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen

Dazu gehoumlrt dass sie hellip bull Mahlzeiten situations- und

alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen

bull Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten

bull Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden

bull Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Lehrpersonen haben erfahrungsgemaumlszlig sehr unterschiedliche Anspruumlche an die Fach-praxis Falls sie nicht den leichteren Weg nehmen und die Jugendlichen sbquokochenlsquo lassen (bdquoDas brauchen die doch fuumlr ihr Lebenldquo) muumlhen sie sich ihnen grundlegende Fertigkeiten und deren theoretische Begruumlndung nahezubringen ndash abhaumlngig vom eigenen Grad der Professionalisierung

Im REVIS-Curriculum2 wurde der bisherige Zugang zur Fachpraxis entscheidend erweitert bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo Der sich hieraus ergebende Bildungsauftrag geht uumlber sbquoKochenlsquo hinaus und wird erst vollstaumlndig wenn die ange-strebte Kompetenz bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzenldquo (s Tab 1) hinzukommt

1 Grundlagen eines sbquokulturellen Verstaumlndnisseslsquo der Nahrungszubereitung3

Menschen sind von Natur aus sbquoKulturwesenlsquo Als sbquoinstinktlose Omnivoren (Alles-fresser)lsquo benoumltigen sie Wissens- und Handlungsstrukturen die es ermoumlglichen die alltaumlgliche Versorgung mit Nahrung zu sichern Diese Strukturen sind grundlegende Legitimation dafuumlr dass Ernaumlhrungsbildung Teil des verbindlichen gesellschaftli-chen sbquoKulturwissenslsquo sein muss gleichberechtigt zu Sprachen Mathematik oder Informatik (vgl Barloumlsius 2011 Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies 2011)

Die geforderten Wissens- und Handlungsstrukturen muumlssen durch leitende Werte und Ziele definiert werden Vorherrschende Begruumlndungen basieren in der Schulkuuml-che meist (falls nicht vorrangig auf Erfahrungen der Lehrkraft) auf natur- und ar-beitswissenschaftlichen Grundlagen ergaumlnzt durch politische Ziele (wie zB Nach-haltigkeit) ndash alles ohne Einordnung in einen groumlszligeren auch kulturellen Zusammenhang Kulturelle Zusammenhaumlnge ermoumlglichen aber erst die Strukturie-rung und Analyse und sind deshalb fuumlr die Ausgestaltung der Fachpraxis zentral

Drei Institutionen des Essens Menschen regeln ihre Wertung von Nahrungsmitteln deren Zubereitung und Ver-zehr uumlber drei Institutionen (vgl Barloumlsius 2011 S 93ff)4

(1) Die kulturelle Bestimmung von bdquoessbarldquo und bdquonicht essbarldquo

Menschen als sbquoOmnivorenlsquo koumlnnten mehr Nahrungsmittel nutzen als sie kennen koumlnnen Dies fuumlhrt dazu dass kulturell bestimmt wird welche Nahrungsmittel ak-zeptiert werden und welche nicht Neben Vertraumlglichkeit und Oumlkonomie (Effizienz des notwendigen Arbeitseinsatzes) gibt es eine Vielzahl von offiziellen (zB religiouml-sen politischen) und inoffiziellen (zB Tabus Moden) Reglementierungen Entspre-chend ist die Nahrungsauswahl auch ein Ausdruck von Normen und Werten bis hin zu den Bewertungen dazu was sbquomanlsquo (wer in welcher Situation) isst oder nicht isst

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Auf dieser Basis entwickelt sich Geschmack welcher dann der sozialen Distink-tion dient Subjektiv wird dieser Zusammenhang selten bewusst wahrgenommen Jugendliche kennen zwar auch sbquoEss-Modenlsquo aber sie empfinden ihre Auswahl zu-naumlchst als selbstverstaumlndlich als Ausdruck ihres sbquoGeschmackslsquo Sie wissen und ver-stehen weder die naturwissenschaftlichen noch die kulturellen Hintergruumlnde fuumlr die sbquoEntwicklung von Geschmacklsquo ndash wie viele Lehrpersonen leider auch nicht

In der Nahrungszubereitung dient die Konfrontation mit Nahrungsmitteln Ge-richten und Geschmaumlckern auch der Entwicklung und Erweiterung eines sbquokulturellen Geschmackslsquo als Teil kultureller Bildung Mit der Zubereitung von Gerichten wer-den nicht nur Kompetenzen angebahnt sondern auch Geschmaumlcker Wertungen und Zuschreibungen (gut ndash schlecht traditionell ndash modern Alltag ndash Sonntag etc) tradiert Ein Geschmack der sbquoHeimatlsquo der sbquoModernelsquo der sbquoGesundheitlsquo oder des sbquoExotischenlsquo wird so erworben ndash oder abgelehnt Geschmackserfahrungen gehen ndash mit Gefuumlhlen und Wertungen verbunden ndash in zunaumlchst unreflektierte sbquoGrundstimmungenlsquo (u a wichtig fuumlr Identitaumlt und Sicherheit) und -haltungen (Zuwendung Abwehr etc) so-wie damit verbundene Handlungsmuster uumlber Erst wenn diese Zusammenhaumlnge verstanden werden kann die eigene Entwicklung als sbquogewordenelsquo reflektiert und die Nahrungszubereitung gezielt zur Erweiterung der Akzeptanzen genutzt werden

(2) Die Kuumlche als kulturelles Regelwerk

Kuumlchen sind sowohl Raumlume mit spezifischer technologischer Ausstattung als auch Bezeichnung fuumlr typische Arten und Weisen der Zubereitung die uumlberdies Botschaf-ten beinhalten (Sprache der Kuumlche) In beider Hinsicht sind sie soziokulturelle Phauml-nomene mit entsprechenden Charakteristika und dienen der kulturellen und sozialen Identitaumlt bdquoZwischen Beduumlrfnis (Hunger) und Befriedigung (Essen und Trinken) setzt der Mensch das ganze kulturelle System der Kuumlcheldquo betont Tolksdorf (1976 S 67) und hebt damit hervor dass die Auswahl Bearbeitung und Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Speisen und Mahlzeiten einem komplizierten und differenzierten Regelwerk unterliegt

Obwohl viele Nahrungsmittel in vielen Laumlndern aumlhnlich oder gleich sind (wie zB Huumllsenfruumlchte Getreide) schmecken die daraus bereiteten Gerichte aufgrund der unterschiedlichen sbquoKuumlchenlsquo voumlllig anders (vgl Schlegel-Matthies 2002) Die Verarbeitung mit teuren Zutaten (fruumlher oft Eier und Fett heute seltene Zutaten) und mit einem houmlheren Aufwand (Arbeit Zeit Wissen und Fertigkeiten) kann zur Auf-wertung fuumlhren (vgl Roumlszligler-Hartmann 2012)

In der Nahrungszubereitung finden diese Aspekte ihren Platz durch vorgegebene leitende Werte und damit verbundene Rezepte sbquoGesundelsquo Rezepte sind fett- und sbquonachhaltigelsquo fleischaumlrmer sbquotraditionellelsquo sind eher fett- und fleischreicher Alltags-speisen beanspruchen weniger Wissen und Zeit als Feiertagsspeisen etc Dabei sind Werte wie sbquogesundlsquo meist unhinterfragt gesetzt werden aber durch andere Werte wie sbquofestlichlsquo sbquoschmackhaftlsquo sbquoexotischlsquo etc verdraumlngt bzw ausnahmsweise ausgesetzt Kuumlchentechniken werden entweder arbeitswissenschaftlich begruumlndet (rationell

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sicher hygienisch) oder mit dem schlichten Hinweis bdquoDas macht man soldquo So kann der kulturelle Hintergrund schnell verdeckt werden

(3) Die Mahlzeit als soziale Institution

Mahlzeiten dienen der Herstellung und Bewahrung von Gemeinschaft und Zugehouml-rigkeit In ihren unterschiedlichen Elementen den Tischgemeinschaften-sitten und -gespraumlchen) ihren Auspraumlgungen in Alltag und Festtag ihrer haumlus-lichfamiliaumlren und auszligerhaumluslichen Erscheinungsform haben sie eine soziokulturell strukturierende Bedeutung (vgl Barloumlsius 2011 S 172ff Schlegel-Matthies 2002 2011)

Eine integrierende bzw ausgrenzende Funktion haben die Bestimmungen wer wann wo in welchem Rahmen zusammen isst sowie die Tischsitten Die Bedeutung der Letzteren ist so stark dass von vielen Menschen sbquoEsskulturlsquo vor allem mit dem Benehmen bei Tisch verbunden wird Dabei sind die Regeln bei genauerer Betrach-tung von den jeweiligen sozialen Zusammenhaumlngen abhaumlngig Sie hatten und haben u a die Aufgabe die soziale Stellung angemessen wiederzugeben Heute gelten zB traditionelle buumlrgerliche Regeln will man sich nicht im Restaurant blamieren oder anderen Menschen denen sie wichtig sind sbquovor den Kopf stoszligenlsquo

Die Nahrungszubereitung ist im Unterricht haumlufig mit gemeinsamem Essen ver-bunden wobei eine Einfuumlhrung in diese sbquoKultur des Essenslsquo erfolgen soll Deren Beherrschung ist haumlufig eine Voraussetzung fuumlr die soziale Akzeptanz von Men-schen ihre Vermittlung ist damit Teil des demokratischen Auftrags von Schule Die hinter den (sozio-kulturell unterschiedlichen) Regeln verborgenen Zusammenhaumlnge sind allerdings wenig bekannt und selten beruumlcksichtigt

Das Bildungsziel zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahl-zeitengestaltung verlangt mehr als die mehr oder (meist) weniger reflektierte Ver-mittlung vorherrschender (sozio-)kultureller Standards auf dem Stand der biogra-phisch erworbenen Erfahrung der Lehrkraft Erfahrungswissen ist wertvoll aber begrenzt (vgl Brandl 2012) Professionalitaumlt verlangt auch bei der Nahrungszuberei-tung Hintergrundwissen Wissen zu natur- und arbeitswissenschaftlichen Zusam-menhaumlngen ist weitgehend als notwendig akzeptiert Es wird aber weniger reflektiert dass und wie auch dieses Wissen kulturellen Einfluumlssen unterliegt Eine solche Re-flexion kann fuumlr einen gelingenden Unterricht hilfreich und das Wissen damit auch notwendig sein

2 Unterschaumltzte Grundwiderspruumlche

21 Professionalitaumlt versus Alltagswissen und -routinen

Jugendliche haben Erfahrungen (zB aus dem Elternhaus oder aus dem Fernsehen) oder Vorstellungen (darunter auch spontane Planungen) wie Nahrung bearbeitet und zubereitet werden kann ndash und sind oft stolz darauf Die haumlusliche Nahrungszuberei-

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tung ist nicht systematisch und rationell organisiert sondern von Raumgestaltung Alltagsroutinen und auch von der Vermischung mit anderen Arbeitsgaumlngen abhaumln-gig Die Ausstattung der Kuumlchen ndash und damit auch Kenntnis und Nutzung einzelner Geraumlte ndash ist entsprechend unterschiedlich

Wenn im Bildungsziel 3 (siehe Tab 1) formuliert ist bdquoTechniken der Nahrungs-zubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden koumlnnenldquo dann sind damit mehr kulturelle Strukturen verbunden als auf den ersten Blick erkennbar Die (im Elternhaus) erlernten Praktiken entsprechen haumlufig nicht professionellen Kriterien die in der Schulkuumlche die Arbeit leiten sollten Die Begruumlndung dafuumlr warum in der Schule professionelle Techniken vorgezogen und damit auch Handlungsalternativen geboten werden und die Unterscheidung zwischen sbquoVerbesserunglsquo von Arbeitspro-zessen sowie nicht verhandel- aber begruumlndbaren Grundlagen von Hygiene und Sicherheit kommen meist zu kurz Eine bloszlige Gegenuumlberstellung von sbquorichtiglsquo und sbquofalschlsquo kann Widerstand wecken Die explizite Gegenuumlberstellung haumluslicher und professioneller Arbeitstechniken die eine Analyse ihrer Unterschiedlichkeit auf-grund verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen zur Grundlage hat ermoumlg-licht beides zu respektieren

Arbeits- und Gartechniken beruumlcksichtigen zB Kriterien wie Arbeitsersparnis Naumlhrstoffschonung oder Geschmack Damit neue Arbeitsprozesse als Erleichterung wahrgenommen werden muumlssen sie Teil der Alltagsroutinen werden Erst dann werden sie Handlungsalternativen Mit offenen Diskussionen daruumlber dass Schule Wissen und Koumlnnen erweitern soll und Unterricht daher keine Spiegelung privater Verhaltensweisen zum Ziel hat sondern Reflexion und Entscheidungsfaumlhigkeit daruumlber kann die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen gefoumlrdert werden Viele Dinge werden klar wenn man die mit ihnen verbundene Arbeitslogik offen legt Der Umgang mit professionellen Kochmessern ist fuumlr Studierende und Jugendliche oft ungewohnt und zunaumlchst befremdlich Sie fuumlhlen sich mit einem kleinen Messer sicherer Man kann zB demonstrieren dass man mit einem kleinen und schmalen Messer auf einem kleinen Brett nicht sinnvoll und auch nicht sicher Gemuumlse schneiden kann Der Umgang mit einem Kochmesser erfordert eine gute Einwei-sung und Uumlbung (vgl Tornieporth 1993) Motivation dazu koumlnnen zB Koch-shows bieten in denen mit solchen Messern gearbeitet wird Voraussetzung ist allerdings dass gute (scharfe) Kochmesser in den Schulkuumlchen nicht nur vorhan-den sind sondern von den Lehrpersonen auch beherrscht und genutzt werden An dem beliebten sbquoHausfrauen-Allzweck-Suppenloumlffellsquo kann und sollte analysiert werden dass man mit ihm auf einem Topfboden nur Kratzspuren hinterlassen und keine Masse mischen kann Schneebesen sind dazu sinnvoller Es gilt entscheiden zu koumlnnen wann man nur kurz umruumlhren und probieren oder wann man Ansetzen vermeiden oder mischen will

Die Entwicklung einer Haushaltstechnik und Arbeitsorganisation sollte der Ar-beitserleichterung im Haushalt dienen Beide druumlcken kulturelle Errungenschaften aus die erlernt und eingeuumlbt werden koumlnnen Werden diese Zusammenhaumlnge klar-

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gestellt ohne den haumluslichen Alltag abzuwerten kann auch die Einhaltung von Regeln leichter werden Dabei sollte auch nicht geleugnet werden dass die ar-beitswissenschaftliche Logik die sich meist auf einzelne Arbeitsprozesse bezieht nicht immer kompatibel ist mit einer sbquoLogik des Alltagslsquo in diesem Alltag sind komplexe Situationen zu bewaumlltigen

22 Buumlrgerliche Kultur und einfache Alltagskuumlche

Die Haushaltslehre orientiert sich in weiten Bereichen an den Normen der buumlrgerli-chen Haushaltsfuumlhrung Bezogen auf eine kulturelle Sozialisation und Integration oder auf eine spaumltere Berufstaumltigkeit kann dies auch sinnvoll sein sollte aber nicht unreflektiert geschehen

Rezepte Gerichte und Mahlzeitengestaltung waren immer durch die unterschied-lichen Lebensbedingungen und -stile bestimmt In reichen Haushalten durfte die Bruumlhe den Appetit anregen in anderen musste eine dicke Suppe den (ersten) Hunger stillen damit Fleisch und andere Lebensmittel gespart werden konnten Wer wenig Zeit und Geld hatte konnte sich auch keinen groszligen Aufwand bei der Nahrungszu-bereitung leisten Wenige Menschen wissen dass das mehrgaumlngige Menu mit geson-dertem Geschirr und Besteck fuumlr jeden Gang in Schuumlsseln aufgetragen auf einen Tisch auf dem eine Tischdecke und Stoffservietten liegen einer Norm aus dem 19 Jahrhunderts folgt Und diese Norm entstand in Haushalten in denen Dienstboten die damit verbundene Arbeit uumlbernahmen Heutige Jugendliche merken zu Recht an dass sie mit den Servierschuumlsseln und -platten mehr Arbeit haben als wenn die Kochtoumlpfe und Pfannen auf den Tisch gestellt werden Nach welchen Regeln das Essen auf den Tisch kommt sollte nicht (nur) die Wiederholung buumlrgerlicher Nor-men beinhalten sondern auch deren Reflexion ndash und damit auch die Suche nach arbeitssparenden Alternativen fuumlr den Alltag in Haushalten (Teller auffuumlllen in der Kuumlche aumlsthetische Bewertung von Kochgeschirr etc) Die Teilkompetenz bdquoMahlzei-ten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnenldquo (s Tab 1) beinhaltet u a solche Uumlber-legungen Die Wertschaumltzung der Arbeit ist im doppelten Sinn geboten (1) Nur wer erkennt dass Nahrungszubereitung auch Freude machen kann und ein wichtiger Teil der Selbstbestimmung daruumlber ist was gegessen wird wird auch bereit sein sich die notwendigen Kompetenzen so anzueignen dass die Arbeit sbquoleicht von der Hand gehtlsquo (2) Die Wertschaumltzung derer ist geboten die diese Arbeit leisten und den ande-ren damit Nahrung bieten Die heutige Familienkultur verhindert haumlufig dass damit verbundene Arbeit erkannt und anerkannt wird weil Kinder und Jugendliche haumlufig nicht mehr sehen wie Nahrung zubereitet wird sondern sie bdquojust in timeldquo vorgesetzt bekommen (vgl Roumlszligler-Hartmann 2007 S 224)

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23 Bewertungen und Qualitaumltskriterien

Mit der ersten Teilkompetenz bdquoSpeisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumln-nenldquo (s Tab 1) sind drei Qualitaumltskriterien festgelegt

Fuumlr Jugendliche (und Studierende) enthaumllt der Hinweis bdquoMir schmecktrsquos aberldquo meist die Botschaft dass alle anderen Kriterien als unwichtig erachtet werden Geschmackswertungen sollten daher explizit von anderen Kriterien wie rationelle und hygienische Arbeitsorganisation Gesundheitswert getrennt werden Zudem sollte Geschmack ein eigenstaumlndiges Thema im Unterricht sein

Der Satz sbquoUumlber Geschmack laumlsst sich nicht streitenlsquo gilt durchaus wenn es um individuelle Praumlferenzen geht Wie diese entstehen und welche Unterschiede zur sensorischen Bildung bestehen ist eine gesonderte Frage Sensorische Bildung leitet an Unterschiede zu analysieren oder die Wirkung von Kombinationen unter-schiedlicher sensorischer Eindruumlcke (Geschmack Geruch Konsistenz etc) ken-nenzulernen ndash und nicht Praumlferenzen vorzuschreiben sbquoGeschmacksbildunglsquo dage-gen legt offen wie Geschmack entsteht was er bedeutet und wie man damit umgehen kann ndash dazu gehoumlrt auch dass und wie man ihn selbst aumlndern kann Sinn-lichkeit beinhaltet all dies und noch mehr Jugendliche sollen Freude am Essen und an der Nahrungszubereitung haben sollen genieszligen lernen denn das muss gelernt werden (vgl Bergler amp Hoff 2011 Houmlhl 2009) Sensorische Bildung und Ge-schmacksbildung gehoumlren zur Sinnlichkeit ebenso wie eine gute Beziehung zum Koumlrper (vgl Bartsch 2008 Methfessel 2002) Versteht man diese Zusammenhaumln-ge muss man sich nicht mehr wundern dass viele Jugendliche von sich aus wenig Interesse zeigen zu probieren und Wuumlrzmoumlglichkeiten zu variieren

Soziokulturelle Differenzen finden sich auch beim Ziel einer Gesundheitsfoumlr-derung Zum einen haben unterschiedlich vorhandene Ressourcen (Zeit Geld Kompetenzen) Einfluss auf das haumlusliche Essensangebot Zum anderen haben Ju-gendliche auch unterschiedliche Haltungen zur Bedeutung des Essens fuumlr die Ge-sundheit In Abhaumlngigkeit vom sozialen Milieu differiert was als sbquogutes Essenlsquo angesehen wird Waumlhrend zB Saumlttigung und Geschmack wichtige Kriterien fuumlr koumlrperlich Arbeitende sind orientieren Menschen aus Milieus mit houmlherem Bil-dungsniveau ihre Nahrung staumlrker an anderen Werten wie Gesundheit Schlankheit angesagten Ernaumlhrungskonzepten (vgl Barloumlsius 2011 Bourdieu 1993 Stieszlig amp Hayn 2005) Bei solchen Orientierungen spielen neben Wissen um die Bedeutung der Nahrung auch Vorstellungen uumlber die Kontrollierbarkeit von Koumlrper und Ge-sundheit eine Rolle (vgl Faltermaier 2005) Daneben ist auch festzustellen dass eine problematische soziale Lage und damit verbundene geringe Erwartungen an die Zukunft auch die Bereitschaft reduzieren kann das Essverhalten selbst zu kon-trollieren bzw kontrollieren zu lassen Wenn das Leben wenig Freuden bietet

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kann das Essen ein wichtiger bdquoFreudengeberldquo und eine bdquoBastionldquo der Selbstbe-stimmung sein5 Diese und andere Zusammenhaumlnge koumlnnen erklaumlren warum Ler-nende sehr unterschiedlich auf Vorgaben der Lehrkraft zum Thema Gesundheit reagieren

Mit dem dritten Kriterium der Nachhaltigkeit ist der Konflikt zwischen indivi-duellem Genuss und politischen Werten der Nachhaltigkeit (Beruumlcksichtigung globaler oumlkologischer sozialer und oumlkonomischer Zusammenhaumlnge) verbunden Jugendliche sind gegenwartsorientiert und viele suchen nach einfachen Wegen zum Wohlbefinden Die Reflexion der globalen Auswirkungen individuellen Konsums (zB bezogen auf Fleisch) und die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung muumlssen erst erlernt werden Damit wird dann ein wertvoller Beitrag zur Bildung fuumlr nachhaltige Entwicklung (BNE) geleistet Fuumlr Jugendliche ist allerdings nicht uumlber-zeugend wenn dies zB nur in einer einzelnen Unterrichtseinheit thematisiert wird dann einmalig Bio-Produkte zubereitet werden und das Kriterium sbquoNachhaltigkeitlsquo keinen Eingang in die handwerkliche Praxis ndash auch mit alltaumlglichen Umsetzungs-moumlglichkeiten ndash findet

Bei der Diskussion um Qualitaumlt und deren Bewertungskriterien sind auch wei-tere Bewertungen und Begruumlndungen welche den Jugendlichen wichtig sind zu erfragen und zu beruumlcksichtigen Dies kann alle Lebensbereiche betreffen religioumlse Vorgaben unterschiedliche Geschmackspraumlferenzen Gesundheitsvorstellungen Sinn und Qualitaumlt von (Halb-)Fertigprodukten etc Die Entwicklung und Begruumln-dung von Qualitaumltskriterien sind eine eigene Bildungsaufgabe Die didaktische Herausforderung liegt darin konstruktiv mit Widerspruumlchen zwischen Kriterien bzw zwischen schulischen Bildungszielen und Interessen von Jugendlichen umzu-gehen

3 Folgerungen

Aus den beschriebenen Zusammenhaumlngen erwachsen viele Herausforderungen an (angehende) Lehrpersonen Zunaumlchst muumlssen sie reflektieren welche kulturellen Muster ihr eigenes Verhalten leiten ndash und sich ggf das dazu notwendige Wissen aneignen Schon allein bei der Auswahl der Rezepte und der damit verbundenen Techniken bewegen sie sich meist nur in dem ihnen vertrauten Rahmen (Jugendli-che sollen zB alles probieren selten wird aber zubereitet was die Lehrkraft selbst nicht mag oder bei der Rezeptauswahl orientiert sie sich nicht an Lehr-Lernzielen und fragt auch nicht nach der Bedeutsamkeit des zu Erlernenden fuumlr die Jugendli-chen) Ein Verstaumlndnis der sbquokulturellen Gewordenheitlsquo schafft einerseits mehr Be-reitschaft sich anderen Gerichten und Techniken zu oumlffnen Anderseits gewinnen Lehrpersonen mehr Faumlhigkeiten mit den unterschiedlichen zu beachtenden Dimen-sionen der Nahrungszubereitung und den Widerspruumlchen zwischen diesen Dimen-sionen umzugehen und Alternativen entwickeln zu koumlnnen Diese Faumlhigkeiten sind

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notwendig um die vierte Teilkompetenz bdquoInformationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnenldquo (s Tab 1) verstehen und vermitteln zu koumlnnen Im Unterricht stehen sich oft Lehrpersonen und Jugendliche gegenuumlber die sehr unterschiedliche Erfahrungen Vorstellungen und Praumlkonzepte zu Haushaltsfuumlhrung und Nahrungs-zubereitung sowie zum Zusammenhang von Essen Koumlrper Gesundheit etc haben Der Umgang mit Widerspruumlchen erfordert mehr als eine rationale Argumentation Eine sbquokultursensiblelsquo Analyse und Reflexion sollte beruumlcksichtigen dass ndash direkte oder indirekte ndash Infragestellungen der familialen sozialen religioumlsen milieuspezi-fischen etc Kultur immer auch Identitaumlt und Selbstwertgefuumlhl beruumlhren

Die Legitimation der Ernaumlhrungsbildung als Teil der Naturwissenschaftlichen Bildung undoder die jeweilige wissenschaftliche Sozialisation verleiten Lehrperso-nen zu oft dazu nur arbeits- und naturwissenschaftliche Theorien zur Begruumlndung der Regeln fuumlr die Nahrungszubereitung heranzuziehen Damit unterliegen sie zwei Begrenzungen Zum einen werden das Alltagshandeln leitende kulturwissenschaftli-che Zusammenhaumlnge ausgeblendet ndash und damit auch ein Zugang zum Handeln und Verhalten der Lernenden verwehrt Zum anderen kann mit dem alleinigen (durchaus sinnvollen und notwendigen) naturwissenschaftlichen Denken (zB bei Experimen-ten) nicht die Komplexitaumlt des Alltags bewaumlltigt werden Kuumlstlers (2012) Bezug auf die MINT6 Faumlcher mag positiv bewertet werden erfasst aber nicht den vollstaumlndigen Fachauftrag welcher uumlber die MINT-Faumlcher hinaus geht

Es kann daher sinnvoll sein Kompetenzmodelle (zB Dachtler-Freiler amp Kuumlst-ler 2012) noch einmal daraufhin zu uumlberpruumlfen wieweit sie kulturelle Aspekte ex-plizit aufgenommen haben Die Kombination naturwissenschaftlicher Bezuumlge mit der Analyse und Reflexion der Entwicklung der Alltagskultur ist nicht nur sinnvoll son-dern bietet auch die fuumlr Lernprozesse notwendige Sinnhaftigkeit So kann zB die Kombination des Verstaumlndnisses der Lebensbedingungen von (Mikro)Organismen mit Wissen zur Denaturierung von Eiweiszlig viele Zusammenhaumlnge von Hygiene und Konservierung erklaumlren Dies fuumlhrt nicht unbedingt zum hygienischen Umgang im Kuumlchenalltag Wissen wird oft erst persoumlnlich sinnhaft wenn bewusst Konsequenzen fuumlr das eigene Handeln gezogen werden Dazu ist zB sinnvoll auch zu diskutieren und zu reflektieren warum viele meinen dass ein Kuumlhlschrank weniger geputzt wer-den muss als eine oumlffentliche Toilette (welche oft nachweislich weniger Keime ent-haumllt) undoder welche anderen Gruumlnde daran hindern ihn alle zwei bis drei Wochen gruumlndlich zu reinigen

Roumlszligler-Hartmann (2012) hat dargestellt dass und wie das Modell einer Mahlzeit zum Ausgangspunkt der Reflexion von Esskulturen genutzt werden kann sbquoDarum herumlsquo kann man noch weitere Moumlglichkeiten schaffen Nahrungszubereitung in all ihren Schritten und Dimensionen als Ergebnis kultureller Entwicklung zu verstehen Der Anthropologe Levi-Strauss (1972) merkte einmal an dass der Mensch sich vom Tier durch den Kult und das Kochen unterscheide Es ist lohnenswert diese mensch-liche Kompetenz zu vermitteln

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Anmerkungen 1 Auf eine theoretische Grundlegung des Begriffes Kultur bzw Alltagskultur oder

wird hier verzichtet (vgl dazu Methfessel amp Schlegel-Matthies im Druck) 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Hier kann kein systematischer Einblick in die Diskussion der Esskultur gegeben

werden (zum Uumlberblick vgl Barloumlsius 2011 Methfessel 2005 Schlegel-Matthies 2001 2002 und die darin jeweils angegebene Literatur)

4 Die Strukturierung von Barloumlsius (2011) bietet eine hervorragende Analysegrund-lage alle weiteren vorgestellten Kategorien koumlnnen sich ihnen gut zu- bzw un-terordnen

5 Ein niedriger Schulabschluss fuumlhrt zu weniger Gesundheit und Lebenszufrieden-heit Bildungsstrukturen benachteiligen sozial Schwache (vgl Daten der GEDA-Studie 2009 nach BMAS 2013 S 198ff)

6 MINT Mathematik Informatik Naturwissenschaft und Technik

Literatur

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Verfasserinnen

Profin (i R) Dr Barbara Methfessel Paumldagogische Hochschule Heidelberg Fachgebiet Ernaumlhrungs- und Haus-haltswissenschaft und ihre Didaktik E-Mail methfesselph-heidelbergde Internet wwwph-heidelbergdeernaehrungs-und-haushaltswissen-schaftpersonendozentinnenprof-dr-barbara-methfesselhtml

Profin Dr Kirsten Schlegel-Matthies Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Ge-sundheit Department Sport amp Gesund-heit Fakultaumlt fuumlr Naturwissenschaften der Universitaumlt Paderborn E-Mail schlegelmailupbde Internet httpdsguni-paderborndeevbpersonenprof-dr-kirsten-schlegel-matthies

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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______________________________________________________________

Silke Bartsch und Jana Brandstaumldter

bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung Zunaumlchst wird uumlber eine begriffliche Klaumlrung eine Annaumlherung an das Phaumlnomen der bdquoErleb-niskuumlcheldquo gesucht um sie als Inspiration fuumlr neue Zugaumlnge fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung nach REVIS1 zu nutzen Ausgangspunkt dafuumlr ist das Erlebnis in seiner Abgrenzung durch das Besondere vom Alltaumlglichen Daran schlieszligen sich in dem hier essayhaft verfassten Beitrag erste fachdidaktische Uumlberlegungen und Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung an

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Erlebnis Kuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung

______________________________________________________________

Einleitung Zurecht hat er selbst darauf hingewiesen dass Essen die moumlglicherweise komple-xeste menschliche Aktivitaumlt darstellt Man sieht ein Gericht riecht es fasst es an und fuumlhlt es nimmt beim Konsum sowohl Geschmack als auch akustische Reize ndash beispielsweise Knuspern beim Essen eines Eiswuumlrfels ndash wahr Gesellt sich dann noch ein Konzept hinzu wie beispielsweise bei den sich aufloumlsenden Ravioli wird sogar noch das Gehirn stimuliert In dieser Gleichzeitigkeit so vieler Sinneswahr-nehmungen und Reize liegt eine unglaubliche Chance zu neuen Erlebnissen und Erfahrungen die sich Adriagrave immer wieder zu Nutze macht (Blogger uumlber Ferran Adriagrave Sternekoch im spanischen Restaurant El Bulli2)

Das Zitat des spanischen Sternekochs Ferran Adriaacute illustriert ein umfassendes Sin-neserlebnis beim Essen das hier durch die Molekularkuumlche kreiert und inszeniert wird Die Geheimnisse der Kochkunst begleiten die Kulturgeschichte so ist zB aus der Antike bekannt dass besondere Geschmacks- und Sinneserlebnisse zum Vergnuumlgen gesucht wurden (vgl zB Lemke 2007) An diese Tradition knuumlpfen die Vertreter der Molekularkuumlche gerne an die durch die heute zur Verfuumlgung stehenden kuumlchentechnischen Moumlglichkeiten neue Dimensionen schaffen koumlnnen

Die hier gewaumlhlte Wortschoumlpfung Erlebniskuumlche3 greift die Idee der Erlebnis-gastronomie auf Beispiele dafuumlr sind die sog Dinnershows wie bdquoPomp Duck and Circumstancesldquo die Zirkus oder Varieteacute und (gehobene) Gastronomie effektvoll in auszligergewoumlhnlichen bdquoLocationsldquo wie einem Spiegelzelt kombinieren und als Ge-samtevent vermarkten Mit dem Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo soll aber nicht allein auf ein interessantes Geschmackserlebnis fokussiert werden sondern vielmehr soll die gegenwaumlrtig in vielen Varianten anzutreffende Verbindung zwischen bdquoErleb-nisldquo und bdquoKuumlcheldquo sowie Essen und Mahlzeiteninszenierung (Unterhaltung) als

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Phaumlnomen in unserer Gesellschaft herausgestellt werden Bei der Systematisierung der Beispiele faumlllt auf dass Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo in sehr unter-schiedlichen Zusammenhaumlngen beobachtbar sind

Speise13 als13 Erlebnis13 Speise13 und13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

(Essen13 und13 Unterhaltungsprogramm)13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

13 13

Verzehr13 Kein13 Verzehr13 auszligergewoumlhnliche13 Gerichte13 exotische13 Nahrungsmit-shy‐tel13 (zB13 geroumlstete13 In-shy‐sekten)13 mit13 Brausepulver13 13 gefuumlllte13 Kaugummis13 Bubble-shy‐Tea13 FroYo13 (Frozen13 Yogurt)13 hellip13

13

Dinnershows13 Schaukuumlchen13

Themenbezogene13 Kochkurse13 bdquoKrimidinnerldquo13

Dinner13 im13 Dunkeln13 Dicircner13 en13 Blanc13

Restaurants13 mit13 Molekularkuumlche13 (Bsp13 bdquoEl13 Bullildquo13 mit13 Sternekoch13 F13 Adriagrave)13

hellip13

Food-shy‐Blog13 Kochshow13 (TV)13

Lebensmittelfotografie13 Kochbuch13 Kinofilm13

hellip13

13

Abb 1 Kategorisierung von Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo (Quelle Eigene Darstellung)

Wie Abbildung 1 zeigt reicht das Spektrum der Beispiele vom Verzehr bis hin zu solchen bei denen das Essen keine Rolle mehr spielt Auf der einen Seite loumlst der Nahrungsmittelkonsum ein Erlebnis aus und auf der anderen Seite findet kein Kon-sum statt und dennoch wird der Erlebnischarakter uumlber Essen erfasst

Beispiele fuumlr letzteres Phaumlnomen sind Kochshows Food-Blogs etc Unter Food- Blogs werden im Allgemeinen Internetblogs verstanden auf denen Blogger (Privatpersonen Schauspieler Models etc) mehr oder weniger regelmaumlszligig Beitrauml-ge uumlber das weite Themenfeld Essen oft in Verbindung mit Bildern veroumlffentli-chen Ebenso werden hier sog Kochshows im Fernsehen4 als Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo aufgefasst da auch hier eine Verbindung zwischen Erlebnis und Kuumlche besteht ohne dass die Zuschauenden selbst beim Essen teilnehmen Das Beispiel von Kochbuumlchern die einfach nur durchgeblaumlttert werden koumlnnen gehouml-ren ebenfalls in diese Spalte gleichzeitig wird deutlich dass die Uumlbergaumlnge flie-szligend sind da zuweilen das eine oder andere auch gekocht wird Fuumlr die im Schau-bild in der rechten Spalte aufgezaumlhlten Beispiele steht folglich der Unterhaltungscharakter auf visueller Ebene im Vordergrund

Im mittleren Bereich der Abbildung werden Beispiele angeordnet bei denen das Essen selbst mit weiteren (meist essensfremden) Unterhaltungselementen fuumlr die Sinne mehr oder weniger gleichgewichtig inszeniert wird Beispiele fuumlr diesen Bereich stammen uumlberwiegend aus der Erlebnisgastronomie zu der nach heutiger Auffassung etwa Mahlzeiten im Dunkeln und das Krimidinner gehoumlren An dieser Stelle gilt allerdings hervorzuheben dass die Erlebnisgastronomie keine Erfindung

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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des 21 Jahrhunderts ist wie historische Quellen aus dem 15 Jahrhundert belegen (Boron 2005) Ein weiteres Beispiel sind die bdquoDicircner en Blancldquo (Abb 2) bei denen uumlber private (Internet-)Netzwerke ein bdquoMassenpicknickldquo bevorzugt an populaumlren Plaumltzen in Staumldten wie Avenue des Champs-Eacutelyseacutees in Paris organisiert wird Alle Beteiligten sind weiszlig gekleidet

Abb 2 Dicircner en blanc in Karlsruhe 2013 (Bild copy Schlittenhardt [httpdiner-en-blanc-

karlsruhede] Schlieszliglich kann auch die Speise bzw darin verarbeitete Lebensmittel allein der Grund fuumlr ein Erlebnis sein (linke Spalte) Erfahrungsgemaumlszlig loumlsen einige Beispiele ndash auch aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten ndash uumlberwiegend bei Jugendli-chen einen Reiz aus Hierzu zaumlhlen etwa Kaugummis die zunaumlchst eine saure Oberflaumlche haben welche aber durch eine beim Zerbeiszligen austretende suumlszlige Fluumls-sigkeit neutralisiert wird oder Modegetraumlnke (zB Bubble-Tea FroYo) die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen haben

Allen beobachten Formen der bdquoErlebniskuumlcheldquo ist die Hervorhebung der Speise undoder des Essens aus dem Alltaumlglichen und die gleichzeitige Inszenierung eines i d R aumlsthetisch ansprechenden (Sinnes-)Erlebnisses gemeinsam Daraus ergeben sich Fragen und Ansatzpunkte fuumlr die fachdidaktische Diskussion Ziel dieses Beitrages ist die Idee des bdquoErlebnissesldquo aufzugreifen im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Fachpraxis Ernaumlhrung zu explorieren sowie erste Folgerungen fuumlr die Unterrichtsarbeit mit exemplarisch ausgewaumlhlten Lernideen aufzuzeigen Der vorlie-gende Beitrag kann und will dazu lediglich Impulse geben und zur Diskussion anre-gen

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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1 Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo

Wie dargestellt druumlckt der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo die Verbindung zwischen Erleb-nis und Kuumlche aus mit der Idee verbindende Elemente zwischen den unterschiedli-chen Erscheinungsformen der Erlebnisorientierung rund ums Essen hervorzuheben (vgl Brandstaumldter 2013)

Erlebnisse die grundsaumltzlich in Verbindung mit Emotionen5 stehen (vgl Salz-mann 2007) werden haumlufig auch als Buumlndelung einzelner Emotionen beschrieben (vgl Woll 1997) Diese Buumlndel koumlnnen von einem Zusammenspiel unterschiedli-cher Emotionen wie Freude Bewunderung Hass oder Billigung bestimmt sein (vgl Ortony amp Clore 1990) Eine einheitliche begriffliche Definition von Erlebnis exis-tiert derzeit nicht Vielmehr befindet man sich bdquoaugenblicklich noch auf der Suche nach einer schaumlrferen begrifflichen Fassungldquo (Muumlller-Hagedorn 2011 S49) Viele Definitionen zum Thema Erlebnis sind im Marketingbereich angesiedelt da dort Erlebnisse als Marketinginstrument in einer auf jugendliche Ausgelassenheit ausge-richteten bdquoSpaszliggesellschaftldquo zunehmend an Relevanz gewonnen haben Aumlhnliche Tendenzen und Ausdifferenzierungen sind in der (Erlebnis-)Paumldagogik6 beobachtbar

Zusammenfassend koumlnnen Erlebnissen trotz unterschiedlicher Begriffsverwen-dung Attribute wie Auszligergewoumlhnlichkeit Emotionen und Subjektivitaumlt als zentrale Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden Fuumlr die nachstehenden fachdidaktischen Uumlberlegungen ist relevant dass das Erleben selbst keine Verarbeitung des Erlebten einschlieszligt dh fuumlr einen Reflexionsprozess muss zunaumlchst eine bdquoAneignungldquo statt-finden (vgl dazu Scheller 1980)

Durch die Verbindung zwischen Kuumlche die hier als bdquokomplexes kulturelles Re-gelwerkldquo gemaumlszlig der Definition bei Barloumlsius (2011 S 126) verstanden wird und Erlebnis wird bei der bdquoErlebniskuumlcheldquo nun die Wahrnehmung von Speisen undoder Mahlzeiten zum (besonderen) Erlebnis Gemaumlszlig den drei Institutionen von Esskultur (Barloumlsius 2011) kann das Besondere durch die ausgewaumlhlten Nahrungsmittel i d R in Verbindung mit deren Zubereitung undoder uumlber die Mahlzeit erreicht werden

2 Fachdidaktische Uumlberlegungen

21 Abgrenzung von der Alltagskuumlche

Um Alltagskuumlche7 von der bdquoErlebniskuumlcheldquo abzugrenzen muss zunaumlchst festgestellt werden dass hinter den beobachteten Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo eine Profikuuml-che steht Das wird im Umgang mit kommerziellen Erlebnissen (sog bdquoEventsldquo) wichtig da diese von medialen Uumlbersteigerungen leben die weder in der Schule so realisierbar sind noch der Zielsetzung der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ent-sprechen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Uumlber die Abgrenzung der bdquoErlebniskuumlcheldquo von der Alltagskuumlche findet ein Per-spektivwechsel statt Dadurch kann erstens ndash durch den Vergleich ndash erfahrungsba-siertes (Alltags-)Wissen fuumlr den Aufbau fachspezifischer Kompetenzen bedeutsam und zweitens der Blick auf das Alltaumlgliche geschaumlrft werden Die Idee ist uumlber das Besondere den Zugang zum Alltaumlglichen zu bekommen

Wodurch wird bdquoEssenldquo zum Erlebnis Zur Beantwortung dieser Frage muss das Auszligergewoumlhnliche (Erlebnis) vom Gewoumlhnlichen (Alltag) abgegrenzt werden Das bedeutet Alltaumlgliches wird in der Abgrenzung zum Besonderen wahrgenom-men und kann dabei bdquoneuldquo entdeckt analysiert und reflektiert werden

Uumlber das Erlebnis koumlnnen auch Fragen zur Kultur und Technik der Nahrungs-zubereitung sowie Mahlzeitengestaltung herausgefordert sowie das Reflektieren uumlber die entsprechenden Prozesse angestoszligen werden ebenfalls herausgeloumlst aus dem Alltagskontext Funktionsprinzipien (Wie- und Warum-Fragen) koumlnnen inte-ressant werden um zB kuumlchentechnische Effekte zu erzielen (zB Wie entsteht ein Karamellgeschmack) Fertigkeiten und Faumlhigkeiten koumlnnen dabei gefragte fachliche Kompetenzen sein und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermoumlglichen

Intendiert ist ein vertieftes Verstaumlndnis der alltaumlglichen Handlungen dh zum Beispiel zu verstehen dass beim Essen Gemeinschaft (Familie) hergestellt wird oder im genannten Beispiel zu analysieren dass es auf die trockene Hitze beim Karamellisieren ankommt Das fuumlr die Lernprozesse notwendige Fachwissen kann (und sollte) durch die (beratende) Lehrperson und durch entsprechende Materialien bereitgestellt werden

Esskulturelle Bestimmungsgruumlnde der Wahl von Nahrungsmittel koumlnnen dabei ebenso eine Rolle spielen wie naturwissenschaftliche Erklaumlrungen Beispielsweise koumlnnen folgende Fragen wichtig werden Welche Farben lehnen wir bei Lebens-mitteln warum ab Essen wir schwarzen Reis (der im alten China dem Kaiser vor-behalten war) oder lehnen wir ihn ab Warum Wodurch erhalten bdquoSpaghetti al Nero di Seppialdquo ihre schwarze Farbe Fragen zur Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung haumlngen dabei eng zusammen (vgl Methfessel amp Schlegel-Matthies idH)

Die Schaffung eines Erlebnisses uumlber die Situation der Mahlzeit bzw der Dar-bietung der Speisen hat einen hohen Stellenwert in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Was habt ihr wie anders gemacht als im Alltag Was hat euch warum besonders gut gefal-len Welche Lebensmittel sind alltaumlglich Welche sind an besondere Anlaumlsse oder Zeiten gebunden Welche sind wobei undenkbar Auch hier geht es um Alltags-routinen die als solche erkannt werden muumlssen und wiederum auch in ihrer persoumln-lichen und gemeinsamen Bedeutung hinterfragt werden koumlnnen8

22 bdquoLerngeschichtenldquo

Im Ruumlckblick auf die Schulzeit bleiben im Allgemeinen Geschichten in Erinne-rung die oft mit bdquoAha-Erlebnissenldquo verknuumlpft sind So ist auch aus der Erlebnispauml-

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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dagogik bekannt dass erstens Lernprozesse durch Erlebnisse initiiert (motiviert) werden koumlnnen (vgl Schenz 2006) und zweitens durch Erlebnisse Lernen unter-stuumltzt wird (vgl Ebrecht 1998) Das gilt nicht nur fuumlr schulisches sondern auch fuumlr informelles Lernen Die uumlber das Erlebnis zu erreichende Aufmerksamkeit ist als Motivation aus fachdidaktischer Sicht interessant wenn daraus die Lernbereit-schaft zur Auseinandersetzung mit Einzelphaumlnomenen gefoumlrdert werden kann

Allerdings ist ein effekthaschendes Erlebnis an sich noch keine hinreichende Be-gruumlndung fuumlr die fachpraktische Eignung weil dadurch allein kein Kompetenzaufbau gefoumlrdert wird Ersetzen beispielsweise (zeitaufwaumlndige) Kreationen in Anlehnung an die Molekularkuumlche (zB Bubble-Tea) herkoumlmmliche Rezepte aus der Schulkuuml-che kann das zwar unterhaltsam sein und gut ankommen doch ohne weitergehende didaktisch-methodische Uumlberlegungen bleibt es dann auch dabei es ginge uumlber die Unterhaltung die kommerzielle Eventangebote besser realisieren kaum hinaus

23 Sinneserfahrungen

Sinneserfahrungen haben einen prominenten Platz in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Auf-grund der allgemeinen hohen Attraktivitaumlt des Themas ist von Seiten der Schuumlle-rinnen und Schuumller eine latente Offenheit gegenuumlber Neuem zu erwarten (vgl Bartsch 2008) Wird das Gewohnte zB durch veraumlnderte Kontexte oder Verfrem-dung zum Ungewohnten (Bsp Wie schmecken Karotten gedaumlmpft frittiert gegrillt getrocknet etc) kann das Alltaumlgliche interessantes Experimentiergut werden Oder es koumlnnen Geschmackserlebnisse geschaffen werden indem zB Unbekann-tes (Nahrungsmittel) mit Gewohntem (Zubereitungstechniken) gemischt wird Das Erlebnis kann neugierig machen Experimentierfreude wecken den Geschmack-sinn herausfordern und zum Kosten verlocken Aspekte der aumlsthetisch-kulturellen Bildung auf die hier lediglich hingewiesen wird sollten dabei bedacht werden (vgl Heindl 2005) Begleiten positive Emotionen dieses Unterrichtserlebnis wer-den eher Speisen gekostet die vielleicht unter anderen Bedingungen mit Aversion gegessen werden (zB Rosenkohl Fischgerichte) oder gaumlnzlich abgelehnt wuumlrden (vgl Bartsch Methfessel amp Schlegel-Matthies 2006) Auf diese Weise koumlnnen persoumlnliche Sinneserfahrungen ermoumlglicht und thematisiert werden was im Allge-meinen motivierend ist und Neugier und Interesse weckt und im Idealfall zur Voli-tion fuumlhrt

Aus fachdidaktischer Sicht stellt sich daher an dieser Stelle die Frage Wie koumlnnen Sinneserfahrungen zur Sinnesbildung beitragen Beispiel Mit bdquoDinner im Dunkelnldquo werden durch die Ausschaltung des Sehsinns auszligergewoumlhnliche Erleb-nisse in groszliger Perfektion durch kommerzielle Eventveranstalter ermoumlglicht Sin-nesbildung geht daruumlber hinaus So kann das emotionale Erleben Basis fuumlr die Re-flexion werden zB welche Funktionen Bedeutungen haben Sinne fuumlr die Ausbildung einer Esskultur fuumlr die Pruumlfung der Nahrung etc Anders als bei kom-merziellen Angeboten ist hierfuumlr eine perfekte Inszenierung nebensaumlchlich

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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3 Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

31 Erlebnis als Thema in der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die bdquoErlebniskuumlcheldquo als gesellschaftliches Alltagsphaumlnomen fordert den schulischen Unterricht in der Domaumlne Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung mehrfach heraus Perfektion und mediale Uumlbersteigerung fuumlhren haumlufig zu hohen Erwartungen seitens der Jugendlichen und insbesondere in Kombination mit bdquoEdutainmentldquo (Unterhal-tung mit Lernmoumlglichkeiten) vermehrt zu einer Konsumhaltung ndash auch in Unter-richtssituationen in denen die Eigenaktivitaumlt im Vordergrund steht und Selbstwirk-samkeitserfahrungen gemacht werden koumlnnen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

Zunaumlchst ist daher eine Positionierung sinnvoll Unterrichtserlebnisse von Frei-zeiterlebnissen abzugrenzen Ansonsten besteht die Gefahr sich in Inszenierungsde-tails zu verlieren und die fachdidaktische Zielsetzungen zu verfehlen Gleichzeitig lohnt es sich Impulse aus der Erlebnispaumldagogik aufzunehmen um jugendgerechte Zugaumlnge fuumlr die Unterrichtsarbeit zu bekommen ohne sich anzubiedern undoder den Bildungsanspruch aufzugeben (vgl Bartsch 2008) Last but not least koumlnnen Erscheinungsformen der bdquoErlebniskuumlcheldquo im Unterricht einer kritischen Bewertung unterzogen werden um daran exemplarisch Ernaumlhrungstrends und Essmoden zu erarbeiten

32 bdquoErlebnis Unterrichtldquo

Erlebnisse im Unterricht

Uumlber das Besondere kann ein jugendgerechter Zugang gefunden werden um (per-soumlnliche Grenzen uumlberschreitende) Esserlebnisse zu ermoumlglichen Jugendaktionen wie bdquoGut Draufldquo9 arbeiten im Freizeitbereich mit Inszenierungen zu Ernaumlhrung Be-wegung und Entspannung gemaumlszlig dem erlebnispaumldagogischen Ansatz (vgl Mann Schulz amp Streif 2011) Esserlebnisse im sozialen Miteinander bieten in schulischen Unterrichtssituationen einen Mehrwert der im Rahmen des didaktischen Konzepts der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung eine fruchtbare Reflexionsbasis schaffen kann ohne nachtraumlglich die Freude daran zu verderben

So eignet sich die Mahlzeit als eine zentrale Institution der Esskultur (Barloumlsius 2011) gut fuumlr Unterrichtserlebnisse (vgl Mahlzeit als Handlungsprodukte bei Bartsch amp Buumlrkle idH) Uumlber Mahlzeiten wird Gemeinschaft geschaffen die das Lernklima in den Lerngruppen uumlberwiegend positiv beeinflusst In den begleitenden Vor- und Nachbereitungen kann dazu nicht nur Speisen Tischgestaltung und -sitten eingegan-gen werden sondern koumlnnen auch soziale Mechanismen uumlber das Erleben zugaumlnglich gemacht werden um uumlber die (emotionalen) Erfahrungen auch zu reflektieren und im Hinblick auf die heutige Mahlzeitengestaltung zu diskutieren

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Beispiele

bdquoDinnerldquo unter einem Motto Dazu sind verschiedene Szenarien (bdquoAuftischen bei Koumlnigsldquo bdquoMittelalterliches Ge-lageldquoetc) denkbar Handlungsprodukt kann eine Menuumlinszenierung sein bei der die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Rollen (Essende Dienerschaft Kuuml-chenpersonal etc) uumlbernehmen die allerdings einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung beduumlrfen Dazu bietet sich ein faumlcheruumlbergreifender Unterricht an Wettbewerb als Erlebnis Eine weitere Moumlglichkeit ist die Bewertung von Mahlzeiten Fachdidaktisch inte-ressant sind dabei die Bewertungskriterien die zB reflektiert werden koumlnnen hin-sichtlich ihrer Funktion als gesellschaftliche Norm und Distinktionsinstrument Das Erlebnis kann die Gestaltung der Mahlzeit sein moumlglicherweise sind TV-Formate Vorbilder Bleibt es beim bdquoNachmachenldquo ist eine Lernchance vertan Impro-Cooking Mit der Thematik was aus Lebensmittelresten gezaubert werden kann ist ein Wettbewerb verknuumlpft (Baustein 4 des Unterrichtsmoduls bdquoWertschaumlt-zung und Verschwendung von Lebensmittelnldquo)10

Kinofilme oder Lesungen koumlnnen ebenfalls als Erlebnisse (im fachuumlbergreifenden oder bilingualen Unterricht) inszeniert werden Hier gibt es zahlreiche Ausgestal-tungsmoumlglichkeiten zB entsprechend des Formates des bdquoKulinarischen Kinosldquo11 auf der Berlinale koumlnnen diese unter verschiedenen Perspektiven analysiert inszeniert und reflektiert werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo als Unterrichtsthema

Das Phaumlnomen der bdquoErlebniskuumlcheldquo laumldt dazu ein verschiedene Aspekte zu Ernaumlh-rungsmoden zu bearbeiten und eignet sich daher gut als Projektthema Allein der Versuch die Frage zu beantworten wodurch wird Essen oder eine Speise zum Er-lebnis fuumlhrt zu einer Vielzahl von Unterrichtsthemen die bearbeitet werden koumln-nen Vergleichbar mit anderen Konsumbereichen (zB Bekleidung und Musik) folgen auch Esstrends bzw Ernaumlhrungsmoden einem Modezyklus der beispielhaft anhand der Verbreitung von Modegetraumlnken oder bdquoKochmodenldquo (Beispiel Mole-kularkuumlche) erarbeitet werden kann Eine kritische Wuumlrdigung aus fachwissen-schaftlicher Sicht gibt den Jugendlichen einen Rahmen sich eine fachlich begruumln-dete Meinung zu kommerziellen Angeboten zu bilden ohne bevormundet zu werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Ausblick

Die veraumlnderten Lebensbedingungen in Konsumgesellschaften des 21 Jahrhunderts fordern die Schule heraus Bleibt Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ihrem Bil-dungsauftrag treu geht Unterricht nicht mit freizeitorientierten Unterhaltungsange-boten in Konkurrenz Erlebnisse erzeugen Aufmerksamkeit und motivieren zum Mitmachen Die zum Lernen notwendige Volition bedeutet aber auch zielgerichtetes Wollen In Abgrenzung zur bdquoreinenldquo Unterhaltung besteht daher die Staumlrke des Un-terrichts der Sinngebung Die Beschaumlftigung mit paumldagogischen Zugaumlngen uumlber Er-lebnisse ist ein zukuumlnftiges Arbeits- und Forschungsfeld das zu einer zukunftsfaumlhi-gen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung beitragen kann

Anmerkungen 1 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 2 Blogger Tobias auf [httpbloggekonntgekochtdemolekularkueche-2-kochen-als-

kunst] 3 Der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo wurde von Jana Brandstaumldter (2013) im Rahmen ihrer

ersten wissenschaftlichen Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe entwickelt um Moumlglichkeiten des bilingualen Unterrichts in Verbindung mit The-men aus der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung zu verknuumlpfen Impulse fuumlr die-sen Beitrag kommen aus dieser Hausarbeit

4 Zu den Diskussionen um Fernsehen und Ernaumlhrung gibt es zahlreiche Literatur zB bei Roumlssler amp Willhoumlft (2004) Luumlcke Roumlssler amp Willhoumlft (2003)

5 Auf die theoretischen Grundlegungen des Begriffs Emotion wird an dieser Stelle verzichtet Weiterfuumlhrende Grundlagenliteratur zum Emotionsbegriff zB Schmidt‐Atzert (1996) Literatur zu Essen und Emotionen Pudel amp Westenhoumlfer (2003) Macht (2005)

6 Im vorliegenden Beitrag geht es darum das Phaumlnomen bdquoErlebnisldquo im Zusammen-hang mit der bdquoKuumlcheldquo essayhaft im Hinblick auf die Fachdidaktik EVB zu beleuch-ten Einzelne Elemente der Erlebnispaumldagogik sind in diesem Zusammenhang inte-ressant weitergehende Diskussionen darum sind hierfuumlr irrelevant und werden daher nicht ausgefuumlhrt Aus den gleichen Gruumlnden wird hier auch auf weitergehen-de Ausfuumlhrungen zum erfahrungsbezogenen Lernen verzichtet (vgl Scheller 1980)

7 Weiterfuumlhrende Literatur zum Alltagsbegriff Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck)

8 Weitergehende Uumlberlegungen zur Mahlzeit als Zugang zur esskulturellen Aspekten in der Fachpraxis Ernaumlhrung bei Roumlszligler-Hartmann (2012) Essen und Kommunika-tion ist ein zusaumltzlicher Aspekt der in diesem Beitrag ebenfalls nicht vertieft wer-den konnte Literatur dazu bei Heindl amp Plinz-Wittorf (2013)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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9 bdquoGut Draufldquo ist eine Jugendaktion der BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) Weitere Informationen unter [httpswwwgutdraufnet]

10 Siehe [wwwevb-onlinedeschule_materialien_wertschaetzung_uebersichtphp] 11 Weiterfuumlhrende Literatur zu Kulinaristik im Film in Kofahl Froumlhlich und Alberth

(2013)

Literatur

Barloumlsius E (2011) Soziologie des Essens (2 Aufl) Weinheim amp Muumlnchen Juventa Verlag

Bartsch S Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (2006) Pizza Pasta Doumlner Kebab ndash Mittelmeerkost im Alltag deutscher Jugendlicher Historische und soziale Hintergruumlnde Haushalt amp Bildung 83(4) 17-26

Bartsch S (2008) Jugendesskultur Bedeutungen des Essens fuumlr Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup In Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklauml-rung (BZgA) (Hrsg) Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsfoumlrderung Band 30 Koumlln BZgA

Boron B (2005) Erlebnisgastronomie Muumlnchen GRIN Verlag Brandstaumldter J (2013) Die Erlebniskuumlche als Chance fuumlr den bilingualen

Unterricht in der Sekundarstufe I Wissenschaftliche Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe

Ebrecht A (1998) Leben und Erleben - Die Lebensphilosophie um die Wende zum 20 Jahrhundert In T Ruumllcker amp J Oelkers (Hrsg) Politische Reformpaumldagogik (S 261-277) Bern Peter Lang Verlagsgruppe

Fachgruppe REVIS (2005) Bildungsziele und Kompetenzen in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung [wwwernaehrung-und-verbraucherbildungde]

Heindl I (2005) Perspektiven einer aumlsthetisch-kulturellen Ernaumlhrungs- und Ge-sundheitsbildung - Intelligenz in den Sinnen In D von Engelhardt und R Wild (Hrsg) Geschmackskulturen - Vom Dialog der Sinne beim Essen und Trinken (S 262-277) Frankfurt Campus Verlag

Heindl I amp Plinz-Wittorf C (2013) Essen ist reden mit anderen Mitteln - Esskultur Kommunikation Kuumlche Ernaumlhrungsumschau 60(1) 8-15

Lemke H (2007) Ethik des Essens Eine Einfuumlhrung in die Gastrosophie Berlin Akademie Verlag

Luumlcke S Roumlssler P amp Willhoumlft C (2003) Appetitlich verpackt aber schwer zu verdauen Darstellung und Wirkung von Ernaumlhrung in Massenmedien ein For-schungsuumlberblick Medien amp Kommunikationswiss 51(3-4) 407-430

Kofahl D Froumlhlich G amp Alberth L (Hrsg) (2013) Kulinarisches Kino Bielefeld Transcript Film

Macht M (2005) Essen und Emotion Ernaumlhrungs-Umschau 52 (8) 304-308

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Mann R Schulz B amp Streif S (2011) GUT DRAUF ndash zwischen Wissenschaft und Praxis In BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) (Hrsg) Reihe Gesundheitsfoumlrderung konkret Band 15 Koumlln BZgA

Methfessel B Bartsch S amp Roumlszligler-Hartmann M (2001) Zielgruppe Kinder und Jugendliche Bildung Marketing oder Warentest In Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (DGE) Sek Baden-Wuumlrttemberg (Hrsg) Werbung und Ernaumlh-rungsverhalten (S 74-88) Schorndorf DGE Baden-Wuumlrttemberg

Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck) Alltagskultur ndash viel beschworen ndash wenig wissenschaftlich durchdrungen Hauswirtschaft und Wissenschaft 61(4)

Muumlller-Hagedorn L (2011) Handelsmarketing Stuttgart Kohlhammer Ortony A amp Clore GCA (1990) The Cognitive Structure of Emotions

Cambridge Cambridge University Press Pudel V amp Westenhoumlfer J (2003) Ernaumlhrungspsychologie (3 Aufl) Goumlttingen

Toronto Zuumlrich Hofgrefe minus Verlag fuumlr Psychologie Roumlssler P amp Willhoumlft C (2004) Darstellung und Wirkung von

Ernaumlhrungsinformationen im Fernsehen In DGE (Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (Hrsg) Ernaumlhrungsbericht 2004 (S 347-406) Bonn DGE

Roumlszligler-Hartmann M (2012) Esskultur ndash eine zentrale Kategorie der Nahrungszubereitung Haushalt in Bildung amp Forschung 1(4) 99-107

Salzmann R ( 2007) Multidimensionale Erlebnisvermittlung am Point of Sale Wiesbaden Deutscher Universitaumlts-Verlag

Scheller I (1980) Erfahrungsbezogener Unterricht Oldenburg Universitaumlt Oldenburg

Schenz A (2006) Erlebnis und Bildung Karlsruhe Universitaumltsverlag Karlsruhe Schmidt-shy‐Atzert L (1996) Lehrbuch der Emotionspsychologie Stuttgart

Kohlhammer Woll E (1997) Erlebniswelten und Stimmungen in der Anzeigenwerbung

Analyse emotionaler Werbebotschaften Wiesbaden Deutscher Universitaumltverlag

Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch amp Jana Brandstaumldter

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe

Email bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Gastfreundschaft

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Gabriela Leitner

Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft Gastfreundschaft und Gastlichkeit sind kommunikative kulturelle Konzepte die das Zusam-menleben der Menschen historisch und aktuell praumlgen Wie weit diese als ethische Verbind-lichkeit oder konsumatorische Dienstleistung verstanden werden beeinflusst eine Gesell-schaft in politischer und kultureller Hinsicht Die Schule als Ort der Vermittlung und insbesondere der Lernbereich Ernaumlhrung sind gefragt an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mitzuarbeiten

Schluumlsselwoumlrter Gastfreundschaft Gastlichkeit Kuumlche Lernort Ernaumlhrungsbildung

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bdquoAlle Fremden und Ankoumlmmlinge sollen unbeschraumlnkt als Gaumlste aufgenommen werden wo immer sie wollenldquo

Erlass Friedrich II

1 Gastfreundschaft und Gastlichkeit

Der europaumlische Sommer ist gerade mal wieder vorbei Es sind wieder (fast) alle an ihren Platz zuruumlckgekehrt ndash sind nicht mehr Fremde an einem fremden Ort - sind wieder daheim Der Sommer gilt als Jahreszeit der Reiselust als Synonym fuumlr freie Ortswahl oder das Entdecken neuer Landschaften Kulturen Weltanschauungen Geschmacksrichtungen etc als Zeit mal wieder uumlber den Tellerrand zu blicken und die Schoumlnheiten der Welt (als Gast) wahrzunehmen und zu genieszligen

Der heutige Sprachgebrauch des Wortes Gastfreundschaft meint die voruumlberge-hende Aufnahme Bewirtung undoder Beherbergung fuumlr Fremde genauso wie fuumlr Angehoumlrige der jeweiligen eigenen Gruppe Gastfreundschaft sollte ehrlich herz-lich groszligzuumlgig und zumeist wechselseitig erfolgen kann aber auch nur einseitig als echt gelten sie wird haumlufig einer oumlkonomisch bloszlig auf Gewinn abzielenden Gastlichkeit entgegengesetzt (Kayed 2003 S 1)

Echte Gastfreundschaft zu erfahren ist nicht unbedingt selbstverstaumlndlich denn in einer oumlkonomisierten Welt ist auch Gastlichkeit eine Dienstleistung und kann ge-kauft bzw konsumiert werden bdquohellipGastlichkeit liegt allen Ablaumlufen zwischen Be-wirtung und Kundschaft Kuumlche und Gast zugrunde und gehoumlrt insofern zum er-weiterten Gegenstandsbereich einer allgemeinen Theorie und praktischen Philosophie der Esskultur kurz der Gastrosophieldquo (Lemke 2011 S 83) In die-sem Kontext ist der Gast ein Kunde (und Koumlnig) und bezahlt fuumlr die bdquoservile Gast-lichkeitldquo (ebd) Im Wirtschaftsbereich der bdquohospitality industryldquo wird das Vertrau-

Gastfreundschaft

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en welches der Gast seinem Gastgeber entgegenbringt mittels bdquoAuszeichnungenldquo (Sterne oder Aumlhnliches) verbrieft auf der Ebene der Speisen beruumlhrt dieses Thema auch die Nahrungsmittelsicherheit bdquoSie ist angesichts vieler Lebensmittelfaumll-schungen die auf heutzutage wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften aufbauen zu einem herausragenden Thema der oumlffentlichen Aufmerksamkeit ge-wordenldquo (Wierlacher 2011 S 100)

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung unserer Gesellschaften muumlssen traditionelle Kommunikationsformen wie die Gastfreundschaft unter ande-ren Gesichtspunkten uumlberlegt werden

Drei Formen der Gastlichkeit sind zu unterscheiden die anthropologische Form (wir sind alle Gast des Lebens) die politische Form bis hin zum Asyl und die kul-turelle Form die wir praktizieren wenn wir nach kulturell verschiedenen Regeln jemanden zum Essen einladen oder beherbergen Alle drei Formen sind Kultur-muster haben ihre Chancen und ihre Grenzen leiten uns an geben Regeln vor er-oumlffnen Perspektiven produktiven Umgangs miteinander und staumlrken unsere Faumlhig-keit auch dann miteinander zu reden wenn wir nicht der gleichen Ansicht oder Gesinnungsfreunde sind (Wierlacher 2011 S 1)

Der Gast kommt also nicht immer als zahlender oder geladener Gast er kommt auch als Hilfesuchender Asylsuchender Beduumlrftiger1 Diesem Gast Gastfreund-schaft zu erweisen oder nicht kann fuumlr diesen Leben oder Tod bedeuten Ihn abzu-weisen wird von den meisten Religionen und Kulturen abgelehnt es wird daran erinnert dass man selbst in eine derartige Lage kommen koumlnnte bzw dass man sich an Gott selbst vergehen koumlnnte (siehe christliche Herbergssuche) In vorchrist-licher Zeit wurde ein Gastrecht formuliert welches dem Gast zumindest fuumlr drei Tage ohne sachlichen Gegenwert Unterkunft und Verpflegung sicherte (vgl Bahr 1994 S 36)

So stehen wir vor dem zwiespaumlltigen Befund dass die verschiedenen religioumlsen Traditionen an eine urspruumlnglich uumlbermaumlszligige und nicht von vornherein limitierte Gastlichkeit erinnern wohingegen die in rechtliche Anspruumlche transformierte Gast-lichkeit jede Uumlberforderung durch eine unbegrenzte Gastlichkeit auszuschlieszligen sucht (Liebsch 2008 S 68)

Ist Gastlichkeit heute keine ethische Verpflichtung mehr sondern als bdquohospitality managementldquo Teil der Aufgaben internationaler Hotel- und Gastronomiekonzerne

2 Was bedeutet Gastsein

Ein Gast zu sein bedeutet zuallererst fremd zu sein nicht im eigenen Haus oder Land zu sein Die Bedeutung von bdquohostisldquo (lat) oder bdquoxenosldquo (griech) ist ur-spruumlnglich bdquoFremderldquo das Wort kann aber auch Feind bedeuten2 Damit ist die Ambivalenz des Gastseins schon in der urspruumlnglichen Begrifflichkeit vorhanden Der Gast ist an dem Ort an welchem er als Gast auftritt fremd und beduumlrftig eben

Gastfreundschaft

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weil er sich nicht wie in seinem eigenen Haus oder Land verhalten kann Nun ist Fremdheit genau das was wir in unserem bdquoHeimldquo oder bdquoZuhauseldquo uumlblicherweise nicht haben und auch nicht haben wollen Das eigene Heim wird als ein Ort gese-hen an welchem alles bekannt zugehoumlrig und sicher erscheint an welchem bdquoent-hemmte Kommunikationldquo (vgl Luhmann 1990 S 203f) genauso moumlglich ist wie Intimitaumlt Schwaumlche und Ruumlckzug Das Fremde Andersartige bdquostoumlrtldquo das eigene bdquoSo-seinldquo indem dieses durch das bdquoAnders-seinldquo in Frage gestellt wird Der Gast kann demnach durch sein bdquoDa-seinldquo in einem fremden Haus (oikos) oder Land fuumlr die dort zu Hause Seienden durch die Verpflichtung ihn in seiner Beduumlrftigkeit wahrzunehmen und ihm Herberge und Verpflegung zu bieten um sein Mensch Sein anzuerkennen (und das eigene Mensch Sein anzuerkennen)3 zu einer Last einer Belastung ja sogar zu einem Feind werden

Eine absolute unbedingte Gastfreundschaft wuumlrde verlangen dass wie im oben angefuumlhrten Zitat von Friedrich II jedem Unbekannten oder X-beliebigen ein Gast-status zukommen muumlsste

Die absolute Gastfreundschaft erfordert daszlig ich mein Zuhause () oumlffne und nicht nur dem Fremden (hellip) sondern auch dem unbekannten anonymen absolut Ande-ren (eine) Statt gebe (hellip) daszlig ich ihn kommen lasse ihn ankommen und an dem Ort () den ich ihm anbiete Statt haben (hellip) lasse ohne von ihm eine Gegenseitig-keit zu verlangen (hellip) oder ihn nach seinem Namen zu fragen (Derrida 2007 S 27)

In manchen Gegenden der Welt so zB in Wuumlstengebieten im beduinisch-arabischen Raum (vgl Kayed 2003 S2) hat sich historisch aufgrund der Ungast-lichkeit der TopographieGeographie eine unbedingte Gastfreundschaft entwickelt Eine derartige Gastfreundschaft ist in unserer westlichen Gesellschaft die in Nati-onalstaaten funktioniert obwohl wir sehr wohlhabend sind uumlberaus schwierig wenn nicht gar unmoumlglich vorzustellen

Zwischen einem unbedingten Gesetz der Gastfreundschaft oder einem absoluten Wunsch nach Gastfreundschaft auf der einen und einem mit Bedingungen ver-knuumlpften Recht einer mit Bedingungen verknuumlpften Politik oder Ethik auf der an-deren Seite besteht ein Unterschied eine radikale Heterogenitaumlt wenngleich sie auch untrennbar miteinander verknuumlpft sind (Derrida 2007 S105)

Es ist also geboten zumindest eine geregelte bedingte Gastlichkeit zu entwickeln in welcher der Fremde der in der bdquokosmopolitischen Tradition (hellip) ein Recht auf Gastfreundschaft besitztldquo (Derrida 2007 S 28) zuerst nach seinem Namen gefragt wird sein Name macht ihn zu einem Rechtssubjekt zu einer Person die anderswo eine Zugehoumlrigkeit (der Name bdquoals eine(r) Hypothese der Generationenldquo Derrida 2007 S 29) besitzt und mit der man aufgrund dieser Sicherheiten einen bdquoPaktldquo schlieszligen kann (vgl Derrida 2007 S 24ff) Auch auf Reisen ndash international oder national ndash muumlssen wir uns alle mittels eines Identitaumltsnachweises ausweisen unse-ren Namen und unsere Herkunft bekannt geben um als (zahlender meldepflichti-ger) Gast aufgenommen zu werden um als paktfaumlhig im Sinne einer bedingten

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Gastfreundschaft zu gelten bdquoDie eigentliche Gastfreundschaft hat demnach nur noch im Privaten uumlberlebt wohingegen die Beherbergung von Fremden zu einer oumlffentlichen und politischen Angelegenheit geworden istldquo (Liebsch 2008 S 65) bdquoJe mehr der Staat die Gastlichkeit zu seiner Sache gemacht habe und je mehr sie oumlkonomisiert worden sei desto mehr habe sich die eigentliche Gastfreundschaft die rechtliche Regeln und gewerbliche ignorierte ins Private zuruumlckgezogenldquo (Liebsch zitiert HC Peyer ebd)

3 Geladene Gaumlste

Der Begriff des Gastes verweist aber auch darauf dass das Verhaumlltnis zwischen Gastgeber bzw Gastgeberin und Gast nicht wie im herkoumlmmlichen Austausch von Guumltern und Leistungen reziprok ist Beide gesellschaftlichen Rollen ndash Gastgeber Gastgeberin und Gast ndash haben ihre Implikationen und verweisen aufeinander bdquoDoch warum sprach man nie von einem sbquoGast-nehmerlsquo warum ist es der sbquoGast-geberlsquo der den Gast sbquoempfaumlngtlsquo Verweist das nicht darauf daszlig der Gast nicht restlos auf den Tauschenden zuruumlckfuumlhrbar istldquo (Bahr 1994 S 13)

Der Gastgeber die Gastgeberin wird sich fuumlr das Kommen der geladenen Gaumlste bedanken obwohl er (oder sie) in den meisten Faumlllen einen groumlszligeren Aufwand betrieben hat als die Gaumlste und bdquoer stellt sich in den Dienst seines Gastes ohne daszlig () er dadurch zu dessen Herrn wuumlrdeldquo (Bahr 1994 S 12) Der Gast bringt zwar als eine Form des Ausgleichs ein Gastgeschenk mit und betont gegenuumlber dem Gastgeber der Gastgeberin seine dankbare Anerkennung die Beziehung zwi-schen Gast und Gastgeber bzw Gastgeberin bleibt aber unausgeglichen bdquoMan kann daher in einem gastlichen Austausch der die Wechselseitigkeit der gleichen Personen uumlberschritt die erste Form einer allgemeinen Menschlichkeit manifestiert sehenldquo (Bahr 1994 S 35)

Der Gastgeber die Gastgeberin bietet noch viel mehr an als Bewirtung oder voruumlbergehende Behausung ersie bietet den Gaumlsten eine institutionelle Freund-schaft an die Schutz gewaumlhrt und welche eine moumlgliche Ausgeliefertheit an die reine Barmherzigkeit Anderer abwendet (4) bdquoDie Person des Gastfreundes gilt als heilig weil sein Verhaumlltnis als uumlbereinstimmend mit dem des Schutzflehenden aufgefaszligt wirdldquo (Wundt zit in Bahr 1994 S46) Das Interesse des Gastgebers ist es bdquodie Person des Gastes vor der geringsten Verletzung zu bewahren (hellip) jede Spur von Hostilitaumlt auszuschlieszligen als Voraussetzung ungestoumlrten Genieszligensldquo (Bahr 1994 S 49)

Das heiszligt Gastfreundschaft erfuumlllt drei Bedingungen die zum Leben noumltig sind Gaumlste bleiben grundsaumltzlich am Leben (werden nicht getoumltet) ihnen wird materiell beim Uumlberleben geholfen (mit Nahrung Unterkunft und Schutz) und Gastfreund-schaft stiftet und erhaumllt ein soziales Band und traumlgt zum Zusammenleben bei (in-dem Gaumlste zumeist umgekehrt auch ihren Gastgeberinnen und Gastgebern und al-len anderen Gastfreundschaft gewaumlhren werden) Leben ermoumlglichen heiszligt hier

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also mehr als Menschen nur am Leben lassen es heiszligt auch sie naumlhren staumlrken stuumltzen begleiten ihnen Kenntnisse vermitteln und Freude bereiten (Kayed 2003 S 1)

Als Gast genieszligt man die volle Aufmerksamkeit des Gastgebers bezuumlglich der ei-genen Beduumlrfnisse ndash zumindest waumlhrend der Dauer des Gaststatuses Allerdings ist es auch geboten den Gastgeber nicht uumlber die Maszligen zu beanspruchen Gast sein bedeutet auch bdquodie Kunst sich rechtzeitig verabschieden zu koumlnnen ehe man Para-sit zu werden drohtldquo (Bahr 1994 S 44)

bdquoWir waren seit langem Gaumlste der Schoumlpfung und sind es glaube ich immer noch Die Houmlflichkeit unserem Gastgeber gegenuumlber gebietet es daszlig wir fragenldquo (Steiner 2004 S 345) Vielleicht ist es ein spiritueller Gedanke ein Gast auf Erden zu sein Moumlglicherweise wuumlrde es unserer Mitwelt und Umwelt und uns selbst besser bekommen wenn wir unser Da-sein auf diese Art verstehen wuumlrden eben als Gaumlste in der Welt als geladene Gaumlste Welches Gastgeschenk waumlre angesichts unserer Lebendigkeit und der Schoumlnheit der Welt angemessen und wie koumlnnten wir unsere Dankbarkeit aumluszligern

4 Dimensionen der Gastfreundschaft

Zusammenfassend koumlnnen die folgenden Dimensionen der Gastfreundschaft unter-schieden werden Sie kann

bull einseitig oder wechselseitig sein bull offen gegenuumlber allen sein oder bestimmte Personen oder Gruppen aus-

schlieszligen bull geregelt sein (Asylrecht) oder freiwillig bull begrenzt sein (drei Tage) oder unbegrenzt (vgl Kayed 2003 S 2) bull bdquokann nur poetisch seinldquo (Jaques Derrida)

5 Das Gastmahl Gastmaumlhler auf denen der sbquofremde Gastlsquo nicht mehr kannibalisch verzehrt son-dern selbst zum gemeinsamen Verzehr geladen ist stellen insofern noch dessen sbquoEinverleibunglsquo dar als er gleichsam wie ein Kind durch seine Teilnahme an der gleichen Nahrung und Ernaumlhrungsweise zum Mitglied einer Gemeinschaft wird (Bahr 1994 S 157)

In der philosophischen Literatur sind zwei Gastmaumlhler beruumlhmt geworden Das Gastmahl des Trimalchio (Petronius Arbiter in Satyrikon) und Platons Gastmahl In beiden Erzaumlhlungen oder Gleichnissen wird das Mahl halten zu einer Aussage die weit uumlber die Banalitaumlt des Hunger Stillens hinausgeht

Trimalchio ein freigelassener Sklave moumlchte seinen neu gewonnenen Status als reicher gebildeter Mann durch eine opulente Einladung zu einem Festessen mit

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literarischen akrobatischen musikalischen und theatralischen Darbietungen der suumlditalienischen Gesellschaft kommunizieren

Auf einer Platte wird ein enormes Wildschwein hereingetragen bedeckt mit der phrygischen Freiheitsmuumltze an den Hauern zwei Koumlrbchen mit Datteln An dem Tier liegen wie an seinen Eutern kleine Schweinchen aus Kuchenteig Zum Tran-chieren erscheint ein baumlrtiger Kerl in Jagdkleidung stoumlszligt dem Schwein einen Hirschfaumlnger in die Flanke Aus den sbquoWundenlsquo fliegen Drosseln heraus die ein Vogelfaumlnger wieder einfaumlngt (Bahr 1994S 160)

Die Speisenfolge ist ebenso ungewoumlhnlich als die Darbietung der Speisen tatsaumlch-lich aber wird durch die Inszenierung nur der schlechte Geschmack und die Halb-bildung des Trimalchio sichtbar er erreicht also genau das Gegenteil dessen was er beabsichtigt hat als Gastgeber seinen hohen Status zu Schau zu stellen alles in den Schatten zu stellen was vorher an Festlichkeiten geboten wurde

Geschmack klassifiziert ndash nicht zuletzt den der die Klassifikationen vornimmt Die sozialen Subjekte Klassifizierende die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede die sie zwi-schen schoumln und haumlsslich fein und vulgaumlr machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdruumlckt oder verraumlt (Bourdieu 1982 S 25)

Pierre Bourdieu macht deutlich dass der Geschmack immer das Ergebnis sozialer Zugehoumlrigkeit ist man somit anhand der Artefakte und Inszenierungen des Habi-tus feststellen kann welcher Schicht man zugehoumlrig ist Es kann demzufolge Tri-malchio gar nicht gelingen das bdquosomatisierte Klassenbewuszligtseinldquo (Sloterdijk 2009 S284) zu uumlberwinden

bdquoZwischen dem Eszligbaren und Uneszligbaren zwischen der Einverleibung und der Ausscheidung berichtet die Erzaumlhlung von einem Mahl das sich ohne sbquoGastlich-keitlsquo nur selber verzehrt haumltteldquo (Bahr 1994 S 174)

In der Erzaumlhlung von Petronius Arbiter wird aufgezeigt dass der Gastgeber mit seiner Einladung auch uumlbertreiben kann und sich damit selbst aber auch die Gaumlste der Laumlcherlichkeit preisgibt Ausufernde Dekoration zur Farce verkommene Spei-sen und uumlberladene Portionen und Darbietungen wirken der Gastfreundschaft ent-gegen Die Gaumlste des Trimalchio werden instrumentalisiert nicht um ihretwillen findet das Mahl statt und nicht um einen sozialen Zusammenhalt zu generieren sondern nur um zu protzen Gastfreundschaft gebietet auch eine Angemessenheit welche weder den Gast beschaumlmt noch den Gastgeber

Platons Gastmahl (Gastmahl griech Symposion) hingegen ist eine Siegesfeier Die Geladenen sind allesamt Freunde und berichten einander von ihrer Auffassung bezuumlglich Liebe und Leidenschaft (Eros) Es ist mehr ein Trinkgelage und eine Gelegenheit zu Wort zu kommen als ein Essen und fuumlhrt schlieszliglich dazu dass eine der wenigen weiblichen Rollen in Platons Werk Diotima (indirekt) zu Wort kommt Sie ist nicht leibhaftig anwesend in der Gruppe der allesamt maumlnnlichen Freunde wird von Sokrates zitiert und bekommt dadurch noch deutlicher den Sta-tus des Anderen Fremden Nichtgeladenen

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Das Zusammenkommen zum gemeinsamen Mahl wird in diesem Werk als Moumlglichkeit zum Philosophieren gesehen Nicht zufaumlllig waumlhlt Platon das Thema bdquoLiebeldquo (im Sinne von Eros) fuumlr das Gastmahl und ebenso durchdacht ist es dass eine Frau die Hauptrednerin ist Gemeinsames Mahlhalten verstaumlrkt die Beziehung der Geladenen untereinander die waumlhrenddessen genau dieses Thema (im weites-ten Sinn) eroumlrtern

Gastmaumlhler finden auch in der Populaumlrkultur immer wieder ihren Niederschlag beispielsweise in dem daumlnischen Spielfilm bdquoBabettes Festldquo (Oscar 1988) oder den als Tabubruch geltenden franzoumlsisch-italienischen Film bdquoDas groszlige Fressenldquo (1973)

Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird ist abhaumlngig von den Kultur-kreisen der Lebensgemeinschaften ist Ausdrucksmittel der Menschen und dient der symbolischen Kommunikation Dieses spiegelt sich in Gerichten Rezepten und Ritualen wider und dient als individuelles und gemeinschaftliches Verstaumlndi-gungsmittel Kuumlchen sind bis heute Orte dieses Geschehens durch sie wird die Be-friedigung des Beduumlrfnisses nach Nahrung zu einem kulturellen System (Barloumlsi-us 1999 zit in Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies S 195)

Gemeinsames Essen soviel ist sicher schafft Zugehoumlrigkeit und damit ein Ein- und Ausschlieszligungsmilieu in welchem es fraglich ist wer als Gast zugelassen bzw eingeladen und wer ausgeschlossen wird Diese Dynamik wird auch in Maumlr-chen verwendet um die Kraumlnkung der Ausgeschlossenheit und deren Folgen zu beschreiben Die dreizehnte Fee bei Dornroumlschen raumlcht sich schlieszliglich dafuumlr dass sie nicht eingeladen worden ist

6 Die (Schul-)Kuumlche als Ort der Gastfreundschaft

Betrachtet man das bisher Gesagte so koumlnnen wir feststellen dass Gastfreund-schaft fuumlr uns Menschen in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll ist Sie gibt uns die Sicherheit in einer ungastlichen Welt bzw in unsicheren Zeiten bei anderen Ruumlckhalt zu finden Umgekehrt uumlbernehmen wir auch Verantwortung fuumlr andere Beides staumlrkt den sozialen Zusammenhalt und die soziale Zugehoumlrigkeit was wie-derum die Lebensqualitaumlt verbessert oder sogar lebenserhaltend wirken kann Da sich die Gastfreundschaft jedoch historisch betrachtet von einer allgemeinen ethi-schen Verpflichtung jedes Menschen gegenuumlber jedem anderen Menschen fortent-wickelt hat und ein Groszligteil der diesbezuumlglichen Verpflichtung vom Staat uumlber-nommen wird ist der Anspruch des Teilens voumlllig in den Bereich des Privaten uumlbergegangen So ist der Akt des konkreten Teilens der Lebensressourcen Essen und Wohnen mit Menschen auszligerhalb des eigenen Familienkreises kaum mehr erfahrbar

Hier tritt der eigentliche Anknuumlpfungspunkt fuumlr die gesamte Thematik zutage Erfahrungen mit Gastfreundschaft koumlnnen uumlber das gemeinsame Essen aller (Mit-

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glieder einer Schulklasse oder Kochgruppe) in den Schulkuumlchen als Orte der Zube-reitung und des Geschehens selbst gemacht werden So wie das Essen selbst vom wilden fremden womoumlglich gefaumlhrlichen Rohzustand (Natur) durch putzen schauml-len kochen etc in einer Kuumlche in eine essbare Speise (Kultur) uumlbergefuumlhrt werden muss so wird auch der Verzehr der Speisen durch kulturelle Bedingungen und Regeln ritualisiert Dies ist auch bedeutsam wenn Gastfreundschaft gelernt werden soll denn auch diese kulturelle Leistung setzt soziales Wissen und Handeln voraus Wer die Rolle des Gastgebers der Gastgeberin bzw der Gaumlste uumlbernimmt und welche Implikationen daraus folgen ist dabei ebenso erfahrbar wie die Angemes-senheit einer Mahlzeit oder entsprechende Tischsitten

Die Aufnahme und der Genuss von Nahrung haben auch regressive Aspekte und so vermittelt Essen uumlblicherweise Emotionen der Geborgenheit Zuversicht des Aufgehoben- und Angenommenseins also das Gegenteil dessen was im Kapi-tel 2 als Fremdsein und Ausgeschlossensein beschrieben wurde Welche Bedin-gungen vonnoumlten sind um eine solche Mahlzeit fuumlr alle teilnehmenden Personen zu gestalten sollte ua Gegenstand der Ernaumlhrungsbildung als Kulturbildung sein

Ein Gast wird eine Mahlzeit auch dann als gastfreundlich empfinden wenn seine kulturellen weltanschaulichen gesundheitsbezogenen undoder geschmack-lichen Beduumlrfnisse und Vorlieben beruumlcksichtigt werden In einer multikulturellen (postmodernen) Welt ist es daher angebracht dass sich die regionalen Kuumlchen gegenuumlber diesen Anspruumlchen oumlffnen unter dem Aspekt der Fremdheit des Ande-ren (zT Interkulturalitaumlt) neue Variationen entwickeln bzw sich insgesamt einer kritischen Pruumlfung unterziehen Dabei geht es nicht um Aufgabe der gewachsenen kulinarischen Identitaumlt sondern um Ausweitung der gustatorischen sensorischen und produktorientierten Moumlglichkeiten um auch fuumlr spezielle Anspruumlche (Vegeta-rismus Veganismus Diaumltkuumlche kulturelle und religioumlse Vielfalt etc) Angebote zu machen Regionalitaumlt in Bezug auf Produkte und Produktionsweisen als quasi-ethische Forderung fuumlr das Paradigma der Nachhaltigkeit ist dabei nicht in Frage gestellt die regionalen Kuumlchentraditionen jedoch schon So findet man beispiels-weise in vielen Restaurants mit oumlsterreichischer Kuumlche schwerlich vegane oder koschere Speisen bestimmte Zutaten die eine Speisenwahl moumlglich oder unmoumlg-lich fuumlr spezielle Gruppen machen (zB Speck im Krautsalat) werden nicht ausge-wiesen etc

Um einem Gast Gastfreundschaft zu gewaumlhren ist es also notwendig nicht nur wie oben beschrieben nach seinem Namen zu fragen sondern daruumlber hinaus in diskreter und ruumlcksichtsvoller Manier nach seinen Lebensgewohnheiten Ableh-nungen Vorlieben und diese entsprechend kulinarisch umzusetzen Dies ist im Rahmen des Schulunterrichts in den Fachpraktischen Uumlbungen anwendbar berei-chert die fachlichen Inputs durch einen moumlglichen persoumlnlichen Bedeutungsgehalt fuumlr bestimmte Schuumllerinnen und Schuumller ndash oder auf der Ebene der Hochschule fuumlr die Studierenden ndash und eroumlffnet fuumlr alle neue Perspektiven

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Die private Kuumlche aber auch die Schulkuumlche sind Orte an welchen Ge-schmackserfahrungen moumlglich gemacht werden koumlnnen die sichern herausfordern Anspruumlche konkretisieren und Perspektiven eroumlffnen Ebenso verhaumllt es sich mit Tischsitten bdquodos and don`tsldquo in der Zubereitung und Praumlsentation Das Lernpoten-tial in Bezug auf die Thematik der Gastfreundschaft fuumlr Kinder und Jugendliche ist enorm einerseits weil Essen als konkrete unmittelbare primaumlre Lebenserfahrung lustvoll erlebt wird ebenso wie die handwerkliche Zubereitung und bdquoWerkschaf-fungldquo andererseits weil in Kuumlchen und Schulkuumlchen zumeist auch fuumlr andere ge-kocht wird Die Erfahrung der taumltigen Fuumlrsorge der hingewendeten Sorge um und Aufmerksamkeit fuumlr Andere ermoumlglicht ndash anders als bei vielem was in der Schule gelernt wird ndash den Erwerb sozialer Kompetenz auf einer direkten Ebene

Zwar dient das Essen unter dem Aspekt der Nutrition allein der Erhaltung des ei-genen Koumlrpers zugleich ermoumlglicht es aber die Oumlffnung zu den Anderen indem es die formale Voraussetzung fuumlr die Atmosphaumlre der Gastlichkeit bildet Man fuumlhrt die gleichen Bewegungen aus wie die anderen man erhaumllt seinen (Hervorhebung dd Autor) Koumlrper mit Speisen durch die auch die Koumlrper der Anderen (Hervorhe-bung d d Autor) erhalten werden Man wendet sich dem Tischnachbarn zu Diese Gemeinsamkeiten ermoumlglichen eine konfliktfreie Kommunikation (Duumlcker 2011 S 76)

Indem eine Speise auf eine bestimmte Art und Weise hergestellt wird spezielle Zutaten verwendet werden und sie in einem kulturellen Rahmen praumlsentiert einver-leibt und genossen wird kann die eigene Fremdheit und die Fremdheit des Ande-ren erkannt und oder sichtbar werden

Eine methodische Aufbereitung der Vermittlung dieser Inhalte reicht von der Ausrichtung (interkultureller) Feste uumlber die Erstellung von Ernaumlhrungsbiographien bis hin zu Verkostungen Rezeptentwuumlrfen Filmanalysen Literaturrecherchen und (Lied-) Textanalysen Das Thema Gast und Gastfreundschaft ist in allen Kuumlnsten verbreitet5

Der Themenkomplex der Gastfreundschaft ist zu umfangreich und vielschich-tig um ihm in der Kuumlrze der vorhandenen Moumlglichkeiten gerecht zu werden Die Leserinnen und Leser sind gebeten dies zu beruumlcksichtigen Eine Erhellung der Thematik und der Zusammenhaumlnge mit der Ernaumlhrungsbildung in der Fachpraxis ist hoffentlich trotzdem gelungen

Anmerkungen 1 bdquoLaut UNHCR dem UNO-Fluumlchtlingshilfswerk sind weltweit mehr als 20 Milli-

onen Frauen Maumlnner und Kinder grenzuumlberschreitend auf der Flucht gleichzeitig gibt es mehr als 20 Millionen sogenannte Binnenvertriebene die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind Sie alle fliehen vor Krieg Verfolgung Unter-druumlckung Gewalt Folter Naturkatastrophen von Menschen zerstoumlrter Umwelt Elend Armut Hunger ndash sie suchen Lebenldquo (Kayed 2003 S 2)

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2 franzoumlsisch hospitaliteacute Gastfreundschaft franzoumlsisch hostiliteacute Feindschaft 3 Emmanuel Levinas erachtet die Gastfreundschaft als etwas das uns grundsaumltzlich

uumlberhaupt zu Menschen macht bdquoIch bin fuumlr den Anderen verantwortlich ohne mich um seine Verantwortung fuumlr mich zu kuumlmmern uneigennuumltzig und nicht aus Selbsterhaltung Die Verantwortung ist kein bloszliges Attribut sondern die grundle-gende Struktur der Subjektivitaumlt Gastfreundschaft ist nicht eine von vielen Hand-lungsweisen fuumlr die oder gegen die ein Mensch sich entschieden werden kann [sic] Gastfreundschaft ist vielmehr das was das Menschsein ausmacht nicht wechselseitig im Tausch sein sondern den Anderen als Anderen leben lassenldquo (Kayed 2003 S 3)

4 In der Novelle von Albert Camus bdquoDer Gastldquo (spielt in Algerien waumlhrend der franzoumlsischen Besetzung) wird dem im algerischen Exil lebenden Lehrer Daru ein gefangener Araber der seinen eigenen Cousin getoumltet hat von einem franzoumlsi-schen Polizisten in Gewahrsam gegeben Daru laumlsst dem bdquoGastldquo nach schwerwie-genden Uumlberlegungen die Freiheit zur Flucht Der Araber aber bleibt und geht (freiwillig) ins Gefaumlngnis Von der Sippe des Arabers wird Daru bedroht weil er ihren Bruder scheinbar ausgeliefert hat

5 Lied von Arik Brauer (oumlsterreichischer Liedermacher der mit dem Fahrrad halb Europa und Israel erradelt hat) 4 Strophe bdquoFohr weg min Radl drah mi ned um I fohr weg min Radl und drah mi nimma um I kumm in a Araberzelt da waschns mir die Fuumlszlig und sing i ans von Schubert Franz da kochns mir an Grieszlig nur am dritten Tag werns grantig do bleibt der Teller leer do stirdlns ma im Rucksack um und spieln sich mitn Gwehr

Literatur

Bahr HD (1994) Die Sprache des Gastes Eine Metaethik Leipzig Reclam Barloumlsius E (1999) Soziologie des Essens Eine sozial- und kulturwissenschaftli-

che Einfuumlhrung in die Ernaumlhrungsforschung Weinheim und Muumlnchen Juven-ta zit in Heindl Methfessel Schlegel-Matthies Ernaumlhrungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer bdquokulinarischen Vernunftldquo In Ploumlger Hirsch-felder amp Schoumlnberger (Hrsg) (2011) Die Zukunft auf dem Tisch Wiesbaden Springer

Bourdieu P (1982) Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft Frankfurt am Main Suhrkamp

Derrida J (2007) Von der Gastfreundschaft (2 Aufl) Wien Passagen Duumlcker B (2011) Ritualitaumltsformen von Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg)

Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf Kayed C (2003) Gastfreundschaft und Philosophie

[wwwstoryguideatGastfreundschaft-Artikelpdf]

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Lemke H (2011) Philosophie der Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg) Gast-lichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Liebsch B (2008) Fuumlr eine Kultur der Gastlichkeit Muumlnchen Karl Alber Luhmann N (1990) Sozialsystem Familie In N Luhmann N Soziologische

Aufklaumlrung (Bd 5 Konstruktivistische Perspektiven) OpladenWestdeutscher Verlag

Sloterdijk P (2009) Du musst dein Leben aumlndern Frankfurt am Main Suhrkamp Steiner G (2004) Grammatik der Schoumlpfung Muumlnchen DTV Wierlacher A (2011) Aumlsthetik der Gastlichkeit oder der muumlndige Gast In A

Wierlacher (Hrsg) Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Verfasserin

Gabriela Leitner

Paumldagogische Hochschule Oberoumlsterreich Fachbereich Ernaumlhrung Humanwissenschaften

Kaplanhofstraszlige 40 A-4020 Linz

E-Mail gabrielaleitnerph-ooeat

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Brigitte Mutz

Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz Die Betriebskuumlche ndash Ort der Zubereitung in der Gemeinschaftsverpflegung1- soll vor allem ein Lernort der Selbstkompetenzen als auch der Sozialkompetenzen sein Hauptaugenmerk soll auf die Ausbildung und Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz gelegt werden Die besondere Bedeutung liegt dabei auf der Entwicklung von Empathie die sich auf das Zu-sammenleben der Menschen im Wesentlichen auswirkt

Schluumlsselwoumlrter Betriebskuumlche Selbstkompetenz Sozialkompetenz Qualitaumltsstandards Gemeinschaftsverpflegung nachhaltige Verpflegung

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1 Einleitung

Wesentliches Ausbildungsziel einer berufsbildenden mittleren und houmlheren Schule fuumlr wirtschaftliche Berufe ist es dass Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind ihr Fachwissen nicht nur durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern das erworbene Fachwissen in realen persoumlnlichen und beruflichen Herausforderungen einzusetzen vermoumlgen Schuumllerinnen und Schuumller machen unmit-telbar nach der Schule bzw waumlhrend ihrer Ausbildung ein Praktikum in der Gastro-nomie Um Jugendliche auf die Anforderungen der Arbeitswelt bestmoumlglich vorzu-bereiten ihre Persoumlnlichkeit zu staumlrken um Belastungen durch das soziale Umfeld leichter zu verkraften bedarf es einer Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenzen Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung kann diese Foumlrderung stattfinden denn Schuumllerinnen und Schuumller kochen im Rahmen ihres Unterrichts in der Betriebskuumlche der eigenen Schule oder im Rahmen ihres Pflichtpraktikums in anderen Einrichtun-gen wie Gastronomie und Hotellerie

2 Die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in Oumlsterreich

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fuumlhren zu einer steigen-den Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in der Ernaumlhrung weiterer Bevoumllke-rungsschichten der Gesellschaft Neben berufstaumltigen Erwachsenen werden auch Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Berufstaumltigkeit von Eltern oft schon in einem sehr fruumlhen Alter auszliger Haus versorgt Dazu kommen in Wohneinrichtun-

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gen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Kranken-haumlusern die durch Gemeinschaftsverpflegungsdienste versorgt werden

Betriebe der Auszliger-Haus-Verpflegung tragen somit nicht nur in steigendem Ma-szlige Verantwortung fuumlr die Gesundheit der Essensgaumlste sondern auch fuumlr Wirtschaft Gesellschaft und Umwelt Dies hat folgenden Grund Zum einen nehmen sie uumlber die Auswahl der Lebensmittel Einfluss auf eine bestimmte Art der Erzeugung Verarbei-tung und Vermarktung mit den jeweiligen oumlkonomischen sozialen und oumlkologischen Folgen Zum anderen nutzen sie bei der Zubereitung der Lebensmittel zu Speisen direkt und indirekt die Guumlter der Natur Diese Erkenntnis bildet die Grundlage fuumlr die Forderung nach einer nachhaltigen bzw zukunftsfaumlhigen Wirtschaftsfuumlhrung in Be-trieben der Auszliger-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung muss sich weiterentwickeln Weg von der vor-herrschenden Menuumlgestaltung die von unausgewogener Ernaumlhrung gepraumlgt ist hin zu ausgewogener Speiseplangestaltung die sich vor allem an den Beduumlrfnissen ihrer Gaumlste orientiert Gesunde Ernaumlhrung muss bereits im Kindergarten ansetzen und sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche und - abschnitte ziehen Die Gemein-schaftsverpflegung hat dabei eine unterstuumltzende Rolle und sollte ein gutes Vorbild sein

Um diese Wandlung in der Gemeinschaftsverpflegung voranzutreiben und um kuumlnftig einen gewissen Mindeststandard hinsichtlich Qualitaumlt sichern zu koumlnnen ist es notwendig Richtlinien zu definieren und Grenzen festzulegen

Rund 18 Millionen Menschen darunter 380000 Kinder und Rund 70000 Senio-ren und Seniorinnen nutzen taumlglich das Speisenangebot oumlsterreichischer Groszligkuumlchen (Toumlscher 2011)

21 Auszliger-Haus-Konsum

Aufgrund von veraumlnderten zeitlichen und persoumlnlichen Umstaumlnden greifen Konsu-mentinnen und Konsumenten vermehrt auf Essen auszliger Haus zuruumlck Laut einer Online-Umfrage an 501 Personen (repraumlsentativ fuumlr Oumlsterreicherinnen und Oumlsterrei-cher ab 15 Jahren) isst die oumlsterreichische Bevoumllkerung regelmaumlszligig zu 24 in Kan-tinen zu 21 in Restaurants und zu 16 in Fast-Food-Lokalen das Mittagessen wird immer haumlufiger auszliger Haus verzehrt (Bundesministerium fuumlr Land- und Forst-wirtschaft Umwelt und Wasserwirtschaft 2010)

Neben dem Konsum von Speisen in Restaurants Imbissbuden Fast-Food-Lokalen und aumlhnlichem nimmt die Gemeinschaftsverpflegung einen immer wichti-geren Stellenwert in der Bewirtung der Bevoumllkerung ein Berufstaumltige Erwachsene in betreuten Wohneinrichtungen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Krankenhaumlusern werden von Gemeinschaftsverpflegungsdiensten versorgt Durch die steigende Berufstaumltigkeit der Frauen essen auch vermehrt Kinder auszliger Haus zB in Kindergaumlrten Schulbuffets Horten etc (Elmadfa et al 2012)

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22 Gastgewerbe

Unter der Bezeichnung Gastgewerbe werden alle Dienstleistungen fuumlr den Gast ver-standen welche im Zusammenhang mit Verpflegung und Beherbergung stehen (sie-he Abbildung 1)

Abb 1 Die Gemeinschaftsgastronomie im Gesamtkontext des Auszliger-Haus-Konsums

(Quelle Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Das Gastgewerbe kann in vier Sparten unterteilt werden o Gastronomie (Gemeinschaftsgastronomie Individualgastronomie) o Transport mit Verpflegung (Flugzeug Schiff) o Beherbergung mit Verpflegung (Hotel Jugendherberge) o Beherbergung ohne Verpflegung (Motel)

23 Gastronomie

Der Bereich Gastronomie laumlsst sich wiederum in die Gemeinschaftsgastronomie und die Individualgastronomie unterteilen Der Begriff Individualgastronomie umfasst alle kommerziellen Einzelgastronomiebetriebe mit wechselnder Kundschaft wie zB Restaurants Cafeacutes Bars Take-away- und Fast-Food-Lokale sowie Event-Catering Party-Service etc

Die Taumltigkeitsfelder der Gemeinschaftsgastronomie sind die Bereiche Betriebs- und Personalverpflegung Spital- und Heimverpflegung und Verpflegung im Erzie-

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hungs- und Bildungssektor Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen das Angebot entweder als Teilverpflegung (Kindergaumlrten Schulen) oder Vollverpfle-gung (Internate Seniorenwohnheime Strafvollzugsanstalten etc) in Anspruch (vgl Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Die Individualgastronomie kann auch mit der Gemeinschaftsgastronomie ver-knuumlpft sein wenn zB Einzelgastronomiebetriebe taumlglich Speisen an Unternehmen oder Kindergaumlrten liefern

24 Gemeinschaftsverpflegung (GV)

Die Definition fuumlr bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo laut oumlsterreichischem Ernaumlhrungsbe-richt 2012 lautet bdquoEine im Preis limitierte Verpflegung eines begrenzten Personen-kreises an einem Ort an dem ein laumlngerer Aufenthalt dieser Personen aus organisato-rischen Gruumlnden erforderlich istldquo (Elmadfa Freisling Nowak amp Hofstaumldter 2009)

bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo im Sinne der Groszligkuumlchen-Leitlinie ist bdquoDie regel-maumlszligige Versorgung einer grundsaumltzlich konstanten Personengruppe mit Speisen im Rahmen eines laumlngerfristigen Auftragesldquo (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

Allgemeine Kennzeichen fuumlr die Gemeinschaftsgastronomie-verpflegung sind o Die Konsumentinnen und Konsumenten haben verschiedene Aufenthaltsformen in

der InstitutionEinrichtung (zB Bewohner Arbeitspersonal) o Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen regelmaumlszligig ein gastronomisches

Angebot in derselben InstitutionEinrichtung in Anspruch o Je nach Verpflegungssystem (zB Mischkuumlche Tiefkuumlhlsystem Cook-and-Chill2

oder Warmverpflegung) sind verschiedene Akteure an der Produktion und Bereit-stellung des Speisenangebots beteiligt

o Die Verpflegungsleistung kann entweder durch Eigenregie (Spitalskuumlchen) oder durch externe Betriebe (Catering-Unternehmen im Geschaumlftsfeld Gemeinschafts-gastronomie) erbracht werden

o Ein Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb hat als erstrangiges Ziel die Verpflegung der Personengruppen sicher zu stellen nachrangig ist die Erwirtschaftung von Gewin-nen (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

3 Der Unterschied von Selbst- und Sozialkompetenz

Die uumlberarbeiteten kompetenzbasierten Lehrplaumlne der Houmlheren Lehranstalten fuumlr Wirtschaftliche Berufe und Fachschulen sind in Entwurf und treten voraussichtlich im Jahr 2014 in oumlsterreichischen Schulen in Kraft Laut allgemeinen Bildungszielen werden Absolventinnen und Absolventen zu folgenden Kompetenzen befaumlhigt Fachkompetenz Methodenkompetenz Medienkompetenz soziale und personale Kompetenz kommunikative Kompetenz und emotionale Kompetenz

Kompetenzen sind Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zur Bewaumlltigung komplexer Problemstellungen Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen

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zum Handlungsvollzug Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Faumlhigkei-ten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus (vgl Beer amp Benischek 2011 S 9)

Die Selbstkompetenz (auch personale Kompetenz) beschreibt den Umgang des oder der Einzelnen mit sich selbst Die Selbstkompetenz bildet die Basis fuumlr die Entwicklung der Sozialkompetenz Nur ein Mensch der sich uumlber sich selber im Klaren ist und mit sich selbst wertschaumltzend umgehen kann wird ein solches Verhal-ten auch bei seinen Mitmenschen zeigen (vgl Strasser Osinger amp Sburny 2001 S 60ff)

Selbstkompetenz setzt sich aus fuumlnf Bausteinen zusammen Alle fuumlnf Bausteine sind notwendig um die Persoumlnlichkeitsentwicklung der Schuumllerinnen und Schuumller zu unterstuumltzen und zu foumlrdern

o Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sich selbst wertzuschaumltzen auf die selbst erbrachte Leistung stolz sein fuumlr ein selbstsicheres Auftreten ist die Faumlhigkeit sich ein Bild uumlber seine eigenen Gefuumlhle Staumlrken Schwaumlchen Grenzen und Verhal-tensmuster machen zu koumlnnen sehr wichtig

o Selbstverantwortung und Selbststeuerungsfaumlhigkeit Verantwortung fuumlr sich selbst uumlbernehmen aber auch fuumlr andere seine Gefuumlhle kennen und steuern koumlnnen

o Eigeninitiative sich selbst motivieren koumlnnen freiwilliges Engagement zeigen und aktiv mitarbeiten koumlnnen

o Flexibilitaumlt gewohntes Denken Verhalten und Einstellungen zu hinterfragen um fuumlr neue Ansichten oder Werte offen zu sein

o Belastbarkeit und Durchsetzungsvermoumlgen Umgang mit Stress Aumlrger und Frustra-tion (Giessen 2009)

Tab 1 Emotionale Intelligenz-Theorie (Quelle vgl Giessen 2009 S 23)

Ich Selbstkompetenz

Andere Sozialkompetenz

Erkennen Selbstbewusstsein uuml Emotionales Selbstbewusst-

sein uuml Korrekte Selbstbeurteilung uuml Selbstvertrauen

Sozialbewusstsein uuml Empathie uuml Dienstleistungsorientierung uuml Organisationsbewusstsein

Lenken Selbstmanagement uuml Selbstkontrolle uuml Vertrauenswuumlrdigkeit uuml Gewissenhaftigkeit uuml Anpassungsfaumlhigkeit uuml Erfolgsorientierung uuml Entschlusskraft

Beziehungsmanagement uuml Einfluss uuml Kommunikationskompetenz uuml Konfliktmanagement uuml Fuumlhrungskompetenz uuml Innovationen ermoumlglichen uuml Vertrauens erweckend uuml Teamwork Zusammenarbeit

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Bei der Sozialkompetenz steht eine Person in der Interaktion mit anderen Personen im Mittelpunkt Zentraler Punkt dieser Faumlhigkeit ist mit sich und seinem Umfeld zurechtzukommen Soziale Kompetenz fordert aber einige Grundvoraussetzungen an die eigene Person Unterstuumltzend wirken zum Beispiel ein gesundes Maszlig an Selbst-wertgefuumlhl und Selbstvertrauen Eigenverantwortung und Selbstdisziplin (vgl Adler 2012 S 21ff)

Gaisbacher und Pongratz beschreiben die Sozialkompetenz als wichtiges Hilfs-mittel um sowohl privaten als auch beruflichen Erfolg gewaumlhrleisten zu koumlnnen Mit Menschen zu kommunizieren sich in ein Team einzufuumlgen und zusammenzuarbei-ten ist bereits fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller in ihrem alltaumlglichen Umfeld von groszliger Bedeutung Spaumlter kommen Faumlhigkeiten wie uumlberzeugendes Argumentieren und Praumlsentieren hinzu Sozial kompetent zu sein bedeutet sich sowohl in privaten als auch beruflichen Konfliktsituationen uumlber das eigene Handeln bewusst zu sein und eine angemessene Loumlsung zur Konfliktbewaumlltigung finden zu koumlnnen (Gaisbacher amp Pongratz 2012)

Fuumlr Lernende ist es in der heutigen Zeit von groszliger Bedeutung ihr Wissen nicht durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern es in realen per-soumlnlichen und beruflichen Herausforderungen zu nutzen Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet die Schuumllerinnen und Schuumller in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihnen dabei zu helfen ihre Staumlrken zu finden und diese zu festigen Die Jugendlichen sollen sich am Unterrichtsgeschehen aktiv beteiligen und in kon-kreten Lernsituationen selbststaumlndig Lern- und Loumlsungswege finden Lernende sollen durch Interaktionen mit anderen Personen Kompetenzen ausbilden

4 Die Bedeutung des Unterrichts in der Betriebskuumlche auf die Selbst- und Sozialkompetenz von Jugendlichen

Es gibt eine Reihe von Modellen und Moumlglichkeiten die Sozial- und Selbstkompe-tenz auszubilden beziehungsweise zu foumlrdern Bei dem von der Autorin angefuumlhrten Modell liegt der Schwerpunkt auf der Selbstwahrnehmung das heiszligt der Umgang mit eigenen Gefuumlhlen der Wahrnehmung eigener Staumlrken und Schwaumlchen und der Faumlhigkeiten zur Selbstmotivation Ruumlcksichtnahme Akzeptanz und Mitgefuumlhl sind Voraussetzung fuumlr ein friedliches Zusammensein Der bewusste Umgang mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend fuumlr ein sozial kompetentes Verhalten Das sagt auch schon J Bauer in seinem Buch bdquoPrinzip Menschlichkeitldquo bdquoDie staumlrkste und beste Droge fuumlr den Menschen ist der andere Menschldquo (Bauer 2008 S 54)

bdquoSoziales Lernen resultiert zum einen aus der absichtlichen gezielten Foumlrderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung (Sozialerziehung) zum anderen aber auch aus dem taumlglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernenldquo (Keller amp Hafner 2003 S 9) Schuumllerinnen und Schuumller lernen unbewusst durch Beobachten bzw Nachah-

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men von ihren Eltern Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch ihre Mitschuumllerin-nen und Mitschuumller

5 Umsetzung im Unterricht Arbeiten im Team ndash Unterricht in der Betriebskuumlche

Der Methodeneinsatz zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz kann nur er-folgreich sein wenn die Voraussetzungen der Klasse mit den Voraussetzungen fuumlr die Umsetzung der Methode uumlbereinstimmen Dieser Grundsatz bedeutet dass nicht jeder Methodeneinsatz immer in jeder Klasse erfolgreich sein kann Es geht vielmehr darum den Schuumllerinnen und Schuumllern unterschiedliche Wege und Moumlglichkeiten vorzustellen wie sie kompetenzorientierte Faumlhigkeiten ausbilden koumlnnen (vgl BMUKK 2011 S 12f)

Um die Komplexitaumlt der Bildungsstandards vereinfacht darzustellen wurden kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele entworfen In den Unterrichtsbeispielen wird die Anwendung des Kompetenzmodells und der Deskriptoren illustriert Um den aktuellen Anforderungen der Unterrichtsplanung gerecht zu werden wurde das Kompetenzmodell fuumlr soziale und personale Kompetenz des Bundesministeriums fuumlr Unterricht Kunst und Kultur in die Entwicklung des vorliegenden Unterrichtsbei-spiels herangezogen und als Hilfestellung fuumlr alle Lehrerinnen und Lehrer gedacht (vgl BMUKK 2012 S 5f)

Im Folgenden wird ein Auszug eines Unterrichtsbeispiels mit dem Thema bdquoDas Arbeiten im Teamldquo vorgestellt Der methodische Ansatz dient zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz der Jugendlichen Im Sinne des kompetenzorientierten Zuganges wurde als Erarbeitungsform das kooperative Lernen2 gewaumlhlt Die Lernen-den sind mit dieser Methode bereits vertraut und haben damit schon positive Erfah-rung gemacht Dies wurde aus fruumlheren Reflexionsphasen evaluiert

In einer Vorbereitungsphase planen die Lernenden im Team die Unterrichtsse-quenz in der Betriebskuumlche Sie bekommen dafuumlr die notwendigen Unterlagen Ziel ist es das die Lernenden selbststaumlndig die Arbeiten aufteilen die Arbeitsschritte detailliert ausarbeiten und in der Unterrichtseinheit umsetzen Die Schuumllerinnen und Schuumller geben einander Hilfestellungen Je besser die Lernenden zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstuumltzen desto besser wird auch das Ergebnis sein In der folgenden Aufgabenstellung bekommen die Schuumllerinnen und Schuumller genaue Erlaumlu-terungen fuumlr die Arbeitsaufgabe und das Stundenziel

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Tab 2 Arbeiten im Team Aufgabenstellung und Erlaumluterungen fuumlr Lernende (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011)

AUFGABENSTELLUNG UND ERLAumlUTERUNGEN ndash LERNENDE

Ausgangssituation Die Aufgabenstellungen die in der Unterrichtseinheit in der Betriebskuumlche zu bewaumlltigen sind koumlnnen im Wesentlichen in folgende Teilbereiche gegliedert werden

1 Vorbereitungsphase Studieren der bereitgestellten Unterlagen Wiederholen der wesentlichen the-oretischen Lehrinhalte wie zB Zubereitungsarten Verteilen der Aufgaben auf die Teammitglieder Erstellen eines Arbeitsplans mit Arbeitsschritten verteilt auf Teammitglieder und Betriebsmittel ge-naue Zeiteinteilung fuumlr die Durchfuumlhrungsphase (incl Mise en place Praktische Arbeit wie Zuberei-tungszeit Essensausgabe und Nacharbeit)

2 eventuelle Ruumlckfragen bei Lehrerin (kann entfallen) 3 Durchfuumlhrungsphase (Mise en place Praktische Arbeit Nacharbeit) 4 Ergebniskontrolle und Feedbackphase (Selbst- und Gruppenreflexion)

Sie erhalten fuumlr die Unterrichtseinheit (mindestens 1 Woche vor dem Unterricht) Rezepte Einkaufszettel und genaue Personenanzahl Je besser die Teammitglieder zusammenarbeiten desto effizienter und ergebnisorientierter kann die Unter-richtseinheit durchgefuumlhrt und die praktische Arbeit bewaumlltigt werden Aufgabenstellung Sie fuumlhren mit Ihren Mitschuumllerinnen in Teams 4 ndash 5 Personen in der Betriebskuumlche gemeinsam eine Unter-richtseinheit durch Sie erhalten dafuumlr eine praktische Aufgabenstellung die Rezepte ev Schwerpunktsetzung Zeiten fuumlr Essensausgabe genaue Personenanzahl in der Betriebskuumlche Der Inhalt wird Ihnen in einer Vorbesprechung von demder Lehrerin erlaumlutert und enthaumllt im Wesentlichen die oben angefuumlhrten Teilaufgaben Im Rahmen Ihrer Vorbereitung muumlssen Sie die notwendigen Arbeitsschritte erkennen und innerhalb Ihres Teams aufteilen Zusaumltzlich werden Sie Regeln erfolgreicher Teamarbeit versuchen anzuwenden Abschlieszligend reflektieren Sie die Einhaltung der Regeln und Ihre Zusammenarbeit im Team Vorgangsweise

Schritt 1 Besprechen Sie als Teil der Vorbereitung in Ihrem Team den Unterrichtsverlauf und fuumlhren Sie die notwendige Zuordnung der notwendigen Teilaufgaben durch Beruumlcksichtigen Sie dabei die indi-viduellen Faumlhigkeiten der einzelnen Teammitglieder Versuchen Sie im gemeinsamen Gespraumlch einen Konsens zu finden Wiederholen Sie auch die Regeln erfolgreicher Teamarbeit die Sie mit Ihrer Lehrerin in der Klasse erarbeitet haben Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 2 Am Beginn der Unterrichtseinheit bespricht Ihr Team mit demder Lehrerin die fachlichen In-halte Zuordnung der Arbeitsaufgaben auf die einzelnen Teammitglieder und zeitlichen Rahmen Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 3 Waumlhrend der Unterrichtseinheit versuchen Sie und Ihre Teammitglieder die Ihnen zugeordne-ten Teilaufgaben so gut wie moumlglich zu erledigen gegenseitige Unterstuumltzung ist dabei sinnvoll und fuumlhrt zu besseren Ergebnissen Zusaumltzlich versuchen Sie Ihre Regeln erfolgreicher Teamarbeit umzusetzen Kontrollieren Sie vor der Essensausgabe im Team Ihre Ergebnisse Setzen Sie eventuell Verbesserungs-vorschlaumlge um Zeitbedarf in Abhaumlngigkeit der Unterrichtseinheit

Schritt 4 Vor Ende der Unterrichtseinheit fuumlllt jedes Teammitglied das Feedbackblatt aus und in einer Abschlussbesprechung mit demder Lehrerin eroumlrtern Sie gemeinsam die wesentlichen Ergebnisse und die Zusammenarbeit im Team Zeitbedarf ca 10 ndash 15 min

GUTES GELINGEN IM TEAM SIND SIE STARK

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Fuumlr ein erfolgreiches Arbeiten sollten zu Beginn Teamregeln definiert werden Als Beispiel kann das angefuumlhrte Arbeitsblatt dienen Tab 3 Arbeiten im Team Arbeitsblatt Teamregeln (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash

Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011) ARBEITSBLATT bdquoTEAMREGELNldquo

Regeln fuumlr erfolgreiche Teamarbeit Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Arbeits- und Verhaltensregeln die wesentlich zum Erfolg der gemeinsamen Arbeit beitragen

Verwenden Sie dabei die folgende Vorgangsweise

1 Jedes Teammitglied notiert zunaumlchst einzeln fuumlr sich die ihm persoumlnlich wichtigsten fuumlnf Regeln fuumlr eine erfolgreiche Teamarbeit

2 Anschlieszligend werden diese im Team besprochen und eventuell durch Nachfragen eroumlrtert 3 Bestimmen Sie nun gemeinsam mit Ihrem Team die acht wesentlichen Regeln fuumlr erfolgreiche

Teamarbeit Dies sollte nach intensiver Diskussion und auf demokratische Weise geschehen 4 Praumlsentieren Sie nun Ihre Teamregeln in der Klasse Gemeinsam mit demder Lehrerin und den

Mitschuumllerinnen einigen Sie sich anschlieszligend auf zehn Regeln die verbindlich in allen Teams eingefuumlhrt werden sollen

5 Versuchen Sie die beschlossenen Regeln im Rahmen Ihrer Teamarbeit bei den Unterrichtseinheiten in der Betriebskuumlche einzuhalten

Meine persoumlnlichen fuumlnf Teamregeln

Die acht Teamregeln unseres Teams

Die zehn Teamregeln in unserer Klasse

In einer abschlieszligenden Besprechung nach der Unterrichtseinheit wird von den Ler-nenden ein Feedbackbogen ausgefuumlllt im Team besprochen und Verbesserungsvor-schlaumlge ausgesprochen

6 Fazit

Abschlieszligend laumlsst sich sagen dass mit Hilfe des theoretischen Fachwissens klar erkennbar wird dass nur ein Mensch der seine eigene Identitaumlt gefunden hat seine Persoumlnlichkeit akzeptiert und wertschaumltzt in der Lage ist ein solches Verhalten auch seinen Mitmenschen gegenuumlber zu zeigen Mit Hilfe des beschriebenen Unterrichts-entwurfes bdquoArbeiten im Team in der Betriebskuumlcheldquo konnte aufgezeigt werden welche Moumlglichkeiten bereits vorhanden sind um eine Foumlrderung von Selbst- und Sozialkompetenz durchzufuumlhren Eine zentrale Funktion der Lehrkraumlfte sollte sein jene Kompetenzen zu foumlrdern welche es den Jugendlichen ermoumlglichen sowohl selb-staumlndig als in Zusammenarbeit mit anderen Menschen effektiv und mit Freude zu arbeiten

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Anmerkungen 1 bdquoVersorgung bestimmter Verbrauchergruppen mit Speisen und Getraumlnken oft uumlber

einen laumlngeren Zeitraum und regelmaumlszligig waumlhrend der Anwesenheit in Betrieben Gesundheitseinrichtungen Schulen Heimen Kindergaumlrten Kasernen usw Die Versorgung kann sich auf einzelne Mahlzeiten (zB Schuumllerspeisung) oder alle Ta-gesmahlzeiten (zB in Krankenhaumlusern) erstreckenldquo (Zobel 2000 S 133)

2 bdquoDidaktische Strategie mit dem Ziel alle Lernenden ertragsorientiert in den Unter-richt zu integrieren kombiniert mit dem dazu geeigneten Methodenrepertoireldquo (Mattes 2011 S 20f)

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Verfasserin

Brigitte Mutz

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung

Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien

E-Mail brigittemutzphwienacat Internet wwwphwienacat

Ernaumlhrungskompetenz

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Sigrid Kuumlstler

Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen In den berufsbildenden Schulen treffen auf dem Gebiet der Ernaumlhrungsbildung zwei Lernorte aufeinander der theoretische Unterricht Ernaumlhrung (Lernort Klassenzimmer) und der fach-praktische Unterricht (Lernort Schul- bzw Betriebskuumlche) Es soll aufgezeigt werden wie Ernaumlhrungskompetenz in diesen beiden Lernorten entwickelt werden kann

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Ernaumlhrungskompetenz Empowerment Handlungsfauml-higkeit Selbststaumlndigkeit

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1 Bedarfsgerechtes Ernaumlhrungsverhalten ermoumlglichen

Das Problem dem Menschen in nahezu allen Lebensbereichen gegenuumlberstehen ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln Als Beispiele seien hier das Umwelt- Ernaumlhrung- und Sportverhalten genannt Fuumlr alle diese Lebensbereiche gilt das Glei-che Wir wissen zwar wie es theoretisch ginge das heiszligt wir verfuumlgen uumlber das entsprechende fachliche Know-how aber leider handeln wir nur in wenigen Faumlllen auch entsprechend Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Fach-bereiche beschaumlftigen sich mit diesem Phaumlnomen Waumlhrend Biologen und Biologin-nen der Frage nachgehen bdquoWie kommt man vom Umweltwissen zum Umwelthan-delnldquo ist die ernaumlhrungsrelevante Frage bdquoWie kommt man vom Ernaumlhrungswissen zur Ernaumlhrungskompetenzldquo

Grau amp Legutke (2013) sehen den Lernort Klassenzimmer als Kernzone fuumlr das Erlernen von fremdsprachlicher Kompetenz Gleiches muss auch fuumlr den Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz gelten Die Kernzone Klassenzimmer wird in oumlsterreichischen berufsbildenden Schulen durch den Lernort Schulkuumlche erweitert So koumlnnen die ernaumlhrungsbildenden Kompetenzen die im oumlsterreichischen Referenzrahmen fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbrauchbildung formuliert wurden in beiden Lernorten verankert und trainiert werden Der vorliegende Artikel versucht dies an den beiden Kompe-tenzen bdquoEB 1 Das eigene Essverhalten reflektieren und bewertenldquo und bdquoEB 2 sich vollwertig ernaumlhren koumlnnenldquo (Buchner amp Schuh 2009 S 8) zu verdeutlichen Die Frage die sich stellt ist wie diese beiden innerschulischen Lernorte auch primaumlre Lernorte genannt (vgl Thomas 2009) die Entwicklung der Ernaumlhrungskompetenz von Lernenden foumlrdern koumlnnen Die zwei Lernorte schaffen ideale Voraussetzungen um bei entsprechender Lernbereitschaft der Lernenden sowohl kognitive als auch operationale Kompetenzen zu erwerben bzw weiterzuentwickeln in anderen Worten die Handlungsfaumlhigkeit der Lernenden anzubahnen

Ernaumlhrungskompetenz

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Um Schuumller und Schuumllerinnen zu handlungsfaumlhigen Akteuren zu erziehen brau-chen sie im Unterricht konkrete Handlungsanlaumlsse Diese koumlnnen im geschuumltzten Rahmen dem Lernort umgesetzt geuumlbt und letztlich reflektiert werden Peterszligen (2001) definiert Handlungsfaumlhigkeit wie folgt bdquoAls handlungsfaumlhig gilt wer imstan-de ist selbststaumlndig mit moumlglichst vielen Situationen fertig zu werden in die sein Leben ihn hineinfuumlhrt weil er die darin vorfindbaren Probleme eigenstaumlndig zu loumlsen faumlhig istldquo (S 10) Handlungsfaumlhigkeit ist fuumlr Peterszligen ein ganzheitlich-integratives Konzept dass sich aus der Schnittmenge von fundierter Sach- Sozial- Moral- und Methodenkompetenz ergibt1

Ziel des Ernaumlhrungs- und Kuumlchenfuumlhrungsunterrichtes muss diese Handlungsfauml-higkeit bzw der Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz sein Im Vorwort des aid-Tagungsbandes Du isst wie du bist Ernaumlhrungskompetenz ist Lebenskompetenz fasst Buumlning-Fesel Ernaumlhrungskompetenz wie folgt zusammen

Ernaumlhrungskompetenz [ist] die Faumlhigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Ernaumlhrungsalltag in ein angemessenes Handeln umzusetzen zum Beispiel im Sinne einer gesunden und nachhaltigen Ernaumlhrung (Buumlning-Fesel 2011 S 6)

Das Umsetzen der erworbenen Faumlhigkeiten das Entwickeln von Kompetenzen muss also im Fokus des Unterrichts stehen Im Sprachunterricht orientiert man sich zur Erfuumlllung dieser Aufgabe am handlungsorientierten Unterricht (task-based teaching) So werden im primaumlren Lernort Klassenzimmer Alltagssituationen kreiert sogenann-te bdquotasksldquo (Aufgabenstellungen) gegeben die so realitaumltsnah wie moumlglich geuumlbt wer-den Eine Vielzahl der verwendeten Sprachschulbuumlcher erleichtert diese Form des Sprachunterrichts maszliggeblich

Da sich der Groszligteil der Ernaumlhrungspaumldagoginnen und -paumldagogen auf das Schulbuch stuumltzt wird hier der Frage nachgegangen inwiefern das Konzept des Han-delnlernens in diversen inter-nationalen Ernaumlhrungslehre-Schulbuumlchern verankert ist Eine Analyse des an den berufsbildenden Schulen verwendeten Schulbuchs Er-naumlhrung ndash bewusst ndash aktuell ndash lebensnah (Reischl et al 2009) zeigt auf dass der rein kognitive Wissenserwerb im Vordergrund steht Handlungsanlaumlsse bzw hand-lungsorientiertes Lernen spielen eine untergeordnete Rolle Zu Beginn jedes Kapitels werden Ziele formuliert die nur Operatoren (zB Bescheid wissen kennen erlaumlu-tern erklaumlren etc) aus dem Bereich der kognitiven Ebene bedienen Aumlhnliches gilt fuumlr die Rubrik Arbeitsaufgaben Auch hier zielen die Arbeitsaufgaben darauf ab Kognitionsfragen zu beantworten So zB bdquoIn welche Gruppen werden Kohlenhydra-te eingeteilt Worin besteht der Unterschied zwischen den einzelnen Artenldquo (S 36) Im gesamten Schulbuch findet sich ein Rollenspiel in Form einer Ernaumlhrungsbera-tungssituation zum Thema Kleinkindernaumlhrung (S 238)

Handlungsanleitungen oder Vorschlaumlge fuumlr Projekte wie sie zB in Richters (2009) Kreativ Ernaumlhrung entdecken Usus sind oder die Rubrik bdquoUnd jetzt Sieldquo in de Groot amp Farhadis (2007) Schulbuch In Sachen Ernaumlhrung in der es neben Kogni-tionsaufgaben auch Anwendungsaufgaben (zB Fallbeispiele wie etwa zum The-

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menbereich Salmonellose S 313) zu loumlsen gibt finden sich auch in anderen oumlsterrei-chischen Pendants Richtige Ernaumlhrung (Linder amp Robitza 2003) oder Gesundheit und Ernaumlhrung (Knapp et al 2009) noch nicht Eine Erweiterung im Bereich Hand-lungsorientierung in den oumlsterreichischen Schulbuumlchern waumlre wuumlnschenswert um so eine bessere Ernaumlhrungskompetenz bei den Lernenden zu erzielen

Moumlglichkeiten die Ernaumlhrungskompetenz der Lernenden zu foumlrdern werden bei Strotkamp aufgelistet bdquoexemplarisches Lehren und Lernen schuumllerInnenorientiert [sic] handlungsorientiert Wissenschaft dient als Informationsgeberin (Orientie-rungs- und Entscheidungshilfen) konkretes Ausprobieren handelnd lernen Alltags-bezug [sic]ldquo (Strotkamp 2002 S 189)

Um Ernaumlhrungskompetenz zu ermoumlglichen bedarf es auch einer gezielten Aus-einandersetzung mit dem Begriff des Empowerments Duumlr (2008) bringt den Termi-nus folgendermaszligen auf den Punkt

Der Begriff des Empowerments steht in gewisser Weise fuumlr das Paradox Individuen dazu zu bringen von sich aus so zu leben zu denken und zu handeln wie es mit den anspruchsvoller werdenden Bedingungen der Gesellschaft vereinbar ist ohne dabei Herrschaft Macht und Zwang ausuumlben zu muumlssen bzw sich in die Gestaltung der sozialen Systeme und der Gesellschaft insgesamt aktiv in einer Weise einzubringen dass diese zugleich gegenuumlber individuellen Einfluumlssen und Stoumlrungen paradoxer-weise resistenter werden (Duumlr 2008 S 11)

Bevor gezeigt wird wie ein Zusammenspiel von Ernaumlhrungskompetenz Handlungs-orientierung und Empowerment im Ernaumlhrungsunterricht aussehen kann wird im folgenden Kapitel das Augenmerk auf die eingangs beschriebene Diskrepanz zwi-schen Handeln und Wissen gelegt

2 Theorien zum nicht-stattfindenden Wissenstransfer

Aumlhnlich wie die biologiedidaktische steht auch die ernaumlhrungsdidaktische Forschung vor demselben Problem Obwohl das theoretische Wissen bei der Bevoumllkerung vor-handen ist mangelt es an der praktischen Umsetzung bzw am Wissenstransfer Die-ses Dilemma wird in zahlreichen Studien aus dem naturwissenschaftlichen sowie dem Publich Health-orientierten Bereich aufgezeigt Dieses Phaumlnomen des Nicht-uumlbertragens von vorhandenem Wissen des Ungenutztlassens von Erlerntem wurde 1929 von Whitehead als traumlges Wissen (inert knowledge) bezeichnet (vgl Renkl 1996) In seinem Artikel fasst Renkl drei Erklaumlrungsmoumlglichkeiten fuumlr diese Wis-sens-Handels-Diskrepanz zusammen

a) Metaprozesserklaumlrung Diese Theorie geht davon aus dass es zu keiner Nutzung des existierenden Wissens kommt weil die sogenannten me-takognitiven Steuerungsprozesse mangelhaft sind

Ernaumlhrungskompetenz

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b) Strukturdefiziterklaumlrung Hierbei geht man davon aus dass das eigentliche Wissen luumlckenhaft bzw nicht ausreichend ist um es entsprechend anwen-den zu koumlnnen

c) Situiertheitserklaumlrung Diese Theorie geht von der Situiertheit des Wissens aus und kritisiert somit auch die Ansaumltze der Kognitionspsychologie zur Thematik Wissen und Transfer (vgl Renkl 1996 S 84-87)

Um schlieszliglich anwendbares Wissen zu erlangen wird mithilfe von Modellen des situierten Lernens (zB kognitive Lehre verankerte Instruktion und Kognitive Flexibilitaumlt) im Unterricht gearbeitet bdquoAls Gemeinsamkeit dieser Ansaumltze kann hervorgehoben werden daszlig [sic] an komplexen authentischen oder zumindest realitaumltsnahen Problemstellungen gelernt wird (problemorientiertes Lernen)ldquo (Renkl 1996 S 87) Wissen werde so bereits im Anwendungskontext erarbeitet und somit auf bdquobestimmte Anwendungsbedingungen hin konditionalisiertldquo (S 88) Dieses anwendungsorientierte Lernen soll auch durch kooperatives Vorgehen in der Klasse gestuumltzt werden da bdquobei den Modellen des situierten Lernens der Sozi-alaspekt betont und Lernen als Enkulturation aufgefaszligt [sic]ldquo (S 88) wird

Wie ein entsprechend situiertes Lernarrangement im Ernaumlhrungsunterricht aus-sehen koumlnnte soll hier skizziert werden Die Themen des situierten Lernarrange-ments sind die Naumlhrwertberechnung und der Umgang mit Naumlhrstofftabellen Im Schulbuch wird ein fiktives Berechnungsbeispiel angegeben Eine vorgegebene Menge Haferflocken Apfel und Joghurt sind zu berechnen Der Arbeitsauftrag lautet bdquoWie viel Energie hat dieses Muumlslildquo Die Schuumller und Schuumllerinnen berech-nen rein mechanisch und haben beim naumlchsten Mal wieder vergessen wie sie den Energiewert berechnen koumlnnen

Eine handlungsorientierte und zugleich kooperative Moumlglichkeit die die kogni-tive Ebene mit der operationalen Ebene verbindet sieht folgendermaszligen aus

Den Lernenden wird in Kleingruppen ermoumlglicht sich selbst ihr Muumlsli zusam-menzustellen Die entsprechenden Ingredienzen stehen zur Verfuumlgung und duumlrfen frei gewaumlhlt abgewogen und in eine entsprechende Tabelle eingetragen werden Schlieszliglich wird der Energiegehalt der eigenen realen Muumlsliportion berechnet Die Schuumller und Schuumllerinnen werden angehalten den Energiegehalt ihrer Portion mit den Empfehlungen der DGE zu vergleichen wenn noumltig werden innerhalb der Gruppen Veraumlnderungen vorgenommen bzw Verbesserungs-vorschlaumlge gemacht

Neben der Zurverfuumlgungstellung von Muumlsliingredienzien (Orientierungshilfe) und dem Auswaumlhlen (sich entscheiden) dem Berechnen (Kognition) dem Abglei-chen von Ist- und Soll-Zufuhr am konkreten Beispiel (Reflexion) und dem Erbrin-gen von Verbesserungsvorschlaumlgen (Ernaumlhrungskommunikation -beratung) finden wichtige praktische Taumltigkeiten (Herstellung des Muumlslis Anrichten) statt Die ge-meinsame Verkostung (soziales Setting und sensorische Bewertung) schlieszligt diese Einheit ab Dieses konkrete Unterrichtsbeispiel veranschaulicht wie Wissenser-werb Empowerment und Ernaumlhrungskompetenz Hand in Hand gehen

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3 Handlungstheorien und ihre didaktische Umsetzung

Im Zusammenhang mit Ernaumlhrungsbildung und Gesundheitsfoumlrderung in der Schule muss sich die Ernaumlhrungsdidaktik auch mit Handlungstheorien bzw der Handlungs-psychologie auseinandersetzen Die fuumlr diesen Artikel ausgewaumlhlten Theorien wer-den kurz umrissen Die Auswahl dieser Theorien erfolgt aufgrund ihrer ernaumlhrungs-didaktischen Tauglichkeit

Was versteht die Wissenschaft unter Handeln Der Neurobiologe Roth (2003) versteht unter Handeln bdquodas Verfolgen von Zielen genauer den Versuch Wuumlnsche Plaumlne und Absichten in die Tat umzusetzen Handeln unterscheidet sich hierdurch vom bloszligen Reagieren auf bestimmte Sinnesreize jenes wird uumlberwiegend intern dieses uumlberwiegend extern bestimmtldquo (S 472) Ein wichtiger Aspekt um ein Ziel zu erreichen ist die Willensanstrengung2 Roth erlaumlutert die Erkenntnisse der Hand-lungs- und Volitionspsychologie und geht in diesem Zusammenhang auf Heckhau-sen ein und benennt fuumlnf Phasen des Handelns

(1) die realitaumltsorientierte Motivationsphase (2) die Intentionsbildung (3) realisie-rungsorientierte praumlaktionale Phase (4) die aktionale Volitions- bzw Handlungs-phase und (5) die postaktionale Phase die das Erzielte bewertet und fuumlr spaumltere Handlungen beruumlcksichtigt (Roth S 476)

Um den Jugendlichen bei der Planung ihres Trinkverhaltens zu helfen wurde fol-gendes Beispiel von ihnen erarbeitet Tab 1 Planungsschritte fuumlr das Trinkverhalten

Phasen Teilaspekte ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Phase 1 Was Trinkverhalten verbessern

Phase 2 Wie Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch bereithalten

Phase 3 amp 4 das Handeln Wasser trinken und im Trinkprotokoll die entspre-chenden Portionen festhalten

Phase 5 das Bewerten Was ist gut gelaufen Was muss ich verbessern

Eine Theorie die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Einstellungen und Ver-halten auseinandersetzt ist Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens Ajzen erforscht ebenfalls Phasen im Handeln Laut Graf (2007) haben Ajzen und Fishbein unter anderem folgende vier Aspekte fuumlr diverse Haltungen sowie fuumlr das Verhalten for-muliert den Handlungs- Ziel- Kontext- und Zeitaspekt Nachfolgend eine Tabelle die diese vier Teilaspekte des Handelns auf das Ernaumlhrungsverhalten uumlbertraumlgt

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Tab 2 Beschreibung der Einstellungs- und Verhaltensperspektiven

Aspekte Fragen (lt Graf S 34) ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Handlungsaspekt Welches Verhalten soll ausgefuumlhrt oder unterlassen werden

morgen kein Dessert essen

Zielaspekt Welches Ziel hat das Verhalten morgen nicht naschen

Kontextaspekt In welchem Kontext steht das Verhal-ten

Gehe ich morgen essen oder koche ich selbst

Zeitaspekt Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zeitrahmen soll das Verhalten ausge-fuumlhrt werden

einen Tag lang nichts naschen od gaumlnzlich darauf verzichten

Fuumlr die Ernaumlhrungsbildung in der Schule koumlnnen diese beiden Tabellen zB zur Nachbesprechung in der Reflexionsphase eines Essverhaltensprotokolls (vgl Heindl 2003 S 75) herangezogen werden Heindl fuumlhrt zB als Methode der Gesundheits-bildung bdquoEssgewohnheiten ndash Die Spirale der Veraumlnderungldquo an (vgl Heindl 2003 S 77)

Abb 1 Essgewohnheiten ndash Spirale der Veraumlnderung (nach Heindl 2003 S 77) Um den Lehrenden bei der Spirale der Veraumlnderung weiterzuhelfen haben die in Tabelle 1 und 2 angefuumlhrten Aspekte gute Dienste geleistet da dem Groszligteil der Jugendlichen nicht bewusst ist aus welchen Komponenten sich ihr Handeln zusam-mensetzen kann

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4 Handlungsorientiertes Lernen und Ernaumlhrungsbildung

Um Lernende moumlglichst wirklichkeitsnahe handeln zu lassen wurde der handlungs-orientierte Unterricht entwickelt Laut Bender (2013) trifft man ihn im Lernfeld Er-naumlhrung haumlufig an Peterszligen (2001) formuliert zum Thema handlungsorientiertes Lernen3 sehr plakativ bdquoWer Handlungsfaumlhigkeit will muss handeln lassenldquo (S 142) Fuumlr ihn bedeutet Handlungsorientierung dass Lernende die Faumlhigkeit besitzen ihr bdquoeigenes Handeln intellektuell regulieren zu koumlnnenldquo (S 142) Er fordert weiter dass die Lernenden bdquoihr Handeln von A bis Z [hellip] selbstaumlndig steuernldquo (S 145) muumls-sen damit sie das Erziehungsziel Selbstaumlndigkeit4 erreichen koumlnnen Aumlhnlich wie Heckhausen oder auch Ajzen sieht Peterszligen Handeln in Dimensionen unterteilt Er stuumltzt sich auf das Modell des vollstaumlndigen Handelns von Hacker dieses unterteilt sich wie folgt Planen Ausfuumlhren und Kontrollieren Peterszligen kreiert sein didakti-sches Modell des handlungsorientierten Lernens in Anlehnung an das des vollstaumlndi-gen Handelns (vgl Abb 2)

Abb 2 Didaktisches Modell vollstaumlndigen Handelns (Quelle Peterszligen 2001 S 145) Fuumlr den ernaumlhrungsbildenden Unterricht kann dieses Modell wie folgt in die Praxis umgesetzt werden In der HLW19 Straszligergasse wurde in den letzten drei Jahren das Projekt bdquoGesunde Jauseldquo gestartet Die Intentionen sind erstens auf die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden Einfluss zu nehmen zweitens beiden Gruppen Orien-tierungshilfen zu bieten und drittens die Zubereitungskompetenz der Schuumllerinnen und Schuumller bezuumlglich der Herstellung von einfachen bedarfsgerechten sowie naumlhr-stoffdichten Snacks in den schuleigenen Kuumlchen zu foumlrdern Dieser Zugang bedingt

Ernaumlhrungskompetenz

101

eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Faumlchern Ernaumlhrung und Kuuml-chenfuumlhrung einerseits Er erfordert aber auch andererseits dass die Lernenden typi-sche Nahrungszubereitungsmethoden gezielt uumlben naumlhrstoffdichte Snacks erkennen und gemaumlszlig den Hygienevorschriften herstellen sowie im Team arbeiten koumlnnen Neben der fachlichen Kompetenz werden auch die Methodenkompetenz und die personalensozialen Kompetenzen trainiert Im konkreten Fall wird dargestellt wie die Lernenden bei der Auswahl und Herstellung von bedarfsgerechten Snacks unter-stuumltzt werden um dann entsprechend handeln zu koumlnnen Die Schritte die an der HLW19 gesetzt wurden sind

a) Produktion von naumlhrstoffdichten Pausensnacks (Kochkompetenz) b) Verkauf und Beratung der Snacks in der Schulaula (Beratungskompetenz) c) Marketing durch Schuumllerinnen und Schuumller d) Konsum und Bewertung dieser Snacks durch Schuumllerinnen und Schuumller

Um die Lernenden zum Handeln zu motivieren brauchen sie im Unterricht konkrete Anlaumlsse die sie im geschuumltzten Rahmen umsetzen uumlben und reflektieren koumlnnen Das 6-stufige didaktische Modell von Peterszligen stand Pate fuumlr die folgende Vorge-hensweise Das Thema im Ernaumlhrungsunterricht ist die bdquoGesunde Jauseldquo und unter-stuumltzt somit das obenerwaumlhnte Projekt Buumlnning-Fesels Definition von Ernaumlhrungs-kompetenz Duumlrs Sicht des Empowerments und die beiden Deskriptoren EB1 und EB 2 des oumlsterreichischen Referenzrahmens fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bilden den weiteren didaktischen Hintergrund

Tab 3 Ernaumlhrungsdidaktische Umsetzung (basierend auf Peterszligens Modell)

Phasen Umsetzung

1 Information Lernenden erarbeiten sich das Thema bdquoGesunde Jauseldquo

2 Planung Lernende planen ihre eigene gesunde Jause Der Handlungsplan muss folgendes beinhalten 5 Tagesplaumlne bdquoGesunde Jauseldquo fuumlr Teenager entsprechend des in Schritt eins erworbenen Wissens Rezeptplanung Naumlhrstoffdichte-Berechnung Einkaufsliste Zube-reitungsinformation Marketingstrategie fuumlr die gesunde Jause

3 Beratung Lehrende beraumlt

4 Ausfuumlhrung Lernende fuumlhren ihre Planung mithilfe der Lehrkraumlfte aus

5 Evaluation Evaluation des Vorhabens

6 Bewertung Bewertung des Vorhabens

Am Ende dieser Einheit stehen nicht nur Rezepte Einkaufslisten Handlungsplaumlne sowie Jausensnacks als konkrete Handlungsprodukte zur Verfuumlgung die Schuumllerin-nen und Schuumller haben sich im Bereich der Selbststaumlndigkeit weiterentwickelt Ihre Planungskompetenz und ihre Ernaumlhrungskompetenz (theoretischer sowie operationa-ler Art) konnte weiterentwickelt werden

Ernaumlhrungskompetenz

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5 Conclusio

Um der Forderung in der Schule ernaumlhrungskompetente Schuumllerinnen und Schuumller auszubilden damit sie sich gemaumlszlig der Idee des Empowerments gesundheitsfoumlrdernd ernaumlhren und verhalten koumlnnen gerecht zu werden bedarf es einer fundierten Ausei-nandersetzung mit Handlungstheorien und handlungsorientiertem Lernen Diese profunde Beschaumlftigung muss in der Aus- Weiter- und Fortbildung geschehen

Anmerkungen 1 Naumlhere Ausfuumlhrungen betreffend der ernaumlhrungsrelevanten Moral- bzw Methoden-

kompetenz finden sich in Buchner et al (2011) und Bender et al (2013) 2 Einen eingehenden Uumlberblick zu den Moumlglichkeiten und Grenzen der Willens-

erziehung bietet Langer (2011) 3 Es wurde bewusst der Begriff bdquohandlungsorientiertes Lernenldquo und nicht bdquohand-

lungsorientierter Unterrichtldquo gewaumlhlt Dies geschieht einerseits weil mit dem Be-griff des Lernens verdeutlicht werden soll dass die Lernenden im Vordergrund ste-hen und andererseits weil der Begriff handlungsorientiertes Unterrichten bei Meyer (2003a 2003b) und Jank und Meyer (2008) nicht auf Handlungstheorien basiert

4 Eine ausfuumlhrliche Einfuumlhrung zum Erziehungsziel Selbststaumlndigkeit gibt Drieschner (2007)

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Ernaumlhrungskompetenz

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Verfasserin

Maga Sigrid Kuumlstler

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung Ernaumlhrungspaumldagogik Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien E-Mail sigridkuestlerphwienacat Internet wwwphwienacat

Beurteilungsportfolio

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______________________________________________________________

Ute Bender

Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche Das Lernatelier Kuumlche stellt eine wichtige materielle Lernumgebung fuumlr den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung dar Die damit verbundenen Lernprozesse stehen in Verbindung mit Methoden der Leistungsbeurteilung welche die angestrebten Kompetenzen in ihrer ganzen Breite auch tatsaumlchlich erfassen koumln-nen Der folgende Beitrag schlaumlgt hierzu ein Beurteilungsportfolio vor

Schluumlsselwoumlrter Portfolio Leistungsbeurteilung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungsbildung

______________________________________________________________

1 Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche als Lernumgebung der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

In der Tradition der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung war das Lernatelier Kuumlche1

lange Zeit die typische materielle Lernumgebung Heute hat sich dies gewandelt Nichtsdestotrotz sind insbesondere in der Ernaumlhrungsbildung fachliche Lernprozesse im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung unver-zichtbar die im Lernatelier am besten unterstuumltzt werden koumlnnen

Diese Lernprozesse sind mit vielfaumlltigen Teilkompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung verknuumlpft so dass im Lernatelier keineswegs ausschlieszliglich am Kompetenzaufbau in der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung gearbeitet wird Lehr-Lernarrangements im Lernatelier Kuumlche stellen folglich keinen separier-ten oder bdquobesonderenldquo Sektor innerhalb der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung dar sondern sind in die uumlbergeordneten Intentionen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung integriert Auch fuumlr die Leistungsbeurteilung gelten somit keine bdquobesonderenldquo Rege-lungen - allerdings sind bestimmte Fokussierungen vorzunehmen um den spezifi-schen angestrebten Kompetenzen gerecht werden zu koumlnnen Ein Beurteilungsportfo-lio kann diesem Anspruch entgegenkommen2

Die Begriffe bdquoLeistungsbeurteilungldquo und bdquoLeistungsbewertungldquo werden im Fol-genden nicht synonym verstanden bdquoLeistungsbeurteilungldquo bezieht sich auf die Ver-fahren die uumlber einen laumlngeren Zeitraum zum Einsatz kommen und bdquoLeistungsbe-wertungldquo auf bdquodie konkrete und detaillierte Einordnung einer beschriebenen Leistung in einem bestimmten Maszligstabldquo (Bohl 2009 S 60f in Anlehnung an v Saldern 1999)

Beurteilungsportfolio

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11 Leistungsbeurteilung im Zuge der Kompetenzorientierung

Das in schulischen Fachkreisen gaumlngigste Verstaumlndnis von bdquoKompetenzldquo greift auf die Definition von F E Weinert zuruumlck (Weinert 2001) bdquoKompetenzenldquo beinhalten demnach mehrere inhalts- und prozessbezogene Facetten Faumlhigkeiten Fertigkeiten und Wissen aber auch Bereitschaften Haltungen und Einstellungenldquo (D-EDK 2013b S 7) Konsequenterweise hat sich die Leistungsbeurteilung an diesem an-spruchsvollen Kompetenzbegriff zu orientieren In der Ernaumlhrungs- und Konsumbil-dung im Allgemeinen und im Lernatelier Kuumlche im Besonderen wird sie sich also nicht nur auf Faumlhigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren sondern anstreben saumlmtli-che Aspekte von Kompetenz zu erfassen (vgl Bender 2013 S 46ff)

Selbstverstaumlndlich kann sich die Leistungsbeurteilung nur auf jene Teilkompe-tenzen beziehen an denen vorher im Unterricht gearbeitet wurde Sie hat prinzipiell den bdquoGrundsatz der proportionalen Abbildungldquo (Sacher 2011 S 29 vgl Bohl 2012 S 327) zu beachten das heiszligt dass die jeweils gewaumlhlten Modalitaumlten der Leistungserhebung und -bewertung die im Unterricht unterstuumltzten Kompetenzen im Sinne einer repraumlsentativen Stichprobe spiegeln sollten Zugleich sind die Verfahren der Leistungsbeurteilung gemaumlszlig dem bdquoGrundsatz der Variabiliaumltldquo (Sacher 2011 S 29) so zu gestalten dass sie der Zielgruppe gerecht werden Gerade in der Ernaumlh-rungs- und Konsumbildung beduumlrfen die heterogenen Voraussetzungen der Lernen-den (zB Geschlecht Interkulturalitaumlt) und ihre individuellen situativen Problemlouml-sungen besonderer Aufmerksamkeit (Fachgruppe 2005 S 31 vgl Methfessel Ritterbach amp Schlegel-Matthies 2008)

Eine der Herausforderungen des skizzierten Kompetenzverstaumlndnisses liegt si-cherlich in dem Anspruch Leistungsbeurteilung auch auf die bdquoBereitschaften Hal-tungen und Einstellungenldquo (siehe oben) zu beziehen In der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung kommen manche Bereitschaften zB die Absicht sich gesund zu ernaumlhren und angemessene Zubereitungstechniken zu praktizieren vor allem im auszligerschulischen Alltag zum Vorschein sie bleiben somit fuumlr die schulische Leis-tungsbeurteilung prinzipiell unzugaumlnglich Diese ist auf entsprechende Aussagen der Schuumllerinnen und Schuumller angewiesen Dabei hat sie sich selbstverstaumlndlich nicht auf gewisse bdquoerwuumlnschteldquo Absichtserklaumlrungen der Lernenden zu beziehen sondern auf explizierte Argumentationen und Erwaumlgungen

Der Maszligstab der Kompetenzorientierung wird von allen aktuellen deutschspra-chigen fachdidaktischen Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung vertreten In diesen kommen noch weitere Anspruumlche zur Geltung welche die Leistungsbeur-teilung beeinflussen koumlnnen und im Folgenden skizziert werden

Beurteilungsportfolio

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12 Leistungsbeurteilung in Bezug auf die Faumlhigkeit zur Reflexion

So wird in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung aus Oumlsterreich und Deutschland ua angestrebt dass Schuumllerinnen und Schuumller ihr Verhalten und ihre Entscheidungen reflektieren koumlnnen und wollen (Thematisches Netzwerk 2009 Fachgruppe 2005 vgl D-EDK 2013a S 8) Die Lernenden sollen uumlber das eigene Tun nachdenken und nicht nur spontan oder gewohnheitsmaumlszligig agieren In dieses Nachdenken flieszligen sehr unterschiedliches Wissen (zB aus den eigenen Erfahrun-gen oder wissenschaftliches Wissen) Einstellungen Emotionen etc ein Doch bdquoNachdenkenldquo ist bekanntlich unsichtbar Um es der Performanz zuzufuumlhren wird im Zuge der Leistungsbeurteilung erwartet dass die Schuumllerinnen und Schuumller ihre Gedanken in Texten oder auf andere Weise symbolisieren und ausfuumlhren Die Leis-tungsbeurteilung sollte folglich fuumlr solche Symbolisierungen Raum bieten

13 Leistungsbeurteilung vor dem Hintergrund ethischer Aspekte des Lernens

Eng mit den bdquoReflexionenldquo aber auch mit bdquoBereitschaften Einstellungen und Hal-tungenldquo (siehe oben) verknuumlpft sind solche Formulierungen in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung welche die Lernenden in Richtung eines nachhal-tigen Handelns oder Lebensstils bilden wollen (Fachgruppe 2005 S 26 ff vgl D-EDK 2013a S 2 Thematisches Netzwerk 2009 S 8 f) Nachhaltiges Entscheiden und Handeln impliziert immer auch ethische Gesichtspunkte (Schlegel-Matthies 2013) Dasselbe gilt fuumlr die in den Konzepten mehrfach genutzten Termini des bdquover-antwortlichenldquo oder bdquoverantwortungsbewusstenldquo Handelns (Fachgruppe 2005 S 27 Thematisches Netzwerk 2009 S 7 11) Wiederum kann es bei der Leistungsbe-urteilung nicht darum gehen bestimmte bdquoerwuumlnschteldquo Antworten zu erhalten son-dern um moumlglichst differenzierte mehrperspektivische Explorationen

14 Leistungsbeurteilung im Sinne des salutogenetischen Prinzips

Das bdquosalutogenetische Prinzipldquo als didaktisches Prinzip der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung findet sich in expliziter Form ausschlieszliglich im deutschen Konzept REVIS wieder (Fachgruppe 2005 S 30) Es zielt darauf ab die je individuellen he-terogenen Ressourcen der Lernenden zu foumlrdern und zu fordern Leistungsbeurtei-lung im Sinne der Salutogenese beruumlcksichtigt das Prinzip der Variabiliaumlt (siehe oben) und beachtet daruumlber hinaus dass die damit verbundenen Anforderungen fuumlr die Lernenden handhabbar sinnvoll und verstaumlndlich bleiben und somit dem persoumln-lichen bdquoKohaumlrenzgefuumlhlldquo nach Antonovsky (1999) dienlich sind

Beurteilungsportfolio

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15 Leistungsbeurteilung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens

Nicht zuletzt sei noch auf das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens hingewiesen welches ebenfalls im Konzept REVIS genannt ist Lernprozesse in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung sind demzufolge alltagsnah zu konzipieren vorhandene Erfah-rungen der Lernenden wert zu schaumltzen und Offenheit fuumlr weiteres Lernen ist ebenso zu foumlrdern wie bdquoLebensgestaltungs- und Bewaumlltigungskompetenzenldquo (Fachgruppe 2005 S 31) Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung versucht also idealerweise jene Offenheit fuumlr das weitere Lernen zu unterstuumltzen oder sogar Hilfestellungen hierfuumlr zu geben Sicherlich lieszligen sich noch weitere grundsaumltzliche Anforderungen an die Leistungs-beurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung formulieren Im Sinne eines Minimalanspruchs sollten konkrete Leistungsbewertungen jedoch den genannten zumindest nicht zuwiderlaufen Welche Rolle kann ein Beurteilungsportfolio dabei innehaben

2 Das Beurteilungsportfolio in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Portfolios als Lern- und Beurteilungsinstrumente werden mit unterschiedlichen Funktionen und fuumlr unterschiedliche Zielgruppen eingesetzt In der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung hat Brandl (2004) ein Konzept fuumlr die Lehrerinnen- und Lehrerbil-dung entwickelt Mit Blick auf Schuumllerinnen und Schuumller sind Portfolios folgender-maszligen zu definieren

Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Schuumllerarbeiten welche die An-strengung des Lernenden den Lernfortschritt und die Leistungsresultate auf einem oder mehreren Gebieten zeigt Die Sammlung schlieszligt die Beurteilung des Schuumllers bei der Auswahl der Inhalte Aufstellung der Kriterien fuumlr die Auswahl und zur Beur-teilung sowie selbstreflexive Gedanken ein (Lissmann 2008 S 137 in Anlehnung an Paulson Paulson amp Meyer 1991 vgl Brunner amp Schmidinger 2004 S 17 Bohl 2009 S 147f Haumlcker 2011a Winter 2012 S 200f)

Zu den bdquoselbstreflexiven Gedankenldquo gehoumlren meist Reflexionen der Lernenden uumlber ihre Portfolioentwicklung aber auch Uumlberlegungen zu ihren eigenen Lernprozessen Auszligerdem wird der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernenden uumlber Leis-tungen und Lernprozesse hoher Wert eingeraumlumt die dann ebenfalls Eingang ins Portfolio findet (Haumlcker 2011b S 218 Winter 2012 S 217)

Ein bdquoBeurteilungsportfolioldquo stellt eine von fuumlnf moumlglichen Formen eines Portfo-lios dar (siehe Tabelle 1 Lissmann 2008 S 141 vgl Glaumlser-Zikuda amp Hascher 2007 S 12f Paulson Paulson amp Meyer 1991 Winter 2012 S 200)

Beurteilungsportfolio

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Tab 1 Formen eines Portfolios (Lissmann 2008 S 141)

Aufgabe Portfolioformen

Lernprozess diagnostizieren Arbeitsportfolio

Lernerfolg beurteilen Beurteilungsportfolio

Lernergebnisse mitteilen Vorzeigeportfolio

Entwicklung dokumentieren Entwicklungsportfolio

Lernende vorstellen Bewerbungsportfolio

Das Beurteilungsportfolio dient somit dazu den Lernerfolg und die Schritte dorthin zu dokumentieren und der Bewertung zugaumlnglich zu machen folgerichtig hat es einen deutlich formaleren Charakter als zB das bdquoArbeitsportfolioldquo Wie fuumlr alle Portfolioformen gilt auch fuumlr das Beurteilungsportfolio dass es nicht nur einen ein-zigen Zeitpunkt im Lernprozess dokumentiert sondern auf eine laumlngere bdquoRegelstre-ckeldquo zuruumlckblickt (Winter 2012 S 213) Daruumlber hinaus beteiligt es wenn moumlglich die Lernenden an der Entscheidung welche ihrer Leistungen bewertet werden sollen und staumlrkt deren Selbstregulierung (Haumlcker 2011b S 220f)

In loser Anlehnung an Brunner und Schmidinger (1997 2004) sowie an Bohl (2009) sollte ein Beurteilungsportfolio folgende Dokumente umfassen Formale und strukturierende Elemente wie Titelblatt Inhaltsverzeichnis etc Pflichtdokumente aus dem Unterricht Dokumente nach Wahl der Lernenden die inner- oder auszliger-halb des Unterrichts entstehen koumlnnen Ruumlckmeldungen der Lehrperson zum Lern-prozess oderund zur Portfolioarbeit Schuumllerreflexionen

Waumlhrend das Beurteilungsportfolio in der deutschsprachigen Diskussion einer-seits als Alternative zum bdquoNotenfetischismusldquo (Vierlinger 1999) angesehen wurde und wird (Stern 2010 Vierlinger 2011) ist es heute andererseits auch als ergaumlnzen-de Beurteilungsmodalitaumlt denkbar (Bohl 2009 Winter 2012)

21 Ein Beurteilungsportfolio fuumlr das Lernatelier Kuumlche

Das Lernatelier Kuumlche ist der typische Ort fuumlr den Erwerb von Teilkompetenzen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im Sinne des Kompetenzbegriffes gehoumlren dazu Fertigkeiten etwa Arbeitstechniken aber auch diverse Kenntnisse und Faumlhigkeiten ebenso entsprechende Motivationen und Bereitschaften Daruumlber hinaus sind die genannten Teilkompetenzen zu verknuumlpfen mit weiteren Kompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Das Beurteilungsportfolio bietet ein breiteres Potenzial zur Leistungsbeurteilung an (siehe Tabelle 2)

Beurteilungsportfolio

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Tab 2 Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung durch ein Portfolio

Die Verfahren der Leistungs-beurteilung solltenhellip

Ein Beurteilungsportfoliohellip

hellipKompetenz im umfassenden Sinn variabel erfassen koumlnnen

helliperlaubt sehr vielfaumlltige Dokumentationen die uumlber einen laumlngeren Zeitraum entstanden sind So kann es die Aspekte von Kompetenz vielseitiger abbilden als eine punktuelle Leistungserhebung Prozesse Produkte bzw Zwischenprodukte lassen sich mit Hilfe von Zeichnungen Fotos oder Videos fuumlr das Portfolio festhalten (Brunner amp Schmidinger 2004 Winter oJ) Die im Portfolio skizzierten Kommunikationen und Dokumentationen erlauben es auch sinnliche Qualitaumlten zu erfassen zB Verkostungen

hellipReflexionen der Lernenden erheben koumlnnen

hellipbeinhaltet Reflexionen zum je individuellen Lernprozess (einschlieszliglich der jeweils bearbeiteten Inhalte genutzten Strategien und Techniken Medien Uumlberlegungen zu eigenen Staumlrken und Schwierigkeiten) und zum Portfolioprozess (etwa zur Auswahl der Dokumente) Lehrpersonen unterstuumltzen die Reflexionsfaumlhigkeit indem sie den Lernenden moumlgliche Fragen aufzeigen diese mit ihnen erarbeiten sowie spezifische Arbeitsblaumltter bereitstellen (vgl Poumllzleitner 2011)

hellipethischen Implikationen Rechnung tragen koumlnnen

helliplaumlsst zu dass Lernende selbst entscheiden zu welchen (verschiedenen) thematischen Aspekten sie ihre Uumlberlegungen und Meinungen darlegen moumlchten Es ermoumlglicht so ein vielgestaltiges Bild das auch Widerspruumlche zulaumlsst

hellipdie salutogenetische Orientierung beruumlcksichtigen

helliplaumldt Schuumllerinnen und Schuumller ein ihre Kompetenzen und damit ihre Staumlrken zu zeigen ndash statt nach Schwachstellen oder Fehlern zu suchen (Haumlcker 2005) Lernende entscheiden welche Wahldokumente sie beifuumlgen moumlchten Eigene Schwerpunkte lassen sich abbilden Die Ruumlckmeldungen der Lehrperson als konkretes konstruktives Feedback erweisen sich wie Studien zeigen als hocheffizient zur Foumlrderung von Lernprozessen (Black amp Wiliam 2009 Maier 2010)

helliplebensbegleitendes Lernen unterstuumltzen

hellipfoumlrdert den Erwerb von Lernstrategien indem es die Reflexion des Lernprozesses initiiert Schuumllerinnen und Schuumller verbessern ihre Faumlhigkeiten zur Selbsteinschaumltzung indem sie Produkte fuumlr ihr Portfolio auswaumlhlen und ihre Wahl dokumentieren Der Unterricht stellt ihnen Zeitgefaumlszlige fuumlr die Arbeit am Portfolio zur Verfuumlgung (Internationales Netzwerk Portfolioarbeit 2010) Das Portfolio laumlsst auch Dokumente zu auszligerschulischen Lernprozessen zu

Beurteilungsportfolio

111

211 Vorgehensweise

Lehrpersonen werden die Konzeption und Umsetzung des Beurteilungsportfolios an den jeweiligen Lernstand der Schuumllerinnen und Schuumller die jeweiligen situativen Bedingungen und andere Voraussetzungen anpassen Sie entscheiden daruumlber in-wieweit sie die Schuumllerinnen und Schuumller an der Leistungsbeurteilung mit dem Port-folio beteiligen moumlchten Lernende die uumlber wenig Erfahrung mit der Portfolioarbeit verfuumlgen benoumltigen zumeist mehr Hilfestellungen etwa Unterstuumltzung bei Reflexi-onsprozessen und formale Kriterien als andere Lernende Trotz dieser paumldagogi-schen Gestaltungsspielraumlume welche die Lehrperson hat sollte das Portfolio nicht zu einer Ansammlung von Pflichtdokumenten degradiert und den Schuumllerinnen und Schuumllern jegliches Mitspracherecht an der Zusammenstellung undoder Bewertung genommen werden Ein solches bdquoPortfolioldquo wuumlrde der Grundphilosophie widerspre-chen (Haumlcker 2005)

Die hohe Plastizitaumlt des Portfolios macht es zudem moumlglich das Beurteilungsver-fahren an sehr unterschiedliche Lehr-Lernarrangements zu adaptieren Wiederum jedoch wuumlrde es der Portfolio-Philosophie (und auch der Kompetenzorientierung von Unterricht) widersprechen wenn dieses Lehr-Lernarrangement keinerlei selbstregu-lierte Phasen fuumlr die Lernenden vorsaumlhe

212 Beispiel fuumlr ein Beurteilungsportfolio

Beurteilungsportfolios sollen widerspiegeln welche Teilkompetenzen Lernende erworben haben So richtet sich zB das nachstehend skizzierte Portfolio auf mindes-tens folgende Teilkompetenzen bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller koumlnnen Nahrungs-mittel uumlber die Sinne vergleichenhellip sensorische Eigenschaften beschreibenhellip und Vermutungen formulieren wie Unterschiede entstehenldquo sie bdquokoumlnnen Nahrungsmittel unter Beruumlcksichtigung von gesundheitlichen Aspekten auswaumlhlen und zuberei-tenhellipldquo und bdquokoumlnnen Mahlzeiten situationsgerecht planen und zubereitenhellipldquo (D-EDK 2013a S 7f) Weitere Teilkompetenzen lieszligen sich anfuumlgen

Das Portfolio-Beispiel bezieht sich auf einen Zeitraum von fuumlnf Wochen pro Woche findet der Unterricht in einem vierstuumlndigen Lektionenblock statt Die Schuuml-lerinnen und Schuumller sollen mindestens einmal selbst in Kleingruppen ein Menuuml planen einkaufen und zubereiten Sie werden informiert welche Speisen bzw Me-nuumls im genannten Zeitraum im Ganzen vorgesehen sind und vereinbaren im Vorfeld ihre Arbeitsteilung in den Kleingruppen Die Lehrperson pruumlft ob diese Arbeitstei-lung gewaumlhrleistet dass alle Schuumllerinnen und Schuumller die Chance haben die Aufga-ben fuumlr das Portfolio sehr gut zu erfuumlllen Sie plant ein dass alle Jugendlichen eine nicht benotete Ruumlckmeldung zu ihren Lernhandlungen erhalten koumlnnen sowie Zeit fuumlr das Portfolio zur Verfuumlgung steht Die Lernenden werden uumlber die Portfolioarbeit ausfuumlhrlich informiert und der Prozess mit ihnen abgesprochen Das Portfolio setzt sich aus vielfaumlltigen Dokumenten zusammen (siehe Tabelle 3)

Beurteilungsportfolio

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Tab 3 Dokumente fuumlr ein Portfolio (Beispiel Liste fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller)

Pflichtdokumente

In dein Portfolio gehoumlren alle Dokumente die gemeinsam im Unterricht bearbeitet wurden (siehe Arbeitsblatt Checkliste)3 sowie Titelblatt und Inhaltsverzeichnis

Bearbeite mindestens einmal die Fragen mit deren Hilfe du uumlber die Nahrungszubereitung und dein Lernen dabei nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Suche dir eine Speise aus die eine Mitschuumllerin oder ein Mitschuumller zubereitet hat und schreibe dieser Person eine konkrete Ruumlckmeldung wie du diese Speise mit allen Sinnen wahrnimmst Lege die Kopie in dein Portfolio

Fuumlge die Ruumlckmeldung der Lehrperson in dein Portfolio Du markierst was dabei fuumlr dich wichtig ist und notierst dir falls noumltig Nachfragen

Fuumlr das Menuuml das ihr euch selbst auswaumlhlt Legt alle Rezepte in das Portfolio oder bezeichnet sie mit Seitenzahlen gemaumlszlig eures Lehrmittels bdquoTiptopfldquo Klaumlrt im Unterricht gemeinsam warum ihr die Rezepte gewaumlhlt habt Jeder von euch soll diese Uumlberlegungen nochmals in eigenen Worten fuumlr das Portfolio aufschreiben

Was hast du bei der Portfolioarbeit gelernt Bearbeite einige der Fragen mit deren Hilfe du uumlber deine Portfolioarbeit nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Beispiele fuumlr freiwillig einzufuumlgende Dokumente

Dokumentiere mit einem Foto ein besonders gut gelungenes Produkt aus der Nahrungszubereitung im Unterricht oder von zuhause und begruumlnde warum es aus deiner Sicht gut gelungen ist

Skizziere mit einer Zeichnung oder fotografiere wie du den Tisch fuumlr ein bestimmtes Menuuml decken wuumlrdest oder gedeckt hast

Welche Speisen aus dem Unterricht koumlnntest du auch zuhause zubereiten Warum und zu welchen Gelegenheiten Wenn du keine Speisen findest Wo liegen die Schwierigkeiten

Welche Speisen haben dir besonders gut geschmeckt und warum

Welche Uumlberlegungen habt ihr euch zum finanziellen Budget fuumlr euer Menuuml gemacht

Wie sieht die Zeit- und Arbeitsplanung fuumlr euer Menuuml aus Warum wollt ihr so vorgehen

Lege Bilder und Rezepte bei die fuumlr euer Menuuml ebenfalls in Frage gekommen waumlren und schreibe uumlber ihre Vor- und Nachteile

Schreibe als Einleitung zu deinem Portfolio einen Brief an die Lesenden

Beurteilungsportfolio

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3 Guumltekriterien fuumlr das Beurteilungsportfolio

Fuumlr die Benotung eines Beurteilungsportfolios gelten prinzipiell dieselben Guumltekrite-rien wie bei jeder anderen Beurteilung Dazu gehoumlrt dass die Schuumllerinnen und Schuumller genau wissen wie die Bewertung zustande kommt und nach welchen Krite-rien die Lehrperson ihr Portfolio benoten wird Wenn moumlglich sind sie bei der Er-stellung dieser Kriterien zu beteiligen Gerade bei einem offenen Leistungsbewer-tungsinstrument wie dem Portfolio ist die Transparenz der Bewertung kommunikativ sicherzustellen (Bach-Blattern amp Bohl 2011 Bohl 2009 S 73ff Juumlrgens 2010 Lissmann 2008 S 76f)

4 Resuumlmee

Das Beurteilungsportfolio bietet die Chance vielfaumlltige individuelle Lernergebnisse der Schuumllerinnen und Schuumller im Lernatelier Kuumlche uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinweg zu erfassen Insbesondere gibt das Portfolio den Lernenden die Gelegenheit ihre Staumlrken darzustellen Fuumlr Lehrende und Lernende kann dieser Weg der Beurtei-lung manchmal mit sich bringen dass sie unbekanntes Terrain betreten und gemein-sam Unsicherheiten uumlberwinden muumlssen Trotzdem zeigen Studien dass die Akzep-tanz bei den Beteiligten im Allgemeinen hoch ist (Bohl 2012 Glaumlser-Zikuda Rohde amp Schlomske 2010 Lissmann Haumlcker amp Fluck 2009)

Anmerkungen 1 In der Schweiz ist der Begriff bdquoAtelierldquo allgemein gebraumluchlicher als bdquoWerkstattldquo 2 Ich danke den engagierten Lehrerinnen die im Rahmen einer Weiterbildung im

Kanton Solothurn ein Konzept fuumlr ein Portfolio fuumlr die Ernaumlhrungsbildung gemein-sam mit mir entwickelt und mit ihren Klassen realisiert haben

3 Zur Unterstuumltzung der Portfolioarbeit erhalten die Lernenden zusaumltzliche Arbeits-blaumltter

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Verfasserin

Profin Dr Ute Bender

PH FHNW Basel und Brugg

Clarastr 57 CH-4058 Basel

E-Mail utebenderfhnwch Internet wwwgesundheitundhauswirtschaftch

Rezension

117

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Regine Bigga

Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Ute Bender (Hrsg) (2013) Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Perspektiven und Praxisbei-spiele fuumlr den Hauswirtschaftsunterricht Fachdidaktische Entwicklungen in Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz Bern Schulverlag plus AG 200 Seiten mit CD-ROM

ISBN 978-3-292-00724-7 (D 3375 EURO A 3465 EURO CH 4190 CHF)

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In einem ersten Block werden die Entwicklungen und Positionspapiere zum deut-schen Projekt bdquoReform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulenldquo (REVIS) zum schweizerischen Projekt bdquoHauswirtschaftliche Bildung fuumlr eine Ge-sellschaft im Wandelldquo und der oumlsterreichische Referenzrahmen bdquoErnaumlhrungs- und Verbraucherbildung Austria (EVA)ldquo vorgestellt Unterkapitel widmen sich dem kompetenzorientierten Unterricht in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung und der Frage wie Lern- und Pruumlfaufgaben entwickelt werden koumlnnen

In einem zweiten Block werden ausgewaumlhlte Makromethoden (handlungsorien-tierter Unterricht Projekte Problemorientiertes Lernen Instruktionales Lernen Bio-graphieorientiertes Lernen SchmeXperiment und Experiment Dialogisches Lernen Stationenlernen) dicht angelehnt an entsprechende Fachartikel beschrieben Offen bleibt warum in diesem Kontext das Stationenlernen aber nicht typische Methoden der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung wie der vergleichende Schuumllerwaren- bzw Schuumllerdienstleistungstest und die Erkundung vertieft werden

In einem dritten Block werden Praxisbeispiele zum essbiographischen Arbeiten in multikulturellen Klassen zum fachpraktischen Arbeiten insbesondere dem Um-gang mit Rezepten zum experimentellen Arbeiten zur Entwicklung von Konsum-kompetenzen mittels Warentest und problemorientierten Lernen sowie der Entwick-lung von Haltungen in Richtung nachhaltiger Konsumentscheidungen ausfuumlhrlich dargestellt und auf entsprechende Makromethoden bezogen Hier liegt eine der Staumlr-ken des Buches deutlich werden Kompetenzen genannt und mit fachinhaltlichen und methodischen Uumlberlegungen verknuumlpft und reflektiert Im Anschluss werden die jeweiligen Vorschlaumlge kommentiert Im Sinne eines Studienbuches fuumlr die Lehrkraumlf-teausbildung waumlren hier Lern- und Pruumlfaufgaben bezogen auf die bdquoBeispiele fuumlr re-flektierte Unterrichtspraxisldquo hilfreicher gewesen

Der Sinn der beigelegten CD erschlieszligt sich nicht da viele der Dokumente gut online verfuumlgbar und die Medien fuumlr den Unterricht zum Teil nicht veraumlnderbar sind Ausgesprochen aumlrgerlich ist es dass sich teilweise Literaturhinweise weder im Buch noch auf der CD finden

Rezension

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Trotz der aufgezeigten Maumlngel ist die Anschaffung des Buches zu empfehlen Es wird eine Luumlcke in der fachdidaktischen Diskussion der Ernaumlhrungs- und Verbrauch-erbildung geschlossen denn bislang fehlte ein Studienbuch fuumlr Studierende und eine interessierte Fachoumlffentlichkeit das sich mit den Domaumlnen Konsum Ernaumlhrung und Gesundheit im Kontext der allgemein bildenden Schulen befasst und das die aktuelle fachdidaktische Diskussion in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in den deutschsprachigen Laumlndern Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz der letzten 20 Jahre vorstellt und diskutiert

Verfasserin

Regine Bigga

Universitaumlt Paderborn Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Gesundheit

Warburger Straszlige 100 D-33098 Paderborn E-Mail Bigga mailupbde

  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche
  • BartschBuumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung
  • DittrichFrantaLuumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene
  • KessnerBraukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen
  • MethfesselSchlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung
  • BartschBrandstaumldter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung
  • Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft
  • Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen
  • Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche
  • Rezension

Taxonomie der Lernwege

3

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Ursula Buchner

Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche Mit dem Anspruch eines handlungsorientierten Unterrichts in der Schulkuumlche stellt sich die Frage welcher Erkenntnisgewinn uumlber welche Art von Handlungen erschlossen werden soll Die Vielfalt moumlglicher Lernwege in der Schulkuumlche soll in eine didaktisch begruumlndete Ord-nung gebracht werden die als Orientierungshilfe in der fachdidaktischen und schulprakti-schen Ausbildung fuumlr Planung und reflektierende Praxis gleichermaszligen dienen kann

Schluumlsselwoumlrter Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis (schul-)praktische Studien Paradigmen Konzeptionen fuumlr handlungsorientierten Unterricht

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1 Ausgangslage

11 Schulrechtliche Rahmenbedingungen

sbquoErnaumlhrung und Haushaltlsquo (EH) ist als Pflichtfach in der Stundentafel der Neuen Mittelschule (NMS) verankert Die schulautonomen Stundentafeln weisen dem Fachunterricht in EH einen Gestaltungsspielraum von 1-4 Stunden zu waumlhrend in den subsidiaumlren Stundentafeln je nach Schwerpunktbereich1 1 bzw 3 Wochenstun-den fuumlr den EH-Unterricht vorgesehen sind (BMUKK 2012 S 17f) wobei Unter-richtsgegenstaumlnde mit weniger als zwei Wochenstunden in groumlszligeren Einheiten geblockt gefuumlhrt werden koumlnnen (BMUKK 2012 S 22)

Im Rahmen schulautonomer Lehrplanbestimmungen koumlnnen die in sect21b SchOG geregelten Schwerpunktbereiche naumlher ausgestaltet bzw auch andere Schwerpunkte gesetzt werden Auch ein Zusammenlegen von Unterrichtsgegen-staumlnden ist moumlglich Grundsaumltzlich bestehen vielfaumlltige Moumlglichkeiten einer Schwerpunktsetzung in denen das Fach sbquoErnaumlhrung und Haushaltlsquo seinen Beitrag zur Allgemeinbildung einbringen kann Fuumlr jede Art der Schwerpunktsetzung ist jedenfalls ein sachlich fundiertes Gesamtkonzept zu erstellen (BMUKK 2012 S 14-16)

In diesem Sinne werden im Folgenden grundlegende didaktische Konzeptionen fuumlr den fachpraktischen Unterricht in der Schulkuumlche (NMS Sek1) vorgestellt die dem fachdidaktischen Grundsatz bdquoDie praktische Anwendung von Erkenntnissen ist ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts in Ernaumlhrung und Haushaltldquo (BMUKK 2012 S 97) Rechnung tragen

Taxonomie der Lernwege

4

12 Taxonomie der Lernwege

Unterricht ist ein houmlchst komplexes Geschehen viele Bedingungsfaktoren stehen in wechselseitiger Beziehung und Ruumlckkoppelung (Helmke 2010 S 73) Im Rah-men ihrer schulpraktischen Ausbildung lernen die Studierenden Modelle und Stra-tegien kennen mit deren Hilfe sie die Vielfalt der Wirkungsfaktoren von Unter-richt handhaben lernen sollen Didaktische Analysen Situationsanalysen Zieldefinitionen und Kompetenzbeschreibungen Methodenanalysen sowie das im Zuge der NMS-Unterrichtsentwicklung als bdquoruumlckwaumlrtiges Lerndesignldquo bezeichnete Planungsinstrument sind Werkzeuge die auch zur Planung und Gestaltung des Fachunterrichts in der Schulkuumlche angewendet werden sollen

Zahlreiche facheinschlaumlgige Publikationen argumentieren die Anschlussfaumlhig-keit des Lernens in der Schulkuumlche an neuere didaktische Paradigmen wie Kon-struktivismus kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Neurodidaktik Subjekto-rientierung selbstgesteuertes Lernen und Aufgabenkulturen schluumlssig und untermauern die Ausfuumlhrungen mit fachbezogenen Praxisbeispielen Was fehlt ist ein in sich konsistentes Konzept fuumlr die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung ndash zumindest ist der Autorin kein solches bekannt

Die hier vorgestellte Taxonomie versteht sich als Klassifikationsschema moumlgli-cher Lernwege in der Schulkuumlche Sie reduziert die Komplexitaumlt der Unterrichts-wirklichkeit auf maszliggebliche Planungsgroumlszligen und erfuumlllt damit eine Orientierungs-funktion sowohl fuumlr eine reflektierende Unterrichtspraxis als auch fuumlr die Unterrichtsplanungen der Studierenden fuumlr Dozentinnen und Dozenten im Ausbil-dungsteam und Praxislehrpersonen die nur phasenweise im Rahmen der schul-praktischen Studien in den Ausbildungsprozess eingebunden sind Sie gibt fach-fremden Kolleginnen und Kollegen die im Rahmen innovativer Schul- und Unterrichtsprojekte gemeinsame Lernfelder entwickeln einen uumlbersichtlichen Ein-blick in die fachspezifischen Bildungsanliegen

Mit der Beschreibung der Lernwege ist keine Wertung verknuumlpft Es soll die Vielfalt moumlglicher Schwerpunktbildungen und das allgemein bildende Potential des Unterrichts in der Schulkuumlche aufgezeigt werden Die hier vorgestellte Taxo-nomie der Lernwege erhebt auch keinen Anspruch auf Vollstaumlndigkeit Vielmehr ist die Hoffnung verbunden dass uumlber den kollegialen hochschuldidaktischen Dis-kurs ein taugliches erweiterbares Fundament fuumlr die fachdidaktische und (schul)praktische Ausbildung entwickelt werden kann

2 Handelnd lernen ndash Handeln lernen

Als Antwort namhafter Reformpaumldagogen auf das passiv-rezeptive Lernen in der obrigkeitsorientierten Pauk- und Drillschule entstanden eine Reihe von Konzepten (Anschauungspaumldagogik Arbeitsschulbewegung Lebensweltorientierung usw)

Taxonomie der Lernwege

5

und Methoden (Projektunterricht Freiarbeit Leittext-Lernen Planspiele problem-basiertes Lernen Werkstattarbeit usw) die fuumlr sich den Anspruch erheben bdquoganzheitlichesldquo Lernen (Lernen mit Kopf Herz und Hand ndash Johann Heinrich Pestalozzi 1746-1827) zu foumlrdern um muumlndige vernunftbegabt entscheidungs- und handlungsfaumlhige Individuen hervorzubringen (Aebli 1997 Gudjons 2001 Hackl 1990 Stoumlring 2007)

Die Form der aktiv-handelnden Wissensaneignung erfaumlhrt aktuell durch neu-rowissenschaftliche Erkenntnisse quasi einen Legitimationsschub wenngleich aus dem bdquopraktischenldquo Taumltigsein per se (bzw aus dem Sichtbarmachen beteiligter Hirnregionen) noch kein Bildungsgehalt begruumlndet werden kann

bdquoWer gut zu arbeiten lernt kann auch sich selbst regieren und ein guter Staatsbuumlrger werdenldquo(Sennett 2009 S 356) Selbststaumlndigkeit und Selbstverant-wortlichkeit im Handeln ndash das gesellschaftspolitische Ziel von (Allgemein)Bildung (im zeitgeschichtlichen Kontext Aufklaumlrung Muumlndigkeit Emanzipation genannt) ndash soll Buumlrger und Buumlrgerinnen zur aktiven Teilhabe (Partizipation) an demokrati-schen Gesellschaften und zum Aufbau nachhaltiger Entwicklungen befaumlhigen (Education for Democratic Citizenship2)

21 Didaktische Prinzipien fuumlr handlungsorientierten Unterricht

Handlungen sind mehr als Fertigkeiten es sind zielgerichtete in ihrem inneren Aufbau verstandene Vollzuumlge die ein fassbares Ergebnis erzeugen (Aebli 2011 S 182)

Unter handlungsorientiertem Unterricht werden Verfahren subsummiert bei wel-chen Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht bzw moumlglich wird (Gudjons 2001)

Unter Handlungen werden zielgerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrneh-mungen konkrete Operationen und intellektuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Aebli 2011 Baumgartner 2011 Flechsig 1991 Gudjons 2001 Peterszligen 2009 Riedl 2011)

22 Handeln lernen in der Schulkuumlche

221 Fertigkeiten erwerben

Ausdruumlcklich weist Peterszligen (2009 S 144) darauf hin dass nicht von handlungs-orientiertem Unterricht gesprochen werden kann wenn auf Anweisung von auszligen die Durchfuumlhrung einer Taumltigkeit eigenstaumlndig vorgenommen wird

Taxonomie der Lernwege

6

Tab 1 Merkmale von Handlungen (Quelle Edelmann 2000 Gudjons 2001 Peterszligen 2009)

Merkmal Erlaumluterungen

zielgerichtet Lernen muss Sinn haben ein sinnstiftendes Ziel eine bewaumlltigbare Aufgabenstellung eine selbst gestellte (motivierende) Herausforderung Es gibt Leitlinien (Kriterien fuumlr den Prozess fuumlr das Produkt) die indizieren ob und wie das Ziel erreicht wurde Das Ziel ist realistisch (angemessenes Anspruchsniveau) dh es muss mit den zur Verfuumlgung stehenden Mitteln Fertigkeiten und der Zeit auch erreichbar sein

geplant Ein Handlungsschema wird entwickelt Teilhandlungen werden in einen groumlszligeren Sinnzusammenhang gebracht Effizientes Handeln ist dabei stabil-flexibel (grundsaumltzliches Festhalten am Ziel bei variablen Eingehen auf situative Bedingungen) Bei der Faumlhigkeit zur Antizipation von Handlungsablaumlufen und Handlungsergebnissen stoszligen Lernende naturgemaumlszlig an ihre Grenzen

selbststaumlndig Die Entwicklung eines Denk- und Handlungsschemas liegt in der Verantwortung des Lernenden die Handlungsplanung wird nicht von der Lehrkraft vorgegeben Allerdings sind Hilfestellungen notwendig wo liegt das Problem im Handlungsablauf (vgl Denkfoumlrderung in Dubs 2009) Selbstaumlndig muss nicht bdquoalleineldquo heiszligen Die Abstimmungsprozesse und Entscheidungen die in Lerngruppen zu treffen sind sind konstitutive Merkmale handlungsorientierten Lernens beduumlrfen jedoch auch der Instruktion (Helmke 2010 S 207-208)

vollstaumlndig Handlungen umfassen grundsaumltzlich Planung Durchfuumlhrung und Kontrolle Das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung ist zum Aufbau von Verantwortlichkeitskonzepten unumgaumlnglich

mehrperspektivisch

Die Lernenden wechseln die Perspektive sie sind Ausfuumlhrende und Beurteilende des Handlungsablaufs und Handlungsergebnisses Handeln wird von Metakognitionen begleitet Sprechen uumlber das Tun foumlrdert den Erkenntnisgewinn uumlber das Tun

Lernen am Modell durch Beobachtung und vor allem das nachahmende Uumlben ist wirksames Lernen ndash wenn die Lehrerdemonstration gut ist (Dubs 2009 S 187) Auch in der Schulkuumlche fertigen die Lernenden planvoll und gezielt ein Produkt (eine Speise) nach vorgegebener schriftlicher muumlndlicher und praktischer Anlei-tung an Hier sind nicht erarbeitende problemloumlsende Unterrichtsverfahren son-dern darbietende Methoden hilfreich die sich auf eine Grundkompetenz im Lehr-

Taxonomie der Lernwege

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beruf naumlmlich klare und gut nachvollziehbare Anleitungen geben zu koumlnnen stuumlt-zen (vgl dazu Grundform 2 Vormachen in Aebli 2011 S65-80 vgl dazu Ausdrucksstarke Anleitungen in Sennett 2009 S240-284) Tab 2 Fertigkeiten lernen (nach Peterszligen 2009)

Schritte im Lernprozess

Anforderungen Hilfestellungen wo liegt das Problem

Planung Ruumlsten des Arbeitsplatzes Koordination der einzelnen Arbeitsschritte Hilfestellungen zum Leseverstaumlndnis bei schriftlichen und graphischen Rezept-Darstellungen gute Visualisierung des Zielzustandes um die Antizipation desselben zu unterstuumltzen

Durchfuumlhrung Gute (muumlndliche schriftliche praktische) Schritt-fuumlr-Schritt Anleitungen gute Demonstrationen (Vormachen-Nachmachen) mit begleitendem Sprechhandeln (Dubs 2009 S 187-188) Vorausschauendes Eingreifen zur Korrektur von fachlichen Fehlern bei kritischen Gefahrenpunkten um auch ein Sicherheits- und Hygienebewusstsein aufzubauen Vgl Direktes Unterricht nach Grell J in Wiechmann 1999 S 35-49 Instruktion und Unterweisung in Terhart 1989 sowie die Ausfuumlhrungen in Sennett 2009 zu bdquoDie Handldquo S 201 und bdquoFaumlhigkeitldquo S 355)

Bewertung Auswertung der Ergebnisse Produkt- und Prozesskriterien Selbst- und Fremdkontrolle

Das Ziel naumlmlich den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten kann im Arbeitsunter-richt nur durch wiederholten Vollzug erreicht werden (Baumgartner 2011)

bull Uumlbung aumlhnliche Inhalte Aufgaben haben eher exemplarischen Charakter bull Drill Uumlberlernen durch Wiederholen (gleicher Inhalt sehr oft sehr lange)

sodass die Taumltigkeiten quasi bdquoautomatischldquo in die Handlung einflieszligen (zB Schneidetechniken Hygiene Sicherheit Ordnungsarbeiten)

bull Training schrittweise Leistungssteigerung bei gleichem Inhalt mit steigen-den Anforderungen

bull Probehandeln Handeln im bdquoAls-ob-Modusldquo wie es in der berufliche Bil-dung im Rahmen von Groszligkuumlchenunterricht der Fall ist (vgl dazu das Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung)

Dass bdquoArbeiten ohne Anleitungldquo als bdquokreativesldquo Tun interpretiert wird ist ebenso vermessen wie von sporadisch durchgefuumlhrten praktischen Taumltigkeiten schon Koumln-nerschaft zu erwarten Kreativitaumlt setzt Koumlnnerschaft voraus in groszligen Zeitabstaumln-den (woumlchentlich vierzehntaumlgig) einmalig durchgefuumlhrte praktische Taumltigkeiten fuumlhren sicher nicht zur Ausbildung von Routinen

Taxonomie der Lernwege

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222 Handeln lernen

Tab 3 vollstaumlndige Handlungen (kompiliert aus Peterszligen 2009 S 20 S 45 S 173)

Schritte im Handlungs-ablauf

Wo liegt das Problem Wo werden Lernhindernisse auftreten

Methodische Hilfestellungen

Informieren Ist der Arbeitsauftrag bzw Arbeitsumfang klar Muumlndliches und schriftliches Sprachverstehen Sind Lernende in der Lage den Zielzustand zu antizipieren

Leittexte (Leitfragen Leitsaumltze) Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lesetraining Bilder die den Zielzustand zeigen

Beraten und Entscheiden

Soziale Organisation in der LerngruppeLernpartner Gemeinsam in der Lerngruppe wird das Vorgehen gedanklich durchgespielt Partnerschaftliche Arbeitsteilung Zustaumlndigkeiten und Verantwortlichkeiten werden geregelt

Zufallsprinzip (Lose) Zuweisung oder freie Wahl Bild- und Textkarten zum Legen der Handlungsabfolge Checklisten fuumlr einzelne Taumltigkeiten

Ausfuumlhren Sachlogische Reihenfolge Vorarbeiten ndash Durchfuumlhrung ndash Nacharbeiten Fehler sofort korrigieren damit sich keine falschen Routinen einschleichen Zu den Vollendungsarbeiten zaumlhlt nicht nur das Anrichten und Praumlsentieren der Speisen sondern ebenso das Aufraumlumen des Arbeitsplatzes (bdquoNacharbeitenldquo)

Orientierung in der Kuumlche (Inventarsysteme) und angemessen ausgestattete Arbeitsplaumltze Bildtafeln fuumlr grundlegende Arbeitstechniken

Kontrollieren Schon waumlhrend der Handlung wird das Endprodukt mit dem Zielzustand verglichen Wie kann eigenstaumlndig das Erreichen des Zielzustandes festgestellt werden

Kontrollboumlgen mit Indikatoren die anzeigen wann der Zielzustand erreicht ist

Bewerten Produkt fachlich-sachliche Richtigkeit des Handelns Prozess soziales Verhalten (Kommunikation Kooperation Konfliktbewaumlltigung) Entwicklung von Bedeutsamkeits- und Verantwortlichkeitskonzepten

Gelenktes Fachgespraumlch Pensenbuch Lernpass zur Selbstbewertung ICH habeWIR haben

Taxonomie der Lernwege

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Die einzelnen Phasen im Handlungsablauf bieten sich als Anker sowohl fuumlr die schulpraktischen Vor- und Nachbereitungen fuumlr die Fachpraxis also auch fuumlr die Foumlrderung des metakognitiven Bewusstseins (zB Dubs 2009 S 328-341) bei Ler-nenden an

Die Handlung bdquoNahrung zubereitenldquo umfasst neben den einschlaumlgigen hand-werklich-technischen Kuumlchenfertigkeiten auch das Kuumlchenmanagement (Arbeits-organisation unter Beachtung von Sicherheits- und Hygienerichtlinien bei Beschaf-fung Lagerung Zubereitung Aufbewahrung und Ausgabe von Speisen) sowie das Gestalten von Essenssituationen unter Beruumlcksichtigung kultureller Fragen subjek-tiver Motive und Problemlagen menschlichen Ernaumlhrungshandelns Auch wenn Alltagssituationen wie die taumlgliche Ernaumlhrungspraxis gerne trivialisiert werden die Zubereitung einer Tagesmahlzeit ist ein anspruchsvoller weil komplexer Lernan-lass fuumlr eine Lerngruppe gekennzeichnet durch Polytelie und Paradigmenvielfalt

3 Ernaumlhrung ndash ein weitlaumlufiges Lernfeld

Die Ernaumlhrung des Menschen ist ein weitlaumlufiges Wissensgebiet mit zahlreichen Bezugswissenschaften die sich spezielleren Fragen der Ernaumlhrung des Menschen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven methodischen Zugaumlngen Arbeitsweisen und theoretischen Modellen unter Ruumlckgriff auf die einschlaumlgigen fachlichen Sys-tematiken und Begrifflichkeiten zuwenden Von Atomen und Elementen uumlber Zell-strukturen biologischer Organismen bis hin zu sozialen Gruppen Gesellschaften und Zivilisationen werden saumlmtliche Wissensgebiete durchlaufen Physik Chemie Biologie Psychologie Soziologie und Kulturwissenschaften liefern eine Fuumllle von Theorien und Gesetzmaumlszligigkeiten

Weil die Ernaumlhrung des Menschen in Verbindung mit allen Lebensbereichen steht spricht der Soziologe Marcel Mauss (1968 S 17) von einem totalen gesell-schaftlichen Phaumlnomen bei dem alle Arten von Institutionen gleichzeitig zum Ausdruck kommen religioumlse rechtliche moralische oumlkonomische aumlsthetische ebenso wie technisch-instrumentelle Aus dieser Tatsache leitet sich auch der An-spruch an Ernaumlhrungsbildung in der Schule ab diese nicht auf normative Ernaumlh-rungserziehung zu reduzieren und zu verzwecken (bdquoHauptsache gesundldquo) sondern Bildung im Sinne der Faumlhigkeit die Phaumlnomene der Welt aus unterschiedlicher Perspektive bdquolesenldquo zu koumlnnen (Dressler 2006) zu verstehen

Eine in diesem Sinn verstandene Ernaumlhrungsbildung (nutrition literacy) soll zu einem reflektierten Verhaumlltnis zu sich zur Sache und zur Welt fuumlhren (Buchner 2013 S 9)

31 Praxis Anwendung welchen Wissens

Schulisches Lernen im Lernfeld Ernaumlhrung ist einer angewandten Lehre und hand-lungsorientierten Didaktik verpflichtet und Ernaumlhrungspraxis im Sinne von Nah-

Taxonomie der Lernwege

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rungszubereitung ist seit jeher ein zentrales Element im Fachunterricht Die uumlber die unmittelbare sinnaumlsthetische Erfahrung beim praktischen Tun zwangslaumlufig hervorgerufene emotionale Beteiligung die jeden Lernprozess begleitet ist eine nicht zu unterschaumltzende Qualitaumlt des Lernens in der Schulkuumlche

Wenn in Anlehnung an Weinert (1998) bdquoguterldquo Unterricht jener ist in dem bdquomehr gelernt als gelehrt wirdldquo3 dann koumlnnte man annehmen dass praktischer Unterricht in der Schulkuumlche per se bdquogutldquo ist weil hier vielfaumlltige Lernhandlungen stattfinden Beim Lob der Praxis wird ja stets auch darauf hingewiesen dass das bdquoVieleldquo eben nicht zur Gaumlnze formal definiert werden kann und gelingende Unter-richtsverlaumlufe einen Schatz impliziten Wissens Einstellungen und Haltungen (vgl Definition Kompetenz) sichtbar machen der auch Schuumllerinnen und Schuumllern mit weniger uumlberzeugenden formalen Lernleistungen eine gute Performanz beschei-nigt

Angesichts der Komplexitaumlt sowohl des Lerninhalts Ernaumlhrung des Menschen als auch der Vielfalt moumlglicher Lernerfahrungen beim Handeln in der Schulkuumlche erachte ich es fuumlr die Studierenden in der Ausbildung als notwendig eine grundle-gende (fach)didaktische Frage als Schluumlssel fuumlr die fachspezifische Unterrichtspla-nung in den fachpraktischen Uumlbungen zu klaumlren

Um die Anwendung welchen Wissens geht es

Welche Denkprozesse sollen gefoumlrdert werden und werden daher bei der jeweili-gen praktischen Anwendung in den Fokus gestellt Neben der Analyse der allge-meinen situativen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen lautet die inhaltliche Pruumlffrage unterstuumltzt der besondere Bildungsgehalt des ge-waumlhlten Themas das angestrebte Ziel des Fachunterrichts in der Schulkuumlche

Geht es um die Foumlrderung von sozial-integrativem Verhalten (agrave Soziales Ler-nen) von sinnerfassendem Lesen einer Rezeptanleitung (agrave Schluumlsselkompetenz mutter- oder fremdsprachliche Kompetenz) und Selbststaumlndigkeit in der Arbeitsor-ganisation (agrave Denk- und Handlungsstrategien entwickeln) oder agrave Kulturtechnik und kulinarisches Handwerk in der Kuumlche technisch-praktischem Verstaumlndnis bei der Nahrungszubereitung (agrave angewandte PhysikChemieTechnik) der Unterstuumlt-zung eines neugierig fragend- und forschenden Interesses bei 10-14jaumlhrigen (agrave naturwissenschaftliches Weltverstehen) oder um Meinungsbildung als Basis muumln-diger Entscheidungen (agrave politische Bildung)

Dementsprechend unterschiedlich sind dann auch die theoretischen Grundla-gen auf denen die Unterrichtsplanung basiert Professionalitaumlt im Lehrberuf entwi-ckelt sich wenn das Handeln in komplexen Ausbildungssituationen zu einem sys-tematischen Unterfangen wird bei dem die Studierenden sowohl das Spezifische einer Situation (Praxis) als auch das hinter dem konkreten Fall liegende Allgemei-ne (das potenziell Generalisierbare ndash die Theorie bzw das Paradigma) zu erken-nen vermoumlgen (vgl EPIK 2009)

Taxonomie der Lernwege

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32 Ernaumlhrungspraxis

Grundlage zur Definition von Ernaumlhrungspraxis4 sind der Lehrplan der Sekundar-stufe 1 sowie die im Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich (EVA) ausgewiesenen Inhalts- und Handlungsdimensionen der ein-zelnen Teilkompetenzen Tab 4 Das Verstaumlndnis von Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung fuumlr die

Sekundarstufe 1

Ernaumlhrungsbildung - Teilkompetenzen (EVA)

Daraus abgeleitete Inhalte und Handlungsdimensionen fuumlr die fachpraktischen Uumlbungen

Das eigene Essverhalten reflektieren und bewerten

Ernaumlhrungsbiografien im Spiegel von Raum (lokal-global) Zeit (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und Person (intra- und interpersonale Faktoren - psychische soziale und kulturelle Einfluumlsse auf das individuelle Essverhalten) verstehen Paradigma ein metakognitives Bewusstsein entwickeln

Sich vollwertig (bedarfsgerecht) ernaumlhren koumlnnen

Evidenz basiertes Wissen uumlber die Inhaltsstoffe unserer Nahrung (Bedarf Aufgaben Vorkommen in Lebensmitteln kuumlchentechnische Eigenschaften) erwerben Paradigma naturwissenschaftliches Verstehen foumlrdern

Eine empfehlenswerte Lebensmittelauswahl treffen

Entscheidungen zur Auswahl von Lebensmitteln aus dem Essenskreisder Ernaumlhrungspyramide nach differenzierten Gesichtspunkten argumentieren (Preis Umwelt- und Sozialvertraumlglichkeit Gesundheitswert Genusswert) Paradigma Urteils- und Handlungsfaumlhigkeit in divergenten Wirklichkeiten

Nahrung naumlhrstoffschonend zubereiten

Gartechniken uumlben bzw erproben (Sicherheit Hygiene Kulturtechniken im Vergleich) Physikalisch-chemische Phaumlnomene bei der Nahrungszubereitung erkennen und nutzen (angewandte Naturwissenschaften) Paradigma handwerklich-technische Fertigkeiten erwerben (effizientes und effektives Arbeiten)

Ernaumlhrung im Alltag nachhaltig und gesundheitsfoumlrderlich gestalten

Haushaltsmanagement Tagesmahlzeiten planen und zubereiten gemeinsam Essenssituationen gestalten (Esskultur lernen) Paradigma selbststaumlndiges und sozial-integratives Handeln lernen

Taxonomie der Lernwege

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Aufgrund der eingangs geschilderten Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschu-le werden sich die fachpraktischen Uumlbungen im Schulunterricht einem ausgewaumlhlten Verstehensweg zuwenden muumlssen Um einem umfassenden Bildungsanspruch ge-recht zu werden werden die Studierenden in der Fachdidaktik angehalten mittelfris-tige Planungen (5-6 Einheiten) als Basismodule und Erweiterungsangebote zu konzi-pieren die jeweils einen relevanten Ausschnitt der Ernaumlhrungspraxis in den Fokus stellen Diese Reduktion und Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg in den fachpraktischen Uumlbungen wird im Folgenden didaktische Konzeption genannt

4 Didaktische Konzeptionen fuumlr die Fachpraxis

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Lernwege besteht in dem der Hand-lung zugrundeliegendem Paradigma bdquoWorin liegt der besondere Erkenntnisge-winn Was soll der Schuumllerdie Schuumllerin tunldquo Das Paradigma oder die Kernidee beschreibt das was letztlich erreicht und verstanden werden soll und ndash salopp for-muliert ndash auch noch nachdem die Schulkuumlche verlassen wurde angewendet werden kann

Worin besteht das Besondere was enthaumllt dieser Lernweg als bestimmende Ka-tegorie und worin unterscheidet er sich von anderen Als Deskriptoren werden in der als Matrix dargestellten Taxonomie modelltypische Phasen im Unterrichtsver-lauf skizziert die fuumlr das Erreichen der Zielvorgabe (Faumlhigkeitsbereich) unabding-bar sind Moumlgliche Themen geeignete Sozialformen typische Lernaufgaben sowie das Lernen unterstuumltzende Materialien ergaumlnzen die Uumlbersicht beispielhaft Jeder Lernweg verlangt dass sich die Studierenden neben der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung des gewaumlhlten beispielhaften Lerninhaltes mit den jeweils spezifischen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Bedingtheiten des ge-waumlhlten Paradigmas befassen und die subjektiven Lernvoraussetzungen ihrer Schuuml-lerinnen und Schuumller mit einbeziehen

Lernprozesse die wir im Unterricht ausloumlsen und steuern sollen dem Schuumller [sic] in der Regel neue Moumlglichkeiten des Handelns und des Erlebens also des Denkens Fuumlhlens und Wertens eroumlffnen Sie sollen sich in einem Wissen niederschlagen aus dem der Schuumller [sic] in neuen Situationen richtig zu handeln und zu urteilen vermag und das ihn befaumlhigt emotional angepasst zu reagieren und Dinge die Gegenstand von Wertungen sind richtig zu beurteilen (Aebli 2011 S 277)

Die Taxonomie der Lernwege fuumlr die Fachpraxis trifft keine Werturteile Jede hier verortete didaktische Konzeption ist per se zulaumlssig weil sie den Vorgaben des Lehrplans entspricht und dem Referenzrahmen Ernaumlhrungsbildung zuarbeitet Le-diglich im gegebenen situativen Kontext ist eine Konzeption mehr oder weniger zielfuumlhrend Die Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg fuumlr zumindest 5-6 Lehreinheiten (mittelfristige Planung mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Lehreinheit) erscheint jedoch notwendig um eine Kompetenzentwicklung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden uumlberhaupt zu ermoumlglichen

Taxonomie der Lernwege

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Tab 51 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (1)

Kategorie NAWI-Lernfeld GESO-Lernfeld

Paradigma Naturwissenschaftliches Den-ken

(Moralische) Urteilsbildung

Modellphasen Muster im Lernweg

1 Beobachten und Wahrneh-men (mit allen Sinnen) 2 Beschreiben (messen wiegen analysieren) Wahrnehmungen objektivieren 3 Ursache-Wirkungs-Gesetzmaumlszligigkeiten erforschen Versuche und Experimente in der Kuumlche (wenn ndash dann) 4 Schlussfolgerungen fuumlr die Nahrungszubereitung (Transfer in den Kuumlchenalltag)

1 Beobachten und Wahrnehmen relevante Kriterien fuumlr die unterschiedlichen Kategorien von Lebensmittelqualitaumlt 2 Vergleiche nach differenzierten Gesichtspunkten das eine und das andere 3 Folgen einer Entscheidung abschaumltzen (Szenarien antizipie-ren) 4 Bewerten und begruumlnden (Rangreihen bilden)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Naturwissenschaftliche Phaumlno-mene im Alltag erkennen und nutzen

Argumentieren die den Normen zugrunde liegenden Werte vertreten

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Mit allen Sinnen wahrnehmen und genieszligen Die Inhaltsstoffe unserer Nah-rung bdquoerforschenldquo Angewandte Chemie Physik Technik in der Kuumlche

Lebensmittelgruppen und Ernaumlhrungsempfehlungen aus differenzierter Sicht (Gesundheit Nachhaltigkeit Kultur) Lebensmitteltechnologien Kaufen oder Selbermachen

Sozialform EA PA EA PA KG

Lernaufgabe Forschungsfragen Fallbeispiel

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Beurteilungsboumlgen fuumlr Sensori-sche Tests Merksaumltze bdquoFor-schungsfibelnldquo

Visualisierungshilfen fuumlr Kategorien Guumltesiegel fuumlr Nachhaltigkeit Entscheidungs-Matrix

Hinweise (1) Der sinnaumlsthetische Zugang ndash der quasi bdquonatuumlrlichsteldquo Zugang zur Ernaumlhrung des Menschen (vgl Buchner Kernbichler amp Leitner 2011 S 66) ndash wird als fachspezifische Methode verstanden die in allen Konzeptionen zum Ein-satz kommt (sensorische Bewertung der hergestellten Speisen Verkostungen Wa-rentests vergleichende Produktbewertungen) aber per se noch kein Paradigma erschlieszligt (2) Da das biografische Lernen nicht an den Lernort Schulkuumlche gebun-den ist findet dieser Praxisbezug keinen Einzug in die Taxonomie

Taxonomie der Lernwege

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Tab 52 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (2)

Kategorie Praktisches Lernen Selbstaumlndigkeit lernen

Paradigma Fertigkeiten lernen ICH

Sozial-integratives Lernen WIR

Modellphasen Muster im Lern-weg

Arbeitsunterricht Erlernen handwerklicher Taumltigkeiten 1 Vorbereiten (Ruumlsten) 2 Durchfuumlhren der Taumltigkeit (wiederholter Vollzug) 3 Bewerten des Arbeitsergebnis-ses (Produkt Prozess)

Problemorientiertes Lernen Selbstaumlndig vollstaumlndige Handlungsablaumlufe planen ausfuumlhren und kontrollieren 1 Informieren 2 Planen 3 Entscheiden 4 Durchfuumlhren 5 Kontrollieren (Ziel er-reicht) 6 Bewerten (Produkt Pro-zess)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Effizientes und effektives Arbei-ten in der Kuumlche

Haushaltsmanagement in variierenden Alltagssituatio-nen

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Lehrgang Gartechniken Konservierung Produkte und Dienstleistungen aus der Kuumlche (Geschenke aus der Kuumlche gesunde Schuljause)

Die Mahlzeiten des Tages Die bdquoZauberformel fuumlr gesunde Ernaumlhrungldquo anwenden kulturelle Uumlbersetzungen fuumlr bdquorichtigeldquo Mahlzeiten Kulinarische Weltreisen (Gast sein hier und anderswo) Food Design

Sozialform EA PA KG

Lernaufgabe Arbeitsauftrag Problemstellung

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Leittexte Rezeptkarten Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lehrfil-me

Leittexte Checklisten zur Arbeitsorganisation zur ProduktProzessbewertung Pensenbuumlcher

Taxonomie der Lernwege

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Ausblick

Die Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschule erfordern ein forciertes Vor-gehen bei der fachspezifischen Unterrichtsentwicklung Im Rahmen ihres Studiums an der Paumldagogischen Hochschule Salzburg arbeiten die Studierenden an bdquoLehrstuuml-ckenldquo (Wiechmann 1999) fuumlr Lernwege und erproben diese Planungen im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien Die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis arbeitet der (schul-)praktischen Ausbildung zu

Zu Studienbeginn erproben Studierende kuumlrzere Unterrichtssequenzen in de-nen einerseits das Training von Fertigkeiten im Zentrum steht (gute muumlndliche schriftliche praktische Anleitungen geben koumlnnen) und andererseits die sensori-sche Produktbewertung als genuin fachspezifische Methode zur Anwendung kommt

In den Folgesemestern wird das fachspezifische Methodentraining dahingehend erweitert dass das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung im (schul)praktischen Un-terricht umgesetzt werden kann

Das NAWI und GESO Lernfeld wird in den houmlheren Semestern in denen Stu-dierende bereits uumlber einen laumlngeren Zeitraum die Klassenfuumlhrung uumlbernehmen verfolgt

Professionalitaumlt im Lehrberuf bedeutet ebenfalls dass behauptete Ursache-Wirkungszusammenhaumlnge auch empirisch bewiesen werden koumlnnen Insofern ist die Taxonomie der Lernwege auch ein Ausgangspunkt fuumlr die Generierung von Hypothesen im Rahmen einer wissenschaftsorientierten Auseinandersetzung mit Unterricht in der Schulkuumlche und seiner Bildungswirksamkeit wie dies in der ab-schlieszligenden Bakkalaureatsarbeit unter Beweis zu stellen ist

Anmerkungen 1 Naturwissenschaftlich und mathematischer Schwerpunktbereich (SP) sprachli-

cher humanistischer und geisteswissenschaftlicher SP musisch-kreativer SP (je-weils eine Wochenstunde) oumlkonomisch und lebenskundlicher einschlieszliglich pra-xisbezogener SP (drei Wochenstunden)

2 Europaumlischer Referenzrahmen Schluumlsselkompetenzen fuumlr lebenslanges Lernen [httpeceuropaeudgseducation_culturepublpdfll-learningkeycomp_depdf]

3 In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Franz E Weinert in Freund J Gruber H amp Weidinger W (Hrsg) (1998) Guter Unterricht - Was ist das As-pekte von Unterrichtsqualitaumlt (S 7-18) Wien OumlBV Paumldagogischer Verlag

4 Zur Bestimmung von Ernaumlhrungspraxis siehe auch das Glossar von REVIS

Taxonomie der Lernwege

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Taxonomie der Lernwege

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Verfasserin

Maga Ursula Buchner

Paumldagogische Hochschule Salzburg

Akademiestraszlige 23 A-5020 Salzburg

E-Mail ursulabuchnerphsalzburgat Internet wwwphsalzburgat

Lernort Kuumlche

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Silke Bartsch und Petra Buumlrkle

Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung Den Rahmen fuumlr die Anspruumlche an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung bietet das REVIS-Bildungsziel 3 Die Nahrungszubereitung wird als ein methodischer Zugang mit vier Phasen (Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen Nachbereitung) verstanden Gezeigt wer-den soll dass aus einer theoriegeleiteten Praxis didaktisch-methodische Gestaltungsmoumlglich-keiten im Umgang mit diesen Phasen erwachsen die Lehren und Lernen erleichtern

Schluumlsselwoumlrter Schulkuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

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Einleitung

Nach dem REVIS zugrunde liegenden Bildungsverstaumlndnis von Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (EVB) hat die Fachpraxis Ernaumlhrung folgende Aufgabe bdquoDamit Fertigkeiten und Faumlhigkeiten als zentrale Elemente von Kompetenz Grundlage fuumlr eigenverantwortliches Handeln werden koumlnnen muumlssen sie theoretisch geleitet transferfaumlhig und reflektiert angeeignet genutzt und weiterentwickelt werdenldquo (Onli-ne-Glossar zur EVB1) Das dazugehoumlrige REVIS-Bildungsziel 3 legt in seiner Inter-dependenz mit dem uumlbrigen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildungscurriculum2 somit die Grundlagen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Schuumllerinnen und Schuumller sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen Dazu gehoumlrt dass sie hellip Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnen hellip Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinn-lichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumlnnen hellip Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwen-den koumlnnen hellip Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnen (Fachgruppe EVB 2005)

Damit wird ein kompetenzorientierter Anspruch an eine theoriegeleitete Fachpraxis Ernaumlhrung formuliert der uumlber die tradierte fachpraktische Nahrungszubereitung deutlich hinausgeht Gleichzeitig sehen sich viele der Lehrerinnen (und Lehrer3) in sogenannten Lehrkuumlchen stehen die nach tradierten Lernzielvorstellungen konzipiert

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sind Entsprechend unterrichten Lehrerinnen Nahrungszubereitung noch haumlufig nach tradierten Lernzielvorstellungen Trotz fantasievoller Einstiegsszenarien die den Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen suchen sind es uumlberwiegend ge-schlossen konzipierte Unterrichtseinheiten mit Lehrgangscharakter die der Systema-tik des Lehrbuches folgen Oft wird dies durch die vorgegebene Stundenaufteilung und der Raumaufteilung (Theorieraum und Schulkuumlche) bdquobegruumlndetldquo In vielen Schulen wird nach dem Muster bdquoPraxis folgt Theorieldquo unterrichtet Bei der fachprak-tischen Arbeit in den Schulkuumlchen fuumlhlen sich Lehrende vielen Belastungen ausge-setzt Geraumluschkulisse hoher Beratungsbedarf der nur selten warten kann Schuumller und Schuumllerinnen die auf das gemeinsame Essen fixiert sind und das alles im 45-Minuten-Takt Ritualisierte Unterrichtsmuster werden von vielen daher als Entlas-tung empfunden

In unserem Beitrag soll der Anspruch des REVIS-Konzepts an die Fachpraxis Ernaumlhrung zusammenfassend vor dem Hintergrund der damit verbundenen Heraus-forderungen fuumlr die Nahrungszubereitung betrachtet werden um einen Rahmen fuumlr die didaktisch-methodischen Uumlberlegungen zu umreiszligen und damit (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer zu bestaumlrken neue Wege zu gehen Entsprechend leitet fol-gende Frage unsere Ausfuumlhrungen

Welche konkreten Ansatzpunkte koumlnnen im Sinne der Kompetenzorientierung eine handlungsorientierte Nahrungszubereitung foumlrdern und gleichzeitig zur Entlas-tung der Lehrenden im Spagat zwischen Anspruch und Schulwirklichkeit fuumlhren

Dazu wird zunaumlchst die Begriffsverwendung geklaumlrt und heutige Herausforde-rungen an die Lehrenden beschrieben um dann auf der Grundlage des Anspruchs an eine kompetenzorientierte Nahrungszubereitung ausgewaumlhlte Ansatzpunkte zu den Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung zu konkretisieren

1 Fachpraxis Ernaumlhrung

11 Begriff Fachpraxis Ernaumlhrung

Da besonders im (Schul-)Alltag die Begriffe Nahrungszubereitung Fachpraxis Ernaumlhrung und zuweilen auch noch Kochen synonym verwendet werden ist erst mal zu klaumlren welche Begriffsverwendung gemaumlszlig dem Anspruch an eine kompe-tenzorientierte Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung uumlblich ist Unter Ernaumlhrungs-praxis versteht man im schulischen Kontext meist den bdquoauf die Nahrungszuberei-tung bezogene Teil der Ernaumlhrungsbildungldquo (Online-Glossar zur EVB4) Intendiert ist Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln bdquodie zur Anwendung der ernaumlh-rungswissenschaftlichen Erkenntnisse im Alltag und Beruf notwendig sindldquo (ebd) Zur intendierten bdquoNutrition Literacyldquo gehoumlrt die Grundorientierung eines bdquonachhal-tigen Konsumsldquo sowie ein bdquokulturelles Verstaumlndnis der Fachpraxis Ernaumlhrungldquo (vgl Methfessel 2005 Methfessel Schlegel-Matthies in diesem Heft)

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Methodische Zugaumlnge

Anknuumlpfend an die Arbeiten von Tornieporth va aus den 1990er Jahren ist auch Konsens dass Nahrungszubereitung nur eine der moumlglichen methodischen Umset-zungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung ist Daher ist fuumlr die nachfolgenden Ausfuumlh-rungen grundlegend dass die Fachpraxis Ernaumlhrung weder Inhalte noch Methode begruumlndet sondern vielmehr didaktisch-methodische Entscheidungen erfordert die ihrerseits im jeweiligen Unterrichtsarrangement verankert werden muumlssen

In unserem Beitrag interessieren methodische Zugaumlnge die eine Nahrungszube-reitung (= Ernaumlhrungspraxis) einschlieszligen um an diesem bevorzugt gewaumlhlten Zu-gang zur Fachpraxis Ernaumlhrung die Anspruumlche und Herausforderungen an eine theo-riegeleitete Fachpraxis zu verdeutlichen Das sind beispielsweise SchmeXperimente (Oepping 2005) Lehrgaumlnge zB Schneidelehrgaumlnge) Zubereitung einer Mahlzeit oder Speise etc Schuumllerwarentests oder Markterkundungen Fachexkursionen (zB zu Orten der Lebensmittelproduktion) sind beispielsweise Methoden der Fachpraxis Ernaumlhrung die nicht zwingend eine Nahrungszubereitung vorsehen

12 Schulkuumlche und Lernwerkstatt als fachdidaktische Konzepte

Uumlber den heutigen Zustand und die Ausstattung von Schulkuumlchen gibt es keine aktu-elle Studie Die in der EIS-Studie beschriebenen Unzulaumlnglichkeiten in deutschen Schulkuumlchen der Sekundarstufe I und ihr hoher Stellenwert bei der Nahrungszuberei-tung als genuine Domaumlne der haushaltsbezogenen Bildung sowie der Sinnesbildung waren daher Anlass im Rahmen des REVIS-Modellprojekts5 eine mobile Esswerk-statt (MEW) zu entwickeln und einen didaktischen Rahmen fuumlr Lernwerkstaumltten vor-zulegen Schlieszliglich sind die vorhandenen Fachraumlume und deren Ausstattung maszlig-gebliche Einflussfaktoren auf die Gestaltung der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Kuumlche [als kulturelles Regelwerk Anmerkung der Autorinnen] bestimmt (also auch) die Auf- und Abwertung von Lebensmitteln durch die damit verbundenen Speisen Zubereitungsarten und Technologien (Methfessel 2005 S 13)

Die in den Schulen noch haumlufig anzutreffenden bdquoLehrkuumlchenldquo folgen tradierten Emp-fehlungen wie sie beispielsweise in einem Merkblatt fuumlr Bau und Einrichtung von Fachraumlumen im Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt aus dem Jahr 2003 zu finden sind Eine Schulkuumlche kann mit Gruppeninseln 4-Kojen und Essbereich 4-Kojen Essbereich und Vorraumlume Gruppeninseln und Essbereich U-Kojen und Essbereich und L-Kojen und Essbereich als Laborkuumlche ausgestattet sein Der Hinweis auf so-genannte bdquoFachnebenraumlumeldquo mit bdquoTheorie- und Essraumldquo die als bdquoErgaumlnzung der Schulkuumlcheldquo dienen (vgl Landesinstitut fuumlr Erziehung und Unterricht Stuttgart 2003) wird von vielen Lehrerinnen (und Lehrern) beherzigt

Dem steht das Lernwerkstattkonzept entgegen wie es beispielweise an der Uni-versitaumlt Paderborn6 umgesetzt wurde Idee ist eine Schulkuumlche mit Werkstattcharak-

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ter und integriertem Seminarbereich um vielfaumlltige fachpraktische Zugaumlnge zu er-moumlglichen und Theorie und Praxis auch raumlumlich zu verknuumlpfen

Anstehende Renovierungen in den Schulen bieten hier Chancen nicht nur die Einrichtungen sondern auch die Fachraumkonzepte zu uumlberdenken und zu moderni-sieren

Eine Mobile Esswerkstatt (MEW) ist eine bewegliche kleine Kuumlchen-einheit die mit einer Grundausstat-tung (Glas-Keramik-Kochfeld mit zwei Kochstellen Backofen An-schlusskabel vier Steckdosen fuumlr den Anschluss von elektrischen Geraumlten zB eines Handruumlhrgerauml-tes Besteck- und Groszligraumschub-laden fuumlr Zubehoumlr) fuumlr die Nah-rungszubereitung eingesetzt werden kann ndash allerdings ohne integrierten Wasseranschluss

Abb 1 Mobile Esswerkstatt (MEW)

13 Herausforderungen bei der Umsetzung

Unterrichtszeiten sind eine Herausforderung Zunaumlchst wecken sie (unabhaumlngig von der zeitlichen Lage im Stundenplan) aufgrund der tradierten Unterrichtspraxis Erwar-tungen an die Gestaltung nach dem bdquo1 + 2 Musterldquo (eine Unterrichtsstunde Theorie zwei Praxis) mit der Vorstellung dass schlussendlich gegessen wird Lehrerinnen die diese Vorstellungen bedienen sind bei Schuumllerinnen und Schuumllern meist beliebt Tageszeit und Essenszubereitung passen je nach Stundenplan nicht zusammen was von Lehrerinnen als Problem wahrgenommen wird ndash aber nach dem EVB-Ansatz keines ist

Unterrichtsraumlume haben Aufforderungscharakter und legen Unterrichtskonzepte nahe bdquoWann kochen wir (endlich)ldquo sind dann immer nagende Fragen der Schuumlle-rinnen und Schuumller an die Lehrenden Klassenraumlume sind zuweilen bdquoFluchtraumlumeldquo so dass nur bei Bedarf in die Schulkuumlche gegangen wird

Geringschaumltzung der Fachpraxis Ernaumlhrung Die (Auszligen-)Wahrnehmung der Nahrungszubereitung als bdquoKochunterrichtldquo wird durch eine auf Zubereitungsfertig-keiten reduzierte Fachpraxis oft von den Lehrpersonen selbst reproduziert und geht entsprechend mit einer geringen Wertschaumltzung einher (Bartsch amp Methfessel 2012)

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Anspruch an die Professionalitaumlt

Dagegen sind die Herausforderungen an ein professionelles Lehren hoch Die Schwierigkeit der Uumlbertragung und der Explikation des Themenfeldes Esskulturrsquo im Unterricht liegt ndash auszliger in der Komplexitaumlt ndash noch in anderen Zusam-menhaumlngen Erstens in den unterschiedlich gewichteten Aspekten und zweitens in der Einbindung in unterschiedliche Ebenen Hinzu kommt drittens der kulturelle Wandel der je nach Zeitepoche in der Esskultur mehr oder weniger Veraumlnderungen hervorbringt (Roumlszligler-Hartmann 2012 S 101)

Niemand kann bei jeder Unterrichtsplanung und -durchfuumlhrung im Unterrichtsalltag stets alle Aspekte beruumlcksichtigen deshalb ist die Grundhaltung entscheidend die sich in Unterrichtsroutinen wiederum niederschlaumlgt Schwerpunktsetzungen helfen bisherige Rituale zu uumlberdenken und auf ihren didaktisch-methodischen Sinn zu pruumlfen Das Theorie- und Praxisverstaumlndnis der Lehrenden ist fuumlr die fachpraktische Arbeit in der Lehrkuumlche handlungsleitend (vgl Buchner 2011) Das bedeutet auch dass sich Lehrende bei der Unterrichtsplanung fragen sollten ob eine Vernetzung von Thema und Nahrungszubereitung sowie ein Zusammenhang von Lernzielen und Unterrichtsaktivitaumlt gegeben und dieses fuumlr die Lernenden erkennbar ist (vgl Wespi amp Senn Keller 2008)

2 Anspruch an die Fachpraxis Ernaumlhrung

21 Verhaumlltnis zwischen Theorie und Praxis

Didaktische Prinzipien leiten die gesamte Unterrichtsgestaltung Kompetenzorientie-rung ist heute der grundlegende Anspruch Demgemaumlszlig gehen didaktisch-methodische Uumlberlegungen vom essenden und konsumierenden Menschen aus (Fachgruppe EVB 2005) Weitere didaktische Prinzipien die sich als foumlrderlich fuumlr den Kompetenzerwerb erweisen ordnen sich der Kompetenzorientierung entspre-chend unter

Dieser Anspruch an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung erscheint auf den ersten Blick einfach so ist doch die Anwendung durch die Praxis dabei Entsprechend der Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001 S 27f) geht es hier um transferfaumlhige Kompetenzen die Dimensionen Kognition Volition Motivation einschlieszligen und eigenstaumlndiges verantwortliches Handeln intendieren Um diesem zu genuumlgen muss die Fachpraxis theoriegeleitet sein und didaktische Prinzipien zielgerichtet beruumlcksichtigen Fuumlr eine theoriegeleitete Fachpraxis ist die Handlungsorientierung zentral sie ist vielen Lehrerinnen ein gelaumlufiger Begriff (Fachgruppe EVB 2005 S 87) haumlufig ohne das dahinterstehende Konzept tatsaumlch-lich umsetzen zu koumlnnen

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22 Handlungsorientierung und Handlungsprodukte

Das Waschen Schaumllen Schneiden einer Kartoffel ist kein handlungsorientiertes Vorgehen an sich vielmehr geht es um eine zielgerichtete reflektierte Aktivitaumlt der Lernenden (vgl Tornieporth 1995 Buchner 2002 Meyer 2007)

Handlungsorientierter Unterricht beschreibt ein Verfahren bei dem Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht wird Unter Handlungen werden ziel-gerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrnehmungen konkrete Operationen und intellek-tuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Buchner 2002 S 1)

Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist also durch Elemente des Handelns gekennzeichnet und schlieszligt nach der Handlungstheorie eine Handlungsevaluation dh Ruumlckkopplungs-prozesse ein Es liegt nahe dazu Handlungsziele in Teilplaumlne Teilhandlungen und Teilziele zu zerlegen Die Lernenden muumlssen immer wieder neu vergleichen und anpassen denn erst wenn das gesteckte Ziel erreicht ist ist die Handlung abgeschlos-sen

Ein Kind lernt durch vielmaliges Durchleben und Beteiligen dass das Handlungs-schema fuumlr eine Mahlzeit zubereitenrsquo aus mehreren Teilhandlungen besteht 1 Sich Speisen aussuchen (hellip) 2 Zutaten besorgen (hellip) 3 Nahrung zubereiten (hellip) Tisch decken und ndash nach dem Essen und Genieszligen die 5 Reinigungsarbeiten erledigen (Buchner 2011 S 129)

Das nachfolgende Beispiel weist dabei auf eine entscheidende Problematik bei der schulischen Nahrungszubereitung hin Sind Handlungsprodukte des Unterrichts nicht fuumlr alle Beteiligten transparent unterscheiden sich haumlufig Schuumllererwartungen und unterrichtliche Handlungsziele Beispiel Schuumllerinnen und Schuumller wollen schnellstmoumlglich ein Essen auf den Tisch bekommen und sind damit in erster Linie an der Fertigstellung des Essens interessiert und weniger an Handlungsprozessen Folglich lassen sie sich kaum auf Lernprozesse ein sondern bereiten ein Essen wie aus dem haumluslichen Umfeld gewohnt nach ihrem Geschmack und ihren Gewohnhei-ten zu Erwartungen und Handeln der Lernenden werden durch die haumlusliche Situati-on geleitet Aber im Unterschied dazu geht es bei der schulische Nahrungszuberei-tung nicht um eine Ernaumlhrungsversorgung sondern um Lernen Es muss folglich auch eine Lernsituation hergestellt werden Damit sind nachfolgende Anforderungen an die handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung geknuumlpft

1 Die Komplexitaumlt des Unterrichtsgegenstandes Ernaumlhrung erfordert auch klar definierte Unterrichtsziele mit Schwerpunktsetzungen in den Unterrichtsstunden bzw Unterrichtsbloumlcken

2 Die Festlegung eines Handlungsproduktes fuumlr jeden Unterrichtsblock ist ab-haumlngig vom jeweiligen Unterrichtsziel und kann auch in der Fachpraxis sehr unter-

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schiedlich sein Handlungsprodukt kann eine Mahlzeit und das gemeinsame Essen sein muss aber nicht

3 Handlungsprodukte muumlssen fuumlr Lehrende und Lernende transparent sein 4 Die gemeinsame Festlegung der Handlungsprodukte erhoumlht die persoumlnliche

Bedeutsamkeit und damit die Motivation sich darauf einzulassen sich damit ausei-nanderzusetzen und das Handlungsziel zu erreichen

5 Fachpraxis Ernaumlhrung ist eine Lernsituation fuumlr die eine Reproduktion der haumluslichen Nahrungszubereitung nicht zielfuumlhrend ist

Unterrichtsziel und Festlegung des Handlungsprodukts

Die Bereiche der Nahrungszubereitung und des Essens sind komplexe Bereiche da sie von mehreren Phaumlnomenen und Sachverhalten uumlberlappt werden (Roumlszligler-Hartmann 2012 vgl Methfessel 2005)

Die Komplexitaumlt der Thematik erfordert eine mehrperspektivische Betrachtung die mit beispielhaft entwickelten Unterrichtsmodellen wie zB bdquoTomatenkulturldquo (Tornieporth 1997) bereits in den 1990er Jahren fuumlr unsere Fachdomaumlne fuumlr einen projektorientierten Unterricht begruumlndet wurde Idee ist eine Thematik uumlber die un-terschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder zu erschlieszligen Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist dabei ein Handlungsfeld das ebenso wie die weiteren Unterrichtsbau-steine die aus den unterschiedlichen natur- und kulturwissenschaftlichen Perspekti-ven heraus entwickelt werden hinsichtlich ihres Bildungsgehaltes einer didaktischen Analyse standhalten muss Das bedeutet Jede Unterrichtsstunde bzw jeder Unter-richtsblock erfordert ein Unterrichtsziel mit klar definiertem Handlungsprodukt weil nur so die Komplexitaumlt theoretisch aufgebrochen werden kann Unterrichtsarrange-ments unterscheiden sich folglich gemaumlszlig dem festgelegten Handlungsprodukt Das kann die Situation einer Mahlzeit sein die dann einen gedeckten Tisch und gemein-sames Essen erfordert Das kann auch die Auswertung einer Supermarkterkundung sein die dann eine Praumlsentation der Erkundungsergebnisse erfordert Das koumlnnen auch bdquoProbierhaumlppchenldquo fuumlr eine sensorische Pruumlfung sein Diese hier beispielhaft skizzierten Unterrichtssituationen sind geeignet um Unterrichtsergebnisse zu reflek-tieren und zu evaluieren Reflexionsphasen sind notwendige Bestandteile eines kom-petenzorientierten Lernprozesses Wespi und Senn Keller (2008 S 20) empfehlen fuumlr Lehrende zusammenfassend Kompetenzen sollten fuumlr eine Einheit ausgewaumlhlt und festgelegt beobachtet und beschrieben (Beobachtungsinstrument) ruumlckgemeldet und interpretiert (Feedback) bewertet (Effekte bestimmt) transformiert (Selbstwirk-samkeit uumlberpruumlft) und mit der Ausgangssituation verglichen werden

Transparenz und Bedeutsamkeit eines Handlungsprodukts

Bleiben bei der Zerlegung in Teilhandlungen die (Teil-)Ziele die der Lehrenden werden die Lernenden dieses Vorgehen fantasievoll umschiffen Sind Lehr- und

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Lernziele (in)direkt Teil des Unterrichts dann koumlnnen Lernende ihre Sichtweisen einbringen und Unterrichtsprozesse mitgestalten Der Grad der Mitbestimmung kann dabei ganz unterschiedlich sein Bei Lehrgaumlngen sind es haumlufig die Lehrziele die fuumlr Lernende transparent sein sollten um deren unterrichtliche Bedeutung nachvollzie-hen zu koumlnnen Beispielsweise haben Lehrgaumlnge ihre Berechtigung zur Erreichung von Projektzielen oder bei Vorgaben wie sie beispielsweise bei der Hygieneschu-lung der Fall sind Bei Formen des forschend-entdeckenden Lernens kann das (Lern)Ziel die Loumlsung einer selbstgestellten Frage sein zB der Biskuit ist beim letzten Backen bei vielen zusammengefallen Woran kann das liegen Wie laumlsst sich das vermeiden

Durch bdquoechteldquo d h alltagsrelevante Problemstellungen (Beispiel Helfen Light-Produkte beim Abnehmen Foumlrdert ein hoher Fleischverzehr den Muskelaufbau) ist eine houmlhere Motivation zu erwarten als bei rein bdquoakademischenldquo Problemen (Bei-spiel Uumlbergewicht ein Uumlbel unserer Zeit Ursachen und Folgen) Daraus resultieren Anforderungen an die Aufgabenstellungen Aufgaben sollten komplex anwen-dungsbezogen auf konkrete Handlungssituationen sein um damit Lernprozesse in Gang zu setzen die wiederum eine umfassende Informationssuche und Vernetzung von Fachwissen und Fachkompetenzen in Gang setzen (vgl Wellensieck amp Peter-mann 2002)

Durch die im Alltag vorhandene hohe Komplexitaumlt lassen sich solche problem-orientierten Aufgaben kaum in drei Unterrichtsstunden loumlsen und legen ein projekt-orientiertes Vorgehen nahe Wie bereits bei Tornieporth (1995) die sich ihrerseits unter anderem auf reformpaumldagogische Ansaumltze des 19 Jahrhunderts bezieht sind offene Unterrichtsformen mit handlungsorientierten projektorientierten und prob-lemorientierten Vorgehen erfolgsversprechend Aktuelle Forschungen zum bdquogehirn-gerechtem Unterrichtenldquo bestaumltigen das (Terhart 2009 S 154)

Umgang mit Erfahrungen und Meinungen in der Lernsituation

Die Vielzahl von Erfahrungen (bdquoZuhause machen wir das soldquo) und daraus resultie-rende Meinungen (bdquoDas schmeckt nichtldquo) die Schuumllerinnen und Schuumller mitbringen koumlnnen bei einem subjektorientierten Unterricht die Lernprozesse bereichern Sub-jektorientierte Methoden setzen am bdquosubjektiven Vorverstaumlndnis der Lernendenldquo an und machen bdquodiese (auch) zur Arbeitsgrundlage fuumlr den Unterrichtldquo (Bartsch 2012) Subjektorientiertes Vorgehen ist nicht immer moumlglich trotzdem ist ein sensibler und offener Umgang mit Erfahrungen und Meinungen der Lernenden notwendig um den Transfer zu foumlrdern

Beispielsweise koumlnnen Schuumllerinnen die manchmal Tomaten in der Hand schneiden weil sie es so von ihren (Groszlig-)Muumlttern kennen schnell uumlberzeugt wer-den wenn sie das professionelle Schneiden ausprobieren und uumlben um es dann mit der haumluslichen Methode zu vergleichen Vor- und Nachteile abwiegend nach ver-schiedenen fachlichen Kriterien (zB fuumlr das Schneiden Sicherheit Schneideergeb-

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nis rationelles Arbeiten etc) wirkt in aller Regel uumlberzeugend Um dem Bildungsan-spruch gerecht zu werden muss ein Handlungstransfer angebahnt werden d h auch Lernende mit ihren Alltagserfahrungen ernst nehmen ohne die Fachlichkeit aufzu-geben Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lehrens und Lernens werden hier vereinfacht gesagt Menschen gestaumlrkt und Dinge geklaumlrt

23 Nahrungszubereitung im Unterricht

Werden Speisen zubereitet gibt es einen durch die Sache begruumlndeten Ablauf von vier Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung die nur bedingt austauschbar sind Die einzelnen Phasen werden zunaumlchst im folgenden Abschnitt beschrieben mit dem Ziel Anregungen zur Gestaltung der einzelnen Phasen zu ge-ben sowie Mut zu machen Handlungsprodukte entsprechend des Unterrichtsziels fuumlr die zur Verfuumlgung stehende Unterrichtszeit festzulegen und die Phasen passend dazu flexibel zu handhaben

Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoumlren saumlmtliche Planungsschritte vor dem Beginn der Speisen-zubereitung Dazu gehoumlren Rezeptwahl Rezeptbesprechung Arbeitsplanung Ein-kaufsplanung und -organisation etc

Rezeptwahl In Anlehnung an die SchmeXperimente (Oepping 2005) haben sich nachfolgende drei Kriterien fuumlr die Rezeptwahl bewaumlhrt 1 Grundnahrungsmittel oder naturbelassene Nahrungsmittel (Erweiterung des Erfahrungshorizontes) 2 Nah-rungsmittel- oder Sortenvielfalt und 3 Beitrag zum Erlernen und Uumlben von Grund-techniken der Nahrungszubereitung als Kulturwerkzeug (Weiterfuumlhrende Literatur Roumlszligler-Hartmann 2005 Bartsch 2009)

Einkauf Entsprechend der Intention des Unterrichtsvorhabens kann zB der Einkauf im Mittelpunkt (in Verbindung mit den REVIS-Bildungszielen 5 bis 9) ste-hen Dabei koumlnnen Kriterien fuumlr die Einkaumlufe (Lebensmittelqualitaumlt Preis Nachhal-tigkeit etc) in der Lerngruppe erarbeitet werden die als Teilhandlungsschritt reflek-tiert und evaluiert werden Ein Unterrichtsblock kann hier enden der Einkauf als Hausaufgabe erfolgen die Verwendung der Lebensmittel an anderer Stelle zB Einkauf von Grundnahrungsmitteln die in der Schulkuumlche vorraumltig sind oder Einkauf fuumlr die nachfolgende Zubereitung von Probierhaumlppchen fuumlr eine sensorische Pruumlfung etc An anderer Stelle kann dann aufgrund einer abweichenden Schwerpunktsetzung auf den Einkauf gegebenenfalls verzichtet werden zB vor den groszligen Ferien wenn eine Aufgabe zum Umgang mit verderblichen Vorraumlten und Nahrungsresten die Ziel-setzung ist

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Durchfuumlhrung

An die Vorbereitungs- und Planungsphase schlieszligt die Durchfuumlhrung der Speisenzu-bereitung an Dabei werden in der Regel einzelne Speisen oder Gerichte von den Schuumllerinnen und Schuumller in Teams unter Anleitung und Aufsicht der Fachlehrper-son zubereitet Auch hier geht es wiederum um die jeweils gesteckten Teilziele Zum Beispiel teilen sich die Schuumllerinnen und Schuumller die Aufgaben im Zeit- und Arbeitsplan auf (gegebenenfalls durch einen Aumlmterplan) werden die Lernenden selbst in die Teilzielbeschreibung eingebunden Lehrpersonen begleiten und unter-stuumltzen die Lernenden dabei

Da fuumlr die Nahrungszubereitung nur die vorgegebene Unterrichtszeit zur Verfuuml-gung steht ist ein angeleitetes zuumlgiges und sicheres Arbeiten noumltig Entsprechend der in den Lerngruppen vorhandenen Kompetenzen sind die Unterrichtsarrangement machbar zu gestalten Dabei spielen Demonstrationen eine wichtige Rolle (zB Schneidelehrgang nach Tornieporth 1997)

Essen

Zubereitete Speisen werden schlussendlich auch gegessen Das bdquoWieldquo ist allerdings fuumlr den Lernprozess entscheidend

Essen als Pause Wird das bei Schuumllerinnen und Schuumller beliebte Essen ndash wie immer wieder zu beobachten ist ndash sowohl von Lehrenden als auch Lernenden als bdquoPauseldquo betrachtet fehlen die notwendigen Ruumlckkopplungsschritte zum Handlungs-abschluss Aus diesem Grund wird hier dafuumlr plaumldiert Unterrichtssituationen von Pausensituationen klar zu trennen Essen in der Pause dient zur Ernaumlhrungsversor-gung und Regeneration Dagegen ist Essen Teil eines Handlungszieles und damit Handlungsprodukt ist eine Unterrichtssituation herzustellen

Essen als Teil des Lernprozesses Essen ist ein Teil der Unterrichtspraxis bei der Nahrungszubereitung (Bartsch 2009) den es entsprechend didaktisch-methodisch zu gestalten gilt Zunaumlchst ist hierfuumlr die paumldagogische Begruumlndung der Wuumlrdigung des Handlungsergebnisses anzufuumlhren Dem folgt eine angemessene Praumlsentationssitua-tion der Speisen zB als Buffet als Probierhaumlppchen als SchmeXperimentiergut als Mahlzeit etc

Der naumlchste Schritt ist die Reflektion des Handlungsergebnisses gemaumlszlig der je-weiligen Zielformulierungen fuumlr die ebenfalls ein organisatorischer Rahmen ge-schaffen werden muss Beispielsweise ist es eine grundsaumltzliche Entscheidung ob die Sensorik oder die Mahlzeit (Teil-)Ziel der Handlung ist Im ersten Fall reichen Probehaumlppchen aus im zweiten Fall ist ein Tisch zu decken um eine Tischgemein-schaft herzustellen (Leitner 2011) In diesem Punkt unterscheidet sich die Lernsitua-tion vom haumluslichen Kochen In der Fachpraxis geht es darum die zubereiteten Spei-sen zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der angewendeten Garmethode zu bewerten und das Arbeitsergebnis entsprechend zu reflektieren Auch eine ge-

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schmackliche Auswertung folgt hier nicht allein persoumlnlichen Vorlieben (vgl Meth-fessel amp Schlegel-Matthies i d Heft)

Essen als Teil der Pause Essen kann auch den Raum bieten wo Lernende und Lehrende sich besser kennen lernen koumlnnen Daruumlber hinaus kann eine bdquovertrauteldquo Lehrperson Lernende eher zum Essen bdquounbekannterldquo Speisen ermutigen und moti-vieren (Vorbildfunktion) Die Tatsache dass Schuumllerinnen und Schuumller eine Speise selbst hergestellt haben motiviert viele zusaumltzlich etwas zu verkosten was sie eigent-lich nicht moumlgen oder noch nie gegessen haben Hierfuumlr ist es sinnvoll ein geson-dertes Zeitfenster als bdquoPauseldquo vom Unterricht einzuplanen Dieses kann als fester Bestandteil der Nahrungszubereitung ritualisiert werden Um den Erwartungsdruck im Unterricht eine Mahlzeit zuzubereiten herauszunehmen ist es hilfreich dass so-wohl uumlbrige Speisen aus der Fachpraxis als auch mitgebrachte Pausenbrote gegessen werden koumlnnen

Nachbereitung

Nach dem Essen folgt fuumlr die Schuumllerinnen und Schuumller die meist unbeliebteste Pha-se der Nachbereitung die selten als Unterricht wahrgenommen wird So muss in der Schulkuumlche aufgeraumlumt werden Arbeitsflaumlchen gesaumlubert Geschirr Besteck und Arbeitsgeraumlte kontrolliert nachgezaumlhlt und eventuelle Reste versorgt werden Hierfuumlr ist ausreichend Unterrichtszeit einzuplanen

Eine sorgfaumlltige und puumlnktliche Nachbereitung sorgt fuumlr einen reibungslosen Ab-lauf der naumlchsten Gruppen In dieser Phase zeigt sich auch ein professionelles Lehr-Lernverstaumlndnis der Nahrungszubereitung Hilfreich ist es mit den Lerngruppen bdquoStandardsldquo zu erarbeiten die dann in einem routinierten Abschluss enden Bei-spielsweise stellen Lerngruppen Uumlberlegungen an zu den Zubereitungsmengen und zum Umgang mit Speiseresten (Koumlrner amp Bartsch 2012) Ethisches Handeln kann sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit so in konkret ausgehandelte Regeln bei der letzten Phase der Nahrungszubereitung in den Lerngruppen niederschlagen

Schlussbemerkungen

Neben den allgemein schulischen Erfahrungen bringen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer Erfahrungen aus ihren privaten Haushalten mit Diese beeinflussen deren Vorstellungen von fachpraktischem Arbeiten sowie ihr Fachverstaumlndnis und behin-dern den Transfer von fachdidaktischen Forschungen in die Unterrichtspraxis Daran schlieszligt die Frage nach der Ausbildung an den Hochschulen an Welche Kompeten-zen beguumlnstigen eine theoriegeleitete Fachpraxis Wie wird mit Praumlkonzepten und subjektiven Theorien bezuumlglich des Fachverstaumlndnisses in der Hochschulausbildung umgegangen Um die (wahrscheinliche) Diskrepanz zwischen dem EVB-Bildungsanspruch und den individuellen Vorstellungen offenzulegen ist ein erster Schritt Fachverstaumlndnis und Fachanspruch zu thematisieren ndash sowohl in der Hoch-

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schule als Teil des Professionalisierungsprozesses der Fachlehrpersonen als auch in der Schule im Sinne der Partizipation und Gestaltung des eigenen Lernprozesses

Meist werden konkrete fachpraktische Bezuumlge von den Studierenden (oder Leh-renden in Fortbildungen) als hilfreich empfunden Entsprechend bietet sich an die Fachpraxis Ernaumlhrung die eng mit der Fachidentitaumlt verknuumlpft ist zum Thema zu machen Mit konkreten Fragen kann eine Bruumlcke zwischen Theorie und Praxis her-gestellt werden Beispielsweise Welche Rahmenbedingungen finden die Studierende an ihren Praktikumsschulen (Unterrichtsraumlumen Stundenplaumlnen Vorstellungen uumlber unser Fach) vor Welche fachdidaktische Konzeptionen sind damit verbunden Wie kann damit im Sinne eines modernen Bildungsanspruchs umgegangen werden Wo-rauf koumlnnen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer unseres Faches Einfluss nehmen Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lernens ist hierbei der Blick auf die Staumlr-kung der (zukuumlnftigen) Lehrenden zu richten und Professionalisierungsprozesse zu foumlrdern

Anmerkungen 1 [wwwevb-onlinedeglossar_ernaehrungspraxisphp] 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Aufgrund der geschlechtstypischen Berufswahl handelt es sich vorwiegend um

Lehrerinnen (Bartsch amp Methfessel 2012) 4 Siehe Anmerkung 1 5 Siehe Anmerkung 2 6 Vgl Paderborner Lernwerkstatt unter

[httpsdsguni-paderborndeenevblernwerkstatt]

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Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe E-Mail bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Petra Buumlrkle

Paumldagogische Hochschule Freiburg Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Kunzenweg 21 D-79117 Freiburg E-Mail petrabuerkleph-freiburgde

Schulkuumlche als Lernumgebung

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Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann

Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichtes bietet die Schulkuumlche als Lernumgebung gute Moumlglichkeiten durch praxisorientierte Impulse welche den Lernenden eine zunehmend eigenstaumlndige Gestaltung ihrer Lebensumwelt ermoumlglichen Handlungskompetenzen im Be-reich der Alltagskultur zu initiieren Im Beitrag wird die Gestaltung einer Lehr-Lernsequenz exemplarisch anhand des Themenschwerpunktes Hygiene erlaumlutert

Schluumlsselwoumlrter Lehr-Lernprozesse Kompetenzorientiertes Planungsmodell Hygiene

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1 Einfuumlhrung

Ziel der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist die Vermittlung von gesundheitsfoumlrderlichen und nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenzen im Bereich der Alltagskultur Weinert (2001) versteht dabei Kompetenzen als bdquodie bei Individuen verfuumlgbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Faumlhigkeiten und Fer-tigkeiten um bestimmte Probleme zu loumlsen sowie die damit verbundenen motivatio-nalen volitionalen und sozialen Bereitschaften und Faumlhigkeiten um die Problemlouml-sungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu koumlnnenldquo Dh Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und durch das Handeln selbst sichtbar

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf die Kompetenzentwicklung von Schuuml-lerinnen und Schuumllern ab und fokussiert somit weniger auf das Lehren sondern auf das Lernen sowie auf das Wechselspiel zwischen Lehren und Lernen Lehren um-fasst dabei die Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen Da das Lernen nur im Inneren dh im Lerner selbst stattfinden kann hat die Lehrkraft nur uumlber diese Steu-erung einen Einfluss auf die moumlglichen Lernvorgaumlnge Der Lernprozess wird dabei unterrichtsmethodisch uumlber die Determinanten Aufgabenstellung Lernmaterialien Methodenwerkzeug Moderation sowie Ruumlckmeldung und Reflexion gesteuert In idealtypischen Lernsituationen werden Lernumgebungen geschaffen die die Lernen-den in eine intensive aktive selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen (Leisen 2010 2011)

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2 Curriculare und fachwissenschaftliche Vorgaben

Inhalte einer verantwortungsbewussten Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ver-stehen sich als lebensweltbezogen Gegenwarts- und zukunftsrelevante Themen ermoumlglichen fachwissenschaftlich begruumlndete Erkenntnisse entwickeln Kompeten-zen und initiieren fuumlr die private Lebensfuumlhrung relevante Lernprozesse Eine Vermittlung geschieht dabei durch das fachspezifische Geflecht von fachwissen-schaftlichen fachdidaktischen sowie fachpraktischen Inhalten Diese orientieren sich an dem Europaumlischen Kerncurriculum zur Ernaumlhrungsbildung und dem REVIS-Curriculum Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung Das REVIS-Curriculum ist dabei ein in Deutschland bundesweit gefasster Konsens zu den Bildungszielen Kompetenzen Themen und Inhalten die in der schulischen Ernaumlhrungs- und Ver-braucherbildung als bdquogrundbildendldquo verstanden werden (Heseker 2005)

Zentrale Punkte des REVIS-Rahmencurriculums sind didaktische(n) Prinzipien der Kompetenzorientierung des salutogenetisch ori-entierten und lebenslangen Lernens ein Gesamtkonzept fuumlr den Lebensraum Schule das durch entsprechende Schul-entwicklungsprozesse getragen sein muss (Bartsch 2011)

Das Ziel ist also in diesem Bereich immer jungen Menschen gesundheitsfoumlrderli-che und nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenzen im Bereich der Alltags- und Lebensbewaumlltigung zu vermitteln Folgende Faktoren sind dabei zu beruumlck-sichtigen

bull Zugang zu den Themenbereichen einer gesunden Lebensbewaumlltigung sind stets Erfahrungen und Impulse aus der Lebenswirklichkeit der Lernenden

bull Grundlage des Unterrichts sind kompetenzfoumlrdernde Inhalte in der Regel initiiert durch praxisfoumlrdernde Impulse Die Lernenden sollen ihre Lerninhalte zunehmend selbststaumlndig gestalten und sich von der Haltung des ausschlieszliglich Konsumierenden distanzieren

bull Die Lehrkraft wird als Person des Begleitens Beratens bzw als die Person welche die Lernumgebung gestaltet verstanden

bull Materialien die eine Differenzierung sowie Individualisierung des Lernprozesses eines Lernenden ermoumlglichen sind grundlegend Dabei koumlnnen Realmedien verwendet werden bereits veroumlffentlichte Medien ausgewaumlhlt und auf Eignung bewertet werden oder neue Lernmaterialien konzipiert erarbeitet und evaluiert werden

bull Die Lehrenden wissen dass Klassenraumlume so umstrukturiert werden koumlnnen dass fuumlr die Lernenden geeignete Lernarrangements zur Verfuumlgung stehen Dies ist insbesondere im Bereich der Grundschule von Bedeutung

bull Bei den Inhalten zu praxisorientierten Elementen der Ernaumlhrungsbildung werden Fachraumsysteme beansprucht Der Begriff Fachraumsystem muss an

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dieser Stelle mit dem Begriff bdquoFachraumldquo gleichgesetzt werden Dabei kann es sich um Kuumlchen oder anderen Werkstaumltten handeln

bull Lehrende erfahren in den Lehr-Lernprozessen immer wieder umfassend die bdquovier Handlungsfelder einer veraumlnderten Lernkultur Beobachten Beschreiben Bewerten und Begleitenldquo (Landesinstitut fuumlr Schulentwicklung 2009)

Inhaltliche Aspekte werden stets auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erstellt Da die fachwissenschaftlichen Grundlagen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung sehr komplex sind einer staumlndigen Veraumlnderung unterliegen und somit fortschreitend aktualisiert werden muumlssen ist bei der Sachanalyse die Verwendung der aktuellen Fachliteratur bzw der Bezug auf die Fachgesellschaften (aid BfR BzgA DGE HaBiFo vzbv usw) zwingend notwendig

Im Bereich der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung gibt es inzwischen zahl-reiche etablierte Unterrichtshilfen wie zB den aid-Ernaumlhrungsfuumlhrerschein Kon-sumieren mit Koumlpfchen Money amp Kids SchmExperten Science kids Unterrichts-hilfe Finanzkompetenz Versteckt werbende Maszlignahmen und Materialien sowie kommerzielle oder andere interessengeleitete Angebote die nicht mit den Zielset-zungen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung vereinbar sind haben dagegen in Schulen nichts zu suchen

Weitere sehr gut geeignete Moumlglichkeiten der Esskulturbildung bieten auch der Lebensmitteleinkauf die Nahrungszubereitung und die Mahlzeitengestaltung Hier koumlnnen Schuumllerinnen und Schuumller in besonderer Weise ihre gesundheitsfoumlrderli-chen und nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen im Bereich Ernaumlhrung und Konsum erweitern Wird die Kuumlche als Lernumgebung genutzt muumlssen grundle-gende Bedingungen zu Sicherheit und Hygiene gegeben sein

Die im Folgenden dargestellte Lehr-Lernsequenz zum Kompetenzerwerb in der Lernumgebung Kuumlche mit dem Themenschwerpunkt Hygiene bezieht sich auf das Bildungsziel 3 des REVIS-Curriculums zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo

3 Didaktisch-methodische Gestaltung der Lehr-Lernsequenz

Bei der Planung der Lehr-Lernsequenz orientiert sich die Lehrperson explizit am REVIS-Curriculum zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

Entscheidend ist die Transparentmachung dieses Curriculums fuumlr die Lernen-den Es werden nicht einzelne Inhalte aneinandergereiht sondern die Lernenden erfahren in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen die einen Bezug zu ihrer Lebensumwelt haben einen Zuwachs im Bereich der darge-stellten Kompetenzen und Bildungsziele Somit ist ein direkter Bezug zu ihnen selbst sowie ihrer Lebenssituation gegeben Dies vereinfacht wie spaumlter darge-

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stellt die methodische Umsetzung enorm da die Themen stets aus der Alltagssi-tuation der Lernenden stammen

Die Unterrichtsplanung erfolgt auf der Basis des Kompetenzorientierten Pla-nungsmodells (KPM) nach Leisen (2010) mit den sechs Stufen eines kompetenz-orientierten Lernprozesses

1 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdecken 2 Vorstellungen entwickeln 3 a) Lernprodukt erstellen

b) Informationen auswerten 4 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren 5 a) Lernzugewinn definieren

b) Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erproben 6 Sicher werden und uumlben

Als Planungshilfe wird die entsprechende von Hahn und Wiedemann (Seminar-schulraumltinnen am Staatlichen Seminar fuumlr Didaktik und Weiterbildung in Schwauml-bisch Gmuumlnd) entwickelte Moumlglichkeit der tabellarischen Darstellung von Lehr-Lernprozessen verwendet (Leisen 2010 Maier 2012) Tab 1 Auszug aus der Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene1

Fach und Klasse Hauptanliegen Lernziele Wirtschaft Arbeit und Gesundheit (WAG) Mensch und Umwelt (MuM) Thema der Unterrichtssequenz Wie sieht fuumlr mich ein sauberer Arbeitsplatz aus Hygiene rund um die Nahrungszubereitung

Die Lernenden erleben Hygiene als Voraussetzung sich in der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung gesund zu erhalten Inhaltlicher Schwerpunkt Planung Durchfuumlhrung Interpretation und Dokumentation von Hygienebedingungen in der Kuumlche fuumlr eine gesundheitsfoumlrderliche Nahrungszubereitung im Alltag

Die Lernenden - erleben bewusst die alltaumlgliche Situation eines hygienisch anspre-chenden Arbeitsplatzes - formulieren Hygiene-regeln fuumlr die Bereiche - persoumlnliche Hygiene - Lebensmittelhygiene und - Hygiene am Arbeits-platz - artikulieren und doku-mentieren individuell ihre Ergebnisse - sind in der Lage einen Transfer in die prakti-sche Nahrungszuberei-tung in der Schule und im persoumlnlichen Lebens-umfeld zu leisten

Schulkuumlche als Lernumgebung

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In der Kopfzeile (Tab 1) wird das Hauptanliegen der Unterrichtsstunde als eine Art uumlbergreifendes Lernziel bzw uumlbergreifende Kompetenz dargestellt sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zu denen gearbeitet werden soll Zudem wird zwischen antizipierten Lernprozessen bzw Lernhandlungen der Schuumllerinnen und Schuumller sowie Lehraktivitaumlten bzw Handlungen der Lehrperson differenziert So sollen Lehrkraumlfte zum Nachdenken uumlber die Phasen des Lernprozesses der Lernenden angeregt werden Methodische Uumlberlegungen zur Gestaltung der Lernumgebung bzw organisatorische Aspekte der Unterrichtsdurchfuumlhrung werden in einer mittle-ren Spalte gesondert dargestellt (Gestaltung der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrperson Lernsetting Sozialformen Medien Methoden Gestaltungsele-mente)

4 Methodische Analyse und Begruumlndung der Lehr- Lernsequenz

41 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdeckenEinstieg praumlsentieren

Die Lehrperson verwendet zB als Einstieg Fotos die kritische Umstaumlnde im Be-reich der Hygiene darstellen Die Untergliederung in die Bereiche bdquopersoumlnliche Hygieneldquo die bdquoLebensmittelhygieneldquo und die bdquoArbeitsplatzhygieneldquo wird von der Lehrperson beispielhaft folgendermaszligen praumlsentiert gebrauchtes Pflaster Lebens-mittel mit Gefrierbrand Ausguss mit Speiseresten etc (siehe Kompetenzorientier-tes Planungsmodell Die Lernenden erfahren dadurch einen Lernanreiz aus einer individuellen Alltagssituation welcher ihnen als Impuls bzw als bdquoStoumlrungldquo (Lei-sen 2010) begegnet Dies bietet bewusst allen Lernenden die Moumlglichkeit zur spontanen Artikulation Es entsteht ein kommunikativer und wertfreier Austausch

42 Vorstellungen entwickelnEinstiegsproblem fokussieren und Aufmerksamkeit polarisieren

Die Lehrperson fokussiert das Einstiegsproblem entweder mit der letzten Folie einer PowerPoint-Praumlsentation oder mit einem kurzen Impuls in Form eines Tafel-anschriebs bdquoWir die Kuumlchentesterldquo so dass die Lernenden Vorstellungen entwi-ckeln koumlnnen Sie benennen unhygienische Elemente eines Arbeitsplatzes die sie stoumlren Die Lehrperson stellt nur rote Faserstifte Karten und Magnete zur Verfuuml-gung haumllt sich aber inhaltlich zuruumlck Die Lehrperson sollte nur LernbegleiterIn sein Dennoch ist diese Gelenkstelle fuumlr den weiteren Lernprozess entscheidend da dies die Uumlberleitung bzw Hinfuumlhrung zur Fragestellung der Lernenden ist bdquoWie

Schulkuumlche als Lernumgebung

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sieht eine Kuumlche aus in der ich arbeiten willldquo und bdquoWas kann ich zur Hygiene beitragenldquo

43 Lernprodukt erstellen und Informationen auswerten Aufgabenstellungen anbieten

Das Lernprodukt bezeichnet Leisen als bdquoHerzstuumlckldquo des kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozesses Leisen spricht von der bdquoTrias sbquoLernprodukt ndash Aufgabenstel-lung ndash MaterialMethodenlsquo (Leisen 2013) Er empfiehlt bei der Planung bdquozu pruuml-fen ob die Aufgabenstellung zu dem Lernprodukt fuumlhrt ob der Zeitansatz passt ob das Anspruchsniveau stimmt ob die Lehrkraft dem Thema gerecht wird ob wirklich die Kompetenzen entwickelt werden die anstehen und der Sache dienlich sindldquo (ebd S 67) bdquoLernprodukte entstehen im handelnden Umgang mit Wissenldquo (ebd S14) Hier muss eine Lernumgebung gestaltet werden die stark gepraumlgt ist von Individualisierung und Differenzierung Es muumlssen zahlreiche Lernaufgaben und Lernmaterialien bereitliegen mit deren Hilfe sich die Lernenden eine Thema-tik individuell erarbeiten koumlnnen

Diese Lernaufgaben und Materialien muumlssen so konzipiert bzw variiert wer-den dass ein eigenstaumlndiges Tun uumlberhaupt moumlglich ist dh die Lernaufgaben muumlssen mit ihren Aufgabenstellungen so praumlzise formuliert sein dass sie sich selbst erklaumlren oder mit einer rasch erfassbaren und verstaumlndlichen Erklaumlrung bear-beitbar sind Interessant kann hier auch die Methode des Verfremdens sein Ein Gedicht im Mathematikunterricht ein Bewegungsspiel in Deutsch ein Spiel in den Naturwissenschaften etc Laumlngst sind diese Methoden Teil eines schuumller- und handlungsorientierten Unterrichts

Im vorliegenden Beispiel sind unter den Lernmaterialien beispielsweise Spiele wie Domino oder Memory zu finden Spiele haben einen starken Aufforderungs-charakter und bieten Anreize fuumlr eine praktische Auseinandersetzung mit einer Thematik Ferner wird ein virtuelles Quiz (bdquoLagern Sie richtig im Kuumlhlschrankldquo [wwwinformde] eingesetzt bei welchem es um die sachgerechte Lagerung bzw Bevorratung von Lebensmitteln durch Kuumlhlen geht Vorgefertigte Medien aus den Ordnern bdquoSchmExpertenldquo des aid (2011 und 2012) koumlnnen eingesetzt werden Beim aid erhaumllt man auch Infobroschuumlren zur genannten Thematik Diese koumlnnen ergaumlnzend fuumlr vertiefende Studien bereitgelegt werden Die fachpraktischen Ele-mente der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung werden uumlber zahlreiche Real-medien wie Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte sowie Kuumlhlschrank ergaumlnzt Um an-wendungsorientiert zu arbeiten bietet sich in jedem unterrichtlichen Geschehen in den ernaumlhrungs- und verbraucherbildnerischen Faumlchern die Kulturtechnik der Nah-rungszubereitung an das bdquoKochenldquo Hierfuumlr liegt ein Rezeptblatt vor welches durch seine Struktur ein selbststaumlndiges Zubereiten ermoumlglicht Das Rezeptblatt ist so strukturiert dass die Lernenden zunaumlchst anhand der Uumlberschrift einen Zugang zur Zubereitung erfahren Im Kontext werden dann zunaumlchst alle benoumltigten Kuuml-

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chengeraumlte benannt Eine Tabelle ndash unterteilt in bdquoZutatenldquo und bdquoZubereitungldquo die einander durch Trennungslinien in der Tabelle zugeordnet werden ndash ermoumlglicht durch rasches Erfassen des komprimierten Textes ein sofortiges Nacharbeiten

Um ein Lernprodukt zu erstellen wird den Lernenden ein Leporello (blanko) bereitgelegt Darin notieren bzw dokumentieren sie individuell ihre neu gewonne-nen Erkenntnisse nachdem sie sich die Materie durch die Lernmaterialien er-schlossen haben Ein signifikantes Element dieser kompetenzorientierten Unter-richtsform ist die Anwendung Das Erlernte wird im Kontext der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung unmittelbar in die praktische Umsetzung uumlberfuumlhrt Die Frage ob die Lernenden alles verstanden haben kann in der Vorbereitung eines hygieni-schen Arbeitsplatzes fuumlr eine Schokoladencreme zielgerichtet geloumlst werden Wa-rum hier ausgerechnet eine Schokoladencreme ausgewaumlhlt wurde kann ua mit dem hohen Motivationscharakter dieses Rezeptes beantwortet werden

44 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren auswerten

Der Sinn dieser Phase liegt in der individuellen und selbst formulierten Praumlsentati-on Sachverhalte die in eigenen Worten vorgestellt werden koumlnnen besser behal-ten werden (Gudjons 1997 1998) und machen Lernenden und dem Lehrenden sofort deutlich ob die Inhalte verstanden wurden

Mit der Kugellagermethode erfahren die Lernenden zunaumlchst einen ersten in-teraktiven Austausch Im vorliegenden Planungsmodell wurden bewusst unter-schiedliche Medien und Methoden zur Praumlsentation gewaumlhlt Zum einen die schrift-liche Fixierung mittels Tafel Karten und Leporellos zum anderen die handlungsorientiert gestalteten Arbeitsplaumltze

Die Lernenden erfahren durch den Austausch eine Erweiterung der Sozialkom-petenz im Bereich der Kommunikation Zuhoumlren sowie Sprechen und Ausreden lassen werden hier in der Anwendung er-gelernt und vertieft Ferner wird auch die Schreibkompetenz durch die Verschriftlichung der Ergebnisse geschult und geuumlbt Entscheidend fuumlr die Fachwissenschaft sind hier der direkte Zugang zu Fachbegrif-fen und die sofortige situative Umsetzung Durch den Einsatz der gruumln zu beschrif-tenden Karten wird eine Verbindung zum Einstiegsproblem geschaffen (vgl Kar-ten mit roter Beschriftung) naumlmlich mangelhafte Hygienebedingungen und Fachbegriffe werden dabei vertieft

45 Lernzugewinn definieren und Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erprobenLernbewusstheit foumlrdern und neue Kontexte anbieten

Um den Lernzugewinn zu definieren vergleichen die Lernenden ihre individuellen Lernprodukte mit ihren eingangs formulierten Vermutungen Dadurch koumlnnen sie ihren persoumlnlichen Lernzuwachs artikulieren und ihre eigenen Lernprozesse reflek-

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tieren und erleben dadurch ihren eigenen Kompetenzzuwachs Die Lehrperson setzt einen Impuls zur Reflexion in Form eines Fotos (unhygienischer Arbeits-platz) Nach der eigenen Reflexion des Lernprozesses durch die Lernenden kann die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen dazu in individuellen Feedbacks aumlu-szligern

Um die Kernkompetenz Bewaumlltigung von Alltagssituationen zu erweitern muss die Aufgabe in einem neuen Kontext erprobt werden Diese Transferleistung wird in einer praktischen Taumltigkeit erfahren Die Lernenden bereiten zB eine Schokoladencreme zu Konkret werden die erlernten Kompetenzen rund um die Gestaltung eines Arbeitsplatzes der den neu formulierten Hygienebedingungen entspricht uumlbertragen Dadurch beweisen sich die Lernenden als Spezialisten fuumlr persoumlnliche Hygiene Lebensmittelhygiene sowie hygienisches und damit gesund-heitsfoumlrderndes Arbeiten Sie haben damit eine Alltagskompetenz erworben die sie staumlndig in auszligerschulischen Handlungsfeldern benoumltigen

46 Sicher werden und uumlben

Das einmalige Zubereiten eines Teilgerichts kann nun natuumlrlich noch nicht als stets abrufbare Kompetenz vorausgesetzt werden Durch staumlndig wiederkehrende und auch leicht abgeaumlnderte Zubereitungssituationen wird der Lernende das Erfahrene nun eigenstaumlndig (freiwillig) erproben und umsetzen Die Lernenden gewinnen zunehmend aus eigenem Interesse an ihrer persoumlnlichen Gesunderhaltung Sicher-heit bzw Routine in der Gestaltung eines hygienischen Arbeitsplatzes

5 Evaluation und Reflexion Um die Thematik Hygiene zu reflektieren und zu bewerten muss festgestellt wer-den dass bei der Entwicklung einer Lehr-Lernsequenz der Fokus auf der Gestal-tung der Lernumgebung liegen muss Nach der Durchfuumlhrung stehen Fragen wie bdquoWelche der geplanten Lehr-Lernsequenzen muss abgewandelt bzw eliminiert werdenldquo im Mittelpunkt Waren die in der Lernumgebung bereitgestellten Medien und Materialien schuumller- handlungs- bzw leistungsorientiert Wie oft wurde die Lehrperson in welcher Lernsequenz von den Lernenden involviert (als Hilfestel-lung) Mit welchen Kriterien bewerten die Lernenden die bereitgestellten Materia-lien Im Gegensatz dazu reflektieren die Lernenden oft schwerpunktmaumlszligig die Elemente Zubereitung und Verzehr Dies muss in der Reflexionsphase aber durch-aus einbezogen werden In der gemeinsamen Reflexion vereinfachen die Bezugs-punkte des gewaumlhlten Beispiels (Schokocreme Geschmack Darbietung Menge Zutaten Preis Aufwand etc) eine Diskussion

Schulkuumlche als Lernumgebung

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6 Ausblick Fakt ist dass der Lernkontext bdquoAlltagldquo welcher sich in verschiedenen Faumlcherver-buumlnden und Faumlchern wiederfindet stets einen Lebensweltbezug hat Eine intrinsi-sche Motivation den individuellen Alltag zu meistern bietet hervorragende Moumlg-lichkeiten Kompetenzen auch im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu erwerben Durch Lernaufgaben mit Lebensweltbezug fuumlr die Lernenden kann der Individua-lisierung der Heterogenitaumlt sowie der Interkulturalitaumlt in diesem Fach Rechnung getragen werden Die Kuumlche ist also in vielfaumlltiger Art und Weise eine geeignete Lehrumgebung um Lehr-Lernprozesse zu initiieren

Anmerkung

1 Die komplette Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene steht uumlber [wwwhibifode04_2013html] zum Download zur Verfuumlgung

Literatur

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aid (2004) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) Besserwissers Kuumlhlschrank Bestell-Nr 3462 Bonn

Bartsch S (2011) Jugendliche Essende im Fokus der Ernaumlhrungsbildung BeKi-Jahrestagung 2011 in Stuttgart Hohenheim

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Schulkuumlche als Lernumgebung

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Leisen J (2011) Kompetenzorientiert unterrichten ndash Fragen und Antworten zu kompetenzorientiertem Unterricht und einem entsprechenden Lehr-Lernmodell Naturwissenschaften im Unterricht Physik 123124 S 4-10

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Methfessel B (2004) Esskultur und familiale Alltagskultur [httpswwwfamilienhandbuchdecmsErnaehrung_Esskulturpdf_blank]

Weinert F (2001) Leistungsmessungen in der Schule Weinheim-Basel Beltz

Verfasserinnen

Barbara Dittrich Barbara Franta und Profin Dr Petra Luumlhrmann

Paumldagogische Hochschule Schwaumlbisch Gmuumlnd Institut fuumlr Gesundheitswissenschaften Abteilung Ernaumlhrung Konsum und Mode Oberbettringer Str 200 D-73525 Schwaumlbisch Gmuumlnd E-Mail barbaradittrichph-gmuendde barbarafrantaph-gmuendde

petraluehrmannph-gmuendde Internet wwwph-gmuendde

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Larissa Kessner und Melanie Braukmann

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen Der Artikel beschreibt den Einsatz der Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht Die Kar-tei wurde fuumlr die Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8ldquo entwickelt und unterstuumltzt selbststaumlndiges Lernen Anhand vier ausge-waumlhlter Beispiele wird dargestellt wie Schuumllerinnen und Schuumller mit den Karten arbeiten und diese in ihren individuellen Lernprozess einbinden

Schluumlsselwoumlrter Kuumlchenkartei SchmExperten Experimente Binnendifferenzierung

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1 Selbststaumlndig lernen mit der Kuumlchenkartei

Die Kuumlchenkartei1 des aid infodienst e V liefert alle wesentlichen Informationen und Anleitungen die Schuumllerinnen und Schuumller fuumlr das Arbeiten in der Kuumlche benouml-tigen Aussagekraumlftige Fotos und leicht verstaumlndliche Texte verdeutlichen wichtige Hygieneregeln den Einsatz verschiedener Arbeitsgeraumlte allgemeine Arbeitstechni-ken und den Umgang mit ausgewaumlhlten Lebensmitteln

Da die Kuumlchenkartei fuumlr die aid-Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuuml-cheldquo entwickelt wurde thematisiert sie solche Geraumlte Techniken und Lebensmittel die in diesem Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen Die Kuumlchenkartei ist Be-standteil des Medienpaketes bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche

Steckbrief zu den SchmExperten in der Lernkuumlche bull unterrichtsbegleitendes Material zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen bull Zielgruppe Schuumllerinnen und Schuumller der Jahrgangsstufen 6 bis 8 aller Schulformen und

Bundeslaumlnder bull curriculare Einbindung im Fachunterricht und Wahlpflichtbereich zB Hauswirtschaft

Verbraucherbildung Hauswirtschaft und Soziales Arbeitslehre Arbeit-Wirtschaft-Technik bull kompetenzorientiert mit Moumlglichkeiten zur Binnendifferenzierung bull individuell veraumlnderbare Arbeitsblaumltter auf CD-ROM bull Kuumlchenkartei mit 47 Karten zu den wichtigsten Fachinhalten in Wort und Bild bull Kernstuumlck Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte mit allen Sinnen erforschen selbststaumlndig

warme Speisen zubereiten und dabei Rezepte variieren bull Ziel Kuumlchenfertigkeiten und Lebensmittelkenntnisse so vermitteln das die Schuumllerinnen

und Schuumller Speisen gesundheitsorientiert bewerten mit Freude zubereiten und genieszligen koumlnnen

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Tab 1 Themen ausgewaumlhlte Inhalte und Rezepte der SchmExperten in der Lernkuumlche

Thema Inhalte Rezepte

1 Startklar im Team

Portfolio Essknigge Hygiene und Aufraumlumen Krallengriff

Wraps leicht gemacht

2 Getraumlnke ndash Ohne Zucker kein Geschmack

Trinkgewohnheiten Energiespartipps und Sicherheit Rezeptaufbau Messen und Wiegen Etikett und Zutatenliste

Cooler Eistee

3 Gemuumlse ndash Auch im Winter frisch auf den Tisch

5 am Tag und Saisonalitaumlt Einkaufszettel Arbeitsplatzgestaltung Schneiden Kochen Duumlnsten

Gemuumlsesuppe mit Biss Veggietasche mit Soszlige Salat mit Sattwerdgarantie

4 Getreide ndash Typisch italienisch

Getreidevielfalt interkulturelle Aspekte Kraumluter und Gewuumlrze Vollkorn und Saumlttigung

Italienische Gemuumlsebolognese mit Nudeln Feurige Asiapfanne mit Reis Orientalische Kichererbsenpfanne mit Couscous

5 Kartoffeln ndash Frisch oder aus der Tuumlte

Kaufen versus selber machen Mahlzeiten planen Kochen Braten und Backen

Knusprige Kartoffelecken Bunte Kartoffelpuffer Cremiges Kartoffelcurry Salat- und Diprezepte

6 Milch ndash Mindestens haltbar bis

Zutatenmengen umrechnen Muumlllvermeidung und Klimaschutz Mindesthaltbarkeit und Verbrauchsdatum Kuumlhllagerung und Lebensmittelhygiene Naumlhrwerttabelle

Gefuumlllte Pfannkuchen Fruchtiger Milchreis Uumlberbackene Bruschetta

7 Abschlussbuumlfett ndash Kreativitaumlt gewinnt

Speisen fuumlr ein Buumlfett variieren Portfolios praumlsentieren Schulverpflegung bewerten Einkaufstipps

Alle Rezepte

8 aid-Ernaumlhrungs-pyramide

Kernbotschaften der Pyramide Handmaszlig fuumlr Portionsgroumlszligen Bewegungsverhalten Essgewohnheiten reflektieren

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Der aufstellbare Ringordner zur Kuumlchenkartei gliedert sich in fuumlnf verschiedene Themen Unter dem Begriff bdquoSauberkeitldquo sind Inhalte zum hygienischen Arbeiten in der Kuumlche zusammengefasst ndash beginnend mit der persoumlnlichen Hygiene uumlber die Arbeitsplatzhygiene bis hin zur hygienischen Zubereitung Weitere Rubriken greifen Arbeitsgeraumlte wie Kuumlchenwaage oder Vierkantreibe Arbeitstechniken zB das Putzen von Gemuumlse und ausgewaumlhlte Lebensmittel auf Hier zeigen Step-by-Step-Fotos wie bestimmte Lebensmittel vor- und zubereitet werden Unter bdquoExtrasldquo finden die Schuumllerinnen und Schuumller weitergehende Informationen zB zum Tischdecken oder zur aid-Ernaumlhrungspyramide

Insgesamt umfasst die Kuumlchenkartei 47 ndash teilweise doppelseitig bedruckte ndash DIN-A5-Karten Dem Unterrichtspaket bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo liegt dar-uumlber hinaus eine CD-ROM mit veraumlnderbaren Blanko-Karten bei Mit diesen Vorla-gen koumlnnen Lehrende und vor allem Lernende eigene Karten entwickeln und eben-falls im Ringordner abheften

Mit Hilfe der Kuumlchenkartei bull erarbeiten sich die Schuumllerinnen und Schuumller selbststaumlndig Inhalte (zB zur aid-

Ernaumlhrungspyramide) bull uumlberpruumlfen und ergaumlnzen die Jugendlichen selbststaumlndig ihre eigenen Arbeitsergebnisse

(zB Energiespartipps die von KuumlchenExperimenten abgeleitet werden) bull erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller praktische Hilfestellungen die ihrem Kompetenzni-

veau entsprechen (zB Erklaumlrung von Basistechniken wie Gemuumlse putzen ndash wer das schon kann braucht die Karte nicht)

bull gestalten die Lernenden eigene Karteikarten (zB Tipps fuumlr den Einkauf)

2 Eine Kartei ndash verschiedene Lernwege und Einsatzmoumlglichkeiten

Im Folgenden wird anhand exemplarisch ausgewaumlhlter Unterrichtsvorschlaumlge aus dem Unterrichtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo erlaumlutert wie sich die Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht einsetzen laumlsst

21 Experimentieren am Beispiel Raspeltest

Wie das Kunstwort bdquoSchmExpertenldquo (Schmecken + Experimentieren + Experte wer-den) verdeutlicht ist das Experimentieren ein wesentliches Merkmal der SchmEx-perten Neben zahlreichen SinnExperimenten bietet das Unterrichtsmaterial auch verschiedene KuumlchenExperimente mit Lebensmitteln und Kuumlchengeraumlten an

Beim Raspeltest werden die Schuumllerinnen und Schuumller beispielsweise vor die Frage gestellt bdquowie die Gurke in den Zaziki kommtldquo Zur Loumlsung der Aufgabe steht ihnen eine Vierkantreibe und eine Gurke zur Verfuumlgung So koumlnnen sie ausprobieren was die unterschiedlichen Seiten der Reibe bewirken und erarbeiten sich das Hobeln

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Raspeln und Reiben Die Karte zur Vierkantreibe unterstuumltzt die Schuumllerinnen und Schuumller dabei dieses Arbeitsgeraumlt sicher einzusetzen und die verschiedenen Seiten richtig zu benennen Sie macht jedoch keine Vorgaben welche Seite der Vierkant-reibe sich fuumlr Gurken bzw fuumlr einen Zaziki am besten eignet Dies sollen die Schuumlle-rinnen und Schuumller auf Grundlage ihrer Ergebnisse selbst beurteilen

SinnExperimente wecken Neugier Das Experimentieren mit allen Sinnen ermoumlglicht Jugendlichen neue Lernzugaumlnge und schafft Lernmotivation Dabei testen die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Lebensmittel mit allen Sinnen und notieren was sie wahrnehmen

Fuumlr SinnExperimente eignen sich unverarbeitete und auch verarbeitete Lebensmittel So lassen sich verschiedene Verarbeitungsformen auch aus oumlkologischer ernaumlhrungsphysiologi-scher und hauswirtschaftlicher Sicht sowie im Kontext nachhaltigen Handelns diskutieren KuumlchenExperimente trainieren Fach- und Methodenkompetenz Im Mittelpunkt der KuumlchenExperimente steht die Erforschung von physikalischen chemi-schen und biologischen Zusammenhaumlngen die bei der Nahrungszubereitung eine Rolle spie-len Dabei koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller auch Schritte ausprobieren die bei der ei-gentlichen Rezeptzubereitung wenig zielfuumlhrend waumlren

Das Besondere dabei ist dass die Lernenden sowohl naturwissenschaftliche Arbeitsme-thoden als auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten trainieren koumlnnen Wenn mit Lebensmitteln in der ein oder anderen Weise umgegangen wird (zB laumlngere Garzeiten fuumlr haumlrteres Gemuumlse) oder Kuumlchengeraumlte in bestimmter Weise zum Einsatz kommen (zB Toumlpfe immer mit De-ckel) dann stehen meist naturwissenschaftliche Gesetzmaumlszligigkeiten dahinter die es zu verste-hen und dann im Alltag anzuwenden gilt

22 Binnendifferenzierung am Beispiel Pellkartoffeln

Die Schuumllerinnen und Schuumller unterscheiden sich stark in ihren manuellen Geschick-lichkeiten Manche koumlnnen bereits kleine Menuumls alleine zubereiten anderen haben noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln

So sind besonders im haushaltsbezogenen Unterricht die unterschiedlichen Kenntnis-se der Jugendlichen die bereits vorhandenen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Werthaltun-gen das vermeintliche Expertenwissen und das in Herkunftshaushalten und Medien gepraumlgte Alltagsverstaumlndnis der Inhalte bedeutsam fuumlr die Konzeption von Lernpro-zessen (Leutnant 2012 S 66)

Die Kuumlchenkartei kann die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schuumllerinnen und Schuumller beruumlcksichtigen indem sie jederzeit als Nachschlagewerk zur Verfuuml-gung steht Wenn die SchmExperten fuumlr ein SinnExperiment beispielsweise Pellkar-toffeln brauchen finden Kuumlchenneulinge auf der Karte bdquoPellkartoffeln kochenldquo eine schrittweise Anleitung mit Fotos und kurzen Erlaumluterungen Jugendliche mit mehr Erfahrung koumlnnen zunaumlchst auf diese Hilfestellung verzichten Ihnen stellt sich viel-leicht erst zum Ende der Zubereitung die Frage woran sie erkennen dass ihre Kar-toffeln gar sind Auch hier hilft dann die Kuumlchenkartei mit der Karte bdquoGarprobeldquo

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Somit handelt es sich bei den Karteikarten um differenzierende Unterrichtsmate-rialien die einen wichtigen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts bedeuten koumlnnen Laut Leutnant (2012 S 67) muss ein individualisierter Unterricht neben den differenten Lernvoraussetzungen auch die unterschiedlichen Interessens-lagen und vor allem die individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen be-ruumlcksichtigen

23 Rezepte variieren am Beispiel Gemuumlsesuppe

Obwohl die Zubereitung warmer Speisen zu den Kernkompetenzen der SchmEx-perten zaumlhlt enthaumllt das Unterrichtsmaterial eine uumlberschaubare Auswahl an Re-zepten Diese dienen exemplarisch dazu wichtige Basistechniken und das Arbeiten nach Anleitung zu trainieren Dabei laumlsst die Formulierung der Rezepte den Schuuml-lerinnen und Schuumllern insbesondere in Bezug auf Obst und Gemuumlse so viele Frei-raumlume wie moumlglich Daruumlber hinaus finden sich auf allen Rezepten Ideen zur Va-riation von Speisen die die Jugendlichen anregen sollen selbst kreativ zu werden

Das Rezept fuumlr Gemuumlsesuppe ist beispielsweise so konzipiert dass es mit den verschiedensten Gemuumlsesorten gelingt Diese Freiheit ist noumltig um saisongerechtes Gemuumlse verwenden zu koumlnnen Dies soll den Jugendlichen aber auch ermoumlglichen das Rezept nach ihren Vorlieben und Beduumlrfnissen abzuwandeln Statt einer klaren Vorgabe wie welches Gemuumlse vorbereitet werden soll erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller deshalb lediglich allgemeine Anweisungen wie bdquoGemuumlse waschen putzen und falls noumltig schaumllenldquo oder bdquohartes Gemuumlse kleiner schneiden damit es schneller weich wirdldquo

Die Kuumlchenkartei dient in diesem Fall dazu die allgemeinen Anweisungen zu konkretisieren und die Fragen aufzufangen die sich bei der Abwandlung von Rezep-ten ergeben Sie zeigt was bdquoGemuumlse putzenldquo bedeutet welches Gemuumlse geschaumllt werden muss oder wie der Puumlrierstab zu bedienen ist wenn sich die Jugendlichen fuumlr eine cremige Variante der Suppe entscheiden

Die eigenstaumlndige Variation von Rezepten foumlrdert nicht nur die Motivation und Begeisterung sondern auch die Selbststaumlndigkeit und Methodenkompetenz der Schuuml-lerinnen und Schuumller

24 Selbstkontrolle am Beispiel Hygiene

Neben praktischen Anleitungen bildet die Kuumlchenkartei auch theoretische Grundla-gen und unverzichtbare Hygiene- und Sicherheitshinweise ab Ziel ist es hierbei den Sinn bestimmter Regeln und Vorgaben zu verstehen und anwenden zu koumlnnen Die SchmExperten erarbeiten sich die wichtigsten Maszlignahmen zur persoumlnlichen Hygiene deshalb in Form eines Expertenpuzzles

Dabei uumlbernimmt in jeder Arbeitsgruppe ein Jugendlicher die Rolle des bdquoHygie-newaumlchtersldquo und erarbeitet in drei Schritten einen Hygiene-Check Zunaumlchst uumlberlegt

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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sich jeder Hygienewaumlchter alleine eine Loumlsung Anschlieszligend findet eine Partnerar-beit mit Bildkarten statt bevor alle Hygienewaumlchter ihre Ergebnisse vergleichen und gemeinsam eine Checkliste erarbeiten Dieses dreistufige Vorgehen foumlrdert und er-leichtert das kooperative Lernen (vgl Bartsch 2012 S 61)

Die Kuumlchenkartei dient den Schuumllerinnen und Schuumller hierbei zur Selbstkontrol-le Sie uumlberpruumlfen ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse mit Hilfe der passenden Karten Bei Bedarf ergaumlnzen sie daraufhin ihre eigene Checkliste oder erstellen eine eigene Karteikarte mit einem auf ihre Anforderungen abgestimmten Hygiene-Check Ist die Kartei im weiteren Unterrichtsverlauf stets verfuumlgbar bleibt auch der Hygie-ne-Check praumlsent und kann jederzeit wiederholt und abgerufen werden

3 Schritt fuumlr Schritt zu mehr Selbststaumlndigkeit

Die gesamte Unterrichtsreihe betrachtet die Schuumllerinnen und Schuumller als Akteure ihres eigenen Lernprozesses und stellt sie mit ihren Beduumlrfnissen ihrer Lebenswelt ihrem biografischen Hintergrund und ihren Lebensmoumlglichkeiten in den Mittelpunkt

Die Lehrenden uumlbernehmen dabei die Rolle des Moderators der die Schuumllerin-nen und Schuumller begleitet lenkt und motiviert

Lehrpersonen sind fuumlr die Bereitstellung von didaktisch-methodisch durchdachten Unterrichtsarrangements verantwortlich die ein exemplarisches und strukturiertes Lernen an geeigneten Beispielen ermoumlglichen Dabei veraumlndert sich allerdings das Lehr-Lernverhaumlltnis so begleiten und uumlberzeugen Lehrende den Lernprozess durch ihre Fachexpertise bei Moderation Anleitung Beratung etc (Bartsch 2012 S 57)

Ziel des Unterrichtsmaterials ist es jedem Einzelnen Perspektiven und Moumlglichkei-ten aufzuzeigen wie er oder sie seinen bzw ihren physiologischen Bedarf nach aus-gewogenem Essen und Trinken mit den individuellen Beduumlrfnissen in Einklang brin-gen kann

Die Kuumlchenkartei kann Lehrkraumlfte dabei unterstuumltzen auch im fachpraktischen Unterricht eine moderierende Rolle einzunehmen Wie die zahlreichen Schultests mit dem Material gezeigt haben ist die Kuumlchenkartei jedoch kein bdquoSelbstlaumluferldquo Waumlh-rend der praktischen Zubereitung sind die Schuumllerinnen und Schuumller haumlufig versucht ihre Lehrkraft um eine schnelle Anleitung zu bitten anstatt Arbeitsanleitungen genau zu lesen und bei Unklarheiten zunaumlchst die Kuumlchenkartei zu Hilfe zu nehmen

Deshalb ist es wichtig die Kuumlchenkartei zu Beginn einer praktischen Unter-richtsreihe ausfuumlhrlich einzufuumlhren und im weiteren Verlauf immer wieder auf sie zu verweisen Fragechips koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller motivieren zuerst selbst nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen Wenn jede Gruppe pro Stunde beispiels-weise nur vier Chips erhaumllt wird sie versuchen nach eigenen Loumlsungswegen zu su-chen bevor die Lehrkraft zurate gezogen wird Natuumlrlich schlieszligt dieses Vorgehen nicht aus dass die Lehrkraft auch direkte Unterweisungen gibt wenn sie diese fuumlr angebracht und effektiver haumllt

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4 Fazit

Wie die vier ausgewaumlhlten Beispiele zeigen unterstuumltzt die Kuumlchenkartei schuumllerori-entiertes Lernen und selbststaumlndiges Arbeiten Sie ergaumlnzt damit optimal das Unter-richtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo Als Nachschlagewerk und Selbst-lernprogramm laumlsst sie sich aber auch unabhaumlngig davon sehr flexibel im fachpraktischen kompetenzorientierten Unterricht einsetzen

Anmerkung 1 Idee und Konzept der Kuumlchenkartei Susanne Gruumlnwald

Literatur

Bartsch S (2012) Subjektorientierung Ein Beitrag zur kompetenzorientierten Auf-gabengestaltung in der Verbraucherbildung Haushalt in Bildung amp Forschung 3 52-64

Kessner L Braukmann M Bruumlggemann I (2012) SchmExperten in der Lernkuuml-che Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8 Bonn aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Kessner L Braukmann M Wanzek P (2012) Die Kuumlchenkartei Bonn aid info-dienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Leutnant S (2012) Selbstdifferenzierende Aufgabenformate im kompetenzorien-tierten Unterricht Haushalt in Bildung amp Forschung 3 65-76

Fuumlr die Verfasserinnen

Dipl-Oecotrophin Larissa Kessner

aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz eV

Heilsbachstr 16 D-53123 Bonn

E-Mail lkessneraid-mailde Internet wwwaidde

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im folgenden Beitrag sollen einige grundlegende Aspekte der Esskultur1 vorgestellt werden um darauf aufbauend an Beispielen aus dem Unterricht zu erlaumlutern welche Bedeutungen diese kulturellen Voraussetzungen fuumlr die Fachpraxis haben

Schluumlsselwoumlrter Handwerkliche Praxis der Nahrungszubereitung Esskultur Theorie-Praxis-Verknuumlpfung

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Fachpraxis gilt als beliebte Alternative zum sog Theorie-Unterricht und wird oft nach dem Motto sbquoLieber mit der Hand gemacht als daruumlber nachgedachtlsquo erledigt Die intendierten Lernprozesse beinhalten Forderungen an sbquodas Kochenlsquo die von Schuumllerinnen und Schuumllern (leider auch von vielen Lehrpersonen) als unnoumltige Er-schwernis wenn nicht gar als Stoumlrung gesehen werden Tab 1 REVIS-Bildungsziel 3 (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung 2005)

3 Die Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung

Die Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage hellip sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen

Dazu gehoumlrt dass sie hellip bull Mahlzeiten situations- und

alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen

bull Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten

bull Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden

bull Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren

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Lehrpersonen haben erfahrungsgemaumlszlig sehr unterschiedliche Anspruumlche an die Fach-praxis Falls sie nicht den leichteren Weg nehmen und die Jugendlichen sbquokochenlsquo lassen (bdquoDas brauchen die doch fuumlr ihr Lebenldquo) muumlhen sie sich ihnen grundlegende Fertigkeiten und deren theoretische Begruumlndung nahezubringen ndash abhaumlngig vom eigenen Grad der Professionalisierung

Im REVIS-Curriculum2 wurde der bisherige Zugang zur Fachpraxis entscheidend erweitert bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo Der sich hieraus ergebende Bildungsauftrag geht uumlber sbquoKochenlsquo hinaus und wird erst vollstaumlndig wenn die ange-strebte Kompetenz bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzenldquo (s Tab 1) hinzukommt

1 Grundlagen eines sbquokulturellen Verstaumlndnisseslsquo der Nahrungszubereitung3

Menschen sind von Natur aus sbquoKulturwesenlsquo Als sbquoinstinktlose Omnivoren (Alles-fresser)lsquo benoumltigen sie Wissens- und Handlungsstrukturen die es ermoumlglichen die alltaumlgliche Versorgung mit Nahrung zu sichern Diese Strukturen sind grundlegende Legitimation dafuumlr dass Ernaumlhrungsbildung Teil des verbindlichen gesellschaftli-chen sbquoKulturwissenslsquo sein muss gleichberechtigt zu Sprachen Mathematik oder Informatik (vgl Barloumlsius 2011 Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies 2011)

Die geforderten Wissens- und Handlungsstrukturen muumlssen durch leitende Werte und Ziele definiert werden Vorherrschende Begruumlndungen basieren in der Schulkuuml-che meist (falls nicht vorrangig auf Erfahrungen der Lehrkraft) auf natur- und ar-beitswissenschaftlichen Grundlagen ergaumlnzt durch politische Ziele (wie zB Nach-haltigkeit) ndash alles ohne Einordnung in einen groumlszligeren auch kulturellen Zusammenhang Kulturelle Zusammenhaumlnge ermoumlglichen aber erst die Strukturie-rung und Analyse und sind deshalb fuumlr die Ausgestaltung der Fachpraxis zentral

Drei Institutionen des Essens Menschen regeln ihre Wertung von Nahrungsmitteln deren Zubereitung und Ver-zehr uumlber drei Institutionen (vgl Barloumlsius 2011 S 93ff)4

(1) Die kulturelle Bestimmung von bdquoessbarldquo und bdquonicht essbarldquo

Menschen als sbquoOmnivorenlsquo koumlnnten mehr Nahrungsmittel nutzen als sie kennen koumlnnen Dies fuumlhrt dazu dass kulturell bestimmt wird welche Nahrungsmittel ak-zeptiert werden und welche nicht Neben Vertraumlglichkeit und Oumlkonomie (Effizienz des notwendigen Arbeitseinsatzes) gibt es eine Vielzahl von offiziellen (zB religiouml-sen politischen) und inoffiziellen (zB Tabus Moden) Reglementierungen Entspre-chend ist die Nahrungsauswahl auch ein Ausdruck von Normen und Werten bis hin zu den Bewertungen dazu was sbquomanlsquo (wer in welcher Situation) isst oder nicht isst

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Auf dieser Basis entwickelt sich Geschmack welcher dann der sozialen Distink-tion dient Subjektiv wird dieser Zusammenhang selten bewusst wahrgenommen Jugendliche kennen zwar auch sbquoEss-Modenlsquo aber sie empfinden ihre Auswahl zu-naumlchst als selbstverstaumlndlich als Ausdruck ihres sbquoGeschmackslsquo Sie wissen und ver-stehen weder die naturwissenschaftlichen noch die kulturellen Hintergruumlnde fuumlr die sbquoEntwicklung von Geschmacklsquo ndash wie viele Lehrpersonen leider auch nicht

In der Nahrungszubereitung dient die Konfrontation mit Nahrungsmitteln Ge-richten und Geschmaumlckern auch der Entwicklung und Erweiterung eines sbquokulturellen Geschmackslsquo als Teil kultureller Bildung Mit der Zubereitung von Gerichten wer-den nicht nur Kompetenzen angebahnt sondern auch Geschmaumlcker Wertungen und Zuschreibungen (gut ndash schlecht traditionell ndash modern Alltag ndash Sonntag etc) tradiert Ein Geschmack der sbquoHeimatlsquo der sbquoModernelsquo der sbquoGesundheitlsquo oder des sbquoExotischenlsquo wird so erworben ndash oder abgelehnt Geschmackserfahrungen gehen ndash mit Gefuumlhlen und Wertungen verbunden ndash in zunaumlchst unreflektierte sbquoGrundstimmungenlsquo (u a wichtig fuumlr Identitaumlt und Sicherheit) und -haltungen (Zuwendung Abwehr etc) so-wie damit verbundene Handlungsmuster uumlber Erst wenn diese Zusammenhaumlnge verstanden werden kann die eigene Entwicklung als sbquogewordenelsquo reflektiert und die Nahrungszubereitung gezielt zur Erweiterung der Akzeptanzen genutzt werden

(2) Die Kuumlche als kulturelles Regelwerk

Kuumlchen sind sowohl Raumlume mit spezifischer technologischer Ausstattung als auch Bezeichnung fuumlr typische Arten und Weisen der Zubereitung die uumlberdies Botschaf-ten beinhalten (Sprache der Kuumlche) In beider Hinsicht sind sie soziokulturelle Phauml-nomene mit entsprechenden Charakteristika und dienen der kulturellen und sozialen Identitaumlt bdquoZwischen Beduumlrfnis (Hunger) und Befriedigung (Essen und Trinken) setzt der Mensch das ganze kulturelle System der Kuumlcheldquo betont Tolksdorf (1976 S 67) und hebt damit hervor dass die Auswahl Bearbeitung und Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Speisen und Mahlzeiten einem komplizierten und differenzierten Regelwerk unterliegt

Obwohl viele Nahrungsmittel in vielen Laumlndern aumlhnlich oder gleich sind (wie zB Huumllsenfruumlchte Getreide) schmecken die daraus bereiteten Gerichte aufgrund der unterschiedlichen sbquoKuumlchenlsquo voumlllig anders (vgl Schlegel-Matthies 2002) Die Verarbeitung mit teuren Zutaten (fruumlher oft Eier und Fett heute seltene Zutaten) und mit einem houmlheren Aufwand (Arbeit Zeit Wissen und Fertigkeiten) kann zur Auf-wertung fuumlhren (vgl Roumlszligler-Hartmann 2012)

In der Nahrungszubereitung finden diese Aspekte ihren Platz durch vorgegebene leitende Werte und damit verbundene Rezepte sbquoGesundelsquo Rezepte sind fett- und sbquonachhaltigelsquo fleischaumlrmer sbquotraditionellelsquo sind eher fett- und fleischreicher Alltags-speisen beanspruchen weniger Wissen und Zeit als Feiertagsspeisen etc Dabei sind Werte wie sbquogesundlsquo meist unhinterfragt gesetzt werden aber durch andere Werte wie sbquofestlichlsquo sbquoschmackhaftlsquo sbquoexotischlsquo etc verdraumlngt bzw ausnahmsweise ausgesetzt Kuumlchentechniken werden entweder arbeitswissenschaftlich begruumlndet (rationell

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sicher hygienisch) oder mit dem schlichten Hinweis bdquoDas macht man soldquo So kann der kulturelle Hintergrund schnell verdeckt werden

(3) Die Mahlzeit als soziale Institution

Mahlzeiten dienen der Herstellung und Bewahrung von Gemeinschaft und Zugehouml-rigkeit In ihren unterschiedlichen Elementen den Tischgemeinschaften-sitten und -gespraumlchen) ihren Auspraumlgungen in Alltag und Festtag ihrer haumlus-lichfamiliaumlren und auszligerhaumluslichen Erscheinungsform haben sie eine soziokulturell strukturierende Bedeutung (vgl Barloumlsius 2011 S 172ff Schlegel-Matthies 2002 2011)

Eine integrierende bzw ausgrenzende Funktion haben die Bestimmungen wer wann wo in welchem Rahmen zusammen isst sowie die Tischsitten Die Bedeutung der Letzteren ist so stark dass von vielen Menschen sbquoEsskulturlsquo vor allem mit dem Benehmen bei Tisch verbunden wird Dabei sind die Regeln bei genauerer Betrach-tung von den jeweiligen sozialen Zusammenhaumlngen abhaumlngig Sie hatten und haben u a die Aufgabe die soziale Stellung angemessen wiederzugeben Heute gelten zB traditionelle buumlrgerliche Regeln will man sich nicht im Restaurant blamieren oder anderen Menschen denen sie wichtig sind sbquovor den Kopf stoszligenlsquo

Die Nahrungszubereitung ist im Unterricht haumlufig mit gemeinsamem Essen ver-bunden wobei eine Einfuumlhrung in diese sbquoKultur des Essenslsquo erfolgen soll Deren Beherrschung ist haumlufig eine Voraussetzung fuumlr die soziale Akzeptanz von Men-schen ihre Vermittlung ist damit Teil des demokratischen Auftrags von Schule Die hinter den (sozio-kulturell unterschiedlichen) Regeln verborgenen Zusammenhaumlnge sind allerdings wenig bekannt und selten beruumlcksichtigt

Das Bildungsziel zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahl-zeitengestaltung verlangt mehr als die mehr oder (meist) weniger reflektierte Ver-mittlung vorherrschender (sozio-)kultureller Standards auf dem Stand der biogra-phisch erworbenen Erfahrung der Lehrkraft Erfahrungswissen ist wertvoll aber begrenzt (vgl Brandl 2012) Professionalitaumlt verlangt auch bei der Nahrungszuberei-tung Hintergrundwissen Wissen zu natur- und arbeitswissenschaftlichen Zusam-menhaumlngen ist weitgehend als notwendig akzeptiert Es wird aber weniger reflektiert dass und wie auch dieses Wissen kulturellen Einfluumlssen unterliegt Eine solche Re-flexion kann fuumlr einen gelingenden Unterricht hilfreich und das Wissen damit auch notwendig sein

2 Unterschaumltzte Grundwiderspruumlche

21 Professionalitaumlt versus Alltagswissen und -routinen

Jugendliche haben Erfahrungen (zB aus dem Elternhaus oder aus dem Fernsehen) oder Vorstellungen (darunter auch spontane Planungen) wie Nahrung bearbeitet und zubereitet werden kann ndash und sind oft stolz darauf Die haumlusliche Nahrungszuberei-

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tung ist nicht systematisch und rationell organisiert sondern von Raumgestaltung Alltagsroutinen und auch von der Vermischung mit anderen Arbeitsgaumlngen abhaumln-gig Die Ausstattung der Kuumlchen ndash und damit auch Kenntnis und Nutzung einzelner Geraumlte ndash ist entsprechend unterschiedlich

Wenn im Bildungsziel 3 (siehe Tab 1) formuliert ist bdquoTechniken der Nahrungs-zubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden koumlnnenldquo dann sind damit mehr kulturelle Strukturen verbunden als auf den ersten Blick erkennbar Die (im Elternhaus) erlernten Praktiken entsprechen haumlufig nicht professionellen Kriterien die in der Schulkuumlche die Arbeit leiten sollten Die Begruumlndung dafuumlr warum in der Schule professionelle Techniken vorgezogen und damit auch Handlungsalternativen geboten werden und die Unterscheidung zwischen sbquoVerbesserunglsquo von Arbeitspro-zessen sowie nicht verhandel- aber begruumlndbaren Grundlagen von Hygiene und Sicherheit kommen meist zu kurz Eine bloszlige Gegenuumlberstellung von sbquorichtiglsquo und sbquofalschlsquo kann Widerstand wecken Die explizite Gegenuumlberstellung haumluslicher und professioneller Arbeitstechniken die eine Analyse ihrer Unterschiedlichkeit auf-grund verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen zur Grundlage hat ermoumlg-licht beides zu respektieren

Arbeits- und Gartechniken beruumlcksichtigen zB Kriterien wie Arbeitsersparnis Naumlhrstoffschonung oder Geschmack Damit neue Arbeitsprozesse als Erleichterung wahrgenommen werden muumlssen sie Teil der Alltagsroutinen werden Erst dann werden sie Handlungsalternativen Mit offenen Diskussionen daruumlber dass Schule Wissen und Koumlnnen erweitern soll und Unterricht daher keine Spiegelung privater Verhaltensweisen zum Ziel hat sondern Reflexion und Entscheidungsfaumlhigkeit daruumlber kann die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen gefoumlrdert werden Viele Dinge werden klar wenn man die mit ihnen verbundene Arbeitslogik offen legt Der Umgang mit professionellen Kochmessern ist fuumlr Studierende und Jugendliche oft ungewohnt und zunaumlchst befremdlich Sie fuumlhlen sich mit einem kleinen Messer sicherer Man kann zB demonstrieren dass man mit einem kleinen und schmalen Messer auf einem kleinen Brett nicht sinnvoll und auch nicht sicher Gemuumlse schneiden kann Der Umgang mit einem Kochmesser erfordert eine gute Einwei-sung und Uumlbung (vgl Tornieporth 1993) Motivation dazu koumlnnen zB Koch-shows bieten in denen mit solchen Messern gearbeitet wird Voraussetzung ist allerdings dass gute (scharfe) Kochmesser in den Schulkuumlchen nicht nur vorhan-den sind sondern von den Lehrpersonen auch beherrscht und genutzt werden An dem beliebten sbquoHausfrauen-Allzweck-Suppenloumlffellsquo kann und sollte analysiert werden dass man mit ihm auf einem Topfboden nur Kratzspuren hinterlassen und keine Masse mischen kann Schneebesen sind dazu sinnvoller Es gilt entscheiden zu koumlnnen wann man nur kurz umruumlhren und probieren oder wann man Ansetzen vermeiden oder mischen will

Die Entwicklung einer Haushaltstechnik und Arbeitsorganisation sollte der Ar-beitserleichterung im Haushalt dienen Beide druumlcken kulturelle Errungenschaften aus die erlernt und eingeuumlbt werden koumlnnen Werden diese Zusammenhaumlnge klar-

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gestellt ohne den haumluslichen Alltag abzuwerten kann auch die Einhaltung von Regeln leichter werden Dabei sollte auch nicht geleugnet werden dass die ar-beitswissenschaftliche Logik die sich meist auf einzelne Arbeitsprozesse bezieht nicht immer kompatibel ist mit einer sbquoLogik des Alltagslsquo in diesem Alltag sind komplexe Situationen zu bewaumlltigen

22 Buumlrgerliche Kultur und einfache Alltagskuumlche

Die Haushaltslehre orientiert sich in weiten Bereichen an den Normen der buumlrgerli-chen Haushaltsfuumlhrung Bezogen auf eine kulturelle Sozialisation und Integration oder auf eine spaumltere Berufstaumltigkeit kann dies auch sinnvoll sein sollte aber nicht unreflektiert geschehen

Rezepte Gerichte und Mahlzeitengestaltung waren immer durch die unterschied-lichen Lebensbedingungen und -stile bestimmt In reichen Haushalten durfte die Bruumlhe den Appetit anregen in anderen musste eine dicke Suppe den (ersten) Hunger stillen damit Fleisch und andere Lebensmittel gespart werden konnten Wer wenig Zeit und Geld hatte konnte sich auch keinen groszligen Aufwand bei der Nahrungszu-bereitung leisten Wenige Menschen wissen dass das mehrgaumlngige Menu mit geson-dertem Geschirr und Besteck fuumlr jeden Gang in Schuumlsseln aufgetragen auf einen Tisch auf dem eine Tischdecke und Stoffservietten liegen einer Norm aus dem 19 Jahrhunderts folgt Und diese Norm entstand in Haushalten in denen Dienstboten die damit verbundene Arbeit uumlbernahmen Heutige Jugendliche merken zu Recht an dass sie mit den Servierschuumlsseln und -platten mehr Arbeit haben als wenn die Kochtoumlpfe und Pfannen auf den Tisch gestellt werden Nach welchen Regeln das Essen auf den Tisch kommt sollte nicht (nur) die Wiederholung buumlrgerlicher Nor-men beinhalten sondern auch deren Reflexion ndash und damit auch die Suche nach arbeitssparenden Alternativen fuumlr den Alltag in Haushalten (Teller auffuumlllen in der Kuumlche aumlsthetische Bewertung von Kochgeschirr etc) Die Teilkompetenz bdquoMahlzei-ten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnenldquo (s Tab 1) beinhaltet u a solche Uumlber-legungen Die Wertschaumltzung der Arbeit ist im doppelten Sinn geboten (1) Nur wer erkennt dass Nahrungszubereitung auch Freude machen kann und ein wichtiger Teil der Selbstbestimmung daruumlber ist was gegessen wird wird auch bereit sein sich die notwendigen Kompetenzen so anzueignen dass die Arbeit sbquoleicht von der Hand gehtlsquo (2) Die Wertschaumltzung derer ist geboten die diese Arbeit leisten und den ande-ren damit Nahrung bieten Die heutige Familienkultur verhindert haumlufig dass damit verbundene Arbeit erkannt und anerkannt wird weil Kinder und Jugendliche haumlufig nicht mehr sehen wie Nahrung zubereitet wird sondern sie bdquojust in timeldquo vorgesetzt bekommen (vgl Roumlszligler-Hartmann 2007 S 224)

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23 Bewertungen und Qualitaumltskriterien

Mit der ersten Teilkompetenz bdquoSpeisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumln-nenldquo (s Tab 1) sind drei Qualitaumltskriterien festgelegt

Fuumlr Jugendliche (und Studierende) enthaumllt der Hinweis bdquoMir schmecktrsquos aberldquo meist die Botschaft dass alle anderen Kriterien als unwichtig erachtet werden Geschmackswertungen sollten daher explizit von anderen Kriterien wie rationelle und hygienische Arbeitsorganisation Gesundheitswert getrennt werden Zudem sollte Geschmack ein eigenstaumlndiges Thema im Unterricht sein

Der Satz sbquoUumlber Geschmack laumlsst sich nicht streitenlsquo gilt durchaus wenn es um individuelle Praumlferenzen geht Wie diese entstehen und welche Unterschiede zur sensorischen Bildung bestehen ist eine gesonderte Frage Sensorische Bildung leitet an Unterschiede zu analysieren oder die Wirkung von Kombinationen unter-schiedlicher sensorischer Eindruumlcke (Geschmack Geruch Konsistenz etc) ken-nenzulernen ndash und nicht Praumlferenzen vorzuschreiben sbquoGeschmacksbildunglsquo dage-gen legt offen wie Geschmack entsteht was er bedeutet und wie man damit umgehen kann ndash dazu gehoumlrt auch dass und wie man ihn selbst aumlndern kann Sinn-lichkeit beinhaltet all dies und noch mehr Jugendliche sollen Freude am Essen und an der Nahrungszubereitung haben sollen genieszligen lernen denn das muss gelernt werden (vgl Bergler amp Hoff 2011 Houmlhl 2009) Sensorische Bildung und Ge-schmacksbildung gehoumlren zur Sinnlichkeit ebenso wie eine gute Beziehung zum Koumlrper (vgl Bartsch 2008 Methfessel 2002) Versteht man diese Zusammenhaumln-ge muss man sich nicht mehr wundern dass viele Jugendliche von sich aus wenig Interesse zeigen zu probieren und Wuumlrzmoumlglichkeiten zu variieren

Soziokulturelle Differenzen finden sich auch beim Ziel einer Gesundheitsfoumlr-derung Zum einen haben unterschiedlich vorhandene Ressourcen (Zeit Geld Kompetenzen) Einfluss auf das haumlusliche Essensangebot Zum anderen haben Ju-gendliche auch unterschiedliche Haltungen zur Bedeutung des Essens fuumlr die Ge-sundheit In Abhaumlngigkeit vom sozialen Milieu differiert was als sbquogutes Essenlsquo angesehen wird Waumlhrend zB Saumlttigung und Geschmack wichtige Kriterien fuumlr koumlrperlich Arbeitende sind orientieren Menschen aus Milieus mit houmlherem Bil-dungsniveau ihre Nahrung staumlrker an anderen Werten wie Gesundheit Schlankheit angesagten Ernaumlhrungskonzepten (vgl Barloumlsius 2011 Bourdieu 1993 Stieszlig amp Hayn 2005) Bei solchen Orientierungen spielen neben Wissen um die Bedeutung der Nahrung auch Vorstellungen uumlber die Kontrollierbarkeit von Koumlrper und Ge-sundheit eine Rolle (vgl Faltermaier 2005) Daneben ist auch festzustellen dass eine problematische soziale Lage und damit verbundene geringe Erwartungen an die Zukunft auch die Bereitschaft reduzieren kann das Essverhalten selbst zu kon-trollieren bzw kontrollieren zu lassen Wenn das Leben wenig Freuden bietet

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kann das Essen ein wichtiger bdquoFreudengeberldquo und eine bdquoBastionldquo der Selbstbe-stimmung sein5 Diese und andere Zusammenhaumlnge koumlnnen erklaumlren warum Ler-nende sehr unterschiedlich auf Vorgaben der Lehrkraft zum Thema Gesundheit reagieren

Mit dem dritten Kriterium der Nachhaltigkeit ist der Konflikt zwischen indivi-duellem Genuss und politischen Werten der Nachhaltigkeit (Beruumlcksichtigung globaler oumlkologischer sozialer und oumlkonomischer Zusammenhaumlnge) verbunden Jugendliche sind gegenwartsorientiert und viele suchen nach einfachen Wegen zum Wohlbefinden Die Reflexion der globalen Auswirkungen individuellen Konsums (zB bezogen auf Fleisch) und die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung muumlssen erst erlernt werden Damit wird dann ein wertvoller Beitrag zur Bildung fuumlr nachhaltige Entwicklung (BNE) geleistet Fuumlr Jugendliche ist allerdings nicht uumlber-zeugend wenn dies zB nur in einer einzelnen Unterrichtseinheit thematisiert wird dann einmalig Bio-Produkte zubereitet werden und das Kriterium sbquoNachhaltigkeitlsquo keinen Eingang in die handwerkliche Praxis ndash auch mit alltaumlglichen Umsetzungs-moumlglichkeiten ndash findet

Bei der Diskussion um Qualitaumlt und deren Bewertungskriterien sind auch wei-tere Bewertungen und Begruumlndungen welche den Jugendlichen wichtig sind zu erfragen und zu beruumlcksichtigen Dies kann alle Lebensbereiche betreffen religioumlse Vorgaben unterschiedliche Geschmackspraumlferenzen Gesundheitsvorstellungen Sinn und Qualitaumlt von (Halb-)Fertigprodukten etc Die Entwicklung und Begruumln-dung von Qualitaumltskriterien sind eine eigene Bildungsaufgabe Die didaktische Herausforderung liegt darin konstruktiv mit Widerspruumlchen zwischen Kriterien bzw zwischen schulischen Bildungszielen und Interessen von Jugendlichen umzu-gehen

3 Folgerungen

Aus den beschriebenen Zusammenhaumlngen erwachsen viele Herausforderungen an (angehende) Lehrpersonen Zunaumlchst muumlssen sie reflektieren welche kulturellen Muster ihr eigenes Verhalten leiten ndash und sich ggf das dazu notwendige Wissen aneignen Schon allein bei der Auswahl der Rezepte und der damit verbundenen Techniken bewegen sie sich meist nur in dem ihnen vertrauten Rahmen (Jugendli-che sollen zB alles probieren selten wird aber zubereitet was die Lehrkraft selbst nicht mag oder bei der Rezeptauswahl orientiert sie sich nicht an Lehr-Lernzielen und fragt auch nicht nach der Bedeutsamkeit des zu Erlernenden fuumlr die Jugendli-chen) Ein Verstaumlndnis der sbquokulturellen Gewordenheitlsquo schafft einerseits mehr Be-reitschaft sich anderen Gerichten und Techniken zu oumlffnen Anderseits gewinnen Lehrpersonen mehr Faumlhigkeiten mit den unterschiedlichen zu beachtenden Dimen-sionen der Nahrungszubereitung und den Widerspruumlchen zwischen diesen Dimen-sionen umzugehen und Alternativen entwickeln zu koumlnnen Diese Faumlhigkeiten sind

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notwendig um die vierte Teilkompetenz bdquoInformationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnenldquo (s Tab 1) verstehen und vermitteln zu koumlnnen Im Unterricht stehen sich oft Lehrpersonen und Jugendliche gegenuumlber die sehr unterschiedliche Erfahrungen Vorstellungen und Praumlkonzepte zu Haushaltsfuumlhrung und Nahrungs-zubereitung sowie zum Zusammenhang von Essen Koumlrper Gesundheit etc haben Der Umgang mit Widerspruumlchen erfordert mehr als eine rationale Argumentation Eine sbquokultursensiblelsquo Analyse und Reflexion sollte beruumlcksichtigen dass ndash direkte oder indirekte ndash Infragestellungen der familialen sozialen religioumlsen milieuspezi-fischen etc Kultur immer auch Identitaumlt und Selbstwertgefuumlhl beruumlhren

Die Legitimation der Ernaumlhrungsbildung als Teil der Naturwissenschaftlichen Bildung undoder die jeweilige wissenschaftliche Sozialisation verleiten Lehrperso-nen zu oft dazu nur arbeits- und naturwissenschaftliche Theorien zur Begruumlndung der Regeln fuumlr die Nahrungszubereitung heranzuziehen Damit unterliegen sie zwei Begrenzungen Zum einen werden das Alltagshandeln leitende kulturwissenschaftli-che Zusammenhaumlnge ausgeblendet ndash und damit auch ein Zugang zum Handeln und Verhalten der Lernenden verwehrt Zum anderen kann mit dem alleinigen (durchaus sinnvollen und notwendigen) naturwissenschaftlichen Denken (zB bei Experimen-ten) nicht die Komplexitaumlt des Alltags bewaumlltigt werden Kuumlstlers (2012) Bezug auf die MINT6 Faumlcher mag positiv bewertet werden erfasst aber nicht den vollstaumlndigen Fachauftrag welcher uumlber die MINT-Faumlcher hinaus geht

Es kann daher sinnvoll sein Kompetenzmodelle (zB Dachtler-Freiler amp Kuumlst-ler 2012) noch einmal daraufhin zu uumlberpruumlfen wieweit sie kulturelle Aspekte ex-plizit aufgenommen haben Die Kombination naturwissenschaftlicher Bezuumlge mit der Analyse und Reflexion der Entwicklung der Alltagskultur ist nicht nur sinnvoll son-dern bietet auch die fuumlr Lernprozesse notwendige Sinnhaftigkeit So kann zB die Kombination des Verstaumlndnisses der Lebensbedingungen von (Mikro)Organismen mit Wissen zur Denaturierung von Eiweiszlig viele Zusammenhaumlnge von Hygiene und Konservierung erklaumlren Dies fuumlhrt nicht unbedingt zum hygienischen Umgang im Kuumlchenalltag Wissen wird oft erst persoumlnlich sinnhaft wenn bewusst Konsequenzen fuumlr das eigene Handeln gezogen werden Dazu ist zB sinnvoll auch zu diskutieren und zu reflektieren warum viele meinen dass ein Kuumlhlschrank weniger geputzt wer-den muss als eine oumlffentliche Toilette (welche oft nachweislich weniger Keime ent-haumllt) undoder welche anderen Gruumlnde daran hindern ihn alle zwei bis drei Wochen gruumlndlich zu reinigen

Roumlszligler-Hartmann (2012) hat dargestellt dass und wie das Modell einer Mahlzeit zum Ausgangspunkt der Reflexion von Esskulturen genutzt werden kann sbquoDarum herumlsquo kann man noch weitere Moumlglichkeiten schaffen Nahrungszubereitung in all ihren Schritten und Dimensionen als Ergebnis kultureller Entwicklung zu verstehen Der Anthropologe Levi-Strauss (1972) merkte einmal an dass der Mensch sich vom Tier durch den Kult und das Kochen unterscheide Es ist lohnenswert diese mensch-liche Kompetenz zu vermitteln

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Anmerkungen 1 Auf eine theoretische Grundlegung des Begriffes Kultur bzw Alltagskultur oder

wird hier verzichtet (vgl dazu Methfessel amp Schlegel-Matthies im Druck) 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Hier kann kein systematischer Einblick in die Diskussion der Esskultur gegeben

werden (zum Uumlberblick vgl Barloumlsius 2011 Methfessel 2005 Schlegel-Matthies 2001 2002 und die darin jeweils angegebene Literatur)

4 Die Strukturierung von Barloumlsius (2011) bietet eine hervorragende Analysegrund-lage alle weiteren vorgestellten Kategorien koumlnnen sich ihnen gut zu- bzw un-terordnen

5 Ein niedriger Schulabschluss fuumlhrt zu weniger Gesundheit und Lebenszufrieden-heit Bildungsstrukturen benachteiligen sozial Schwache (vgl Daten der GEDA-Studie 2009 nach BMAS 2013 S 198ff)

6 MINT Mathematik Informatik Naturwissenschaft und Technik

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Verfasserinnen

Profin (i R) Dr Barbara Methfessel Paumldagogische Hochschule Heidelberg Fachgebiet Ernaumlhrungs- und Haus-haltswissenschaft und ihre Didaktik E-Mail methfesselph-heidelbergde Internet wwwph-heidelbergdeernaehrungs-und-haushaltswissen-schaftpersonendozentinnenprof-dr-barbara-methfesselhtml

Profin Dr Kirsten Schlegel-Matthies Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Ge-sundheit Department Sport amp Gesund-heit Fakultaumlt fuumlr Naturwissenschaften der Universitaumlt Paderborn E-Mail schlegelmailupbde Internet httpdsguni-paderborndeevbpersonenprof-dr-kirsten-schlegel-matthies

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Silke Bartsch und Jana Brandstaumldter

bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung Zunaumlchst wird uumlber eine begriffliche Klaumlrung eine Annaumlherung an das Phaumlnomen der bdquoErleb-niskuumlcheldquo gesucht um sie als Inspiration fuumlr neue Zugaumlnge fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung nach REVIS1 zu nutzen Ausgangspunkt dafuumlr ist das Erlebnis in seiner Abgrenzung durch das Besondere vom Alltaumlglichen Daran schlieszligen sich in dem hier essayhaft verfassten Beitrag erste fachdidaktische Uumlberlegungen und Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung an

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Erlebnis Kuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung

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Einleitung Zurecht hat er selbst darauf hingewiesen dass Essen die moumlglicherweise komple-xeste menschliche Aktivitaumlt darstellt Man sieht ein Gericht riecht es fasst es an und fuumlhlt es nimmt beim Konsum sowohl Geschmack als auch akustische Reize ndash beispielsweise Knuspern beim Essen eines Eiswuumlrfels ndash wahr Gesellt sich dann noch ein Konzept hinzu wie beispielsweise bei den sich aufloumlsenden Ravioli wird sogar noch das Gehirn stimuliert In dieser Gleichzeitigkeit so vieler Sinneswahr-nehmungen und Reize liegt eine unglaubliche Chance zu neuen Erlebnissen und Erfahrungen die sich Adriagrave immer wieder zu Nutze macht (Blogger uumlber Ferran Adriagrave Sternekoch im spanischen Restaurant El Bulli2)

Das Zitat des spanischen Sternekochs Ferran Adriaacute illustriert ein umfassendes Sin-neserlebnis beim Essen das hier durch die Molekularkuumlche kreiert und inszeniert wird Die Geheimnisse der Kochkunst begleiten die Kulturgeschichte so ist zB aus der Antike bekannt dass besondere Geschmacks- und Sinneserlebnisse zum Vergnuumlgen gesucht wurden (vgl zB Lemke 2007) An diese Tradition knuumlpfen die Vertreter der Molekularkuumlche gerne an die durch die heute zur Verfuumlgung stehenden kuumlchentechnischen Moumlglichkeiten neue Dimensionen schaffen koumlnnen

Die hier gewaumlhlte Wortschoumlpfung Erlebniskuumlche3 greift die Idee der Erlebnis-gastronomie auf Beispiele dafuumlr sind die sog Dinnershows wie bdquoPomp Duck and Circumstancesldquo die Zirkus oder Varieteacute und (gehobene) Gastronomie effektvoll in auszligergewoumlhnlichen bdquoLocationsldquo wie einem Spiegelzelt kombinieren und als Ge-samtevent vermarkten Mit dem Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo soll aber nicht allein auf ein interessantes Geschmackserlebnis fokussiert werden sondern vielmehr soll die gegenwaumlrtig in vielen Varianten anzutreffende Verbindung zwischen bdquoErleb-nisldquo und bdquoKuumlcheldquo sowie Essen und Mahlzeiteninszenierung (Unterhaltung) als

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Phaumlnomen in unserer Gesellschaft herausgestellt werden Bei der Systematisierung der Beispiele faumlllt auf dass Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo in sehr unter-schiedlichen Zusammenhaumlngen beobachtbar sind

Speise13 als13 Erlebnis13 Speise13 und13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

(Essen13 und13 Unterhaltungsprogramm)13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

13 13

Verzehr13 Kein13 Verzehr13 auszligergewoumlhnliche13 Gerichte13 exotische13 Nahrungsmit-shy‐tel13 (zB13 geroumlstete13 In-shy‐sekten)13 mit13 Brausepulver13 13 gefuumlllte13 Kaugummis13 Bubble-shy‐Tea13 FroYo13 (Frozen13 Yogurt)13 hellip13

13

Dinnershows13 Schaukuumlchen13

Themenbezogene13 Kochkurse13 bdquoKrimidinnerldquo13

Dinner13 im13 Dunkeln13 Dicircner13 en13 Blanc13

Restaurants13 mit13 Molekularkuumlche13 (Bsp13 bdquoEl13 Bullildquo13 mit13 Sternekoch13 F13 Adriagrave)13

hellip13

Food-shy‐Blog13 Kochshow13 (TV)13

Lebensmittelfotografie13 Kochbuch13 Kinofilm13

hellip13

13

Abb 1 Kategorisierung von Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo (Quelle Eigene Darstellung)

Wie Abbildung 1 zeigt reicht das Spektrum der Beispiele vom Verzehr bis hin zu solchen bei denen das Essen keine Rolle mehr spielt Auf der einen Seite loumlst der Nahrungsmittelkonsum ein Erlebnis aus und auf der anderen Seite findet kein Kon-sum statt und dennoch wird der Erlebnischarakter uumlber Essen erfasst

Beispiele fuumlr letzteres Phaumlnomen sind Kochshows Food-Blogs etc Unter Food- Blogs werden im Allgemeinen Internetblogs verstanden auf denen Blogger (Privatpersonen Schauspieler Models etc) mehr oder weniger regelmaumlszligig Beitrauml-ge uumlber das weite Themenfeld Essen oft in Verbindung mit Bildern veroumlffentli-chen Ebenso werden hier sog Kochshows im Fernsehen4 als Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo aufgefasst da auch hier eine Verbindung zwischen Erlebnis und Kuumlche besteht ohne dass die Zuschauenden selbst beim Essen teilnehmen Das Beispiel von Kochbuumlchern die einfach nur durchgeblaumlttert werden koumlnnen gehouml-ren ebenfalls in diese Spalte gleichzeitig wird deutlich dass die Uumlbergaumlnge flie-szligend sind da zuweilen das eine oder andere auch gekocht wird Fuumlr die im Schau-bild in der rechten Spalte aufgezaumlhlten Beispiele steht folglich der Unterhaltungscharakter auf visueller Ebene im Vordergrund

Im mittleren Bereich der Abbildung werden Beispiele angeordnet bei denen das Essen selbst mit weiteren (meist essensfremden) Unterhaltungselementen fuumlr die Sinne mehr oder weniger gleichgewichtig inszeniert wird Beispiele fuumlr diesen Bereich stammen uumlberwiegend aus der Erlebnisgastronomie zu der nach heutiger Auffassung etwa Mahlzeiten im Dunkeln und das Krimidinner gehoumlren An dieser Stelle gilt allerdings hervorzuheben dass die Erlebnisgastronomie keine Erfindung

bdquoErlebniskuumlcheldquo

63

des 21 Jahrhunderts ist wie historische Quellen aus dem 15 Jahrhundert belegen (Boron 2005) Ein weiteres Beispiel sind die bdquoDicircner en Blancldquo (Abb 2) bei denen uumlber private (Internet-)Netzwerke ein bdquoMassenpicknickldquo bevorzugt an populaumlren Plaumltzen in Staumldten wie Avenue des Champs-Eacutelyseacutees in Paris organisiert wird Alle Beteiligten sind weiszlig gekleidet

Abb 2 Dicircner en blanc in Karlsruhe 2013 (Bild copy Schlittenhardt [httpdiner-en-blanc-

karlsruhede] Schlieszliglich kann auch die Speise bzw darin verarbeitete Lebensmittel allein der Grund fuumlr ein Erlebnis sein (linke Spalte) Erfahrungsgemaumlszlig loumlsen einige Beispiele ndash auch aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten ndash uumlberwiegend bei Jugendli-chen einen Reiz aus Hierzu zaumlhlen etwa Kaugummis die zunaumlchst eine saure Oberflaumlche haben welche aber durch eine beim Zerbeiszligen austretende suumlszlige Fluumls-sigkeit neutralisiert wird oder Modegetraumlnke (zB Bubble-Tea FroYo) die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen haben

Allen beobachten Formen der bdquoErlebniskuumlcheldquo ist die Hervorhebung der Speise undoder des Essens aus dem Alltaumlglichen und die gleichzeitige Inszenierung eines i d R aumlsthetisch ansprechenden (Sinnes-)Erlebnisses gemeinsam Daraus ergeben sich Fragen und Ansatzpunkte fuumlr die fachdidaktische Diskussion Ziel dieses Beitrages ist die Idee des bdquoErlebnissesldquo aufzugreifen im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Fachpraxis Ernaumlhrung zu explorieren sowie erste Folgerungen fuumlr die Unterrichtsarbeit mit exemplarisch ausgewaumlhlten Lernideen aufzuzeigen Der vorlie-gende Beitrag kann und will dazu lediglich Impulse geben und zur Diskussion anre-gen

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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1 Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo

Wie dargestellt druumlckt der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo die Verbindung zwischen Erleb-nis und Kuumlche aus mit der Idee verbindende Elemente zwischen den unterschiedli-chen Erscheinungsformen der Erlebnisorientierung rund ums Essen hervorzuheben (vgl Brandstaumldter 2013)

Erlebnisse die grundsaumltzlich in Verbindung mit Emotionen5 stehen (vgl Salz-mann 2007) werden haumlufig auch als Buumlndelung einzelner Emotionen beschrieben (vgl Woll 1997) Diese Buumlndel koumlnnen von einem Zusammenspiel unterschiedli-cher Emotionen wie Freude Bewunderung Hass oder Billigung bestimmt sein (vgl Ortony amp Clore 1990) Eine einheitliche begriffliche Definition von Erlebnis exis-tiert derzeit nicht Vielmehr befindet man sich bdquoaugenblicklich noch auf der Suche nach einer schaumlrferen begrifflichen Fassungldquo (Muumlller-Hagedorn 2011 S49) Viele Definitionen zum Thema Erlebnis sind im Marketingbereich angesiedelt da dort Erlebnisse als Marketinginstrument in einer auf jugendliche Ausgelassenheit ausge-richteten bdquoSpaszliggesellschaftldquo zunehmend an Relevanz gewonnen haben Aumlhnliche Tendenzen und Ausdifferenzierungen sind in der (Erlebnis-)Paumldagogik6 beobachtbar

Zusammenfassend koumlnnen Erlebnissen trotz unterschiedlicher Begriffsverwen-dung Attribute wie Auszligergewoumlhnlichkeit Emotionen und Subjektivitaumlt als zentrale Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden Fuumlr die nachstehenden fachdidaktischen Uumlberlegungen ist relevant dass das Erleben selbst keine Verarbeitung des Erlebten einschlieszligt dh fuumlr einen Reflexionsprozess muss zunaumlchst eine bdquoAneignungldquo statt-finden (vgl dazu Scheller 1980)

Durch die Verbindung zwischen Kuumlche die hier als bdquokomplexes kulturelles Re-gelwerkldquo gemaumlszlig der Definition bei Barloumlsius (2011 S 126) verstanden wird und Erlebnis wird bei der bdquoErlebniskuumlcheldquo nun die Wahrnehmung von Speisen undoder Mahlzeiten zum (besonderen) Erlebnis Gemaumlszlig den drei Institutionen von Esskultur (Barloumlsius 2011) kann das Besondere durch die ausgewaumlhlten Nahrungsmittel i d R in Verbindung mit deren Zubereitung undoder uumlber die Mahlzeit erreicht werden

2 Fachdidaktische Uumlberlegungen

21 Abgrenzung von der Alltagskuumlche

Um Alltagskuumlche7 von der bdquoErlebniskuumlcheldquo abzugrenzen muss zunaumlchst festgestellt werden dass hinter den beobachteten Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo eine Profikuuml-che steht Das wird im Umgang mit kommerziellen Erlebnissen (sog bdquoEventsldquo) wichtig da diese von medialen Uumlbersteigerungen leben die weder in der Schule so realisierbar sind noch der Zielsetzung der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ent-sprechen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Uumlber die Abgrenzung der bdquoErlebniskuumlcheldquo von der Alltagskuumlche findet ein Per-spektivwechsel statt Dadurch kann erstens ndash durch den Vergleich ndash erfahrungsba-siertes (Alltags-)Wissen fuumlr den Aufbau fachspezifischer Kompetenzen bedeutsam und zweitens der Blick auf das Alltaumlgliche geschaumlrft werden Die Idee ist uumlber das Besondere den Zugang zum Alltaumlglichen zu bekommen

Wodurch wird bdquoEssenldquo zum Erlebnis Zur Beantwortung dieser Frage muss das Auszligergewoumlhnliche (Erlebnis) vom Gewoumlhnlichen (Alltag) abgegrenzt werden Das bedeutet Alltaumlgliches wird in der Abgrenzung zum Besonderen wahrgenom-men und kann dabei bdquoneuldquo entdeckt analysiert und reflektiert werden

Uumlber das Erlebnis koumlnnen auch Fragen zur Kultur und Technik der Nahrungs-zubereitung sowie Mahlzeitengestaltung herausgefordert sowie das Reflektieren uumlber die entsprechenden Prozesse angestoszligen werden ebenfalls herausgeloumlst aus dem Alltagskontext Funktionsprinzipien (Wie- und Warum-Fragen) koumlnnen inte-ressant werden um zB kuumlchentechnische Effekte zu erzielen (zB Wie entsteht ein Karamellgeschmack) Fertigkeiten und Faumlhigkeiten koumlnnen dabei gefragte fachliche Kompetenzen sein und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermoumlglichen

Intendiert ist ein vertieftes Verstaumlndnis der alltaumlglichen Handlungen dh zum Beispiel zu verstehen dass beim Essen Gemeinschaft (Familie) hergestellt wird oder im genannten Beispiel zu analysieren dass es auf die trockene Hitze beim Karamellisieren ankommt Das fuumlr die Lernprozesse notwendige Fachwissen kann (und sollte) durch die (beratende) Lehrperson und durch entsprechende Materialien bereitgestellt werden

Esskulturelle Bestimmungsgruumlnde der Wahl von Nahrungsmittel koumlnnen dabei ebenso eine Rolle spielen wie naturwissenschaftliche Erklaumlrungen Beispielsweise koumlnnen folgende Fragen wichtig werden Welche Farben lehnen wir bei Lebens-mitteln warum ab Essen wir schwarzen Reis (der im alten China dem Kaiser vor-behalten war) oder lehnen wir ihn ab Warum Wodurch erhalten bdquoSpaghetti al Nero di Seppialdquo ihre schwarze Farbe Fragen zur Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung haumlngen dabei eng zusammen (vgl Methfessel amp Schlegel-Matthies idH)

Die Schaffung eines Erlebnisses uumlber die Situation der Mahlzeit bzw der Dar-bietung der Speisen hat einen hohen Stellenwert in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Was habt ihr wie anders gemacht als im Alltag Was hat euch warum besonders gut gefal-len Welche Lebensmittel sind alltaumlglich Welche sind an besondere Anlaumlsse oder Zeiten gebunden Welche sind wobei undenkbar Auch hier geht es um Alltags-routinen die als solche erkannt werden muumlssen und wiederum auch in ihrer persoumln-lichen und gemeinsamen Bedeutung hinterfragt werden koumlnnen8

22 bdquoLerngeschichtenldquo

Im Ruumlckblick auf die Schulzeit bleiben im Allgemeinen Geschichten in Erinne-rung die oft mit bdquoAha-Erlebnissenldquo verknuumlpft sind So ist auch aus der Erlebnispauml-

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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dagogik bekannt dass erstens Lernprozesse durch Erlebnisse initiiert (motiviert) werden koumlnnen (vgl Schenz 2006) und zweitens durch Erlebnisse Lernen unter-stuumltzt wird (vgl Ebrecht 1998) Das gilt nicht nur fuumlr schulisches sondern auch fuumlr informelles Lernen Die uumlber das Erlebnis zu erreichende Aufmerksamkeit ist als Motivation aus fachdidaktischer Sicht interessant wenn daraus die Lernbereit-schaft zur Auseinandersetzung mit Einzelphaumlnomenen gefoumlrdert werden kann

Allerdings ist ein effekthaschendes Erlebnis an sich noch keine hinreichende Be-gruumlndung fuumlr die fachpraktische Eignung weil dadurch allein kein Kompetenzaufbau gefoumlrdert wird Ersetzen beispielsweise (zeitaufwaumlndige) Kreationen in Anlehnung an die Molekularkuumlche (zB Bubble-Tea) herkoumlmmliche Rezepte aus der Schulkuuml-che kann das zwar unterhaltsam sein und gut ankommen doch ohne weitergehende didaktisch-methodische Uumlberlegungen bleibt es dann auch dabei es ginge uumlber die Unterhaltung die kommerzielle Eventangebote besser realisieren kaum hinaus

23 Sinneserfahrungen

Sinneserfahrungen haben einen prominenten Platz in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Auf-grund der allgemeinen hohen Attraktivitaumlt des Themas ist von Seiten der Schuumlle-rinnen und Schuumller eine latente Offenheit gegenuumlber Neuem zu erwarten (vgl Bartsch 2008) Wird das Gewohnte zB durch veraumlnderte Kontexte oder Verfrem-dung zum Ungewohnten (Bsp Wie schmecken Karotten gedaumlmpft frittiert gegrillt getrocknet etc) kann das Alltaumlgliche interessantes Experimentiergut werden Oder es koumlnnen Geschmackserlebnisse geschaffen werden indem zB Unbekann-tes (Nahrungsmittel) mit Gewohntem (Zubereitungstechniken) gemischt wird Das Erlebnis kann neugierig machen Experimentierfreude wecken den Geschmack-sinn herausfordern und zum Kosten verlocken Aspekte der aumlsthetisch-kulturellen Bildung auf die hier lediglich hingewiesen wird sollten dabei bedacht werden (vgl Heindl 2005) Begleiten positive Emotionen dieses Unterrichtserlebnis wer-den eher Speisen gekostet die vielleicht unter anderen Bedingungen mit Aversion gegessen werden (zB Rosenkohl Fischgerichte) oder gaumlnzlich abgelehnt wuumlrden (vgl Bartsch Methfessel amp Schlegel-Matthies 2006) Auf diese Weise koumlnnen persoumlnliche Sinneserfahrungen ermoumlglicht und thematisiert werden was im Allge-meinen motivierend ist und Neugier und Interesse weckt und im Idealfall zur Voli-tion fuumlhrt

Aus fachdidaktischer Sicht stellt sich daher an dieser Stelle die Frage Wie koumlnnen Sinneserfahrungen zur Sinnesbildung beitragen Beispiel Mit bdquoDinner im Dunkelnldquo werden durch die Ausschaltung des Sehsinns auszligergewoumlhnliche Erleb-nisse in groszliger Perfektion durch kommerzielle Eventveranstalter ermoumlglicht Sin-nesbildung geht daruumlber hinaus So kann das emotionale Erleben Basis fuumlr die Re-flexion werden zB welche Funktionen Bedeutungen haben Sinne fuumlr die Ausbildung einer Esskultur fuumlr die Pruumlfung der Nahrung etc Anders als bei kom-merziellen Angeboten ist hierfuumlr eine perfekte Inszenierung nebensaumlchlich

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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3 Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

31 Erlebnis als Thema in der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die bdquoErlebniskuumlcheldquo als gesellschaftliches Alltagsphaumlnomen fordert den schulischen Unterricht in der Domaumlne Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung mehrfach heraus Perfektion und mediale Uumlbersteigerung fuumlhren haumlufig zu hohen Erwartungen seitens der Jugendlichen und insbesondere in Kombination mit bdquoEdutainmentldquo (Unterhal-tung mit Lernmoumlglichkeiten) vermehrt zu einer Konsumhaltung ndash auch in Unter-richtssituationen in denen die Eigenaktivitaumlt im Vordergrund steht und Selbstwirk-samkeitserfahrungen gemacht werden koumlnnen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

Zunaumlchst ist daher eine Positionierung sinnvoll Unterrichtserlebnisse von Frei-zeiterlebnissen abzugrenzen Ansonsten besteht die Gefahr sich in Inszenierungsde-tails zu verlieren und die fachdidaktische Zielsetzungen zu verfehlen Gleichzeitig lohnt es sich Impulse aus der Erlebnispaumldagogik aufzunehmen um jugendgerechte Zugaumlnge fuumlr die Unterrichtsarbeit zu bekommen ohne sich anzubiedern undoder den Bildungsanspruch aufzugeben (vgl Bartsch 2008) Last but not least koumlnnen Erscheinungsformen der bdquoErlebniskuumlcheldquo im Unterricht einer kritischen Bewertung unterzogen werden um daran exemplarisch Ernaumlhrungstrends und Essmoden zu erarbeiten

32 bdquoErlebnis Unterrichtldquo

Erlebnisse im Unterricht

Uumlber das Besondere kann ein jugendgerechter Zugang gefunden werden um (per-soumlnliche Grenzen uumlberschreitende) Esserlebnisse zu ermoumlglichen Jugendaktionen wie bdquoGut Draufldquo9 arbeiten im Freizeitbereich mit Inszenierungen zu Ernaumlhrung Be-wegung und Entspannung gemaumlszlig dem erlebnispaumldagogischen Ansatz (vgl Mann Schulz amp Streif 2011) Esserlebnisse im sozialen Miteinander bieten in schulischen Unterrichtssituationen einen Mehrwert der im Rahmen des didaktischen Konzepts der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung eine fruchtbare Reflexionsbasis schaffen kann ohne nachtraumlglich die Freude daran zu verderben

So eignet sich die Mahlzeit als eine zentrale Institution der Esskultur (Barloumlsius 2011) gut fuumlr Unterrichtserlebnisse (vgl Mahlzeit als Handlungsprodukte bei Bartsch amp Buumlrkle idH) Uumlber Mahlzeiten wird Gemeinschaft geschaffen die das Lernklima in den Lerngruppen uumlberwiegend positiv beeinflusst In den begleitenden Vor- und Nachbereitungen kann dazu nicht nur Speisen Tischgestaltung und -sitten eingegan-gen werden sondern koumlnnen auch soziale Mechanismen uumlber das Erleben zugaumlnglich gemacht werden um uumlber die (emotionalen) Erfahrungen auch zu reflektieren und im Hinblick auf die heutige Mahlzeitengestaltung zu diskutieren

bdquoErlebniskuumlcheldquo

68

Beispiele

bdquoDinnerldquo unter einem Motto Dazu sind verschiedene Szenarien (bdquoAuftischen bei Koumlnigsldquo bdquoMittelalterliches Ge-lageldquoetc) denkbar Handlungsprodukt kann eine Menuumlinszenierung sein bei der die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Rollen (Essende Dienerschaft Kuuml-chenpersonal etc) uumlbernehmen die allerdings einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung beduumlrfen Dazu bietet sich ein faumlcheruumlbergreifender Unterricht an Wettbewerb als Erlebnis Eine weitere Moumlglichkeit ist die Bewertung von Mahlzeiten Fachdidaktisch inte-ressant sind dabei die Bewertungskriterien die zB reflektiert werden koumlnnen hin-sichtlich ihrer Funktion als gesellschaftliche Norm und Distinktionsinstrument Das Erlebnis kann die Gestaltung der Mahlzeit sein moumlglicherweise sind TV-Formate Vorbilder Bleibt es beim bdquoNachmachenldquo ist eine Lernchance vertan Impro-Cooking Mit der Thematik was aus Lebensmittelresten gezaubert werden kann ist ein Wettbewerb verknuumlpft (Baustein 4 des Unterrichtsmoduls bdquoWertschaumlt-zung und Verschwendung von Lebensmittelnldquo)10

Kinofilme oder Lesungen koumlnnen ebenfalls als Erlebnisse (im fachuumlbergreifenden oder bilingualen Unterricht) inszeniert werden Hier gibt es zahlreiche Ausgestal-tungsmoumlglichkeiten zB entsprechend des Formates des bdquoKulinarischen Kinosldquo11 auf der Berlinale koumlnnen diese unter verschiedenen Perspektiven analysiert inszeniert und reflektiert werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo als Unterrichtsthema

Das Phaumlnomen der bdquoErlebniskuumlcheldquo laumldt dazu ein verschiedene Aspekte zu Ernaumlh-rungsmoden zu bearbeiten und eignet sich daher gut als Projektthema Allein der Versuch die Frage zu beantworten wodurch wird Essen oder eine Speise zum Er-lebnis fuumlhrt zu einer Vielzahl von Unterrichtsthemen die bearbeitet werden koumln-nen Vergleichbar mit anderen Konsumbereichen (zB Bekleidung und Musik) folgen auch Esstrends bzw Ernaumlhrungsmoden einem Modezyklus der beispielhaft anhand der Verbreitung von Modegetraumlnken oder bdquoKochmodenldquo (Beispiel Mole-kularkuumlche) erarbeitet werden kann Eine kritische Wuumlrdigung aus fachwissen-schaftlicher Sicht gibt den Jugendlichen einen Rahmen sich eine fachlich begruumln-dete Meinung zu kommerziellen Angeboten zu bilden ohne bevormundet zu werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Ausblick

Die veraumlnderten Lebensbedingungen in Konsumgesellschaften des 21 Jahrhunderts fordern die Schule heraus Bleibt Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ihrem Bil-dungsauftrag treu geht Unterricht nicht mit freizeitorientierten Unterhaltungsange-boten in Konkurrenz Erlebnisse erzeugen Aufmerksamkeit und motivieren zum Mitmachen Die zum Lernen notwendige Volition bedeutet aber auch zielgerichtetes Wollen In Abgrenzung zur bdquoreinenldquo Unterhaltung besteht daher die Staumlrke des Un-terrichts der Sinngebung Die Beschaumlftigung mit paumldagogischen Zugaumlngen uumlber Er-lebnisse ist ein zukuumlnftiges Arbeits- und Forschungsfeld das zu einer zukunftsfaumlhi-gen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung beitragen kann

Anmerkungen 1 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 2 Blogger Tobias auf [httpbloggekonntgekochtdemolekularkueche-2-kochen-als-

kunst] 3 Der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo wurde von Jana Brandstaumldter (2013) im Rahmen ihrer

ersten wissenschaftlichen Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe entwickelt um Moumlglichkeiten des bilingualen Unterrichts in Verbindung mit The-men aus der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung zu verknuumlpfen Impulse fuumlr die-sen Beitrag kommen aus dieser Hausarbeit

4 Zu den Diskussionen um Fernsehen und Ernaumlhrung gibt es zahlreiche Literatur zB bei Roumlssler amp Willhoumlft (2004) Luumlcke Roumlssler amp Willhoumlft (2003)

5 Auf die theoretischen Grundlegungen des Begriffs Emotion wird an dieser Stelle verzichtet Weiterfuumlhrende Grundlagenliteratur zum Emotionsbegriff zB Schmidt‐Atzert (1996) Literatur zu Essen und Emotionen Pudel amp Westenhoumlfer (2003) Macht (2005)

6 Im vorliegenden Beitrag geht es darum das Phaumlnomen bdquoErlebnisldquo im Zusammen-hang mit der bdquoKuumlcheldquo essayhaft im Hinblick auf die Fachdidaktik EVB zu beleuch-ten Einzelne Elemente der Erlebnispaumldagogik sind in diesem Zusammenhang inte-ressant weitergehende Diskussionen darum sind hierfuumlr irrelevant und werden daher nicht ausgefuumlhrt Aus den gleichen Gruumlnden wird hier auch auf weitergehen-de Ausfuumlhrungen zum erfahrungsbezogenen Lernen verzichtet (vgl Scheller 1980)

7 Weiterfuumlhrende Literatur zum Alltagsbegriff Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck)

8 Weitergehende Uumlberlegungen zur Mahlzeit als Zugang zur esskulturellen Aspekten in der Fachpraxis Ernaumlhrung bei Roumlszligler-Hartmann (2012) Essen und Kommunika-tion ist ein zusaumltzlicher Aspekt der in diesem Beitrag ebenfalls nicht vertieft wer-den konnte Literatur dazu bei Heindl amp Plinz-Wittorf (2013)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

70

9 bdquoGut Draufldquo ist eine Jugendaktion der BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) Weitere Informationen unter [httpswwwgutdraufnet]

10 Siehe [wwwevb-onlinedeschule_materialien_wertschaetzung_uebersichtphp] 11 Weiterfuumlhrende Literatur zu Kulinaristik im Film in Kofahl Froumlhlich und Alberth

(2013)

Literatur

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Bartsch S Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (2006) Pizza Pasta Doumlner Kebab ndash Mittelmeerkost im Alltag deutscher Jugendlicher Historische und soziale Hintergruumlnde Haushalt amp Bildung 83(4) 17-26

Bartsch S (2008) Jugendesskultur Bedeutungen des Essens fuumlr Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup In Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklauml-rung (BZgA) (Hrsg) Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsfoumlrderung Band 30 Koumlln BZgA

Boron B (2005) Erlebnisgastronomie Muumlnchen GRIN Verlag Brandstaumldter J (2013) Die Erlebniskuumlche als Chance fuumlr den bilingualen

Unterricht in der Sekundarstufe I Wissenschaftliche Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe

Ebrecht A (1998) Leben und Erleben - Die Lebensphilosophie um die Wende zum 20 Jahrhundert In T Ruumllcker amp J Oelkers (Hrsg) Politische Reformpaumldagogik (S 261-277) Bern Peter Lang Verlagsgruppe

Fachgruppe REVIS (2005) Bildungsziele und Kompetenzen in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung [wwwernaehrung-und-verbraucherbildungde]

Heindl I (2005) Perspektiven einer aumlsthetisch-kulturellen Ernaumlhrungs- und Ge-sundheitsbildung - Intelligenz in den Sinnen In D von Engelhardt und R Wild (Hrsg) Geschmackskulturen - Vom Dialog der Sinne beim Essen und Trinken (S 262-277) Frankfurt Campus Verlag

Heindl I amp Plinz-Wittorf C (2013) Essen ist reden mit anderen Mitteln - Esskultur Kommunikation Kuumlche Ernaumlhrungsumschau 60(1) 8-15

Lemke H (2007) Ethik des Essens Eine Einfuumlhrung in die Gastrosophie Berlin Akademie Verlag

Luumlcke S Roumlssler P amp Willhoumlft C (2003) Appetitlich verpackt aber schwer zu verdauen Darstellung und Wirkung von Ernaumlhrung in Massenmedien ein For-schungsuumlberblick Medien amp Kommunikationswiss 51(3-4) 407-430

Kofahl D Froumlhlich G amp Alberth L (Hrsg) (2013) Kulinarisches Kino Bielefeld Transcript Film

Macht M (2005) Essen und Emotion Ernaumlhrungs-Umschau 52 (8) 304-308

bdquoErlebniskuumlcheldquo

71

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Methfessel B Bartsch S amp Roumlszligler-Hartmann M (2001) Zielgruppe Kinder und Jugendliche Bildung Marketing oder Warentest In Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (DGE) Sek Baden-Wuumlrttemberg (Hrsg) Werbung und Ernaumlh-rungsverhalten (S 74-88) Schorndorf DGE Baden-Wuumlrttemberg

Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck) Alltagskultur ndash viel beschworen ndash wenig wissenschaftlich durchdrungen Hauswirtschaft und Wissenschaft 61(4)

Muumlller-Hagedorn L (2011) Handelsmarketing Stuttgart Kohlhammer Ortony A amp Clore GCA (1990) The Cognitive Structure of Emotions

Cambridge Cambridge University Press Pudel V amp Westenhoumlfer J (2003) Ernaumlhrungspsychologie (3 Aufl) Goumlttingen

Toronto Zuumlrich Hofgrefe minus Verlag fuumlr Psychologie Roumlssler P amp Willhoumlft C (2004) Darstellung und Wirkung von

Ernaumlhrungsinformationen im Fernsehen In DGE (Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (Hrsg) Ernaumlhrungsbericht 2004 (S 347-406) Bonn DGE

Roumlszligler-Hartmann M (2012) Esskultur ndash eine zentrale Kategorie der Nahrungszubereitung Haushalt in Bildung amp Forschung 1(4) 99-107

Salzmann R ( 2007) Multidimensionale Erlebnisvermittlung am Point of Sale Wiesbaden Deutscher Universitaumlts-Verlag

Scheller I (1980) Erfahrungsbezogener Unterricht Oldenburg Universitaumlt Oldenburg

Schenz A (2006) Erlebnis und Bildung Karlsruhe Universitaumltsverlag Karlsruhe Schmidt-shy‐Atzert L (1996) Lehrbuch der Emotionspsychologie Stuttgart

Kohlhammer Woll E (1997) Erlebniswelten und Stimmungen in der Anzeigenwerbung

Analyse emotionaler Werbebotschaften Wiesbaden Deutscher Universitaumltverlag

Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch amp Jana Brandstaumldter

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe

Email bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Gastfreundschaft

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______________________________________________________________

Gabriela Leitner

Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft Gastfreundschaft und Gastlichkeit sind kommunikative kulturelle Konzepte die das Zusam-menleben der Menschen historisch und aktuell praumlgen Wie weit diese als ethische Verbind-lichkeit oder konsumatorische Dienstleistung verstanden werden beeinflusst eine Gesell-schaft in politischer und kultureller Hinsicht Die Schule als Ort der Vermittlung und insbesondere der Lernbereich Ernaumlhrung sind gefragt an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mitzuarbeiten

Schluumlsselwoumlrter Gastfreundschaft Gastlichkeit Kuumlche Lernort Ernaumlhrungsbildung

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bdquoAlle Fremden und Ankoumlmmlinge sollen unbeschraumlnkt als Gaumlste aufgenommen werden wo immer sie wollenldquo

Erlass Friedrich II

1 Gastfreundschaft und Gastlichkeit

Der europaumlische Sommer ist gerade mal wieder vorbei Es sind wieder (fast) alle an ihren Platz zuruumlckgekehrt ndash sind nicht mehr Fremde an einem fremden Ort - sind wieder daheim Der Sommer gilt als Jahreszeit der Reiselust als Synonym fuumlr freie Ortswahl oder das Entdecken neuer Landschaften Kulturen Weltanschauungen Geschmacksrichtungen etc als Zeit mal wieder uumlber den Tellerrand zu blicken und die Schoumlnheiten der Welt (als Gast) wahrzunehmen und zu genieszligen

Der heutige Sprachgebrauch des Wortes Gastfreundschaft meint die voruumlberge-hende Aufnahme Bewirtung undoder Beherbergung fuumlr Fremde genauso wie fuumlr Angehoumlrige der jeweiligen eigenen Gruppe Gastfreundschaft sollte ehrlich herz-lich groszligzuumlgig und zumeist wechselseitig erfolgen kann aber auch nur einseitig als echt gelten sie wird haumlufig einer oumlkonomisch bloszlig auf Gewinn abzielenden Gastlichkeit entgegengesetzt (Kayed 2003 S 1)

Echte Gastfreundschaft zu erfahren ist nicht unbedingt selbstverstaumlndlich denn in einer oumlkonomisierten Welt ist auch Gastlichkeit eine Dienstleistung und kann ge-kauft bzw konsumiert werden bdquohellipGastlichkeit liegt allen Ablaumlufen zwischen Be-wirtung und Kundschaft Kuumlche und Gast zugrunde und gehoumlrt insofern zum er-weiterten Gegenstandsbereich einer allgemeinen Theorie und praktischen Philosophie der Esskultur kurz der Gastrosophieldquo (Lemke 2011 S 83) In die-sem Kontext ist der Gast ein Kunde (und Koumlnig) und bezahlt fuumlr die bdquoservile Gast-lichkeitldquo (ebd) Im Wirtschaftsbereich der bdquohospitality industryldquo wird das Vertrau-

Gastfreundschaft

73

en welches der Gast seinem Gastgeber entgegenbringt mittels bdquoAuszeichnungenldquo (Sterne oder Aumlhnliches) verbrieft auf der Ebene der Speisen beruumlhrt dieses Thema auch die Nahrungsmittelsicherheit bdquoSie ist angesichts vieler Lebensmittelfaumll-schungen die auf heutzutage wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften aufbauen zu einem herausragenden Thema der oumlffentlichen Aufmerksamkeit ge-wordenldquo (Wierlacher 2011 S 100)

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung unserer Gesellschaften muumlssen traditionelle Kommunikationsformen wie die Gastfreundschaft unter ande-ren Gesichtspunkten uumlberlegt werden

Drei Formen der Gastlichkeit sind zu unterscheiden die anthropologische Form (wir sind alle Gast des Lebens) die politische Form bis hin zum Asyl und die kul-turelle Form die wir praktizieren wenn wir nach kulturell verschiedenen Regeln jemanden zum Essen einladen oder beherbergen Alle drei Formen sind Kultur-muster haben ihre Chancen und ihre Grenzen leiten uns an geben Regeln vor er-oumlffnen Perspektiven produktiven Umgangs miteinander und staumlrken unsere Faumlhig-keit auch dann miteinander zu reden wenn wir nicht der gleichen Ansicht oder Gesinnungsfreunde sind (Wierlacher 2011 S 1)

Der Gast kommt also nicht immer als zahlender oder geladener Gast er kommt auch als Hilfesuchender Asylsuchender Beduumlrftiger1 Diesem Gast Gastfreund-schaft zu erweisen oder nicht kann fuumlr diesen Leben oder Tod bedeuten Ihn abzu-weisen wird von den meisten Religionen und Kulturen abgelehnt es wird daran erinnert dass man selbst in eine derartige Lage kommen koumlnnte bzw dass man sich an Gott selbst vergehen koumlnnte (siehe christliche Herbergssuche) In vorchrist-licher Zeit wurde ein Gastrecht formuliert welches dem Gast zumindest fuumlr drei Tage ohne sachlichen Gegenwert Unterkunft und Verpflegung sicherte (vgl Bahr 1994 S 36)

So stehen wir vor dem zwiespaumlltigen Befund dass die verschiedenen religioumlsen Traditionen an eine urspruumlnglich uumlbermaumlszligige und nicht von vornherein limitierte Gastlichkeit erinnern wohingegen die in rechtliche Anspruumlche transformierte Gast-lichkeit jede Uumlberforderung durch eine unbegrenzte Gastlichkeit auszuschlieszligen sucht (Liebsch 2008 S 68)

Ist Gastlichkeit heute keine ethische Verpflichtung mehr sondern als bdquohospitality managementldquo Teil der Aufgaben internationaler Hotel- und Gastronomiekonzerne

2 Was bedeutet Gastsein

Ein Gast zu sein bedeutet zuallererst fremd zu sein nicht im eigenen Haus oder Land zu sein Die Bedeutung von bdquohostisldquo (lat) oder bdquoxenosldquo (griech) ist ur-spruumlnglich bdquoFremderldquo das Wort kann aber auch Feind bedeuten2 Damit ist die Ambivalenz des Gastseins schon in der urspruumlnglichen Begrifflichkeit vorhanden Der Gast ist an dem Ort an welchem er als Gast auftritt fremd und beduumlrftig eben

Gastfreundschaft

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weil er sich nicht wie in seinem eigenen Haus oder Land verhalten kann Nun ist Fremdheit genau das was wir in unserem bdquoHeimldquo oder bdquoZuhauseldquo uumlblicherweise nicht haben und auch nicht haben wollen Das eigene Heim wird als ein Ort gese-hen an welchem alles bekannt zugehoumlrig und sicher erscheint an welchem bdquoent-hemmte Kommunikationldquo (vgl Luhmann 1990 S 203f) genauso moumlglich ist wie Intimitaumlt Schwaumlche und Ruumlckzug Das Fremde Andersartige bdquostoumlrtldquo das eigene bdquoSo-seinldquo indem dieses durch das bdquoAnders-seinldquo in Frage gestellt wird Der Gast kann demnach durch sein bdquoDa-seinldquo in einem fremden Haus (oikos) oder Land fuumlr die dort zu Hause Seienden durch die Verpflichtung ihn in seiner Beduumlrftigkeit wahrzunehmen und ihm Herberge und Verpflegung zu bieten um sein Mensch Sein anzuerkennen (und das eigene Mensch Sein anzuerkennen)3 zu einer Last einer Belastung ja sogar zu einem Feind werden

Eine absolute unbedingte Gastfreundschaft wuumlrde verlangen dass wie im oben angefuumlhrten Zitat von Friedrich II jedem Unbekannten oder X-beliebigen ein Gast-status zukommen muumlsste

Die absolute Gastfreundschaft erfordert daszlig ich mein Zuhause () oumlffne und nicht nur dem Fremden (hellip) sondern auch dem unbekannten anonymen absolut Ande-ren (eine) Statt gebe (hellip) daszlig ich ihn kommen lasse ihn ankommen und an dem Ort () den ich ihm anbiete Statt haben (hellip) lasse ohne von ihm eine Gegenseitig-keit zu verlangen (hellip) oder ihn nach seinem Namen zu fragen (Derrida 2007 S 27)

In manchen Gegenden der Welt so zB in Wuumlstengebieten im beduinisch-arabischen Raum (vgl Kayed 2003 S2) hat sich historisch aufgrund der Ungast-lichkeit der TopographieGeographie eine unbedingte Gastfreundschaft entwickelt Eine derartige Gastfreundschaft ist in unserer westlichen Gesellschaft die in Nati-onalstaaten funktioniert obwohl wir sehr wohlhabend sind uumlberaus schwierig wenn nicht gar unmoumlglich vorzustellen

Zwischen einem unbedingten Gesetz der Gastfreundschaft oder einem absoluten Wunsch nach Gastfreundschaft auf der einen und einem mit Bedingungen ver-knuumlpften Recht einer mit Bedingungen verknuumlpften Politik oder Ethik auf der an-deren Seite besteht ein Unterschied eine radikale Heterogenitaumlt wenngleich sie auch untrennbar miteinander verknuumlpft sind (Derrida 2007 S105)

Es ist also geboten zumindest eine geregelte bedingte Gastlichkeit zu entwickeln in welcher der Fremde der in der bdquokosmopolitischen Tradition (hellip) ein Recht auf Gastfreundschaft besitztldquo (Derrida 2007 S 28) zuerst nach seinem Namen gefragt wird sein Name macht ihn zu einem Rechtssubjekt zu einer Person die anderswo eine Zugehoumlrigkeit (der Name bdquoals eine(r) Hypothese der Generationenldquo Derrida 2007 S 29) besitzt und mit der man aufgrund dieser Sicherheiten einen bdquoPaktldquo schlieszligen kann (vgl Derrida 2007 S 24ff) Auch auf Reisen ndash international oder national ndash muumlssen wir uns alle mittels eines Identitaumltsnachweises ausweisen unse-ren Namen und unsere Herkunft bekannt geben um als (zahlender meldepflichti-ger) Gast aufgenommen zu werden um als paktfaumlhig im Sinne einer bedingten

Gastfreundschaft

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Gastfreundschaft zu gelten bdquoDie eigentliche Gastfreundschaft hat demnach nur noch im Privaten uumlberlebt wohingegen die Beherbergung von Fremden zu einer oumlffentlichen und politischen Angelegenheit geworden istldquo (Liebsch 2008 S 65) bdquoJe mehr der Staat die Gastlichkeit zu seiner Sache gemacht habe und je mehr sie oumlkonomisiert worden sei desto mehr habe sich die eigentliche Gastfreundschaft die rechtliche Regeln und gewerbliche ignorierte ins Private zuruumlckgezogenldquo (Liebsch zitiert HC Peyer ebd)

3 Geladene Gaumlste

Der Begriff des Gastes verweist aber auch darauf dass das Verhaumlltnis zwischen Gastgeber bzw Gastgeberin und Gast nicht wie im herkoumlmmlichen Austausch von Guumltern und Leistungen reziprok ist Beide gesellschaftlichen Rollen ndash Gastgeber Gastgeberin und Gast ndash haben ihre Implikationen und verweisen aufeinander bdquoDoch warum sprach man nie von einem sbquoGast-nehmerlsquo warum ist es der sbquoGast-geberlsquo der den Gast sbquoempfaumlngtlsquo Verweist das nicht darauf daszlig der Gast nicht restlos auf den Tauschenden zuruumlckfuumlhrbar istldquo (Bahr 1994 S 13)

Der Gastgeber die Gastgeberin wird sich fuumlr das Kommen der geladenen Gaumlste bedanken obwohl er (oder sie) in den meisten Faumlllen einen groumlszligeren Aufwand betrieben hat als die Gaumlste und bdquoer stellt sich in den Dienst seines Gastes ohne daszlig () er dadurch zu dessen Herrn wuumlrdeldquo (Bahr 1994 S 12) Der Gast bringt zwar als eine Form des Ausgleichs ein Gastgeschenk mit und betont gegenuumlber dem Gastgeber der Gastgeberin seine dankbare Anerkennung die Beziehung zwi-schen Gast und Gastgeber bzw Gastgeberin bleibt aber unausgeglichen bdquoMan kann daher in einem gastlichen Austausch der die Wechselseitigkeit der gleichen Personen uumlberschritt die erste Form einer allgemeinen Menschlichkeit manifestiert sehenldquo (Bahr 1994 S 35)

Der Gastgeber die Gastgeberin bietet noch viel mehr an als Bewirtung oder voruumlbergehende Behausung ersie bietet den Gaumlsten eine institutionelle Freund-schaft an die Schutz gewaumlhrt und welche eine moumlgliche Ausgeliefertheit an die reine Barmherzigkeit Anderer abwendet (4) bdquoDie Person des Gastfreundes gilt als heilig weil sein Verhaumlltnis als uumlbereinstimmend mit dem des Schutzflehenden aufgefaszligt wirdldquo (Wundt zit in Bahr 1994 S46) Das Interesse des Gastgebers ist es bdquodie Person des Gastes vor der geringsten Verletzung zu bewahren (hellip) jede Spur von Hostilitaumlt auszuschlieszligen als Voraussetzung ungestoumlrten Genieszligensldquo (Bahr 1994 S 49)

Das heiszligt Gastfreundschaft erfuumlllt drei Bedingungen die zum Leben noumltig sind Gaumlste bleiben grundsaumltzlich am Leben (werden nicht getoumltet) ihnen wird materiell beim Uumlberleben geholfen (mit Nahrung Unterkunft und Schutz) und Gastfreund-schaft stiftet und erhaumllt ein soziales Band und traumlgt zum Zusammenleben bei (in-dem Gaumlste zumeist umgekehrt auch ihren Gastgeberinnen und Gastgebern und al-len anderen Gastfreundschaft gewaumlhren werden) Leben ermoumlglichen heiszligt hier

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also mehr als Menschen nur am Leben lassen es heiszligt auch sie naumlhren staumlrken stuumltzen begleiten ihnen Kenntnisse vermitteln und Freude bereiten (Kayed 2003 S 1)

Als Gast genieszligt man die volle Aufmerksamkeit des Gastgebers bezuumlglich der ei-genen Beduumlrfnisse ndash zumindest waumlhrend der Dauer des Gaststatuses Allerdings ist es auch geboten den Gastgeber nicht uumlber die Maszligen zu beanspruchen Gast sein bedeutet auch bdquodie Kunst sich rechtzeitig verabschieden zu koumlnnen ehe man Para-sit zu werden drohtldquo (Bahr 1994 S 44)

bdquoWir waren seit langem Gaumlste der Schoumlpfung und sind es glaube ich immer noch Die Houmlflichkeit unserem Gastgeber gegenuumlber gebietet es daszlig wir fragenldquo (Steiner 2004 S 345) Vielleicht ist es ein spiritueller Gedanke ein Gast auf Erden zu sein Moumlglicherweise wuumlrde es unserer Mitwelt und Umwelt und uns selbst besser bekommen wenn wir unser Da-sein auf diese Art verstehen wuumlrden eben als Gaumlste in der Welt als geladene Gaumlste Welches Gastgeschenk waumlre angesichts unserer Lebendigkeit und der Schoumlnheit der Welt angemessen und wie koumlnnten wir unsere Dankbarkeit aumluszligern

4 Dimensionen der Gastfreundschaft

Zusammenfassend koumlnnen die folgenden Dimensionen der Gastfreundschaft unter-schieden werden Sie kann

bull einseitig oder wechselseitig sein bull offen gegenuumlber allen sein oder bestimmte Personen oder Gruppen aus-

schlieszligen bull geregelt sein (Asylrecht) oder freiwillig bull begrenzt sein (drei Tage) oder unbegrenzt (vgl Kayed 2003 S 2) bull bdquokann nur poetisch seinldquo (Jaques Derrida)

5 Das Gastmahl Gastmaumlhler auf denen der sbquofremde Gastlsquo nicht mehr kannibalisch verzehrt son-dern selbst zum gemeinsamen Verzehr geladen ist stellen insofern noch dessen sbquoEinverleibunglsquo dar als er gleichsam wie ein Kind durch seine Teilnahme an der gleichen Nahrung und Ernaumlhrungsweise zum Mitglied einer Gemeinschaft wird (Bahr 1994 S 157)

In der philosophischen Literatur sind zwei Gastmaumlhler beruumlhmt geworden Das Gastmahl des Trimalchio (Petronius Arbiter in Satyrikon) und Platons Gastmahl In beiden Erzaumlhlungen oder Gleichnissen wird das Mahl halten zu einer Aussage die weit uumlber die Banalitaumlt des Hunger Stillens hinausgeht

Trimalchio ein freigelassener Sklave moumlchte seinen neu gewonnenen Status als reicher gebildeter Mann durch eine opulente Einladung zu einem Festessen mit

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literarischen akrobatischen musikalischen und theatralischen Darbietungen der suumlditalienischen Gesellschaft kommunizieren

Auf einer Platte wird ein enormes Wildschwein hereingetragen bedeckt mit der phrygischen Freiheitsmuumltze an den Hauern zwei Koumlrbchen mit Datteln An dem Tier liegen wie an seinen Eutern kleine Schweinchen aus Kuchenteig Zum Tran-chieren erscheint ein baumlrtiger Kerl in Jagdkleidung stoumlszligt dem Schwein einen Hirschfaumlnger in die Flanke Aus den sbquoWundenlsquo fliegen Drosseln heraus die ein Vogelfaumlnger wieder einfaumlngt (Bahr 1994S 160)

Die Speisenfolge ist ebenso ungewoumlhnlich als die Darbietung der Speisen tatsaumlch-lich aber wird durch die Inszenierung nur der schlechte Geschmack und die Halb-bildung des Trimalchio sichtbar er erreicht also genau das Gegenteil dessen was er beabsichtigt hat als Gastgeber seinen hohen Status zu Schau zu stellen alles in den Schatten zu stellen was vorher an Festlichkeiten geboten wurde

Geschmack klassifiziert ndash nicht zuletzt den der die Klassifikationen vornimmt Die sozialen Subjekte Klassifizierende die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede die sie zwi-schen schoumln und haumlsslich fein und vulgaumlr machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdruumlckt oder verraumlt (Bourdieu 1982 S 25)

Pierre Bourdieu macht deutlich dass der Geschmack immer das Ergebnis sozialer Zugehoumlrigkeit ist man somit anhand der Artefakte und Inszenierungen des Habi-tus feststellen kann welcher Schicht man zugehoumlrig ist Es kann demzufolge Tri-malchio gar nicht gelingen das bdquosomatisierte Klassenbewuszligtseinldquo (Sloterdijk 2009 S284) zu uumlberwinden

bdquoZwischen dem Eszligbaren und Uneszligbaren zwischen der Einverleibung und der Ausscheidung berichtet die Erzaumlhlung von einem Mahl das sich ohne sbquoGastlich-keitlsquo nur selber verzehrt haumltteldquo (Bahr 1994 S 174)

In der Erzaumlhlung von Petronius Arbiter wird aufgezeigt dass der Gastgeber mit seiner Einladung auch uumlbertreiben kann und sich damit selbst aber auch die Gaumlste der Laumlcherlichkeit preisgibt Ausufernde Dekoration zur Farce verkommene Spei-sen und uumlberladene Portionen und Darbietungen wirken der Gastfreundschaft ent-gegen Die Gaumlste des Trimalchio werden instrumentalisiert nicht um ihretwillen findet das Mahl statt und nicht um einen sozialen Zusammenhalt zu generieren sondern nur um zu protzen Gastfreundschaft gebietet auch eine Angemessenheit welche weder den Gast beschaumlmt noch den Gastgeber

Platons Gastmahl (Gastmahl griech Symposion) hingegen ist eine Siegesfeier Die Geladenen sind allesamt Freunde und berichten einander von ihrer Auffassung bezuumlglich Liebe und Leidenschaft (Eros) Es ist mehr ein Trinkgelage und eine Gelegenheit zu Wort zu kommen als ein Essen und fuumlhrt schlieszliglich dazu dass eine der wenigen weiblichen Rollen in Platons Werk Diotima (indirekt) zu Wort kommt Sie ist nicht leibhaftig anwesend in der Gruppe der allesamt maumlnnlichen Freunde wird von Sokrates zitiert und bekommt dadurch noch deutlicher den Sta-tus des Anderen Fremden Nichtgeladenen

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Das Zusammenkommen zum gemeinsamen Mahl wird in diesem Werk als Moumlglichkeit zum Philosophieren gesehen Nicht zufaumlllig waumlhlt Platon das Thema bdquoLiebeldquo (im Sinne von Eros) fuumlr das Gastmahl und ebenso durchdacht ist es dass eine Frau die Hauptrednerin ist Gemeinsames Mahlhalten verstaumlrkt die Beziehung der Geladenen untereinander die waumlhrenddessen genau dieses Thema (im weites-ten Sinn) eroumlrtern

Gastmaumlhler finden auch in der Populaumlrkultur immer wieder ihren Niederschlag beispielsweise in dem daumlnischen Spielfilm bdquoBabettes Festldquo (Oscar 1988) oder den als Tabubruch geltenden franzoumlsisch-italienischen Film bdquoDas groszlige Fressenldquo (1973)

Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird ist abhaumlngig von den Kultur-kreisen der Lebensgemeinschaften ist Ausdrucksmittel der Menschen und dient der symbolischen Kommunikation Dieses spiegelt sich in Gerichten Rezepten und Ritualen wider und dient als individuelles und gemeinschaftliches Verstaumlndi-gungsmittel Kuumlchen sind bis heute Orte dieses Geschehens durch sie wird die Be-friedigung des Beduumlrfnisses nach Nahrung zu einem kulturellen System (Barloumlsi-us 1999 zit in Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies S 195)

Gemeinsames Essen soviel ist sicher schafft Zugehoumlrigkeit und damit ein Ein- und Ausschlieszligungsmilieu in welchem es fraglich ist wer als Gast zugelassen bzw eingeladen und wer ausgeschlossen wird Diese Dynamik wird auch in Maumlr-chen verwendet um die Kraumlnkung der Ausgeschlossenheit und deren Folgen zu beschreiben Die dreizehnte Fee bei Dornroumlschen raumlcht sich schlieszliglich dafuumlr dass sie nicht eingeladen worden ist

6 Die (Schul-)Kuumlche als Ort der Gastfreundschaft

Betrachtet man das bisher Gesagte so koumlnnen wir feststellen dass Gastfreund-schaft fuumlr uns Menschen in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll ist Sie gibt uns die Sicherheit in einer ungastlichen Welt bzw in unsicheren Zeiten bei anderen Ruumlckhalt zu finden Umgekehrt uumlbernehmen wir auch Verantwortung fuumlr andere Beides staumlrkt den sozialen Zusammenhalt und die soziale Zugehoumlrigkeit was wie-derum die Lebensqualitaumlt verbessert oder sogar lebenserhaltend wirken kann Da sich die Gastfreundschaft jedoch historisch betrachtet von einer allgemeinen ethi-schen Verpflichtung jedes Menschen gegenuumlber jedem anderen Menschen fortent-wickelt hat und ein Groszligteil der diesbezuumlglichen Verpflichtung vom Staat uumlber-nommen wird ist der Anspruch des Teilens voumlllig in den Bereich des Privaten uumlbergegangen So ist der Akt des konkreten Teilens der Lebensressourcen Essen und Wohnen mit Menschen auszligerhalb des eigenen Familienkreises kaum mehr erfahrbar

Hier tritt der eigentliche Anknuumlpfungspunkt fuumlr die gesamte Thematik zutage Erfahrungen mit Gastfreundschaft koumlnnen uumlber das gemeinsame Essen aller (Mit-

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glieder einer Schulklasse oder Kochgruppe) in den Schulkuumlchen als Orte der Zube-reitung und des Geschehens selbst gemacht werden So wie das Essen selbst vom wilden fremden womoumlglich gefaumlhrlichen Rohzustand (Natur) durch putzen schauml-len kochen etc in einer Kuumlche in eine essbare Speise (Kultur) uumlbergefuumlhrt werden muss so wird auch der Verzehr der Speisen durch kulturelle Bedingungen und Regeln ritualisiert Dies ist auch bedeutsam wenn Gastfreundschaft gelernt werden soll denn auch diese kulturelle Leistung setzt soziales Wissen und Handeln voraus Wer die Rolle des Gastgebers der Gastgeberin bzw der Gaumlste uumlbernimmt und welche Implikationen daraus folgen ist dabei ebenso erfahrbar wie die Angemes-senheit einer Mahlzeit oder entsprechende Tischsitten

Die Aufnahme und der Genuss von Nahrung haben auch regressive Aspekte und so vermittelt Essen uumlblicherweise Emotionen der Geborgenheit Zuversicht des Aufgehoben- und Angenommenseins also das Gegenteil dessen was im Kapi-tel 2 als Fremdsein und Ausgeschlossensein beschrieben wurde Welche Bedin-gungen vonnoumlten sind um eine solche Mahlzeit fuumlr alle teilnehmenden Personen zu gestalten sollte ua Gegenstand der Ernaumlhrungsbildung als Kulturbildung sein

Ein Gast wird eine Mahlzeit auch dann als gastfreundlich empfinden wenn seine kulturellen weltanschaulichen gesundheitsbezogenen undoder geschmack-lichen Beduumlrfnisse und Vorlieben beruumlcksichtigt werden In einer multikulturellen (postmodernen) Welt ist es daher angebracht dass sich die regionalen Kuumlchen gegenuumlber diesen Anspruumlchen oumlffnen unter dem Aspekt der Fremdheit des Ande-ren (zT Interkulturalitaumlt) neue Variationen entwickeln bzw sich insgesamt einer kritischen Pruumlfung unterziehen Dabei geht es nicht um Aufgabe der gewachsenen kulinarischen Identitaumlt sondern um Ausweitung der gustatorischen sensorischen und produktorientierten Moumlglichkeiten um auch fuumlr spezielle Anspruumlche (Vegeta-rismus Veganismus Diaumltkuumlche kulturelle und religioumlse Vielfalt etc) Angebote zu machen Regionalitaumlt in Bezug auf Produkte und Produktionsweisen als quasi-ethische Forderung fuumlr das Paradigma der Nachhaltigkeit ist dabei nicht in Frage gestellt die regionalen Kuumlchentraditionen jedoch schon So findet man beispiels-weise in vielen Restaurants mit oumlsterreichischer Kuumlche schwerlich vegane oder koschere Speisen bestimmte Zutaten die eine Speisenwahl moumlglich oder unmoumlg-lich fuumlr spezielle Gruppen machen (zB Speck im Krautsalat) werden nicht ausge-wiesen etc

Um einem Gast Gastfreundschaft zu gewaumlhren ist es also notwendig nicht nur wie oben beschrieben nach seinem Namen zu fragen sondern daruumlber hinaus in diskreter und ruumlcksichtsvoller Manier nach seinen Lebensgewohnheiten Ableh-nungen Vorlieben und diese entsprechend kulinarisch umzusetzen Dies ist im Rahmen des Schulunterrichts in den Fachpraktischen Uumlbungen anwendbar berei-chert die fachlichen Inputs durch einen moumlglichen persoumlnlichen Bedeutungsgehalt fuumlr bestimmte Schuumllerinnen und Schuumller ndash oder auf der Ebene der Hochschule fuumlr die Studierenden ndash und eroumlffnet fuumlr alle neue Perspektiven

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Die private Kuumlche aber auch die Schulkuumlche sind Orte an welchen Ge-schmackserfahrungen moumlglich gemacht werden koumlnnen die sichern herausfordern Anspruumlche konkretisieren und Perspektiven eroumlffnen Ebenso verhaumllt es sich mit Tischsitten bdquodos and don`tsldquo in der Zubereitung und Praumlsentation Das Lernpoten-tial in Bezug auf die Thematik der Gastfreundschaft fuumlr Kinder und Jugendliche ist enorm einerseits weil Essen als konkrete unmittelbare primaumlre Lebenserfahrung lustvoll erlebt wird ebenso wie die handwerkliche Zubereitung und bdquoWerkschaf-fungldquo andererseits weil in Kuumlchen und Schulkuumlchen zumeist auch fuumlr andere ge-kocht wird Die Erfahrung der taumltigen Fuumlrsorge der hingewendeten Sorge um und Aufmerksamkeit fuumlr Andere ermoumlglicht ndash anders als bei vielem was in der Schule gelernt wird ndash den Erwerb sozialer Kompetenz auf einer direkten Ebene

Zwar dient das Essen unter dem Aspekt der Nutrition allein der Erhaltung des ei-genen Koumlrpers zugleich ermoumlglicht es aber die Oumlffnung zu den Anderen indem es die formale Voraussetzung fuumlr die Atmosphaumlre der Gastlichkeit bildet Man fuumlhrt die gleichen Bewegungen aus wie die anderen man erhaumllt seinen (Hervorhebung dd Autor) Koumlrper mit Speisen durch die auch die Koumlrper der Anderen (Hervorhe-bung d d Autor) erhalten werden Man wendet sich dem Tischnachbarn zu Diese Gemeinsamkeiten ermoumlglichen eine konfliktfreie Kommunikation (Duumlcker 2011 S 76)

Indem eine Speise auf eine bestimmte Art und Weise hergestellt wird spezielle Zutaten verwendet werden und sie in einem kulturellen Rahmen praumlsentiert einver-leibt und genossen wird kann die eigene Fremdheit und die Fremdheit des Ande-ren erkannt und oder sichtbar werden

Eine methodische Aufbereitung der Vermittlung dieser Inhalte reicht von der Ausrichtung (interkultureller) Feste uumlber die Erstellung von Ernaumlhrungsbiographien bis hin zu Verkostungen Rezeptentwuumlrfen Filmanalysen Literaturrecherchen und (Lied-) Textanalysen Das Thema Gast und Gastfreundschaft ist in allen Kuumlnsten verbreitet5

Der Themenkomplex der Gastfreundschaft ist zu umfangreich und vielschich-tig um ihm in der Kuumlrze der vorhandenen Moumlglichkeiten gerecht zu werden Die Leserinnen und Leser sind gebeten dies zu beruumlcksichtigen Eine Erhellung der Thematik und der Zusammenhaumlnge mit der Ernaumlhrungsbildung in der Fachpraxis ist hoffentlich trotzdem gelungen

Anmerkungen 1 bdquoLaut UNHCR dem UNO-Fluumlchtlingshilfswerk sind weltweit mehr als 20 Milli-

onen Frauen Maumlnner und Kinder grenzuumlberschreitend auf der Flucht gleichzeitig gibt es mehr als 20 Millionen sogenannte Binnenvertriebene die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind Sie alle fliehen vor Krieg Verfolgung Unter-druumlckung Gewalt Folter Naturkatastrophen von Menschen zerstoumlrter Umwelt Elend Armut Hunger ndash sie suchen Lebenldquo (Kayed 2003 S 2)

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2 franzoumlsisch hospitaliteacute Gastfreundschaft franzoumlsisch hostiliteacute Feindschaft 3 Emmanuel Levinas erachtet die Gastfreundschaft als etwas das uns grundsaumltzlich

uumlberhaupt zu Menschen macht bdquoIch bin fuumlr den Anderen verantwortlich ohne mich um seine Verantwortung fuumlr mich zu kuumlmmern uneigennuumltzig und nicht aus Selbsterhaltung Die Verantwortung ist kein bloszliges Attribut sondern die grundle-gende Struktur der Subjektivitaumlt Gastfreundschaft ist nicht eine von vielen Hand-lungsweisen fuumlr die oder gegen die ein Mensch sich entschieden werden kann [sic] Gastfreundschaft ist vielmehr das was das Menschsein ausmacht nicht wechselseitig im Tausch sein sondern den Anderen als Anderen leben lassenldquo (Kayed 2003 S 3)

4 In der Novelle von Albert Camus bdquoDer Gastldquo (spielt in Algerien waumlhrend der franzoumlsischen Besetzung) wird dem im algerischen Exil lebenden Lehrer Daru ein gefangener Araber der seinen eigenen Cousin getoumltet hat von einem franzoumlsi-schen Polizisten in Gewahrsam gegeben Daru laumlsst dem bdquoGastldquo nach schwerwie-genden Uumlberlegungen die Freiheit zur Flucht Der Araber aber bleibt und geht (freiwillig) ins Gefaumlngnis Von der Sippe des Arabers wird Daru bedroht weil er ihren Bruder scheinbar ausgeliefert hat

5 Lied von Arik Brauer (oumlsterreichischer Liedermacher der mit dem Fahrrad halb Europa und Israel erradelt hat) 4 Strophe bdquoFohr weg min Radl drah mi ned um I fohr weg min Radl und drah mi nimma um I kumm in a Araberzelt da waschns mir die Fuumlszlig und sing i ans von Schubert Franz da kochns mir an Grieszlig nur am dritten Tag werns grantig do bleibt der Teller leer do stirdlns ma im Rucksack um und spieln sich mitn Gwehr

Literatur

Bahr HD (1994) Die Sprache des Gastes Eine Metaethik Leipzig Reclam Barloumlsius E (1999) Soziologie des Essens Eine sozial- und kulturwissenschaftli-

che Einfuumlhrung in die Ernaumlhrungsforschung Weinheim und Muumlnchen Juven-ta zit in Heindl Methfessel Schlegel-Matthies Ernaumlhrungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer bdquokulinarischen Vernunftldquo In Ploumlger Hirsch-felder amp Schoumlnberger (Hrsg) (2011) Die Zukunft auf dem Tisch Wiesbaden Springer

Bourdieu P (1982) Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft Frankfurt am Main Suhrkamp

Derrida J (2007) Von der Gastfreundschaft (2 Aufl) Wien Passagen Duumlcker B (2011) Ritualitaumltsformen von Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg)

Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf Kayed C (2003) Gastfreundschaft und Philosophie

[wwwstoryguideatGastfreundschaft-Artikelpdf]

Gastfreundschaft

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Lemke H (2011) Philosophie der Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg) Gast-lichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Liebsch B (2008) Fuumlr eine Kultur der Gastlichkeit Muumlnchen Karl Alber Luhmann N (1990) Sozialsystem Familie In N Luhmann N Soziologische

Aufklaumlrung (Bd 5 Konstruktivistische Perspektiven) OpladenWestdeutscher Verlag

Sloterdijk P (2009) Du musst dein Leben aumlndern Frankfurt am Main Suhrkamp Steiner G (2004) Grammatik der Schoumlpfung Muumlnchen DTV Wierlacher A (2011) Aumlsthetik der Gastlichkeit oder der muumlndige Gast In A

Wierlacher (Hrsg) Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Verfasserin

Gabriela Leitner

Paumldagogische Hochschule Oberoumlsterreich Fachbereich Ernaumlhrung Humanwissenschaften

Kaplanhofstraszlige 40 A-4020 Linz

E-Mail gabrielaleitnerph-ooeat

Betriebskuumlche als Lernort

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Brigitte Mutz

Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz Die Betriebskuumlche ndash Ort der Zubereitung in der Gemeinschaftsverpflegung1- soll vor allem ein Lernort der Selbstkompetenzen als auch der Sozialkompetenzen sein Hauptaugenmerk soll auf die Ausbildung und Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz gelegt werden Die besondere Bedeutung liegt dabei auf der Entwicklung von Empathie die sich auf das Zu-sammenleben der Menschen im Wesentlichen auswirkt

Schluumlsselwoumlrter Betriebskuumlche Selbstkompetenz Sozialkompetenz Qualitaumltsstandards Gemeinschaftsverpflegung nachhaltige Verpflegung

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1 Einleitung

Wesentliches Ausbildungsziel einer berufsbildenden mittleren und houmlheren Schule fuumlr wirtschaftliche Berufe ist es dass Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind ihr Fachwissen nicht nur durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern das erworbene Fachwissen in realen persoumlnlichen und beruflichen Herausforderungen einzusetzen vermoumlgen Schuumllerinnen und Schuumller machen unmit-telbar nach der Schule bzw waumlhrend ihrer Ausbildung ein Praktikum in der Gastro-nomie Um Jugendliche auf die Anforderungen der Arbeitswelt bestmoumlglich vorzu-bereiten ihre Persoumlnlichkeit zu staumlrken um Belastungen durch das soziale Umfeld leichter zu verkraften bedarf es einer Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenzen Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung kann diese Foumlrderung stattfinden denn Schuumllerinnen und Schuumller kochen im Rahmen ihres Unterrichts in der Betriebskuumlche der eigenen Schule oder im Rahmen ihres Pflichtpraktikums in anderen Einrichtun-gen wie Gastronomie und Hotellerie

2 Die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in Oumlsterreich

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fuumlhren zu einer steigen-den Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in der Ernaumlhrung weiterer Bevoumllke-rungsschichten der Gesellschaft Neben berufstaumltigen Erwachsenen werden auch Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Berufstaumltigkeit von Eltern oft schon in einem sehr fruumlhen Alter auszliger Haus versorgt Dazu kommen in Wohneinrichtun-

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gen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Kranken-haumlusern die durch Gemeinschaftsverpflegungsdienste versorgt werden

Betriebe der Auszliger-Haus-Verpflegung tragen somit nicht nur in steigendem Ma-szlige Verantwortung fuumlr die Gesundheit der Essensgaumlste sondern auch fuumlr Wirtschaft Gesellschaft und Umwelt Dies hat folgenden Grund Zum einen nehmen sie uumlber die Auswahl der Lebensmittel Einfluss auf eine bestimmte Art der Erzeugung Verarbei-tung und Vermarktung mit den jeweiligen oumlkonomischen sozialen und oumlkologischen Folgen Zum anderen nutzen sie bei der Zubereitung der Lebensmittel zu Speisen direkt und indirekt die Guumlter der Natur Diese Erkenntnis bildet die Grundlage fuumlr die Forderung nach einer nachhaltigen bzw zukunftsfaumlhigen Wirtschaftsfuumlhrung in Be-trieben der Auszliger-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung muss sich weiterentwickeln Weg von der vor-herrschenden Menuumlgestaltung die von unausgewogener Ernaumlhrung gepraumlgt ist hin zu ausgewogener Speiseplangestaltung die sich vor allem an den Beduumlrfnissen ihrer Gaumlste orientiert Gesunde Ernaumlhrung muss bereits im Kindergarten ansetzen und sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche und - abschnitte ziehen Die Gemein-schaftsverpflegung hat dabei eine unterstuumltzende Rolle und sollte ein gutes Vorbild sein

Um diese Wandlung in der Gemeinschaftsverpflegung voranzutreiben und um kuumlnftig einen gewissen Mindeststandard hinsichtlich Qualitaumlt sichern zu koumlnnen ist es notwendig Richtlinien zu definieren und Grenzen festzulegen

Rund 18 Millionen Menschen darunter 380000 Kinder und Rund 70000 Senio-ren und Seniorinnen nutzen taumlglich das Speisenangebot oumlsterreichischer Groszligkuumlchen (Toumlscher 2011)

21 Auszliger-Haus-Konsum

Aufgrund von veraumlnderten zeitlichen und persoumlnlichen Umstaumlnden greifen Konsu-mentinnen und Konsumenten vermehrt auf Essen auszliger Haus zuruumlck Laut einer Online-Umfrage an 501 Personen (repraumlsentativ fuumlr Oumlsterreicherinnen und Oumlsterrei-cher ab 15 Jahren) isst die oumlsterreichische Bevoumllkerung regelmaumlszligig zu 24 in Kan-tinen zu 21 in Restaurants und zu 16 in Fast-Food-Lokalen das Mittagessen wird immer haumlufiger auszliger Haus verzehrt (Bundesministerium fuumlr Land- und Forst-wirtschaft Umwelt und Wasserwirtschaft 2010)

Neben dem Konsum von Speisen in Restaurants Imbissbuden Fast-Food-Lokalen und aumlhnlichem nimmt die Gemeinschaftsverpflegung einen immer wichti-geren Stellenwert in der Bewirtung der Bevoumllkerung ein Berufstaumltige Erwachsene in betreuten Wohneinrichtungen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Krankenhaumlusern werden von Gemeinschaftsverpflegungsdiensten versorgt Durch die steigende Berufstaumltigkeit der Frauen essen auch vermehrt Kinder auszliger Haus zB in Kindergaumlrten Schulbuffets Horten etc (Elmadfa et al 2012)

Betriebskuumlche als Lernort

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22 Gastgewerbe

Unter der Bezeichnung Gastgewerbe werden alle Dienstleistungen fuumlr den Gast ver-standen welche im Zusammenhang mit Verpflegung und Beherbergung stehen (sie-he Abbildung 1)

Abb 1 Die Gemeinschaftsgastronomie im Gesamtkontext des Auszliger-Haus-Konsums

(Quelle Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Das Gastgewerbe kann in vier Sparten unterteilt werden o Gastronomie (Gemeinschaftsgastronomie Individualgastronomie) o Transport mit Verpflegung (Flugzeug Schiff) o Beherbergung mit Verpflegung (Hotel Jugendherberge) o Beherbergung ohne Verpflegung (Motel)

23 Gastronomie

Der Bereich Gastronomie laumlsst sich wiederum in die Gemeinschaftsgastronomie und die Individualgastronomie unterteilen Der Begriff Individualgastronomie umfasst alle kommerziellen Einzelgastronomiebetriebe mit wechselnder Kundschaft wie zB Restaurants Cafeacutes Bars Take-away- und Fast-Food-Lokale sowie Event-Catering Party-Service etc

Die Taumltigkeitsfelder der Gemeinschaftsgastronomie sind die Bereiche Betriebs- und Personalverpflegung Spital- und Heimverpflegung und Verpflegung im Erzie-

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hungs- und Bildungssektor Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen das Angebot entweder als Teilverpflegung (Kindergaumlrten Schulen) oder Vollverpfle-gung (Internate Seniorenwohnheime Strafvollzugsanstalten etc) in Anspruch (vgl Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Die Individualgastronomie kann auch mit der Gemeinschaftsgastronomie ver-knuumlpft sein wenn zB Einzelgastronomiebetriebe taumlglich Speisen an Unternehmen oder Kindergaumlrten liefern

24 Gemeinschaftsverpflegung (GV)

Die Definition fuumlr bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo laut oumlsterreichischem Ernaumlhrungsbe-richt 2012 lautet bdquoEine im Preis limitierte Verpflegung eines begrenzten Personen-kreises an einem Ort an dem ein laumlngerer Aufenthalt dieser Personen aus organisato-rischen Gruumlnden erforderlich istldquo (Elmadfa Freisling Nowak amp Hofstaumldter 2009)

bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo im Sinne der Groszligkuumlchen-Leitlinie ist bdquoDie regel-maumlszligige Versorgung einer grundsaumltzlich konstanten Personengruppe mit Speisen im Rahmen eines laumlngerfristigen Auftragesldquo (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

Allgemeine Kennzeichen fuumlr die Gemeinschaftsgastronomie-verpflegung sind o Die Konsumentinnen und Konsumenten haben verschiedene Aufenthaltsformen in

der InstitutionEinrichtung (zB Bewohner Arbeitspersonal) o Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen regelmaumlszligig ein gastronomisches

Angebot in derselben InstitutionEinrichtung in Anspruch o Je nach Verpflegungssystem (zB Mischkuumlche Tiefkuumlhlsystem Cook-and-Chill2

oder Warmverpflegung) sind verschiedene Akteure an der Produktion und Bereit-stellung des Speisenangebots beteiligt

o Die Verpflegungsleistung kann entweder durch Eigenregie (Spitalskuumlchen) oder durch externe Betriebe (Catering-Unternehmen im Geschaumlftsfeld Gemeinschafts-gastronomie) erbracht werden

o Ein Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb hat als erstrangiges Ziel die Verpflegung der Personengruppen sicher zu stellen nachrangig ist die Erwirtschaftung von Gewin-nen (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

3 Der Unterschied von Selbst- und Sozialkompetenz

Die uumlberarbeiteten kompetenzbasierten Lehrplaumlne der Houmlheren Lehranstalten fuumlr Wirtschaftliche Berufe und Fachschulen sind in Entwurf und treten voraussichtlich im Jahr 2014 in oumlsterreichischen Schulen in Kraft Laut allgemeinen Bildungszielen werden Absolventinnen und Absolventen zu folgenden Kompetenzen befaumlhigt Fachkompetenz Methodenkompetenz Medienkompetenz soziale und personale Kompetenz kommunikative Kompetenz und emotionale Kompetenz

Kompetenzen sind Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zur Bewaumlltigung komplexer Problemstellungen Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen

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zum Handlungsvollzug Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Faumlhigkei-ten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus (vgl Beer amp Benischek 2011 S 9)

Die Selbstkompetenz (auch personale Kompetenz) beschreibt den Umgang des oder der Einzelnen mit sich selbst Die Selbstkompetenz bildet die Basis fuumlr die Entwicklung der Sozialkompetenz Nur ein Mensch der sich uumlber sich selber im Klaren ist und mit sich selbst wertschaumltzend umgehen kann wird ein solches Verhal-ten auch bei seinen Mitmenschen zeigen (vgl Strasser Osinger amp Sburny 2001 S 60ff)

Selbstkompetenz setzt sich aus fuumlnf Bausteinen zusammen Alle fuumlnf Bausteine sind notwendig um die Persoumlnlichkeitsentwicklung der Schuumllerinnen und Schuumller zu unterstuumltzen und zu foumlrdern

o Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sich selbst wertzuschaumltzen auf die selbst erbrachte Leistung stolz sein fuumlr ein selbstsicheres Auftreten ist die Faumlhigkeit sich ein Bild uumlber seine eigenen Gefuumlhle Staumlrken Schwaumlchen Grenzen und Verhal-tensmuster machen zu koumlnnen sehr wichtig

o Selbstverantwortung und Selbststeuerungsfaumlhigkeit Verantwortung fuumlr sich selbst uumlbernehmen aber auch fuumlr andere seine Gefuumlhle kennen und steuern koumlnnen

o Eigeninitiative sich selbst motivieren koumlnnen freiwilliges Engagement zeigen und aktiv mitarbeiten koumlnnen

o Flexibilitaumlt gewohntes Denken Verhalten und Einstellungen zu hinterfragen um fuumlr neue Ansichten oder Werte offen zu sein

o Belastbarkeit und Durchsetzungsvermoumlgen Umgang mit Stress Aumlrger und Frustra-tion (Giessen 2009)

Tab 1 Emotionale Intelligenz-Theorie (Quelle vgl Giessen 2009 S 23)

Ich Selbstkompetenz

Andere Sozialkompetenz

Erkennen Selbstbewusstsein uuml Emotionales Selbstbewusst-

sein uuml Korrekte Selbstbeurteilung uuml Selbstvertrauen

Sozialbewusstsein uuml Empathie uuml Dienstleistungsorientierung uuml Organisationsbewusstsein

Lenken Selbstmanagement uuml Selbstkontrolle uuml Vertrauenswuumlrdigkeit uuml Gewissenhaftigkeit uuml Anpassungsfaumlhigkeit uuml Erfolgsorientierung uuml Entschlusskraft

Beziehungsmanagement uuml Einfluss uuml Kommunikationskompetenz uuml Konfliktmanagement uuml Fuumlhrungskompetenz uuml Innovationen ermoumlglichen uuml Vertrauens erweckend uuml Teamwork Zusammenarbeit

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Bei der Sozialkompetenz steht eine Person in der Interaktion mit anderen Personen im Mittelpunkt Zentraler Punkt dieser Faumlhigkeit ist mit sich und seinem Umfeld zurechtzukommen Soziale Kompetenz fordert aber einige Grundvoraussetzungen an die eigene Person Unterstuumltzend wirken zum Beispiel ein gesundes Maszlig an Selbst-wertgefuumlhl und Selbstvertrauen Eigenverantwortung und Selbstdisziplin (vgl Adler 2012 S 21ff)

Gaisbacher und Pongratz beschreiben die Sozialkompetenz als wichtiges Hilfs-mittel um sowohl privaten als auch beruflichen Erfolg gewaumlhrleisten zu koumlnnen Mit Menschen zu kommunizieren sich in ein Team einzufuumlgen und zusammenzuarbei-ten ist bereits fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller in ihrem alltaumlglichen Umfeld von groszliger Bedeutung Spaumlter kommen Faumlhigkeiten wie uumlberzeugendes Argumentieren und Praumlsentieren hinzu Sozial kompetent zu sein bedeutet sich sowohl in privaten als auch beruflichen Konfliktsituationen uumlber das eigene Handeln bewusst zu sein und eine angemessene Loumlsung zur Konfliktbewaumlltigung finden zu koumlnnen (Gaisbacher amp Pongratz 2012)

Fuumlr Lernende ist es in der heutigen Zeit von groszliger Bedeutung ihr Wissen nicht durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern es in realen per-soumlnlichen und beruflichen Herausforderungen zu nutzen Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet die Schuumllerinnen und Schuumller in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihnen dabei zu helfen ihre Staumlrken zu finden und diese zu festigen Die Jugendlichen sollen sich am Unterrichtsgeschehen aktiv beteiligen und in kon-kreten Lernsituationen selbststaumlndig Lern- und Loumlsungswege finden Lernende sollen durch Interaktionen mit anderen Personen Kompetenzen ausbilden

4 Die Bedeutung des Unterrichts in der Betriebskuumlche auf die Selbst- und Sozialkompetenz von Jugendlichen

Es gibt eine Reihe von Modellen und Moumlglichkeiten die Sozial- und Selbstkompe-tenz auszubilden beziehungsweise zu foumlrdern Bei dem von der Autorin angefuumlhrten Modell liegt der Schwerpunkt auf der Selbstwahrnehmung das heiszligt der Umgang mit eigenen Gefuumlhlen der Wahrnehmung eigener Staumlrken und Schwaumlchen und der Faumlhigkeiten zur Selbstmotivation Ruumlcksichtnahme Akzeptanz und Mitgefuumlhl sind Voraussetzung fuumlr ein friedliches Zusammensein Der bewusste Umgang mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend fuumlr ein sozial kompetentes Verhalten Das sagt auch schon J Bauer in seinem Buch bdquoPrinzip Menschlichkeitldquo bdquoDie staumlrkste und beste Droge fuumlr den Menschen ist der andere Menschldquo (Bauer 2008 S 54)

bdquoSoziales Lernen resultiert zum einen aus der absichtlichen gezielten Foumlrderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung (Sozialerziehung) zum anderen aber auch aus dem taumlglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernenldquo (Keller amp Hafner 2003 S 9) Schuumllerinnen und Schuumller lernen unbewusst durch Beobachten bzw Nachah-

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men von ihren Eltern Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch ihre Mitschuumllerin-nen und Mitschuumller

5 Umsetzung im Unterricht Arbeiten im Team ndash Unterricht in der Betriebskuumlche

Der Methodeneinsatz zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz kann nur er-folgreich sein wenn die Voraussetzungen der Klasse mit den Voraussetzungen fuumlr die Umsetzung der Methode uumlbereinstimmen Dieser Grundsatz bedeutet dass nicht jeder Methodeneinsatz immer in jeder Klasse erfolgreich sein kann Es geht vielmehr darum den Schuumllerinnen und Schuumllern unterschiedliche Wege und Moumlglichkeiten vorzustellen wie sie kompetenzorientierte Faumlhigkeiten ausbilden koumlnnen (vgl BMUKK 2011 S 12f)

Um die Komplexitaumlt der Bildungsstandards vereinfacht darzustellen wurden kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele entworfen In den Unterrichtsbeispielen wird die Anwendung des Kompetenzmodells und der Deskriptoren illustriert Um den aktuellen Anforderungen der Unterrichtsplanung gerecht zu werden wurde das Kompetenzmodell fuumlr soziale und personale Kompetenz des Bundesministeriums fuumlr Unterricht Kunst und Kultur in die Entwicklung des vorliegenden Unterrichtsbei-spiels herangezogen und als Hilfestellung fuumlr alle Lehrerinnen und Lehrer gedacht (vgl BMUKK 2012 S 5f)

Im Folgenden wird ein Auszug eines Unterrichtsbeispiels mit dem Thema bdquoDas Arbeiten im Teamldquo vorgestellt Der methodische Ansatz dient zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz der Jugendlichen Im Sinne des kompetenzorientierten Zuganges wurde als Erarbeitungsform das kooperative Lernen2 gewaumlhlt Die Lernen-den sind mit dieser Methode bereits vertraut und haben damit schon positive Erfah-rung gemacht Dies wurde aus fruumlheren Reflexionsphasen evaluiert

In einer Vorbereitungsphase planen die Lernenden im Team die Unterrichtsse-quenz in der Betriebskuumlche Sie bekommen dafuumlr die notwendigen Unterlagen Ziel ist es das die Lernenden selbststaumlndig die Arbeiten aufteilen die Arbeitsschritte detailliert ausarbeiten und in der Unterrichtseinheit umsetzen Die Schuumllerinnen und Schuumller geben einander Hilfestellungen Je besser die Lernenden zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstuumltzen desto besser wird auch das Ergebnis sein In der folgenden Aufgabenstellung bekommen die Schuumllerinnen und Schuumller genaue Erlaumlu-terungen fuumlr die Arbeitsaufgabe und das Stundenziel

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Tab 2 Arbeiten im Team Aufgabenstellung und Erlaumluterungen fuumlr Lernende (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011)

AUFGABENSTELLUNG UND ERLAumlUTERUNGEN ndash LERNENDE

Ausgangssituation Die Aufgabenstellungen die in der Unterrichtseinheit in der Betriebskuumlche zu bewaumlltigen sind koumlnnen im Wesentlichen in folgende Teilbereiche gegliedert werden

1 Vorbereitungsphase Studieren der bereitgestellten Unterlagen Wiederholen der wesentlichen the-oretischen Lehrinhalte wie zB Zubereitungsarten Verteilen der Aufgaben auf die Teammitglieder Erstellen eines Arbeitsplans mit Arbeitsschritten verteilt auf Teammitglieder und Betriebsmittel ge-naue Zeiteinteilung fuumlr die Durchfuumlhrungsphase (incl Mise en place Praktische Arbeit wie Zuberei-tungszeit Essensausgabe und Nacharbeit)

2 eventuelle Ruumlckfragen bei Lehrerin (kann entfallen) 3 Durchfuumlhrungsphase (Mise en place Praktische Arbeit Nacharbeit) 4 Ergebniskontrolle und Feedbackphase (Selbst- und Gruppenreflexion)

Sie erhalten fuumlr die Unterrichtseinheit (mindestens 1 Woche vor dem Unterricht) Rezepte Einkaufszettel und genaue Personenanzahl Je besser die Teammitglieder zusammenarbeiten desto effizienter und ergebnisorientierter kann die Unter-richtseinheit durchgefuumlhrt und die praktische Arbeit bewaumlltigt werden Aufgabenstellung Sie fuumlhren mit Ihren Mitschuumllerinnen in Teams 4 ndash 5 Personen in der Betriebskuumlche gemeinsam eine Unter-richtseinheit durch Sie erhalten dafuumlr eine praktische Aufgabenstellung die Rezepte ev Schwerpunktsetzung Zeiten fuumlr Essensausgabe genaue Personenanzahl in der Betriebskuumlche Der Inhalt wird Ihnen in einer Vorbesprechung von demder Lehrerin erlaumlutert und enthaumllt im Wesentlichen die oben angefuumlhrten Teilaufgaben Im Rahmen Ihrer Vorbereitung muumlssen Sie die notwendigen Arbeitsschritte erkennen und innerhalb Ihres Teams aufteilen Zusaumltzlich werden Sie Regeln erfolgreicher Teamarbeit versuchen anzuwenden Abschlieszligend reflektieren Sie die Einhaltung der Regeln und Ihre Zusammenarbeit im Team Vorgangsweise

Schritt 1 Besprechen Sie als Teil der Vorbereitung in Ihrem Team den Unterrichtsverlauf und fuumlhren Sie die notwendige Zuordnung der notwendigen Teilaufgaben durch Beruumlcksichtigen Sie dabei die indi-viduellen Faumlhigkeiten der einzelnen Teammitglieder Versuchen Sie im gemeinsamen Gespraumlch einen Konsens zu finden Wiederholen Sie auch die Regeln erfolgreicher Teamarbeit die Sie mit Ihrer Lehrerin in der Klasse erarbeitet haben Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 2 Am Beginn der Unterrichtseinheit bespricht Ihr Team mit demder Lehrerin die fachlichen In-halte Zuordnung der Arbeitsaufgaben auf die einzelnen Teammitglieder und zeitlichen Rahmen Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 3 Waumlhrend der Unterrichtseinheit versuchen Sie und Ihre Teammitglieder die Ihnen zugeordne-ten Teilaufgaben so gut wie moumlglich zu erledigen gegenseitige Unterstuumltzung ist dabei sinnvoll und fuumlhrt zu besseren Ergebnissen Zusaumltzlich versuchen Sie Ihre Regeln erfolgreicher Teamarbeit umzusetzen Kontrollieren Sie vor der Essensausgabe im Team Ihre Ergebnisse Setzen Sie eventuell Verbesserungs-vorschlaumlge um Zeitbedarf in Abhaumlngigkeit der Unterrichtseinheit

Schritt 4 Vor Ende der Unterrichtseinheit fuumlllt jedes Teammitglied das Feedbackblatt aus und in einer Abschlussbesprechung mit demder Lehrerin eroumlrtern Sie gemeinsam die wesentlichen Ergebnisse und die Zusammenarbeit im Team Zeitbedarf ca 10 ndash 15 min

GUTES GELINGEN IM TEAM SIND SIE STARK

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Fuumlr ein erfolgreiches Arbeiten sollten zu Beginn Teamregeln definiert werden Als Beispiel kann das angefuumlhrte Arbeitsblatt dienen Tab 3 Arbeiten im Team Arbeitsblatt Teamregeln (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash

Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011) ARBEITSBLATT bdquoTEAMREGELNldquo

Regeln fuumlr erfolgreiche Teamarbeit Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Arbeits- und Verhaltensregeln die wesentlich zum Erfolg der gemeinsamen Arbeit beitragen

Verwenden Sie dabei die folgende Vorgangsweise

1 Jedes Teammitglied notiert zunaumlchst einzeln fuumlr sich die ihm persoumlnlich wichtigsten fuumlnf Regeln fuumlr eine erfolgreiche Teamarbeit

2 Anschlieszligend werden diese im Team besprochen und eventuell durch Nachfragen eroumlrtert 3 Bestimmen Sie nun gemeinsam mit Ihrem Team die acht wesentlichen Regeln fuumlr erfolgreiche

Teamarbeit Dies sollte nach intensiver Diskussion und auf demokratische Weise geschehen 4 Praumlsentieren Sie nun Ihre Teamregeln in der Klasse Gemeinsam mit demder Lehrerin und den

Mitschuumllerinnen einigen Sie sich anschlieszligend auf zehn Regeln die verbindlich in allen Teams eingefuumlhrt werden sollen

5 Versuchen Sie die beschlossenen Regeln im Rahmen Ihrer Teamarbeit bei den Unterrichtseinheiten in der Betriebskuumlche einzuhalten

Meine persoumlnlichen fuumlnf Teamregeln

Die acht Teamregeln unseres Teams

Die zehn Teamregeln in unserer Klasse

In einer abschlieszligenden Besprechung nach der Unterrichtseinheit wird von den Ler-nenden ein Feedbackbogen ausgefuumlllt im Team besprochen und Verbesserungsvor-schlaumlge ausgesprochen

6 Fazit

Abschlieszligend laumlsst sich sagen dass mit Hilfe des theoretischen Fachwissens klar erkennbar wird dass nur ein Mensch der seine eigene Identitaumlt gefunden hat seine Persoumlnlichkeit akzeptiert und wertschaumltzt in der Lage ist ein solches Verhalten auch seinen Mitmenschen gegenuumlber zu zeigen Mit Hilfe des beschriebenen Unterrichts-entwurfes bdquoArbeiten im Team in der Betriebskuumlcheldquo konnte aufgezeigt werden welche Moumlglichkeiten bereits vorhanden sind um eine Foumlrderung von Selbst- und Sozialkompetenz durchzufuumlhren Eine zentrale Funktion der Lehrkraumlfte sollte sein jene Kompetenzen zu foumlrdern welche es den Jugendlichen ermoumlglichen sowohl selb-staumlndig als in Zusammenarbeit mit anderen Menschen effektiv und mit Freude zu arbeiten

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Anmerkungen 1 bdquoVersorgung bestimmter Verbrauchergruppen mit Speisen und Getraumlnken oft uumlber

einen laumlngeren Zeitraum und regelmaumlszligig waumlhrend der Anwesenheit in Betrieben Gesundheitseinrichtungen Schulen Heimen Kindergaumlrten Kasernen usw Die Versorgung kann sich auf einzelne Mahlzeiten (zB Schuumllerspeisung) oder alle Ta-gesmahlzeiten (zB in Krankenhaumlusern) erstreckenldquo (Zobel 2000 S 133)

2 bdquoDidaktische Strategie mit dem Ziel alle Lernenden ertragsorientiert in den Unter-richt zu integrieren kombiniert mit dem dazu geeigneten Methodenrepertoireldquo (Mattes 2011 S 20f)

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Verfasserin

Brigitte Mutz

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung

Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien

E-Mail brigittemutzphwienacat Internet wwwphwienacat

Ernaumlhrungskompetenz

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______________________________________________________________

Sigrid Kuumlstler

Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen In den berufsbildenden Schulen treffen auf dem Gebiet der Ernaumlhrungsbildung zwei Lernorte aufeinander der theoretische Unterricht Ernaumlhrung (Lernort Klassenzimmer) und der fach-praktische Unterricht (Lernort Schul- bzw Betriebskuumlche) Es soll aufgezeigt werden wie Ernaumlhrungskompetenz in diesen beiden Lernorten entwickelt werden kann

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Ernaumlhrungskompetenz Empowerment Handlungsfauml-higkeit Selbststaumlndigkeit

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1 Bedarfsgerechtes Ernaumlhrungsverhalten ermoumlglichen

Das Problem dem Menschen in nahezu allen Lebensbereichen gegenuumlberstehen ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln Als Beispiele seien hier das Umwelt- Ernaumlhrung- und Sportverhalten genannt Fuumlr alle diese Lebensbereiche gilt das Glei-che Wir wissen zwar wie es theoretisch ginge das heiszligt wir verfuumlgen uumlber das entsprechende fachliche Know-how aber leider handeln wir nur in wenigen Faumlllen auch entsprechend Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Fach-bereiche beschaumlftigen sich mit diesem Phaumlnomen Waumlhrend Biologen und Biologin-nen der Frage nachgehen bdquoWie kommt man vom Umweltwissen zum Umwelthan-delnldquo ist die ernaumlhrungsrelevante Frage bdquoWie kommt man vom Ernaumlhrungswissen zur Ernaumlhrungskompetenzldquo

Grau amp Legutke (2013) sehen den Lernort Klassenzimmer als Kernzone fuumlr das Erlernen von fremdsprachlicher Kompetenz Gleiches muss auch fuumlr den Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz gelten Die Kernzone Klassenzimmer wird in oumlsterreichischen berufsbildenden Schulen durch den Lernort Schulkuumlche erweitert So koumlnnen die ernaumlhrungsbildenden Kompetenzen die im oumlsterreichischen Referenzrahmen fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbrauchbildung formuliert wurden in beiden Lernorten verankert und trainiert werden Der vorliegende Artikel versucht dies an den beiden Kompe-tenzen bdquoEB 1 Das eigene Essverhalten reflektieren und bewertenldquo und bdquoEB 2 sich vollwertig ernaumlhren koumlnnenldquo (Buchner amp Schuh 2009 S 8) zu verdeutlichen Die Frage die sich stellt ist wie diese beiden innerschulischen Lernorte auch primaumlre Lernorte genannt (vgl Thomas 2009) die Entwicklung der Ernaumlhrungskompetenz von Lernenden foumlrdern koumlnnen Die zwei Lernorte schaffen ideale Voraussetzungen um bei entsprechender Lernbereitschaft der Lernenden sowohl kognitive als auch operationale Kompetenzen zu erwerben bzw weiterzuentwickeln in anderen Worten die Handlungsfaumlhigkeit der Lernenden anzubahnen

Ernaumlhrungskompetenz

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Um Schuumller und Schuumllerinnen zu handlungsfaumlhigen Akteuren zu erziehen brau-chen sie im Unterricht konkrete Handlungsanlaumlsse Diese koumlnnen im geschuumltzten Rahmen dem Lernort umgesetzt geuumlbt und letztlich reflektiert werden Peterszligen (2001) definiert Handlungsfaumlhigkeit wie folgt bdquoAls handlungsfaumlhig gilt wer imstan-de ist selbststaumlndig mit moumlglichst vielen Situationen fertig zu werden in die sein Leben ihn hineinfuumlhrt weil er die darin vorfindbaren Probleme eigenstaumlndig zu loumlsen faumlhig istldquo (S 10) Handlungsfaumlhigkeit ist fuumlr Peterszligen ein ganzheitlich-integratives Konzept dass sich aus der Schnittmenge von fundierter Sach- Sozial- Moral- und Methodenkompetenz ergibt1

Ziel des Ernaumlhrungs- und Kuumlchenfuumlhrungsunterrichtes muss diese Handlungsfauml-higkeit bzw der Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz sein Im Vorwort des aid-Tagungsbandes Du isst wie du bist Ernaumlhrungskompetenz ist Lebenskompetenz fasst Buumlning-Fesel Ernaumlhrungskompetenz wie folgt zusammen

Ernaumlhrungskompetenz [ist] die Faumlhigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Ernaumlhrungsalltag in ein angemessenes Handeln umzusetzen zum Beispiel im Sinne einer gesunden und nachhaltigen Ernaumlhrung (Buumlning-Fesel 2011 S 6)

Das Umsetzen der erworbenen Faumlhigkeiten das Entwickeln von Kompetenzen muss also im Fokus des Unterrichts stehen Im Sprachunterricht orientiert man sich zur Erfuumlllung dieser Aufgabe am handlungsorientierten Unterricht (task-based teaching) So werden im primaumlren Lernort Klassenzimmer Alltagssituationen kreiert sogenann-te bdquotasksldquo (Aufgabenstellungen) gegeben die so realitaumltsnah wie moumlglich geuumlbt wer-den Eine Vielzahl der verwendeten Sprachschulbuumlcher erleichtert diese Form des Sprachunterrichts maszliggeblich

Da sich der Groszligteil der Ernaumlhrungspaumldagoginnen und -paumldagogen auf das Schulbuch stuumltzt wird hier der Frage nachgegangen inwiefern das Konzept des Han-delnlernens in diversen inter-nationalen Ernaumlhrungslehre-Schulbuumlchern verankert ist Eine Analyse des an den berufsbildenden Schulen verwendeten Schulbuchs Er-naumlhrung ndash bewusst ndash aktuell ndash lebensnah (Reischl et al 2009) zeigt auf dass der rein kognitive Wissenserwerb im Vordergrund steht Handlungsanlaumlsse bzw hand-lungsorientiertes Lernen spielen eine untergeordnete Rolle Zu Beginn jedes Kapitels werden Ziele formuliert die nur Operatoren (zB Bescheid wissen kennen erlaumlu-tern erklaumlren etc) aus dem Bereich der kognitiven Ebene bedienen Aumlhnliches gilt fuumlr die Rubrik Arbeitsaufgaben Auch hier zielen die Arbeitsaufgaben darauf ab Kognitionsfragen zu beantworten So zB bdquoIn welche Gruppen werden Kohlenhydra-te eingeteilt Worin besteht der Unterschied zwischen den einzelnen Artenldquo (S 36) Im gesamten Schulbuch findet sich ein Rollenspiel in Form einer Ernaumlhrungsbera-tungssituation zum Thema Kleinkindernaumlhrung (S 238)

Handlungsanleitungen oder Vorschlaumlge fuumlr Projekte wie sie zB in Richters (2009) Kreativ Ernaumlhrung entdecken Usus sind oder die Rubrik bdquoUnd jetzt Sieldquo in de Groot amp Farhadis (2007) Schulbuch In Sachen Ernaumlhrung in der es neben Kogni-tionsaufgaben auch Anwendungsaufgaben (zB Fallbeispiele wie etwa zum The-

Ernaumlhrungskompetenz

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menbereich Salmonellose S 313) zu loumlsen gibt finden sich auch in anderen oumlsterrei-chischen Pendants Richtige Ernaumlhrung (Linder amp Robitza 2003) oder Gesundheit und Ernaumlhrung (Knapp et al 2009) noch nicht Eine Erweiterung im Bereich Hand-lungsorientierung in den oumlsterreichischen Schulbuumlchern waumlre wuumlnschenswert um so eine bessere Ernaumlhrungskompetenz bei den Lernenden zu erzielen

Moumlglichkeiten die Ernaumlhrungskompetenz der Lernenden zu foumlrdern werden bei Strotkamp aufgelistet bdquoexemplarisches Lehren und Lernen schuumllerInnenorientiert [sic] handlungsorientiert Wissenschaft dient als Informationsgeberin (Orientie-rungs- und Entscheidungshilfen) konkretes Ausprobieren handelnd lernen Alltags-bezug [sic]ldquo (Strotkamp 2002 S 189)

Um Ernaumlhrungskompetenz zu ermoumlglichen bedarf es auch einer gezielten Aus-einandersetzung mit dem Begriff des Empowerments Duumlr (2008) bringt den Termi-nus folgendermaszligen auf den Punkt

Der Begriff des Empowerments steht in gewisser Weise fuumlr das Paradox Individuen dazu zu bringen von sich aus so zu leben zu denken und zu handeln wie es mit den anspruchsvoller werdenden Bedingungen der Gesellschaft vereinbar ist ohne dabei Herrschaft Macht und Zwang ausuumlben zu muumlssen bzw sich in die Gestaltung der sozialen Systeme und der Gesellschaft insgesamt aktiv in einer Weise einzubringen dass diese zugleich gegenuumlber individuellen Einfluumlssen und Stoumlrungen paradoxer-weise resistenter werden (Duumlr 2008 S 11)

Bevor gezeigt wird wie ein Zusammenspiel von Ernaumlhrungskompetenz Handlungs-orientierung und Empowerment im Ernaumlhrungsunterricht aussehen kann wird im folgenden Kapitel das Augenmerk auf die eingangs beschriebene Diskrepanz zwi-schen Handeln und Wissen gelegt

2 Theorien zum nicht-stattfindenden Wissenstransfer

Aumlhnlich wie die biologiedidaktische steht auch die ernaumlhrungsdidaktische Forschung vor demselben Problem Obwohl das theoretische Wissen bei der Bevoumllkerung vor-handen ist mangelt es an der praktischen Umsetzung bzw am Wissenstransfer Die-ses Dilemma wird in zahlreichen Studien aus dem naturwissenschaftlichen sowie dem Publich Health-orientierten Bereich aufgezeigt Dieses Phaumlnomen des Nicht-uumlbertragens von vorhandenem Wissen des Ungenutztlassens von Erlerntem wurde 1929 von Whitehead als traumlges Wissen (inert knowledge) bezeichnet (vgl Renkl 1996) In seinem Artikel fasst Renkl drei Erklaumlrungsmoumlglichkeiten fuumlr diese Wis-sens-Handels-Diskrepanz zusammen

a) Metaprozesserklaumlrung Diese Theorie geht davon aus dass es zu keiner Nutzung des existierenden Wissens kommt weil die sogenannten me-takognitiven Steuerungsprozesse mangelhaft sind

Ernaumlhrungskompetenz

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b) Strukturdefiziterklaumlrung Hierbei geht man davon aus dass das eigentliche Wissen luumlckenhaft bzw nicht ausreichend ist um es entsprechend anwen-den zu koumlnnen

c) Situiertheitserklaumlrung Diese Theorie geht von der Situiertheit des Wissens aus und kritisiert somit auch die Ansaumltze der Kognitionspsychologie zur Thematik Wissen und Transfer (vgl Renkl 1996 S 84-87)

Um schlieszliglich anwendbares Wissen zu erlangen wird mithilfe von Modellen des situierten Lernens (zB kognitive Lehre verankerte Instruktion und Kognitive Flexibilitaumlt) im Unterricht gearbeitet bdquoAls Gemeinsamkeit dieser Ansaumltze kann hervorgehoben werden daszlig [sic] an komplexen authentischen oder zumindest realitaumltsnahen Problemstellungen gelernt wird (problemorientiertes Lernen)ldquo (Renkl 1996 S 87) Wissen werde so bereits im Anwendungskontext erarbeitet und somit auf bdquobestimmte Anwendungsbedingungen hin konditionalisiertldquo (S 88) Dieses anwendungsorientierte Lernen soll auch durch kooperatives Vorgehen in der Klasse gestuumltzt werden da bdquobei den Modellen des situierten Lernens der Sozi-alaspekt betont und Lernen als Enkulturation aufgefaszligt [sic]ldquo (S 88) wird

Wie ein entsprechend situiertes Lernarrangement im Ernaumlhrungsunterricht aus-sehen koumlnnte soll hier skizziert werden Die Themen des situierten Lernarrange-ments sind die Naumlhrwertberechnung und der Umgang mit Naumlhrstofftabellen Im Schulbuch wird ein fiktives Berechnungsbeispiel angegeben Eine vorgegebene Menge Haferflocken Apfel und Joghurt sind zu berechnen Der Arbeitsauftrag lautet bdquoWie viel Energie hat dieses Muumlslildquo Die Schuumller und Schuumllerinnen berech-nen rein mechanisch und haben beim naumlchsten Mal wieder vergessen wie sie den Energiewert berechnen koumlnnen

Eine handlungsorientierte und zugleich kooperative Moumlglichkeit die die kogni-tive Ebene mit der operationalen Ebene verbindet sieht folgendermaszligen aus

Den Lernenden wird in Kleingruppen ermoumlglicht sich selbst ihr Muumlsli zusam-menzustellen Die entsprechenden Ingredienzen stehen zur Verfuumlgung und duumlrfen frei gewaumlhlt abgewogen und in eine entsprechende Tabelle eingetragen werden Schlieszliglich wird der Energiegehalt der eigenen realen Muumlsliportion berechnet Die Schuumller und Schuumllerinnen werden angehalten den Energiegehalt ihrer Portion mit den Empfehlungen der DGE zu vergleichen wenn noumltig werden innerhalb der Gruppen Veraumlnderungen vorgenommen bzw Verbesserungs-vorschlaumlge gemacht

Neben der Zurverfuumlgungstellung von Muumlsliingredienzien (Orientierungshilfe) und dem Auswaumlhlen (sich entscheiden) dem Berechnen (Kognition) dem Abglei-chen von Ist- und Soll-Zufuhr am konkreten Beispiel (Reflexion) und dem Erbrin-gen von Verbesserungsvorschlaumlgen (Ernaumlhrungskommunikation -beratung) finden wichtige praktische Taumltigkeiten (Herstellung des Muumlslis Anrichten) statt Die ge-meinsame Verkostung (soziales Setting und sensorische Bewertung) schlieszligt diese Einheit ab Dieses konkrete Unterrichtsbeispiel veranschaulicht wie Wissenser-werb Empowerment und Ernaumlhrungskompetenz Hand in Hand gehen

Ernaumlhrungskompetenz

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3 Handlungstheorien und ihre didaktische Umsetzung

Im Zusammenhang mit Ernaumlhrungsbildung und Gesundheitsfoumlrderung in der Schule muss sich die Ernaumlhrungsdidaktik auch mit Handlungstheorien bzw der Handlungs-psychologie auseinandersetzen Die fuumlr diesen Artikel ausgewaumlhlten Theorien wer-den kurz umrissen Die Auswahl dieser Theorien erfolgt aufgrund ihrer ernaumlhrungs-didaktischen Tauglichkeit

Was versteht die Wissenschaft unter Handeln Der Neurobiologe Roth (2003) versteht unter Handeln bdquodas Verfolgen von Zielen genauer den Versuch Wuumlnsche Plaumlne und Absichten in die Tat umzusetzen Handeln unterscheidet sich hierdurch vom bloszligen Reagieren auf bestimmte Sinnesreize jenes wird uumlberwiegend intern dieses uumlberwiegend extern bestimmtldquo (S 472) Ein wichtiger Aspekt um ein Ziel zu erreichen ist die Willensanstrengung2 Roth erlaumlutert die Erkenntnisse der Hand-lungs- und Volitionspsychologie und geht in diesem Zusammenhang auf Heckhau-sen ein und benennt fuumlnf Phasen des Handelns

(1) die realitaumltsorientierte Motivationsphase (2) die Intentionsbildung (3) realisie-rungsorientierte praumlaktionale Phase (4) die aktionale Volitions- bzw Handlungs-phase und (5) die postaktionale Phase die das Erzielte bewertet und fuumlr spaumltere Handlungen beruumlcksichtigt (Roth S 476)

Um den Jugendlichen bei der Planung ihres Trinkverhaltens zu helfen wurde fol-gendes Beispiel von ihnen erarbeitet Tab 1 Planungsschritte fuumlr das Trinkverhalten

Phasen Teilaspekte ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Phase 1 Was Trinkverhalten verbessern

Phase 2 Wie Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch bereithalten

Phase 3 amp 4 das Handeln Wasser trinken und im Trinkprotokoll die entspre-chenden Portionen festhalten

Phase 5 das Bewerten Was ist gut gelaufen Was muss ich verbessern

Eine Theorie die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Einstellungen und Ver-halten auseinandersetzt ist Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens Ajzen erforscht ebenfalls Phasen im Handeln Laut Graf (2007) haben Ajzen und Fishbein unter anderem folgende vier Aspekte fuumlr diverse Haltungen sowie fuumlr das Verhalten for-muliert den Handlungs- Ziel- Kontext- und Zeitaspekt Nachfolgend eine Tabelle die diese vier Teilaspekte des Handelns auf das Ernaumlhrungsverhalten uumlbertraumlgt

Ernaumlhrungskompetenz

99

Tab 2 Beschreibung der Einstellungs- und Verhaltensperspektiven

Aspekte Fragen (lt Graf S 34) ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Handlungsaspekt Welches Verhalten soll ausgefuumlhrt oder unterlassen werden

morgen kein Dessert essen

Zielaspekt Welches Ziel hat das Verhalten morgen nicht naschen

Kontextaspekt In welchem Kontext steht das Verhal-ten

Gehe ich morgen essen oder koche ich selbst

Zeitaspekt Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zeitrahmen soll das Verhalten ausge-fuumlhrt werden

einen Tag lang nichts naschen od gaumlnzlich darauf verzichten

Fuumlr die Ernaumlhrungsbildung in der Schule koumlnnen diese beiden Tabellen zB zur Nachbesprechung in der Reflexionsphase eines Essverhaltensprotokolls (vgl Heindl 2003 S 75) herangezogen werden Heindl fuumlhrt zB als Methode der Gesundheits-bildung bdquoEssgewohnheiten ndash Die Spirale der Veraumlnderungldquo an (vgl Heindl 2003 S 77)

Abb 1 Essgewohnheiten ndash Spirale der Veraumlnderung (nach Heindl 2003 S 77) Um den Lehrenden bei der Spirale der Veraumlnderung weiterzuhelfen haben die in Tabelle 1 und 2 angefuumlhrten Aspekte gute Dienste geleistet da dem Groszligteil der Jugendlichen nicht bewusst ist aus welchen Komponenten sich ihr Handeln zusam-mensetzen kann

Ernaumlhrungskompetenz

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4 Handlungsorientiertes Lernen und Ernaumlhrungsbildung

Um Lernende moumlglichst wirklichkeitsnahe handeln zu lassen wurde der handlungs-orientierte Unterricht entwickelt Laut Bender (2013) trifft man ihn im Lernfeld Er-naumlhrung haumlufig an Peterszligen (2001) formuliert zum Thema handlungsorientiertes Lernen3 sehr plakativ bdquoWer Handlungsfaumlhigkeit will muss handeln lassenldquo (S 142) Fuumlr ihn bedeutet Handlungsorientierung dass Lernende die Faumlhigkeit besitzen ihr bdquoeigenes Handeln intellektuell regulieren zu koumlnnenldquo (S 142) Er fordert weiter dass die Lernenden bdquoihr Handeln von A bis Z [hellip] selbstaumlndig steuernldquo (S 145) muumls-sen damit sie das Erziehungsziel Selbstaumlndigkeit4 erreichen koumlnnen Aumlhnlich wie Heckhausen oder auch Ajzen sieht Peterszligen Handeln in Dimensionen unterteilt Er stuumltzt sich auf das Modell des vollstaumlndigen Handelns von Hacker dieses unterteilt sich wie folgt Planen Ausfuumlhren und Kontrollieren Peterszligen kreiert sein didakti-sches Modell des handlungsorientierten Lernens in Anlehnung an das des vollstaumlndi-gen Handelns (vgl Abb 2)

Abb 2 Didaktisches Modell vollstaumlndigen Handelns (Quelle Peterszligen 2001 S 145) Fuumlr den ernaumlhrungsbildenden Unterricht kann dieses Modell wie folgt in die Praxis umgesetzt werden In der HLW19 Straszligergasse wurde in den letzten drei Jahren das Projekt bdquoGesunde Jauseldquo gestartet Die Intentionen sind erstens auf die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden Einfluss zu nehmen zweitens beiden Gruppen Orien-tierungshilfen zu bieten und drittens die Zubereitungskompetenz der Schuumllerinnen und Schuumller bezuumlglich der Herstellung von einfachen bedarfsgerechten sowie naumlhr-stoffdichten Snacks in den schuleigenen Kuumlchen zu foumlrdern Dieser Zugang bedingt

Ernaumlhrungskompetenz

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eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Faumlchern Ernaumlhrung und Kuuml-chenfuumlhrung einerseits Er erfordert aber auch andererseits dass die Lernenden typi-sche Nahrungszubereitungsmethoden gezielt uumlben naumlhrstoffdichte Snacks erkennen und gemaumlszlig den Hygienevorschriften herstellen sowie im Team arbeiten koumlnnen Neben der fachlichen Kompetenz werden auch die Methodenkompetenz und die personalensozialen Kompetenzen trainiert Im konkreten Fall wird dargestellt wie die Lernenden bei der Auswahl und Herstellung von bedarfsgerechten Snacks unter-stuumltzt werden um dann entsprechend handeln zu koumlnnen Die Schritte die an der HLW19 gesetzt wurden sind

a) Produktion von naumlhrstoffdichten Pausensnacks (Kochkompetenz) b) Verkauf und Beratung der Snacks in der Schulaula (Beratungskompetenz) c) Marketing durch Schuumllerinnen und Schuumller d) Konsum und Bewertung dieser Snacks durch Schuumllerinnen und Schuumller

Um die Lernenden zum Handeln zu motivieren brauchen sie im Unterricht konkrete Anlaumlsse die sie im geschuumltzten Rahmen umsetzen uumlben und reflektieren koumlnnen Das 6-stufige didaktische Modell von Peterszligen stand Pate fuumlr die folgende Vorge-hensweise Das Thema im Ernaumlhrungsunterricht ist die bdquoGesunde Jauseldquo und unter-stuumltzt somit das obenerwaumlhnte Projekt Buumlnning-Fesels Definition von Ernaumlhrungs-kompetenz Duumlrs Sicht des Empowerments und die beiden Deskriptoren EB1 und EB 2 des oumlsterreichischen Referenzrahmens fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bilden den weiteren didaktischen Hintergrund

Tab 3 Ernaumlhrungsdidaktische Umsetzung (basierend auf Peterszligens Modell)

Phasen Umsetzung

1 Information Lernenden erarbeiten sich das Thema bdquoGesunde Jauseldquo

2 Planung Lernende planen ihre eigene gesunde Jause Der Handlungsplan muss folgendes beinhalten 5 Tagesplaumlne bdquoGesunde Jauseldquo fuumlr Teenager entsprechend des in Schritt eins erworbenen Wissens Rezeptplanung Naumlhrstoffdichte-Berechnung Einkaufsliste Zube-reitungsinformation Marketingstrategie fuumlr die gesunde Jause

3 Beratung Lehrende beraumlt

4 Ausfuumlhrung Lernende fuumlhren ihre Planung mithilfe der Lehrkraumlfte aus

5 Evaluation Evaluation des Vorhabens

6 Bewertung Bewertung des Vorhabens

Am Ende dieser Einheit stehen nicht nur Rezepte Einkaufslisten Handlungsplaumlne sowie Jausensnacks als konkrete Handlungsprodukte zur Verfuumlgung die Schuumllerin-nen und Schuumller haben sich im Bereich der Selbststaumlndigkeit weiterentwickelt Ihre Planungskompetenz und ihre Ernaumlhrungskompetenz (theoretischer sowie operationa-ler Art) konnte weiterentwickelt werden

Ernaumlhrungskompetenz

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5 Conclusio

Um der Forderung in der Schule ernaumlhrungskompetente Schuumllerinnen und Schuumller auszubilden damit sie sich gemaumlszlig der Idee des Empowerments gesundheitsfoumlrdernd ernaumlhren und verhalten koumlnnen gerecht zu werden bedarf es einer fundierten Ausei-nandersetzung mit Handlungstheorien und handlungsorientiertem Lernen Diese profunde Beschaumlftigung muss in der Aus- Weiter- und Fortbildung geschehen

Anmerkungen 1 Naumlhere Ausfuumlhrungen betreffend der ernaumlhrungsrelevanten Moral- bzw Methoden-

kompetenz finden sich in Buchner et al (2011) und Bender et al (2013) 2 Einen eingehenden Uumlberblick zu den Moumlglichkeiten und Grenzen der Willens-

erziehung bietet Langer (2011) 3 Es wurde bewusst der Begriff bdquohandlungsorientiertes Lernenldquo und nicht bdquohand-

lungsorientierter Unterrichtldquo gewaumlhlt Dies geschieht einerseits weil mit dem Be-griff des Lernens verdeutlicht werden soll dass die Lernenden im Vordergrund ste-hen und andererseits weil der Begriff handlungsorientiertes Unterrichten bei Meyer (2003a 2003b) und Jank und Meyer (2008) nicht auf Handlungstheorien basiert

4 Eine ausfuumlhrliche Einfuumlhrung zum Erziehungsziel Selbststaumlndigkeit gibt Drieschner (2007)

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Verfasserin

Maga Sigrid Kuumlstler

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung Ernaumlhrungspaumldagogik Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien E-Mail sigridkuestlerphwienacat Internet wwwphwienacat

Beurteilungsportfolio

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______________________________________________________________

Ute Bender

Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche Das Lernatelier Kuumlche stellt eine wichtige materielle Lernumgebung fuumlr den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung dar Die damit verbundenen Lernprozesse stehen in Verbindung mit Methoden der Leistungsbeurteilung welche die angestrebten Kompetenzen in ihrer ganzen Breite auch tatsaumlchlich erfassen koumln-nen Der folgende Beitrag schlaumlgt hierzu ein Beurteilungsportfolio vor

Schluumlsselwoumlrter Portfolio Leistungsbeurteilung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungsbildung

______________________________________________________________

1 Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche als Lernumgebung der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

In der Tradition der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung war das Lernatelier Kuumlche1

lange Zeit die typische materielle Lernumgebung Heute hat sich dies gewandelt Nichtsdestotrotz sind insbesondere in der Ernaumlhrungsbildung fachliche Lernprozesse im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung unver-zichtbar die im Lernatelier am besten unterstuumltzt werden koumlnnen

Diese Lernprozesse sind mit vielfaumlltigen Teilkompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung verknuumlpft so dass im Lernatelier keineswegs ausschlieszliglich am Kompetenzaufbau in der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung gearbeitet wird Lehr-Lernarrangements im Lernatelier Kuumlche stellen folglich keinen separier-ten oder bdquobesonderenldquo Sektor innerhalb der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung dar sondern sind in die uumlbergeordneten Intentionen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung integriert Auch fuumlr die Leistungsbeurteilung gelten somit keine bdquobesonderenldquo Rege-lungen - allerdings sind bestimmte Fokussierungen vorzunehmen um den spezifi-schen angestrebten Kompetenzen gerecht werden zu koumlnnen Ein Beurteilungsportfo-lio kann diesem Anspruch entgegenkommen2

Die Begriffe bdquoLeistungsbeurteilungldquo und bdquoLeistungsbewertungldquo werden im Fol-genden nicht synonym verstanden bdquoLeistungsbeurteilungldquo bezieht sich auf die Ver-fahren die uumlber einen laumlngeren Zeitraum zum Einsatz kommen und bdquoLeistungsbe-wertungldquo auf bdquodie konkrete und detaillierte Einordnung einer beschriebenen Leistung in einem bestimmten Maszligstabldquo (Bohl 2009 S 60f in Anlehnung an v Saldern 1999)

Beurteilungsportfolio

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11 Leistungsbeurteilung im Zuge der Kompetenzorientierung

Das in schulischen Fachkreisen gaumlngigste Verstaumlndnis von bdquoKompetenzldquo greift auf die Definition von F E Weinert zuruumlck (Weinert 2001) bdquoKompetenzenldquo beinhalten demnach mehrere inhalts- und prozessbezogene Facetten Faumlhigkeiten Fertigkeiten und Wissen aber auch Bereitschaften Haltungen und Einstellungenldquo (D-EDK 2013b S 7) Konsequenterweise hat sich die Leistungsbeurteilung an diesem an-spruchsvollen Kompetenzbegriff zu orientieren In der Ernaumlhrungs- und Konsumbil-dung im Allgemeinen und im Lernatelier Kuumlche im Besonderen wird sie sich also nicht nur auf Faumlhigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren sondern anstreben saumlmtli-che Aspekte von Kompetenz zu erfassen (vgl Bender 2013 S 46ff)

Selbstverstaumlndlich kann sich die Leistungsbeurteilung nur auf jene Teilkompe-tenzen beziehen an denen vorher im Unterricht gearbeitet wurde Sie hat prinzipiell den bdquoGrundsatz der proportionalen Abbildungldquo (Sacher 2011 S 29 vgl Bohl 2012 S 327) zu beachten das heiszligt dass die jeweils gewaumlhlten Modalitaumlten der Leistungserhebung und -bewertung die im Unterricht unterstuumltzten Kompetenzen im Sinne einer repraumlsentativen Stichprobe spiegeln sollten Zugleich sind die Verfahren der Leistungsbeurteilung gemaumlszlig dem bdquoGrundsatz der Variabiliaumltldquo (Sacher 2011 S 29) so zu gestalten dass sie der Zielgruppe gerecht werden Gerade in der Ernaumlh-rungs- und Konsumbildung beduumlrfen die heterogenen Voraussetzungen der Lernen-den (zB Geschlecht Interkulturalitaumlt) und ihre individuellen situativen Problemlouml-sungen besonderer Aufmerksamkeit (Fachgruppe 2005 S 31 vgl Methfessel Ritterbach amp Schlegel-Matthies 2008)

Eine der Herausforderungen des skizzierten Kompetenzverstaumlndnisses liegt si-cherlich in dem Anspruch Leistungsbeurteilung auch auf die bdquoBereitschaften Hal-tungen und Einstellungenldquo (siehe oben) zu beziehen In der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung kommen manche Bereitschaften zB die Absicht sich gesund zu ernaumlhren und angemessene Zubereitungstechniken zu praktizieren vor allem im auszligerschulischen Alltag zum Vorschein sie bleiben somit fuumlr die schulische Leis-tungsbeurteilung prinzipiell unzugaumlnglich Diese ist auf entsprechende Aussagen der Schuumllerinnen und Schuumller angewiesen Dabei hat sie sich selbstverstaumlndlich nicht auf gewisse bdquoerwuumlnschteldquo Absichtserklaumlrungen der Lernenden zu beziehen sondern auf explizierte Argumentationen und Erwaumlgungen

Der Maszligstab der Kompetenzorientierung wird von allen aktuellen deutschspra-chigen fachdidaktischen Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung vertreten In diesen kommen noch weitere Anspruumlche zur Geltung welche die Leistungsbeur-teilung beeinflussen koumlnnen und im Folgenden skizziert werden

Beurteilungsportfolio

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12 Leistungsbeurteilung in Bezug auf die Faumlhigkeit zur Reflexion

So wird in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung aus Oumlsterreich und Deutschland ua angestrebt dass Schuumllerinnen und Schuumller ihr Verhalten und ihre Entscheidungen reflektieren koumlnnen und wollen (Thematisches Netzwerk 2009 Fachgruppe 2005 vgl D-EDK 2013a S 8) Die Lernenden sollen uumlber das eigene Tun nachdenken und nicht nur spontan oder gewohnheitsmaumlszligig agieren In dieses Nachdenken flieszligen sehr unterschiedliches Wissen (zB aus den eigenen Erfahrun-gen oder wissenschaftliches Wissen) Einstellungen Emotionen etc ein Doch bdquoNachdenkenldquo ist bekanntlich unsichtbar Um es der Performanz zuzufuumlhren wird im Zuge der Leistungsbeurteilung erwartet dass die Schuumllerinnen und Schuumller ihre Gedanken in Texten oder auf andere Weise symbolisieren und ausfuumlhren Die Leis-tungsbeurteilung sollte folglich fuumlr solche Symbolisierungen Raum bieten

13 Leistungsbeurteilung vor dem Hintergrund ethischer Aspekte des Lernens

Eng mit den bdquoReflexionenldquo aber auch mit bdquoBereitschaften Einstellungen und Hal-tungenldquo (siehe oben) verknuumlpft sind solche Formulierungen in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung welche die Lernenden in Richtung eines nachhal-tigen Handelns oder Lebensstils bilden wollen (Fachgruppe 2005 S 26 ff vgl D-EDK 2013a S 2 Thematisches Netzwerk 2009 S 8 f) Nachhaltiges Entscheiden und Handeln impliziert immer auch ethische Gesichtspunkte (Schlegel-Matthies 2013) Dasselbe gilt fuumlr die in den Konzepten mehrfach genutzten Termini des bdquover-antwortlichenldquo oder bdquoverantwortungsbewusstenldquo Handelns (Fachgruppe 2005 S 27 Thematisches Netzwerk 2009 S 7 11) Wiederum kann es bei der Leistungsbe-urteilung nicht darum gehen bestimmte bdquoerwuumlnschteldquo Antworten zu erhalten son-dern um moumlglichst differenzierte mehrperspektivische Explorationen

14 Leistungsbeurteilung im Sinne des salutogenetischen Prinzips

Das bdquosalutogenetische Prinzipldquo als didaktisches Prinzip der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung findet sich in expliziter Form ausschlieszliglich im deutschen Konzept REVIS wieder (Fachgruppe 2005 S 30) Es zielt darauf ab die je individuellen he-terogenen Ressourcen der Lernenden zu foumlrdern und zu fordern Leistungsbeurtei-lung im Sinne der Salutogenese beruumlcksichtigt das Prinzip der Variabiliaumlt (siehe oben) und beachtet daruumlber hinaus dass die damit verbundenen Anforderungen fuumlr die Lernenden handhabbar sinnvoll und verstaumlndlich bleiben und somit dem persoumln-lichen bdquoKohaumlrenzgefuumlhlldquo nach Antonovsky (1999) dienlich sind

Beurteilungsportfolio

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15 Leistungsbeurteilung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens

Nicht zuletzt sei noch auf das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens hingewiesen welches ebenfalls im Konzept REVIS genannt ist Lernprozesse in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung sind demzufolge alltagsnah zu konzipieren vorhandene Erfah-rungen der Lernenden wert zu schaumltzen und Offenheit fuumlr weiteres Lernen ist ebenso zu foumlrdern wie bdquoLebensgestaltungs- und Bewaumlltigungskompetenzenldquo (Fachgruppe 2005 S 31) Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung versucht also idealerweise jene Offenheit fuumlr das weitere Lernen zu unterstuumltzen oder sogar Hilfestellungen hierfuumlr zu geben Sicherlich lieszligen sich noch weitere grundsaumltzliche Anforderungen an die Leistungs-beurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung formulieren Im Sinne eines Minimalanspruchs sollten konkrete Leistungsbewertungen jedoch den genannten zumindest nicht zuwiderlaufen Welche Rolle kann ein Beurteilungsportfolio dabei innehaben

2 Das Beurteilungsportfolio in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Portfolios als Lern- und Beurteilungsinstrumente werden mit unterschiedlichen Funktionen und fuumlr unterschiedliche Zielgruppen eingesetzt In der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung hat Brandl (2004) ein Konzept fuumlr die Lehrerinnen- und Lehrerbil-dung entwickelt Mit Blick auf Schuumllerinnen und Schuumller sind Portfolios folgender-maszligen zu definieren

Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Schuumllerarbeiten welche die An-strengung des Lernenden den Lernfortschritt und die Leistungsresultate auf einem oder mehreren Gebieten zeigt Die Sammlung schlieszligt die Beurteilung des Schuumllers bei der Auswahl der Inhalte Aufstellung der Kriterien fuumlr die Auswahl und zur Beur-teilung sowie selbstreflexive Gedanken ein (Lissmann 2008 S 137 in Anlehnung an Paulson Paulson amp Meyer 1991 vgl Brunner amp Schmidinger 2004 S 17 Bohl 2009 S 147f Haumlcker 2011a Winter 2012 S 200f)

Zu den bdquoselbstreflexiven Gedankenldquo gehoumlren meist Reflexionen der Lernenden uumlber ihre Portfolioentwicklung aber auch Uumlberlegungen zu ihren eigenen Lernprozessen Auszligerdem wird der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernenden uumlber Leis-tungen und Lernprozesse hoher Wert eingeraumlumt die dann ebenfalls Eingang ins Portfolio findet (Haumlcker 2011b S 218 Winter 2012 S 217)

Ein bdquoBeurteilungsportfolioldquo stellt eine von fuumlnf moumlglichen Formen eines Portfo-lios dar (siehe Tabelle 1 Lissmann 2008 S 141 vgl Glaumlser-Zikuda amp Hascher 2007 S 12f Paulson Paulson amp Meyer 1991 Winter 2012 S 200)

Beurteilungsportfolio

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Tab 1 Formen eines Portfolios (Lissmann 2008 S 141)

Aufgabe Portfolioformen

Lernprozess diagnostizieren Arbeitsportfolio

Lernerfolg beurteilen Beurteilungsportfolio

Lernergebnisse mitteilen Vorzeigeportfolio

Entwicklung dokumentieren Entwicklungsportfolio

Lernende vorstellen Bewerbungsportfolio

Das Beurteilungsportfolio dient somit dazu den Lernerfolg und die Schritte dorthin zu dokumentieren und der Bewertung zugaumlnglich zu machen folgerichtig hat es einen deutlich formaleren Charakter als zB das bdquoArbeitsportfolioldquo Wie fuumlr alle Portfolioformen gilt auch fuumlr das Beurteilungsportfolio dass es nicht nur einen ein-zigen Zeitpunkt im Lernprozess dokumentiert sondern auf eine laumlngere bdquoRegelstre-ckeldquo zuruumlckblickt (Winter 2012 S 213) Daruumlber hinaus beteiligt es wenn moumlglich die Lernenden an der Entscheidung welche ihrer Leistungen bewertet werden sollen und staumlrkt deren Selbstregulierung (Haumlcker 2011b S 220f)

In loser Anlehnung an Brunner und Schmidinger (1997 2004) sowie an Bohl (2009) sollte ein Beurteilungsportfolio folgende Dokumente umfassen Formale und strukturierende Elemente wie Titelblatt Inhaltsverzeichnis etc Pflichtdokumente aus dem Unterricht Dokumente nach Wahl der Lernenden die inner- oder auszliger-halb des Unterrichts entstehen koumlnnen Ruumlckmeldungen der Lehrperson zum Lern-prozess oderund zur Portfolioarbeit Schuumllerreflexionen

Waumlhrend das Beurteilungsportfolio in der deutschsprachigen Diskussion einer-seits als Alternative zum bdquoNotenfetischismusldquo (Vierlinger 1999) angesehen wurde und wird (Stern 2010 Vierlinger 2011) ist es heute andererseits auch als ergaumlnzen-de Beurteilungsmodalitaumlt denkbar (Bohl 2009 Winter 2012)

21 Ein Beurteilungsportfolio fuumlr das Lernatelier Kuumlche

Das Lernatelier Kuumlche ist der typische Ort fuumlr den Erwerb von Teilkompetenzen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im Sinne des Kompetenzbegriffes gehoumlren dazu Fertigkeiten etwa Arbeitstechniken aber auch diverse Kenntnisse und Faumlhigkeiten ebenso entsprechende Motivationen und Bereitschaften Daruumlber hinaus sind die genannten Teilkompetenzen zu verknuumlpfen mit weiteren Kompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Das Beurteilungsportfolio bietet ein breiteres Potenzial zur Leistungsbeurteilung an (siehe Tabelle 2)

Beurteilungsportfolio

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Tab 2 Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung durch ein Portfolio

Die Verfahren der Leistungs-beurteilung solltenhellip

Ein Beurteilungsportfoliohellip

hellipKompetenz im umfassenden Sinn variabel erfassen koumlnnen

helliperlaubt sehr vielfaumlltige Dokumentationen die uumlber einen laumlngeren Zeitraum entstanden sind So kann es die Aspekte von Kompetenz vielseitiger abbilden als eine punktuelle Leistungserhebung Prozesse Produkte bzw Zwischenprodukte lassen sich mit Hilfe von Zeichnungen Fotos oder Videos fuumlr das Portfolio festhalten (Brunner amp Schmidinger 2004 Winter oJ) Die im Portfolio skizzierten Kommunikationen und Dokumentationen erlauben es auch sinnliche Qualitaumlten zu erfassen zB Verkostungen

hellipReflexionen der Lernenden erheben koumlnnen

hellipbeinhaltet Reflexionen zum je individuellen Lernprozess (einschlieszliglich der jeweils bearbeiteten Inhalte genutzten Strategien und Techniken Medien Uumlberlegungen zu eigenen Staumlrken und Schwierigkeiten) und zum Portfolioprozess (etwa zur Auswahl der Dokumente) Lehrpersonen unterstuumltzen die Reflexionsfaumlhigkeit indem sie den Lernenden moumlgliche Fragen aufzeigen diese mit ihnen erarbeiten sowie spezifische Arbeitsblaumltter bereitstellen (vgl Poumllzleitner 2011)

hellipethischen Implikationen Rechnung tragen koumlnnen

helliplaumlsst zu dass Lernende selbst entscheiden zu welchen (verschiedenen) thematischen Aspekten sie ihre Uumlberlegungen und Meinungen darlegen moumlchten Es ermoumlglicht so ein vielgestaltiges Bild das auch Widerspruumlche zulaumlsst

hellipdie salutogenetische Orientierung beruumlcksichtigen

helliplaumldt Schuumllerinnen und Schuumller ein ihre Kompetenzen und damit ihre Staumlrken zu zeigen ndash statt nach Schwachstellen oder Fehlern zu suchen (Haumlcker 2005) Lernende entscheiden welche Wahldokumente sie beifuumlgen moumlchten Eigene Schwerpunkte lassen sich abbilden Die Ruumlckmeldungen der Lehrperson als konkretes konstruktives Feedback erweisen sich wie Studien zeigen als hocheffizient zur Foumlrderung von Lernprozessen (Black amp Wiliam 2009 Maier 2010)

helliplebensbegleitendes Lernen unterstuumltzen

hellipfoumlrdert den Erwerb von Lernstrategien indem es die Reflexion des Lernprozesses initiiert Schuumllerinnen und Schuumller verbessern ihre Faumlhigkeiten zur Selbsteinschaumltzung indem sie Produkte fuumlr ihr Portfolio auswaumlhlen und ihre Wahl dokumentieren Der Unterricht stellt ihnen Zeitgefaumlszlige fuumlr die Arbeit am Portfolio zur Verfuumlgung (Internationales Netzwerk Portfolioarbeit 2010) Das Portfolio laumlsst auch Dokumente zu auszligerschulischen Lernprozessen zu

Beurteilungsportfolio

111

211 Vorgehensweise

Lehrpersonen werden die Konzeption und Umsetzung des Beurteilungsportfolios an den jeweiligen Lernstand der Schuumllerinnen und Schuumller die jeweiligen situativen Bedingungen und andere Voraussetzungen anpassen Sie entscheiden daruumlber in-wieweit sie die Schuumllerinnen und Schuumller an der Leistungsbeurteilung mit dem Port-folio beteiligen moumlchten Lernende die uumlber wenig Erfahrung mit der Portfolioarbeit verfuumlgen benoumltigen zumeist mehr Hilfestellungen etwa Unterstuumltzung bei Reflexi-onsprozessen und formale Kriterien als andere Lernende Trotz dieser paumldagogi-schen Gestaltungsspielraumlume welche die Lehrperson hat sollte das Portfolio nicht zu einer Ansammlung von Pflichtdokumenten degradiert und den Schuumllerinnen und Schuumllern jegliches Mitspracherecht an der Zusammenstellung undoder Bewertung genommen werden Ein solches bdquoPortfolioldquo wuumlrde der Grundphilosophie widerspre-chen (Haumlcker 2005)

Die hohe Plastizitaumlt des Portfolios macht es zudem moumlglich das Beurteilungsver-fahren an sehr unterschiedliche Lehr-Lernarrangements zu adaptieren Wiederum jedoch wuumlrde es der Portfolio-Philosophie (und auch der Kompetenzorientierung von Unterricht) widersprechen wenn dieses Lehr-Lernarrangement keinerlei selbstregu-lierte Phasen fuumlr die Lernenden vorsaumlhe

212 Beispiel fuumlr ein Beurteilungsportfolio

Beurteilungsportfolios sollen widerspiegeln welche Teilkompetenzen Lernende erworben haben So richtet sich zB das nachstehend skizzierte Portfolio auf mindes-tens folgende Teilkompetenzen bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller koumlnnen Nahrungs-mittel uumlber die Sinne vergleichenhellip sensorische Eigenschaften beschreibenhellip und Vermutungen formulieren wie Unterschiede entstehenldquo sie bdquokoumlnnen Nahrungsmittel unter Beruumlcksichtigung von gesundheitlichen Aspekten auswaumlhlen und zuberei-tenhellipldquo und bdquokoumlnnen Mahlzeiten situationsgerecht planen und zubereitenhellipldquo (D-EDK 2013a S 7f) Weitere Teilkompetenzen lieszligen sich anfuumlgen

Das Portfolio-Beispiel bezieht sich auf einen Zeitraum von fuumlnf Wochen pro Woche findet der Unterricht in einem vierstuumlndigen Lektionenblock statt Die Schuuml-lerinnen und Schuumller sollen mindestens einmal selbst in Kleingruppen ein Menuuml planen einkaufen und zubereiten Sie werden informiert welche Speisen bzw Me-nuumls im genannten Zeitraum im Ganzen vorgesehen sind und vereinbaren im Vorfeld ihre Arbeitsteilung in den Kleingruppen Die Lehrperson pruumlft ob diese Arbeitstei-lung gewaumlhrleistet dass alle Schuumllerinnen und Schuumller die Chance haben die Aufga-ben fuumlr das Portfolio sehr gut zu erfuumlllen Sie plant ein dass alle Jugendlichen eine nicht benotete Ruumlckmeldung zu ihren Lernhandlungen erhalten koumlnnen sowie Zeit fuumlr das Portfolio zur Verfuumlgung steht Die Lernenden werden uumlber die Portfolioarbeit ausfuumlhrlich informiert und der Prozess mit ihnen abgesprochen Das Portfolio setzt sich aus vielfaumlltigen Dokumenten zusammen (siehe Tabelle 3)

Beurteilungsportfolio

112

Tab 3 Dokumente fuumlr ein Portfolio (Beispiel Liste fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller)

Pflichtdokumente

In dein Portfolio gehoumlren alle Dokumente die gemeinsam im Unterricht bearbeitet wurden (siehe Arbeitsblatt Checkliste)3 sowie Titelblatt und Inhaltsverzeichnis

Bearbeite mindestens einmal die Fragen mit deren Hilfe du uumlber die Nahrungszubereitung und dein Lernen dabei nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Suche dir eine Speise aus die eine Mitschuumllerin oder ein Mitschuumller zubereitet hat und schreibe dieser Person eine konkrete Ruumlckmeldung wie du diese Speise mit allen Sinnen wahrnimmst Lege die Kopie in dein Portfolio

Fuumlge die Ruumlckmeldung der Lehrperson in dein Portfolio Du markierst was dabei fuumlr dich wichtig ist und notierst dir falls noumltig Nachfragen

Fuumlr das Menuuml das ihr euch selbst auswaumlhlt Legt alle Rezepte in das Portfolio oder bezeichnet sie mit Seitenzahlen gemaumlszlig eures Lehrmittels bdquoTiptopfldquo Klaumlrt im Unterricht gemeinsam warum ihr die Rezepte gewaumlhlt habt Jeder von euch soll diese Uumlberlegungen nochmals in eigenen Worten fuumlr das Portfolio aufschreiben

Was hast du bei der Portfolioarbeit gelernt Bearbeite einige der Fragen mit deren Hilfe du uumlber deine Portfolioarbeit nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Beispiele fuumlr freiwillig einzufuumlgende Dokumente

Dokumentiere mit einem Foto ein besonders gut gelungenes Produkt aus der Nahrungszubereitung im Unterricht oder von zuhause und begruumlnde warum es aus deiner Sicht gut gelungen ist

Skizziere mit einer Zeichnung oder fotografiere wie du den Tisch fuumlr ein bestimmtes Menuuml decken wuumlrdest oder gedeckt hast

Welche Speisen aus dem Unterricht koumlnntest du auch zuhause zubereiten Warum und zu welchen Gelegenheiten Wenn du keine Speisen findest Wo liegen die Schwierigkeiten

Welche Speisen haben dir besonders gut geschmeckt und warum

Welche Uumlberlegungen habt ihr euch zum finanziellen Budget fuumlr euer Menuuml gemacht

Wie sieht die Zeit- und Arbeitsplanung fuumlr euer Menuuml aus Warum wollt ihr so vorgehen

Lege Bilder und Rezepte bei die fuumlr euer Menuuml ebenfalls in Frage gekommen waumlren und schreibe uumlber ihre Vor- und Nachteile

Schreibe als Einleitung zu deinem Portfolio einen Brief an die Lesenden

Beurteilungsportfolio

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3 Guumltekriterien fuumlr das Beurteilungsportfolio

Fuumlr die Benotung eines Beurteilungsportfolios gelten prinzipiell dieselben Guumltekrite-rien wie bei jeder anderen Beurteilung Dazu gehoumlrt dass die Schuumllerinnen und Schuumller genau wissen wie die Bewertung zustande kommt und nach welchen Krite-rien die Lehrperson ihr Portfolio benoten wird Wenn moumlglich sind sie bei der Er-stellung dieser Kriterien zu beteiligen Gerade bei einem offenen Leistungsbewer-tungsinstrument wie dem Portfolio ist die Transparenz der Bewertung kommunikativ sicherzustellen (Bach-Blattern amp Bohl 2011 Bohl 2009 S 73ff Juumlrgens 2010 Lissmann 2008 S 76f)

4 Resuumlmee

Das Beurteilungsportfolio bietet die Chance vielfaumlltige individuelle Lernergebnisse der Schuumllerinnen und Schuumller im Lernatelier Kuumlche uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinweg zu erfassen Insbesondere gibt das Portfolio den Lernenden die Gelegenheit ihre Staumlrken darzustellen Fuumlr Lehrende und Lernende kann dieser Weg der Beurtei-lung manchmal mit sich bringen dass sie unbekanntes Terrain betreten und gemein-sam Unsicherheiten uumlberwinden muumlssen Trotzdem zeigen Studien dass die Akzep-tanz bei den Beteiligten im Allgemeinen hoch ist (Bohl 2012 Glaumlser-Zikuda Rohde amp Schlomske 2010 Lissmann Haumlcker amp Fluck 2009)

Anmerkungen 1 In der Schweiz ist der Begriff bdquoAtelierldquo allgemein gebraumluchlicher als bdquoWerkstattldquo 2 Ich danke den engagierten Lehrerinnen die im Rahmen einer Weiterbildung im

Kanton Solothurn ein Konzept fuumlr ein Portfolio fuumlr die Ernaumlhrungsbildung gemein-sam mit mir entwickelt und mit ihren Klassen realisiert haben

3 Zur Unterstuumltzung der Portfolioarbeit erhalten die Lernenden zusaumltzliche Arbeits-blaumltter

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Beurteilungsportfolio

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Winter F (2012) Leistungsbewertung eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schuumllerleistungen (5 uumlberarb u erw Aufl) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Verfasserin

Profin Dr Ute Bender

PH FHNW Basel und Brugg

Clarastr 57 CH-4058 Basel

E-Mail utebenderfhnwch Internet wwwgesundheitundhauswirtschaftch

Rezension

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Regine Bigga

Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Ute Bender (Hrsg) (2013) Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Perspektiven und Praxisbei-spiele fuumlr den Hauswirtschaftsunterricht Fachdidaktische Entwicklungen in Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz Bern Schulverlag plus AG 200 Seiten mit CD-ROM

ISBN 978-3-292-00724-7 (D 3375 EURO A 3465 EURO CH 4190 CHF)

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In einem ersten Block werden die Entwicklungen und Positionspapiere zum deut-schen Projekt bdquoReform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulenldquo (REVIS) zum schweizerischen Projekt bdquoHauswirtschaftliche Bildung fuumlr eine Ge-sellschaft im Wandelldquo und der oumlsterreichische Referenzrahmen bdquoErnaumlhrungs- und Verbraucherbildung Austria (EVA)ldquo vorgestellt Unterkapitel widmen sich dem kompetenzorientierten Unterricht in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung und der Frage wie Lern- und Pruumlfaufgaben entwickelt werden koumlnnen

In einem zweiten Block werden ausgewaumlhlte Makromethoden (handlungsorien-tierter Unterricht Projekte Problemorientiertes Lernen Instruktionales Lernen Bio-graphieorientiertes Lernen SchmeXperiment und Experiment Dialogisches Lernen Stationenlernen) dicht angelehnt an entsprechende Fachartikel beschrieben Offen bleibt warum in diesem Kontext das Stationenlernen aber nicht typische Methoden der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung wie der vergleichende Schuumllerwaren- bzw Schuumllerdienstleistungstest und die Erkundung vertieft werden

In einem dritten Block werden Praxisbeispiele zum essbiographischen Arbeiten in multikulturellen Klassen zum fachpraktischen Arbeiten insbesondere dem Um-gang mit Rezepten zum experimentellen Arbeiten zur Entwicklung von Konsum-kompetenzen mittels Warentest und problemorientierten Lernen sowie der Entwick-lung von Haltungen in Richtung nachhaltiger Konsumentscheidungen ausfuumlhrlich dargestellt und auf entsprechende Makromethoden bezogen Hier liegt eine der Staumlr-ken des Buches deutlich werden Kompetenzen genannt und mit fachinhaltlichen und methodischen Uumlberlegungen verknuumlpft und reflektiert Im Anschluss werden die jeweiligen Vorschlaumlge kommentiert Im Sinne eines Studienbuches fuumlr die Lehrkraumlf-teausbildung waumlren hier Lern- und Pruumlfaufgaben bezogen auf die bdquoBeispiele fuumlr re-flektierte Unterrichtspraxisldquo hilfreicher gewesen

Der Sinn der beigelegten CD erschlieszligt sich nicht da viele der Dokumente gut online verfuumlgbar und die Medien fuumlr den Unterricht zum Teil nicht veraumlnderbar sind Ausgesprochen aumlrgerlich ist es dass sich teilweise Literaturhinweise weder im Buch noch auf der CD finden

Rezension

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Trotz der aufgezeigten Maumlngel ist die Anschaffung des Buches zu empfehlen Es wird eine Luumlcke in der fachdidaktischen Diskussion der Ernaumlhrungs- und Verbrauch-erbildung geschlossen denn bislang fehlte ein Studienbuch fuumlr Studierende und eine interessierte Fachoumlffentlichkeit das sich mit den Domaumlnen Konsum Ernaumlhrung und Gesundheit im Kontext der allgemein bildenden Schulen befasst und das die aktuelle fachdidaktische Diskussion in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in den deutschsprachigen Laumlndern Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz der letzten 20 Jahre vorstellt und diskutiert

Verfasserin

Regine Bigga

Universitaumlt Paderborn Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Gesundheit

Warburger Straszlige 100 D-33098 Paderborn E-Mail Bigga mailupbde

  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche
  • BartschBuumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung
  • DittrichFrantaLuumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene
  • KessnerBraukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen
  • MethfesselSchlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung
  • BartschBrandstaumldter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung
  • Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft
  • Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen
  • Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche
  • Rezension

Taxonomie der Lernwege

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12 Taxonomie der Lernwege

Unterricht ist ein houmlchst komplexes Geschehen viele Bedingungsfaktoren stehen in wechselseitiger Beziehung und Ruumlckkoppelung (Helmke 2010 S 73) Im Rah-men ihrer schulpraktischen Ausbildung lernen die Studierenden Modelle und Stra-tegien kennen mit deren Hilfe sie die Vielfalt der Wirkungsfaktoren von Unter-richt handhaben lernen sollen Didaktische Analysen Situationsanalysen Zieldefinitionen und Kompetenzbeschreibungen Methodenanalysen sowie das im Zuge der NMS-Unterrichtsentwicklung als bdquoruumlckwaumlrtiges Lerndesignldquo bezeichnete Planungsinstrument sind Werkzeuge die auch zur Planung und Gestaltung des Fachunterrichts in der Schulkuumlche angewendet werden sollen

Zahlreiche facheinschlaumlgige Publikationen argumentieren die Anschlussfaumlhig-keit des Lernens in der Schulkuumlche an neuere didaktische Paradigmen wie Kon-struktivismus kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Neurodidaktik Subjekto-rientierung selbstgesteuertes Lernen und Aufgabenkulturen schluumlssig und untermauern die Ausfuumlhrungen mit fachbezogenen Praxisbeispielen Was fehlt ist ein in sich konsistentes Konzept fuumlr die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung ndash zumindest ist der Autorin kein solches bekannt

Die hier vorgestellte Taxonomie versteht sich als Klassifikationsschema moumlgli-cher Lernwege in der Schulkuumlche Sie reduziert die Komplexitaumlt der Unterrichts-wirklichkeit auf maszliggebliche Planungsgroumlszligen und erfuumlllt damit eine Orientierungs-funktion sowohl fuumlr eine reflektierende Unterrichtspraxis als auch fuumlr die Unterrichtsplanungen der Studierenden fuumlr Dozentinnen und Dozenten im Ausbil-dungsteam und Praxislehrpersonen die nur phasenweise im Rahmen der schul-praktischen Studien in den Ausbildungsprozess eingebunden sind Sie gibt fach-fremden Kolleginnen und Kollegen die im Rahmen innovativer Schul- und Unterrichtsprojekte gemeinsame Lernfelder entwickeln einen uumlbersichtlichen Ein-blick in die fachspezifischen Bildungsanliegen

Mit der Beschreibung der Lernwege ist keine Wertung verknuumlpft Es soll die Vielfalt moumlglicher Schwerpunktbildungen und das allgemein bildende Potential des Unterrichts in der Schulkuumlche aufgezeigt werden Die hier vorgestellte Taxo-nomie der Lernwege erhebt auch keinen Anspruch auf Vollstaumlndigkeit Vielmehr ist die Hoffnung verbunden dass uumlber den kollegialen hochschuldidaktischen Dis-kurs ein taugliches erweiterbares Fundament fuumlr die fachdidaktische und (schul)praktische Ausbildung entwickelt werden kann

2 Handelnd lernen ndash Handeln lernen

Als Antwort namhafter Reformpaumldagogen auf das passiv-rezeptive Lernen in der obrigkeitsorientierten Pauk- und Drillschule entstanden eine Reihe von Konzepten (Anschauungspaumldagogik Arbeitsschulbewegung Lebensweltorientierung usw)

Taxonomie der Lernwege

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und Methoden (Projektunterricht Freiarbeit Leittext-Lernen Planspiele problem-basiertes Lernen Werkstattarbeit usw) die fuumlr sich den Anspruch erheben bdquoganzheitlichesldquo Lernen (Lernen mit Kopf Herz und Hand ndash Johann Heinrich Pestalozzi 1746-1827) zu foumlrdern um muumlndige vernunftbegabt entscheidungs- und handlungsfaumlhige Individuen hervorzubringen (Aebli 1997 Gudjons 2001 Hackl 1990 Stoumlring 2007)

Die Form der aktiv-handelnden Wissensaneignung erfaumlhrt aktuell durch neu-rowissenschaftliche Erkenntnisse quasi einen Legitimationsschub wenngleich aus dem bdquopraktischenldquo Taumltigsein per se (bzw aus dem Sichtbarmachen beteiligter Hirnregionen) noch kein Bildungsgehalt begruumlndet werden kann

bdquoWer gut zu arbeiten lernt kann auch sich selbst regieren und ein guter Staatsbuumlrger werdenldquo(Sennett 2009 S 356) Selbststaumlndigkeit und Selbstverant-wortlichkeit im Handeln ndash das gesellschaftspolitische Ziel von (Allgemein)Bildung (im zeitgeschichtlichen Kontext Aufklaumlrung Muumlndigkeit Emanzipation genannt) ndash soll Buumlrger und Buumlrgerinnen zur aktiven Teilhabe (Partizipation) an demokrati-schen Gesellschaften und zum Aufbau nachhaltiger Entwicklungen befaumlhigen (Education for Democratic Citizenship2)

21 Didaktische Prinzipien fuumlr handlungsorientierten Unterricht

Handlungen sind mehr als Fertigkeiten es sind zielgerichtete in ihrem inneren Aufbau verstandene Vollzuumlge die ein fassbares Ergebnis erzeugen (Aebli 2011 S 182)

Unter handlungsorientiertem Unterricht werden Verfahren subsummiert bei wel-chen Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht bzw moumlglich wird (Gudjons 2001)

Unter Handlungen werden zielgerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrneh-mungen konkrete Operationen und intellektuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Aebli 2011 Baumgartner 2011 Flechsig 1991 Gudjons 2001 Peterszligen 2009 Riedl 2011)

22 Handeln lernen in der Schulkuumlche

221 Fertigkeiten erwerben

Ausdruumlcklich weist Peterszligen (2009 S 144) darauf hin dass nicht von handlungs-orientiertem Unterricht gesprochen werden kann wenn auf Anweisung von auszligen die Durchfuumlhrung einer Taumltigkeit eigenstaumlndig vorgenommen wird

Taxonomie der Lernwege

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Tab 1 Merkmale von Handlungen (Quelle Edelmann 2000 Gudjons 2001 Peterszligen 2009)

Merkmal Erlaumluterungen

zielgerichtet Lernen muss Sinn haben ein sinnstiftendes Ziel eine bewaumlltigbare Aufgabenstellung eine selbst gestellte (motivierende) Herausforderung Es gibt Leitlinien (Kriterien fuumlr den Prozess fuumlr das Produkt) die indizieren ob und wie das Ziel erreicht wurde Das Ziel ist realistisch (angemessenes Anspruchsniveau) dh es muss mit den zur Verfuumlgung stehenden Mitteln Fertigkeiten und der Zeit auch erreichbar sein

geplant Ein Handlungsschema wird entwickelt Teilhandlungen werden in einen groumlszligeren Sinnzusammenhang gebracht Effizientes Handeln ist dabei stabil-flexibel (grundsaumltzliches Festhalten am Ziel bei variablen Eingehen auf situative Bedingungen) Bei der Faumlhigkeit zur Antizipation von Handlungsablaumlufen und Handlungsergebnissen stoszligen Lernende naturgemaumlszlig an ihre Grenzen

selbststaumlndig Die Entwicklung eines Denk- und Handlungsschemas liegt in der Verantwortung des Lernenden die Handlungsplanung wird nicht von der Lehrkraft vorgegeben Allerdings sind Hilfestellungen notwendig wo liegt das Problem im Handlungsablauf (vgl Denkfoumlrderung in Dubs 2009) Selbstaumlndig muss nicht bdquoalleineldquo heiszligen Die Abstimmungsprozesse und Entscheidungen die in Lerngruppen zu treffen sind sind konstitutive Merkmale handlungsorientierten Lernens beduumlrfen jedoch auch der Instruktion (Helmke 2010 S 207-208)

vollstaumlndig Handlungen umfassen grundsaumltzlich Planung Durchfuumlhrung und Kontrolle Das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung ist zum Aufbau von Verantwortlichkeitskonzepten unumgaumlnglich

mehrperspektivisch

Die Lernenden wechseln die Perspektive sie sind Ausfuumlhrende und Beurteilende des Handlungsablaufs und Handlungsergebnisses Handeln wird von Metakognitionen begleitet Sprechen uumlber das Tun foumlrdert den Erkenntnisgewinn uumlber das Tun

Lernen am Modell durch Beobachtung und vor allem das nachahmende Uumlben ist wirksames Lernen ndash wenn die Lehrerdemonstration gut ist (Dubs 2009 S 187) Auch in der Schulkuumlche fertigen die Lernenden planvoll und gezielt ein Produkt (eine Speise) nach vorgegebener schriftlicher muumlndlicher und praktischer Anlei-tung an Hier sind nicht erarbeitende problemloumlsende Unterrichtsverfahren son-dern darbietende Methoden hilfreich die sich auf eine Grundkompetenz im Lehr-

Taxonomie der Lernwege

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beruf naumlmlich klare und gut nachvollziehbare Anleitungen geben zu koumlnnen stuumlt-zen (vgl dazu Grundform 2 Vormachen in Aebli 2011 S65-80 vgl dazu Ausdrucksstarke Anleitungen in Sennett 2009 S240-284) Tab 2 Fertigkeiten lernen (nach Peterszligen 2009)

Schritte im Lernprozess

Anforderungen Hilfestellungen wo liegt das Problem

Planung Ruumlsten des Arbeitsplatzes Koordination der einzelnen Arbeitsschritte Hilfestellungen zum Leseverstaumlndnis bei schriftlichen und graphischen Rezept-Darstellungen gute Visualisierung des Zielzustandes um die Antizipation desselben zu unterstuumltzen

Durchfuumlhrung Gute (muumlndliche schriftliche praktische) Schritt-fuumlr-Schritt Anleitungen gute Demonstrationen (Vormachen-Nachmachen) mit begleitendem Sprechhandeln (Dubs 2009 S 187-188) Vorausschauendes Eingreifen zur Korrektur von fachlichen Fehlern bei kritischen Gefahrenpunkten um auch ein Sicherheits- und Hygienebewusstsein aufzubauen Vgl Direktes Unterricht nach Grell J in Wiechmann 1999 S 35-49 Instruktion und Unterweisung in Terhart 1989 sowie die Ausfuumlhrungen in Sennett 2009 zu bdquoDie Handldquo S 201 und bdquoFaumlhigkeitldquo S 355)

Bewertung Auswertung der Ergebnisse Produkt- und Prozesskriterien Selbst- und Fremdkontrolle

Das Ziel naumlmlich den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten kann im Arbeitsunter-richt nur durch wiederholten Vollzug erreicht werden (Baumgartner 2011)

bull Uumlbung aumlhnliche Inhalte Aufgaben haben eher exemplarischen Charakter bull Drill Uumlberlernen durch Wiederholen (gleicher Inhalt sehr oft sehr lange)

sodass die Taumltigkeiten quasi bdquoautomatischldquo in die Handlung einflieszligen (zB Schneidetechniken Hygiene Sicherheit Ordnungsarbeiten)

bull Training schrittweise Leistungssteigerung bei gleichem Inhalt mit steigen-den Anforderungen

bull Probehandeln Handeln im bdquoAls-ob-Modusldquo wie es in der berufliche Bil-dung im Rahmen von Groszligkuumlchenunterricht der Fall ist (vgl dazu das Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung)

Dass bdquoArbeiten ohne Anleitungldquo als bdquokreativesldquo Tun interpretiert wird ist ebenso vermessen wie von sporadisch durchgefuumlhrten praktischen Taumltigkeiten schon Koumln-nerschaft zu erwarten Kreativitaumlt setzt Koumlnnerschaft voraus in groszligen Zeitabstaumln-den (woumlchentlich vierzehntaumlgig) einmalig durchgefuumlhrte praktische Taumltigkeiten fuumlhren sicher nicht zur Ausbildung von Routinen

Taxonomie der Lernwege

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222 Handeln lernen

Tab 3 vollstaumlndige Handlungen (kompiliert aus Peterszligen 2009 S 20 S 45 S 173)

Schritte im Handlungs-ablauf

Wo liegt das Problem Wo werden Lernhindernisse auftreten

Methodische Hilfestellungen

Informieren Ist der Arbeitsauftrag bzw Arbeitsumfang klar Muumlndliches und schriftliches Sprachverstehen Sind Lernende in der Lage den Zielzustand zu antizipieren

Leittexte (Leitfragen Leitsaumltze) Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lesetraining Bilder die den Zielzustand zeigen

Beraten und Entscheiden

Soziale Organisation in der LerngruppeLernpartner Gemeinsam in der Lerngruppe wird das Vorgehen gedanklich durchgespielt Partnerschaftliche Arbeitsteilung Zustaumlndigkeiten und Verantwortlichkeiten werden geregelt

Zufallsprinzip (Lose) Zuweisung oder freie Wahl Bild- und Textkarten zum Legen der Handlungsabfolge Checklisten fuumlr einzelne Taumltigkeiten

Ausfuumlhren Sachlogische Reihenfolge Vorarbeiten ndash Durchfuumlhrung ndash Nacharbeiten Fehler sofort korrigieren damit sich keine falschen Routinen einschleichen Zu den Vollendungsarbeiten zaumlhlt nicht nur das Anrichten und Praumlsentieren der Speisen sondern ebenso das Aufraumlumen des Arbeitsplatzes (bdquoNacharbeitenldquo)

Orientierung in der Kuumlche (Inventarsysteme) und angemessen ausgestattete Arbeitsplaumltze Bildtafeln fuumlr grundlegende Arbeitstechniken

Kontrollieren Schon waumlhrend der Handlung wird das Endprodukt mit dem Zielzustand verglichen Wie kann eigenstaumlndig das Erreichen des Zielzustandes festgestellt werden

Kontrollboumlgen mit Indikatoren die anzeigen wann der Zielzustand erreicht ist

Bewerten Produkt fachlich-sachliche Richtigkeit des Handelns Prozess soziales Verhalten (Kommunikation Kooperation Konfliktbewaumlltigung) Entwicklung von Bedeutsamkeits- und Verantwortlichkeitskonzepten

Gelenktes Fachgespraumlch Pensenbuch Lernpass zur Selbstbewertung ICH habeWIR haben

Taxonomie der Lernwege

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Die einzelnen Phasen im Handlungsablauf bieten sich als Anker sowohl fuumlr die schulpraktischen Vor- und Nachbereitungen fuumlr die Fachpraxis also auch fuumlr die Foumlrderung des metakognitiven Bewusstseins (zB Dubs 2009 S 328-341) bei Ler-nenden an

Die Handlung bdquoNahrung zubereitenldquo umfasst neben den einschlaumlgigen hand-werklich-technischen Kuumlchenfertigkeiten auch das Kuumlchenmanagement (Arbeits-organisation unter Beachtung von Sicherheits- und Hygienerichtlinien bei Beschaf-fung Lagerung Zubereitung Aufbewahrung und Ausgabe von Speisen) sowie das Gestalten von Essenssituationen unter Beruumlcksichtigung kultureller Fragen subjek-tiver Motive und Problemlagen menschlichen Ernaumlhrungshandelns Auch wenn Alltagssituationen wie die taumlgliche Ernaumlhrungspraxis gerne trivialisiert werden die Zubereitung einer Tagesmahlzeit ist ein anspruchsvoller weil komplexer Lernan-lass fuumlr eine Lerngruppe gekennzeichnet durch Polytelie und Paradigmenvielfalt

3 Ernaumlhrung ndash ein weitlaumlufiges Lernfeld

Die Ernaumlhrung des Menschen ist ein weitlaumlufiges Wissensgebiet mit zahlreichen Bezugswissenschaften die sich spezielleren Fragen der Ernaumlhrung des Menschen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven methodischen Zugaumlngen Arbeitsweisen und theoretischen Modellen unter Ruumlckgriff auf die einschlaumlgigen fachlichen Sys-tematiken und Begrifflichkeiten zuwenden Von Atomen und Elementen uumlber Zell-strukturen biologischer Organismen bis hin zu sozialen Gruppen Gesellschaften und Zivilisationen werden saumlmtliche Wissensgebiete durchlaufen Physik Chemie Biologie Psychologie Soziologie und Kulturwissenschaften liefern eine Fuumllle von Theorien und Gesetzmaumlszligigkeiten

Weil die Ernaumlhrung des Menschen in Verbindung mit allen Lebensbereichen steht spricht der Soziologe Marcel Mauss (1968 S 17) von einem totalen gesell-schaftlichen Phaumlnomen bei dem alle Arten von Institutionen gleichzeitig zum Ausdruck kommen religioumlse rechtliche moralische oumlkonomische aumlsthetische ebenso wie technisch-instrumentelle Aus dieser Tatsache leitet sich auch der An-spruch an Ernaumlhrungsbildung in der Schule ab diese nicht auf normative Ernaumlh-rungserziehung zu reduzieren und zu verzwecken (bdquoHauptsache gesundldquo) sondern Bildung im Sinne der Faumlhigkeit die Phaumlnomene der Welt aus unterschiedlicher Perspektive bdquolesenldquo zu koumlnnen (Dressler 2006) zu verstehen

Eine in diesem Sinn verstandene Ernaumlhrungsbildung (nutrition literacy) soll zu einem reflektierten Verhaumlltnis zu sich zur Sache und zur Welt fuumlhren (Buchner 2013 S 9)

31 Praxis Anwendung welchen Wissens

Schulisches Lernen im Lernfeld Ernaumlhrung ist einer angewandten Lehre und hand-lungsorientierten Didaktik verpflichtet und Ernaumlhrungspraxis im Sinne von Nah-

Taxonomie der Lernwege

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rungszubereitung ist seit jeher ein zentrales Element im Fachunterricht Die uumlber die unmittelbare sinnaumlsthetische Erfahrung beim praktischen Tun zwangslaumlufig hervorgerufene emotionale Beteiligung die jeden Lernprozess begleitet ist eine nicht zu unterschaumltzende Qualitaumlt des Lernens in der Schulkuumlche

Wenn in Anlehnung an Weinert (1998) bdquoguterldquo Unterricht jener ist in dem bdquomehr gelernt als gelehrt wirdldquo3 dann koumlnnte man annehmen dass praktischer Unterricht in der Schulkuumlche per se bdquogutldquo ist weil hier vielfaumlltige Lernhandlungen stattfinden Beim Lob der Praxis wird ja stets auch darauf hingewiesen dass das bdquoVieleldquo eben nicht zur Gaumlnze formal definiert werden kann und gelingende Unter-richtsverlaumlufe einen Schatz impliziten Wissens Einstellungen und Haltungen (vgl Definition Kompetenz) sichtbar machen der auch Schuumllerinnen und Schuumllern mit weniger uumlberzeugenden formalen Lernleistungen eine gute Performanz beschei-nigt

Angesichts der Komplexitaumlt sowohl des Lerninhalts Ernaumlhrung des Menschen als auch der Vielfalt moumlglicher Lernerfahrungen beim Handeln in der Schulkuumlche erachte ich es fuumlr die Studierenden in der Ausbildung als notwendig eine grundle-gende (fach)didaktische Frage als Schluumlssel fuumlr die fachspezifische Unterrichtspla-nung in den fachpraktischen Uumlbungen zu klaumlren

Um die Anwendung welchen Wissens geht es

Welche Denkprozesse sollen gefoumlrdert werden und werden daher bei der jeweili-gen praktischen Anwendung in den Fokus gestellt Neben der Analyse der allge-meinen situativen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen lautet die inhaltliche Pruumlffrage unterstuumltzt der besondere Bildungsgehalt des ge-waumlhlten Themas das angestrebte Ziel des Fachunterrichts in der Schulkuumlche

Geht es um die Foumlrderung von sozial-integrativem Verhalten (agrave Soziales Ler-nen) von sinnerfassendem Lesen einer Rezeptanleitung (agrave Schluumlsselkompetenz mutter- oder fremdsprachliche Kompetenz) und Selbststaumlndigkeit in der Arbeitsor-ganisation (agrave Denk- und Handlungsstrategien entwickeln) oder agrave Kulturtechnik und kulinarisches Handwerk in der Kuumlche technisch-praktischem Verstaumlndnis bei der Nahrungszubereitung (agrave angewandte PhysikChemieTechnik) der Unterstuumlt-zung eines neugierig fragend- und forschenden Interesses bei 10-14jaumlhrigen (agrave naturwissenschaftliches Weltverstehen) oder um Meinungsbildung als Basis muumln-diger Entscheidungen (agrave politische Bildung)

Dementsprechend unterschiedlich sind dann auch die theoretischen Grundla-gen auf denen die Unterrichtsplanung basiert Professionalitaumlt im Lehrberuf entwi-ckelt sich wenn das Handeln in komplexen Ausbildungssituationen zu einem sys-tematischen Unterfangen wird bei dem die Studierenden sowohl das Spezifische einer Situation (Praxis) als auch das hinter dem konkreten Fall liegende Allgemei-ne (das potenziell Generalisierbare ndash die Theorie bzw das Paradigma) zu erken-nen vermoumlgen (vgl EPIK 2009)

Taxonomie der Lernwege

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32 Ernaumlhrungspraxis

Grundlage zur Definition von Ernaumlhrungspraxis4 sind der Lehrplan der Sekundar-stufe 1 sowie die im Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich (EVA) ausgewiesenen Inhalts- und Handlungsdimensionen der ein-zelnen Teilkompetenzen Tab 4 Das Verstaumlndnis von Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung fuumlr die

Sekundarstufe 1

Ernaumlhrungsbildung - Teilkompetenzen (EVA)

Daraus abgeleitete Inhalte und Handlungsdimensionen fuumlr die fachpraktischen Uumlbungen

Das eigene Essverhalten reflektieren und bewerten

Ernaumlhrungsbiografien im Spiegel von Raum (lokal-global) Zeit (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und Person (intra- und interpersonale Faktoren - psychische soziale und kulturelle Einfluumlsse auf das individuelle Essverhalten) verstehen Paradigma ein metakognitives Bewusstsein entwickeln

Sich vollwertig (bedarfsgerecht) ernaumlhren koumlnnen

Evidenz basiertes Wissen uumlber die Inhaltsstoffe unserer Nahrung (Bedarf Aufgaben Vorkommen in Lebensmitteln kuumlchentechnische Eigenschaften) erwerben Paradigma naturwissenschaftliches Verstehen foumlrdern

Eine empfehlenswerte Lebensmittelauswahl treffen

Entscheidungen zur Auswahl von Lebensmitteln aus dem Essenskreisder Ernaumlhrungspyramide nach differenzierten Gesichtspunkten argumentieren (Preis Umwelt- und Sozialvertraumlglichkeit Gesundheitswert Genusswert) Paradigma Urteils- und Handlungsfaumlhigkeit in divergenten Wirklichkeiten

Nahrung naumlhrstoffschonend zubereiten

Gartechniken uumlben bzw erproben (Sicherheit Hygiene Kulturtechniken im Vergleich) Physikalisch-chemische Phaumlnomene bei der Nahrungszubereitung erkennen und nutzen (angewandte Naturwissenschaften) Paradigma handwerklich-technische Fertigkeiten erwerben (effizientes und effektives Arbeiten)

Ernaumlhrung im Alltag nachhaltig und gesundheitsfoumlrderlich gestalten

Haushaltsmanagement Tagesmahlzeiten planen und zubereiten gemeinsam Essenssituationen gestalten (Esskultur lernen) Paradigma selbststaumlndiges und sozial-integratives Handeln lernen

Taxonomie der Lernwege

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Aufgrund der eingangs geschilderten Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschu-le werden sich die fachpraktischen Uumlbungen im Schulunterricht einem ausgewaumlhlten Verstehensweg zuwenden muumlssen Um einem umfassenden Bildungsanspruch ge-recht zu werden werden die Studierenden in der Fachdidaktik angehalten mittelfris-tige Planungen (5-6 Einheiten) als Basismodule und Erweiterungsangebote zu konzi-pieren die jeweils einen relevanten Ausschnitt der Ernaumlhrungspraxis in den Fokus stellen Diese Reduktion und Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg in den fachpraktischen Uumlbungen wird im Folgenden didaktische Konzeption genannt

4 Didaktische Konzeptionen fuumlr die Fachpraxis

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Lernwege besteht in dem der Hand-lung zugrundeliegendem Paradigma bdquoWorin liegt der besondere Erkenntnisge-winn Was soll der Schuumllerdie Schuumllerin tunldquo Das Paradigma oder die Kernidee beschreibt das was letztlich erreicht und verstanden werden soll und ndash salopp for-muliert ndash auch noch nachdem die Schulkuumlche verlassen wurde angewendet werden kann

Worin besteht das Besondere was enthaumllt dieser Lernweg als bestimmende Ka-tegorie und worin unterscheidet er sich von anderen Als Deskriptoren werden in der als Matrix dargestellten Taxonomie modelltypische Phasen im Unterrichtsver-lauf skizziert die fuumlr das Erreichen der Zielvorgabe (Faumlhigkeitsbereich) unabding-bar sind Moumlgliche Themen geeignete Sozialformen typische Lernaufgaben sowie das Lernen unterstuumltzende Materialien ergaumlnzen die Uumlbersicht beispielhaft Jeder Lernweg verlangt dass sich die Studierenden neben der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung des gewaumlhlten beispielhaften Lerninhaltes mit den jeweils spezifischen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Bedingtheiten des ge-waumlhlten Paradigmas befassen und die subjektiven Lernvoraussetzungen ihrer Schuuml-lerinnen und Schuumller mit einbeziehen

Lernprozesse die wir im Unterricht ausloumlsen und steuern sollen dem Schuumller [sic] in der Regel neue Moumlglichkeiten des Handelns und des Erlebens also des Denkens Fuumlhlens und Wertens eroumlffnen Sie sollen sich in einem Wissen niederschlagen aus dem der Schuumller [sic] in neuen Situationen richtig zu handeln und zu urteilen vermag und das ihn befaumlhigt emotional angepasst zu reagieren und Dinge die Gegenstand von Wertungen sind richtig zu beurteilen (Aebli 2011 S 277)

Die Taxonomie der Lernwege fuumlr die Fachpraxis trifft keine Werturteile Jede hier verortete didaktische Konzeption ist per se zulaumlssig weil sie den Vorgaben des Lehrplans entspricht und dem Referenzrahmen Ernaumlhrungsbildung zuarbeitet Le-diglich im gegebenen situativen Kontext ist eine Konzeption mehr oder weniger zielfuumlhrend Die Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg fuumlr zumindest 5-6 Lehreinheiten (mittelfristige Planung mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Lehreinheit) erscheint jedoch notwendig um eine Kompetenzentwicklung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden uumlberhaupt zu ermoumlglichen

Taxonomie der Lernwege

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Tab 51 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (1)

Kategorie NAWI-Lernfeld GESO-Lernfeld

Paradigma Naturwissenschaftliches Den-ken

(Moralische) Urteilsbildung

Modellphasen Muster im Lernweg

1 Beobachten und Wahrneh-men (mit allen Sinnen) 2 Beschreiben (messen wiegen analysieren) Wahrnehmungen objektivieren 3 Ursache-Wirkungs-Gesetzmaumlszligigkeiten erforschen Versuche und Experimente in der Kuumlche (wenn ndash dann) 4 Schlussfolgerungen fuumlr die Nahrungszubereitung (Transfer in den Kuumlchenalltag)

1 Beobachten und Wahrnehmen relevante Kriterien fuumlr die unterschiedlichen Kategorien von Lebensmittelqualitaumlt 2 Vergleiche nach differenzierten Gesichtspunkten das eine und das andere 3 Folgen einer Entscheidung abschaumltzen (Szenarien antizipie-ren) 4 Bewerten und begruumlnden (Rangreihen bilden)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Naturwissenschaftliche Phaumlno-mene im Alltag erkennen und nutzen

Argumentieren die den Normen zugrunde liegenden Werte vertreten

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Mit allen Sinnen wahrnehmen und genieszligen Die Inhaltsstoffe unserer Nah-rung bdquoerforschenldquo Angewandte Chemie Physik Technik in der Kuumlche

Lebensmittelgruppen und Ernaumlhrungsempfehlungen aus differenzierter Sicht (Gesundheit Nachhaltigkeit Kultur) Lebensmitteltechnologien Kaufen oder Selbermachen

Sozialform EA PA EA PA KG

Lernaufgabe Forschungsfragen Fallbeispiel

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Beurteilungsboumlgen fuumlr Sensori-sche Tests Merksaumltze bdquoFor-schungsfibelnldquo

Visualisierungshilfen fuumlr Kategorien Guumltesiegel fuumlr Nachhaltigkeit Entscheidungs-Matrix

Hinweise (1) Der sinnaumlsthetische Zugang ndash der quasi bdquonatuumlrlichsteldquo Zugang zur Ernaumlhrung des Menschen (vgl Buchner Kernbichler amp Leitner 2011 S 66) ndash wird als fachspezifische Methode verstanden die in allen Konzeptionen zum Ein-satz kommt (sensorische Bewertung der hergestellten Speisen Verkostungen Wa-rentests vergleichende Produktbewertungen) aber per se noch kein Paradigma erschlieszligt (2) Da das biografische Lernen nicht an den Lernort Schulkuumlche gebun-den ist findet dieser Praxisbezug keinen Einzug in die Taxonomie

Taxonomie der Lernwege

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Tab 52 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (2)

Kategorie Praktisches Lernen Selbstaumlndigkeit lernen

Paradigma Fertigkeiten lernen ICH

Sozial-integratives Lernen WIR

Modellphasen Muster im Lern-weg

Arbeitsunterricht Erlernen handwerklicher Taumltigkeiten 1 Vorbereiten (Ruumlsten) 2 Durchfuumlhren der Taumltigkeit (wiederholter Vollzug) 3 Bewerten des Arbeitsergebnis-ses (Produkt Prozess)

Problemorientiertes Lernen Selbstaumlndig vollstaumlndige Handlungsablaumlufe planen ausfuumlhren und kontrollieren 1 Informieren 2 Planen 3 Entscheiden 4 Durchfuumlhren 5 Kontrollieren (Ziel er-reicht) 6 Bewerten (Produkt Pro-zess)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Effizientes und effektives Arbei-ten in der Kuumlche

Haushaltsmanagement in variierenden Alltagssituatio-nen

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Lehrgang Gartechniken Konservierung Produkte und Dienstleistungen aus der Kuumlche (Geschenke aus der Kuumlche gesunde Schuljause)

Die Mahlzeiten des Tages Die bdquoZauberformel fuumlr gesunde Ernaumlhrungldquo anwenden kulturelle Uumlbersetzungen fuumlr bdquorichtigeldquo Mahlzeiten Kulinarische Weltreisen (Gast sein hier und anderswo) Food Design

Sozialform EA PA KG

Lernaufgabe Arbeitsauftrag Problemstellung

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Leittexte Rezeptkarten Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lehrfil-me

Leittexte Checklisten zur Arbeitsorganisation zur ProduktProzessbewertung Pensenbuumlcher

Taxonomie der Lernwege

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Ausblick

Die Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschule erfordern ein forciertes Vor-gehen bei der fachspezifischen Unterrichtsentwicklung Im Rahmen ihres Studiums an der Paumldagogischen Hochschule Salzburg arbeiten die Studierenden an bdquoLehrstuuml-ckenldquo (Wiechmann 1999) fuumlr Lernwege und erproben diese Planungen im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien Die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis arbeitet der (schul-)praktischen Ausbildung zu

Zu Studienbeginn erproben Studierende kuumlrzere Unterrichtssequenzen in de-nen einerseits das Training von Fertigkeiten im Zentrum steht (gute muumlndliche schriftliche praktische Anleitungen geben koumlnnen) und andererseits die sensori-sche Produktbewertung als genuin fachspezifische Methode zur Anwendung kommt

In den Folgesemestern wird das fachspezifische Methodentraining dahingehend erweitert dass das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung im (schul)praktischen Un-terricht umgesetzt werden kann

Das NAWI und GESO Lernfeld wird in den houmlheren Semestern in denen Stu-dierende bereits uumlber einen laumlngeren Zeitraum die Klassenfuumlhrung uumlbernehmen verfolgt

Professionalitaumlt im Lehrberuf bedeutet ebenfalls dass behauptete Ursache-Wirkungszusammenhaumlnge auch empirisch bewiesen werden koumlnnen Insofern ist die Taxonomie der Lernwege auch ein Ausgangspunkt fuumlr die Generierung von Hypothesen im Rahmen einer wissenschaftsorientierten Auseinandersetzung mit Unterricht in der Schulkuumlche und seiner Bildungswirksamkeit wie dies in der ab-schlieszligenden Bakkalaureatsarbeit unter Beweis zu stellen ist

Anmerkungen 1 Naturwissenschaftlich und mathematischer Schwerpunktbereich (SP) sprachli-

cher humanistischer und geisteswissenschaftlicher SP musisch-kreativer SP (je-weils eine Wochenstunde) oumlkonomisch und lebenskundlicher einschlieszliglich pra-xisbezogener SP (drei Wochenstunden)

2 Europaumlischer Referenzrahmen Schluumlsselkompetenzen fuumlr lebenslanges Lernen [httpeceuropaeudgseducation_culturepublpdfll-learningkeycomp_depdf]

3 In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Franz E Weinert in Freund J Gruber H amp Weidinger W (Hrsg) (1998) Guter Unterricht - Was ist das As-pekte von Unterrichtsqualitaumlt (S 7-18) Wien OumlBV Paumldagogischer Verlag

4 Zur Bestimmung von Ernaumlhrungspraxis siehe auch das Glossar von REVIS

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Verfasserin

Maga Ursula Buchner

Paumldagogische Hochschule Salzburg

Akademiestraszlige 23 A-5020 Salzburg

E-Mail ursulabuchnerphsalzburgat Internet wwwphsalzburgat

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Silke Bartsch und Petra Buumlrkle

Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung Den Rahmen fuumlr die Anspruumlche an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung bietet das REVIS-Bildungsziel 3 Die Nahrungszubereitung wird als ein methodischer Zugang mit vier Phasen (Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen Nachbereitung) verstanden Gezeigt wer-den soll dass aus einer theoriegeleiteten Praxis didaktisch-methodische Gestaltungsmoumlglich-keiten im Umgang mit diesen Phasen erwachsen die Lehren und Lernen erleichtern

Schluumlsselwoumlrter Schulkuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

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Einleitung

Nach dem REVIS zugrunde liegenden Bildungsverstaumlndnis von Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (EVB) hat die Fachpraxis Ernaumlhrung folgende Aufgabe bdquoDamit Fertigkeiten und Faumlhigkeiten als zentrale Elemente von Kompetenz Grundlage fuumlr eigenverantwortliches Handeln werden koumlnnen muumlssen sie theoretisch geleitet transferfaumlhig und reflektiert angeeignet genutzt und weiterentwickelt werdenldquo (Onli-ne-Glossar zur EVB1) Das dazugehoumlrige REVIS-Bildungsziel 3 legt in seiner Inter-dependenz mit dem uumlbrigen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildungscurriculum2 somit die Grundlagen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Schuumllerinnen und Schuumller sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen Dazu gehoumlrt dass sie hellip Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnen hellip Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinn-lichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumlnnen hellip Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwen-den koumlnnen hellip Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnen (Fachgruppe EVB 2005)

Damit wird ein kompetenzorientierter Anspruch an eine theoriegeleitete Fachpraxis Ernaumlhrung formuliert der uumlber die tradierte fachpraktische Nahrungszubereitung deutlich hinausgeht Gleichzeitig sehen sich viele der Lehrerinnen (und Lehrer3) in sogenannten Lehrkuumlchen stehen die nach tradierten Lernzielvorstellungen konzipiert

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sind Entsprechend unterrichten Lehrerinnen Nahrungszubereitung noch haumlufig nach tradierten Lernzielvorstellungen Trotz fantasievoller Einstiegsszenarien die den Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen suchen sind es uumlberwiegend ge-schlossen konzipierte Unterrichtseinheiten mit Lehrgangscharakter die der Systema-tik des Lehrbuches folgen Oft wird dies durch die vorgegebene Stundenaufteilung und der Raumaufteilung (Theorieraum und Schulkuumlche) bdquobegruumlndetldquo In vielen Schulen wird nach dem Muster bdquoPraxis folgt Theorieldquo unterrichtet Bei der fachprak-tischen Arbeit in den Schulkuumlchen fuumlhlen sich Lehrende vielen Belastungen ausge-setzt Geraumluschkulisse hoher Beratungsbedarf der nur selten warten kann Schuumller und Schuumllerinnen die auf das gemeinsame Essen fixiert sind und das alles im 45-Minuten-Takt Ritualisierte Unterrichtsmuster werden von vielen daher als Entlas-tung empfunden

In unserem Beitrag soll der Anspruch des REVIS-Konzepts an die Fachpraxis Ernaumlhrung zusammenfassend vor dem Hintergrund der damit verbundenen Heraus-forderungen fuumlr die Nahrungszubereitung betrachtet werden um einen Rahmen fuumlr die didaktisch-methodischen Uumlberlegungen zu umreiszligen und damit (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer zu bestaumlrken neue Wege zu gehen Entsprechend leitet fol-gende Frage unsere Ausfuumlhrungen

Welche konkreten Ansatzpunkte koumlnnen im Sinne der Kompetenzorientierung eine handlungsorientierte Nahrungszubereitung foumlrdern und gleichzeitig zur Entlas-tung der Lehrenden im Spagat zwischen Anspruch und Schulwirklichkeit fuumlhren

Dazu wird zunaumlchst die Begriffsverwendung geklaumlrt und heutige Herausforde-rungen an die Lehrenden beschrieben um dann auf der Grundlage des Anspruchs an eine kompetenzorientierte Nahrungszubereitung ausgewaumlhlte Ansatzpunkte zu den Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung zu konkretisieren

1 Fachpraxis Ernaumlhrung

11 Begriff Fachpraxis Ernaumlhrung

Da besonders im (Schul-)Alltag die Begriffe Nahrungszubereitung Fachpraxis Ernaumlhrung und zuweilen auch noch Kochen synonym verwendet werden ist erst mal zu klaumlren welche Begriffsverwendung gemaumlszlig dem Anspruch an eine kompe-tenzorientierte Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung uumlblich ist Unter Ernaumlhrungs-praxis versteht man im schulischen Kontext meist den bdquoauf die Nahrungszuberei-tung bezogene Teil der Ernaumlhrungsbildungldquo (Online-Glossar zur EVB4) Intendiert ist Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln bdquodie zur Anwendung der ernaumlh-rungswissenschaftlichen Erkenntnisse im Alltag und Beruf notwendig sindldquo (ebd) Zur intendierten bdquoNutrition Literacyldquo gehoumlrt die Grundorientierung eines bdquonachhal-tigen Konsumsldquo sowie ein bdquokulturelles Verstaumlndnis der Fachpraxis Ernaumlhrungldquo (vgl Methfessel 2005 Methfessel Schlegel-Matthies in diesem Heft)

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Methodische Zugaumlnge

Anknuumlpfend an die Arbeiten von Tornieporth va aus den 1990er Jahren ist auch Konsens dass Nahrungszubereitung nur eine der moumlglichen methodischen Umset-zungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung ist Daher ist fuumlr die nachfolgenden Ausfuumlh-rungen grundlegend dass die Fachpraxis Ernaumlhrung weder Inhalte noch Methode begruumlndet sondern vielmehr didaktisch-methodische Entscheidungen erfordert die ihrerseits im jeweiligen Unterrichtsarrangement verankert werden muumlssen

In unserem Beitrag interessieren methodische Zugaumlnge die eine Nahrungszube-reitung (= Ernaumlhrungspraxis) einschlieszligen um an diesem bevorzugt gewaumlhlten Zu-gang zur Fachpraxis Ernaumlhrung die Anspruumlche und Herausforderungen an eine theo-riegeleitete Fachpraxis zu verdeutlichen Das sind beispielsweise SchmeXperimente (Oepping 2005) Lehrgaumlnge zB Schneidelehrgaumlnge) Zubereitung einer Mahlzeit oder Speise etc Schuumllerwarentests oder Markterkundungen Fachexkursionen (zB zu Orten der Lebensmittelproduktion) sind beispielsweise Methoden der Fachpraxis Ernaumlhrung die nicht zwingend eine Nahrungszubereitung vorsehen

12 Schulkuumlche und Lernwerkstatt als fachdidaktische Konzepte

Uumlber den heutigen Zustand und die Ausstattung von Schulkuumlchen gibt es keine aktu-elle Studie Die in der EIS-Studie beschriebenen Unzulaumlnglichkeiten in deutschen Schulkuumlchen der Sekundarstufe I und ihr hoher Stellenwert bei der Nahrungszuberei-tung als genuine Domaumlne der haushaltsbezogenen Bildung sowie der Sinnesbildung waren daher Anlass im Rahmen des REVIS-Modellprojekts5 eine mobile Esswerk-statt (MEW) zu entwickeln und einen didaktischen Rahmen fuumlr Lernwerkstaumltten vor-zulegen Schlieszliglich sind die vorhandenen Fachraumlume und deren Ausstattung maszlig-gebliche Einflussfaktoren auf die Gestaltung der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Kuumlche [als kulturelles Regelwerk Anmerkung der Autorinnen] bestimmt (also auch) die Auf- und Abwertung von Lebensmitteln durch die damit verbundenen Speisen Zubereitungsarten und Technologien (Methfessel 2005 S 13)

Die in den Schulen noch haumlufig anzutreffenden bdquoLehrkuumlchenldquo folgen tradierten Emp-fehlungen wie sie beispielsweise in einem Merkblatt fuumlr Bau und Einrichtung von Fachraumlumen im Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt aus dem Jahr 2003 zu finden sind Eine Schulkuumlche kann mit Gruppeninseln 4-Kojen und Essbereich 4-Kojen Essbereich und Vorraumlume Gruppeninseln und Essbereich U-Kojen und Essbereich und L-Kojen und Essbereich als Laborkuumlche ausgestattet sein Der Hinweis auf so-genannte bdquoFachnebenraumlumeldquo mit bdquoTheorie- und Essraumldquo die als bdquoErgaumlnzung der Schulkuumlcheldquo dienen (vgl Landesinstitut fuumlr Erziehung und Unterricht Stuttgart 2003) wird von vielen Lehrerinnen (und Lehrern) beherzigt

Dem steht das Lernwerkstattkonzept entgegen wie es beispielweise an der Uni-versitaumlt Paderborn6 umgesetzt wurde Idee ist eine Schulkuumlche mit Werkstattcharak-

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ter und integriertem Seminarbereich um vielfaumlltige fachpraktische Zugaumlnge zu er-moumlglichen und Theorie und Praxis auch raumlumlich zu verknuumlpfen

Anstehende Renovierungen in den Schulen bieten hier Chancen nicht nur die Einrichtungen sondern auch die Fachraumkonzepte zu uumlberdenken und zu moderni-sieren

Eine Mobile Esswerkstatt (MEW) ist eine bewegliche kleine Kuumlchen-einheit die mit einer Grundausstat-tung (Glas-Keramik-Kochfeld mit zwei Kochstellen Backofen An-schlusskabel vier Steckdosen fuumlr den Anschluss von elektrischen Geraumlten zB eines Handruumlhrgerauml-tes Besteck- und Groszligraumschub-laden fuumlr Zubehoumlr) fuumlr die Nah-rungszubereitung eingesetzt werden kann ndash allerdings ohne integrierten Wasseranschluss

Abb 1 Mobile Esswerkstatt (MEW)

13 Herausforderungen bei der Umsetzung

Unterrichtszeiten sind eine Herausforderung Zunaumlchst wecken sie (unabhaumlngig von der zeitlichen Lage im Stundenplan) aufgrund der tradierten Unterrichtspraxis Erwar-tungen an die Gestaltung nach dem bdquo1 + 2 Musterldquo (eine Unterrichtsstunde Theorie zwei Praxis) mit der Vorstellung dass schlussendlich gegessen wird Lehrerinnen die diese Vorstellungen bedienen sind bei Schuumllerinnen und Schuumllern meist beliebt Tageszeit und Essenszubereitung passen je nach Stundenplan nicht zusammen was von Lehrerinnen als Problem wahrgenommen wird ndash aber nach dem EVB-Ansatz keines ist

Unterrichtsraumlume haben Aufforderungscharakter und legen Unterrichtskonzepte nahe bdquoWann kochen wir (endlich)ldquo sind dann immer nagende Fragen der Schuumlle-rinnen und Schuumller an die Lehrenden Klassenraumlume sind zuweilen bdquoFluchtraumlumeldquo so dass nur bei Bedarf in die Schulkuumlche gegangen wird

Geringschaumltzung der Fachpraxis Ernaumlhrung Die (Auszligen-)Wahrnehmung der Nahrungszubereitung als bdquoKochunterrichtldquo wird durch eine auf Zubereitungsfertig-keiten reduzierte Fachpraxis oft von den Lehrpersonen selbst reproduziert und geht entsprechend mit einer geringen Wertschaumltzung einher (Bartsch amp Methfessel 2012)

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Anspruch an die Professionalitaumlt

Dagegen sind die Herausforderungen an ein professionelles Lehren hoch Die Schwierigkeit der Uumlbertragung und der Explikation des Themenfeldes Esskulturrsquo im Unterricht liegt ndash auszliger in der Komplexitaumlt ndash noch in anderen Zusam-menhaumlngen Erstens in den unterschiedlich gewichteten Aspekten und zweitens in der Einbindung in unterschiedliche Ebenen Hinzu kommt drittens der kulturelle Wandel der je nach Zeitepoche in der Esskultur mehr oder weniger Veraumlnderungen hervorbringt (Roumlszligler-Hartmann 2012 S 101)

Niemand kann bei jeder Unterrichtsplanung und -durchfuumlhrung im Unterrichtsalltag stets alle Aspekte beruumlcksichtigen deshalb ist die Grundhaltung entscheidend die sich in Unterrichtsroutinen wiederum niederschlaumlgt Schwerpunktsetzungen helfen bisherige Rituale zu uumlberdenken und auf ihren didaktisch-methodischen Sinn zu pruumlfen Das Theorie- und Praxisverstaumlndnis der Lehrenden ist fuumlr die fachpraktische Arbeit in der Lehrkuumlche handlungsleitend (vgl Buchner 2011) Das bedeutet auch dass sich Lehrende bei der Unterrichtsplanung fragen sollten ob eine Vernetzung von Thema und Nahrungszubereitung sowie ein Zusammenhang von Lernzielen und Unterrichtsaktivitaumlt gegeben und dieses fuumlr die Lernenden erkennbar ist (vgl Wespi amp Senn Keller 2008)

2 Anspruch an die Fachpraxis Ernaumlhrung

21 Verhaumlltnis zwischen Theorie und Praxis

Didaktische Prinzipien leiten die gesamte Unterrichtsgestaltung Kompetenzorientie-rung ist heute der grundlegende Anspruch Demgemaumlszlig gehen didaktisch-methodische Uumlberlegungen vom essenden und konsumierenden Menschen aus (Fachgruppe EVB 2005) Weitere didaktische Prinzipien die sich als foumlrderlich fuumlr den Kompetenzerwerb erweisen ordnen sich der Kompetenzorientierung entspre-chend unter

Dieser Anspruch an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung erscheint auf den ersten Blick einfach so ist doch die Anwendung durch die Praxis dabei Entsprechend der Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001 S 27f) geht es hier um transferfaumlhige Kompetenzen die Dimensionen Kognition Volition Motivation einschlieszligen und eigenstaumlndiges verantwortliches Handeln intendieren Um diesem zu genuumlgen muss die Fachpraxis theoriegeleitet sein und didaktische Prinzipien zielgerichtet beruumlcksichtigen Fuumlr eine theoriegeleitete Fachpraxis ist die Handlungsorientierung zentral sie ist vielen Lehrerinnen ein gelaumlufiger Begriff (Fachgruppe EVB 2005 S 87) haumlufig ohne das dahinterstehende Konzept tatsaumlch-lich umsetzen zu koumlnnen

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22 Handlungsorientierung und Handlungsprodukte

Das Waschen Schaumllen Schneiden einer Kartoffel ist kein handlungsorientiertes Vorgehen an sich vielmehr geht es um eine zielgerichtete reflektierte Aktivitaumlt der Lernenden (vgl Tornieporth 1995 Buchner 2002 Meyer 2007)

Handlungsorientierter Unterricht beschreibt ein Verfahren bei dem Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht wird Unter Handlungen werden ziel-gerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrnehmungen konkrete Operationen und intellek-tuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Buchner 2002 S 1)

Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist also durch Elemente des Handelns gekennzeichnet und schlieszligt nach der Handlungstheorie eine Handlungsevaluation dh Ruumlckkopplungs-prozesse ein Es liegt nahe dazu Handlungsziele in Teilplaumlne Teilhandlungen und Teilziele zu zerlegen Die Lernenden muumlssen immer wieder neu vergleichen und anpassen denn erst wenn das gesteckte Ziel erreicht ist ist die Handlung abgeschlos-sen

Ein Kind lernt durch vielmaliges Durchleben und Beteiligen dass das Handlungs-schema fuumlr eine Mahlzeit zubereitenrsquo aus mehreren Teilhandlungen besteht 1 Sich Speisen aussuchen (hellip) 2 Zutaten besorgen (hellip) 3 Nahrung zubereiten (hellip) Tisch decken und ndash nach dem Essen und Genieszligen die 5 Reinigungsarbeiten erledigen (Buchner 2011 S 129)

Das nachfolgende Beispiel weist dabei auf eine entscheidende Problematik bei der schulischen Nahrungszubereitung hin Sind Handlungsprodukte des Unterrichts nicht fuumlr alle Beteiligten transparent unterscheiden sich haumlufig Schuumllererwartungen und unterrichtliche Handlungsziele Beispiel Schuumllerinnen und Schuumller wollen schnellstmoumlglich ein Essen auf den Tisch bekommen und sind damit in erster Linie an der Fertigstellung des Essens interessiert und weniger an Handlungsprozessen Folglich lassen sie sich kaum auf Lernprozesse ein sondern bereiten ein Essen wie aus dem haumluslichen Umfeld gewohnt nach ihrem Geschmack und ihren Gewohnhei-ten zu Erwartungen und Handeln der Lernenden werden durch die haumlusliche Situati-on geleitet Aber im Unterschied dazu geht es bei der schulische Nahrungszuberei-tung nicht um eine Ernaumlhrungsversorgung sondern um Lernen Es muss folglich auch eine Lernsituation hergestellt werden Damit sind nachfolgende Anforderungen an die handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung geknuumlpft

1 Die Komplexitaumlt des Unterrichtsgegenstandes Ernaumlhrung erfordert auch klar definierte Unterrichtsziele mit Schwerpunktsetzungen in den Unterrichtsstunden bzw Unterrichtsbloumlcken

2 Die Festlegung eines Handlungsproduktes fuumlr jeden Unterrichtsblock ist ab-haumlngig vom jeweiligen Unterrichtsziel und kann auch in der Fachpraxis sehr unter-

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schiedlich sein Handlungsprodukt kann eine Mahlzeit und das gemeinsame Essen sein muss aber nicht

3 Handlungsprodukte muumlssen fuumlr Lehrende und Lernende transparent sein 4 Die gemeinsame Festlegung der Handlungsprodukte erhoumlht die persoumlnliche

Bedeutsamkeit und damit die Motivation sich darauf einzulassen sich damit ausei-nanderzusetzen und das Handlungsziel zu erreichen

5 Fachpraxis Ernaumlhrung ist eine Lernsituation fuumlr die eine Reproduktion der haumluslichen Nahrungszubereitung nicht zielfuumlhrend ist

Unterrichtsziel und Festlegung des Handlungsprodukts

Die Bereiche der Nahrungszubereitung und des Essens sind komplexe Bereiche da sie von mehreren Phaumlnomenen und Sachverhalten uumlberlappt werden (Roumlszligler-Hartmann 2012 vgl Methfessel 2005)

Die Komplexitaumlt der Thematik erfordert eine mehrperspektivische Betrachtung die mit beispielhaft entwickelten Unterrichtsmodellen wie zB bdquoTomatenkulturldquo (Tornieporth 1997) bereits in den 1990er Jahren fuumlr unsere Fachdomaumlne fuumlr einen projektorientierten Unterricht begruumlndet wurde Idee ist eine Thematik uumlber die un-terschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder zu erschlieszligen Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist dabei ein Handlungsfeld das ebenso wie die weiteren Unterrichtsbau-steine die aus den unterschiedlichen natur- und kulturwissenschaftlichen Perspekti-ven heraus entwickelt werden hinsichtlich ihres Bildungsgehaltes einer didaktischen Analyse standhalten muss Das bedeutet Jede Unterrichtsstunde bzw jeder Unter-richtsblock erfordert ein Unterrichtsziel mit klar definiertem Handlungsprodukt weil nur so die Komplexitaumlt theoretisch aufgebrochen werden kann Unterrichtsarrange-ments unterscheiden sich folglich gemaumlszlig dem festgelegten Handlungsprodukt Das kann die Situation einer Mahlzeit sein die dann einen gedeckten Tisch und gemein-sames Essen erfordert Das kann auch die Auswertung einer Supermarkterkundung sein die dann eine Praumlsentation der Erkundungsergebnisse erfordert Das koumlnnen auch bdquoProbierhaumlppchenldquo fuumlr eine sensorische Pruumlfung sein Diese hier beispielhaft skizzierten Unterrichtssituationen sind geeignet um Unterrichtsergebnisse zu reflek-tieren und zu evaluieren Reflexionsphasen sind notwendige Bestandteile eines kom-petenzorientierten Lernprozesses Wespi und Senn Keller (2008 S 20) empfehlen fuumlr Lehrende zusammenfassend Kompetenzen sollten fuumlr eine Einheit ausgewaumlhlt und festgelegt beobachtet und beschrieben (Beobachtungsinstrument) ruumlckgemeldet und interpretiert (Feedback) bewertet (Effekte bestimmt) transformiert (Selbstwirk-samkeit uumlberpruumlft) und mit der Ausgangssituation verglichen werden

Transparenz und Bedeutsamkeit eines Handlungsprodukts

Bleiben bei der Zerlegung in Teilhandlungen die (Teil-)Ziele die der Lehrenden werden die Lernenden dieses Vorgehen fantasievoll umschiffen Sind Lehr- und

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Lernziele (in)direkt Teil des Unterrichts dann koumlnnen Lernende ihre Sichtweisen einbringen und Unterrichtsprozesse mitgestalten Der Grad der Mitbestimmung kann dabei ganz unterschiedlich sein Bei Lehrgaumlngen sind es haumlufig die Lehrziele die fuumlr Lernende transparent sein sollten um deren unterrichtliche Bedeutung nachvollzie-hen zu koumlnnen Beispielsweise haben Lehrgaumlnge ihre Berechtigung zur Erreichung von Projektzielen oder bei Vorgaben wie sie beispielsweise bei der Hygieneschu-lung der Fall sind Bei Formen des forschend-entdeckenden Lernens kann das (Lern)Ziel die Loumlsung einer selbstgestellten Frage sein zB der Biskuit ist beim letzten Backen bei vielen zusammengefallen Woran kann das liegen Wie laumlsst sich das vermeiden

Durch bdquoechteldquo d h alltagsrelevante Problemstellungen (Beispiel Helfen Light-Produkte beim Abnehmen Foumlrdert ein hoher Fleischverzehr den Muskelaufbau) ist eine houmlhere Motivation zu erwarten als bei rein bdquoakademischenldquo Problemen (Bei-spiel Uumlbergewicht ein Uumlbel unserer Zeit Ursachen und Folgen) Daraus resultieren Anforderungen an die Aufgabenstellungen Aufgaben sollten komplex anwen-dungsbezogen auf konkrete Handlungssituationen sein um damit Lernprozesse in Gang zu setzen die wiederum eine umfassende Informationssuche und Vernetzung von Fachwissen und Fachkompetenzen in Gang setzen (vgl Wellensieck amp Peter-mann 2002)

Durch die im Alltag vorhandene hohe Komplexitaumlt lassen sich solche problem-orientierten Aufgaben kaum in drei Unterrichtsstunden loumlsen und legen ein projekt-orientiertes Vorgehen nahe Wie bereits bei Tornieporth (1995) die sich ihrerseits unter anderem auf reformpaumldagogische Ansaumltze des 19 Jahrhunderts bezieht sind offene Unterrichtsformen mit handlungsorientierten projektorientierten und prob-lemorientierten Vorgehen erfolgsversprechend Aktuelle Forschungen zum bdquogehirn-gerechtem Unterrichtenldquo bestaumltigen das (Terhart 2009 S 154)

Umgang mit Erfahrungen und Meinungen in der Lernsituation

Die Vielzahl von Erfahrungen (bdquoZuhause machen wir das soldquo) und daraus resultie-rende Meinungen (bdquoDas schmeckt nichtldquo) die Schuumllerinnen und Schuumller mitbringen koumlnnen bei einem subjektorientierten Unterricht die Lernprozesse bereichern Sub-jektorientierte Methoden setzen am bdquosubjektiven Vorverstaumlndnis der Lernendenldquo an und machen bdquodiese (auch) zur Arbeitsgrundlage fuumlr den Unterrichtldquo (Bartsch 2012) Subjektorientiertes Vorgehen ist nicht immer moumlglich trotzdem ist ein sensibler und offener Umgang mit Erfahrungen und Meinungen der Lernenden notwendig um den Transfer zu foumlrdern

Beispielsweise koumlnnen Schuumllerinnen die manchmal Tomaten in der Hand schneiden weil sie es so von ihren (Groszlig-)Muumlttern kennen schnell uumlberzeugt wer-den wenn sie das professionelle Schneiden ausprobieren und uumlben um es dann mit der haumluslichen Methode zu vergleichen Vor- und Nachteile abwiegend nach ver-schiedenen fachlichen Kriterien (zB fuumlr das Schneiden Sicherheit Schneideergeb-

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nis rationelles Arbeiten etc) wirkt in aller Regel uumlberzeugend Um dem Bildungsan-spruch gerecht zu werden muss ein Handlungstransfer angebahnt werden d h auch Lernende mit ihren Alltagserfahrungen ernst nehmen ohne die Fachlichkeit aufzu-geben Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lehrens und Lernens werden hier vereinfacht gesagt Menschen gestaumlrkt und Dinge geklaumlrt

23 Nahrungszubereitung im Unterricht

Werden Speisen zubereitet gibt es einen durch die Sache begruumlndeten Ablauf von vier Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung die nur bedingt austauschbar sind Die einzelnen Phasen werden zunaumlchst im folgenden Abschnitt beschrieben mit dem Ziel Anregungen zur Gestaltung der einzelnen Phasen zu ge-ben sowie Mut zu machen Handlungsprodukte entsprechend des Unterrichtsziels fuumlr die zur Verfuumlgung stehende Unterrichtszeit festzulegen und die Phasen passend dazu flexibel zu handhaben

Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoumlren saumlmtliche Planungsschritte vor dem Beginn der Speisen-zubereitung Dazu gehoumlren Rezeptwahl Rezeptbesprechung Arbeitsplanung Ein-kaufsplanung und -organisation etc

Rezeptwahl In Anlehnung an die SchmeXperimente (Oepping 2005) haben sich nachfolgende drei Kriterien fuumlr die Rezeptwahl bewaumlhrt 1 Grundnahrungsmittel oder naturbelassene Nahrungsmittel (Erweiterung des Erfahrungshorizontes) 2 Nah-rungsmittel- oder Sortenvielfalt und 3 Beitrag zum Erlernen und Uumlben von Grund-techniken der Nahrungszubereitung als Kulturwerkzeug (Weiterfuumlhrende Literatur Roumlszligler-Hartmann 2005 Bartsch 2009)

Einkauf Entsprechend der Intention des Unterrichtsvorhabens kann zB der Einkauf im Mittelpunkt (in Verbindung mit den REVIS-Bildungszielen 5 bis 9) ste-hen Dabei koumlnnen Kriterien fuumlr die Einkaumlufe (Lebensmittelqualitaumlt Preis Nachhal-tigkeit etc) in der Lerngruppe erarbeitet werden die als Teilhandlungsschritt reflek-tiert und evaluiert werden Ein Unterrichtsblock kann hier enden der Einkauf als Hausaufgabe erfolgen die Verwendung der Lebensmittel an anderer Stelle zB Einkauf von Grundnahrungsmitteln die in der Schulkuumlche vorraumltig sind oder Einkauf fuumlr die nachfolgende Zubereitung von Probierhaumlppchen fuumlr eine sensorische Pruumlfung etc An anderer Stelle kann dann aufgrund einer abweichenden Schwerpunktsetzung auf den Einkauf gegebenenfalls verzichtet werden zB vor den groszligen Ferien wenn eine Aufgabe zum Umgang mit verderblichen Vorraumlten und Nahrungsresten die Ziel-setzung ist

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Durchfuumlhrung

An die Vorbereitungs- und Planungsphase schlieszligt die Durchfuumlhrung der Speisenzu-bereitung an Dabei werden in der Regel einzelne Speisen oder Gerichte von den Schuumllerinnen und Schuumller in Teams unter Anleitung und Aufsicht der Fachlehrper-son zubereitet Auch hier geht es wiederum um die jeweils gesteckten Teilziele Zum Beispiel teilen sich die Schuumllerinnen und Schuumller die Aufgaben im Zeit- und Arbeitsplan auf (gegebenenfalls durch einen Aumlmterplan) werden die Lernenden selbst in die Teilzielbeschreibung eingebunden Lehrpersonen begleiten und unter-stuumltzen die Lernenden dabei

Da fuumlr die Nahrungszubereitung nur die vorgegebene Unterrichtszeit zur Verfuuml-gung steht ist ein angeleitetes zuumlgiges und sicheres Arbeiten noumltig Entsprechend der in den Lerngruppen vorhandenen Kompetenzen sind die Unterrichtsarrangement machbar zu gestalten Dabei spielen Demonstrationen eine wichtige Rolle (zB Schneidelehrgang nach Tornieporth 1997)

Essen

Zubereitete Speisen werden schlussendlich auch gegessen Das bdquoWieldquo ist allerdings fuumlr den Lernprozess entscheidend

Essen als Pause Wird das bei Schuumllerinnen und Schuumller beliebte Essen ndash wie immer wieder zu beobachten ist ndash sowohl von Lehrenden als auch Lernenden als bdquoPauseldquo betrachtet fehlen die notwendigen Ruumlckkopplungsschritte zum Handlungs-abschluss Aus diesem Grund wird hier dafuumlr plaumldiert Unterrichtssituationen von Pausensituationen klar zu trennen Essen in der Pause dient zur Ernaumlhrungsversor-gung und Regeneration Dagegen ist Essen Teil eines Handlungszieles und damit Handlungsprodukt ist eine Unterrichtssituation herzustellen

Essen als Teil des Lernprozesses Essen ist ein Teil der Unterrichtspraxis bei der Nahrungszubereitung (Bartsch 2009) den es entsprechend didaktisch-methodisch zu gestalten gilt Zunaumlchst ist hierfuumlr die paumldagogische Begruumlndung der Wuumlrdigung des Handlungsergebnisses anzufuumlhren Dem folgt eine angemessene Praumlsentationssitua-tion der Speisen zB als Buffet als Probierhaumlppchen als SchmeXperimentiergut als Mahlzeit etc

Der naumlchste Schritt ist die Reflektion des Handlungsergebnisses gemaumlszlig der je-weiligen Zielformulierungen fuumlr die ebenfalls ein organisatorischer Rahmen ge-schaffen werden muss Beispielsweise ist es eine grundsaumltzliche Entscheidung ob die Sensorik oder die Mahlzeit (Teil-)Ziel der Handlung ist Im ersten Fall reichen Probehaumlppchen aus im zweiten Fall ist ein Tisch zu decken um eine Tischgemein-schaft herzustellen (Leitner 2011) In diesem Punkt unterscheidet sich die Lernsitua-tion vom haumluslichen Kochen In der Fachpraxis geht es darum die zubereiteten Spei-sen zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der angewendeten Garmethode zu bewerten und das Arbeitsergebnis entsprechend zu reflektieren Auch eine ge-

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schmackliche Auswertung folgt hier nicht allein persoumlnlichen Vorlieben (vgl Meth-fessel amp Schlegel-Matthies i d Heft)

Essen als Teil der Pause Essen kann auch den Raum bieten wo Lernende und Lehrende sich besser kennen lernen koumlnnen Daruumlber hinaus kann eine bdquovertrauteldquo Lehrperson Lernende eher zum Essen bdquounbekannterldquo Speisen ermutigen und moti-vieren (Vorbildfunktion) Die Tatsache dass Schuumllerinnen und Schuumller eine Speise selbst hergestellt haben motiviert viele zusaumltzlich etwas zu verkosten was sie eigent-lich nicht moumlgen oder noch nie gegessen haben Hierfuumlr ist es sinnvoll ein geson-dertes Zeitfenster als bdquoPauseldquo vom Unterricht einzuplanen Dieses kann als fester Bestandteil der Nahrungszubereitung ritualisiert werden Um den Erwartungsdruck im Unterricht eine Mahlzeit zuzubereiten herauszunehmen ist es hilfreich dass so-wohl uumlbrige Speisen aus der Fachpraxis als auch mitgebrachte Pausenbrote gegessen werden koumlnnen

Nachbereitung

Nach dem Essen folgt fuumlr die Schuumllerinnen und Schuumller die meist unbeliebteste Pha-se der Nachbereitung die selten als Unterricht wahrgenommen wird So muss in der Schulkuumlche aufgeraumlumt werden Arbeitsflaumlchen gesaumlubert Geschirr Besteck und Arbeitsgeraumlte kontrolliert nachgezaumlhlt und eventuelle Reste versorgt werden Hierfuumlr ist ausreichend Unterrichtszeit einzuplanen

Eine sorgfaumlltige und puumlnktliche Nachbereitung sorgt fuumlr einen reibungslosen Ab-lauf der naumlchsten Gruppen In dieser Phase zeigt sich auch ein professionelles Lehr-Lernverstaumlndnis der Nahrungszubereitung Hilfreich ist es mit den Lerngruppen bdquoStandardsldquo zu erarbeiten die dann in einem routinierten Abschluss enden Bei-spielsweise stellen Lerngruppen Uumlberlegungen an zu den Zubereitungsmengen und zum Umgang mit Speiseresten (Koumlrner amp Bartsch 2012) Ethisches Handeln kann sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit so in konkret ausgehandelte Regeln bei der letzten Phase der Nahrungszubereitung in den Lerngruppen niederschlagen

Schlussbemerkungen

Neben den allgemein schulischen Erfahrungen bringen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer Erfahrungen aus ihren privaten Haushalten mit Diese beeinflussen deren Vorstellungen von fachpraktischem Arbeiten sowie ihr Fachverstaumlndnis und behin-dern den Transfer von fachdidaktischen Forschungen in die Unterrichtspraxis Daran schlieszligt die Frage nach der Ausbildung an den Hochschulen an Welche Kompeten-zen beguumlnstigen eine theoriegeleitete Fachpraxis Wie wird mit Praumlkonzepten und subjektiven Theorien bezuumlglich des Fachverstaumlndnisses in der Hochschulausbildung umgegangen Um die (wahrscheinliche) Diskrepanz zwischen dem EVB-Bildungsanspruch und den individuellen Vorstellungen offenzulegen ist ein erster Schritt Fachverstaumlndnis und Fachanspruch zu thematisieren ndash sowohl in der Hoch-

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schule als Teil des Professionalisierungsprozesses der Fachlehrpersonen als auch in der Schule im Sinne der Partizipation und Gestaltung des eigenen Lernprozesses

Meist werden konkrete fachpraktische Bezuumlge von den Studierenden (oder Leh-renden in Fortbildungen) als hilfreich empfunden Entsprechend bietet sich an die Fachpraxis Ernaumlhrung die eng mit der Fachidentitaumlt verknuumlpft ist zum Thema zu machen Mit konkreten Fragen kann eine Bruumlcke zwischen Theorie und Praxis her-gestellt werden Beispielsweise Welche Rahmenbedingungen finden die Studierende an ihren Praktikumsschulen (Unterrichtsraumlumen Stundenplaumlnen Vorstellungen uumlber unser Fach) vor Welche fachdidaktische Konzeptionen sind damit verbunden Wie kann damit im Sinne eines modernen Bildungsanspruchs umgegangen werden Wo-rauf koumlnnen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer unseres Faches Einfluss nehmen Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lernens ist hierbei der Blick auf die Staumlr-kung der (zukuumlnftigen) Lehrenden zu richten und Professionalisierungsprozesse zu foumlrdern

Anmerkungen 1 [wwwevb-onlinedeglossar_ernaehrungspraxisphp] 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Aufgrund der geschlechtstypischen Berufswahl handelt es sich vorwiegend um

Lehrerinnen (Bartsch amp Methfessel 2012) 4 Siehe Anmerkung 1 5 Siehe Anmerkung 2 6 Vgl Paderborner Lernwerkstatt unter

[httpsdsguni-paderborndeenevblernwerkstatt]

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Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe E-Mail bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Petra Buumlrkle

Paumldagogische Hochschule Freiburg Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Kunzenweg 21 D-79117 Freiburg E-Mail petrabuerkleph-freiburgde

Schulkuumlche als Lernumgebung

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Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann

Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichtes bietet die Schulkuumlche als Lernumgebung gute Moumlglichkeiten durch praxisorientierte Impulse welche den Lernenden eine zunehmend eigenstaumlndige Gestaltung ihrer Lebensumwelt ermoumlglichen Handlungskompetenzen im Be-reich der Alltagskultur zu initiieren Im Beitrag wird die Gestaltung einer Lehr-Lernsequenz exemplarisch anhand des Themenschwerpunktes Hygiene erlaumlutert

Schluumlsselwoumlrter Lehr-Lernprozesse Kompetenzorientiertes Planungsmodell Hygiene

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1 Einfuumlhrung

Ziel der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist die Vermittlung von gesundheitsfoumlrderlichen und nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenzen im Bereich der Alltagskultur Weinert (2001) versteht dabei Kompetenzen als bdquodie bei Individuen verfuumlgbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Faumlhigkeiten und Fer-tigkeiten um bestimmte Probleme zu loumlsen sowie die damit verbundenen motivatio-nalen volitionalen und sozialen Bereitschaften und Faumlhigkeiten um die Problemlouml-sungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu koumlnnenldquo Dh Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und durch das Handeln selbst sichtbar

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf die Kompetenzentwicklung von Schuuml-lerinnen und Schuumllern ab und fokussiert somit weniger auf das Lehren sondern auf das Lernen sowie auf das Wechselspiel zwischen Lehren und Lernen Lehren um-fasst dabei die Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen Da das Lernen nur im Inneren dh im Lerner selbst stattfinden kann hat die Lehrkraft nur uumlber diese Steu-erung einen Einfluss auf die moumlglichen Lernvorgaumlnge Der Lernprozess wird dabei unterrichtsmethodisch uumlber die Determinanten Aufgabenstellung Lernmaterialien Methodenwerkzeug Moderation sowie Ruumlckmeldung und Reflexion gesteuert In idealtypischen Lernsituationen werden Lernumgebungen geschaffen die die Lernen-den in eine intensive aktive selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen (Leisen 2010 2011)

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2 Curriculare und fachwissenschaftliche Vorgaben

Inhalte einer verantwortungsbewussten Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ver-stehen sich als lebensweltbezogen Gegenwarts- und zukunftsrelevante Themen ermoumlglichen fachwissenschaftlich begruumlndete Erkenntnisse entwickeln Kompeten-zen und initiieren fuumlr die private Lebensfuumlhrung relevante Lernprozesse Eine Vermittlung geschieht dabei durch das fachspezifische Geflecht von fachwissen-schaftlichen fachdidaktischen sowie fachpraktischen Inhalten Diese orientieren sich an dem Europaumlischen Kerncurriculum zur Ernaumlhrungsbildung und dem REVIS-Curriculum Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung Das REVIS-Curriculum ist dabei ein in Deutschland bundesweit gefasster Konsens zu den Bildungszielen Kompetenzen Themen und Inhalten die in der schulischen Ernaumlhrungs- und Ver-braucherbildung als bdquogrundbildendldquo verstanden werden (Heseker 2005)

Zentrale Punkte des REVIS-Rahmencurriculums sind didaktische(n) Prinzipien der Kompetenzorientierung des salutogenetisch ori-entierten und lebenslangen Lernens ein Gesamtkonzept fuumlr den Lebensraum Schule das durch entsprechende Schul-entwicklungsprozesse getragen sein muss (Bartsch 2011)

Das Ziel ist also in diesem Bereich immer jungen Menschen gesundheitsfoumlrderli-che und nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenzen im Bereich der Alltags- und Lebensbewaumlltigung zu vermitteln Folgende Faktoren sind dabei zu beruumlck-sichtigen

bull Zugang zu den Themenbereichen einer gesunden Lebensbewaumlltigung sind stets Erfahrungen und Impulse aus der Lebenswirklichkeit der Lernenden

bull Grundlage des Unterrichts sind kompetenzfoumlrdernde Inhalte in der Regel initiiert durch praxisfoumlrdernde Impulse Die Lernenden sollen ihre Lerninhalte zunehmend selbststaumlndig gestalten und sich von der Haltung des ausschlieszliglich Konsumierenden distanzieren

bull Die Lehrkraft wird als Person des Begleitens Beratens bzw als die Person welche die Lernumgebung gestaltet verstanden

bull Materialien die eine Differenzierung sowie Individualisierung des Lernprozesses eines Lernenden ermoumlglichen sind grundlegend Dabei koumlnnen Realmedien verwendet werden bereits veroumlffentlichte Medien ausgewaumlhlt und auf Eignung bewertet werden oder neue Lernmaterialien konzipiert erarbeitet und evaluiert werden

bull Die Lehrenden wissen dass Klassenraumlume so umstrukturiert werden koumlnnen dass fuumlr die Lernenden geeignete Lernarrangements zur Verfuumlgung stehen Dies ist insbesondere im Bereich der Grundschule von Bedeutung

bull Bei den Inhalten zu praxisorientierten Elementen der Ernaumlhrungsbildung werden Fachraumsysteme beansprucht Der Begriff Fachraumsystem muss an

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dieser Stelle mit dem Begriff bdquoFachraumldquo gleichgesetzt werden Dabei kann es sich um Kuumlchen oder anderen Werkstaumltten handeln

bull Lehrende erfahren in den Lehr-Lernprozessen immer wieder umfassend die bdquovier Handlungsfelder einer veraumlnderten Lernkultur Beobachten Beschreiben Bewerten und Begleitenldquo (Landesinstitut fuumlr Schulentwicklung 2009)

Inhaltliche Aspekte werden stets auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erstellt Da die fachwissenschaftlichen Grundlagen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung sehr komplex sind einer staumlndigen Veraumlnderung unterliegen und somit fortschreitend aktualisiert werden muumlssen ist bei der Sachanalyse die Verwendung der aktuellen Fachliteratur bzw der Bezug auf die Fachgesellschaften (aid BfR BzgA DGE HaBiFo vzbv usw) zwingend notwendig

Im Bereich der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung gibt es inzwischen zahl-reiche etablierte Unterrichtshilfen wie zB den aid-Ernaumlhrungsfuumlhrerschein Kon-sumieren mit Koumlpfchen Money amp Kids SchmExperten Science kids Unterrichts-hilfe Finanzkompetenz Versteckt werbende Maszlignahmen und Materialien sowie kommerzielle oder andere interessengeleitete Angebote die nicht mit den Zielset-zungen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung vereinbar sind haben dagegen in Schulen nichts zu suchen

Weitere sehr gut geeignete Moumlglichkeiten der Esskulturbildung bieten auch der Lebensmitteleinkauf die Nahrungszubereitung und die Mahlzeitengestaltung Hier koumlnnen Schuumllerinnen und Schuumller in besonderer Weise ihre gesundheitsfoumlrderli-chen und nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen im Bereich Ernaumlhrung und Konsum erweitern Wird die Kuumlche als Lernumgebung genutzt muumlssen grundle-gende Bedingungen zu Sicherheit und Hygiene gegeben sein

Die im Folgenden dargestellte Lehr-Lernsequenz zum Kompetenzerwerb in der Lernumgebung Kuumlche mit dem Themenschwerpunkt Hygiene bezieht sich auf das Bildungsziel 3 des REVIS-Curriculums zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo

3 Didaktisch-methodische Gestaltung der Lehr-Lernsequenz

Bei der Planung der Lehr-Lernsequenz orientiert sich die Lehrperson explizit am REVIS-Curriculum zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

Entscheidend ist die Transparentmachung dieses Curriculums fuumlr die Lernen-den Es werden nicht einzelne Inhalte aneinandergereiht sondern die Lernenden erfahren in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen die einen Bezug zu ihrer Lebensumwelt haben einen Zuwachs im Bereich der darge-stellten Kompetenzen und Bildungsziele Somit ist ein direkter Bezug zu ihnen selbst sowie ihrer Lebenssituation gegeben Dies vereinfacht wie spaumlter darge-

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stellt die methodische Umsetzung enorm da die Themen stets aus der Alltagssi-tuation der Lernenden stammen

Die Unterrichtsplanung erfolgt auf der Basis des Kompetenzorientierten Pla-nungsmodells (KPM) nach Leisen (2010) mit den sechs Stufen eines kompetenz-orientierten Lernprozesses

1 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdecken 2 Vorstellungen entwickeln 3 a) Lernprodukt erstellen

b) Informationen auswerten 4 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren 5 a) Lernzugewinn definieren

b) Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erproben 6 Sicher werden und uumlben

Als Planungshilfe wird die entsprechende von Hahn und Wiedemann (Seminar-schulraumltinnen am Staatlichen Seminar fuumlr Didaktik und Weiterbildung in Schwauml-bisch Gmuumlnd) entwickelte Moumlglichkeit der tabellarischen Darstellung von Lehr-Lernprozessen verwendet (Leisen 2010 Maier 2012) Tab 1 Auszug aus der Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene1

Fach und Klasse Hauptanliegen Lernziele Wirtschaft Arbeit und Gesundheit (WAG) Mensch und Umwelt (MuM) Thema der Unterrichtssequenz Wie sieht fuumlr mich ein sauberer Arbeitsplatz aus Hygiene rund um die Nahrungszubereitung

Die Lernenden erleben Hygiene als Voraussetzung sich in der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung gesund zu erhalten Inhaltlicher Schwerpunkt Planung Durchfuumlhrung Interpretation und Dokumentation von Hygienebedingungen in der Kuumlche fuumlr eine gesundheitsfoumlrderliche Nahrungszubereitung im Alltag

Die Lernenden - erleben bewusst die alltaumlgliche Situation eines hygienisch anspre-chenden Arbeitsplatzes - formulieren Hygiene-regeln fuumlr die Bereiche - persoumlnliche Hygiene - Lebensmittelhygiene und - Hygiene am Arbeits-platz - artikulieren und doku-mentieren individuell ihre Ergebnisse - sind in der Lage einen Transfer in die prakti-sche Nahrungszuberei-tung in der Schule und im persoumlnlichen Lebens-umfeld zu leisten

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In der Kopfzeile (Tab 1) wird das Hauptanliegen der Unterrichtsstunde als eine Art uumlbergreifendes Lernziel bzw uumlbergreifende Kompetenz dargestellt sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zu denen gearbeitet werden soll Zudem wird zwischen antizipierten Lernprozessen bzw Lernhandlungen der Schuumllerinnen und Schuumller sowie Lehraktivitaumlten bzw Handlungen der Lehrperson differenziert So sollen Lehrkraumlfte zum Nachdenken uumlber die Phasen des Lernprozesses der Lernenden angeregt werden Methodische Uumlberlegungen zur Gestaltung der Lernumgebung bzw organisatorische Aspekte der Unterrichtsdurchfuumlhrung werden in einer mittle-ren Spalte gesondert dargestellt (Gestaltung der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrperson Lernsetting Sozialformen Medien Methoden Gestaltungsele-mente)

4 Methodische Analyse und Begruumlndung der Lehr- Lernsequenz

41 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdeckenEinstieg praumlsentieren

Die Lehrperson verwendet zB als Einstieg Fotos die kritische Umstaumlnde im Be-reich der Hygiene darstellen Die Untergliederung in die Bereiche bdquopersoumlnliche Hygieneldquo die bdquoLebensmittelhygieneldquo und die bdquoArbeitsplatzhygieneldquo wird von der Lehrperson beispielhaft folgendermaszligen praumlsentiert gebrauchtes Pflaster Lebens-mittel mit Gefrierbrand Ausguss mit Speiseresten etc (siehe Kompetenzorientier-tes Planungsmodell Die Lernenden erfahren dadurch einen Lernanreiz aus einer individuellen Alltagssituation welcher ihnen als Impuls bzw als bdquoStoumlrungldquo (Lei-sen 2010) begegnet Dies bietet bewusst allen Lernenden die Moumlglichkeit zur spontanen Artikulation Es entsteht ein kommunikativer und wertfreier Austausch

42 Vorstellungen entwickelnEinstiegsproblem fokussieren und Aufmerksamkeit polarisieren

Die Lehrperson fokussiert das Einstiegsproblem entweder mit der letzten Folie einer PowerPoint-Praumlsentation oder mit einem kurzen Impuls in Form eines Tafel-anschriebs bdquoWir die Kuumlchentesterldquo so dass die Lernenden Vorstellungen entwi-ckeln koumlnnen Sie benennen unhygienische Elemente eines Arbeitsplatzes die sie stoumlren Die Lehrperson stellt nur rote Faserstifte Karten und Magnete zur Verfuuml-gung haumllt sich aber inhaltlich zuruumlck Die Lehrperson sollte nur LernbegleiterIn sein Dennoch ist diese Gelenkstelle fuumlr den weiteren Lernprozess entscheidend da dies die Uumlberleitung bzw Hinfuumlhrung zur Fragestellung der Lernenden ist bdquoWie

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sieht eine Kuumlche aus in der ich arbeiten willldquo und bdquoWas kann ich zur Hygiene beitragenldquo

43 Lernprodukt erstellen und Informationen auswerten Aufgabenstellungen anbieten

Das Lernprodukt bezeichnet Leisen als bdquoHerzstuumlckldquo des kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozesses Leisen spricht von der bdquoTrias sbquoLernprodukt ndash Aufgabenstel-lung ndash MaterialMethodenlsquo (Leisen 2013) Er empfiehlt bei der Planung bdquozu pruuml-fen ob die Aufgabenstellung zu dem Lernprodukt fuumlhrt ob der Zeitansatz passt ob das Anspruchsniveau stimmt ob die Lehrkraft dem Thema gerecht wird ob wirklich die Kompetenzen entwickelt werden die anstehen und der Sache dienlich sindldquo (ebd S 67) bdquoLernprodukte entstehen im handelnden Umgang mit Wissenldquo (ebd S14) Hier muss eine Lernumgebung gestaltet werden die stark gepraumlgt ist von Individualisierung und Differenzierung Es muumlssen zahlreiche Lernaufgaben und Lernmaterialien bereitliegen mit deren Hilfe sich die Lernenden eine Thema-tik individuell erarbeiten koumlnnen

Diese Lernaufgaben und Materialien muumlssen so konzipiert bzw variiert wer-den dass ein eigenstaumlndiges Tun uumlberhaupt moumlglich ist dh die Lernaufgaben muumlssen mit ihren Aufgabenstellungen so praumlzise formuliert sein dass sie sich selbst erklaumlren oder mit einer rasch erfassbaren und verstaumlndlichen Erklaumlrung bear-beitbar sind Interessant kann hier auch die Methode des Verfremdens sein Ein Gedicht im Mathematikunterricht ein Bewegungsspiel in Deutsch ein Spiel in den Naturwissenschaften etc Laumlngst sind diese Methoden Teil eines schuumller- und handlungsorientierten Unterrichts

Im vorliegenden Beispiel sind unter den Lernmaterialien beispielsweise Spiele wie Domino oder Memory zu finden Spiele haben einen starken Aufforderungs-charakter und bieten Anreize fuumlr eine praktische Auseinandersetzung mit einer Thematik Ferner wird ein virtuelles Quiz (bdquoLagern Sie richtig im Kuumlhlschrankldquo [wwwinformde] eingesetzt bei welchem es um die sachgerechte Lagerung bzw Bevorratung von Lebensmitteln durch Kuumlhlen geht Vorgefertigte Medien aus den Ordnern bdquoSchmExpertenldquo des aid (2011 und 2012) koumlnnen eingesetzt werden Beim aid erhaumllt man auch Infobroschuumlren zur genannten Thematik Diese koumlnnen ergaumlnzend fuumlr vertiefende Studien bereitgelegt werden Die fachpraktischen Ele-mente der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung werden uumlber zahlreiche Real-medien wie Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte sowie Kuumlhlschrank ergaumlnzt Um an-wendungsorientiert zu arbeiten bietet sich in jedem unterrichtlichen Geschehen in den ernaumlhrungs- und verbraucherbildnerischen Faumlchern die Kulturtechnik der Nah-rungszubereitung an das bdquoKochenldquo Hierfuumlr liegt ein Rezeptblatt vor welches durch seine Struktur ein selbststaumlndiges Zubereiten ermoumlglicht Das Rezeptblatt ist so strukturiert dass die Lernenden zunaumlchst anhand der Uumlberschrift einen Zugang zur Zubereitung erfahren Im Kontext werden dann zunaumlchst alle benoumltigten Kuuml-

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chengeraumlte benannt Eine Tabelle ndash unterteilt in bdquoZutatenldquo und bdquoZubereitungldquo die einander durch Trennungslinien in der Tabelle zugeordnet werden ndash ermoumlglicht durch rasches Erfassen des komprimierten Textes ein sofortiges Nacharbeiten

Um ein Lernprodukt zu erstellen wird den Lernenden ein Leporello (blanko) bereitgelegt Darin notieren bzw dokumentieren sie individuell ihre neu gewonne-nen Erkenntnisse nachdem sie sich die Materie durch die Lernmaterialien er-schlossen haben Ein signifikantes Element dieser kompetenzorientierten Unter-richtsform ist die Anwendung Das Erlernte wird im Kontext der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung unmittelbar in die praktische Umsetzung uumlberfuumlhrt Die Frage ob die Lernenden alles verstanden haben kann in der Vorbereitung eines hygieni-schen Arbeitsplatzes fuumlr eine Schokoladencreme zielgerichtet geloumlst werden Wa-rum hier ausgerechnet eine Schokoladencreme ausgewaumlhlt wurde kann ua mit dem hohen Motivationscharakter dieses Rezeptes beantwortet werden

44 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren auswerten

Der Sinn dieser Phase liegt in der individuellen und selbst formulierten Praumlsentati-on Sachverhalte die in eigenen Worten vorgestellt werden koumlnnen besser behal-ten werden (Gudjons 1997 1998) und machen Lernenden und dem Lehrenden sofort deutlich ob die Inhalte verstanden wurden

Mit der Kugellagermethode erfahren die Lernenden zunaumlchst einen ersten in-teraktiven Austausch Im vorliegenden Planungsmodell wurden bewusst unter-schiedliche Medien und Methoden zur Praumlsentation gewaumlhlt Zum einen die schrift-liche Fixierung mittels Tafel Karten und Leporellos zum anderen die handlungsorientiert gestalteten Arbeitsplaumltze

Die Lernenden erfahren durch den Austausch eine Erweiterung der Sozialkom-petenz im Bereich der Kommunikation Zuhoumlren sowie Sprechen und Ausreden lassen werden hier in der Anwendung er-gelernt und vertieft Ferner wird auch die Schreibkompetenz durch die Verschriftlichung der Ergebnisse geschult und geuumlbt Entscheidend fuumlr die Fachwissenschaft sind hier der direkte Zugang zu Fachbegrif-fen und die sofortige situative Umsetzung Durch den Einsatz der gruumln zu beschrif-tenden Karten wird eine Verbindung zum Einstiegsproblem geschaffen (vgl Kar-ten mit roter Beschriftung) naumlmlich mangelhafte Hygienebedingungen und Fachbegriffe werden dabei vertieft

45 Lernzugewinn definieren und Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erprobenLernbewusstheit foumlrdern und neue Kontexte anbieten

Um den Lernzugewinn zu definieren vergleichen die Lernenden ihre individuellen Lernprodukte mit ihren eingangs formulierten Vermutungen Dadurch koumlnnen sie ihren persoumlnlichen Lernzuwachs artikulieren und ihre eigenen Lernprozesse reflek-

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tieren und erleben dadurch ihren eigenen Kompetenzzuwachs Die Lehrperson setzt einen Impuls zur Reflexion in Form eines Fotos (unhygienischer Arbeits-platz) Nach der eigenen Reflexion des Lernprozesses durch die Lernenden kann die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen dazu in individuellen Feedbacks aumlu-szligern

Um die Kernkompetenz Bewaumlltigung von Alltagssituationen zu erweitern muss die Aufgabe in einem neuen Kontext erprobt werden Diese Transferleistung wird in einer praktischen Taumltigkeit erfahren Die Lernenden bereiten zB eine Schokoladencreme zu Konkret werden die erlernten Kompetenzen rund um die Gestaltung eines Arbeitsplatzes der den neu formulierten Hygienebedingungen entspricht uumlbertragen Dadurch beweisen sich die Lernenden als Spezialisten fuumlr persoumlnliche Hygiene Lebensmittelhygiene sowie hygienisches und damit gesund-heitsfoumlrderndes Arbeiten Sie haben damit eine Alltagskompetenz erworben die sie staumlndig in auszligerschulischen Handlungsfeldern benoumltigen

46 Sicher werden und uumlben

Das einmalige Zubereiten eines Teilgerichts kann nun natuumlrlich noch nicht als stets abrufbare Kompetenz vorausgesetzt werden Durch staumlndig wiederkehrende und auch leicht abgeaumlnderte Zubereitungssituationen wird der Lernende das Erfahrene nun eigenstaumlndig (freiwillig) erproben und umsetzen Die Lernenden gewinnen zunehmend aus eigenem Interesse an ihrer persoumlnlichen Gesunderhaltung Sicher-heit bzw Routine in der Gestaltung eines hygienischen Arbeitsplatzes

5 Evaluation und Reflexion Um die Thematik Hygiene zu reflektieren und zu bewerten muss festgestellt wer-den dass bei der Entwicklung einer Lehr-Lernsequenz der Fokus auf der Gestal-tung der Lernumgebung liegen muss Nach der Durchfuumlhrung stehen Fragen wie bdquoWelche der geplanten Lehr-Lernsequenzen muss abgewandelt bzw eliminiert werdenldquo im Mittelpunkt Waren die in der Lernumgebung bereitgestellten Medien und Materialien schuumller- handlungs- bzw leistungsorientiert Wie oft wurde die Lehrperson in welcher Lernsequenz von den Lernenden involviert (als Hilfestel-lung) Mit welchen Kriterien bewerten die Lernenden die bereitgestellten Materia-lien Im Gegensatz dazu reflektieren die Lernenden oft schwerpunktmaumlszligig die Elemente Zubereitung und Verzehr Dies muss in der Reflexionsphase aber durch-aus einbezogen werden In der gemeinsamen Reflexion vereinfachen die Bezugs-punkte des gewaumlhlten Beispiels (Schokocreme Geschmack Darbietung Menge Zutaten Preis Aufwand etc) eine Diskussion

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6 Ausblick Fakt ist dass der Lernkontext bdquoAlltagldquo welcher sich in verschiedenen Faumlcherver-buumlnden und Faumlchern wiederfindet stets einen Lebensweltbezug hat Eine intrinsi-sche Motivation den individuellen Alltag zu meistern bietet hervorragende Moumlg-lichkeiten Kompetenzen auch im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu erwerben Durch Lernaufgaben mit Lebensweltbezug fuumlr die Lernenden kann der Individua-lisierung der Heterogenitaumlt sowie der Interkulturalitaumlt in diesem Fach Rechnung getragen werden Die Kuumlche ist also in vielfaumlltiger Art und Weise eine geeignete Lehrumgebung um Lehr-Lernprozesse zu initiieren

Anmerkung

1 Die komplette Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene steht uumlber [wwwhibifode04_2013html] zum Download zur Verfuumlgung

Literatur

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Methfessel B (2004) Esskultur und familiale Alltagskultur [httpswwwfamilienhandbuchdecmsErnaehrung_Esskulturpdf_blank]

Weinert F (2001) Leistungsmessungen in der Schule Weinheim-Basel Beltz

Verfasserinnen

Barbara Dittrich Barbara Franta und Profin Dr Petra Luumlhrmann

Paumldagogische Hochschule Schwaumlbisch Gmuumlnd Institut fuumlr Gesundheitswissenschaften Abteilung Ernaumlhrung Konsum und Mode Oberbettringer Str 200 D-73525 Schwaumlbisch Gmuumlnd E-Mail barbaradittrichph-gmuendde barbarafrantaph-gmuendde

petraluehrmannph-gmuendde Internet wwwph-gmuendde

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Larissa Kessner und Melanie Braukmann

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen Der Artikel beschreibt den Einsatz der Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht Die Kar-tei wurde fuumlr die Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8ldquo entwickelt und unterstuumltzt selbststaumlndiges Lernen Anhand vier ausge-waumlhlter Beispiele wird dargestellt wie Schuumllerinnen und Schuumller mit den Karten arbeiten und diese in ihren individuellen Lernprozess einbinden

Schluumlsselwoumlrter Kuumlchenkartei SchmExperten Experimente Binnendifferenzierung

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1 Selbststaumlndig lernen mit der Kuumlchenkartei

Die Kuumlchenkartei1 des aid infodienst e V liefert alle wesentlichen Informationen und Anleitungen die Schuumllerinnen und Schuumller fuumlr das Arbeiten in der Kuumlche benouml-tigen Aussagekraumlftige Fotos und leicht verstaumlndliche Texte verdeutlichen wichtige Hygieneregeln den Einsatz verschiedener Arbeitsgeraumlte allgemeine Arbeitstechni-ken und den Umgang mit ausgewaumlhlten Lebensmitteln

Da die Kuumlchenkartei fuumlr die aid-Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuuml-cheldquo entwickelt wurde thematisiert sie solche Geraumlte Techniken und Lebensmittel die in diesem Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen Die Kuumlchenkartei ist Be-standteil des Medienpaketes bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche

Steckbrief zu den SchmExperten in der Lernkuumlche bull unterrichtsbegleitendes Material zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen bull Zielgruppe Schuumllerinnen und Schuumller der Jahrgangsstufen 6 bis 8 aller Schulformen und

Bundeslaumlnder bull curriculare Einbindung im Fachunterricht und Wahlpflichtbereich zB Hauswirtschaft

Verbraucherbildung Hauswirtschaft und Soziales Arbeitslehre Arbeit-Wirtschaft-Technik bull kompetenzorientiert mit Moumlglichkeiten zur Binnendifferenzierung bull individuell veraumlnderbare Arbeitsblaumltter auf CD-ROM bull Kuumlchenkartei mit 47 Karten zu den wichtigsten Fachinhalten in Wort und Bild bull Kernstuumlck Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte mit allen Sinnen erforschen selbststaumlndig

warme Speisen zubereiten und dabei Rezepte variieren bull Ziel Kuumlchenfertigkeiten und Lebensmittelkenntnisse so vermitteln das die Schuumllerinnen

und Schuumller Speisen gesundheitsorientiert bewerten mit Freude zubereiten und genieszligen koumlnnen

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Tab 1 Themen ausgewaumlhlte Inhalte und Rezepte der SchmExperten in der Lernkuumlche

Thema Inhalte Rezepte

1 Startklar im Team

Portfolio Essknigge Hygiene und Aufraumlumen Krallengriff

Wraps leicht gemacht

2 Getraumlnke ndash Ohne Zucker kein Geschmack

Trinkgewohnheiten Energiespartipps und Sicherheit Rezeptaufbau Messen und Wiegen Etikett und Zutatenliste

Cooler Eistee

3 Gemuumlse ndash Auch im Winter frisch auf den Tisch

5 am Tag und Saisonalitaumlt Einkaufszettel Arbeitsplatzgestaltung Schneiden Kochen Duumlnsten

Gemuumlsesuppe mit Biss Veggietasche mit Soszlige Salat mit Sattwerdgarantie

4 Getreide ndash Typisch italienisch

Getreidevielfalt interkulturelle Aspekte Kraumluter und Gewuumlrze Vollkorn und Saumlttigung

Italienische Gemuumlsebolognese mit Nudeln Feurige Asiapfanne mit Reis Orientalische Kichererbsenpfanne mit Couscous

5 Kartoffeln ndash Frisch oder aus der Tuumlte

Kaufen versus selber machen Mahlzeiten planen Kochen Braten und Backen

Knusprige Kartoffelecken Bunte Kartoffelpuffer Cremiges Kartoffelcurry Salat- und Diprezepte

6 Milch ndash Mindestens haltbar bis

Zutatenmengen umrechnen Muumlllvermeidung und Klimaschutz Mindesthaltbarkeit und Verbrauchsdatum Kuumlhllagerung und Lebensmittelhygiene Naumlhrwerttabelle

Gefuumlllte Pfannkuchen Fruchtiger Milchreis Uumlberbackene Bruschetta

7 Abschlussbuumlfett ndash Kreativitaumlt gewinnt

Speisen fuumlr ein Buumlfett variieren Portfolios praumlsentieren Schulverpflegung bewerten Einkaufstipps

Alle Rezepte

8 aid-Ernaumlhrungs-pyramide

Kernbotschaften der Pyramide Handmaszlig fuumlr Portionsgroumlszligen Bewegungsverhalten Essgewohnheiten reflektieren

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Der aufstellbare Ringordner zur Kuumlchenkartei gliedert sich in fuumlnf verschiedene Themen Unter dem Begriff bdquoSauberkeitldquo sind Inhalte zum hygienischen Arbeiten in der Kuumlche zusammengefasst ndash beginnend mit der persoumlnlichen Hygiene uumlber die Arbeitsplatzhygiene bis hin zur hygienischen Zubereitung Weitere Rubriken greifen Arbeitsgeraumlte wie Kuumlchenwaage oder Vierkantreibe Arbeitstechniken zB das Putzen von Gemuumlse und ausgewaumlhlte Lebensmittel auf Hier zeigen Step-by-Step-Fotos wie bestimmte Lebensmittel vor- und zubereitet werden Unter bdquoExtrasldquo finden die Schuumllerinnen und Schuumller weitergehende Informationen zB zum Tischdecken oder zur aid-Ernaumlhrungspyramide

Insgesamt umfasst die Kuumlchenkartei 47 ndash teilweise doppelseitig bedruckte ndash DIN-A5-Karten Dem Unterrichtspaket bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo liegt dar-uumlber hinaus eine CD-ROM mit veraumlnderbaren Blanko-Karten bei Mit diesen Vorla-gen koumlnnen Lehrende und vor allem Lernende eigene Karten entwickeln und eben-falls im Ringordner abheften

Mit Hilfe der Kuumlchenkartei bull erarbeiten sich die Schuumllerinnen und Schuumller selbststaumlndig Inhalte (zB zur aid-

Ernaumlhrungspyramide) bull uumlberpruumlfen und ergaumlnzen die Jugendlichen selbststaumlndig ihre eigenen Arbeitsergebnisse

(zB Energiespartipps die von KuumlchenExperimenten abgeleitet werden) bull erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller praktische Hilfestellungen die ihrem Kompetenzni-

veau entsprechen (zB Erklaumlrung von Basistechniken wie Gemuumlse putzen ndash wer das schon kann braucht die Karte nicht)

bull gestalten die Lernenden eigene Karteikarten (zB Tipps fuumlr den Einkauf)

2 Eine Kartei ndash verschiedene Lernwege und Einsatzmoumlglichkeiten

Im Folgenden wird anhand exemplarisch ausgewaumlhlter Unterrichtsvorschlaumlge aus dem Unterrichtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo erlaumlutert wie sich die Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht einsetzen laumlsst

21 Experimentieren am Beispiel Raspeltest

Wie das Kunstwort bdquoSchmExpertenldquo (Schmecken + Experimentieren + Experte wer-den) verdeutlicht ist das Experimentieren ein wesentliches Merkmal der SchmEx-perten Neben zahlreichen SinnExperimenten bietet das Unterrichtsmaterial auch verschiedene KuumlchenExperimente mit Lebensmitteln und Kuumlchengeraumlten an

Beim Raspeltest werden die Schuumllerinnen und Schuumller beispielsweise vor die Frage gestellt bdquowie die Gurke in den Zaziki kommtldquo Zur Loumlsung der Aufgabe steht ihnen eine Vierkantreibe und eine Gurke zur Verfuumlgung So koumlnnen sie ausprobieren was die unterschiedlichen Seiten der Reibe bewirken und erarbeiten sich das Hobeln

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Raspeln und Reiben Die Karte zur Vierkantreibe unterstuumltzt die Schuumllerinnen und Schuumller dabei dieses Arbeitsgeraumlt sicher einzusetzen und die verschiedenen Seiten richtig zu benennen Sie macht jedoch keine Vorgaben welche Seite der Vierkant-reibe sich fuumlr Gurken bzw fuumlr einen Zaziki am besten eignet Dies sollen die Schuumlle-rinnen und Schuumller auf Grundlage ihrer Ergebnisse selbst beurteilen

SinnExperimente wecken Neugier Das Experimentieren mit allen Sinnen ermoumlglicht Jugendlichen neue Lernzugaumlnge und schafft Lernmotivation Dabei testen die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Lebensmittel mit allen Sinnen und notieren was sie wahrnehmen

Fuumlr SinnExperimente eignen sich unverarbeitete und auch verarbeitete Lebensmittel So lassen sich verschiedene Verarbeitungsformen auch aus oumlkologischer ernaumlhrungsphysiologi-scher und hauswirtschaftlicher Sicht sowie im Kontext nachhaltigen Handelns diskutieren KuumlchenExperimente trainieren Fach- und Methodenkompetenz Im Mittelpunkt der KuumlchenExperimente steht die Erforschung von physikalischen chemi-schen und biologischen Zusammenhaumlngen die bei der Nahrungszubereitung eine Rolle spie-len Dabei koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller auch Schritte ausprobieren die bei der ei-gentlichen Rezeptzubereitung wenig zielfuumlhrend waumlren

Das Besondere dabei ist dass die Lernenden sowohl naturwissenschaftliche Arbeitsme-thoden als auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten trainieren koumlnnen Wenn mit Lebensmitteln in der ein oder anderen Weise umgegangen wird (zB laumlngere Garzeiten fuumlr haumlrteres Gemuumlse) oder Kuumlchengeraumlte in bestimmter Weise zum Einsatz kommen (zB Toumlpfe immer mit De-ckel) dann stehen meist naturwissenschaftliche Gesetzmaumlszligigkeiten dahinter die es zu verste-hen und dann im Alltag anzuwenden gilt

22 Binnendifferenzierung am Beispiel Pellkartoffeln

Die Schuumllerinnen und Schuumller unterscheiden sich stark in ihren manuellen Geschick-lichkeiten Manche koumlnnen bereits kleine Menuumls alleine zubereiten anderen haben noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln

So sind besonders im haushaltsbezogenen Unterricht die unterschiedlichen Kenntnis-se der Jugendlichen die bereits vorhandenen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Werthaltun-gen das vermeintliche Expertenwissen und das in Herkunftshaushalten und Medien gepraumlgte Alltagsverstaumlndnis der Inhalte bedeutsam fuumlr die Konzeption von Lernpro-zessen (Leutnant 2012 S 66)

Die Kuumlchenkartei kann die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schuumllerinnen und Schuumller beruumlcksichtigen indem sie jederzeit als Nachschlagewerk zur Verfuuml-gung steht Wenn die SchmExperten fuumlr ein SinnExperiment beispielsweise Pellkar-toffeln brauchen finden Kuumlchenneulinge auf der Karte bdquoPellkartoffeln kochenldquo eine schrittweise Anleitung mit Fotos und kurzen Erlaumluterungen Jugendliche mit mehr Erfahrung koumlnnen zunaumlchst auf diese Hilfestellung verzichten Ihnen stellt sich viel-leicht erst zum Ende der Zubereitung die Frage woran sie erkennen dass ihre Kar-toffeln gar sind Auch hier hilft dann die Kuumlchenkartei mit der Karte bdquoGarprobeldquo

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Somit handelt es sich bei den Karteikarten um differenzierende Unterrichtsmate-rialien die einen wichtigen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts bedeuten koumlnnen Laut Leutnant (2012 S 67) muss ein individualisierter Unterricht neben den differenten Lernvoraussetzungen auch die unterschiedlichen Interessens-lagen und vor allem die individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen be-ruumlcksichtigen

23 Rezepte variieren am Beispiel Gemuumlsesuppe

Obwohl die Zubereitung warmer Speisen zu den Kernkompetenzen der SchmEx-perten zaumlhlt enthaumllt das Unterrichtsmaterial eine uumlberschaubare Auswahl an Re-zepten Diese dienen exemplarisch dazu wichtige Basistechniken und das Arbeiten nach Anleitung zu trainieren Dabei laumlsst die Formulierung der Rezepte den Schuuml-lerinnen und Schuumllern insbesondere in Bezug auf Obst und Gemuumlse so viele Frei-raumlume wie moumlglich Daruumlber hinaus finden sich auf allen Rezepten Ideen zur Va-riation von Speisen die die Jugendlichen anregen sollen selbst kreativ zu werden

Das Rezept fuumlr Gemuumlsesuppe ist beispielsweise so konzipiert dass es mit den verschiedensten Gemuumlsesorten gelingt Diese Freiheit ist noumltig um saisongerechtes Gemuumlse verwenden zu koumlnnen Dies soll den Jugendlichen aber auch ermoumlglichen das Rezept nach ihren Vorlieben und Beduumlrfnissen abzuwandeln Statt einer klaren Vorgabe wie welches Gemuumlse vorbereitet werden soll erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller deshalb lediglich allgemeine Anweisungen wie bdquoGemuumlse waschen putzen und falls noumltig schaumllenldquo oder bdquohartes Gemuumlse kleiner schneiden damit es schneller weich wirdldquo

Die Kuumlchenkartei dient in diesem Fall dazu die allgemeinen Anweisungen zu konkretisieren und die Fragen aufzufangen die sich bei der Abwandlung von Rezep-ten ergeben Sie zeigt was bdquoGemuumlse putzenldquo bedeutet welches Gemuumlse geschaumllt werden muss oder wie der Puumlrierstab zu bedienen ist wenn sich die Jugendlichen fuumlr eine cremige Variante der Suppe entscheiden

Die eigenstaumlndige Variation von Rezepten foumlrdert nicht nur die Motivation und Begeisterung sondern auch die Selbststaumlndigkeit und Methodenkompetenz der Schuuml-lerinnen und Schuumller

24 Selbstkontrolle am Beispiel Hygiene

Neben praktischen Anleitungen bildet die Kuumlchenkartei auch theoretische Grundla-gen und unverzichtbare Hygiene- und Sicherheitshinweise ab Ziel ist es hierbei den Sinn bestimmter Regeln und Vorgaben zu verstehen und anwenden zu koumlnnen Die SchmExperten erarbeiten sich die wichtigsten Maszlignahmen zur persoumlnlichen Hygiene deshalb in Form eines Expertenpuzzles

Dabei uumlbernimmt in jeder Arbeitsgruppe ein Jugendlicher die Rolle des bdquoHygie-newaumlchtersldquo und erarbeitet in drei Schritten einen Hygiene-Check Zunaumlchst uumlberlegt

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sich jeder Hygienewaumlchter alleine eine Loumlsung Anschlieszligend findet eine Partnerar-beit mit Bildkarten statt bevor alle Hygienewaumlchter ihre Ergebnisse vergleichen und gemeinsam eine Checkliste erarbeiten Dieses dreistufige Vorgehen foumlrdert und er-leichtert das kooperative Lernen (vgl Bartsch 2012 S 61)

Die Kuumlchenkartei dient den Schuumllerinnen und Schuumller hierbei zur Selbstkontrol-le Sie uumlberpruumlfen ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse mit Hilfe der passenden Karten Bei Bedarf ergaumlnzen sie daraufhin ihre eigene Checkliste oder erstellen eine eigene Karteikarte mit einem auf ihre Anforderungen abgestimmten Hygiene-Check Ist die Kartei im weiteren Unterrichtsverlauf stets verfuumlgbar bleibt auch der Hygie-ne-Check praumlsent und kann jederzeit wiederholt und abgerufen werden

3 Schritt fuumlr Schritt zu mehr Selbststaumlndigkeit

Die gesamte Unterrichtsreihe betrachtet die Schuumllerinnen und Schuumller als Akteure ihres eigenen Lernprozesses und stellt sie mit ihren Beduumlrfnissen ihrer Lebenswelt ihrem biografischen Hintergrund und ihren Lebensmoumlglichkeiten in den Mittelpunkt

Die Lehrenden uumlbernehmen dabei die Rolle des Moderators der die Schuumllerin-nen und Schuumller begleitet lenkt und motiviert

Lehrpersonen sind fuumlr die Bereitstellung von didaktisch-methodisch durchdachten Unterrichtsarrangements verantwortlich die ein exemplarisches und strukturiertes Lernen an geeigneten Beispielen ermoumlglichen Dabei veraumlndert sich allerdings das Lehr-Lernverhaumlltnis so begleiten und uumlberzeugen Lehrende den Lernprozess durch ihre Fachexpertise bei Moderation Anleitung Beratung etc (Bartsch 2012 S 57)

Ziel des Unterrichtsmaterials ist es jedem Einzelnen Perspektiven und Moumlglichkei-ten aufzuzeigen wie er oder sie seinen bzw ihren physiologischen Bedarf nach aus-gewogenem Essen und Trinken mit den individuellen Beduumlrfnissen in Einklang brin-gen kann

Die Kuumlchenkartei kann Lehrkraumlfte dabei unterstuumltzen auch im fachpraktischen Unterricht eine moderierende Rolle einzunehmen Wie die zahlreichen Schultests mit dem Material gezeigt haben ist die Kuumlchenkartei jedoch kein bdquoSelbstlaumluferldquo Waumlh-rend der praktischen Zubereitung sind die Schuumllerinnen und Schuumller haumlufig versucht ihre Lehrkraft um eine schnelle Anleitung zu bitten anstatt Arbeitsanleitungen genau zu lesen und bei Unklarheiten zunaumlchst die Kuumlchenkartei zu Hilfe zu nehmen

Deshalb ist es wichtig die Kuumlchenkartei zu Beginn einer praktischen Unter-richtsreihe ausfuumlhrlich einzufuumlhren und im weiteren Verlauf immer wieder auf sie zu verweisen Fragechips koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller motivieren zuerst selbst nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen Wenn jede Gruppe pro Stunde beispiels-weise nur vier Chips erhaumllt wird sie versuchen nach eigenen Loumlsungswegen zu su-chen bevor die Lehrkraft zurate gezogen wird Natuumlrlich schlieszligt dieses Vorgehen nicht aus dass die Lehrkraft auch direkte Unterweisungen gibt wenn sie diese fuumlr angebracht und effektiver haumllt

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4 Fazit

Wie die vier ausgewaumlhlten Beispiele zeigen unterstuumltzt die Kuumlchenkartei schuumllerori-entiertes Lernen und selbststaumlndiges Arbeiten Sie ergaumlnzt damit optimal das Unter-richtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo Als Nachschlagewerk und Selbst-lernprogramm laumlsst sie sich aber auch unabhaumlngig davon sehr flexibel im fachpraktischen kompetenzorientierten Unterricht einsetzen

Anmerkung 1 Idee und Konzept der Kuumlchenkartei Susanne Gruumlnwald

Literatur

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Kessner L Braukmann M Wanzek P (2012) Die Kuumlchenkartei Bonn aid info-dienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Leutnant S (2012) Selbstdifferenzierende Aufgabenformate im kompetenzorien-tierten Unterricht Haushalt in Bildung amp Forschung 3 65-76

Fuumlr die Verfasserinnen

Dipl-Oecotrophin Larissa Kessner

aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz eV

Heilsbachstr 16 D-53123 Bonn

E-Mail lkessneraid-mailde Internet wwwaidde

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im folgenden Beitrag sollen einige grundlegende Aspekte der Esskultur1 vorgestellt werden um darauf aufbauend an Beispielen aus dem Unterricht zu erlaumlutern welche Bedeutungen diese kulturellen Voraussetzungen fuumlr die Fachpraxis haben

Schluumlsselwoumlrter Handwerkliche Praxis der Nahrungszubereitung Esskultur Theorie-Praxis-Verknuumlpfung

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Fachpraxis gilt als beliebte Alternative zum sog Theorie-Unterricht und wird oft nach dem Motto sbquoLieber mit der Hand gemacht als daruumlber nachgedachtlsquo erledigt Die intendierten Lernprozesse beinhalten Forderungen an sbquodas Kochenlsquo die von Schuumllerinnen und Schuumllern (leider auch von vielen Lehrpersonen) als unnoumltige Er-schwernis wenn nicht gar als Stoumlrung gesehen werden Tab 1 REVIS-Bildungsziel 3 (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung 2005)

3 Die Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung

Die Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage hellip sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen

Dazu gehoumlrt dass sie hellip bull Mahlzeiten situations- und

alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen

bull Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten

bull Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden

bull Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren

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Lehrpersonen haben erfahrungsgemaumlszlig sehr unterschiedliche Anspruumlche an die Fach-praxis Falls sie nicht den leichteren Weg nehmen und die Jugendlichen sbquokochenlsquo lassen (bdquoDas brauchen die doch fuumlr ihr Lebenldquo) muumlhen sie sich ihnen grundlegende Fertigkeiten und deren theoretische Begruumlndung nahezubringen ndash abhaumlngig vom eigenen Grad der Professionalisierung

Im REVIS-Curriculum2 wurde der bisherige Zugang zur Fachpraxis entscheidend erweitert bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo Der sich hieraus ergebende Bildungsauftrag geht uumlber sbquoKochenlsquo hinaus und wird erst vollstaumlndig wenn die ange-strebte Kompetenz bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzenldquo (s Tab 1) hinzukommt

1 Grundlagen eines sbquokulturellen Verstaumlndnisseslsquo der Nahrungszubereitung3

Menschen sind von Natur aus sbquoKulturwesenlsquo Als sbquoinstinktlose Omnivoren (Alles-fresser)lsquo benoumltigen sie Wissens- und Handlungsstrukturen die es ermoumlglichen die alltaumlgliche Versorgung mit Nahrung zu sichern Diese Strukturen sind grundlegende Legitimation dafuumlr dass Ernaumlhrungsbildung Teil des verbindlichen gesellschaftli-chen sbquoKulturwissenslsquo sein muss gleichberechtigt zu Sprachen Mathematik oder Informatik (vgl Barloumlsius 2011 Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies 2011)

Die geforderten Wissens- und Handlungsstrukturen muumlssen durch leitende Werte und Ziele definiert werden Vorherrschende Begruumlndungen basieren in der Schulkuuml-che meist (falls nicht vorrangig auf Erfahrungen der Lehrkraft) auf natur- und ar-beitswissenschaftlichen Grundlagen ergaumlnzt durch politische Ziele (wie zB Nach-haltigkeit) ndash alles ohne Einordnung in einen groumlszligeren auch kulturellen Zusammenhang Kulturelle Zusammenhaumlnge ermoumlglichen aber erst die Strukturie-rung und Analyse und sind deshalb fuumlr die Ausgestaltung der Fachpraxis zentral

Drei Institutionen des Essens Menschen regeln ihre Wertung von Nahrungsmitteln deren Zubereitung und Ver-zehr uumlber drei Institutionen (vgl Barloumlsius 2011 S 93ff)4

(1) Die kulturelle Bestimmung von bdquoessbarldquo und bdquonicht essbarldquo

Menschen als sbquoOmnivorenlsquo koumlnnten mehr Nahrungsmittel nutzen als sie kennen koumlnnen Dies fuumlhrt dazu dass kulturell bestimmt wird welche Nahrungsmittel ak-zeptiert werden und welche nicht Neben Vertraumlglichkeit und Oumlkonomie (Effizienz des notwendigen Arbeitseinsatzes) gibt es eine Vielzahl von offiziellen (zB religiouml-sen politischen) und inoffiziellen (zB Tabus Moden) Reglementierungen Entspre-chend ist die Nahrungsauswahl auch ein Ausdruck von Normen und Werten bis hin zu den Bewertungen dazu was sbquomanlsquo (wer in welcher Situation) isst oder nicht isst

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Auf dieser Basis entwickelt sich Geschmack welcher dann der sozialen Distink-tion dient Subjektiv wird dieser Zusammenhang selten bewusst wahrgenommen Jugendliche kennen zwar auch sbquoEss-Modenlsquo aber sie empfinden ihre Auswahl zu-naumlchst als selbstverstaumlndlich als Ausdruck ihres sbquoGeschmackslsquo Sie wissen und ver-stehen weder die naturwissenschaftlichen noch die kulturellen Hintergruumlnde fuumlr die sbquoEntwicklung von Geschmacklsquo ndash wie viele Lehrpersonen leider auch nicht

In der Nahrungszubereitung dient die Konfrontation mit Nahrungsmitteln Ge-richten und Geschmaumlckern auch der Entwicklung und Erweiterung eines sbquokulturellen Geschmackslsquo als Teil kultureller Bildung Mit der Zubereitung von Gerichten wer-den nicht nur Kompetenzen angebahnt sondern auch Geschmaumlcker Wertungen und Zuschreibungen (gut ndash schlecht traditionell ndash modern Alltag ndash Sonntag etc) tradiert Ein Geschmack der sbquoHeimatlsquo der sbquoModernelsquo der sbquoGesundheitlsquo oder des sbquoExotischenlsquo wird so erworben ndash oder abgelehnt Geschmackserfahrungen gehen ndash mit Gefuumlhlen und Wertungen verbunden ndash in zunaumlchst unreflektierte sbquoGrundstimmungenlsquo (u a wichtig fuumlr Identitaumlt und Sicherheit) und -haltungen (Zuwendung Abwehr etc) so-wie damit verbundene Handlungsmuster uumlber Erst wenn diese Zusammenhaumlnge verstanden werden kann die eigene Entwicklung als sbquogewordenelsquo reflektiert und die Nahrungszubereitung gezielt zur Erweiterung der Akzeptanzen genutzt werden

(2) Die Kuumlche als kulturelles Regelwerk

Kuumlchen sind sowohl Raumlume mit spezifischer technologischer Ausstattung als auch Bezeichnung fuumlr typische Arten und Weisen der Zubereitung die uumlberdies Botschaf-ten beinhalten (Sprache der Kuumlche) In beider Hinsicht sind sie soziokulturelle Phauml-nomene mit entsprechenden Charakteristika und dienen der kulturellen und sozialen Identitaumlt bdquoZwischen Beduumlrfnis (Hunger) und Befriedigung (Essen und Trinken) setzt der Mensch das ganze kulturelle System der Kuumlcheldquo betont Tolksdorf (1976 S 67) und hebt damit hervor dass die Auswahl Bearbeitung und Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Speisen und Mahlzeiten einem komplizierten und differenzierten Regelwerk unterliegt

Obwohl viele Nahrungsmittel in vielen Laumlndern aumlhnlich oder gleich sind (wie zB Huumllsenfruumlchte Getreide) schmecken die daraus bereiteten Gerichte aufgrund der unterschiedlichen sbquoKuumlchenlsquo voumlllig anders (vgl Schlegel-Matthies 2002) Die Verarbeitung mit teuren Zutaten (fruumlher oft Eier und Fett heute seltene Zutaten) und mit einem houmlheren Aufwand (Arbeit Zeit Wissen und Fertigkeiten) kann zur Auf-wertung fuumlhren (vgl Roumlszligler-Hartmann 2012)

In der Nahrungszubereitung finden diese Aspekte ihren Platz durch vorgegebene leitende Werte und damit verbundene Rezepte sbquoGesundelsquo Rezepte sind fett- und sbquonachhaltigelsquo fleischaumlrmer sbquotraditionellelsquo sind eher fett- und fleischreicher Alltags-speisen beanspruchen weniger Wissen und Zeit als Feiertagsspeisen etc Dabei sind Werte wie sbquogesundlsquo meist unhinterfragt gesetzt werden aber durch andere Werte wie sbquofestlichlsquo sbquoschmackhaftlsquo sbquoexotischlsquo etc verdraumlngt bzw ausnahmsweise ausgesetzt Kuumlchentechniken werden entweder arbeitswissenschaftlich begruumlndet (rationell

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sicher hygienisch) oder mit dem schlichten Hinweis bdquoDas macht man soldquo So kann der kulturelle Hintergrund schnell verdeckt werden

(3) Die Mahlzeit als soziale Institution

Mahlzeiten dienen der Herstellung und Bewahrung von Gemeinschaft und Zugehouml-rigkeit In ihren unterschiedlichen Elementen den Tischgemeinschaften-sitten und -gespraumlchen) ihren Auspraumlgungen in Alltag und Festtag ihrer haumlus-lichfamiliaumlren und auszligerhaumluslichen Erscheinungsform haben sie eine soziokulturell strukturierende Bedeutung (vgl Barloumlsius 2011 S 172ff Schlegel-Matthies 2002 2011)

Eine integrierende bzw ausgrenzende Funktion haben die Bestimmungen wer wann wo in welchem Rahmen zusammen isst sowie die Tischsitten Die Bedeutung der Letzteren ist so stark dass von vielen Menschen sbquoEsskulturlsquo vor allem mit dem Benehmen bei Tisch verbunden wird Dabei sind die Regeln bei genauerer Betrach-tung von den jeweiligen sozialen Zusammenhaumlngen abhaumlngig Sie hatten und haben u a die Aufgabe die soziale Stellung angemessen wiederzugeben Heute gelten zB traditionelle buumlrgerliche Regeln will man sich nicht im Restaurant blamieren oder anderen Menschen denen sie wichtig sind sbquovor den Kopf stoszligenlsquo

Die Nahrungszubereitung ist im Unterricht haumlufig mit gemeinsamem Essen ver-bunden wobei eine Einfuumlhrung in diese sbquoKultur des Essenslsquo erfolgen soll Deren Beherrschung ist haumlufig eine Voraussetzung fuumlr die soziale Akzeptanz von Men-schen ihre Vermittlung ist damit Teil des demokratischen Auftrags von Schule Die hinter den (sozio-kulturell unterschiedlichen) Regeln verborgenen Zusammenhaumlnge sind allerdings wenig bekannt und selten beruumlcksichtigt

Das Bildungsziel zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahl-zeitengestaltung verlangt mehr als die mehr oder (meist) weniger reflektierte Ver-mittlung vorherrschender (sozio-)kultureller Standards auf dem Stand der biogra-phisch erworbenen Erfahrung der Lehrkraft Erfahrungswissen ist wertvoll aber begrenzt (vgl Brandl 2012) Professionalitaumlt verlangt auch bei der Nahrungszuberei-tung Hintergrundwissen Wissen zu natur- und arbeitswissenschaftlichen Zusam-menhaumlngen ist weitgehend als notwendig akzeptiert Es wird aber weniger reflektiert dass und wie auch dieses Wissen kulturellen Einfluumlssen unterliegt Eine solche Re-flexion kann fuumlr einen gelingenden Unterricht hilfreich und das Wissen damit auch notwendig sein

2 Unterschaumltzte Grundwiderspruumlche

21 Professionalitaumlt versus Alltagswissen und -routinen

Jugendliche haben Erfahrungen (zB aus dem Elternhaus oder aus dem Fernsehen) oder Vorstellungen (darunter auch spontane Planungen) wie Nahrung bearbeitet und zubereitet werden kann ndash und sind oft stolz darauf Die haumlusliche Nahrungszuberei-

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tung ist nicht systematisch und rationell organisiert sondern von Raumgestaltung Alltagsroutinen und auch von der Vermischung mit anderen Arbeitsgaumlngen abhaumln-gig Die Ausstattung der Kuumlchen ndash und damit auch Kenntnis und Nutzung einzelner Geraumlte ndash ist entsprechend unterschiedlich

Wenn im Bildungsziel 3 (siehe Tab 1) formuliert ist bdquoTechniken der Nahrungs-zubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden koumlnnenldquo dann sind damit mehr kulturelle Strukturen verbunden als auf den ersten Blick erkennbar Die (im Elternhaus) erlernten Praktiken entsprechen haumlufig nicht professionellen Kriterien die in der Schulkuumlche die Arbeit leiten sollten Die Begruumlndung dafuumlr warum in der Schule professionelle Techniken vorgezogen und damit auch Handlungsalternativen geboten werden und die Unterscheidung zwischen sbquoVerbesserunglsquo von Arbeitspro-zessen sowie nicht verhandel- aber begruumlndbaren Grundlagen von Hygiene und Sicherheit kommen meist zu kurz Eine bloszlige Gegenuumlberstellung von sbquorichtiglsquo und sbquofalschlsquo kann Widerstand wecken Die explizite Gegenuumlberstellung haumluslicher und professioneller Arbeitstechniken die eine Analyse ihrer Unterschiedlichkeit auf-grund verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen zur Grundlage hat ermoumlg-licht beides zu respektieren

Arbeits- und Gartechniken beruumlcksichtigen zB Kriterien wie Arbeitsersparnis Naumlhrstoffschonung oder Geschmack Damit neue Arbeitsprozesse als Erleichterung wahrgenommen werden muumlssen sie Teil der Alltagsroutinen werden Erst dann werden sie Handlungsalternativen Mit offenen Diskussionen daruumlber dass Schule Wissen und Koumlnnen erweitern soll und Unterricht daher keine Spiegelung privater Verhaltensweisen zum Ziel hat sondern Reflexion und Entscheidungsfaumlhigkeit daruumlber kann die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen gefoumlrdert werden Viele Dinge werden klar wenn man die mit ihnen verbundene Arbeitslogik offen legt Der Umgang mit professionellen Kochmessern ist fuumlr Studierende und Jugendliche oft ungewohnt und zunaumlchst befremdlich Sie fuumlhlen sich mit einem kleinen Messer sicherer Man kann zB demonstrieren dass man mit einem kleinen und schmalen Messer auf einem kleinen Brett nicht sinnvoll und auch nicht sicher Gemuumlse schneiden kann Der Umgang mit einem Kochmesser erfordert eine gute Einwei-sung und Uumlbung (vgl Tornieporth 1993) Motivation dazu koumlnnen zB Koch-shows bieten in denen mit solchen Messern gearbeitet wird Voraussetzung ist allerdings dass gute (scharfe) Kochmesser in den Schulkuumlchen nicht nur vorhan-den sind sondern von den Lehrpersonen auch beherrscht und genutzt werden An dem beliebten sbquoHausfrauen-Allzweck-Suppenloumlffellsquo kann und sollte analysiert werden dass man mit ihm auf einem Topfboden nur Kratzspuren hinterlassen und keine Masse mischen kann Schneebesen sind dazu sinnvoller Es gilt entscheiden zu koumlnnen wann man nur kurz umruumlhren und probieren oder wann man Ansetzen vermeiden oder mischen will

Die Entwicklung einer Haushaltstechnik und Arbeitsorganisation sollte der Ar-beitserleichterung im Haushalt dienen Beide druumlcken kulturelle Errungenschaften aus die erlernt und eingeuumlbt werden koumlnnen Werden diese Zusammenhaumlnge klar-

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gestellt ohne den haumluslichen Alltag abzuwerten kann auch die Einhaltung von Regeln leichter werden Dabei sollte auch nicht geleugnet werden dass die ar-beitswissenschaftliche Logik die sich meist auf einzelne Arbeitsprozesse bezieht nicht immer kompatibel ist mit einer sbquoLogik des Alltagslsquo in diesem Alltag sind komplexe Situationen zu bewaumlltigen

22 Buumlrgerliche Kultur und einfache Alltagskuumlche

Die Haushaltslehre orientiert sich in weiten Bereichen an den Normen der buumlrgerli-chen Haushaltsfuumlhrung Bezogen auf eine kulturelle Sozialisation und Integration oder auf eine spaumltere Berufstaumltigkeit kann dies auch sinnvoll sein sollte aber nicht unreflektiert geschehen

Rezepte Gerichte und Mahlzeitengestaltung waren immer durch die unterschied-lichen Lebensbedingungen und -stile bestimmt In reichen Haushalten durfte die Bruumlhe den Appetit anregen in anderen musste eine dicke Suppe den (ersten) Hunger stillen damit Fleisch und andere Lebensmittel gespart werden konnten Wer wenig Zeit und Geld hatte konnte sich auch keinen groszligen Aufwand bei der Nahrungszu-bereitung leisten Wenige Menschen wissen dass das mehrgaumlngige Menu mit geson-dertem Geschirr und Besteck fuumlr jeden Gang in Schuumlsseln aufgetragen auf einen Tisch auf dem eine Tischdecke und Stoffservietten liegen einer Norm aus dem 19 Jahrhunderts folgt Und diese Norm entstand in Haushalten in denen Dienstboten die damit verbundene Arbeit uumlbernahmen Heutige Jugendliche merken zu Recht an dass sie mit den Servierschuumlsseln und -platten mehr Arbeit haben als wenn die Kochtoumlpfe und Pfannen auf den Tisch gestellt werden Nach welchen Regeln das Essen auf den Tisch kommt sollte nicht (nur) die Wiederholung buumlrgerlicher Nor-men beinhalten sondern auch deren Reflexion ndash und damit auch die Suche nach arbeitssparenden Alternativen fuumlr den Alltag in Haushalten (Teller auffuumlllen in der Kuumlche aumlsthetische Bewertung von Kochgeschirr etc) Die Teilkompetenz bdquoMahlzei-ten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnenldquo (s Tab 1) beinhaltet u a solche Uumlber-legungen Die Wertschaumltzung der Arbeit ist im doppelten Sinn geboten (1) Nur wer erkennt dass Nahrungszubereitung auch Freude machen kann und ein wichtiger Teil der Selbstbestimmung daruumlber ist was gegessen wird wird auch bereit sein sich die notwendigen Kompetenzen so anzueignen dass die Arbeit sbquoleicht von der Hand gehtlsquo (2) Die Wertschaumltzung derer ist geboten die diese Arbeit leisten und den ande-ren damit Nahrung bieten Die heutige Familienkultur verhindert haumlufig dass damit verbundene Arbeit erkannt und anerkannt wird weil Kinder und Jugendliche haumlufig nicht mehr sehen wie Nahrung zubereitet wird sondern sie bdquojust in timeldquo vorgesetzt bekommen (vgl Roumlszligler-Hartmann 2007 S 224)

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23 Bewertungen und Qualitaumltskriterien

Mit der ersten Teilkompetenz bdquoSpeisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumln-nenldquo (s Tab 1) sind drei Qualitaumltskriterien festgelegt

Fuumlr Jugendliche (und Studierende) enthaumllt der Hinweis bdquoMir schmecktrsquos aberldquo meist die Botschaft dass alle anderen Kriterien als unwichtig erachtet werden Geschmackswertungen sollten daher explizit von anderen Kriterien wie rationelle und hygienische Arbeitsorganisation Gesundheitswert getrennt werden Zudem sollte Geschmack ein eigenstaumlndiges Thema im Unterricht sein

Der Satz sbquoUumlber Geschmack laumlsst sich nicht streitenlsquo gilt durchaus wenn es um individuelle Praumlferenzen geht Wie diese entstehen und welche Unterschiede zur sensorischen Bildung bestehen ist eine gesonderte Frage Sensorische Bildung leitet an Unterschiede zu analysieren oder die Wirkung von Kombinationen unter-schiedlicher sensorischer Eindruumlcke (Geschmack Geruch Konsistenz etc) ken-nenzulernen ndash und nicht Praumlferenzen vorzuschreiben sbquoGeschmacksbildunglsquo dage-gen legt offen wie Geschmack entsteht was er bedeutet und wie man damit umgehen kann ndash dazu gehoumlrt auch dass und wie man ihn selbst aumlndern kann Sinn-lichkeit beinhaltet all dies und noch mehr Jugendliche sollen Freude am Essen und an der Nahrungszubereitung haben sollen genieszligen lernen denn das muss gelernt werden (vgl Bergler amp Hoff 2011 Houmlhl 2009) Sensorische Bildung und Ge-schmacksbildung gehoumlren zur Sinnlichkeit ebenso wie eine gute Beziehung zum Koumlrper (vgl Bartsch 2008 Methfessel 2002) Versteht man diese Zusammenhaumln-ge muss man sich nicht mehr wundern dass viele Jugendliche von sich aus wenig Interesse zeigen zu probieren und Wuumlrzmoumlglichkeiten zu variieren

Soziokulturelle Differenzen finden sich auch beim Ziel einer Gesundheitsfoumlr-derung Zum einen haben unterschiedlich vorhandene Ressourcen (Zeit Geld Kompetenzen) Einfluss auf das haumlusliche Essensangebot Zum anderen haben Ju-gendliche auch unterschiedliche Haltungen zur Bedeutung des Essens fuumlr die Ge-sundheit In Abhaumlngigkeit vom sozialen Milieu differiert was als sbquogutes Essenlsquo angesehen wird Waumlhrend zB Saumlttigung und Geschmack wichtige Kriterien fuumlr koumlrperlich Arbeitende sind orientieren Menschen aus Milieus mit houmlherem Bil-dungsniveau ihre Nahrung staumlrker an anderen Werten wie Gesundheit Schlankheit angesagten Ernaumlhrungskonzepten (vgl Barloumlsius 2011 Bourdieu 1993 Stieszlig amp Hayn 2005) Bei solchen Orientierungen spielen neben Wissen um die Bedeutung der Nahrung auch Vorstellungen uumlber die Kontrollierbarkeit von Koumlrper und Ge-sundheit eine Rolle (vgl Faltermaier 2005) Daneben ist auch festzustellen dass eine problematische soziale Lage und damit verbundene geringe Erwartungen an die Zukunft auch die Bereitschaft reduzieren kann das Essverhalten selbst zu kon-trollieren bzw kontrollieren zu lassen Wenn das Leben wenig Freuden bietet

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kann das Essen ein wichtiger bdquoFreudengeberldquo und eine bdquoBastionldquo der Selbstbe-stimmung sein5 Diese und andere Zusammenhaumlnge koumlnnen erklaumlren warum Ler-nende sehr unterschiedlich auf Vorgaben der Lehrkraft zum Thema Gesundheit reagieren

Mit dem dritten Kriterium der Nachhaltigkeit ist der Konflikt zwischen indivi-duellem Genuss und politischen Werten der Nachhaltigkeit (Beruumlcksichtigung globaler oumlkologischer sozialer und oumlkonomischer Zusammenhaumlnge) verbunden Jugendliche sind gegenwartsorientiert und viele suchen nach einfachen Wegen zum Wohlbefinden Die Reflexion der globalen Auswirkungen individuellen Konsums (zB bezogen auf Fleisch) und die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung muumlssen erst erlernt werden Damit wird dann ein wertvoller Beitrag zur Bildung fuumlr nachhaltige Entwicklung (BNE) geleistet Fuumlr Jugendliche ist allerdings nicht uumlber-zeugend wenn dies zB nur in einer einzelnen Unterrichtseinheit thematisiert wird dann einmalig Bio-Produkte zubereitet werden und das Kriterium sbquoNachhaltigkeitlsquo keinen Eingang in die handwerkliche Praxis ndash auch mit alltaumlglichen Umsetzungs-moumlglichkeiten ndash findet

Bei der Diskussion um Qualitaumlt und deren Bewertungskriterien sind auch wei-tere Bewertungen und Begruumlndungen welche den Jugendlichen wichtig sind zu erfragen und zu beruumlcksichtigen Dies kann alle Lebensbereiche betreffen religioumlse Vorgaben unterschiedliche Geschmackspraumlferenzen Gesundheitsvorstellungen Sinn und Qualitaumlt von (Halb-)Fertigprodukten etc Die Entwicklung und Begruumln-dung von Qualitaumltskriterien sind eine eigene Bildungsaufgabe Die didaktische Herausforderung liegt darin konstruktiv mit Widerspruumlchen zwischen Kriterien bzw zwischen schulischen Bildungszielen und Interessen von Jugendlichen umzu-gehen

3 Folgerungen

Aus den beschriebenen Zusammenhaumlngen erwachsen viele Herausforderungen an (angehende) Lehrpersonen Zunaumlchst muumlssen sie reflektieren welche kulturellen Muster ihr eigenes Verhalten leiten ndash und sich ggf das dazu notwendige Wissen aneignen Schon allein bei der Auswahl der Rezepte und der damit verbundenen Techniken bewegen sie sich meist nur in dem ihnen vertrauten Rahmen (Jugendli-che sollen zB alles probieren selten wird aber zubereitet was die Lehrkraft selbst nicht mag oder bei der Rezeptauswahl orientiert sie sich nicht an Lehr-Lernzielen und fragt auch nicht nach der Bedeutsamkeit des zu Erlernenden fuumlr die Jugendli-chen) Ein Verstaumlndnis der sbquokulturellen Gewordenheitlsquo schafft einerseits mehr Be-reitschaft sich anderen Gerichten und Techniken zu oumlffnen Anderseits gewinnen Lehrpersonen mehr Faumlhigkeiten mit den unterschiedlichen zu beachtenden Dimen-sionen der Nahrungszubereitung und den Widerspruumlchen zwischen diesen Dimen-sionen umzugehen und Alternativen entwickeln zu koumlnnen Diese Faumlhigkeiten sind

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notwendig um die vierte Teilkompetenz bdquoInformationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnenldquo (s Tab 1) verstehen und vermitteln zu koumlnnen Im Unterricht stehen sich oft Lehrpersonen und Jugendliche gegenuumlber die sehr unterschiedliche Erfahrungen Vorstellungen und Praumlkonzepte zu Haushaltsfuumlhrung und Nahrungs-zubereitung sowie zum Zusammenhang von Essen Koumlrper Gesundheit etc haben Der Umgang mit Widerspruumlchen erfordert mehr als eine rationale Argumentation Eine sbquokultursensiblelsquo Analyse und Reflexion sollte beruumlcksichtigen dass ndash direkte oder indirekte ndash Infragestellungen der familialen sozialen religioumlsen milieuspezi-fischen etc Kultur immer auch Identitaumlt und Selbstwertgefuumlhl beruumlhren

Die Legitimation der Ernaumlhrungsbildung als Teil der Naturwissenschaftlichen Bildung undoder die jeweilige wissenschaftliche Sozialisation verleiten Lehrperso-nen zu oft dazu nur arbeits- und naturwissenschaftliche Theorien zur Begruumlndung der Regeln fuumlr die Nahrungszubereitung heranzuziehen Damit unterliegen sie zwei Begrenzungen Zum einen werden das Alltagshandeln leitende kulturwissenschaftli-che Zusammenhaumlnge ausgeblendet ndash und damit auch ein Zugang zum Handeln und Verhalten der Lernenden verwehrt Zum anderen kann mit dem alleinigen (durchaus sinnvollen und notwendigen) naturwissenschaftlichen Denken (zB bei Experimen-ten) nicht die Komplexitaumlt des Alltags bewaumlltigt werden Kuumlstlers (2012) Bezug auf die MINT6 Faumlcher mag positiv bewertet werden erfasst aber nicht den vollstaumlndigen Fachauftrag welcher uumlber die MINT-Faumlcher hinaus geht

Es kann daher sinnvoll sein Kompetenzmodelle (zB Dachtler-Freiler amp Kuumlst-ler 2012) noch einmal daraufhin zu uumlberpruumlfen wieweit sie kulturelle Aspekte ex-plizit aufgenommen haben Die Kombination naturwissenschaftlicher Bezuumlge mit der Analyse und Reflexion der Entwicklung der Alltagskultur ist nicht nur sinnvoll son-dern bietet auch die fuumlr Lernprozesse notwendige Sinnhaftigkeit So kann zB die Kombination des Verstaumlndnisses der Lebensbedingungen von (Mikro)Organismen mit Wissen zur Denaturierung von Eiweiszlig viele Zusammenhaumlnge von Hygiene und Konservierung erklaumlren Dies fuumlhrt nicht unbedingt zum hygienischen Umgang im Kuumlchenalltag Wissen wird oft erst persoumlnlich sinnhaft wenn bewusst Konsequenzen fuumlr das eigene Handeln gezogen werden Dazu ist zB sinnvoll auch zu diskutieren und zu reflektieren warum viele meinen dass ein Kuumlhlschrank weniger geputzt wer-den muss als eine oumlffentliche Toilette (welche oft nachweislich weniger Keime ent-haumllt) undoder welche anderen Gruumlnde daran hindern ihn alle zwei bis drei Wochen gruumlndlich zu reinigen

Roumlszligler-Hartmann (2012) hat dargestellt dass und wie das Modell einer Mahlzeit zum Ausgangspunkt der Reflexion von Esskulturen genutzt werden kann sbquoDarum herumlsquo kann man noch weitere Moumlglichkeiten schaffen Nahrungszubereitung in all ihren Schritten und Dimensionen als Ergebnis kultureller Entwicklung zu verstehen Der Anthropologe Levi-Strauss (1972) merkte einmal an dass der Mensch sich vom Tier durch den Kult und das Kochen unterscheide Es ist lohnenswert diese mensch-liche Kompetenz zu vermitteln

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Anmerkungen 1 Auf eine theoretische Grundlegung des Begriffes Kultur bzw Alltagskultur oder

wird hier verzichtet (vgl dazu Methfessel amp Schlegel-Matthies im Druck) 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Hier kann kein systematischer Einblick in die Diskussion der Esskultur gegeben

werden (zum Uumlberblick vgl Barloumlsius 2011 Methfessel 2005 Schlegel-Matthies 2001 2002 und die darin jeweils angegebene Literatur)

4 Die Strukturierung von Barloumlsius (2011) bietet eine hervorragende Analysegrund-lage alle weiteren vorgestellten Kategorien koumlnnen sich ihnen gut zu- bzw un-terordnen

5 Ein niedriger Schulabschluss fuumlhrt zu weniger Gesundheit und Lebenszufrieden-heit Bildungsstrukturen benachteiligen sozial Schwache (vgl Daten der GEDA-Studie 2009 nach BMAS 2013 S 198ff)

6 MINT Mathematik Informatik Naturwissenschaft und Technik

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Verfasserinnen

Profin (i R) Dr Barbara Methfessel Paumldagogische Hochschule Heidelberg Fachgebiet Ernaumlhrungs- und Haus-haltswissenschaft und ihre Didaktik E-Mail methfesselph-heidelbergde Internet wwwph-heidelbergdeernaehrungs-und-haushaltswissen-schaftpersonendozentinnenprof-dr-barbara-methfesselhtml

Profin Dr Kirsten Schlegel-Matthies Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Ge-sundheit Department Sport amp Gesund-heit Fakultaumlt fuumlr Naturwissenschaften der Universitaumlt Paderborn E-Mail schlegelmailupbde Internet httpdsguni-paderborndeevbpersonenprof-dr-kirsten-schlegel-matthies

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Silke Bartsch und Jana Brandstaumldter

bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung Zunaumlchst wird uumlber eine begriffliche Klaumlrung eine Annaumlherung an das Phaumlnomen der bdquoErleb-niskuumlcheldquo gesucht um sie als Inspiration fuumlr neue Zugaumlnge fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung nach REVIS1 zu nutzen Ausgangspunkt dafuumlr ist das Erlebnis in seiner Abgrenzung durch das Besondere vom Alltaumlglichen Daran schlieszligen sich in dem hier essayhaft verfassten Beitrag erste fachdidaktische Uumlberlegungen und Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung an

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Erlebnis Kuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung

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Einleitung Zurecht hat er selbst darauf hingewiesen dass Essen die moumlglicherweise komple-xeste menschliche Aktivitaumlt darstellt Man sieht ein Gericht riecht es fasst es an und fuumlhlt es nimmt beim Konsum sowohl Geschmack als auch akustische Reize ndash beispielsweise Knuspern beim Essen eines Eiswuumlrfels ndash wahr Gesellt sich dann noch ein Konzept hinzu wie beispielsweise bei den sich aufloumlsenden Ravioli wird sogar noch das Gehirn stimuliert In dieser Gleichzeitigkeit so vieler Sinneswahr-nehmungen und Reize liegt eine unglaubliche Chance zu neuen Erlebnissen und Erfahrungen die sich Adriagrave immer wieder zu Nutze macht (Blogger uumlber Ferran Adriagrave Sternekoch im spanischen Restaurant El Bulli2)

Das Zitat des spanischen Sternekochs Ferran Adriaacute illustriert ein umfassendes Sin-neserlebnis beim Essen das hier durch die Molekularkuumlche kreiert und inszeniert wird Die Geheimnisse der Kochkunst begleiten die Kulturgeschichte so ist zB aus der Antike bekannt dass besondere Geschmacks- und Sinneserlebnisse zum Vergnuumlgen gesucht wurden (vgl zB Lemke 2007) An diese Tradition knuumlpfen die Vertreter der Molekularkuumlche gerne an die durch die heute zur Verfuumlgung stehenden kuumlchentechnischen Moumlglichkeiten neue Dimensionen schaffen koumlnnen

Die hier gewaumlhlte Wortschoumlpfung Erlebniskuumlche3 greift die Idee der Erlebnis-gastronomie auf Beispiele dafuumlr sind die sog Dinnershows wie bdquoPomp Duck and Circumstancesldquo die Zirkus oder Varieteacute und (gehobene) Gastronomie effektvoll in auszligergewoumlhnlichen bdquoLocationsldquo wie einem Spiegelzelt kombinieren und als Ge-samtevent vermarkten Mit dem Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo soll aber nicht allein auf ein interessantes Geschmackserlebnis fokussiert werden sondern vielmehr soll die gegenwaumlrtig in vielen Varianten anzutreffende Verbindung zwischen bdquoErleb-nisldquo und bdquoKuumlcheldquo sowie Essen und Mahlzeiteninszenierung (Unterhaltung) als

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Phaumlnomen in unserer Gesellschaft herausgestellt werden Bei der Systematisierung der Beispiele faumlllt auf dass Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo in sehr unter-schiedlichen Zusammenhaumlngen beobachtbar sind

Speise13 als13 Erlebnis13 Speise13 und13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

(Essen13 und13 Unterhaltungsprogramm)13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

13 13

Verzehr13 Kein13 Verzehr13 auszligergewoumlhnliche13 Gerichte13 exotische13 Nahrungsmit-shy‐tel13 (zB13 geroumlstete13 In-shy‐sekten)13 mit13 Brausepulver13 13 gefuumlllte13 Kaugummis13 Bubble-shy‐Tea13 FroYo13 (Frozen13 Yogurt)13 hellip13

13

Dinnershows13 Schaukuumlchen13

Themenbezogene13 Kochkurse13 bdquoKrimidinnerldquo13

Dinner13 im13 Dunkeln13 Dicircner13 en13 Blanc13

Restaurants13 mit13 Molekularkuumlche13 (Bsp13 bdquoEl13 Bullildquo13 mit13 Sternekoch13 F13 Adriagrave)13

hellip13

Food-shy‐Blog13 Kochshow13 (TV)13

Lebensmittelfotografie13 Kochbuch13 Kinofilm13

hellip13

13

Abb 1 Kategorisierung von Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo (Quelle Eigene Darstellung)

Wie Abbildung 1 zeigt reicht das Spektrum der Beispiele vom Verzehr bis hin zu solchen bei denen das Essen keine Rolle mehr spielt Auf der einen Seite loumlst der Nahrungsmittelkonsum ein Erlebnis aus und auf der anderen Seite findet kein Kon-sum statt und dennoch wird der Erlebnischarakter uumlber Essen erfasst

Beispiele fuumlr letzteres Phaumlnomen sind Kochshows Food-Blogs etc Unter Food- Blogs werden im Allgemeinen Internetblogs verstanden auf denen Blogger (Privatpersonen Schauspieler Models etc) mehr oder weniger regelmaumlszligig Beitrauml-ge uumlber das weite Themenfeld Essen oft in Verbindung mit Bildern veroumlffentli-chen Ebenso werden hier sog Kochshows im Fernsehen4 als Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo aufgefasst da auch hier eine Verbindung zwischen Erlebnis und Kuumlche besteht ohne dass die Zuschauenden selbst beim Essen teilnehmen Das Beispiel von Kochbuumlchern die einfach nur durchgeblaumlttert werden koumlnnen gehouml-ren ebenfalls in diese Spalte gleichzeitig wird deutlich dass die Uumlbergaumlnge flie-szligend sind da zuweilen das eine oder andere auch gekocht wird Fuumlr die im Schau-bild in der rechten Spalte aufgezaumlhlten Beispiele steht folglich der Unterhaltungscharakter auf visueller Ebene im Vordergrund

Im mittleren Bereich der Abbildung werden Beispiele angeordnet bei denen das Essen selbst mit weiteren (meist essensfremden) Unterhaltungselementen fuumlr die Sinne mehr oder weniger gleichgewichtig inszeniert wird Beispiele fuumlr diesen Bereich stammen uumlberwiegend aus der Erlebnisgastronomie zu der nach heutiger Auffassung etwa Mahlzeiten im Dunkeln und das Krimidinner gehoumlren An dieser Stelle gilt allerdings hervorzuheben dass die Erlebnisgastronomie keine Erfindung

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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des 21 Jahrhunderts ist wie historische Quellen aus dem 15 Jahrhundert belegen (Boron 2005) Ein weiteres Beispiel sind die bdquoDicircner en Blancldquo (Abb 2) bei denen uumlber private (Internet-)Netzwerke ein bdquoMassenpicknickldquo bevorzugt an populaumlren Plaumltzen in Staumldten wie Avenue des Champs-Eacutelyseacutees in Paris organisiert wird Alle Beteiligten sind weiszlig gekleidet

Abb 2 Dicircner en blanc in Karlsruhe 2013 (Bild copy Schlittenhardt [httpdiner-en-blanc-

karlsruhede] Schlieszliglich kann auch die Speise bzw darin verarbeitete Lebensmittel allein der Grund fuumlr ein Erlebnis sein (linke Spalte) Erfahrungsgemaumlszlig loumlsen einige Beispiele ndash auch aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten ndash uumlberwiegend bei Jugendli-chen einen Reiz aus Hierzu zaumlhlen etwa Kaugummis die zunaumlchst eine saure Oberflaumlche haben welche aber durch eine beim Zerbeiszligen austretende suumlszlige Fluumls-sigkeit neutralisiert wird oder Modegetraumlnke (zB Bubble-Tea FroYo) die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen haben

Allen beobachten Formen der bdquoErlebniskuumlcheldquo ist die Hervorhebung der Speise undoder des Essens aus dem Alltaumlglichen und die gleichzeitige Inszenierung eines i d R aumlsthetisch ansprechenden (Sinnes-)Erlebnisses gemeinsam Daraus ergeben sich Fragen und Ansatzpunkte fuumlr die fachdidaktische Diskussion Ziel dieses Beitrages ist die Idee des bdquoErlebnissesldquo aufzugreifen im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Fachpraxis Ernaumlhrung zu explorieren sowie erste Folgerungen fuumlr die Unterrichtsarbeit mit exemplarisch ausgewaumlhlten Lernideen aufzuzeigen Der vorlie-gende Beitrag kann und will dazu lediglich Impulse geben und zur Diskussion anre-gen

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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1 Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo

Wie dargestellt druumlckt der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo die Verbindung zwischen Erleb-nis und Kuumlche aus mit der Idee verbindende Elemente zwischen den unterschiedli-chen Erscheinungsformen der Erlebnisorientierung rund ums Essen hervorzuheben (vgl Brandstaumldter 2013)

Erlebnisse die grundsaumltzlich in Verbindung mit Emotionen5 stehen (vgl Salz-mann 2007) werden haumlufig auch als Buumlndelung einzelner Emotionen beschrieben (vgl Woll 1997) Diese Buumlndel koumlnnen von einem Zusammenspiel unterschiedli-cher Emotionen wie Freude Bewunderung Hass oder Billigung bestimmt sein (vgl Ortony amp Clore 1990) Eine einheitliche begriffliche Definition von Erlebnis exis-tiert derzeit nicht Vielmehr befindet man sich bdquoaugenblicklich noch auf der Suche nach einer schaumlrferen begrifflichen Fassungldquo (Muumlller-Hagedorn 2011 S49) Viele Definitionen zum Thema Erlebnis sind im Marketingbereich angesiedelt da dort Erlebnisse als Marketinginstrument in einer auf jugendliche Ausgelassenheit ausge-richteten bdquoSpaszliggesellschaftldquo zunehmend an Relevanz gewonnen haben Aumlhnliche Tendenzen und Ausdifferenzierungen sind in der (Erlebnis-)Paumldagogik6 beobachtbar

Zusammenfassend koumlnnen Erlebnissen trotz unterschiedlicher Begriffsverwen-dung Attribute wie Auszligergewoumlhnlichkeit Emotionen und Subjektivitaumlt als zentrale Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden Fuumlr die nachstehenden fachdidaktischen Uumlberlegungen ist relevant dass das Erleben selbst keine Verarbeitung des Erlebten einschlieszligt dh fuumlr einen Reflexionsprozess muss zunaumlchst eine bdquoAneignungldquo statt-finden (vgl dazu Scheller 1980)

Durch die Verbindung zwischen Kuumlche die hier als bdquokomplexes kulturelles Re-gelwerkldquo gemaumlszlig der Definition bei Barloumlsius (2011 S 126) verstanden wird und Erlebnis wird bei der bdquoErlebniskuumlcheldquo nun die Wahrnehmung von Speisen undoder Mahlzeiten zum (besonderen) Erlebnis Gemaumlszlig den drei Institutionen von Esskultur (Barloumlsius 2011) kann das Besondere durch die ausgewaumlhlten Nahrungsmittel i d R in Verbindung mit deren Zubereitung undoder uumlber die Mahlzeit erreicht werden

2 Fachdidaktische Uumlberlegungen

21 Abgrenzung von der Alltagskuumlche

Um Alltagskuumlche7 von der bdquoErlebniskuumlcheldquo abzugrenzen muss zunaumlchst festgestellt werden dass hinter den beobachteten Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo eine Profikuuml-che steht Das wird im Umgang mit kommerziellen Erlebnissen (sog bdquoEventsldquo) wichtig da diese von medialen Uumlbersteigerungen leben die weder in der Schule so realisierbar sind noch der Zielsetzung der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ent-sprechen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Uumlber die Abgrenzung der bdquoErlebniskuumlcheldquo von der Alltagskuumlche findet ein Per-spektivwechsel statt Dadurch kann erstens ndash durch den Vergleich ndash erfahrungsba-siertes (Alltags-)Wissen fuumlr den Aufbau fachspezifischer Kompetenzen bedeutsam und zweitens der Blick auf das Alltaumlgliche geschaumlrft werden Die Idee ist uumlber das Besondere den Zugang zum Alltaumlglichen zu bekommen

Wodurch wird bdquoEssenldquo zum Erlebnis Zur Beantwortung dieser Frage muss das Auszligergewoumlhnliche (Erlebnis) vom Gewoumlhnlichen (Alltag) abgegrenzt werden Das bedeutet Alltaumlgliches wird in der Abgrenzung zum Besonderen wahrgenom-men und kann dabei bdquoneuldquo entdeckt analysiert und reflektiert werden

Uumlber das Erlebnis koumlnnen auch Fragen zur Kultur und Technik der Nahrungs-zubereitung sowie Mahlzeitengestaltung herausgefordert sowie das Reflektieren uumlber die entsprechenden Prozesse angestoszligen werden ebenfalls herausgeloumlst aus dem Alltagskontext Funktionsprinzipien (Wie- und Warum-Fragen) koumlnnen inte-ressant werden um zB kuumlchentechnische Effekte zu erzielen (zB Wie entsteht ein Karamellgeschmack) Fertigkeiten und Faumlhigkeiten koumlnnen dabei gefragte fachliche Kompetenzen sein und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermoumlglichen

Intendiert ist ein vertieftes Verstaumlndnis der alltaumlglichen Handlungen dh zum Beispiel zu verstehen dass beim Essen Gemeinschaft (Familie) hergestellt wird oder im genannten Beispiel zu analysieren dass es auf die trockene Hitze beim Karamellisieren ankommt Das fuumlr die Lernprozesse notwendige Fachwissen kann (und sollte) durch die (beratende) Lehrperson und durch entsprechende Materialien bereitgestellt werden

Esskulturelle Bestimmungsgruumlnde der Wahl von Nahrungsmittel koumlnnen dabei ebenso eine Rolle spielen wie naturwissenschaftliche Erklaumlrungen Beispielsweise koumlnnen folgende Fragen wichtig werden Welche Farben lehnen wir bei Lebens-mitteln warum ab Essen wir schwarzen Reis (der im alten China dem Kaiser vor-behalten war) oder lehnen wir ihn ab Warum Wodurch erhalten bdquoSpaghetti al Nero di Seppialdquo ihre schwarze Farbe Fragen zur Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung haumlngen dabei eng zusammen (vgl Methfessel amp Schlegel-Matthies idH)

Die Schaffung eines Erlebnisses uumlber die Situation der Mahlzeit bzw der Dar-bietung der Speisen hat einen hohen Stellenwert in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Was habt ihr wie anders gemacht als im Alltag Was hat euch warum besonders gut gefal-len Welche Lebensmittel sind alltaumlglich Welche sind an besondere Anlaumlsse oder Zeiten gebunden Welche sind wobei undenkbar Auch hier geht es um Alltags-routinen die als solche erkannt werden muumlssen und wiederum auch in ihrer persoumln-lichen und gemeinsamen Bedeutung hinterfragt werden koumlnnen8

22 bdquoLerngeschichtenldquo

Im Ruumlckblick auf die Schulzeit bleiben im Allgemeinen Geschichten in Erinne-rung die oft mit bdquoAha-Erlebnissenldquo verknuumlpft sind So ist auch aus der Erlebnispauml-

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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dagogik bekannt dass erstens Lernprozesse durch Erlebnisse initiiert (motiviert) werden koumlnnen (vgl Schenz 2006) und zweitens durch Erlebnisse Lernen unter-stuumltzt wird (vgl Ebrecht 1998) Das gilt nicht nur fuumlr schulisches sondern auch fuumlr informelles Lernen Die uumlber das Erlebnis zu erreichende Aufmerksamkeit ist als Motivation aus fachdidaktischer Sicht interessant wenn daraus die Lernbereit-schaft zur Auseinandersetzung mit Einzelphaumlnomenen gefoumlrdert werden kann

Allerdings ist ein effekthaschendes Erlebnis an sich noch keine hinreichende Be-gruumlndung fuumlr die fachpraktische Eignung weil dadurch allein kein Kompetenzaufbau gefoumlrdert wird Ersetzen beispielsweise (zeitaufwaumlndige) Kreationen in Anlehnung an die Molekularkuumlche (zB Bubble-Tea) herkoumlmmliche Rezepte aus der Schulkuuml-che kann das zwar unterhaltsam sein und gut ankommen doch ohne weitergehende didaktisch-methodische Uumlberlegungen bleibt es dann auch dabei es ginge uumlber die Unterhaltung die kommerzielle Eventangebote besser realisieren kaum hinaus

23 Sinneserfahrungen

Sinneserfahrungen haben einen prominenten Platz in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Auf-grund der allgemeinen hohen Attraktivitaumlt des Themas ist von Seiten der Schuumlle-rinnen und Schuumller eine latente Offenheit gegenuumlber Neuem zu erwarten (vgl Bartsch 2008) Wird das Gewohnte zB durch veraumlnderte Kontexte oder Verfrem-dung zum Ungewohnten (Bsp Wie schmecken Karotten gedaumlmpft frittiert gegrillt getrocknet etc) kann das Alltaumlgliche interessantes Experimentiergut werden Oder es koumlnnen Geschmackserlebnisse geschaffen werden indem zB Unbekann-tes (Nahrungsmittel) mit Gewohntem (Zubereitungstechniken) gemischt wird Das Erlebnis kann neugierig machen Experimentierfreude wecken den Geschmack-sinn herausfordern und zum Kosten verlocken Aspekte der aumlsthetisch-kulturellen Bildung auf die hier lediglich hingewiesen wird sollten dabei bedacht werden (vgl Heindl 2005) Begleiten positive Emotionen dieses Unterrichtserlebnis wer-den eher Speisen gekostet die vielleicht unter anderen Bedingungen mit Aversion gegessen werden (zB Rosenkohl Fischgerichte) oder gaumlnzlich abgelehnt wuumlrden (vgl Bartsch Methfessel amp Schlegel-Matthies 2006) Auf diese Weise koumlnnen persoumlnliche Sinneserfahrungen ermoumlglicht und thematisiert werden was im Allge-meinen motivierend ist und Neugier und Interesse weckt und im Idealfall zur Voli-tion fuumlhrt

Aus fachdidaktischer Sicht stellt sich daher an dieser Stelle die Frage Wie koumlnnen Sinneserfahrungen zur Sinnesbildung beitragen Beispiel Mit bdquoDinner im Dunkelnldquo werden durch die Ausschaltung des Sehsinns auszligergewoumlhnliche Erleb-nisse in groszliger Perfektion durch kommerzielle Eventveranstalter ermoumlglicht Sin-nesbildung geht daruumlber hinaus So kann das emotionale Erleben Basis fuumlr die Re-flexion werden zB welche Funktionen Bedeutungen haben Sinne fuumlr die Ausbildung einer Esskultur fuumlr die Pruumlfung der Nahrung etc Anders als bei kom-merziellen Angeboten ist hierfuumlr eine perfekte Inszenierung nebensaumlchlich

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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3 Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

31 Erlebnis als Thema in der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die bdquoErlebniskuumlcheldquo als gesellschaftliches Alltagsphaumlnomen fordert den schulischen Unterricht in der Domaumlne Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung mehrfach heraus Perfektion und mediale Uumlbersteigerung fuumlhren haumlufig zu hohen Erwartungen seitens der Jugendlichen und insbesondere in Kombination mit bdquoEdutainmentldquo (Unterhal-tung mit Lernmoumlglichkeiten) vermehrt zu einer Konsumhaltung ndash auch in Unter-richtssituationen in denen die Eigenaktivitaumlt im Vordergrund steht und Selbstwirk-samkeitserfahrungen gemacht werden koumlnnen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

Zunaumlchst ist daher eine Positionierung sinnvoll Unterrichtserlebnisse von Frei-zeiterlebnissen abzugrenzen Ansonsten besteht die Gefahr sich in Inszenierungsde-tails zu verlieren und die fachdidaktische Zielsetzungen zu verfehlen Gleichzeitig lohnt es sich Impulse aus der Erlebnispaumldagogik aufzunehmen um jugendgerechte Zugaumlnge fuumlr die Unterrichtsarbeit zu bekommen ohne sich anzubiedern undoder den Bildungsanspruch aufzugeben (vgl Bartsch 2008) Last but not least koumlnnen Erscheinungsformen der bdquoErlebniskuumlcheldquo im Unterricht einer kritischen Bewertung unterzogen werden um daran exemplarisch Ernaumlhrungstrends und Essmoden zu erarbeiten

32 bdquoErlebnis Unterrichtldquo

Erlebnisse im Unterricht

Uumlber das Besondere kann ein jugendgerechter Zugang gefunden werden um (per-soumlnliche Grenzen uumlberschreitende) Esserlebnisse zu ermoumlglichen Jugendaktionen wie bdquoGut Draufldquo9 arbeiten im Freizeitbereich mit Inszenierungen zu Ernaumlhrung Be-wegung und Entspannung gemaumlszlig dem erlebnispaumldagogischen Ansatz (vgl Mann Schulz amp Streif 2011) Esserlebnisse im sozialen Miteinander bieten in schulischen Unterrichtssituationen einen Mehrwert der im Rahmen des didaktischen Konzepts der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung eine fruchtbare Reflexionsbasis schaffen kann ohne nachtraumlglich die Freude daran zu verderben

So eignet sich die Mahlzeit als eine zentrale Institution der Esskultur (Barloumlsius 2011) gut fuumlr Unterrichtserlebnisse (vgl Mahlzeit als Handlungsprodukte bei Bartsch amp Buumlrkle idH) Uumlber Mahlzeiten wird Gemeinschaft geschaffen die das Lernklima in den Lerngruppen uumlberwiegend positiv beeinflusst In den begleitenden Vor- und Nachbereitungen kann dazu nicht nur Speisen Tischgestaltung und -sitten eingegan-gen werden sondern koumlnnen auch soziale Mechanismen uumlber das Erleben zugaumlnglich gemacht werden um uumlber die (emotionalen) Erfahrungen auch zu reflektieren und im Hinblick auf die heutige Mahlzeitengestaltung zu diskutieren

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Beispiele

bdquoDinnerldquo unter einem Motto Dazu sind verschiedene Szenarien (bdquoAuftischen bei Koumlnigsldquo bdquoMittelalterliches Ge-lageldquoetc) denkbar Handlungsprodukt kann eine Menuumlinszenierung sein bei der die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Rollen (Essende Dienerschaft Kuuml-chenpersonal etc) uumlbernehmen die allerdings einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung beduumlrfen Dazu bietet sich ein faumlcheruumlbergreifender Unterricht an Wettbewerb als Erlebnis Eine weitere Moumlglichkeit ist die Bewertung von Mahlzeiten Fachdidaktisch inte-ressant sind dabei die Bewertungskriterien die zB reflektiert werden koumlnnen hin-sichtlich ihrer Funktion als gesellschaftliche Norm und Distinktionsinstrument Das Erlebnis kann die Gestaltung der Mahlzeit sein moumlglicherweise sind TV-Formate Vorbilder Bleibt es beim bdquoNachmachenldquo ist eine Lernchance vertan Impro-Cooking Mit der Thematik was aus Lebensmittelresten gezaubert werden kann ist ein Wettbewerb verknuumlpft (Baustein 4 des Unterrichtsmoduls bdquoWertschaumlt-zung und Verschwendung von Lebensmittelnldquo)10

Kinofilme oder Lesungen koumlnnen ebenfalls als Erlebnisse (im fachuumlbergreifenden oder bilingualen Unterricht) inszeniert werden Hier gibt es zahlreiche Ausgestal-tungsmoumlglichkeiten zB entsprechend des Formates des bdquoKulinarischen Kinosldquo11 auf der Berlinale koumlnnen diese unter verschiedenen Perspektiven analysiert inszeniert und reflektiert werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo als Unterrichtsthema

Das Phaumlnomen der bdquoErlebniskuumlcheldquo laumldt dazu ein verschiedene Aspekte zu Ernaumlh-rungsmoden zu bearbeiten und eignet sich daher gut als Projektthema Allein der Versuch die Frage zu beantworten wodurch wird Essen oder eine Speise zum Er-lebnis fuumlhrt zu einer Vielzahl von Unterrichtsthemen die bearbeitet werden koumln-nen Vergleichbar mit anderen Konsumbereichen (zB Bekleidung und Musik) folgen auch Esstrends bzw Ernaumlhrungsmoden einem Modezyklus der beispielhaft anhand der Verbreitung von Modegetraumlnken oder bdquoKochmodenldquo (Beispiel Mole-kularkuumlche) erarbeitet werden kann Eine kritische Wuumlrdigung aus fachwissen-schaftlicher Sicht gibt den Jugendlichen einen Rahmen sich eine fachlich begruumln-dete Meinung zu kommerziellen Angeboten zu bilden ohne bevormundet zu werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Ausblick

Die veraumlnderten Lebensbedingungen in Konsumgesellschaften des 21 Jahrhunderts fordern die Schule heraus Bleibt Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ihrem Bil-dungsauftrag treu geht Unterricht nicht mit freizeitorientierten Unterhaltungsange-boten in Konkurrenz Erlebnisse erzeugen Aufmerksamkeit und motivieren zum Mitmachen Die zum Lernen notwendige Volition bedeutet aber auch zielgerichtetes Wollen In Abgrenzung zur bdquoreinenldquo Unterhaltung besteht daher die Staumlrke des Un-terrichts der Sinngebung Die Beschaumlftigung mit paumldagogischen Zugaumlngen uumlber Er-lebnisse ist ein zukuumlnftiges Arbeits- und Forschungsfeld das zu einer zukunftsfaumlhi-gen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung beitragen kann

Anmerkungen 1 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 2 Blogger Tobias auf [httpbloggekonntgekochtdemolekularkueche-2-kochen-als-

kunst] 3 Der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo wurde von Jana Brandstaumldter (2013) im Rahmen ihrer

ersten wissenschaftlichen Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe entwickelt um Moumlglichkeiten des bilingualen Unterrichts in Verbindung mit The-men aus der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung zu verknuumlpfen Impulse fuumlr die-sen Beitrag kommen aus dieser Hausarbeit

4 Zu den Diskussionen um Fernsehen und Ernaumlhrung gibt es zahlreiche Literatur zB bei Roumlssler amp Willhoumlft (2004) Luumlcke Roumlssler amp Willhoumlft (2003)

5 Auf die theoretischen Grundlegungen des Begriffs Emotion wird an dieser Stelle verzichtet Weiterfuumlhrende Grundlagenliteratur zum Emotionsbegriff zB Schmidt‐Atzert (1996) Literatur zu Essen und Emotionen Pudel amp Westenhoumlfer (2003) Macht (2005)

6 Im vorliegenden Beitrag geht es darum das Phaumlnomen bdquoErlebnisldquo im Zusammen-hang mit der bdquoKuumlcheldquo essayhaft im Hinblick auf die Fachdidaktik EVB zu beleuch-ten Einzelne Elemente der Erlebnispaumldagogik sind in diesem Zusammenhang inte-ressant weitergehende Diskussionen darum sind hierfuumlr irrelevant und werden daher nicht ausgefuumlhrt Aus den gleichen Gruumlnden wird hier auch auf weitergehen-de Ausfuumlhrungen zum erfahrungsbezogenen Lernen verzichtet (vgl Scheller 1980)

7 Weiterfuumlhrende Literatur zum Alltagsbegriff Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck)

8 Weitergehende Uumlberlegungen zur Mahlzeit als Zugang zur esskulturellen Aspekten in der Fachpraxis Ernaumlhrung bei Roumlszligler-Hartmann (2012) Essen und Kommunika-tion ist ein zusaumltzlicher Aspekt der in diesem Beitrag ebenfalls nicht vertieft wer-den konnte Literatur dazu bei Heindl amp Plinz-Wittorf (2013)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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9 bdquoGut Draufldquo ist eine Jugendaktion der BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) Weitere Informationen unter [httpswwwgutdraufnet]

10 Siehe [wwwevb-onlinedeschule_materialien_wertschaetzung_uebersichtphp] 11 Weiterfuumlhrende Literatur zu Kulinaristik im Film in Kofahl Froumlhlich und Alberth

(2013)

Literatur

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Bartsch S Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (2006) Pizza Pasta Doumlner Kebab ndash Mittelmeerkost im Alltag deutscher Jugendlicher Historische und soziale Hintergruumlnde Haushalt amp Bildung 83(4) 17-26

Bartsch S (2008) Jugendesskultur Bedeutungen des Essens fuumlr Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup In Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklauml-rung (BZgA) (Hrsg) Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsfoumlrderung Band 30 Koumlln BZgA

Boron B (2005) Erlebnisgastronomie Muumlnchen GRIN Verlag Brandstaumldter J (2013) Die Erlebniskuumlche als Chance fuumlr den bilingualen

Unterricht in der Sekundarstufe I Wissenschaftliche Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe

Ebrecht A (1998) Leben und Erleben - Die Lebensphilosophie um die Wende zum 20 Jahrhundert In T Ruumllcker amp J Oelkers (Hrsg) Politische Reformpaumldagogik (S 261-277) Bern Peter Lang Verlagsgruppe

Fachgruppe REVIS (2005) Bildungsziele und Kompetenzen in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung [wwwernaehrung-und-verbraucherbildungde]

Heindl I (2005) Perspektiven einer aumlsthetisch-kulturellen Ernaumlhrungs- und Ge-sundheitsbildung - Intelligenz in den Sinnen In D von Engelhardt und R Wild (Hrsg) Geschmackskulturen - Vom Dialog der Sinne beim Essen und Trinken (S 262-277) Frankfurt Campus Verlag

Heindl I amp Plinz-Wittorf C (2013) Essen ist reden mit anderen Mitteln - Esskultur Kommunikation Kuumlche Ernaumlhrungsumschau 60(1) 8-15

Lemke H (2007) Ethik des Essens Eine Einfuumlhrung in die Gastrosophie Berlin Akademie Verlag

Luumlcke S Roumlssler P amp Willhoumlft C (2003) Appetitlich verpackt aber schwer zu verdauen Darstellung und Wirkung von Ernaumlhrung in Massenmedien ein For-schungsuumlberblick Medien amp Kommunikationswiss 51(3-4) 407-430

Kofahl D Froumlhlich G amp Alberth L (Hrsg) (2013) Kulinarisches Kino Bielefeld Transcript Film

Macht M (2005) Essen und Emotion Ernaumlhrungs-Umschau 52 (8) 304-308

bdquoErlebniskuumlcheldquo

71

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Methfessel B Bartsch S amp Roumlszligler-Hartmann M (2001) Zielgruppe Kinder und Jugendliche Bildung Marketing oder Warentest In Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (DGE) Sek Baden-Wuumlrttemberg (Hrsg) Werbung und Ernaumlh-rungsverhalten (S 74-88) Schorndorf DGE Baden-Wuumlrttemberg

Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck) Alltagskultur ndash viel beschworen ndash wenig wissenschaftlich durchdrungen Hauswirtschaft und Wissenschaft 61(4)

Muumlller-Hagedorn L (2011) Handelsmarketing Stuttgart Kohlhammer Ortony A amp Clore GCA (1990) The Cognitive Structure of Emotions

Cambridge Cambridge University Press Pudel V amp Westenhoumlfer J (2003) Ernaumlhrungspsychologie (3 Aufl) Goumlttingen

Toronto Zuumlrich Hofgrefe minus Verlag fuumlr Psychologie Roumlssler P amp Willhoumlft C (2004) Darstellung und Wirkung von

Ernaumlhrungsinformationen im Fernsehen In DGE (Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (Hrsg) Ernaumlhrungsbericht 2004 (S 347-406) Bonn DGE

Roumlszligler-Hartmann M (2012) Esskultur ndash eine zentrale Kategorie der Nahrungszubereitung Haushalt in Bildung amp Forschung 1(4) 99-107

Salzmann R ( 2007) Multidimensionale Erlebnisvermittlung am Point of Sale Wiesbaden Deutscher Universitaumlts-Verlag

Scheller I (1980) Erfahrungsbezogener Unterricht Oldenburg Universitaumlt Oldenburg

Schenz A (2006) Erlebnis und Bildung Karlsruhe Universitaumltsverlag Karlsruhe Schmidt-shy‐Atzert L (1996) Lehrbuch der Emotionspsychologie Stuttgart

Kohlhammer Woll E (1997) Erlebniswelten und Stimmungen in der Anzeigenwerbung

Analyse emotionaler Werbebotschaften Wiesbaden Deutscher Universitaumltverlag

Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch amp Jana Brandstaumldter

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe

Email bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Gastfreundschaft

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Gabriela Leitner

Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft Gastfreundschaft und Gastlichkeit sind kommunikative kulturelle Konzepte die das Zusam-menleben der Menschen historisch und aktuell praumlgen Wie weit diese als ethische Verbind-lichkeit oder konsumatorische Dienstleistung verstanden werden beeinflusst eine Gesell-schaft in politischer und kultureller Hinsicht Die Schule als Ort der Vermittlung und insbesondere der Lernbereich Ernaumlhrung sind gefragt an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mitzuarbeiten

Schluumlsselwoumlrter Gastfreundschaft Gastlichkeit Kuumlche Lernort Ernaumlhrungsbildung

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bdquoAlle Fremden und Ankoumlmmlinge sollen unbeschraumlnkt als Gaumlste aufgenommen werden wo immer sie wollenldquo

Erlass Friedrich II

1 Gastfreundschaft und Gastlichkeit

Der europaumlische Sommer ist gerade mal wieder vorbei Es sind wieder (fast) alle an ihren Platz zuruumlckgekehrt ndash sind nicht mehr Fremde an einem fremden Ort - sind wieder daheim Der Sommer gilt als Jahreszeit der Reiselust als Synonym fuumlr freie Ortswahl oder das Entdecken neuer Landschaften Kulturen Weltanschauungen Geschmacksrichtungen etc als Zeit mal wieder uumlber den Tellerrand zu blicken und die Schoumlnheiten der Welt (als Gast) wahrzunehmen und zu genieszligen

Der heutige Sprachgebrauch des Wortes Gastfreundschaft meint die voruumlberge-hende Aufnahme Bewirtung undoder Beherbergung fuumlr Fremde genauso wie fuumlr Angehoumlrige der jeweiligen eigenen Gruppe Gastfreundschaft sollte ehrlich herz-lich groszligzuumlgig und zumeist wechselseitig erfolgen kann aber auch nur einseitig als echt gelten sie wird haumlufig einer oumlkonomisch bloszlig auf Gewinn abzielenden Gastlichkeit entgegengesetzt (Kayed 2003 S 1)

Echte Gastfreundschaft zu erfahren ist nicht unbedingt selbstverstaumlndlich denn in einer oumlkonomisierten Welt ist auch Gastlichkeit eine Dienstleistung und kann ge-kauft bzw konsumiert werden bdquohellipGastlichkeit liegt allen Ablaumlufen zwischen Be-wirtung und Kundschaft Kuumlche und Gast zugrunde und gehoumlrt insofern zum er-weiterten Gegenstandsbereich einer allgemeinen Theorie und praktischen Philosophie der Esskultur kurz der Gastrosophieldquo (Lemke 2011 S 83) In die-sem Kontext ist der Gast ein Kunde (und Koumlnig) und bezahlt fuumlr die bdquoservile Gast-lichkeitldquo (ebd) Im Wirtschaftsbereich der bdquohospitality industryldquo wird das Vertrau-

Gastfreundschaft

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en welches der Gast seinem Gastgeber entgegenbringt mittels bdquoAuszeichnungenldquo (Sterne oder Aumlhnliches) verbrieft auf der Ebene der Speisen beruumlhrt dieses Thema auch die Nahrungsmittelsicherheit bdquoSie ist angesichts vieler Lebensmittelfaumll-schungen die auf heutzutage wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften aufbauen zu einem herausragenden Thema der oumlffentlichen Aufmerksamkeit ge-wordenldquo (Wierlacher 2011 S 100)

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung unserer Gesellschaften muumlssen traditionelle Kommunikationsformen wie die Gastfreundschaft unter ande-ren Gesichtspunkten uumlberlegt werden

Drei Formen der Gastlichkeit sind zu unterscheiden die anthropologische Form (wir sind alle Gast des Lebens) die politische Form bis hin zum Asyl und die kul-turelle Form die wir praktizieren wenn wir nach kulturell verschiedenen Regeln jemanden zum Essen einladen oder beherbergen Alle drei Formen sind Kultur-muster haben ihre Chancen und ihre Grenzen leiten uns an geben Regeln vor er-oumlffnen Perspektiven produktiven Umgangs miteinander und staumlrken unsere Faumlhig-keit auch dann miteinander zu reden wenn wir nicht der gleichen Ansicht oder Gesinnungsfreunde sind (Wierlacher 2011 S 1)

Der Gast kommt also nicht immer als zahlender oder geladener Gast er kommt auch als Hilfesuchender Asylsuchender Beduumlrftiger1 Diesem Gast Gastfreund-schaft zu erweisen oder nicht kann fuumlr diesen Leben oder Tod bedeuten Ihn abzu-weisen wird von den meisten Religionen und Kulturen abgelehnt es wird daran erinnert dass man selbst in eine derartige Lage kommen koumlnnte bzw dass man sich an Gott selbst vergehen koumlnnte (siehe christliche Herbergssuche) In vorchrist-licher Zeit wurde ein Gastrecht formuliert welches dem Gast zumindest fuumlr drei Tage ohne sachlichen Gegenwert Unterkunft und Verpflegung sicherte (vgl Bahr 1994 S 36)

So stehen wir vor dem zwiespaumlltigen Befund dass die verschiedenen religioumlsen Traditionen an eine urspruumlnglich uumlbermaumlszligige und nicht von vornherein limitierte Gastlichkeit erinnern wohingegen die in rechtliche Anspruumlche transformierte Gast-lichkeit jede Uumlberforderung durch eine unbegrenzte Gastlichkeit auszuschlieszligen sucht (Liebsch 2008 S 68)

Ist Gastlichkeit heute keine ethische Verpflichtung mehr sondern als bdquohospitality managementldquo Teil der Aufgaben internationaler Hotel- und Gastronomiekonzerne

2 Was bedeutet Gastsein

Ein Gast zu sein bedeutet zuallererst fremd zu sein nicht im eigenen Haus oder Land zu sein Die Bedeutung von bdquohostisldquo (lat) oder bdquoxenosldquo (griech) ist ur-spruumlnglich bdquoFremderldquo das Wort kann aber auch Feind bedeuten2 Damit ist die Ambivalenz des Gastseins schon in der urspruumlnglichen Begrifflichkeit vorhanden Der Gast ist an dem Ort an welchem er als Gast auftritt fremd und beduumlrftig eben

Gastfreundschaft

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weil er sich nicht wie in seinem eigenen Haus oder Land verhalten kann Nun ist Fremdheit genau das was wir in unserem bdquoHeimldquo oder bdquoZuhauseldquo uumlblicherweise nicht haben und auch nicht haben wollen Das eigene Heim wird als ein Ort gese-hen an welchem alles bekannt zugehoumlrig und sicher erscheint an welchem bdquoent-hemmte Kommunikationldquo (vgl Luhmann 1990 S 203f) genauso moumlglich ist wie Intimitaumlt Schwaumlche und Ruumlckzug Das Fremde Andersartige bdquostoumlrtldquo das eigene bdquoSo-seinldquo indem dieses durch das bdquoAnders-seinldquo in Frage gestellt wird Der Gast kann demnach durch sein bdquoDa-seinldquo in einem fremden Haus (oikos) oder Land fuumlr die dort zu Hause Seienden durch die Verpflichtung ihn in seiner Beduumlrftigkeit wahrzunehmen und ihm Herberge und Verpflegung zu bieten um sein Mensch Sein anzuerkennen (und das eigene Mensch Sein anzuerkennen)3 zu einer Last einer Belastung ja sogar zu einem Feind werden

Eine absolute unbedingte Gastfreundschaft wuumlrde verlangen dass wie im oben angefuumlhrten Zitat von Friedrich II jedem Unbekannten oder X-beliebigen ein Gast-status zukommen muumlsste

Die absolute Gastfreundschaft erfordert daszlig ich mein Zuhause () oumlffne und nicht nur dem Fremden (hellip) sondern auch dem unbekannten anonymen absolut Ande-ren (eine) Statt gebe (hellip) daszlig ich ihn kommen lasse ihn ankommen und an dem Ort () den ich ihm anbiete Statt haben (hellip) lasse ohne von ihm eine Gegenseitig-keit zu verlangen (hellip) oder ihn nach seinem Namen zu fragen (Derrida 2007 S 27)

In manchen Gegenden der Welt so zB in Wuumlstengebieten im beduinisch-arabischen Raum (vgl Kayed 2003 S2) hat sich historisch aufgrund der Ungast-lichkeit der TopographieGeographie eine unbedingte Gastfreundschaft entwickelt Eine derartige Gastfreundschaft ist in unserer westlichen Gesellschaft die in Nati-onalstaaten funktioniert obwohl wir sehr wohlhabend sind uumlberaus schwierig wenn nicht gar unmoumlglich vorzustellen

Zwischen einem unbedingten Gesetz der Gastfreundschaft oder einem absoluten Wunsch nach Gastfreundschaft auf der einen und einem mit Bedingungen ver-knuumlpften Recht einer mit Bedingungen verknuumlpften Politik oder Ethik auf der an-deren Seite besteht ein Unterschied eine radikale Heterogenitaumlt wenngleich sie auch untrennbar miteinander verknuumlpft sind (Derrida 2007 S105)

Es ist also geboten zumindest eine geregelte bedingte Gastlichkeit zu entwickeln in welcher der Fremde der in der bdquokosmopolitischen Tradition (hellip) ein Recht auf Gastfreundschaft besitztldquo (Derrida 2007 S 28) zuerst nach seinem Namen gefragt wird sein Name macht ihn zu einem Rechtssubjekt zu einer Person die anderswo eine Zugehoumlrigkeit (der Name bdquoals eine(r) Hypothese der Generationenldquo Derrida 2007 S 29) besitzt und mit der man aufgrund dieser Sicherheiten einen bdquoPaktldquo schlieszligen kann (vgl Derrida 2007 S 24ff) Auch auf Reisen ndash international oder national ndash muumlssen wir uns alle mittels eines Identitaumltsnachweises ausweisen unse-ren Namen und unsere Herkunft bekannt geben um als (zahlender meldepflichti-ger) Gast aufgenommen zu werden um als paktfaumlhig im Sinne einer bedingten

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Gastfreundschaft zu gelten bdquoDie eigentliche Gastfreundschaft hat demnach nur noch im Privaten uumlberlebt wohingegen die Beherbergung von Fremden zu einer oumlffentlichen und politischen Angelegenheit geworden istldquo (Liebsch 2008 S 65) bdquoJe mehr der Staat die Gastlichkeit zu seiner Sache gemacht habe und je mehr sie oumlkonomisiert worden sei desto mehr habe sich die eigentliche Gastfreundschaft die rechtliche Regeln und gewerbliche ignorierte ins Private zuruumlckgezogenldquo (Liebsch zitiert HC Peyer ebd)

3 Geladene Gaumlste

Der Begriff des Gastes verweist aber auch darauf dass das Verhaumlltnis zwischen Gastgeber bzw Gastgeberin und Gast nicht wie im herkoumlmmlichen Austausch von Guumltern und Leistungen reziprok ist Beide gesellschaftlichen Rollen ndash Gastgeber Gastgeberin und Gast ndash haben ihre Implikationen und verweisen aufeinander bdquoDoch warum sprach man nie von einem sbquoGast-nehmerlsquo warum ist es der sbquoGast-geberlsquo der den Gast sbquoempfaumlngtlsquo Verweist das nicht darauf daszlig der Gast nicht restlos auf den Tauschenden zuruumlckfuumlhrbar istldquo (Bahr 1994 S 13)

Der Gastgeber die Gastgeberin wird sich fuumlr das Kommen der geladenen Gaumlste bedanken obwohl er (oder sie) in den meisten Faumlllen einen groumlszligeren Aufwand betrieben hat als die Gaumlste und bdquoer stellt sich in den Dienst seines Gastes ohne daszlig () er dadurch zu dessen Herrn wuumlrdeldquo (Bahr 1994 S 12) Der Gast bringt zwar als eine Form des Ausgleichs ein Gastgeschenk mit und betont gegenuumlber dem Gastgeber der Gastgeberin seine dankbare Anerkennung die Beziehung zwi-schen Gast und Gastgeber bzw Gastgeberin bleibt aber unausgeglichen bdquoMan kann daher in einem gastlichen Austausch der die Wechselseitigkeit der gleichen Personen uumlberschritt die erste Form einer allgemeinen Menschlichkeit manifestiert sehenldquo (Bahr 1994 S 35)

Der Gastgeber die Gastgeberin bietet noch viel mehr an als Bewirtung oder voruumlbergehende Behausung ersie bietet den Gaumlsten eine institutionelle Freund-schaft an die Schutz gewaumlhrt und welche eine moumlgliche Ausgeliefertheit an die reine Barmherzigkeit Anderer abwendet (4) bdquoDie Person des Gastfreundes gilt als heilig weil sein Verhaumlltnis als uumlbereinstimmend mit dem des Schutzflehenden aufgefaszligt wirdldquo (Wundt zit in Bahr 1994 S46) Das Interesse des Gastgebers ist es bdquodie Person des Gastes vor der geringsten Verletzung zu bewahren (hellip) jede Spur von Hostilitaumlt auszuschlieszligen als Voraussetzung ungestoumlrten Genieszligensldquo (Bahr 1994 S 49)

Das heiszligt Gastfreundschaft erfuumlllt drei Bedingungen die zum Leben noumltig sind Gaumlste bleiben grundsaumltzlich am Leben (werden nicht getoumltet) ihnen wird materiell beim Uumlberleben geholfen (mit Nahrung Unterkunft und Schutz) und Gastfreund-schaft stiftet und erhaumllt ein soziales Band und traumlgt zum Zusammenleben bei (in-dem Gaumlste zumeist umgekehrt auch ihren Gastgeberinnen und Gastgebern und al-len anderen Gastfreundschaft gewaumlhren werden) Leben ermoumlglichen heiszligt hier

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also mehr als Menschen nur am Leben lassen es heiszligt auch sie naumlhren staumlrken stuumltzen begleiten ihnen Kenntnisse vermitteln und Freude bereiten (Kayed 2003 S 1)

Als Gast genieszligt man die volle Aufmerksamkeit des Gastgebers bezuumlglich der ei-genen Beduumlrfnisse ndash zumindest waumlhrend der Dauer des Gaststatuses Allerdings ist es auch geboten den Gastgeber nicht uumlber die Maszligen zu beanspruchen Gast sein bedeutet auch bdquodie Kunst sich rechtzeitig verabschieden zu koumlnnen ehe man Para-sit zu werden drohtldquo (Bahr 1994 S 44)

bdquoWir waren seit langem Gaumlste der Schoumlpfung und sind es glaube ich immer noch Die Houmlflichkeit unserem Gastgeber gegenuumlber gebietet es daszlig wir fragenldquo (Steiner 2004 S 345) Vielleicht ist es ein spiritueller Gedanke ein Gast auf Erden zu sein Moumlglicherweise wuumlrde es unserer Mitwelt und Umwelt und uns selbst besser bekommen wenn wir unser Da-sein auf diese Art verstehen wuumlrden eben als Gaumlste in der Welt als geladene Gaumlste Welches Gastgeschenk waumlre angesichts unserer Lebendigkeit und der Schoumlnheit der Welt angemessen und wie koumlnnten wir unsere Dankbarkeit aumluszligern

4 Dimensionen der Gastfreundschaft

Zusammenfassend koumlnnen die folgenden Dimensionen der Gastfreundschaft unter-schieden werden Sie kann

bull einseitig oder wechselseitig sein bull offen gegenuumlber allen sein oder bestimmte Personen oder Gruppen aus-

schlieszligen bull geregelt sein (Asylrecht) oder freiwillig bull begrenzt sein (drei Tage) oder unbegrenzt (vgl Kayed 2003 S 2) bull bdquokann nur poetisch seinldquo (Jaques Derrida)

5 Das Gastmahl Gastmaumlhler auf denen der sbquofremde Gastlsquo nicht mehr kannibalisch verzehrt son-dern selbst zum gemeinsamen Verzehr geladen ist stellen insofern noch dessen sbquoEinverleibunglsquo dar als er gleichsam wie ein Kind durch seine Teilnahme an der gleichen Nahrung und Ernaumlhrungsweise zum Mitglied einer Gemeinschaft wird (Bahr 1994 S 157)

In der philosophischen Literatur sind zwei Gastmaumlhler beruumlhmt geworden Das Gastmahl des Trimalchio (Petronius Arbiter in Satyrikon) und Platons Gastmahl In beiden Erzaumlhlungen oder Gleichnissen wird das Mahl halten zu einer Aussage die weit uumlber die Banalitaumlt des Hunger Stillens hinausgeht

Trimalchio ein freigelassener Sklave moumlchte seinen neu gewonnenen Status als reicher gebildeter Mann durch eine opulente Einladung zu einem Festessen mit

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literarischen akrobatischen musikalischen und theatralischen Darbietungen der suumlditalienischen Gesellschaft kommunizieren

Auf einer Platte wird ein enormes Wildschwein hereingetragen bedeckt mit der phrygischen Freiheitsmuumltze an den Hauern zwei Koumlrbchen mit Datteln An dem Tier liegen wie an seinen Eutern kleine Schweinchen aus Kuchenteig Zum Tran-chieren erscheint ein baumlrtiger Kerl in Jagdkleidung stoumlszligt dem Schwein einen Hirschfaumlnger in die Flanke Aus den sbquoWundenlsquo fliegen Drosseln heraus die ein Vogelfaumlnger wieder einfaumlngt (Bahr 1994S 160)

Die Speisenfolge ist ebenso ungewoumlhnlich als die Darbietung der Speisen tatsaumlch-lich aber wird durch die Inszenierung nur der schlechte Geschmack und die Halb-bildung des Trimalchio sichtbar er erreicht also genau das Gegenteil dessen was er beabsichtigt hat als Gastgeber seinen hohen Status zu Schau zu stellen alles in den Schatten zu stellen was vorher an Festlichkeiten geboten wurde

Geschmack klassifiziert ndash nicht zuletzt den der die Klassifikationen vornimmt Die sozialen Subjekte Klassifizierende die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede die sie zwi-schen schoumln und haumlsslich fein und vulgaumlr machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdruumlckt oder verraumlt (Bourdieu 1982 S 25)

Pierre Bourdieu macht deutlich dass der Geschmack immer das Ergebnis sozialer Zugehoumlrigkeit ist man somit anhand der Artefakte und Inszenierungen des Habi-tus feststellen kann welcher Schicht man zugehoumlrig ist Es kann demzufolge Tri-malchio gar nicht gelingen das bdquosomatisierte Klassenbewuszligtseinldquo (Sloterdijk 2009 S284) zu uumlberwinden

bdquoZwischen dem Eszligbaren und Uneszligbaren zwischen der Einverleibung und der Ausscheidung berichtet die Erzaumlhlung von einem Mahl das sich ohne sbquoGastlich-keitlsquo nur selber verzehrt haumltteldquo (Bahr 1994 S 174)

In der Erzaumlhlung von Petronius Arbiter wird aufgezeigt dass der Gastgeber mit seiner Einladung auch uumlbertreiben kann und sich damit selbst aber auch die Gaumlste der Laumlcherlichkeit preisgibt Ausufernde Dekoration zur Farce verkommene Spei-sen und uumlberladene Portionen und Darbietungen wirken der Gastfreundschaft ent-gegen Die Gaumlste des Trimalchio werden instrumentalisiert nicht um ihretwillen findet das Mahl statt und nicht um einen sozialen Zusammenhalt zu generieren sondern nur um zu protzen Gastfreundschaft gebietet auch eine Angemessenheit welche weder den Gast beschaumlmt noch den Gastgeber

Platons Gastmahl (Gastmahl griech Symposion) hingegen ist eine Siegesfeier Die Geladenen sind allesamt Freunde und berichten einander von ihrer Auffassung bezuumlglich Liebe und Leidenschaft (Eros) Es ist mehr ein Trinkgelage und eine Gelegenheit zu Wort zu kommen als ein Essen und fuumlhrt schlieszliglich dazu dass eine der wenigen weiblichen Rollen in Platons Werk Diotima (indirekt) zu Wort kommt Sie ist nicht leibhaftig anwesend in der Gruppe der allesamt maumlnnlichen Freunde wird von Sokrates zitiert und bekommt dadurch noch deutlicher den Sta-tus des Anderen Fremden Nichtgeladenen

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Das Zusammenkommen zum gemeinsamen Mahl wird in diesem Werk als Moumlglichkeit zum Philosophieren gesehen Nicht zufaumlllig waumlhlt Platon das Thema bdquoLiebeldquo (im Sinne von Eros) fuumlr das Gastmahl und ebenso durchdacht ist es dass eine Frau die Hauptrednerin ist Gemeinsames Mahlhalten verstaumlrkt die Beziehung der Geladenen untereinander die waumlhrenddessen genau dieses Thema (im weites-ten Sinn) eroumlrtern

Gastmaumlhler finden auch in der Populaumlrkultur immer wieder ihren Niederschlag beispielsweise in dem daumlnischen Spielfilm bdquoBabettes Festldquo (Oscar 1988) oder den als Tabubruch geltenden franzoumlsisch-italienischen Film bdquoDas groszlige Fressenldquo (1973)

Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird ist abhaumlngig von den Kultur-kreisen der Lebensgemeinschaften ist Ausdrucksmittel der Menschen und dient der symbolischen Kommunikation Dieses spiegelt sich in Gerichten Rezepten und Ritualen wider und dient als individuelles und gemeinschaftliches Verstaumlndi-gungsmittel Kuumlchen sind bis heute Orte dieses Geschehens durch sie wird die Be-friedigung des Beduumlrfnisses nach Nahrung zu einem kulturellen System (Barloumlsi-us 1999 zit in Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies S 195)

Gemeinsames Essen soviel ist sicher schafft Zugehoumlrigkeit und damit ein Ein- und Ausschlieszligungsmilieu in welchem es fraglich ist wer als Gast zugelassen bzw eingeladen und wer ausgeschlossen wird Diese Dynamik wird auch in Maumlr-chen verwendet um die Kraumlnkung der Ausgeschlossenheit und deren Folgen zu beschreiben Die dreizehnte Fee bei Dornroumlschen raumlcht sich schlieszliglich dafuumlr dass sie nicht eingeladen worden ist

6 Die (Schul-)Kuumlche als Ort der Gastfreundschaft

Betrachtet man das bisher Gesagte so koumlnnen wir feststellen dass Gastfreund-schaft fuumlr uns Menschen in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll ist Sie gibt uns die Sicherheit in einer ungastlichen Welt bzw in unsicheren Zeiten bei anderen Ruumlckhalt zu finden Umgekehrt uumlbernehmen wir auch Verantwortung fuumlr andere Beides staumlrkt den sozialen Zusammenhalt und die soziale Zugehoumlrigkeit was wie-derum die Lebensqualitaumlt verbessert oder sogar lebenserhaltend wirken kann Da sich die Gastfreundschaft jedoch historisch betrachtet von einer allgemeinen ethi-schen Verpflichtung jedes Menschen gegenuumlber jedem anderen Menschen fortent-wickelt hat und ein Groszligteil der diesbezuumlglichen Verpflichtung vom Staat uumlber-nommen wird ist der Anspruch des Teilens voumlllig in den Bereich des Privaten uumlbergegangen So ist der Akt des konkreten Teilens der Lebensressourcen Essen und Wohnen mit Menschen auszligerhalb des eigenen Familienkreises kaum mehr erfahrbar

Hier tritt der eigentliche Anknuumlpfungspunkt fuumlr die gesamte Thematik zutage Erfahrungen mit Gastfreundschaft koumlnnen uumlber das gemeinsame Essen aller (Mit-

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glieder einer Schulklasse oder Kochgruppe) in den Schulkuumlchen als Orte der Zube-reitung und des Geschehens selbst gemacht werden So wie das Essen selbst vom wilden fremden womoumlglich gefaumlhrlichen Rohzustand (Natur) durch putzen schauml-len kochen etc in einer Kuumlche in eine essbare Speise (Kultur) uumlbergefuumlhrt werden muss so wird auch der Verzehr der Speisen durch kulturelle Bedingungen und Regeln ritualisiert Dies ist auch bedeutsam wenn Gastfreundschaft gelernt werden soll denn auch diese kulturelle Leistung setzt soziales Wissen und Handeln voraus Wer die Rolle des Gastgebers der Gastgeberin bzw der Gaumlste uumlbernimmt und welche Implikationen daraus folgen ist dabei ebenso erfahrbar wie die Angemes-senheit einer Mahlzeit oder entsprechende Tischsitten

Die Aufnahme und der Genuss von Nahrung haben auch regressive Aspekte und so vermittelt Essen uumlblicherweise Emotionen der Geborgenheit Zuversicht des Aufgehoben- und Angenommenseins also das Gegenteil dessen was im Kapi-tel 2 als Fremdsein und Ausgeschlossensein beschrieben wurde Welche Bedin-gungen vonnoumlten sind um eine solche Mahlzeit fuumlr alle teilnehmenden Personen zu gestalten sollte ua Gegenstand der Ernaumlhrungsbildung als Kulturbildung sein

Ein Gast wird eine Mahlzeit auch dann als gastfreundlich empfinden wenn seine kulturellen weltanschaulichen gesundheitsbezogenen undoder geschmack-lichen Beduumlrfnisse und Vorlieben beruumlcksichtigt werden In einer multikulturellen (postmodernen) Welt ist es daher angebracht dass sich die regionalen Kuumlchen gegenuumlber diesen Anspruumlchen oumlffnen unter dem Aspekt der Fremdheit des Ande-ren (zT Interkulturalitaumlt) neue Variationen entwickeln bzw sich insgesamt einer kritischen Pruumlfung unterziehen Dabei geht es nicht um Aufgabe der gewachsenen kulinarischen Identitaumlt sondern um Ausweitung der gustatorischen sensorischen und produktorientierten Moumlglichkeiten um auch fuumlr spezielle Anspruumlche (Vegeta-rismus Veganismus Diaumltkuumlche kulturelle und religioumlse Vielfalt etc) Angebote zu machen Regionalitaumlt in Bezug auf Produkte und Produktionsweisen als quasi-ethische Forderung fuumlr das Paradigma der Nachhaltigkeit ist dabei nicht in Frage gestellt die regionalen Kuumlchentraditionen jedoch schon So findet man beispiels-weise in vielen Restaurants mit oumlsterreichischer Kuumlche schwerlich vegane oder koschere Speisen bestimmte Zutaten die eine Speisenwahl moumlglich oder unmoumlg-lich fuumlr spezielle Gruppen machen (zB Speck im Krautsalat) werden nicht ausge-wiesen etc

Um einem Gast Gastfreundschaft zu gewaumlhren ist es also notwendig nicht nur wie oben beschrieben nach seinem Namen zu fragen sondern daruumlber hinaus in diskreter und ruumlcksichtsvoller Manier nach seinen Lebensgewohnheiten Ableh-nungen Vorlieben und diese entsprechend kulinarisch umzusetzen Dies ist im Rahmen des Schulunterrichts in den Fachpraktischen Uumlbungen anwendbar berei-chert die fachlichen Inputs durch einen moumlglichen persoumlnlichen Bedeutungsgehalt fuumlr bestimmte Schuumllerinnen und Schuumller ndash oder auf der Ebene der Hochschule fuumlr die Studierenden ndash und eroumlffnet fuumlr alle neue Perspektiven

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Die private Kuumlche aber auch die Schulkuumlche sind Orte an welchen Ge-schmackserfahrungen moumlglich gemacht werden koumlnnen die sichern herausfordern Anspruumlche konkretisieren und Perspektiven eroumlffnen Ebenso verhaumllt es sich mit Tischsitten bdquodos and don`tsldquo in der Zubereitung und Praumlsentation Das Lernpoten-tial in Bezug auf die Thematik der Gastfreundschaft fuumlr Kinder und Jugendliche ist enorm einerseits weil Essen als konkrete unmittelbare primaumlre Lebenserfahrung lustvoll erlebt wird ebenso wie die handwerkliche Zubereitung und bdquoWerkschaf-fungldquo andererseits weil in Kuumlchen und Schulkuumlchen zumeist auch fuumlr andere ge-kocht wird Die Erfahrung der taumltigen Fuumlrsorge der hingewendeten Sorge um und Aufmerksamkeit fuumlr Andere ermoumlglicht ndash anders als bei vielem was in der Schule gelernt wird ndash den Erwerb sozialer Kompetenz auf einer direkten Ebene

Zwar dient das Essen unter dem Aspekt der Nutrition allein der Erhaltung des ei-genen Koumlrpers zugleich ermoumlglicht es aber die Oumlffnung zu den Anderen indem es die formale Voraussetzung fuumlr die Atmosphaumlre der Gastlichkeit bildet Man fuumlhrt die gleichen Bewegungen aus wie die anderen man erhaumllt seinen (Hervorhebung dd Autor) Koumlrper mit Speisen durch die auch die Koumlrper der Anderen (Hervorhe-bung d d Autor) erhalten werden Man wendet sich dem Tischnachbarn zu Diese Gemeinsamkeiten ermoumlglichen eine konfliktfreie Kommunikation (Duumlcker 2011 S 76)

Indem eine Speise auf eine bestimmte Art und Weise hergestellt wird spezielle Zutaten verwendet werden und sie in einem kulturellen Rahmen praumlsentiert einver-leibt und genossen wird kann die eigene Fremdheit und die Fremdheit des Ande-ren erkannt und oder sichtbar werden

Eine methodische Aufbereitung der Vermittlung dieser Inhalte reicht von der Ausrichtung (interkultureller) Feste uumlber die Erstellung von Ernaumlhrungsbiographien bis hin zu Verkostungen Rezeptentwuumlrfen Filmanalysen Literaturrecherchen und (Lied-) Textanalysen Das Thema Gast und Gastfreundschaft ist in allen Kuumlnsten verbreitet5

Der Themenkomplex der Gastfreundschaft ist zu umfangreich und vielschich-tig um ihm in der Kuumlrze der vorhandenen Moumlglichkeiten gerecht zu werden Die Leserinnen und Leser sind gebeten dies zu beruumlcksichtigen Eine Erhellung der Thematik und der Zusammenhaumlnge mit der Ernaumlhrungsbildung in der Fachpraxis ist hoffentlich trotzdem gelungen

Anmerkungen 1 bdquoLaut UNHCR dem UNO-Fluumlchtlingshilfswerk sind weltweit mehr als 20 Milli-

onen Frauen Maumlnner und Kinder grenzuumlberschreitend auf der Flucht gleichzeitig gibt es mehr als 20 Millionen sogenannte Binnenvertriebene die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind Sie alle fliehen vor Krieg Verfolgung Unter-druumlckung Gewalt Folter Naturkatastrophen von Menschen zerstoumlrter Umwelt Elend Armut Hunger ndash sie suchen Lebenldquo (Kayed 2003 S 2)

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2 franzoumlsisch hospitaliteacute Gastfreundschaft franzoumlsisch hostiliteacute Feindschaft 3 Emmanuel Levinas erachtet die Gastfreundschaft als etwas das uns grundsaumltzlich

uumlberhaupt zu Menschen macht bdquoIch bin fuumlr den Anderen verantwortlich ohne mich um seine Verantwortung fuumlr mich zu kuumlmmern uneigennuumltzig und nicht aus Selbsterhaltung Die Verantwortung ist kein bloszliges Attribut sondern die grundle-gende Struktur der Subjektivitaumlt Gastfreundschaft ist nicht eine von vielen Hand-lungsweisen fuumlr die oder gegen die ein Mensch sich entschieden werden kann [sic] Gastfreundschaft ist vielmehr das was das Menschsein ausmacht nicht wechselseitig im Tausch sein sondern den Anderen als Anderen leben lassenldquo (Kayed 2003 S 3)

4 In der Novelle von Albert Camus bdquoDer Gastldquo (spielt in Algerien waumlhrend der franzoumlsischen Besetzung) wird dem im algerischen Exil lebenden Lehrer Daru ein gefangener Araber der seinen eigenen Cousin getoumltet hat von einem franzoumlsi-schen Polizisten in Gewahrsam gegeben Daru laumlsst dem bdquoGastldquo nach schwerwie-genden Uumlberlegungen die Freiheit zur Flucht Der Araber aber bleibt und geht (freiwillig) ins Gefaumlngnis Von der Sippe des Arabers wird Daru bedroht weil er ihren Bruder scheinbar ausgeliefert hat

5 Lied von Arik Brauer (oumlsterreichischer Liedermacher der mit dem Fahrrad halb Europa und Israel erradelt hat) 4 Strophe bdquoFohr weg min Radl drah mi ned um I fohr weg min Radl und drah mi nimma um I kumm in a Araberzelt da waschns mir die Fuumlszlig und sing i ans von Schubert Franz da kochns mir an Grieszlig nur am dritten Tag werns grantig do bleibt der Teller leer do stirdlns ma im Rucksack um und spieln sich mitn Gwehr

Literatur

Bahr HD (1994) Die Sprache des Gastes Eine Metaethik Leipzig Reclam Barloumlsius E (1999) Soziologie des Essens Eine sozial- und kulturwissenschaftli-

che Einfuumlhrung in die Ernaumlhrungsforschung Weinheim und Muumlnchen Juven-ta zit in Heindl Methfessel Schlegel-Matthies Ernaumlhrungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer bdquokulinarischen Vernunftldquo In Ploumlger Hirsch-felder amp Schoumlnberger (Hrsg) (2011) Die Zukunft auf dem Tisch Wiesbaden Springer

Bourdieu P (1982) Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft Frankfurt am Main Suhrkamp

Derrida J (2007) Von der Gastfreundschaft (2 Aufl) Wien Passagen Duumlcker B (2011) Ritualitaumltsformen von Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg)

Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf Kayed C (2003) Gastfreundschaft und Philosophie

[wwwstoryguideatGastfreundschaft-Artikelpdf]

Gastfreundschaft

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Lemke H (2011) Philosophie der Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg) Gast-lichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Liebsch B (2008) Fuumlr eine Kultur der Gastlichkeit Muumlnchen Karl Alber Luhmann N (1990) Sozialsystem Familie In N Luhmann N Soziologische

Aufklaumlrung (Bd 5 Konstruktivistische Perspektiven) OpladenWestdeutscher Verlag

Sloterdijk P (2009) Du musst dein Leben aumlndern Frankfurt am Main Suhrkamp Steiner G (2004) Grammatik der Schoumlpfung Muumlnchen DTV Wierlacher A (2011) Aumlsthetik der Gastlichkeit oder der muumlndige Gast In A

Wierlacher (Hrsg) Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Verfasserin

Gabriela Leitner

Paumldagogische Hochschule Oberoumlsterreich Fachbereich Ernaumlhrung Humanwissenschaften

Kaplanhofstraszlige 40 A-4020 Linz

E-Mail gabrielaleitnerph-ooeat

Betriebskuumlche als Lernort

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Brigitte Mutz

Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz Die Betriebskuumlche ndash Ort der Zubereitung in der Gemeinschaftsverpflegung1- soll vor allem ein Lernort der Selbstkompetenzen als auch der Sozialkompetenzen sein Hauptaugenmerk soll auf die Ausbildung und Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz gelegt werden Die besondere Bedeutung liegt dabei auf der Entwicklung von Empathie die sich auf das Zu-sammenleben der Menschen im Wesentlichen auswirkt

Schluumlsselwoumlrter Betriebskuumlche Selbstkompetenz Sozialkompetenz Qualitaumltsstandards Gemeinschaftsverpflegung nachhaltige Verpflegung

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1 Einleitung

Wesentliches Ausbildungsziel einer berufsbildenden mittleren und houmlheren Schule fuumlr wirtschaftliche Berufe ist es dass Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind ihr Fachwissen nicht nur durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern das erworbene Fachwissen in realen persoumlnlichen und beruflichen Herausforderungen einzusetzen vermoumlgen Schuumllerinnen und Schuumller machen unmit-telbar nach der Schule bzw waumlhrend ihrer Ausbildung ein Praktikum in der Gastro-nomie Um Jugendliche auf die Anforderungen der Arbeitswelt bestmoumlglich vorzu-bereiten ihre Persoumlnlichkeit zu staumlrken um Belastungen durch das soziale Umfeld leichter zu verkraften bedarf es einer Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenzen Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung kann diese Foumlrderung stattfinden denn Schuumllerinnen und Schuumller kochen im Rahmen ihres Unterrichts in der Betriebskuumlche der eigenen Schule oder im Rahmen ihres Pflichtpraktikums in anderen Einrichtun-gen wie Gastronomie und Hotellerie

2 Die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in Oumlsterreich

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fuumlhren zu einer steigen-den Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in der Ernaumlhrung weiterer Bevoumllke-rungsschichten der Gesellschaft Neben berufstaumltigen Erwachsenen werden auch Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Berufstaumltigkeit von Eltern oft schon in einem sehr fruumlhen Alter auszliger Haus versorgt Dazu kommen in Wohneinrichtun-

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gen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Kranken-haumlusern die durch Gemeinschaftsverpflegungsdienste versorgt werden

Betriebe der Auszliger-Haus-Verpflegung tragen somit nicht nur in steigendem Ma-szlige Verantwortung fuumlr die Gesundheit der Essensgaumlste sondern auch fuumlr Wirtschaft Gesellschaft und Umwelt Dies hat folgenden Grund Zum einen nehmen sie uumlber die Auswahl der Lebensmittel Einfluss auf eine bestimmte Art der Erzeugung Verarbei-tung und Vermarktung mit den jeweiligen oumlkonomischen sozialen und oumlkologischen Folgen Zum anderen nutzen sie bei der Zubereitung der Lebensmittel zu Speisen direkt und indirekt die Guumlter der Natur Diese Erkenntnis bildet die Grundlage fuumlr die Forderung nach einer nachhaltigen bzw zukunftsfaumlhigen Wirtschaftsfuumlhrung in Be-trieben der Auszliger-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung muss sich weiterentwickeln Weg von der vor-herrschenden Menuumlgestaltung die von unausgewogener Ernaumlhrung gepraumlgt ist hin zu ausgewogener Speiseplangestaltung die sich vor allem an den Beduumlrfnissen ihrer Gaumlste orientiert Gesunde Ernaumlhrung muss bereits im Kindergarten ansetzen und sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche und - abschnitte ziehen Die Gemein-schaftsverpflegung hat dabei eine unterstuumltzende Rolle und sollte ein gutes Vorbild sein

Um diese Wandlung in der Gemeinschaftsverpflegung voranzutreiben und um kuumlnftig einen gewissen Mindeststandard hinsichtlich Qualitaumlt sichern zu koumlnnen ist es notwendig Richtlinien zu definieren und Grenzen festzulegen

Rund 18 Millionen Menschen darunter 380000 Kinder und Rund 70000 Senio-ren und Seniorinnen nutzen taumlglich das Speisenangebot oumlsterreichischer Groszligkuumlchen (Toumlscher 2011)

21 Auszliger-Haus-Konsum

Aufgrund von veraumlnderten zeitlichen und persoumlnlichen Umstaumlnden greifen Konsu-mentinnen und Konsumenten vermehrt auf Essen auszliger Haus zuruumlck Laut einer Online-Umfrage an 501 Personen (repraumlsentativ fuumlr Oumlsterreicherinnen und Oumlsterrei-cher ab 15 Jahren) isst die oumlsterreichische Bevoumllkerung regelmaumlszligig zu 24 in Kan-tinen zu 21 in Restaurants und zu 16 in Fast-Food-Lokalen das Mittagessen wird immer haumlufiger auszliger Haus verzehrt (Bundesministerium fuumlr Land- und Forst-wirtschaft Umwelt und Wasserwirtschaft 2010)

Neben dem Konsum von Speisen in Restaurants Imbissbuden Fast-Food-Lokalen und aumlhnlichem nimmt die Gemeinschaftsverpflegung einen immer wichti-geren Stellenwert in der Bewirtung der Bevoumllkerung ein Berufstaumltige Erwachsene in betreuten Wohneinrichtungen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Krankenhaumlusern werden von Gemeinschaftsverpflegungsdiensten versorgt Durch die steigende Berufstaumltigkeit der Frauen essen auch vermehrt Kinder auszliger Haus zB in Kindergaumlrten Schulbuffets Horten etc (Elmadfa et al 2012)

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22 Gastgewerbe

Unter der Bezeichnung Gastgewerbe werden alle Dienstleistungen fuumlr den Gast ver-standen welche im Zusammenhang mit Verpflegung und Beherbergung stehen (sie-he Abbildung 1)

Abb 1 Die Gemeinschaftsgastronomie im Gesamtkontext des Auszliger-Haus-Konsums

(Quelle Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Das Gastgewerbe kann in vier Sparten unterteilt werden o Gastronomie (Gemeinschaftsgastronomie Individualgastronomie) o Transport mit Verpflegung (Flugzeug Schiff) o Beherbergung mit Verpflegung (Hotel Jugendherberge) o Beherbergung ohne Verpflegung (Motel)

23 Gastronomie

Der Bereich Gastronomie laumlsst sich wiederum in die Gemeinschaftsgastronomie und die Individualgastronomie unterteilen Der Begriff Individualgastronomie umfasst alle kommerziellen Einzelgastronomiebetriebe mit wechselnder Kundschaft wie zB Restaurants Cafeacutes Bars Take-away- und Fast-Food-Lokale sowie Event-Catering Party-Service etc

Die Taumltigkeitsfelder der Gemeinschaftsgastronomie sind die Bereiche Betriebs- und Personalverpflegung Spital- und Heimverpflegung und Verpflegung im Erzie-

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hungs- und Bildungssektor Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen das Angebot entweder als Teilverpflegung (Kindergaumlrten Schulen) oder Vollverpfle-gung (Internate Seniorenwohnheime Strafvollzugsanstalten etc) in Anspruch (vgl Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Die Individualgastronomie kann auch mit der Gemeinschaftsgastronomie ver-knuumlpft sein wenn zB Einzelgastronomiebetriebe taumlglich Speisen an Unternehmen oder Kindergaumlrten liefern

24 Gemeinschaftsverpflegung (GV)

Die Definition fuumlr bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo laut oumlsterreichischem Ernaumlhrungsbe-richt 2012 lautet bdquoEine im Preis limitierte Verpflegung eines begrenzten Personen-kreises an einem Ort an dem ein laumlngerer Aufenthalt dieser Personen aus organisato-rischen Gruumlnden erforderlich istldquo (Elmadfa Freisling Nowak amp Hofstaumldter 2009)

bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo im Sinne der Groszligkuumlchen-Leitlinie ist bdquoDie regel-maumlszligige Versorgung einer grundsaumltzlich konstanten Personengruppe mit Speisen im Rahmen eines laumlngerfristigen Auftragesldquo (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

Allgemeine Kennzeichen fuumlr die Gemeinschaftsgastronomie-verpflegung sind o Die Konsumentinnen und Konsumenten haben verschiedene Aufenthaltsformen in

der InstitutionEinrichtung (zB Bewohner Arbeitspersonal) o Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen regelmaumlszligig ein gastronomisches

Angebot in derselben InstitutionEinrichtung in Anspruch o Je nach Verpflegungssystem (zB Mischkuumlche Tiefkuumlhlsystem Cook-and-Chill2

oder Warmverpflegung) sind verschiedene Akteure an der Produktion und Bereit-stellung des Speisenangebots beteiligt

o Die Verpflegungsleistung kann entweder durch Eigenregie (Spitalskuumlchen) oder durch externe Betriebe (Catering-Unternehmen im Geschaumlftsfeld Gemeinschafts-gastronomie) erbracht werden

o Ein Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb hat als erstrangiges Ziel die Verpflegung der Personengruppen sicher zu stellen nachrangig ist die Erwirtschaftung von Gewin-nen (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

3 Der Unterschied von Selbst- und Sozialkompetenz

Die uumlberarbeiteten kompetenzbasierten Lehrplaumlne der Houmlheren Lehranstalten fuumlr Wirtschaftliche Berufe und Fachschulen sind in Entwurf und treten voraussichtlich im Jahr 2014 in oumlsterreichischen Schulen in Kraft Laut allgemeinen Bildungszielen werden Absolventinnen und Absolventen zu folgenden Kompetenzen befaumlhigt Fachkompetenz Methodenkompetenz Medienkompetenz soziale und personale Kompetenz kommunikative Kompetenz und emotionale Kompetenz

Kompetenzen sind Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zur Bewaumlltigung komplexer Problemstellungen Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen

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zum Handlungsvollzug Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Faumlhigkei-ten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus (vgl Beer amp Benischek 2011 S 9)

Die Selbstkompetenz (auch personale Kompetenz) beschreibt den Umgang des oder der Einzelnen mit sich selbst Die Selbstkompetenz bildet die Basis fuumlr die Entwicklung der Sozialkompetenz Nur ein Mensch der sich uumlber sich selber im Klaren ist und mit sich selbst wertschaumltzend umgehen kann wird ein solches Verhal-ten auch bei seinen Mitmenschen zeigen (vgl Strasser Osinger amp Sburny 2001 S 60ff)

Selbstkompetenz setzt sich aus fuumlnf Bausteinen zusammen Alle fuumlnf Bausteine sind notwendig um die Persoumlnlichkeitsentwicklung der Schuumllerinnen und Schuumller zu unterstuumltzen und zu foumlrdern

o Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sich selbst wertzuschaumltzen auf die selbst erbrachte Leistung stolz sein fuumlr ein selbstsicheres Auftreten ist die Faumlhigkeit sich ein Bild uumlber seine eigenen Gefuumlhle Staumlrken Schwaumlchen Grenzen und Verhal-tensmuster machen zu koumlnnen sehr wichtig

o Selbstverantwortung und Selbststeuerungsfaumlhigkeit Verantwortung fuumlr sich selbst uumlbernehmen aber auch fuumlr andere seine Gefuumlhle kennen und steuern koumlnnen

o Eigeninitiative sich selbst motivieren koumlnnen freiwilliges Engagement zeigen und aktiv mitarbeiten koumlnnen

o Flexibilitaumlt gewohntes Denken Verhalten und Einstellungen zu hinterfragen um fuumlr neue Ansichten oder Werte offen zu sein

o Belastbarkeit und Durchsetzungsvermoumlgen Umgang mit Stress Aumlrger und Frustra-tion (Giessen 2009)

Tab 1 Emotionale Intelligenz-Theorie (Quelle vgl Giessen 2009 S 23)

Ich Selbstkompetenz

Andere Sozialkompetenz

Erkennen Selbstbewusstsein uuml Emotionales Selbstbewusst-

sein uuml Korrekte Selbstbeurteilung uuml Selbstvertrauen

Sozialbewusstsein uuml Empathie uuml Dienstleistungsorientierung uuml Organisationsbewusstsein

Lenken Selbstmanagement uuml Selbstkontrolle uuml Vertrauenswuumlrdigkeit uuml Gewissenhaftigkeit uuml Anpassungsfaumlhigkeit uuml Erfolgsorientierung uuml Entschlusskraft

Beziehungsmanagement uuml Einfluss uuml Kommunikationskompetenz uuml Konfliktmanagement uuml Fuumlhrungskompetenz uuml Innovationen ermoumlglichen uuml Vertrauens erweckend uuml Teamwork Zusammenarbeit

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Bei der Sozialkompetenz steht eine Person in der Interaktion mit anderen Personen im Mittelpunkt Zentraler Punkt dieser Faumlhigkeit ist mit sich und seinem Umfeld zurechtzukommen Soziale Kompetenz fordert aber einige Grundvoraussetzungen an die eigene Person Unterstuumltzend wirken zum Beispiel ein gesundes Maszlig an Selbst-wertgefuumlhl und Selbstvertrauen Eigenverantwortung und Selbstdisziplin (vgl Adler 2012 S 21ff)

Gaisbacher und Pongratz beschreiben die Sozialkompetenz als wichtiges Hilfs-mittel um sowohl privaten als auch beruflichen Erfolg gewaumlhrleisten zu koumlnnen Mit Menschen zu kommunizieren sich in ein Team einzufuumlgen und zusammenzuarbei-ten ist bereits fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller in ihrem alltaumlglichen Umfeld von groszliger Bedeutung Spaumlter kommen Faumlhigkeiten wie uumlberzeugendes Argumentieren und Praumlsentieren hinzu Sozial kompetent zu sein bedeutet sich sowohl in privaten als auch beruflichen Konfliktsituationen uumlber das eigene Handeln bewusst zu sein und eine angemessene Loumlsung zur Konfliktbewaumlltigung finden zu koumlnnen (Gaisbacher amp Pongratz 2012)

Fuumlr Lernende ist es in der heutigen Zeit von groszliger Bedeutung ihr Wissen nicht durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern es in realen per-soumlnlichen und beruflichen Herausforderungen zu nutzen Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet die Schuumllerinnen und Schuumller in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihnen dabei zu helfen ihre Staumlrken zu finden und diese zu festigen Die Jugendlichen sollen sich am Unterrichtsgeschehen aktiv beteiligen und in kon-kreten Lernsituationen selbststaumlndig Lern- und Loumlsungswege finden Lernende sollen durch Interaktionen mit anderen Personen Kompetenzen ausbilden

4 Die Bedeutung des Unterrichts in der Betriebskuumlche auf die Selbst- und Sozialkompetenz von Jugendlichen

Es gibt eine Reihe von Modellen und Moumlglichkeiten die Sozial- und Selbstkompe-tenz auszubilden beziehungsweise zu foumlrdern Bei dem von der Autorin angefuumlhrten Modell liegt der Schwerpunkt auf der Selbstwahrnehmung das heiszligt der Umgang mit eigenen Gefuumlhlen der Wahrnehmung eigener Staumlrken und Schwaumlchen und der Faumlhigkeiten zur Selbstmotivation Ruumlcksichtnahme Akzeptanz und Mitgefuumlhl sind Voraussetzung fuumlr ein friedliches Zusammensein Der bewusste Umgang mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend fuumlr ein sozial kompetentes Verhalten Das sagt auch schon J Bauer in seinem Buch bdquoPrinzip Menschlichkeitldquo bdquoDie staumlrkste und beste Droge fuumlr den Menschen ist der andere Menschldquo (Bauer 2008 S 54)

bdquoSoziales Lernen resultiert zum einen aus der absichtlichen gezielten Foumlrderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung (Sozialerziehung) zum anderen aber auch aus dem taumlglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernenldquo (Keller amp Hafner 2003 S 9) Schuumllerinnen und Schuumller lernen unbewusst durch Beobachten bzw Nachah-

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men von ihren Eltern Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch ihre Mitschuumllerin-nen und Mitschuumller

5 Umsetzung im Unterricht Arbeiten im Team ndash Unterricht in der Betriebskuumlche

Der Methodeneinsatz zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz kann nur er-folgreich sein wenn die Voraussetzungen der Klasse mit den Voraussetzungen fuumlr die Umsetzung der Methode uumlbereinstimmen Dieser Grundsatz bedeutet dass nicht jeder Methodeneinsatz immer in jeder Klasse erfolgreich sein kann Es geht vielmehr darum den Schuumllerinnen und Schuumllern unterschiedliche Wege und Moumlglichkeiten vorzustellen wie sie kompetenzorientierte Faumlhigkeiten ausbilden koumlnnen (vgl BMUKK 2011 S 12f)

Um die Komplexitaumlt der Bildungsstandards vereinfacht darzustellen wurden kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele entworfen In den Unterrichtsbeispielen wird die Anwendung des Kompetenzmodells und der Deskriptoren illustriert Um den aktuellen Anforderungen der Unterrichtsplanung gerecht zu werden wurde das Kompetenzmodell fuumlr soziale und personale Kompetenz des Bundesministeriums fuumlr Unterricht Kunst und Kultur in die Entwicklung des vorliegenden Unterrichtsbei-spiels herangezogen und als Hilfestellung fuumlr alle Lehrerinnen und Lehrer gedacht (vgl BMUKK 2012 S 5f)

Im Folgenden wird ein Auszug eines Unterrichtsbeispiels mit dem Thema bdquoDas Arbeiten im Teamldquo vorgestellt Der methodische Ansatz dient zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz der Jugendlichen Im Sinne des kompetenzorientierten Zuganges wurde als Erarbeitungsform das kooperative Lernen2 gewaumlhlt Die Lernen-den sind mit dieser Methode bereits vertraut und haben damit schon positive Erfah-rung gemacht Dies wurde aus fruumlheren Reflexionsphasen evaluiert

In einer Vorbereitungsphase planen die Lernenden im Team die Unterrichtsse-quenz in der Betriebskuumlche Sie bekommen dafuumlr die notwendigen Unterlagen Ziel ist es das die Lernenden selbststaumlndig die Arbeiten aufteilen die Arbeitsschritte detailliert ausarbeiten und in der Unterrichtseinheit umsetzen Die Schuumllerinnen und Schuumller geben einander Hilfestellungen Je besser die Lernenden zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstuumltzen desto besser wird auch das Ergebnis sein In der folgenden Aufgabenstellung bekommen die Schuumllerinnen und Schuumller genaue Erlaumlu-terungen fuumlr die Arbeitsaufgabe und das Stundenziel

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Tab 2 Arbeiten im Team Aufgabenstellung und Erlaumluterungen fuumlr Lernende (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011)

AUFGABENSTELLUNG UND ERLAumlUTERUNGEN ndash LERNENDE

Ausgangssituation Die Aufgabenstellungen die in der Unterrichtseinheit in der Betriebskuumlche zu bewaumlltigen sind koumlnnen im Wesentlichen in folgende Teilbereiche gegliedert werden

1 Vorbereitungsphase Studieren der bereitgestellten Unterlagen Wiederholen der wesentlichen the-oretischen Lehrinhalte wie zB Zubereitungsarten Verteilen der Aufgaben auf die Teammitglieder Erstellen eines Arbeitsplans mit Arbeitsschritten verteilt auf Teammitglieder und Betriebsmittel ge-naue Zeiteinteilung fuumlr die Durchfuumlhrungsphase (incl Mise en place Praktische Arbeit wie Zuberei-tungszeit Essensausgabe und Nacharbeit)

2 eventuelle Ruumlckfragen bei Lehrerin (kann entfallen) 3 Durchfuumlhrungsphase (Mise en place Praktische Arbeit Nacharbeit) 4 Ergebniskontrolle und Feedbackphase (Selbst- und Gruppenreflexion)

Sie erhalten fuumlr die Unterrichtseinheit (mindestens 1 Woche vor dem Unterricht) Rezepte Einkaufszettel und genaue Personenanzahl Je besser die Teammitglieder zusammenarbeiten desto effizienter und ergebnisorientierter kann die Unter-richtseinheit durchgefuumlhrt und die praktische Arbeit bewaumlltigt werden Aufgabenstellung Sie fuumlhren mit Ihren Mitschuumllerinnen in Teams 4 ndash 5 Personen in der Betriebskuumlche gemeinsam eine Unter-richtseinheit durch Sie erhalten dafuumlr eine praktische Aufgabenstellung die Rezepte ev Schwerpunktsetzung Zeiten fuumlr Essensausgabe genaue Personenanzahl in der Betriebskuumlche Der Inhalt wird Ihnen in einer Vorbesprechung von demder Lehrerin erlaumlutert und enthaumllt im Wesentlichen die oben angefuumlhrten Teilaufgaben Im Rahmen Ihrer Vorbereitung muumlssen Sie die notwendigen Arbeitsschritte erkennen und innerhalb Ihres Teams aufteilen Zusaumltzlich werden Sie Regeln erfolgreicher Teamarbeit versuchen anzuwenden Abschlieszligend reflektieren Sie die Einhaltung der Regeln und Ihre Zusammenarbeit im Team Vorgangsweise

Schritt 1 Besprechen Sie als Teil der Vorbereitung in Ihrem Team den Unterrichtsverlauf und fuumlhren Sie die notwendige Zuordnung der notwendigen Teilaufgaben durch Beruumlcksichtigen Sie dabei die indi-viduellen Faumlhigkeiten der einzelnen Teammitglieder Versuchen Sie im gemeinsamen Gespraumlch einen Konsens zu finden Wiederholen Sie auch die Regeln erfolgreicher Teamarbeit die Sie mit Ihrer Lehrerin in der Klasse erarbeitet haben Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 2 Am Beginn der Unterrichtseinheit bespricht Ihr Team mit demder Lehrerin die fachlichen In-halte Zuordnung der Arbeitsaufgaben auf die einzelnen Teammitglieder und zeitlichen Rahmen Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 3 Waumlhrend der Unterrichtseinheit versuchen Sie und Ihre Teammitglieder die Ihnen zugeordne-ten Teilaufgaben so gut wie moumlglich zu erledigen gegenseitige Unterstuumltzung ist dabei sinnvoll und fuumlhrt zu besseren Ergebnissen Zusaumltzlich versuchen Sie Ihre Regeln erfolgreicher Teamarbeit umzusetzen Kontrollieren Sie vor der Essensausgabe im Team Ihre Ergebnisse Setzen Sie eventuell Verbesserungs-vorschlaumlge um Zeitbedarf in Abhaumlngigkeit der Unterrichtseinheit

Schritt 4 Vor Ende der Unterrichtseinheit fuumlllt jedes Teammitglied das Feedbackblatt aus und in einer Abschlussbesprechung mit demder Lehrerin eroumlrtern Sie gemeinsam die wesentlichen Ergebnisse und die Zusammenarbeit im Team Zeitbedarf ca 10 ndash 15 min

GUTES GELINGEN IM TEAM SIND SIE STARK

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Fuumlr ein erfolgreiches Arbeiten sollten zu Beginn Teamregeln definiert werden Als Beispiel kann das angefuumlhrte Arbeitsblatt dienen Tab 3 Arbeiten im Team Arbeitsblatt Teamregeln (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash

Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011) ARBEITSBLATT bdquoTEAMREGELNldquo

Regeln fuumlr erfolgreiche Teamarbeit Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Arbeits- und Verhaltensregeln die wesentlich zum Erfolg der gemeinsamen Arbeit beitragen

Verwenden Sie dabei die folgende Vorgangsweise

1 Jedes Teammitglied notiert zunaumlchst einzeln fuumlr sich die ihm persoumlnlich wichtigsten fuumlnf Regeln fuumlr eine erfolgreiche Teamarbeit

2 Anschlieszligend werden diese im Team besprochen und eventuell durch Nachfragen eroumlrtert 3 Bestimmen Sie nun gemeinsam mit Ihrem Team die acht wesentlichen Regeln fuumlr erfolgreiche

Teamarbeit Dies sollte nach intensiver Diskussion und auf demokratische Weise geschehen 4 Praumlsentieren Sie nun Ihre Teamregeln in der Klasse Gemeinsam mit demder Lehrerin und den

Mitschuumllerinnen einigen Sie sich anschlieszligend auf zehn Regeln die verbindlich in allen Teams eingefuumlhrt werden sollen

5 Versuchen Sie die beschlossenen Regeln im Rahmen Ihrer Teamarbeit bei den Unterrichtseinheiten in der Betriebskuumlche einzuhalten

Meine persoumlnlichen fuumlnf Teamregeln

Die acht Teamregeln unseres Teams

Die zehn Teamregeln in unserer Klasse

In einer abschlieszligenden Besprechung nach der Unterrichtseinheit wird von den Ler-nenden ein Feedbackbogen ausgefuumlllt im Team besprochen und Verbesserungsvor-schlaumlge ausgesprochen

6 Fazit

Abschlieszligend laumlsst sich sagen dass mit Hilfe des theoretischen Fachwissens klar erkennbar wird dass nur ein Mensch der seine eigene Identitaumlt gefunden hat seine Persoumlnlichkeit akzeptiert und wertschaumltzt in der Lage ist ein solches Verhalten auch seinen Mitmenschen gegenuumlber zu zeigen Mit Hilfe des beschriebenen Unterrichts-entwurfes bdquoArbeiten im Team in der Betriebskuumlcheldquo konnte aufgezeigt werden welche Moumlglichkeiten bereits vorhanden sind um eine Foumlrderung von Selbst- und Sozialkompetenz durchzufuumlhren Eine zentrale Funktion der Lehrkraumlfte sollte sein jene Kompetenzen zu foumlrdern welche es den Jugendlichen ermoumlglichen sowohl selb-staumlndig als in Zusammenarbeit mit anderen Menschen effektiv und mit Freude zu arbeiten

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Anmerkungen 1 bdquoVersorgung bestimmter Verbrauchergruppen mit Speisen und Getraumlnken oft uumlber

einen laumlngeren Zeitraum und regelmaumlszligig waumlhrend der Anwesenheit in Betrieben Gesundheitseinrichtungen Schulen Heimen Kindergaumlrten Kasernen usw Die Versorgung kann sich auf einzelne Mahlzeiten (zB Schuumllerspeisung) oder alle Ta-gesmahlzeiten (zB in Krankenhaumlusern) erstreckenldquo (Zobel 2000 S 133)

2 bdquoDidaktische Strategie mit dem Ziel alle Lernenden ertragsorientiert in den Unter-richt zu integrieren kombiniert mit dem dazu geeigneten Methodenrepertoireldquo (Mattes 2011 S 20f)

Literatur

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Verfasserin

Brigitte Mutz

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung

Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien

E-Mail brigittemutzphwienacat Internet wwwphwienacat

Ernaumlhrungskompetenz

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______________________________________________________________

Sigrid Kuumlstler

Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen In den berufsbildenden Schulen treffen auf dem Gebiet der Ernaumlhrungsbildung zwei Lernorte aufeinander der theoretische Unterricht Ernaumlhrung (Lernort Klassenzimmer) und der fach-praktische Unterricht (Lernort Schul- bzw Betriebskuumlche) Es soll aufgezeigt werden wie Ernaumlhrungskompetenz in diesen beiden Lernorten entwickelt werden kann

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Ernaumlhrungskompetenz Empowerment Handlungsfauml-higkeit Selbststaumlndigkeit

______________________________________________________________

1 Bedarfsgerechtes Ernaumlhrungsverhalten ermoumlglichen

Das Problem dem Menschen in nahezu allen Lebensbereichen gegenuumlberstehen ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln Als Beispiele seien hier das Umwelt- Ernaumlhrung- und Sportverhalten genannt Fuumlr alle diese Lebensbereiche gilt das Glei-che Wir wissen zwar wie es theoretisch ginge das heiszligt wir verfuumlgen uumlber das entsprechende fachliche Know-how aber leider handeln wir nur in wenigen Faumlllen auch entsprechend Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Fach-bereiche beschaumlftigen sich mit diesem Phaumlnomen Waumlhrend Biologen und Biologin-nen der Frage nachgehen bdquoWie kommt man vom Umweltwissen zum Umwelthan-delnldquo ist die ernaumlhrungsrelevante Frage bdquoWie kommt man vom Ernaumlhrungswissen zur Ernaumlhrungskompetenzldquo

Grau amp Legutke (2013) sehen den Lernort Klassenzimmer als Kernzone fuumlr das Erlernen von fremdsprachlicher Kompetenz Gleiches muss auch fuumlr den Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz gelten Die Kernzone Klassenzimmer wird in oumlsterreichischen berufsbildenden Schulen durch den Lernort Schulkuumlche erweitert So koumlnnen die ernaumlhrungsbildenden Kompetenzen die im oumlsterreichischen Referenzrahmen fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbrauchbildung formuliert wurden in beiden Lernorten verankert und trainiert werden Der vorliegende Artikel versucht dies an den beiden Kompe-tenzen bdquoEB 1 Das eigene Essverhalten reflektieren und bewertenldquo und bdquoEB 2 sich vollwertig ernaumlhren koumlnnenldquo (Buchner amp Schuh 2009 S 8) zu verdeutlichen Die Frage die sich stellt ist wie diese beiden innerschulischen Lernorte auch primaumlre Lernorte genannt (vgl Thomas 2009) die Entwicklung der Ernaumlhrungskompetenz von Lernenden foumlrdern koumlnnen Die zwei Lernorte schaffen ideale Voraussetzungen um bei entsprechender Lernbereitschaft der Lernenden sowohl kognitive als auch operationale Kompetenzen zu erwerben bzw weiterzuentwickeln in anderen Worten die Handlungsfaumlhigkeit der Lernenden anzubahnen

Ernaumlhrungskompetenz

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Um Schuumller und Schuumllerinnen zu handlungsfaumlhigen Akteuren zu erziehen brau-chen sie im Unterricht konkrete Handlungsanlaumlsse Diese koumlnnen im geschuumltzten Rahmen dem Lernort umgesetzt geuumlbt und letztlich reflektiert werden Peterszligen (2001) definiert Handlungsfaumlhigkeit wie folgt bdquoAls handlungsfaumlhig gilt wer imstan-de ist selbststaumlndig mit moumlglichst vielen Situationen fertig zu werden in die sein Leben ihn hineinfuumlhrt weil er die darin vorfindbaren Probleme eigenstaumlndig zu loumlsen faumlhig istldquo (S 10) Handlungsfaumlhigkeit ist fuumlr Peterszligen ein ganzheitlich-integratives Konzept dass sich aus der Schnittmenge von fundierter Sach- Sozial- Moral- und Methodenkompetenz ergibt1

Ziel des Ernaumlhrungs- und Kuumlchenfuumlhrungsunterrichtes muss diese Handlungsfauml-higkeit bzw der Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz sein Im Vorwort des aid-Tagungsbandes Du isst wie du bist Ernaumlhrungskompetenz ist Lebenskompetenz fasst Buumlning-Fesel Ernaumlhrungskompetenz wie folgt zusammen

Ernaumlhrungskompetenz [ist] die Faumlhigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Ernaumlhrungsalltag in ein angemessenes Handeln umzusetzen zum Beispiel im Sinne einer gesunden und nachhaltigen Ernaumlhrung (Buumlning-Fesel 2011 S 6)

Das Umsetzen der erworbenen Faumlhigkeiten das Entwickeln von Kompetenzen muss also im Fokus des Unterrichts stehen Im Sprachunterricht orientiert man sich zur Erfuumlllung dieser Aufgabe am handlungsorientierten Unterricht (task-based teaching) So werden im primaumlren Lernort Klassenzimmer Alltagssituationen kreiert sogenann-te bdquotasksldquo (Aufgabenstellungen) gegeben die so realitaumltsnah wie moumlglich geuumlbt wer-den Eine Vielzahl der verwendeten Sprachschulbuumlcher erleichtert diese Form des Sprachunterrichts maszliggeblich

Da sich der Groszligteil der Ernaumlhrungspaumldagoginnen und -paumldagogen auf das Schulbuch stuumltzt wird hier der Frage nachgegangen inwiefern das Konzept des Han-delnlernens in diversen inter-nationalen Ernaumlhrungslehre-Schulbuumlchern verankert ist Eine Analyse des an den berufsbildenden Schulen verwendeten Schulbuchs Er-naumlhrung ndash bewusst ndash aktuell ndash lebensnah (Reischl et al 2009) zeigt auf dass der rein kognitive Wissenserwerb im Vordergrund steht Handlungsanlaumlsse bzw hand-lungsorientiertes Lernen spielen eine untergeordnete Rolle Zu Beginn jedes Kapitels werden Ziele formuliert die nur Operatoren (zB Bescheid wissen kennen erlaumlu-tern erklaumlren etc) aus dem Bereich der kognitiven Ebene bedienen Aumlhnliches gilt fuumlr die Rubrik Arbeitsaufgaben Auch hier zielen die Arbeitsaufgaben darauf ab Kognitionsfragen zu beantworten So zB bdquoIn welche Gruppen werden Kohlenhydra-te eingeteilt Worin besteht der Unterschied zwischen den einzelnen Artenldquo (S 36) Im gesamten Schulbuch findet sich ein Rollenspiel in Form einer Ernaumlhrungsbera-tungssituation zum Thema Kleinkindernaumlhrung (S 238)

Handlungsanleitungen oder Vorschlaumlge fuumlr Projekte wie sie zB in Richters (2009) Kreativ Ernaumlhrung entdecken Usus sind oder die Rubrik bdquoUnd jetzt Sieldquo in de Groot amp Farhadis (2007) Schulbuch In Sachen Ernaumlhrung in der es neben Kogni-tionsaufgaben auch Anwendungsaufgaben (zB Fallbeispiele wie etwa zum The-

Ernaumlhrungskompetenz

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menbereich Salmonellose S 313) zu loumlsen gibt finden sich auch in anderen oumlsterrei-chischen Pendants Richtige Ernaumlhrung (Linder amp Robitza 2003) oder Gesundheit und Ernaumlhrung (Knapp et al 2009) noch nicht Eine Erweiterung im Bereich Hand-lungsorientierung in den oumlsterreichischen Schulbuumlchern waumlre wuumlnschenswert um so eine bessere Ernaumlhrungskompetenz bei den Lernenden zu erzielen

Moumlglichkeiten die Ernaumlhrungskompetenz der Lernenden zu foumlrdern werden bei Strotkamp aufgelistet bdquoexemplarisches Lehren und Lernen schuumllerInnenorientiert [sic] handlungsorientiert Wissenschaft dient als Informationsgeberin (Orientie-rungs- und Entscheidungshilfen) konkretes Ausprobieren handelnd lernen Alltags-bezug [sic]ldquo (Strotkamp 2002 S 189)

Um Ernaumlhrungskompetenz zu ermoumlglichen bedarf es auch einer gezielten Aus-einandersetzung mit dem Begriff des Empowerments Duumlr (2008) bringt den Termi-nus folgendermaszligen auf den Punkt

Der Begriff des Empowerments steht in gewisser Weise fuumlr das Paradox Individuen dazu zu bringen von sich aus so zu leben zu denken und zu handeln wie es mit den anspruchsvoller werdenden Bedingungen der Gesellschaft vereinbar ist ohne dabei Herrschaft Macht und Zwang ausuumlben zu muumlssen bzw sich in die Gestaltung der sozialen Systeme und der Gesellschaft insgesamt aktiv in einer Weise einzubringen dass diese zugleich gegenuumlber individuellen Einfluumlssen und Stoumlrungen paradoxer-weise resistenter werden (Duumlr 2008 S 11)

Bevor gezeigt wird wie ein Zusammenspiel von Ernaumlhrungskompetenz Handlungs-orientierung und Empowerment im Ernaumlhrungsunterricht aussehen kann wird im folgenden Kapitel das Augenmerk auf die eingangs beschriebene Diskrepanz zwi-schen Handeln und Wissen gelegt

2 Theorien zum nicht-stattfindenden Wissenstransfer

Aumlhnlich wie die biologiedidaktische steht auch die ernaumlhrungsdidaktische Forschung vor demselben Problem Obwohl das theoretische Wissen bei der Bevoumllkerung vor-handen ist mangelt es an der praktischen Umsetzung bzw am Wissenstransfer Die-ses Dilemma wird in zahlreichen Studien aus dem naturwissenschaftlichen sowie dem Publich Health-orientierten Bereich aufgezeigt Dieses Phaumlnomen des Nicht-uumlbertragens von vorhandenem Wissen des Ungenutztlassens von Erlerntem wurde 1929 von Whitehead als traumlges Wissen (inert knowledge) bezeichnet (vgl Renkl 1996) In seinem Artikel fasst Renkl drei Erklaumlrungsmoumlglichkeiten fuumlr diese Wis-sens-Handels-Diskrepanz zusammen

a) Metaprozesserklaumlrung Diese Theorie geht davon aus dass es zu keiner Nutzung des existierenden Wissens kommt weil die sogenannten me-takognitiven Steuerungsprozesse mangelhaft sind

Ernaumlhrungskompetenz

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b) Strukturdefiziterklaumlrung Hierbei geht man davon aus dass das eigentliche Wissen luumlckenhaft bzw nicht ausreichend ist um es entsprechend anwen-den zu koumlnnen

c) Situiertheitserklaumlrung Diese Theorie geht von der Situiertheit des Wissens aus und kritisiert somit auch die Ansaumltze der Kognitionspsychologie zur Thematik Wissen und Transfer (vgl Renkl 1996 S 84-87)

Um schlieszliglich anwendbares Wissen zu erlangen wird mithilfe von Modellen des situierten Lernens (zB kognitive Lehre verankerte Instruktion und Kognitive Flexibilitaumlt) im Unterricht gearbeitet bdquoAls Gemeinsamkeit dieser Ansaumltze kann hervorgehoben werden daszlig [sic] an komplexen authentischen oder zumindest realitaumltsnahen Problemstellungen gelernt wird (problemorientiertes Lernen)ldquo (Renkl 1996 S 87) Wissen werde so bereits im Anwendungskontext erarbeitet und somit auf bdquobestimmte Anwendungsbedingungen hin konditionalisiertldquo (S 88) Dieses anwendungsorientierte Lernen soll auch durch kooperatives Vorgehen in der Klasse gestuumltzt werden da bdquobei den Modellen des situierten Lernens der Sozi-alaspekt betont und Lernen als Enkulturation aufgefaszligt [sic]ldquo (S 88) wird

Wie ein entsprechend situiertes Lernarrangement im Ernaumlhrungsunterricht aus-sehen koumlnnte soll hier skizziert werden Die Themen des situierten Lernarrange-ments sind die Naumlhrwertberechnung und der Umgang mit Naumlhrstofftabellen Im Schulbuch wird ein fiktives Berechnungsbeispiel angegeben Eine vorgegebene Menge Haferflocken Apfel und Joghurt sind zu berechnen Der Arbeitsauftrag lautet bdquoWie viel Energie hat dieses Muumlslildquo Die Schuumller und Schuumllerinnen berech-nen rein mechanisch und haben beim naumlchsten Mal wieder vergessen wie sie den Energiewert berechnen koumlnnen

Eine handlungsorientierte und zugleich kooperative Moumlglichkeit die die kogni-tive Ebene mit der operationalen Ebene verbindet sieht folgendermaszligen aus

Den Lernenden wird in Kleingruppen ermoumlglicht sich selbst ihr Muumlsli zusam-menzustellen Die entsprechenden Ingredienzen stehen zur Verfuumlgung und duumlrfen frei gewaumlhlt abgewogen und in eine entsprechende Tabelle eingetragen werden Schlieszliglich wird der Energiegehalt der eigenen realen Muumlsliportion berechnet Die Schuumller und Schuumllerinnen werden angehalten den Energiegehalt ihrer Portion mit den Empfehlungen der DGE zu vergleichen wenn noumltig werden innerhalb der Gruppen Veraumlnderungen vorgenommen bzw Verbesserungs-vorschlaumlge gemacht

Neben der Zurverfuumlgungstellung von Muumlsliingredienzien (Orientierungshilfe) und dem Auswaumlhlen (sich entscheiden) dem Berechnen (Kognition) dem Abglei-chen von Ist- und Soll-Zufuhr am konkreten Beispiel (Reflexion) und dem Erbrin-gen von Verbesserungsvorschlaumlgen (Ernaumlhrungskommunikation -beratung) finden wichtige praktische Taumltigkeiten (Herstellung des Muumlslis Anrichten) statt Die ge-meinsame Verkostung (soziales Setting und sensorische Bewertung) schlieszligt diese Einheit ab Dieses konkrete Unterrichtsbeispiel veranschaulicht wie Wissenser-werb Empowerment und Ernaumlhrungskompetenz Hand in Hand gehen

Ernaumlhrungskompetenz

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3 Handlungstheorien und ihre didaktische Umsetzung

Im Zusammenhang mit Ernaumlhrungsbildung und Gesundheitsfoumlrderung in der Schule muss sich die Ernaumlhrungsdidaktik auch mit Handlungstheorien bzw der Handlungs-psychologie auseinandersetzen Die fuumlr diesen Artikel ausgewaumlhlten Theorien wer-den kurz umrissen Die Auswahl dieser Theorien erfolgt aufgrund ihrer ernaumlhrungs-didaktischen Tauglichkeit

Was versteht die Wissenschaft unter Handeln Der Neurobiologe Roth (2003) versteht unter Handeln bdquodas Verfolgen von Zielen genauer den Versuch Wuumlnsche Plaumlne und Absichten in die Tat umzusetzen Handeln unterscheidet sich hierdurch vom bloszligen Reagieren auf bestimmte Sinnesreize jenes wird uumlberwiegend intern dieses uumlberwiegend extern bestimmtldquo (S 472) Ein wichtiger Aspekt um ein Ziel zu erreichen ist die Willensanstrengung2 Roth erlaumlutert die Erkenntnisse der Hand-lungs- und Volitionspsychologie und geht in diesem Zusammenhang auf Heckhau-sen ein und benennt fuumlnf Phasen des Handelns

(1) die realitaumltsorientierte Motivationsphase (2) die Intentionsbildung (3) realisie-rungsorientierte praumlaktionale Phase (4) die aktionale Volitions- bzw Handlungs-phase und (5) die postaktionale Phase die das Erzielte bewertet und fuumlr spaumltere Handlungen beruumlcksichtigt (Roth S 476)

Um den Jugendlichen bei der Planung ihres Trinkverhaltens zu helfen wurde fol-gendes Beispiel von ihnen erarbeitet Tab 1 Planungsschritte fuumlr das Trinkverhalten

Phasen Teilaspekte ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Phase 1 Was Trinkverhalten verbessern

Phase 2 Wie Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch bereithalten

Phase 3 amp 4 das Handeln Wasser trinken und im Trinkprotokoll die entspre-chenden Portionen festhalten

Phase 5 das Bewerten Was ist gut gelaufen Was muss ich verbessern

Eine Theorie die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Einstellungen und Ver-halten auseinandersetzt ist Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens Ajzen erforscht ebenfalls Phasen im Handeln Laut Graf (2007) haben Ajzen und Fishbein unter anderem folgende vier Aspekte fuumlr diverse Haltungen sowie fuumlr das Verhalten for-muliert den Handlungs- Ziel- Kontext- und Zeitaspekt Nachfolgend eine Tabelle die diese vier Teilaspekte des Handelns auf das Ernaumlhrungsverhalten uumlbertraumlgt

Ernaumlhrungskompetenz

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Tab 2 Beschreibung der Einstellungs- und Verhaltensperspektiven

Aspekte Fragen (lt Graf S 34) ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Handlungsaspekt Welches Verhalten soll ausgefuumlhrt oder unterlassen werden

morgen kein Dessert essen

Zielaspekt Welches Ziel hat das Verhalten morgen nicht naschen

Kontextaspekt In welchem Kontext steht das Verhal-ten

Gehe ich morgen essen oder koche ich selbst

Zeitaspekt Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zeitrahmen soll das Verhalten ausge-fuumlhrt werden

einen Tag lang nichts naschen od gaumlnzlich darauf verzichten

Fuumlr die Ernaumlhrungsbildung in der Schule koumlnnen diese beiden Tabellen zB zur Nachbesprechung in der Reflexionsphase eines Essverhaltensprotokolls (vgl Heindl 2003 S 75) herangezogen werden Heindl fuumlhrt zB als Methode der Gesundheits-bildung bdquoEssgewohnheiten ndash Die Spirale der Veraumlnderungldquo an (vgl Heindl 2003 S 77)

Abb 1 Essgewohnheiten ndash Spirale der Veraumlnderung (nach Heindl 2003 S 77) Um den Lehrenden bei der Spirale der Veraumlnderung weiterzuhelfen haben die in Tabelle 1 und 2 angefuumlhrten Aspekte gute Dienste geleistet da dem Groszligteil der Jugendlichen nicht bewusst ist aus welchen Komponenten sich ihr Handeln zusam-mensetzen kann

Ernaumlhrungskompetenz

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4 Handlungsorientiertes Lernen und Ernaumlhrungsbildung

Um Lernende moumlglichst wirklichkeitsnahe handeln zu lassen wurde der handlungs-orientierte Unterricht entwickelt Laut Bender (2013) trifft man ihn im Lernfeld Er-naumlhrung haumlufig an Peterszligen (2001) formuliert zum Thema handlungsorientiertes Lernen3 sehr plakativ bdquoWer Handlungsfaumlhigkeit will muss handeln lassenldquo (S 142) Fuumlr ihn bedeutet Handlungsorientierung dass Lernende die Faumlhigkeit besitzen ihr bdquoeigenes Handeln intellektuell regulieren zu koumlnnenldquo (S 142) Er fordert weiter dass die Lernenden bdquoihr Handeln von A bis Z [hellip] selbstaumlndig steuernldquo (S 145) muumls-sen damit sie das Erziehungsziel Selbstaumlndigkeit4 erreichen koumlnnen Aumlhnlich wie Heckhausen oder auch Ajzen sieht Peterszligen Handeln in Dimensionen unterteilt Er stuumltzt sich auf das Modell des vollstaumlndigen Handelns von Hacker dieses unterteilt sich wie folgt Planen Ausfuumlhren und Kontrollieren Peterszligen kreiert sein didakti-sches Modell des handlungsorientierten Lernens in Anlehnung an das des vollstaumlndi-gen Handelns (vgl Abb 2)

Abb 2 Didaktisches Modell vollstaumlndigen Handelns (Quelle Peterszligen 2001 S 145) Fuumlr den ernaumlhrungsbildenden Unterricht kann dieses Modell wie folgt in die Praxis umgesetzt werden In der HLW19 Straszligergasse wurde in den letzten drei Jahren das Projekt bdquoGesunde Jauseldquo gestartet Die Intentionen sind erstens auf die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden Einfluss zu nehmen zweitens beiden Gruppen Orien-tierungshilfen zu bieten und drittens die Zubereitungskompetenz der Schuumllerinnen und Schuumller bezuumlglich der Herstellung von einfachen bedarfsgerechten sowie naumlhr-stoffdichten Snacks in den schuleigenen Kuumlchen zu foumlrdern Dieser Zugang bedingt

Ernaumlhrungskompetenz

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eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Faumlchern Ernaumlhrung und Kuuml-chenfuumlhrung einerseits Er erfordert aber auch andererseits dass die Lernenden typi-sche Nahrungszubereitungsmethoden gezielt uumlben naumlhrstoffdichte Snacks erkennen und gemaumlszlig den Hygienevorschriften herstellen sowie im Team arbeiten koumlnnen Neben der fachlichen Kompetenz werden auch die Methodenkompetenz und die personalensozialen Kompetenzen trainiert Im konkreten Fall wird dargestellt wie die Lernenden bei der Auswahl und Herstellung von bedarfsgerechten Snacks unter-stuumltzt werden um dann entsprechend handeln zu koumlnnen Die Schritte die an der HLW19 gesetzt wurden sind

a) Produktion von naumlhrstoffdichten Pausensnacks (Kochkompetenz) b) Verkauf und Beratung der Snacks in der Schulaula (Beratungskompetenz) c) Marketing durch Schuumllerinnen und Schuumller d) Konsum und Bewertung dieser Snacks durch Schuumllerinnen und Schuumller

Um die Lernenden zum Handeln zu motivieren brauchen sie im Unterricht konkrete Anlaumlsse die sie im geschuumltzten Rahmen umsetzen uumlben und reflektieren koumlnnen Das 6-stufige didaktische Modell von Peterszligen stand Pate fuumlr die folgende Vorge-hensweise Das Thema im Ernaumlhrungsunterricht ist die bdquoGesunde Jauseldquo und unter-stuumltzt somit das obenerwaumlhnte Projekt Buumlnning-Fesels Definition von Ernaumlhrungs-kompetenz Duumlrs Sicht des Empowerments und die beiden Deskriptoren EB1 und EB 2 des oumlsterreichischen Referenzrahmens fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bilden den weiteren didaktischen Hintergrund

Tab 3 Ernaumlhrungsdidaktische Umsetzung (basierend auf Peterszligens Modell)

Phasen Umsetzung

1 Information Lernenden erarbeiten sich das Thema bdquoGesunde Jauseldquo

2 Planung Lernende planen ihre eigene gesunde Jause Der Handlungsplan muss folgendes beinhalten 5 Tagesplaumlne bdquoGesunde Jauseldquo fuumlr Teenager entsprechend des in Schritt eins erworbenen Wissens Rezeptplanung Naumlhrstoffdichte-Berechnung Einkaufsliste Zube-reitungsinformation Marketingstrategie fuumlr die gesunde Jause

3 Beratung Lehrende beraumlt

4 Ausfuumlhrung Lernende fuumlhren ihre Planung mithilfe der Lehrkraumlfte aus

5 Evaluation Evaluation des Vorhabens

6 Bewertung Bewertung des Vorhabens

Am Ende dieser Einheit stehen nicht nur Rezepte Einkaufslisten Handlungsplaumlne sowie Jausensnacks als konkrete Handlungsprodukte zur Verfuumlgung die Schuumllerin-nen und Schuumller haben sich im Bereich der Selbststaumlndigkeit weiterentwickelt Ihre Planungskompetenz und ihre Ernaumlhrungskompetenz (theoretischer sowie operationa-ler Art) konnte weiterentwickelt werden

Ernaumlhrungskompetenz

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5 Conclusio

Um der Forderung in der Schule ernaumlhrungskompetente Schuumllerinnen und Schuumller auszubilden damit sie sich gemaumlszlig der Idee des Empowerments gesundheitsfoumlrdernd ernaumlhren und verhalten koumlnnen gerecht zu werden bedarf es einer fundierten Ausei-nandersetzung mit Handlungstheorien und handlungsorientiertem Lernen Diese profunde Beschaumlftigung muss in der Aus- Weiter- und Fortbildung geschehen

Anmerkungen 1 Naumlhere Ausfuumlhrungen betreffend der ernaumlhrungsrelevanten Moral- bzw Methoden-

kompetenz finden sich in Buchner et al (2011) und Bender et al (2013) 2 Einen eingehenden Uumlberblick zu den Moumlglichkeiten und Grenzen der Willens-

erziehung bietet Langer (2011) 3 Es wurde bewusst der Begriff bdquohandlungsorientiertes Lernenldquo und nicht bdquohand-

lungsorientierter Unterrichtldquo gewaumlhlt Dies geschieht einerseits weil mit dem Be-griff des Lernens verdeutlicht werden soll dass die Lernenden im Vordergrund ste-hen und andererseits weil der Begriff handlungsorientiertes Unterrichten bei Meyer (2003a 2003b) und Jank und Meyer (2008) nicht auf Handlungstheorien basiert

4 Eine ausfuumlhrliche Einfuumlhrung zum Erziehungsziel Selbststaumlndigkeit gibt Drieschner (2007)

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Verfasserin

Maga Sigrid Kuumlstler

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung Ernaumlhrungspaumldagogik Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien E-Mail sigridkuestlerphwienacat Internet wwwphwienacat

Beurteilungsportfolio

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______________________________________________________________

Ute Bender

Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche Das Lernatelier Kuumlche stellt eine wichtige materielle Lernumgebung fuumlr den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung dar Die damit verbundenen Lernprozesse stehen in Verbindung mit Methoden der Leistungsbeurteilung welche die angestrebten Kompetenzen in ihrer ganzen Breite auch tatsaumlchlich erfassen koumln-nen Der folgende Beitrag schlaumlgt hierzu ein Beurteilungsportfolio vor

Schluumlsselwoumlrter Portfolio Leistungsbeurteilung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungsbildung

______________________________________________________________

1 Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche als Lernumgebung der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

In der Tradition der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung war das Lernatelier Kuumlche1

lange Zeit die typische materielle Lernumgebung Heute hat sich dies gewandelt Nichtsdestotrotz sind insbesondere in der Ernaumlhrungsbildung fachliche Lernprozesse im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung unver-zichtbar die im Lernatelier am besten unterstuumltzt werden koumlnnen

Diese Lernprozesse sind mit vielfaumlltigen Teilkompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung verknuumlpft so dass im Lernatelier keineswegs ausschlieszliglich am Kompetenzaufbau in der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung gearbeitet wird Lehr-Lernarrangements im Lernatelier Kuumlche stellen folglich keinen separier-ten oder bdquobesonderenldquo Sektor innerhalb der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung dar sondern sind in die uumlbergeordneten Intentionen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung integriert Auch fuumlr die Leistungsbeurteilung gelten somit keine bdquobesonderenldquo Rege-lungen - allerdings sind bestimmte Fokussierungen vorzunehmen um den spezifi-schen angestrebten Kompetenzen gerecht werden zu koumlnnen Ein Beurteilungsportfo-lio kann diesem Anspruch entgegenkommen2

Die Begriffe bdquoLeistungsbeurteilungldquo und bdquoLeistungsbewertungldquo werden im Fol-genden nicht synonym verstanden bdquoLeistungsbeurteilungldquo bezieht sich auf die Ver-fahren die uumlber einen laumlngeren Zeitraum zum Einsatz kommen und bdquoLeistungsbe-wertungldquo auf bdquodie konkrete und detaillierte Einordnung einer beschriebenen Leistung in einem bestimmten Maszligstabldquo (Bohl 2009 S 60f in Anlehnung an v Saldern 1999)

Beurteilungsportfolio

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11 Leistungsbeurteilung im Zuge der Kompetenzorientierung

Das in schulischen Fachkreisen gaumlngigste Verstaumlndnis von bdquoKompetenzldquo greift auf die Definition von F E Weinert zuruumlck (Weinert 2001) bdquoKompetenzenldquo beinhalten demnach mehrere inhalts- und prozessbezogene Facetten Faumlhigkeiten Fertigkeiten und Wissen aber auch Bereitschaften Haltungen und Einstellungenldquo (D-EDK 2013b S 7) Konsequenterweise hat sich die Leistungsbeurteilung an diesem an-spruchsvollen Kompetenzbegriff zu orientieren In der Ernaumlhrungs- und Konsumbil-dung im Allgemeinen und im Lernatelier Kuumlche im Besonderen wird sie sich also nicht nur auf Faumlhigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren sondern anstreben saumlmtli-che Aspekte von Kompetenz zu erfassen (vgl Bender 2013 S 46ff)

Selbstverstaumlndlich kann sich die Leistungsbeurteilung nur auf jene Teilkompe-tenzen beziehen an denen vorher im Unterricht gearbeitet wurde Sie hat prinzipiell den bdquoGrundsatz der proportionalen Abbildungldquo (Sacher 2011 S 29 vgl Bohl 2012 S 327) zu beachten das heiszligt dass die jeweils gewaumlhlten Modalitaumlten der Leistungserhebung und -bewertung die im Unterricht unterstuumltzten Kompetenzen im Sinne einer repraumlsentativen Stichprobe spiegeln sollten Zugleich sind die Verfahren der Leistungsbeurteilung gemaumlszlig dem bdquoGrundsatz der Variabiliaumltldquo (Sacher 2011 S 29) so zu gestalten dass sie der Zielgruppe gerecht werden Gerade in der Ernaumlh-rungs- und Konsumbildung beduumlrfen die heterogenen Voraussetzungen der Lernen-den (zB Geschlecht Interkulturalitaumlt) und ihre individuellen situativen Problemlouml-sungen besonderer Aufmerksamkeit (Fachgruppe 2005 S 31 vgl Methfessel Ritterbach amp Schlegel-Matthies 2008)

Eine der Herausforderungen des skizzierten Kompetenzverstaumlndnisses liegt si-cherlich in dem Anspruch Leistungsbeurteilung auch auf die bdquoBereitschaften Hal-tungen und Einstellungenldquo (siehe oben) zu beziehen In der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung kommen manche Bereitschaften zB die Absicht sich gesund zu ernaumlhren und angemessene Zubereitungstechniken zu praktizieren vor allem im auszligerschulischen Alltag zum Vorschein sie bleiben somit fuumlr die schulische Leis-tungsbeurteilung prinzipiell unzugaumlnglich Diese ist auf entsprechende Aussagen der Schuumllerinnen und Schuumller angewiesen Dabei hat sie sich selbstverstaumlndlich nicht auf gewisse bdquoerwuumlnschteldquo Absichtserklaumlrungen der Lernenden zu beziehen sondern auf explizierte Argumentationen und Erwaumlgungen

Der Maszligstab der Kompetenzorientierung wird von allen aktuellen deutschspra-chigen fachdidaktischen Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung vertreten In diesen kommen noch weitere Anspruumlche zur Geltung welche die Leistungsbeur-teilung beeinflussen koumlnnen und im Folgenden skizziert werden

Beurteilungsportfolio

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12 Leistungsbeurteilung in Bezug auf die Faumlhigkeit zur Reflexion

So wird in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung aus Oumlsterreich und Deutschland ua angestrebt dass Schuumllerinnen und Schuumller ihr Verhalten und ihre Entscheidungen reflektieren koumlnnen und wollen (Thematisches Netzwerk 2009 Fachgruppe 2005 vgl D-EDK 2013a S 8) Die Lernenden sollen uumlber das eigene Tun nachdenken und nicht nur spontan oder gewohnheitsmaumlszligig agieren In dieses Nachdenken flieszligen sehr unterschiedliches Wissen (zB aus den eigenen Erfahrun-gen oder wissenschaftliches Wissen) Einstellungen Emotionen etc ein Doch bdquoNachdenkenldquo ist bekanntlich unsichtbar Um es der Performanz zuzufuumlhren wird im Zuge der Leistungsbeurteilung erwartet dass die Schuumllerinnen und Schuumller ihre Gedanken in Texten oder auf andere Weise symbolisieren und ausfuumlhren Die Leis-tungsbeurteilung sollte folglich fuumlr solche Symbolisierungen Raum bieten

13 Leistungsbeurteilung vor dem Hintergrund ethischer Aspekte des Lernens

Eng mit den bdquoReflexionenldquo aber auch mit bdquoBereitschaften Einstellungen und Hal-tungenldquo (siehe oben) verknuumlpft sind solche Formulierungen in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung welche die Lernenden in Richtung eines nachhal-tigen Handelns oder Lebensstils bilden wollen (Fachgruppe 2005 S 26 ff vgl D-EDK 2013a S 2 Thematisches Netzwerk 2009 S 8 f) Nachhaltiges Entscheiden und Handeln impliziert immer auch ethische Gesichtspunkte (Schlegel-Matthies 2013) Dasselbe gilt fuumlr die in den Konzepten mehrfach genutzten Termini des bdquover-antwortlichenldquo oder bdquoverantwortungsbewusstenldquo Handelns (Fachgruppe 2005 S 27 Thematisches Netzwerk 2009 S 7 11) Wiederum kann es bei der Leistungsbe-urteilung nicht darum gehen bestimmte bdquoerwuumlnschteldquo Antworten zu erhalten son-dern um moumlglichst differenzierte mehrperspektivische Explorationen

14 Leistungsbeurteilung im Sinne des salutogenetischen Prinzips

Das bdquosalutogenetische Prinzipldquo als didaktisches Prinzip der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung findet sich in expliziter Form ausschlieszliglich im deutschen Konzept REVIS wieder (Fachgruppe 2005 S 30) Es zielt darauf ab die je individuellen he-terogenen Ressourcen der Lernenden zu foumlrdern und zu fordern Leistungsbeurtei-lung im Sinne der Salutogenese beruumlcksichtigt das Prinzip der Variabiliaumlt (siehe oben) und beachtet daruumlber hinaus dass die damit verbundenen Anforderungen fuumlr die Lernenden handhabbar sinnvoll und verstaumlndlich bleiben und somit dem persoumln-lichen bdquoKohaumlrenzgefuumlhlldquo nach Antonovsky (1999) dienlich sind

Beurteilungsportfolio

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15 Leistungsbeurteilung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens

Nicht zuletzt sei noch auf das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens hingewiesen welches ebenfalls im Konzept REVIS genannt ist Lernprozesse in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung sind demzufolge alltagsnah zu konzipieren vorhandene Erfah-rungen der Lernenden wert zu schaumltzen und Offenheit fuumlr weiteres Lernen ist ebenso zu foumlrdern wie bdquoLebensgestaltungs- und Bewaumlltigungskompetenzenldquo (Fachgruppe 2005 S 31) Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung versucht also idealerweise jene Offenheit fuumlr das weitere Lernen zu unterstuumltzen oder sogar Hilfestellungen hierfuumlr zu geben Sicherlich lieszligen sich noch weitere grundsaumltzliche Anforderungen an die Leistungs-beurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung formulieren Im Sinne eines Minimalanspruchs sollten konkrete Leistungsbewertungen jedoch den genannten zumindest nicht zuwiderlaufen Welche Rolle kann ein Beurteilungsportfolio dabei innehaben

2 Das Beurteilungsportfolio in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Portfolios als Lern- und Beurteilungsinstrumente werden mit unterschiedlichen Funktionen und fuumlr unterschiedliche Zielgruppen eingesetzt In der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung hat Brandl (2004) ein Konzept fuumlr die Lehrerinnen- und Lehrerbil-dung entwickelt Mit Blick auf Schuumllerinnen und Schuumller sind Portfolios folgender-maszligen zu definieren

Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Schuumllerarbeiten welche die An-strengung des Lernenden den Lernfortschritt und die Leistungsresultate auf einem oder mehreren Gebieten zeigt Die Sammlung schlieszligt die Beurteilung des Schuumllers bei der Auswahl der Inhalte Aufstellung der Kriterien fuumlr die Auswahl und zur Beur-teilung sowie selbstreflexive Gedanken ein (Lissmann 2008 S 137 in Anlehnung an Paulson Paulson amp Meyer 1991 vgl Brunner amp Schmidinger 2004 S 17 Bohl 2009 S 147f Haumlcker 2011a Winter 2012 S 200f)

Zu den bdquoselbstreflexiven Gedankenldquo gehoumlren meist Reflexionen der Lernenden uumlber ihre Portfolioentwicklung aber auch Uumlberlegungen zu ihren eigenen Lernprozessen Auszligerdem wird der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernenden uumlber Leis-tungen und Lernprozesse hoher Wert eingeraumlumt die dann ebenfalls Eingang ins Portfolio findet (Haumlcker 2011b S 218 Winter 2012 S 217)

Ein bdquoBeurteilungsportfolioldquo stellt eine von fuumlnf moumlglichen Formen eines Portfo-lios dar (siehe Tabelle 1 Lissmann 2008 S 141 vgl Glaumlser-Zikuda amp Hascher 2007 S 12f Paulson Paulson amp Meyer 1991 Winter 2012 S 200)

Beurteilungsportfolio

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Tab 1 Formen eines Portfolios (Lissmann 2008 S 141)

Aufgabe Portfolioformen

Lernprozess diagnostizieren Arbeitsportfolio

Lernerfolg beurteilen Beurteilungsportfolio

Lernergebnisse mitteilen Vorzeigeportfolio

Entwicklung dokumentieren Entwicklungsportfolio

Lernende vorstellen Bewerbungsportfolio

Das Beurteilungsportfolio dient somit dazu den Lernerfolg und die Schritte dorthin zu dokumentieren und der Bewertung zugaumlnglich zu machen folgerichtig hat es einen deutlich formaleren Charakter als zB das bdquoArbeitsportfolioldquo Wie fuumlr alle Portfolioformen gilt auch fuumlr das Beurteilungsportfolio dass es nicht nur einen ein-zigen Zeitpunkt im Lernprozess dokumentiert sondern auf eine laumlngere bdquoRegelstre-ckeldquo zuruumlckblickt (Winter 2012 S 213) Daruumlber hinaus beteiligt es wenn moumlglich die Lernenden an der Entscheidung welche ihrer Leistungen bewertet werden sollen und staumlrkt deren Selbstregulierung (Haumlcker 2011b S 220f)

In loser Anlehnung an Brunner und Schmidinger (1997 2004) sowie an Bohl (2009) sollte ein Beurteilungsportfolio folgende Dokumente umfassen Formale und strukturierende Elemente wie Titelblatt Inhaltsverzeichnis etc Pflichtdokumente aus dem Unterricht Dokumente nach Wahl der Lernenden die inner- oder auszliger-halb des Unterrichts entstehen koumlnnen Ruumlckmeldungen der Lehrperson zum Lern-prozess oderund zur Portfolioarbeit Schuumllerreflexionen

Waumlhrend das Beurteilungsportfolio in der deutschsprachigen Diskussion einer-seits als Alternative zum bdquoNotenfetischismusldquo (Vierlinger 1999) angesehen wurde und wird (Stern 2010 Vierlinger 2011) ist es heute andererseits auch als ergaumlnzen-de Beurteilungsmodalitaumlt denkbar (Bohl 2009 Winter 2012)

21 Ein Beurteilungsportfolio fuumlr das Lernatelier Kuumlche

Das Lernatelier Kuumlche ist der typische Ort fuumlr den Erwerb von Teilkompetenzen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im Sinne des Kompetenzbegriffes gehoumlren dazu Fertigkeiten etwa Arbeitstechniken aber auch diverse Kenntnisse und Faumlhigkeiten ebenso entsprechende Motivationen und Bereitschaften Daruumlber hinaus sind die genannten Teilkompetenzen zu verknuumlpfen mit weiteren Kompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Das Beurteilungsportfolio bietet ein breiteres Potenzial zur Leistungsbeurteilung an (siehe Tabelle 2)

Beurteilungsportfolio

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Tab 2 Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung durch ein Portfolio

Die Verfahren der Leistungs-beurteilung solltenhellip

Ein Beurteilungsportfoliohellip

hellipKompetenz im umfassenden Sinn variabel erfassen koumlnnen

helliperlaubt sehr vielfaumlltige Dokumentationen die uumlber einen laumlngeren Zeitraum entstanden sind So kann es die Aspekte von Kompetenz vielseitiger abbilden als eine punktuelle Leistungserhebung Prozesse Produkte bzw Zwischenprodukte lassen sich mit Hilfe von Zeichnungen Fotos oder Videos fuumlr das Portfolio festhalten (Brunner amp Schmidinger 2004 Winter oJ) Die im Portfolio skizzierten Kommunikationen und Dokumentationen erlauben es auch sinnliche Qualitaumlten zu erfassen zB Verkostungen

hellipReflexionen der Lernenden erheben koumlnnen

hellipbeinhaltet Reflexionen zum je individuellen Lernprozess (einschlieszliglich der jeweils bearbeiteten Inhalte genutzten Strategien und Techniken Medien Uumlberlegungen zu eigenen Staumlrken und Schwierigkeiten) und zum Portfolioprozess (etwa zur Auswahl der Dokumente) Lehrpersonen unterstuumltzen die Reflexionsfaumlhigkeit indem sie den Lernenden moumlgliche Fragen aufzeigen diese mit ihnen erarbeiten sowie spezifische Arbeitsblaumltter bereitstellen (vgl Poumllzleitner 2011)

hellipethischen Implikationen Rechnung tragen koumlnnen

helliplaumlsst zu dass Lernende selbst entscheiden zu welchen (verschiedenen) thematischen Aspekten sie ihre Uumlberlegungen und Meinungen darlegen moumlchten Es ermoumlglicht so ein vielgestaltiges Bild das auch Widerspruumlche zulaumlsst

hellipdie salutogenetische Orientierung beruumlcksichtigen

helliplaumldt Schuumllerinnen und Schuumller ein ihre Kompetenzen und damit ihre Staumlrken zu zeigen ndash statt nach Schwachstellen oder Fehlern zu suchen (Haumlcker 2005) Lernende entscheiden welche Wahldokumente sie beifuumlgen moumlchten Eigene Schwerpunkte lassen sich abbilden Die Ruumlckmeldungen der Lehrperson als konkretes konstruktives Feedback erweisen sich wie Studien zeigen als hocheffizient zur Foumlrderung von Lernprozessen (Black amp Wiliam 2009 Maier 2010)

helliplebensbegleitendes Lernen unterstuumltzen

hellipfoumlrdert den Erwerb von Lernstrategien indem es die Reflexion des Lernprozesses initiiert Schuumllerinnen und Schuumller verbessern ihre Faumlhigkeiten zur Selbsteinschaumltzung indem sie Produkte fuumlr ihr Portfolio auswaumlhlen und ihre Wahl dokumentieren Der Unterricht stellt ihnen Zeitgefaumlszlige fuumlr die Arbeit am Portfolio zur Verfuumlgung (Internationales Netzwerk Portfolioarbeit 2010) Das Portfolio laumlsst auch Dokumente zu auszligerschulischen Lernprozessen zu

Beurteilungsportfolio

111

211 Vorgehensweise

Lehrpersonen werden die Konzeption und Umsetzung des Beurteilungsportfolios an den jeweiligen Lernstand der Schuumllerinnen und Schuumller die jeweiligen situativen Bedingungen und andere Voraussetzungen anpassen Sie entscheiden daruumlber in-wieweit sie die Schuumllerinnen und Schuumller an der Leistungsbeurteilung mit dem Port-folio beteiligen moumlchten Lernende die uumlber wenig Erfahrung mit der Portfolioarbeit verfuumlgen benoumltigen zumeist mehr Hilfestellungen etwa Unterstuumltzung bei Reflexi-onsprozessen und formale Kriterien als andere Lernende Trotz dieser paumldagogi-schen Gestaltungsspielraumlume welche die Lehrperson hat sollte das Portfolio nicht zu einer Ansammlung von Pflichtdokumenten degradiert und den Schuumllerinnen und Schuumllern jegliches Mitspracherecht an der Zusammenstellung undoder Bewertung genommen werden Ein solches bdquoPortfolioldquo wuumlrde der Grundphilosophie widerspre-chen (Haumlcker 2005)

Die hohe Plastizitaumlt des Portfolios macht es zudem moumlglich das Beurteilungsver-fahren an sehr unterschiedliche Lehr-Lernarrangements zu adaptieren Wiederum jedoch wuumlrde es der Portfolio-Philosophie (und auch der Kompetenzorientierung von Unterricht) widersprechen wenn dieses Lehr-Lernarrangement keinerlei selbstregu-lierte Phasen fuumlr die Lernenden vorsaumlhe

212 Beispiel fuumlr ein Beurteilungsportfolio

Beurteilungsportfolios sollen widerspiegeln welche Teilkompetenzen Lernende erworben haben So richtet sich zB das nachstehend skizzierte Portfolio auf mindes-tens folgende Teilkompetenzen bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller koumlnnen Nahrungs-mittel uumlber die Sinne vergleichenhellip sensorische Eigenschaften beschreibenhellip und Vermutungen formulieren wie Unterschiede entstehenldquo sie bdquokoumlnnen Nahrungsmittel unter Beruumlcksichtigung von gesundheitlichen Aspekten auswaumlhlen und zuberei-tenhellipldquo und bdquokoumlnnen Mahlzeiten situationsgerecht planen und zubereitenhellipldquo (D-EDK 2013a S 7f) Weitere Teilkompetenzen lieszligen sich anfuumlgen

Das Portfolio-Beispiel bezieht sich auf einen Zeitraum von fuumlnf Wochen pro Woche findet der Unterricht in einem vierstuumlndigen Lektionenblock statt Die Schuuml-lerinnen und Schuumller sollen mindestens einmal selbst in Kleingruppen ein Menuuml planen einkaufen und zubereiten Sie werden informiert welche Speisen bzw Me-nuumls im genannten Zeitraum im Ganzen vorgesehen sind und vereinbaren im Vorfeld ihre Arbeitsteilung in den Kleingruppen Die Lehrperson pruumlft ob diese Arbeitstei-lung gewaumlhrleistet dass alle Schuumllerinnen und Schuumller die Chance haben die Aufga-ben fuumlr das Portfolio sehr gut zu erfuumlllen Sie plant ein dass alle Jugendlichen eine nicht benotete Ruumlckmeldung zu ihren Lernhandlungen erhalten koumlnnen sowie Zeit fuumlr das Portfolio zur Verfuumlgung steht Die Lernenden werden uumlber die Portfolioarbeit ausfuumlhrlich informiert und der Prozess mit ihnen abgesprochen Das Portfolio setzt sich aus vielfaumlltigen Dokumenten zusammen (siehe Tabelle 3)

Beurteilungsportfolio

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Tab 3 Dokumente fuumlr ein Portfolio (Beispiel Liste fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller)

Pflichtdokumente

In dein Portfolio gehoumlren alle Dokumente die gemeinsam im Unterricht bearbeitet wurden (siehe Arbeitsblatt Checkliste)3 sowie Titelblatt und Inhaltsverzeichnis

Bearbeite mindestens einmal die Fragen mit deren Hilfe du uumlber die Nahrungszubereitung und dein Lernen dabei nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Suche dir eine Speise aus die eine Mitschuumllerin oder ein Mitschuumller zubereitet hat und schreibe dieser Person eine konkrete Ruumlckmeldung wie du diese Speise mit allen Sinnen wahrnimmst Lege die Kopie in dein Portfolio

Fuumlge die Ruumlckmeldung der Lehrperson in dein Portfolio Du markierst was dabei fuumlr dich wichtig ist und notierst dir falls noumltig Nachfragen

Fuumlr das Menuuml das ihr euch selbst auswaumlhlt Legt alle Rezepte in das Portfolio oder bezeichnet sie mit Seitenzahlen gemaumlszlig eures Lehrmittels bdquoTiptopfldquo Klaumlrt im Unterricht gemeinsam warum ihr die Rezepte gewaumlhlt habt Jeder von euch soll diese Uumlberlegungen nochmals in eigenen Worten fuumlr das Portfolio aufschreiben

Was hast du bei der Portfolioarbeit gelernt Bearbeite einige der Fragen mit deren Hilfe du uumlber deine Portfolioarbeit nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Beispiele fuumlr freiwillig einzufuumlgende Dokumente

Dokumentiere mit einem Foto ein besonders gut gelungenes Produkt aus der Nahrungszubereitung im Unterricht oder von zuhause und begruumlnde warum es aus deiner Sicht gut gelungen ist

Skizziere mit einer Zeichnung oder fotografiere wie du den Tisch fuumlr ein bestimmtes Menuuml decken wuumlrdest oder gedeckt hast

Welche Speisen aus dem Unterricht koumlnntest du auch zuhause zubereiten Warum und zu welchen Gelegenheiten Wenn du keine Speisen findest Wo liegen die Schwierigkeiten

Welche Speisen haben dir besonders gut geschmeckt und warum

Welche Uumlberlegungen habt ihr euch zum finanziellen Budget fuumlr euer Menuuml gemacht

Wie sieht die Zeit- und Arbeitsplanung fuumlr euer Menuuml aus Warum wollt ihr so vorgehen

Lege Bilder und Rezepte bei die fuumlr euer Menuuml ebenfalls in Frage gekommen waumlren und schreibe uumlber ihre Vor- und Nachteile

Schreibe als Einleitung zu deinem Portfolio einen Brief an die Lesenden

Beurteilungsportfolio

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3 Guumltekriterien fuumlr das Beurteilungsportfolio

Fuumlr die Benotung eines Beurteilungsportfolios gelten prinzipiell dieselben Guumltekrite-rien wie bei jeder anderen Beurteilung Dazu gehoumlrt dass die Schuumllerinnen und Schuumller genau wissen wie die Bewertung zustande kommt und nach welchen Krite-rien die Lehrperson ihr Portfolio benoten wird Wenn moumlglich sind sie bei der Er-stellung dieser Kriterien zu beteiligen Gerade bei einem offenen Leistungsbewer-tungsinstrument wie dem Portfolio ist die Transparenz der Bewertung kommunikativ sicherzustellen (Bach-Blattern amp Bohl 2011 Bohl 2009 S 73ff Juumlrgens 2010 Lissmann 2008 S 76f)

4 Resuumlmee

Das Beurteilungsportfolio bietet die Chance vielfaumlltige individuelle Lernergebnisse der Schuumllerinnen und Schuumller im Lernatelier Kuumlche uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinweg zu erfassen Insbesondere gibt das Portfolio den Lernenden die Gelegenheit ihre Staumlrken darzustellen Fuumlr Lehrende und Lernende kann dieser Weg der Beurtei-lung manchmal mit sich bringen dass sie unbekanntes Terrain betreten und gemein-sam Unsicherheiten uumlberwinden muumlssen Trotzdem zeigen Studien dass die Akzep-tanz bei den Beteiligten im Allgemeinen hoch ist (Bohl 2012 Glaumlser-Zikuda Rohde amp Schlomske 2010 Lissmann Haumlcker amp Fluck 2009)

Anmerkungen 1 In der Schweiz ist der Begriff bdquoAtelierldquo allgemein gebraumluchlicher als bdquoWerkstattldquo 2 Ich danke den engagierten Lehrerinnen die im Rahmen einer Weiterbildung im

Kanton Solothurn ein Konzept fuumlr ein Portfolio fuumlr die Ernaumlhrungsbildung gemein-sam mit mir entwickelt und mit ihren Klassen realisiert haben

3 Zur Unterstuumltzung der Portfolioarbeit erhalten die Lernenden zusaumltzliche Arbeits-blaumltter

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Beurteilungsportfolio

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Winter F (2012) Leistungsbewertung eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schuumllerleistungen (5 uumlberarb u erw Aufl) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Verfasserin

Profin Dr Ute Bender

PH FHNW Basel und Brugg

Clarastr 57 CH-4058 Basel

E-Mail utebenderfhnwch Internet wwwgesundheitundhauswirtschaftch

Rezension

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Regine Bigga

Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Ute Bender (Hrsg) (2013) Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Perspektiven und Praxisbei-spiele fuumlr den Hauswirtschaftsunterricht Fachdidaktische Entwicklungen in Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz Bern Schulverlag plus AG 200 Seiten mit CD-ROM

ISBN 978-3-292-00724-7 (D 3375 EURO A 3465 EURO CH 4190 CHF)

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In einem ersten Block werden die Entwicklungen und Positionspapiere zum deut-schen Projekt bdquoReform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulenldquo (REVIS) zum schweizerischen Projekt bdquoHauswirtschaftliche Bildung fuumlr eine Ge-sellschaft im Wandelldquo und der oumlsterreichische Referenzrahmen bdquoErnaumlhrungs- und Verbraucherbildung Austria (EVA)ldquo vorgestellt Unterkapitel widmen sich dem kompetenzorientierten Unterricht in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung und der Frage wie Lern- und Pruumlfaufgaben entwickelt werden koumlnnen

In einem zweiten Block werden ausgewaumlhlte Makromethoden (handlungsorien-tierter Unterricht Projekte Problemorientiertes Lernen Instruktionales Lernen Bio-graphieorientiertes Lernen SchmeXperiment und Experiment Dialogisches Lernen Stationenlernen) dicht angelehnt an entsprechende Fachartikel beschrieben Offen bleibt warum in diesem Kontext das Stationenlernen aber nicht typische Methoden der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung wie der vergleichende Schuumllerwaren- bzw Schuumllerdienstleistungstest und die Erkundung vertieft werden

In einem dritten Block werden Praxisbeispiele zum essbiographischen Arbeiten in multikulturellen Klassen zum fachpraktischen Arbeiten insbesondere dem Um-gang mit Rezepten zum experimentellen Arbeiten zur Entwicklung von Konsum-kompetenzen mittels Warentest und problemorientierten Lernen sowie der Entwick-lung von Haltungen in Richtung nachhaltiger Konsumentscheidungen ausfuumlhrlich dargestellt und auf entsprechende Makromethoden bezogen Hier liegt eine der Staumlr-ken des Buches deutlich werden Kompetenzen genannt und mit fachinhaltlichen und methodischen Uumlberlegungen verknuumlpft und reflektiert Im Anschluss werden die jeweiligen Vorschlaumlge kommentiert Im Sinne eines Studienbuches fuumlr die Lehrkraumlf-teausbildung waumlren hier Lern- und Pruumlfaufgaben bezogen auf die bdquoBeispiele fuumlr re-flektierte Unterrichtspraxisldquo hilfreicher gewesen

Der Sinn der beigelegten CD erschlieszligt sich nicht da viele der Dokumente gut online verfuumlgbar und die Medien fuumlr den Unterricht zum Teil nicht veraumlnderbar sind Ausgesprochen aumlrgerlich ist es dass sich teilweise Literaturhinweise weder im Buch noch auf der CD finden

Rezension

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Trotz der aufgezeigten Maumlngel ist die Anschaffung des Buches zu empfehlen Es wird eine Luumlcke in der fachdidaktischen Diskussion der Ernaumlhrungs- und Verbrauch-erbildung geschlossen denn bislang fehlte ein Studienbuch fuumlr Studierende und eine interessierte Fachoumlffentlichkeit das sich mit den Domaumlnen Konsum Ernaumlhrung und Gesundheit im Kontext der allgemein bildenden Schulen befasst und das die aktuelle fachdidaktische Diskussion in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in den deutschsprachigen Laumlndern Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz der letzten 20 Jahre vorstellt und diskutiert

Verfasserin

Regine Bigga

Universitaumlt Paderborn Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Gesundheit

Warburger Straszlige 100 D-33098 Paderborn E-Mail Bigga mailupbde

  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche
  • BartschBuumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung
  • DittrichFrantaLuumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene
  • KessnerBraukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen
  • MethfesselSchlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung
  • BartschBrandstaumldter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung
  • Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft
  • Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen
  • Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche
  • Rezension

Taxonomie der Lernwege

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und Methoden (Projektunterricht Freiarbeit Leittext-Lernen Planspiele problem-basiertes Lernen Werkstattarbeit usw) die fuumlr sich den Anspruch erheben bdquoganzheitlichesldquo Lernen (Lernen mit Kopf Herz und Hand ndash Johann Heinrich Pestalozzi 1746-1827) zu foumlrdern um muumlndige vernunftbegabt entscheidungs- und handlungsfaumlhige Individuen hervorzubringen (Aebli 1997 Gudjons 2001 Hackl 1990 Stoumlring 2007)

Die Form der aktiv-handelnden Wissensaneignung erfaumlhrt aktuell durch neu-rowissenschaftliche Erkenntnisse quasi einen Legitimationsschub wenngleich aus dem bdquopraktischenldquo Taumltigsein per se (bzw aus dem Sichtbarmachen beteiligter Hirnregionen) noch kein Bildungsgehalt begruumlndet werden kann

bdquoWer gut zu arbeiten lernt kann auch sich selbst regieren und ein guter Staatsbuumlrger werdenldquo(Sennett 2009 S 356) Selbststaumlndigkeit und Selbstverant-wortlichkeit im Handeln ndash das gesellschaftspolitische Ziel von (Allgemein)Bildung (im zeitgeschichtlichen Kontext Aufklaumlrung Muumlndigkeit Emanzipation genannt) ndash soll Buumlrger und Buumlrgerinnen zur aktiven Teilhabe (Partizipation) an demokrati-schen Gesellschaften und zum Aufbau nachhaltiger Entwicklungen befaumlhigen (Education for Democratic Citizenship2)

21 Didaktische Prinzipien fuumlr handlungsorientierten Unterricht

Handlungen sind mehr als Fertigkeiten es sind zielgerichtete in ihrem inneren Aufbau verstandene Vollzuumlge die ein fassbares Ergebnis erzeugen (Aebli 2011 S 182)

Unter handlungsorientiertem Unterricht werden Verfahren subsummiert bei wel-chen Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht bzw moumlglich wird (Gudjons 2001)

Unter Handlungen werden zielgerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrneh-mungen konkrete Operationen und intellektuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Aebli 2011 Baumgartner 2011 Flechsig 1991 Gudjons 2001 Peterszligen 2009 Riedl 2011)

22 Handeln lernen in der Schulkuumlche

221 Fertigkeiten erwerben

Ausdruumlcklich weist Peterszligen (2009 S 144) darauf hin dass nicht von handlungs-orientiertem Unterricht gesprochen werden kann wenn auf Anweisung von auszligen die Durchfuumlhrung einer Taumltigkeit eigenstaumlndig vorgenommen wird

Taxonomie der Lernwege

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Tab 1 Merkmale von Handlungen (Quelle Edelmann 2000 Gudjons 2001 Peterszligen 2009)

Merkmal Erlaumluterungen

zielgerichtet Lernen muss Sinn haben ein sinnstiftendes Ziel eine bewaumlltigbare Aufgabenstellung eine selbst gestellte (motivierende) Herausforderung Es gibt Leitlinien (Kriterien fuumlr den Prozess fuumlr das Produkt) die indizieren ob und wie das Ziel erreicht wurde Das Ziel ist realistisch (angemessenes Anspruchsniveau) dh es muss mit den zur Verfuumlgung stehenden Mitteln Fertigkeiten und der Zeit auch erreichbar sein

geplant Ein Handlungsschema wird entwickelt Teilhandlungen werden in einen groumlszligeren Sinnzusammenhang gebracht Effizientes Handeln ist dabei stabil-flexibel (grundsaumltzliches Festhalten am Ziel bei variablen Eingehen auf situative Bedingungen) Bei der Faumlhigkeit zur Antizipation von Handlungsablaumlufen und Handlungsergebnissen stoszligen Lernende naturgemaumlszlig an ihre Grenzen

selbststaumlndig Die Entwicklung eines Denk- und Handlungsschemas liegt in der Verantwortung des Lernenden die Handlungsplanung wird nicht von der Lehrkraft vorgegeben Allerdings sind Hilfestellungen notwendig wo liegt das Problem im Handlungsablauf (vgl Denkfoumlrderung in Dubs 2009) Selbstaumlndig muss nicht bdquoalleineldquo heiszligen Die Abstimmungsprozesse und Entscheidungen die in Lerngruppen zu treffen sind sind konstitutive Merkmale handlungsorientierten Lernens beduumlrfen jedoch auch der Instruktion (Helmke 2010 S 207-208)

vollstaumlndig Handlungen umfassen grundsaumltzlich Planung Durchfuumlhrung und Kontrolle Das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung ist zum Aufbau von Verantwortlichkeitskonzepten unumgaumlnglich

mehrperspektivisch

Die Lernenden wechseln die Perspektive sie sind Ausfuumlhrende und Beurteilende des Handlungsablaufs und Handlungsergebnisses Handeln wird von Metakognitionen begleitet Sprechen uumlber das Tun foumlrdert den Erkenntnisgewinn uumlber das Tun

Lernen am Modell durch Beobachtung und vor allem das nachahmende Uumlben ist wirksames Lernen ndash wenn die Lehrerdemonstration gut ist (Dubs 2009 S 187) Auch in der Schulkuumlche fertigen die Lernenden planvoll und gezielt ein Produkt (eine Speise) nach vorgegebener schriftlicher muumlndlicher und praktischer Anlei-tung an Hier sind nicht erarbeitende problemloumlsende Unterrichtsverfahren son-dern darbietende Methoden hilfreich die sich auf eine Grundkompetenz im Lehr-

Taxonomie der Lernwege

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beruf naumlmlich klare und gut nachvollziehbare Anleitungen geben zu koumlnnen stuumlt-zen (vgl dazu Grundform 2 Vormachen in Aebli 2011 S65-80 vgl dazu Ausdrucksstarke Anleitungen in Sennett 2009 S240-284) Tab 2 Fertigkeiten lernen (nach Peterszligen 2009)

Schritte im Lernprozess

Anforderungen Hilfestellungen wo liegt das Problem

Planung Ruumlsten des Arbeitsplatzes Koordination der einzelnen Arbeitsschritte Hilfestellungen zum Leseverstaumlndnis bei schriftlichen und graphischen Rezept-Darstellungen gute Visualisierung des Zielzustandes um die Antizipation desselben zu unterstuumltzen

Durchfuumlhrung Gute (muumlndliche schriftliche praktische) Schritt-fuumlr-Schritt Anleitungen gute Demonstrationen (Vormachen-Nachmachen) mit begleitendem Sprechhandeln (Dubs 2009 S 187-188) Vorausschauendes Eingreifen zur Korrektur von fachlichen Fehlern bei kritischen Gefahrenpunkten um auch ein Sicherheits- und Hygienebewusstsein aufzubauen Vgl Direktes Unterricht nach Grell J in Wiechmann 1999 S 35-49 Instruktion und Unterweisung in Terhart 1989 sowie die Ausfuumlhrungen in Sennett 2009 zu bdquoDie Handldquo S 201 und bdquoFaumlhigkeitldquo S 355)

Bewertung Auswertung der Ergebnisse Produkt- und Prozesskriterien Selbst- und Fremdkontrolle

Das Ziel naumlmlich den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten kann im Arbeitsunter-richt nur durch wiederholten Vollzug erreicht werden (Baumgartner 2011)

bull Uumlbung aumlhnliche Inhalte Aufgaben haben eher exemplarischen Charakter bull Drill Uumlberlernen durch Wiederholen (gleicher Inhalt sehr oft sehr lange)

sodass die Taumltigkeiten quasi bdquoautomatischldquo in die Handlung einflieszligen (zB Schneidetechniken Hygiene Sicherheit Ordnungsarbeiten)

bull Training schrittweise Leistungssteigerung bei gleichem Inhalt mit steigen-den Anforderungen

bull Probehandeln Handeln im bdquoAls-ob-Modusldquo wie es in der berufliche Bil-dung im Rahmen von Groszligkuumlchenunterricht der Fall ist (vgl dazu das Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung)

Dass bdquoArbeiten ohne Anleitungldquo als bdquokreativesldquo Tun interpretiert wird ist ebenso vermessen wie von sporadisch durchgefuumlhrten praktischen Taumltigkeiten schon Koumln-nerschaft zu erwarten Kreativitaumlt setzt Koumlnnerschaft voraus in groszligen Zeitabstaumln-den (woumlchentlich vierzehntaumlgig) einmalig durchgefuumlhrte praktische Taumltigkeiten fuumlhren sicher nicht zur Ausbildung von Routinen

Taxonomie der Lernwege

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222 Handeln lernen

Tab 3 vollstaumlndige Handlungen (kompiliert aus Peterszligen 2009 S 20 S 45 S 173)

Schritte im Handlungs-ablauf

Wo liegt das Problem Wo werden Lernhindernisse auftreten

Methodische Hilfestellungen

Informieren Ist der Arbeitsauftrag bzw Arbeitsumfang klar Muumlndliches und schriftliches Sprachverstehen Sind Lernende in der Lage den Zielzustand zu antizipieren

Leittexte (Leitfragen Leitsaumltze) Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lesetraining Bilder die den Zielzustand zeigen

Beraten und Entscheiden

Soziale Organisation in der LerngruppeLernpartner Gemeinsam in der Lerngruppe wird das Vorgehen gedanklich durchgespielt Partnerschaftliche Arbeitsteilung Zustaumlndigkeiten und Verantwortlichkeiten werden geregelt

Zufallsprinzip (Lose) Zuweisung oder freie Wahl Bild- und Textkarten zum Legen der Handlungsabfolge Checklisten fuumlr einzelne Taumltigkeiten

Ausfuumlhren Sachlogische Reihenfolge Vorarbeiten ndash Durchfuumlhrung ndash Nacharbeiten Fehler sofort korrigieren damit sich keine falschen Routinen einschleichen Zu den Vollendungsarbeiten zaumlhlt nicht nur das Anrichten und Praumlsentieren der Speisen sondern ebenso das Aufraumlumen des Arbeitsplatzes (bdquoNacharbeitenldquo)

Orientierung in der Kuumlche (Inventarsysteme) und angemessen ausgestattete Arbeitsplaumltze Bildtafeln fuumlr grundlegende Arbeitstechniken

Kontrollieren Schon waumlhrend der Handlung wird das Endprodukt mit dem Zielzustand verglichen Wie kann eigenstaumlndig das Erreichen des Zielzustandes festgestellt werden

Kontrollboumlgen mit Indikatoren die anzeigen wann der Zielzustand erreicht ist

Bewerten Produkt fachlich-sachliche Richtigkeit des Handelns Prozess soziales Verhalten (Kommunikation Kooperation Konfliktbewaumlltigung) Entwicklung von Bedeutsamkeits- und Verantwortlichkeitskonzepten

Gelenktes Fachgespraumlch Pensenbuch Lernpass zur Selbstbewertung ICH habeWIR haben

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Die einzelnen Phasen im Handlungsablauf bieten sich als Anker sowohl fuumlr die schulpraktischen Vor- und Nachbereitungen fuumlr die Fachpraxis also auch fuumlr die Foumlrderung des metakognitiven Bewusstseins (zB Dubs 2009 S 328-341) bei Ler-nenden an

Die Handlung bdquoNahrung zubereitenldquo umfasst neben den einschlaumlgigen hand-werklich-technischen Kuumlchenfertigkeiten auch das Kuumlchenmanagement (Arbeits-organisation unter Beachtung von Sicherheits- und Hygienerichtlinien bei Beschaf-fung Lagerung Zubereitung Aufbewahrung und Ausgabe von Speisen) sowie das Gestalten von Essenssituationen unter Beruumlcksichtigung kultureller Fragen subjek-tiver Motive und Problemlagen menschlichen Ernaumlhrungshandelns Auch wenn Alltagssituationen wie die taumlgliche Ernaumlhrungspraxis gerne trivialisiert werden die Zubereitung einer Tagesmahlzeit ist ein anspruchsvoller weil komplexer Lernan-lass fuumlr eine Lerngruppe gekennzeichnet durch Polytelie und Paradigmenvielfalt

3 Ernaumlhrung ndash ein weitlaumlufiges Lernfeld

Die Ernaumlhrung des Menschen ist ein weitlaumlufiges Wissensgebiet mit zahlreichen Bezugswissenschaften die sich spezielleren Fragen der Ernaumlhrung des Menschen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven methodischen Zugaumlngen Arbeitsweisen und theoretischen Modellen unter Ruumlckgriff auf die einschlaumlgigen fachlichen Sys-tematiken und Begrifflichkeiten zuwenden Von Atomen und Elementen uumlber Zell-strukturen biologischer Organismen bis hin zu sozialen Gruppen Gesellschaften und Zivilisationen werden saumlmtliche Wissensgebiete durchlaufen Physik Chemie Biologie Psychologie Soziologie und Kulturwissenschaften liefern eine Fuumllle von Theorien und Gesetzmaumlszligigkeiten

Weil die Ernaumlhrung des Menschen in Verbindung mit allen Lebensbereichen steht spricht der Soziologe Marcel Mauss (1968 S 17) von einem totalen gesell-schaftlichen Phaumlnomen bei dem alle Arten von Institutionen gleichzeitig zum Ausdruck kommen religioumlse rechtliche moralische oumlkonomische aumlsthetische ebenso wie technisch-instrumentelle Aus dieser Tatsache leitet sich auch der An-spruch an Ernaumlhrungsbildung in der Schule ab diese nicht auf normative Ernaumlh-rungserziehung zu reduzieren und zu verzwecken (bdquoHauptsache gesundldquo) sondern Bildung im Sinne der Faumlhigkeit die Phaumlnomene der Welt aus unterschiedlicher Perspektive bdquolesenldquo zu koumlnnen (Dressler 2006) zu verstehen

Eine in diesem Sinn verstandene Ernaumlhrungsbildung (nutrition literacy) soll zu einem reflektierten Verhaumlltnis zu sich zur Sache und zur Welt fuumlhren (Buchner 2013 S 9)

31 Praxis Anwendung welchen Wissens

Schulisches Lernen im Lernfeld Ernaumlhrung ist einer angewandten Lehre und hand-lungsorientierten Didaktik verpflichtet und Ernaumlhrungspraxis im Sinne von Nah-

Taxonomie der Lernwege

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rungszubereitung ist seit jeher ein zentrales Element im Fachunterricht Die uumlber die unmittelbare sinnaumlsthetische Erfahrung beim praktischen Tun zwangslaumlufig hervorgerufene emotionale Beteiligung die jeden Lernprozess begleitet ist eine nicht zu unterschaumltzende Qualitaumlt des Lernens in der Schulkuumlche

Wenn in Anlehnung an Weinert (1998) bdquoguterldquo Unterricht jener ist in dem bdquomehr gelernt als gelehrt wirdldquo3 dann koumlnnte man annehmen dass praktischer Unterricht in der Schulkuumlche per se bdquogutldquo ist weil hier vielfaumlltige Lernhandlungen stattfinden Beim Lob der Praxis wird ja stets auch darauf hingewiesen dass das bdquoVieleldquo eben nicht zur Gaumlnze formal definiert werden kann und gelingende Unter-richtsverlaumlufe einen Schatz impliziten Wissens Einstellungen und Haltungen (vgl Definition Kompetenz) sichtbar machen der auch Schuumllerinnen und Schuumllern mit weniger uumlberzeugenden formalen Lernleistungen eine gute Performanz beschei-nigt

Angesichts der Komplexitaumlt sowohl des Lerninhalts Ernaumlhrung des Menschen als auch der Vielfalt moumlglicher Lernerfahrungen beim Handeln in der Schulkuumlche erachte ich es fuumlr die Studierenden in der Ausbildung als notwendig eine grundle-gende (fach)didaktische Frage als Schluumlssel fuumlr die fachspezifische Unterrichtspla-nung in den fachpraktischen Uumlbungen zu klaumlren

Um die Anwendung welchen Wissens geht es

Welche Denkprozesse sollen gefoumlrdert werden und werden daher bei der jeweili-gen praktischen Anwendung in den Fokus gestellt Neben der Analyse der allge-meinen situativen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen lautet die inhaltliche Pruumlffrage unterstuumltzt der besondere Bildungsgehalt des ge-waumlhlten Themas das angestrebte Ziel des Fachunterrichts in der Schulkuumlche

Geht es um die Foumlrderung von sozial-integrativem Verhalten (agrave Soziales Ler-nen) von sinnerfassendem Lesen einer Rezeptanleitung (agrave Schluumlsselkompetenz mutter- oder fremdsprachliche Kompetenz) und Selbststaumlndigkeit in der Arbeitsor-ganisation (agrave Denk- und Handlungsstrategien entwickeln) oder agrave Kulturtechnik und kulinarisches Handwerk in der Kuumlche technisch-praktischem Verstaumlndnis bei der Nahrungszubereitung (agrave angewandte PhysikChemieTechnik) der Unterstuumlt-zung eines neugierig fragend- und forschenden Interesses bei 10-14jaumlhrigen (agrave naturwissenschaftliches Weltverstehen) oder um Meinungsbildung als Basis muumln-diger Entscheidungen (agrave politische Bildung)

Dementsprechend unterschiedlich sind dann auch die theoretischen Grundla-gen auf denen die Unterrichtsplanung basiert Professionalitaumlt im Lehrberuf entwi-ckelt sich wenn das Handeln in komplexen Ausbildungssituationen zu einem sys-tematischen Unterfangen wird bei dem die Studierenden sowohl das Spezifische einer Situation (Praxis) als auch das hinter dem konkreten Fall liegende Allgemei-ne (das potenziell Generalisierbare ndash die Theorie bzw das Paradigma) zu erken-nen vermoumlgen (vgl EPIK 2009)

Taxonomie der Lernwege

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32 Ernaumlhrungspraxis

Grundlage zur Definition von Ernaumlhrungspraxis4 sind der Lehrplan der Sekundar-stufe 1 sowie die im Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich (EVA) ausgewiesenen Inhalts- und Handlungsdimensionen der ein-zelnen Teilkompetenzen Tab 4 Das Verstaumlndnis von Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung fuumlr die

Sekundarstufe 1

Ernaumlhrungsbildung - Teilkompetenzen (EVA)

Daraus abgeleitete Inhalte und Handlungsdimensionen fuumlr die fachpraktischen Uumlbungen

Das eigene Essverhalten reflektieren und bewerten

Ernaumlhrungsbiografien im Spiegel von Raum (lokal-global) Zeit (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und Person (intra- und interpersonale Faktoren - psychische soziale und kulturelle Einfluumlsse auf das individuelle Essverhalten) verstehen Paradigma ein metakognitives Bewusstsein entwickeln

Sich vollwertig (bedarfsgerecht) ernaumlhren koumlnnen

Evidenz basiertes Wissen uumlber die Inhaltsstoffe unserer Nahrung (Bedarf Aufgaben Vorkommen in Lebensmitteln kuumlchentechnische Eigenschaften) erwerben Paradigma naturwissenschaftliches Verstehen foumlrdern

Eine empfehlenswerte Lebensmittelauswahl treffen

Entscheidungen zur Auswahl von Lebensmitteln aus dem Essenskreisder Ernaumlhrungspyramide nach differenzierten Gesichtspunkten argumentieren (Preis Umwelt- und Sozialvertraumlglichkeit Gesundheitswert Genusswert) Paradigma Urteils- und Handlungsfaumlhigkeit in divergenten Wirklichkeiten

Nahrung naumlhrstoffschonend zubereiten

Gartechniken uumlben bzw erproben (Sicherheit Hygiene Kulturtechniken im Vergleich) Physikalisch-chemische Phaumlnomene bei der Nahrungszubereitung erkennen und nutzen (angewandte Naturwissenschaften) Paradigma handwerklich-technische Fertigkeiten erwerben (effizientes und effektives Arbeiten)

Ernaumlhrung im Alltag nachhaltig und gesundheitsfoumlrderlich gestalten

Haushaltsmanagement Tagesmahlzeiten planen und zubereiten gemeinsam Essenssituationen gestalten (Esskultur lernen) Paradigma selbststaumlndiges und sozial-integratives Handeln lernen

Taxonomie der Lernwege

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Aufgrund der eingangs geschilderten Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschu-le werden sich die fachpraktischen Uumlbungen im Schulunterricht einem ausgewaumlhlten Verstehensweg zuwenden muumlssen Um einem umfassenden Bildungsanspruch ge-recht zu werden werden die Studierenden in der Fachdidaktik angehalten mittelfris-tige Planungen (5-6 Einheiten) als Basismodule und Erweiterungsangebote zu konzi-pieren die jeweils einen relevanten Ausschnitt der Ernaumlhrungspraxis in den Fokus stellen Diese Reduktion und Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg in den fachpraktischen Uumlbungen wird im Folgenden didaktische Konzeption genannt

4 Didaktische Konzeptionen fuumlr die Fachpraxis

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Lernwege besteht in dem der Hand-lung zugrundeliegendem Paradigma bdquoWorin liegt der besondere Erkenntnisge-winn Was soll der Schuumllerdie Schuumllerin tunldquo Das Paradigma oder die Kernidee beschreibt das was letztlich erreicht und verstanden werden soll und ndash salopp for-muliert ndash auch noch nachdem die Schulkuumlche verlassen wurde angewendet werden kann

Worin besteht das Besondere was enthaumllt dieser Lernweg als bestimmende Ka-tegorie und worin unterscheidet er sich von anderen Als Deskriptoren werden in der als Matrix dargestellten Taxonomie modelltypische Phasen im Unterrichtsver-lauf skizziert die fuumlr das Erreichen der Zielvorgabe (Faumlhigkeitsbereich) unabding-bar sind Moumlgliche Themen geeignete Sozialformen typische Lernaufgaben sowie das Lernen unterstuumltzende Materialien ergaumlnzen die Uumlbersicht beispielhaft Jeder Lernweg verlangt dass sich die Studierenden neben der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung des gewaumlhlten beispielhaften Lerninhaltes mit den jeweils spezifischen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Bedingtheiten des ge-waumlhlten Paradigmas befassen und die subjektiven Lernvoraussetzungen ihrer Schuuml-lerinnen und Schuumller mit einbeziehen

Lernprozesse die wir im Unterricht ausloumlsen und steuern sollen dem Schuumller [sic] in der Regel neue Moumlglichkeiten des Handelns und des Erlebens also des Denkens Fuumlhlens und Wertens eroumlffnen Sie sollen sich in einem Wissen niederschlagen aus dem der Schuumller [sic] in neuen Situationen richtig zu handeln und zu urteilen vermag und das ihn befaumlhigt emotional angepasst zu reagieren und Dinge die Gegenstand von Wertungen sind richtig zu beurteilen (Aebli 2011 S 277)

Die Taxonomie der Lernwege fuumlr die Fachpraxis trifft keine Werturteile Jede hier verortete didaktische Konzeption ist per se zulaumlssig weil sie den Vorgaben des Lehrplans entspricht und dem Referenzrahmen Ernaumlhrungsbildung zuarbeitet Le-diglich im gegebenen situativen Kontext ist eine Konzeption mehr oder weniger zielfuumlhrend Die Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg fuumlr zumindest 5-6 Lehreinheiten (mittelfristige Planung mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Lehreinheit) erscheint jedoch notwendig um eine Kompetenzentwicklung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden uumlberhaupt zu ermoumlglichen

Taxonomie der Lernwege

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Tab 51 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (1)

Kategorie NAWI-Lernfeld GESO-Lernfeld

Paradigma Naturwissenschaftliches Den-ken

(Moralische) Urteilsbildung

Modellphasen Muster im Lernweg

1 Beobachten und Wahrneh-men (mit allen Sinnen) 2 Beschreiben (messen wiegen analysieren) Wahrnehmungen objektivieren 3 Ursache-Wirkungs-Gesetzmaumlszligigkeiten erforschen Versuche und Experimente in der Kuumlche (wenn ndash dann) 4 Schlussfolgerungen fuumlr die Nahrungszubereitung (Transfer in den Kuumlchenalltag)

1 Beobachten und Wahrnehmen relevante Kriterien fuumlr die unterschiedlichen Kategorien von Lebensmittelqualitaumlt 2 Vergleiche nach differenzierten Gesichtspunkten das eine und das andere 3 Folgen einer Entscheidung abschaumltzen (Szenarien antizipie-ren) 4 Bewerten und begruumlnden (Rangreihen bilden)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Naturwissenschaftliche Phaumlno-mene im Alltag erkennen und nutzen

Argumentieren die den Normen zugrunde liegenden Werte vertreten

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Mit allen Sinnen wahrnehmen und genieszligen Die Inhaltsstoffe unserer Nah-rung bdquoerforschenldquo Angewandte Chemie Physik Technik in der Kuumlche

Lebensmittelgruppen und Ernaumlhrungsempfehlungen aus differenzierter Sicht (Gesundheit Nachhaltigkeit Kultur) Lebensmitteltechnologien Kaufen oder Selbermachen

Sozialform EA PA EA PA KG

Lernaufgabe Forschungsfragen Fallbeispiel

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Beurteilungsboumlgen fuumlr Sensori-sche Tests Merksaumltze bdquoFor-schungsfibelnldquo

Visualisierungshilfen fuumlr Kategorien Guumltesiegel fuumlr Nachhaltigkeit Entscheidungs-Matrix

Hinweise (1) Der sinnaumlsthetische Zugang ndash der quasi bdquonatuumlrlichsteldquo Zugang zur Ernaumlhrung des Menschen (vgl Buchner Kernbichler amp Leitner 2011 S 66) ndash wird als fachspezifische Methode verstanden die in allen Konzeptionen zum Ein-satz kommt (sensorische Bewertung der hergestellten Speisen Verkostungen Wa-rentests vergleichende Produktbewertungen) aber per se noch kein Paradigma erschlieszligt (2) Da das biografische Lernen nicht an den Lernort Schulkuumlche gebun-den ist findet dieser Praxisbezug keinen Einzug in die Taxonomie

Taxonomie der Lernwege

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Tab 52 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (2)

Kategorie Praktisches Lernen Selbstaumlndigkeit lernen

Paradigma Fertigkeiten lernen ICH

Sozial-integratives Lernen WIR

Modellphasen Muster im Lern-weg

Arbeitsunterricht Erlernen handwerklicher Taumltigkeiten 1 Vorbereiten (Ruumlsten) 2 Durchfuumlhren der Taumltigkeit (wiederholter Vollzug) 3 Bewerten des Arbeitsergebnis-ses (Produkt Prozess)

Problemorientiertes Lernen Selbstaumlndig vollstaumlndige Handlungsablaumlufe planen ausfuumlhren und kontrollieren 1 Informieren 2 Planen 3 Entscheiden 4 Durchfuumlhren 5 Kontrollieren (Ziel er-reicht) 6 Bewerten (Produkt Pro-zess)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Effizientes und effektives Arbei-ten in der Kuumlche

Haushaltsmanagement in variierenden Alltagssituatio-nen

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Lehrgang Gartechniken Konservierung Produkte und Dienstleistungen aus der Kuumlche (Geschenke aus der Kuumlche gesunde Schuljause)

Die Mahlzeiten des Tages Die bdquoZauberformel fuumlr gesunde Ernaumlhrungldquo anwenden kulturelle Uumlbersetzungen fuumlr bdquorichtigeldquo Mahlzeiten Kulinarische Weltreisen (Gast sein hier und anderswo) Food Design

Sozialform EA PA KG

Lernaufgabe Arbeitsauftrag Problemstellung

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Leittexte Rezeptkarten Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lehrfil-me

Leittexte Checklisten zur Arbeitsorganisation zur ProduktProzessbewertung Pensenbuumlcher

Taxonomie der Lernwege

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Ausblick

Die Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschule erfordern ein forciertes Vor-gehen bei der fachspezifischen Unterrichtsentwicklung Im Rahmen ihres Studiums an der Paumldagogischen Hochschule Salzburg arbeiten die Studierenden an bdquoLehrstuuml-ckenldquo (Wiechmann 1999) fuumlr Lernwege und erproben diese Planungen im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien Die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis arbeitet der (schul-)praktischen Ausbildung zu

Zu Studienbeginn erproben Studierende kuumlrzere Unterrichtssequenzen in de-nen einerseits das Training von Fertigkeiten im Zentrum steht (gute muumlndliche schriftliche praktische Anleitungen geben koumlnnen) und andererseits die sensori-sche Produktbewertung als genuin fachspezifische Methode zur Anwendung kommt

In den Folgesemestern wird das fachspezifische Methodentraining dahingehend erweitert dass das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung im (schul)praktischen Un-terricht umgesetzt werden kann

Das NAWI und GESO Lernfeld wird in den houmlheren Semestern in denen Stu-dierende bereits uumlber einen laumlngeren Zeitraum die Klassenfuumlhrung uumlbernehmen verfolgt

Professionalitaumlt im Lehrberuf bedeutet ebenfalls dass behauptete Ursache-Wirkungszusammenhaumlnge auch empirisch bewiesen werden koumlnnen Insofern ist die Taxonomie der Lernwege auch ein Ausgangspunkt fuumlr die Generierung von Hypothesen im Rahmen einer wissenschaftsorientierten Auseinandersetzung mit Unterricht in der Schulkuumlche und seiner Bildungswirksamkeit wie dies in der ab-schlieszligenden Bakkalaureatsarbeit unter Beweis zu stellen ist

Anmerkungen 1 Naturwissenschaftlich und mathematischer Schwerpunktbereich (SP) sprachli-

cher humanistischer und geisteswissenschaftlicher SP musisch-kreativer SP (je-weils eine Wochenstunde) oumlkonomisch und lebenskundlicher einschlieszliglich pra-xisbezogener SP (drei Wochenstunden)

2 Europaumlischer Referenzrahmen Schluumlsselkompetenzen fuumlr lebenslanges Lernen [httpeceuropaeudgseducation_culturepublpdfll-learningkeycomp_depdf]

3 In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Franz E Weinert in Freund J Gruber H amp Weidinger W (Hrsg) (1998) Guter Unterricht - Was ist das As-pekte von Unterrichtsqualitaumlt (S 7-18) Wien OumlBV Paumldagogischer Verlag

4 Zur Bestimmung von Ernaumlhrungspraxis siehe auch das Glossar von REVIS

Taxonomie der Lernwege

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Taxonomie der Lernwege

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Verfasserin

Maga Ursula Buchner

Paumldagogische Hochschule Salzburg

Akademiestraszlige 23 A-5020 Salzburg

E-Mail ursulabuchnerphsalzburgat Internet wwwphsalzburgat

Lernort Kuumlche

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Silke Bartsch und Petra Buumlrkle

Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung Den Rahmen fuumlr die Anspruumlche an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung bietet das REVIS-Bildungsziel 3 Die Nahrungszubereitung wird als ein methodischer Zugang mit vier Phasen (Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen Nachbereitung) verstanden Gezeigt wer-den soll dass aus einer theoriegeleiteten Praxis didaktisch-methodische Gestaltungsmoumlglich-keiten im Umgang mit diesen Phasen erwachsen die Lehren und Lernen erleichtern

Schluumlsselwoumlrter Schulkuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

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Einleitung

Nach dem REVIS zugrunde liegenden Bildungsverstaumlndnis von Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (EVB) hat die Fachpraxis Ernaumlhrung folgende Aufgabe bdquoDamit Fertigkeiten und Faumlhigkeiten als zentrale Elemente von Kompetenz Grundlage fuumlr eigenverantwortliches Handeln werden koumlnnen muumlssen sie theoretisch geleitet transferfaumlhig und reflektiert angeeignet genutzt und weiterentwickelt werdenldquo (Onli-ne-Glossar zur EVB1) Das dazugehoumlrige REVIS-Bildungsziel 3 legt in seiner Inter-dependenz mit dem uumlbrigen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildungscurriculum2 somit die Grundlagen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Schuumllerinnen und Schuumller sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen Dazu gehoumlrt dass sie hellip Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnen hellip Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinn-lichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumlnnen hellip Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwen-den koumlnnen hellip Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnen (Fachgruppe EVB 2005)

Damit wird ein kompetenzorientierter Anspruch an eine theoriegeleitete Fachpraxis Ernaumlhrung formuliert der uumlber die tradierte fachpraktische Nahrungszubereitung deutlich hinausgeht Gleichzeitig sehen sich viele der Lehrerinnen (und Lehrer3) in sogenannten Lehrkuumlchen stehen die nach tradierten Lernzielvorstellungen konzipiert

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sind Entsprechend unterrichten Lehrerinnen Nahrungszubereitung noch haumlufig nach tradierten Lernzielvorstellungen Trotz fantasievoller Einstiegsszenarien die den Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen suchen sind es uumlberwiegend ge-schlossen konzipierte Unterrichtseinheiten mit Lehrgangscharakter die der Systema-tik des Lehrbuches folgen Oft wird dies durch die vorgegebene Stundenaufteilung und der Raumaufteilung (Theorieraum und Schulkuumlche) bdquobegruumlndetldquo In vielen Schulen wird nach dem Muster bdquoPraxis folgt Theorieldquo unterrichtet Bei der fachprak-tischen Arbeit in den Schulkuumlchen fuumlhlen sich Lehrende vielen Belastungen ausge-setzt Geraumluschkulisse hoher Beratungsbedarf der nur selten warten kann Schuumller und Schuumllerinnen die auf das gemeinsame Essen fixiert sind und das alles im 45-Minuten-Takt Ritualisierte Unterrichtsmuster werden von vielen daher als Entlas-tung empfunden

In unserem Beitrag soll der Anspruch des REVIS-Konzepts an die Fachpraxis Ernaumlhrung zusammenfassend vor dem Hintergrund der damit verbundenen Heraus-forderungen fuumlr die Nahrungszubereitung betrachtet werden um einen Rahmen fuumlr die didaktisch-methodischen Uumlberlegungen zu umreiszligen und damit (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer zu bestaumlrken neue Wege zu gehen Entsprechend leitet fol-gende Frage unsere Ausfuumlhrungen

Welche konkreten Ansatzpunkte koumlnnen im Sinne der Kompetenzorientierung eine handlungsorientierte Nahrungszubereitung foumlrdern und gleichzeitig zur Entlas-tung der Lehrenden im Spagat zwischen Anspruch und Schulwirklichkeit fuumlhren

Dazu wird zunaumlchst die Begriffsverwendung geklaumlrt und heutige Herausforde-rungen an die Lehrenden beschrieben um dann auf der Grundlage des Anspruchs an eine kompetenzorientierte Nahrungszubereitung ausgewaumlhlte Ansatzpunkte zu den Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung zu konkretisieren

1 Fachpraxis Ernaumlhrung

11 Begriff Fachpraxis Ernaumlhrung

Da besonders im (Schul-)Alltag die Begriffe Nahrungszubereitung Fachpraxis Ernaumlhrung und zuweilen auch noch Kochen synonym verwendet werden ist erst mal zu klaumlren welche Begriffsverwendung gemaumlszlig dem Anspruch an eine kompe-tenzorientierte Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung uumlblich ist Unter Ernaumlhrungs-praxis versteht man im schulischen Kontext meist den bdquoauf die Nahrungszuberei-tung bezogene Teil der Ernaumlhrungsbildungldquo (Online-Glossar zur EVB4) Intendiert ist Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln bdquodie zur Anwendung der ernaumlh-rungswissenschaftlichen Erkenntnisse im Alltag und Beruf notwendig sindldquo (ebd) Zur intendierten bdquoNutrition Literacyldquo gehoumlrt die Grundorientierung eines bdquonachhal-tigen Konsumsldquo sowie ein bdquokulturelles Verstaumlndnis der Fachpraxis Ernaumlhrungldquo (vgl Methfessel 2005 Methfessel Schlegel-Matthies in diesem Heft)

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Methodische Zugaumlnge

Anknuumlpfend an die Arbeiten von Tornieporth va aus den 1990er Jahren ist auch Konsens dass Nahrungszubereitung nur eine der moumlglichen methodischen Umset-zungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung ist Daher ist fuumlr die nachfolgenden Ausfuumlh-rungen grundlegend dass die Fachpraxis Ernaumlhrung weder Inhalte noch Methode begruumlndet sondern vielmehr didaktisch-methodische Entscheidungen erfordert die ihrerseits im jeweiligen Unterrichtsarrangement verankert werden muumlssen

In unserem Beitrag interessieren methodische Zugaumlnge die eine Nahrungszube-reitung (= Ernaumlhrungspraxis) einschlieszligen um an diesem bevorzugt gewaumlhlten Zu-gang zur Fachpraxis Ernaumlhrung die Anspruumlche und Herausforderungen an eine theo-riegeleitete Fachpraxis zu verdeutlichen Das sind beispielsweise SchmeXperimente (Oepping 2005) Lehrgaumlnge zB Schneidelehrgaumlnge) Zubereitung einer Mahlzeit oder Speise etc Schuumllerwarentests oder Markterkundungen Fachexkursionen (zB zu Orten der Lebensmittelproduktion) sind beispielsweise Methoden der Fachpraxis Ernaumlhrung die nicht zwingend eine Nahrungszubereitung vorsehen

12 Schulkuumlche und Lernwerkstatt als fachdidaktische Konzepte

Uumlber den heutigen Zustand und die Ausstattung von Schulkuumlchen gibt es keine aktu-elle Studie Die in der EIS-Studie beschriebenen Unzulaumlnglichkeiten in deutschen Schulkuumlchen der Sekundarstufe I und ihr hoher Stellenwert bei der Nahrungszuberei-tung als genuine Domaumlne der haushaltsbezogenen Bildung sowie der Sinnesbildung waren daher Anlass im Rahmen des REVIS-Modellprojekts5 eine mobile Esswerk-statt (MEW) zu entwickeln und einen didaktischen Rahmen fuumlr Lernwerkstaumltten vor-zulegen Schlieszliglich sind die vorhandenen Fachraumlume und deren Ausstattung maszlig-gebliche Einflussfaktoren auf die Gestaltung der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Kuumlche [als kulturelles Regelwerk Anmerkung der Autorinnen] bestimmt (also auch) die Auf- und Abwertung von Lebensmitteln durch die damit verbundenen Speisen Zubereitungsarten und Technologien (Methfessel 2005 S 13)

Die in den Schulen noch haumlufig anzutreffenden bdquoLehrkuumlchenldquo folgen tradierten Emp-fehlungen wie sie beispielsweise in einem Merkblatt fuumlr Bau und Einrichtung von Fachraumlumen im Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt aus dem Jahr 2003 zu finden sind Eine Schulkuumlche kann mit Gruppeninseln 4-Kojen und Essbereich 4-Kojen Essbereich und Vorraumlume Gruppeninseln und Essbereich U-Kojen und Essbereich und L-Kojen und Essbereich als Laborkuumlche ausgestattet sein Der Hinweis auf so-genannte bdquoFachnebenraumlumeldquo mit bdquoTheorie- und Essraumldquo die als bdquoErgaumlnzung der Schulkuumlcheldquo dienen (vgl Landesinstitut fuumlr Erziehung und Unterricht Stuttgart 2003) wird von vielen Lehrerinnen (und Lehrern) beherzigt

Dem steht das Lernwerkstattkonzept entgegen wie es beispielweise an der Uni-versitaumlt Paderborn6 umgesetzt wurde Idee ist eine Schulkuumlche mit Werkstattcharak-

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ter und integriertem Seminarbereich um vielfaumlltige fachpraktische Zugaumlnge zu er-moumlglichen und Theorie und Praxis auch raumlumlich zu verknuumlpfen

Anstehende Renovierungen in den Schulen bieten hier Chancen nicht nur die Einrichtungen sondern auch die Fachraumkonzepte zu uumlberdenken und zu moderni-sieren

Eine Mobile Esswerkstatt (MEW) ist eine bewegliche kleine Kuumlchen-einheit die mit einer Grundausstat-tung (Glas-Keramik-Kochfeld mit zwei Kochstellen Backofen An-schlusskabel vier Steckdosen fuumlr den Anschluss von elektrischen Geraumlten zB eines Handruumlhrgerauml-tes Besteck- und Groszligraumschub-laden fuumlr Zubehoumlr) fuumlr die Nah-rungszubereitung eingesetzt werden kann ndash allerdings ohne integrierten Wasseranschluss

Abb 1 Mobile Esswerkstatt (MEW)

13 Herausforderungen bei der Umsetzung

Unterrichtszeiten sind eine Herausforderung Zunaumlchst wecken sie (unabhaumlngig von der zeitlichen Lage im Stundenplan) aufgrund der tradierten Unterrichtspraxis Erwar-tungen an die Gestaltung nach dem bdquo1 + 2 Musterldquo (eine Unterrichtsstunde Theorie zwei Praxis) mit der Vorstellung dass schlussendlich gegessen wird Lehrerinnen die diese Vorstellungen bedienen sind bei Schuumllerinnen und Schuumllern meist beliebt Tageszeit und Essenszubereitung passen je nach Stundenplan nicht zusammen was von Lehrerinnen als Problem wahrgenommen wird ndash aber nach dem EVB-Ansatz keines ist

Unterrichtsraumlume haben Aufforderungscharakter und legen Unterrichtskonzepte nahe bdquoWann kochen wir (endlich)ldquo sind dann immer nagende Fragen der Schuumlle-rinnen und Schuumller an die Lehrenden Klassenraumlume sind zuweilen bdquoFluchtraumlumeldquo so dass nur bei Bedarf in die Schulkuumlche gegangen wird

Geringschaumltzung der Fachpraxis Ernaumlhrung Die (Auszligen-)Wahrnehmung der Nahrungszubereitung als bdquoKochunterrichtldquo wird durch eine auf Zubereitungsfertig-keiten reduzierte Fachpraxis oft von den Lehrpersonen selbst reproduziert und geht entsprechend mit einer geringen Wertschaumltzung einher (Bartsch amp Methfessel 2012)

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Anspruch an die Professionalitaumlt

Dagegen sind die Herausforderungen an ein professionelles Lehren hoch Die Schwierigkeit der Uumlbertragung und der Explikation des Themenfeldes Esskulturrsquo im Unterricht liegt ndash auszliger in der Komplexitaumlt ndash noch in anderen Zusam-menhaumlngen Erstens in den unterschiedlich gewichteten Aspekten und zweitens in der Einbindung in unterschiedliche Ebenen Hinzu kommt drittens der kulturelle Wandel der je nach Zeitepoche in der Esskultur mehr oder weniger Veraumlnderungen hervorbringt (Roumlszligler-Hartmann 2012 S 101)

Niemand kann bei jeder Unterrichtsplanung und -durchfuumlhrung im Unterrichtsalltag stets alle Aspekte beruumlcksichtigen deshalb ist die Grundhaltung entscheidend die sich in Unterrichtsroutinen wiederum niederschlaumlgt Schwerpunktsetzungen helfen bisherige Rituale zu uumlberdenken und auf ihren didaktisch-methodischen Sinn zu pruumlfen Das Theorie- und Praxisverstaumlndnis der Lehrenden ist fuumlr die fachpraktische Arbeit in der Lehrkuumlche handlungsleitend (vgl Buchner 2011) Das bedeutet auch dass sich Lehrende bei der Unterrichtsplanung fragen sollten ob eine Vernetzung von Thema und Nahrungszubereitung sowie ein Zusammenhang von Lernzielen und Unterrichtsaktivitaumlt gegeben und dieses fuumlr die Lernenden erkennbar ist (vgl Wespi amp Senn Keller 2008)

2 Anspruch an die Fachpraxis Ernaumlhrung

21 Verhaumlltnis zwischen Theorie und Praxis

Didaktische Prinzipien leiten die gesamte Unterrichtsgestaltung Kompetenzorientie-rung ist heute der grundlegende Anspruch Demgemaumlszlig gehen didaktisch-methodische Uumlberlegungen vom essenden und konsumierenden Menschen aus (Fachgruppe EVB 2005) Weitere didaktische Prinzipien die sich als foumlrderlich fuumlr den Kompetenzerwerb erweisen ordnen sich der Kompetenzorientierung entspre-chend unter

Dieser Anspruch an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung erscheint auf den ersten Blick einfach so ist doch die Anwendung durch die Praxis dabei Entsprechend der Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001 S 27f) geht es hier um transferfaumlhige Kompetenzen die Dimensionen Kognition Volition Motivation einschlieszligen und eigenstaumlndiges verantwortliches Handeln intendieren Um diesem zu genuumlgen muss die Fachpraxis theoriegeleitet sein und didaktische Prinzipien zielgerichtet beruumlcksichtigen Fuumlr eine theoriegeleitete Fachpraxis ist die Handlungsorientierung zentral sie ist vielen Lehrerinnen ein gelaumlufiger Begriff (Fachgruppe EVB 2005 S 87) haumlufig ohne das dahinterstehende Konzept tatsaumlch-lich umsetzen zu koumlnnen

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22 Handlungsorientierung und Handlungsprodukte

Das Waschen Schaumllen Schneiden einer Kartoffel ist kein handlungsorientiertes Vorgehen an sich vielmehr geht es um eine zielgerichtete reflektierte Aktivitaumlt der Lernenden (vgl Tornieporth 1995 Buchner 2002 Meyer 2007)

Handlungsorientierter Unterricht beschreibt ein Verfahren bei dem Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht wird Unter Handlungen werden ziel-gerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrnehmungen konkrete Operationen und intellek-tuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Buchner 2002 S 1)

Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist also durch Elemente des Handelns gekennzeichnet und schlieszligt nach der Handlungstheorie eine Handlungsevaluation dh Ruumlckkopplungs-prozesse ein Es liegt nahe dazu Handlungsziele in Teilplaumlne Teilhandlungen und Teilziele zu zerlegen Die Lernenden muumlssen immer wieder neu vergleichen und anpassen denn erst wenn das gesteckte Ziel erreicht ist ist die Handlung abgeschlos-sen

Ein Kind lernt durch vielmaliges Durchleben und Beteiligen dass das Handlungs-schema fuumlr eine Mahlzeit zubereitenrsquo aus mehreren Teilhandlungen besteht 1 Sich Speisen aussuchen (hellip) 2 Zutaten besorgen (hellip) 3 Nahrung zubereiten (hellip) Tisch decken und ndash nach dem Essen und Genieszligen die 5 Reinigungsarbeiten erledigen (Buchner 2011 S 129)

Das nachfolgende Beispiel weist dabei auf eine entscheidende Problematik bei der schulischen Nahrungszubereitung hin Sind Handlungsprodukte des Unterrichts nicht fuumlr alle Beteiligten transparent unterscheiden sich haumlufig Schuumllererwartungen und unterrichtliche Handlungsziele Beispiel Schuumllerinnen und Schuumller wollen schnellstmoumlglich ein Essen auf den Tisch bekommen und sind damit in erster Linie an der Fertigstellung des Essens interessiert und weniger an Handlungsprozessen Folglich lassen sie sich kaum auf Lernprozesse ein sondern bereiten ein Essen wie aus dem haumluslichen Umfeld gewohnt nach ihrem Geschmack und ihren Gewohnhei-ten zu Erwartungen und Handeln der Lernenden werden durch die haumlusliche Situati-on geleitet Aber im Unterschied dazu geht es bei der schulische Nahrungszuberei-tung nicht um eine Ernaumlhrungsversorgung sondern um Lernen Es muss folglich auch eine Lernsituation hergestellt werden Damit sind nachfolgende Anforderungen an die handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung geknuumlpft

1 Die Komplexitaumlt des Unterrichtsgegenstandes Ernaumlhrung erfordert auch klar definierte Unterrichtsziele mit Schwerpunktsetzungen in den Unterrichtsstunden bzw Unterrichtsbloumlcken

2 Die Festlegung eines Handlungsproduktes fuumlr jeden Unterrichtsblock ist ab-haumlngig vom jeweiligen Unterrichtsziel und kann auch in der Fachpraxis sehr unter-

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schiedlich sein Handlungsprodukt kann eine Mahlzeit und das gemeinsame Essen sein muss aber nicht

3 Handlungsprodukte muumlssen fuumlr Lehrende und Lernende transparent sein 4 Die gemeinsame Festlegung der Handlungsprodukte erhoumlht die persoumlnliche

Bedeutsamkeit und damit die Motivation sich darauf einzulassen sich damit ausei-nanderzusetzen und das Handlungsziel zu erreichen

5 Fachpraxis Ernaumlhrung ist eine Lernsituation fuumlr die eine Reproduktion der haumluslichen Nahrungszubereitung nicht zielfuumlhrend ist

Unterrichtsziel und Festlegung des Handlungsprodukts

Die Bereiche der Nahrungszubereitung und des Essens sind komplexe Bereiche da sie von mehreren Phaumlnomenen und Sachverhalten uumlberlappt werden (Roumlszligler-Hartmann 2012 vgl Methfessel 2005)

Die Komplexitaumlt der Thematik erfordert eine mehrperspektivische Betrachtung die mit beispielhaft entwickelten Unterrichtsmodellen wie zB bdquoTomatenkulturldquo (Tornieporth 1997) bereits in den 1990er Jahren fuumlr unsere Fachdomaumlne fuumlr einen projektorientierten Unterricht begruumlndet wurde Idee ist eine Thematik uumlber die un-terschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder zu erschlieszligen Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist dabei ein Handlungsfeld das ebenso wie die weiteren Unterrichtsbau-steine die aus den unterschiedlichen natur- und kulturwissenschaftlichen Perspekti-ven heraus entwickelt werden hinsichtlich ihres Bildungsgehaltes einer didaktischen Analyse standhalten muss Das bedeutet Jede Unterrichtsstunde bzw jeder Unter-richtsblock erfordert ein Unterrichtsziel mit klar definiertem Handlungsprodukt weil nur so die Komplexitaumlt theoretisch aufgebrochen werden kann Unterrichtsarrange-ments unterscheiden sich folglich gemaumlszlig dem festgelegten Handlungsprodukt Das kann die Situation einer Mahlzeit sein die dann einen gedeckten Tisch und gemein-sames Essen erfordert Das kann auch die Auswertung einer Supermarkterkundung sein die dann eine Praumlsentation der Erkundungsergebnisse erfordert Das koumlnnen auch bdquoProbierhaumlppchenldquo fuumlr eine sensorische Pruumlfung sein Diese hier beispielhaft skizzierten Unterrichtssituationen sind geeignet um Unterrichtsergebnisse zu reflek-tieren und zu evaluieren Reflexionsphasen sind notwendige Bestandteile eines kom-petenzorientierten Lernprozesses Wespi und Senn Keller (2008 S 20) empfehlen fuumlr Lehrende zusammenfassend Kompetenzen sollten fuumlr eine Einheit ausgewaumlhlt und festgelegt beobachtet und beschrieben (Beobachtungsinstrument) ruumlckgemeldet und interpretiert (Feedback) bewertet (Effekte bestimmt) transformiert (Selbstwirk-samkeit uumlberpruumlft) und mit der Ausgangssituation verglichen werden

Transparenz und Bedeutsamkeit eines Handlungsprodukts

Bleiben bei der Zerlegung in Teilhandlungen die (Teil-)Ziele die der Lehrenden werden die Lernenden dieses Vorgehen fantasievoll umschiffen Sind Lehr- und

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Lernziele (in)direkt Teil des Unterrichts dann koumlnnen Lernende ihre Sichtweisen einbringen und Unterrichtsprozesse mitgestalten Der Grad der Mitbestimmung kann dabei ganz unterschiedlich sein Bei Lehrgaumlngen sind es haumlufig die Lehrziele die fuumlr Lernende transparent sein sollten um deren unterrichtliche Bedeutung nachvollzie-hen zu koumlnnen Beispielsweise haben Lehrgaumlnge ihre Berechtigung zur Erreichung von Projektzielen oder bei Vorgaben wie sie beispielsweise bei der Hygieneschu-lung der Fall sind Bei Formen des forschend-entdeckenden Lernens kann das (Lern)Ziel die Loumlsung einer selbstgestellten Frage sein zB der Biskuit ist beim letzten Backen bei vielen zusammengefallen Woran kann das liegen Wie laumlsst sich das vermeiden

Durch bdquoechteldquo d h alltagsrelevante Problemstellungen (Beispiel Helfen Light-Produkte beim Abnehmen Foumlrdert ein hoher Fleischverzehr den Muskelaufbau) ist eine houmlhere Motivation zu erwarten als bei rein bdquoakademischenldquo Problemen (Bei-spiel Uumlbergewicht ein Uumlbel unserer Zeit Ursachen und Folgen) Daraus resultieren Anforderungen an die Aufgabenstellungen Aufgaben sollten komplex anwen-dungsbezogen auf konkrete Handlungssituationen sein um damit Lernprozesse in Gang zu setzen die wiederum eine umfassende Informationssuche und Vernetzung von Fachwissen und Fachkompetenzen in Gang setzen (vgl Wellensieck amp Peter-mann 2002)

Durch die im Alltag vorhandene hohe Komplexitaumlt lassen sich solche problem-orientierten Aufgaben kaum in drei Unterrichtsstunden loumlsen und legen ein projekt-orientiertes Vorgehen nahe Wie bereits bei Tornieporth (1995) die sich ihrerseits unter anderem auf reformpaumldagogische Ansaumltze des 19 Jahrhunderts bezieht sind offene Unterrichtsformen mit handlungsorientierten projektorientierten und prob-lemorientierten Vorgehen erfolgsversprechend Aktuelle Forschungen zum bdquogehirn-gerechtem Unterrichtenldquo bestaumltigen das (Terhart 2009 S 154)

Umgang mit Erfahrungen und Meinungen in der Lernsituation

Die Vielzahl von Erfahrungen (bdquoZuhause machen wir das soldquo) und daraus resultie-rende Meinungen (bdquoDas schmeckt nichtldquo) die Schuumllerinnen und Schuumller mitbringen koumlnnen bei einem subjektorientierten Unterricht die Lernprozesse bereichern Sub-jektorientierte Methoden setzen am bdquosubjektiven Vorverstaumlndnis der Lernendenldquo an und machen bdquodiese (auch) zur Arbeitsgrundlage fuumlr den Unterrichtldquo (Bartsch 2012) Subjektorientiertes Vorgehen ist nicht immer moumlglich trotzdem ist ein sensibler und offener Umgang mit Erfahrungen und Meinungen der Lernenden notwendig um den Transfer zu foumlrdern

Beispielsweise koumlnnen Schuumllerinnen die manchmal Tomaten in der Hand schneiden weil sie es so von ihren (Groszlig-)Muumlttern kennen schnell uumlberzeugt wer-den wenn sie das professionelle Schneiden ausprobieren und uumlben um es dann mit der haumluslichen Methode zu vergleichen Vor- und Nachteile abwiegend nach ver-schiedenen fachlichen Kriterien (zB fuumlr das Schneiden Sicherheit Schneideergeb-

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nis rationelles Arbeiten etc) wirkt in aller Regel uumlberzeugend Um dem Bildungsan-spruch gerecht zu werden muss ein Handlungstransfer angebahnt werden d h auch Lernende mit ihren Alltagserfahrungen ernst nehmen ohne die Fachlichkeit aufzu-geben Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lehrens und Lernens werden hier vereinfacht gesagt Menschen gestaumlrkt und Dinge geklaumlrt

23 Nahrungszubereitung im Unterricht

Werden Speisen zubereitet gibt es einen durch die Sache begruumlndeten Ablauf von vier Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung die nur bedingt austauschbar sind Die einzelnen Phasen werden zunaumlchst im folgenden Abschnitt beschrieben mit dem Ziel Anregungen zur Gestaltung der einzelnen Phasen zu ge-ben sowie Mut zu machen Handlungsprodukte entsprechend des Unterrichtsziels fuumlr die zur Verfuumlgung stehende Unterrichtszeit festzulegen und die Phasen passend dazu flexibel zu handhaben

Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoumlren saumlmtliche Planungsschritte vor dem Beginn der Speisen-zubereitung Dazu gehoumlren Rezeptwahl Rezeptbesprechung Arbeitsplanung Ein-kaufsplanung und -organisation etc

Rezeptwahl In Anlehnung an die SchmeXperimente (Oepping 2005) haben sich nachfolgende drei Kriterien fuumlr die Rezeptwahl bewaumlhrt 1 Grundnahrungsmittel oder naturbelassene Nahrungsmittel (Erweiterung des Erfahrungshorizontes) 2 Nah-rungsmittel- oder Sortenvielfalt und 3 Beitrag zum Erlernen und Uumlben von Grund-techniken der Nahrungszubereitung als Kulturwerkzeug (Weiterfuumlhrende Literatur Roumlszligler-Hartmann 2005 Bartsch 2009)

Einkauf Entsprechend der Intention des Unterrichtsvorhabens kann zB der Einkauf im Mittelpunkt (in Verbindung mit den REVIS-Bildungszielen 5 bis 9) ste-hen Dabei koumlnnen Kriterien fuumlr die Einkaumlufe (Lebensmittelqualitaumlt Preis Nachhal-tigkeit etc) in der Lerngruppe erarbeitet werden die als Teilhandlungsschritt reflek-tiert und evaluiert werden Ein Unterrichtsblock kann hier enden der Einkauf als Hausaufgabe erfolgen die Verwendung der Lebensmittel an anderer Stelle zB Einkauf von Grundnahrungsmitteln die in der Schulkuumlche vorraumltig sind oder Einkauf fuumlr die nachfolgende Zubereitung von Probierhaumlppchen fuumlr eine sensorische Pruumlfung etc An anderer Stelle kann dann aufgrund einer abweichenden Schwerpunktsetzung auf den Einkauf gegebenenfalls verzichtet werden zB vor den groszligen Ferien wenn eine Aufgabe zum Umgang mit verderblichen Vorraumlten und Nahrungsresten die Ziel-setzung ist

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Durchfuumlhrung

An die Vorbereitungs- und Planungsphase schlieszligt die Durchfuumlhrung der Speisenzu-bereitung an Dabei werden in der Regel einzelne Speisen oder Gerichte von den Schuumllerinnen und Schuumller in Teams unter Anleitung und Aufsicht der Fachlehrper-son zubereitet Auch hier geht es wiederum um die jeweils gesteckten Teilziele Zum Beispiel teilen sich die Schuumllerinnen und Schuumller die Aufgaben im Zeit- und Arbeitsplan auf (gegebenenfalls durch einen Aumlmterplan) werden die Lernenden selbst in die Teilzielbeschreibung eingebunden Lehrpersonen begleiten und unter-stuumltzen die Lernenden dabei

Da fuumlr die Nahrungszubereitung nur die vorgegebene Unterrichtszeit zur Verfuuml-gung steht ist ein angeleitetes zuumlgiges und sicheres Arbeiten noumltig Entsprechend der in den Lerngruppen vorhandenen Kompetenzen sind die Unterrichtsarrangement machbar zu gestalten Dabei spielen Demonstrationen eine wichtige Rolle (zB Schneidelehrgang nach Tornieporth 1997)

Essen

Zubereitete Speisen werden schlussendlich auch gegessen Das bdquoWieldquo ist allerdings fuumlr den Lernprozess entscheidend

Essen als Pause Wird das bei Schuumllerinnen und Schuumller beliebte Essen ndash wie immer wieder zu beobachten ist ndash sowohl von Lehrenden als auch Lernenden als bdquoPauseldquo betrachtet fehlen die notwendigen Ruumlckkopplungsschritte zum Handlungs-abschluss Aus diesem Grund wird hier dafuumlr plaumldiert Unterrichtssituationen von Pausensituationen klar zu trennen Essen in der Pause dient zur Ernaumlhrungsversor-gung und Regeneration Dagegen ist Essen Teil eines Handlungszieles und damit Handlungsprodukt ist eine Unterrichtssituation herzustellen

Essen als Teil des Lernprozesses Essen ist ein Teil der Unterrichtspraxis bei der Nahrungszubereitung (Bartsch 2009) den es entsprechend didaktisch-methodisch zu gestalten gilt Zunaumlchst ist hierfuumlr die paumldagogische Begruumlndung der Wuumlrdigung des Handlungsergebnisses anzufuumlhren Dem folgt eine angemessene Praumlsentationssitua-tion der Speisen zB als Buffet als Probierhaumlppchen als SchmeXperimentiergut als Mahlzeit etc

Der naumlchste Schritt ist die Reflektion des Handlungsergebnisses gemaumlszlig der je-weiligen Zielformulierungen fuumlr die ebenfalls ein organisatorischer Rahmen ge-schaffen werden muss Beispielsweise ist es eine grundsaumltzliche Entscheidung ob die Sensorik oder die Mahlzeit (Teil-)Ziel der Handlung ist Im ersten Fall reichen Probehaumlppchen aus im zweiten Fall ist ein Tisch zu decken um eine Tischgemein-schaft herzustellen (Leitner 2011) In diesem Punkt unterscheidet sich die Lernsitua-tion vom haumluslichen Kochen In der Fachpraxis geht es darum die zubereiteten Spei-sen zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der angewendeten Garmethode zu bewerten und das Arbeitsergebnis entsprechend zu reflektieren Auch eine ge-

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schmackliche Auswertung folgt hier nicht allein persoumlnlichen Vorlieben (vgl Meth-fessel amp Schlegel-Matthies i d Heft)

Essen als Teil der Pause Essen kann auch den Raum bieten wo Lernende und Lehrende sich besser kennen lernen koumlnnen Daruumlber hinaus kann eine bdquovertrauteldquo Lehrperson Lernende eher zum Essen bdquounbekannterldquo Speisen ermutigen und moti-vieren (Vorbildfunktion) Die Tatsache dass Schuumllerinnen und Schuumller eine Speise selbst hergestellt haben motiviert viele zusaumltzlich etwas zu verkosten was sie eigent-lich nicht moumlgen oder noch nie gegessen haben Hierfuumlr ist es sinnvoll ein geson-dertes Zeitfenster als bdquoPauseldquo vom Unterricht einzuplanen Dieses kann als fester Bestandteil der Nahrungszubereitung ritualisiert werden Um den Erwartungsdruck im Unterricht eine Mahlzeit zuzubereiten herauszunehmen ist es hilfreich dass so-wohl uumlbrige Speisen aus der Fachpraxis als auch mitgebrachte Pausenbrote gegessen werden koumlnnen

Nachbereitung

Nach dem Essen folgt fuumlr die Schuumllerinnen und Schuumller die meist unbeliebteste Pha-se der Nachbereitung die selten als Unterricht wahrgenommen wird So muss in der Schulkuumlche aufgeraumlumt werden Arbeitsflaumlchen gesaumlubert Geschirr Besteck und Arbeitsgeraumlte kontrolliert nachgezaumlhlt und eventuelle Reste versorgt werden Hierfuumlr ist ausreichend Unterrichtszeit einzuplanen

Eine sorgfaumlltige und puumlnktliche Nachbereitung sorgt fuumlr einen reibungslosen Ab-lauf der naumlchsten Gruppen In dieser Phase zeigt sich auch ein professionelles Lehr-Lernverstaumlndnis der Nahrungszubereitung Hilfreich ist es mit den Lerngruppen bdquoStandardsldquo zu erarbeiten die dann in einem routinierten Abschluss enden Bei-spielsweise stellen Lerngruppen Uumlberlegungen an zu den Zubereitungsmengen und zum Umgang mit Speiseresten (Koumlrner amp Bartsch 2012) Ethisches Handeln kann sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit so in konkret ausgehandelte Regeln bei der letzten Phase der Nahrungszubereitung in den Lerngruppen niederschlagen

Schlussbemerkungen

Neben den allgemein schulischen Erfahrungen bringen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer Erfahrungen aus ihren privaten Haushalten mit Diese beeinflussen deren Vorstellungen von fachpraktischem Arbeiten sowie ihr Fachverstaumlndnis und behin-dern den Transfer von fachdidaktischen Forschungen in die Unterrichtspraxis Daran schlieszligt die Frage nach der Ausbildung an den Hochschulen an Welche Kompeten-zen beguumlnstigen eine theoriegeleitete Fachpraxis Wie wird mit Praumlkonzepten und subjektiven Theorien bezuumlglich des Fachverstaumlndnisses in der Hochschulausbildung umgegangen Um die (wahrscheinliche) Diskrepanz zwischen dem EVB-Bildungsanspruch und den individuellen Vorstellungen offenzulegen ist ein erster Schritt Fachverstaumlndnis und Fachanspruch zu thematisieren ndash sowohl in der Hoch-

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schule als Teil des Professionalisierungsprozesses der Fachlehrpersonen als auch in der Schule im Sinne der Partizipation und Gestaltung des eigenen Lernprozesses

Meist werden konkrete fachpraktische Bezuumlge von den Studierenden (oder Leh-renden in Fortbildungen) als hilfreich empfunden Entsprechend bietet sich an die Fachpraxis Ernaumlhrung die eng mit der Fachidentitaumlt verknuumlpft ist zum Thema zu machen Mit konkreten Fragen kann eine Bruumlcke zwischen Theorie und Praxis her-gestellt werden Beispielsweise Welche Rahmenbedingungen finden die Studierende an ihren Praktikumsschulen (Unterrichtsraumlumen Stundenplaumlnen Vorstellungen uumlber unser Fach) vor Welche fachdidaktische Konzeptionen sind damit verbunden Wie kann damit im Sinne eines modernen Bildungsanspruchs umgegangen werden Wo-rauf koumlnnen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer unseres Faches Einfluss nehmen Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lernens ist hierbei der Blick auf die Staumlr-kung der (zukuumlnftigen) Lehrenden zu richten und Professionalisierungsprozesse zu foumlrdern

Anmerkungen 1 [wwwevb-onlinedeglossar_ernaehrungspraxisphp] 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Aufgrund der geschlechtstypischen Berufswahl handelt es sich vorwiegend um

Lehrerinnen (Bartsch amp Methfessel 2012) 4 Siehe Anmerkung 1 5 Siehe Anmerkung 2 6 Vgl Paderborner Lernwerkstatt unter

[httpsdsguni-paderborndeenevblernwerkstatt]

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Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe E-Mail bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Petra Buumlrkle

Paumldagogische Hochschule Freiburg Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Kunzenweg 21 D-79117 Freiburg E-Mail petrabuerkleph-freiburgde

Schulkuumlche als Lernumgebung

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Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann

Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichtes bietet die Schulkuumlche als Lernumgebung gute Moumlglichkeiten durch praxisorientierte Impulse welche den Lernenden eine zunehmend eigenstaumlndige Gestaltung ihrer Lebensumwelt ermoumlglichen Handlungskompetenzen im Be-reich der Alltagskultur zu initiieren Im Beitrag wird die Gestaltung einer Lehr-Lernsequenz exemplarisch anhand des Themenschwerpunktes Hygiene erlaumlutert

Schluumlsselwoumlrter Lehr-Lernprozesse Kompetenzorientiertes Planungsmodell Hygiene

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1 Einfuumlhrung

Ziel der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist die Vermittlung von gesundheitsfoumlrderlichen und nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenzen im Bereich der Alltagskultur Weinert (2001) versteht dabei Kompetenzen als bdquodie bei Individuen verfuumlgbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Faumlhigkeiten und Fer-tigkeiten um bestimmte Probleme zu loumlsen sowie die damit verbundenen motivatio-nalen volitionalen und sozialen Bereitschaften und Faumlhigkeiten um die Problemlouml-sungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu koumlnnenldquo Dh Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und durch das Handeln selbst sichtbar

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf die Kompetenzentwicklung von Schuuml-lerinnen und Schuumllern ab und fokussiert somit weniger auf das Lehren sondern auf das Lernen sowie auf das Wechselspiel zwischen Lehren und Lernen Lehren um-fasst dabei die Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen Da das Lernen nur im Inneren dh im Lerner selbst stattfinden kann hat die Lehrkraft nur uumlber diese Steu-erung einen Einfluss auf die moumlglichen Lernvorgaumlnge Der Lernprozess wird dabei unterrichtsmethodisch uumlber die Determinanten Aufgabenstellung Lernmaterialien Methodenwerkzeug Moderation sowie Ruumlckmeldung und Reflexion gesteuert In idealtypischen Lernsituationen werden Lernumgebungen geschaffen die die Lernen-den in eine intensive aktive selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen (Leisen 2010 2011)

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2 Curriculare und fachwissenschaftliche Vorgaben

Inhalte einer verantwortungsbewussten Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ver-stehen sich als lebensweltbezogen Gegenwarts- und zukunftsrelevante Themen ermoumlglichen fachwissenschaftlich begruumlndete Erkenntnisse entwickeln Kompeten-zen und initiieren fuumlr die private Lebensfuumlhrung relevante Lernprozesse Eine Vermittlung geschieht dabei durch das fachspezifische Geflecht von fachwissen-schaftlichen fachdidaktischen sowie fachpraktischen Inhalten Diese orientieren sich an dem Europaumlischen Kerncurriculum zur Ernaumlhrungsbildung und dem REVIS-Curriculum Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung Das REVIS-Curriculum ist dabei ein in Deutschland bundesweit gefasster Konsens zu den Bildungszielen Kompetenzen Themen und Inhalten die in der schulischen Ernaumlhrungs- und Ver-braucherbildung als bdquogrundbildendldquo verstanden werden (Heseker 2005)

Zentrale Punkte des REVIS-Rahmencurriculums sind didaktische(n) Prinzipien der Kompetenzorientierung des salutogenetisch ori-entierten und lebenslangen Lernens ein Gesamtkonzept fuumlr den Lebensraum Schule das durch entsprechende Schul-entwicklungsprozesse getragen sein muss (Bartsch 2011)

Das Ziel ist also in diesem Bereich immer jungen Menschen gesundheitsfoumlrderli-che und nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenzen im Bereich der Alltags- und Lebensbewaumlltigung zu vermitteln Folgende Faktoren sind dabei zu beruumlck-sichtigen

bull Zugang zu den Themenbereichen einer gesunden Lebensbewaumlltigung sind stets Erfahrungen und Impulse aus der Lebenswirklichkeit der Lernenden

bull Grundlage des Unterrichts sind kompetenzfoumlrdernde Inhalte in der Regel initiiert durch praxisfoumlrdernde Impulse Die Lernenden sollen ihre Lerninhalte zunehmend selbststaumlndig gestalten und sich von der Haltung des ausschlieszliglich Konsumierenden distanzieren

bull Die Lehrkraft wird als Person des Begleitens Beratens bzw als die Person welche die Lernumgebung gestaltet verstanden

bull Materialien die eine Differenzierung sowie Individualisierung des Lernprozesses eines Lernenden ermoumlglichen sind grundlegend Dabei koumlnnen Realmedien verwendet werden bereits veroumlffentlichte Medien ausgewaumlhlt und auf Eignung bewertet werden oder neue Lernmaterialien konzipiert erarbeitet und evaluiert werden

bull Die Lehrenden wissen dass Klassenraumlume so umstrukturiert werden koumlnnen dass fuumlr die Lernenden geeignete Lernarrangements zur Verfuumlgung stehen Dies ist insbesondere im Bereich der Grundschule von Bedeutung

bull Bei den Inhalten zu praxisorientierten Elementen der Ernaumlhrungsbildung werden Fachraumsysteme beansprucht Der Begriff Fachraumsystem muss an

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dieser Stelle mit dem Begriff bdquoFachraumldquo gleichgesetzt werden Dabei kann es sich um Kuumlchen oder anderen Werkstaumltten handeln

bull Lehrende erfahren in den Lehr-Lernprozessen immer wieder umfassend die bdquovier Handlungsfelder einer veraumlnderten Lernkultur Beobachten Beschreiben Bewerten und Begleitenldquo (Landesinstitut fuumlr Schulentwicklung 2009)

Inhaltliche Aspekte werden stets auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erstellt Da die fachwissenschaftlichen Grundlagen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung sehr komplex sind einer staumlndigen Veraumlnderung unterliegen und somit fortschreitend aktualisiert werden muumlssen ist bei der Sachanalyse die Verwendung der aktuellen Fachliteratur bzw der Bezug auf die Fachgesellschaften (aid BfR BzgA DGE HaBiFo vzbv usw) zwingend notwendig

Im Bereich der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung gibt es inzwischen zahl-reiche etablierte Unterrichtshilfen wie zB den aid-Ernaumlhrungsfuumlhrerschein Kon-sumieren mit Koumlpfchen Money amp Kids SchmExperten Science kids Unterrichts-hilfe Finanzkompetenz Versteckt werbende Maszlignahmen und Materialien sowie kommerzielle oder andere interessengeleitete Angebote die nicht mit den Zielset-zungen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung vereinbar sind haben dagegen in Schulen nichts zu suchen

Weitere sehr gut geeignete Moumlglichkeiten der Esskulturbildung bieten auch der Lebensmitteleinkauf die Nahrungszubereitung und die Mahlzeitengestaltung Hier koumlnnen Schuumllerinnen und Schuumller in besonderer Weise ihre gesundheitsfoumlrderli-chen und nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen im Bereich Ernaumlhrung und Konsum erweitern Wird die Kuumlche als Lernumgebung genutzt muumlssen grundle-gende Bedingungen zu Sicherheit und Hygiene gegeben sein

Die im Folgenden dargestellte Lehr-Lernsequenz zum Kompetenzerwerb in der Lernumgebung Kuumlche mit dem Themenschwerpunkt Hygiene bezieht sich auf das Bildungsziel 3 des REVIS-Curriculums zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo

3 Didaktisch-methodische Gestaltung der Lehr-Lernsequenz

Bei der Planung der Lehr-Lernsequenz orientiert sich die Lehrperson explizit am REVIS-Curriculum zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

Entscheidend ist die Transparentmachung dieses Curriculums fuumlr die Lernen-den Es werden nicht einzelne Inhalte aneinandergereiht sondern die Lernenden erfahren in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen die einen Bezug zu ihrer Lebensumwelt haben einen Zuwachs im Bereich der darge-stellten Kompetenzen und Bildungsziele Somit ist ein direkter Bezug zu ihnen selbst sowie ihrer Lebenssituation gegeben Dies vereinfacht wie spaumlter darge-

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stellt die methodische Umsetzung enorm da die Themen stets aus der Alltagssi-tuation der Lernenden stammen

Die Unterrichtsplanung erfolgt auf der Basis des Kompetenzorientierten Pla-nungsmodells (KPM) nach Leisen (2010) mit den sechs Stufen eines kompetenz-orientierten Lernprozesses

1 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdecken 2 Vorstellungen entwickeln 3 a) Lernprodukt erstellen

b) Informationen auswerten 4 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren 5 a) Lernzugewinn definieren

b) Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erproben 6 Sicher werden und uumlben

Als Planungshilfe wird die entsprechende von Hahn und Wiedemann (Seminar-schulraumltinnen am Staatlichen Seminar fuumlr Didaktik und Weiterbildung in Schwauml-bisch Gmuumlnd) entwickelte Moumlglichkeit der tabellarischen Darstellung von Lehr-Lernprozessen verwendet (Leisen 2010 Maier 2012) Tab 1 Auszug aus der Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene1

Fach und Klasse Hauptanliegen Lernziele Wirtschaft Arbeit und Gesundheit (WAG) Mensch und Umwelt (MuM) Thema der Unterrichtssequenz Wie sieht fuumlr mich ein sauberer Arbeitsplatz aus Hygiene rund um die Nahrungszubereitung

Die Lernenden erleben Hygiene als Voraussetzung sich in der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung gesund zu erhalten Inhaltlicher Schwerpunkt Planung Durchfuumlhrung Interpretation und Dokumentation von Hygienebedingungen in der Kuumlche fuumlr eine gesundheitsfoumlrderliche Nahrungszubereitung im Alltag

Die Lernenden - erleben bewusst die alltaumlgliche Situation eines hygienisch anspre-chenden Arbeitsplatzes - formulieren Hygiene-regeln fuumlr die Bereiche - persoumlnliche Hygiene - Lebensmittelhygiene und - Hygiene am Arbeits-platz - artikulieren und doku-mentieren individuell ihre Ergebnisse - sind in der Lage einen Transfer in die prakti-sche Nahrungszuberei-tung in der Schule und im persoumlnlichen Lebens-umfeld zu leisten

Schulkuumlche als Lernumgebung

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In der Kopfzeile (Tab 1) wird das Hauptanliegen der Unterrichtsstunde als eine Art uumlbergreifendes Lernziel bzw uumlbergreifende Kompetenz dargestellt sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zu denen gearbeitet werden soll Zudem wird zwischen antizipierten Lernprozessen bzw Lernhandlungen der Schuumllerinnen und Schuumller sowie Lehraktivitaumlten bzw Handlungen der Lehrperson differenziert So sollen Lehrkraumlfte zum Nachdenken uumlber die Phasen des Lernprozesses der Lernenden angeregt werden Methodische Uumlberlegungen zur Gestaltung der Lernumgebung bzw organisatorische Aspekte der Unterrichtsdurchfuumlhrung werden in einer mittle-ren Spalte gesondert dargestellt (Gestaltung der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrperson Lernsetting Sozialformen Medien Methoden Gestaltungsele-mente)

4 Methodische Analyse und Begruumlndung der Lehr- Lernsequenz

41 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdeckenEinstieg praumlsentieren

Die Lehrperson verwendet zB als Einstieg Fotos die kritische Umstaumlnde im Be-reich der Hygiene darstellen Die Untergliederung in die Bereiche bdquopersoumlnliche Hygieneldquo die bdquoLebensmittelhygieneldquo und die bdquoArbeitsplatzhygieneldquo wird von der Lehrperson beispielhaft folgendermaszligen praumlsentiert gebrauchtes Pflaster Lebens-mittel mit Gefrierbrand Ausguss mit Speiseresten etc (siehe Kompetenzorientier-tes Planungsmodell Die Lernenden erfahren dadurch einen Lernanreiz aus einer individuellen Alltagssituation welcher ihnen als Impuls bzw als bdquoStoumlrungldquo (Lei-sen 2010) begegnet Dies bietet bewusst allen Lernenden die Moumlglichkeit zur spontanen Artikulation Es entsteht ein kommunikativer und wertfreier Austausch

42 Vorstellungen entwickelnEinstiegsproblem fokussieren und Aufmerksamkeit polarisieren

Die Lehrperson fokussiert das Einstiegsproblem entweder mit der letzten Folie einer PowerPoint-Praumlsentation oder mit einem kurzen Impuls in Form eines Tafel-anschriebs bdquoWir die Kuumlchentesterldquo so dass die Lernenden Vorstellungen entwi-ckeln koumlnnen Sie benennen unhygienische Elemente eines Arbeitsplatzes die sie stoumlren Die Lehrperson stellt nur rote Faserstifte Karten und Magnete zur Verfuuml-gung haumllt sich aber inhaltlich zuruumlck Die Lehrperson sollte nur LernbegleiterIn sein Dennoch ist diese Gelenkstelle fuumlr den weiteren Lernprozess entscheidend da dies die Uumlberleitung bzw Hinfuumlhrung zur Fragestellung der Lernenden ist bdquoWie

Schulkuumlche als Lernumgebung

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sieht eine Kuumlche aus in der ich arbeiten willldquo und bdquoWas kann ich zur Hygiene beitragenldquo

43 Lernprodukt erstellen und Informationen auswerten Aufgabenstellungen anbieten

Das Lernprodukt bezeichnet Leisen als bdquoHerzstuumlckldquo des kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozesses Leisen spricht von der bdquoTrias sbquoLernprodukt ndash Aufgabenstel-lung ndash MaterialMethodenlsquo (Leisen 2013) Er empfiehlt bei der Planung bdquozu pruuml-fen ob die Aufgabenstellung zu dem Lernprodukt fuumlhrt ob der Zeitansatz passt ob das Anspruchsniveau stimmt ob die Lehrkraft dem Thema gerecht wird ob wirklich die Kompetenzen entwickelt werden die anstehen und der Sache dienlich sindldquo (ebd S 67) bdquoLernprodukte entstehen im handelnden Umgang mit Wissenldquo (ebd S14) Hier muss eine Lernumgebung gestaltet werden die stark gepraumlgt ist von Individualisierung und Differenzierung Es muumlssen zahlreiche Lernaufgaben und Lernmaterialien bereitliegen mit deren Hilfe sich die Lernenden eine Thema-tik individuell erarbeiten koumlnnen

Diese Lernaufgaben und Materialien muumlssen so konzipiert bzw variiert wer-den dass ein eigenstaumlndiges Tun uumlberhaupt moumlglich ist dh die Lernaufgaben muumlssen mit ihren Aufgabenstellungen so praumlzise formuliert sein dass sie sich selbst erklaumlren oder mit einer rasch erfassbaren und verstaumlndlichen Erklaumlrung bear-beitbar sind Interessant kann hier auch die Methode des Verfremdens sein Ein Gedicht im Mathematikunterricht ein Bewegungsspiel in Deutsch ein Spiel in den Naturwissenschaften etc Laumlngst sind diese Methoden Teil eines schuumller- und handlungsorientierten Unterrichts

Im vorliegenden Beispiel sind unter den Lernmaterialien beispielsweise Spiele wie Domino oder Memory zu finden Spiele haben einen starken Aufforderungs-charakter und bieten Anreize fuumlr eine praktische Auseinandersetzung mit einer Thematik Ferner wird ein virtuelles Quiz (bdquoLagern Sie richtig im Kuumlhlschrankldquo [wwwinformde] eingesetzt bei welchem es um die sachgerechte Lagerung bzw Bevorratung von Lebensmitteln durch Kuumlhlen geht Vorgefertigte Medien aus den Ordnern bdquoSchmExpertenldquo des aid (2011 und 2012) koumlnnen eingesetzt werden Beim aid erhaumllt man auch Infobroschuumlren zur genannten Thematik Diese koumlnnen ergaumlnzend fuumlr vertiefende Studien bereitgelegt werden Die fachpraktischen Ele-mente der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung werden uumlber zahlreiche Real-medien wie Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte sowie Kuumlhlschrank ergaumlnzt Um an-wendungsorientiert zu arbeiten bietet sich in jedem unterrichtlichen Geschehen in den ernaumlhrungs- und verbraucherbildnerischen Faumlchern die Kulturtechnik der Nah-rungszubereitung an das bdquoKochenldquo Hierfuumlr liegt ein Rezeptblatt vor welches durch seine Struktur ein selbststaumlndiges Zubereiten ermoumlglicht Das Rezeptblatt ist so strukturiert dass die Lernenden zunaumlchst anhand der Uumlberschrift einen Zugang zur Zubereitung erfahren Im Kontext werden dann zunaumlchst alle benoumltigten Kuuml-

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chengeraumlte benannt Eine Tabelle ndash unterteilt in bdquoZutatenldquo und bdquoZubereitungldquo die einander durch Trennungslinien in der Tabelle zugeordnet werden ndash ermoumlglicht durch rasches Erfassen des komprimierten Textes ein sofortiges Nacharbeiten

Um ein Lernprodukt zu erstellen wird den Lernenden ein Leporello (blanko) bereitgelegt Darin notieren bzw dokumentieren sie individuell ihre neu gewonne-nen Erkenntnisse nachdem sie sich die Materie durch die Lernmaterialien er-schlossen haben Ein signifikantes Element dieser kompetenzorientierten Unter-richtsform ist die Anwendung Das Erlernte wird im Kontext der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung unmittelbar in die praktische Umsetzung uumlberfuumlhrt Die Frage ob die Lernenden alles verstanden haben kann in der Vorbereitung eines hygieni-schen Arbeitsplatzes fuumlr eine Schokoladencreme zielgerichtet geloumlst werden Wa-rum hier ausgerechnet eine Schokoladencreme ausgewaumlhlt wurde kann ua mit dem hohen Motivationscharakter dieses Rezeptes beantwortet werden

44 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren auswerten

Der Sinn dieser Phase liegt in der individuellen und selbst formulierten Praumlsentati-on Sachverhalte die in eigenen Worten vorgestellt werden koumlnnen besser behal-ten werden (Gudjons 1997 1998) und machen Lernenden und dem Lehrenden sofort deutlich ob die Inhalte verstanden wurden

Mit der Kugellagermethode erfahren die Lernenden zunaumlchst einen ersten in-teraktiven Austausch Im vorliegenden Planungsmodell wurden bewusst unter-schiedliche Medien und Methoden zur Praumlsentation gewaumlhlt Zum einen die schrift-liche Fixierung mittels Tafel Karten und Leporellos zum anderen die handlungsorientiert gestalteten Arbeitsplaumltze

Die Lernenden erfahren durch den Austausch eine Erweiterung der Sozialkom-petenz im Bereich der Kommunikation Zuhoumlren sowie Sprechen und Ausreden lassen werden hier in der Anwendung er-gelernt und vertieft Ferner wird auch die Schreibkompetenz durch die Verschriftlichung der Ergebnisse geschult und geuumlbt Entscheidend fuumlr die Fachwissenschaft sind hier der direkte Zugang zu Fachbegrif-fen und die sofortige situative Umsetzung Durch den Einsatz der gruumln zu beschrif-tenden Karten wird eine Verbindung zum Einstiegsproblem geschaffen (vgl Kar-ten mit roter Beschriftung) naumlmlich mangelhafte Hygienebedingungen und Fachbegriffe werden dabei vertieft

45 Lernzugewinn definieren und Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erprobenLernbewusstheit foumlrdern und neue Kontexte anbieten

Um den Lernzugewinn zu definieren vergleichen die Lernenden ihre individuellen Lernprodukte mit ihren eingangs formulierten Vermutungen Dadurch koumlnnen sie ihren persoumlnlichen Lernzuwachs artikulieren und ihre eigenen Lernprozesse reflek-

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tieren und erleben dadurch ihren eigenen Kompetenzzuwachs Die Lehrperson setzt einen Impuls zur Reflexion in Form eines Fotos (unhygienischer Arbeits-platz) Nach der eigenen Reflexion des Lernprozesses durch die Lernenden kann die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen dazu in individuellen Feedbacks aumlu-szligern

Um die Kernkompetenz Bewaumlltigung von Alltagssituationen zu erweitern muss die Aufgabe in einem neuen Kontext erprobt werden Diese Transferleistung wird in einer praktischen Taumltigkeit erfahren Die Lernenden bereiten zB eine Schokoladencreme zu Konkret werden die erlernten Kompetenzen rund um die Gestaltung eines Arbeitsplatzes der den neu formulierten Hygienebedingungen entspricht uumlbertragen Dadurch beweisen sich die Lernenden als Spezialisten fuumlr persoumlnliche Hygiene Lebensmittelhygiene sowie hygienisches und damit gesund-heitsfoumlrderndes Arbeiten Sie haben damit eine Alltagskompetenz erworben die sie staumlndig in auszligerschulischen Handlungsfeldern benoumltigen

46 Sicher werden und uumlben

Das einmalige Zubereiten eines Teilgerichts kann nun natuumlrlich noch nicht als stets abrufbare Kompetenz vorausgesetzt werden Durch staumlndig wiederkehrende und auch leicht abgeaumlnderte Zubereitungssituationen wird der Lernende das Erfahrene nun eigenstaumlndig (freiwillig) erproben und umsetzen Die Lernenden gewinnen zunehmend aus eigenem Interesse an ihrer persoumlnlichen Gesunderhaltung Sicher-heit bzw Routine in der Gestaltung eines hygienischen Arbeitsplatzes

5 Evaluation und Reflexion Um die Thematik Hygiene zu reflektieren und zu bewerten muss festgestellt wer-den dass bei der Entwicklung einer Lehr-Lernsequenz der Fokus auf der Gestal-tung der Lernumgebung liegen muss Nach der Durchfuumlhrung stehen Fragen wie bdquoWelche der geplanten Lehr-Lernsequenzen muss abgewandelt bzw eliminiert werdenldquo im Mittelpunkt Waren die in der Lernumgebung bereitgestellten Medien und Materialien schuumller- handlungs- bzw leistungsorientiert Wie oft wurde die Lehrperson in welcher Lernsequenz von den Lernenden involviert (als Hilfestel-lung) Mit welchen Kriterien bewerten die Lernenden die bereitgestellten Materia-lien Im Gegensatz dazu reflektieren die Lernenden oft schwerpunktmaumlszligig die Elemente Zubereitung und Verzehr Dies muss in der Reflexionsphase aber durch-aus einbezogen werden In der gemeinsamen Reflexion vereinfachen die Bezugs-punkte des gewaumlhlten Beispiels (Schokocreme Geschmack Darbietung Menge Zutaten Preis Aufwand etc) eine Diskussion

Schulkuumlche als Lernumgebung

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6 Ausblick Fakt ist dass der Lernkontext bdquoAlltagldquo welcher sich in verschiedenen Faumlcherver-buumlnden und Faumlchern wiederfindet stets einen Lebensweltbezug hat Eine intrinsi-sche Motivation den individuellen Alltag zu meistern bietet hervorragende Moumlg-lichkeiten Kompetenzen auch im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu erwerben Durch Lernaufgaben mit Lebensweltbezug fuumlr die Lernenden kann der Individua-lisierung der Heterogenitaumlt sowie der Interkulturalitaumlt in diesem Fach Rechnung getragen werden Die Kuumlche ist also in vielfaumlltiger Art und Weise eine geeignete Lehrumgebung um Lehr-Lernprozesse zu initiieren

Anmerkung

1 Die komplette Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene steht uumlber [wwwhibifode04_2013html] zum Download zur Verfuumlgung

Literatur

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aid (2004) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) Besserwissers Kuumlhlschrank Bestell-Nr 3462 Bonn

Bartsch S (2011) Jugendliche Essende im Fokus der Ernaumlhrungsbildung BeKi-Jahrestagung 2011 in Stuttgart Hohenheim

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Schulkuumlche als Lernumgebung

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Leisen J (2011) Kompetenzorientiert unterrichten ndash Fragen und Antworten zu kompetenzorientiertem Unterricht und einem entsprechenden Lehr-Lernmodell Naturwissenschaften im Unterricht Physik 123124 S 4-10

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Methfessel B (2004) Esskultur und familiale Alltagskultur [httpswwwfamilienhandbuchdecmsErnaehrung_Esskulturpdf_blank]

Weinert F (2001) Leistungsmessungen in der Schule Weinheim-Basel Beltz

Verfasserinnen

Barbara Dittrich Barbara Franta und Profin Dr Petra Luumlhrmann

Paumldagogische Hochschule Schwaumlbisch Gmuumlnd Institut fuumlr Gesundheitswissenschaften Abteilung Ernaumlhrung Konsum und Mode Oberbettringer Str 200 D-73525 Schwaumlbisch Gmuumlnd E-Mail barbaradittrichph-gmuendde barbarafrantaph-gmuendde

petraluehrmannph-gmuendde Internet wwwph-gmuendde

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Larissa Kessner und Melanie Braukmann

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen Der Artikel beschreibt den Einsatz der Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht Die Kar-tei wurde fuumlr die Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8ldquo entwickelt und unterstuumltzt selbststaumlndiges Lernen Anhand vier ausge-waumlhlter Beispiele wird dargestellt wie Schuumllerinnen und Schuumller mit den Karten arbeiten und diese in ihren individuellen Lernprozess einbinden

Schluumlsselwoumlrter Kuumlchenkartei SchmExperten Experimente Binnendifferenzierung

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1 Selbststaumlndig lernen mit der Kuumlchenkartei

Die Kuumlchenkartei1 des aid infodienst e V liefert alle wesentlichen Informationen und Anleitungen die Schuumllerinnen und Schuumller fuumlr das Arbeiten in der Kuumlche benouml-tigen Aussagekraumlftige Fotos und leicht verstaumlndliche Texte verdeutlichen wichtige Hygieneregeln den Einsatz verschiedener Arbeitsgeraumlte allgemeine Arbeitstechni-ken und den Umgang mit ausgewaumlhlten Lebensmitteln

Da die Kuumlchenkartei fuumlr die aid-Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuuml-cheldquo entwickelt wurde thematisiert sie solche Geraumlte Techniken und Lebensmittel die in diesem Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen Die Kuumlchenkartei ist Be-standteil des Medienpaketes bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche

Steckbrief zu den SchmExperten in der Lernkuumlche bull unterrichtsbegleitendes Material zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen bull Zielgruppe Schuumllerinnen und Schuumller der Jahrgangsstufen 6 bis 8 aller Schulformen und

Bundeslaumlnder bull curriculare Einbindung im Fachunterricht und Wahlpflichtbereich zB Hauswirtschaft

Verbraucherbildung Hauswirtschaft und Soziales Arbeitslehre Arbeit-Wirtschaft-Technik bull kompetenzorientiert mit Moumlglichkeiten zur Binnendifferenzierung bull individuell veraumlnderbare Arbeitsblaumltter auf CD-ROM bull Kuumlchenkartei mit 47 Karten zu den wichtigsten Fachinhalten in Wort und Bild bull Kernstuumlck Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte mit allen Sinnen erforschen selbststaumlndig

warme Speisen zubereiten und dabei Rezepte variieren bull Ziel Kuumlchenfertigkeiten und Lebensmittelkenntnisse so vermitteln das die Schuumllerinnen

und Schuumller Speisen gesundheitsorientiert bewerten mit Freude zubereiten und genieszligen koumlnnen

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Tab 1 Themen ausgewaumlhlte Inhalte und Rezepte der SchmExperten in der Lernkuumlche

Thema Inhalte Rezepte

1 Startklar im Team

Portfolio Essknigge Hygiene und Aufraumlumen Krallengriff

Wraps leicht gemacht

2 Getraumlnke ndash Ohne Zucker kein Geschmack

Trinkgewohnheiten Energiespartipps und Sicherheit Rezeptaufbau Messen und Wiegen Etikett und Zutatenliste

Cooler Eistee

3 Gemuumlse ndash Auch im Winter frisch auf den Tisch

5 am Tag und Saisonalitaumlt Einkaufszettel Arbeitsplatzgestaltung Schneiden Kochen Duumlnsten

Gemuumlsesuppe mit Biss Veggietasche mit Soszlige Salat mit Sattwerdgarantie

4 Getreide ndash Typisch italienisch

Getreidevielfalt interkulturelle Aspekte Kraumluter und Gewuumlrze Vollkorn und Saumlttigung

Italienische Gemuumlsebolognese mit Nudeln Feurige Asiapfanne mit Reis Orientalische Kichererbsenpfanne mit Couscous

5 Kartoffeln ndash Frisch oder aus der Tuumlte

Kaufen versus selber machen Mahlzeiten planen Kochen Braten und Backen

Knusprige Kartoffelecken Bunte Kartoffelpuffer Cremiges Kartoffelcurry Salat- und Diprezepte

6 Milch ndash Mindestens haltbar bis

Zutatenmengen umrechnen Muumlllvermeidung und Klimaschutz Mindesthaltbarkeit und Verbrauchsdatum Kuumlhllagerung und Lebensmittelhygiene Naumlhrwerttabelle

Gefuumlllte Pfannkuchen Fruchtiger Milchreis Uumlberbackene Bruschetta

7 Abschlussbuumlfett ndash Kreativitaumlt gewinnt

Speisen fuumlr ein Buumlfett variieren Portfolios praumlsentieren Schulverpflegung bewerten Einkaufstipps

Alle Rezepte

8 aid-Ernaumlhrungs-pyramide

Kernbotschaften der Pyramide Handmaszlig fuumlr Portionsgroumlszligen Bewegungsverhalten Essgewohnheiten reflektieren

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Der aufstellbare Ringordner zur Kuumlchenkartei gliedert sich in fuumlnf verschiedene Themen Unter dem Begriff bdquoSauberkeitldquo sind Inhalte zum hygienischen Arbeiten in der Kuumlche zusammengefasst ndash beginnend mit der persoumlnlichen Hygiene uumlber die Arbeitsplatzhygiene bis hin zur hygienischen Zubereitung Weitere Rubriken greifen Arbeitsgeraumlte wie Kuumlchenwaage oder Vierkantreibe Arbeitstechniken zB das Putzen von Gemuumlse und ausgewaumlhlte Lebensmittel auf Hier zeigen Step-by-Step-Fotos wie bestimmte Lebensmittel vor- und zubereitet werden Unter bdquoExtrasldquo finden die Schuumllerinnen und Schuumller weitergehende Informationen zB zum Tischdecken oder zur aid-Ernaumlhrungspyramide

Insgesamt umfasst die Kuumlchenkartei 47 ndash teilweise doppelseitig bedruckte ndash DIN-A5-Karten Dem Unterrichtspaket bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo liegt dar-uumlber hinaus eine CD-ROM mit veraumlnderbaren Blanko-Karten bei Mit diesen Vorla-gen koumlnnen Lehrende und vor allem Lernende eigene Karten entwickeln und eben-falls im Ringordner abheften

Mit Hilfe der Kuumlchenkartei bull erarbeiten sich die Schuumllerinnen und Schuumller selbststaumlndig Inhalte (zB zur aid-

Ernaumlhrungspyramide) bull uumlberpruumlfen und ergaumlnzen die Jugendlichen selbststaumlndig ihre eigenen Arbeitsergebnisse

(zB Energiespartipps die von KuumlchenExperimenten abgeleitet werden) bull erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller praktische Hilfestellungen die ihrem Kompetenzni-

veau entsprechen (zB Erklaumlrung von Basistechniken wie Gemuumlse putzen ndash wer das schon kann braucht die Karte nicht)

bull gestalten die Lernenden eigene Karteikarten (zB Tipps fuumlr den Einkauf)

2 Eine Kartei ndash verschiedene Lernwege und Einsatzmoumlglichkeiten

Im Folgenden wird anhand exemplarisch ausgewaumlhlter Unterrichtsvorschlaumlge aus dem Unterrichtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo erlaumlutert wie sich die Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht einsetzen laumlsst

21 Experimentieren am Beispiel Raspeltest

Wie das Kunstwort bdquoSchmExpertenldquo (Schmecken + Experimentieren + Experte wer-den) verdeutlicht ist das Experimentieren ein wesentliches Merkmal der SchmEx-perten Neben zahlreichen SinnExperimenten bietet das Unterrichtsmaterial auch verschiedene KuumlchenExperimente mit Lebensmitteln und Kuumlchengeraumlten an

Beim Raspeltest werden die Schuumllerinnen und Schuumller beispielsweise vor die Frage gestellt bdquowie die Gurke in den Zaziki kommtldquo Zur Loumlsung der Aufgabe steht ihnen eine Vierkantreibe und eine Gurke zur Verfuumlgung So koumlnnen sie ausprobieren was die unterschiedlichen Seiten der Reibe bewirken und erarbeiten sich das Hobeln

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Raspeln und Reiben Die Karte zur Vierkantreibe unterstuumltzt die Schuumllerinnen und Schuumller dabei dieses Arbeitsgeraumlt sicher einzusetzen und die verschiedenen Seiten richtig zu benennen Sie macht jedoch keine Vorgaben welche Seite der Vierkant-reibe sich fuumlr Gurken bzw fuumlr einen Zaziki am besten eignet Dies sollen die Schuumlle-rinnen und Schuumller auf Grundlage ihrer Ergebnisse selbst beurteilen

SinnExperimente wecken Neugier Das Experimentieren mit allen Sinnen ermoumlglicht Jugendlichen neue Lernzugaumlnge und schafft Lernmotivation Dabei testen die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Lebensmittel mit allen Sinnen und notieren was sie wahrnehmen

Fuumlr SinnExperimente eignen sich unverarbeitete und auch verarbeitete Lebensmittel So lassen sich verschiedene Verarbeitungsformen auch aus oumlkologischer ernaumlhrungsphysiologi-scher und hauswirtschaftlicher Sicht sowie im Kontext nachhaltigen Handelns diskutieren KuumlchenExperimente trainieren Fach- und Methodenkompetenz Im Mittelpunkt der KuumlchenExperimente steht die Erforschung von physikalischen chemi-schen und biologischen Zusammenhaumlngen die bei der Nahrungszubereitung eine Rolle spie-len Dabei koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller auch Schritte ausprobieren die bei der ei-gentlichen Rezeptzubereitung wenig zielfuumlhrend waumlren

Das Besondere dabei ist dass die Lernenden sowohl naturwissenschaftliche Arbeitsme-thoden als auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten trainieren koumlnnen Wenn mit Lebensmitteln in der ein oder anderen Weise umgegangen wird (zB laumlngere Garzeiten fuumlr haumlrteres Gemuumlse) oder Kuumlchengeraumlte in bestimmter Weise zum Einsatz kommen (zB Toumlpfe immer mit De-ckel) dann stehen meist naturwissenschaftliche Gesetzmaumlszligigkeiten dahinter die es zu verste-hen und dann im Alltag anzuwenden gilt

22 Binnendifferenzierung am Beispiel Pellkartoffeln

Die Schuumllerinnen und Schuumller unterscheiden sich stark in ihren manuellen Geschick-lichkeiten Manche koumlnnen bereits kleine Menuumls alleine zubereiten anderen haben noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln

So sind besonders im haushaltsbezogenen Unterricht die unterschiedlichen Kenntnis-se der Jugendlichen die bereits vorhandenen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Werthaltun-gen das vermeintliche Expertenwissen und das in Herkunftshaushalten und Medien gepraumlgte Alltagsverstaumlndnis der Inhalte bedeutsam fuumlr die Konzeption von Lernpro-zessen (Leutnant 2012 S 66)

Die Kuumlchenkartei kann die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schuumllerinnen und Schuumller beruumlcksichtigen indem sie jederzeit als Nachschlagewerk zur Verfuuml-gung steht Wenn die SchmExperten fuumlr ein SinnExperiment beispielsweise Pellkar-toffeln brauchen finden Kuumlchenneulinge auf der Karte bdquoPellkartoffeln kochenldquo eine schrittweise Anleitung mit Fotos und kurzen Erlaumluterungen Jugendliche mit mehr Erfahrung koumlnnen zunaumlchst auf diese Hilfestellung verzichten Ihnen stellt sich viel-leicht erst zum Ende der Zubereitung die Frage woran sie erkennen dass ihre Kar-toffeln gar sind Auch hier hilft dann die Kuumlchenkartei mit der Karte bdquoGarprobeldquo

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Somit handelt es sich bei den Karteikarten um differenzierende Unterrichtsmate-rialien die einen wichtigen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts bedeuten koumlnnen Laut Leutnant (2012 S 67) muss ein individualisierter Unterricht neben den differenten Lernvoraussetzungen auch die unterschiedlichen Interessens-lagen und vor allem die individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen be-ruumlcksichtigen

23 Rezepte variieren am Beispiel Gemuumlsesuppe

Obwohl die Zubereitung warmer Speisen zu den Kernkompetenzen der SchmEx-perten zaumlhlt enthaumllt das Unterrichtsmaterial eine uumlberschaubare Auswahl an Re-zepten Diese dienen exemplarisch dazu wichtige Basistechniken und das Arbeiten nach Anleitung zu trainieren Dabei laumlsst die Formulierung der Rezepte den Schuuml-lerinnen und Schuumllern insbesondere in Bezug auf Obst und Gemuumlse so viele Frei-raumlume wie moumlglich Daruumlber hinaus finden sich auf allen Rezepten Ideen zur Va-riation von Speisen die die Jugendlichen anregen sollen selbst kreativ zu werden

Das Rezept fuumlr Gemuumlsesuppe ist beispielsweise so konzipiert dass es mit den verschiedensten Gemuumlsesorten gelingt Diese Freiheit ist noumltig um saisongerechtes Gemuumlse verwenden zu koumlnnen Dies soll den Jugendlichen aber auch ermoumlglichen das Rezept nach ihren Vorlieben und Beduumlrfnissen abzuwandeln Statt einer klaren Vorgabe wie welches Gemuumlse vorbereitet werden soll erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller deshalb lediglich allgemeine Anweisungen wie bdquoGemuumlse waschen putzen und falls noumltig schaumllenldquo oder bdquohartes Gemuumlse kleiner schneiden damit es schneller weich wirdldquo

Die Kuumlchenkartei dient in diesem Fall dazu die allgemeinen Anweisungen zu konkretisieren und die Fragen aufzufangen die sich bei der Abwandlung von Rezep-ten ergeben Sie zeigt was bdquoGemuumlse putzenldquo bedeutet welches Gemuumlse geschaumllt werden muss oder wie der Puumlrierstab zu bedienen ist wenn sich die Jugendlichen fuumlr eine cremige Variante der Suppe entscheiden

Die eigenstaumlndige Variation von Rezepten foumlrdert nicht nur die Motivation und Begeisterung sondern auch die Selbststaumlndigkeit und Methodenkompetenz der Schuuml-lerinnen und Schuumller

24 Selbstkontrolle am Beispiel Hygiene

Neben praktischen Anleitungen bildet die Kuumlchenkartei auch theoretische Grundla-gen und unverzichtbare Hygiene- und Sicherheitshinweise ab Ziel ist es hierbei den Sinn bestimmter Regeln und Vorgaben zu verstehen und anwenden zu koumlnnen Die SchmExperten erarbeiten sich die wichtigsten Maszlignahmen zur persoumlnlichen Hygiene deshalb in Form eines Expertenpuzzles

Dabei uumlbernimmt in jeder Arbeitsgruppe ein Jugendlicher die Rolle des bdquoHygie-newaumlchtersldquo und erarbeitet in drei Schritten einen Hygiene-Check Zunaumlchst uumlberlegt

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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sich jeder Hygienewaumlchter alleine eine Loumlsung Anschlieszligend findet eine Partnerar-beit mit Bildkarten statt bevor alle Hygienewaumlchter ihre Ergebnisse vergleichen und gemeinsam eine Checkliste erarbeiten Dieses dreistufige Vorgehen foumlrdert und er-leichtert das kooperative Lernen (vgl Bartsch 2012 S 61)

Die Kuumlchenkartei dient den Schuumllerinnen und Schuumller hierbei zur Selbstkontrol-le Sie uumlberpruumlfen ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse mit Hilfe der passenden Karten Bei Bedarf ergaumlnzen sie daraufhin ihre eigene Checkliste oder erstellen eine eigene Karteikarte mit einem auf ihre Anforderungen abgestimmten Hygiene-Check Ist die Kartei im weiteren Unterrichtsverlauf stets verfuumlgbar bleibt auch der Hygie-ne-Check praumlsent und kann jederzeit wiederholt und abgerufen werden

3 Schritt fuumlr Schritt zu mehr Selbststaumlndigkeit

Die gesamte Unterrichtsreihe betrachtet die Schuumllerinnen und Schuumller als Akteure ihres eigenen Lernprozesses und stellt sie mit ihren Beduumlrfnissen ihrer Lebenswelt ihrem biografischen Hintergrund und ihren Lebensmoumlglichkeiten in den Mittelpunkt

Die Lehrenden uumlbernehmen dabei die Rolle des Moderators der die Schuumllerin-nen und Schuumller begleitet lenkt und motiviert

Lehrpersonen sind fuumlr die Bereitstellung von didaktisch-methodisch durchdachten Unterrichtsarrangements verantwortlich die ein exemplarisches und strukturiertes Lernen an geeigneten Beispielen ermoumlglichen Dabei veraumlndert sich allerdings das Lehr-Lernverhaumlltnis so begleiten und uumlberzeugen Lehrende den Lernprozess durch ihre Fachexpertise bei Moderation Anleitung Beratung etc (Bartsch 2012 S 57)

Ziel des Unterrichtsmaterials ist es jedem Einzelnen Perspektiven und Moumlglichkei-ten aufzuzeigen wie er oder sie seinen bzw ihren physiologischen Bedarf nach aus-gewogenem Essen und Trinken mit den individuellen Beduumlrfnissen in Einklang brin-gen kann

Die Kuumlchenkartei kann Lehrkraumlfte dabei unterstuumltzen auch im fachpraktischen Unterricht eine moderierende Rolle einzunehmen Wie die zahlreichen Schultests mit dem Material gezeigt haben ist die Kuumlchenkartei jedoch kein bdquoSelbstlaumluferldquo Waumlh-rend der praktischen Zubereitung sind die Schuumllerinnen und Schuumller haumlufig versucht ihre Lehrkraft um eine schnelle Anleitung zu bitten anstatt Arbeitsanleitungen genau zu lesen und bei Unklarheiten zunaumlchst die Kuumlchenkartei zu Hilfe zu nehmen

Deshalb ist es wichtig die Kuumlchenkartei zu Beginn einer praktischen Unter-richtsreihe ausfuumlhrlich einzufuumlhren und im weiteren Verlauf immer wieder auf sie zu verweisen Fragechips koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller motivieren zuerst selbst nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen Wenn jede Gruppe pro Stunde beispiels-weise nur vier Chips erhaumllt wird sie versuchen nach eigenen Loumlsungswegen zu su-chen bevor die Lehrkraft zurate gezogen wird Natuumlrlich schlieszligt dieses Vorgehen nicht aus dass die Lehrkraft auch direkte Unterweisungen gibt wenn sie diese fuumlr angebracht und effektiver haumllt

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4 Fazit

Wie die vier ausgewaumlhlten Beispiele zeigen unterstuumltzt die Kuumlchenkartei schuumllerori-entiertes Lernen und selbststaumlndiges Arbeiten Sie ergaumlnzt damit optimal das Unter-richtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo Als Nachschlagewerk und Selbst-lernprogramm laumlsst sie sich aber auch unabhaumlngig davon sehr flexibel im fachpraktischen kompetenzorientierten Unterricht einsetzen

Anmerkung 1 Idee und Konzept der Kuumlchenkartei Susanne Gruumlnwald

Literatur

Bartsch S (2012) Subjektorientierung Ein Beitrag zur kompetenzorientierten Auf-gabengestaltung in der Verbraucherbildung Haushalt in Bildung amp Forschung 3 52-64

Kessner L Braukmann M Bruumlggemann I (2012) SchmExperten in der Lernkuuml-che Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8 Bonn aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Kessner L Braukmann M Wanzek P (2012) Die Kuumlchenkartei Bonn aid info-dienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Leutnant S (2012) Selbstdifferenzierende Aufgabenformate im kompetenzorien-tierten Unterricht Haushalt in Bildung amp Forschung 3 65-76

Fuumlr die Verfasserinnen

Dipl-Oecotrophin Larissa Kessner

aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz eV

Heilsbachstr 16 D-53123 Bonn

E-Mail lkessneraid-mailde Internet wwwaidde

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im folgenden Beitrag sollen einige grundlegende Aspekte der Esskultur1 vorgestellt werden um darauf aufbauend an Beispielen aus dem Unterricht zu erlaumlutern welche Bedeutungen diese kulturellen Voraussetzungen fuumlr die Fachpraxis haben

Schluumlsselwoumlrter Handwerkliche Praxis der Nahrungszubereitung Esskultur Theorie-Praxis-Verknuumlpfung

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Fachpraxis gilt als beliebte Alternative zum sog Theorie-Unterricht und wird oft nach dem Motto sbquoLieber mit der Hand gemacht als daruumlber nachgedachtlsquo erledigt Die intendierten Lernprozesse beinhalten Forderungen an sbquodas Kochenlsquo die von Schuumllerinnen und Schuumllern (leider auch von vielen Lehrpersonen) als unnoumltige Er-schwernis wenn nicht gar als Stoumlrung gesehen werden Tab 1 REVIS-Bildungsziel 3 (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung 2005)

3 Die Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung

Die Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage hellip sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen

Dazu gehoumlrt dass sie hellip bull Mahlzeiten situations- und

alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen

bull Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten

bull Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden

bull Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren

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Lehrpersonen haben erfahrungsgemaumlszlig sehr unterschiedliche Anspruumlche an die Fach-praxis Falls sie nicht den leichteren Weg nehmen und die Jugendlichen sbquokochenlsquo lassen (bdquoDas brauchen die doch fuumlr ihr Lebenldquo) muumlhen sie sich ihnen grundlegende Fertigkeiten und deren theoretische Begruumlndung nahezubringen ndash abhaumlngig vom eigenen Grad der Professionalisierung

Im REVIS-Curriculum2 wurde der bisherige Zugang zur Fachpraxis entscheidend erweitert bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo Der sich hieraus ergebende Bildungsauftrag geht uumlber sbquoKochenlsquo hinaus und wird erst vollstaumlndig wenn die ange-strebte Kompetenz bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzenldquo (s Tab 1) hinzukommt

1 Grundlagen eines sbquokulturellen Verstaumlndnisseslsquo der Nahrungszubereitung3

Menschen sind von Natur aus sbquoKulturwesenlsquo Als sbquoinstinktlose Omnivoren (Alles-fresser)lsquo benoumltigen sie Wissens- und Handlungsstrukturen die es ermoumlglichen die alltaumlgliche Versorgung mit Nahrung zu sichern Diese Strukturen sind grundlegende Legitimation dafuumlr dass Ernaumlhrungsbildung Teil des verbindlichen gesellschaftli-chen sbquoKulturwissenslsquo sein muss gleichberechtigt zu Sprachen Mathematik oder Informatik (vgl Barloumlsius 2011 Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies 2011)

Die geforderten Wissens- und Handlungsstrukturen muumlssen durch leitende Werte und Ziele definiert werden Vorherrschende Begruumlndungen basieren in der Schulkuuml-che meist (falls nicht vorrangig auf Erfahrungen der Lehrkraft) auf natur- und ar-beitswissenschaftlichen Grundlagen ergaumlnzt durch politische Ziele (wie zB Nach-haltigkeit) ndash alles ohne Einordnung in einen groumlszligeren auch kulturellen Zusammenhang Kulturelle Zusammenhaumlnge ermoumlglichen aber erst die Strukturie-rung und Analyse und sind deshalb fuumlr die Ausgestaltung der Fachpraxis zentral

Drei Institutionen des Essens Menschen regeln ihre Wertung von Nahrungsmitteln deren Zubereitung und Ver-zehr uumlber drei Institutionen (vgl Barloumlsius 2011 S 93ff)4

(1) Die kulturelle Bestimmung von bdquoessbarldquo und bdquonicht essbarldquo

Menschen als sbquoOmnivorenlsquo koumlnnten mehr Nahrungsmittel nutzen als sie kennen koumlnnen Dies fuumlhrt dazu dass kulturell bestimmt wird welche Nahrungsmittel ak-zeptiert werden und welche nicht Neben Vertraumlglichkeit und Oumlkonomie (Effizienz des notwendigen Arbeitseinsatzes) gibt es eine Vielzahl von offiziellen (zB religiouml-sen politischen) und inoffiziellen (zB Tabus Moden) Reglementierungen Entspre-chend ist die Nahrungsauswahl auch ein Ausdruck von Normen und Werten bis hin zu den Bewertungen dazu was sbquomanlsquo (wer in welcher Situation) isst oder nicht isst

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Auf dieser Basis entwickelt sich Geschmack welcher dann der sozialen Distink-tion dient Subjektiv wird dieser Zusammenhang selten bewusst wahrgenommen Jugendliche kennen zwar auch sbquoEss-Modenlsquo aber sie empfinden ihre Auswahl zu-naumlchst als selbstverstaumlndlich als Ausdruck ihres sbquoGeschmackslsquo Sie wissen und ver-stehen weder die naturwissenschaftlichen noch die kulturellen Hintergruumlnde fuumlr die sbquoEntwicklung von Geschmacklsquo ndash wie viele Lehrpersonen leider auch nicht

In der Nahrungszubereitung dient die Konfrontation mit Nahrungsmitteln Ge-richten und Geschmaumlckern auch der Entwicklung und Erweiterung eines sbquokulturellen Geschmackslsquo als Teil kultureller Bildung Mit der Zubereitung von Gerichten wer-den nicht nur Kompetenzen angebahnt sondern auch Geschmaumlcker Wertungen und Zuschreibungen (gut ndash schlecht traditionell ndash modern Alltag ndash Sonntag etc) tradiert Ein Geschmack der sbquoHeimatlsquo der sbquoModernelsquo der sbquoGesundheitlsquo oder des sbquoExotischenlsquo wird so erworben ndash oder abgelehnt Geschmackserfahrungen gehen ndash mit Gefuumlhlen und Wertungen verbunden ndash in zunaumlchst unreflektierte sbquoGrundstimmungenlsquo (u a wichtig fuumlr Identitaumlt und Sicherheit) und -haltungen (Zuwendung Abwehr etc) so-wie damit verbundene Handlungsmuster uumlber Erst wenn diese Zusammenhaumlnge verstanden werden kann die eigene Entwicklung als sbquogewordenelsquo reflektiert und die Nahrungszubereitung gezielt zur Erweiterung der Akzeptanzen genutzt werden

(2) Die Kuumlche als kulturelles Regelwerk

Kuumlchen sind sowohl Raumlume mit spezifischer technologischer Ausstattung als auch Bezeichnung fuumlr typische Arten und Weisen der Zubereitung die uumlberdies Botschaf-ten beinhalten (Sprache der Kuumlche) In beider Hinsicht sind sie soziokulturelle Phauml-nomene mit entsprechenden Charakteristika und dienen der kulturellen und sozialen Identitaumlt bdquoZwischen Beduumlrfnis (Hunger) und Befriedigung (Essen und Trinken) setzt der Mensch das ganze kulturelle System der Kuumlcheldquo betont Tolksdorf (1976 S 67) und hebt damit hervor dass die Auswahl Bearbeitung und Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Speisen und Mahlzeiten einem komplizierten und differenzierten Regelwerk unterliegt

Obwohl viele Nahrungsmittel in vielen Laumlndern aumlhnlich oder gleich sind (wie zB Huumllsenfruumlchte Getreide) schmecken die daraus bereiteten Gerichte aufgrund der unterschiedlichen sbquoKuumlchenlsquo voumlllig anders (vgl Schlegel-Matthies 2002) Die Verarbeitung mit teuren Zutaten (fruumlher oft Eier und Fett heute seltene Zutaten) und mit einem houmlheren Aufwand (Arbeit Zeit Wissen und Fertigkeiten) kann zur Auf-wertung fuumlhren (vgl Roumlszligler-Hartmann 2012)

In der Nahrungszubereitung finden diese Aspekte ihren Platz durch vorgegebene leitende Werte und damit verbundene Rezepte sbquoGesundelsquo Rezepte sind fett- und sbquonachhaltigelsquo fleischaumlrmer sbquotraditionellelsquo sind eher fett- und fleischreicher Alltags-speisen beanspruchen weniger Wissen und Zeit als Feiertagsspeisen etc Dabei sind Werte wie sbquogesundlsquo meist unhinterfragt gesetzt werden aber durch andere Werte wie sbquofestlichlsquo sbquoschmackhaftlsquo sbquoexotischlsquo etc verdraumlngt bzw ausnahmsweise ausgesetzt Kuumlchentechniken werden entweder arbeitswissenschaftlich begruumlndet (rationell

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sicher hygienisch) oder mit dem schlichten Hinweis bdquoDas macht man soldquo So kann der kulturelle Hintergrund schnell verdeckt werden

(3) Die Mahlzeit als soziale Institution

Mahlzeiten dienen der Herstellung und Bewahrung von Gemeinschaft und Zugehouml-rigkeit In ihren unterschiedlichen Elementen den Tischgemeinschaften-sitten und -gespraumlchen) ihren Auspraumlgungen in Alltag und Festtag ihrer haumlus-lichfamiliaumlren und auszligerhaumluslichen Erscheinungsform haben sie eine soziokulturell strukturierende Bedeutung (vgl Barloumlsius 2011 S 172ff Schlegel-Matthies 2002 2011)

Eine integrierende bzw ausgrenzende Funktion haben die Bestimmungen wer wann wo in welchem Rahmen zusammen isst sowie die Tischsitten Die Bedeutung der Letzteren ist so stark dass von vielen Menschen sbquoEsskulturlsquo vor allem mit dem Benehmen bei Tisch verbunden wird Dabei sind die Regeln bei genauerer Betrach-tung von den jeweiligen sozialen Zusammenhaumlngen abhaumlngig Sie hatten und haben u a die Aufgabe die soziale Stellung angemessen wiederzugeben Heute gelten zB traditionelle buumlrgerliche Regeln will man sich nicht im Restaurant blamieren oder anderen Menschen denen sie wichtig sind sbquovor den Kopf stoszligenlsquo

Die Nahrungszubereitung ist im Unterricht haumlufig mit gemeinsamem Essen ver-bunden wobei eine Einfuumlhrung in diese sbquoKultur des Essenslsquo erfolgen soll Deren Beherrschung ist haumlufig eine Voraussetzung fuumlr die soziale Akzeptanz von Men-schen ihre Vermittlung ist damit Teil des demokratischen Auftrags von Schule Die hinter den (sozio-kulturell unterschiedlichen) Regeln verborgenen Zusammenhaumlnge sind allerdings wenig bekannt und selten beruumlcksichtigt

Das Bildungsziel zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahl-zeitengestaltung verlangt mehr als die mehr oder (meist) weniger reflektierte Ver-mittlung vorherrschender (sozio-)kultureller Standards auf dem Stand der biogra-phisch erworbenen Erfahrung der Lehrkraft Erfahrungswissen ist wertvoll aber begrenzt (vgl Brandl 2012) Professionalitaumlt verlangt auch bei der Nahrungszuberei-tung Hintergrundwissen Wissen zu natur- und arbeitswissenschaftlichen Zusam-menhaumlngen ist weitgehend als notwendig akzeptiert Es wird aber weniger reflektiert dass und wie auch dieses Wissen kulturellen Einfluumlssen unterliegt Eine solche Re-flexion kann fuumlr einen gelingenden Unterricht hilfreich und das Wissen damit auch notwendig sein

2 Unterschaumltzte Grundwiderspruumlche

21 Professionalitaumlt versus Alltagswissen und -routinen

Jugendliche haben Erfahrungen (zB aus dem Elternhaus oder aus dem Fernsehen) oder Vorstellungen (darunter auch spontane Planungen) wie Nahrung bearbeitet und zubereitet werden kann ndash und sind oft stolz darauf Die haumlusliche Nahrungszuberei-

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tung ist nicht systematisch und rationell organisiert sondern von Raumgestaltung Alltagsroutinen und auch von der Vermischung mit anderen Arbeitsgaumlngen abhaumln-gig Die Ausstattung der Kuumlchen ndash und damit auch Kenntnis und Nutzung einzelner Geraumlte ndash ist entsprechend unterschiedlich

Wenn im Bildungsziel 3 (siehe Tab 1) formuliert ist bdquoTechniken der Nahrungs-zubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden koumlnnenldquo dann sind damit mehr kulturelle Strukturen verbunden als auf den ersten Blick erkennbar Die (im Elternhaus) erlernten Praktiken entsprechen haumlufig nicht professionellen Kriterien die in der Schulkuumlche die Arbeit leiten sollten Die Begruumlndung dafuumlr warum in der Schule professionelle Techniken vorgezogen und damit auch Handlungsalternativen geboten werden und die Unterscheidung zwischen sbquoVerbesserunglsquo von Arbeitspro-zessen sowie nicht verhandel- aber begruumlndbaren Grundlagen von Hygiene und Sicherheit kommen meist zu kurz Eine bloszlige Gegenuumlberstellung von sbquorichtiglsquo und sbquofalschlsquo kann Widerstand wecken Die explizite Gegenuumlberstellung haumluslicher und professioneller Arbeitstechniken die eine Analyse ihrer Unterschiedlichkeit auf-grund verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen zur Grundlage hat ermoumlg-licht beides zu respektieren

Arbeits- und Gartechniken beruumlcksichtigen zB Kriterien wie Arbeitsersparnis Naumlhrstoffschonung oder Geschmack Damit neue Arbeitsprozesse als Erleichterung wahrgenommen werden muumlssen sie Teil der Alltagsroutinen werden Erst dann werden sie Handlungsalternativen Mit offenen Diskussionen daruumlber dass Schule Wissen und Koumlnnen erweitern soll und Unterricht daher keine Spiegelung privater Verhaltensweisen zum Ziel hat sondern Reflexion und Entscheidungsfaumlhigkeit daruumlber kann die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen gefoumlrdert werden Viele Dinge werden klar wenn man die mit ihnen verbundene Arbeitslogik offen legt Der Umgang mit professionellen Kochmessern ist fuumlr Studierende und Jugendliche oft ungewohnt und zunaumlchst befremdlich Sie fuumlhlen sich mit einem kleinen Messer sicherer Man kann zB demonstrieren dass man mit einem kleinen und schmalen Messer auf einem kleinen Brett nicht sinnvoll und auch nicht sicher Gemuumlse schneiden kann Der Umgang mit einem Kochmesser erfordert eine gute Einwei-sung und Uumlbung (vgl Tornieporth 1993) Motivation dazu koumlnnen zB Koch-shows bieten in denen mit solchen Messern gearbeitet wird Voraussetzung ist allerdings dass gute (scharfe) Kochmesser in den Schulkuumlchen nicht nur vorhan-den sind sondern von den Lehrpersonen auch beherrscht und genutzt werden An dem beliebten sbquoHausfrauen-Allzweck-Suppenloumlffellsquo kann und sollte analysiert werden dass man mit ihm auf einem Topfboden nur Kratzspuren hinterlassen und keine Masse mischen kann Schneebesen sind dazu sinnvoller Es gilt entscheiden zu koumlnnen wann man nur kurz umruumlhren und probieren oder wann man Ansetzen vermeiden oder mischen will

Die Entwicklung einer Haushaltstechnik und Arbeitsorganisation sollte der Ar-beitserleichterung im Haushalt dienen Beide druumlcken kulturelle Errungenschaften aus die erlernt und eingeuumlbt werden koumlnnen Werden diese Zusammenhaumlnge klar-

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gestellt ohne den haumluslichen Alltag abzuwerten kann auch die Einhaltung von Regeln leichter werden Dabei sollte auch nicht geleugnet werden dass die ar-beitswissenschaftliche Logik die sich meist auf einzelne Arbeitsprozesse bezieht nicht immer kompatibel ist mit einer sbquoLogik des Alltagslsquo in diesem Alltag sind komplexe Situationen zu bewaumlltigen

22 Buumlrgerliche Kultur und einfache Alltagskuumlche

Die Haushaltslehre orientiert sich in weiten Bereichen an den Normen der buumlrgerli-chen Haushaltsfuumlhrung Bezogen auf eine kulturelle Sozialisation und Integration oder auf eine spaumltere Berufstaumltigkeit kann dies auch sinnvoll sein sollte aber nicht unreflektiert geschehen

Rezepte Gerichte und Mahlzeitengestaltung waren immer durch die unterschied-lichen Lebensbedingungen und -stile bestimmt In reichen Haushalten durfte die Bruumlhe den Appetit anregen in anderen musste eine dicke Suppe den (ersten) Hunger stillen damit Fleisch und andere Lebensmittel gespart werden konnten Wer wenig Zeit und Geld hatte konnte sich auch keinen groszligen Aufwand bei der Nahrungszu-bereitung leisten Wenige Menschen wissen dass das mehrgaumlngige Menu mit geson-dertem Geschirr und Besteck fuumlr jeden Gang in Schuumlsseln aufgetragen auf einen Tisch auf dem eine Tischdecke und Stoffservietten liegen einer Norm aus dem 19 Jahrhunderts folgt Und diese Norm entstand in Haushalten in denen Dienstboten die damit verbundene Arbeit uumlbernahmen Heutige Jugendliche merken zu Recht an dass sie mit den Servierschuumlsseln und -platten mehr Arbeit haben als wenn die Kochtoumlpfe und Pfannen auf den Tisch gestellt werden Nach welchen Regeln das Essen auf den Tisch kommt sollte nicht (nur) die Wiederholung buumlrgerlicher Nor-men beinhalten sondern auch deren Reflexion ndash und damit auch die Suche nach arbeitssparenden Alternativen fuumlr den Alltag in Haushalten (Teller auffuumlllen in der Kuumlche aumlsthetische Bewertung von Kochgeschirr etc) Die Teilkompetenz bdquoMahlzei-ten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnenldquo (s Tab 1) beinhaltet u a solche Uumlber-legungen Die Wertschaumltzung der Arbeit ist im doppelten Sinn geboten (1) Nur wer erkennt dass Nahrungszubereitung auch Freude machen kann und ein wichtiger Teil der Selbstbestimmung daruumlber ist was gegessen wird wird auch bereit sein sich die notwendigen Kompetenzen so anzueignen dass die Arbeit sbquoleicht von der Hand gehtlsquo (2) Die Wertschaumltzung derer ist geboten die diese Arbeit leisten und den ande-ren damit Nahrung bieten Die heutige Familienkultur verhindert haumlufig dass damit verbundene Arbeit erkannt und anerkannt wird weil Kinder und Jugendliche haumlufig nicht mehr sehen wie Nahrung zubereitet wird sondern sie bdquojust in timeldquo vorgesetzt bekommen (vgl Roumlszligler-Hartmann 2007 S 224)

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23 Bewertungen und Qualitaumltskriterien

Mit der ersten Teilkompetenz bdquoSpeisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumln-nenldquo (s Tab 1) sind drei Qualitaumltskriterien festgelegt

Fuumlr Jugendliche (und Studierende) enthaumllt der Hinweis bdquoMir schmecktrsquos aberldquo meist die Botschaft dass alle anderen Kriterien als unwichtig erachtet werden Geschmackswertungen sollten daher explizit von anderen Kriterien wie rationelle und hygienische Arbeitsorganisation Gesundheitswert getrennt werden Zudem sollte Geschmack ein eigenstaumlndiges Thema im Unterricht sein

Der Satz sbquoUumlber Geschmack laumlsst sich nicht streitenlsquo gilt durchaus wenn es um individuelle Praumlferenzen geht Wie diese entstehen und welche Unterschiede zur sensorischen Bildung bestehen ist eine gesonderte Frage Sensorische Bildung leitet an Unterschiede zu analysieren oder die Wirkung von Kombinationen unter-schiedlicher sensorischer Eindruumlcke (Geschmack Geruch Konsistenz etc) ken-nenzulernen ndash und nicht Praumlferenzen vorzuschreiben sbquoGeschmacksbildunglsquo dage-gen legt offen wie Geschmack entsteht was er bedeutet und wie man damit umgehen kann ndash dazu gehoumlrt auch dass und wie man ihn selbst aumlndern kann Sinn-lichkeit beinhaltet all dies und noch mehr Jugendliche sollen Freude am Essen und an der Nahrungszubereitung haben sollen genieszligen lernen denn das muss gelernt werden (vgl Bergler amp Hoff 2011 Houmlhl 2009) Sensorische Bildung und Ge-schmacksbildung gehoumlren zur Sinnlichkeit ebenso wie eine gute Beziehung zum Koumlrper (vgl Bartsch 2008 Methfessel 2002) Versteht man diese Zusammenhaumln-ge muss man sich nicht mehr wundern dass viele Jugendliche von sich aus wenig Interesse zeigen zu probieren und Wuumlrzmoumlglichkeiten zu variieren

Soziokulturelle Differenzen finden sich auch beim Ziel einer Gesundheitsfoumlr-derung Zum einen haben unterschiedlich vorhandene Ressourcen (Zeit Geld Kompetenzen) Einfluss auf das haumlusliche Essensangebot Zum anderen haben Ju-gendliche auch unterschiedliche Haltungen zur Bedeutung des Essens fuumlr die Ge-sundheit In Abhaumlngigkeit vom sozialen Milieu differiert was als sbquogutes Essenlsquo angesehen wird Waumlhrend zB Saumlttigung und Geschmack wichtige Kriterien fuumlr koumlrperlich Arbeitende sind orientieren Menschen aus Milieus mit houmlherem Bil-dungsniveau ihre Nahrung staumlrker an anderen Werten wie Gesundheit Schlankheit angesagten Ernaumlhrungskonzepten (vgl Barloumlsius 2011 Bourdieu 1993 Stieszlig amp Hayn 2005) Bei solchen Orientierungen spielen neben Wissen um die Bedeutung der Nahrung auch Vorstellungen uumlber die Kontrollierbarkeit von Koumlrper und Ge-sundheit eine Rolle (vgl Faltermaier 2005) Daneben ist auch festzustellen dass eine problematische soziale Lage und damit verbundene geringe Erwartungen an die Zukunft auch die Bereitschaft reduzieren kann das Essverhalten selbst zu kon-trollieren bzw kontrollieren zu lassen Wenn das Leben wenig Freuden bietet

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kann das Essen ein wichtiger bdquoFreudengeberldquo und eine bdquoBastionldquo der Selbstbe-stimmung sein5 Diese und andere Zusammenhaumlnge koumlnnen erklaumlren warum Ler-nende sehr unterschiedlich auf Vorgaben der Lehrkraft zum Thema Gesundheit reagieren

Mit dem dritten Kriterium der Nachhaltigkeit ist der Konflikt zwischen indivi-duellem Genuss und politischen Werten der Nachhaltigkeit (Beruumlcksichtigung globaler oumlkologischer sozialer und oumlkonomischer Zusammenhaumlnge) verbunden Jugendliche sind gegenwartsorientiert und viele suchen nach einfachen Wegen zum Wohlbefinden Die Reflexion der globalen Auswirkungen individuellen Konsums (zB bezogen auf Fleisch) und die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung muumlssen erst erlernt werden Damit wird dann ein wertvoller Beitrag zur Bildung fuumlr nachhaltige Entwicklung (BNE) geleistet Fuumlr Jugendliche ist allerdings nicht uumlber-zeugend wenn dies zB nur in einer einzelnen Unterrichtseinheit thematisiert wird dann einmalig Bio-Produkte zubereitet werden und das Kriterium sbquoNachhaltigkeitlsquo keinen Eingang in die handwerkliche Praxis ndash auch mit alltaumlglichen Umsetzungs-moumlglichkeiten ndash findet

Bei der Diskussion um Qualitaumlt und deren Bewertungskriterien sind auch wei-tere Bewertungen und Begruumlndungen welche den Jugendlichen wichtig sind zu erfragen und zu beruumlcksichtigen Dies kann alle Lebensbereiche betreffen religioumlse Vorgaben unterschiedliche Geschmackspraumlferenzen Gesundheitsvorstellungen Sinn und Qualitaumlt von (Halb-)Fertigprodukten etc Die Entwicklung und Begruumln-dung von Qualitaumltskriterien sind eine eigene Bildungsaufgabe Die didaktische Herausforderung liegt darin konstruktiv mit Widerspruumlchen zwischen Kriterien bzw zwischen schulischen Bildungszielen und Interessen von Jugendlichen umzu-gehen

3 Folgerungen

Aus den beschriebenen Zusammenhaumlngen erwachsen viele Herausforderungen an (angehende) Lehrpersonen Zunaumlchst muumlssen sie reflektieren welche kulturellen Muster ihr eigenes Verhalten leiten ndash und sich ggf das dazu notwendige Wissen aneignen Schon allein bei der Auswahl der Rezepte und der damit verbundenen Techniken bewegen sie sich meist nur in dem ihnen vertrauten Rahmen (Jugendli-che sollen zB alles probieren selten wird aber zubereitet was die Lehrkraft selbst nicht mag oder bei der Rezeptauswahl orientiert sie sich nicht an Lehr-Lernzielen und fragt auch nicht nach der Bedeutsamkeit des zu Erlernenden fuumlr die Jugendli-chen) Ein Verstaumlndnis der sbquokulturellen Gewordenheitlsquo schafft einerseits mehr Be-reitschaft sich anderen Gerichten und Techniken zu oumlffnen Anderseits gewinnen Lehrpersonen mehr Faumlhigkeiten mit den unterschiedlichen zu beachtenden Dimen-sionen der Nahrungszubereitung und den Widerspruumlchen zwischen diesen Dimen-sionen umzugehen und Alternativen entwickeln zu koumlnnen Diese Faumlhigkeiten sind

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notwendig um die vierte Teilkompetenz bdquoInformationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnenldquo (s Tab 1) verstehen und vermitteln zu koumlnnen Im Unterricht stehen sich oft Lehrpersonen und Jugendliche gegenuumlber die sehr unterschiedliche Erfahrungen Vorstellungen und Praumlkonzepte zu Haushaltsfuumlhrung und Nahrungs-zubereitung sowie zum Zusammenhang von Essen Koumlrper Gesundheit etc haben Der Umgang mit Widerspruumlchen erfordert mehr als eine rationale Argumentation Eine sbquokultursensiblelsquo Analyse und Reflexion sollte beruumlcksichtigen dass ndash direkte oder indirekte ndash Infragestellungen der familialen sozialen religioumlsen milieuspezi-fischen etc Kultur immer auch Identitaumlt und Selbstwertgefuumlhl beruumlhren

Die Legitimation der Ernaumlhrungsbildung als Teil der Naturwissenschaftlichen Bildung undoder die jeweilige wissenschaftliche Sozialisation verleiten Lehrperso-nen zu oft dazu nur arbeits- und naturwissenschaftliche Theorien zur Begruumlndung der Regeln fuumlr die Nahrungszubereitung heranzuziehen Damit unterliegen sie zwei Begrenzungen Zum einen werden das Alltagshandeln leitende kulturwissenschaftli-che Zusammenhaumlnge ausgeblendet ndash und damit auch ein Zugang zum Handeln und Verhalten der Lernenden verwehrt Zum anderen kann mit dem alleinigen (durchaus sinnvollen und notwendigen) naturwissenschaftlichen Denken (zB bei Experimen-ten) nicht die Komplexitaumlt des Alltags bewaumlltigt werden Kuumlstlers (2012) Bezug auf die MINT6 Faumlcher mag positiv bewertet werden erfasst aber nicht den vollstaumlndigen Fachauftrag welcher uumlber die MINT-Faumlcher hinaus geht

Es kann daher sinnvoll sein Kompetenzmodelle (zB Dachtler-Freiler amp Kuumlst-ler 2012) noch einmal daraufhin zu uumlberpruumlfen wieweit sie kulturelle Aspekte ex-plizit aufgenommen haben Die Kombination naturwissenschaftlicher Bezuumlge mit der Analyse und Reflexion der Entwicklung der Alltagskultur ist nicht nur sinnvoll son-dern bietet auch die fuumlr Lernprozesse notwendige Sinnhaftigkeit So kann zB die Kombination des Verstaumlndnisses der Lebensbedingungen von (Mikro)Organismen mit Wissen zur Denaturierung von Eiweiszlig viele Zusammenhaumlnge von Hygiene und Konservierung erklaumlren Dies fuumlhrt nicht unbedingt zum hygienischen Umgang im Kuumlchenalltag Wissen wird oft erst persoumlnlich sinnhaft wenn bewusst Konsequenzen fuumlr das eigene Handeln gezogen werden Dazu ist zB sinnvoll auch zu diskutieren und zu reflektieren warum viele meinen dass ein Kuumlhlschrank weniger geputzt wer-den muss als eine oumlffentliche Toilette (welche oft nachweislich weniger Keime ent-haumllt) undoder welche anderen Gruumlnde daran hindern ihn alle zwei bis drei Wochen gruumlndlich zu reinigen

Roumlszligler-Hartmann (2012) hat dargestellt dass und wie das Modell einer Mahlzeit zum Ausgangspunkt der Reflexion von Esskulturen genutzt werden kann sbquoDarum herumlsquo kann man noch weitere Moumlglichkeiten schaffen Nahrungszubereitung in all ihren Schritten und Dimensionen als Ergebnis kultureller Entwicklung zu verstehen Der Anthropologe Levi-Strauss (1972) merkte einmal an dass der Mensch sich vom Tier durch den Kult und das Kochen unterscheide Es ist lohnenswert diese mensch-liche Kompetenz zu vermitteln

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Anmerkungen 1 Auf eine theoretische Grundlegung des Begriffes Kultur bzw Alltagskultur oder

wird hier verzichtet (vgl dazu Methfessel amp Schlegel-Matthies im Druck) 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Hier kann kein systematischer Einblick in die Diskussion der Esskultur gegeben

werden (zum Uumlberblick vgl Barloumlsius 2011 Methfessel 2005 Schlegel-Matthies 2001 2002 und die darin jeweils angegebene Literatur)

4 Die Strukturierung von Barloumlsius (2011) bietet eine hervorragende Analysegrund-lage alle weiteren vorgestellten Kategorien koumlnnen sich ihnen gut zu- bzw un-terordnen

5 Ein niedriger Schulabschluss fuumlhrt zu weniger Gesundheit und Lebenszufrieden-heit Bildungsstrukturen benachteiligen sozial Schwache (vgl Daten der GEDA-Studie 2009 nach BMAS 2013 S 198ff)

6 MINT Mathematik Informatik Naturwissenschaft und Technik

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Verfasserinnen

Profin (i R) Dr Barbara Methfessel Paumldagogische Hochschule Heidelberg Fachgebiet Ernaumlhrungs- und Haus-haltswissenschaft und ihre Didaktik E-Mail methfesselph-heidelbergde Internet wwwph-heidelbergdeernaehrungs-und-haushaltswissen-schaftpersonendozentinnenprof-dr-barbara-methfesselhtml

Profin Dr Kirsten Schlegel-Matthies Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Ge-sundheit Department Sport amp Gesund-heit Fakultaumlt fuumlr Naturwissenschaften der Universitaumlt Paderborn E-Mail schlegelmailupbde Internet httpdsguni-paderborndeevbpersonenprof-dr-kirsten-schlegel-matthies

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Silke Bartsch und Jana Brandstaumldter

bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung Zunaumlchst wird uumlber eine begriffliche Klaumlrung eine Annaumlherung an das Phaumlnomen der bdquoErleb-niskuumlcheldquo gesucht um sie als Inspiration fuumlr neue Zugaumlnge fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung nach REVIS1 zu nutzen Ausgangspunkt dafuumlr ist das Erlebnis in seiner Abgrenzung durch das Besondere vom Alltaumlglichen Daran schlieszligen sich in dem hier essayhaft verfassten Beitrag erste fachdidaktische Uumlberlegungen und Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung an

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Erlebnis Kuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung

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Einleitung Zurecht hat er selbst darauf hingewiesen dass Essen die moumlglicherweise komple-xeste menschliche Aktivitaumlt darstellt Man sieht ein Gericht riecht es fasst es an und fuumlhlt es nimmt beim Konsum sowohl Geschmack als auch akustische Reize ndash beispielsweise Knuspern beim Essen eines Eiswuumlrfels ndash wahr Gesellt sich dann noch ein Konzept hinzu wie beispielsweise bei den sich aufloumlsenden Ravioli wird sogar noch das Gehirn stimuliert In dieser Gleichzeitigkeit so vieler Sinneswahr-nehmungen und Reize liegt eine unglaubliche Chance zu neuen Erlebnissen und Erfahrungen die sich Adriagrave immer wieder zu Nutze macht (Blogger uumlber Ferran Adriagrave Sternekoch im spanischen Restaurant El Bulli2)

Das Zitat des spanischen Sternekochs Ferran Adriaacute illustriert ein umfassendes Sin-neserlebnis beim Essen das hier durch die Molekularkuumlche kreiert und inszeniert wird Die Geheimnisse der Kochkunst begleiten die Kulturgeschichte so ist zB aus der Antike bekannt dass besondere Geschmacks- und Sinneserlebnisse zum Vergnuumlgen gesucht wurden (vgl zB Lemke 2007) An diese Tradition knuumlpfen die Vertreter der Molekularkuumlche gerne an die durch die heute zur Verfuumlgung stehenden kuumlchentechnischen Moumlglichkeiten neue Dimensionen schaffen koumlnnen

Die hier gewaumlhlte Wortschoumlpfung Erlebniskuumlche3 greift die Idee der Erlebnis-gastronomie auf Beispiele dafuumlr sind die sog Dinnershows wie bdquoPomp Duck and Circumstancesldquo die Zirkus oder Varieteacute und (gehobene) Gastronomie effektvoll in auszligergewoumlhnlichen bdquoLocationsldquo wie einem Spiegelzelt kombinieren und als Ge-samtevent vermarkten Mit dem Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo soll aber nicht allein auf ein interessantes Geschmackserlebnis fokussiert werden sondern vielmehr soll die gegenwaumlrtig in vielen Varianten anzutreffende Verbindung zwischen bdquoErleb-nisldquo und bdquoKuumlcheldquo sowie Essen und Mahlzeiteninszenierung (Unterhaltung) als

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Phaumlnomen in unserer Gesellschaft herausgestellt werden Bei der Systematisierung der Beispiele faumlllt auf dass Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo in sehr unter-schiedlichen Zusammenhaumlngen beobachtbar sind

Speise13 als13 Erlebnis13 Speise13 und13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

(Essen13 und13 Unterhaltungsprogramm)13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

13 13

Verzehr13 Kein13 Verzehr13 auszligergewoumlhnliche13 Gerichte13 exotische13 Nahrungsmit-shy‐tel13 (zB13 geroumlstete13 In-shy‐sekten)13 mit13 Brausepulver13 13 gefuumlllte13 Kaugummis13 Bubble-shy‐Tea13 FroYo13 (Frozen13 Yogurt)13 hellip13

13

Dinnershows13 Schaukuumlchen13

Themenbezogene13 Kochkurse13 bdquoKrimidinnerldquo13

Dinner13 im13 Dunkeln13 Dicircner13 en13 Blanc13

Restaurants13 mit13 Molekularkuumlche13 (Bsp13 bdquoEl13 Bullildquo13 mit13 Sternekoch13 F13 Adriagrave)13

hellip13

Food-shy‐Blog13 Kochshow13 (TV)13

Lebensmittelfotografie13 Kochbuch13 Kinofilm13

hellip13

13

Abb 1 Kategorisierung von Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo (Quelle Eigene Darstellung)

Wie Abbildung 1 zeigt reicht das Spektrum der Beispiele vom Verzehr bis hin zu solchen bei denen das Essen keine Rolle mehr spielt Auf der einen Seite loumlst der Nahrungsmittelkonsum ein Erlebnis aus und auf der anderen Seite findet kein Kon-sum statt und dennoch wird der Erlebnischarakter uumlber Essen erfasst

Beispiele fuumlr letzteres Phaumlnomen sind Kochshows Food-Blogs etc Unter Food- Blogs werden im Allgemeinen Internetblogs verstanden auf denen Blogger (Privatpersonen Schauspieler Models etc) mehr oder weniger regelmaumlszligig Beitrauml-ge uumlber das weite Themenfeld Essen oft in Verbindung mit Bildern veroumlffentli-chen Ebenso werden hier sog Kochshows im Fernsehen4 als Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo aufgefasst da auch hier eine Verbindung zwischen Erlebnis und Kuumlche besteht ohne dass die Zuschauenden selbst beim Essen teilnehmen Das Beispiel von Kochbuumlchern die einfach nur durchgeblaumlttert werden koumlnnen gehouml-ren ebenfalls in diese Spalte gleichzeitig wird deutlich dass die Uumlbergaumlnge flie-szligend sind da zuweilen das eine oder andere auch gekocht wird Fuumlr die im Schau-bild in der rechten Spalte aufgezaumlhlten Beispiele steht folglich der Unterhaltungscharakter auf visueller Ebene im Vordergrund

Im mittleren Bereich der Abbildung werden Beispiele angeordnet bei denen das Essen selbst mit weiteren (meist essensfremden) Unterhaltungselementen fuumlr die Sinne mehr oder weniger gleichgewichtig inszeniert wird Beispiele fuumlr diesen Bereich stammen uumlberwiegend aus der Erlebnisgastronomie zu der nach heutiger Auffassung etwa Mahlzeiten im Dunkeln und das Krimidinner gehoumlren An dieser Stelle gilt allerdings hervorzuheben dass die Erlebnisgastronomie keine Erfindung

bdquoErlebniskuumlcheldquo

63

des 21 Jahrhunderts ist wie historische Quellen aus dem 15 Jahrhundert belegen (Boron 2005) Ein weiteres Beispiel sind die bdquoDicircner en Blancldquo (Abb 2) bei denen uumlber private (Internet-)Netzwerke ein bdquoMassenpicknickldquo bevorzugt an populaumlren Plaumltzen in Staumldten wie Avenue des Champs-Eacutelyseacutees in Paris organisiert wird Alle Beteiligten sind weiszlig gekleidet

Abb 2 Dicircner en blanc in Karlsruhe 2013 (Bild copy Schlittenhardt [httpdiner-en-blanc-

karlsruhede] Schlieszliglich kann auch die Speise bzw darin verarbeitete Lebensmittel allein der Grund fuumlr ein Erlebnis sein (linke Spalte) Erfahrungsgemaumlszlig loumlsen einige Beispiele ndash auch aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten ndash uumlberwiegend bei Jugendli-chen einen Reiz aus Hierzu zaumlhlen etwa Kaugummis die zunaumlchst eine saure Oberflaumlche haben welche aber durch eine beim Zerbeiszligen austretende suumlszlige Fluumls-sigkeit neutralisiert wird oder Modegetraumlnke (zB Bubble-Tea FroYo) die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen haben

Allen beobachten Formen der bdquoErlebniskuumlcheldquo ist die Hervorhebung der Speise undoder des Essens aus dem Alltaumlglichen und die gleichzeitige Inszenierung eines i d R aumlsthetisch ansprechenden (Sinnes-)Erlebnisses gemeinsam Daraus ergeben sich Fragen und Ansatzpunkte fuumlr die fachdidaktische Diskussion Ziel dieses Beitrages ist die Idee des bdquoErlebnissesldquo aufzugreifen im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Fachpraxis Ernaumlhrung zu explorieren sowie erste Folgerungen fuumlr die Unterrichtsarbeit mit exemplarisch ausgewaumlhlten Lernideen aufzuzeigen Der vorlie-gende Beitrag kann und will dazu lediglich Impulse geben und zur Diskussion anre-gen

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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1 Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo

Wie dargestellt druumlckt der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo die Verbindung zwischen Erleb-nis und Kuumlche aus mit der Idee verbindende Elemente zwischen den unterschiedli-chen Erscheinungsformen der Erlebnisorientierung rund ums Essen hervorzuheben (vgl Brandstaumldter 2013)

Erlebnisse die grundsaumltzlich in Verbindung mit Emotionen5 stehen (vgl Salz-mann 2007) werden haumlufig auch als Buumlndelung einzelner Emotionen beschrieben (vgl Woll 1997) Diese Buumlndel koumlnnen von einem Zusammenspiel unterschiedli-cher Emotionen wie Freude Bewunderung Hass oder Billigung bestimmt sein (vgl Ortony amp Clore 1990) Eine einheitliche begriffliche Definition von Erlebnis exis-tiert derzeit nicht Vielmehr befindet man sich bdquoaugenblicklich noch auf der Suche nach einer schaumlrferen begrifflichen Fassungldquo (Muumlller-Hagedorn 2011 S49) Viele Definitionen zum Thema Erlebnis sind im Marketingbereich angesiedelt da dort Erlebnisse als Marketinginstrument in einer auf jugendliche Ausgelassenheit ausge-richteten bdquoSpaszliggesellschaftldquo zunehmend an Relevanz gewonnen haben Aumlhnliche Tendenzen und Ausdifferenzierungen sind in der (Erlebnis-)Paumldagogik6 beobachtbar

Zusammenfassend koumlnnen Erlebnissen trotz unterschiedlicher Begriffsverwen-dung Attribute wie Auszligergewoumlhnlichkeit Emotionen und Subjektivitaumlt als zentrale Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden Fuumlr die nachstehenden fachdidaktischen Uumlberlegungen ist relevant dass das Erleben selbst keine Verarbeitung des Erlebten einschlieszligt dh fuumlr einen Reflexionsprozess muss zunaumlchst eine bdquoAneignungldquo statt-finden (vgl dazu Scheller 1980)

Durch die Verbindung zwischen Kuumlche die hier als bdquokomplexes kulturelles Re-gelwerkldquo gemaumlszlig der Definition bei Barloumlsius (2011 S 126) verstanden wird und Erlebnis wird bei der bdquoErlebniskuumlcheldquo nun die Wahrnehmung von Speisen undoder Mahlzeiten zum (besonderen) Erlebnis Gemaumlszlig den drei Institutionen von Esskultur (Barloumlsius 2011) kann das Besondere durch die ausgewaumlhlten Nahrungsmittel i d R in Verbindung mit deren Zubereitung undoder uumlber die Mahlzeit erreicht werden

2 Fachdidaktische Uumlberlegungen

21 Abgrenzung von der Alltagskuumlche

Um Alltagskuumlche7 von der bdquoErlebniskuumlcheldquo abzugrenzen muss zunaumlchst festgestellt werden dass hinter den beobachteten Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo eine Profikuuml-che steht Das wird im Umgang mit kommerziellen Erlebnissen (sog bdquoEventsldquo) wichtig da diese von medialen Uumlbersteigerungen leben die weder in der Schule so realisierbar sind noch der Zielsetzung der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ent-sprechen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Uumlber die Abgrenzung der bdquoErlebniskuumlcheldquo von der Alltagskuumlche findet ein Per-spektivwechsel statt Dadurch kann erstens ndash durch den Vergleich ndash erfahrungsba-siertes (Alltags-)Wissen fuumlr den Aufbau fachspezifischer Kompetenzen bedeutsam und zweitens der Blick auf das Alltaumlgliche geschaumlrft werden Die Idee ist uumlber das Besondere den Zugang zum Alltaumlglichen zu bekommen

Wodurch wird bdquoEssenldquo zum Erlebnis Zur Beantwortung dieser Frage muss das Auszligergewoumlhnliche (Erlebnis) vom Gewoumlhnlichen (Alltag) abgegrenzt werden Das bedeutet Alltaumlgliches wird in der Abgrenzung zum Besonderen wahrgenom-men und kann dabei bdquoneuldquo entdeckt analysiert und reflektiert werden

Uumlber das Erlebnis koumlnnen auch Fragen zur Kultur und Technik der Nahrungs-zubereitung sowie Mahlzeitengestaltung herausgefordert sowie das Reflektieren uumlber die entsprechenden Prozesse angestoszligen werden ebenfalls herausgeloumlst aus dem Alltagskontext Funktionsprinzipien (Wie- und Warum-Fragen) koumlnnen inte-ressant werden um zB kuumlchentechnische Effekte zu erzielen (zB Wie entsteht ein Karamellgeschmack) Fertigkeiten und Faumlhigkeiten koumlnnen dabei gefragte fachliche Kompetenzen sein und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermoumlglichen

Intendiert ist ein vertieftes Verstaumlndnis der alltaumlglichen Handlungen dh zum Beispiel zu verstehen dass beim Essen Gemeinschaft (Familie) hergestellt wird oder im genannten Beispiel zu analysieren dass es auf die trockene Hitze beim Karamellisieren ankommt Das fuumlr die Lernprozesse notwendige Fachwissen kann (und sollte) durch die (beratende) Lehrperson und durch entsprechende Materialien bereitgestellt werden

Esskulturelle Bestimmungsgruumlnde der Wahl von Nahrungsmittel koumlnnen dabei ebenso eine Rolle spielen wie naturwissenschaftliche Erklaumlrungen Beispielsweise koumlnnen folgende Fragen wichtig werden Welche Farben lehnen wir bei Lebens-mitteln warum ab Essen wir schwarzen Reis (der im alten China dem Kaiser vor-behalten war) oder lehnen wir ihn ab Warum Wodurch erhalten bdquoSpaghetti al Nero di Seppialdquo ihre schwarze Farbe Fragen zur Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung haumlngen dabei eng zusammen (vgl Methfessel amp Schlegel-Matthies idH)

Die Schaffung eines Erlebnisses uumlber die Situation der Mahlzeit bzw der Dar-bietung der Speisen hat einen hohen Stellenwert in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Was habt ihr wie anders gemacht als im Alltag Was hat euch warum besonders gut gefal-len Welche Lebensmittel sind alltaumlglich Welche sind an besondere Anlaumlsse oder Zeiten gebunden Welche sind wobei undenkbar Auch hier geht es um Alltags-routinen die als solche erkannt werden muumlssen und wiederum auch in ihrer persoumln-lichen und gemeinsamen Bedeutung hinterfragt werden koumlnnen8

22 bdquoLerngeschichtenldquo

Im Ruumlckblick auf die Schulzeit bleiben im Allgemeinen Geschichten in Erinne-rung die oft mit bdquoAha-Erlebnissenldquo verknuumlpft sind So ist auch aus der Erlebnispauml-

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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dagogik bekannt dass erstens Lernprozesse durch Erlebnisse initiiert (motiviert) werden koumlnnen (vgl Schenz 2006) und zweitens durch Erlebnisse Lernen unter-stuumltzt wird (vgl Ebrecht 1998) Das gilt nicht nur fuumlr schulisches sondern auch fuumlr informelles Lernen Die uumlber das Erlebnis zu erreichende Aufmerksamkeit ist als Motivation aus fachdidaktischer Sicht interessant wenn daraus die Lernbereit-schaft zur Auseinandersetzung mit Einzelphaumlnomenen gefoumlrdert werden kann

Allerdings ist ein effekthaschendes Erlebnis an sich noch keine hinreichende Be-gruumlndung fuumlr die fachpraktische Eignung weil dadurch allein kein Kompetenzaufbau gefoumlrdert wird Ersetzen beispielsweise (zeitaufwaumlndige) Kreationen in Anlehnung an die Molekularkuumlche (zB Bubble-Tea) herkoumlmmliche Rezepte aus der Schulkuuml-che kann das zwar unterhaltsam sein und gut ankommen doch ohne weitergehende didaktisch-methodische Uumlberlegungen bleibt es dann auch dabei es ginge uumlber die Unterhaltung die kommerzielle Eventangebote besser realisieren kaum hinaus

23 Sinneserfahrungen

Sinneserfahrungen haben einen prominenten Platz in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Auf-grund der allgemeinen hohen Attraktivitaumlt des Themas ist von Seiten der Schuumlle-rinnen und Schuumller eine latente Offenheit gegenuumlber Neuem zu erwarten (vgl Bartsch 2008) Wird das Gewohnte zB durch veraumlnderte Kontexte oder Verfrem-dung zum Ungewohnten (Bsp Wie schmecken Karotten gedaumlmpft frittiert gegrillt getrocknet etc) kann das Alltaumlgliche interessantes Experimentiergut werden Oder es koumlnnen Geschmackserlebnisse geschaffen werden indem zB Unbekann-tes (Nahrungsmittel) mit Gewohntem (Zubereitungstechniken) gemischt wird Das Erlebnis kann neugierig machen Experimentierfreude wecken den Geschmack-sinn herausfordern und zum Kosten verlocken Aspekte der aumlsthetisch-kulturellen Bildung auf die hier lediglich hingewiesen wird sollten dabei bedacht werden (vgl Heindl 2005) Begleiten positive Emotionen dieses Unterrichtserlebnis wer-den eher Speisen gekostet die vielleicht unter anderen Bedingungen mit Aversion gegessen werden (zB Rosenkohl Fischgerichte) oder gaumlnzlich abgelehnt wuumlrden (vgl Bartsch Methfessel amp Schlegel-Matthies 2006) Auf diese Weise koumlnnen persoumlnliche Sinneserfahrungen ermoumlglicht und thematisiert werden was im Allge-meinen motivierend ist und Neugier und Interesse weckt und im Idealfall zur Voli-tion fuumlhrt

Aus fachdidaktischer Sicht stellt sich daher an dieser Stelle die Frage Wie koumlnnen Sinneserfahrungen zur Sinnesbildung beitragen Beispiel Mit bdquoDinner im Dunkelnldquo werden durch die Ausschaltung des Sehsinns auszligergewoumlhnliche Erleb-nisse in groszliger Perfektion durch kommerzielle Eventveranstalter ermoumlglicht Sin-nesbildung geht daruumlber hinaus So kann das emotionale Erleben Basis fuumlr die Re-flexion werden zB welche Funktionen Bedeutungen haben Sinne fuumlr die Ausbildung einer Esskultur fuumlr die Pruumlfung der Nahrung etc Anders als bei kom-merziellen Angeboten ist hierfuumlr eine perfekte Inszenierung nebensaumlchlich

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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3 Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

31 Erlebnis als Thema in der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die bdquoErlebniskuumlcheldquo als gesellschaftliches Alltagsphaumlnomen fordert den schulischen Unterricht in der Domaumlne Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung mehrfach heraus Perfektion und mediale Uumlbersteigerung fuumlhren haumlufig zu hohen Erwartungen seitens der Jugendlichen und insbesondere in Kombination mit bdquoEdutainmentldquo (Unterhal-tung mit Lernmoumlglichkeiten) vermehrt zu einer Konsumhaltung ndash auch in Unter-richtssituationen in denen die Eigenaktivitaumlt im Vordergrund steht und Selbstwirk-samkeitserfahrungen gemacht werden koumlnnen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

Zunaumlchst ist daher eine Positionierung sinnvoll Unterrichtserlebnisse von Frei-zeiterlebnissen abzugrenzen Ansonsten besteht die Gefahr sich in Inszenierungsde-tails zu verlieren und die fachdidaktische Zielsetzungen zu verfehlen Gleichzeitig lohnt es sich Impulse aus der Erlebnispaumldagogik aufzunehmen um jugendgerechte Zugaumlnge fuumlr die Unterrichtsarbeit zu bekommen ohne sich anzubiedern undoder den Bildungsanspruch aufzugeben (vgl Bartsch 2008) Last but not least koumlnnen Erscheinungsformen der bdquoErlebniskuumlcheldquo im Unterricht einer kritischen Bewertung unterzogen werden um daran exemplarisch Ernaumlhrungstrends und Essmoden zu erarbeiten

32 bdquoErlebnis Unterrichtldquo

Erlebnisse im Unterricht

Uumlber das Besondere kann ein jugendgerechter Zugang gefunden werden um (per-soumlnliche Grenzen uumlberschreitende) Esserlebnisse zu ermoumlglichen Jugendaktionen wie bdquoGut Draufldquo9 arbeiten im Freizeitbereich mit Inszenierungen zu Ernaumlhrung Be-wegung und Entspannung gemaumlszlig dem erlebnispaumldagogischen Ansatz (vgl Mann Schulz amp Streif 2011) Esserlebnisse im sozialen Miteinander bieten in schulischen Unterrichtssituationen einen Mehrwert der im Rahmen des didaktischen Konzepts der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung eine fruchtbare Reflexionsbasis schaffen kann ohne nachtraumlglich die Freude daran zu verderben

So eignet sich die Mahlzeit als eine zentrale Institution der Esskultur (Barloumlsius 2011) gut fuumlr Unterrichtserlebnisse (vgl Mahlzeit als Handlungsprodukte bei Bartsch amp Buumlrkle idH) Uumlber Mahlzeiten wird Gemeinschaft geschaffen die das Lernklima in den Lerngruppen uumlberwiegend positiv beeinflusst In den begleitenden Vor- und Nachbereitungen kann dazu nicht nur Speisen Tischgestaltung und -sitten eingegan-gen werden sondern koumlnnen auch soziale Mechanismen uumlber das Erleben zugaumlnglich gemacht werden um uumlber die (emotionalen) Erfahrungen auch zu reflektieren und im Hinblick auf die heutige Mahlzeitengestaltung zu diskutieren

bdquoErlebniskuumlcheldquo

68

Beispiele

bdquoDinnerldquo unter einem Motto Dazu sind verschiedene Szenarien (bdquoAuftischen bei Koumlnigsldquo bdquoMittelalterliches Ge-lageldquoetc) denkbar Handlungsprodukt kann eine Menuumlinszenierung sein bei der die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Rollen (Essende Dienerschaft Kuuml-chenpersonal etc) uumlbernehmen die allerdings einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung beduumlrfen Dazu bietet sich ein faumlcheruumlbergreifender Unterricht an Wettbewerb als Erlebnis Eine weitere Moumlglichkeit ist die Bewertung von Mahlzeiten Fachdidaktisch inte-ressant sind dabei die Bewertungskriterien die zB reflektiert werden koumlnnen hin-sichtlich ihrer Funktion als gesellschaftliche Norm und Distinktionsinstrument Das Erlebnis kann die Gestaltung der Mahlzeit sein moumlglicherweise sind TV-Formate Vorbilder Bleibt es beim bdquoNachmachenldquo ist eine Lernchance vertan Impro-Cooking Mit der Thematik was aus Lebensmittelresten gezaubert werden kann ist ein Wettbewerb verknuumlpft (Baustein 4 des Unterrichtsmoduls bdquoWertschaumlt-zung und Verschwendung von Lebensmittelnldquo)10

Kinofilme oder Lesungen koumlnnen ebenfalls als Erlebnisse (im fachuumlbergreifenden oder bilingualen Unterricht) inszeniert werden Hier gibt es zahlreiche Ausgestal-tungsmoumlglichkeiten zB entsprechend des Formates des bdquoKulinarischen Kinosldquo11 auf der Berlinale koumlnnen diese unter verschiedenen Perspektiven analysiert inszeniert und reflektiert werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo als Unterrichtsthema

Das Phaumlnomen der bdquoErlebniskuumlcheldquo laumldt dazu ein verschiedene Aspekte zu Ernaumlh-rungsmoden zu bearbeiten und eignet sich daher gut als Projektthema Allein der Versuch die Frage zu beantworten wodurch wird Essen oder eine Speise zum Er-lebnis fuumlhrt zu einer Vielzahl von Unterrichtsthemen die bearbeitet werden koumln-nen Vergleichbar mit anderen Konsumbereichen (zB Bekleidung und Musik) folgen auch Esstrends bzw Ernaumlhrungsmoden einem Modezyklus der beispielhaft anhand der Verbreitung von Modegetraumlnken oder bdquoKochmodenldquo (Beispiel Mole-kularkuumlche) erarbeitet werden kann Eine kritische Wuumlrdigung aus fachwissen-schaftlicher Sicht gibt den Jugendlichen einen Rahmen sich eine fachlich begruumln-dete Meinung zu kommerziellen Angeboten zu bilden ohne bevormundet zu werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Ausblick

Die veraumlnderten Lebensbedingungen in Konsumgesellschaften des 21 Jahrhunderts fordern die Schule heraus Bleibt Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ihrem Bil-dungsauftrag treu geht Unterricht nicht mit freizeitorientierten Unterhaltungsange-boten in Konkurrenz Erlebnisse erzeugen Aufmerksamkeit und motivieren zum Mitmachen Die zum Lernen notwendige Volition bedeutet aber auch zielgerichtetes Wollen In Abgrenzung zur bdquoreinenldquo Unterhaltung besteht daher die Staumlrke des Un-terrichts der Sinngebung Die Beschaumlftigung mit paumldagogischen Zugaumlngen uumlber Er-lebnisse ist ein zukuumlnftiges Arbeits- und Forschungsfeld das zu einer zukunftsfaumlhi-gen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung beitragen kann

Anmerkungen 1 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 2 Blogger Tobias auf [httpbloggekonntgekochtdemolekularkueche-2-kochen-als-

kunst] 3 Der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo wurde von Jana Brandstaumldter (2013) im Rahmen ihrer

ersten wissenschaftlichen Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe entwickelt um Moumlglichkeiten des bilingualen Unterrichts in Verbindung mit The-men aus der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung zu verknuumlpfen Impulse fuumlr die-sen Beitrag kommen aus dieser Hausarbeit

4 Zu den Diskussionen um Fernsehen und Ernaumlhrung gibt es zahlreiche Literatur zB bei Roumlssler amp Willhoumlft (2004) Luumlcke Roumlssler amp Willhoumlft (2003)

5 Auf die theoretischen Grundlegungen des Begriffs Emotion wird an dieser Stelle verzichtet Weiterfuumlhrende Grundlagenliteratur zum Emotionsbegriff zB Schmidt‐Atzert (1996) Literatur zu Essen und Emotionen Pudel amp Westenhoumlfer (2003) Macht (2005)

6 Im vorliegenden Beitrag geht es darum das Phaumlnomen bdquoErlebnisldquo im Zusammen-hang mit der bdquoKuumlcheldquo essayhaft im Hinblick auf die Fachdidaktik EVB zu beleuch-ten Einzelne Elemente der Erlebnispaumldagogik sind in diesem Zusammenhang inte-ressant weitergehende Diskussionen darum sind hierfuumlr irrelevant und werden daher nicht ausgefuumlhrt Aus den gleichen Gruumlnden wird hier auch auf weitergehen-de Ausfuumlhrungen zum erfahrungsbezogenen Lernen verzichtet (vgl Scheller 1980)

7 Weiterfuumlhrende Literatur zum Alltagsbegriff Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck)

8 Weitergehende Uumlberlegungen zur Mahlzeit als Zugang zur esskulturellen Aspekten in der Fachpraxis Ernaumlhrung bei Roumlszligler-Hartmann (2012) Essen und Kommunika-tion ist ein zusaumltzlicher Aspekt der in diesem Beitrag ebenfalls nicht vertieft wer-den konnte Literatur dazu bei Heindl amp Plinz-Wittorf (2013)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

70

9 bdquoGut Draufldquo ist eine Jugendaktion der BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) Weitere Informationen unter [httpswwwgutdraufnet]

10 Siehe [wwwevb-onlinedeschule_materialien_wertschaetzung_uebersichtphp] 11 Weiterfuumlhrende Literatur zu Kulinaristik im Film in Kofahl Froumlhlich und Alberth

(2013)

Literatur

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Bartsch S Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (2006) Pizza Pasta Doumlner Kebab ndash Mittelmeerkost im Alltag deutscher Jugendlicher Historische und soziale Hintergruumlnde Haushalt amp Bildung 83(4) 17-26

Bartsch S (2008) Jugendesskultur Bedeutungen des Essens fuumlr Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup In Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklauml-rung (BZgA) (Hrsg) Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsfoumlrderung Band 30 Koumlln BZgA

Boron B (2005) Erlebnisgastronomie Muumlnchen GRIN Verlag Brandstaumldter J (2013) Die Erlebniskuumlche als Chance fuumlr den bilingualen

Unterricht in der Sekundarstufe I Wissenschaftliche Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe

Ebrecht A (1998) Leben und Erleben - Die Lebensphilosophie um die Wende zum 20 Jahrhundert In T Ruumllcker amp J Oelkers (Hrsg) Politische Reformpaumldagogik (S 261-277) Bern Peter Lang Verlagsgruppe

Fachgruppe REVIS (2005) Bildungsziele und Kompetenzen in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung [wwwernaehrung-und-verbraucherbildungde]

Heindl I (2005) Perspektiven einer aumlsthetisch-kulturellen Ernaumlhrungs- und Ge-sundheitsbildung - Intelligenz in den Sinnen In D von Engelhardt und R Wild (Hrsg) Geschmackskulturen - Vom Dialog der Sinne beim Essen und Trinken (S 262-277) Frankfurt Campus Verlag

Heindl I amp Plinz-Wittorf C (2013) Essen ist reden mit anderen Mitteln - Esskultur Kommunikation Kuumlche Ernaumlhrungsumschau 60(1) 8-15

Lemke H (2007) Ethik des Essens Eine Einfuumlhrung in die Gastrosophie Berlin Akademie Verlag

Luumlcke S Roumlssler P amp Willhoumlft C (2003) Appetitlich verpackt aber schwer zu verdauen Darstellung und Wirkung von Ernaumlhrung in Massenmedien ein For-schungsuumlberblick Medien amp Kommunikationswiss 51(3-4) 407-430

Kofahl D Froumlhlich G amp Alberth L (Hrsg) (2013) Kulinarisches Kino Bielefeld Transcript Film

Macht M (2005) Essen und Emotion Ernaumlhrungs-Umschau 52 (8) 304-308

bdquoErlebniskuumlcheldquo

71

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Methfessel B Bartsch S amp Roumlszligler-Hartmann M (2001) Zielgruppe Kinder und Jugendliche Bildung Marketing oder Warentest In Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (DGE) Sek Baden-Wuumlrttemberg (Hrsg) Werbung und Ernaumlh-rungsverhalten (S 74-88) Schorndorf DGE Baden-Wuumlrttemberg

Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck) Alltagskultur ndash viel beschworen ndash wenig wissenschaftlich durchdrungen Hauswirtschaft und Wissenschaft 61(4)

Muumlller-Hagedorn L (2011) Handelsmarketing Stuttgart Kohlhammer Ortony A amp Clore GCA (1990) The Cognitive Structure of Emotions

Cambridge Cambridge University Press Pudel V amp Westenhoumlfer J (2003) Ernaumlhrungspsychologie (3 Aufl) Goumlttingen

Toronto Zuumlrich Hofgrefe minus Verlag fuumlr Psychologie Roumlssler P amp Willhoumlft C (2004) Darstellung und Wirkung von

Ernaumlhrungsinformationen im Fernsehen In DGE (Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (Hrsg) Ernaumlhrungsbericht 2004 (S 347-406) Bonn DGE

Roumlszligler-Hartmann M (2012) Esskultur ndash eine zentrale Kategorie der Nahrungszubereitung Haushalt in Bildung amp Forschung 1(4) 99-107

Salzmann R ( 2007) Multidimensionale Erlebnisvermittlung am Point of Sale Wiesbaden Deutscher Universitaumlts-Verlag

Scheller I (1980) Erfahrungsbezogener Unterricht Oldenburg Universitaumlt Oldenburg

Schenz A (2006) Erlebnis und Bildung Karlsruhe Universitaumltsverlag Karlsruhe Schmidt-shy‐Atzert L (1996) Lehrbuch der Emotionspsychologie Stuttgart

Kohlhammer Woll E (1997) Erlebniswelten und Stimmungen in der Anzeigenwerbung

Analyse emotionaler Werbebotschaften Wiesbaden Deutscher Universitaumltverlag

Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch amp Jana Brandstaumldter

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe

Email bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Gastfreundschaft

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______________________________________________________________

Gabriela Leitner

Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft Gastfreundschaft und Gastlichkeit sind kommunikative kulturelle Konzepte die das Zusam-menleben der Menschen historisch und aktuell praumlgen Wie weit diese als ethische Verbind-lichkeit oder konsumatorische Dienstleistung verstanden werden beeinflusst eine Gesell-schaft in politischer und kultureller Hinsicht Die Schule als Ort der Vermittlung und insbesondere der Lernbereich Ernaumlhrung sind gefragt an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mitzuarbeiten

Schluumlsselwoumlrter Gastfreundschaft Gastlichkeit Kuumlche Lernort Ernaumlhrungsbildung

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bdquoAlle Fremden und Ankoumlmmlinge sollen unbeschraumlnkt als Gaumlste aufgenommen werden wo immer sie wollenldquo

Erlass Friedrich II

1 Gastfreundschaft und Gastlichkeit

Der europaumlische Sommer ist gerade mal wieder vorbei Es sind wieder (fast) alle an ihren Platz zuruumlckgekehrt ndash sind nicht mehr Fremde an einem fremden Ort - sind wieder daheim Der Sommer gilt als Jahreszeit der Reiselust als Synonym fuumlr freie Ortswahl oder das Entdecken neuer Landschaften Kulturen Weltanschauungen Geschmacksrichtungen etc als Zeit mal wieder uumlber den Tellerrand zu blicken und die Schoumlnheiten der Welt (als Gast) wahrzunehmen und zu genieszligen

Der heutige Sprachgebrauch des Wortes Gastfreundschaft meint die voruumlberge-hende Aufnahme Bewirtung undoder Beherbergung fuumlr Fremde genauso wie fuumlr Angehoumlrige der jeweiligen eigenen Gruppe Gastfreundschaft sollte ehrlich herz-lich groszligzuumlgig und zumeist wechselseitig erfolgen kann aber auch nur einseitig als echt gelten sie wird haumlufig einer oumlkonomisch bloszlig auf Gewinn abzielenden Gastlichkeit entgegengesetzt (Kayed 2003 S 1)

Echte Gastfreundschaft zu erfahren ist nicht unbedingt selbstverstaumlndlich denn in einer oumlkonomisierten Welt ist auch Gastlichkeit eine Dienstleistung und kann ge-kauft bzw konsumiert werden bdquohellipGastlichkeit liegt allen Ablaumlufen zwischen Be-wirtung und Kundschaft Kuumlche und Gast zugrunde und gehoumlrt insofern zum er-weiterten Gegenstandsbereich einer allgemeinen Theorie und praktischen Philosophie der Esskultur kurz der Gastrosophieldquo (Lemke 2011 S 83) In die-sem Kontext ist der Gast ein Kunde (und Koumlnig) und bezahlt fuumlr die bdquoservile Gast-lichkeitldquo (ebd) Im Wirtschaftsbereich der bdquohospitality industryldquo wird das Vertrau-

Gastfreundschaft

73

en welches der Gast seinem Gastgeber entgegenbringt mittels bdquoAuszeichnungenldquo (Sterne oder Aumlhnliches) verbrieft auf der Ebene der Speisen beruumlhrt dieses Thema auch die Nahrungsmittelsicherheit bdquoSie ist angesichts vieler Lebensmittelfaumll-schungen die auf heutzutage wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften aufbauen zu einem herausragenden Thema der oumlffentlichen Aufmerksamkeit ge-wordenldquo (Wierlacher 2011 S 100)

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung unserer Gesellschaften muumlssen traditionelle Kommunikationsformen wie die Gastfreundschaft unter ande-ren Gesichtspunkten uumlberlegt werden

Drei Formen der Gastlichkeit sind zu unterscheiden die anthropologische Form (wir sind alle Gast des Lebens) die politische Form bis hin zum Asyl und die kul-turelle Form die wir praktizieren wenn wir nach kulturell verschiedenen Regeln jemanden zum Essen einladen oder beherbergen Alle drei Formen sind Kultur-muster haben ihre Chancen und ihre Grenzen leiten uns an geben Regeln vor er-oumlffnen Perspektiven produktiven Umgangs miteinander und staumlrken unsere Faumlhig-keit auch dann miteinander zu reden wenn wir nicht der gleichen Ansicht oder Gesinnungsfreunde sind (Wierlacher 2011 S 1)

Der Gast kommt also nicht immer als zahlender oder geladener Gast er kommt auch als Hilfesuchender Asylsuchender Beduumlrftiger1 Diesem Gast Gastfreund-schaft zu erweisen oder nicht kann fuumlr diesen Leben oder Tod bedeuten Ihn abzu-weisen wird von den meisten Religionen und Kulturen abgelehnt es wird daran erinnert dass man selbst in eine derartige Lage kommen koumlnnte bzw dass man sich an Gott selbst vergehen koumlnnte (siehe christliche Herbergssuche) In vorchrist-licher Zeit wurde ein Gastrecht formuliert welches dem Gast zumindest fuumlr drei Tage ohne sachlichen Gegenwert Unterkunft und Verpflegung sicherte (vgl Bahr 1994 S 36)

So stehen wir vor dem zwiespaumlltigen Befund dass die verschiedenen religioumlsen Traditionen an eine urspruumlnglich uumlbermaumlszligige und nicht von vornherein limitierte Gastlichkeit erinnern wohingegen die in rechtliche Anspruumlche transformierte Gast-lichkeit jede Uumlberforderung durch eine unbegrenzte Gastlichkeit auszuschlieszligen sucht (Liebsch 2008 S 68)

Ist Gastlichkeit heute keine ethische Verpflichtung mehr sondern als bdquohospitality managementldquo Teil der Aufgaben internationaler Hotel- und Gastronomiekonzerne

2 Was bedeutet Gastsein

Ein Gast zu sein bedeutet zuallererst fremd zu sein nicht im eigenen Haus oder Land zu sein Die Bedeutung von bdquohostisldquo (lat) oder bdquoxenosldquo (griech) ist ur-spruumlnglich bdquoFremderldquo das Wort kann aber auch Feind bedeuten2 Damit ist die Ambivalenz des Gastseins schon in der urspruumlnglichen Begrifflichkeit vorhanden Der Gast ist an dem Ort an welchem er als Gast auftritt fremd und beduumlrftig eben

Gastfreundschaft

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weil er sich nicht wie in seinem eigenen Haus oder Land verhalten kann Nun ist Fremdheit genau das was wir in unserem bdquoHeimldquo oder bdquoZuhauseldquo uumlblicherweise nicht haben und auch nicht haben wollen Das eigene Heim wird als ein Ort gese-hen an welchem alles bekannt zugehoumlrig und sicher erscheint an welchem bdquoent-hemmte Kommunikationldquo (vgl Luhmann 1990 S 203f) genauso moumlglich ist wie Intimitaumlt Schwaumlche und Ruumlckzug Das Fremde Andersartige bdquostoumlrtldquo das eigene bdquoSo-seinldquo indem dieses durch das bdquoAnders-seinldquo in Frage gestellt wird Der Gast kann demnach durch sein bdquoDa-seinldquo in einem fremden Haus (oikos) oder Land fuumlr die dort zu Hause Seienden durch die Verpflichtung ihn in seiner Beduumlrftigkeit wahrzunehmen und ihm Herberge und Verpflegung zu bieten um sein Mensch Sein anzuerkennen (und das eigene Mensch Sein anzuerkennen)3 zu einer Last einer Belastung ja sogar zu einem Feind werden

Eine absolute unbedingte Gastfreundschaft wuumlrde verlangen dass wie im oben angefuumlhrten Zitat von Friedrich II jedem Unbekannten oder X-beliebigen ein Gast-status zukommen muumlsste

Die absolute Gastfreundschaft erfordert daszlig ich mein Zuhause () oumlffne und nicht nur dem Fremden (hellip) sondern auch dem unbekannten anonymen absolut Ande-ren (eine) Statt gebe (hellip) daszlig ich ihn kommen lasse ihn ankommen und an dem Ort () den ich ihm anbiete Statt haben (hellip) lasse ohne von ihm eine Gegenseitig-keit zu verlangen (hellip) oder ihn nach seinem Namen zu fragen (Derrida 2007 S 27)

In manchen Gegenden der Welt so zB in Wuumlstengebieten im beduinisch-arabischen Raum (vgl Kayed 2003 S2) hat sich historisch aufgrund der Ungast-lichkeit der TopographieGeographie eine unbedingte Gastfreundschaft entwickelt Eine derartige Gastfreundschaft ist in unserer westlichen Gesellschaft die in Nati-onalstaaten funktioniert obwohl wir sehr wohlhabend sind uumlberaus schwierig wenn nicht gar unmoumlglich vorzustellen

Zwischen einem unbedingten Gesetz der Gastfreundschaft oder einem absoluten Wunsch nach Gastfreundschaft auf der einen und einem mit Bedingungen ver-knuumlpften Recht einer mit Bedingungen verknuumlpften Politik oder Ethik auf der an-deren Seite besteht ein Unterschied eine radikale Heterogenitaumlt wenngleich sie auch untrennbar miteinander verknuumlpft sind (Derrida 2007 S105)

Es ist also geboten zumindest eine geregelte bedingte Gastlichkeit zu entwickeln in welcher der Fremde der in der bdquokosmopolitischen Tradition (hellip) ein Recht auf Gastfreundschaft besitztldquo (Derrida 2007 S 28) zuerst nach seinem Namen gefragt wird sein Name macht ihn zu einem Rechtssubjekt zu einer Person die anderswo eine Zugehoumlrigkeit (der Name bdquoals eine(r) Hypothese der Generationenldquo Derrida 2007 S 29) besitzt und mit der man aufgrund dieser Sicherheiten einen bdquoPaktldquo schlieszligen kann (vgl Derrida 2007 S 24ff) Auch auf Reisen ndash international oder national ndash muumlssen wir uns alle mittels eines Identitaumltsnachweises ausweisen unse-ren Namen und unsere Herkunft bekannt geben um als (zahlender meldepflichti-ger) Gast aufgenommen zu werden um als paktfaumlhig im Sinne einer bedingten

Gastfreundschaft

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Gastfreundschaft zu gelten bdquoDie eigentliche Gastfreundschaft hat demnach nur noch im Privaten uumlberlebt wohingegen die Beherbergung von Fremden zu einer oumlffentlichen und politischen Angelegenheit geworden istldquo (Liebsch 2008 S 65) bdquoJe mehr der Staat die Gastlichkeit zu seiner Sache gemacht habe und je mehr sie oumlkonomisiert worden sei desto mehr habe sich die eigentliche Gastfreundschaft die rechtliche Regeln und gewerbliche ignorierte ins Private zuruumlckgezogenldquo (Liebsch zitiert HC Peyer ebd)

3 Geladene Gaumlste

Der Begriff des Gastes verweist aber auch darauf dass das Verhaumlltnis zwischen Gastgeber bzw Gastgeberin und Gast nicht wie im herkoumlmmlichen Austausch von Guumltern und Leistungen reziprok ist Beide gesellschaftlichen Rollen ndash Gastgeber Gastgeberin und Gast ndash haben ihre Implikationen und verweisen aufeinander bdquoDoch warum sprach man nie von einem sbquoGast-nehmerlsquo warum ist es der sbquoGast-geberlsquo der den Gast sbquoempfaumlngtlsquo Verweist das nicht darauf daszlig der Gast nicht restlos auf den Tauschenden zuruumlckfuumlhrbar istldquo (Bahr 1994 S 13)

Der Gastgeber die Gastgeberin wird sich fuumlr das Kommen der geladenen Gaumlste bedanken obwohl er (oder sie) in den meisten Faumlllen einen groumlszligeren Aufwand betrieben hat als die Gaumlste und bdquoer stellt sich in den Dienst seines Gastes ohne daszlig () er dadurch zu dessen Herrn wuumlrdeldquo (Bahr 1994 S 12) Der Gast bringt zwar als eine Form des Ausgleichs ein Gastgeschenk mit und betont gegenuumlber dem Gastgeber der Gastgeberin seine dankbare Anerkennung die Beziehung zwi-schen Gast und Gastgeber bzw Gastgeberin bleibt aber unausgeglichen bdquoMan kann daher in einem gastlichen Austausch der die Wechselseitigkeit der gleichen Personen uumlberschritt die erste Form einer allgemeinen Menschlichkeit manifestiert sehenldquo (Bahr 1994 S 35)

Der Gastgeber die Gastgeberin bietet noch viel mehr an als Bewirtung oder voruumlbergehende Behausung ersie bietet den Gaumlsten eine institutionelle Freund-schaft an die Schutz gewaumlhrt und welche eine moumlgliche Ausgeliefertheit an die reine Barmherzigkeit Anderer abwendet (4) bdquoDie Person des Gastfreundes gilt als heilig weil sein Verhaumlltnis als uumlbereinstimmend mit dem des Schutzflehenden aufgefaszligt wirdldquo (Wundt zit in Bahr 1994 S46) Das Interesse des Gastgebers ist es bdquodie Person des Gastes vor der geringsten Verletzung zu bewahren (hellip) jede Spur von Hostilitaumlt auszuschlieszligen als Voraussetzung ungestoumlrten Genieszligensldquo (Bahr 1994 S 49)

Das heiszligt Gastfreundschaft erfuumlllt drei Bedingungen die zum Leben noumltig sind Gaumlste bleiben grundsaumltzlich am Leben (werden nicht getoumltet) ihnen wird materiell beim Uumlberleben geholfen (mit Nahrung Unterkunft und Schutz) und Gastfreund-schaft stiftet und erhaumllt ein soziales Band und traumlgt zum Zusammenleben bei (in-dem Gaumlste zumeist umgekehrt auch ihren Gastgeberinnen und Gastgebern und al-len anderen Gastfreundschaft gewaumlhren werden) Leben ermoumlglichen heiszligt hier

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also mehr als Menschen nur am Leben lassen es heiszligt auch sie naumlhren staumlrken stuumltzen begleiten ihnen Kenntnisse vermitteln und Freude bereiten (Kayed 2003 S 1)

Als Gast genieszligt man die volle Aufmerksamkeit des Gastgebers bezuumlglich der ei-genen Beduumlrfnisse ndash zumindest waumlhrend der Dauer des Gaststatuses Allerdings ist es auch geboten den Gastgeber nicht uumlber die Maszligen zu beanspruchen Gast sein bedeutet auch bdquodie Kunst sich rechtzeitig verabschieden zu koumlnnen ehe man Para-sit zu werden drohtldquo (Bahr 1994 S 44)

bdquoWir waren seit langem Gaumlste der Schoumlpfung und sind es glaube ich immer noch Die Houmlflichkeit unserem Gastgeber gegenuumlber gebietet es daszlig wir fragenldquo (Steiner 2004 S 345) Vielleicht ist es ein spiritueller Gedanke ein Gast auf Erden zu sein Moumlglicherweise wuumlrde es unserer Mitwelt und Umwelt und uns selbst besser bekommen wenn wir unser Da-sein auf diese Art verstehen wuumlrden eben als Gaumlste in der Welt als geladene Gaumlste Welches Gastgeschenk waumlre angesichts unserer Lebendigkeit und der Schoumlnheit der Welt angemessen und wie koumlnnten wir unsere Dankbarkeit aumluszligern

4 Dimensionen der Gastfreundschaft

Zusammenfassend koumlnnen die folgenden Dimensionen der Gastfreundschaft unter-schieden werden Sie kann

bull einseitig oder wechselseitig sein bull offen gegenuumlber allen sein oder bestimmte Personen oder Gruppen aus-

schlieszligen bull geregelt sein (Asylrecht) oder freiwillig bull begrenzt sein (drei Tage) oder unbegrenzt (vgl Kayed 2003 S 2) bull bdquokann nur poetisch seinldquo (Jaques Derrida)

5 Das Gastmahl Gastmaumlhler auf denen der sbquofremde Gastlsquo nicht mehr kannibalisch verzehrt son-dern selbst zum gemeinsamen Verzehr geladen ist stellen insofern noch dessen sbquoEinverleibunglsquo dar als er gleichsam wie ein Kind durch seine Teilnahme an der gleichen Nahrung und Ernaumlhrungsweise zum Mitglied einer Gemeinschaft wird (Bahr 1994 S 157)

In der philosophischen Literatur sind zwei Gastmaumlhler beruumlhmt geworden Das Gastmahl des Trimalchio (Petronius Arbiter in Satyrikon) und Platons Gastmahl In beiden Erzaumlhlungen oder Gleichnissen wird das Mahl halten zu einer Aussage die weit uumlber die Banalitaumlt des Hunger Stillens hinausgeht

Trimalchio ein freigelassener Sklave moumlchte seinen neu gewonnenen Status als reicher gebildeter Mann durch eine opulente Einladung zu einem Festessen mit

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literarischen akrobatischen musikalischen und theatralischen Darbietungen der suumlditalienischen Gesellschaft kommunizieren

Auf einer Platte wird ein enormes Wildschwein hereingetragen bedeckt mit der phrygischen Freiheitsmuumltze an den Hauern zwei Koumlrbchen mit Datteln An dem Tier liegen wie an seinen Eutern kleine Schweinchen aus Kuchenteig Zum Tran-chieren erscheint ein baumlrtiger Kerl in Jagdkleidung stoumlszligt dem Schwein einen Hirschfaumlnger in die Flanke Aus den sbquoWundenlsquo fliegen Drosseln heraus die ein Vogelfaumlnger wieder einfaumlngt (Bahr 1994S 160)

Die Speisenfolge ist ebenso ungewoumlhnlich als die Darbietung der Speisen tatsaumlch-lich aber wird durch die Inszenierung nur der schlechte Geschmack und die Halb-bildung des Trimalchio sichtbar er erreicht also genau das Gegenteil dessen was er beabsichtigt hat als Gastgeber seinen hohen Status zu Schau zu stellen alles in den Schatten zu stellen was vorher an Festlichkeiten geboten wurde

Geschmack klassifiziert ndash nicht zuletzt den der die Klassifikationen vornimmt Die sozialen Subjekte Klassifizierende die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede die sie zwi-schen schoumln und haumlsslich fein und vulgaumlr machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdruumlckt oder verraumlt (Bourdieu 1982 S 25)

Pierre Bourdieu macht deutlich dass der Geschmack immer das Ergebnis sozialer Zugehoumlrigkeit ist man somit anhand der Artefakte und Inszenierungen des Habi-tus feststellen kann welcher Schicht man zugehoumlrig ist Es kann demzufolge Tri-malchio gar nicht gelingen das bdquosomatisierte Klassenbewuszligtseinldquo (Sloterdijk 2009 S284) zu uumlberwinden

bdquoZwischen dem Eszligbaren und Uneszligbaren zwischen der Einverleibung und der Ausscheidung berichtet die Erzaumlhlung von einem Mahl das sich ohne sbquoGastlich-keitlsquo nur selber verzehrt haumltteldquo (Bahr 1994 S 174)

In der Erzaumlhlung von Petronius Arbiter wird aufgezeigt dass der Gastgeber mit seiner Einladung auch uumlbertreiben kann und sich damit selbst aber auch die Gaumlste der Laumlcherlichkeit preisgibt Ausufernde Dekoration zur Farce verkommene Spei-sen und uumlberladene Portionen und Darbietungen wirken der Gastfreundschaft ent-gegen Die Gaumlste des Trimalchio werden instrumentalisiert nicht um ihretwillen findet das Mahl statt und nicht um einen sozialen Zusammenhalt zu generieren sondern nur um zu protzen Gastfreundschaft gebietet auch eine Angemessenheit welche weder den Gast beschaumlmt noch den Gastgeber

Platons Gastmahl (Gastmahl griech Symposion) hingegen ist eine Siegesfeier Die Geladenen sind allesamt Freunde und berichten einander von ihrer Auffassung bezuumlglich Liebe und Leidenschaft (Eros) Es ist mehr ein Trinkgelage und eine Gelegenheit zu Wort zu kommen als ein Essen und fuumlhrt schlieszliglich dazu dass eine der wenigen weiblichen Rollen in Platons Werk Diotima (indirekt) zu Wort kommt Sie ist nicht leibhaftig anwesend in der Gruppe der allesamt maumlnnlichen Freunde wird von Sokrates zitiert und bekommt dadurch noch deutlicher den Sta-tus des Anderen Fremden Nichtgeladenen

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Das Zusammenkommen zum gemeinsamen Mahl wird in diesem Werk als Moumlglichkeit zum Philosophieren gesehen Nicht zufaumlllig waumlhlt Platon das Thema bdquoLiebeldquo (im Sinne von Eros) fuumlr das Gastmahl und ebenso durchdacht ist es dass eine Frau die Hauptrednerin ist Gemeinsames Mahlhalten verstaumlrkt die Beziehung der Geladenen untereinander die waumlhrenddessen genau dieses Thema (im weites-ten Sinn) eroumlrtern

Gastmaumlhler finden auch in der Populaumlrkultur immer wieder ihren Niederschlag beispielsweise in dem daumlnischen Spielfilm bdquoBabettes Festldquo (Oscar 1988) oder den als Tabubruch geltenden franzoumlsisch-italienischen Film bdquoDas groszlige Fressenldquo (1973)

Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird ist abhaumlngig von den Kultur-kreisen der Lebensgemeinschaften ist Ausdrucksmittel der Menschen und dient der symbolischen Kommunikation Dieses spiegelt sich in Gerichten Rezepten und Ritualen wider und dient als individuelles und gemeinschaftliches Verstaumlndi-gungsmittel Kuumlchen sind bis heute Orte dieses Geschehens durch sie wird die Be-friedigung des Beduumlrfnisses nach Nahrung zu einem kulturellen System (Barloumlsi-us 1999 zit in Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies S 195)

Gemeinsames Essen soviel ist sicher schafft Zugehoumlrigkeit und damit ein Ein- und Ausschlieszligungsmilieu in welchem es fraglich ist wer als Gast zugelassen bzw eingeladen und wer ausgeschlossen wird Diese Dynamik wird auch in Maumlr-chen verwendet um die Kraumlnkung der Ausgeschlossenheit und deren Folgen zu beschreiben Die dreizehnte Fee bei Dornroumlschen raumlcht sich schlieszliglich dafuumlr dass sie nicht eingeladen worden ist

6 Die (Schul-)Kuumlche als Ort der Gastfreundschaft

Betrachtet man das bisher Gesagte so koumlnnen wir feststellen dass Gastfreund-schaft fuumlr uns Menschen in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll ist Sie gibt uns die Sicherheit in einer ungastlichen Welt bzw in unsicheren Zeiten bei anderen Ruumlckhalt zu finden Umgekehrt uumlbernehmen wir auch Verantwortung fuumlr andere Beides staumlrkt den sozialen Zusammenhalt und die soziale Zugehoumlrigkeit was wie-derum die Lebensqualitaumlt verbessert oder sogar lebenserhaltend wirken kann Da sich die Gastfreundschaft jedoch historisch betrachtet von einer allgemeinen ethi-schen Verpflichtung jedes Menschen gegenuumlber jedem anderen Menschen fortent-wickelt hat und ein Groszligteil der diesbezuumlglichen Verpflichtung vom Staat uumlber-nommen wird ist der Anspruch des Teilens voumlllig in den Bereich des Privaten uumlbergegangen So ist der Akt des konkreten Teilens der Lebensressourcen Essen und Wohnen mit Menschen auszligerhalb des eigenen Familienkreises kaum mehr erfahrbar

Hier tritt der eigentliche Anknuumlpfungspunkt fuumlr die gesamte Thematik zutage Erfahrungen mit Gastfreundschaft koumlnnen uumlber das gemeinsame Essen aller (Mit-

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glieder einer Schulklasse oder Kochgruppe) in den Schulkuumlchen als Orte der Zube-reitung und des Geschehens selbst gemacht werden So wie das Essen selbst vom wilden fremden womoumlglich gefaumlhrlichen Rohzustand (Natur) durch putzen schauml-len kochen etc in einer Kuumlche in eine essbare Speise (Kultur) uumlbergefuumlhrt werden muss so wird auch der Verzehr der Speisen durch kulturelle Bedingungen und Regeln ritualisiert Dies ist auch bedeutsam wenn Gastfreundschaft gelernt werden soll denn auch diese kulturelle Leistung setzt soziales Wissen und Handeln voraus Wer die Rolle des Gastgebers der Gastgeberin bzw der Gaumlste uumlbernimmt und welche Implikationen daraus folgen ist dabei ebenso erfahrbar wie die Angemes-senheit einer Mahlzeit oder entsprechende Tischsitten

Die Aufnahme und der Genuss von Nahrung haben auch regressive Aspekte und so vermittelt Essen uumlblicherweise Emotionen der Geborgenheit Zuversicht des Aufgehoben- und Angenommenseins also das Gegenteil dessen was im Kapi-tel 2 als Fremdsein und Ausgeschlossensein beschrieben wurde Welche Bedin-gungen vonnoumlten sind um eine solche Mahlzeit fuumlr alle teilnehmenden Personen zu gestalten sollte ua Gegenstand der Ernaumlhrungsbildung als Kulturbildung sein

Ein Gast wird eine Mahlzeit auch dann als gastfreundlich empfinden wenn seine kulturellen weltanschaulichen gesundheitsbezogenen undoder geschmack-lichen Beduumlrfnisse und Vorlieben beruumlcksichtigt werden In einer multikulturellen (postmodernen) Welt ist es daher angebracht dass sich die regionalen Kuumlchen gegenuumlber diesen Anspruumlchen oumlffnen unter dem Aspekt der Fremdheit des Ande-ren (zT Interkulturalitaumlt) neue Variationen entwickeln bzw sich insgesamt einer kritischen Pruumlfung unterziehen Dabei geht es nicht um Aufgabe der gewachsenen kulinarischen Identitaumlt sondern um Ausweitung der gustatorischen sensorischen und produktorientierten Moumlglichkeiten um auch fuumlr spezielle Anspruumlche (Vegeta-rismus Veganismus Diaumltkuumlche kulturelle und religioumlse Vielfalt etc) Angebote zu machen Regionalitaumlt in Bezug auf Produkte und Produktionsweisen als quasi-ethische Forderung fuumlr das Paradigma der Nachhaltigkeit ist dabei nicht in Frage gestellt die regionalen Kuumlchentraditionen jedoch schon So findet man beispiels-weise in vielen Restaurants mit oumlsterreichischer Kuumlche schwerlich vegane oder koschere Speisen bestimmte Zutaten die eine Speisenwahl moumlglich oder unmoumlg-lich fuumlr spezielle Gruppen machen (zB Speck im Krautsalat) werden nicht ausge-wiesen etc

Um einem Gast Gastfreundschaft zu gewaumlhren ist es also notwendig nicht nur wie oben beschrieben nach seinem Namen zu fragen sondern daruumlber hinaus in diskreter und ruumlcksichtsvoller Manier nach seinen Lebensgewohnheiten Ableh-nungen Vorlieben und diese entsprechend kulinarisch umzusetzen Dies ist im Rahmen des Schulunterrichts in den Fachpraktischen Uumlbungen anwendbar berei-chert die fachlichen Inputs durch einen moumlglichen persoumlnlichen Bedeutungsgehalt fuumlr bestimmte Schuumllerinnen und Schuumller ndash oder auf der Ebene der Hochschule fuumlr die Studierenden ndash und eroumlffnet fuumlr alle neue Perspektiven

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Die private Kuumlche aber auch die Schulkuumlche sind Orte an welchen Ge-schmackserfahrungen moumlglich gemacht werden koumlnnen die sichern herausfordern Anspruumlche konkretisieren und Perspektiven eroumlffnen Ebenso verhaumllt es sich mit Tischsitten bdquodos and don`tsldquo in der Zubereitung und Praumlsentation Das Lernpoten-tial in Bezug auf die Thematik der Gastfreundschaft fuumlr Kinder und Jugendliche ist enorm einerseits weil Essen als konkrete unmittelbare primaumlre Lebenserfahrung lustvoll erlebt wird ebenso wie die handwerkliche Zubereitung und bdquoWerkschaf-fungldquo andererseits weil in Kuumlchen und Schulkuumlchen zumeist auch fuumlr andere ge-kocht wird Die Erfahrung der taumltigen Fuumlrsorge der hingewendeten Sorge um und Aufmerksamkeit fuumlr Andere ermoumlglicht ndash anders als bei vielem was in der Schule gelernt wird ndash den Erwerb sozialer Kompetenz auf einer direkten Ebene

Zwar dient das Essen unter dem Aspekt der Nutrition allein der Erhaltung des ei-genen Koumlrpers zugleich ermoumlglicht es aber die Oumlffnung zu den Anderen indem es die formale Voraussetzung fuumlr die Atmosphaumlre der Gastlichkeit bildet Man fuumlhrt die gleichen Bewegungen aus wie die anderen man erhaumllt seinen (Hervorhebung dd Autor) Koumlrper mit Speisen durch die auch die Koumlrper der Anderen (Hervorhe-bung d d Autor) erhalten werden Man wendet sich dem Tischnachbarn zu Diese Gemeinsamkeiten ermoumlglichen eine konfliktfreie Kommunikation (Duumlcker 2011 S 76)

Indem eine Speise auf eine bestimmte Art und Weise hergestellt wird spezielle Zutaten verwendet werden und sie in einem kulturellen Rahmen praumlsentiert einver-leibt und genossen wird kann die eigene Fremdheit und die Fremdheit des Ande-ren erkannt und oder sichtbar werden

Eine methodische Aufbereitung der Vermittlung dieser Inhalte reicht von der Ausrichtung (interkultureller) Feste uumlber die Erstellung von Ernaumlhrungsbiographien bis hin zu Verkostungen Rezeptentwuumlrfen Filmanalysen Literaturrecherchen und (Lied-) Textanalysen Das Thema Gast und Gastfreundschaft ist in allen Kuumlnsten verbreitet5

Der Themenkomplex der Gastfreundschaft ist zu umfangreich und vielschich-tig um ihm in der Kuumlrze der vorhandenen Moumlglichkeiten gerecht zu werden Die Leserinnen und Leser sind gebeten dies zu beruumlcksichtigen Eine Erhellung der Thematik und der Zusammenhaumlnge mit der Ernaumlhrungsbildung in der Fachpraxis ist hoffentlich trotzdem gelungen

Anmerkungen 1 bdquoLaut UNHCR dem UNO-Fluumlchtlingshilfswerk sind weltweit mehr als 20 Milli-

onen Frauen Maumlnner und Kinder grenzuumlberschreitend auf der Flucht gleichzeitig gibt es mehr als 20 Millionen sogenannte Binnenvertriebene die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind Sie alle fliehen vor Krieg Verfolgung Unter-druumlckung Gewalt Folter Naturkatastrophen von Menschen zerstoumlrter Umwelt Elend Armut Hunger ndash sie suchen Lebenldquo (Kayed 2003 S 2)

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2 franzoumlsisch hospitaliteacute Gastfreundschaft franzoumlsisch hostiliteacute Feindschaft 3 Emmanuel Levinas erachtet die Gastfreundschaft als etwas das uns grundsaumltzlich

uumlberhaupt zu Menschen macht bdquoIch bin fuumlr den Anderen verantwortlich ohne mich um seine Verantwortung fuumlr mich zu kuumlmmern uneigennuumltzig und nicht aus Selbsterhaltung Die Verantwortung ist kein bloszliges Attribut sondern die grundle-gende Struktur der Subjektivitaumlt Gastfreundschaft ist nicht eine von vielen Hand-lungsweisen fuumlr die oder gegen die ein Mensch sich entschieden werden kann [sic] Gastfreundschaft ist vielmehr das was das Menschsein ausmacht nicht wechselseitig im Tausch sein sondern den Anderen als Anderen leben lassenldquo (Kayed 2003 S 3)

4 In der Novelle von Albert Camus bdquoDer Gastldquo (spielt in Algerien waumlhrend der franzoumlsischen Besetzung) wird dem im algerischen Exil lebenden Lehrer Daru ein gefangener Araber der seinen eigenen Cousin getoumltet hat von einem franzoumlsi-schen Polizisten in Gewahrsam gegeben Daru laumlsst dem bdquoGastldquo nach schwerwie-genden Uumlberlegungen die Freiheit zur Flucht Der Araber aber bleibt und geht (freiwillig) ins Gefaumlngnis Von der Sippe des Arabers wird Daru bedroht weil er ihren Bruder scheinbar ausgeliefert hat

5 Lied von Arik Brauer (oumlsterreichischer Liedermacher der mit dem Fahrrad halb Europa und Israel erradelt hat) 4 Strophe bdquoFohr weg min Radl drah mi ned um I fohr weg min Radl und drah mi nimma um I kumm in a Araberzelt da waschns mir die Fuumlszlig und sing i ans von Schubert Franz da kochns mir an Grieszlig nur am dritten Tag werns grantig do bleibt der Teller leer do stirdlns ma im Rucksack um und spieln sich mitn Gwehr

Literatur

Bahr HD (1994) Die Sprache des Gastes Eine Metaethik Leipzig Reclam Barloumlsius E (1999) Soziologie des Essens Eine sozial- und kulturwissenschaftli-

che Einfuumlhrung in die Ernaumlhrungsforschung Weinheim und Muumlnchen Juven-ta zit in Heindl Methfessel Schlegel-Matthies Ernaumlhrungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer bdquokulinarischen Vernunftldquo In Ploumlger Hirsch-felder amp Schoumlnberger (Hrsg) (2011) Die Zukunft auf dem Tisch Wiesbaden Springer

Bourdieu P (1982) Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft Frankfurt am Main Suhrkamp

Derrida J (2007) Von der Gastfreundschaft (2 Aufl) Wien Passagen Duumlcker B (2011) Ritualitaumltsformen von Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg)

Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf Kayed C (2003) Gastfreundschaft und Philosophie

[wwwstoryguideatGastfreundschaft-Artikelpdf]

Gastfreundschaft

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Lemke H (2011) Philosophie der Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg) Gast-lichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Liebsch B (2008) Fuumlr eine Kultur der Gastlichkeit Muumlnchen Karl Alber Luhmann N (1990) Sozialsystem Familie In N Luhmann N Soziologische

Aufklaumlrung (Bd 5 Konstruktivistische Perspektiven) OpladenWestdeutscher Verlag

Sloterdijk P (2009) Du musst dein Leben aumlndern Frankfurt am Main Suhrkamp Steiner G (2004) Grammatik der Schoumlpfung Muumlnchen DTV Wierlacher A (2011) Aumlsthetik der Gastlichkeit oder der muumlndige Gast In A

Wierlacher (Hrsg) Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Verfasserin

Gabriela Leitner

Paumldagogische Hochschule Oberoumlsterreich Fachbereich Ernaumlhrung Humanwissenschaften

Kaplanhofstraszlige 40 A-4020 Linz

E-Mail gabrielaleitnerph-ooeat

Betriebskuumlche als Lernort

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Brigitte Mutz

Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz Die Betriebskuumlche ndash Ort der Zubereitung in der Gemeinschaftsverpflegung1- soll vor allem ein Lernort der Selbstkompetenzen als auch der Sozialkompetenzen sein Hauptaugenmerk soll auf die Ausbildung und Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz gelegt werden Die besondere Bedeutung liegt dabei auf der Entwicklung von Empathie die sich auf das Zu-sammenleben der Menschen im Wesentlichen auswirkt

Schluumlsselwoumlrter Betriebskuumlche Selbstkompetenz Sozialkompetenz Qualitaumltsstandards Gemeinschaftsverpflegung nachhaltige Verpflegung

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1 Einleitung

Wesentliches Ausbildungsziel einer berufsbildenden mittleren und houmlheren Schule fuumlr wirtschaftliche Berufe ist es dass Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind ihr Fachwissen nicht nur durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern das erworbene Fachwissen in realen persoumlnlichen und beruflichen Herausforderungen einzusetzen vermoumlgen Schuumllerinnen und Schuumller machen unmit-telbar nach der Schule bzw waumlhrend ihrer Ausbildung ein Praktikum in der Gastro-nomie Um Jugendliche auf die Anforderungen der Arbeitswelt bestmoumlglich vorzu-bereiten ihre Persoumlnlichkeit zu staumlrken um Belastungen durch das soziale Umfeld leichter zu verkraften bedarf es einer Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenzen Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung kann diese Foumlrderung stattfinden denn Schuumllerinnen und Schuumller kochen im Rahmen ihres Unterrichts in der Betriebskuumlche der eigenen Schule oder im Rahmen ihres Pflichtpraktikums in anderen Einrichtun-gen wie Gastronomie und Hotellerie

2 Die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in Oumlsterreich

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fuumlhren zu einer steigen-den Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in der Ernaumlhrung weiterer Bevoumllke-rungsschichten der Gesellschaft Neben berufstaumltigen Erwachsenen werden auch Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Berufstaumltigkeit von Eltern oft schon in einem sehr fruumlhen Alter auszliger Haus versorgt Dazu kommen in Wohneinrichtun-

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gen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Kranken-haumlusern die durch Gemeinschaftsverpflegungsdienste versorgt werden

Betriebe der Auszliger-Haus-Verpflegung tragen somit nicht nur in steigendem Ma-szlige Verantwortung fuumlr die Gesundheit der Essensgaumlste sondern auch fuumlr Wirtschaft Gesellschaft und Umwelt Dies hat folgenden Grund Zum einen nehmen sie uumlber die Auswahl der Lebensmittel Einfluss auf eine bestimmte Art der Erzeugung Verarbei-tung und Vermarktung mit den jeweiligen oumlkonomischen sozialen und oumlkologischen Folgen Zum anderen nutzen sie bei der Zubereitung der Lebensmittel zu Speisen direkt und indirekt die Guumlter der Natur Diese Erkenntnis bildet die Grundlage fuumlr die Forderung nach einer nachhaltigen bzw zukunftsfaumlhigen Wirtschaftsfuumlhrung in Be-trieben der Auszliger-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung muss sich weiterentwickeln Weg von der vor-herrschenden Menuumlgestaltung die von unausgewogener Ernaumlhrung gepraumlgt ist hin zu ausgewogener Speiseplangestaltung die sich vor allem an den Beduumlrfnissen ihrer Gaumlste orientiert Gesunde Ernaumlhrung muss bereits im Kindergarten ansetzen und sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche und - abschnitte ziehen Die Gemein-schaftsverpflegung hat dabei eine unterstuumltzende Rolle und sollte ein gutes Vorbild sein

Um diese Wandlung in der Gemeinschaftsverpflegung voranzutreiben und um kuumlnftig einen gewissen Mindeststandard hinsichtlich Qualitaumlt sichern zu koumlnnen ist es notwendig Richtlinien zu definieren und Grenzen festzulegen

Rund 18 Millionen Menschen darunter 380000 Kinder und Rund 70000 Senio-ren und Seniorinnen nutzen taumlglich das Speisenangebot oumlsterreichischer Groszligkuumlchen (Toumlscher 2011)

21 Auszliger-Haus-Konsum

Aufgrund von veraumlnderten zeitlichen und persoumlnlichen Umstaumlnden greifen Konsu-mentinnen und Konsumenten vermehrt auf Essen auszliger Haus zuruumlck Laut einer Online-Umfrage an 501 Personen (repraumlsentativ fuumlr Oumlsterreicherinnen und Oumlsterrei-cher ab 15 Jahren) isst die oumlsterreichische Bevoumllkerung regelmaumlszligig zu 24 in Kan-tinen zu 21 in Restaurants und zu 16 in Fast-Food-Lokalen das Mittagessen wird immer haumlufiger auszliger Haus verzehrt (Bundesministerium fuumlr Land- und Forst-wirtschaft Umwelt und Wasserwirtschaft 2010)

Neben dem Konsum von Speisen in Restaurants Imbissbuden Fast-Food-Lokalen und aumlhnlichem nimmt die Gemeinschaftsverpflegung einen immer wichti-geren Stellenwert in der Bewirtung der Bevoumllkerung ein Berufstaumltige Erwachsene in betreuten Wohneinrichtungen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Krankenhaumlusern werden von Gemeinschaftsverpflegungsdiensten versorgt Durch die steigende Berufstaumltigkeit der Frauen essen auch vermehrt Kinder auszliger Haus zB in Kindergaumlrten Schulbuffets Horten etc (Elmadfa et al 2012)

Betriebskuumlche als Lernort

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22 Gastgewerbe

Unter der Bezeichnung Gastgewerbe werden alle Dienstleistungen fuumlr den Gast ver-standen welche im Zusammenhang mit Verpflegung und Beherbergung stehen (sie-he Abbildung 1)

Abb 1 Die Gemeinschaftsgastronomie im Gesamtkontext des Auszliger-Haus-Konsums

(Quelle Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Das Gastgewerbe kann in vier Sparten unterteilt werden o Gastronomie (Gemeinschaftsgastronomie Individualgastronomie) o Transport mit Verpflegung (Flugzeug Schiff) o Beherbergung mit Verpflegung (Hotel Jugendherberge) o Beherbergung ohne Verpflegung (Motel)

23 Gastronomie

Der Bereich Gastronomie laumlsst sich wiederum in die Gemeinschaftsgastronomie und die Individualgastronomie unterteilen Der Begriff Individualgastronomie umfasst alle kommerziellen Einzelgastronomiebetriebe mit wechselnder Kundschaft wie zB Restaurants Cafeacutes Bars Take-away- und Fast-Food-Lokale sowie Event-Catering Party-Service etc

Die Taumltigkeitsfelder der Gemeinschaftsgastronomie sind die Bereiche Betriebs- und Personalverpflegung Spital- und Heimverpflegung und Verpflegung im Erzie-

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hungs- und Bildungssektor Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen das Angebot entweder als Teilverpflegung (Kindergaumlrten Schulen) oder Vollverpfle-gung (Internate Seniorenwohnheime Strafvollzugsanstalten etc) in Anspruch (vgl Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Die Individualgastronomie kann auch mit der Gemeinschaftsgastronomie ver-knuumlpft sein wenn zB Einzelgastronomiebetriebe taumlglich Speisen an Unternehmen oder Kindergaumlrten liefern

24 Gemeinschaftsverpflegung (GV)

Die Definition fuumlr bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo laut oumlsterreichischem Ernaumlhrungsbe-richt 2012 lautet bdquoEine im Preis limitierte Verpflegung eines begrenzten Personen-kreises an einem Ort an dem ein laumlngerer Aufenthalt dieser Personen aus organisato-rischen Gruumlnden erforderlich istldquo (Elmadfa Freisling Nowak amp Hofstaumldter 2009)

bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo im Sinne der Groszligkuumlchen-Leitlinie ist bdquoDie regel-maumlszligige Versorgung einer grundsaumltzlich konstanten Personengruppe mit Speisen im Rahmen eines laumlngerfristigen Auftragesldquo (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

Allgemeine Kennzeichen fuumlr die Gemeinschaftsgastronomie-verpflegung sind o Die Konsumentinnen und Konsumenten haben verschiedene Aufenthaltsformen in

der InstitutionEinrichtung (zB Bewohner Arbeitspersonal) o Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen regelmaumlszligig ein gastronomisches

Angebot in derselben InstitutionEinrichtung in Anspruch o Je nach Verpflegungssystem (zB Mischkuumlche Tiefkuumlhlsystem Cook-and-Chill2

oder Warmverpflegung) sind verschiedene Akteure an der Produktion und Bereit-stellung des Speisenangebots beteiligt

o Die Verpflegungsleistung kann entweder durch Eigenregie (Spitalskuumlchen) oder durch externe Betriebe (Catering-Unternehmen im Geschaumlftsfeld Gemeinschafts-gastronomie) erbracht werden

o Ein Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb hat als erstrangiges Ziel die Verpflegung der Personengruppen sicher zu stellen nachrangig ist die Erwirtschaftung von Gewin-nen (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

3 Der Unterschied von Selbst- und Sozialkompetenz

Die uumlberarbeiteten kompetenzbasierten Lehrplaumlne der Houmlheren Lehranstalten fuumlr Wirtschaftliche Berufe und Fachschulen sind in Entwurf und treten voraussichtlich im Jahr 2014 in oumlsterreichischen Schulen in Kraft Laut allgemeinen Bildungszielen werden Absolventinnen und Absolventen zu folgenden Kompetenzen befaumlhigt Fachkompetenz Methodenkompetenz Medienkompetenz soziale und personale Kompetenz kommunikative Kompetenz und emotionale Kompetenz

Kompetenzen sind Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zur Bewaumlltigung komplexer Problemstellungen Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen

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zum Handlungsvollzug Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Faumlhigkei-ten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus (vgl Beer amp Benischek 2011 S 9)

Die Selbstkompetenz (auch personale Kompetenz) beschreibt den Umgang des oder der Einzelnen mit sich selbst Die Selbstkompetenz bildet die Basis fuumlr die Entwicklung der Sozialkompetenz Nur ein Mensch der sich uumlber sich selber im Klaren ist und mit sich selbst wertschaumltzend umgehen kann wird ein solches Verhal-ten auch bei seinen Mitmenschen zeigen (vgl Strasser Osinger amp Sburny 2001 S 60ff)

Selbstkompetenz setzt sich aus fuumlnf Bausteinen zusammen Alle fuumlnf Bausteine sind notwendig um die Persoumlnlichkeitsentwicklung der Schuumllerinnen und Schuumller zu unterstuumltzen und zu foumlrdern

o Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sich selbst wertzuschaumltzen auf die selbst erbrachte Leistung stolz sein fuumlr ein selbstsicheres Auftreten ist die Faumlhigkeit sich ein Bild uumlber seine eigenen Gefuumlhle Staumlrken Schwaumlchen Grenzen und Verhal-tensmuster machen zu koumlnnen sehr wichtig

o Selbstverantwortung und Selbststeuerungsfaumlhigkeit Verantwortung fuumlr sich selbst uumlbernehmen aber auch fuumlr andere seine Gefuumlhle kennen und steuern koumlnnen

o Eigeninitiative sich selbst motivieren koumlnnen freiwilliges Engagement zeigen und aktiv mitarbeiten koumlnnen

o Flexibilitaumlt gewohntes Denken Verhalten und Einstellungen zu hinterfragen um fuumlr neue Ansichten oder Werte offen zu sein

o Belastbarkeit und Durchsetzungsvermoumlgen Umgang mit Stress Aumlrger und Frustra-tion (Giessen 2009)

Tab 1 Emotionale Intelligenz-Theorie (Quelle vgl Giessen 2009 S 23)

Ich Selbstkompetenz

Andere Sozialkompetenz

Erkennen Selbstbewusstsein uuml Emotionales Selbstbewusst-

sein uuml Korrekte Selbstbeurteilung uuml Selbstvertrauen

Sozialbewusstsein uuml Empathie uuml Dienstleistungsorientierung uuml Organisationsbewusstsein

Lenken Selbstmanagement uuml Selbstkontrolle uuml Vertrauenswuumlrdigkeit uuml Gewissenhaftigkeit uuml Anpassungsfaumlhigkeit uuml Erfolgsorientierung uuml Entschlusskraft

Beziehungsmanagement uuml Einfluss uuml Kommunikationskompetenz uuml Konfliktmanagement uuml Fuumlhrungskompetenz uuml Innovationen ermoumlglichen uuml Vertrauens erweckend uuml Teamwork Zusammenarbeit

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Bei der Sozialkompetenz steht eine Person in der Interaktion mit anderen Personen im Mittelpunkt Zentraler Punkt dieser Faumlhigkeit ist mit sich und seinem Umfeld zurechtzukommen Soziale Kompetenz fordert aber einige Grundvoraussetzungen an die eigene Person Unterstuumltzend wirken zum Beispiel ein gesundes Maszlig an Selbst-wertgefuumlhl und Selbstvertrauen Eigenverantwortung und Selbstdisziplin (vgl Adler 2012 S 21ff)

Gaisbacher und Pongratz beschreiben die Sozialkompetenz als wichtiges Hilfs-mittel um sowohl privaten als auch beruflichen Erfolg gewaumlhrleisten zu koumlnnen Mit Menschen zu kommunizieren sich in ein Team einzufuumlgen und zusammenzuarbei-ten ist bereits fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller in ihrem alltaumlglichen Umfeld von groszliger Bedeutung Spaumlter kommen Faumlhigkeiten wie uumlberzeugendes Argumentieren und Praumlsentieren hinzu Sozial kompetent zu sein bedeutet sich sowohl in privaten als auch beruflichen Konfliktsituationen uumlber das eigene Handeln bewusst zu sein und eine angemessene Loumlsung zur Konfliktbewaumlltigung finden zu koumlnnen (Gaisbacher amp Pongratz 2012)

Fuumlr Lernende ist es in der heutigen Zeit von groszliger Bedeutung ihr Wissen nicht durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern es in realen per-soumlnlichen und beruflichen Herausforderungen zu nutzen Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet die Schuumllerinnen und Schuumller in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihnen dabei zu helfen ihre Staumlrken zu finden und diese zu festigen Die Jugendlichen sollen sich am Unterrichtsgeschehen aktiv beteiligen und in kon-kreten Lernsituationen selbststaumlndig Lern- und Loumlsungswege finden Lernende sollen durch Interaktionen mit anderen Personen Kompetenzen ausbilden

4 Die Bedeutung des Unterrichts in der Betriebskuumlche auf die Selbst- und Sozialkompetenz von Jugendlichen

Es gibt eine Reihe von Modellen und Moumlglichkeiten die Sozial- und Selbstkompe-tenz auszubilden beziehungsweise zu foumlrdern Bei dem von der Autorin angefuumlhrten Modell liegt der Schwerpunkt auf der Selbstwahrnehmung das heiszligt der Umgang mit eigenen Gefuumlhlen der Wahrnehmung eigener Staumlrken und Schwaumlchen und der Faumlhigkeiten zur Selbstmotivation Ruumlcksichtnahme Akzeptanz und Mitgefuumlhl sind Voraussetzung fuumlr ein friedliches Zusammensein Der bewusste Umgang mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend fuumlr ein sozial kompetentes Verhalten Das sagt auch schon J Bauer in seinem Buch bdquoPrinzip Menschlichkeitldquo bdquoDie staumlrkste und beste Droge fuumlr den Menschen ist der andere Menschldquo (Bauer 2008 S 54)

bdquoSoziales Lernen resultiert zum einen aus der absichtlichen gezielten Foumlrderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung (Sozialerziehung) zum anderen aber auch aus dem taumlglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernenldquo (Keller amp Hafner 2003 S 9) Schuumllerinnen und Schuumller lernen unbewusst durch Beobachten bzw Nachah-

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men von ihren Eltern Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch ihre Mitschuumllerin-nen und Mitschuumller

5 Umsetzung im Unterricht Arbeiten im Team ndash Unterricht in der Betriebskuumlche

Der Methodeneinsatz zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz kann nur er-folgreich sein wenn die Voraussetzungen der Klasse mit den Voraussetzungen fuumlr die Umsetzung der Methode uumlbereinstimmen Dieser Grundsatz bedeutet dass nicht jeder Methodeneinsatz immer in jeder Klasse erfolgreich sein kann Es geht vielmehr darum den Schuumllerinnen und Schuumllern unterschiedliche Wege und Moumlglichkeiten vorzustellen wie sie kompetenzorientierte Faumlhigkeiten ausbilden koumlnnen (vgl BMUKK 2011 S 12f)

Um die Komplexitaumlt der Bildungsstandards vereinfacht darzustellen wurden kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele entworfen In den Unterrichtsbeispielen wird die Anwendung des Kompetenzmodells und der Deskriptoren illustriert Um den aktuellen Anforderungen der Unterrichtsplanung gerecht zu werden wurde das Kompetenzmodell fuumlr soziale und personale Kompetenz des Bundesministeriums fuumlr Unterricht Kunst und Kultur in die Entwicklung des vorliegenden Unterrichtsbei-spiels herangezogen und als Hilfestellung fuumlr alle Lehrerinnen und Lehrer gedacht (vgl BMUKK 2012 S 5f)

Im Folgenden wird ein Auszug eines Unterrichtsbeispiels mit dem Thema bdquoDas Arbeiten im Teamldquo vorgestellt Der methodische Ansatz dient zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz der Jugendlichen Im Sinne des kompetenzorientierten Zuganges wurde als Erarbeitungsform das kooperative Lernen2 gewaumlhlt Die Lernen-den sind mit dieser Methode bereits vertraut und haben damit schon positive Erfah-rung gemacht Dies wurde aus fruumlheren Reflexionsphasen evaluiert

In einer Vorbereitungsphase planen die Lernenden im Team die Unterrichtsse-quenz in der Betriebskuumlche Sie bekommen dafuumlr die notwendigen Unterlagen Ziel ist es das die Lernenden selbststaumlndig die Arbeiten aufteilen die Arbeitsschritte detailliert ausarbeiten und in der Unterrichtseinheit umsetzen Die Schuumllerinnen und Schuumller geben einander Hilfestellungen Je besser die Lernenden zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstuumltzen desto besser wird auch das Ergebnis sein In der folgenden Aufgabenstellung bekommen die Schuumllerinnen und Schuumller genaue Erlaumlu-terungen fuumlr die Arbeitsaufgabe und das Stundenziel

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Tab 2 Arbeiten im Team Aufgabenstellung und Erlaumluterungen fuumlr Lernende (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011)

AUFGABENSTELLUNG UND ERLAumlUTERUNGEN ndash LERNENDE

Ausgangssituation Die Aufgabenstellungen die in der Unterrichtseinheit in der Betriebskuumlche zu bewaumlltigen sind koumlnnen im Wesentlichen in folgende Teilbereiche gegliedert werden

1 Vorbereitungsphase Studieren der bereitgestellten Unterlagen Wiederholen der wesentlichen the-oretischen Lehrinhalte wie zB Zubereitungsarten Verteilen der Aufgaben auf die Teammitglieder Erstellen eines Arbeitsplans mit Arbeitsschritten verteilt auf Teammitglieder und Betriebsmittel ge-naue Zeiteinteilung fuumlr die Durchfuumlhrungsphase (incl Mise en place Praktische Arbeit wie Zuberei-tungszeit Essensausgabe und Nacharbeit)

2 eventuelle Ruumlckfragen bei Lehrerin (kann entfallen) 3 Durchfuumlhrungsphase (Mise en place Praktische Arbeit Nacharbeit) 4 Ergebniskontrolle und Feedbackphase (Selbst- und Gruppenreflexion)

Sie erhalten fuumlr die Unterrichtseinheit (mindestens 1 Woche vor dem Unterricht) Rezepte Einkaufszettel und genaue Personenanzahl Je besser die Teammitglieder zusammenarbeiten desto effizienter und ergebnisorientierter kann die Unter-richtseinheit durchgefuumlhrt und die praktische Arbeit bewaumlltigt werden Aufgabenstellung Sie fuumlhren mit Ihren Mitschuumllerinnen in Teams 4 ndash 5 Personen in der Betriebskuumlche gemeinsam eine Unter-richtseinheit durch Sie erhalten dafuumlr eine praktische Aufgabenstellung die Rezepte ev Schwerpunktsetzung Zeiten fuumlr Essensausgabe genaue Personenanzahl in der Betriebskuumlche Der Inhalt wird Ihnen in einer Vorbesprechung von demder Lehrerin erlaumlutert und enthaumllt im Wesentlichen die oben angefuumlhrten Teilaufgaben Im Rahmen Ihrer Vorbereitung muumlssen Sie die notwendigen Arbeitsschritte erkennen und innerhalb Ihres Teams aufteilen Zusaumltzlich werden Sie Regeln erfolgreicher Teamarbeit versuchen anzuwenden Abschlieszligend reflektieren Sie die Einhaltung der Regeln und Ihre Zusammenarbeit im Team Vorgangsweise

Schritt 1 Besprechen Sie als Teil der Vorbereitung in Ihrem Team den Unterrichtsverlauf und fuumlhren Sie die notwendige Zuordnung der notwendigen Teilaufgaben durch Beruumlcksichtigen Sie dabei die indi-viduellen Faumlhigkeiten der einzelnen Teammitglieder Versuchen Sie im gemeinsamen Gespraumlch einen Konsens zu finden Wiederholen Sie auch die Regeln erfolgreicher Teamarbeit die Sie mit Ihrer Lehrerin in der Klasse erarbeitet haben Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 2 Am Beginn der Unterrichtseinheit bespricht Ihr Team mit demder Lehrerin die fachlichen In-halte Zuordnung der Arbeitsaufgaben auf die einzelnen Teammitglieder und zeitlichen Rahmen Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 3 Waumlhrend der Unterrichtseinheit versuchen Sie und Ihre Teammitglieder die Ihnen zugeordne-ten Teilaufgaben so gut wie moumlglich zu erledigen gegenseitige Unterstuumltzung ist dabei sinnvoll und fuumlhrt zu besseren Ergebnissen Zusaumltzlich versuchen Sie Ihre Regeln erfolgreicher Teamarbeit umzusetzen Kontrollieren Sie vor der Essensausgabe im Team Ihre Ergebnisse Setzen Sie eventuell Verbesserungs-vorschlaumlge um Zeitbedarf in Abhaumlngigkeit der Unterrichtseinheit

Schritt 4 Vor Ende der Unterrichtseinheit fuumlllt jedes Teammitglied das Feedbackblatt aus und in einer Abschlussbesprechung mit demder Lehrerin eroumlrtern Sie gemeinsam die wesentlichen Ergebnisse und die Zusammenarbeit im Team Zeitbedarf ca 10 ndash 15 min

GUTES GELINGEN IM TEAM SIND SIE STARK

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Fuumlr ein erfolgreiches Arbeiten sollten zu Beginn Teamregeln definiert werden Als Beispiel kann das angefuumlhrte Arbeitsblatt dienen Tab 3 Arbeiten im Team Arbeitsblatt Teamregeln (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash

Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011) ARBEITSBLATT bdquoTEAMREGELNldquo

Regeln fuumlr erfolgreiche Teamarbeit Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Arbeits- und Verhaltensregeln die wesentlich zum Erfolg der gemeinsamen Arbeit beitragen

Verwenden Sie dabei die folgende Vorgangsweise

1 Jedes Teammitglied notiert zunaumlchst einzeln fuumlr sich die ihm persoumlnlich wichtigsten fuumlnf Regeln fuumlr eine erfolgreiche Teamarbeit

2 Anschlieszligend werden diese im Team besprochen und eventuell durch Nachfragen eroumlrtert 3 Bestimmen Sie nun gemeinsam mit Ihrem Team die acht wesentlichen Regeln fuumlr erfolgreiche

Teamarbeit Dies sollte nach intensiver Diskussion und auf demokratische Weise geschehen 4 Praumlsentieren Sie nun Ihre Teamregeln in der Klasse Gemeinsam mit demder Lehrerin und den

Mitschuumllerinnen einigen Sie sich anschlieszligend auf zehn Regeln die verbindlich in allen Teams eingefuumlhrt werden sollen

5 Versuchen Sie die beschlossenen Regeln im Rahmen Ihrer Teamarbeit bei den Unterrichtseinheiten in der Betriebskuumlche einzuhalten

Meine persoumlnlichen fuumlnf Teamregeln

Die acht Teamregeln unseres Teams

Die zehn Teamregeln in unserer Klasse

In einer abschlieszligenden Besprechung nach der Unterrichtseinheit wird von den Ler-nenden ein Feedbackbogen ausgefuumlllt im Team besprochen und Verbesserungsvor-schlaumlge ausgesprochen

6 Fazit

Abschlieszligend laumlsst sich sagen dass mit Hilfe des theoretischen Fachwissens klar erkennbar wird dass nur ein Mensch der seine eigene Identitaumlt gefunden hat seine Persoumlnlichkeit akzeptiert und wertschaumltzt in der Lage ist ein solches Verhalten auch seinen Mitmenschen gegenuumlber zu zeigen Mit Hilfe des beschriebenen Unterrichts-entwurfes bdquoArbeiten im Team in der Betriebskuumlcheldquo konnte aufgezeigt werden welche Moumlglichkeiten bereits vorhanden sind um eine Foumlrderung von Selbst- und Sozialkompetenz durchzufuumlhren Eine zentrale Funktion der Lehrkraumlfte sollte sein jene Kompetenzen zu foumlrdern welche es den Jugendlichen ermoumlglichen sowohl selb-staumlndig als in Zusammenarbeit mit anderen Menschen effektiv und mit Freude zu arbeiten

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Anmerkungen 1 bdquoVersorgung bestimmter Verbrauchergruppen mit Speisen und Getraumlnken oft uumlber

einen laumlngeren Zeitraum und regelmaumlszligig waumlhrend der Anwesenheit in Betrieben Gesundheitseinrichtungen Schulen Heimen Kindergaumlrten Kasernen usw Die Versorgung kann sich auf einzelne Mahlzeiten (zB Schuumllerspeisung) oder alle Ta-gesmahlzeiten (zB in Krankenhaumlusern) erstreckenldquo (Zobel 2000 S 133)

2 bdquoDidaktische Strategie mit dem Ziel alle Lernenden ertragsorientiert in den Unter-richt zu integrieren kombiniert mit dem dazu geeigneten Methodenrepertoireldquo (Mattes 2011 S 20f)

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Verfasserin

Brigitte Mutz

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung

Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien

E-Mail brigittemutzphwienacat Internet wwwphwienacat

Ernaumlhrungskompetenz

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______________________________________________________________

Sigrid Kuumlstler

Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen In den berufsbildenden Schulen treffen auf dem Gebiet der Ernaumlhrungsbildung zwei Lernorte aufeinander der theoretische Unterricht Ernaumlhrung (Lernort Klassenzimmer) und der fach-praktische Unterricht (Lernort Schul- bzw Betriebskuumlche) Es soll aufgezeigt werden wie Ernaumlhrungskompetenz in diesen beiden Lernorten entwickelt werden kann

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Ernaumlhrungskompetenz Empowerment Handlungsfauml-higkeit Selbststaumlndigkeit

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1 Bedarfsgerechtes Ernaumlhrungsverhalten ermoumlglichen

Das Problem dem Menschen in nahezu allen Lebensbereichen gegenuumlberstehen ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln Als Beispiele seien hier das Umwelt- Ernaumlhrung- und Sportverhalten genannt Fuumlr alle diese Lebensbereiche gilt das Glei-che Wir wissen zwar wie es theoretisch ginge das heiszligt wir verfuumlgen uumlber das entsprechende fachliche Know-how aber leider handeln wir nur in wenigen Faumlllen auch entsprechend Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Fach-bereiche beschaumlftigen sich mit diesem Phaumlnomen Waumlhrend Biologen und Biologin-nen der Frage nachgehen bdquoWie kommt man vom Umweltwissen zum Umwelthan-delnldquo ist die ernaumlhrungsrelevante Frage bdquoWie kommt man vom Ernaumlhrungswissen zur Ernaumlhrungskompetenzldquo

Grau amp Legutke (2013) sehen den Lernort Klassenzimmer als Kernzone fuumlr das Erlernen von fremdsprachlicher Kompetenz Gleiches muss auch fuumlr den Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz gelten Die Kernzone Klassenzimmer wird in oumlsterreichischen berufsbildenden Schulen durch den Lernort Schulkuumlche erweitert So koumlnnen die ernaumlhrungsbildenden Kompetenzen die im oumlsterreichischen Referenzrahmen fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbrauchbildung formuliert wurden in beiden Lernorten verankert und trainiert werden Der vorliegende Artikel versucht dies an den beiden Kompe-tenzen bdquoEB 1 Das eigene Essverhalten reflektieren und bewertenldquo und bdquoEB 2 sich vollwertig ernaumlhren koumlnnenldquo (Buchner amp Schuh 2009 S 8) zu verdeutlichen Die Frage die sich stellt ist wie diese beiden innerschulischen Lernorte auch primaumlre Lernorte genannt (vgl Thomas 2009) die Entwicklung der Ernaumlhrungskompetenz von Lernenden foumlrdern koumlnnen Die zwei Lernorte schaffen ideale Voraussetzungen um bei entsprechender Lernbereitschaft der Lernenden sowohl kognitive als auch operationale Kompetenzen zu erwerben bzw weiterzuentwickeln in anderen Worten die Handlungsfaumlhigkeit der Lernenden anzubahnen

Ernaumlhrungskompetenz

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Um Schuumller und Schuumllerinnen zu handlungsfaumlhigen Akteuren zu erziehen brau-chen sie im Unterricht konkrete Handlungsanlaumlsse Diese koumlnnen im geschuumltzten Rahmen dem Lernort umgesetzt geuumlbt und letztlich reflektiert werden Peterszligen (2001) definiert Handlungsfaumlhigkeit wie folgt bdquoAls handlungsfaumlhig gilt wer imstan-de ist selbststaumlndig mit moumlglichst vielen Situationen fertig zu werden in die sein Leben ihn hineinfuumlhrt weil er die darin vorfindbaren Probleme eigenstaumlndig zu loumlsen faumlhig istldquo (S 10) Handlungsfaumlhigkeit ist fuumlr Peterszligen ein ganzheitlich-integratives Konzept dass sich aus der Schnittmenge von fundierter Sach- Sozial- Moral- und Methodenkompetenz ergibt1

Ziel des Ernaumlhrungs- und Kuumlchenfuumlhrungsunterrichtes muss diese Handlungsfauml-higkeit bzw der Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz sein Im Vorwort des aid-Tagungsbandes Du isst wie du bist Ernaumlhrungskompetenz ist Lebenskompetenz fasst Buumlning-Fesel Ernaumlhrungskompetenz wie folgt zusammen

Ernaumlhrungskompetenz [ist] die Faumlhigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Ernaumlhrungsalltag in ein angemessenes Handeln umzusetzen zum Beispiel im Sinne einer gesunden und nachhaltigen Ernaumlhrung (Buumlning-Fesel 2011 S 6)

Das Umsetzen der erworbenen Faumlhigkeiten das Entwickeln von Kompetenzen muss also im Fokus des Unterrichts stehen Im Sprachunterricht orientiert man sich zur Erfuumlllung dieser Aufgabe am handlungsorientierten Unterricht (task-based teaching) So werden im primaumlren Lernort Klassenzimmer Alltagssituationen kreiert sogenann-te bdquotasksldquo (Aufgabenstellungen) gegeben die so realitaumltsnah wie moumlglich geuumlbt wer-den Eine Vielzahl der verwendeten Sprachschulbuumlcher erleichtert diese Form des Sprachunterrichts maszliggeblich

Da sich der Groszligteil der Ernaumlhrungspaumldagoginnen und -paumldagogen auf das Schulbuch stuumltzt wird hier der Frage nachgegangen inwiefern das Konzept des Han-delnlernens in diversen inter-nationalen Ernaumlhrungslehre-Schulbuumlchern verankert ist Eine Analyse des an den berufsbildenden Schulen verwendeten Schulbuchs Er-naumlhrung ndash bewusst ndash aktuell ndash lebensnah (Reischl et al 2009) zeigt auf dass der rein kognitive Wissenserwerb im Vordergrund steht Handlungsanlaumlsse bzw hand-lungsorientiertes Lernen spielen eine untergeordnete Rolle Zu Beginn jedes Kapitels werden Ziele formuliert die nur Operatoren (zB Bescheid wissen kennen erlaumlu-tern erklaumlren etc) aus dem Bereich der kognitiven Ebene bedienen Aumlhnliches gilt fuumlr die Rubrik Arbeitsaufgaben Auch hier zielen die Arbeitsaufgaben darauf ab Kognitionsfragen zu beantworten So zB bdquoIn welche Gruppen werden Kohlenhydra-te eingeteilt Worin besteht der Unterschied zwischen den einzelnen Artenldquo (S 36) Im gesamten Schulbuch findet sich ein Rollenspiel in Form einer Ernaumlhrungsbera-tungssituation zum Thema Kleinkindernaumlhrung (S 238)

Handlungsanleitungen oder Vorschlaumlge fuumlr Projekte wie sie zB in Richters (2009) Kreativ Ernaumlhrung entdecken Usus sind oder die Rubrik bdquoUnd jetzt Sieldquo in de Groot amp Farhadis (2007) Schulbuch In Sachen Ernaumlhrung in der es neben Kogni-tionsaufgaben auch Anwendungsaufgaben (zB Fallbeispiele wie etwa zum The-

Ernaumlhrungskompetenz

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menbereich Salmonellose S 313) zu loumlsen gibt finden sich auch in anderen oumlsterrei-chischen Pendants Richtige Ernaumlhrung (Linder amp Robitza 2003) oder Gesundheit und Ernaumlhrung (Knapp et al 2009) noch nicht Eine Erweiterung im Bereich Hand-lungsorientierung in den oumlsterreichischen Schulbuumlchern waumlre wuumlnschenswert um so eine bessere Ernaumlhrungskompetenz bei den Lernenden zu erzielen

Moumlglichkeiten die Ernaumlhrungskompetenz der Lernenden zu foumlrdern werden bei Strotkamp aufgelistet bdquoexemplarisches Lehren und Lernen schuumllerInnenorientiert [sic] handlungsorientiert Wissenschaft dient als Informationsgeberin (Orientie-rungs- und Entscheidungshilfen) konkretes Ausprobieren handelnd lernen Alltags-bezug [sic]ldquo (Strotkamp 2002 S 189)

Um Ernaumlhrungskompetenz zu ermoumlglichen bedarf es auch einer gezielten Aus-einandersetzung mit dem Begriff des Empowerments Duumlr (2008) bringt den Termi-nus folgendermaszligen auf den Punkt

Der Begriff des Empowerments steht in gewisser Weise fuumlr das Paradox Individuen dazu zu bringen von sich aus so zu leben zu denken und zu handeln wie es mit den anspruchsvoller werdenden Bedingungen der Gesellschaft vereinbar ist ohne dabei Herrschaft Macht und Zwang ausuumlben zu muumlssen bzw sich in die Gestaltung der sozialen Systeme und der Gesellschaft insgesamt aktiv in einer Weise einzubringen dass diese zugleich gegenuumlber individuellen Einfluumlssen und Stoumlrungen paradoxer-weise resistenter werden (Duumlr 2008 S 11)

Bevor gezeigt wird wie ein Zusammenspiel von Ernaumlhrungskompetenz Handlungs-orientierung und Empowerment im Ernaumlhrungsunterricht aussehen kann wird im folgenden Kapitel das Augenmerk auf die eingangs beschriebene Diskrepanz zwi-schen Handeln und Wissen gelegt

2 Theorien zum nicht-stattfindenden Wissenstransfer

Aumlhnlich wie die biologiedidaktische steht auch die ernaumlhrungsdidaktische Forschung vor demselben Problem Obwohl das theoretische Wissen bei der Bevoumllkerung vor-handen ist mangelt es an der praktischen Umsetzung bzw am Wissenstransfer Die-ses Dilemma wird in zahlreichen Studien aus dem naturwissenschaftlichen sowie dem Publich Health-orientierten Bereich aufgezeigt Dieses Phaumlnomen des Nicht-uumlbertragens von vorhandenem Wissen des Ungenutztlassens von Erlerntem wurde 1929 von Whitehead als traumlges Wissen (inert knowledge) bezeichnet (vgl Renkl 1996) In seinem Artikel fasst Renkl drei Erklaumlrungsmoumlglichkeiten fuumlr diese Wis-sens-Handels-Diskrepanz zusammen

a) Metaprozesserklaumlrung Diese Theorie geht davon aus dass es zu keiner Nutzung des existierenden Wissens kommt weil die sogenannten me-takognitiven Steuerungsprozesse mangelhaft sind

Ernaumlhrungskompetenz

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b) Strukturdefiziterklaumlrung Hierbei geht man davon aus dass das eigentliche Wissen luumlckenhaft bzw nicht ausreichend ist um es entsprechend anwen-den zu koumlnnen

c) Situiertheitserklaumlrung Diese Theorie geht von der Situiertheit des Wissens aus und kritisiert somit auch die Ansaumltze der Kognitionspsychologie zur Thematik Wissen und Transfer (vgl Renkl 1996 S 84-87)

Um schlieszliglich anwendbares Wissen zu erlangen wird mithilfe von Modellen des situierten Lernens (zB kognitive Lehre verankerte Instruktion und Kognitive Flexibilitaumlt) im Unterricht gearbeitet bdquoAls Gemeinsamkeit dieser Ansaumltze kann hervorgehoben werden daszlig [sic] an komplexen authentischen oder zumindest realitaumltsnahen Problemstellungen gelernt wird (problemorientiertes Lernen)ldquo (Renkl 1996 S 87) Wissen werde so bereits im Anwendungskontext erarbeitet und somit auf bdquobestimmte Anwendungsbedingungen hin konditionalisiertldquo (S 88) Dieses anwendungsorientierte Lernen soll auch durch kooperatives Vorgehen in der Klasse gestuumltzt werden da bdquobei den Modellen des situierten Lernens der Sozi-alaspekt betont und Lernen als Enkulturation aufgefaszligt [sic]ldquo (S 88) wird

Wie ein entsprechend situiertes Lernarrangement im Ernaumlhrungsunterricht aus-sehen koumlnnte soll hier skizziert werden Die Themen des situierten Lernarrange-ments sind die Naumlhrwertberechnung und der Umgang mit Naumlhrstofftabellen Im Schulbuch wird ein fiktives Berechnungsbeispiel angegeben Eine vorgegebene Menge Haferflocken Apfel und Joghurt sind zu berechnen Der Arbeitsauftrag lautet bdquoWie viel Energie hat dieses Muumlslildquo Die Schuumller und Schuumllerinnen berech-nen rein mechanisch und haben beim naumlchsten Mal wieder vergessen wie sie den Energiewert berechnen koumlnnen

Eine handlungsorientierte und zugleich kooperative Moumlglichkeit die die kogni-tive Ebene mit der operationalen Ebene verbindet sieht folgendermaszligen aus

Den Lernenden wird in Kleingruppen ermoumlglicht sich selbst ihr Muumlsli zusam-menzustellen Die entsprechenden Ingredienzen stehen zur Verfuumlgung und duumlrfen frei gewaumlhlt abgewogen und in eine entsprechende Tabelle eingetragen werden Schlieszliglich wird der Energiegehalt der eigenen realen Muumlsliportion berechnet Die Schuumller und Schuumllerinnen werden angehalten den Energiegehalt ihrer Portion mit den Empfehlungen der DGE zu vergleichen wenn noumltig werden innerhalb der Gruppen Veraumlnderungen vorgenommen bzw Verbesserungs-vorschlaumlge gemacht

Neben der Zurverfuumlgungstellung von Muumlsliingredienzien (Orientierungshilfe) und dem Auswaumlhlen (sich entscheiden) dem Berechnen (Kognition) dem Abglei-chen von Ist- und Soll-Zufuhr am konkreten Beispiel (Reflexion) und dem Erbrin-gen von Verbesserungsvorschlaumlgen (Ernaumlhrungskommunikation -beratung) finden wichtige praktische Taumltigkeiten (Herstellung des Muumlslis Anrichten) statt Die ge-meinsame Verkostung (soziales Setting und sensorische Bewertung) schlieszligt diese Einheit ab Dieses konkrete Unterrichtsbeispiel veranschaulicht wie Wissenser-werb Empowerment und Ernaumlhrungskompetenz Hand in Hand gehen

Ernaumlhrungskompetenz

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3 Handlungstheorien und ihre didaktische Umsetzung

Im Zusammenhang mit Ernaumlhrungsbildung und Gesundheitsfoumlrderung in der Schule muss sich die Ernaumlhrungsdidaktik auch mit Handlungstheorien bzw der Handlungs-psychologie auseinandersetzen Die fuumlr diesen Artikel ausgewaumlhlten Theorien wer-den kurz umrissen Die Auswahl dieser Theorien erfolgt aufgrund ihrer ernaumlhrungs-didaktischen Tauglichkeit

Was versteht die Wissenschaft unter Handeln Der Neurobiologe Roth (2003) versteht unter Handeln bdquodas Verfolgen von Zielen genauer den Versuch Wuumlnsche Plaumlne und Absichten in die Tat umzusetzen Handeln unterscheidet sich hierdurch vom bloszligen Reagieren auf bestimmte Sinnesreize jenes wird uumlberwiegend intern dieses uumlberwiegend extern bestimmtldquo (S 472) Ein wichtiger Aspekt um ein Ziel zu erreichen ist die Willensanstrengung2 Roth erlaumlutert die Erkenntnisse der Hand-lungs- und Volitionspsychologie und geht in diesem Zusammenhang auf Heckhau-sen ein und benennt fuumlnf Phasen des Handelns

(1) die realitaumltsorientierte Motivationsphase (2) die Intentionsbildung (3) realisie-rungsorientierte praumlaktionale Phase (4) die aktionale Volitions- bzw Handlungs-phase und (5) die postaktionale Phase die das Erzielte bewertet und fuumlr spaumltere Handlungen beruumlcksichtigt (Roth S 476)

Um den Jugendlichen bei der Planung ihres Trinkverhaltens zu helfen wurde fol-gendes Beispiel von ihnen erarbeitet Tab 1 Planungsschritte fuumlr das Trinkverhalten

Phasen Teilaspekte ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Phase 1 Was Trinkverhalten verbessern

Phase 2 Wie Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch bereithalten

Phase 3 amp 4 das Handeln Wasser trinken und im Trinkprotokoll die entspre-chenden Portionen festhalten

Phase 5 das Bewerten Was ist gut gelaufen Was muss ich verbessern

Eine Theorie die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Einstellungen und Ver-halten auseinandersetzt ist Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens Ajzen erforscht ebenfalls Phasen im Handeln Laut Graf (2007) haben Ajzen und Fishbein unter anderem folgende vier Aspekte fuumlr diverse Haltungen sowie fuumlr das Verhalten for-muliert den Handlungs- Ziel- Kontext- und Zeitaspekt Nachfolgend eine Tabelle die diese vier Teilaspekte des Handelns auf das Ernaumlhrungsverhalten uumlbertraumlgt

Ernaumlhrungskompetenz

99

Tab 2 Beschreibung der Einstellungs- und Verhaltensperspektiven

Aspekte Fragen (lt Graf S 34) ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Handlungsaspekt Welches Verhalten soll ausgefuumlhrt oder unterlassen werden

morgen kein Dessert essen

Zielaspekt Welches Ziel hat das Verhalten morgen nicht naschen

Kontextaspekt In welchem Kontext steht das Verhal-ten

Gehe ich morgen essen oder koche ich selbst

Zeitaspekt Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zeitrahmen soll das Verhalten ausge-fuumlhrt werden

einen Tag lang nichts naschen od gaumlnzlich darauf verzichten

Fuumlr die Ernaumlhrungsbildung in der Schule koumlnnen diese beiden Tabellen zB zur Nachbesprechung in der Reflexionsphase eines Essverhaltensprotokolls (vgl Heindl 2003 S 75) herangezogen werden Heindl fuumlhrt zB als Methode der Gesundheits-bildung bdquoEssgewohnheiten ndash Die Spirale der Veraumlnderungldquo an (vgl Heindl 2003 S 77)

Abb 1 Essgewohnheiten ndash Spirale der Veraumlnderung (nach Heindl 2003 S 77) Um den Lehrenden bei der Spirale der Veraumlnderung weiterzuhelfen haben die in Tabelle 1 und 2 angefuumlhrten Aspekte gute Dienste geleistet da dem Groszligteil der Jugendlichen nicht bewusst ist aus welchen Komponenten sich ihr Handeln zusam-mensetzen kann

Ernaumlhrungskompetenz

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4 Handlungsorientiertes Lernen und Ernaumlhrungsbildung

Um Lernende moumlglichst wirklichkeitsnahe handeln zu lassen wurde der handlungs-orientierte Unterricht entwickelt Laut Bender (2013) trifft man ihn im Lernfeld Er-naumlhrung haumlufig an Peterszligen (2001) formuliert zum Thema handlungsorientiertes Lernen3 sehr plakativ bdquoWer Handlungsfaumlhigkeit will muss handeln lassenldquo (S 142) Fuumlr ihn bedeutet Handlungsorientierung dass Lernende die Faumlhigkeit besitzen ihr bdquoeigenes Handeln intellektuell regulieren zu koumlnnenldquo (S 142) Er fordert weiter dass die Lernenden bdquoihr Handeln von A bis Z [hellip] selbstaumlndig steuernldquo (S 145) muumls-sen damit sie das Erziehungsziel Selbstaumlndigkeit4 erreichen koumlnnen Aumlhnlich wie Heckhausen oder auch Ajzen sieht Peterszligen Handeln in Dimensionen unterteilt Er stuumltzt sich auf das Modell des vollstaumlndigen Handelns von Hacker dieses unterteilt sich wie folgt Planen Ausfuumlhren und Kontrollieren Peterszligen kreiert sein didakti-sches Modell des handlungsorientierten Lernens in Anlehnung an das des vollstaumlndi-gen Handelns (vgl Abb 2)

Abb 2 Didaktisches Modell vollstaumlndigen Handelns (Quelle Peterszligen 2001 S 145) Fuumlr den ernaumlhrungsbildenden Unterricht kann dieses Modell wie folgt in die Praxis umgesetzt werden In der HLW19 Straszligergasse wurde in den letzten drei Jahren das Projekt bdquoGesunde Jauseldquo gestartet Die Intentionen sind erstens auf die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden Einfluss zu nehmen zweitens beiden Gruppen Orien-tierungshilfen zu bieten und drittens die Zubereitungskompetenz der Schuumllerinnen und Schuumller bezuumlglich der Herstellung von einfachen bedarfsgerechten sowie naumlhr-stoffdichten Snacks in den schuleigenen Kuumlchen zu foumlrdern Dieser Zugang bedingt

Ernaumlhrungskompetenz

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eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Faumlchern Ernaumlhrung und Kuuml-chenfuumlhrung einerseits Er erfordert aber auch andererseits dass die Lernenden typi-sche Nahrungszubereitungsmethoden gezielt uumlben naumlhrstoffdichte Snacks erkennen und gemaumlszlig den Hygienevorschriften herstellen sowie im Team arbeiten koumlnnen Neben der fachlichen Kompetenz werden auch die Methodenkompetenz und die personalensozialen Kompetenzen trainiert Im konkreten Fall wird dargestellt wie die Lernenden bei der Auswahl und Herstellung von bedarfsgerechten Snacks unter-stuumltzt werden um dann entsprechend handeln zu koumlnnen Die Schritte die an der HLW19 gesetzt wurden sind

a) Produktion von naumlhrstoffdichten Pausensnacks (Kochkompetenz) b) Verkauf und Beratung der Snacks in der Schulaula (Beratungskompetenz) c) Marketing durch Schuumllerinnen und Schuumller d) Konsum und Bewertung dieser Snacks durch Schuumllerinnen und Schuumller

Um die Lernenden zum Handeln zu motivieren brauchen sie im Unterricht konkrete Anlaumlsse die sie im geschuumltzten Rahmen umsetzen uumlben und reflektieren koumlnnen Das 6-stufige didaktische Modell von Peterszligen stand Pate fuumlr die folgende Vorge-hensweise Das Thema im Ernaumlhrungsunterricht ist die bdquoGesunde Jauseldquo und unter-stuumltzt somit das obenerwaumlhnte Projekt Buumlnning-Fesels Definition von Ernaumlhrungs-kompetenz Duumlrs Sicht des Empowerments und die beiden Deskriptoren EB1 und EB 2 des oumlsterreichischen Referenzrahmens fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bilden den weiteren didaktischen Hintergrund

Tab 3 Ernaumlhrungsdidaktische Umsetzung (basierend auf Peterszligens Modell)

Phasen Umsetzung

1 Information Lernenden erarbeiten sich das Thema bdquoGesunde Jauseldquo

2 Planung Lernende planen ihre eigene gesunde Jause Der Handlungsplan muss folgendes beinhalten 5 Tagesplaumlne bdquoGesunde Jauseldquo fuumlr Teenager entsprechend des in Schritt eins erworbenen Wissens Rezeptplanung Naumlhrstoffdichte-Berechnung Einkaufsliste Zube-reitungsinformation Marketingstrategie fuumlr die gesunde Jause

3 Beratung Lehrende beraumlt

4 Ausfuumlhrung Lernende fuumlhren ihre Planung mithilfe der Lehrkraumlfte aus

5 Evaluation Evaluation des Vorhabens

6 Bewertung Bewertung des Vorhabens

Am Ende dieser Einheit stehen nicht nur Rezepte Einkaufslisten Handlungsplaumlne sowie Jausensnacks als konkrete Handlungsprodukte zur Verfuumlgung die Schuumllerin-nen und Schuumller haben sich im Bereich der Selbststaumlndigkeit weiterentwickelt Ihre Planungskompetenz und ihre Ernaumlhrungskompetenz (theoretischer sowie operationa-ler Art) konnte weiterentwickelt werden

Ernaumlhrungskompetenz

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5 Conclusio

Um der Forderung in der Schule ernaumlhrungskompetente Schuumllerinnen und Schuumller auszubilden damit sie sich gemaumlszlig der Idee des Empowerments gesundheitsfoumlrdernd ernaumlhren und verhalten koumlnnen gerecht zu werden bedarf es einer fundierten Ausei-nandersetzung mit Handlungstheorien und handlungsorientiertem Lernen Diese profunde Beschaumlftigung muss in der Aus- Weiter- und Fortbildung geschehen

Anmerkungen 1 Naumlhere Ausfuumlhrungen betreffend der ernaumlhrungsrelevanten Moral- bzw Methoden-

kompetenz finden sich in Buchner et al (2011) und Bender et al (2013) 2 Einen eingehenden Uumlberblick zu den Moumlglichkeiten und Grenzen der Willens-

erziehung bietet Langer (2011) 3 Es wurde bewusst der Begriff bdquohandlungsorientiertes Lernenldquo und nicht bdquohand-

lungsorientierter Unterrichtldquo gewaumlhlt Dies geschieht einerseits weil mit dem Be-griff des Lernens verdeutlicht werden soll dass die Lernenden im Vordergrund ste-hen und andererseits weil der Begriff handlungsorientiertes Unterrichten bei Meyer (2003a 2003b) und Jank und Meyer (2008) nicht auf Handlungstheorien basiert

4 Eine ausfuumlhrliche Einfuumlhrung zum Erziehungsziel Selbststaumlndigkeit gibt Drieschner (2007)

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Verfasserin

Maga Sigrid Kuumlstler

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung Ernaumlhrungspaumldagogik Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien E-Mail sigridkuestlerphwienacat Internet wwwphwienacat

Beurteilungsportfolio

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______________________________________________________________

Ute Bender

Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche Das Lernatelier Kuumlche stellt eine wichtige materielle Lernumgebung fuumlr den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung dar Die damit verbundenen Lernprozesse stehen in Verbindung mit Methoden der Leistungsbeurteilung welche die angestrebten Kompetenzen in ihrer ganzen Breite auch tatsaumlchlich erfassen koumln-nen Der folgende Beitrag schlaumlgt hierzu ein Beurteilungsportfolio vor

Schluumlsselwoumlrter Portfolio Leistungsbeurteilung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungsbildung

______________________________________________________________

1 Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche als Lernumgebung der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

In der Tradition der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung war das Lernatelier Kuumlche1

lange Zeit die typische materielle Lernumgebung Heute hat sich dies gewandelt Nichtsdestotrotz sind insbesondere in der Ernaumlhrungsbildung fachliche Lernprozesse im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung unver-zichtbar die im Lernatelier am besten unterstuumltzt werden koumlnnen

Diese Lernprozesse sind mit vielfaumlltigen Teilkompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung verknuumlpft so dass im Lernatelier keineswegs ausschlieszliglich am Kompetenzaufbau in der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung gearbeitet wird Lehr-Lernarrangements im Lernatelier Kuumlche stellen folglich keinen separier-ten oder bdquobesonderenldquo Sektor innerhalb der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung dar sondern sind in die uumlbergeordneten Intentionen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung integriert Auch fuumlr die Leistungsbeurteilung gelten somit keine bdquobesonderenldquo Rege-lungen - allerdings sind bestimmte Fokussierungen vorzunehmen um den spezifi-schen angestrebten Kompetenzen gerecht werden zu koumlnnen Ein Beurteilungsportfo-lio kann diesem Anspruch entgegenkommen2

Die Begriffe bdquoLeistungsbeurteilungldquo und bdquoLeistungsbewertungldquo werden im Fol-genden nicht synonym verstanden bdquoLeistungsbeurteilungldquo bezieht sich auf die Ver-fahren die uumlber einen laumlngeren Zeitraum zum Einsatz kommen und bdquoLeistungsbe-wertungldquo auf bdquodie konkrete und detaillierte Einordnung einer beschriebenen Leistung in einem bestimmten Maszligstabldquo (Bohl 2009 S 60f in Anlehnung an v Saldern 1999)

Beurteilungsportfolio

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11 Leistungsbeurteilung im Zuge der Kompetenzorientierung

Das in schulischen Fachkreisen gaumlngigste Verstaumlndnis von bdquoKompetenzldquo greift auf die Definition von F E Weinert zuruumlck (Weinert 2001) bdquoKompetenzenldquo beinhalten demnach mehrere inhalts- und prozessbezogene Facetten Faumlhigkeiten Fertigkeiten und Wissen aber auch Bereitschaften Haltungen und Einstellungenldquo (D-EDK 2013b S 7) Konsequenterweise hat sich die Leistungsbeurteilung an diesem an-spruchsvollen Kompetenzbegriff zu orientieren In der Ernaumlhrungs- und Konsumbil-dung im Allgemeinen und im Lernatelier Kuumlche im Besonderen wird sie sich also nicht nur auf Faumlhigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren sondern anstreben saumlmtli-che Aspekte von Kompetenz zu erfassen (vgl Bender 2013 S 46ff)

Selbstverstaumlndlich kann sich die Leistungsbeurteilung nur auf jene Teilkompe-tenzen beziehen an denen vorher im Unterricht gearbeitet wurde Sie hat prinzipiell den bdquoGrundsatz der proportionalen Abbildungldquo (Sacher 2011 S 29 vgl Bohl 2012 S 327) zu beachten das heiszligt dass die jeweils gewaumlhlten Modalitaumlten der Leistungserhebung und -bewertung die im Unterricht unterstuumltzten Kompetenzen im Sinne einer repraumlsentativen Stichprobe spiegeln sollten Zugleich sind die Verfahren der Leistungsbeurteilung gemaumlszlig dem bdquoGrundsatz der Variabiliaumltldquo (Sacher 2011 S 29) so zu gestalten dass sie der Zielgruppe gerecht werden Gerade in der Ernaumlh-rungs- und Konsumbildung beduumlrfen die heterogenen Voraussetzungen der Lernen-den (zB Geschlecht Interkulturalitaumlt) und ihre individuellen situativen Problemlouml-sungen besonderer Aufmerksamkeit (Fachgruppe 2005 S 31 vgl Methfessel Ritterbach amp Schlegel-Matthies 2008)

Eine der Herausforderungen des skizzierten Kompetenzverstaumlndnisses liegt si-cherlich in dem Anspruch Leistungsbeurteilung auch auf die bdquoBereitschaften Hal-tungen und Einstellungenldquo (siehe oben) zu beziehen In der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung kommen manche Bereitschaften zB die Absicht sich gesund zu ernaumlhren und angemessene Zubereitungstechniken zu praktizieren vor allem im auszligerschulischen Alltag zum Vorschein sie bleiben somit fuumlr die schulische Leis-tungsbeurteilung prinzipiell unzugaumlnglich Diese ist auf entsprechende Aussagen der Schuumllerinnen und Schuumller angewiesen Dabei hat sie sich selbstverstaumlndlich nicht auf gewisse bdquoerwuumlnschteldquo Absichtserklaumlrungen der Lernenden zu beziehen sondern auf explizierte Argumentationen und Erwaumlgungen

Der Maszligstab der Kompetenzorientierung wird von allen aktuellen deutschspra-chigen fachdidaktischen Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung vertreten In diesen kommen noch weitere Anspruumlche zur Geltung welche die Leistungsbeur-teilung beeinflussen koumlnnen und im Folgenden skizziert werden

Beurteilungsportfolio

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12 Leistungsbeurteilung in Bezug auf die Faumlhigkeit zur Reflexion

So wird in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung aus Oumlsterreich und Deutschland ua angestrebt dass Schuumllerinnen und Schuumller ihr Verhalten und ihre Entscheidungen reflektieren koumlnnen und wollen (Thematisches Netzwerk 2009 Fachgruppe 2005 vgl D-EDK 2013a S 8) Die Lernenden sollen uumlber das eigene Tun nachdenken und nicht nur spontan oder gewohnheitsmaumlszligig agieren In dieses Nachdenken flieszligen sehr unterschiedliches Wissen (zB aus den eigenen Erfahrun-gen oder wissenschaftliches Wissen) Einstellungen Emotionen etc ein Doch bdquoNachdenkenldquo ist bekanntlich unsichtbar Um es der Performanz zuzufuumlhren wird im Zuge der Leistungsbeurteilung erwartet dass die Schuumllerinnen und Schuumller ihre Gedanken in Texten oder auf andere Weise symbolisieren und ausfuumlhren Die Leis-tungsbeurteilung sollte folglich fuumlr solche Symbolisierungen Raum bieten

13 Leistungsbeurteilung vor dem Hintergrund ethischer Aspekte des Lernens

Eng mit den bdquoReflexionenldquo aber auch mit bdquoBereitschaften Einstellungen und Hal-tungenldquo (siehe oben) verknuumlpft sind solche Formulierungen in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung welche die Lernenden in Richtung eines nachhal-tigen Handelns oder Lebensstils bilden wollen (Fachgruppe 2005 S 26 ff vgl D-EDK 2013a S 2 Thematisches Netzwerk 2009 S 8 f) Nachhaltiges Entscheiden und Handeln impliziert immer auch ethische Gesichtspunkte (Schlegel-Matthies 2013) Dasselbe gilt fuumlr die in den Konzepten mehrfach genutzten Termini des bdquover-antwortlichenldquo oder bdquoverantwortungsbewusstenldquo Handelns (Fachgruppe 2005 S 27 Thematisches Netzwerk 2009 S 7 11) Wiederum kann es bei der Leistungsbe-urteilung nicht darum gehen bestimmte bdquoerwuumlnschteldquo Antworten zu erhalten son-dern um moumlglichst differenzierte mehrperspektivische Explorationen

14 Leistungsbeurteilung im Sinne des salutogenetischen Prinzips

Das bdquosalutogenetische Prinzipldquo als didaktisches Prinzip der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung findet sich in expliziter Form ausschlieszliglich im deutschen Konzept REVIS wieder (Fachgruppe 2005 S 30) Es zielt darauf ab die je individuellen he-terogenen Ressourcen der Lernenden zu foumlrdern und zu fordern Leistungsbeurtei-lung im Sinne der Salutogenese beruumlcksichtigt das Prinzip der Variabiliaumlt (siehe oben) und beachtet daruumlber hinaus dass die damit verbundenen Anforderungen fuumlr die Lernenden handhabbar sinnvoll und verstaumlndlich bleiben und somit dem persoumln-lichen bdquoKohaumlrenzgefuumlhlldquo nach Antonovsky (1999) dienlich sind

Beurteilungsportfolio

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15 Leistungsbeurteilung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens

Nicht zuletzt sei noch auf das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens hingewiesen welches ebenfalls im Konzept REVIS genannt ist Lernprozesse in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung sind demzufolge alltagsnah zu konzipieren vorhandene Erfah-rungen der Lernenden wert zu schaumltzen und Offenheit fuumlr weiteres Lernen ist ebenso zu foumlrdern wie bdquoLebensgestaltungs- und Bewaumlltigungskompetenzenldquo (Fachgruppe 2005 S 31) Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung versucht also idealerweise jene Offenheit fuumlr das weitere Lernen zu unterstuumltzen oder sogar Hilfestellungen hierfuumlr zu geben Sicherlich lieszligen sich noch weitere grundsaumltzliche Anforderungen an die Leistungs-beurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung formulieren Im Sinne eines Minimalanspruchs sollten konkrete Leistungsbewertungen jedoch den genannten zumindest nicht zuwiderlaufen Welche Rolle kann ein Beurteilungsportfolio dabei innehaben

2 Das Beurteilungsportfolio in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Portfolios als Lern- und Beurteilungsinstrumente werden mit unterschiedlichen Funktionen und fuumlr unterschiedliche Zielgruppen eingesetzt In der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung hat Brandl (2004) ein Konzept fuumlr die Lehrerinnen- und Lehrerbil-dung entwickelt Mit Blick auf Schuumllerinnen und Schuumller sind Portfolios folgender-maszligen zu definieren

Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Schuumllerarbeiten welche die An-strengung des Lernenden den Lernfortschritt und die Leistungsresultate auf einem oder mehreren Gebieten zeigt Die Sammlung schlieszligt die Beurteilung des Schuumllers bei der Auswahl der Inhalte Aufstellung der Kriterien fuumlr die Auswahl und zur Beur-teilung sowie selbstreflexive Gedanken ein (Lissmann 2008 S 137 in Anlehnung an Paulson Paulson amp Meyer 1991 vgl Brunner amp Schmidinger 2004 S 17 Bohl 2009 S 147f Haumlcker 2011a Winter 2012 S 200f)

Zu den bdquoselbstreflexiven Gedankenldquo gehoumlren meist Reflexionen der Lernenden uumlber ihre Portfolioentwicklung aber auch Uumlberlegungen zu ihren eigenen Lernprozessen Auszligerdem wird der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernenden uumlber Leis-tungen und Lernprozesse hoher Wert eingeraumlumt die dann ebenfalls Eingang ins Portfolio findet (Haumlcker 2011b S 218 Winter 2012 S 217)

Ein bdquoBeurteilungsportfolioldquo stellt eine von fuumlnf moumlglichen Formen eines Portfo-lios dar (siehe Tabelle 1 Lissmann 2008 S 141 vgl Glaumlser-Zikuda amp Hascher 2007 S 12f Paulson Paulson amp Meyer 1991 Winter 2012 S 200)

Beurteilungsportfolio

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Tab 1 Formen eines Portfolios (Lissmann 2008 S 141)

Aufgabe Portfolioformen

Lernprozess diagnostizieren Arbeitsportfolio

Lernerfolg beurteilen Beurteilungsportfolio

Lernergebnisse mitteilen Vorzeigeportfolio

Entwicklung dokumentieren Entwicklungsportfolio

Lernende vorstellen Bewerbungsportfolio

Das Beurteilungsportfolio dient somit dazu den Lernerfolg und die Schritte dorthin zu dokumentieren und der Bewertung zugaumlnglich zu machen folgerichtig hat es einen deutlich formaleren Charakter als zB das bdquoArbeitsportfolioldquo Wie fuumlr alle Portfolioformen gilt auch fuumlr das Beurteilungsportfolio dass es nicht nur einen ein-zigen Zeitpunkt im Lernprozess dokumentiert sondern auf eine laumlngere bdquoRegelstre-ckeldquo zuruumlckblickt (Winter 2012 S 213) Daruumlber hinaus beteiligt es wenn moumlglich die Lernenden an der Entscheidung welche ihrer Leistungen bewertet werden sollen und staumlrkt deren Selbstregulierung (Haumlcker 2011b S 220f)

In loser Anlehnung an Brunner und Schmidinger (1997 2004) sowie an Bohl (2009) sollte ein Beurteilungsportfolio folgende Dokumente umfassen Formale und strukturierende Elemente wie Titelblatt Inhaltsverzeichnis etc Pflichtdokumente aus dem Unterricht Dokumente nach Wahl der Lernenden die inner- oder auszliger-halb des Unterrichts entstehen koumlnnen Ruumlckmeldungen der Lehrperson zum Lern-prozess oderund zur Portfolioarbeit Schuumllerreflexionen

Waumlhrend das Beurteilungsportfolio in der deutschsprachigen Diskussion einer-seits als Alternative zum bdquoNotenfetischismusldquo (Vierlinger 1999) angesehen wurde und wird (Stern 2010 Vierlinger 2011) ist es heute andererseits auch als ergaumlnzen-de Beurteilungsmodalitaumlt denkbar (Bohl 2009 Winter 2012)

21 Ein Beurteilungsportfolio fuumlr das Lernatelier Kuumlche

Das Lernatelier Kuumlche ist der typische Ort fuumlr den Erwerb von Teilkompetenzen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im Sinne des Kompetenzbegriffes gehoumlren dazu Fertigkeiten etwa Arbeitstechniken aber auch diverse Kenntnisse und Faumlhigkeiten ebenso entsprechende Motivationen und Bereitschaften Daruumlber hinaus sind die genannten Teilkompetenzen zu verknuumlpfen mit weiteren Kompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Das Beurteilungsportfolio bietet ein breiteres Potenzial zur Leistungsbeurteilung an (siehe Tabelle 2)

Beurteilungsportfolio

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Tab 2 Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung durch ein Portfolio

Die Verfahren der Leistungs-beurteilung solltenhellip

Ein Beurteilungsportfoliohellip

hellipKompetenz im umfassenden Sinn variabel erfassen koumlnnen

helliperlaubt sehr vielfaumlltige Dokumentationen die uumlber einen laumlngeren Zeitraum entstanden sind So kann es die Aspekte von Kompetenz vielseitiger abbilden als eine punktuelle Leistungserhebung Prozesse Produkte bzw Zwischenprodukte lassen sich mit Hilfe von Zeichnungen Fotos oder Videos fuumlr das Portfolio festhalten (Brunner amp Schmidinger 2004 Winter oJ) Die im Portfolio skizzierten Kommunikationen und Dokumentationen erlauben es auch sinnliche Qualitaumlten zu erfassen zB Verkostungen

hellipReflexionen der Lernenden erheben koumlnnen

hellipbeinhaltet Reflexionen zum je individuellen Lernprozess (einschlieszliglich der jeweils bearbeiteten Inhalte genutzten Strategien und Techniken Medien Uumlberlegungen zu eigenen Staumlrken und Schwierigkeiten) und zum Portfolioprozess (etwa zur Auswahl der Dokumente) Lehrpersonen unterstuumltzen die Reflexionsfaumlhigkeit indem sie den Lernenden moumlgliche Fragen aufzeigen diese mit ihnen erarbeiten sowie spezifische Arbeitsblaumltter bereitstellen (vgl Poumllzleitner 2011)

hellipethischen Implikationen Rechnung tragen koumlnnen

helliplaumlsst zu dass Lernende selbst entscheiden zu welchen (verschiedenen) thematischen Aspekten sie ihre Uumlberlegungen und Meinungen darlegen moumlchten Es ermoumlglicht so ein vielgestaltiges Bild das auch Widerspruumlche zulaumlsst

hellipdie salutogenetische Orientierung beruumlcksichtigen

helliplaumldt Schuumllerinnen und Schuumller ein ihre Kompetenzen und damit ihre Staumlrken zu zeigen ndash statt nach Schwachstellen oder Fehlern zu suchen (Haumlcker 2005) Lernende entscheiden welche Wahldokumente sie beifuumlgen moumlchten Eigene Schwerpunkte lassen sich abbilden Die Ruumlckmeldungen der Lehrperson als konkretes konstruktives Feedback erweisen sich wie Studien zeigen als hocheffizient zur Foumlrderung von Lernprozessen (Black amp Wiliam 2009 Maier 2010)

helliplebensbegleitendes Lernen unterstuumltzen

hellipfoumlrdert den Erwerb von Lernstrategien indem es die Reflexion des Lernprozesses initiiert Schuumllerinnen und Schuumller verbessern ihre Faumlhigkeiten zur Selbsteinschaumltzung indem sie Produkte fuumlr ihr Portfolio auswaumlhlen und ihre Wahl dokumentieren Der Unterricht stellt ihnen Zeitgefaumlszlige fuumlr die Arbeit am Portfolio zur Verfuumlgung (Internationales Netzwerk Portfolioarbeit 2010) Das Portfolio laumlsst auch Dokumente zu auszligerschulischen Lernprozessen zu

Beurteilungsportfolio

111

211 Vorgehensweise

Lehrpersonen werden die Konzeption und Umsetzung des Beurteilungsportfolios an den jeweiligen Lernstand der Schuumllerinnen und Schuumller die jeweiligen situativen Bedingungen und andere Voraussetzungen anpassen Sie entscheiden daruumlber in-wieweit sie die Schuumllerinnen und Schuumller an der Leistungsbeurteilung mit dem Port-folio beteiligen moumlchten Lernende die uumlber wenig Erfahrung mit der Portfolioarbeit verfuumlgen benoumltigen zumeist mehr Hilfestellungen etwa Unterstuumltzung bei Reflexi-onsprozessen und formale Kriterien als andere Lernende Trotz dieser paumldagogi-schen Gestaltungsspielraumlume welche die Lehrperson hat sollte das Portfolio nicht zu einer Ansammlung von Pflichtdokumenten degradiert und den Schuumllerinnen und Schuumllern jegliches Mitspracherecht an der Zusammenstellung undoder Bewertung genommen werden Ein solches bdquoPortfolioldquo wuumlrde der Grundphilosophie widerspre-chen (Haumlcker 2005)

Die hohe Plastizitaumlt des Portfolios macht es zudem moumlglich das Beurteilungsver-fahren an sehr unterschiedliche Lehr-Lernarrangements zu adaptieren Wiederum jedoch wuumlrde es der Portfolio-Philosophie (und auch der Kompetenzorientierung von Unterricht) widersprechen wenn dieses Lehr-Lernarrangement keinerlei selbstregu-lierte Phasen fuumlr die Lernenden vorsaumlhe

212 Beispiel fuumlr ein Beurteilungsportfolio

Beurteilungsportfolios sollen widerspiegeln welche Teilkompetenzen Lernende erworben haben So richtet sich zB das nachstehend skizzierte Portfolio auf mindes-tens folgende Teilkompetenzen bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller koumlnnen Nahrungs-mittel uumlber die Sinne vergleichenhellip sensorische Eigenschaften beschreibenhellip und Vermutungen formulieren wie Unterschiede entstehenldquo sie bdquokoumlnnen Nahrungsmittel unter Beruumlcksichtigung von gesundheitlichen Aspekten auswaumlhlen und zuberei-tenhellipldquo und bdquokoumlnnen Mahlzeiten situationsgerecht planen und zubereitenhellipldquo (D-EDK 2013a S 7f) Weitere Teilkompetenzen lieszligen sich anfuumlgen

Das Portfolio-Beispiel bezieht sich auf einen Zeitraum von fuumlnf Wochen pro Woche findet der Unterricht in einem vierstuumlndigen Lektionenblock statt Die Schuuml-lerinnen und Schuumller sollen mindestens einmal selbst in Kleingruppen ein Menuuml planen einkaufen und zubereiten Sie werden informiert welche Speisen bzw Me-nuumls im genannten Zeitraum im Ganzen vorgesehen sind und vereinbaren im Vorfeld ihre Arbeitsteilung in den Kleingruppen Die Lehrperson pruumlft ob diese Arbeitstei-lung gewaumlhrleistet dass alle Schuumllerinnen und Schuumller die Chance haben die Aufga-ben fuumlr das Portfolio sehr gut zu erfuumlllen Sie plant ein dass alle Jugendlichen eine nicht benotete Ruumlckmeldung zu ihren Lernhandlungen erhalten koumlnnen sowie Zeit fuumlr das Portfolio zur Verfuumlgung steht Die Lernenden werden uumlber die Portfolioarbeit ausfuumlhrlich informiert und der Prozess mit ihnen abgesprochen Das Portfolio setzt sich aus vielfaumlltigen Dokumenten zusammen (siehe Tabelle 3)

Beurteilungsportfolio

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Tab 3 Dokumente fuumlr ein Portfolio (Beispiel Liste fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller)

Pflichtdokumente

In dein Portfolio gehoumlren alle Dokumente die gemeinsam im Unterricht bearbeitet wurden (siehe Arbeitsblatt Checkliste)3 sowie Titelblatt und Inhaltsverzeichnis

Bearbeite mindestens einmal die Fragen mit deren Hilfe du uumlber die Nahrungszubereitung und dein Lernen dabei nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Suche dir eine Speise aus die eine Mitschuumllerin oder ein Mitschuumller zubereitet hat und schreibe dieser Person eine konkrete Ruumlckmeldung wie du diese Speise mit allen Sinnen wahrnimmst Lege die Kopie in dein Portfolio

Fuumlge die Ruumlckmeldung der Lehrperson in dein Portfolio Du markierst was dabei fuumlr dich wichtig ist und notierst dir falls noumltig Nachfragen

Fuumlr das Menuuml das ihr euch selbst auswaumlhlt Legt alle Rezepte in das Portfolio oder bezeichnet sie mit Seitenzahlen gemaumlszlig eures Lehrmittels bdquoTiptopfldquo Klaumlrt im Unterricht gemeinsam warum ihr die Rezepte gewaumlhlt habt Jeder von euch soll diese Uumlberlegungen nochmals in eigenen Worten fuumlr das Portfolio aufschreiben

Was hast du bei der Portfolioarbeit gelernt Bearbeite einige der Fragen mit deren Hilfe du uumlber deine Portfolioarbeit nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Beispiele fuumlr freiwillig einzufuumlgende Dokumente

Dokumentiere mit einem Foto ein besonders gut gelungenes Produkt aus der Nahrungszubereitung im Unterricht oder von zuhause und begruumlnde warum es aus deiner Sicht gut gelungen ist

Skizziere mit einer Zeichnung oder fotografiere wie du den Tisch fuumlr ein bestimmtes Menuuml decken wuumlrdest oder gedeckt hast

Welche Speisen aus dem Unterricht koumlnntest du auch zuhause zubereiten Warum und zu welchen Gelegenheiten Wenn du keine Speisen findest Wo liegen die Schwierigkeiten

Welche Speisen haben dir besonders gut geschmeckt und warum

Welche Uumlberlegungen habt ihr euch zum finanziellen Budget fuumlr euer Menuuml gemacht

Wie sieht die Zeit- und Arbeitsplanung fuumlr euer Menuuml aus Warum wollt ihr so vorgehen

Lege Bilder und Rezepte bei die fuumlr euer Menuuml ebenfalls in Frage gekommen waumlren und schreibe uumlber ihre Vor- und Nachteile

Schreibe als Einleitung zu deinem Portfolio einen Brief an die Lesenden

Beurteilungsportfolio

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3 Guumltekriterien fuumlr das Beurteilungsportfolio

Fuumlr die Benotung eines Beurteilungsportfolios gelten prinzipiell dieselben Guumltekrite-rien wie bei jeder anderen Beurteilung Dazu gehoumlrt dass die Schuumllerinnen und Schuumller genau wissen wie die Bewertung zustande kommt und nach welchen Krite-rien die Lehrperson ihr Portfolio benoten wird Wenn moumlglich sind sie bei der Er-stellung dieser Kriterien zu beteiligen Gerade bei einem offenen Leistungsbewer-tungsinstrument wie dem Portfolio ist die Transparenz der Bewertung kommunikativ sicherzustellen (Bach-Blattern amp Bohl 2011 Bohl 2009 S 73ff Juumlrgens 2010 Lissmann 2008 S 76f)

4 Resuumlmee

Das Beurteilungsportfolio bietet die Chance vielfaumlltige individuelle Lernergebnisse der Schuumllerinnen und Schuumller im Lernatelier Kuumlche uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinweg zu erfassen Insbesondere gibt das Portfolio den Lernenden die Gelegenheit ihre Staumlrken darzustellen Fuumlr Lehrende und Lernende kann dieser Weg der Beurtei-lung manchmal mit sich bringen dass sie unbekanntes Terrain betreten und gemein-sam Unsicherheiten uumlberwinden muumlssen Trotzdem zeigen Studien dass die Akzep-tanz bei den Beteiligten im Allgemeinen hoch ist (Bohl 2012 Glaumlser-Zikuda Rohde amp Schlomske 2010 Lissmann Haumlcker amp Fluck 2009)

Anmerkungen 1 In der Schweiz ist der Begriff bdquoAtelierldquo allgemein gebraumluchlicher als bdquoWerkstattldquo 2 Ich danke den engagierten Lehrerinnen die im Rahmen einer Weiterbildung im

Kanton Solothurn ein Konzept fuumlr ein Portfolio fuumlr die Ernaumlhrungsbildung gemein-sam mit mir entwickelt und mit ihren Klassen realisiert haben

3 Zur Unterstuumltzung der Portfolioarbeit erhalten die Lernenden zusaumltzliche Arbeits-blaumltter

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Beurteilungsportfolio

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Winter F (2012) Leistungsbewertung eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schuumllerleistungen (5 uumlberarb u erw Aufl) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Verfasserin

Profin Dr Ute Bender

PH FHNW Basel und Brugg

Clarastr 57 CH-4058 Basel

E-Mail utebenderfhnwch Internet wwwgesundheitundhauswirtschaftch

Rezension

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Regine Bigga

Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Ute Bender (Hrsg) (2013) Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Perspektiven und Praxisbei-spiele fuumlr den Hauswirtschaftsunterricht Fachdidaktische Entwicklungen in Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz Bern Schulverlag plus AG 200 Seiten mit CD-ROM

ISBN 978-3-292-00724-7 (D 3375 EURO A 3465 EURO CH 4190 CHF)

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In einem ersten Block werden die Entwicklungen und Positionspapiere zum deut-schen Projekt bdquoReform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulenldquo (REVIS) zum schweizerischen Projekt bdquoHauswirtschaftliche Bildung fuumlr eine Ge-sellschaft im Wandelldquo und der oumlsterreichische Referenzrahmen bdquoErnaumlhrungs- und Verbraucherbildung Austria (EVA)ldquo vorgestellt Unterkapitel widmen sich dem kompetenzorientierten Unterricht in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung und der Frage wie Lern- und Pruumlfaufgaben entwickelt werden koumlnnen

In einem zweiten Block werden ausgewaumlhlte Makromethoden (handlungsorien-tierter Unterricht Projekte Problemorientiertes Lernen Instruktionales Lernen Bio-graphieorientiertes Lernen SchmeXperiment und Experiment Dialogisches Lernen Stationenlernen) dicht angelehnt an entsprechende Fachartikel beschrieben Offen bleibt warum in diesem Kontext das Stationenlernen aber nicht typische Methoden der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung wie der vergleichende Schuumllerwaren- bzw Schuumllerdienstleistungstest und die Erkundung vertieft werden

In einem dritten Block werden Praxisbeispiele zum essbiographischen Arbeiten in multikulturellen Klassen zum fachpraktischen Arbeiten insbesondere dem Um-gang mit Rezepten zum experimentellen Arbeiten zur Entwicklung von Konsum-kompetenzen mittels Warentest und problemorientierten Lernen sowie der Entwick-lung von Haltungen in Richtung nachhaltiger Konsumentscheidungen ausfuumlhrlich dargestellt und auf entsprechende Makromethoden bezogen Hier liegt eine der Staumlr-ken des Buches deutlich werden Kompetenzen genannt und mit fachinhaltlichen und methodischen Uumlberlegungen verknuumlpft und reflektiert Im Anschluss werden die jeweiligen Vorschlaumlge kommentiert Im Sinne eines Studienbuches fuumlr die Lehrkraumlf-teausbildung waumlren hier Lern- und Pruumlfaufgaben bezogen auf die bdquoBeispiele fuumlr re-flektierte Unterrichtspraxisldquo hilfreicher gewesen

Der Sinn der beigelegten CD erschlieszligt sich nicht da viele der Dokumente gut online verfuumlgbar und die Medien fuumlr den Unterricht zum Teil nicht veraumlnderbar sind Ausgesprochen aumlrgerlich ist es dass sich teilweise Literaturhinweise weder im Buch noch auf der CD finden

Rezension

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Trotz der aufgezeigten Maumlngel ist die Anschaffung des Buches zu empfehlen Es wird eine Luumlcke in der fachdidaktischen Diskussion der Ernaumlhrungs- und Verbrauch-erbildung geschlossen denn bislang fehlte ein Studienbuch fuumlr Studierende und eine interessierte Fachoumlffentlichkeit das sich mit den Domaumlnen Konsum Ernaumlhrung und Gesundheit im Kontext der allgemein bildenden Schulen befasst und das die aktuelle fachdidaktische Diskussion in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in den deutschsprachigen Laumlndern Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz der letzten 20 Jahre vorstellt und diskutiert

Verfasserin

Regine Bigga

Universitaumlt Paderborn Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Gesundheit

Warburger Straszlige 100 D-33098 Paderborn E-Mail Bigga mailupbde

  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche
  • BartschBuumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung
  • DittrichFrantaLuumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene
  • KessnerBraukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen
  • MethfesselSchlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung
  • BartschBrandstaumldter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung
  • Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft
  • Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen
  • Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche
  • Rezension

Taxonomie der Lernwege

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Tab 1 Merkmale von Handlungen (Quelle Edelmann 2000 Gudjons 2001 Peterszligen 2009)

Merkmal Erlaumluterungen

zielgerichtet Lernen muss Sinn haben ein sinnstiftendes Ziel eine bewaumlltigbare Aufgabenstellung eine selbst gestellte (motivierende) Herausforderung Es gibt Leitlinien (Kriterien fuumlr den Prozess fuumlr das Produkt) die indizieren ob und wie das Ziel erreicht wurde Das Ziel ist realistisch (angemessenes Anspruchsniveau) dh es muss mit den zur Verfuumlgung stehenden Mitteln Fertigkeiten und der Zeit auch erreichbar sein

geplant Ein Handlungsschema wird entwickelt Teilhandlungen werden in einen groumlszligeren Sinnzusammenhang gebracht Effizientes Handeln ist dabei stabil-flexibel (grundsaumltzliches Festhalten am Ziel bei variablen Eingehen auf situative Bedingungen) Bei der Faumlhigkeit zur Antizipation von Handlungsablaumlufen und Handlungsergebnissen stoszligen Lernende naturgemaumlszlig an ihre Grenzen

selbststaumlndig Die Entwicklung eines Denk- und Handlungsschemas liegt in der Verantwortung des Lernenden die Handlungsplanung wird nicht von der Lehrkraft vorgegeben Allerdings sind Hilfestellungen notwendig wo liegt das Problem im Handlungsablauf (vgl Denkfoumlrderung in Dubs 2009) Selbstaumlndig muss nicht bdquoalleineldquo heiszligen Die Abstimmungsprozesse und Entscheidungen die in Lerngruppen zu treffen sind sind konstitutive Merkmale handlungsorientierten Lernens beduumlrfen jedoch auch der Instruktion (Helmke 2010 S 207-208)

vollstaumlndig Handlungen umfassen grundsaumltzlich Planung Durchfuumlhrung und Kontrolle Das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung ist zum Aufbau von Verantwortlichkeitskonzepten unumgaumlnglich

mehrperspektivisch

Die Lernenden wechseln die Perspektive sie sind Ausfuumlhrende und Beurteilende des Handlungsablaufs und Handlungsergebnisses Handeln wird von Metakognitionen begleitet Sprechen uumlber das Tun foumlrdert den Erkenntnisgewinn uumlber das Tun

Lernen am Modell durch Beobachtung und vor allem das nachahmende Uumlben ist wirksames Lernen ndash wenn die Lehrerdemonstration gut ist (Dubs 2009 S 187) Auch in der Schulkuumlche fertigen die Lernenden planvoll und gezielt ein Produkt (eine Speise) nach vorgegebener schriftlicher muumlndlicher und praktischer Anlei-tung an Hier sind nicht erarbeitende problemloumlsende Unterrichtsverfahren son-dern darbietende Methoden hilfreich die sich auf eine Grundkompetenz im Lehr-

Taxonomie der Lernwege

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beruf naumlmlich klare und gut nachvollziehbare Anleitungen geben zu koumlnnen stuumlt-zen (vgl dazu Grundform 2 Vormachen in Aebli 2011 S65-80 vgl dazu Ausdrucksstarke Anleitungen in Sennett 2009 S240-284) Tab 2 Fertigkeiten lernen (nach Peterszligen 2009)

Schritte im Lernprozess

Anforderungen Hilfestellungen wo liegt das Problem

Planung Ruumlsten des Arbeitsplatzes Koordination der einzelnen Arbeitsschritte Hilfestellungen zum Leseverstaumlndnis bei schriftlichen und graphischen Rezept-Darstellungen gute Visualisierung des Zielzustandes um die Antizipation desselben zu unterstuumltzen

Durchfuumlhrung Gute (muumlndliche schriftliche praktische) Schritt-fuumlr-Schritt Anleitungen gute Demonstrationen (Vormachen-Nachmachen) mit begleitendem Sprechhandeln (Dubs 2009 S 187-188) Vorausschauendes Eingreifen zur Korrektur von fachlichen Fehlern bei kritischen Gefahrenpunkten um auch ein Sicherheits- und Hygienebewusstsein aufzubauen Vgl Direktes Unterricht nach Grell J in Wiechmann 1999 S 35-49 Instruktion und Unterweisung in Terhart 1989 sowie die Ausfuumlhrungen in Sennett 2009 zu bdquoDie Handldquo S 201 und bdquoFaumlhigkeitldquo S 355)

Bewertung Auswertung der Ergebnisse Produkt- und Prozesskriterien Selbst- und Fremdkontrolle

Das Ziel naumlmlich den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten kann im Arbeitsunter-richt nur durch wiederholten Vollzug erreicht werden (Baumgartner 2011)

bull Uumlbung aumlhnliche Inhalte Aufgaben haben eher exemplarischen Charakter bull Drill Uumlberlernen durch Wiederholen (gleicher Inhalt sehr oft sehr lange)

sodass die Taumltigkeiten quasi bdquoautomatischldquo in die Handlung einflieszligen (zB Schneidetechniken Hygiene Sicherheit Ordnungsarbeiten)

bull Training schrittweise Leistungssteigerung bei gleichem Inhalt mit steigen-den Anforderungen

bull Probehandeln Handeln im bdquoAls-ob-Modusldquo wie es in der berufliche Bil-dung im Rahmen von Groszligkuumlchenunterricht der Fall ist (vgl dazu das Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung)

Dass bdquoArbeiten ohne Anleitungldquo als bdquokreativesldquo Tun interpretiert wird ist ebenso vermessen wie von sporadisch durchgefuumlhrten praktischen Taumltigkeiten schon Koumln-nerschaft zu erwarten Kreativitaumlt setzt Koumlnnerschaft voraus in groszligen Zeitabstaumln-den (woumlchentlich vierzehntaumlgig) einmalig durchgefuumlhrte praktische Taumltigkeiten fuumlhren sicher nicht zur Ausbildung von Routinen

Taxonomie der Lernwege

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222 Handeln lernen

Tab 3 vollstaumlndige Handlungen (kompiliert aus Peterszligen 2009 S 20 S 45 S 173)

Schritte im Handlungs-ablauf

Wo liegt das Problem Wo werden Lernhindernisse auftreten

Methodische Hilfestellungen

Informieren Ist der Arbeitsauftrag bzw Arbeitsumfang klar Muumlndliches und schriftliches Sprachverstehen Sind Lernende in der Lage den Zielzustand zu antizipieren

Leittexte (Leitfragen Leitsaumltze) Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lesetraining Bilder die den Zielzustand zeigen

Beraten und Entscheiden

Soziale Organisation in der LerngruppeLernpartner Gemeinsam in der Lerngruppe wird das Vorgehen gedanklich durchgespielt Partnerschaftliche Arbeitsteilung Zustaumlndigkeiten und Verantwortlichkeiten werden geregelt

Zufallsprinzip (Lose) Zuweisung oder freie Wahl Bild- und Textkarten zum Legen der Handlungsabfolge Checklisten fuumlr einzelne Taumltigkeiten

Ausfuumlhren Sachlogische Reihenfolge Vorarbeiten ndash Durchfuumlhrung ndash Nacharbeiten Fehler sofort korrigieren damit sich keine falschen Routinen einschleichen Zu den Vollendungsarbeiten zaumlhlt nicht nur das Anrichten und Praumlsentieren der Speisen sondern ebenso das Aufraumlumen des Arbeitsplatzes (bdquoNacharbeitenldquo)

Orientierung in der Kuumlche (Inventarsysteme) und angemessen ausgestattete Arbeitsplaumltze Bildtafeln fuumlr grundlegende Arbeitstechniken

Kontrollieren Schon waumlhrend der Handlung wird das Endprodukt mit dem Zielzustand verglichen Wie kann eigenstaumlndig das Erreichen des Zielzustandes festgestellt werden

Kontrollboumlgen mit Indikatoren die anzeigen wann der Zielzustand erreicht ist

Bewerten Produkt fachlich-sachliche Richtigkeit des Handelns Prozess soziales Verhalten (Kommunikation Kooperation Konfliktbewaumlltigung) Entwicklung von Bedeutsamkeits- und Verantwortlichkeitskonzepten

Gelenktes Fachgespraumlch Pensenbuch Lernpass zur Selbstbewertung ICH habeWIR haben

Taxonomie der Lernwege

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Die einzelnen Phasen im Handlungsablauf bieten sich als Anker sowohl fuumlr die schulpraktischen Vor- und Nachbereitungen fuumlr die Fachpraxis also auch fuumlr die Foumlrderung des metakognitiven Bewusstseins (zB Dubs 2009 S 328-341) bei Ler-nenden an

Die Handlung bdquoNahrung zubereitenldquo umfasst neben den einschlaumlgigen hand-werklich-technischen Kuumlchenfertigkeiten auch das Kuumlchenmanagement (Arbeits-organisation unter Beachtung von Sicherheits- und Hygienerichtlinien bei Beschaf-fung Lagerung Zubereitung Aufbewahrung und Ausgabe von Speisen) sowie das Gestalten von Essenssituationen unter Beruumlcksichtigung kultureller Fragen subjek-tiver Motive und Problemlagen menschlichen Ernaumlhrungshandelns Auch wenn Alltagssituationen wie die taumlgliche Ernaumlhrungspraxis gerne trivialisiert werden die Zubereitung einer Tagesmahlzeit ist ein anspruchsvoller weil komplexer Lernan-lass fuumlr eine Lerngruppe gekennzeichnet durch Polytelie und Paradigmenvielfalt

3 Ernaumlhrung ndash ein weitlaumlufiges Lernfeld

Die Ernaumlhrung des Menschen ist ein weitlaumlufiges Wissensgebiet mit zahlreichen Bezugswissenschaften die sich spezielleren Fragen der Ernaumlhrung des Menschen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven methodischen Zugaumlngen Arbeitsweisen und theoretischen Modellen unter Ruumlckgriff auf die einschlaumlgigen fachlichen Sys-tematiken und Begrifflichkeiten zuwenden Von Atomen und Elementen uumlber Zell-strukturen biologischer Organismen bis hin zu sozialen Gruppen Gesellschaften und Zivilisationen werden saumlmtliche Wissensgebiete durchlaufen Physik Chemie Biologie Psychologie Soziologie und Kulturwissenschaften liefern eine Fuumllle von Theorien und Gesetzmaumlszligigkeiten

Weil die Ernaumlhrung des Menschen in Verbindung mit allen Lebensbereichen steht spricht der Soziologe Marcel Mauss (1968 S 17) von einem totalen gesell-schaftlichen Phaumlnomen bei dem alle Arten von Institutionen gleichzeitig zum Ausdruck kommen religioumlse rechtliche moralische oumlkonomische aumlsthetische ebenso wie technisch-instrumentelle Aus dieser Tatsache leitet sich auch der An-spruch an Ernaumlhrungsbildung in der Schule ab diese nicht auf normative Ernaumlh-rungserziehung zu reduzieren und zu verzwecken (bdquoHauptsache gesundldquo) sondern Bildung im Sinne der Faumlhigkeit die Phaumlnomene der Welt aus unterschiedlicher Perspektive bdquolesenldquo zu koumlnnen (Dressler 2006) zu verstehen

Eine in diesem Sinn verstandene Ernaumlhrungsbildung (nutrition literacy) soll zu einem reflektierten Verhaumlltnis zu sich zur Sache und zur Welt fuumlhren (Buchner 2013 S 9)

31 Praxis Anwendung welchen Wissens

Schulisches Lernen im Lernfeld Ernaumlhrung ist einer angewandten Lehre und hand-lungsorientierten Didaktik verpflichtet und Ernaumlhrungspraxis im Sinne von Nah-

Taxonomie der Lernwege

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rungszubereitung ist seit jeher ein zentrales Element im Fachunterricht Die uumlber die unmittelbare sinnaumlsthetische Erfahrung beim praktischen Tun zwangslaumlufig hervorgerufene emotionale Beteiligung die jeden Lernprozess begleitet ist eine nicht zu unterschaumltzende Qualitaumlt des Lernens in der Schulkuumlche

Wenn in Anlehnung an Weinert (1998) bdquoguterldquo Unterricht jener ist in dem bdquomehr gelernt als gelehrt wirdldquo3 dann koumlnnte man annehmen dass praktischer Unterricht in der Schulkuumlche per se bdquogutldquo ist weil hier vielfaumlltige Lernhandlungen stattfinden Beim Lob der Praxis wird ja stets auch darauf hingewiesen dass das bdquoVieleldquo eben nicht zur Gaumlnze formal definiert werden kann und gelingende Unter-richtsverlaumlufe einen Schatz impliziten Wissens Einstellungen und Haltungen (vgl Definition Kompetenz) sichtbar machen der auch Schuumllerinnen und Schuumllern mit weniger uumlberzeugenden formalen Lernleistungen eine gute Performanz beschei-nigt

Angesichts der Komplexitaumlt sowohl des Lerninhalts Ernaumlhrung des Menschen als auch der Vielfalt moumlglicher Lernerfahrungen beim Handeln in der Schulkuumlche erachte ich es fuumlr die Studierenden in der Ausbildung als notwendig eine grundle-gende (fach)didaktische Frage als Schluumlssel fuumlr die fachspezifische Unterrichtspla-nung in den fachpraktischen Uumlbungen zu klaumlren

Um die Anwendung welchen Wissens geht es

Welche Denkprozesse sollen gefoumlrdert werden und werden daher bei der jeweili-gen praktischen Anwendung in den Fokus gestellt Neben der Analyse der allge-meinen situativen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen lautet die inhaltliche Pruumlffrage unterstuumltzt der besondere Bildungsgehalt des ge-waumlhlten Themas das angestrebte Ziel des Fachunterrichts in der Schulkuumlche

Geht es um die Foumlrderung von sozial-integrativem Verhalten (agrave Soziales Ler-nen) von sinnerfassendem Lesen einer Rezeptanleitung (agrave Schluumlsselkompetenz mutter- oder fremdsprachliche Kompetenz) und Selbststaumlndigkeit in der Arbeitsor-ganisation (agrave Denk- und Handlungsstrategien entwickeln) oder agrave Kulturtechnik und kulinarisches Handwerk in der Kuumlche technisch-praktischem Verstaumlndnis bei der Nahrungszubereitung (agrave angewandte PhysikChemieTechnik) der Unterstuumlt-zung eines neugierig fragend- und forschenden Interesses bei 10-14jaumlhrigen (agrave naturwissenschaftliches Weltverstehen) oder um Meinungsbildung als Basis muumln-diger Entscheidungen (agrave politische Bildung)

Dementsprechend unterschiedlich sind dann auch die theoretischen Grundla-gen auf denen die Unterrichtsplanung basiert Professionalitaumlt im Lehrberuf entwi-ckelt sich wenn das Handeln in komplexen Ausbildungssituationen zu einem sys-tematischen Unterfangen wird bei dem die Studierenden sowohl das Spezifische einer Situation (Praxis) als auch das hinter dem konkreten Fall liegende Allgemei-ne (das potenziell Generalisierbare ndash die Theorie bzw das Paradigma) zu erken-nen vermoumlgen (vgl EPIK 2009)

Taxonomie der Lernwege

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32 Ernaumlhrungspraxis

Grundlage zur Definition von Ernaumlhrungspraxis4 sind der Lehrplan der Sekundar-stufe 1 sowie die im Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich (EVA) ausgewiesenen Inhalts- und Handlungsdimensionen der ein-zelnen Teilkompetenzen Tab 4 Das Verstaumlndnis von Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung fuumlr die

Sekundarstufe 1

Ernaumlhrungsbildung - Teilkompetenzen (EVA)

Daraus abgeleitete Inhalte und Handlungsdimensionen fuumlr die fachpraktischen Uumlbungen

Das eigene Essverhalten reflektieren und bewerten

Ernaumlhrungsbiografien im Spiegel von Raum (lokal-global) Zeit (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und Person (intra- und interpersonale Faktoren - psychische soziale und kulturelle Einfluumlsse auf das individuelle Essverhalten) verstehen Paradigma ein metakognitives Bewusstsein entwickeln

Sich vollwertig (bedarfsgerecht) ernaumlhren koumlnnen

Evidenz basiertes Wissen uumlber die Inhaltsstoffe unserer Nahrung (Bedarf Aufgaben Vorkommen in Lebensmitteln kuumlchentechnische Eigenschaften) erwerben Paradigma naturwissenschaftliches Verstehen foumlrdern

Eine empfehlenswerte Lebensmittelauswahl treffen

Entscheidungen zur Auswahl von Lebensmitteln aus dem Essenskreisder Ernaumlhrungspyramide nach differenzierten Gesichtspunkten argumentieren (Preis Umwelt- und Sozialvertraumlglichkeit Gesundheitswert Genusswert) Paradigma Urteils- und Handlungsfaumlhigkeit in divergenten Wirklichkeiten

Nahrung naumlhrstoffschonend zubereiten

Gartechniken uumlben bzw erproben (Sicherheit Hygiene Kulturtechniken im Vergleich) Physikalisch-chemische Phaumlnomene bei der Nahrungszubereitung erkennen und nutzen (angewandte Naturwissenschaften) Paradigma handwerklich-technische Fertigkeiten erwerben (effizientes und effektives Arbeiten)

Ernaumlhrung im Alltag nachhaltig und gesundheitsfoumlrderlich gestalten

Haushaltsmanagement Tagesmahlzeiten planen und zubereiten gemeinsam Essenssituationen gestalten (Esskultur lernen) Paradigma selbststaumlndiges und sozial-integratives Handeln lernen

Taxonomie der Lernwege

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Aufgrund der eingangs geschilderten Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschu-le werden sich die fachpraktischen Uumlbungen im Schulunterricht einem ausgewaumlhlten Verstehensweg zuwenden muumlssen Um einem umfassenden Bildungsanspruch ge-recht zu werden werden die Studierenden in der Fachdidaktik angehalten mittelfris-tige Planungen (5-6 Einheiten) als Basismodule und Erweiterungsangebote zu konzi-pieren die jeweils einen relevanten Ausschnitt der Ernaumlhrungspraxis in den Fokus stellen Diese Reduktion und Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg in den fachpraktischen Uumlbungen wird im Folgenden didaktische Konzeption genannt

4 Didaktische Konzeptionen fuumlr die Fachpraxis

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Lernwege besteht in dem der Hand-lung zugrundeliegendem Paradigma bdquoWorin liegt der besondere Erkenntnisge-winn Was soll der Schuumllerdie Schuumllerin tunldquo Das Paradigma oder die Kernidee beschreibt das was letztlich erreicht und verstanden werden soll und ndash salopp for-muliert ndash auch noch nachdem die Schulkuumlche verlassen wurde angewendet werden kann

Worin besteht das Besondere was enthaumllt dieser Lernweg als bestimmende Ka-tegorie und worin unterscheidet er sich von anderen Als Deskriptoren werden in der als Matrix dargestellten Taxonomie modelltypische Phasen im Unterrichtsver-lauf skizziert die fuumlr das Erreichen der Zielvorgabe (Faumlhigkeitsbereich) unabding-bar sind Moumlgliche Themen geeignete Sozialformen typische Lernaufgaben sowie das Lernen unterstuumltzende Materialien ergaumlnzen die Uumlbersicht beispielhaft Jeder Lernweg verlangt dass sich die Studierenden neben der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung des gewaumlhlten beispielhaften Lerninhaltes mit den jeweils spezifischen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Bedingtheiten des ge-waumlhlten Paradigmas befassen und die subjektiven Lernvoraussetzungen ihrer Schuuml-lerinnen und Schuumller mit einbeziehen

Lernprozesse die wir im Unterricht ausloumlsen und steuern sollen dem Schuumller [sic] in der Regel neue Moumlglichkeiten des Handelns und des Erlebens also des Denkens Fuumlhlens und Wertens eroumlffnen Sie sollen sich in einem Wissen niederschlagen aus dem der Schuumller [sic] in neuen Situationen richtig zu handeln und zu urteilen vermag und das ihn befaumlhigt emotional angepasst zu reagieren und Dinge die Gegenstand von Wertungen sind richtig zu beurteilen (Aebli 2011 S 277)

Die Taxonomie der Lernwege fuumlr die Fachpraxis trifft keine Werturteile Jede hier verortete didaktische Konzeption ist per se zulaumlssig weil sie den Vorgaben des Lehrplans entspricht und dem Referenzrahmen Ernaumlhrungsbildung zuarbeitet Le-diglich im gegebenen situativen Kontext ist eine Konzeption mehr oder weniger zielfuumlhrend Die Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg fuumlr zumindest 5-6 Lehreinheiten (mittelfristige Planung mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Lehreinheit) erscheint jedoch notwendig um eine Kompetenzentwicklung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden uumlberhaupt zu ermoumlglichen

Taxonomie der Lernwege

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Tab 51 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (1)

Kategorie NAWI-Lernfeld GESO-Lernfeld

Paradigma Naturwissenschaftliches Den-ken

(Moralische) Urteilsbildung

Modellphasen Muster im Lernweg

1 Beobachten und Wahrneh-men (mit allen Sinnen) 2 Beschreiben (messen wiegen analysieren) Wahrnehmungen objektivieren 3 Ursache-Wirkungs-Gesetzmaumlszligigkeiten erforschen Versuche und Experimente in der Kuumlche (wenn ndash dann) 4 Schlussfolgerungen fuumlr die Nahrungszubereitung (Transfer in den Kuumlchenalltag)

1 Beobachten und Wahrnehmen relevante Kriterien fuumlr die unterschiedlichen Kategorien von Lebensmittelqualitaumlt 2 Vergleiche nach differenzierten Gesichtspunkten das eine und das andere 3 Folgen einer Entscheidung abschaumltzen (Szenarien antizipie-ren) 4 Bewerten und begruumlnden (Rangreihen bilden)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Naturwissenschaftliche Phaumlno-mene im Alltag erkennen und nutzen

Argumentieren die den Normen zugrunde liegenden Werte vertreten

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Mit allen Sinnen wahrnehmen und genieszligen Die Inhaltsstoffe unserer Nah-rung bdquoerforschenldquo Angewandte Chemie Physik Technik in der Kuumlche

Lebensmittelgruppen und Ernaumlhrungsempfehlungen aus differenzierter Sicht (Gesundheit Nachhaltigkeit Kultur) Lebensmitteltechnologien Kaufen oder Selbermachen

Sozialform EA PA EA PA KG

Lernaufgabe Forschungsfragen Fallbeispiel

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Beurteilungsboumlgen fuumlr Sensori-sche Tests Merksaumltze bdquoFor-schungsfibelnldquo

Visualisierungshilfen fuumlr Kategorien Guumltesiegel fuumlr Nachhaltigkeit Entscheidungs-Matrix

Hinweise (1) Der sinnaumlsthetische Zugang ndash der quasi bdquonatuumlrlichsteldquo Zugang zur Ernaumlhrung des Menschen (vgl Buchner Kernbichler amp Leitner 2011 S 66) ndash wird als fachspezifische Methode verstanden die in allen Konzeptionen zum Ein-satz kommt (sensorische Bewertung der hergestellten Speisen Verkostungen Wa-rentests vergleichende Produktbewertungen) aber per se noch kein Paradigma erschlieszligt (2) Da das biografische Lernen nicht an den Lernort Schulkuumlche gebun-den ist findet dieser Praxisbezug keinen Einzug in die Taxonomie

Taxonomie der Lernwege

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Tab 52 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (2)

Kategorie Praktisches Lernen Selbstaumlndigkeit lernen

Paradigma Fertigkeiten lernen ICH

Sozial-integratives Lernen WIR

Modellphasen Muster im Lern-weg

Arbeitsunterricht Erlernen handwerklicher Taumltigkeiten 1 Vorbereiten (Ruumlsten) 2 Durchfuumlhren der Taumltigkeit (wiederholter Vollzug) 3 Bewerten des Arbeitsergebnis-ses (Produkt Prozess)

Problemorientiertes Lernen Selbstaumlndig vollstaumlndige Handlungsablaumlufe planen ausfuumlhren und kontrollieren 1 Informieren 2 Planen 3 Entscheiden 4 Durchfuumlhren 5 Kontrollieren (Ziel er-reicht) 6 Bewerten (Produkt Pro-zess)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Effizientes und effektives Arbei-ten in der Kuumlche

Haushaltsmanagement in variierenden Alltagssituatio-nen

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Lehrgang Gartechniken Konservierung Produkte und Dienstleistungen aus der Kuumlche (Geschenke aus der Kuumlche gesunde Schuljause)

Die Mahlzeiten des Tages Die bdquoZauberformel fuumlr gesunde Ernaumlhrungldquo anwenden kulturelle Uumlbersetzungen fuumlr bdquorichtigeldquo Mahlzeiten Kulinarische Weltreisen (Gast sein hier und anderswo) Food Design

Sozialform EA PA KG

Lernaufgabe Arbeitsauftrag Problemstellung

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Leittexte Rezeptkarten Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lehrfil-me

Leittexte Checklisten zur Arbeitsorganisation zur ProduktProzessbewertung Pensenbuumlcher

Taxonomie der Lernwege

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Ausblick

Die Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschule erfordern ein forciertes Vor-gehen bei der fachspezifischen Unterrichtsentwicklung Im Rahmen ihres Studiums an der Paumldagogischen Hochschule Salzburg arbeiten die Studierenden an bdquoLehrstuuml-ckenldquo (Wiechmann 1999) fuumlr Lernwege und erproben diese Planungen im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien Die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis arbeitet der (schul-)praktischen Ausbildung zu

Zu Studienbeginn erproben Studierende kuumlrzere Unterrichtssequenzen in de-nen einerseits das Training von Fertigkeiten im Zentrum steht (gute muumlndliche schriftliche praktische Anleitungen geben koumlnnen) und andererseits die sensori-sche Produktbewertung als genuin fachspezifische Methode zur Anwendung kommt

In den Folgesemestern wird das fachspezifische Methodentraining dahingehend erweitert dass das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung im (schul)praktischen Un-terricht umgesetzt werden kann

Das NAWI und GESO Lernfeld wird in den houmlheren Semestern in denen Stu-dierende bereits uumlber einen laumlngeren Zeitraum die Klassenfuumlhrung uumlbernehmen verfolgt

Professionalitaumlt im Lehrberuf bedeutet ebenfalls dass behauptete Ursache-Wirkungszusammenhaumlnge auch empirisch bewiesen werden koumlnnen Insofern ist die Taxonomie der Lernwege auch ein Ausgangspunkt fuumlr die Generierung von Hypothesen im Rahmen einer wissenschaftsorientierten Auseinandersetzung mit Unterricht in der Schulkuumlche und seiner Bildungswirksamkeit wie dies in der ab-schlieszligenden Bakkalaureatsarbeit unter Beweis zu stellen ist

Anmerkungen 1 Naturwissenschaftlich und mathematischer Schwerpunktbereich (SP) sprachli-

cher humanistischer und geisteswissenschaftlicher SP musisch-kreativer SP (je-weils eine Wochenstunde) oumlkonomisch und lebenskundlicher einschlieszliglich pra-xisbezogener SP (drei Wochenstunden)

2 Europaumlischer Referenzrahmen Schluumlsselkompetenzen fuumlr lebenslanges Lernen [httpeceuropaeudgseducation_culturepublpdfll-learningkeycomp_depdf]

3 In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Franz E Weinert in Freund J Gruber H amp Weidinger W (Hrsg) (1998) Guter Unterricht - Was ist das As-pekte von Unterrichtsqualitaumlt (S 7-18) Wien OumlBV Paumldagogischer Verlag

4 Zur Bestimmung von Ernaumlhrungspraxis siehe auch das Glossar von REVIS

Taxonomie der Lernwege

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Literatur

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Taxonomie der Lernwege

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Verfasserin

Maga Ursula Buchner

Paumldagogische Hochschule Salzburg

Akademiestraszlige 23 A-5020 Salzburg

E-Mail ursulabuchnerphsalzburgat Internet wwwphsalzburgat

Lernort Kuumlche

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Silke Bartsch und Petra Buumlrkle

Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung Den Rahmen fuumlr die Anspruumlche an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung bietet das REVIS-Bildungsziel 3 Die Nahrungszubereitung wird als ein methodischer Zugang mit vier Phasen (Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen Nachbereitung) verstanden Gezeigt wer-den soll dass aus einer theoriegeleiteten Praxis didaktisch-methodische Gestaltungsmoumlglich-keiten im Umgang mit diesen Phasen erwachsen die Lehren und Lernen erleichtern

Schluumlsselwoumlrter Schulkuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

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Einleitung

Nach dem REVIS zugrunde liegenden Bildungsverstaumlndnis von Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (EVB) hat die Fachpraxis Ernaumlhrung folgende Aufgabe bdquoDamit Fertigkeiten und Faumlhigkeiten als zentrale Elemente von Kompetenz Grundlage fuumlr eigenverantwortliches Handeln werden koumlnnen muumlssen sie theoretisch geleitet transferfaumlhig und reflektiert angeeignet genutzt und weiterentwickelt werdenldquo (Onli-ne-Glossar zur EVB1) Das dazugehoumlrige REVIS-Bildungsziel 3 legt in seiner Inter-dependenz mit dem uumlbrigen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildungscurriculum2 somit die Grundlagen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Schuumllerinnen und Schuumller sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen Dazu gehoumlrt dass sie hellip Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnen hellip Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinn-lichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumlnnen hellip Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwen-den koumlnnen hellip Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnen (Fachgruppe EVB 2005)

Damit wird ein kompetenzorientierter Anspruch an eine theoriegeleitete Fachpraxis Ernaumlhrung formuliert der uumlber die tradierte fachpraktische Nahrungszubereitung deutlich hinausgeht Gleichzeitig sehen sich viele der Lehrerinnen (und Lehrer3) in sogenannten Lehrkuumlchen stehen die nach tradierten Lernzielvorstellungen konzipiert

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sind Entsprechend unterrichten Lehrerinnen Nahrungszubereitung noch haumlufig nach tradierten Lernzielvorstellungen Trotz fantasievoller Einstiegsszenarien die den Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen suchen sind es uumlberwiegend ge-schlossen konzipierte Unterrichtseinheiten mit Lehrgangscharakter die der Systema-tik des Lehrbuches folgen Oft wird dies durch die vorgegebene Stundenaufteilung und der Raumaufteilung (Theorieraum und Schulkuumlche) bdquobegruumlndetldquo In vielen Schulen wird nach dem Muster bdquoPraxis folgt Theorieldquo unterrichtet Bei der fachprak-tischen Arbeit in den Schulkuumlchen fuumlhlen sich Lehrende vielen Belastungen ausge-setzt Geraumluschkulisse hoher Beratungsbedarf der nur selten warten kann Schuumller und Schuumllerinnen die auf das gemeinsame Essen fixiert sind und das alles im 45-Minuten-Takt Ritualisierte Unterrichtsmuster werden von vielen daher als Entlas-tung empfunden

In unserem Beitrag soll der Anspruch des REVIS-Konzepts an die Fachpraxis Ernaumlhrung zusammenfassend vor dem Hintergrund der damit verbundenen Heraus-forderungen fuumlr die Nahrungszubereitung betrachtet werden um einen Rahmen fuumlr die didaktisch-methodischen Uumlberlegungen zu umreiszligen und damit (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer zu bestaumlrken neue Wege zu gehen Entsprechend leitet fol-gende Frage unsere Ausfuumlhrungen

Welche konkreten Ansatzpunkte koumlnnen im Sinne der Kompetenzorientierung eine handlungsorientierte Nahrungszubereitung foumlrdern und gleichzeitig zur Entlas-tung der Lehrenden im Spagat zwischen Anspruch und Schulwirklichkeit fuumlhren

Dazu wird zunaumlchst die Begriffsverwendung geklaumlrt und heutige Herausforde-rungen an die Lehrenden beschrieben um dann auf der Grundlage des Anspruchs an eine kompetenzorientierte Nahrungszubereitung ausgewaumlhlte Ansatzpunkte zu den Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung zu konkretisieren

1 Fachpraxis Ernaumlhrung

11 Begriff Fachpraxis Ernaumlhrung

Da besonders im (Schul-)Alltag die Begriffe Nahrungszubereitung Fachpraxis Ernaumlhrung und zuweilen auch noch Kochen synonym verwendet werden ist erst mal zu klaumlren welche Begriffsverwendung gemaumlszlig dem Anspruch an eine kompe-tenzorientierte Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung uumlblich ist Unter Ernaumlhrungs-praxis versteht man im schulischen Kontext meist den bdquoauf die Nahrungszuberei-tung bezogene Teil der Ernaumlhrungsbildungldquo (Online-Glossar zur EVB4) Intendiert ist Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln bdquodie zur Anwendung der ernaumlh-rungswissenschaftlichen Erkenntnisse im Alltag und Beruf notwendig sindldquo (ebd) Zur intendierten bdquoNutrition Literacyldquo gehoumlrt die Grundorientierung eines bdquonachhal-tigen Konsumsldquo sowie ein bdquokulturelles Verstaumlndnis der Fachpraxis Ernaumlhrungldquo (vgl Methfessel 2005 Methfessel Schlegel-Matthies in diesem Heft)

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Methodische Zugaumlnge

Anknuumlpfend an die Arbeiten von Tornieporth va aus den 1990er Jahren ist auch Konsens dass Nahrungszubereitung nur eine der moumlglichen methodischen Umset-zungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung ist Daher ist fuumlr die nachfolgenden Ausfuumlh-rungen grundlegend dass die Fachpraxis Ernaumlhrung weder Inhalte noch Methode begruumlndet sondern vielmehr didaktisch-methodische Entscheidungen erfordert die ihrerseits im jeweiligen Unterrichtsarrangement verankert werden muumlssen

In unserem Beitrag interessieren methodische Zugaumlnge die eine Nahrungszube-reitung (= Ernaumlhrungspraxis) einschlieszligen um an diesem bevorzugt gewaumlhlten Zu-gang zur Fachpraxis Ernaumlhrung die Anspruumlche und Herausforderungen an eine theo-riegeleitete Fachpraxis zu verdeutlichen Das sind beispielsweise SchmeXperimente (Oepping 2005) Lehrgaumlnge zB Schneidelehrgaumlnge) Zubereitung einer Mahlzeit oder Speise etc Schuumllerwarentests oder Markterkundungen Fachexkursionen (zB zu Orten der Lebensmittelproduktion) sind beispielsweise Methoden der Fachpraxis Ernaumlhrung die nicht zwingend eine Nahrungszubereitung vorsehen

12 Schulkuumlche und Lernwerkstatt als fachdidaktische Konzepte

Uumlber den heutigen Zustand und die Ausstattung von Schulkuumlchen gibt es keine aktu-elle Studie Die in der EIS-Studie beschriebenen Unzulaumlnglichkeiten in deutschen Schulkuumlchen der Sekundarstufe I und ihr hoher Stellenwert bei der Nahrungszuberei-tung als genuine Domaumlne der haushaltsbezogenen Bildung sowie der Sinnesbildung waren daher Anlass im Rahmen des REVIS-Modellprojekts5 eine mobile Esswerk-statt (MEW) zu entwickeln und einen didaktischen Rahmen fuumlr Lernwerkstaumltten vor-zulegen Schlieszliglich sind die vorhandenen Fachraumlume und deren Ausstattung maszlig-gebliche Einflussfaktoren auf die Gestaltung der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Kuumlche [als kulturelles Regelwerk Anmerkung der Autorinnen] bestimmt (also auch) die Auf- und Abwertung von Lebensmitteln durch die damit verbundenen Speisen Zubereitungsarten und Technologien (Methfessel 2005 S 13)

Die in den Schulen noch haumlufig anzutreffenden bdquoLehrkuumlchenldquo folgen tradierten Emp-fehlungen wie sie beispielsweise in einem Merkblatt fuumlr Bau und Einrichtung von Fachraumlumen im Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt aus dem Jahr 2003 zu finden sind Eine Schulkuumlche kann mit Gruppeninseln 4-Kojen und Essbereich 4-Kojen Essbereich und Vorraumlume Gruppeninseln und Essbereich U-Kojen und Essbereich und L-Kojen und Essbereich als Laborkuumlche ausgestattet sein Der Hinweis auf so-genannte bdquoFachnebenraumlumeldquo mit bdquoTheorie- und Essraumldquo die als bdquoErgaumlnzung der Schulkuumlcheldquo dienen (vgl Landesinstitut fuumlr Erziehung und Unterricht Stuttgart 2003) wird von vielen Lehrerinnen (und Lehrern) beherzigt

Dem steht das Lernwerkstattkonzept entgegen wie es beispielweise an der Uni-versitaumlt Paderborn6 umgesetzt wurde Idee ist eine Schulkuumlche mit Werkstattcharak-

Lernort Kuumlche

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ter und integriertem Seminarbereich um vielfaumlltige fachpraktische Zugaumlnge zu er-moumlglichen und Theorie und Praxis auch raumlumlich zu verknuumlpfen

Anstehende Renovierungen in den Schulen bieten hier Chancen nicht nur die Einrichtungen sondern auch die Fachraumkonzepte zu uumlberdenken und zu moderni-sieren

Eine Mobile Esswerkstatt (MEW) ist eine bewegliche kleine Kuumlchen-einheit die mit einer Grundausstat-tung (Glas-Keramik-Kochfeld mit zwei Kochstellen Backofen An-schlusskabel vier Steckdosen fuumlr den Anschluss von elektrischen Geraumlten zB eines Handruumlhrgerauml-tes Besteck- und Groszligraumschub-laden fuumlr Zubehoumlr) fuumlr die Nah-rungszubereitung eingesetzt werden kann ndash allerdings ohne integrierten Wasseranschluss

Abb 1 Mobile Esswerkstatt (MEW)

13 Herausforderungen bei der Umsetzung

Unterrichtszeiten sind eine Herausforderung Zunaumlchst wecken sie (unabhaumlngig von der zeitlichen Lage im Stundenplan) aufgrund der tradierten Unterrichtspraxis Erwar-tungen an die Gestaltung nach dem bdquo1 + 2 Musterldquo (eine Unterrichtsstunde Theorie zwei Praxis) mit der Vorstellung dass schlussendlich gegessen wird Lehrerinnen die diese Vorstellungen bedienen sind bei Schuumllerinnen und Schuumllern meist beliebt Tageszeit und Essenszubereitung passen je nach Stundenplan nicht zusammen was von Lehrerinnen als Problem wahrgenommen wird ndash aber nach dem EVB-Ansatz keines ist

Unterrichtsraumlume haben Aufforderungscharakter und legen Unterrichtskonzepte nahe bdquoWann kochen wir (endlich)ldquo sind dann immer nagende Fragen der Schuumlle-rinnen und Schuumller an die Lehrenden Klassenraumlume sind zuweilen bdquoFluchtraumlumeldquo so dass nur bei Bedarf in die Schulkuumlche gegangen wird

Geringschaumltzung der Fachpraxis Ernaumlhrung Die (Auszligen-)Wahrnehmung der Nahrungszubereitung als bdquoKochunterrichtldquo wird durch eine auf Zubereitungsfertig-keiten reduzierte Fachpraxis oft von den Lehrpersonen selbst reproduziert und geht entsprechend mit einer geringen Wertschaumltzung einher (Bartsch amp Methfessel 2012)

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Anspruch an die Professionalitaumlt

Dagegen sind die Herausforderungen an ein professionelles Lehren hoch Die Schwierigkeit der Uumlbertragung und der Explikation des Themenfeldes Esskulturrsquo im Unterricht liegt ndash auszliger in der Komplexitaumlt ndash noch in anderen Zusam-menhaumlngen Erstens in den unterschiedlich gewichteten Aspekten und zweitens in der Einbindung in unterschiedliche Ebenen Hinzu kommt drittens der kulturelle Wandel der je nach Zeitepoche in der Esskultur mehr oder weniger Veraumlnderungen hervorbringt (Roumlszligler-Hartmann 2012 S 101)

Niemand kann bei jeder Unterrichtsplanung und -durchfuumlhrung im Unterrichtsalltag stets alle Aspekte beruumlcksichtigen deshalb ist die Grundhaltung entscheidend die sich in Unterrichtsroutinen wiederum niederschlaumlgt Schwerpunktsetzungen helfen bisherige Rituale zu uumlberdenken und auf ihren didaktisch-methodischen Sinn zu pruumlfen Das Theorie- und Praxisverstaumlndnis der Lehrenden ist fuumlr die fachpraktische Arbeit in der Lehrkuumlche handlungsleitend (vgl Buchner 2011) Das bedeutet auch dass sich Lehrende bei der Unterrichtsplanung fragen sollten ob eine Vernetzung von Thema und Nahrungszubereitung sowie ein Zusammenhang von Lernzielen und Unterrichtsaktivitaumlt gegeben und dieses fuumlr die Lernenden erkennbar ist (vgl Wespi amp Senn Keller 2008)

2 Anspruch an die Fachpraxis Ernaumlhrung

21 Verhaumlltnis zwischen Theorie und Praxis

Didaktische Prinzipien leiten die gesamte Unterrichtsgestaltung Kompetenzorientie-rung ist heute der grundlegende Anspruch Demgemaumlszlig gehen didaktisch-methodische Uumlberlegungen vom essenden und konsumierenden Menschen aus (Fachgruppe EVB 2005) Weitere didaktische Prinzipien die sich als foumlrderlich fuumlr den Kompetenzerwerb erweisen ordnen sich der Kompetenzorientierung entspre-chend unter

Dieser Anspruch an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung erscheint auf den ersten Blick einfach so ist doch die Anwendung durch die Praxis dabei Entsprechend der Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001 S 27f) geht es hier um transferfaumlhige Kompetenzen die Dimensionen Kognition Volition Motivation einschlieszligen und eigenstaumlndiges verantwortliches Handeln intendieren Um diesem zu genuumlgen muss die Fachpraxis theoriegeleitet sein und didaktische Prinzipien zielgerichtet beruumlcksichtigen Fuumlr eine theoriegeleitete Fachpraxis ist die Handlungsorientierung zentral sie ist vielen Lehrerinnen ein gelaumlufiger Begriff (Fachgruppe EVB 2005 S 87) haumlufig ohne das dahinterstehende Konzept tatsaumlch-lich umsetzen zu koumlnnen

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22 Handlungsorientierung und Handlungsprodukte

Das Waschen Schaumllen Schneiden einer Kartoffel ist kein handlungsorientiertes Vorgehen an sich vielmehr geht es um eine zielgerichtete reflektierte Aktivitaumlt der Lernenden (vgl Tornieporth 1995 Buchner 2002 Meyer 2007)

Handlungsorientierter Unterricht beschreibt ein Verfahren bei dem Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht wird Unter Handlungen werden ziel-gerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrnehmungen konkrete Operationen und intellek-tuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Buchner 2002 S 1)

Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist also durch Elemente des Handelns gekennzeichnet und schlieszligt nach der Handlungstheorie eine Handlungsevaluation dh Ruumlckkopplungs-prozesse ein Es liegt nahe dazu Handlungsziele in Teilplaumlne Teilhandlungen und Teilziele zu zerlegen Die Lernenden muumlssen immer wieder neu vergleichen und anpassen denn erst wenn das gesteckte Ziel erreicht ist ist die Handlung abgeschlos-sen

Ein Kind lernt durch vielmaliges Durchleben und Beteiligen dass das Handlungs-schema fuumlr eine Mahlzeit zubereitenrsquo aus mehreren Teilhandlungen besteht 1 Sich Speisen aussuchen (hellip) 2 Zutaten besorgen (hellip) 3 Nahrung zubereiten (hellip) Tisch decken und ndash nach dem Essen und Genieszligen die 5 Reinigungsarbeiten erledigen (Buchner 2011 S 129)

Das nachfolgende Beispiel weist dabei auf eine entscheidende Problematik bei der schulischen Nahrungszubereitung hin Sind Handlungsprodukte des Unterrichts nicht fuumlr alle Beteiligten transparent unterscheiden sich haumlufig Schuumllererwartungen und unterrichtliche Handlungsziele Beispiel Schuumllerinnen und Schuumller wollen schnellstmoumlglich ein Essen auf den Tisch bekommen und sind damit in erster Linie an der Fertigstellung des Essens interessiert und weniger an Handlungsprozessen Folglich lassen sie sich kaum auf Lernprozesse ein sondern bereiten ein Essen wie aus dem haumluslichen Umfeld gewohnt nach ihrem Geschmack und ihren Gewohnhei-ten zu Erwartungen und Handeln der Lernenden werden durch die haumlusliche Situati-on geleitet Aber im Unterschied dazu geht es bei der schulische Nahrungszuberei-tung nicht um eine Ernaumlhrungsversorgung sondern um Lernen Es muss folglich auch eine Lernsituation hergestellt werden Damit sind nachfolgende Anforderungen an die handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung geknuumlpft

1 Die Komplexitaumlt des Unterrichtsgegenstandes Ernaumlhrung erfordert auch klar definierte Unterrichtsziele mit Schwerpunktsetzungen in den Unterrichtsstunden bzw Unterrichtsbloumlcken

2 Die Festlegung eines Handlungsproduktes fuumlr jeden Unterrichtsblock ist ab-haumlngig vom jeweiligen Unterrichtsziel und kann auch in der Fachpraxis sehr unter-

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schiedlich sein Handlungsprodukt kann eine Mahlzeit und das gemeinsame Essen sein muss aber nicht

3 Handlungsprodukte muumlssen fuumlr Lehrende und Lernende transparent sein 4 Die gemeinsame Festlegung der Handlungsprodukte erhoumlht die persoumlnliche

Bedeutsamkeit und damit die Motivation sich darauf einzulassen sich damit ausei-nanderzusetzen und das Handlungsziel zu erreichen

5 Fachpraxis Ernaumlhrung ist eine Lernsituation fuumlr die eine Reproduktion der haumluslichen Nahrungszubereitung nicht zielfuumlhrend ist

Unterrichtsziel und Festlegung des Handlungsprodukts

Die Bereiche der Nahrungszubereitung und des Essens sind komplexe Bereiche da sie von mehreren Phaumlnomenen und Sachverhalten uumlberlappt werden (Roumlszligler-Hartmann 2012 vgl Methfessel 2005)

Die Komplexitaumlt der Thematik erfordert eine mehrperspektivische Betrachtung die mit beispielhaft entwickelten Unterrichtsmodellen wie zB bdquoTomatenkulturldquo (Tornieporth 1997) bereits in den 1990er Jahren fuumlr unsere Fachdomaumlne fuumlr einen projektorientierten Unterricht begruumlndet wurde Idee ist eine Thematik uumlber die un-terschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder zu erschlieszligen Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist dabei ein Handlungsfeld das ebenso wie die weiteren Unterrichtsbau-steine die aus den unterschiedlichen natur- und kulturwissenschaftlichen Perspekti-ven heraus entwickelt werden hinsichtlich ihres Bildungsgehaltes einer didaktischen Analyse standhalten muss Das bedeutet Jede Unterrichtsstunde bzw jeder Unter-richtsblock erfordert ein Unterrichtsziel mit klar definiertem Handlungsprodukt weil nur so die Komplexitaumlt theoretisch aufgebrochen werden kann Unterrichtsarrange-ments unterscheiden sich folglich gemaumlszlig dem festgelegten Handlungsprodukt Das kann die Situation einer Mahlzeit sein die dann einen gedeckten Tisch und gemein-sames Essen erfordert Das kann auch die Auswertung einer Supermarkterkundung sein die dann eine Praumlsentation der Erkundungsergebnisse erfordert Das koumlnnen auch bdquoProbierhaumlppchenldquo fuumlr eine sensorische Pruumlfung sein Diese hier beispielhaft skizzierten Unterrichtssituationen sind geeignet um Unterrichtsergebnisse zu reflek-tieren und zu evaluieren Reflexionsphasen sind notwendige Bestandteile eines kom-petenzorientierten Lernprozesses Wespi und Senn Keller (2008 S 20) empfehlen fuumlr Lehrende zusammenfassend Kompetenzen sollten fuumlr eine Einheit ausgewaumlhlt und festgelegt beobachtet und beschrieben (Beobachtungsinstrument) ruumlckgemeldet und interpretiert (Feedback) bewertet (Effekte bestimmt) transformiert (Selbstwirk-samkeit uumlberpruumlft) und mit der Ausgangssituation verglichen werden

Transparenz und Bedeutsamkeit eines Handlungsprodukts

Bleiben bei der Zerlegung in Teilhandlungen die (Teil-)Ziele die der Lehrenden werden die Lernenden dieses Vorgehen fantasievoll umschiffen Sind Lehr- und

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Lernziele (in)direkt Teil des Unterrichts dann koumlnnen Lernende ihre Sichtweisen einbringen und Unterrichtsprozesse mitgestalten Der Grad der Mitbestimmung kann dabei ganz unterschiedlich sein Bei Lehrgaumlngen sind es haumlufig die Lehrziele die fuumlr Lernende transparent sein sollten um deren unterrichtliche Bedeutung nachvollzie-hen zu koumlnnen Beispielsweise haben Lehrgaumlnge ihre Berechtigung zur Erreichung von Projektzielen oder bei Vorgaben wie sie beispielsweise bei der Hygieneschu-lung der Fall sind Bei Formen des forschend-entdeckenden Lernens kann das (Lern)Ziel die Loumlsung einer selbstgestellten Frage sein zB der Biskuit ist beim letzten Backen bei vielen zusammengefallen Woran kann das liegen Wie laumlsst sich das vermeiden

Durch bdquoechteldquo d h alltagsrelevante Problemstellungen (Beispiel Helfen Light-Produkte beim Abnehmen Foumlrdert ein hoher Fleischverzehr den Muskelaufbau) ist eine houmlhere Motivation zu erwarten als bei rein bdquoakademischenldquo Problemen (Bei-spiel Uumlbergewicht ein Uumlbel unserer Zeit Ursachen und Folgen) Daraus resultieren Anforderungen an die Aufgabenstellungen Aufgaben sollten komplex anwen-dungsbezogen auf konkrete Handlungssituationen sein um damit Lernprozesse in Gang zu setzen die wiederum eine umfassende Informationssuche und Vernetzung von Fachwissen und Fachkompetenzen in Gang setzen (vgl Wellensieck amp Peter-mann 2002)

Durch die im Alltag vorhandene hohe Komplexitaumlt lassen sich solche problem-orientierten Aufgaben kaum in drei Unterrichtsstunden loumlsen und legen ein projekt-orientiertes Vorgehen nahe Wie bereits bei Tornieporth (1995) die sich ihrerseits unter anderem auf reformpaumldagogische Ansaumltze des 19 Jahrhunderts bezieht sind offene Unterrichtsformen mit handlungsorientierten projektorientierten und prob-lemorientierten Vorgehen erfolgsversprechend Aktuelle Forschungen zum bdquogehirn-gerechtem Unterrichtenldquo bestaumltigen das (Terhart 2009 S 154)

Umgang mit Erfahrungen und Meinungen in der Lernsituation

Die Vielzahl von Erfahrungen (bdquoZuhause machen wir das soldquo) und daraus resultie-rende Meinungen (bdquoDas schmeckt nichtldquo) die Schuumllerinnen und Schuumller mitbringen koumlnnen bei einem subjektorientierten Unterricht die Lernprozesse bereichern Sub-jektorientierte Methoden setzen am bdquosubjektiven Vorverstaumlndnis der Lernendenldquo an und machen bdquodiese (auch) zur Arbeitsgrundlage fuumlr den Unterrichtldquo (Bartsch 2012) Subjektorientiertes Vorgehen ist nicht immer moumlglich trotzdem ist ein sensibler und offener Umgang mit Erfahrungen und Meinungen der Lernenden notwendig um den Transfer zu foumlrdern

Beispielsweise koumlnnen Schuumllerinnen die manchmal Tomaten in der Hand schneiden weil sie es so von ihren (Groszlig-)Muumlttern kennen schnell uumlberzeugt wer-den wenn sie das professionelle Schneiden ausprobieren und uumlben um es dann mit der haumluslichen Methode zu vergleichen Vor- und Nachteile abwiegend nach ver-schiedenen fachlichen Kriterien (zB fuumlr das Schneiden Sicherheit Schneideergeb-

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nis rationelles Arbeiten etc) wirkt in aller Regel uumlberzeugend Um dem Bildungsan-spruch gerecht zu werden muss ein Handlungstransfer angebahnt werden d h auch Lernende mit ihren Alltagserfahrungen ernst nehmen ohne die Fachlichkeit aufzu-geben Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lehrens und Lernens werden hier vereinfacht gesagt Menschen gestaumlrkt und Dinge geklaumlrt

23 Nahrungszubereitung im Unterricht

Werden Speisen zubereitet gibt es einen durch die Sache begruumlndeten Ablauf von vier Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung die nur bedingt austauschbar sind Die einzelnen Phasen werden zunaumlchst im folgenden Abschnitt beschrieben mit dem Ziel Anregungen zur Gestaltung der einzelnen Phasen zu ge-ben sowie Mut zu machen Handlungsprodukte entsprechend des Unterrichtsziels fuumlr die zur Verfuumlgung stehende Unterrichtszeit festzulegen und die Phasen passend dazu flexibel zu handhaben

Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoumlren saumlmtliche Planungsschritte vor dem Beginn der Speisen-zubereitung Dazu gehoumlren Rezeptwahl Rezeptbesprechung Arbeitsplanung Ein-kaufsplanung und -organisation etc

Rezeptwahl In Anlehnung an die SchmeXperimente (Oepping 2005) haben sich nachfolgende drei Kriterien fuumlr die Rezeptwahl bewaumlhrt 1 Grundnahrungsmittel oder naturbelassene Nahrungsmittel (Erweiterung des Erfahrungshorizontes) 2 Nah-rungsmittel- oder Sortenvielfalt und 3 Beitrag zum Erlernen und Uumlben von Grund-techniken der Nahrungszubereitung als Kulturwerkzeug (Weiterfuumlhrende Literatur Roumlszligler-Hartmann 2005 Bartsch 2009)

Einkauf Entsprechend der Intention des Unterrichtsvorhabens kann zB der Einkauf im Mittelpunkt (in Verbindung mit den REVIS-Bildungszielen 5 bis 9) ste-hen Dabei koumlnnen Kriterien fuumlr die Einkaumlufe (Lebensmittelqualitaumlt Preis Nachhal-tigkeit etc) in der Lerngruppe erarbeitet werden die als Teilhandlungsschritt reflek-tiert und evaluiert werden Ein Unterrichtsblock kann hier enden der Einkauf als Hausaufgabe erfolgen die Verwendung der Lebensmittel an anderer Stelle zB Einkauf von Grundnahrungsmitteln die in der Schulkuumlche vorraumltig sind oder Einkauf fuumlr die nachfolgende Zubereitung von Probierhaumlppchen fuumlr eine sensorische Pruumlfung etc An anderer Stelle kann dann aufgrund einer abweichenden Schwerpunktsetzung auf den Einkauf gegebenenfalls verzichtet werden zB vor den groszligen Ferien wenn eine Aufgabe zum Umgang mit verderblichen Vorraumlten und Nahrungsresten die Ziel-setzung ist

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Durchfuumlhrung

An die Vorbereitungs- und Planungsphase schlieszligt die Durchfuumlhrung der Speisenzu-bereitung an Dabei werden in der Regel einzelne Speisen oder Gerichte von den Schuumllerinnen und Schuumller in Teams unter Anleitung und Aufsicht der Fachlehrper-son zubereitet Auch hier geht es wiederum um die jeweils gesteckten Teilziele Zum Beispiel teilen sich die Schuumllerinnen und Schuumller die Aufgaben im Zeit- und Arbeitsplan auf (gegebenenfalls durch einen Aumlmterplan) werden die Lernenden selbst in die Teilzielbeschreibung eingebunden Lehrpersonen begleiten und unter-stuumltzen die Lernenden dabei

Da fuumlr die Nahrungszubereitung nur die vorgegebene Unterrichtszeit zur Verfuuml-gung steht ist ein angeleitetes zuumlgiges und sicheres Arbeiten noumltig Entsprechend der in den Lerngruppen vorhandenen Kompetenzen sind die Unterrichtsarrangement machbar zu gestalten Dabei spielen Demonstrationen eine wichtige Rolle (zB Schneidelehrgang nach Tornieporth 1997)

Essen

Zubereitete Speisen werden schlussendlich auch gegessen Das bdquoWieldquo ist allerdings fuumlr den Lernprozess entscheidend

Essen als Pause Wird das bei Schuumllerinnen und Schuumller beliebte Essen ndash wie immer wieder zu beobachten ist ndash sowohl von Lehrenden als auch Lernenden als bdquoPauseldquo betrachtet fehlen die notwendigen Ruumlckkopplungsschritte zum Handlungs-abschluss Aus diesem Grund wird hier dafuumlr plaumldiert Unterrichtssituationen von Pausensituationen klar zu trennen Essen in der Pause dient zur Ernaumlhrungsversor-gung und Regeneration Dagegen ist Essen Teil eines Handlungszieles und damit Handlungsprodukt ist eine Unterrichtssituation herzustellen

Essen als Teil des Lernprozesses Essen ist ein Teil der Unterrichtspraxis bei der Nahrungszubereitung (Bartsch 2009) den es entsprechend didaktisch-methodisch zu gestalten gilt Zunaumlchst ist hierfuumlr die paumldagogische Begruumlndung der Wuumlrdigung des Handlungsergebnisses anzufuumlhren Dem folgt eine angemessene Praumlsentationssitua-tion der Speisen zB als Buffet als Probierhaumlppchen als SchmeXperimentiergut als Mahlzeit etc

Der naumlchste Schritt ist die Reflektion des Handlungsergebnisses gemaumlszlig der je-weiligen Zielformulierungen fuumlr die ebenfalls ein organisatorischer Rahmen ge-schaffen werden muss Beispielsweise ist es eine grundsaumltzliche Entscheidung ob die Sensorik oder die Mahlzeit (Teil-)Ziel der Handlung ist Im ersten Fall reichen Probehaumlppchen aus im zweiten Fall ist ein Tisch zu decken um eine Tischgemein-schaft herzustellen (Leitner 2011) In diesem Punkt unterscheidet sich die Lernsitua-tion vom haumluslichen Kochen In der Fachpraxis geht es darum die zubereiteten Spei-sen zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der angewendeten Garmethode zu bewerten und das Arbeitsergebnis entsprechend zu reflektieren Auch eine ge-

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schmackliche Auswertung folgt hier nicht allein persoumlnlichen Vorlieben (vgl Meth-fessel amp Schlegel-Matthies i d Heft)

Essen als Teil der Pause Essen kann auch den Raum bieten wo Lernende und Lehrende sich besser kennen lernen koumlnnen Daruumlber hinaus kann eine bdquovertrauteldquo Lehrperson Lernende eher zum Essen bdquounbekannterldquo Speisen ermutigen und moti-vieren (Vorbildfunktion) Die Tatsache dass Schuumllerinnen und Schuumller eine Speise selbst hergestellt haben motiviert viele zusaumltzlich etwas zu verkosten was sie eigent-lich nicht moumlgen oder noch nie gegessen haben Hierfuumlr ist es sinnvoll ein geson-dertes Zeitfenster als bdquoPauseldquo vom Unterricht einzuplanen Dieses kann als fester Bestandteil der Nahrungszubereitung ritualisiert werden Um den Erwartungsdruck im Unterricht eine Mahlzeit zuzubereiten herauszunehmen ist es hilfreich dass so-wohl uumlbrige Speisen aus der Fachpraxis als auch mitgebrachte Pausenbrote gegessen werden koumlnnen

Nachbereitung

Nach dem Essen folgt fuumlr die Schuumllerinnen und Schuumller die meist unbeliebteste Pha-se der Nachbereitung die selten als Unterricht wahrgenommen wird So muss in der Schulkuumlche aufgeraumlumt werden Arbeitsflaumlchen gesaumlubert Geschirr Besteck und Arbeitsgeraumlte kontrolliert nachgezaumlhlt und eventuelle Reste versorgt werden Hierfuumlr ist ausreichend Unterrichtszeit einzuplanen

Eine sorgfaumlltige und puumlnktliche Nachbereitung sorgt fuumlr einen reibungslosen Ab-lauf der naumlchsten Gruppen In dieser Phase zeigt sich auch ein professionelles Lehr-Lernverstaumlndnis der Nahrungszubereitung Hilfreich ist es mit den Lerngruppen bdquoStandardsldquo zu erarbeiten die dann in einem routinierten Abschluss enden Bei-spielsweise stellen Lerngruppen Uumlberlegungen an zu den Zubereitungsmengen und zum Umgang mit Speiseresten (Koumlrner amp Bartsch 2012) Ethisches Handeln kann sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit so in konkret ausgehandelte Regeln bei der letzten Phase der Nahrungszubereitung in den Lerngruppen niederschlagen

Schlussbemerkungen

Neben den allgemein schulischen Erfahrungen bringen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer Erfahrungen aus ihren privaten Haushalten mit Diese beeinflussen deren Vorstellungen von fachpraktischem Arbeiten sowie ihr Fachverstaumlndnis und behin-dern den Transfer von fachdidaktischen Forschungen in die Unterrichtspraxis Daran schlieszligt die Frage nach der Ausbildung an den Hochschulen an Welche Kompeten-zen beguumlnstigen eine theoriegeleitete Fachpraxis Wie wird mit Praumlkonzepten und subjektiven Theorien bezuumlglich des Fachverstaumlndnisses in der Hochschulausbildung umgegangen Um die (wahrscheinliche) Diskrepanz zwischen dem EVB-Bildungsanspruch und den individuellen Vorstellungen offenzulegen ist ein erster Schritt Fachverstaumlndnis und Fachanspruch zu thematisieren ndash sowohl in der Hoch-

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schule als Teil des Professionalisierungsprozesses der Fachlehrpersonen als auch in der Schule im Sinne der Partizipation und Gestaltung des eigenen Lernprozesses

Meist werden konkrete fachpraktische Bezuumlge von den Studierenden (oder Leh-renden in Fortbildungen) als hilfreich empfunden Entsprechend bietet sich an die Fachpraxis Ernaumlhrung die eng mit der Fachidentitaumlt verknuumlpft ist zum Thema zu machen Mit konkreten Fragen kann eine Bruumlcke zwischen Theorie und Praxis her-gestellt werden Beispielsweise Welche Rahmenbedingungen finden die Studierende an ihren Praktikumsschulen (Unterrichtsraumlumen Stundenplaumlnen Vorstellungen uumlber unser Fach) vor Welche fachdidaktische Konzeptionen sind damit verbunden Wie kann damit im Sinne eines modernen Bildungsanspruchs umgegangen werden Wo-rauf koumlnnen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer unseres Faches Einfluss nehmen Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lernens ist hierbei der Blick auf die Staumlr-kung der (zukuumlnftigen) Lehrenden zu richten und Professionalisierungsprozesse zu foumlrdern

Anmerkungen 1 [wwwevb-onlinedeglossar_ernaehrungspraxisphp] 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Aufgrund der geschlechtstypischen Berufswahl handelt es sich vorwiegend um

Lehrerinnen (Bartsch amp Methfessel 2012) 4 Siehe Anmerkung 1 5 Siehe Anmerkung 2 6 Vgl Paderborner Lernwerkstatt unter

[httpsdsguni-paderborndeenevblernwerkstatt]

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Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe E-Mail bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Petra Buumlrkle

Paumldagogische Hochschule Freiburg Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Kunzenweg 21 D-79117 Freiburg E-Mail petrabuerkleph-freiburgde

Schulkuumlche als Lernumgebung

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Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann

Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichtes bietet die Schulkuumlche als Lernumgebung gute Moumlglichkeiten durch praxisorientierte Impulse welche den Lernenden eine zunehmend eigenstaumlndige Gestaltung ihrer Lebensumwelt ermoumlglichen Handlungskompetenzen im Be-reich der Alltagskultur zu initiieren Im Beitrag wird die Gestaltung einer Lehr-Lernsequenz exemplarisch anhand des Themenschwerpunktes Hygiene erlaumlutert

Schluumlsselwoumlrter Lehr-Lernprozesse Kompetenzorientiertes Planungsmodell Hygiene

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1 Einfuumlhrung

Ziel der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist die Vermittlung von gesundheitsfoumlrderlichen und nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenzen im Bereich der Alltagskultur Weinert (2001) versteht dabei Kompetenzen als bdquodie bei Individuen verfuumlgbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Faumlhigkeiten und Fer-tigkeiten um bestimmte Probleme zu loumlsen sowie die damit verbundenen motivatio-nalen volitionalen und sozialen Bereitschaften und Faumlhigkeiten um die Problemlouml-sungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu koumlnnenldquo Dh Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und durch das Handeln selbst sichtbar

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf die Kompetenzentwicklung von Schuuml-lerinnen und Schuumllern ab und fokussiert somit weniger auf das Lehren sondern auf das Lernen sowie auf das Wechselspiel zwischen Lehren und Lernen Lehren um-fasst dabei die Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen Da das Lernen nur im Inneren dh im Lerner selbst stattfinden kann hat die Lehrkraft nur uumlber diese Steu-erung einen Einfluss auf die moumlglichen Lernvorgaumlnge Der Lernprozess wird dabei unterrichtsmethodisch uumlber die Determinanten Aufgabenstellung Lernmaterialien Methodenwerkzeug Moderation sowie Ruumlckmeldung und Reflexion gesteuert In idealtypischen Lernsituationen werden Lernumgebungen geschaffen die die Lernen-den in eine intensive aktive selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen (Leisen 2010 2011)

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2 Curriculare und fachwissenschaftliche Vorgaben

Inhalte einer verantwortungsbewussten Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ver-stehen sich als lebensweltbezogen Gegenwarts- und zukunftsrelevante Themen ermoumlglichen fachwissenschaftlich begruumlndete Erkenntnisse entwickeln Kompeten-zen und initiieren fuumlr die private Lebensfuumlhrung relevante Lernprozesse Eine Vermittlung geschieht dabei durch das fachspezifische Geflecht von fachwissen-schaftlichen fachdidaktischen sowie fachpraktischen Inhalten Diese orientieren sich an dem Europaumlischen Kerncurriculum zur Ernaumlhrungsbildung und dem REVIS-Curriculum Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung Das REVIS-Curriculum ist dabei ein in Deutschland bundesweit gefasster Konsens zu den Bildungszielen Kompetenzen Themen und Inhalten die in der schulischen Ernaumlhrungs- und Ver-braucherbildung als bdquogrundbildendldquo verstanden werden (Heseker 2005)

Zentrale Punkte des REVIS-Rahmencurriculums sind didaktische(n) Prinzipien der Kompetenzorientierung des salutogenetisch ori-entierten und lebenslangen Lernens ein Gesamtkonzept fuumlr den Lebensraum Schule das durch entsprechende Schul-entwicklungsprozesse getragen sein muss (Bartsch 2011)

Das Ziel ist also in diesem Bereich immer jungen Menschen gesundheitsfoumlrderli-che und nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenzen im Bereich der Alltags- und Lebensbewaumlltigung zu vermitteln Folgende Faktoren sind dabei zu beruumlck-sichtigen

bull Zugang zu den Themenbereichen einer gesunden Lebensbewaumlltigung sind stets Erfahrungen und Impulse aus der Lebenswirklichkeit der Lernenden

bull Grundlage des Unterrichts sind kompetenzfoumlrdernde Inhalte in der Regel initiiert durch praxisfoumlrdernde Impulse Die Lernenden sollen ihre Lerninhalte zunehmend selbststaumlndig gestalten und sich von der Haltung des ausschlieszliglich Konsumierenden distanzieren

bull Die Lehrkraft wird als Person des Begleitens Beratens bzw als die Person welche die Lernumgebung gestaltet verstanden

bull Materialien die eine Differenzierung sowie Individualisierung des Lernprozesses eines Lernenden ermoumlglichen sind grundlegend Dabei koumlnnen Realmedien verwendet werden bereits veroumlffentlichte Medien ausgewaumlhlt und auf Eignung bewertet werden oder neue Lernmaterialien konzipiert erarbeitet und evaluiert werden

bull Die Lehrenden wissen dass Klassenraumlume so umstrukturiert werden koumlnnen dass fuumlr die Lernenden geeignete Lernarrangements zur Verfuumlgung stehen Dies ist insbesondere im Bereich der Grundschule von Bedeutung

bull Bei den Inhalten zu praxisorientierten Elementen der Ernaumlhrungsbildung werden Fachraumsysteme beansprucht Der Begriff Fachraumsystem muss an

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dieser Stelle mit dem Begriff bdquoFachraumldquo gleichgesetzt werden Dabei kann es sich um Kuumlchen oder anderen Werkstaumltten handeln

bull Lehrende erfahren in den Lehr-Lernprozessen immer wieder umfassend die bdquovier Handlungsfelder einer veraumlnderten Lernkultur Beobachten Beschreiben Bewerten und Begleitenldquo (Landesinstitut fuumlr Schulentwicklung 2009)

Inhaltliche Aspekte werden stets auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erstellt Da die fachwissenschaftlichen Grundlagen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung sehr komplex sind einer staumlndigen Veraumlnderung unterliegen und somit fortschreitend aktualisiert werden muumlssen ist bei der Sachanalyse die Verwendung der aktuellen Fachliteratur bzw der Bezug auf die Fachgesellschaften (aid BfR BzgA DGE HaBiFo vzbv usw) zwingend notwendig

Im Bereich der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung gibt es inzwischen zahl-reiche etablierte Unterrichtshilfen wie zB den aid-Ernaumlhrungsfuumlhrerschein Kon-sumieren mit Koumlpfchen Money amp Kids SchmExperten Science kids Unterrichts-hilfe Finanzkompetenz Versteckt werbende Maszlignahmen und Materialien sowie kommerzielle oder andere interessengeleitete Angebote die nicht mit den Zielset-zungen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung vereinbar sind haben dagegen in Schulen nichts zu suchen

Weitere sehr gut geeignete Moumlglichkeiten der Esskulturbildung bieten auch der Lebensmitteleinkauf die Nahrungszubereitung und die Mahlzeitengestaltung Hier koumlnnen Schuumllerinnen und Schuumller in besonderer Weise ihre gesundheitsfoumlrderli-chen und nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen im Bereich Ernaumlhrung und Konsum erweitern Wird die Kuumlche als Lernumgebung genutzt muumlssen grundle-gende Bedingungen zu Sicherheit und Hygiene gegeben sein

Die im Folgenden dargestellte Lehr-Lernsequenz zum Kompetenzerwerb in der Lernumgebung Kuumlche mit dem Themenschwerpunkt Hygiene bezieht sich auf das Bildungsziel 3 des REVIS-Curriculums zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo

3 Didaktisch-methodische Gestaltung der Lehr-Lernsequenz

Bei der Planung der Lehr-Lernsequenz orientiert sich die Lehrperson explizit am REVIS-Curriculum zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

Entscheidend ist die Transparentmachung dieses Curriculums fuumlr die Lernen-den Es werden nicht einzelne Inhalte aneinandergereiht sondern die Lernenden erfahren in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen die einen Bezug zu ihrer Lebensumwelt haben einen Zuwachs im Bereich der darge-stellten Kompetenzen und Bildungsziele Somit ist ein direkter Bezug zu ihnen selbst sowie ihrer Lebenssituation gegeben Dies vereinfacht wie spaumlter darge-

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stellt die methodische Umsetzung enorm da die Themen stets aus der Alltagssi-tuation der Lernenden stammen

Die Unterrichtsplanung erfolgt auf der Basis des Kompetenzorientierten Pla-nungsmodells (KPM) nach Leisen (2010) mit den sechs Stufen eines kompetenz-orientierten Lernprozesses

1 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdecken 2 Vorstellungen entwickeln 3 a) Lernprodukt erstellen

b) Informationen auswerten 4 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren 5 a) Lernzugewinn definieren

b) Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erproben 6 Sicher werden und uumlben

Als Planungshilfe wird die entsprechende von Hahn und Wiedemann (Seminar-schulraumltinnen am Staatlichen Seminar fuumlr Didaktik und Weiterbildung in Schwauml-bisch Gmuumlnd) entwickelte Moumlglichkeit der tabellarischen Darstellung von Lehr-Lernprozessen verwendet (Leisen 2010 Maier 2012) Tab 1 Auszug aus der Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene1

Fach und Klasse Hauptanliegen Lernziele Wirtschaft Arbeit und Gesundheit (WAG) Mensch und Umwelt (MuM) Thema der Unterrichtssequenz Wie sieht fuumlr mich ein sauberer Arbeitsplatz aus Hygiene rund um die Nahrungszubereitung

Die Lernenden erleben Hygiene als Voraussetzung sich in der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung gesund zu erhalten Inhaltlicher Schwerpunkt Planung Durchfuumlhrung Interpretation und Dokumentation von Hygienebedingungen in der Kuumlche fuumlr eine gesundheitsfoumlrderliche Nahrungszubereitung im Alltag

Die Lernenden - erleben bewusst die alltaumlgliche Situation eines hygienisch anspre-chenden Arbeitsplatzes - formulieren Hygiene-regeln fuumlr die Bereiche - persoumlnliche Hygiene - Lebensmittelhygiene und - Hygiene am Arbeits-platz - artikulieren und doku-mentieren individuell ihre Ergebnisse - sind in der Lage einen Transfer in die prakti-sche Nahrungszuberei-tung in der Schule und im persoumlnlichen Lebens-umfeld zu leisten

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In der Kopfzeile (Tab 1) wird das Hauptanliegen der Unterrichtsstunde als eine Art uumlbergreifendes Lernziel bzw uumlbergreifende Kompetenz dargestellt sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zu denen gearbeitet werden soll Zudem wird zwischen antizipierten Lernprozessen bzw Lernhandlungen der Schuumllerinnen und Schuumller sowie Lehraktivitaumlten bzw Handlungen der Lehrperson differenziert So sollen Lehrkraumlfte zum Nachdenken uumlber die Phasen des Lernprozesses der Lernenden angeregt werden Methodische Uumlberlegungen zur Gestaltung der Lernumgebung bzw organisatorische Aspekte der Unterrichtsdurchfuumlhrung werden in einer mittle-ren Spalte gesondert dargestellt (Gestaltung der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrperson Lernsetting Sozialformen Medien Methoden Gestaltungsele-mente)

4 Methodische Analyse und Begruumlndung der Lehr- Lernsequenz

41 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdeckenEinstieg praumlsentieren

Die Lehrperson verwendet zB als Einstieg Fotos die kritische Umstaumlnde im Be-reich der Hygiene darstellen Die Untergliederung in die Bereiche bdquopersoumlnliche Hygieneldquo die bdquoLebensmittelhygieneldquo und die bdquoArbeitsplatzhygieneldquo wird von der Lehrperson beispielhaft folgendermaszligen praumlsentiert gebrauchtes Pflaster Lebens-mittel mit Gefrierbrand Ausguss mit Speiseresten etc (siehe Kompetenzorientier-tes Planungsmodell Die Lernenden erfahren dadurch einen Lernanreiz aus einer individuellen Alltagssituation welcher ihnen als Impuls bzw als bdquoStoumlrungldquo (Lei-sen 2010) begegnet Dies bietet bewusst allen Lernenden die Moumlglichkeit zur spontanen Artikulation Es entsteht ein kommunikativer und wertfreier Austausch

42 Vorstellungen entwickelnEinstiegsproblem fokussieren und Aufmerksamkeit polarisieren

Die Lehrperson fokussiert das Einstiegsproblem entweder mit der letzten Folie einer PowerPoint-Praumlsentation oder mit einem kurzen Impuls in Form eines Tafel-anschriebs bdquoWir die Kuumlchentesterldquo so dass die Lernenden Vorstellungen entwi-ckeln koumlnnen Sie benennen unhygienische Elemente eines Arbeitsplatzes die sie stoumlren Die Lehrperson stellt nur rote Faserstifte Karten und Magnete zur Verfuuml-gung haumllt sich aber inhaltlich zuruumlck Die Lehrperson sollte nur LernbegleiterIn sein Dennoch ist diese Gelenkstelle fuumlr den weiteren Lernprozess entscheidend da dies die Uumlberleitung bzw Hinfuumlhrung zur Fragestellung der Lernenden ist bdquoWie

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sieht eine Kuumlche aus in der ich arbeiten willldquo und bdquoWas kann ich zur Hygiene beitragenldquo

43 Lernprodukt erstellen und Informationen auswerten Aufgabenstellungen anbieten

Das Lernprodukt bezeichnet Leisen als bdquoHerzstuumlckldquo des kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozesses Leisen spricht von der bdquoTrias sbquoLernprodukt ndash Aufgabenstel-lung ndash MaterialMethodenlsquo (Leisen 2013) Er empfiehlt bei der Planung bdquozu pruuml-fen ob die Aufgabenstellung zu dem Lernprodukt fuumlhrt ob der Zeitansatz passt ob das Anspruchsniveau stimmt ob die Lehrkraft dem Thema gerecht wird ob wirklich die Kompetenzen entwickelt werden die anstehen und der Sache dienlich sindldquo (ebd S 67) bdquoLernprodukte entstehen im handelnden Umgang mit Wissenldquo (ebd S14) Hier muss eine Lernumgebung gestaltet werden die stark gepraumlgt ist von Individualisierung und Differenzierung Es muumlssen zahlreiche Lernaufgaben und Lernmaterialien bereitliegen mit deren Hilfe sich die Lernenden eine Thema-tik individuell erarbeiten koumlnnen

Diese Lernaufgaben und Materialien muumlssen so konzipiert bzw variiert wer-den dass ein eigenstaumlndiges Tun uumlberhaupt moumlglich ist dh die Lernaufgaben muumlssen mit ihren Aufgabenstellungen so praumlzise formuliert sein dass sie sich selbst erklaumlren oder mit einer rasch erfassbaren und verstaumlndlichen Erklaumlrung bear-beitbar sind Interessant kann hier auch die Methode des Verfremdens sein Ein Gedicht im Mathematikunterricht ein Bewegungsspiel in Deutsch ein Spiel in den Naturwissenschaften etc Laumlngst sind diese Methoden Teil eines schuumller- und handlungsorientierten Unterrichts

Im vorliegenden Beispiel sind unter den Lernmaterialien beispielsweise Spiele wie Domino oder Memory zu finden Spiele haben einen starken Aufforderungs-charakter und bieten Anreize fuumlr eine praktische Auseinandersetzung mit einer Thematik Ferner wird ein virtuelles Quiz (bdquoLagern Sie richtig im Kuumlhlschrankldquo [wwwinformde] eingesetzt bei welchem es um die sachgerechte Lagerung bzw Bevorratung von Lebensmitteln durch Kuumlhlen geht Vorgefertigte Medien aus den Ordnern bdquoSchmExpertenldquo des aid (2011 und 2012) koumlnnen eingesetzt werden Beim aid erhaumllt man auch Infobroschuumlren zur genannten Thematik Diese koumlnnen ergaumlnzend fuumlr vertiefende Studien bereitgelegt werden Die fachpraktischen Ele-mente der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung werden uumlber zahlreiche Real-medien wie Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte sowie Kuumlhlschrank ergaumlnzt Um an-wendungsorientiert zu arbeiten bietet sich in jedem unterrichtlichen Geschehen in den ernaumlhrungs- und verbraucherbildnerischen Faumlchern die Kulturtechnik der Nah-rungszubereitung an das bdquoKochenldquo Hierfuumlr liegt ein Rezeptblatt vor welches durch seine Struktur ein selbststaumlndiges Zubereiten ermoumlglicht Das Rezeptblatt ist so strukturiert dass die Lernenden zunaumlchst anhand der Uumlberschrift einen Zugang zur Zubereitung erfahren Im Kontext werden dann zunaumlchst alle benoumltigten Kuuml-

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chengeraumlte benannt Eine Tabelle ndash unterteilt in bdquoZutatenldquo und bdquoZubereitungldquo die einander durch Trennungslinien in der Tabelle zugeordnet werden ndash ermoumlglicht durch rasches Erfassen des komprimierten Textes ein sofortiges Nacharbeiten

Um ein Lernprodukt zu erstellen wird den Lernenden ein Leporello (blanko) bereitgelegt Darin notieren bzw dokumentieren sie individuell ihre neu gewonne-nen Erkenntnisse nachdem sie sich die Materie durch die Lernmaterialien er-schlossen haben Ein signifikantes Element dieser kompetenzorientierten Unter-richtsform ist die Anwendung Das Erlernte wird im Kontext der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung unmittelbar in die praktische Umsetzung uumlberfuumlhrt Die Frage ob die Lernenden alles verstanden haben kann in der Vorbereitung eines hygieni-schen Arbeitsplatzes fuumlr eine Schokoladencreme zielgerichtet geloumlst werden Wa-rum hier ausgerechnet eine Schokoladencreme ausgewaumlhlt wurde kann ua mit dem hohen Motivationscharakter dieses Rezeptes beantwortet werden

44 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren auswerten

Der Sinn dieser Phase liegt in der individuellen und selbst formulierten Praumlsentati-on Sachverhalte die in eigenen Worten vorgestellt werden koumlnnen besser behal-ten werden (Gudjons 1997 1998) und machen Lernenden und dem Lehrenden sofort deutlich ob die Inhalte verstanden wurden

Mit der Kugellagermethode erfahren die Lernenden zunaumlchst einen ersten in-teraktiven Austausch Im vorliegenden Planungsmodell wurden bewusst unter-schiedliche Medien und Methoden zur Praumlsentation gewaumlhlt Zum einen die schrift-liche Fixierung mittels Tafel Karten und Leporellos zum anderen die handlungsorientiert gestalteten Arbeitsplaumltze

Die Lernenden erfahren durch den Austausch eine Erweiterung der Sozialkom-petenz im Bereich der Kommunikation Zuhoumlren sowie Sprechen und Ausreden lassen werden hier in der Anwendung er-gelernt und vertieft Ferner wird auch die Schreibkompetenz durch die Verschriftlichung der Ergebnisse geschult und geuumlbt Entscheidend fuumlr die Fachwissenschaft sind hier der direkte Zugang zu Fachbegrif-fen und die sofortige situative Umsetzung Durch den Einsatz der gruumln zu beschrif-tenden Karten wird eine Verbindung zum Einstiegsproblem geschaffen (vgl Kar-ten mit roter Beschriftung) naumlmlich mangelhafte Hygienebedingungen und Fachbegriffe werden dabei vertieft

45 Lernzugewinn definieren und Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erprobenLernbewusstheit foumlrdern und neue Kontexte anbieten

Um den Lernzugewinn zu definieren vergleichen die Lernenden ihre individuellen Lernprodukte mit ihren eingangs formulierten Vermutungen Dadurch koumlnnen sie ihren persoumlnlichen Lernzuwachs artikulieren und ihre eigenen Lernprozesse reflek-

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tieren und erleben dadurch ihren eigenen Kompetenzzuwachs Die Lehrperson setzt einen Impuls zur Reflexion in Form eines Fotos (unhygienischer Arbeits-platz) Nach der eigenen Reflexion des Lernprozesses durch die Lernenden kann die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen dazu in individuellen Feedbacks aumlu-szligern

Um die Kernkompetenz Bewaumlltigung von Alltagssituationen zu erweitern muss die Aufgabe in einem neuen Kontext erprobt werden Diese Transferleistung wird in einer praktischen Taumltigkeit erfahren Die Lernenden bereiten zB eine Schokoladencreme zu Konkret werden die erlernten Kompetenzen rund um die Gestaltung eines Arbeitsplatzes der den neu formulierten Hygienebedingungen entspricht uumlbertragen Dadurch beweisen sich die Lernenden als Spezialisten fuumlr persoumlnliche Hygiene Lebensmittelhygiene sowie hygienisches und damit gesund-heitsfoumlrderndes Arbeiten Sie haben damit eine Alltagskompetenz erworben die sie staumlndig in auszligerschulischen Handlungsfeldern benoumltigen

46 Sicher werden und uumlben

Das einmalige Zubereiten eines Teilgerichts kann nun natuumlrlich noch nicht als stets abrufbare Kompetenz vorausgesetzt werden Durch staumlndig wiederkehrende und auch leicht abgeaumlnderte Zubereitungssituationen wird der Lernende das Erfahrene nun eigenstaumlndig (freiwillig) erproben und umsetzen Die Lernenden gewinnen zunehmend aus eigenem Interesse an ihrer persoumlnlichen Gesunderhaltung Sicher-heit bzw Routine in der Gestaltung eines hygienischen Arbeitsplatzes

5 Evaluation und Reflexion Um die Thematik Hygiene zu reflektieren und zu bewerten muss festgestellt wer-den dass bei der Entwicklung einer Lehr-Lernsequenz der Fokus auf der Gestal-tung der Lernumgebung liegen muss Nach der Durchfuumlhrung stehen Fragen wie bdquoWelche der geplanten Lehr-Lernsequenzen muss abgewandelt bzw eliminiert werdenldquo im Mittelpunkt Waren die in der Lernumgebung bereitgestellten Medien und Materialien schuumller- handlungs- bzw leistungsorientiert Wie oft wurde die Lehrperson in welcher Lernsequenz von den Lernenden involviert (als Hilfestel-lung) Mit welchen Kriterien bewerten die Lernenden die bereitgestellten Materia-lien Im Gegensatz dazu reflektieren die Lernenden oft schwerpunktmaumlszligig die Elemente Zubereitung und Verzehr Dies muss in der Reflexionsphase aber durch-aus einbezogen werden In der gemeinsamen Reflexion vereinfachen die Bezugs-punkte des gewaumlhlten Beispiels (Schokocreme Geschmack Darbietung Menge Zutaten Preis Aufwand etc) eine Diskussion

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6 Ausblick Fakt ist dass der Lernkontext bdquoAlltagldquo welcher sich in verschiedenen Faumlcherver-buumlnden und Faumlchern wiederfindet stets einen Lebensweltbezug hat Eine intrinsi-sche Motivation den individuellen Alltag zu meistern bietet hervorragende Moumlg-lichkeiten Kompetenzen auch im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu erwerben Durch Lernaufgaben mit Lebensweltbezug fuumlr die Lernenden kann der Individua-lisierung der Heterogenitaumlt sowie der Interkulturalitaumlt in diesem Fach Rechnung getragen werden Die Kuumlche ist also in vielfaumlltiger Art und Weise eine geeignete Lehrumgebung um Lehr-Lernprozesse zu initiieren

Anmerkung

1 Die komplette Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene steht uumlber [wwwhibifode04_2013html] zum Download zur Verfuumlgung

Literatur

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aid (2012) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) Die Kuumlchenkartei Bestell-Nr 3462 Bonn

aid (2004) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) Besserwissers Kuumlhlschrank Bestell-Nr 3462 Bonn

Bartsch S (2011) Jugendliche Essende im Fokus der Ernaumlhrungsbildung BeKi-Jahrestagung 2011 in Stuttgart Hohenheim

Bartsch S Buumlning-Fesel M Cremer C Heindl I Lambeck A LuumlhrmannP Oepping A Rademacher C amp Schulz-Greve S (2013) Ernaumlhrungsbildung - Standort und Perspektiven Ernaumlhrungs-Umschau 60 S M 84-M 94

Gudjons H (1998) Didaktik zum Anfassen Lehrerin ndash Persoumlnlichkeit und leben-diger Unterricht Bad Heilbrunn Klinkhardt

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Schulkuumlche als Lernumgebung

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Leisen J (2010) Das Lehr-Lernmodell in den naturwissenschaftlichen Fachsemi-naren Studienseminar Koblenz [wwwleisenstudienseminar-koblenzde]

Leisen J (2011) Kompetenzorientiert unterrichten ndash Fragen und Antworten zu kompetenzorientiertem Unterricht und einem entsprechenden Lehr-Lernmodell Naturwissenschaften im Unterricht Physik 123124 S 4-10

Leisen J (2013) Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Vortrag in Schwauml-bisch-Gmuumlnd am 12713 [wwwlehr-lern-modellde]

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Methfessel B (2004) Esskultur und familiale Alltagskultur [httpswwwfamilienhandbuchdecmsErnaehrung_Esskulturpdf_blank]

Weinert F (2001) Leistungsmessungen in der Schule Weinheim-Basel Beltz

Verfasserinnen

Barbara Dittrich Barbara Franta und Profin Dr Petra Luumlhrmann

Paumldagogische Hochschule Schwaumlbisch Gmuumlnd Institut fuumlr Gesundheitswissenschaften Abteilung Ernaumlhrung Konsum und Mode Oberbettringer Str 200 D-73525 Schwaumlbisch Gmuumlnd E-Mail barbaradittrichph-gmuendde barbarafrantaph-gmuendde

petraluehrmannph-gmuendde Internet wwwph-gmuendde

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Larissa Kessner und Melanie Braukmann

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen Der Artikel beschreibt den Einsatz der Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht Die Kar-tei wurde fuumlr die Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8ldquo entwickelt und unterstuumltzt selbststaumlndiges Lernen Anhand vier ausge-waumlhlter Beispiele wird dargestellt wie Schuumllerinnen und Schuumller mit den Karten arbeiten und diese in ihren individuellen Lernprozess einbinden

Schluumlsselwoumlrter Kuumlchenkartei SchmExperten Experimente Binnendifferenzierung

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1 Selbststaumlndig lernen mit der Kuumlchenkartei

Die Kuumlchenkartei1 des aid infodienst e V liefert alle wesentlichen Informationen und Anleitungen die Schuumllerinnen und Schuumller fuumlr das Arbeiten in der Kuumlche benouml-tigen Aussagekraumlftige Fotos und leicht verstaumlndliche Texte verdeutlichen wichtige Hygieneregeln den Einsatz verschiedener Arbeitsgeraumlte allgemeine Arbeitstechni-ken und den Umgang mit ausgewaumlhlten Lebensmitteln

Da die Kuumlchenkartei fuumlr die aid-Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuuml-cheldquo entwickelt wurde thematisiert sie solche Geraumlte Techniken und Lebensmittel die in diesem Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen Die Kuumlchenkartei ist Be-standteil des Medienpaketes bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche

Steckbrief zu den SchmExperten in der Lernkuumlche bull unterrichtsbegleitendes Material zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen bull Zielgruppe Schuumllerinnen und Schuumller der Jahrgangsstufen 6 bis 8 aller Schulformen und

Bundeslaumlnder bull curriculare Einbindung im Fachunterricht und Wahlpflichtbereich zB Hauswirtschaft

Verbraucherbildung Hauswirtschaft und Soziales Arbeitslehre Arbeit-Wirtschaft-Technik bull kompetenzorientiert mit Moumlglichkeiten zur Binnendifferenzierung bull individuell veraumlnderbare Arbeitsblaumltter auf CD-ROM bull Kuumlchenkartei mit 47 Karten zu den wichtigsten Fachinhalten in Wort und Bild bull Kernstuumlck Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte mit allen Sinnen erforschen selbststaumlndig

warme Speisen zubereiten und dabei Rezepte variieren bull Ziel Kuumlchenfertigkeiten und Lebensmittelkenntnisse so vermitteln das die Schuumllerinnen

und Schuumller Speisen gesundheitsorientiert bewerten mit Freude zubereiten und genieszligen koumlnnen

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Tab 1 Themen ausgewaumlhlte Inhalte und Rezepte der SchmExperten in der Lernkuumlche

Thema Inhalte Rezepte

1 Startklar im Team

Portfolio Essknigge Hygiene und Aufraumlumen Krallengriff

Wraps leicht gemacht

2 Getraumlnke ndash Ohne Zucker kein Geschmack

Trinkgewohnheiten Energiespartipps und Sicherheit Rezeptaufbau Messen und Wiegen Etikett und Zutatenliste

Cooler Eistee

3 Gemuumlse ndash Auch im Winter frisch auf den Tisch

5 am Tag und Saisonalitaumlt Einkaufszettel Arbeitsplatzgestaltung Schneiden Kochen Duumlnsten

Gemuumlsesuppe mit Biss Veggietasche mit Soszlige Salat mit Sattwerdgarantie

4 Getreide ndash Typisch italienisch

Getreidevielfalt interkulturelle Aspekte Kraumluter und Gewuumlrze Vollkorn und Saumlttigung

Italienische Gemuumlsebolognese mit Nudeln Feurige Asiapfanne mit Reis Orientalische Kichererbsenpfanne mit Couscous

5 Kartoffeln ndash Frisch oder aus der Tuumlte

Kaufen versus selber machen Mahlzeiten planen Kochen Braten und Backen

Knusprige Kartoffelecken Bunte Kartoffelpuffer Cremiges Kartoffelcurry Salat- und Diprezepte

6 Milch ndash Mindestens haltbar bis

Zutatenmengen umrechnen Muumlllvermeidung und Klimaschutz Mindesthaltbarkeit und Verbrauchsdatum Kuumlhllagerung und Lebensmittelhygiene Naumlhrwerttabelle

Gefuumlllte Pfannkuchen Fruchtiger Milchreis Uumlberbackene Bruschetta

7 Abschlussbuumlfett ndash Kreativitaumlt gewinnt

Speisen fuumlr ein Buumlfett variieren Portfolios praumlsentieren Schulverpflegung bewerten Einkaufstipps

Alle Rezepte

8 aid-Ernaumlhrungs-pyramide

Kernbotschaften der Pyramide Handmaszlig fuumlr Portionsgroumlszligen Bewegungsverhalten Essgewohnheiten reflektieren

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Der aufstellbare Ringordner zur Kuumlchenkartei gliedert sich in fuumlnf verschiedene Themen Unter dem Begriff bdquoSauberkeitldquo sind Inhalte zum hygienischen Arbeiten in der Kuumlche zusammengefasst ndash beginnend mit der persoumlnlichen Hygiene uumlber die Arbeitsplatzhygiene bis hin zur hygienischen Zubereitung Weitere Rubriken greifen Arbeitsgeraumlte wie Kuumlchenwaage oder Vierkantreibe Arbeitstechniken zB das Putzen von Gemuumlse und ausgewaumlhlte Lebensmittel auf Hier zeigen Step-by-Step-Fotos wie bestimmte Lebensmittel vor- und zubereitet werden Unter bdquoExtrasldquo finden die Schuumllerinnen und Schuumller weitergehende Informationen zB zum Tischdecken oder zur aid-Ernaumlhrungspyramide

Insgesamt umfasst die Kuumlchenkartei 47 ndash teilweise doppelseitig bedruckte ndash DIN-A5-Karten Dem Unterrichtspaket bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo liegt dar-uumlber hinaus eine CD-ROM mit veraumlnderbaren Blanko-Karten bei Mit diesen Vorla-gen koumlnnen Lehrende und vor allem Lernende eigene Karten entwickeln und eben-falls im Ringordner abheften

Mit Hilfe der Kuumlchenkartei bull erarbeiten sich die Schuumllerinnen und Schuumller selbststaumlndig Inhalte (zB zur aid-

Ernaumlhrungspyramide) bull uumlberpruumlfen und ergaumlnzen die Jugendlichen selbststaumlndig ihre eigenen Arbeitsergebnisse

(zB Energiespartipps die von KuumlchenExperimenten abgeleitet werden) bull erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller praktische Hilfestellungen die ihrem Kompetenzni-

veau entsprechen (zB Erklaumlrung von Basistechniken wie Gemuumlse putzen ndash wer das schon kann braucht die Karte nicht)

bull gestalten die Lernenden eigene Karteikarten (zB Tipps fuumlr den Einkauf)

2 Eine Kartei ndash verschiedene Lernwege und Einsatzmoumlglichkeiten

Im Folgenden wird anhand exemplarisch ausgewaumlhlter Unterrichtsvorschlaumlge aus dem Unterrichtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo erlaumlutert wie sich die Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht einsetzen laumlsst

21 Experimentieren am Beispiel Raspeltest

Wie das Kunstwort bdquoSchmExpertenldquo (Schmecken + Experimentieren + Experte wer-den) verdeutlicht ist das Experimentieren ein wesentliches Merkmal der SchmEx-perten Neben zahlreichen SinnExperimenten bietet das Unterrichtsmaterial auch verschiedene KuumlchenExperimente mit Lebensmitteln und Kuumlchengeraumlten an

Beim Raspeltest werden die Schuumllerinnen und Schuumller beispielsweise vor die Frage gestellt bdquowie die Gurke in den Zaziki kommtldquo Zur Loumlsung der Aufgabe steht ihnen eine Vierkantreibe und eine Gurke zur Verfuumlgung So koumlnnen sie ausprobieren was die unterschiedlichen Seiten der Reibe bewirken und erarbeiten sich das Hobeln

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Raspeln und Reiben Die Karte zur Vierkantreibe unterstuumltzt die Schuumllerinnen und Schuumller dabei dieses Arbeitsgeraumlt sicher einzusetzen und die verschiedenen Seiten richtig zu benennen Sie macht jedoch keine Vorgaben welche Seite der Vierkant-reibe sich fuumlr Gurken bzw fuumlr einen Zaziki am besten eignet Dies sollen die Schuumlle-rinnen und Schuumller auf Grundlage ihrer Ergebnisse selbst beurteilen

SinnExperimente wecken Neugier Das Experimentieren mit allen Sinnen ermoumlglicht Jugendlichen neue Lernzugaumlnge und schafft Lernmotivation Dabei testen die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Lebensmittel mit allen Sinnen und notieren was sie wahrnehmen

Fuumlr SinnExperimente eignen sich unverarbeitete und auch verarbeitete Lebensmittel So lassen sich verschiedene Verarbeitungsformen auch aus oumlkologischer ernaumlhrungsphysiologi-scher und hauswirtschaftlicher Sicht sowie im Kontext nachhaltigen Handelns diskutieren KuumlchenExperimente trainieren Fach- und Methodenkompetenz Im Mittelpunkt der KuumlchenExperimente steht die Erforschung von physikalischen chemi-schen und biologischen Zusammenhaumlngen die bei der Nahrungszubereitung eine Rolle spie-len Dabei koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller auch Schritte ausprobieren die bei der ei-gentlichen Rezeptzubereitung wenig zielfuumlhrend waumlren

Das Besondere dabei ist dass die Lernenden sowohl naturwissenschaftliche Arbeitsme-thoden als auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten trainieren koumlnnen Wenn mit Lebensmitteln in der ein oder anderen Weise umgegangen wird (zB laumlngere Garzeiten fuumlr haumlrteres Gemuumlse) oder Kuumlchengeraumlte in bestimmter Weise zum Einsatz kommen (zB Toumlpfe immer mit De-ckel) dann stehen meist naturwissenschaftliche Gesetzmaumlszligigkeiten dahinter die es zu verste-hen und dann im Alltag anzuwenden gilt

22 Binnendifferenzierung am Beispiel Pellkartoffeln

Die Schuumllerinnen und Schuumller unterscheiden sich stark in ihren manuellen Geschick-lichkeiten Manche koumlnnen bereits kleine Menuumls alleine zubereiten anderen haben noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln

So sind besonders im haushaltsbezogenen Unterricht die unterschiedlichen Kenntnis-se der Jugendlichen die bereits vorhandenen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Werthaltun-gen das vermeintliche Expertenwissen und das in Herkunftshaushalten und Medien gepraumlgte Alltagsverstaumlndnis der Inhalte bedeutsam fuumlr die Konzeption von Lernpro-zessen (Leutnant 2012 S 66)

Die Kuumlchenkartei kann die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schuumllerinnen und Schuumller beruumlcksichtigen indem sie jederzeit als Nachschlagewerk zur Verfuuml-gung steht Wenn die SchmExperten fuumlr ein SinnExperiment beispielsweise Pellkar-toffeln brauchen finden Kuumlchenneulinge auf der Karte bdquoPellkartoffeln kochenldquo eine schrittweise Anleitung mit Fotos und kurzen Erlaumluterungen Jugendliche mit mehr Erfahrung koumlnnen zunaumlchst auf diese Hilfestellung verzichten Ihnen stellt sich viel-leicht erst zum Ende der Zubereitung die Frage woran sie erkennen dass ihre Kar-toffeln gar sind Auch hier hilft dann die Kuumlchenkartei mit der Karte bdquoGarprobeldquo

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Somit handelt es sich bei den Karteikarten um differenzierende Unterrichtsmate-rialien die einen wichtigen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts bedeuten koumlnnen Laut Leutnant (2012 S 67) muss ein individualisierter Unterricht neben den differenten Lernvoraussetzungen auch die unterschiedlichen Interessens-lagen und vor allem die individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen be-ruumlcksichtigen

23 Rezepte variieren am Beispiel Gemuumlsesuppe

Obwohl die Zubereitung warmer Speisen zu den Kernkompetenzen der SchmEx-perten zaumlhlt enthaumllt das Unterrichtsmaterial eine uumlberschaubare Auswahl an Re-zepten Diese dienen exemplarisch dazu wichtige Basistechniken und das Arbeiten nach Anleitung zu trainieren Dabei laumlsst die Formulierung der Rezepte den Schuuml-lerinnen und Schuumllern insbesondere in Bezug auf Obst und Gemuumlse so viele Frei-raumlume wie moumlglich Daruumlber hinaus finden sich auf allen Rezepten Ideen zur Va-riation von Speisen die die Jugendlichen anregen sollen selbst kreativ zu werden

Das Rezept fuumlr Gemuumlsesuppe ist beispielsweise so konzipiert dass es mit den verschiedensten Gemuumlsesorten gelingt Diese Freiheit ist noumltig um saisongerechtes Gemuumlse verwenden zu koumlnnen Dies soll den Jugendlichen aber auch ermoumlglichen das Rezept nach ihren Vorlieben und Beduumlrfnissen abzuwandeln Statt einer klaren Vorgabe wie welches Gemuumlse vorbereitet werden soll erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller deshalb lediglich allgemeine Anweisungen wie bdquoGemuumlse waschen putzen und falls noumltig schaumllenldquo oder bdquohartes Gemuumlse kleiner schneiden damit es schneller weich wirdldquo

Die Kuumlchenkartei dient in diesem Fall dazu die allgemeinen Anweisungen zu konkretisieren und die Fragen aufzufangen die sich bei der Abwandlung von Rezep-ten ergeben Sie zeigt was bdquoGemuumlse putzenldquo bedeutet welches Gemuumlse geschaumllt werden muss oder wie der Puumlrierstab zu bedienen ist wenn sich die Jugendlichen fuumlr eine cremige Variante der Suppe entscheiden

Die eigenstaumlndige Variation von Rezepten foumlrdert nicht nur die Motivation und Begeisterung sondern auch die Selbststaumlndigkeit und Methodenkompetenz der Schuuml-lerinnen und Schuumller

24 Selbstkontrolle am Beispiel Hygiene

Neben praktischen Anleitungen bildet die Kuumlchenkartei auch theoretische Grundla-gen und unverzichtbare Hygiene- und Sicherheitshinweise ab Ziel ist es hierbei den Sinn bestimmter Regeln und Vorgaben zu verstehen und anwenden zu koumlnnen Die SchmExperten erarbeiten sich die wichtigsten Maszlignahmen zur persoumlnlichen Hygiene deshalb in Form eines Expertenpuzzles

Dabei uumlbernimmt in jeder Arbeitsgruppe ein Jugendlicher die Rolle des bdquoHygie-newaumlchtersldquo und erarbeitet in drei Schritten einen Hygiene-Check Zunaumlchst uumlberlegt

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sich jeder Hygienewaumlchter alleine eine Loumlsung Anschlieszligend findet eine Partnerar-beit mit Bildkarten statt bevor alle Hygienewaumlchter ihre Ergebnisse vergleichen und gemeinsam eine Checkliste erarbeiten Dieses dreistufige Vorgehen foumlrdert und er-leichtert das kooperative Lernen (vgl Bartsch 2012 S 61)

Die Kuumlchenkartei dient den Schuumllerinnen und Schuumller hierbei zur Selbstkontrol-le Sie uumlberpruumlfen ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse mit Hilfe der passenden Karten Bei Bedarf ergaumlnzen sie daraufhin ihre eigene Checkliste oder erstellen eine eigene Karteikarte mit einem auf ihre Anforderungen abgestimmten Hygiene-Check Ist die Kartei im weiteren Unterrichtsverlauf stets verfuumlgbar bleibt auch der Hygie-ne-Check praumlsent und kann jederzeit wiederholt und abgerufen werden

3 Schritt fuumlr Schritt zu mehr Selbststaumlndigkeit

Die gesamte Unterrichtsreihe betrachtet die Schuumllerinnen und Schuumller als Akteure ihres eigenen Lernprozesses und stellt sie mit ihren Beduumlrfnissen ihrer Lebenswelt ihrem biografischen Hintergrund und ihren Lebensmoumlglichkeiten in den Mittelpunkt

Die Lehrenden uumlbernehmen dabei die Rolle des Moderators der die Schuumllerin-nen und Schuumller begleitet lenkt und motiviert

Lehrpersonen sind fuumlr die Bereitstellung von didaktisch-methodisch durchdachten Unterrichtsarrangements verantwortlich die ein exemplarisches und strukturiertes Lernen an geeigneten Beispielen ermoumlglichen Dabei veraumlndert sich allerdings das Lehr-Lernverhaumlltnis so begleiten und uumlberzeugen Lehrende den Lernprozess durch ihre Fachexpertise bei Moderation Anleitung Beratung etc (Bartsch 2012 S 57)

Ziel des Unterrichtsmaterials ist es jedem Einzelnen Perspektiven und Moumlglichkei-ten aufzuzeigen wie er oder sie seinen bzw ihren physiologischen Bedarf nach aus-gewogenem Essen und Trinken mit den individuellen Beduumlrfnissen in Einklang brin-gen kann

Die Kuumlchenkartei kann Lehrkraumlfte dabei unterstuumltzen auch im fachpraktischen Unterricht eine moderierende Rolle einzunehmen Wie die zahlreichen Schultests mit dem Material gezeigt haben ist die Kuumlchenkartei jedoch kein bdquoSelbstlaumluferldquo Waumlh-rend der praktischen Zubereitung sind die Schuumllerinnen und Schuumller haumlufig versucht ihre Lehrkraft um eine schnelle Anleitung zu bitten anstatt Arbeitsanleitungen genau zu lesen und bei Unklarheiten zunaumlchst die Kuumlchenkartei zu Hilfe zu nehmen

Deshalb ist es wichtig die Kuumlchenkartei zu Beginn einer praktischen Unter-richtsreihe ausfuumlhrlich einzufuumlhren und im weiteren Verlauf immer wieder auf sie zu verweisen Fragechips koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller motivieren zuerst selbst nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen Wenn jede Gruppe pro Stunde beispiels-weise nur vier Chips erhaumllt wird sie versuchen nach eigenen Loumlsungswegen zu su-chen bevor die Lehrkraft zurate gezogen wird Natuumlrlich schlieszligt dieses Vorgehen nicht aus dass die Lehrkraft auch direkte Unterweisungen gibt wenn sie diese fuumlr angebracht und effektiver haumllt

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4 Fazit

Wie die vier ausgewaumlhlten Beispiele zeigen unterstuumltzt die Kuumlchenkartei schuumllerori-entiertes Lernen und selbststaumlndiges Arbeiten Sie ergaumlnzt damit optimal das Unter-richtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo Als Nachschlagewerk und Selbst-lernprogramm laumlsst sie sich aber auch unabhaumlngig davon sehr flexibel im fachpraktischen kompetenzorientierten Unterricht einsetzen

Anmerkung 1 Idee und Konzept der Kuumlchenkartei Susanne Gruumlnwald

Literatur

Bartsch S (2012) Subjektorientierung Ein Beitrag zur kompetenzorientierten Auf-gabengestaltung in der Verbraucherbildung Haushalt in Bildung amp Forschung 3 52-64

Kessner L Braukmann M Bruumlggemann I (2012) SchmExperten in der Lernkuuml-che Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8 Bonn aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Kessner L Braukmann M Wanzek P (2012) Die Kuumlchenkartei Bonn aid info-dienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Leutnant S (2012) Selbstdifferenzierende Aufgabenformate im kompetenzorien-tierten Unterricht Haushalt in Bildung amp Forschung 3 65-76

Fuumlr die Verfasserinnen

Dipl-Oecotrophin Larissa Kessner

aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz eV

Heilsbachstr 16 D-53123 Bonn

E-Mail lkessneraid-mailde Internet wwwaidde

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im folgenden Beitrag sollen einige grundlegende Aspekte der Esskultur1 vorgestellt werden um darauf aufbauend an Beispielen aus dem Unterricht zu erlaumlutern welche Bedeutungen diese kulturellen Voraussetzungen fuumlr die Fachpraxis haben

Schluumlsselwoumlrter Handwerkliche Praxis der Nahrungszubereitung Esskultur Theorie-Praxis-Verknuumlpfung

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Fachpraxis gilt als beliebte Alternative zum sog Theorie-Unterricht und wird oft nach dem Motto sbquoLieber mit der Hand gemacht als daruumlber nachgedachtlsquo erledigt Die intendierten Lernprozesse beinhalten Forderungen an sbquodas Kochenlsquo die von Schuumllerinnen und Schuumllern (leider auch von vielen Lehrpersonen) als unnoumltige Er-schwernis wenn nicht gar als Stoumlrung gesehen werden Tab 1 REVIS-Bildungsziel 3 (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung 2005)

3 Die Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung

Die Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage hellip sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen

Dazu gehoumlrt dass sie hellip bull Mahlzeiten situations- und

alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen

bull Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten

bull Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden

bull Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren

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Lehrpersonen haben erfahrungsgemaumlszlig sehr unterschiedliche Anspruumlche an die Fach-praxis Falls sie nicht den leichteren Weg nehmen und die Jugendlichen sbquokochenlsquo lassen (bdquoDas brauchen die doch fuumlr ihr Lebenldquo) muumlhen sie sich ihnen grundlegende Fertigkeiten und deren theoretische Begruumlndung nahezubringen ndash abhaumlngig vom eigenen Grad der Professionalisierung

Im REVIS-Curriculum2 wurde der bisherige Zugang zur Fachpraxis entscheidend erweitert bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo Der sich hieraus ergebende Bildungsauftrag geht uumlber sbquoKochenlsquo hinaus und wird erst vollstaumlndig wenn die ange-strebte Kompetenz bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzenldquo (s Tab 1) hinzukommt

1 Grundlagen eines sbquokulturellen Verstaumlndnisseslsquo der Nahrungszubereitung3

Menschen sind von Natur aus sbquoKulturwesenlsquo Als sbquoinstinktlose Omnivoren (Alles-fresser)lsquo benoumltigen sie Wissens- und Handlungsstrukturen die es ermoumlglichen die alltaumlgliche Versorgung mit Nahrung zu sichern Diese Strukturen sind grundlegende Legitimation dafuumlr dass Ernaumlhrungsbildung Teil des verbindlichen gesellschaftli-chen sbquoKulturwissenslsquo sein muss gleichberechtigt zu Sprachen Mathematik oder Informatik (vgl Barloumlsius 2011 Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies 2011)

Die geforderten Wissens- und Handlungsstrukturen muumlssen durch leitende Werte und Ziele definiert werden Vorherrschende Begruumlndungen basieren in der Schulkuuml-che meist (falls nicht vorrangig auf Erfahrungen der Lehrkraft) auf natur- und ar-beitswissenschaftlichen Grundlagen ergaumlnzt durch politische Ziele (wie zB Nach-haltigkeit) ndash alles ohne Einordnung in einen groumlszligeren auch kulturellen Zusammenhang Kulturelle Zusammenhaumlnge ermoumlglichen aber erst die Strukturie-rung und Analyse und sind deshalb fuumlr die Ausgestaltung der Fachpraxis zentral

Drei Institutionen des Essens Menschen regeln ihre Wertung von Nahrungsmitteln deren Zubereitung und Ver-zehr uumlber drei Institutionen (vgl Barloumlsius 2011 S 93ff)4

(1) Die kulturelle Bestimmung von bdquoessbarldquo und bdquonicht essbarldquo

Menschen als sbquoOmnivorenlsquo koumlnnten mehr Nahrungsmittel nutzen als sie kennen koumlnnen Dies fuumlhrt dazu dass kulturell bestimmt wird welche Nahrungsmittel ak-zeptiert werden und welche nicht Neben Vertraumlglichkeit und Oumlkonomie (Effizienz des notwendigen Arbeitseinsatzes) gibt es eine Vielzahl von offiziellen (zB religiouml-sen politischen) und inoffiziellen (zB Tabus Moden) Reglementierungen Entspre-chend ist die Nahrungsauswahl auch ein Ausdruck von Normen und Werten bis hin zu den Bewertungen dazu was sbquomanlsquo (wer in welcher Situation) isst oder nicht isst

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Auf dieser Basis entwickelt sich Geschmack welcher dann der sozialen Distink-tion dient Subjektiv wird dieser Zusammenhang selten bewusst wahrgenommen Jugendliche kennen zwar auch sbquoEss-Modenlsquo aber sie empfinden ihre Auswahl zu-naumlchst als selbstverstaumlndlich als Ausdruck ihres sbquoGeschmackslsquo Sie wissen und ver-stehen weder die naturwissenschaftlichen noch die kulturellen Hintergruumlnde fuumlr die sbquoEntwicklung von Geschmacklsquo ndash wie viele Lehrpersonen leider auch nicht

In der Nahrungszubereitung dient die Konfrontation mit Nahrungsmitteln Ge-richten und Geschmaumlckern auch der Entwicklung und Erweiterung eines sbquokulturellen Geschmackslsquo als Teil kultureller Bildung Mit der Zubereitung von Gerichten wer-den nicht nur Kompetenzen angebahnt sondern auch Geschmaumlcker Wertungen und Zuschreibungen (gut ndash schlecht traditionell ndash modern Alltag ndash Sonntag etc) tradiert Ein Geschmack der sbquoHeimatlsquo der sbquoModernelsquo der sbquoGesundheitlsquo oder des sbquoExotischenlsquo wird so erworben ndash oder abgelehnt Geschmackserfahrungen gehen ndash mit Gefuumlhlen und Wertungen verbunden ndash in zunaumlchst unreflektierte sbquoGrundstimmungenlsquo (u a wichtig fuumlr Identitaumlt und Sicherheit) und -haltungen (Zuwendung Abwehr etc) so-wie damit verbundene Handlungsmuster uumlber Erst wenn diese Zusammenhaumlnge verstanden werden kann die eigene Entwicklung als sbquogewordenelsquo reflektiert und die Nahrungszubereitung gezielt zur Erweiterung der Akzeptanzen genutzt werden

(2) Die Kuumlche als kulturelles Regelwerk

Kuumlchen sind sowohl Raumlume mit spezifischer technologischer Ausstattung als auch Bezeichnung fuumlr typische Arten und Weisen der Zubereitung die uumlberdies Botschaf-ten beinhalten (Sprache der Kuumlche) In beider Hinsicht sind sie soziokulturelle Phauml-nomene mit entsprechenden Charakteristika und dienen der kulturellen und sozialen Identitaumlt bdquoZwischen Beduumlrfnis (Hunger) und Befriedigung (Essen und Trinken) setzt der Mensch das ganze kulturelle System der Kuumlcheldquo betont Tolksdorf (1976 S 67) und hebt damit hervor dass die Auswahl Bearbeitung und Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Speisen und Mahlzeiten einem komplizierten und differenzierten Regelwerk unterliegt

Obwohl viele Nahrungsmittel in vielen Laumlndern aumlhnlich oder gleich sind (wie zB Huumllsenfruumlchte Getreide) schmecken die daraus bereiteten Gerichte aufgrund der unterschiedlichen sbquoKuumlchenlsquo voumlllig anders (vgl Schlegel-Matthies 2002) Die Verarbeitung mit teuren Zutaten (fruumlher oft Eier und Fett heute seltene Zutaten) und mit einem houmlheren Aufwand (Arbeit Zeit Wissen und Fertigkeiten) kann zur Auf-wertung fuumlhren (vgl Roumlszligler-Hartmann 2012)

In der Nahrungszubereitung finden diese Aspekte ihren Platz durch vorgegebene leitende Werte und damit verbundene Rezepte sbquoGesundelsquo Rezepte sind fett- und sbquonachhaltigelsquo fleischaumlrmer sbquotraditionellelsquo sind eher fett- und fleischreicher Alltags-speisen beanspruchen weniger Wissen und Zeit als Feiertagsspeisen etc Dabei sind Werte wie sbquogesundlsquo meist unhinterfragt gesetzt werden aber durch andere Werte wie sbquofestlichlsquo sbquoschmackhaftlsquo sbquoexotischlsquo etc verdraumlngt bzw ausnahmsweise ausgesetzt Kuumlchentechniken werden entweder arbeitswissenschaftlich begruumlndet (rationell

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sicher hygienisch) oder mit dem schlichten Hinweis bdquoDas macht man soldquo So kann der kulturelle Hintergrund schnell verdeckt werden

(3) Die Mahlzeit als soziale Institution

Mahlzeiten dienen der Herstellung und Bewahrung von Gemeinschaft und Zugehouml-rigkeit In ihren unterschiedlichen Elementen den Tischgemeinschaften-sitten und -gespraumlchen) ihren Auspraumlgungen in Alltag und Festtag ihrer haumlus-lichfamiliaumlren und auszligerhaumluslichen Erscheinungsform haben sie eine soziokulturell strukturierende Bedeutung (vgl Barloumlsius 2011 S 172ff Schlegel-Matthies 2002 2011)

Eine integrierende bzw ausgrenzende Funktion haben die Bestimmungen wer wann wo in welchem Rahmen zusammen isst sowie die Tischsitten Die Bedeutung der Letzteren ist so stark dass von vielen Menschen sbquoEsskulturlsquo vor allem mit dem Benehmen bei Tisch verbunden wird Dabei sind die Regeln bei genauerer Betrach-tung von den jeweiligen sozialen Zusammenhaumlngen abhaumlngig Sie hatten und haben u a die Aufgabe die soziale Stellung angemessen wiederzugeben Heute gelten zB traditionelle buumlrgerliche Regeln will man sich nicht im Restaurant blamieren oder anderen Menschen denen sie wichtig sind sbquovor den Kopf stoszligenlsquo

Die Nahrungszubereitung ist im Unterricht haumlufig mit gemeinsamem Essen ver-bunden wobei eine Einfuumlhrung in diese sbquoKultur des Essenslsquo erfolgen soll Deren Beherrschung ist haumlufig eine Voraussetzung fuumlr die soziale Akzeptanz von Men-schen ihre Vermittlung ist damit Teil des demokratischen Auftrags von Schule Die hinter den (sozio-kulturell unterschiedlichen) Regeln verborgenen Zusammenhaumlnge sind allerdings wenig bekannt und selten beruumlcksichtigt

Das Bildungsziel zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahl-zeitengestaltung verlangt mehr als die mehr oder (meist) weniger reflektierte Ver-mittlung vorherrschender (sozio-)kultureller Standards auf dem Stand der biogra-phisch erworbenen Erfahrung der Lehrkraft Erfahrungswissen ist wertvoll aber begrenzt (vgl Brandl 2012) Professionalitaumlt verlangt auch bei der Nahrungszuberei-tung Hintergrundwissen Wissen zu natur- und arbeitswissenschaftlichen Zusam-menhaumlngen ist weitgehend als notwendig akzeptiert Es wird aber weniger reflektiert dass und wie auch dieses Wissen kulturellen Einfluumlssen unterliegt Eine solche Re-flexion kann fuumlr einen gelingenden Unterricht hilfreich und das Wissen damit auch notwendig sein

2 Unterschaumltzte Grundwiderspruumlche

21 Professionalitaumlt versus Alltagswissen und -routinen

Jugendliche haben Erfahrungen (zB aus dem Elternhaus oder aus dem Fernsehen) oder Vorstellungen (darunter auch spontane Planungen) wie Nahrung bearbeitet und zubereitet werden kann ndash und sind oft stolz darauf Die haumlusliche Nahrungszuberei-

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tung ist nicht systematisch und rationell organisiert sondern von Raumgestaltung Alltagsroutinen und auch von der Vermischung mit anderen Arbeitsgaumlngen abhaumln-gig Die Ausstattung der Kuumlchen ndash und damit auch Kenntnis und Nutzung einzelner Geraumlte ndash ist entsprechend unterschiedlich

Wenn im Bildungsziel 3 (siehe Tab 1) formuliert ist bdquoTechniken der Nahrungs-zubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden koumlnnenldquo dann sind damit mehr kulturelle Strukturen verbunden als auf den ersten Blick erkennbar Die (im Elternhaus) erlernten Praktiken entsprechen haumlufig nicht professionellen Kriterien die in der Schulkuumlche die Arbeit leiten sollten Die Begruumlndung dafuumlr warum in der Schule professionelle Techniken vorgezogen und damit auch Handlungsalternativen geboten werden und die Unterscheidung zwischen sbquoVerbesserunglsquo von Arbeitspro-zessen sowie nicht verhandel- aber begruumlndbaren Grundlagen von Hygiene und Sicherheit kommen meist zu kurz Eine bloszlige Gegenuumlberstellung von sbquorichtiglsquo und sbquofalschlsquo kann Widerstand wecken Die explizite Gegenuumlberstellung haumluslicher und professioneller Arbeitstechniken die eine Analyse ihrer Unterschiedlichkeit auf-grund verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen zur Grundlage hat ermoumlg-licht beides zu respektieren

Arbeits- und Gartechniken beruumlcksichtigen zB Kriterien wie Arbeitsersparnis Naumlhrstoffschonung oder Geschmack Damit neue Arbeitsprozesse als Erleichterung wahrgenommen werden muumlssen sie Teil der Alltagsroutinen werden Erst dann werden sie Handlungsalternativen Mit offenen Diskussionen daruumlber dass Schule Wissen und Koumlnnen erweitern soll und Unterricht daher keine Spiegelung privater Verhaltensweisen zum Ziel hat sondern Reflexion und Entscheidungsfaumlhigkeit daruumlber kann die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen gefoumlrdert werden Viele Dinge werden klar wenn man die mit ihnen verbundene Arbeitslogik offen legt Der Umgang mit professionellen Kochmessern ist fuumlr Studierende und Jugendliche oft ungewohnt und zunaumlchst befremdlich Sie fuumlhlen sich mit einem kleinen Messer sicherer Man kann zB demonstrieren dass man mit einem kleinen und schmalen Messer auf einem kleinen Brett nicht sinnvoll und auch nicht sicher Gemuumlse schneiden kann Der Umgang mit einem Kochmesser erfordert eine gute Einwei-sung und Uumlbung (vgl Tornieporth 1993) Motivation dazu koumlnnen zB Koch-shows bieten in denen mit solchen Messern gearbeitet wird Voraussetzung ist allerdings dass gute (scharfe) Kochmesser in den Schulkuumlchen nicht nur vorhan-den sind sondern von den Lehrpersonen auch beherrscht und genutzt werden An dem beliebten sbquoHausfrauen-Allzweck-Suppenloumlffellsquo kann und sollte analysiert werden dass man mit ihm auf einem Topfboden nur Kratzspuren hinterlassen und keine Masse mischen kann Schneebesen sind dazu sinnvoller Es gilt entscheiden zu koumlnnen wann man nur kurz umruumlhren und probieren oder wann man Ansetzen vermeiden oder mischen will

Die Entwicklung einer Haushaltstechnik und Arbeitsorganisation sollte der Ar-beitserleichterung im Haushalt dienen Beide druumlcken kulturelle Errungenschaften aus die erlernt und eingeuumlbt werden koumlnnen Werden diese Zusammenhaumlnge klar-

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gestellt ohne den haumluslichen Alltag abzuwerten kann auch die Einhaltung von Regeln leichter werden Dabei sollte auch nicht geleugnet werden dass die ar-beitswissenschaftliche Logik die sich meist auf einzelne Arbeitsprozesse bezieht nicht immer kompatibel ist mit einer sbquoLogik des Alltagslsquo in diesem Alltag sind komplexe Situationen zu bewaumlltigen

22 Buumlrgerliche Kultur und einfache Alltagskuumlche

Die Haushaltslehre orientiert sich in weiten Bereichen an den Normen der buumlrgerli-chen Haushaltsfuumlhrung Bezogen auf eine kulturelle Sozialisation und Integration oder auf eine spaumltere Berufstaumltigkeit kann dies auch sinnvoll sein sollte aber nicht unreflektiert geschehen

Rezepte Gerichte und Mahlzeitengestaltung waren immer durch die unterschied-lichen Lebensbedingungen und -stile bestimmt In reichen Haushalten durfte die Bruumlhe den Appetit anregen in anderen musste eine dicke Suppe den (ersten) Hunger stillen damit Fleisch und andere Lebensmittel gespart werden konnten Wer wenig Zeit und Geld hatte konnte sich auch keinen groszligen Aufwand bei der Nahrungszu-bereitung leisten Wenige Menschen wissen dass das mehrgaumlngige Menu mit geson-dertem Geschirr und Besteck fuumlr jeden Gang in Schuumlsseln aufgetragen auf einen Tisch auf dem eine Tischdecke und Stoffservietten liegen einer Norm aus dem 19 Jahrhunderts folgt Und diese Norm entstand in Haushalten in denen Dienstboten die damit verbundene Arbeit uumlbernahmen Heutige Jugendliche merken zu Recht an dass sie mit den Servierschuumlsseln und -platten mehr Arbeit haben als wenn die Kochtoumlpfe und Pfannen auf den Tisch gestellt werden Nach welchen Regeln das Essen auf den Tisch kommt sollte nicht (nur) die Wiederholung buumlrgerlicher Nor-men beinhalten sondern auch deren Reflexion ndash und damit auch die Suche nach arbeitssparenden Alternativen fuumlr den Alltag in Haushalten (Teller auffuumlllen in der Kuumlche aumlsthetische Bewertung von Kochgeschirr etc) Die Teilkompetenz bdquoMahlzei-ten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnenldquo (s Tab 1) beinhaltet u a solche Uumlber-legungen Die Wertschaumltzung der Arbeit ist im doppelten Sinn geboten (1) Nur wer erkennt dass Nahrungszubereitung auch Freude machen kann und ein wichtiger Teil der Selbstbestimmung daruumlber ist was gegessen wird wird auch bereit sein sich die notwendigen Kompetenzen so anzueignen dass die Arbeit sbquoleicht von der Hand gehtlsquo (2) Die Wertschaumltzung derer ist geboten die diese Arbeit leisten und den ande-ren damit Nahrung bieten Die heutige Familienkultur verhindert haumlufig dass damit verbundene Arbeit erkannt und anerkannt wird weil Kinder und Jugendliche haumlufig nicht mehr sehen wie Nahrung zubereitet wird sondern sie bdquojust in timeldquo vorgesetzt bekommen (vgl Roumlszligler-Hartmann 2007 S 224)

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23 Bewertungen und Qualitaumltskriterien

Mit der ersten Teilkompetenz bdquoSpeisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumln-nenldquo (s Tab 1) sind drei Qualitaumltskriterien festgelegt

Fuumlr Jugendliche (und Studierende) enthaumllt der Hinweis bdquoMir schmecktrsquos aberldquo meist die Botschaft dass alle anderen Kriterien als unwichtig erachtet werden Geschmackswertungen sollten daher explizit von anderen Kriterien wie rationelle und hygienische Arbeitsorganisation Gesundheitswert getrennt werden Zudem sollte Geschmack ein eigenstaumlndiges Thema im Unterricht sein

Der Satz sbquoUumlber Geschmack laumlsst sich nicht streitenlsquo gilt durchaus wenn es um individuelle Praumlferenzen geht Wie diese entstehen und welche Unterschiede zur sensorischen Bildung bestehen ist eine gesonderte Frage Sensorische Bildung leitet an Unterschiede zu analysieren oder die Wirkung von Kombinationen unter-schiedlicher sensorischer Eindruumlcke (Geschmack Geruch Konsistenz etc) ken-nenzulernen ndash und nicht Praumlferenzen vorzuschreiben sbquoGeschmacksbildunglsquo dage-gen legt offen wie Geschmack entsteht was er bedeutet und wie man damit umgehen kann ndash dazu gehoumlrt auch dass und wie man ihn selbst aumlndern kann Sinn-lichkeit beinhaltet all dies und noch mehr Jugendliche sollen Freude am Essen und an der Nahrungszubereitung haben sollen genieszligen lernen denn das muss gelernt werden (vgl Bergler amp Hoff 2011 Houmlhl 2009) Sensorische Bildung und Ge-schmacksbildung gehoumlren zur Sinnlichkeit ebenso wie eine gute Beziehung zum Koumlrper (vgl Bartsch 2008 Methfessel 2002) Versteht man diese Zusammenhaumln-ge muss man sich nicht mehr wundern dass viele Jugendliche von sich aus wenig Interesse zeigen zu probieren und Wuumlrzmoumlglichkeiten zu variieren

Soziokulturelle Differenzen finden sich auch beim Ziel einer Gesundheitsfoumlr-derung Zum einen haben unterschiedlich vorhandene Ressourcen (Zeit Geld Kompetenzen) Einfluss auf das haumlusliche Essensangebot Zum anderen haben Ju-gendliche auch unterschiedliche Haltungen zur Bedeutung des Essens fuumlr die Ge-sundheit In Abhaumlngigkeit vom sozialen Milieu differiert was als sbquogutes Essenlsquo angesehen wird Waumlhrend zB Saumlttigung und Geschmack wichtige Kriterien fuumlr koumlrperlich Arbeitende sind orientieren Menschen aus Milieus mit houmlherem Bil-dungsniveau ihre Nahrung staumlrker an anderen Werten wie Gesundheit Schlankheit angesagten Ernaumlhrungskonzepten (vgl Barloumlsius 2011 Bourdieu 1993 Stieszlig amp Hayn 2005) Bei solchen Orientierungen spielen neben Wissen um die Bedeutung der Nahrung auch Vorstellungen uumlber die Kontrollierbarkeit von Koumlrper und Ge-sundheit eine Rolle (vgl Faltermaier 2005) Daneben ist auch festzustellen dass eine problematische soziale Lage und damit verbundene geringe Erwartungen an die Zukunft auch die Bereitschaft reduzieren kann das Essverhalten selbst zu kon-trollieren bzw kontrollieren zu lassen Wenn das Leben wenig Freuden bietet

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kann das Essen ein wichtiger bdquoFreudengeberldquo und eine bdquoBastionldquo der Selbstbe-stimmung sein5 Diese und andere Zusammenhaumlnge koumlnnen erklaumlren warum Ler-nende sehr unterschiedlich auf Vorgaben der Lehrkraft zum Thema Gesundheit reagieren

Mit dem dritten Kriterium der Nachhaltigkeit ist der Konflikt zwischen indivi-duellem Genuss und politischen Werten der Nachhaltigkeit (Beruumlcksichtigung globaler oumlkologischer sozialer und oumlkonomischer Zusammenhaumlnge) verbunden Jugendliche sind gegenwartsorientiert und viele suchen nach einfachen Wegen zum Wohlbefinden Die Reflexion der globalen Auswirkungen individuellen Konsums (zB bezogen auf Fleisch) und die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung muumlssen erst erlernt werden Damit wird dann ein wertvoller Beitrag zur Bildung fuumlr nachhaltige Entwicklung (BNE) geleistet Fuumlr Jugendliche ist allerdings nicht uumlber-zeugend wenn dies zB nur in einer einzelnen Unterrichtseinheit thematisiert wird dann einmalig Bio-Produkte zubereitet werden und das Kriterium sbquoNachhaltigkeitlsquo keinen Eingang in die handwerkliche Praxis ndash auch mit alltaumlglichen Umsetzungs-moumlglichkeiten ndash findet

Bei der Diskussion um Qualitaumlt und deren Bewertungskriterien sind auch wei-tere Bewertungen und Begruumlndungen welche den Jugendlichen wichtig sind zu erfragen und zu beruumlcksichtigen Dies kann alle Lebensbereiche betreffen religioumlse Vorgaben unterschiedliche Geschmackspraumlferenzen Gesundheitsvorstellungen Sinn und Qualitaumlt von (Halb-)Fertigprodukten etc Die Entwicklung und Begruumln-dung von Qualitaumltskriterien sind eine eigene Bildungsaufgabe Die didaktische Herausforderung liegt darin konstruktiv mit Widerspruumlchen zwischen Kriterien bzw zwischen schulischen Bildungszielen und Interessen von Jugendlichen umzu-gehen

3 Folgerungen

Aus den beschriebenen Zusammenhaumlngen erwachsen viele Herausforderungen an (angehende) Lehrpersonen Zunaumlchst muumlssen sie reflektieren welche kulturellen Muster ihr eigenes Verhalten leiten ndash und sich ggf das dazu notwendige Wissen aneignen Schon allein bei der Auswahl der Rezepte und der damit verbundenen Techniken bewegen sie sich meist nur in dem ihnen vertrauten Rahmen (Jugendli-che sollen zB alles probieren selten wird aber zubereitet was die Lehrkraft selbst nicht mag oder bei der Rezeptauswahl orientiert sie sich nicht an Lehr-Lernzielen und fragt auch nicht nach der Bedeutsamkeit des zu Erlernenden fuumlr die Jugendli-chen) Ein Verstaumlndnis der sbquokulturellen Gewordenheitlsquo schafft einerseits mehr Be-reitschaft sich anderen Gerichten und Techniken zu oumlffnen Anderseits gewinnen Lehrpersonen mehr Faumlhigkeiten mit den unterschiedlichen zu beachtenden Dimen-sionen der Nahrungszubereitung und den Widerspruumlchen zwischen diesen Dimen-sionen umzugehen und Alternativen entwickeln zu koumlnnen Diese Faumlhigkeiten sind

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notwendig um die vierte Teilkompetenz bdquoInformationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnenldquo (s Tab 1) verstehen und vermitteln zu koumlnnen Im Unterricht stehen sich oft Lehrpersonen und Jugendliche gegenuumlber die sehr unterschiedliche Erfahrungen Vorstellungen und Praumlkonzepte zu Haushaltsfuumlhrung und Nahrungs-zubereitung sowie zum Zusammenhang von Essen Koumlrper Gesundheit etc haben Der Umgang mit Widerspruumlchen erfordert mehr als eine rationale Argumentation Eine sbquokultursensiblelsquo Analyse und Reflexion sollte beruumlcksichtigen dass ndash direkte oder indirekte ndash Infragestellungen der familialen sozialen religioumlsen milieuspezi-fischen etc Kultur immer auch Identitaumlt und Selbstwertgefuumlhl beruumlhren

Die Legitimation der Ernaumlhrungsbildung als Teil der Naturwissenschaftlichen Bildung undoder die jeweilige wissenschaftliche Sozialisation verleiten Lehrperso-nen zu oft dazu nur arbeits- und naturwissenschaftliche Theorien zur Begruumlndung der Regeln fuumlr die Nahrungszubereitung heranzuziehen Damit unterliegen sie zwei Begrenzungen Zum einen werden das Alltagshandeln leitende kulturwissenschaftli-che Zusammenhaumlnge ausgeblendet ndash und damit auch ein Zugang zum Handeln und Verhalten der Lernenden verwehrt Zum anderen kann mit dem alleinigen (durchaus sinnvollen und notwendigen) naturwissenschaftlichen Denken (zB bei Experimen-ten) nicht die Komplexitaumlt des Alltags bewaumlltigt werden Kuumlstlers (2012) Bezug auf die MINT6 Faumlcher mag positiv bewertet werden erfasst aber nicht den vollstaumlndigen Fachauftrag welcher uumlber die MINT-Faumlcher hinaus geht

Es kann daher sinnvoll sein Kompetenzmodelle (zB Dachtler-Freiler amp Kuumlst-ler 2012) noch einmal daraufhin zu uumlberpruumlfen wieweit sie kulturelle Aspekte ex-plizit aufgenommen haben Die Kombination naturwissenschaftlicher Bezuumlge mit der Analyse und Reflexion der Entwicklung der Alltagskultur ist nicht nur sinnvoll son-dern bietet auch die fuumlr Lernprozesse notwendige Sinnhaftigkeit So kann zB die Kombination des Verstaumlndnisses der Lebensbedingungen von (Mikro)Organismen mit Wissen zur Denaturierung von Eiweiszlig viele Zusammenhaumlnge von Hygiene und Konservierung erklaumlren Dies fuumlhrt nicht unbedingt zum hygienischen Umgang im Kuumlchenalltag Wissen wird oft erst persoumlnlich sinnhaft wenn bewusst Konsequenzen fuumlr das eigene Handeln gezogen werden Dazu ist zB sinnvoll auch zu diskutieren und zu reflektieren warum viele meinen dass ein Kuumlhlschrank weniger geputzt wer-den muss als eine oumlffentliche Toilette (welche oft nachweislich weniger Keime ent-haumllt) undoder welche anderen Gruumlnde daran hindern ihn alle zwei bis drei Wochen gruumlndlich zu reinigen

Roumlszligler-Hartmann (2012) hat dargestellt dass und wie das Modell einer Mahlzeit zum Ausgangspunkt der Reflexion von Esskulturen genutzt werden kann sbquoDarum herumlsquo kann man noch weitere Moumlglichkeiten schaffen Nahrungszubereitung in all ihren Schritten und Dimensionen als Ergebnis kultureller Entwicklung zu verstehen Der Anthropologe Levi-Strauss (1972) merkte einmal an dass der Mensch sich vom Tier durch den Kult und das Kochen unterscheide Es ist lohnenswert diese mensch-liche Kompetenz zu vermitteln

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Anmerkungen 1 Auf eine theoretische Grundlegung des Begriffes Kultur bzw Alltagskultur oder

wird hier verzichtet (vgl dazu Methfessel amp Schlegel-Matthies im Druck) 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Hier kann kein systematischer Einblick in die Diskussion der Esskultur gegeben

werden (zum Uumlberblick vgl Barloumlsius 2011 Methfessel 2005 Schlegel-Matthies 2001 2002 und die darin jeweils angegebene Literatur)

4 Die Strukturierung von Barloumlsius (2011) bietet eine hervorragende Analysegrund-lage alle weiteren vorgestellten Kategorien koumlnnen sich ihnen gut zu- bzw un-terordnen

5 Ein niedriger Schulabschluss fuumlhrt zu weniger Gesundheit und Lebenszufrieden-heit Bildungsstrukturen benachteiligen sozial Schwache (vgl Daten der GEDA-Studie 2009 nach BMAS 2013 S 198ff)

6 MINT Mathematik Informatik Naturwissenschaft und Technik

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Verfasserinnen

Profin (i R) Dr Barbara Methfessel Paumldagogische Hochschule Heidelberg Fachgebiet Ernaumlhrungs- und Haus-haltswissenschaft und ihre Didaktik E-Mail methfesselph-heidelbergde Internet wwwph-heidelbergdeernaehrungs-und-haushaltswissen-schaftpersonendozentinnenprof-dr-barbara-methfesselhtml

Profin Dr Kirsten Schlegel-Matthies Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Ge-sundheit Department Sport amp Gesund-heit Fakultaumlt fuumlr Naturwissenschaften der Universitaumlt Paderborn E-Mail schlegelmailupbde Internet httpdsguni-paderborndeevbpersonenprof-dr-kirsten-schlegel-matthies

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Silke Bartsch und Jana Brandstaumldter

bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung Zunaumlchst wird uumlber eine begriffliche Klaumlrung eine Annaumlherung an das Phaumlnomen der bdquoErleb-niskuumlcheldquo gesucht um sie als Inspiration fuumlr neue Zugaumlnge fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung nach REVIS1 zu nutzen Ausgangspunkt dafuumlr ist das Erlebnis in seiner Abgrenzung durch das Besondere vom Alltaumlglichen Daran schlieszligen sich in dem hier essayhaft verfassten Beitrag erste fachdidaktische Uumlberlegungen und Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung an

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Erlebnis Kuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung

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Einleitung Zurecht hat er selbst darauf hingewiesen dass Essen die moumlglicherweise komple-xeste menschliche Aktivitaumlt darstellt Man sieht ein Gericht riecht es fasst es an und fuumlhlt es nimmt beim Konsum sowohl Geschmack als auch akustische Reize ndash beispielsweise Knuspern beim Essen eines Eiswuumlrfels ndash wahr Gesellt sich dann noch ein Konzept hinzu wie beispielsweise bei den sich aufloumlsenden Ravioli wird sogar noch das Gehirn stimuliert In dieser Gleichzeitigkeit so vieler Sinneswahr-nehmungen und Reize liegt eine unglaubliche Chance zu neuen Erlebnissen und Erfahrungen die sich Adriagrave immer wieder zu Nutze macht (Blogger uumlber Ferran Adriagrave Sternekoch im spanischen Restaurant El Bulli2)

Das Zitat des spanischen Sternekochs Ferran Adriaacute illustriert ein umfassendes Sin-neserlebnis beim Essen das hier durch die Molekularkuumlche kreiert und inszeniert wird Die Geheimnisse der Kochkunst begleiten die Kulturgeschichte so ist zB aus der Antike bekannt dass besondere Geschmacks- und Sinneserlebnisse zum Vergnuumlgen gesucht wurden (vgl zB Lemke 2007) An diese Tradition knuumlpfen die Vertreter der Molekularkuumlche gerne an die durch die heute zur Verfuumlgung stehenden kuumlchentechnischen Moumlglichkeiten neue Dimensionen schaffen koumlnnen

Die hier gewaumlhlte Wortschoumlpfung Erlebniskuumlche3 greift die Idee der Erlebnis-gastronomie auf Beispiele dafuumlr sind die sog Dinnershows wie bdquoPomp Duck and Circumstancesldquo die Zirkus oder Varieteacute und (gehobene) Gastronomie effektvoll in auszligergewoumlhnlichen bdquoLocationsldquo wie einem Spiegelzelt kombinieren und als Ge-samtevent vermarkten Mit dem Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo soll aber nicht allein auf ein interessantes Geschmackserlebnis fokussiert werden sondern vielmehr soll die gegenwaumlrtig in vielen Varianten anzutreffende Verbindung zwischen bdquoErleb-nisldquo und bdquoKuumlcheldquo sowie Essen und Mahlzeiteninszenierung (Unterhaltung) als

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Phaumlnomen in unserer Gesellschaft herausgestellt werden Bei der Systematisierung der Beispiele faumlllt auf dass Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo in sehr unter-schiedlichen Zusammenhaumlngen beobachtbar sind

Speise13 als13 Erlebnis13 Speise13 und13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

(Essen13 und13 Unterhaltungsprogramm)13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

13 13

Verzehr13 Kein13 Verzehr13 auszligergewoumlhnliche13 Gerichte13 exotische13 Nahrungsmit-shy‐tel13 (zB13 geroumlstete13 In-shy‐sekten)13 mit13 Brausepulver13 13 gefuumlllte13 Kaugummis13 Bubble-shy‐Tea13 FroYo13 (Frozen13 Yogurt)13 hellip13

13

Dinnershows13 Schaukuumlchen13

Themenbezogene13 Kochkurse13 bdquoKrimidinnerldquo13

Dinner13 im13 Dunkeln13 Dicircner13 en13 Blanc13

Restaurants13 mit13 Molekularkuumlche13 (Bsp13 bdquoEl13 Bullildquo13 mit13 Sternekoch13 F13 Adriagrave)13

hellip13

Food-shy‐Blog13 Kochshow13 (TV)13

Lebensmittelfotografie13 Kochbuch13 Kinofilm13

hellip13

13

Abb 1 Kategorisierung von Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo (Quelle Eigene Darstellung)

Wie Abbildung 1 zeigt reicht das Spektrum der Beispiele vom Verzehr bis hin zu solchen bei denen das Essen keine Rolle mehr spielt Auf der einen Seite loumlst der Nahrungsmittelkonsum ein Erlebnis aus und auf der anderen Seite findet kein Kon-sum statt und dennoch wird der Erlebnischarakter uumlber Essen erfasst

Beispiele fuumlr letzteres Phaumlnomen sind Kochshows Food-Blogs etc Unter Food- Blogs werden im Allgemeinen Internetblogs verstanden auf denen Blogger (Privatpersonen Schauspieler Models etc) mehr oder weniger regelmaumlszligig Beitrauml-ge uumlber das weite Themenfeld Essen oft in Verbindung mit Bildern veroumlffentli-chen Ebenso werden hier sog Kochshows im Fernsehen4 als Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo aufgefasst da auch hier eine Verbindung zwischen Erlebnis und Kuumlche besteht ohne dass die Zuschauenden selbst beim Essen teilnehmen Das Beispiel von Kochbuumlchern die einfach nur durchgeblaumlttert werden koumlnnen gehouml-ren ebenfalls in diese Spalte gleichzeitig wird deutlich dass die Uumlbergaumlnge flie-szligend sind da zuweilen das eine oder andere auch gekocht wird Fuumlr die im Schau-bild in der rechten Spalte aufgezaumlhlten Beispiele steht folglich der Unterhaltungscharakter auf visueller Ebene im Vordergrund

Im mittleren Bereich der Abbildung werden Beispiele angeordnet bei denen das Essen selbst mit weiteren (meist essensfremden) Unterhaltungselementen fuumlr die Sinne mehr oder weniger gleichgewichtig inszeniert wird Beispiele fuumlr diesen Bereich stammen uumlberwiegend aus der Erlebnisgastronomie zu der nach heutiger Auffassung etwa Mahlzeiten im Dunkeln und das Krimidinner gehoumlren An dieser Stelle gilt allerdings hervorzuheben dass die Erlebnisgastronomie keine Erfindung

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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des 21 Jahrhunderts ist wie historische Quellen aus dem 15 Jahrhundert belegen (Boron 2005) Ein weiteres Beispiel sind die bdquoDicircner en Blancldquo (Abb 2) bei denen uumlber private (Internet-)Netzwerke ein bdquoMassenpicknickldquo bevorzugt an populaumlren Plaumltzen in Staumldten wie Avenue des Champs-Eacutelyseacutees in Paris organisiert wird Alle Beteiligten sind weiszlig gekleidet

Abb 2 Dicircner en blanc in Karlsruhe 2013 (Bild copy Schlittenhardt [httpdiner-en-blanc-

karlsruhede] Schlieszliglich kann auch die Speise bzw darin verarbeitete Lebensmittel allein der Grund fuumlr ein Erlebnis sein (linke Spalte) Erfahrungsgemaumlszlig loumlsen einige Beispiele ndash auch aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten ndash uumlberwiegend bei Jugendli-chen einen Reiz aus Hierzu zaumlhlen etwa Kaugummis die zunaumlchst eine saure Oberflaumlche haben welche aber durch eine beim Zerbeiszligen austretende suumlszlige Fluumls-sigkeit neutralisiert wird oder Modegetraumlnke (zB Bubble-Tea FroYo) die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen haben

Allen beobachten Formen der bdquoErlebniskuumlcheldquo ist die Hervorhebung der Speise undoder des Essens aus dem Alltaumlglichen und die gleichzeitige Inszenierung eines i d R aumlsthetisch ansprechenden (Sinnes-)Erlebnisses gemeinsam Daraus ergeben sich Fragen und Ansatzpunkte fuumlr die fachdidaktische Diskussion Ziel dieses Beitrages ist die Idee des bdquoErlebnissesldquo aufzugreifen im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Fachpraxis Ernaumlhrung zu explorieren sowie erste Folgerungen fuumlr die Unterrichtsarbeit mit exemplarisch ausgewaumlhlten Lernideen aufzuzeigen Der vorlie-gende Beitrag kann und will dazu lediglich Impulse geben und zur Diskussion anre-gen

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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1 Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo

Wie dargestellt druumlckt der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo die Verbindung zwischen Erleb-nis und Kuumlche aus mit der Idee verbindende Elemente zwischen den unterschiedli-chen Erscheinungsformen der Erlebnisorientierung rund ums Essen hervorzuheben (vgl Brandstaumldter 2013)

Erlebnisse die grundsaumltzlich in Verbindung mit Emotionen5 stehen (vgl Salz-mann 2007) werden haumlufig auch als Buumlndelung einzelner Emotionen beschrieben (vgl Woll 1997) Diese Buumlndel koumlnnen von einem Zusammenspiel unterschiedli-cher Emotionen wie Freude Bewunderung Hass oder Billigung bestimmt sein (vgl Ortony amp Clore 1990) Eine einheitliche begriffliche Definition von Erlebnis exis-tiert derzeit nicht Vielmehr befindet man sich bdquoaugenblicklich noch auf der Suche nach einer schaumlrferen begrifflichen Fassungldquo (Muumlller-Hagedorn 2011 S49) Viele Definitionen zum Thema Erlebnis sind im Marketingbereich angesiedelt da dort Erlebnisse als Marketinginstrument in einer auf jugendliche Ausgelassenheit ausge-richteten bdquoSpaszliggesellschaftldquo zunehmend an Relevanz gewonnen haben Aumlhnliche Tendenzen und Ausdifferenzierungen sind in der (Erlebnis-)Paumldagogik6 beobachtbar

Zusammenfassend koumlnnen Erlebnissen trotz unterschiedlicher Begriffsverwen-dung Attribute wie Auszligergewoumlhnlichkeit Emotionen und Subjektivitaumlt als zentrale Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden Fuumlr die nachstehenden fachdidaktischen Uumlberlegungen ist relevant dass das Erleben selbst keine Verarbeitung des Erlebten einschlieszligt dh fuumlr einen Reflexionsprozess muss zunaumlchst eine bdquoAneignungldquo statt-finden (vgl dazu Scheller 1980)

Durch die Verbindung zwischen Kuumlche die hier als bdquokomplexes kulturelles Re-gelwerkldquo gemaumlszlig der Definition bei Barloumlsius (2011 S 126) verstanden wird und Erlebnis wird bei der bdquoErlebniskuumlcheldquo nun die Wahrnehmung von Speisen undoder Mahlzeiten zum (besonderen) Erlebnis Gemaumlszlig den drei Institutionen von Esskultur (Barloumlsius 2011) kann das Besondere durch die ausgewaumlhlten Nahrungsmittel i d R in Verbindung mit deren Zubereitung undoder uumlber die Mahlzeit erreicht werden

2 Fachdidaktische Uumlberlegungen

21 Abgrenzung von der Alltagskuumlche

Um Alltagskuumlche7 von der bdquoErlebniskuumlcheldquo abzugrenzen muss zunaumlchst festgestellt werden dass hinter den beobachteten Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo eine Profikuuml-che steht Das wird im Umgang mit kommerziellen Erlebnissen (sog bdquoEventsldquo) wichtig da diese von medialen Uumlbersteigerungen leben die weder in der Schule so realisierbar sind noch der Zielsetzung der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ent-sprechen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Uumlber die Abgrenzung der bdquoErlebniskuumlcheldquo von der Alltagskuumlche findet ein Per-spektivwechsel statt Dadurch kann erstens ndash durch den Vergleich ndash erfahrungsba-siertes (Alltags-)Wissen fuumlr den Aufbau fachspezifischer Kompetenzen bedeutsam und zweitens der Blick auf das Alltaumlgliche geschaumlrft werden Die Idee ist uumlber das Besondere den Zugang zum Alltaumlglichen zu bekommen

Wodurch wird bdquoEssenldquo zum Erlebnis Zur Beantwortung dieser Frage muss das Auszligergewoumlhnliche (Erlebnis) vom Gewoumlhnlichen (Alltag) abgegrenzt werden Das bedeutet Alltaumlgliches wird in der Abgrenzung zum Besonderen wahrgenom-men und kann dabei bdquoneuldquo entdeckt analysiert und reflektiert werden

Uumlber das Erlebnis koumlnnen auch Fragen zur Kultur und Technik der Nahrungs-zubereitung sowie Mahlzeitengestaltung herausgefordert sowie das Reflektieren uumlber die entsprechenden Prozesse angestoszligen werden ebenfalls herausgeloumlst aus dem Alltagskontext Funktionsprinzipien (Wie- und Warum-Fragen) koumlnnen inte-ressant werden um zB kuumlchentechnische Effekte zu erzielen (zB Wie entsteht ein Karamellgeschmack) Fertigkeiten und Faumlhigkeiten koumlnnen dabei gefragte fachliche Kompetenzen sein und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermoumlglichen

Intendiert ist ein vertieftes Verstaumlndnis der alltaumlglichen Handlungen dh zum Beispiel zu verstehen dass beim Essen Gemeinschaft (Familie) hergestellt wird oder im genannten Beispiel zu analysieren dass es auf die trockene Hitze beim Karamellisieren ankommt Das fuumlr die Lernprozesse notwendige Fachwissen kann (und sollte) durch die (beratende) Lehrperson und durch entsprechende Materialien bereitgestellt werden

Esskulturelle Bestimmungsgruumlnde der Wahl von Nahrungsmittel koumlnnen dabei ebenso eine Rolle spielen wie naturwissenschaftliche Erklaumlrungen Beispielsweise koumlnnen folgende Fragen wichtig werden Welche Farben lehnen wir bei Lebens-mitteln warum ab Essen wir schwarzen Reis (der im alten China dem Kaiser vor-behalten war) oder lehnen wir ihn ab Warum Wodurch erhalten bdquoSpaghetti al Nero di Seppialdquo ihre schwarze Farbe Fragen zur Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung haumlngen dabei eng zusammen (vgl Methfessel amp Schlegel-Matthies idH)

Die Schaffung eines Erlebnisses uumlber die Situation der Mahlzeit bzw der Dar-bietung der Speisen hat einen hohen Stellenwert in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Was habt ihr wie anders gemacht als im Alltag Was hat euch warum besonders gut gefal-len Welche Lebensmittel sind alltaumlglich Welche sind an besondere Anlaumlsse oder Zeiten gebunden Welche sind wobei undenkbar Auch hier geht es um Alltags-routinen die als solche erkannt werden muumlssen und wiederum auch in ihrer persoumln-lichen und gemeinsamen Bedeutung hinterfragt werden koumlnnen8

22 bdquoLerngeschichtenldquo

Im Ruumlckblick auf die Schulzeit bleiben im Allgemeinen Geschichten in Erinne-rung die oft mit bdquoAha-Erlebnissenldquo verknuumlpft sind So ist auch aus der Erlebnispauml-

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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dagogik bekannt dass erstens Lernprozesse durch Erlebnisse initiiert (motiviert) werden koumlnnen (vgl Schenz 2006) und zweitens durch Erlebnisse Lernen unter-stuumltzt wird (vgl Ebrecht 1998) Das gilt nicht nur fuumlr schulisches sondern auch fuumlr informelles Lernen Die uumlber das Erlebnis zu erreichende Aufmerksamkeit ist als Motivation aus fachdidaktischer Sicht interessant wenn daraus die Lernbereit-schaft zur Auseinandersetzung mit Einzelphaumlnomenen gefoumlrdert werden kann

Allerdings ist ein effekthaschendes Erlebnis an sich noch keine hinreichende Be-gruumlndung fuumlr die fachpraktische Eignung weil dadurch allein kein Kompetenzaufbau gefoumlrdert wird Ersetzen beispielsweise (zeitaufwaumlndige) Kreationen in Anlehnung an die Molekularkuumlche (zB Bubble-Tea) herkoumlmmliche Rezepte aus der Schulkuuml-che kann das zwar unterhaltsam sein und gut ankommen doch ohne weitergehende didaktisch-methodische Uumlberlegungen bleibt es dann auch dabei es ginge uumlber die Unterhaltung die kommerzielle Eventangebote besser realisieren kaum hinaus

23 Sinneserfahrungen

Sinneserfahrungen haben einen prominenten Platz in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Auf-grund der allgemeinen hohen Attraktivitaumlt des Themas ist von Seiten der Schuumlle-rinnen und Schuumller eine latente Offenheit gegenuumlber Neuem zu erwarten (vgl Bartsch 2008) Wird das Gewohnte zB durch veraumlnderte Kontexte oder Verfrem-dung zum Ungewohnten (Bsp Wie schmecken Karotten gedaumlmpft frittiert gegrillt getrocknet etc) kann das Alltaumlgliche interessantes Experimentiergut werden Oder es koumlnnen Geschmackserlebnisse geschaffen werden indem zB Unbekann-tes (Nahrungsmittel) mit Gewohntem (Zubereitungstechniken) gemischt wird Das Erlebnis kann neugierig machen Experimentierfreude wecken den Geschmack-sinn herausfordern und zum Kosten verlocken Aspekte der aumlsthetisch-kulturellen Bildung auf die hier lediglich hingewiesen wird sollten dabei bedacht werden (vgl Heindl 2005) Begleiten positive Emotionen dieses Unterrichtserlebnis wer-den eher Speisen gekostet die vielleicht unter anderen Bedingungen mit Aversion gegessen werden (zB Rosenkohl Fischgerichte) oder gaumlnzlich abgelehnt wuumlrden (vgl Bartsch Methfessel amp Schlegel-Matthies 2006) Auf diese Weise koumlnnen persoumlnliche Sinneserfahrungen ermoumlglicht und thematisiert werden was im Allge-meinen motivierend ist und Neugier und Interesse weckt und im Idealfall zur Voli-tion fuumlhrt

Aus fachdidaktischer Sicht stellt sich daher an dieser Stelle die Frage Wie koumlnnen Sinneserfahrungen zur Sinnesbildung beitragen Beispiel Mit bdquoDinner im Dunkelnldquo werden durch die Ausschaltung des Sehsinns auszligergewoumlhnliche Erleb-nisse in groszliger Perfektion durch kommerzielle Eventveranstalter ermoumlglicht Sin-nesbildung geht daruumlber hinaus So kann das emotionale Erleben Basis fuumlr die Re-flexion werden zB welche Funktionen Bedeutungen haben Sinne fuumlr die Ausbildung einer Esskultur fuumlr die Pruumlfung der Nahrung etc Anders als bei kom-merziellen Angeboten ist hierfuumlr eine perfekte Inszenierung nebensaumlchlich

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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3 Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

31 Erlebnis als Thema in der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die bdquoErlebniskuumlcheldquo als gesellschaftliches Alltagsphaumlnomen fordert den schulischen Unterricht in der Domaumlne Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung mehrfach heraus Perfektion und mediale Uumlbersteigerung fuumlhren haumlufig zu hohen Erwartungen seitens der Jugendlichen und insbesondere in Kombination mit bdquoEdutainmentldquo (Unterhal-tung mit Lernmoumlglichkeiten) vermehrt zu einer Konsumhaltung ndash auch in Unter-richtssituationen in denen die Eigenaktivitaumlt im Vordergrund steht und Selbstwirk-samkeitserfahrungen gemacht werden koumlnnen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

Zunaumlchst ist daher eine Positionierung sinnvoll Unterrichtserlebnisse von Frei-zeiterlebnissen abzugrenzen Ansonsten besteht die Gefahr sich in Inszenierungsde-tails zu verlieren und die fachdidaktische Zielsetzungen zu verfehlen Gleichzeitig lohnt es sich Impulse aus der Erlebnispaumldagogik aufzunehmen um jugendgerechte Zugaumlnge fuumlr die Unterrichtsarbeit zu bekommen ohne sich anzubiedern undoder den Bildungsanspruch aufzugeben (vgl Bartsch 2008) Last but not least koumlnnen Erscheinungsformen der bdquoErlebniskuumlcheldquo im Unterricht einer kritischen Bewertung unterzogen werden um daran exemplarisch Ernaumlhrungstrends und Essmoden zu erarbeiten

32 bdquoErlebnis Unterrichtldquo

Erlebnisse im Unterricht

Uumlber das Besondere kann ein jugendgerechter Zugang gefunden werden um (per-soumlnliche Grenzen uumlberschreitende) Esserlebnisse zu ermoumlglichen Jugendaktionen wie bdquoGut Draufldquo9 arbeiten im Freizeitbereich mit Inszenierungen zu Ernaumlhrung Be-wegung und Entspannung gemaumlszlig dem erlebnispaumldagogischen Ansatz (vgl Mann Schulz amp Streif 2011) Esserlebnisse im sozialen Miteinander bieten in schulischen Unterrichtssituationen einen Mehrwert der im Rahmen des didaktischen Konzepts der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung eine fruchtbare Reflexionsbasis schaffen kann ohne nachtraumlglich die Freude daran zu verderben

So eignet sich die Mahlzeit als eine zentrale Institution der Esskultur (Barloumlsius 2011) gut fuumlr Unterrichtserlebnisse (vgl Mahlzeit als Handlungsprodukte bei Bartsch amp Buumlrkle idH) Uumlber Mahlzeiten wird Gemeinschaft geschaffen die das Lernklima in den Lerngruppen uumlberwiegend positiv beeinflusst In den begleitenden Vor- und Nachbereitungen kann dazu nicht nur Speisen Tischgestaltung und -sitten eingegan-gen werden sondern koumlnnen auch soziale Mechanismen uumlber das Erleben zugaumlnglich gemacht werden um uumlber die (emotionalen) Erfahrungen auch zu reflektieren und im Hinblick auf die heutige Mahlzeitengestaltung zu diskutieren

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Beispiele

bdquoDinnerldquo unter einem Motto Dazu sind verschiedene Szenarien (bdquoAuftischen bei Koumlnigsldquo bdquoMittelalterliches Ge-lageldquoetc) denkbar Handlungsprodukt kann eine Menuumlinszenierung sein bei der die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Rollen (Essende Dienerschaft Kuuml-chenpersonal etc) uumlbernehmen die allerdings einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung beduumlrfen Dazu bietet sich ein faumlcheruumlbergreifender Unterricht an Wettbewerb als Erlebnis Eine weitere Moumlglichkeit ist die Bewertung von Mahlzeiten Fachdidaktisch inte-ressant sind dabei die Bewertungskriterien die zB reflektiert werden koumlnnen hin-sichtlich ihrer Funktion als gesellschaftliche Norm und Distinktionsinstrument Das Erlebnis kann die Gestaltung der Mahlzeit sein moumlglicherweise sind TV-Formate Vorbilder Bleibt es beim bdquoNachmachenldquo ist eine Lernchance vertan Impro-Cooking Mit der Thematik was aus Lebensmittelresten gezaubert werden kann ist ein Wettbewerb verknuumlpft (Baustein 4 des Unterrichtsmoduls bdquoWertschaumlt-zung und Verschwendung von Lebensmittelnldquo)10

Kinofilme oder Lesungen koumlnnen ebenfalls als Erlebnisse (im fachuumlbergreifenden oder bilingualen Unterricht) inszeniert werden Hier gibt es zahlreiche Ausgestal-tungsmoumlglichkeiten zB entsprechend des Formates des bdquoKulinarischen Kinosldquo11 auf der Berlinale koumlnnen diese unter verschiedenen Perspektiven analysiert inszeniert und reflektiert werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo als Unterrichtsthema

Das Phaumlnomen der bdquoErlebniskuumlcheldquo laumldt dazu ein verschiedene Aspekte zu Ernaumlh-rungsmoden zu bearbeiten und eignet sich daher gut als Projektthema Allein der Versuch die Frage zu beantworten wodurch wird Essen oder eine Speise zum Er-lebnis fuumlhrt zu einer Vielzahl von Unterrichtsthemen die bearbeitet werden koumln-nen Vergleichbar mit anderen Konsumbereichen (zB Bekleidung und Musik) folgen auch Esstrends bzw Ernaumlhrungsmoden einem Modezyklus der beispielhaft anhand der Verbreitung von Modegetraumlnken oder bdquoKochmodenldquo (Beispiel Mole-kularkuumlche) erarbeitet werden kann Eine kritische Wuumlrdigung aus fachwissen-schaftlicher Sicht gibt den Jugendlichen einen Rahmen sich eine fachlich begruumln-dete Meinung zu kommerziellen Angeboten zu bilden ohne bevormundet zu werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Ausblick

Die veraumlnderten Lebensbedingungen in Konsumgesellschaften des 21 Jahrhunderts fordern die Schule heraus Bleibt Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ihrem Bil-dungsauftrag treu geht Unterricht nicht mit freizeitorientierten Unterhaltungsange-boten in Konkurrenz Erlebnisse erzeugen Aufmerksamkeit und motivieren zum Mitmachen Die zum Lernen notwendige Volition bedeutet aber auch zielgerichtetes Wollen In Abgrenzung zur bdquoreinenldquo Unterhaltung besteht daher die Staumlrke des Un-terrichts der Sinngebung Die Beschaumlftigung mit paumldagogischen Zugaumlngen uumlber Er-lebnisse ist ein zukuumlnftiges Arbeits- und Forschungsfeld das zu einer zukunftsfaumlhi-gen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung beitragen kann

Anmerkungen 1 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 2 Blogger Tobias auf [httpbloggekonntgekochtdemolekularkueche-2-kochen-als-

kunst] 3 Der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo wurde von Jana Brandstaumldter (2013) im Rahmen ihrer

ersten wissenschaftlichen Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe entwickelt um Moumlglichkeiten des bilingualen Unterrichts in Verbindung mit The-men aus der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung zu verknuumlpfen Impulse fuumlr die-sen Beitrag kommen aus dieser Hausarbeit

4 Zu den Diskussionen um Fernsehen und Ernaumlhrung gibt es zahlreiche Literatur zB bei Roumlssler amp Willhoumlft (2004) Luumlcke Roumlssler amp Willhoumlft (2003)

5 Auf die theoretischen Grundlegungen des Begriffs Emotion wird an dieser Stelle verzichtet Weiterfuumlhrende Grundlagenliteratur zum Emotionsbegriff zB Schmidt‐Atzert (1996) Literatur zu Essen und Emotionen Pudel amp Westenhoumlfer (2003) Macht (2005)

6 Im vorliegenden Beitrag geht es darum das Phaumlnomen bdquoErlebnisldquo im Zusammen-hang mit der bdquoKuumlcheldquo essayhaft im Hinblick auf die Fachdidaktik EVB zu beleuch-ten Einzelne Elemente der Erlebnispaumldagogik sind in diesem Zusammenhang inte-ressant weitergehende Diskussionen darum sind hierfuumlr irrelevant und werden daher nicht ausgefuumlhrt Aus den gleichen Gruumlnden wird hier auch auf weitergehen-de Ausfuumlhrungen zum erfahrungsbezogenen Lernen verzichtet (vgl Scheller 1980)

7 Weiterfuumlhrende Literatur zum Alltagsbegriff Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck)

8 Weitergehende Uumlberlegungen zur Mahlzeit als Zugang zur esskulturellen Aspekten in der Fachpraxis Ernaumlhrung bei Roumlszligler-Hartmann (2012) Essen und Kommunika-tion ist ein zusaumltzlicher Aspekt der in diesem Beitrag ebenfalls nicht vertieft wer-den konnte Literatur dazu bei Heindl amp Plinz-Wittorf (2013)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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9 bdquoGut Draufldquo ist eine Jugendaktion der BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) Weitere Informationen unter [httpswwwgutdraufnet]

10 Siehe [wwwevb-onlinedeschule_materialien_wertschaetzung_uebersichtphp] 11 Weiterfuumlhrende Literatur zu Kulinaristik im Film in Kofahl Froumlhlich und Alberth

(2013)

Literatur

Barloumlsius E (2011) Soziologie des Essens (2 Aufl) Weinheim amp Muumlnchen Juventa Verlag

Bartsch S Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (2006) Pizza Pasta Doumlner Kebab ndash Mittelmeerkost im Alltag deutscher Jugendlicher Historische und soziale Hintergruumlnde Haushalt amp Bildung 83(4) 17-26

Bartsch S (2008) Jugendesskultur Bedeutungen des Essens fuumlr Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup In Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklauml-rung (BZgA) (Hrsg) Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsfoumlrderung Band 30 Koumlln BZgA

Boron B (2005) Erlebnisgastronomie Muumlnchen GRIN Verlag Brandstaumldter J (2013) Die Erlebniskuumlche als Chance fuumlr den bilingualen

Unterricht in der Sekundarstufe I Wissenschaftliche Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe

Ebrecht A (1998) Leben und Erleben - Die Lebensphilosophie um die Wende zum 20 Jahrhundert In T Ruumllcker amp J Oelkers (Hrsg) Politische Reformpaumldagogik (S 261-277) Bern Peter Lang Verlagsgruppe

Fachgruppe REVIS (2005) Bildungsziele und Kompetenzen in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung [wwwernaehrung-und-verbraucherbildungde]

Heindl I (2005) Perspektiven einer aumlsthetisch-kulturellen Ernaumlhrungs- und Ge-sundheitsbildung - Intelligenz in den Sinnen In D von Engelhardt und R Wild (Hrsg) Geschmackskulturen - Vom Dialog der Sinne beim Essen und Trinken (S 262-277) Frankfurt Campus Verlag

Heindl I amp Plinz-Wittorf C (2013) Essen ist reden mit anderen Mitteln - Esskultur Kommunikation Kuumlche Ernaumlhrungsumschau 60(1) 8-15

Lemke H (2007) Ethik des Essens Eine Einfuumlhrung in die Gastrosophie Berlin Akademie Verlag

Luumlcke S Roumlssler P amp Willhoumlft C (2003) Appetitlich verpackt aber schwer zu verdauen Darstellung und Wirkung von Ernaumlhrung in Massenmedien ein For-schungsuumlberblick Medien amp Kommunikationswiss 51(3-4) 407-430

Kofahl D Froumlhlich G amp Alberth L (Hrsg) (2013) Kulinarisches Kino Bielefeld Transcript Film

Macht M (2005) Essen und Emotion Ernaumlhrungs-Umschau 52 (8) 304-308

bdquoErlebniskuumlcheldquo

71

Mann R Schulz B amp Streif S (2011) GUT DRAUF ndash zwischen Wissenschaft und Praxis In BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) (Hrsg) Reihe Gesundheitsfoumlrderung konkret Band 15 Koumlln BZgA

Methfessel B Bartsch S amp Roumlszligler-Hartmann M (2001) Zielgruppe Kinder und Jugendliche Bildung Marketing oder Warentest In Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (DGE) Sek Baden-Wuumlrttemberg (Hrsg) Werbung und Ernaumlh-rungsverhalten (S 74-88) Schorndorf DGE Baden-Wuumlrttemberg

Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck) Alltagskultur ndash viel beschworen ndash wenig wissenschaftlich durchdrungen Hauswirtschaft und Wissenschaft 61(4)

Muumlller-Hagedorn L (2011) Handelsmarketing Stuttgart Kohlhammer Ortony A amp Clore GCA (1990) The Cognitive Structure of Emotions

Cambridge Cambridge University Press Pudel V amp Westenhoumlfer J (2003) Ernaumlhrungspsychologie (3 Aufl) Goumlttingen

Toronto Zuumlrich Hofgrefe minus Verlag fuumlr Psychologie Roumlssler P amp Willhoumlft C (2004) Darstellung und Wirkung von

Ernaumlhrungsinformationen im Fernsehen In DGE (Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (Hrsg) Ernaumlhrungsbericht 2004 (S 347-406) Bonn DGE

Roumlszligler-Hartmann M (2012) Esskultur ndash eine zentrale Kategorie der Nahrungszubereitung Haushalt in Bildung amp Forschung 1(4) 99-107

Salzmann R ( 2007) Multidimensionale Erlebnisvermittlung am Point of Sale Wiesbaden Deutscher Universitaumlts-Verlag

Scheller I (1980) Erfahrungsbezogener Unterricht Oldenburg Universitaumlt Oldenburg

Schenz A (2006) Erlebnis und Bildung Karlsruhe Universitaumltsverlag Karlsruhe Schmidt-shy‐Atzert L (1996) Lehrbuch der Emotionspsychologie Stuttgart

Kohlhammer Woll E (1997) Erlebniswelten und Stimmungen in der Anzeigenwerbung

Analyse emotionaler Werbebotschaften Wiesbaden Deutscher Universitaumltverlag

Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch amp Jana Brandstaumldter

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe

Email bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Gastfreundschaft

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Gabriela Leitner

Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft Gastfreundschaft und Gastlichkeit sind kommunikative kulturelle Konzepte die das Zusam-menleben der Menschen historisch und aktuell praumlgen Wie weit diese als ethische Verbind-lichkeit oder konsumatorische Dienstleistung verstanden werden beeinflusst eine Gesell-schaft in politischer und kultureller Hinsicht Die Schule als Ort der Vermittlung und insbesondere der Lernbereich Ernaumlhrung sind gefragt an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mitzuarbeiten

Schluumlsselwoumlrter Gastfreundschaft Gastlichkeit Kuumlche Lernort Ernaumlhrungsbildung

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bdquoAlle Fremden und Ankoumlmmlinge sollen unbeschraumlnkt als Gaumlste aufgenommen werden wo immer sie wollenldquo

Erlass Friedrich II

1 Gastfreundschaft und Gastlichkeit

Der europaumlische Sommer ist gerade mal wieder vorbei Es sind wieder (fast) alle an ihren Platz zuruumlckgekehrt ndash sind nicht mehr Fremde an einem fremden Ort - sind wieder daheim Der Sommer gilt als Jahreszeit der Reiselust als Synonym fuumlr freie Ortswahl oder das Entdecken neuer Landschaften Kulturen Weltanschauungen Geschmacksrichtungen etc als Zeit mal wieder uumlber den Tellerrand zu blicken und die Schoumlnheiten der Welt (als Gast) wahrzunehmen und zu genieszligen

Der heutige Sprachgebrauch des Wortes Gastfreundschaft meint die voruumlberge-hende Aufnahme Bewirtung undoder Beherbergung fuumlr Fremde genauso wie fuumlr Angehoumlrige der jeweiligen eigenen Gruppe Gastfreundschaft sollte ehrlich herz-lich groszligzuumlgig und zumeist wechselseitig erfolgen kann aber auch nur einseitig als echt gelten sie wird haumlufig einer oumlkonomisch bloszlig auf Gewinn abzielenden Gastlichkeit entgegengesetzt (Kayed 2003 S 1)

Echte Gastfreundschaft zu erfahren ist nicht unbedingt selbstverstaumlndlich denn in einer oumlkonomisierten Welt ist auch Gastlichkeit eine Dienstleistung und kann ge-kauft bzw konsumiert werden bdquohellipGastlichkeit liegt allen Ablaumlufen zwischen Be-wirtung und Kundschaft Kuumlche und Gast zugrunde und gehoumlrt insofern zum er-weiterten Gegenstandsbereich einer allgemeinen Theorie und praktischen Philosophie der Esskultur kurz der Gastrosophieldquo (Lemke 2011 S 83) In die-sem Kontext ist der Gast ein Kunde (und Koumlnig) und bezahlt fuumlr die bdquoservile Gast-lichkeitldquo (ebd) Im Wirtschaftsbereich der bdquohospitality industryldquo wird das Vertrau-

Gastfreundschaft

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en welches der Gast seinem Gastgeber entgegenbringt mittels bdquoAuszeichnungenldquo (Sterne oder Aumlhnliches) verbrieft auf der Ebene der Speisen beruumlhrt dieses Thema auch die Nahrungsmittelsicherheit bdquoSie ist angesichts vieler Lebensmittelfaumll-schungen die auf heutzutage wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften aufbauen zu einem herausragenden Thema der oumlffentlichen Aufmerksamkeit ge-wordenldquo (Wierlacher 2011 S 100)

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung unserer Gesellschaften muumlssen traditionelle Kommunikationsformen wie die Gastfreundschaft unter ande-ren Gesichtspunkten uumlberlegt werden

Drei Formen der Gastlichkeit sind zu unterscheiden die anthropologische Form (wir sind alle Gast des Lebens) die politische Form bis hin zum Asyl und die kul-turelle Form die wir praktizieren wenn wir nach kulturell verschiedenen Regeln jemanden zum Essen einladen oder beherbergen Alle drei Formen sind Kultur-muster haben ihre Chancen und ihre Grenzen leiten uns an geben Regeln vor er-oumlffnen Perspektiven produktiven Umgangs miteinander und staumlrken unsere Faumlhig-keit auch dann miteinander zu reden wenn wir nicht der gleichen Ansicht oder Gesinnungsfreunde sind (Wierlacher 2011 S 1)

Der Gast kommt also nicht immer als zahlender oder geladener Gast er kommt auch als Hilfesuchender Asylsuchender Beduumlrftiger1 Diesem Gast Gastfreund-schaft zu erweisen oder nicht kann fuumlr diesen Leben oder Tod bedeuten Ihn abzu-weisen wird von den meisten Religionen und Kulturen abgelehnt es wird daran erinnert dass man selbst in eine derartige Lage kommen koumlnnte bzw dass man sich an Gott selbst vergehen koumlnnte (siehe christliche Herbergssuche) In vorchrist-licher Zeit wurde ein Gastrecht formuliert welches dem Gast zumindest fuumlr drei Tage ohne sachlichen Gegenwert Unterkunft und Verpflegung sicherte (vgl Bahr 1994 S 36)

So stehen wir vor dem zwiespaumlltigen Befund dass die verschiedenen religioumlsen Traditionen an eine urspruumlnglich uumlbermaumlszligige und nicht von vornherein limitierte Gastlichkeit erinnern wohingegen die in rechtliche Anspruumlche transformierte Gast-lichkeit jede Uumlberforderung durch eine unbegrenzte Gastlichkeit auszuschlieszligen sucht (Liebsch 2008 S 68)

Ist Gastlichkeit heute keine ethische Verpflichtung mehr sondern als bdquohospitality managementldquo Teil der Aufgaben internationaler Hotel- und Gastronomiekonzerne

2 Was bedeutet Gastsein

Ein Gast zu sein bedeutet zuallererst fremd zu sein nicht im eigenen Haus oder Land zu sein Die Bedeutung von bdquohostisldquo (lat) oder bdquoxenosldquo (griech) ist ur-spruumlnglich bdquoFremderldquo das Wort kann aber auch Feind bedeuten2 Damit ist die Ambivalenz des Gastseins schon in der urspruumlnglichen Begrifflichkeit vorhanden Der Gast ist an dem Ort an welchem er als Gast auftritt fremd und beduumlrftig eben

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weil er sich nicht wie in seinem eigenen Haus oder Land verhalten kann Nun ist Fremdheit genau das was wir in unserem bdquoHeimldquo oder bdquoZuhauseldquo uumlblicherweise nicht haben und auch nicht haben wollen Das eigene Heim wird als ein Ort gese-hen an welchem alles bekannt zugehoumlrig und sicher erscheint an welchem bdquoent-hemmte Kommunikationldquo (vgl Luhmann 1990 S 203f) genauso moumlglich ist wie Intimitaumlt Schwaumlche und Ruumlckzug Das Fremde Andersartige bdquostoumlrtldquo das eigene bdquoSo-seinldquo indem dieses durch das bdquoAnders-seinldquo in Frage gestellt wird Der Gast kann demnach durch sein bdquoDa-seinldquo in einem fremden Haus (oikos) oder Land fuumlr die dort zu Hause Seienden durch die Verpflichtung ihn in seiner Beduumlrftigkeit wahrzunehmen und ihm Herberge und Verpflegung zu bieten um sein Mensch Sein anzuerkennen (und das eigene Mensch Sein anzuerkennen)3 zu einer Last einer Belastung ja sogar zu einem Feind werden

Eine absolute unbedingte Gastfreundschaft wuumlrde verlangen dass wie im oben angefuumlhrten Zitat von Friedrich II jedem Unbekannten oder X-beliebigen ein Gast-status zukommen muumlsste

Die absolute Gastfreundschaft erfordert daszlig ich mein Zuhause () oumlffne und nicht nur dem Fremden (hellip) sondern auch dem unbekannten anonymen absolut Ande-ren (eine) Statt gebe (hellip) daszlig ich ihn kommen lasse ihn ankommen und an dem Ort () den ich ihm anbiete Statt haben (hellip) lasse ohne von ihm eine Gegenseitig-keit zu verlangen (hellip) oder ihn nach seinem Namen zu fragen (Derrida 2007 S 27)

In manchen Gegenden der Welt so zB in Wuumlstengebieten im beduinisch-arabischen Raum (vgl Kayed 2003 S2) hat sich historisch aufgrund der Ungast-lichkeit der TopographieGeographie eine unbedingte Gastfreundschaft entwickelt Eine derartige Gastfreundschaft ist in unserer westlichen Gesellschaft die in Nati-onalstaaten funktioniert obwohl wir sehr wohlhabend sind uumlberaus schwierig wenn nicht gar unmoumlglich vorzustellen

Zwischen einem unbedingten Gesetz der Gastfreundschaft oder einem absoluten Wunsch nach Gastfreundschaft auf der einen und einem mit Bedingungen ver-knuumlpften Recht einer mit Bedingungen verknuumlpften Politik oder Ethik auf der an-deren Seite besteht ein Unterschied eine radikale Heterogenitaumlt wenngleich sie auch untrennbar miteinander verknuumlpft sind (Derrida 2007 S105)

Es ist also geboten zumindest eine geregelte bedingte Gastlichkeit zu entwickeln in welcher der Fremde der in der bdquokosmopolitischen Tradition (hellip) ein Recht auf Gastfreundschaft besitztldquo (Derrida 2007 S 28) zuerst nach seinem Namen gefragt wird sein Name macht ihn zu einem Rechtssubjekt zu einer Person die anderswo eine Zugehoumlrigkeit (der Name bdquoals eine(r) Hypothese der Generationenldquo Derrida 2007 S 29) besitzt und mit der man aufgrund dieser Sicherheiten einen bdquoPaktldquo schlieszligen kann (vgl Derrida 2007 S 24ff) Auch auf Reisen ndash international oder national ndash muumlssen wir uns alle mittels eines Identitaumltsnachweises ausweisen unse-ren Namen und unsere Herkunft bekannt geben um als (zahlender meldepflichti-ger) Gast aufgenommen zu werden um als paktfaumlhig im Sinne einer bedingten

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Gastfreundschaft zu gelten bdquoDie eigentliche Gastfreundschaft hat demnach nur noch im Privaten uumlberlebt wohingegen die Beherbergung von Fremden zu einer oumlffentlichen und politischen Angelegenheit geworden istldquo (Liebsch 2008 S 65) bdquoJe mehr der Staat die Gastlichkeit zu seiner Sache gemacht habe und je mehr sie oumlkonomisiert worden sei desto mehr habe sich die eigentliche Gastfreundschaft die rechtliche Regeln und gewerbliche ignorierte ins Private zuruumlckgezogenldquo (Liebsch zitiert HC Peyer ebd)

3 Geladene Gaumlste

Der Begriff des Gastes verweist aber auch darauf dass das Verhaumlltnis zwischen Gastgeber bzw Gastgeberin und Gast nicht wie im herkoumlmmlichen Austausch von Guumltern und Leistungen reziprok ist Beide gesellschaftlichen Rollen ndash Gastgeber Gastgeberin und Gast ndash haben ihre Implikationen und verweisen aufeinander bdquoDoch warum sprach man nie von einem sbquoGast-nehmerlsquo warum ist es der sbquoGast-geberlsquo der den Gast sbquoempfaumlngtlsquo Verweist das nicht darauf daszlig der Gast nicht restlos auf den Tauschenden zuruumlckfuumlhrbar istldquo (Bahr 1994 S 13)

Der Gastgeber die Gastgeberin wird sich fuumlr das Kommen der geladenen Gaumlste bedanken obwohl er (oder sie) in den meisten Faumlllen einen groumlszligeren Aufwand betrieben hat als die Gaumlste und bdquoer stellt sich in den Dienst seines Gastes ohne daszlig () er dadurch zu dessen Herrn wuumlrdeldquo (Bahr 1994 S 12) Der Gast bringt zwar als eine Form des Ausgleichs ein Gastgeschenk mit und betont gegenuumlber dem Gastgeber der Gastgeberin seine dankbare Anerkennung die Beziehung zwi-schen Gast und Gastgeber bzw Gastgeberin bleibt aber unausgeglichen bdquoMan kann daher in einem gastlichen Austausch der die Wechselseitigkeit der gleichen Personen uumlberschritt die erste Form einer allgemeinen Menschlichkeit manifestiert sehenldquo (Bahr 1994 S 35)

Der Gastgeber die Gastgeberin bietet noch viel mehr an als Bewirtung oder voruumlbergehende Behausung ersie bietet den Gaumlsten eine institutionelle Freund-schaft an die Schutz gewaumlhrt und welche eine moumlgliche Ausgeliefertheit an die reine Barmherzigkeit Anderer abwendet (4) bdquoDie Person des Gastfreundes gilt als heilig weil sein Verhaumlltnis als uumlbereinstimmend mit dem des Schutzflehenden aufgefaszligt wirdldquo (Wundt zit in Bahr 1994 S46) Das Interesse des Gastgebers ist es bdquodie Person des Gastes vor der geringsten Verletzung zu bewahren (hellip) jede Spur von Hostilitaumlt auszuschlieszligen als Voraussetzung ungestoumlrten Genieszligensldquo (Bahr 1994 S 49)

Das heiszligt Gastfreundschaft erfuumlllt drei Bedingungen die zum Leben noumltig sind Gaumlste bleiben grundsaumltzlich am Leben (werden nicht getoumltet) ihnen wird materiell beim Uumlberleben geholfen (mit Nahrung Unterkunft und Schutz) und Gastfreund-schaft stiftet und erhaumllt ein soziales Band und traumlgt zum Zusammenleben bei (in-dem Gaumlste zumeist umgekehrt auch ihren Gastgeberinnen und Gastgebern und al-len anderen Gastfreundschaft gewaumlhren werden) Leben ermoumlglichen heiszligt hier

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also mehr als Menschen nur am Leben lassen es heiszligt auch sie naumlhren staumlrken stuumltzen begleiten ihnen Kenntnisse vermitteln und Freude bereiten (Kayed 2003 S 1)

Als Gast genieszligt man die volle Aufmerksamkeit des Gastgebers bezuumlglich der ei-genen Beduumlrfnisse ndash zumindest waumlhrend der Dauer des Gaststatuses Allerdings ist es auch geboten den Gastgeber nicht uumlber die Maszligen zu beanspruchen Gast sein bedeutet auch bdquodie Kunst sich rechtzeitig verabschieden zu koumlnnen ehe man Para-sit zu werden drohtldquo (Bahr 1994 S 44)

bdquoWir waren seit langem Gaumlste der Schoumlpfung und sind es glaube ich immer noch Die Houmlflichkeit unserem Gastgeber gegenuumlber gebietet es daszlig wir fragenldquo (Steiner 2004 S 345) Vielleicht ist es ein spiritueller Gedanke ein Gast auf Erden zu sein Moumlglicherweise wuumlrde es unserer Mitwelt und Umwelt und uns selbst besser bekommen wenn wir unser Da-sein auf diese Art verstehen wuumlrden eben als Gaumlste in der Welt als geladene Gaumlste Welches Gastgeschenk waumlre angesichts unserer Lebendigkeit und der Schoumlnheit der Welt angemessen und wie koumlnnten wir unsere Dankbarkeit aumluszligern

4 Dimensionen der Gastfreundschaft

Zusammenfassend koumlnnen die folgenden Dimensionen der Gastfreundschaft unter-schieden werden Sie kann

bull einseitig oder wechselseitig sein bull offen gegenuumlber allen sein oder bestimmte Personen oder Gruppen aus-

schlieszligen bull geregelt sein (Asylrecht) oder freiwillig bull begrenzt sein (drei Tage) oder unbegrenzt (vgl Kayed 2003 S 2) bull bdquokann nur poetisch seinldquo (Jaques Derrida)

5 Das Gastmahl Gastmaumlhler auf denen der sbquofremde Gastlsquo nicht mehr kannibalisch verzehrt son-dern selbst zum gemeinsamen Verzehr geladen ist stellen insofern noch dessen sbquoEinverleibunglsquo dar als er gleichsam wie ein Kind durch seine Teilnahme an der gleichen Nahrung und Ernaumlhrungsweise zum Mitglied einer Gemeinschaft wird (Bahr 1994 S 157)

In der philosophischen Literatur sind zwei Gastmaumlhler beruumlhmt geworden Das Gastmahl des Trimalchio (Petronius Arbiter in Satyrikon) und Platons Gastmahl In beiden Erzaumlhlungen oder Gleichnissen wird das Mahl halten zu einer Aussage die weit uumlber die Banalitaumlt des Hunger Stillens hinausgeht

Trimalchio ein freigelassener Sklave moumlchte seinen neu gewonnenen Status als reicher gebildeter Mann durch eine opulente Einladung zu einem Festessen mit

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literarischen akrobatischen musikalischen und theatralischen Darbietungen der suumlditalienischen Gesellschaft kommunizieren

Auf einer Platte wird ein enormes Wildschwein hereingetragen bedeckt mit der phrygischen Freiheitsmuumltze an den Hauern zwei Koumlrbchen mit Datteln An dem Tier liegen wie an seinen Eutern kleine Schweinchen aus Kuchenteig Zum Tran-chieren erscheint ein baumlrtiger Kerl in Jagdkleidung stoumlszligt dem Schwein einen Hirschfaumlnger in die Flanke Aus den sbquoWundenlsquo fliegen Drosseln heraus die ein Vogelfaumlnger wieder einfaumlngt (Bahr 1994S 160)

Die Speisenfolge ist ebenso ungewoumlhnlich als die Darbietung der Speisen tatsaumlch-lich aber wird durch die Inszenierung nur der schlechte Geschmack und die Halb-bildung des Trimalchio sichtbar er erreicht also genau das Gegenteil dessen was er beabsichtigt hat als Gastgeber seinen hohen Status zu Schau zu stellen alles in den Schatten zu stellen was vorher an Festlichkeiten geboten wurde

Geschmack klassifiziert ndash nicht zuletzt den der die Klassifikationen vornimmt Die sozialen Subjekte Klassifizierende die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede die sie zwi-schen schoumln und haumlsslich fein und vulgaumlr machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdruumlckt oder verraumlt (Bourdieu 1982 S 25)

Pierre Bourdieu macht deutlich dass der Geschmack immer das Ergebnis sozialer Zugehoumlrigkeit ist man somit anhand der Artefakte und Inszenierungen des Habi-tus feststellen kann welcher Schicht man zugehoumlrig ist Es kann demzufolge Tri-malchio gar nicht gelingen das bdquosomatisierte Klassenbewuszligtseinldquo (Sloterdijk 2009 S284) zu uumlberwinden

bdquoZwischen dem Eszligbaren und Uneszligbaren zwischen der Einverleibung und der Ausscheidung berichtet die Erzaumlhlung von einem Mahl das sich ohne sbquoGastlich-keitlsquo nur selber verzehrt haumltteldquo (Bahr 1994 S 174)

In der Erzaumlhlung von Petronius Arbiter wird aufgezeigt dass der Gastgeber mit seiner Einladung auch uumlbertreiben kann und sich damit selbst aber auch die Gaumlste der Laumlcherlichkeit preisgibt Ausufernde Dekoration zur Farce verkommene Spei-sen und uumlberladene Portionen und Darbietungen wirken der Gastfreundschaft ent-gegen Die Gaumlste des Trimalchio werden instrumentalisiert nicht um ihretwillen findet das Mahl statt und nicht um einen sozialen Zusammenhalt zu generieren sondern nur um zu protzen Gastfreundschaft gebietet auch eine Angemessenheit welche weder den Gast beschaumlmt noch den Gastgeber

Platons Gastmahl (Gastmahl griech Symposion) hingegen ist eine Siegesfeier Die Geladenen sind allesamt Freunde und berichten einander von ihrer Auffassung bezuumlglich Liebe und Leidenschaft (Eros) Es ist mehr ein Trinkgelage und eine Gelegenheit zu Wort zu kommen als ein Essen und fuumlhrt schlieszliglich dazu dass eine der wenigen weiblichen Rollen in Platons Werk Diotima (indirekt) zu Wort kommt Sie ist nicht leibhaftig anwesend in der Gruppe der allesamt maumlnnlichen Freunde wird von Sokrates zitiert und bekommt dadurch noch deutlicher den Sta-tus des Anderen Fremden Nichtgeladenen

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Das Zusammenkommen zum gemeinsamen Mahl wird in diesem Werk als Moumlglichkeit zum Philosophieren gesehen Nicht zufaumlllig waumlhlt Platon das Thema bdquoLiebeldquo (im Sinne von Eros) fuumlr das Gastmahl und ebenso durchdacht ist es dass eine Frau die Hauptrednerin ist Gemeinsames Mahlhalten verstaumlrkt die Beziehung der Geladenen untereinander die waumlhrenddessen genau dieses Thema (im weites-ten Sinn) eroumlrtern

Gastmaumlhler finden auch in der Populaumlrkultur immer wieder ihren Niederschlag beispielsweise in dem daumlnischen Spielfilm bdquoBabettes Festldquo (Oscar 1988) oder den als Tabubruch geltenden franzoumlsisch-italienischen Film bdquoDas groszlige Fressenldquo (1973)

Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird ist abhaumlngig von den Kultur-kreisen der Lebensgemeinschaften ist Ausdrucksmittel der Menschen und dient der symbolischen Kommunikation Dieses spiegelt sich in Gerichten Rezepten und Ritualen wider und dient als individuelles und gemeinschaftliches Verstaumlndi-gungsmittel Kuumlchen sind bis heute Orte dieses Geschehens durch sie wird die Be-friedigung des Beduumlrfnisses nach Nahrung zu einem kulturellen System (Barloumlsi-us 1999 zit in Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies S 195)

Gemeinsames Essen soviel ist sicher schafft Zugehoumlrigkeit und damit ein Ein- und Ausschlieszligungsmilieu in welchem es fraglich ist wer als Gast zugelassen bzw eingeladen und wer ausgeschlossen wird Diese Dynamik wird auch in Maumlr-chen verwendet um die Kraumlnkung der Ausgeschlossenheit und deren Folgen zu beschreiben Die dreizehnte Fee bei Dornroumlschen raumlcht sich schlieszliglich dafuumlr dass sie nicht eingeladen worden ist

6 Die (Schul-)Kuumlche als Ort der Gastfreundschaft

Betrachtet man das bisher Gesagte so koumlnnen wir feststellen dass Gastfreund-schaft fuumlr uns Menschen in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll ist Sie gibt uns die Sicherheit in einer ungastlichen Welt bzw in unsicheren Zeiten bei anderen Ruumlckhalt zu finden Umgekehrt uumlbernehmen wir auch Verantwortung fuumlr andere Beides staumlrkt den sozialen Zusammenhalt und die soziale Zugehoumlrigkeit was wie-derum die Lebensqualitaumlt verbessert oder sogar lebenserhaltend wirken kann Da sich die Gastfreundschaft jedoch historisch betrachtet von einer allgemeinen ethi-schen Verpflichtung jedes Menschen gegenuumlber jedem anderen Menschen fortent-wickelt hat und ein Groszligteil der diesbezuumlglichen Verpflichtung vom Staat uumlber-nommen wird ist der Anspruch des Teilens voumlllig in den Bereich des Privaten uumlbergegangen So ist der Akt des konkreten Teilens der Lebensressourcen Essen und Wohnen mit Menschen auszligerhalb des eigenen Familienkreises kaum mehr erfahrbar

Hier tritt der eigentliche Anknuumlpfungspunkt fuumlr die gesamte Thematik zutage Erfahrungen mit Gastfreundschaft koumlnnen uumlber das gemeinsame Essen aller (Mit-

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glieder einer Schulklasse oder Kochgruppe) in den Schulkuumlchen als Orte der Zube-reitung und des Geschehens selbst gemacht werden So wie das Essen selbst vom wilden fremden womoumlglich gefaumlhrlichen Rohzustand (Natur) durch putzen schauml-len kochen etc in einer Kuumlche in eine essbare Speise (Kultur) uumlbergefuumlhrt werden muss so wird auch der Verzehr der Speisen durch kulturelle Bedingungen und Regeln ritualisiert Dies ist auch bedeutsam wenn Gastfreundschaft gelernt werden soll denn auch diese kulturelle Leistung setzt soziales Wissen und Handeln voraus Wer die Rolle des Gastgebers der Gastgeberin bzw der Gaumlste uumlbernimmt und welche Implikationen daraus folgen ist dabei ebenso erfahrbar wie die Angemes-senheit einer Mahlzeit oder entsprechende Tischsitten

Die Aufnahme und der Genuss von Nahrung haben auch regressive Aspekte und so vermittelt Essen uumlblicherweise Emotionen der Geborgenheit Zuversicht des Aufgehoben- und Angenommenseins also das Gegenteil dessen was im Kapi-tel 2 als Fremdsein und Ausgeschlossensein beschrieben wurde Welche Bedin-gungen vonnoumlten sind um eine solche Mahlzeit fuumlr alle teilnehmenden Personen zu gestalten sollte ua Gegenstand der Ernaumlhrungsbildung als Kulturbildung sein

Ein Gast wird eine Mahlzeit auch dann als gastfreundlich empfinden wenn seine kulturellen weltanschaulichen gesundheitsbezogenen undoder geschmack-lichen Beduumlrfnisse und Vorlieben beruumlcksichtigt werden In einer multikulturellen (postmodernen) Welt ist es daher angebracht dass sich die regionalen Kuumlchen gegenuumlber diesen Anspruumlchen oumlffnen unter dem Aspekt der Fremdheit des Ande-ren (zT Interkulturalitaumlt) neue Variationen entwickeln bzw sich insgesamt einer kritischen Pruumlfung unterziehen Dabei geht es nicht um Aufgabe der gewachsenen kulinarischen Identitaumlt sondern um Ausweitung der gustatorischen sensorischen und produktorientierten Moumlglichkeiten um auch fuumlr spezielle Anspruumlche (Vegeta-rismus Veganismus Diaumltkuumlche kulturelle und religioumlse Vielfalt etc) Angebote zu machen Regionalitaumlt in Bezug auf Produkte und Produktionsweisen als quasi-ethische Forderung fuumlr das Paradigma der Nachhaltigkeit ist dabei nicht in Frage gestellt die regionalen Kuumlchentraditionen jedoch schon So findet man beispiels-weise in vielen Restaurants mit oumlsterreichischer Kuumlche schwerlich vegane oder koschere Speisen bestimmte Zutaten die eine Speisenwahl moumlglich oder unmoumlg-lich fuumlr spezielle Gruppen machen (zB Speck im Krautsalat) werden nicht ausge-wiesen etc

Um einem Gast Gastfreundschaft zu gewaumlhren ist es also notwendig nicht nur wie oben beschrieben nach seinem Namen zu fragen sondern daruumlber hinaus in diskreter und ruumlcksichtsvoller Manier nach seinen Lebensgewohnheiten Ableh-nungen Vorlieben und diese entsprechend kulinarisch umzusetzen Dies ist im Rahmen des Schulunterrichts in den Fachpraktischen Uumlbungen anwendbar berei-chert die fachlichen Inputs durch einen moumlglichen persoumlnlichen Bedeutungsgehalt fuumlr bestimmte Schuumllerinnen und Schuumller ndash oder auf der Ebene der Hochschule fuumlr die Studierenden ndash und eroumlffnet fuumlr alle neue Perspektiven

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Die private Kuumlche aber auch die Schulkuumlche sind Orte an welchen Ge-schmackserfahrungen moumlglich gemacht werden koumlnnen die sichern herausfordern Anspruumlche konkretisieren und Perspektiven eroumlffnen Ebenso verhaumllt es sich mit Tischsitten bdquodos and don`tsldquo in der Zubereitung und Praumlsentation Das Lernpoten-tial in Bezug auf die Thematik der Gastfreundschaft fuumlr Kinder und Jugendliche ist enorm einerseits weil Essen als konkrete unmittelbare primaumlre Lebenserfahrung lustvoll erlebt wird ebenso wie die handwerkliche Zubereitung und bdquoWerkschaf-fungldquo andererseits weil in Kuumlchen und Schulkuumlchen zumeist auch fuumlr andere ge-kocht wird Die Erfahrung der taumltigen Fuumlrsorge der hingewendeten Sorge um und Aufmerksamkeit fuumlr Andere ermoumlglicht ndash anders als bei vielem was in der Schule gelernt wird ndash den Erwerb sozialer Kompetenz auf einer direkten Ebene

Zwar dient das Essen unter dem Aspekt der Nutrition allein der Erhaltung des ei-genen Koumlrpers zugleich ermoumlglicht es aber die Oumlffnung zu den Anderen indem es die formale Voraussetzung fuumlr die Atmosphaumlre der Gastlichkeit bildet Man fuumlhrt die gleichen Bewegungen aus wie die anderen man erhaumllt seinen (Hervorhebung dd Autor) Koumlrper mit Speisen durch die auch die Koumlrper der Anderen (Hervorhe-bung d d Autor) erhalten werden Man wendet sich dem Tischnachbarn zu Diese Gemeinsamkeiten ermoumlglichen eine konfliktfreie Kommunikation (Duumlcker 2011 S 76)

Indem eine Speise auf eine bestimmte Art und Weise hergestellt wird spezielle Zutaten verwendet werden und sie in einem kulturellen Rahmen praumlsentiert einver-leibt und genossen wird kann die eigene Fremdheit und die Fremdheit des Ande-ren erkannt und oder sichtbar werden

Eine methodische Aufbereitung der Vermittlung dieser Inhalte reicht von der Ausrichtung (interkultureller) Feste uumlber die Erstellung von Ernaumlhrungsbiographien bis hin zu Verkostungen Rezeptentwuumlrfen Filmanalysen Literaturrecherchen und (Lied-) Textanalysen Das Thema Gast und Gastfreundschaft ist in allen Kuumlnsten verbreitet5

Der Themenkomplex der Gastfreundschaft ist zu umfangreich und vielschich-tig um ihm in der Kuumlrze der vorhandenen Moumlglichkeiten gerecht zu werden Die Leserinnen und Leser sind gebeten dies zu beruumlcksichtigen Eine Erhellung der Thematik und der Zusammenhaumlnge mit der Ernaumlhrungsbildung in der Fachpraxis ist hoffentlich trotzdem gelungen

Anmerkungen 1 bdquoLaut UNHCR dem UNO-Fluumlchtlingshilfswerk sind weltweit mehr als 20 Milli-

onen Frauen Maumlnner und Kinder grenzuumlberschreitend auf der Flucht gleichzeitig gibt es mehr als 20 Millionen sogenannte Binnenvertriebene die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind Sie alle fliehen vor Krieg Verfolgung Unter-druumlckung Gewalt Folter Naturkatastrophen von Menschen zerstoumlrter Umwelt Elend Armut Hunger ndash sie suchen Lebenldquo (Kayed 2003 S 2)

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2 franzoumlsisch hospitaliteacute Gastfreundschaft franzoumlsisch hostiliteacute Feindschaft 3 Emmanuel Levinas erachtet die Gastfreundschaft als etwas das uns grundsaumltzlich

uumlberhaupt zu Menschen macht bdquoIch bin fuumlr den Anderen verantwortlich ohne mich um seine Verantwortung fuumlr mich zu kuumlmmern uneigennuumltzig und nicht aus Selbsterhaltung Die Verantwortung ist kein bloszliges Attribut sondern die grundle-gende Struktur der Subjektivitaumlt Gastfreundschaft ist nicht eine von vielen Hand-lungsweisen fuumlr die oder gegen die ein Mensch sich entschieden werden kann [sic] Gastfreundschaft ist vielmehr das was das Menschsein ausmacht nicht wechselseitig im Tausch sein sondern den Anderen als Anderen leben lassenldquo (Kayed 2003 S 3)

4 In der Novelle von Albert Camus bdquoDer Gastldquo (spielt in Algerien waumlhrend der franzoumlsischen Besetzung) wird dem im algerischen Exil lebenden Lehrer Daru ein gefangener Araber der seinen eigenen Cousin getoumltet hat von einem franzoumlsi-schen Polizisten in Gewahrsam gegeben Daru laumlsst dem bdquoGastldquo nach schwerwie-genden Uumlberlegungen die Freiheit zur Flucht Der Araber aber bleibt und geht (freiwillig) ins Gefaumlngnis Von der Sippe des Arabers wird Daru bedroht weil er ihren Bruder scheinbar ausgeliefert hat

5 Lied von Arik Brauer (oumlsterreichischer Liedermacher der mit dem Fahrrad halb Europa und Israel erradelt hat) 4 Strophe bdquoFohr weg min Radl drah mi ned um I fohr weg min Radl und drah mi nimma um I kumm in a Araberzelt da waschns mir die Fuumlszlig und sing i ans von Schubert Franz da kochns mir an Grieszlig nur am dritten Tag werns grantig do bleibt der Teller leer do stirdlns ma im Rucksack um und spieln sich mitn Gwehr

Literatur

Bahr HD (1994) Die Sprache des Gastes Eine Metaethik Leipzig Reclam Barloumlsius E (1999) Soziologie des Essens Eine sozial- und kulturwissenschaftli-

che Einfuumlhrung in die Ernaumlhrungsforschung Weinheim und Muumlnchen Juven-ta zit in Heindl Methfessel Schlegel-Matthies Ernaumlhrungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer bdquokulinarischen Vernunftldquo In Ploumlger Hirsch-felder amp Schoumlnberger (Hrsg) (2011) Die Zukunft auf dem Tisch Wiesbaden Springer

Bourdieu P (1982) Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft Frankfurt am Main Suhrkamp

Derrida J (2007) Von der Gastfreundschaft (2 Aufl) Wien Passagen Duumlcker B (2011) Ritualitaumltsformen von Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg)

Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf Kayed C (2003) Gastfreundschaft und Philosophie

[wwwstoryguideatGastfreundschaft-Artikelpdf]

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Lemke H (2011) Philosophie der Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg) Gast-lichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Liebsch B (2008) Fuumlr eine Kultur der Gastlichkeit Muumlnchen Karl Alber Luhmann N (1990) Sozialsystem Familie In N Luhmann N Soziologische

Aufklaumlrung (Bd 5 Konstruktivistische Perspektiven) OpladenWestdeutscher Verlag

Sloterdijk P (2009) Du musst dein Leben aumlndern Frankfurt am Main Suhrkamp Steiner G (2004) Grammatik der Schoumlpfung Muumlnchen DTV Wierlacher A (2011) Aumlsthetik der Gastlichkeit oder der muumlndige Gast In A

Wierlacher (Hrsg) Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Verfasserin

Gabriela Leitner

Paumldagogische Hochschule Oberoumlsterreich Fachbereich Ernaumlhrung Humanwissenschaften

Kaplanhofstraszlige 40 A-4020 Linz

E-Mail gabrielaleitnerph-ooeat

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Brigitte Mutz

Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz Die Betriebskuumlche ndash Ort der Zubereitung in der Gemeinschaftsverpflegung1- soll vor allem ein Lernort der Selbstkompetenzen als auch der Sozialkompetenzen sein Hauptaugenmerk soll auf die Ausbildung und Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz gelegt werden Die besondere Bedeutung liegt dabei auf der Entwicklung von Empathie die sich auf das Zu-sammenleben der Menschen im Wesentlichen auswirkt

Schluumlsselwoumlrter Betriebskuumlche Selbstkompetenz Sozialkompetenz Qualitaumltsstandards Gemeinschaftsverpflegung nachhaltige Verpflegung

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1 Einleitung

Wesentliches Ausbildungsziel einer berufsbildenden mittleren und houmlheren Schule fuumlr wirtschaftliche Berufe ist es dass Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind ihr Fachwissen nicht nur durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern das erworbene Fachwissen in realen persoumlnlichen und beruflichen Herausforderungen einzusetzen vermoumlgen Schuumllerinnen und Schuumller machen unmit-telbar nach der Schule bzw waumlhrend ihrer Ausbildung ein Praktikum in der Gastro-nomie Um Jugendliche auf die Anforderungen der Arbeitswelt bestmoumlglich vorzu-bereiten ihre Persoumlnlichkeit zu staumlrken um Belastungen durch das soziale Umfeld leichter zu verkraften bedarf es einer Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenzen Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung kann diese Foumlrderung stattfinden denn Schuumllerinnen und Schuumller kochen im Rahmen ihres Unterrichts in der Betriebskuumlche der eigenen Schule oder im Rahmen ihres Pflichtpraktikums in anderen Einrichtun-gen wie Gastronomie und Hotellerie

2 Die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in Oumlsterreich

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fuumlhren zu einer steigen-den Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in der Ernaumlhrung weiterer Bevoumllke-rungsschichten der Gesellschaft Neben berufstaumltigen Erwachsenen werden auch Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Berufstaumltigkeit von Eltern oft schon in einem sehr fruumlhen Alter auszliger Haus versorgt Dazu kommen in Wohneinrichtun-

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gen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Kranken-haumlusern die durch Gemeinschaftsverpflegungsdienste versorgt werden

Betriebe der Auszliger-Haus-Verpflegung tragen somit nicht nur in steigendem Ma-szlige Verantwortung fuumlr die Gesundheit der Essensgaumlste sondern auch fuumlr Wirtschaft Gesellschaft und Umwelt Dies hat folgenden Grund Zum einen nehmen sie uumlber die Auswahl der Lebensmittel Einfluss auf eine bestimmte Art der Erzeugung Verarbei-tung und Vermarktung mit den jeweiligen oumlkonomischen sozialen und oumlkologischen Folgen Zum anderen nutzen sie bei der Zubereitung der Lebensmittel zu Speisen direkt und indirekt die Guumlter der Natur Diese Erkenntnis bildet die Grundlage fuumlr die Forderung nach einer nachhaltigen bzw zukunftsfaumlhigen Wirtschaftsfuumlhrung in Be-trieben der Auszliger-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung muss sich weiterentwickeln Weg von der vor-herrschenden Menuumlgestaltung die von unausgewogener Ernaumlhrung gepraumlgt ist hin zu ausgewogener Speiseplangestaltung die sich vor allem an den Beduumlrfnissen ihrer Gaumlste orientiert Gesunde Ernaumlhrung muss bereits im Kindergarten ansetzen und sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche und - abschnitte ziehen Die Gemein-schaftsverpflegung hat dabei eine unterstuumltzende Rolle und sollte ein gutes Vorbild sein

Um diese Wandlung in der Gemeinschaftsverpflegung voranzutreiben und um kuumlnftig einen gewissen Mindeststandard hinsichtlich Qualitaumlt sichern zu koumlnnen ist es notwendig Richtlinien zu definieren und Grenzen festzulegen

Rund 18 Millionen Menschen darunter 380000 Kinder und Rund 70000 Senio-ren und Seniorinnen nutzen taumlglich das Speisenangebot oumlsterreichischer Groszligkuumlchen (Toumlscher 2011)

21 Auszliger-Haus-Konsum

Aufgrund von veraumlnderten zeitlichen und persoumlnlichen Umstaumlnden greifen Konsu-mentinnen und Konsumenten vermehrt auf Essen auszliger Haus zuruumlck Laut einer Online-Umfrage an 501 Personen (repraumlsentativ fuumlr Oumlsterreicherinnen und Oumlsterrei-cher ab 15 Jahren) isst die oumlsterreichische Bevoumllkerung regelmaumlszligig zu 24 in Kan-tinen zu 21 in Restaurants und zu 16 in Fast-Food-Lokalen das Mittagessen wird immer haumlufiger auszliger Haus verzehrt (Bundesministerium fuumlr Land- und Forst-wirtschaft Umwelt und Wasserwirtschaft 2010)

Neben dem Konsum von Speisen in Restaurants Imbissbuden Fast-Food-Lokalen und aumlhnlichem nimmt die Gemeinschaftsverpflegung einen immer wichti-geren Stellenwert in der Bewirtung der Bevoumllkerung ein Berufstaumltige Erwachsene in betreuten Wohneinrichtungen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Krankenhaumlusern werden von Gemeinschaftsverpflegungsdiensten versorgt Durch die steigende Berufstaumltigkeit der Frauen essen auch vermehrt Kinder auszliger Haus zB in Kindergaumlrten Schulbuffets Horten etc (Elmadfa et al 2012)

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22 Gastgewerbe

Unter der Bezeichnung Gastgewerbe werden alle Dienstleistungen fuumlr den Gast ver-standen welche im Zusammenhang mit Verpflegung und Beherbergung stehen (sie-he Abbildung 1)

Abb 1 Die Gemeinschaftsgastronomie im Gesamtkontext des Auszliger-Haus-Konsums

(Quelle Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Das Gastgewerbe kann in vier Sparten unterteilt werden o Gastronomie (Gemeinschaftsgastronomie Individualgastronomie) o Transport mit Verpflegung (Flugzeug Schiff) o Beherbergung mit Verpflegung (Hotel Jugendherberge) o Beherbergung ohne Verpflegung (Motel)

23 Gastronomie

Der Bereich Gastronomie laumlsst sich wiederum in die Gemeinschaftsgastronomie und die Individualgastronomie unterteilen Der Begriff Individualgastronomie umfasst alle kommerziellen Einzelgastronomiebetriebe mit wechselnder Kundschaft wie zB Restaurants Cafeacutes Bars Take-away- und Fast-Food-Lokale sowie Event-Catering Party-Service etc

Die Taumltigkeitsfelder der Gemeinschaftsgastronomie sind die Bereiche Betriebs- und Personalverpflegung Spital- und Heimverpflegung und Verpflegung im Erzie-

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hungs- und Bildungssektor Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen das Angebot entweder als Teilverpflegung (Kindergaumlrten Schulen) oder Vollverpfle-gung (Internate Seniorenwohnheime Strafvollzugsanstalten etc) in Anspruch (vgl Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Die Individualgastronomie kann auch mit der Gemeinschaftsgastronomie ver-knuumlpft sein wenn zB Einzelgastronomiebetriebe taumlglich Speisen an Unternehmen oder Kindergaumlrten liefern

24 Gemeinschaftsverpflegung (GV)

Die Definition fuumlr bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo laut oumlsterreichischem Ernaumlhrungsbe-richt 2012 lautet bdquoEine im Preis limitierte Verpflegung eines begrenzten Personen-kreises an einem Ort an dem ein laumlngerer Aufenthalt dieser Personen aus organisato-rischen Gruumlnden erforderlich istldquo (Elmadfa Freisling Nowak amp Hofstaumldter 2009)

bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo im Sinne der Groszligkuumlchen-Leitlinie ist bdquoDie regel-maumlszligige Versorgung einer grundsaumltzlich konstanten Personengruppe mit Speisen im Rahmen eines laumlngerfristigen Auftragesldquo (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

Allgemeine Kennzeichen fuumlr die Gemeinschaftsgastronomie-verpflegung sind o Die Konsumentinnen und Konsumenten haben verschiedene Aufenthaltsformen in

der InstitutionEinrichtung (zB Bewohner Arbeitspersonal) o Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen regelmaumlszligig ein gastronomisches

Angebot in derselben InstitutionEinrichtung in Anspruch o Je nach Verpflegungssystem (zB Mischkuumlche Tiefkuumlhlsystem Cook-and-Chill2

oder Warmverpflegung) sind verschiedene Akteure an der Produktion und Bereit-stellung des Speisenangebots beteiligt

o Die Verpflegungsleistung kann entweder durch Eigenregie (Spitalskuumlchen) oder durch externe Betriebe (Catering-Unternehmen im Geschaumlftsfeld Gemeinschafts-gastronomie) erbracht werden

o Ein Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb hat als erstrangiges Ziel die Verpflegung der Personengruppen sicher zu stellen nachrangig ist die Erwirtschaftung von Gewin-nen (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

3 Der Unterschied von Selbst- und Sozialkompetenz

Die uumlberarbeiteten kompetenzbasierten Lehrplaumlne der Houmlheren Lehranstalten fuumlr Wirtschaftliche Berufe und Fachschulen sind in Entwurf und treten voraussichtlich im Jahr 2014 in oumlsterreichischen Schulen in Kraft Laut allgemeinen Bildungszielen werden Absolventinnen und Absolventen zu folgenden Kompetenzen befaumlhigt Fachkompetenz Methodenkompetenz Medienkompetenz soziale und personale Kompetenz kommunikative Kompetenz und emotionale Kompetenz

Kompetenzen sind Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zur Bewaumlltigung komplexer Problemstellungen Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen

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zum Handlungsvollzug Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Faumlhigkei-ten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus (vgl Beer amp Benischek 2011 S 9)

Die Selbstkompetenz (auch personale Kompetenz) beschreibt den Umgang des oder der Einzelnen mit sich selbst Die Selbstkompetenz bildet die Basis fuumlr die Entwicklung der Sozialkompetenz Nur ein Mensch der sich uumlber sich selber im Klaren ist und mit sich selbst wertschaumltzend umgehen kann wird ein solches Verhal-ten auch bei seinen Mitmenschen zeigen (vgl Strasser Osinger amp Sburny 2001 S 60ff)

Selbstkompetenz setzt sich aus fuumlnf Bausteinen zusammen Alle fuumlnf Bausteine sind notwendig um die Persoumlnlichkeitsentwicklung der Schuumllerinnen und Schuumller zu unterstuumltzen und zu foumlrdern

o Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sich selbst wertzuschaumltzen auf die selbst erbrachte Leistung stolz sein fuumlr ein selbstsicheres Auftreten ist die Faumlhigkeit sich ein Bild uumlber seine eigenen Gefuumlhle Staumlrken Schwaumlchen Grenzen und Verhal-tensmuster machen zu koumlnnen sehr wichtig

o Selbstverantwortung und Selbststeuerungsfaumlhigkeit Verantwortung fuumlr sich selbst uumlbernehmen aber auch fuumlr andere seine Gefuumlhle kennen und steuern koumlnnen

o Eigeninitiative sich selbst motivieren koumlnnen freiwilliges Engagement zeigen und aktiv mitarbeiten koumlnnen

o Flexibilitaumlt gewohntes Denken Verhalten und Einstellungen zu hinterfragen um fuumlr neue Ansichten oder Werte offen zu sein

o Belastbarkeit und Durchsetzungsvermoumlgen Umgang mit Stress Aumlrger und Frustra-tion (Giessen 2009)

Tab 1 Emotionale Intelligenz-Theorie (Quelle vgl Giessen 2009 S 23)

Ich Selbstkompetenz

Andere Sozialkompetenz

Erkennen Selbstbewusstsein uuml Emotionales Selbstbewusst-

sein uuml Korrekte Selbstbeurteilung uuml Selbstvertrauen

Sozialbewusstsein uuml Empathie uuml Dienstleistungsorientierung uuml Organisationsbewusstsein

Lenken Selbstmanagement uuml Selbstkontrolle uuml Vertrauenswuumlrdigkeit uuml Gewissenhaftigkeit uuml Anpassungsfaumlhigkeit uuml Erfolgsorientierung uuml Entschlusskraft

Beziehungsmanagement uuml Einfluss uuml Kommunikationskompetenz uuml Konfliktmanagement uuml Fuumlhrungskompetenz uuml Innovationen ermoumlglichen uuml Vertrauens erweckend uuml Teamwork Zusammenarbeit

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Bei der Sozialkompetenz steht eine Person in der Interaktion mit anderen Personen im Mittelpunkt Zentraler Punkt dieser Faumlhigkeit ist mit sich und seinem Umfeld zurechtzukommen Soziale Kompetenz fordert aber einige Grundvoraussetzungen an die eigene Person Unterstuumltzend wirken zum Beispiel ein gesundes Maszlig an Selbst-wertgefuumlhl und Selbstvertrauen Eigenverantwortung und Selbstdisziplin (vgl Adler 2012 S 21ff)

Gaisbacher und Pongratz beschreiben die Sozialkompetenz als wichtiges Hilfs-mittel um sowohl privaten als auch beruflichen Erfolg gewaumlhrleisten zu koumlnnen Mit Menschen zu kommunizieren sich in ein Team einzufuumlgen und zusammenzuarbei-ten ist bereits fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller in ihrem alltaumlglichen Umfeld von groszliger Bedeutung Spaumlter kommen Faumlhigkeiten wie uumlberzeugendes Argumentieren und Praumlsentieren hinzu Sozial kompetent zu sein bedeutet sich sowohl in privaten als auch beruflichen Konfliktsituationen uumlber das eigene Handeln bewusst zu sein und eine angemessene Loumlsung zur Konfliktbewaumlltigung finden zu koumlnnen (Gaisbacher amp Pongratz 2012)

Fuumlr Lernende ist es in der heutigen Zeit von groszliger Bedeutung ihr Wissen nicht durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern es in realen per-soumlnlichen und beruflichen Herausforderungen zu nutzen Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet die Schuumllerinnen und Schuumller in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihnen dabei zu helfen ihre Staumlrken zu finden und diese zu festigen Die Jugendlichen sollen sich am Unterrichtsgeschehen aktiv beteiligen und in kon-kreten Lernsituationen selbststaumlndig Lern- und Loumlsungswege finden Lernende sollen durch Interaktionen mit anderen Personen Kompetenzen ausbilden

4 Die Bedeutung des Unterrichts in der Betriebskuumlche auf die Selbst- und Sozialkompetenz von Jugendlichen

Es gibt eine Reihe von Modellen und Moumlglichkeiten die Sozial- und Selbstkompe-tenz auszubilden beziehungsweise zu foumlrdern Bei dem von der Autorin angefuumlhrten Modell liegt der Schwerpunkt auf der Selbstwahrnehmung das heiszligt der Umgang mit eigenen Gefuumlhlen der Wahrnehmung eigener Staumlrken und Schwaumlchen und der Faumlhigkeiten zur Selbstmotivation Ruumlcksichtnahme Akzeptanz und Mitgefuumlhl sind Voraussetzung fuumlr ein friedliches Zusammensein Der bewusste Umgang mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend fuumlr ein sozial kompetentes Verhalten Das sagt auch schon J Bauer in seinem Buch bdquoPrinzip Menschlichkeitldquo bdquoDie staumlrkste und beste Droge fuumlr den Menschen ist der andere Menschldquo (Bauer 2008 S 54)

bdquoSoziales Lernen resultiert zum einen aus der absichtlichen gezielten Foumlrderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung (Sozialerziehung) zum anderen aber auch aus dem taumlglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernenldquo (Keller amp Hafner 2003 S 9) Schuumllerinnen und Schuumller lernen unbewusst durch Beobachten bzw Nachah-

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men von ihren Eltern Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch ihre Mitschuumllerin-nen und Mitschuumller

5 Umsetzung im Unterricht Arbeiten im Team ndash Unterricht in der Betriebskuumlche

Der Methodeneinsatz zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz kann nur er-folgreich sein wenn die Voraussetzungen der Klasse mit den Voraussetzungen fuumlr die Umsetzung der Methode uumlbereinstimmen Dieser Grundsatz bedeutet dass nicht jeder Methodeneinsatz immer in jeder Klasse erfolgreich sein kann Es geht vielmehr darum den Schuumllerinnen und Schuumllern unterschiedliche Wege und Moumlglichkeiten vorzustellen wie sie kompetenzorientierte Faumlhigkeiten ausbilden koumlnnen (vgl BMUKK 2011 S 12f)

Um die Komplexitaumlt der Bildungsstandards vereinfacht darzustellen wurden kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele entworfen In den Unterrichtsbeispielen wird die Anwendung des Kompetenzmodells und der Deskriptoren illustriert Um den aktuellen Anforderungen der Unterrichtsplanung gerecht zu werden wurde das Kompetenzmodell fuumlr soziale und personale Kompetenz des Bundesministeriums fuumlr Unterricht Kunst und Kultur in die Entwicklung des vorliegenden Unterrichtsbei-spiels herangezogen und als Hilfestellung fuumlr alle Lehrerinnen und Lehrer gedacht (vgl BMUKK 2012 S 5f)

Im Folgenden wird ein Auszug eines Unterrichtsbeispiels mit dem Thema bdquoDas Arbeiten im Teamldquo vorgestellt Der methodische Ansatz dient zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz der Jugendlichen Im Sinne des kompetenzorientierten Zuganges wurde als Erarbeitungsform das kooperative Lernen2 gewaumlhlt Die Lernen-den sind mit dieser Methode bereits vertraut und haben damit schon positive Erfah-rung gemacht Dies wurde aus fruumlheren Reflexionsphasen evaluiert

In einer Vorbereitungsphase planen die Lernenden im Team die Unterrichtsse-quenz in der Betriebskuumlche Sie bekommen dafuumlr die notwendigen Unterlagen Ziel ist es das die Lernenden selbststaumlndig die Arbeiten aufteilen die Arbeitsschritte detailliert ausarbeiten und in der Unterrichtseinheit umsetzen Die Schuumllerinnen und Schuumller geben einander Hilfestellungen Je besser die Lernenden zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstuumltzen desto besser wird auch das Ergebnis sein In der folgenden Aufgabenstellung bekommen die Schuumllerinnen und Schuumller genaue Erlaumlu-terungen fuumlr die Arbeitsaufgabe und das Stundenziel

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Tab 2 Arbeiten im Team Aufgabenstellung und Erlaumluterungen fuumlr Lernende (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011)

AUFGABENSTELLUNG UND ERLAumlUTERUNGEN ndash LERNENDE

Ausgangssituation Die Aufgabenstellungen die in der Unterrichtseinheit in der Betriebskuumlche zu bewaumlltigen sind koumlnnen im Wesentlichen in folgende Teilbereiche gegliedert werden

1 Vorbereitungsphase Studieren der bereitgestellten Unterlagen Wiederholen der wesentlichen the-oretischen Lehrinhalte wie zB Zubereitungsarten Verteilen der Aufgaben auf die Teammitglieder Erstellen eines Arbeitsplans mit Arbeitsschritten verteilt auf Teammitglieder und Betriebsmittel ge-naue Zeiteinteilung fuumlr die Durchfuumlhrungsphase (incl Mise en place Praktische Arbeit wie Zuberei-tungszeit Essensausgabe und Nacharbeit)

2 eventuelle Ruumlckfragen bei Lehrerin (kann entfallen) 3 Durchfuumlhrungsphase (Mise en place Praktische Arbeit Nacharbeit) 4 Ergebniskontrolle und Feedbackphase (Selbst- und Gruppenreflexion)

Sie erhalten fuumlr die Unterrichtseinheit (mindestens 1 Woche vor dem Unterricht) Rezepte Einkaufszettel und genaue Personenanzahl Je besser die Teammitglieder zusammenarbeiten desto effizienter und ergebnisorientierter kann die Unter-richtseinheit durchgefuumlhrt und die praktische Arbeit bewaumlltigt werden Aufgabenstellung Sie fuumlhren mit Ihren Mitschuumllerinnen in Teams 4 ndash 5 Personen in der Betriebskuumlche gemeinsam eine Unter-richtseinheit durch Sie erhalten dafuumlr eine praktische Aufgabenstellung die Rezepte ev Schwerpunktsetzung Zeiten fuumlr Essensausgabe genaue Personenanzahl in der Betriebskuumlche Der Inhalt wird Ihnen in einer Vorbesprechung von demder Lehrerin erlaumlutert und enthaumllt im Wesentlichen die oben angefuumlhrten Teilaufgaben Im Rahmen Ihrer Vorbereitung muumlssen Sie die notwendigen Arbeitsschritte erkennen und innerhalb Ihres Teams aufteilen Zusaumltzlich werden Sie Regeln erfolgreicher Teamarbeit versuchen anzuwenden Abschlieszligend reflektieren Sie die Einhaltung der Regeln und Ihre Zusammenarbeit im Team Vorgangsweise

Schritt 1 Besprechen Sie als Teil der Vorbereitung in Ihrem Team den Unterrichtsverlauf und fuumlhren Sie die notwendige Zuordnung der notwendigen Teilaufgaben durch Beruumlcksichtigen Sie dabei die indi-viduellen Faumlhigkeiten der einzelnen Teammitglieder Versuchen Sie im gemeinsamen Gespraumlch einen Konsens zu finden Wiederholen Sie auch die Regeln erfolgreicher Teamarbeit die Sie mit Ihrer Lehrerin in der Klasse erarbeitet haben Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 2 Am Beginn der Unterrichtseinheit bespricht Ihr Team mit demder Lehrerin die fachlichen In-halte Zuordnung der Arbeitsaufgaben auf die einzelnen Teammitglieder und zeitlichen Rahmen Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 3 Waumlhrend der Unterrichtseinheit versuchen Sie und Ihre Teammitglieder die Ihnen zugeordne-ten Teilaufgaben so gut wie moumlglich zu erledigen gegenseitige Unterstuumltzung ist dabei sinnvoll und fuumlhrt zu besseren Ergebnissen Zusaumltzlich versuchen Sie Ihre Regeln erfolgreicher Teamarbeit umzusetzen Kontrollieren Sie vor der Essensausgabe im Team Ihre Ergebnisse Setzen Sie eventuell Verbesserungs-vorschlaumlge um Zeitbedarf in Abhaumlngigkeit der Unterrichtseinheit

Schritt 4 Vor Ende der Unterrichtseinheit fuumlllt jedes Teammitglied das Feedbackblatt aus und in einer Abschlussbesprechung mit demder Lehrerin eroumlrtern Sie gemeinsam die wesentlichen Ergebnisse und die Zusammenarbeit im Team Zeitbedarf ca 10 ndash 15 min

GUTES GELINGEN IM TEAM SIND SIE STARK

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Fuumlr ein erfolgreiches Arbeiten sollten zu Beginn Teamregeln definiert werden Als Beispiel kann das angefuumlhrte Arbeitsblatt dienen Tab 3 Arbeiten im Team Arbeitsblatt Teamregeln (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash

Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011) ARBEITSBLATT bdquoTEAMREGELNldquo

Regeln fuumlr erfolgreiche Teamarbeit Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Arbeits- und Verhaltensregeln die wesentlich zum Erfolg der gemeinsamen Arbeit beitragen

Verwenden Sie dabei die folgende Vorgangsweise

1 Jedes Teammitglied notiert zunaumlchst einzeln fuumlr sich die ihm persoumlnlich wichtigsten fuumlnf Regeln fuumlr eine erfolgreiche Teamarbeit

2 Anschlieszligend werden diese im Team besprochen und eventuell durch Nachfragen eroumlrtert 3 Bestimmen Sie nun gemeinsam mit Ihrem Team die acht wesentlichen Regeln fuumlr erfolgreiche

Teamarbeit Dies sollte nach intensiver Diskussion und auf demokratische Weise geschehen 4 Praumlsentieren Sie nun Ihre Teamregeln in der Klasse Gemeinsam mit demder Lehrerin und den

Mitschuumllerinnen einigen Sie sich anschlieszligend auf zehn Regeln die verbindlich in allen Teams eingefuumlhrt werden sollen

5 Versuchen Sie die beschlossenen Regeln im Rahmen Ihrer Teamarbeit bei den Unterrichtseinheiten in der Betriebskuumlche einzuhalten

Meine persoumlnlichen fuumlnf Teamregeln

Die acht Teamregeln unseres Teams

Die zehn Teamregeln in unserer Klasse

In einer abschlieszligenden Besprechung nach der Unterrichtseinheit wird von den Ler-nenden ein Feedbackbogen ausgefuumlllt im Team besprochen und Verbesserungsvor-schlaumlge ausgesprochen

6 Fazit

Abschlieszligend laumlsst sich sagen dass mit Hilfe des theoretischen Fachwissens klar erkennbar wird dass nur ein Mensch der seine eigene Identitaumlt gefunden hat seine Persoumlnlichkeit akzeptiert und wertschaumltzt in der Lage ist ein solches Verhalten auch seinen Mitmenschen gegenuumlber zu zeigen Mit Hilfe des beschriebenen Unterrichts-entwurfes bdquoArbeiten im Team in der Betriebskuumlcheldquo konnte aufgezeigt werden welche Moumlglichkeiten bereits vorhanden sind um eine Foumlrderung von Selbst- und Sozialkompetenz durchzufuumlhren Eine zentrale Funktion der Lehrkraumlfte sollte sein jene Kompetenzen zu foumlrdern welche es den Jugendlichen ermoumlglichen sowohl selb-staumlndig als in Zusammenarbeit mit anderen Menschen effektiv und mit Freude zu arbeiten

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Anmerkungen 1 bdquoVersorgung bestimmter Verbrauchergruppen mit Speisen und Getraumlnken oft uumlber

einen laumlngeren Zeitraum und regelmaumlszligig waumlhrend der Anwesenheit in Betrieben Gesundheitseinrichtungen Schulen Heimen Kindergaumlrten Kasernen usw Die Versorgung kann sich auf einzelne Mahlzeiten (zB Schuumllerspeisung) oder alle Ta-gesmahlzeiten (zB in Krankenhaumlusern) erstreckenldquo (Zobel 2000 S 133)

2 bdquoDidaktische Strategie mit dem Ziel alle Lernenden ertragsorientiert in den Unter-richt zu integrieren kombiniert mit dem dazu geeigneten Methodenrepertoireldquo (Mattes 2011 S 20f)

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Verfasserin

Brigitte Mutz

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung

Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien

E-Mail brigittemutzphwienacat Internet wwwphwienacat

Ernaumlhrungskompetenz

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Sigrid Kuumlstler

Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen In den berufsbildenden Schulen treffen auf dem Gebiet der Ernaumlhrungsbildung zwei Lernorte aufeinander der theoretische Unterricht Ernaumlhrung (Lernort Klassenzimmer) und der fach-praktische Unterricht (Lernort Schul- bzw Betriebskuumlche) Es soll aufgezeigt werden wie Ernaumlhrungskompetenz in diesen beiden Lernorten entwickelt werden kann

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Ernaumlhrungskompetenz Empowerment Handlungsfauml-higkeit Selbststaumlndigkeit

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1 Bedarfsgerechtes Ernaumlhrungsverhalten ermoumlglichen

Das Problem dem Menschen in nahezu allen Lebensbereichen gegenuumlberstehen ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln Als Beispiele seien hier das Umwelt- Ernaumlhrung- und Sportverhalten genannt Fuumlr alle diese Lebensbereiche gilt das Glei-che Wir wissen zwar wie es theoretisch ginge das heiszligt wir verfuumlgen uumlber das entsprechende fachliche Know-how aber leider handeln wir nur in wenigen Faumlllen auch entsprechend Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Fach-bereiche beschaumlftigen sich mit diesem Phaumlnomen Waumlhrend Biologen und Biologin-nen der Frage nachgehen bdquoWie kommt man vom Umweltwissen zum Umwelthan-delnldquo ist die ernaumlhrungsrelevante Frage bdquoWie kommt man vom Ernaumlhrungswissen zur Ernaumlhrungskompetenzldquo

Grau amp Legutke (2013) sehen den Lernort Klassenzimmer als Kernzone fuumlr das Erlernen von fremdsprachlicher Kompetenz Gleiches muss auch fuumlr den Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz gelten Die Kernzone Klassenzimmer wird in oumlsterreichischen berufsbildenden Schulen durch den Lernort Schulkuumlche erweitert So koumlnnen die ernaumlhrungsbildenden Kompetenzen die im oumlsterreichischen Referenzrahmen fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbrauchbildung formuliert wurden in beiden Lernorten verankert und trainiert werden Der vorliegende Artikel versucht dies an den beiden Kompe-tenzen bdquoEB 1 Das eigene Essverhalten reflektieren und bewertenldquo und bdquoEB 2 sich vollwertig ernaumlhren koumlnnenldquo (Buchner amp Schuh 2009 S 8) zu verdeutlichen Die Frage die sich stellt ist wie diese beiden innerschulischen Lernorte auch primaumlre Lernorte genannt (vgl Thomas 2009) die Entwicklung der Ernaumlhrungskompetenz von Lernenden foumlrdern koumlnnen Die zwei Lernorte schaffen ideale Voraussetzungen um bei entsprechender Lernbereitschaft der Lernenden sowohl kognitive als auch operationale Kompetenzen zu erwerben bzw weiterzuentwickeln in anderen Worten die Handlungsfaumlhigkeit der Lernenden anzubahnen

Ernaumlhrungskompetenz

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Um Schuumller und Schuumllerinnen zu handlungsfaumlhigen Akteuren zu erziehen brau-chen sie im Unterricht konkrete Handlungsanlaumlsse Diese koumlnnen im geschuumltzten Rahmen dem Lernort umgesetzt geuumlbt und letztlich reflektiert werden Peterszligen (2001) definiert Handlungsfaumlhigkeit wie folgt bdquoAls handlungsfaumlhig gilt wer imstan-de ist selbststaumlndig mit moumlglichst vielen Situationen fertig zu werden in die sein Leben ihn hineinfuumlhrt weil er die darin vorfindbaren Probleme eigenstaumlndig zu loumlsen faumlhig istldquo (S 10) Handlungsfaumlhigkeit ist fuumlr Peterszligen ein ganzheitlich-integratives Konzept dass sich aus der Schnittmenge von fundierter Sach- Sozial- Moral- und Methodenkompetenz ergibt1

Ziel des Ernaumlhrungs- und Kuumlchenfuumlhrungsunterrichtes muss diese Handlungsfauml-higkeit bzw der Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz sein Im Vorwort des aid-Tagungsbandes Du isst wie du bist Ernaumlhrungskompetenz ist Lebenskompetenz fasst Buumlning-Fesel Ernaumlhrungskompetenz wie folgt zusammen

Ernaumlhrungskompetenz [ist] die Faumlhigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Ernaumlhrungsalltag in ein angemessenes Handeln umzusetzen zum Beispiel im Sinne einer gesunden und nachhaltigen Ernaumlhrung (Buumlning-Fesel 2011 S 6)

Das Umsetzen der erworbenen Faumlhigkeiten das Entwickeln von Kompetenzen muss also im Fokus des Unterrichts stehen Im Sprachunterricht orientiert man sich zur Erfuumlllung dieser Aufgabe am handlungsorientierten Unterricht (task-based teaching) So werden im primaumlren Lernort Klassenzimmer Alltagssituationen kreiert sogenann-te bdquotasksldquo (Aufgabenstellungen) gegeben die so realitaumltsnah wie moumlglich geuumlbt wer-den Eine Vielzahl der verwendeten Sprachschulbuumlcher erleichtert diese Form des Sprachunterrichts maszliggeblich

Da sich der Groszligteil der Ernaumlhrungspaumldagoginnen und -paumldagogen auf das Schulbuch stuumltzt wird hier der Frage nachgegangen inwiefern das Konzept des Han-delnlernens in diversen inter-nationalen Ernaumlhrungslehre-Schulbuumlchern verankert ist Eine Analyse des an den berufsbildenden Schulen verwendeten Schulbuchs Er-naumlhrung ndash bewusst ndash aktuell ndash lebensnah (Reischl et al 2009) zeigt auf dass der rein kognitive Wissenserwerb im Vordergrund steht Handlungsanlaumlsse bzw hand-lungsorientiertes Lernen spielen eine untergeordnete Rolle Zu Beginn jedes Kapitels werden Ziele formuliert die nur Operatoren (zB Bescheid wissen kennen erlaumlu-tern erklaumlren etc) aus dem Bereich der kognitiven Ebene bedienen Aumlhnliches gilt fuumlr die Rubrik Arbeitsaufgaben Auch hier zielen die Arbeitsaufgaben darauf ab Kognitionsfragen zu beantworten So zB bdquoIn welche Gruppen werden Kohlenhydra-te eingeteilt Worin besteht der Unterschied zwischen den einzelnen Artenldquo (S 36) Im gesamten Schulbuch findet sich ein Rollenspiel in Form einer Ernaumlhrungsbera-tungssituation zum Thema Kleinkindernaumlhrung (S 238)

Handlungsanleitungen oder Vorschlaumlge fuumlr Projekte wie sie zB in Richters (2009) Kreativ Ernaumlhrung entdecken Usus sind oder die Rubrik bdquoUnd jetzt Sieldquo in de Groot amp Farhadis (2007) Schulbuch In Sachen Ernaumlhrung in der es neben Kogni-tionsaufgaben auch Anwendungsaufgaben (zB Fallbeispiele wie etwa zum The-

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menbereich Salmonellose S 313) zu loumlsen gibt finden sich auch in anderen oumlsterrei-chischen Pendants Richtige Ernaumlhrung (Linder amp Robitza 2003) oder Gesundheit und Ernaumlhrung (Knapp et al 2009) noch nicht Eine Erweiterung im Bereich Hand-lungsorientierung in den oumlsterreichischen Schulbuumlchern waumlre wuumlnschenswert um so eine bessere Ernaumlhrungskompetenz bei den Lernenden zu erzielen

Moumlglichkeiten die Ernaumlhrungskompetenz der Lernenden zu foumlrdern werden bei Strotkamp aufgelistet bdquoexemplarisches Lehren und Lernen schuumllerInnenorientiert [sic] handlungsorientiert Wissenschaft dient als Informationsgeberin (Orientie-rungs- und Entscheidungshilfen) konkretes Ausprobieren handelnd lernen Alltags-bezug [sic]ldquo (Strotkamp 2002 S 189)

Um Ernaumlhrungskompetenz zu ermoumlglichen bedarf es auch einer gezielten Aus-einandersetzung mit dem Begriff des Empowerments Duumlr (2008) bringt den Termi-nus folgendermaszligen auf den Punkt

Der Begriff des Empowerments steht in gewisser Weise fuumlr das Paradox Individuen dazu zu bringen von sich aus so zu leben zu denken und zu handeln wie es mit den anspruchsvoller werdenden Bedingungen der Gesellschaft vereinbar ist ohne dabei Herrschaft Macht und Zwang ausuumlben zu muumlssen bzw sich in die Gestaltung der sozialen Systeme und der Gesellschaft insgesamt aktiv in einer Weise einzubringen dass diese zugleich gegenuumlber individuellen Einfluumlssen und Stoumlrungen paradoxer-weise resistenter werden (Duumlr 2008 S 11)

Bevor gezeigt wird wie ein Zusammenspiel von Ernaumlhrungskompetenz Handlungs-orientierung und Empowerment im Ernaumlhrungsunterricht aussehen kann wird im folgenden Kapitel das Augenmerk auf die eingangs beschriebene Diskrepanz zwi-schen Handeln und Wissen gelegt

2 Theorien zum nicht-stattfindenden Wissenstransfer

Aumlhnlich wie die biologiedidaktische steht auch die ernaumlhrungsdidaktische Forschung vor demselben Problem Obwohl das theoretische Wissen bei der Bevoumllkerung vor-handen ist mangelt es an der praktischen Umsetzung bzw am Wissenstransfer Die-ses Dilemma wird in zahlreichen Studien aus dem naturwissenschaftlichen sowie dem Publich Health-orientierten Bereich aufgezeigt Dieses Phaumlnomen des Nicht-uumlbertragens von vorhandenem Wissen des Ungenutztlassens von Erlerntem wurde 1929 von Whitehead als traumlges Wissen (inert knowledge) bezeichnet (vgl Renkl 1996) In seinem Artikel fasst Renkl drei Erklaumlrungsmoumlglichkeiten fuumlr diese Wis-sens-Handels-Diskrepanz zusammen

a) Metaprozesserklaumlrung Diese Theorie geht davon aus dass es zu keiner Nutzung des existierenden Wissens kommt weil die sogenannten me-takognitiven Steuerungsprozesse mangelhaft sind

Ernaumlhrungskompetenz

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b) Strukturdefiziterklaumlrung Hierbei geht man davon aus dass das eigentliche Wissen luumlckenhaft bzw nicht ausreichend ist um es entsprechend anwen-den zu koumlnnen

c) Situiertheitserklaumlrung Diese Theorie geht von der Situiertheit des Wissens aus und kritisiert somit auch die Ansaumltze der Kognitionspsychologie zur Thematik Wissen und Transfer (vgl Renkl 1996 S 84-87)

Um schlieszliglich anwendbares Wissen zu erlangen wird mithilfe von Modellen des situierten Lernens (zB kognitive Lehre verankerte Instruktion und Kognitive Flexibilitaumlt) im Unterricht gearbeitet bdquoAls Gemeinsamkeit dieser Ansaumltze kann hervorgehoben werden daszlig [sic] an komplexen authentischen oder zumindest realitaumltsnahen Problemstellungen gelernt wird (problemorientiertes Lernen)ldquo (Renkl 1996 S 87) Wissen werde so bereits im Anwendungskontext erarbeitet und somit auf bdquobestimmte Anwendungsbedingungen hin konditionalisiertldquo (S 88) Dieses anwendungsorientierte Lernen soll auch durch kooperatives Vorgehen in der Klasse gestuumltzt werden da bdquobei den Modellen des situierten Lernens der Sozi-alaspekt betont und Lernen als Enkulturation aufgefaszligt [sic]ldquo (S 88) wird

Wie ein entsprechend situiertes Lernarrangement im Ernaumlhrungsunterricht aus-sehen koumlnnte soll hier skizziert werden Die Themen des situierten Lernarrange-ments sind die Naumlhrwertberechnung und der Umgang mit Naumlhrstofftabellen Im Schulbuch wird ein fiktives Berechnungsbeispiel angegeben Eine vorgegebene Menge Haferflocken Apfel und Joghurt sind zu berechnen Der Arbeitsauftrag lautet bdquoWie viel Energie hat dieses Muumlslildquo Die Schuumller und Schuumllerinnen berech-nen rein mechanisch und haben beim naumlchsten Mal wieder vergessen wie sie den Energiewert berechnen koumlnnen

Eine handlungsorientierte und zugleich kooperative Moumlglichkeit die die kogni-tive Ebene mit der operationalen Ebene verbindet sieht folgendermaszligen aus

Den Lernenden wird in Kleingruppen ermoumlglicht sich selbst ihr Muumlsli zusam-menzustellen Die entsprechenden Ingredienzen stehen zur Verfuumlgung und duumlrfen frei gewaumlhlt abgewogen und in eine entsprechende Tabelle eingetragen werden Schlieszliglich wird der Energiegehalt der eigenen realen Muumlsliportion berechnet Die Schuumller und Schuumllerinnen werden angehalten den Energiegehalt ihrer Portion mit den Empfehlungen der DGE zu vergleichen wenn noumltig werden innerhalb der Gruppen Veraumlnderungen vorgenommen bzw Verbesserungs-vorschlaumlge gemacht

Neben der Zurverfuumlgungstellung von Muumlsliingredienzien (Orientierungshilfe) und dem Auswaumlhlen (sich entscheiden) dem Berechnen (Kognition) dem Abglei-chen von Ist- und Soll-Zufuhr am konkreten Beispiel (Reflexion) und dem Erbrin-gen von Verbesserungsvorschlaumlgen (Ernaumlhrungskommunikation -beratung) finden wichtige praktische Taumltigkeiten (Herstellung des Muumlslis Anrichten) statt Die ge-meinsame Verkostung (soziales Setting und sensorische Bewertung) schlieszligt diese Einheit ab Dieses konkrete Unterrichtsbeispiel veranschaulicht wie Wissenser-werb Empowerment und Ernaumlhrungskompetenz Hand in Hand gehen

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3 Handlungstheorien und ihre didaktische Umsetzung

Im Zusammenhang mit Ernaumlhrungsbildung und Gesundheitsfoumlrderung in der Schule muss sich die Ernaumlhrungsdidaktik auch mit Handlungstheorien bzw der Handlungs-psychologie auseinandersetzen Die fuumlr diesen Artikel ausgewaumlhlten Theorien wer-den kurz umrissen Die Auswahl dieser Theorien erfolgt aufgrund ihrer ernaumlhrungs-didaktischen Tauglichkeit

Was versteht die Wissenschaft unter Handeln Der Neurobiologe Roth (2003) versteht unter Handeln bdquodas Verfolgen von Zielen genauer den Versuch Wuumlnsche Plaumlne und Absichten in die Tat umzusetzen Handeln unterscheidet sich hierdurch vom bloszligen Reagieren auf bestimmte Sinnesreize jenes wird uumlberwiegend intern dieses uumlberwiegend extern bestimmtldquo (S 472) Ein wichtiger Aspekt um ein Ziel zu erreichen ist die Willensanstrengung2 Roth erlaumlutert die Erkenntnisse der Hand-lungs- und Volitionspsychologie und geht in diesem Zusammenhang auf Heckhau-sen ein und benennt fuumlnf Phasen des Handelns

(1) die realitaumltsorientierte Motivationsphase (2) die Intentionsbildung (3) realisie-rungsorientierte praumlaktionale Phase (4) die aktionale Volitions- bzw Handlungs-phase und (5) die postaktionale Phase die das Erzielte bewertet und fuumlr spaumltere Handlungen beruumlcksichtigt (Roth S 476)

Um den Jugendlichen bei der Planung ihres Trinkverhaltens zu helfen wurde fol-gendes Beispiel von ihnen erarbeitet Tab 1 Planungsschritte fuumlr das Trinkverhalten

Phasen Teilaspekte ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Phase 1 Was Trinkverhalten verbessern

Phase 2 Wie Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch bereithalten

Phase 3 amp 4 das Handeln Wasser trinken und im Trinkprotokoll die entspre-chenden Portionen festhalten

Phase 5 das Bewerten Was ist gut gelaufen Was muss ich verbessern

Eine Theorie die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Einstellungen und Ver-halten auseinandersetzt ist Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens Ajzen erforscht ebenfalls Phasen im Handeln Laut Graf (2007) haben Ajzen und Fishbein unter anderem folgende vier Aspekte fuumlr diverse Haltungen sowie fuumlr das Verhalten for-muliert den Handlungs- Ziel- Kontext- und Zeitaspekt Nachfolgend eine Tabelle die diese vier Teilaspekte des Handelns auf das Ernaumlhrungsverhalten uumlbertraumlgt

Ernaumlhrungskompetenz

99

Tab 2 Beschreibung der Einstellungs- und Verhaltensperspektiven

Aspekte Fragen (lt Graf S 34) ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Handlungsaspekt Welches Verhalten soll ausgefuumlhrt oder unterlassen werden

morgen kein Dessert essen

Zielaspekt Welches Ziel hat das Verhalten morgen nicht naschen

Kontextaspekt In welchem Kontext steht das Verhal-ten

Gehe ich morgen essen oder koche ich selbst

Zeitaspekt Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zeitrahmen soll das Verhalten ausge-fuumlhrt werden

einen Tag lang nichts naschen od gaumlnzlich darauf verzichten

Fuumlr die Ernaumlhrungsbildung in der Schule koumlnnen diese beiden Tabellen zB zur Nachbesprechung in der Reflexionsphase eines Essverhaltensprotokolls (vgl Heindl 2003 S 75) herangezogen werden Heindl fuumlhrt zB als Methode der Gesundheits-bildung bdquoEssgewohnheiten ndash Die Spirale der Veraumlnderungldquo an (vgl Heindl 2003 S 77)

Abb 1 Essgewohnheiten ndash Spirale der Veraumlnderung (nach Heindl 2003 S 77) Um den Lehrenden bei der Spirale der Veraumlnderung weiterzuhelfen haben die in Tabelle 1 und 2 angefuumlhrten Aspekte gute Dienste geleistet da dem Groszligteil der Jugendlichen nicht bewusst ist aus welchen Komponenten sich ihr Handeln zusam-mensetzen kann

Ernaumlhrungskompetenz

100

4 Handlungsorientiertes Lernen und Ernaumlhrungsbildung

Um Lernende moumlglichst wirklichkeitsnahe handeln zu lassen wurde der handlungs-orientierte Unterricht entwickelt Laut Bender (2013) trifft man ihn im Lernfeld Er-naumlhrung haumlufig an Peterszligen (2001) formuliert zum Thema handlungsorientiertes Lernen3 sehr plakativ bdquoWer Handlungsfaumlhigkeit will muss handeln lassenldquo (S 142) Fuumlr ihn bedeutet Handlungsorientierung dass Lernende die Faumlhigkeit besitzen ihr bdquoeigenes Handeln intellektuell regulieren zu koumlnnenldquo (S 142) Er fordert weiter dass die Lernenden bdquoihr Handeln von A bis Z [hellip] selbstaumlndig steuernldquo (S 145) muumls-sen damit sie das Erziehungsziel Selbstaumlndigkeit4 erreichen koumlnnen Aumlhnlich wie Heckhausen oder auch Ajzen sieht Peterszligen Handeln in Dimensionen unterteilt Er stuumltzt sich auf das Modell des vollstaumlndigen Handelns von Hacker dieses unterteilt sich wie folgt Planen Ausfuumlhren und Kontrollieren Peterszligen kreiert sein didakti-sches Modell des handlungsorientierten Lernens in Anlehnung an das des vollstaumlndi-gen Handelns (vgl Abb 2)

Abb 2 Didaktisches Modell vollstaumlndigen Handelns (Quelle Peterszligen 2001 S 145) Fuumlr den ernaumlhrungsbildenden Unterricht kann dieses Modell wie folgt in die Praxis umgesetzt werden In der HLW19 Straszligergasse wurde in den letzten drei Jahren das Projekt bdquoGesunde Jauseldquo gestartet Die Intentionen sind erstens auf die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden Einfluss zu nehmen zweitens beiden Gruppen Orien-tierungshilfen zu bieten und drittens die Zubereitungskompetenz der Schuumllerinnen und Schuumller bezuumlglich der Herstellung von einfachen bedarfsgerechten sowie naumlhr-stoffdichten Snacks in den schuleigenen Kuumlchen zu foumlrdern Dieser Zugang bedingt

Ernaumlhrungskompetenz

101

eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Faumlchern Ernaumlhrung und Kuuml-chenfuumlhrung einerseits Er erfordert aber auch andererseits dass die Lernenden typi-sche Nahrungszubereitungsmethoden gezielt uumlben naumlhrstoffdichte Snacks erkennen und gemaumlszlig den Hygienevorschriften herstellen sowie im Team arbeiten koumlnnen Neben der fachlichen Kompetenz werden auch die Methodenkompetenz und die personalensozialen Kompetenzen trainiert Im konkreten Fall wird dargestellt wie die Lernenden bei der Auswahl und Herstellung von bedarfsgerechten Snacks unter-stuumltzt werden um dann entsprechend handeln zu koumlnnen Die Schritte die an der HLW19 gesetzt wurden sind

a) Produktion von naumlhrstoffdichten Pausensnacks (Kochkompetenz) b) Verkauf und Beratung der Snacks in der Schulaula (Beratungskompetenz) c) Marketing durch Schuumllerinnen und Schuumller d) Konsum und Bewertung dieser Snacks durch Schuumllerinnen und Schuumller

Um die Lernenden zum Handeln zu motivieren brauchen sie im Unterricht konkrete Anlaumlsse die sie im geschuumltzten Rahmen umsetzen uumlben und reflektieren koumlnnen Das 6-stufige didaktische Modell von Peterszligen stand Pate fuumlr die folgende Vorge-hensweise Das Thema im Ernaumlhrungsunterricht ist die bdquoGesunde Jauseldquo und unter-stuumltzt somit das obenerwaumlhnte Projekt Buumlnning-Fesels Definition von Ernaumlhrungs-kompetenz Duumlrs Sicht des Empowerments und die beiden Deskriptoren EB1 und EB 2 des oumlsterreichischen Referenzrahmens fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bilden den weiteren didaktischen Hintergrund

Tab 3 Ernaumlhrungsdidaktische Umsetzung (basierend auf Peterszligens Modell)

Phasen Umsetzung

1 Information Lernenden erarbeiten sich das Thema bdquoGesunde Jauseldquo

2 Planung Lernende planen ihre eigene gesunde Jause Der Handlungsplan muss folgendes beinhalten 5 Tagesplaumlne bdquoGesunde Jauseldquo fuumlr Teenager entsprechend des in Schritt eins erworbenen Wissens Rezeptplanung Naumlhrstoffdichte-Berechnung Einkaufsliste Zube-reitungsinformation Marketingstrategie fuumlr die gesunde Jause

3 Beratung Lehrende beraumlt

4 Ausfuumlhrung Lernende fuumlhren ihre Planung mithilfe der Lehrkraumlfte aus

5 Evaluation Evaluation des Vorhabens

6 Bewertung Bewertung des Vorhabens

Am Ende dieser Einheit stehen nicht nur Rezepte Einkaufslisten Handlungsplaumlne sowie Jausensnacks als konkrete Handlungsprodukte zur Verfuumlgung die Schuumllerin-nen und Schuumller haben sich im Bereich der Selbststaumlndigkeit weiterentwickelt Ihre Planungskompetenz und ihre Ernaumlhrungskompetenz (theoretischer sowie operationa-ler Art) konnte weiterentwickelt werden

Ernaumlhrungskompetenz

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5 Conclusio

Um der Forderung in der Schule ernaumlhrungskompetente Schuumllerinnen und Schuumller auszubilden damit sie sich gemaumlszlig der Idee des Empowerments gesundheitsfoumlrdernd ernaumlhren und verhalten koumlnnen gerecht zu werden bedarf es einer fundierten Ausei-nandersetzung mit Handlungstheorien und handlungsorientiertem Lernen Diese profunde Beschaumlftigung muss in der Aus- Weiter- und Fortbildung geschehen

Anmerkungen 1 Naumlhere Ausfuumlhrungen betreffend der ernaumlhrungsrelevanten Moral- bzw Methoden-

kompetenz finden sich in Buchner et al (2011) und Bender et al (2013) 2 Einen eingehenden Uumlberblick zu den Moumlglichkeiten und Grenzen der Willens-

erziehung bietet Langer (2011) 3 Es wurde bewusst der Begriff bdquohandlungsorientiertes Lernenldquo und nicht bdquohand-

lungsorientierter Unterrichtldquo gewaumlhlt Dies geschieht einerseits weil mit dem Be-griff des Lernens verdeutlicht werden soll dass die Lernenden im Vordergrund ste-hen und andererseits weil der Begriff handlungsorientiertes Unterrichten bei Meyer (2003a 2003b) und Jank und Meyer (2008) nicht auf Handlungstheorien basiert

4 Eine ausfuumlhrliche Einfuumlhrung zum Erziehungsziel Selbststaumlndigkeit gibt Drieschner (2007)

Literatur

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Ernaumlhrungskompetenz

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Verfasserin

Maga Sigrid Kuumlstler

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung Ernaumlhrungspaumldagogik Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien E-Mail sigridkuestlerphwienacat Internet wwwphwienacat

Beurteilungsportfolio

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______________________________________________________________

Ute Bender

Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche Das Lernatelier Kuumlche stellt eine wichtige materielle Lernumgebung fuumlr den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung dar Die damit verbundenen Lernprozesse stehen in Verbindung mit Methoden der Leistungsbeurteilung welche die angestrebten Kompetenzen in ihrer ganzen Breite auch tatsaumlchlich erfassen koumln-nen Der folgende Beitrag schlaumlgt hierzu ein Beurteilungsportfolio vor

Schluumlsselwoumlrter Portfolio Leistungsbeurteilung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungsbildung

______________________________________________________________

1 Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche als Lernumgebung der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

In der Tradition der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung war das Lernatelier Kuumlche1

lange Zeit die typische materielle Lernumgebung Heute hat sich dies gewandelt Nichtsdestotrotz sind insbesondere in der Ernaumlhrungsbildung fachliche Lernprozesse im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung unver-zichtbar die im Lernatelier am besten unterstuumltzt werden koumlnnen

Diese Lernprozesse sind mit vielfaumlltigen Teilkompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung verknuumlpft so dass im Lernatelier keineswegs ausschlieszliglich am Kompetenzaufbau in der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung gearbeitet wird Lehr-Lernarrangements im Lernatelier Kuumlche stellen folglich keinen separier-ten oder bdquobesonderenldquo Sektor innerhalb der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung dar sondern sind in die uumlbergeordneten Intentionen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung integriert Auch fuumlr die Leistungsbeurteilung gelten somit keine bdquobesonderenldquo Rege-lungen - allerdings sind bestimmte Fokussierungen vorzunehmen um den spezifi-schen angestrebten Kompetenzen gerecht werden zu koumlnnen Ein Beurteilungsportfo-lio kann diesem Anspruch entgegenkommen2

Die Begriffe bdquoLeistungsbeurteilungldquo und bdquoLeistungsbewertungldquo werden im Fol-genden nicht synonym verstanden bdquoLeistungsbeurteilungldquo bezieht sich auf die Ver-fahren die uumlber einen laumlngeren Zeitraum zum Einsatz kommen und bdquoLeistungsbe-wertungldquo auf bdquodie konkrete und detaillierte Einordnung einer beschriebenen Leistung in einem bestimmten Maszligstabldquo (Bohl 2009 S 60f in Anlehnung an v Saldern 1999)

Beurteilungsportfolio

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11 Leistungsbeurteilung im Zuge der Kompetenzorientierung

Das in schulischen Fachkreisen gaumlngigste Verstaumlndnis von bdquoKompetenzldquo greift auf die Definition von F E Weinert zuruumlck (Weinert 2001) bdquoKompetenzenldquo beinhalten demnach mehrere inhalts- und prozessbezogene Facetten Faumlhigkeiten Fertigkeiten und Wissen aber auch Bereitschaften Haltungen und Einstellungenldquo (D-EDK 2013b S 7) Konsequenterweise hat sich die Leistungsbeurteilung an diesem an-spruchsvollen Kompetenzbegriff zu orientieren In der Ernaumlhrungs- und Konsumbil-dung im Allgemeinen und im Lernatelier Kuumlche im Besonderen wird sie sich also nicht nur auf Faumlhigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren sondern anstreben saumlmtli-che Aspekte von Kompetenz zu erfassen (vgl Bender 2013 S 46ff)

Selbstverstaumlndlich kann sich die Leistungsbeurteilung nur auf jene Teilkompe-tenzen beziehen an denen vorher im Unterricht gearbeitet wurde Sie hat prinzipiell den bdquoGrundsatz der proportionalen Abbildungldquo (Sacher 2011 S 29 vgl Bohl 2012 S 327) zu beachten das heiszligt dass die jeweils gewaumlhlten Modalitaumlten der Leistungserhebung und -bewertung die im Unterricht unterstuumltzten Kompetenzen im Sinne einer repraumlsentativen Stichprobe spiegeln sollten Zugleich sind die Verfahren der Leistungsbeurteilung gemaumlszlig dem bdquoGrundsatz der Variabiliaumltldquo (Sacher 2011 S 29) so zu gestalten dass sie der Zielgruppe gerecht werden Gerade in der Ernaumlh-rungs- und Konsumbildung beduumlrfen die heterogenen Voraussetzungen der Lernen-den (zB Geschlecht Interkulturalitaumlt) und ihre individuellen situativen Problemlouml-sungen besonderer Aufmerksamkeit (Fachgruppe 2005 S 31 vgl Methfessel Ritterbach amp Schlegel-Matthies 2008)

Eine der Herausforderungen des skizzierten Kompetenzverstaumlndnisses liegt si-cherlich in dem Anspruch Leistungsbeurteilung auch auf die bdquoBereitschaften Hal-tungen und Einstellungenldquo (siehe oben) zu beziehen In der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung kommen manche Bereitschaften zB die Absicht sich gesund zu ernaumlhren und angemessene Zubereitungstechniken zu praktizieren vor allem im auszligerschulischen Alltag zum Vorschein sie bleiben somit fuumlr die schulische Leis-tungsbeurteilung prinzipiell unzugaumlnglich Diese ist auf entsprechende Aussagen der Schuumllerinnen und Schuumller angewiesen Dabei hat sie sich selbstverstaumlndlich nicht auf gewisse bdquoerwuumlnschteldquo Absichtserklaumlrungen der Lernenden zu beziehen sondern auf explizierte Argumentationen und Erwaumlgungen

Der Maszligstab der Kompetenzorientierung wird von allen aktuellen deutschspra-chigen fachdidaktischen Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung vertreten In diesen kommen noch weitere Anspruumlche zur Geltung welche die Leistungsbeur-teilung beeinflussen koumlnnen und im Folgenden skizziert werden

Beurteilungsportfolio

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12 Leistungsbeurteilung in Bezug auf die Faumlhigkeit zur Reflexion

So wird in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung aus Oumlsterreich und Deutschland ua angestrebt dass Schuumllerinnen und Schuumller ihr Verhalten und ihre Entscheidungen reflektieren koumlnnen und wollen (Thematisches Netzwerk 2009 Fachgruppe 2005 vgl D-EDK 2013a S 8) Die Lernenden sollen uumlber das eigene Tun nachdenken und nicht nur spontan oder gewohnheitsmaumlszligig agieren In dieses Nachdenken flieszligen sehr unterschiedliches Wissen (zB aus den eigenen Erfahrun-gen oder wissenschaftliches Wissen) Einstellungen Emotionen etc ein Doch bdquoNachdenkenldquo ist bekanntlich unsichtbar Um es der Performanz zuzufuumlhren wird im Zuge der Leistungsbeurteilung erwartet dass die Schuumllerinnen und Schuumller ihre Gedanken in Texten oder auf andere Weise symbolisieren und ausfuumlhren Die Leis-tungsbeurteilung sollte folglich fuumlr solche Symbolisierungen Raum bieten

13 Leistungsbeurteilung vor dem Hintergrund ethischer Aspekte des Lernens

Eng mit den bdquoReflexionenldquo aber auch mit bdquoBereitschaften Einstellungen und Hal-tungenldquo (siehe oben) verknuumlpft sind solche Formulierungen in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung welche die Lernenden in Richtung eines nachhal-tigen Handelns oder Lebensstils bilden wollen (Fachgruppe 2005 S 26 ff vgl D-EDK 2013a S 2 Thematisches Netzwerk 2009 S 8 f) Nachhaltiges Entscheiden und Handeln impliziert immer auch ethische Gesichtspunkte (Schlegel-Matthies 2013) Dasselbe gilt fuumlr die in den Konzepten mehrfach genutzten Termini des bdquover-antwortlichenldquo oder bdquoverantwortungsbewusstenldquo Handelns (Fachgruppe 2005 S 27 Thematisches Netzwerk 2009 S 7 11) Wiederum kann es bei der Leistungsbe-urteilung nicht darum gehen bestimmte bdquoerwuumlnschteldquo Antworten zu erhalten son-dern um moumlglichst differenzierte mehrperspektivische Explorationen

14 Leistungsbeurteilung im Sinne des salutogenetischen Prinzips

Das bdquosalutogenetische Prinzipldquo als didaktisches Prinzip der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung findet sich in expliziter Form ausschlieszliglich im deutschen Konzept REVIS wieder (Fachgruppe 2005 S 30) Es zielt darauf ab die je individuellen he-terogenen Ressourcen der Lernenden zu foumlrdern und zu fordern Leistungsbeurtei-lung im Sinne der Salutogenese beruumlcksichtigt das Prinzip der Variabiliaumlt (siehe oben) und beachtet daruumlber hinaus dass die damit verbundenen Anforderungen fuumlr die Lernenden handhabbar sinnvoll und verstaumlndlich bleiben und somit dem persoumln-lichen bdquoKohaumlrenzgefuumlhlldquo nach Antonovsky (1999) dienlich sind

Beurteilungsportfolio

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15 Leistungsbeurteilung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens

Nicht zuletzt sei noch auf das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens hingewiesen welches ebenfalls im Konzept REVIS genannt ist Lernprozesse in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung sind demzufolge alltagsnah zu konzipieren vorhandene Erfah-rungen der Lernenden wert zu schaumltzen und Offenheit fuumlr weiteres Lernen ist ebenso zu foumlrdern wie bdquoLebensgestaltungs- und Bewaumlltigungskompetenzenldquo (Fachgruppe 2005 S 31) Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung versucht also idealerweise jene Offenheit fuumlr das weitere Lernen zu unterstuumltzen oder sogar Hilfestellungen hierfuumlr zu geben Sicherlich lieszligen sich noch weitere grundsaumltzliche Anforderungen an die Leistungs-beurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung formulieren Im Sinne eines Minimalanspruchs sollten konkrete Leistungsbewertungen jedoch den genannten zumindest nicht zuwiderlaufen Welche Rolle kann ein Beurteilungsportfolio dabei innehaben

2 Das Beurteilungsportfolio in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Portfolios als Lern- und Beurteilungsinstrumente werden mit unterschiedlichen Funktionen und fuumlr unterschiedliche Zielgruppen eingesetzt In der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung hat Brandl (2004) ein Konzept fuumlr die Lehrerinnen- und Lehrerbil-dung entwickelt Mit Blick auf Schuumllerinnen und Schuumller sind Portfolios folgender-maszligen zu definieren

Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Schuumllerarbeiten welche die An-strengung des Lernenden den Lernfortschritt und die Leistungsresultate auf einem oder mehreren Gebieten zeigt Die Sammlung schlieszligt die Beurteilung des Schuumllers bei der Auswahl der Inhalte Aufstellung der Kriterien fuumlr die Auswahl und zur Beur-teilung sowie selbstreflexive Gedanken ein (Lissmann 2008 S 137 in Anlehnung an Paulson Paulson amp Meyer 1991 vgl Brunner amp Schmidinger 2004 S 17 Bohl 2009 S 147f Haumlcker 2011a Winter 2012 S 200f)

Zu den bdquoselbstreflexiven Gedankenldquo gehoumlren meist Reflexionen der Lernenden uumlber ihre Portfolioentwicklung aber auch Uumlberlegungen zu ihren eigenen Lernprozessen Auszligerdem wird der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernenden uumlber Leis-tungen und Lernprozesse hoher Wert eingeraumlumt die dann ebenfalls Eingang ins Portfolio findet (Haumlcker 2011b S 218 Winter 2012 S 217)

Ein bdquoBeurteilungsportfolioldquo stellt eine von fuumlnf moumlglichen Formen eines Portfo-lios dar (siehe Tabelle 1 Lissmann 2008 S 141 vgl Glaumlser-Zikuda amp Hascher 2007 S 12f Paulson Paulson amp Meyer 1991 Winter 2012 S 200)

Beurteilungsportfolio

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Tab 1 Formen eines Portfolios (Lissmann 2008 S 141)

Aufgabe Portfolioformen

Lernprozess diagnostizieren Arbeitsportfolio

Lernerfolg beurteilen Beurteilungsportfolio

Lernergebnisse mitteilen Vorzeigeportfolio

Entwicklung dokumentieren Entwicklungsportfolio

Lernende vorstellen Bewerbungsportfolio

Das Beurteilungsportfolio dient somit dazu den Lernerfolg und die Schritte dorthin zu dokumentieren und der Bewertung zugaumlnglich zu machen folgerichtig hat es einen deutlich formaleren Charakter als zB das bdquoArbeitsportfolioldquo Wie fuumlr alle Portfolioformen gilt auch fuumlr das Beurteilungsportfolio dass es nicht nur einen ein-zigen Zeitpunkt im Lernprozess dokumentiert sondern auf eine laumlngere bdquoRegelstre-ckeldquo zuruumlckblickt (Winter 2012 S 213) Daruumlber hinaus beteiligt es wenn moumlglich die Lernenden an der Entscheidung welche ihrer Leistungen bewertet werden sollen und staumlrkt deren Selbstregulierung (Haumlcker 2011b S 220f)

In loser Anlehnung an Brunner und Schmidinger (1997 2004) sowie an Bohl (2009) sollte ein Beurteilungsportfolio folgende Dokumente umfassen Formale und strukturierende Elemente wie Titelblatt Inhaltsverzeichnis etc Pflichtdokumente aus dem Unterricht Dokumente nach Wahl der Lernenden die inner- oder auszliger-halb des Unterrichts entstehen koumlnnen Ruumlckmeldungen der Lehrperson zum Lern-prozess oderund zur Portfolioarbeit Schuumllerreflexionen

Waumlhrend das Beurteilungsportfolio in der deutschsprachigen Diskussion einer-seits als Alternative zum bdquoNotenfetischismusldquo (Vierlinger 1999) angesehen wurde und wird (Stern 2010 Vierlinger 2011) ist es heute andererseits auch als ergaumlnzen-de Beurteilungsmodalitaumlt denkbar (Bohl 2009 Winter 2012)

21 Ein Beurteilungsportfolio fuumlr das Lernatelier Kuumlche

Das Lernatelier Kuumlche ist der typische Ort fuumlr den Erwerb von Teilkompetenzen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im Sinne des Kompetenzbegriffes gehoumlren dazu Fertigkeiten etwa Arbeitstechniken aber auch diverse Kenntnisse und Faumlhigkeiten ebenso entsprechende Motivationen und Bereitschaften Daruumlber hinaus sind die genannten Teilkompetenzen zu verknuumlpfen mit weiteren Kompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Das Beurteilungsportfolio bietet ein breiteres Potenzial zur Leistungsbeurteilung an (siehe Tabelle 2)

Beurteilungsportfolio

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Tab 2 Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung durch ein Portfolio

Die Verfahren der Leistungs-beurteilung solltenhellip

Ein Beurteilungsportfoliohellip

hellipKompetenz im umfassenden Sinn variabel erfassen koumlnnen

helliperlaubt sehr vielfaumlltige Dokumentationen die uumlber einen laumlngeren Zeitraum entstanden sind So kann es die Aspekte von Kompetenz vielseitiger abbilden als eine punktuelle Leistungserhebung Prozesse Produkte bzw Zwischenprodukte lassen sich mit Hilfe von Zeichnungen Fotos oder Videos fuumlr das Portfolio festhalten (Brunner amp Schmidinger 2004 Winter oJ) Die im Portfolio skizzierten Kommunikationen und Dokumentationen erlauben es auch sinnliche Qualitaumlten zu erfassen zB Verkostungen

hellipReflexionen der Lernenden erheben koumlnnen

hellipbeinhaltet Reflexionen zum je individuellen Lernprozess (einschlieszliglich der jeweils bearbeiteten Inhalte genutzten Strategien und Techniken Medien Uumlberlegungen zu eigenen Staumlrken und Schwierigkeiten) und zum Portfolioprozess (etwa zur Auswahl der Dokumente) Lehrpersonen unterstuumltzen die Reflexionsfaumlhigkeit indem sie den Lernenden moumlgliche Fragen aufzeigen diese mit ihnen erarbeiten sowie spezifische Arbeitsblaumltter bereitstellen (vgl Poumllzleitner 2011)

hellipethischen Implikationen Rechnung tragen koumlnnen

helliplaumlsst zu dass Lernende selbst entscheiden zu welchen (verschiedenen) thematischen Aspekten sie ihre Uumlberlegungen und Meinungen darlegen moumlchten Es ermoumlglicht so ein vielgestaltiges Bild das auch Widerspruumlche zulaumlsst

hellipdie salutogenetische Orientierung beruumlcksichtigen

helliplaumldt Schuumllerinnen und Schuumller ein ihre Kompetenzen und damit ihre Staumlrken zu zeigen ndash statt nach Schwachstellen oder Fehlern zu suchen (Haumlcker 2005) Lernende entscheiden welche Wahldokumente sie beifuumlgen moumlchten Eigene Schwerpunkte lassen sich abbilden Die Ruumlckmeldungen der Lehrperson als konkretes konstruktives Feedback erweisen sich wie Studien zeigen als hocheffizient zur Foumlrderung von Lernprozessen (Black amp Wiliam 2009 Maier 2010)

helliplebensbegleitendes Lernen unterstuumltzen

hellipfoumlrdert den Erwerb von Lernstrategien indem es die Reflexion des Lernprozesses initiiert Schuumllerinnen und Schuumller verbessern ihre Faumlhigkeiten zur Selbsteinschaumltzung indem sie Produkte fuumlr ihr Portfolio auswaumlhlen und ihre Wahl dokumentieren Der Unterricht stellt ihnen Zeitgefaumlszlige fuumlr die Arbeit am Portfolio zur Verfuumlgung (Internationales Netzwerk Portfolioarbeit 2010) Das Portfolio laumlsst auch Dokumente zu auszligerschulischen Lernprozessen zu

Beurteilungsportfolio

111

211 Vorgehensweise

Lehrpersonen werden die Konzeption und Umsetzung des Beurteilungsportfolios an den jeweiligen Lernstand der Schuumllerinnen und Schuumller die jeweiligen situativen Bedingungen und andere Voraussetzungen anpassen Sie entscheiden daruumlber in-wieweit sie die Schuumllerinnen und Schuumller an der Leistungsbeurteilung mit dem Port-folio beteiligen moumlchten Lernende die uumlber wenig Erfahrung mit der Portfolioarbeit verfuumlgen benoumltigen zumeist mehr Hilfestellungen etwa Unterstuumltzung bei Reflexi-onsprozessen und formale Kriterien als andere Lernende Trotz dieser paumldagogi-schen Gestaltungsspielraumlume welche die Lehrperson hat sollte das Portfolio nicht zu einer Ansammlung von Pflichtdokumenten degradiert und den Schuumllerinnen und Schuumllern jegliches Mitspracherecht an der Zusammenstellung undoder Bewertung genommen werden Ein solches bdquoPortfolioldquo wuumlrde der Grundphilosophie widerspre-chen (Haumlcker 2005)

Die hohe Plastizitaumlt des Portfolios macht es zudem moumlglich das Beurteilungsver-fahren an sehr unterschiedliche Lehr-Lernarrangements zu adaptieren Wiederum jedoch wuumlrde es der Portfolio-Philosophie (und auch der Kompetenzorientierung von Unterricht) widersprechen wenn dieses Lehr-Lernarrangement keinerlei selbstregu-lierte Phasen fuumlr die Lernenden vorsaumlhe

212 Beispiel fuumlr ein Beurteilungsportfolio

Beurteilungsportfolios sollen widerspiegeln welche Teilkompetenzen Lernende erworben haben So richtet sich zB das nachstehend skizzierte Portfolio auf mindes-tens folgende Teilkompetenzen bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller koumlnnen Nahrungs-mittel uumlber die Sinne vergleichenhellip sensorische Eigenschaften beschreibenhellip und Vermutungen formulieren wie Unterschiede entstehenldquo sie bdquokoumlnnen Nahrungsmittel unter Beruumlcksichtigung von gesundheitlichen Aspekten auswaumlhlen und zuberei-tenhellipldquo und bdquokoumlnnen Mahlzeiten situationsgerecht planen und zubereitenhellipldquo (D-EDK 2013a S 7f) Weitere Teilkompetenzen lieszligen sich anfuumlgen

Das Portfolio-Beispiel bezieht sich auf einen Zeitraum von fuumlnf Wochen pro Woche findet der Unterricht in einem vierstuumlndigen Lektionenblock statt Die Schuuml-lerinnen und Schuumller sollen mindestens einmal selbst in Kleingruppen ein Menuuml planen einkaufen und zubereiten Sie werden informiert welche Speisen bzw Me-nuumls im genannten Zeitraum im Ganzen vorgesehen sind und vereinbaren im Vorfeld ihre Arbeitsteilung in den Kleingruppen Die Lehrperson pruumlft ob diese Arbeitstei-lung gewaumlhrleistet dass alle Schuumllerinnen und Schuumller die Chance haben die Aufga-ben fuumlr das Portfolio sehr gut zu erfuumlllen Sie plant ein dass alle Jugendlichen eine nicht benotete Ruumlckmeldung zu ihren Lernhandlungen erhalten koumlnnen sowie Zeit fuumlr das Portfolio zur Verfuumlgung steht Die Lernenden werden uumlber die Portfolioarbeit ausfuumlhrlich informiert und der Prozess mit ihnen abgesprochen Das Portfolio setzt sich aus vielfaumlltigen Dokumenten zusammen (siehe Tabelle 3)

Beurteilungsportfolio

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Tab 3 Dokumente fuumlr ein Portfolio (Beispiel Liste fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller)

Pflichtdokumente

In dein Portfolio gehoumlren alle Dokumente die gemeinsam im Unterricht bearbeitet wurden (siehe Arbeitsblatt Checkliste)3 sowie Titelblatt und Inhaltsverzeichnis

Bearbeite mindestens einmal die Fragen mit deren Hilfe du uumlber die Nahrungszubereitung und dein Lernen dabei nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Suche dir eine Speise aus die eine Mitschuumllerin oder ein Mitschuumller zubereitet hat und schreibe dieser Person eine konkrete Ruumlckmeldung wie du diese Speise mit allen Sinnen wahrnimmst Lege die Kopie in dein Portfolio

Fuumlge die Ruumlckmeldung der Lehrperson in dein Portfolio Du markierst was dabei fuumlr dich wichtig ist und notierst dir falls noumltig Nachfragen

Fuumlr das Menuuml das ihr euch selbst auswaumlhlt Legt alle Rezepte in das Portfolio oder bezeichnet sie mit Seitenzahlen gemaumlszlig eures Lehrmittels bdquoTiptopfldquo Klaumlrt im Unterricht gemeinsam warum ihr die Rezepte gewaumlhlt habt Jeder von euch soll diese Uumlberlegungen nochmals in eigenen Worten fuumlr das Portfolio aufschreiben

Was hast du bei der Portfolioarbeit gelernt Bearbeite einige der Fragen mit deren Hilfe du uumlber deine Portfolioarbeit nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Beispiele fuumlr freiwillig einzufuumlgende Dokumente

Dokumentiere mit einem Foto ein besonders gut gelungenes Produkt aus der Nahrungszubereitung im Unterricht oder von zuhause und begruumlnde warum es aus deiner Sicht gut gelungen ist

Skizziere mit einer Zeichnung oder fotografiere wie du den Tisch fuumlr ein bestimmtes Menuuml decken wuumlrdest oder gedeckt hast

Welche Speisen aus dem Unterricht koumlnntest du auch zuhause zubereiten Warum und zu welchen Gelegenheiten Wenn du keine Speisen findest Wo liegen die Schwierigkeiten

Welche Speisen haben dir besonders gut geschmeckt und warum

Welche Uumlberlegungen habt ihr euch zum finanziellen Budget fuumlr euer Menuuml gemacht

Wie sieht die Zeit- und Arbeitsplanung fuumlr euer Menuuml aus Warum wollt ihr so vorgehen

Lege Bilder und Rezepte bei die fuumlr euer Menuuml ebenfalls in Frage gekommen waumlren und schreibe uumlber ihre Vor- und Nachteile

Schreibe als Einleitung zu deinem Portfolio einen Brief an die Lesenden

Beurteilungsportfolio

113

3 Guumltekriterien fuumlr das Beurteilungsportfolio

Fuumlr die Benotung eines Beurteilungsportfolios gelten prinzipiell dieselben Guumltekrite-rien wie bei jeder anderen Beurteilung Dazu gehoumlrt dass die Schuumllerinnen und Schuumller genau wissen wie die Bewertung zustande kommt und nach welchen Krite-rien die Lehrperson ihr Portfolio benoten wird Wenn moumlglich sind sie bei der Er-stellung dieser Kriterien zu beteiligen Gerade bei einem offenen Leistungsbewer-tungsinstrument wie dem Portfolio ist die Transparenz der Bewertung kommunikativ sicherzustellen (Bach-Blattern amp Bohl 2011 Bohl 2009 S 73ff Juumlrgens 2010 Lissmann 2008 S 76f)

4 Resuumlmee

Das Beurteilungsportfolio bietet die Chance vielfaumlltige individuelle Lernergebnisse der Schuumllerinnen und Schuumller im Lernatelier Kuumlche uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinweg zu erfassen Insbesondere gibt das Portfolio den Lernenden die Gelegenheit ihre Staumlrken darzustellen Fuumlr Lehrende und Lernende kann dieser Weg der Beurtei-lung manchmal mit sich bringen dass sie unbekanntes Terrain betreten und gemein-sam Unsicherheiten uumlberwinden muumlssen Trotzdem zeigen Studien dass die Akzep-tanz bei den Beteiligten im Allgemeinen hoch ist (Bohl 2012 Glaumlser-Zikuda Rohde amp Schlomske 2010 Lissmann Haumlcker amp Fluck 2009)

Anmerkungen 1 In der Schweiz ist der Begriff bdquoAtelierldquo allgemein gebraumluchlicher als bdquoWerkstattldquo 2 Ich danke den engagierten Lehrerinnen die im Rahmen einer Weiterbildung im

Kanton Solothurn ein Konzept fuumlr ein Portfolio fuumlr die Ernaumlhrungsbildung gemein-sam mit mir entwickelt und mit ihren Klassen realisiert haben

3 Zur Unterstuumltzung der Portfolioarbeit erhalten die Lernenden zusaumltzliche Arbeits-blaumltter

Literatur

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Beurteilungsportfolio

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Beurteilungsportfolio

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Beurteilungsportfolio

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Winter F (2012) Leistungsbewertung eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schuumllerleistungen (5 uumlberarb u erw Aufl) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Verfasserin

Profin Dr Ute Bender

PH FHNW Basel und Brugg

Clarastr 57 CH-4058 Basel

E-Mail utebenderfhnwch Internet wwwgesundheitundhauswirtschaftch

Rezension

117

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Regine Bigga

Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Ute Bender (Hrsg) (2013) Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Perspektiven und Praxisbei-spiele fuumlr den Hauswirtschaftsunterricht Fachdidaktische Entwicklungen in Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz Bern Schulverlag plus AG 200 Seiten mit CD-ROM

ISBN 978-3-292-00724-7 (D 3375 EURO A 3465 EURO CH 4190 CHF)

______________________________________________________________

In einem ersten Block werden die Entwicklungen und Positionspapiere zum deut-schen Projekt bdquoReform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulenldquo (REVIS) zum schweizerischen Projekt bdquoHauswirtschaftliche Bildung fuumlr eine Ge-sellschaft im Wandelldquo und der oumlsterreichische Referenzrahmen bdquoErnaumlhrungs- und Verbraucherbildung Austria (EVA)ldquo vorgestellt Unterkapitel widmen sich dem kompetenzorientierten Unterricht in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung und der Frage wie Lern- und Pruumlfaufgaben entwickelt werden koumlnnen

In einem zweiten Block werden ausgewaumlhlte Makromethoden (handlungsorien-tierter Unterricht Projekte Problemorientiertes Lernen Instruktionales Lernen Bio-graphieorientiertes Lernen SchmeXperiment und Experiment Dialogisches Lernen Stationenlernen) dicht angelehnt an entsprechende Fachartikel beschrieben Offen bleibt warum in diesem Kontext das Stationenlernen aber nicht typische Methoden der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung wie der vergleichende Schuumllerwaren- bzw Schuumllerdienstleistungstest und die Erkundung vertieft werden

In einem dritten Block werden Praxisbeispiele zum essbiographischen Arbeiten in multikulturellen Klassen zum fachpraktischen Arbeiten insbesondere dem Um-gang mit Rezepten zum experimentellen Arbeiten zur Entwicklung von Konsum-kompetenzen mittels Warentest und problemorientierten Lernen sowie der Entwick-lung von Haltungen in Richtung nachhaltiger Konsumentscheidungen ausfuumlhrlich dargestellt und auf entsprechende Makromethoden bezogen Hier liegt eine der Staumlr-ken des Buches deutlich werden Kompetenzen genannt und mit fachinhaltlichen und methodischen Uumlberlegungen verknuumlpft und reflektiert Im Anschluss werden die jeweiligen Vorschlaumlge kommentiert Im Sinne eines Studienbuches fuumlr die Lehrkraumlf-teausbildung waumlren hier Lern- und Pruumlfaufgaben bezogen auf die bdquoBeispiele fuumlr re-flektierte Unterrichtspraxisldquo hilfreicher gewesen

Der Sinn der beigelegten CD erschlieszligt sich nicht da viele der Dokumente gut online verfuumlgbar und die Medien fuumlr den Unterricht zum Teil nicht veraumlnderbar sind Ausgesprochen aumlrgerlich ist es dass sich teilweise Literaturhinweise weder im Buch noch auf der CD finden

Rezension

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Trotz der aufgezeigten Maumlngel ist die Anschaffung des Buches zu empfehlen Es wird eine Luumlcke in der fachdidaktischen Diskussion der Ernaumlhrungs- und Verbrauch-erbildung geschlossen denn bislang fehlte ein Studienbuch fuumlr Studierende und eine interessierte Fachoumlffentlichkeit das sich mit den Domaumlnen Konsum Ernaumlhrung und Gesundheit im Kontext der allgemein bildenden Schulen befasst und das die aktuelle fachdidaktische Diskussion in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in den deutschsprachigen Laumlndern Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz der letzten 20 Jahre vorstellt und diskutiert

Verfasserin

Regine Bigga

Universitaumlt Paderborn Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Gesundheit

Warburger Straszlige 100 D-33098 Paderborn E-Mail Bigga mailupbde

  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche
  • BartschBuumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung
  • DittrichFrantaLuumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene
  • KessnerBraukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen
  • MethfesselSchlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung
  • BartschBrandstaumldter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung
  • Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft
  • Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen
  • Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche
  • Rezension

Taxonomie der Lernwege

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beruf naumlmlich klare und gut nachvollziehbare Anleitungen geben zu koumlnnen stuumlt-zen (vgl dazu Grundform 2 Vormachen in Aebli 2011 S65-80 vgl dazu Ausdrucksstarke Anleitungen in Sennett 2009 S240-284) Tab 2 Fertigkeiten lernen (nach Peterszligen 2009)

Schritte im Lernprozess

Anforderungen Hilfestellungen wo liegt das Problem

Planung Ruumlsten des Arbeitsplatzes Koordination der einzelnen Arbeitsschritte Hilfestellungen zum Leseverstaumlndnis bei schriftlichen und graphischen Rezept-Darstellungen gute Visualisierung des Zielzustandes um die Antizipation desselben zu unterstuumltzen

Durchfuumlhrung Gute (muumlndliche schriftliche praktische) Schritt-fuumlr-Schritt Anleitungen gute Demonstrationen (Vormachen-Nachmachen) mit begleitendem Sprechhandeln (Dubs 2009 S 187-188) Vorausschauendes Eingreifen zur Korrektur von fachlichen Fehlern bei kritischen Gefahrenpunkten um auch ein Sicherheits- und Hygienebewusstsein aufzubauen Vgl Direktes Unterricht nach Grell J in Wiechmann 1999 S 35-49 Instruktion und Unterweisung in Terhart 1989 sowie die Ausfuumlhrungen in Sennett 2009 zu bdquoDie Handldquo S 201 und bdquoFaumlhigkeitldquo S 355)

Bewertung Auswertung der Ergebnisse Produkt- und Prozesskriterien Selbst- und Fremdkontrolle

Das Ziel naumlmlich den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten kann im Arbeitsunter-richt nur durch wiederholten Vollzug erreicht werden (Baumgartner 2011)

bull Uumlbung aumlhnliche Inhalte Aufgaben haben eher exemplarischen Charakter bull Drill Uumlberlernen durch Wiederholen (gleicher Inhalt sehr oft sehr lange)

sodass die Taumltigkeiten quasi bdquoautomatischldquo in die Handlung einflieszligen (zB Schneidetechniken Hygiene Sicherheit Ordnungsarbeiten)

bull Training schrittweise Leistungssteigerung bei gleichem Inhalt mit steigen-den Anforderungen

bull Probehandeln Handeln im bdquoAls-ob-Modusldquo wie es in der berufliche Bil-dung im Rahmen von Groszligkuumlchenunterricht der Fall ist (vgl dazu das Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung)

Dass bdquoArbeiten ohne Anleitungldquo als bdquokreativesldquo Tun interpretiert wird ist ebenso vermessen wie von sporadisch durchgefuumlhrten praktischen Taumltigkeiten schon Koumln-nerschaft zu erwarten Kreativitaumlt setzt Koumlnnerschaft voraus in groszligen Zeitabstaumln-den (woumlchentlich vierzehntaumlgig) einmalig durchgefuumlhrte praktische Taumltigkeiten fuumlhren sicher nicht zur Ausbildung von Routinen

Taxonomie der Lernwege

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222 Handeln lernen

Tab 3 vollstaumlndige Handlungen (kompiliert aus Peterszligen 2009 S 20 S 45 S 173)

Schritte im Handlungs-ablauf

Wo liegt das Problem Wo werden Lernhindernisse auftreten

Methodische Hilfestellungen

Informieren Ist der Arbeitsauftrag bzw Arbeitsumfang klar Muumlndliches und schriftliches Sprachverstehen Sind Lernende in der Lage den Zielzustand zu antizipieren

Leittexte (Leitfragen Leitsaumltze) Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lesetraining Bilder die den Zielzustand zeigen

Beraten und Entscheiden

Soziale Organisation in der LerngruppeLernpartner Gemeinsam in der Lerngruppe wird das Vorgehen gedanklich durchgespielt Partnerschaftliche Arbeitsteilung Zustaumlndigkeiten und Verantwortlichkeiten werden geregelt

Zufallsprinzip (Lose) Zuweisung oder freie Wahl Bild- und Textkarten zum Legen der Handlungsabfolge Checklisten fuumlr einzelne Taumltigkeiten

Ausfuumlhren Sachlogische Reihenfolge Vorarbeiten ndash Durchfuumlhrung ndash Nacharbeiten Fehler sofort korrigieren damit sich keine falschen Routinen einschleichen Zu den Vollendungsarbeiten zaumlhlt nicht nur das Anrichten und Praumlsentieren der Speisen sondern ebenso das Aufraumlumen des Arbeitsplatzes (bdquoNacharbeitenldquo)

Orientierung in der Kuumlche (Inventarsysteme) und angemessen ausgestattete Arbeitsplaumltze Bildtafeln fuumlr grundlegende Arbeitstechniken

Kontrollieren Schon waumlhrend der Handlung wird das Endprodukt mit dem Zielzustand verglichen Wie kann eigenstaumlndig das Erreichen des Zielzustandes festgestellt werden

Kontrollboumlgen mit Indikatoren die anzeigen wann der Zielzustand erreicht ist

Bewerten Produkt fachlich-sachliche Richtigkeit des Handelns Prozess soziales Verhalten (Kommunikation Kooperation Konfliktbewaumlltigung) Entwicklung von Bedeutsamkeits- und Verantwortlichkeitskonzepten

Gelenktes Fachgespraumlch Pensenbuch Lernpass zur Selbstbewertung ICH habeWIR haben

Taxonomie der Lernwege

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Die einzelnen Phasen im Handlungsablauf bieten sich als Anker sowohl fuumlr die schulpraktischen Vor- und Nachbereitungen fuumlr die Fachpraxis also auch fuumlr die Foumlrderung des metakognitiven Bewusstseins (zB Dubs 2009 S 328-341) bei Ler-nenden an

Die Handlung bdquoNahrung zubereitenldquo umfasst neben den einschlaumlgigen hand-werklich-technischen Kuumlchenfertigkeiten auch das Kuumlchenmanagement (Arbeits-organisation unter Beachtung von Sicherheits- und Hygienerichtlinien bei Beschaf-fung Lagerung Zubereitung Aufbewahrung und Ausgabe von Speisen) sowie das Gestalten von Essenssituationen unter Beruumlcksichtigung kultureller Fragen subjek-tiver Motive und Problemlagen menschlichen Ernaumlhrungshandelns Auch wenn Alltagssituationen wie die taumlgliche Ernaumlhrungspraxis gerne trivialisiert werden die Zubereitung einer Tagesmahlzeit ist ein anspruchsvoller weil komplexer Lernan-lass fuumlr eine Lerngruppe gekennzeichnet durch Polytelie und Paradigmenvielfalt

3 Ernaumlhrung ndash ein weitlaumlufiges Lernfeld

Die Ernaumlhrung des Menschen ist ein weitlaumlufiges Wissensgebiet mit zahlreichen Bezugswissenschaften die sich spezielleren Fragen der Ernaumlhrung des Menschen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven methodischen Zugaumlngen Arbeitsweisen und theoretischen Modellen unter Ruumlckgriff auf die einschlaumlgigen fachlichen Sys-tematiken und Begrifflichkeiten zuwenden Von Atomen und Elementen uumlber Zell-strukturen biologischer Organismen bis hin zu sozialen Gruppen Gesellschaften und Zivilisationen werden saumlmtliche Wissensgebiete durchlaufen Physik Chemie Biologie Psychologie Soziologie und Kulturwissenschaften liefern eine Fuumllle von Theorien und Gesetzmaumlszligigkeiten

Weil die Ernaumlhrung des Menschen in Verbindung mit allen Lebensbereichen steht spricht der Soziologe Marcel Mauss (1968 S 17) von einem totalen gesell-schaftlichen Phaumlnomen bei dem alle Arten von Institutionen gleichzeitig zum Ausdruck kommen religioumlse rechtliche moralische oumlkonomische aumlsthetische ebenso wie technisch-instrumentelle Aus dieser Tatsache leitet sich auch der An-spruch an Ernaumlhrungsbildung in der Schule ab diese nicht auf normative Ernaumlh-rungserziehung zu reduzieren und zu verzwecken (bdquoHauptsache gesundldquo) sondern Bildung im Sinne der Faumlhigkeit die Phaumlnomene der Welt aus unterschiedlicher Perspektive bdquolesenldquo zu koumlnnen (Dressler 2006) zu verstehen

Eine in diesem Sinn verstandene Ernaumlhrungsbildung (nutrition literacy) soll zu einem reflektierten Verhaumlltnis zu sich zur Sache und zur Welt fuumlhren (Buchner 2013 S 9)

31 Praxis Anwendung welchen Wissens

Schulisches Lernen im Lernfeld Ernaumlhrung ist einer angewandten Lehre und hand-lungsorientierten Didaktik verpflichtet und Ernaumlhrungspraxis im Sinne von Nah-

Taxonomie der Lernwege

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rungszubereitung ist seit jeher ein zentrales Element im Fachunterricht Die uumlber die unmittelbare sinnaumlsthetische Erfahrung beim praktischen Tun zwangslaumlufig hervorgerufene emotionale Beteiligung die jeden Lernprozess begleitet ist eine nicht zu unterschaumltzende Qualitaumlt des Lernens in der Schulkuumlche

Wenn in Anlehnung an Weinert (1998) bdquoguterldquo Unterricht jener ist in dem bdquomehr gelernt als gelehrt wirdldquo3 dann koumlnnte man annehmen dass praktischer Unterricht in der Schulkuumlche per se bdquogutldquo ist weil hier vielfaumlltige Lernhandlungen stattfinden Beim Lob der Praxis wird ja stets auch darauf hingewiesen dass das bdquoVieleldquo eben nicht zur Gaumlnze formal definiert werden kann und gelingende Unter-richtsverlaumlufe einen Schatz impliziten Wissens Einstellungen und Haltungen (vgl Definition Kompetenz) sichtbar machen der auch Schuumllerinnen und Schuumllern mit weniger uumlberzeugenden formalen Lernleistungen eine gute Performanz beschei-nigt

Angesichts der Komplexitaumlt sowohl des Lerninhalts Ernaumlhrung des Menschen als auch der Vielfalt moumlglicher Lernerfahrungen beim Handeln in der Schulkuumlche erachte ich es fuumlr die Studierenden in der Ausbildung als notwendig eine grundle-gende (fach)didaktische Frage als Schluumlssel fuumlr die fachspezifische Unterrichtspla-nung in den fachpraktischen Uumlbungen zu klaumlren

Um die Anwendung welchen Wissens geht es

Welche Denkprozesse sollen gefoumlrdert werden und werden daher bei der jeweili-gen praktischen Anwendung in den Fokus gestellt Neben der Analyse der allge-meinen situativen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen lautet die inhaltliche Pruumlffrage unterstuumltzt der besondere Bildungsgehalt des ge-waumlhlten Themas das angestrebte Ziel des Fachunterrichts in der Schulkuumlche

Geht es um die Foumlrderung von sozial-integrativem Verhalten (agrave Soziales Ler-nen) von sinnerfassendem Lesen einer Rezeptanleitung (agrave Schluumlsselkompetenz mutter- oder fremdsprachliche Kompetenz) und Selbststaumlndigkeit in der Arbeitsor-ganisation (agrave Denk- und Handlungsstrategien entwickeln) oder agrave Kulturtechnik und kulinarisches Handwerk in der Kuumlche technisch-praktischem Verstaumlndnis bei der Nahrungszubereitung (agrave angewandte PhysikChemieTechnik) der Unterstuumlt-zung eines neugierig fragend- und forschenden Interesses bei 10-14jaumlhrigen (agrave naturwissenschaftliches Weltverstehen) oder um Meinungsbildung als Basis muumln-diger Entscheidungen (agrave politische Bildung)

Dementsprechend unterschiedlich sind dann auch die theoretischen Grundla-gen auf denen die Unterrichtsplanung basiert Professionalitaumlt im Lehrberuf entwi-ckelt sich wenn das Handeln in komplexen Ausbildungssituationen zu einem sys-tematischen Unterfangen wird bei dem die Studierenden sowohl das Spezifische einer Situation (Praxis) als auch das hinter dem konkreten Fall liegende Allgemei-ne (das potenziell Generalisierbare ndash die Theorie bzw das Paradigma) zu erken-nen vermoumlgen (vgl EPIK 2009)

Taxonomie der Lernwege

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32 Ernaumlhrungspraxis

Grundlage zur Definition von Ernaumlhrungspraxis4 sind der Lehrplan der Sekundar-stufe 1 sowie die im Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich (EVA) ausgewiesenen Inhalts- und Handlungsdimensionen der ein-zelnen Teilkompetenzen Tab 4 Das Verstaumlndnis von Ernaumlhrungspraxis in der Lehramtsausbildung fuumlr die

Sekundarstufe 1

Ernaumlhrungsbildung - Teilkompetenzen (EVA)

Daraus abgeleitete Inhalte und Handlungsdimensionen fuumlr die fachpraktischen Uumlbungen

Das eigene Essverhalten reflektieren und bewerten

Ernaumlhrungsbiografien im Spiegel von Raum (lokal-global) Zeit (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) und Person (intra- und interpersonale Faktoren - psychische soziale und kulturelle Einfluumlsse auf das individuelle Essverhalten) verstehen Paradigma ein metakognitives Bewusstsein entwickeln

Sich vollwertig (bedarfsgerecht) ernaumlhren koumlnnen

Evidenz basiertes Wissen uumlber die Inhaltsstoffe unserer Nahrung (Bedarf Aufgaben Vorkommen in Lebensmitteln kuumlchentechnische Eigenschaften) erwerben Paradigma naturwissenschaftliches Verstehen foumlrdern

Eine empfehlenswerte Lebensmittelauswahl treffen

Entscheidungen zur Auswahl von Lebensmitteln aus dem Essenskreisder Ernaumlhrungspyramide nach differenzierten Gesichtspunkten argumentieren (Preis Umwelt- und Sozialvertraumlglichkeit Gesundheitswert Genusswert) Paradigma Urteils- und Handlungsfaumlhigkeit in divergenten Wirklichkeiten

Nahrung naumlhrstoffschonend zubereiten

Gartechniken uumlben bzw erproben (Sicherheit Hygiene Kulturtechniken im Vergleich) Physikalisch-chemische Phaumlnomene bei der Nahrungszubereitung erkennen und nutzen (angewandte Naturwissenschaften) Paradigma handwerklich-technische Fertigkeiten erwerben (effizientes und effektives Arbeiten)

Ernaumlhrung im Alltag nachhaltig und gesundheitsfoumlrderlich gestalten

Haushaltsmanagement Tagesmahlzeiten planen und zubereiten gemeinsam Essenssituationen gestalten (Esskultur lernen) Paradigma selbststaumlndiges und sozial-integratives Handeln lernen

Taxonomie der Lernwege

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Aufgrund der eingangs geschilderten Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschu-le werden sich die fachpraktischen Uumlbungen im Schulunterricht einem ausgewaumlhlten Verstehensweg zuwenden muumlssen Um einem umfassenden Bildungsanspruch ge-recht zu werden werden die Studierenden in der Fachdidaktik angehalten mittelfris-tige Planungen (5-6 Einheiten) als Basismodule und Erweiterungsangebote zu konzi-pieren die jeweils einen relevanten Ausschnitt der Ernaumlhrungspraxis in den Fokus stellen Diese Reduktion und Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg in den fachpraktischen Uumlbungen wird im Folgenden didaktische Konzeption genannt

4 Didaktische Konzeptionen fuumlr die Fachpraxis

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der Lernwege besteht in dem der Hand-lung zugrundeliegendem Paradigma bdquoWorin liegt der besondere Erkenntnisge-winn Was soll der Schuumllerdie Schuumllerin tunldquo Das Paradigma oder die Kernidee beschreibt das was letztlich erreicht und verstanden werden soll und ndash salopp for-muliert ndash auch noch nachdem die Schulkuumlche verlassen wurde angewendet werden kann

Worin besteht das Besondere was enthaumllt dieser Lernweg als bestimmende Ka-tegorie und worin unterscheidet er sich von anderen Als Deskriptoren werden in der als Matrix dargestellten Taxonomie modelltypische Phasen im Unterrichtsver-lauf skizziert die fuumlr das Erreichen der Zielvorgabe (Faumlhigkeitsbereich) unabding-bar sind Moumlgliche Themen geeignete Sozialformen typische Lernaufgaben sowie das Lernen unterstuumltzende Materialien ergaumlnzen die Uumlbersicht beispielhaft Jeder Lernweg verlangt dass sich die Studierenden neben der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung des gewaumlhlten beispielhaften Lerninhaltes mit den jeweils spezifischen entwicklungs- und kognitionspsychologischen Bedingtheiten des ge-waumlhlten Paradigmas befassen und die subjektiven Lernvoraussetzungen ihrer Schuuml-lerinnen und Schuumller mit einbeziehen

Lernprozesse die wir im Unterricht ausloumlsen und steuern sollen dem Schuumller [sic] in der Regel neue Moumlglichkeiten des Handelns und des Erlebens also des Denkens Fuumlhlens und Wertens eroumlffnen Sie sollen sich in einem Wissen niederschlagen aus dem der Schuumller [sic] in neuen Situationen richtig zu handeln und zu urteilen vermag und das ihn befaumlhigt emotional angepasst zu reagieren und Dinge die Gegenstand von Wertungen sind richtig zu beurteilen (Aebli 2011 S 277)

Die Taxonomie der Lernwege fuumlr die Fachpraxis trifft keine Werturteile Jede hier verortete didaktische Konzeption ist per se zulaumlssig weil sie den Vorgaben des Lehrplans entspricht und dem Referenzrahmen Ernaumlhrungsbildung zuarbeitet Le-diglich im gegebenen situativen Kontext ist eine Konzeption mehr oder weniger zielfuumlhrend Die Konzentration auf einen ausgewaumlhlten Lernweg fuumlr zumindest 5-6 Lehreinheiten (mittelfristige Planung mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Lehreinheit) erscheint jedoch notwendig um eine Kompetenzentwicklung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden uumlberhaupt zu ermoumlglichen

Taxonomie der Lernwege

13

Tab 51 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (1)

Kategorie NAWI-Lernfeld GESO-Lernfeld

Paradigma Naturwissenschaftliches Den-ken

(Moralische) Urteilsbildung

Modellphasen Muster im Lernweg

1 Beobachten und Wahrneh-men (mit allen Sinnen) 2 Beschreiben (messen wiegen analysieren) Wahrnehmungen objektivieren 3 Ursache-Wirkungs-Gesetzmaumlszligigkeiten erforschen Versuche und Experimente in der Kuumlche (wenn ndash dann) 4 Schlussfolgerungen fuumlr die Nahrungszubereitung (Transfer in den Kuumlchenalltag)

1 Beobachten und Wahrnehmen relevante Kriterien fuumlr die unterschiedlichen Kategorien von Lebensmittelqualitaumlt 2 Vergleiche nach differenzierten Gesichtspunkten das eine und das andere 3 Folgen einer Entscheidung abschaumltzen (Szenarien antizipie-ren) 4 Bewerten und begruumlnden (Rangreihen bilden)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Naturwissenschaftliche Phaumlno-mene im Alltag erkennen und nutzen

Argumentieren die den Normen zugrunde liegenden Werte vertreten

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Mit allen Sinnen wahrnehmen und genieszligen Die Inhaltsstoffe unserer Nah-rung bdquoerforschenldquo Angewandte Chemie Physik Technik in der Kuumlche

Lebensmittelgruppen und Ernaumlhrungsempfehlungen aus differenzierter Sicht (Gesundheit Nachhaltigkeit Kultur) Lebensmitteltechnologien Kaufen oder Selbermachen

Sozialform EA PA EA PA KG

Lernaufgabe Forschungsfragen Fallbeispiel

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Beurteilungsboumlgen fuumlr Sensori-sche Tests Merksaumltze bdquoFor-schungsfibelnldquo

Visualisierungshilfen fuumlr Kategorien Guumltesiegel fuumlr Nachhaltigkeit Entscheidungs-Matrix

Hinweise (1) Der sinnaumlsthetische Zugang ndash der quasi bdquonatuumlrlichsteldquo Zugang zur Ernaumlhrung des Menschen (vgl Buchner Kernbichler amp Leitner 2011 S 66) ndash wird als fachspezifische Methode verstanden die in allen Konzeptionen zum Ein-satz kommt (sensorische Bewertung der hergestellten Speisen Verkostungen Wa-rentests vergleichende Produktbewertungen) aber per se noch kein Paradigma erschlieszligt (2) Da das biografische Lernen nicht an den Lernort Schulkuumlche gebun-den ist findet dieser Praxisbezug keinen Einzug in die Taxonomie

Taxonomie der Lernwege

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Tab 52 Taxonomie der Lernwege handlungsorientiertes Lernen in der Schulkuumlche (2)

Kategorie Praktisches Lernen Selbstaumlndigkeit lernen

Paradigma Fertigkeiten lernen ICH

Sozial-integratives Lernen WIR

Modellphasen Muster im Lern-weg

Arbeitsunterricht Erlernen handwerklicher Taumltigkeiten 1 Vorbereiten (Ruumlsten) 2 Durchfuumlhren der Taumltigkeit (wiederholter Vollzug) 3 Bewerten des Arbeitsergebnis-ses (Produkt Prozess)

Problemorientiertes Lernen Selbstaumlndig vollstaumlndige Handlungsablaumlufe planen ausfuumlhren und kontrollieren 1 Informieren 2 Planen 3 Entscheiden 4 Durchfuumlhren 5 Kontrollieren (Ziel er-reicht) 6 Bewerten (Produkt Pro-zess)

Uumlbergeordnete Zielvorgabe (Faumlhigkeit)

Effizientes und effektives Arbei-ten in der Kuumlche

Haushaltsmanagement in variierenden Alltagssituatio-nen

Beispielhafte Lernanlaumlsse (Themen Inhalte) (Fokus Sek 1)

Lehrgang Gartechniken Konservierung Produkte und Dienstleistungen aus der Kuumlche (Geschenke aus der Kuumlche gesunde Schuljause)

Die Mahlzeiten des Tages Die bdquoZauberformel fuumlr gesunde Ernaumlhrungldquo anwenden kulturelle Uumlbersetzungen fuumlr bdquorichtigeldquo Mahlzeiten Kulinarische Weltreisen (Gast sein hier und anderswo) Food Design

Sozialform EA PA KG

Lernaufgabe Arbeitsauftrag Problemstellung

Unterstuumltzende Lernmaterialien

Leittexte Rezeptkarten Schritt-fuumlr-Schritt-Anleitungen Lehrfil-me

Leittexte Checklisten zur Arbeitsorganisation zur ProduktProzessbewertung Pensenbuumlcher

Taxonomie der Lernwege

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Ausblick

Die Rahmenbedingungen in der Neuen Mittelschule erfordern ein forciertes Vor-gehen bei der fachspezifischen Unterrichtsentwicklung Im Rahmen ihres Studiums an der Paumldagogischen Hochschule Salzburg arbeiten die Studierenden an bdquoLehrstuuml-ckenldquo (Wiechmann 1999) fuumlr Lernwege und erproben diese Planungen im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien Die Fachdidaktik Ernaumlhrungspraxis arbeitet der (schul-)praktischen Ausbildung zu

Zu Studienbeginn erproben Studierende kuumlrzere Unterrichtssequenzen in de-nen einerseits das Training von Fertigkeiten im Zentrum steht (gute muumlndliche schriftliche praktische Anleitungen geben koumlnnen) und andererseits die sensori-sche Produktbewertung als genuin fachspezifische Methode zur Anwendung kommt

In den Folgesemestern wird das fachspezifische Methodentraining dahingehend erweitert dass das Prinzip der vollstaumlndigen Handlung im (schul)praktischen Un-terricht umgesetzt werden kann

Das NAWI und GESO Lernfeld wird in den houmlheren Semestern in denen Stu-dierende bereits uumlber einen laumlngeren Zeitraum die Klassenfuumlhrung uumlbernehmen verfolgt

Professionalitaumlt im Lehrberuf bedeutet ebenfalls dass behauptete Ursache-Wirkungszusammenhaumlnge auch empirisch bewiesen werden koumlnnen Insofern ist die Taxonomie der Lernwege auch ein Ausgangspunkt fuumlr die Generierung von Hypothesen im Rahmen einer wissenschaftsorientierten Auseinandersetzung mit Unterricht in der Schulkuumlche und seiner Bildungswirksamkeit wie dies in der ab-schlieszligenden Bakkalaureatsarbeit unter Beweis zu stellen ist

Anmerkungen 1 Naturwissenschaftlich und mathematischer Schwerpunktbereich (SP) sprachli-

cher humanistischer und geisteswissenschaftlicher SP musisch-kreativer SP (je-weils eine Wochenstunde) oumlkonomisch und lebenskundlicher einschlieszliglich pra-xisbezogener SP (drei Wochenstunden)

2 Europaumlischer Referenzrahmen Schluumlsselkompetenzen fuumlr lebenslanges Lernen [httpeceuropaeudgseducation_culturepublpdfll-learningkeycomp_depdf]

3 In Anlehnung an den Titel eines Aufsatzes von Franz E Weinert in Freund J Gruber H amp Weidinger W (Hrsg) (1998) Guter Unterricht - Was ist das As-pekte von Unterrichtsqualitaumlt (S 7-18) Wien OumlBV Paumldagogischer Verlag

4 Zur Bestimmung von Ernaumlhrungspraxis siehe auch das Glossar von REVIS

Taxonomie der Lernwege

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Literatur

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Verfasserin

Maga Ursula Buchner

Paumldagogische Hochschule Salzburg

Akademiestraszlige 23 A-5020 Salzburg

E-Mail ursulabuchnerphsalzburgat Internet wwwphsalzburgat

Lernort Kuumlche

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______________________________________________________________

Silke Bartsch und Petra Buumlrkle

Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung Den Rahmen fuumlr die Anspruumlche an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung bietet das REVIS-Bildungsziel 3 Die Nahrungszubereitung wird als ein methodischer Zugang mit vier Phasen (Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen Nachbereitung) verstanden Gezeigt wer-den soll dass aus einer theoriegeleiteten Praxis didaktisch-methodische Gestaltungsmoumlglich-keiten im Umgang mit diesen Phasen erwachsen die Lehren und Lernen erleichtern

Schluumlsselwoumlrter Schulkuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

______________________________________________________________

Einleitung

Nach dem REVIS zugrunde liegenden Bildungsverstaumlndnis von Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (EVB) hat die Fachpraxis Ernaumlhrung folgende Aufgabe bdquoDamit Fertigkeiten und Faumlhigkeiten als zentrale Elemente von Kompetenz Grundlage fuumlr eigenverantwortliches Handeln werden koumlnnen muumlssen sie theoretisch geleitet transferfaumlhig und reflektiert angeeignet genutzt und weiterentwickelt werdenldquo (Onli-ne-Glossar zur EVB1) Das dazugehoumlrige REVIS-Bildungsziel 3 legt in seiner Inter-dependenz mit dem uumlbrigen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildungscurriculum2 somit die Grundlagen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Schuumllerinnen und Schuumller sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen Dazu gehoumlrt dass sie hellip Mahlzeiten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnen hellip Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinn-lichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumlnnen hellip Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwen-den koumlnnen hellip Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnen (Fachgruppe EVB 2005)

Damit wird ein kompetenzorientierter Anspruch an eine theoriegeleitete Fachpraxis Ernaumlhrung formuliert der uumlber die tradierte fachpraktische Nahrungszubereitung deutlich hinausgeht Gleichzeitig sehen sich viele der Lehrerinnen (und Lehrer3) in sogenannten Lehrkuumlchen stehen die nach tradierten Lernzielvorstellungen konzipiert

Lernort Kuumlche

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sind Entsprechend unterrichten Lehrerinnen Nahrungszubereitung noch haumlufig nach tradierten Lernzielvorstellungen Trotz fantasievoller Einstiegsszenarien die den Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen suchen sind es uumlberwiegend ge-schlossen konzipierte Unterrichtseinheiten mit Lehrgangscharakter die der Systema-tik des Lehrbuches folgen Oft wird dies durch die vorgegebene Stundenaufteilung und der Raumaufteilung (Theorieraum und Schulkuumlche) bdquobegruumlndetldquo In vielen Schulen wird nach dem Muster bdquoPraxis folgt Theorieldquo unterrichtet Bei der fachprak-tischen Arbeit in den Schulkuumlchen fuumlhlen sich Lehrende vielen Belastungen ausge-setzt Geraumluschkulisse hoher Beratungsbedarf der nur selten warten kann Schuumller und Schuumllerinnen die auf das gemeinsame Essen fixiert sind und das alles im 45-Minuten-Takt Ritualisierte Unterrichtsmuster werden von vielen daher als Entlas-tung empfunden

In unserem Beitrag soll der Anspruch des REVIS-Konzepts an die Fachpraxis Ernaumlhrung zusammenfassend vor dem Hintergrund der damit verbundenen Heraus-forderungen fuumlr die Nahrungszubereitung betrachtet werden um einen Rahmen fuumlr die didaktisch-methodischen Uumlberlegungen zu umreiszligen und damit (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer zu bestaumlrken neue Wege zu gehen Entsprechend leitet fol-gende Frage unsere Ausfuumlhrungen

Welche konkreten Ansatzpunkte koumlnnen im Sinne der Kompetenzorientierung eine handlungsorientierte Nahrungszubereitung foumlrdern und gleichzeitig zur Entlas-tung der Lehrenden im Spagat zwischen Anspruch und Schulwirklichkeit fuumlhren

Dazu wird zunaumlchst die Begriffsverwendung geklaumlrt und heutige Herausforde-rungen an die Lehrenden beschrieben um dann auf der Grundlage des Anspruchs an eine kompetenzorientierte Nahrungszubereitung ausgewaumlhlte Ansatzpunkte zu den Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung zu konkretisieren

1 Fachpraxis Ernaumlhrung

11 Begriff Fachpraxis Ernaumlhrung

Da besonders im (Schul-)Alltag die Begriffe Nahrungszubereitung Fachpraxis Ernaumlhrung und zuweilen auch noch Kochen synonym verwendet werden ist erst mal zu klaumlren welche Begriffsverwendung gemaumlszlig dem Anspruch an eine kompe-tenzorientierte Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung uumlblich ist Unter Ernaumlhrungs-praxis versteht man im schulischen Kontext meist den bdquoauf die Nahrungszuberei-tung bezogene Teil der Ernaumlhrungsbildungldquo (Online-Glossar zur EVB4) Intendiert ist Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln bdquodie zur Anwendung der ernaumlh-rungswissenschaftlichen Erkenntnisse im Alltag und Beruf notwendig sindldquo (ebd) Zur intendierten bdquoNutrition Literacyldquo gehoumlrt die Grundorientierung eines bdquonachhal-tigen Konsumsldquo sowie ein bdquokulturelles Verstaumlndnis der Fachpraxis Ernaumlhrungldquo (vgl Methfessel 2005 Methfessel Schlegel-Matthies in diesem Heft)

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Methodische Zugaumlnge

Anknuumlpfend an die Arbeiten von Tornieporth va aus den 1990er Jahren ist auch Konsens dass Nahrungszubereitung nur eine der moumlglichen methodischen Umset-zungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung ist Daher ist fuumlr die nachfolgenden Ausfuumlh-rungen grundlegend dass die Fachpraxis Ernaumlhrung weder Inhalte noch Methode begruumlndet sondern vielmehr didaktisch-methodische Entscheidungen erfordert die ihrerseits im jeweiligen Unterrichtsarrangement verankert werden muumlssen

In unserem Beitrag interessieren methodische Zugaumlnge die eine Nahrungszube-reitung (= Ernaumlhrungspraxis) einschlieszligen um an diesem bevorzugt gewaumlhlten Zu-gang zur Fachpraxis Ernaumlhrung die Anspruumlche und Herausforderungen an eine theo-riegeleitete Fachpraxis zu verdeutlichen Das sind beispielsweise SchmeXperimente (Oepping 2005) Lehrgaumlnge zB Schneidelehrgaumlnge) Zubereitung einer Mahlzeit oder Speise etc Schuumllerwarentests oder Markterkundungen Fachexkursionen (zB zu Orten der Lebensmittelproduktion) sind beispielsweise Methoden der Fachpraxis Ernaumlhrung die nicht zwingend eine Nahrungszubereitung vorsehen

12 Schulkuumlche und Lernwerkstatt als fachdidaktische Konzepte

Uumlber den heutigen Zustand und die Ausstattung von Schulkuumlchen gibt es keine aktu-elle Studie Die in der EIS-Studie beschriebenen Unzulaumlnglichkeiten in deutschen Schulkuumlchen der Sekundarstufe I und ihr hoher Stellenwert bei der Nahrungszuberei-tung als genuine Domaumlne der haushaltsbezogenen Bildung sowie der Sinnesbildung waren daher Anlass im Rahmen des REVIS-Modellprojekts5 eine mobile Esswerk-statt (MEW) zu entwickeln und einen didaktischen Rahmen fuumlr Lernwerkstaumltten vor-zulegen Schlieszliglich sind die vorhandenen Fachraumlume und deren Ausstattung maszlig-gebliche Einflussfaktoren auf die Gestaltung der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die Kuumlche [als kulturelles Regelwerk Anmerkung der Autorinnen] bestimmt (also auch) die Auf- und Abwertung von Lebensmitteln durch die damit verbundenen Speisen Zubereitungsarten und Technologien (Methfessel 2005 S 13)

Die in den Schulen noch haumlufig anzutreffenden bdquoLehrkuumlchenldquo folgen tradierten Emp-fehlungen wie sie beispielsweise in einem Merkblatt fuumlr Bau und Einrichtung von Fachraumlumen im Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt aus dem Jahr 2003 zu finden sind Eine Schulkuumlche kann mit Gruppeninseln 4-Kojen und Essbereich 4-Kojen Essbereich und Vorraumlume Gruppeninseln und Essbereich U-Kojen und Essbereich und L-Kojen und Essbereich als Laborkuumlche ausgestattet sein Der Hinweis auf so-genannte bdquoFachnebenraumlumeldquo mit bdquoTheorie- und Essraumldquo die als bdquoErgaumlnzung der Schulkuumlcheldquo dienen (vgl Landesinstitut fuumlr Erziehung und Unterricht Stuttgart 2003) wird von vielen Lehrerinnen (und Lehrern) beherzigt

Dem steht das Lernwerkstattkonzept entgegen wie es beispielweise an der Uni-versitaumlt Paderborn6 umgesetzt wurde Idee ist eine Schulkuumlche mit Werkstattcharak-

Lernort Kuumlche

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ter und integriertem Seminarbereich um vielfaumlltige fachpraktische Zugaumlnge zu er-moumlglichen und Theorie und Praxis auch raumlumlich zu verknuumlpfen

Anstehende Renovierungen in den Schulen bieten hier Chancen nicht nur die Einrichtungen sondern auch die Fachraumkonzepte zu uumlberdenken und zu moderni-sieren

Eine Mobile Esswerkstatt (MEW) ist eine bewegliche kleine Kuumlchen-einheit die mit einer Grundausstat-tung (Glas-Keramik-Kochfeld mit zwei Kochstellen Backofen An-schlusskabel vier Steckdosen fuumlr den Anschluss von elektrischen Geraumlten zB eines Handruumlhrgerauml-tes Besteck- und Groszligraumschub-laden fuumlr Zubehoumlr) fuumlr die Nah-rungszubereitung eingesetzt werden kann ndash allerdings ohne integrierten Wasseranschluss

Abb 1 Mobile Esswerkstatt (MEW)

13 Herausforderungen bei der Umsetzung

Unterrichtszeiten sind eine Herausforderung Zunaumlchst wecken sie (unabhaumlngig von der zeitlichen Lage im Stundenplan) aufgrund der tradierten Unterrichtspraxis Erwar-tungen an die Gestaltung nach dem bdquo1 + 2 Musterldquo (eine Unterrichtsstunde Theorie zwei Praxis) mit der Vorstellung dass schlussendlich gegessen wird Lehrerinnen die diese Vorstellungen bedienen sind bei Schuumllerinnen und Schuumllern meist beliebt Tageszeit und Essenszubereitung passen je nach Stundenplan nicht zusammen was von Lehrerinnen als Problem wahrgenommen wird ndash aber nach dem EVB-Ansatz keines ist

Unterrichtsraumlume haben Aufforderungscharakter und legen Unterrichtskonzepte nahe bdquoWann kochen wir (endlich)ldquo sind dann immer nagende Fragen der Schuumlle-rinnen und Schuumller an die Lehrenden Klassenraumlume sind zuweilen bdquoFluchtraumlumeldquo so dass nur bei Bedarf in die Schulkuumlche gegangen wird

Geringschaumltzung der Fachpraxis Ernaumlhrung Die (Auszligen-)Wahrnehmung der Nahrungszubereitung als bdquoKochunterrichtldquo wird durch eine auf Zubereitungsfertig-keiten reduzierte Fachpraxis oft von den Lehrpersonen selbst reproduziert und geht entsprechend mit einer geringen Wertschaumltzung einher (Bartsch amp Methfessel 2012)

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Anspruch an die Professionalitaumlt

Dagegen sind die Herausforderungen an ein professionelles Lehren hoch Die Schwierigkeit der Uumlbertragung und der Explikation des Themenfeldes Esskulturrsquo im Unterricht liegt ndash auszliger in der Komplexitaumlt ndash noch in anderen Zusam-menhaumlngen Erstens in den unterschiedlich gewichteten Aspekten und zweitens in der Einbindung in unterschiedliche Ebenen Hinzu kommt drittens der kulturelle Wandel der je nach Zeitepoche in der Esskultur mehr oder weniger Veraumlnderungen hervorbringt (Roumlszligler-Hartmann 2012 S 101)

Niemand kann bei jeder Unterrichtsplanung und -durchfuumlhrung im Unterrichtsalltag stets alle Aspekte beruumlcksichtigen deshalb ist die Grundhaltung entscheidend die sich in Unterrichtsroutinen wiederum niederschlaumlgt Schwerpunktsetzungen helfen bisherige Rituale zu uumlberdenken und auf ihren didaktisch-methodischen Sinn zu pruumlfen Das Theorie- und Praxisverstaumlndnis der Lehrenden ist fuumlr die fachpraktische Arbeit in der Lehrkuumlche handlungsleitend (vgl Buchner 2011) Das bedeutet auch dass sich Lehrende bei der Unterrichtsplanung fragen sollten ob eine Vernetzung von Thema und Nahrungszubereitung sowie ein Zusammenhang von Lernzielen und Unterrichtsaktivitaumlt gegeben und dieses fuumlr die Lernenden erkennbar ist (vgl Wespi amp Senn Keller 2008)

2 Anspruch an die Fachpraxis Ernaumlhrung

21 Verhaumlltnis zwischen Theorie und Praxis

Didaktische Prinzipien leiten die gesamte Unterrichtsgestaltung Kompetenzorientie-rung ist heute der grundlegende Anspruch Demgemaumlszlig gehen didaktisch-methodische Uumlberlegungen vom essenden und konsumierenden Menschen aus (Fachgruppe EVB 2005) Weitere didaktische Prinzipien die sich als foumlrderlich fuumlr den Kompetenzerwerb erweisen ordnen sich der Kompetenzorientierung entspre-chend unter

Dieser Anspruch an eine kompetenzorientierte Fachpraxis Ernaumlhrung erscheint auf den ersten Blick einfach so ist doch die Anwendung durch die Praxis dabei Entsprechend der Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001 S 27f) geht es hier um transferfaumlhige Kompetenzen die Dimensionen Kognition Volition Motivation einschlieszligen und eigenstaumlndiges verantwortliches Handeln intendieren Um diesem zu genuumlgen muss die Fachpraxis theoriegeleitet sein und didaktische Prinzipien zielgerichtet beruumlcksichtigen Fuumlr eine theoriegeleitete Fachpraxis ist die Handlungsorientierung zentral sie ist vielen Lehrerinnen ein gelaumlufiger Begriff (Fachgruppe EVB 2005 S 87) haumlufig ohne das dahinterstehende Konzept tatsaumlch-lich umsetzen zu koumlnnen

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22 Handlungsorientierung und Handlungsprodukte

Das Waschen Schaumllen Schneiden einer Kartoffel ist kein handlungsorientiertes Vorgehen an sich vielmehr geht es um eine zielgerichtete reflektierte Aktivitaumlt der Lernenden (vgl Tornieporth 1995 Buchner 2002 Meyer 2007)

Handlungsorientierter Unterricht beschreibt ein Verfahren bei dem Lernen als Folge von Handlungen der Schuumllerinnen ermoumlglicht wird Unter Handlungen werden ziel-gerichtete planvolle materielle Taumltigkeiten und soziale Verhaltensweisen verstanden In Handlungen gehen sinnliche Wahrnehmungen konkrete Operationen und intellek-tuelle Selbststeuerung ebenso ein wie zielgerichtete Zusammenarbeit Einhalten von Vereinbarungen und wechselseitige Hilfeleistungen mit den Lernpartnern (Buchner 2002 S 1)

Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist also durch Elemente des Handelns gekennzeichnet und schlieszligt nach der Handlungstheorie eine Handlungsevaluation dh Ruumlckkopplungs-prozesse ein Es liegt nahe dazu Handlungsziele in Teilplaumlne Teilhandlungen und Teilziele zu zerlegen Die Lernenden muumlssen immer wieder neu vergleichen und anpassen denn erst wenn das gesteckte Ziel erreicht ist ist die Handlung abgeschlos-sen

Ein Kind lernt durch vielmaliges Durchleben und Beteiligen dass das Handlungs-schema fuumlr eine Mahlzeit zubereitenrsquo aus mehreren Teilhandlungen besteht 1 Sich Speisen aussuchen (hellip) 2 Zutaten besorgen (hellip) 3 Nahrung zubereiten (hellip) Tisch decken und ndash nach dem Essen und Genieszligen die 5 Reinigungsarbeiten erledigen (Buchner 2011 S 129)

Das nachfolgende Beispiel weist dabei auf eine entscheidende Problematik bei der schulischen Nahrungszubereitung hin Sind Handlungsprodukte des Unterrichts nicht fuumlr alle Beteiligten transparent unterscheiden sich haumlufig Schuumllererwartungen und unterrichtliche Handlungsziele Beispiel Schuumllerinnen und Schuumller wollen schnellstmoumlglich ein Essen auf den Tisch bekommen und sind damit in erster Linie an der Fertigstellung des Essens interessiert und weniger an Handlungsprozessen Folglich lassen sie sich kaum auf Lernprozesse ein sondern bereiten ein Essen wie aus dem haumluslichen Umfeld gewohnt nach ihrem Geschmack und ihren Gewohnhei-ten zu Erwartungen und Handeln der Lernenden werden durch die haumlusliche Situati-on geleitet Aber im Unterschied dazu geht es bei der schulische Nahrungszuberei-tung nicht um eine Ernaumlhrungsversorgung sondern um Lernen Es muss folglich auch eine Lernsituation hergestellt werden Damit sind nachfolgende Anforderungen an die handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung geknuumlpft

1 Die Komplexitaumlt des Unterrichtsgegenstandes Ernaumlhrung erfordert auch klar definierte Unterrichtsziele mit Schwerpunktsetzungen in den Unterrichtsstunden bzw Unterrichtsbloumlcken

2 Die Festlegung eines Handlungsproduktes fuumlr jeden Unterrichtsblock ist ab-haumlngig vom jeweiligen Unterrichtsziel und kann auch in der Fachpraxis sehr unter-

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schiedlich sein Handlungsprodukt kann eine Mahlzeit und das gemeinsame Essen sein muss aber nicht

3 Handlungsprodukte muumlssen fuumlr Lehrende und Lernende transparent sein 4 Die gemeinsame Festlegung der Handlungsprodukte erhoumlht die persoumlnliche

Bedeutsamkeit und damit die Motivation sich darauf einzulassen sich damit ausei-nanderzusetzen und das Handlungsziel zu erreichen

5 Fachpraxis Ernaumlhrung ist eine Lernsituation fuumlr die eine Reproduktion der haumluslichen Nahrungszubereitung nicht zielfuumlhrend ist

Unterrichtsziel und Festlegung des Handlungsprodukts

Die Bereiche der Nahrungszubereitung und des Essens sind komplexe Bereiche da sie von mehreren Phaumlnomenen und Sachverhalten uumlberlappt werden (Roumlszligler-Hartmann 2012 vgl Methfessel 2005)

Die Komplexitaumlt der Thematik erfordert eine mehrperspektivische Betrachtung die mit beispielhaft entwickelten Unterrichtsmodellen wie zB bdquoTomatenkulturldquo (Tornieporth 1997) bereits in den 1990er Jahren fuumlr unsere Fachdomaumlne fuumlr einen projektorientierten Unterricht begruumlndet wurde Idee ist eine Thematik uumlber die un-terschiedlichen Perspektiven und Handlungsfelder zu erschlieszligen Die Fachpraxis Ernaumlhrung ist dabei ein Handlungsfeld das ebenso wie die weiteren Unterrichtsbau-steine die aus den unterschiedlichen natur- und kulturwissenschaftlichen Perspekti-ven heraus entwickelt werden hinsichtlich ihres Bildungsgehaltes einer didaktischen Analyse standhalten muss Das bedeutet Jede Unterrichtsstunde bzw jeder Unter-richtsblock erfordert ein Unterrichtsziel mit klar definiertem Handlungsprodukt weil nur so die Komplexitaumlt theoretisch aufgebrochen werden kann Unterrichtsarrange-ments unterscheiden sich folglich gemaumlszlig dem festgelegten Handlungsprodukt Das kann die Situation einer Mahlzeit sein die dann einen gedeckten Tisch und gemein-sames Essen erfordert Das kann auch die Auswertung einer Supermarkterkundung sein die dann eine Praumlsentation der Erkundungsergebnisse erfordert Das koumlnnen auch bdquoProbierhaumlppchenldquo fuumlr eine sensorische Pruumlfung sein Diese hier beispielhaft skizzierten Unterrichtssituationen sind geeignet um Unterrichtsergebnisse zu reflek-tieren und zu evaluieren Reflexionsphasen sind notwendige Bestandteile eines kom-petenzorientierten Lernprozesses Wespi und Senn Keller (2008 S 20) empfehlen fuumlr Lehrende zusammenfassend Kompetenzen sollten fuumlr eine Einheit ausgewaumlhlt und festgelegt beobachtet und beschrieben (Beobachtungsinstrument) ruumlckgemeldet und interpretiert (Feedback) bewertet (Effekte bestimmt) transformiert (Selbstwirk-samkeit uumlberpruumlft) und mit der Ausgangssituation verglichen werden

Transparenz und Bedeutsamkeit eines Handlungsprodukts

Bleiben bei der Zerlegung in Teilhandlungen die (Teil-)Ziele die der Lehrenden werden die Lernenden dieses Vorgehen fantasievoll umschiffen Sind Lehr- und

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Lernziele (in)direkt Teil des Unterrichts dann koumlnnen Lernende ihre Sichtweisen einbringen und Unterrichtsprozesse mitgestalten Der Grad der Mitbestimmung kann dabei ganz unterschiedlich sein Bei Lehrgaumlngen sind es haumlufig die Lehrziele die fuumlr Lernende transparent sein sollten um deren unterrichtliche Bedeutung nachvollzie-hen zu koumlnnen Beispielsweise haben Lehrgaumlnge ihre Berechtigung zur Erreichung von Projektzielen oder bei Vorgaben wie sie beispielsweise bei der Hygieneschu-lung der Fall sind Bei Formen des forschend-entdeckenden Lernens kann das (Lern)Ziel die Loumlsung einer selbstgestellten Frage sein zB der Biskuit ist beim letzten Backen bei vielen zusammengefallen Woran kann das liegen Wie laumlsst sich das vermeiden

Durch bdquoechteldquo d h alltagsrelevante Problemstellungen (Beispiel Helfen Light-Produkte beim Abnehmen Foumlrdert ein hoher Fleischverzehr den Muskelaufbau) ist eine houmlhere Motivation zu erwarten als bei rein bdquoakademischenldquo Problemen (Bei-spiel Uumlbergewicht ein Uumlbel unserer Zeit Ursachen und Folgen) Daraus resultieren Anforderungen an die Aufgabenstellungen Aufgaben sollten komplex anwen-dungsbezogen auf konkrete Handlungssituationen sein um damit Lernprozesse in Gang zu setzen die wiederum eine umfassende Informationssuche und Vernetzung von Fachwissen und Fachkompetenzen in Gang setzen (vgl Wellensieck amp Peter-mann 2002)

Durch die im Alltag vorhandene hohe Komplexitaumlt lassen sich solche problem-orientierten Aufgaben kaum in drei Unterrichtsstunden loumlsen und legen ein projekt-orientiertes Vorgehen nahe Wie bereits bei Tornieporth (1995) die sich ihrerseits unter anderem auf reformpaumldagogische Ansaumltze des 19 Jahrhunderts bezieht sind offene Unterrichtsformen mit handlungsorientierten projektorientierten und prob-lemorientierten Vorgehen erfolgsversprechend Aktuelle Forschungen zum bdquogehirn-gerechtem Unterrichtenldquo bestaumltigen das (Terhart 2009 S 154)

Umgang mit Erfahrungen und Meinungen in der Lernsituation

Die Vielzahl von Erfahrungen (bdquoZuhause machen wir das soldquo) und daraus resultie-rende Meinungen (bdquoDas schmeckt nichtldquo) die Schuumllerinnen und Schuumller mitbringen koumlnnen bei einem subjektorientierten Unterricht die Lernprozesse bereichern Sub-jektorientierte Methoden setzen am bdquosubjektiven Vorverstaumlndnis der Lernendenldquo an und machen bdquodiese (auch) zur Arbeitsgrundlage fuumlr den Unterrichtldquo (Bartsch 2012) Subjektorientiertes Vorgehen ist nicht immer moumlglich trotzdem ist ein sensibler und offener Umgang mit Erfahrungen und Meinungen der Lernenden notwendig um den Transfer zu foumlrdern

Beispielsweise koumlnnen Schuumllerinnen die manchmal Tomaten in der Hand schneiden weil sie es so von ihren (Groszlig-)Muumlttern kennen schnell uumlberzeugt wer-den wenn sie das professionelle Schneiden ausprobieren und uumlben um es dann mit der haumluslichen Methode zu vergleichen Vor- und Nachteile abwiegend nach ver-schiedenen fachlichen Kriterien (zB fuumlr das Schneiden Sicherheit Schneideergeb-

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nis rationelles Arbeiten etc) wirkt in aller Regel uumlberzeugend Um dem Bildungsan-spruch gerecht zu werden muss ein Handlungstransfer angebahnt werden d h auch Lernende mit ihren Alltagserfahrungen ernst nehmen ohne die Fachlichkeit aufzu-geben Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lehrens und Lernens werden hier vereinfacht gesagt Menschen gestaumlrkt und Dinge geklaumlrt

23 Nahrungszubereitung im Unterricht

Werden Speisen zubereitet gibt es einen durch die Sache begruumlndeten Ablauf von vier Phasen Vorbereitung Durchfuumlhrung Essen und Nachbereitung die nur bedingt austauschbar sind Die einzelnen Phasen werden zunaumlchst im folgenden Abschnitt beschrieben mit dem Ziel Anregungen zur Gestaltung der einzelnen Phasen zu ge-ben sowie Mut zu machen Handlungsprodukte entsprechend des Unterrichtsziels fuumlr die zur Verfuumlgung stehende Unterrichtszeit festzulegen und die Phasen passend dazu flexibel zu handhaben

Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoumlren saumlmtliche Planungsschritte vor dem Beginn der Speisen-zubereitung Dazu gehoumlren Rezeptwahl Rezeptbesprechung Arbeitsplanung Ein-kaufsplanung und -organisation etc

Rezeptwahl In Anlehnung an die SchmeXperimente (Oepping 2005) haben sich nachfolgende drei Kriterien fuumlr die Rezeptwahl bewaumlhrt 1 Grundnahrungsmittel oder naturbelassene Nahrungsmittel (Erweiterung des Erfahrungshorizontes) 2 Nah-rungsmittel- oder Sortenvielfalt und 3 Beitrag zum Erlernen und Uumlben von Grund-techniken der Nahrungszubereitung als Kulturwerkzeug (Weiterfuumlhrende Literatur Roumlszligler-Hartmann 2005 Bartsch 2009)

Einkauf Entsprechend der Intention des Unterrichtsvorhabens kann zB der Einkauf im Mittelpunkt (in Verbindung mit den REVIS-Bildungszielen 5 bis 9) ste-hen Dabei koumlnnen Kriterien fuumlr die Einkaumlufe (Lebensmittelqualitaumlt Preis Nachhal-tigkeit etc) in der Lerngruppe erarbeitet werden die als Teilhandlungsschritt reflek-tiert und evaluiert werden Ein Unterrichtsblock kann hier enden der Einkauf als Hausaufgabe erfolgen die Verwendung der Lebensmittel an anderer Stelle zB Einkauf von Grundnahrungsmitteln die in der Schulkuumlche vorraumltig sind oder Einkauf fuumlr die nachfolgende Zubereitung von Probierhaumlppchen fuumlr eine sensorische Pruumlfung etc An anderer Stelle kann dann aufgrund einer abweichenden Schwerpunktsetzung auf den Einkauf gegebenenfalls verzichtet werden zB vor den groszligen Ferien wenn eine Aufgabe zum Umgang mit verderblichen Vorraumlten und Nahrungsresten die Ziel-setzung ist

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Durchfuumlhrung

An die Vorbereitungs- und Planungsphase schlieszligt die Durchfuumlhrung der Speisenzu-bereitung an Dabei werden in der Regel einzelne Speisen oder Gerichte von den Schuumllerinnen und Schuumller in Teams unter Anleitung und Aufsicht der Fachlehrper-son zubereitet Auch hier geht es wiederum um die jeweils gesteckten Teilziele Zum Beispiel teilen sich die Schuumllerinnen und Schuumller die Aufgaben im Zeit- und Arbeitsplan auf (gegebenenfalls durch einen Aumlmterplan) werden die Lernenden selbst in die Teilzielbeschreibung eingebunden Lehrpersonen begleiten und unter-stuumltzen die Lernenden dabei

Da fuumlr die Nahrungszubereitung nur die vorgegebene Unterrichtszeit zur Verfuuml-gung steht ist ein angeleitetes zuumlgiges und sicheres Arbeiten noumltig Entsprechend der in den Lerngruppen vorhandenen Kompetenzen sind die Unterrichtsarrangement machbar zu gestalten Dabei spielen Demonstrationen eine wichtige Rolle (zB Schneidelehrgang nach Tornieporth 1997)

Essen

Zubereitete Speisen werden schlussendlich auch gegessen Das bdquoWieldquo ist allerdings fuumlr den Lernprozess entscheidend

Essen als Pause Wird das bei Schuumllerinnen und Schuumller beliebte Essen ndash wie immer wieder zu beobachten ist ndash sowohl von Lehrenden als auch Lernenden als bdquoPauseldquo betrachtet fehlen die notwendigen Ruumlckkopplungsschritte zum Handlungs-abschluss Aus diesem Grund wird hier dafuumlr plaumldiert Unterrichtssituationen von Pausensituationen klar zu trennen Essen in der Pause dient zur Ernaumlhrungsversor-gung und Regeneration Dagegen ist Essen Teil eines Handlungszieles und damit Handlungsprodukt ist eine Unterrichtssituation herzustellen

Essen als Teil des Lernprozesses Essen ist ein Teil der Unterrichtspraxis bei der Nahrungszubereitung (Bartsch 2009) den es entsprechend didaktisch-methodisch zu gestalten gilt Zunaumlchst ist hierfuumlr die paumldagogische Begruumlndung der Wuumlrdigung des Handlungsergebnisses anzufuumlhren Dem folgt eine angemessene Praumlsentationssitua-tion der Speisen zB als Buffet als Probierhaumlppchen als SchmeXperimentiergut als Mahlzeit etc

Der naumlchste Schritt ist die Reflektion des Handlungsergebnisses gemaumlszlig der je-weiligen Zielformulierungen fuumlr die ebenfalls ein organisatorischer Rahmen ge-schaffen werden muss Beispielsweise ist es eine grundsaumltzliche Entscheidung ob die Sensorik oder die Mahlzeit (Teil-)Ziel der Handlung ist Im ersten Fall reichen Probehaumlppchen aus im zweiten Fall ist ein Tisch zu decken um eine Tischgemein-schaft herzustellen (Leitner 2011) In diesem Punkt unterscheidet sich die Lernsitua-tion vom haumluslichen Kochen In der Fachpraxis geht es darum die zubereiteten Spei-sen zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der angewendeten Garmethode zu bewerten und das Arbeitsergebnis entsprechend zu reflektieren Auch eine ge-

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schmackliche Auswertung folgt hier nicht allein persoumlnlichen Vorlieben (vgl Meth-fessel amp Schlegel-Matthies i d Heft)

Essen als Teil der Pause Essen kann auch den Raum bieten wo Lernende und Lehrende sich besser kennen lernen koumlnnen Daruumlber hinaus kann eine bdquovertrauteldquo Lehrperson Lernende eher zum Essen bdquounbekannterldquo Speisen ermutigen und moti-vieren (Vorbildfunktion) Die Tatsache dass Schuumllerinnen und Schuumller eine Speise selbst hergestellt haben motiviert viele zusaumltzlich etwas zu verkosten was sie eigent-lich nicht moumlgen oder noch nie gegessen haben Hierfuumlr ist es sinnvoll ein geson-dertes Zeitfenster als bdquoPauseldquo vom Unterricht einzuplanen Dieses kann als fester Bestandteil der Nahrungszubereitung ritualisiert werden Um den Erwartungsdruck im Unterricht eine Mahlzeit zuzubereiten herauszunehmen ist es hilfreich dass so-wohl uumlbrige Speisen aus der Fachpraxis als auch mitgebrachte Pausenbrote gegessen werden koumlnnen

Nachbereitung

Nach dem Essen folgt fuumlr die Schuumllerinnen und Schuumller die meist unbeliebteste Pha-se der Nachbereitung die selten als Unterricht wahrgenommen wird So muss in der Schulkuumlche aufgeraumlumt werden Arbeitsflaumlchen gesaumlubert Geschirr Besteck und Arbeitsgeraumlte kontrolliert nachgezaumlhlt und eventuelle Reste versorgt werden Hierfuumlr ist ausreichend Unterrichtszeit einzuplanen

Eine sorgfaumlltige und puumlnktliche Nachbereitung sorgt fuumlr einen reibungslosen Ab-lauf der naumlchsten Gruppen In dieser Phase zeigt sich auch ein professionelles Lehr-Lernverstaumlndnis der Nahrungszubereitung Hilfreich ist es mit den Lerngruppen bdquoStandardsldquo zu erarbeiten die dann in einem routinierten Abschluss enden Bei-spielsweise stellen Lerngruppen Uumlberlegungen an zu den Zubereitungsmengen und zum Umgang mit Speiseresten (Koumlrner amp Bartsch 2012) Ethisches Handeln kann sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit so in konkret ausgehandelte Regeln bei der letzten Phase der Nahrungszubereitung in den Lerngruppen niederschlagen

Schlussbemerkungen

Neben den allgemein schulischen Erfahrungen bringen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer Erfahrungen aus ihren privaten Haushalten mit Diese beeinflussen deren Vorstellungen von fachpraktischem Arbeiten sowie ihr Fachverstaumlndnis und behin-dern den Transfer von fachdidaktischen Forschungen in die Unterrichtspraxis Daran schlieszligt die Frage nach der Ausbildung an den Hochschulen an Welche Kompeten-zen beguumlnstigen eine theoriegeleitete Fachpraxis Wie wird mit Praumlkonzepten und subjektiven Theorien bezuumlglich des Fachverstaumlndnisses in der Hochschulausbildung umgegangen Um die (wahrscheinliche) Diskrepanz zwischen dem EVB-Bildungsanspruch und den individuellen Vorstellungen offenzulegen ist ein erster Schritt Fachverstaumlndnis und Fachanspruch zu thematisieren ndash sowohl in der Hoch-

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schule als Teil des Professionalisierungsprozesses der Fachlehrpersonen als auch in der Schule im Sinne der Partizipation und Gestaltung des eigenen Lernprozesses

Meist werden konkrete fachpraktische Bezuumlge von den Studierenden (oder Leh-renden in Fortbildungen) als hilfreich empfunden Entsprechend bietet sich an die Fachpraxis Ernaumlhrung die eng mit der Fachidentitaumlt verknuumlpft ist zum Thema zu machen Mit konkreten Fragen kann eine Bruumlcke zwischen Theorie und Praxis her-gestellt werden Beispielsweise Welche Rahmenbedingungen finden die Studierende an ihren Praktikumsschulen (Unterrichtsraumlumen Stundenplaumlnen Vorstellungen uumlber unser Fach) vor Welche fachdidaktische Konzeptionen sind damit verbunden Wie kann damit im Sinne eines modernen Bildungsanspruchs umgegangen werden Wo-rauf koumlnnen (zukuumlnftige) Lehrerinnen und Lehrer unseres Faches Einfluss nehmen Im Sinne des salutogenetisch orientierten Lernens ist hierbei der Blick auf die Staumlr-kung der (zukuumlnftigen) Lehrenden zu richten und Professionalisierungsprozesse zu foumlrdern

Anmerkungen 1 [wwwevb-onlinedeglossar_ernaehrungspraxisphp] 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Aufgrund der geschlechtstypischen Berufswahl handelt es sich vorwiegend um

Lehrerinnen (Bartsch amp Methfessel 2012) 4 Siehe Anmerkung 1 5 Siehe Anmerkung 2 6 Vgl Paderborner Lernwerkstatt unter

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Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe E-Mail bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Petra Buumlrkle

Paumldagogische Hochschule Freiburg Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Kunzenweg 21 D-79117 Freiburg E-Mail petrabuerkleph-freiburgde

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Barbara Dittrich Barbara Franta und Petra Luumlhrmann

Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichtes bietet die Schulkuumlche als Lernumgebung gute Moumlglichkeiten durch praxisorientierte Impulse welche den Lernenden eine zunehmend eigenstaumlndige Gestaltung ihrer Lebensumwelt ermoumlglichen Handlungskompetenzen im Be-reich der Alltagskultur zu initiieren Im Beitrag wird die Gestaltung einer Lehr-Lernsequenz exemplarisch anhand des Themenschwerpunktes Hygiene erlaumlutert

Schluumlsselwoumlrter Lehr-Lernprozesse Kompetenzorientiertes Planungsmodell Hygiene

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1 Einfuumlhrung

Ziel der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist die Vermittlung von gesundheitsfoumlrderlichen und nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenzen im Bereich der Alltagskultur Weinert (2001) versteht dabei Kompetenzen als bdquodie bei Individuen verfuumlgbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Faumlhigkeiten und Fer-tigkeiten um bestimmte Probleme zu loumlsen sowie die damit verbundenen motivatio-nalen volitionalen und sozialen Bereitschaften und Faumlhigkeiten um die Problemlouml-sungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu koumlnnenldquo Dh Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und durch das Handeln selbst sichtbar

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf die Kompetenzentwicklung von Schuuml-lerinnen und Schuumllern ab und fokussiert somit weniger auf das Lehren sondern auf das Lernen sowie auf das Wechselspiel zwischen Lehren und Lernen Lehren um-fasst dabei die Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen Da das Lernen nur im Inneren dh im Lerner selbst stattfinden kann hat die Lehrkraft nur uumlber diese Steu-erung einen Einfluss auf die moumlglichen Lernvorgaumlnge Der Lernprozess wird dabei unterrichtsmethodisch uumlber die Determinanten Aufgabenstellung Lernmaterialien Methodenwerkzeug Moderation sowie Ruumlckmeldung und Reflexion gesteuert In idealtypischen Lernsituationen werden Lernumgebungen geschaffen die die Lernen-den in eine intensive aktive selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen (Leisen 2010 2011)

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2 Curriculare und fachwissenschaftliche Vorgaben

Inhalte einer verantwortungsbewussten Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ver-stehen sich als lebensweltbezogen Gegenwarts- und zukunftsrelevante Themen ermoumlglichen fachwissenschaftlich begruumlndete Erkenntnisse entwickeln Kompeten-zen und initiieren fuumlr die private Lebensfuumlhrung relevante Lernprozesse Eine Vermittlung geschieht dabei durch das fachspezifische Geflecht von fachwissen-schaftlichen fachdidaktischen sowie fachpraktischen Inhalten Diese orientieren sich an dem Europaumlischen Kerncurriculum zur Ernaumlhrungsbildung und dem REVIS-Curriculum Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung Das REVIS-Curriculum ist dabei ein in Deutschland bundesweit gefasster Konsens zu den Bildungszielen Kompetenzen Themen und Inhalten die in der schulischen Ernaumlhrungs- und Ver-braucherbildung als bdquogrundbildendldquo verstanden werden (Heseker 2005)

Zentrale Punkte des REVIS-Rahmencurriculums sind didaktische(n) Prinzipien der Kompetenzorientierung des salutogenetisch ori-entierten und lebenslangen Lernens ein Gesamtkonzept fuumlr den Lebensraum Schule das durch entsprechende Schul-entwicklungsprozesse getragen sein muss (Bartsch 2011)

Das Ziel ist also in diesem Bereich immer jungen Menschen gesundheitsfoumlrderli-che und nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenzen im Bereich der Alltags- und Lebensbewaumlltigung zu vermitteln Folgende Faktoren sind dabei zu beruumlck-sichtigen

bull Zugang zu den Themenbereichen einer gesunden Lebensbewaumlltigung sind stets Erfahrungen und Impulse aus der Lebenswirklichkeit der Lernenden

bull Grundlage des Unterrichts sind kompetenzfoumlrdernde Inhalte in der Regel initiiert durch praxisfoumlrdernde Impulse Die Lernenden sollen ihre Lerninhalte zunehmend selbststaumlndig gestalten und sich von der Haltung des ausschlieszliglich Konsumierenden distanzieren

bull Die Lehrkraft wird als Person des Begleitens Beratens bzw als die Person welche die Lernumgebung gestaltet verstanden

bull Materialien die eine Differenzierung sowie Individualisierung des Lernprozesses eines Lernenden ermoumlglichen sind grundlegend Dabei koumlnnen Realmedien verwendet werden bereits veroumlffentlichte Medien ausgewaumlhlt und auf Eignung bewertet werden oder neue Lernmaterialien konzipiert erarbeitet und evaluiert werden

bull Die Lehrenden wissen dass Klassenraumlume so umstrukturiert werden koumlnnen dass fuumlr die Lernenden geeignete Lernarrangements zur Verfuumlgung stehen Dies ist insbesondere im Bereich der Grundschule von Bedeutung

bull Bei den Inhalten zu praxisorientierten Elementen der Ernaumlhrungsbildung werden Fachraumsysteme beansprucht Der Begriff Fachraumsystem muss an

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dieser Stelle mit dem Begriff bdquoFachraumldquo gleichgesetzt werden Dabei kann es sich um Kuumlchen oder anderen Werkstaumltten handeln

bull Lehrende erfahren in den Lehr-Lernprozessen immer wieder umfassend die bdquovier Handlungsfelder einer veraumlnderten Lernkultur Beobachten Beschreiben Bewerten und Begleitenldquo (Landesinstitut fuumlr Schulentwicklung 2009)

Inhaltliche Aspekte werden stets auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erstellt Da die fachwissenschaftlichen Grundlagen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung sehr komplex sind einer staumlndigen Veraumlnderung unterliegen und somit fortschreitend aktualisiert werden muumlssen ist bei der Sachanalyse die Verwendung der aktuellen Fachliteratur bzw der Bezug auf die Fachgesellschaften (aid BfR BzgA DGE HaBiFo vzbv usw) zwingend notwendig

Im Bereich der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung gibt es inzwischen zahl-reiche etablierte Unterrichtshilfen wie zB den aid-Ernaumlhrungsfuumlhrerschein Kon-sumieren mit Koumlpfchen Money amp Kids SchmExperten Science kids Unterrichts-hilfe Finanzkompetenz Versteckt werbende Maszlignahmen und Materialien sowie kommerzielle oder andere interessengeleitete Angebote die nicht mit den Zielset-zungen der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung vereinbar sind haben dagegen in Schulen nichts zu suchen

Weitere sehr gut geeignete Moumlglichkeiten der Esskulturbildung bieten auch der Lebensmitteleinkauf die Nahrungszubereitung und die Mahlzeitengestaltung Hier koumlnnen Schuumllerinnen und Schuumller in besonderer Weise ihre gesundheitsfoumlrderli-chen und nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen im Bereich Ernaumlhrung und Konsum erweitern Wird die Kuumlche als Lernumgebung genutzt muumlssen grundle-gende Bedingungen zu Sicherheit und Hygiene gegeben sein

Die im Folgenden dargestellte Lehr-Lernsequenz zum Kompetenzerwerb in der Lernumgebung Kuumlche mit dem Themenschwerpunkt Hygiene bezieht sich auf das Bildungsziel 3 des REVIS-Curriculums zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo

3 Didaktisch-methodische Gestaltung der Lehr-Lernsequenz

Bei der Planung der Lehr-Lernsequenz orientiert sich die Lehrperson explizit am REVIS-Curriculum zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung

Entscheidend ist die Transparentmachung dieses Curriculums fuumlr die Lernen-den Es werden nicht einzelne Inhalte aneinandergereiht sondern die Lernenden erfahren in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen die einen Bezug zu ihrer Lebensumwelt haben einen Zuwachs im Bereich der darge-stellten Kompetenzen und Bildungsziele Somit ist ein direkter Bezug zu ihnen selbst sowie ihrer Lebenssituation gegeben Dies vereinfacht wie spaumlter darge-

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stellt die methodische Umsetzung enorm da die Themen stets aus der Alltagssi-tuation der Lernenden stammen

Die Unterrichtsplanung erfolgt auf der Basis des Kompetenzorientierten Pla-nungsmodells (KPM) nach Leisen (2010) mit den sechs Stufen eines kompetenz-orientierten Lernprozesses

1 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdecken 2 Vorstellungen entwickeln 3 a) Lernprodukt erstellen

b) Informationen auswerten 4 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren 5 a) Lernzugewinn definieren

b) Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erproben 6 Sicher werden und uumlben

Als Planungshilfe wird die entsprechende von Hahn und Wiedemann (Seminar-schulraumltinnen am Staatlichen Seminar fuumlr Didaktik und Weiterbildung in Schwauml-bisch Gmuumlnd) entwickelte Moumlglichkeit der tabellarischen Darstellung von Lehr-Lernprozessen verwendet (Leisen 2010 Maier 2012) Tab 1 Auszug aus der Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene1

Fach und Klasse Hauptanliegen Lernziele Wirtschaft Arbeit und Gesundheit (WAG) Mensch und Umwelt (MuM) Thema der Unterrichtssequenz Wie sieht fuumlr mich ein sauberer Arbeitsplatz aus Hygiene rund um die Nahrungszubereitung

Die Lernenden erleben Hygiene als Voraussetzung sich in der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung gesund zu erhalten Inhaltlicher Schwerpunkt Planung Durchfuumlhrung Interpretation und Dokumentation von Hygienebedingungen in der Kuumlche fuumlr eine gesundheitsfoumlrderliche Nahrungszubereitung im Alltag

Die Lernenden - erleben bewusst die alltaumlgliche Situation eines hygienisch anspre-chenden Arbeitsplatzes - formulieren Hygiene-regeln fuumlr die Bereiche - persoumlnliche Hygiene - Lebensmittelhygiene und - Hygiene am Arbeits-platz - artikulieren und doku-mentieren individuell ihre Ergebnisse - sind in der Lage einen Transfer in die prakti-sche Nahrungszuberei-tung in der Schule und im persoumlnlichen Lebens-umfeld zu leisten

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In der Kopfzeile (Tab 1) wird das Hauptanliegen der Unterrichtsstunde als eine Art uumlbergreifendes Lernziel bzw uumlbergreifende Kompetenz dargestellt sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zu denen gearbeitet werden soll Zudem wird zwischen antizipierten Lernprozessen bzw Lernhandlungen der Schuumllerinnen und Schuumller sowie Lehraktivitaumlten bzw Handlungen der Lehrperson differenziert So sollen Lehrkraumlfte zum Nachdenken uumlber die Phasen des Lernprozesses der Lernenden angeregt werden Methodische Uumlberlegungen zur Gestaltung der Lernumgebung bzw organisatorische Aspekte der Unterrichtsdurchfuumlhrung werden in einer mittle-ren Spalte gesondert dargestellt (Gestaltung der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrperson Lernsetting Sozialformen Medien Methoden Gestaltungsele-mente)

4 Methodische Analyse und Begruumlndung der Lehr- Lernsequenz

41 Im Lernkontext ankommen Problemstellung entdeckenEinstieg praumlsentieren

Die Lehrperson verwendet zB als Einstieg Fotos die kritische Umstaumlnde im Be-reich der Hygiene darstellen Die Untergliederung in die Bereiche bdquopersoumlnliche Hygieneldquo die bdquoLebensmittelhygieneldquo und die bdquoArbeitsplatzhygieneldquo wird von der Lehrperson beispielhaft folgendermaszligen praumlsentiert gebrauchtes Pflaster Lebens-mittel mit Gefrierbrand Ausguss mit Speiseresten etc (siehe Kompetenzorientier-tes Planungsmodell Die Lernenden erfahren dadurch einen Lernanreiz aus einer individuellen Alltagssituation welcher ihnen als Impuls bzw als bdquoStoumlrungldquo (Lei-sen 2010) begegnet Dies bietet bewusst allen Lernenden die Moumlglichkeit zur spontanen Artikulation Es entsteht ein kommunikativer und wertfreier Austausch

42 Vorstellungen entwickelnEinstiegsproblem fokussieren und Aufmerksamkeit polarisieren

Die Lehrperson fokussiert das Einstiegsproblem entweder mit der letzten Folie einer PowerPoint-Praumlsentation oder mit einem kurzen Impuls in Form eines Tafel-anschriebs bdquoWir die Kuumlchentesterldquo so dass die Lernenden Vorstellungen entwi-ckeln koumlnnen Sie benennen unhygienische Elemente eines Arbeitsplatzes die sie stoumlren Die Lehrperson stellt nur rote Faserstifte Karten und Magnete zur Verfuuml-gung haumllt sich aber inhaltlich zuruumlck Die Lehrperson sollte nur LernbegleiterIn sein Dennoch ist diese Gelenkstelle fuumlr den weiteren Lernprozess entscheidend da dies die Uumlberleitung bzw Hinfuumlhrung zur Fragestellung der Lernenden ist bdquoWie

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sieht eine Kuumlche aus in der ich arbeiten willldquo und bdquoWas kann ich zur Hygiene beitragenldquo

43 Lernprodukt erstellen und Informationen auswerten Aufgabenstellungen anbieten

Das Lernprodukt bezeichnet Leisen als bdquoHerzstuumlckldquo des kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozesses Leisen spricht von der bdquoTrias sbquoLernprodukt ndash Aufgabenstel-lung ndash MaterialMethodenlsquo (Leisen 2013) Er empfiehlt bei der Planung bdquozu pruuml-fen ob die Aufgabenstellung zu dem Lernprodukt fuumlhrt ob der Zeitansatz passt ob das Anspruchsniveau stimmt ob die Lehrkraft dem Thema gerecht wird ob wirklich die Kompetenzen entwickelt werden die anstehen und der Sache dienlich sindldquo (ebd S 67) bdquoLernprodukte entstehen im handelnden Umgang mit Wissenldquo (ebd S14) Hier muss eine Lernumgebung gestaltet werden die stark gepraumlgt ist von Individualisierung und Differenzierung Es muumlssen zahlreiche Lernaufgaben und Lernmaterialien bereitliegen mit deren Hilfe sich die Lernenden eine Thema-tik individuell erarbeiten koumlnnen

Diese Lernaufgaben und Materialien muumlssen so konzipiert bzw variiert wer-den dass ein eigenstaumlndiges Tun uumlberhaupt moumlglich ist dh die Lernaufgaben muumlssen mit ihren Aufgabenstellungen so praumlzise formuliert sein dass sie sich selbst erklaumlren oder mit einer rasch erfassbaren und verstaumlndlichen Erklaumlrung bear-beitbar sind Interessant kann hier auch die Methode des Verfremdens sein Ein Gedicht im Mathematikunterricht ein Bewegungsspiel in Deutsch ein Spiel in den Naturwissenschaften etc Laumlngst sind diese Methoden Teil eines schuumller- und handlungsorientierten Unterrichts

Im vorliegenden Beispiel sind unter den Lernmaterialien beispielsweise Spiele wie Domino oder Memory zu finden Spiele haben einen starken Aufforderungs-charakter und bieten Anreize fuumlr eine praktische Auseinandersetzung mit einer Thematik Ferner wird ein virtuelles Quiz (bdquoLagern Sie richtig im Kuumlhlschrankldquo [wwwinformde] eingesetzt bei welchem es um die sachgerechte Lagerung bzw Bevorratung von Lebensmitteln durch Kuumlhlen geht Vorgefertigte Medien aus den Ordnern bdquoSchmExpertenldquo des aid (2011 und 2012) koumlnnen eingesetzt werden Beim aid erhaumllt man auch Infobroschuumlren zur genannten Thematik Diese koumlnnen ergaumlnzend fuumlr vertiefende Studien bereitgelegt werden Die fachpraktischen Ele-mente der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung werden uumlber zahlreiche Real-medien wie Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte sowie Kuumlhlschrank ergaumlnzt Um an-wendungsorientiert zu arbeiten bietet sich in jedem unterrichtlichen Geschehen in den ernaumlhrungs- und verbraucherbildnerischen Faumlchern die Kulturtechnik der Nah-rungszubereitung an das bdquoKochenldquo Hierfuumlr liegt ein Rezeptblatt vor welches durch seine Struktur ein selbststaumlndiges Zubereiten ermoumlglicht Das Rezeptblatt ist so strukturiert dass die Lernenden zunaumlchst anhand der Uumlberschrift einen Zugang zur Zubereitung erfahren Im Kontext werden dann zunaumlchst alle benoumltigten Kuuml-

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chengeraumlte benannt Eine Tabelle ndash unterteilt in bdquoZutatenldquo und bdquoZubereitungldquo die einander durch Trennungslinien in der Tabelle zugeordnet werden ndash ermoumlglicht durch rasches Erfassen des komprimierten Textes ein sofortiges Nacharbeiten

Um ein Lernprodukt zu erstellen wird den Lernenden ein Leporello (blanko) bereitgelegt Darin notieren bzw dokumentieren sie individuell ihre neu gewonne-nen Erkenntnisse nachdem sie sich die Materie durch die Lernmaterialien er-schlossen haben Ein signifikantes Element dieser kompetenzorientierten Unter-richtsform ist die Anwendung Das Erlernte wird im Kontext der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung unmittelbar in die praktische Umsetzung uumlberfuumlhrt Die Frage ob die Lernenden alles verstanden haben kann in der Vorbereitung eines hygieni-schen Arbeitsplatzes fuumlr eine Schokoladencreme zielgerichtet geloumlst werden Wa-rum hier ausgerechnet eine Schokoladencreme ausgewaumlhlt wurde kann ua mit dem hohen Motivationscharakter dieses Rezeptes beantwortet werden

44 Lernprodukte vorstellen festhalten diskutieren auswerten

Der Sinn dieser Phase liegt in der individuellen und selbst formulierten Praumlsentati-on Sachverhalte die in eigenen Worten vorgestellt werden koumlnnen besser behal-ten werden (Gudjons 1997 1998) und machen Lernenden und dem Lehrenden sofort deutlich ob die Inhalte verstanden wurden

Mit der Kugellagermethode erfahren die Lernenden zunaumlchst einen ersten in-teraktiven Austausch Im vorliegenden Planungsmodell wurden bewusst unter-schiedliche Medien und Methoden zur Praumlsentation gewaumlhlt Zum einen die schrift-liche Fixierung mittels Tafel Karten und Leporellos zum anderen die handlungsorientiert gestalteten Arbeitsplaumltze

Die Lernenden erfahren durch den Austausch eine Erweiterung der Sozialkom-petenz im Bereich der Kommunikation Zuhoumlren sowie Sprechen und Ausreden lassen werden hier in der Anwendung er-gelernt und vertieft Ferner wird auch die Schreibkompetenz durch die Verschriftlichung der Ergebnisse geschult und geuumlbt Entscheidend fuumlr die Fachwissenschaft sind hier der direkte Zugang zu Fachbegrif-fen und die sofortige situative Umsetzung Durch den Einsatz der gruumln zu beschrif-tenden Karten wird eine Verbindung zum Einstiegsproblem geschaffen (vgl Kar-ten mit roter Beschriftung) naumlmlich mangelhafte Hygienebedingungen und Fachbegriffe werden dabei vertieft

45 Lernzugewinn definieren und Kompetenzzuwachs in neuen Aufgabenstellungen erprobenLernbewusstheit foumlrdern und neue Kontexte anbieten

Um den Lernzugewinn zu definieren vergleichen die Lernenden ihre individuellen Lernprodukte mit ihren eingangs formulierten Vermutungen Dadurch koumlnnen sie ihren persoumlnlichen Lernzuwachs artikulieren und ihre eigenen Lernprozesse reflek-

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tieren und erleben dadurch ihren eigenen Kompetenzzuwachs Die Lehrperson setzt einen Impuls zur Reflexion in Form eines Fotos (unhygienischer Arbeits-platz) Nach der eigenen Reflexion des Lernprozesses durch die Lernenden kann die Lehrperson ihre eigenen Beobachtungen dazu in individuellen Feedbacks aumlu-szligern

Um die Kernkompetenz Bewaumlltigung von Alltagssituationen zu erweitern muss die Aufgabe in einem neuen Kontext erprobt werden Diese Transferleistung wird in einer praktischen Taumltigkeit erfahren Die Lernenden bereiten zB eine Schokoladencreme zu Konkret werden die erlernten Kompetenzen rund um die Gestaltung eines Arbeitsplatzes der den neu formulierten Hygienebedingungen entspricht uumlbertragen Dadurch beweisen sich die Lernenden als Spezialisten fuumlr persoumlnliche Hygiene Lebensmittelhygiene sowie hygienisches und damit gesund-heitsfoumlrderndes Arbeiten Sie haben damit eine Alltagskompetenz erworben die sie staumlndig in auszligerschulischen Handlungsfeldern benoumltigen

46 Sicher werden und uumlben

Das einmalige Zubereiten eines Teilgerichts kann nun natuumlrlich noch nicht als stets abrufbare Kompetenz vorausgesetzt werden Durch staumlndig wiederkehrende und auch leicht abgeaumlnderte Zubereitungssituationen wird der Lernende das Erfahrene nun eigenstaumlndig (freiwillig) erproben und umsetzen Die Lernenden gewinnen zunehmend aus eigenem Interesse an ihrer persoumlnlichen Gesunderhaltung Sicher-heit bzw Routine in der Gestaltung eines hygienischen Arbeitsplatzes

5 Evaluation und Reflexion Um die Thematik Hygiene zu reflektieren und zu bewerten muss festgestellt wer-den dass bei der Entwicklung einer Lehr-Lernsequenz der Fokus auf der Gestal-tung der Lernumgebung liegen muss Nach der Durchfuumlhrung stehen Fragen wie bdquoWelche der geplanten Lehr-Lernsequenzen muss abgewandelt bzw eliminiert werdenldquo im Mittelpunkt Waren die in der Lernumgebung bereitgestellten Medien und Materialien schuumller- handlungs- bzw leistungsorientiert Wie oft wurde die Lehrperson in welcher Lernsequenz von den Lernenden involviert (als Hilfestel-lung) Mit welchen Kriterien bewerten die Lernenden die bereitgestellten Materia-lien Im Gegensatz dazu reflektieren die Lernenden oft schwerpunktmaumlszligig die Elemente Zubereitung und Verzehr Dies muss in der Reflexionsphase aber durch-aus einbezogen werden In der gemeinsamen Reflexion vereinfachen die Bezugs-punkte des gewaumlhlten Beispiels (Schokocreme Geschmack Darbietung Menge Zutaten Preis Aufwand etc) eine Diskussion

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6 Ausblick Fakt ist dass der Lernkontext bdquoAlltagldquo welcher sich in verschiedenen Faumlcherver-buumlnden und Faumlchern wiederfindet stets einen Lebensweltbezug hat Eine intrinsi-sche Motivation den individuellen Alltag zu meistern bietet hervorragende Moumlg-lichkeiten Kompetenzen auch im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu erwerben Durch Lernaufgaben mit Lebensweltbezug fuumlr die Lernenden kann der Individua-lisierung der Heterogenitaumlt sowie der Interkulturalitaumlt in diesem Fach Rechnung getragen werden Die Kuumlche ist also in vielfaumlltiger Art und Weise eine geeignete Lehrumgebung um Lehr-Lernprozesse zu initiieren

Anmerkung

1 Die komplette Skizze einer Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene steht uumlber [wwwhibifode04_2013html] zum Download zur Verfuumlgung

Literatur

aid (2011) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) SchmExperten ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 5 und 6 Be-stell-Nr 3979 Bonn

aid (2012) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) SchmExperten in der Lehrkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8 Bestell-Nr 3980 Bonn

aid (2012) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) Die Kuumlchenkartei Bestell-Nr 3462 Bonn

aid (2004) aid infodienst fuumlr Ernaumlhrung Landwirtschaft und Verbraucherschutz eV (Hrsg) Besserwissers Kuumlhlschrank Bestell-Nr 3462 Bonn

Bartsch S (2011) Jugendliche Essende im Fokus der Ernaumlhrungsbildung BeKi-Jahrestagung 2011 in Stuttgart Hohenheim

Bartsch S Buumlning-Fesel M Cremer C Heindl I Lambeck A LuumlhrmannP Oepping A Rademacher C amp Schulz-Greve S (2013) Ernaumlhrungsbildung - Standort und Perspektiven Ernaumlhrungs-Umschau 60 S M 84-M 94

Gudjons H (1998) Didaktik zum Anfassen Lehrerin ndash Persoumlnlichkeit und leben-diger Unterricht Bad Heilbrunn Klinkhardt

Gudjons H (1997) Handlungsorientiert lehren und lernen Schuumlleraktivierung ndash Selbsttaumltigkeit - Projektarbeit Bad Heilbrunn Klinkhardt

Heseker H (Hrsg) (2005) REVIS-Modellprojekt Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen 2003-2005 Schlussbericht fuumlr das Bundesmi-nisterium fuumlr Verbraucherschutz Ernaumlhrung und Landwirtschaft Paderborn

Schulkuumlche als Lernumgebung

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Leisen J (2010) Das Lehr-Lernmodell in den naturwissenschaftlichen Fachsemi-naren Studienseminar Koblenz [wwwleisenstudienseminar-koblenzde]

Leisen J (2011) Kompetenzorientiert unterrichten ndash Fragen und Antworten zu kompetenzorientiertem Unterricht und einem entsprechenden Lehr-Lernmodell Naturwissenschaften im Unterricht Physik 123124 S 4-10

Leisen J (2013) Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen Vortrag in Schwauml-bisch-Gmuumlnd am 12713 [wwwlehr-lern-modellde]

Maier U (2012) Lehr-Lernprozesse in der Schule Studium Bad Heilbrunn Klinkhardt

Methfessel B (2004) Esskultur und familiale Alltagskultur [httpswwwfamilienhandbuchdecmsErnaehrung_Esskulturpdf_blank]

Weinert F (2001) Leistungsmessungen in der Schule Weinheim-Basel Beltz

Verfasserinnen

Barbara Dittrich Barbara Franta und Profin Dr Petra Luumlhrmann

Paumldagogische Hochschule Schwaumlbisch Gmuumlnd Institut fuumlr Gesundheitswissenschaften Abteilung Ernaumlhrung Konsum und Mode Oberbettringer Str 200 D-73525 Schwaumlbisch Gmuumlnd E-Mail barbaradittrichph-gmuendde barbarafrantaph-gmuendde

petraluehrmannph-gmuendde Internet wwwph-gmuendde

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Larissa Kessner und Melanie Braukmann

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen Der Artikel beschreibt den Einsatz der Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht Die Kar-tei wurde fuumlr die Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche ndash Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8ldquo entwickelt und unterstuumltzt selbststaumlndiges Lernen Anhand vier ausge-waumlhlter Beispiele wird dargestellt wie Schuumllerinnen und Schuumller mit den Karten arbeiten und diese in ihren individuellen Lernprozess einbinden

Schluumlsselwoumlrter Kuumlchenkartei SchmExperten Experimente Binnendifferenzierung

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1 Selbststaumlndig lernen mit der Kuumlchenkartei

Die Kuumlchenkartei1 des aid infodienst e V liefert alle wesentlichen Informationen und Anleitungen die Schuumllerinnen und Schuumller fuumlr das Arbeiten in der Kuumlche benouml-tigen Aussagekraumlftige Fotos und leicht verstaumlndliche Texte verdeutlichen wichtige Hygieneregeln den Einsatz verschiedener Arbeitsgeraumlte allgemeine Arbeitstechni-ken und den Umgang mit ausgewaumlhlten Lebensmitteln

Da die Kuumlchenkartei fuumlr die aid-Unterrichtsreihe bdquoSchmExperten in der Lernkuuml-cheldquo entwickelt wurde thematisiert sie solche Geraumlte Techniken und Lebensmittel die in diesem Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen Die Kuumlchenkartei ist Be-standteil des Medienpaketes bdquoSchmExperten in der Lernkuumlche

Steckbrief zu den SchmExperten in der Lernkuumlche bull unterrichtsbegleitendes Material zur Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulen bull Zielgruppe Schuumllerinnen und Schuumller der Jahrgangsstufen 6 bis 8 aller Schulformen und

Bundeslaumlnder bull curriculare Einbindung im Fachunterricht und Wahlpflichtbereich zB Hauswirtschaft

Verbraucherbildung Hauswirtschaft und Soziales Arbeitslehre Arbeit-Wirtschaft-Technik bull kompetenzorientiert mit Moumlglichkeiten zur Binnendifferenzierung bull individuell veraumlnderbare Arbeitsblaumltter auf CD-ROM bull Kuumlchenkartei mit 47 Karten zu den wichtigsten Fachinhalten in Wort und Bild bull Kernstuumlck Lebensmittel und Kuumlchengeraumlte mit allen Sinnen erforschen selbststaumlndig

warme Speisen zubereiten und dabei Rezepte variieren bull Ziel Kuumlchenfertigkeiten und Lebensmittelkenntnisse so vermitteln das die Schuumllerinnen

und Schuumller Speisen gesundheitsorientiert bewerten mit Freude zubereiten und genieszligen koumlnnen

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Tab 1 Themen ausgewaumlhlte Inhalte und Rezepte der SchmExperten in der Lernkuumlche

Thema Inhalte Rezepte

1 Startklar im Team

Portfolio Essknigge Hygiene und Aufraumlumen Krallengriff

Wraps leicht gemacht

2 Getraumlnke ndash Ohne Zucker kein Geschmack

Trinkgewohnheiten Energiespartipps und Sicherheit Rezeptaufbau Messen und Wiegen Etikett und Zutatenliste

Cooler Eistee

3 Gemuumlse ndash Auch im Winter frisch auf den Tisch

5 am Tag und Saisonalitaumlt Einkaufszettel Arbeitsplatzgestaltung Schneiden Kochen Duumlnsten

Gemuumlsesuppe mit Biss Veggietasche mit Soszlige Salat mit Sattwerdgarantie

4 Getreide ndash Typisch italienisch

Getreidevielfalt interkulturelle Aspekte Kraumluter und Gewuumlrze Vollkorn und Saumlttigung

Italienische Gemuumlsebolognese mit Nudeln Feurige Asiapfanne mit Reis Orientalische Kichererbsenpfanne mit Couscous

5 Kartoffeln ndash Frisch oder aus der Tuumlte

Kaufen versus selber machen Mahlzeiten planen Kochen Braten und Backen

Knusprige Kartoffelecken Bunte Kartoffelpuffer Cremiges Kartoffelcurry Salat- und Diprezepte

6 Milch ndash Mindestens haltbar bis

Zutatenmengen umrechnen Muumlllvermeidung und Klimaschutz Mindesthaltbarkeit und Verbrauchsdatum Kuumlhllagerung und Lebensmittelhygiene Naumlhrwerttabelle

Gefuumlllte Pfannkuchen Fruchtiger Milchreis Uumlberbackene Bruschetta

7 Abschlussbuumlfett ndash Kreativitaumlt gewinnt

Speisen fuumlr ein Buumlfett variieren Portfolios praumlsentieren Schulverpflegung bewerten Einkaufstipps

Alle Rezepte

8 aid-Ernaumlhrungs-pyramide

Kernbotschaften der Pyramide Handmaszlig fuumlr Portionsgroumlszligen Bewegungsverhalten Essgewohnheiten reflektieren

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Der aufstellbare Ringordner zur Kuumlchenkartei gliedert sich in fuumlnf verschiedene Themen Unter dem Begriff bdquoSauberkeitldquo sind Inhalte zum hygienischen Arbeiten in der Kuumlche zusammengefasst ndash beginnend mit der persoumlnlichen Hygiene uumlber die Arbeitsplatzhygiene bis hin zur hygienischen Zubereitung Weitere Rubriken greifen Arbeitsgeraumlte wie Kuumlchenwaage oder Vierkantreibe Arbeitstechniken zB das Putzen von Gemuumlse und ausgewaumlhlte Lebensmittel auf Hier zeigen Step-by-Step-Fotos wie bestimmte Lebensmittel vor- und zubereitet werden Unter bdquoExtrasldquo finden die Schuumllerinnen und Schuumller weitergehende Informationen zB zum Tischdecken oder zur aid-Ernaumlhrungspyramide

Insgesamt umfasst die Kuumlchenkartei 47 ndash teilweise doppelseitig bedruckte ndash DIN-A5-Karten Dem Unterrichtspaket bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo liegt dar-uumlber hinaus eine CD-ROM mit veraumlnderbaren Blanko-Karten bei Mit diesen Vorla-gen koumlnnen Lehrende und vor allem Lernende eigene Karten entwickeln und eben-falls im Ringordner abheften

Mit Hilfe der Kuumlchenkartei bull erarbeiten sich die Schuumllerinnen und Schuumller selbststaumlndig Inhalte (zB zur aid-

Ernaumlhrungspyramide) bull uumlberpruumlfen und ergaumlnzen die Jugendlichen selbststaumlndig ihre eigenen Arbeitsergebnisse

(zB Energiespartipps die von KuumlchenExperimenten abgeleitet werden) bull erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller praktische Hilfestellungen die ihrem Kompetenzni-

veau entsprechen (zB Erklaumlrung von Basistechniken wie Gemuumlse putzen ndash wer das schon kann braucht die Karte nicht)

bull gestalten die Lernenden eigene Karteikarten (zB Tipps fuumlr den Einkauf)

2 Eine Kartei ndash verschiedene Lernwege und Einsatzmoumlglichkeiten

Im Folgenden wird anhand exemplarisch ausgewaumlhlter Unterrichtsvorschlaumlge aus dem Unterrichtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo erlaumlutert wie sich die Kuumlchenkartei im fachpraktischen Unterricht einsetzen laumlsst

21 Experimentieren am Beispiel Raspeltest

Wie das Kunstwort bdquoSchmExpertenldquo (Schmecken + Experimentieren + Experte wer-den) verdeutlicht ist das Experimentieren ein wesentliches Merkmal der SchmEx-perten Neben zahlreichen SinnExperimenten bietet das Unterrichtsmaterial auch verschiedene KuumlchenExperimente mit Lebensmitteln und Kuumlchengeraumlten an

Beim Raspeltest werden die Schuumllerinnen und Schuumller beispielsweise vor die Frage gestellt bdquowie die Gurke in den Zaziki kommtldquo Zur Loumlsung der Aufgabe steht ihnen eine Vierkantreibe und eine Gurke zur Verfuumlgung So koumlnnen sie ausprobieren was die unterschiedlichen Seiten der Reibe bewirken und erarbeiten sich das Hobeln

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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Raspeln und Reiben Die Karte zur Vierkantreibe unterstuumltzt die Schuumllerinnen und Schuumller dabei dieses Arbeitsgeraumlt sicher einzusetzen und die verschiedenen Seiten richtig zu benennen Sie macht jedoch keine Vorgaben welche Seite der Vierkant-reibe sich fuumlr Gurken bzw fuumlr einen Zaziki am besten eignet Dies sollen die Schuumlle-rinnen und Schuumller auf Grundlage ihrer Ergebnisse selbst beurteilen

SinnExperimente wecken Neugier Das Experimentieren mit allen Sinnen ermoumlglicht Jugendlichen neue Lernzugaumlnge und schafft Lernmotivation Dabei testen die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Lebensmittel mit allen Sinnen und notieren was sie wahrnehmen

Fuumlr SinnExperimente eignen sich unverarbeitete und auch verarbeitete Lebensmittel So lassen sich verschiedene Verarbeitungsformen auch aus oumlkologischer ernaumlhrungsphysiologi-scher und hauswirtschaftlicher Sicht sowie im Kontext nachhaltigen Handelns diskutieren KuumlchenExperimente trainieren Fach- und Methodenkompetenz Im Mittelpunkt der KuumlchenExperimente steht die Erforschung von physikalischen chemi-schen und biologischen Zusammenhaumlngen die bei der Nahrungszubereitung eine Rolle spie-len Dabei koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller auch Schritte ausprobieren die bei der ei-gentlichen Rezeptzubereitung wenig zielfuumlhrend waumlren

Das Besondere dabei ist dass die Lernenden sowohl naturwissenschaftliche Arbeitsme-thoden als auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten trainieren koumlnnen Wenn mit Lebensmitteln in der ein oder anderen Weise umgegangen wird (zB laumlngere Garzeiten fuumlr haumlrteres Gemuumlse) oder Kuumlchengeraumlte in bestimmter Weise zum Einsatz kommen (zB Toumlpfe immer mit De-ckel) dann stehen meist naturwissenschaftliche Gesetzmaumlszligigkeiten dahinter die es zu verste-hen und dann im Alltag anzuwenden gilt

22 Binnendifferenzierung am Beispiel Pellkartoffeln

Die Schuumllerinnen und Schuumller unterscheiden sich stark in ihren manuellen Geschick-lichkeiten Manche koumlnnen bereits kleine Menuumls alleine zubereiten anderen haben noch keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln

So sind besonders im haushaltsbezogenen Unterricht die unterschiedlichen Kenntnis-se der Jugendlichen die bereits vorhandenen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Werthaltun-gen das vermeintliche Expertenwissen und das in Herkunftshaushalten und Medien gepraumlgte Alltagsverstaumlndnis der Inhalte bedeutsam fuumlr die Konzeption von Lernpro-zessen (Leutnant 2012 S 66)

Die Kuumlchenkartei kann die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schuumllerinnen und Schuumller beruumlcksichtigen indem sie jederzeit als Nachschlagewerk zur Verfuuml-gung steht Wenn die SchmExperten fuumlr ein SinnExperiment beispielsweise Pellkar-toffeln brauchen finden Kuumlchenneulinge auf der Karte bdquoPellkartoffeln kochenldquo eine schrittweise Anleitung mit Fotos und kurzen Erlaumluterungen Jugendliche mit mehr Erfahrung koumlnnen zunaumlchst auf diese Hilfestellung verzichten Ihnen stellt sich viel-leicht erst zum Ende der Zubereitung die Frage woran sie erkennen dass ihre Kar-toffeln gar sind Auch hier hilft dann die Kuumlchenkartei mit der Karte bdquoGarprobeldquo

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Somit handelt es sich bei den Karteikarten um differenzierende Unterrichtsmate-rialien die einen wichtigen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts bedeuten koumlnnen Laut Leutnant (2012 S 67) muss ein individualisierter Unterricht neben den differenten Lernvoraussetzungen auch die unterschiedlichen Interessens-lagen und vor allem die individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen be-ruumlcksichtigen

23 Rezepte variieren am Beispiel Gemuumlsesuppe

Obwohl die Zubereitung warmer Speisen zu den Kernkompetenzen der SchmEx-perten zaumlhlt enthaumllt das Unterrichtsmaterial eine uumlberschaubare Auswahl an Re-zepten Diese dienen exemplarisch dazu wichtige Basistechniken und das Arbeiten nach Anleitung zu trainieren Dabei laumlsst die Formulierung der Rezepte den Schuuml-lerinnen und Schuumllern insbesondere in Bezug auf Obst und Gemuumlse so viele Frei-raumlume wie moumlglich Daruumlber hinaus finden sich auf allen Rezepten Ideen zur Va-riation von Speisen die die Jugendlichen anregen sollen selbst kreativ zu werden

Das Rezept fuumlr Gemuumlsesuppe ist beispielsweise so konzipiert dass es mit den verschiedensten Gemuumlsesorten gelingt Diese Freiheit ist noumltig um saisongerechtes Gemuumlse verwenden zu koumlnnen Dies soll den Jugendlichen aber auch ermoumlglichen das Rezept nach ihren Vorlieben und Beduumlrfnissen abzuwandeln Statt einer klaren Vorgabe wie welches Gemuumlse vorbereitet werden soll erhalten die Schuumllerinnen und Schuumller deshalb lediglich allgemeine Anweisungen wie bdquoGemuumlse waschen putzen und falls noumltig schaumllenldquo oder bdquohartes Gemuumlse kleiner schneiden damit es schneller weich wirdldquo

Die Kuumlchenkartei dient in diesem Fall dazu die allgemeinen Anweisungen zu konkretisieren und die Fragen aufzufangen die sich bei der Abwandlung von Rezep-ten ergeben Sie zeigt was bdquoGemuumlse putzenldquo bedeutet welches Gemuumlse geschaumllt werden muss oder wie der Puumlrierstab zu bedienen ist wenn sich die Jugendlichen fuumlr eine cremige Variante der Suppe entscheiden

Die eigenstaumlndige Variation von Rezepten foumlrdert nicht nur die Motivation und Begeisterung sondern auch die Selbststaumlndigkeit und Methodenkompetenz der Schuuml-lerinnen und Schuumller

24 Selbstkontrolle am Beispiel Hygiene

Neben praktischen Anleitungen bildet die Kuumlchenkartei auch theoretische Grundla-gen und unverzichtbare Hygiene- und Sicherheitshinweise ab Ziel ist es hierbei den Sinn bestimmter Regeln und Vorgaben zu verstehen und anwenden zu koumlnnen Die SchmExperten erarbeiten sich die wichtigsten Maszlignahmen zur persoumlnlichen Hygiene deshalb in Form eines Expertenpuzzles

Dabei uumlbernimmt in jeder Arbeitsgruppe ein Jugendlicher die Rolle des bdquoHygie-newaumlchtersldquo und erarbeitet in drei Schritten einen Hygiene-Check Zunaumlchst uumlberlegt

Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche

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sich jeder Hygienewaumlchter alleine eine Loumlsung Anschlieszligend findet eine Partnerar-beit mit Bildkarten statt bevor alle Hygienewaumlchter ihre Ergebnisse vergleichen und gemeinsam eine Checkliste erarbeiten Dieses dreistufige Vorgehen foumlrdert und er-leichtert das kooperative Lernen (vgl Bartsch 2012 S 61)

Die Kuumlchenkartei dient den Schuumllerinnen und Schuumller hierbei zur Selbstkontrol-le Sie uumlberpruumlfen ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse mit Hilfe der passenden Karten Bei Bedarf ergaumlnzen sie daraufhin ihre eigene Checkliste oder erstellen eine eigene Karteikarte mit einem auf ihre Anforderungen abgestimmten Hygiene-Check Ist die Kartei im weiteren Unterrichtsverlauf stets verfuumlgbar bleibt auch der Hygie-ne-Check praumlsent und kann jederzeit wiederholt und abgerufen werden

3 Schritt fuumlr Schritt zu mehr Selbststaumlndigkeit

Die gesamte Unterrichtsreihe betrachtet die Schuumllerinnen und Schuumller als Akteure ihres eigenen Lernprozesses und stellt sie mit ihren Beduumlrfnissen ihrer Lebenswelt ihrem biografischen Hintergrund und ihren Lebensmoumlglichkeiten in den Mittelpunkt

Die Lehrenden uumlbernehmen dabei die Rolle des Moderators der die Schuumllerin-nen und Schuumller begleitet lenkt und motiviert

Lehrpersonen sind fuumlr die Bereitstellung von didaktisch-methodisch durchdachten Unterrichtsarrangements verantwortlich die ein exemplarisches und strukturiertes Lernen an geeigneten Beispielen ermoumlglichen Dabei veraumlndert sich allerdings das Lehr-Lernverhaumlltnis so begleiten und uumlberzeugen Lehrende den Lernprozess durch ihre Fachexpertise bei Moderation Anleitung Beratung etc (Bartsch 2012 S 57)

Ziel des Unterrichtsmaterials ist es jedem Einzelnen Perspektiven und Moumlglichkei-ten aufzuzeigen wie er oder sie seinen bzw ihren physiologischen Bedarf nach aus-gewogenem Essen und Trinken mit den individuellen Beduumlrfnissen in Einklang brin-gen kann

Die Kuumlchenkartei kann Lehrkraumlfte dabei unterstuumltzen auch im fachpraktischen Unterricht eine moderierende Rolle einzunehmen Wie die zahlreichen Schultests mit dem Material gezeigt haben ist die Kuumlchenkartei jedoch kein bdquoSelbstlaumluferldquo Waumlh-rend der praktischen Zubereitung sind die Schuumllerinnen und Schuumller haumlufig versucht ihre Lehrkraft um eine schnelle Anleitung zu bitten anstatt Arbeitsanleitungen genau zu lesen und bei Unklarheiten zunaumlchst die Kuumlchenkartei zu Hilfe zu nehmen

Deshalb ist es wichtig die Kuumlchenkartei zu Beginn einer praktischen Unter-richtsreihe ausfuumlhrlich einzufuumlhren und im weiteren Verlauf immer wieder auf sie zu verweisen Fragechips koumlnnen die Schuumllerinnen und Schuumller motivieren zuerst selbst nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen Wenn jede Gruppe pro Stunde beispiels-weise nur vier Chips erhaumllt wird sie versuchen nach eigenen Loumlsungswegen zu su-chen bevor die Lehrkraft zurate gezogen wird Natuumlrlich schlieszligt dieses Vorgehen nicht aus dass die Lehrkraft auch direkte Unterweisungen gibt wenn sie diese fuumlr angebracht und effektiver haumllt

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4 Fazit

Wie die vier ausgewaumlhlten Beispiele zeigen unterstuumltzt die Kuumlchenkartei schuumllerori-entiertes Lernen und selbststaumlndiges Arbeiten Sie ergaumlnzt damit optimal das Unter-richtsmaterial bdquoSchmExperten in der Lernkuumlcheldquo Als Nachschlagewerk und Selbst-lernprogramm laumlsst sie sich aber auch unabhaumlngig davon sehr flexibel im fachpraktischen kompetenzorientierten Unterricht einsetzen

Anmerkung 1 Idee und Konzept der Kuumlchenkartei Susanne Gruumlnwald

Literatur

Bartsch S (2012) Subjektorientierung Ein Beitrag zur kompetenzorientierten Auf-gabengestaltung in der Verbraucherbildung Haushalt in Bildung amp Forschung 3 52-64

Kessner L Braukmann M Bruumlggemann I (2012) SchmExperten in der Lernkuuml-che Ernaumlhrungsbildung in den Klassen 6 bis 8 Bonn aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Kessner L Braukmann M Wanzek P (2012) Die Kuumlchenkartei Bonn aid info-dienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz

Leutnant S (2012) Selbstdifferenzierende Aufgabenformate im kompetenzorien-tierten Unterricht Haushalt in Bildung amp Forschung 3 65-76

Fuumlr die Verfasserinnen

Dipl-Oecotrophin Larissa Kessner

aid infodienst Ernaumlhrung Landwirtschaft Verbraucherschutz eV

Heilsbachstr 16 D-53123 Bonn

E-Mail lkessneraid-mailde Internet wwwaidde

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis

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Barbara Methfessel und Kirsten Schlegel-Matthies

Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im folgenden Beitrag sollen einige grundlegende Aspekte der Esskultur1 vorgestellt werden um darauf aufbauend an Beispielen aus dem Unterricht zu erlaumlutern welche Bedeutungen diese kulturellen Voraussetzungen fuumlr die Fachpraxis haben

Schluumlsselwoumlrter Handwerkliche Praxis der Nahrungszubereitung Esskultur Theorie-Praxis-Verknuumlpfung

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Fachpraxis gilt als beliebte Alternative zum sog Theorie-Unterricht und wird oft nach dem Motto sbquoLieber mit der Hand gemacht als daruumlber nachgedachtlsquo erledigt Die intendierten Lernprozesse beinhalten Forderungen an sbquodas Kochenlsquo die von Schuumllerinnen und Schuumllern (leider auch von vielen Lehrpersonen) als unnoumltige Er-schwernis wenn nicht gar als Stoumlrung gesehen werden Tab 1 REVIS-Bildungsziel 3 (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung 2005)

3 Die Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung

Die Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage hellip sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzen

Dazu gehoumlrt dass sie hellip bull Mahlzeiten situations- und

alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen

bull Speisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten

bull Techniken der Nahrungszubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden

bull Informationen und Anleitungen kritisch reflektieren

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Lehrpersonen haben erfahrungsgemaumlszlig sehr unterschiedliche Anspruumlche an die Fach-praxis Falls sie nicht den leichteren Weg nehmen und die Jugendlichen sbquokochenlsquo lassen (bdquoDas brauchen die doch fuumlr ihr Lebenldquo) muumlhen sie sich ihnen grundlegende Fertigkeiten und deren theoretische Begruumlndung nahezubringen ndash abhaumlngig vom eigenen Grad der Professionalisierung

Im REVIS-Curriculum2 wurde der bisherige Zugang zur Fachpraxis entscheidend erweitert bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen handeln sicher bei der Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltungldquo Der sich hieraus ergebende Bildungsauftrag geht uumlber sbquoKochenlsquo hinaus und wird erst vollstaumlndig wenn die ange-strebte Kompetenz bdquoDie Schuumller und Schuumllerinnen sind bereit und in der Lage sich mit den kulturellen Voraussetzungen der Bedeutung und Funktion von Mahlzeiten auseinanderzusetzenldquo (s Tab 1) hinzukommt

1 Grundlagen eines sbquokulturellen Verstaumlndnisseslsquo der Nahrungszubereitung3

Menschen sind von Natur aus sbquoKulturwesenlsquo Als sbquoinstinktlose Omnivoren (Alles-fresser)lsquo benoumltigen sie Wissens- und Handlungsstrukturen die es ermoumlglichen die alltaumlgliche Versorgung mit Nahrung zu sichern Diese Strukturen sind grundlegende Legitimation dafuumlr dass Ernaumlhrungsbildung Teil des verbindlichen gesellschaftli-chen sbquoKulturwissenslsquo sein muss gleichberechtigt zu Sprachen Mathematik oder Informatik (vgl Barloumlsius 2011 Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies 2011)

Die geforderten Wissens- und Handlungsstrukturen muumlssen durch leitende Werte und Ziele definiert werden Vorherrschende Begruumlndungen basieren in der Schulkuuml-che meist (falls nicht vorrangig auf Erfahrungen der Lehrkraft) auf natur- und ar-beitswissenschaftlichen Grundlagen ergaumlnzt durch politische Ziele (wie zB Nach-haltigkeit) ndash alles ohne Einordnung in einen groumlszligeren auch kulturellen Zusammenhang Kulturelle Zusammenhaumlnge ermoumlglichen aber erst die Strukturie-rung und Analyse und sind deshalb fuumlr die Ausgestaltung der Fachpraxis zentral

Drei Institutionen des Essens Menschen regeln ihre Wertung von Nahrungsmitteln deren Zubereitung und Ver-zehr uumlber drei Institutionen (vgl Barloumlsius 2011 S 93ff)4

(1) Die kulturelle Bestimmung von bdquoessbarldquo und bdquonicht essbarldquo

Menschen als sbquoOmnivorenlsquo koumlnnten mehr Nahrungsmittel nutzen als sie kennen koumlnnen Dies fuumlhrt dazu dass kulturell bestimmt wird welche Nahrungsmittel ak-zeptiert werden und welche nicht Neben Vertraumlglichkeit und Oumlkonomie (Effizienz des notwendigen Arbeitseinsatzes) gibt es eine Vielzahl von offiziellen (zB religiouml-sen politischen) und inoffiziellen (zB Tabus Moden) Reglementierungen Entspre-chend ist die Nahrungsauswahl auch ein Ausdruck von Normen und Werten bis hin zu den Bewertungen dazu was sbquomanlsquo (wer in welcher Situation) isst oder nicht isst

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Auf dieser Basis entwickelt sich Geschmack welcher dann der sozialen Distink-tion dient Subjektiv wird dieser Zusammenhang selten bewusst wahrgenommen Jugendliche kennen zwar auch sbquoEss-Modenlsquo aber sie empfinden ihre Auswahl zu-naumlchst als selbstverstaumlndlich als Ausdruck ihres sbquoGeschmackslsquo Sie wissen und ver-stehen weder die naturwissenschaftlichen noch die kulturellen Hintergruumlnde fuumlr die sbquoEntwicklung von Geschmacklsquo ndash wie viele Lehrpersonen leider auch nicht

In der Nahrungszubereitung dient die Konfrontation mit Nahrungsmitteln Ge-richten und Geschmaumlckern auch der Entwicklung und Erweiterung eines sbquokulturellen Geschmackslsquo als Teil kultureller Bildung Mit der Zubereitung von Gerichten wer-den nicht nur Kompetenzen angebahnt sondern auch Geschmaumlcker Wertungen und Zuschreibungen (gut ndash schlecht traditionell ndash modern Alltag ndash Sonntag etc) tradiert Ein Geschmack der sbquoHeimatlsquo der sbquoModernelsquo der sbquoGesundheitlsquo oder des sbquoExotischenlsquo wird so erworben ndash oder abgelehnt Geschmackserfahrungen gehen ndash mit Gefuumlhlen und Wertungen verbunden ndash in zunaumlchst unreflektierte sbquoGrundstimmungenlsquo (u a wichtig fuumlr Identitaumlt und Sicherheit) und -haltungen (Zuwendung Abwehr etc) so-wie damit verbundene Handlungsmuster uumlber Erst wenn diese Zusammenhaumlnge verstanden werden kann die eigene Entwicklung als sbquogewordenelsquo reflektiert und die Nahrungszubereitung gezielt zur Erweiterung der Akzeptanzen genutzt werden

(2) Die Kuumlche als kulturelles Regelwerk

Kuumlchen sind sowohl Raumlume mit spezifischer technologischer Ausstattung als auch Bezeichnung fuumlr typische Arten und Weisen der Zubereitung die uumlberdies Botschaf-ten beinhalten (Sprache der Kuumlche) In beider Hinsicht sind sie soziokulturelle Phauml-nomene mit entsprechenden Charakteristika und dienen der kulturellen und sozialen Identitaumlt bdquoZwischen Beduumlrfnis (Hunger) und Befriedigung (Essen und Trinken) setzt der Mensch das ganze kulturelle System der Kuumlcheldquo betont Tolksdorf (1976 S 67) und hebt damit hervor dass die Auswahl Bearbeitung und Zusammenstellung von Lebensmitteln zu Speisen und Mahlzeiten einem komplizierten und differenzierten Regelwerk unterliegt

Obwohl viele Nahrungsmittel in vielen Laumlndern aumlhnlich oder gleich sind (wie zB Huumllsenfruumlchte Getreide) schmecken die daraus bereiteten Gerichte aufgrund der unterschiedlichen sbquoKuumlchenlsquo voumlllig anders (vgl Schlegel-Matthies 2002) Die Verarbeitung mit teuren Zutaten (fruumlher oft Eier und Fett heute seltene Zutaten) und mit einem houmlheren Aufwand (Arbeit Zeit Wissen und Fertigkeiten) kann zur Auf-wertung fuumlhren (vgl Roumlszligler-Hartmann 2012)

In der Nahrungszubereitung finden diese Aspekte ihren Platz durch vorgegebene leitende Werte und damit verbundene Rezepte sbquoGesundelsquo Rezepte sind fett- und sbquonachhaltigelsquo fleischaumlrmer sbquotraditionellelsquo sind eher fett- und fleischreicher Alltags-speisen beanspruchen weniger Wissen und Zeit als Feiertagsspeisen etc Dabei sind Werte wie sbquogesundlsquo meist unhinterfragt gesetzt werden aber durch andere Werte wie sbquofestlichlsquo sbquoschmackhaftlsquo sbquoexotischlsquo etc verdraumlngt bzw ausnahmsweise ausgesetzt Kuumlchentechniken werden entweder arbeitswissenschaftlich begruumlndet (rationell

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sicher hygienisch) oder mit dem schlichten Hinweis bdquoDas macht man soldquo So kann der kulturelle Hintergrund schnell verdeckt werden

(3) Die Mahlzeit als soziale Institution

Mahlzeiten dienen der Herstellung und Bewahrung von Gemeinschaft und Zugehouml-rigkeit In ihren unterschiedlichen Elementen den Tischgemeinschaften-sitten und -gespraumlchen) ihren Auspraumlgungen in Alltag und Festtag ihrer haumlus-lichfamiliaumlren und auszligerhaumluslichen Erscheinungsform haben sie eine soziokulturell strukturierende Bedeutung (vgl Barloumlsius 2011 S 172ff Schlegel-Matthies 2002 2011)

Eine integrierende bzw ausgrenzende Funktion haben die Bestimmungen wer wann wo in welchem Rahmen zusammen isst sowie die Tischsitten Die Bedeutung der Letzteren ist so stark dass von vielen Menschen sbquoEsskulturlsquo vor allem mit dem Benehmen bei Tisch verbunden wird Dabei sind die Regeln bei genauerer Betrach-tung von den jeweiligen sozialen Zusammenhaumlngen abhaumlngig Sie hatten und haben u a die Aufgabe die soziale Stellung angemessen wiederzugeben Heute gelten zB traditionelle buumlrgerliche Regeln will man sich nicht im Restaurant blamieren oder anderen Menschen denen sie wichtig sind sbquovor den Kopf stoszligenlsquo

Die Nahrungszubereitung ist im Unterricht haumlufig mit gemeinsamem Essen ver-bunden wobei eine Einfuumlhrung in diese sbquoKultur des Essenslsquo erfolgen soll Deren Beherrschung ist haumlufig eine Voraussetzung fuumlr die soziale Akzeptanz von Men-schen ihre Vermittlung ist damit Teil des demokratischen Auftrags von Schule Die hinter den (sozio-kulturell unterschiedlichen) Regeln verborgenen Zusammenhaumlnge sind allerdings wenig bekannt und selten beruumlcksichtigt

Das Bildungsziel zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahl-zeitengestaltung verlangt mehr als die mehr oder (meist) weniger reflektierte Ver-mittlung vorherrschender (sozio-)kultureller Standards auf dem Stand der biogra-phisch erworbenen Erfahrung der Lehrkraft Erfahrungswissen ist wertvoll aber begrenzt (vgl Brandl 2012) Professionalitaumlt verlangt auch bei der Nahrungszuberei-tung Hintergrundwissen Wissen zu natur- und arbeitswissenschaftlichen Zusam-menhaumlngen ist weitgehend als notwendig akzeptiert Es wird aber weniger reflektiert dass und wie auch dieses Wissen kulturellen Einfluumlssen unterliegt Eine solche Re-flexion kann fuumlr einen gelingenden Unterricht hilfreich und das Wissen damit auch notwendig sein

2 Unterschaumltzte Grundwiderspruumlche

21 Professionalitaumlt versus Alltagswissen und -routinen

Jugendliche haben Erfahrungen (zB aus dem Elternhaus oder aus dem Fernsehen) oder Vorstellungen (darunter auch spontane Planungen) wie Nahrung bearbeitet und zubereitet werden kann ndash und sind oft stolz darauf Die haumlusliche Nahrungszuberei-

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tung ist nicht systematisch und rationell organisiert sondern von Raumgestaltung Alltagsroutinen und auch von der Vermischung mit anderen Arbeitsgaumlngen abhaumln-gig Die Ausstattung der Kuumlchen ndash und damit auch Kenntnis und Nutzung einzelner Geraumlte ndash ist entsprechend unterschiedlich

Wenn im Bildungsziel 3 (siehe Tab 1) formuliert ist bdquoTechniken der Nahrungs-zubereitung kennen verstehen reflektieren und anwenden koumlnnenldquo dann sind damit mehr kulturelle Strukturen verbunden als auf den ersten Blick erkennbar Die (im Elternhaus) erlernten Praktiken entsprechen haumlufig nicht professionellen Kriterien die in der Schulkuumlche die Arbeit leiten sollten Die Begruumlndung dafuumlr warum in der Schule professionelle Techniken vorgezogen und damit auch Handlungsalternativen geboten werden und die Unterscheidung zwischen sbquoVerbesserunglsquo von Arbeitspro-zessen sowie nicht verhandel- aber begruumlndbaren Grundlagen von Hygiene und Sicherheit kommen meist zu kurz Eine bloszlige Gegenuumlberstellung von sbquorichtiglsquo und sbquofalschlsquo kann Widerstand wecken Die explizite Gegenuumlberstellung haumluslicher und professioneller Arbeitstechniken die eine Analyse ihrer Unterschiedlichkeit auf-grund verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen zur Grundlage hat ermoumlg-licht beides zu respektieren

Arbeits- und Gartechniken beruumlcksichtigen zB Kriterien wie Arbeitsersparnis Naumlhrstoffschonung oder Geschmack Damit neue Arbeitsprozesse als Erleichterung wahrgenommen werden muumlssen sie Teil der Alltagsroutinen werden Erst dann werden sie Handlungsalternativen Mit offenen Diskussionen daruumlber dass Schule Wissen und Koumlnnen erweitern soll und Unterricht daher keine Spiegelung privater Verhaltensweisen zum Ziel hat sondern Reflexion und Entscheidungsfaumlhigkeit daruumlber kann die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen gefoumlrdert werden Viele Dinge werden klar wenn man die mit ihnen verbundene Arbeitslogik offen legt Der Umgang mit professionellen Kochmessern ist fuumlr Studierende und Jugendliche oft ungewohnt und zunaumlchst befremdlich Sie fuumlhlen sich mit einem kleinen Messer sicherer Man kann zB demonstrieren dass man mit einem kleinen und schmalen Messer auf einem kleinen Brett nicht sinnvoll und auch nicht sicher Gemuumlse schneiden kann Der Umgang mit einem Kochmesser erfordert eine gute Einwei-sung und Uumlbung (vgl Tornieporth 1993) Motivation dazu koumlnnen zB Koch-shows bieten in denen mit solchen Messern gearbeitet wird Voraussetzung ist allerdings dass gute (scharfe) Kochmesser in den Schulkuumlchen nicht nur vorhan-den sind sondern von den Lehrpersonen auch beherrscht und genutzt werden An dem beliebten sbquoHausfrauen-Allzweck-Suppenloumlffellsquo kann und sollte analysiert werden dass man mit ihm auf einem Topfboden nur Kratzspuren hinterlassen und keine Masse mischen kann Schneebesen sind dazu sinnvoller Es gilt entscheiden zu koumlnnen wann man nur kurz umruumlhren und probieren oder wann man Ansetzen vermeiden oder mischen will

Die Entwicklung einer Haushaltstechnik und Arbeitsorganisation sollte der Ar-beitserleichterung im Haushalt dienen Beide druumlcken kulturelle Errungenschaften aus die erlernt und eingeuumlbt werden koumlnnen Werden diese Zusammenhaumlnge klar-

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gestellt ohne den haumluslichen Alltag abzuwerten kann auch die Einhaltung von Regeln leichter werden Dabei sollte auch nicht geleugnet werden dass die ar-beitswissenschaftliche Logik die sich meist auf einzelne Arbeitsprozesse bezieht nicht immer kompatibel ist mit einer sbquoLogik des Alltagslsquo in diesem Alltag sind komplexe Situationen zu bewaumlltigen

22 Buumlrgerliche Kultur und einfache Alltagskuumlche

Die Haushaltslehre orientiert sich in weiten Bereichen an den Normen der buumlrgerli-chen Haushaltsfuumlhrung Bezogen auf eine kulturelle Sozialisation und Integration oder auf eine spaumltere Berufstaumltigkeit kann dies auch sinnvoll sein sollte aber nicht unreflektiert geschehen

Rezepte Gerichte und Mahlzeitengestaltung waren immer durch die unterschied-lichen Lebensbedingungen und -stile bestimmt In reichen Haushalten durfte die Bruumlhe den Appetit anregen in anderen musste eine dicke Suppe den (ersten) Hunger stillen damit Fleisch und andere Lebensmittel gespart werden konnten Wer wenig Zeit und Geld hatte konnte sich auch keinen groszligen Aufwand bei der Nahrungszu-bereitung leisten Wenige Menschen wissen dass das mehrgaumlngige Menu mit geson-dertem Geschirr und Besteck fuumlr jeden Gang in Schuumlsseln aufgetragen auf einen Tisch auf dem eine Tischdecke und Stoffservietten liegen einer Norm aus dem 19 Jahrhunderts folgt Und diese Norm entstand in Haushalten in denen Dienstboten die damit verbundene Arbeit uumlbernahmen Heutige Jugendliche merken zu Recht an dass sie mit den Servierschuumlsseln und -platten mehr Arbeit haben als wenn die Kochtoumlpfe und Pfannen auf den Tisch gestellt werden Nach welchen Regeln das Essen auf den Tisch kommt sollte nicht (nur) die Wiederholung buumlrgerlicher Nor-men beinhalten sondern auch deren Reflexion ndash und damit auch die Suche nach arbeitssparenden Alternativen fuumlr den Alltag in Haushalten (Teller auffuumlllen in der Kuumlche aumlsthetische Bewertung von Kochgeschirr etc) Die Teilkompetenz bdquoMahlzei-ten situations- und alltagsgerecht planen und herstellen koumlnnen und die zu leistende Arbeit und Gestaltung wertschaumltzen koumlnnenldquo (s Tab 1) beinhaltet u a solche Uumlber-legungen Die Wertschaumltzung der Arbeit ist im doppelten Sinn geboten (1) Nur wer erkennt dass Nahrungszubereitung auch Freude machen kann und ein wichtiger Teil der Selbstbestimmung daruumlber ist was gegessen wird wird auch bereit sein sich die notwendigen Kompetenzen so anzueignen dass die Arbeit sbquoleicht von der Hand gehtlsquo (2) Die Wertschaumltzung derer ist geboten die diese Arbeit leisten und den ande-ren damit Nahrung bieten Die heutige Familienkultur verhindert haumlufig dass damit verbundene Arbeit erkannt und anerkannt wird weil Kinder und Jugendliche haumlufig nicht mehr sehen wie Nahrung zubereitet wird sondern sie bdquojust in timeldquo vorgesetzt bekommen (vgl Roumlszligler-Hartmann 2007 S 224)

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23 Bewertungen und Qualitaumltskriterien

Mit der ersten Teilkompetenz bdquoSpeisen und Gerichte sowie die LM-Auswahl unter Beruumlcksichtigung von Sinnlichkeit Gesundheit und Nachhaltigkeit gestalten koumln-nenldquo (s Tab 1) sind drei Qualitaumltskriterien festgelegt

Fuumlr Jugendliche (und Studierende) enthaumllt der Hinweis bdquoMir schmecktrsquos aberldquo meist die Botschaft dass alle anderen Kriterien als unwichtig erachtet werden Geschmackswertungen sollten daher explizit von anderen Kriterien wie rationelle und hygienische Arbeitsorganisation Gesundheitswert getrennt werden Zudem sollte Geschmack ein eigenstaumlndiges Thema im Unterricht sein

Der Satz sbquoUumlber Geschmack laumlsst sich nicht streitenlsquo gilt durchaus wenn es um individuelle Praumlferenzen geht Wie diese entstehen und welche Unterschiede zur sensorischen Bildung bestehen ist eine gesonderte Frage Sensorische Bildung leitet an Unterschiede zu analysieren oder die Wirkung von Kombinationen unter-schiedlicher sensorischer Eindruumlcke (Geschmack Geruch Konsistenz etc) ken-nenzulernen ndash und nicht Praumlferenzen vorzuschreiben sbquoGeschmacksbildunglsquo dage-gen legt offen wie Geschmack entsteht was er bedeutet und wie man damit umgehen kann ndash dazu gehoumlrt auch dass und wie man ihn selbst aumlndern kann Sinn-lichkeit beinhaltet all dies und noch mehr Jugendliche sollen Freude am Essen und an der Nahrungszubereitung haben sollen genieszligen lernen denn das muss gelernt werden (vgl Bergler amp Hoff 2011 Houmlhl 2009) Sensorische Bildung und Ge-schmacksbildung gehoumlren zur Sinnlichkeit ebenso wie eine gute Beziehung zum Koumlrper (vgl Bartsch 2008 Methfessel 2002) Versteht man diese Zusammenhaumln-ge muss man sich nicht mehr wundern dass viele Jugendliche von sich aus wenig Interesse zeigen zu probieren und Wuumlrzmoumlglichkeiten zu variieren

Soziokulturelle Differenzen finden sich auch beim Ziel einer Gesundheitsfoumlr-derung Zum einen haben unterschiedlich vorhandene Ressourcen (Zeit Geld Kompetenzen) Einfluss auf das haumlusliche Essensangebot Zum anderen haben Ju-gendliche auch unterschiedliche Haltungen zur Bedeutung des Essens fuumlr die Ge-sundheit In Abhaumlngigkeit vom sozialen Milieu differiert was als sbquogutes Essenlsquo angesehen wird Waumlhrend zB Saumlttigung und Geschmack wichtige Kriterien fuumlr koumlrperlich Arbeitende sind orientieren Menschen aus Milieus mit houmlherem Bil-dungsniveau ihre Nahrung staumlrker an anderen Werten wie Gesundheit Schlankheit angesagten Ernaumlhrungskonzepten (vgl Barloumlsius 2011 Bourdieu 1993 Stieszlig amp Hayn 2005) Bei solchen Orientierungen spielen neben Wissen um die Bedeutung der Nahrung auch Vorstellungen uumlber die Kontrollierbarkeit von Koumlrper und Ge-sundheit eine Rolle (vgl Faltermaier 2005) Daneben ist auch festzustellen dass eine problematische soziale Lage und damit verbundene geringe Erwartungen an die Zukunft auch die Bereitschaft reduzieren kann das Essverhalten selbst zu kon-trollieren bzw kontrollieren zu lassen Wenn das Leben wenig Freuden bietet

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kann das Essen ein wichtiger bdquoFreudengeberldquo und eine bdquoBastionldquo der Selbstbe-stimmung sein5 Diese und andere Zusammenhaumlnge koumlnnen erklaumlren warum Ler-nende sehr unterschiedlich auf Vorgaben der Lehrkraft zum Thema Gesundheit reagieren

Mit dem dritten Kriterium der Nachhaltigkeit ist der Konflikt zwischen indivi-duellem Genuss und politischen Werten der Nachhaltigkeit (Beruumlcksichtigung globaler oumlkologischer sozialer und oumlkonomischer Zusammenhaumlnge) verbunden Jugendliche sind gegenwartsorientiert und viele suchen nach einfachen Wegen zum Wohlbefinden Die Reflexion der globalen Auswirkungen individuellen Konsums (zB bezogen auf Fleisch) und die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung muumlssen erst erlernt werden Damit wird dann ein wertvoller Beitrag zur Bildung fuumlr nachhaltige Entwicklung (BNE) geleistet Fuumlr Jugendliche ist allerdings nicht uumlber-zeugend wenn dies zB nur in einer einzelnen Unterrichtseinheit thematisiert wird dann einmalig Bio-Produkte zubereitet werden und das Kriterium sbquoNachhaltigkeitlsquo keinen Eingang in die handwerkliche Praxis ndash auch mit alltaumlglichen Umsetzungs-moumlglichkeiten ndash findet

Bei der Diskussion um Qualitaumlt und deren Bewertungskriterien sind auch wei-tere Bewertungen und Begruumlndungen welche den Jugendlichen wichtig sind zu erfragen und zu beruumlcksichtigen Dies kann alle Lebensbereiche betreffen religioumlse Vorgaben unterschiedliche Geschmackspraumlferenzen Gesundheitsvorstellungen Sinn und Qualitaumlt von (Halb-)Fertigprodukten etc Die Entwicklung und Begruumln-dung von Qualitaumltskriterien sind eine eigene Bildungsaufgabe Die didaktische Herausforderung liegt darin konstruktiv mit Widerspruumlchen zwischen Kriterien bzw zwischen schulischen Bildungszielen und Interessen von Jugendlichen umzu-gehen

3 Folgerungen

Aus den beschriebenen Zusammenhaumlngen erwachsen viele Herausforderungen an (angehende) Lehrpersonen Zunaumlchst muumlssen sie reflektieren welche kulturellen Muster ihr eigenes Verhalten leiten ndash und sich ggf das dazu notwendige Wissen aneignen Schon allein bei der Auswahl der Rezepte und der damit verbundenen Techniken bewegen sie sich meist nur in dem ihnen vertrauten Rahmen (Jugendli-che sollen zB alles probieren selten wird aber zubereitet was die Lehrkraft selbst nicht mag oder bei der Rezeptauswahl orientiert sie sich nicht an Lehr-Lernzielen und fragt auch nicht nach der Bedeutsamkeit des zu Erlernenden fuumlr die Jugendli-chen) Ein Verstaumlndnis der sbquokulturellen Gewordenheitlsquo schafft einerseits mehr Be-reitschaft sich anderen Gerichten und Techniken zu oumlffnen Anderseits gewinnen Lehrpersonen mehr Faumlhigkeiten mit den unterschiedlichen zu beachtenden Dimen-sionen der Nahrungszubereitung und den Widerspruumlchen zwischen diesen Dimen-sionen umzugehen und Alternativen entwickeln zu koumlnnen Diese Faumlhigkeiten sind

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notwendig um die vierte Teilkompetenz bdquoInformationen und Anleitungen kritisch reflektieren koumlnnenldquo (s Tab 1) verstehen und vermitteln zu koumlnnen Im Unterricht stehen sich oft Lehrpersonen und Jugendliche gegenuumlber die sehr unterschiedliche Erfahrungen Vorstellungen und Praumlkonzepte zu Haushaltsfuumlhrung und Nahrungs-zubereitung sowie zum Zusammenhang von Essen Koumlrper Gesundheit etc haben Der Umgang mit Widerspruumlchen erfordert mehr als eine rationale Argumentation Eine sbquokultursensiblelsquo Analyse und Reflexion sollte beruumlcksichtigen dass ndash direkte oder indirekte ndash Infragestellungen der familialen sozialen religioumlsen milieuspezi-fischen etc Kultur immer auch Identitaumlt und Selbstwertgefuumlhl beruumlhren

Die Legitimation der Ernaumlhrungsbildung als Teil der Naturwissenschaftlichen Bildung undoder die jeweilige wissenschaftliche Sozialisation verleiten Lehrperso-nen zu oft dazu nur arbeits- und naturwissenschaftliche Theorien zur Begruumlndung der Regeln fuumlr die Nahrungszubereitung heranzuziehen Damit unterliegen sie zwei Begrenzungen Zum einen werden das Alltagshandeln leitende kulturwissenschaftli-che Zusammenhaumlnge ausgeblendet ndash und damit auch ein Zugang zum Handeln und Verhalten der Lernenden verwehrt Zum anderen kann mit dem alleinigen (durchaus sinnvollen und notwendigen) naturwissenschaftlichen Denken (zB bei Experimen-ten) nicht die Komplexitaumlt des Alltags bewaumlltigt werden Kuumlstlers (2012) Bezug auf die MINT6 Faumlcher mag positiv bewertet werden erfasst aber nicht den vollstaumlndigen Fachauftrag welcher uumlber die MINT-Faumlcher hinaus geht

Es kann daher sinnvoll sein Kompetenzmodelle (zB Dachtler-Freiler amp Kuumlst-ler 2012) noch einmal daraufhin zu uumlberpruumlfen wieweit sie kulturelle Aspekte ex-plizit aufgenommen haben Die Kombination naturwissenschaftlicher Bezuumlge mit der Analyse und Reflexion der Entwicklung der Alltagskultur ist nicht nur sinnvoll son-dern bietet auch die fuumlr Lernprozesse notwendige Sinnhaftigkeit So kann zB die Kombination des Verstaumlndnisses der Lebensbedingungen von (Mikro)Organismen mit Wissen zur Denaturierung von Eiweiszlig viele Zusammenhaumlnge von Hygiene und Konservierung erklaumlren Dies fuumlhrt nicht unbedingt zum hygienischen Umgang im Kuumlchenalltag Wissen wird oft erst persoumlnlich sinnhaft wenn bewusst Konsequenzen fuumlr das eigene Handeln gezogen werden Dazu ist zB sinnvoll auch zu diskutieren und zu reflektieren warum viele meinen dass ein Kuumlhlschrank weniger geputzt wer-den muss als eine oumlffentliche Toilette (welche oft nachweislich weniger Keime ent-haumllt) undoder welche anderen Gruumlnde daran hindern ihn alle zwei bis drei Wochen gruumlndlich zu reinigen

Roumlszligler-Hartmann (2012) hat dargestellt dass und wie das Modell einer Mahlzeit zum Ausgangspunkt der Reflexion von Esskulturen genutzt werden kann sbquoDarum herumlsquo kann man noch weitere Moumlglichkeiten schaffen Nahrungszubereitung in all ihren Schritten und Dimensionen als Ergebnis kultureller Entwicklung zu verstehen Der Anthropologe Levi-Strauss (1972) merkte einmal an dass der Mensch sich vom Tier durch den Kult und das Kochen unterscheide Es ist lohnenswert diese mensch-liche Kompetenz zu vermitteln

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Anmerkungen 1 Auf eine theoretische Grundlegung des Begriffes Kultur bzw Alltagskultur oder

wird hier verzichtet (vgl dazu Methfessel amp Schlegel-Matthies im Druck) 2 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 3 Hier kann kein systematischer Einblick in die Diskussion der Esskultur gegeben

werden (zum Uumlberblick vgl Barloumlsius 2011 Methfessel 2005 Schlegel-Matthies 2001 2002 und die darin jeweils angegebene Literatur)

4 Die Strukturierung von Barloumlsius (2011) bietet eine hervorragende Analysegrund-lage alle weiteren vorgestellten Kategorien koumlnnen sich ihnen gut zu- bzw un-terordnen

5 Ein niedriger Schulabschluss fuumlhrt zu weniger Gesundheit und Lebenszufrieden-heit Bildungsstrukturen benachteiligen sozial Schwache (vgl Daten der GEDA-Studie 2009 nach BMAS 2013 S 198ff)

6 MINT Mathematik Informatik Naturwissenschaft und Technik

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Verfasserinnen

Profin (i R) Dr Barbara Methfessel Paumldagogische Hochschule Heidelberg Fachgebiet Ernaumlhrungs- und Haus-haltswissenschaft und ihre Didaktik E-Mail methfesselph-heidelbergde Internet wwwph-heidelbergdeernaehrungs-und-haushaltswissen-schaftpersonendozentinnenprof-dr-barbara-methfesselhtml

Profin Dr Kirsten Schlegel-Matthies Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Ge-sundheit Department Sport amp Gesund-heit Fakultaumlt fuumlr Naturwissenschaften der Universitaumlt Paderborn E-Mail schlegelmailupbde Internet httpdsguni-paderborndeevbpersonenprof-dr-kirsten-schlegel-matthies

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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______________________________________________________________

Silke Bartsch und Jana Brandstaumldter

bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung Zunaumlchst wird uumlber eine begriffliche Klaumlrung eine Annaumlherung an das Phaumlnomen der bdquoErleb-niskuumlcheldquo gesucht um sie als Inspiration fuumlr neue Zugaumlnge fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung nach REVIS1 zu nutzen Ausgangspunkt dafuumlr ist das Erlebnis in seiner Abgrenzung durch das Besondere vom Alltaumlglichen Daran schlieszligen sich in dem hier essayhaft verfassten Beitrag erste fachdidaktische Uumlberlegungen und Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung an

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Erlebnis Kuumlche Fachpraxis Ernaumlhrung

______________________________________________________________

Einleitung Zurecht hat er selbst darauf hingewiesen dass Essen die moumlglicherweise komple-xeste menschliche Aktivitaumlt darstellt Man sieht ein Gericht riecht es fasst es an und fuumlhlt es nimmt beim Konsum sowohl Geschmack als auch akustische Reize ndash beispielsweise Knuspern beim Essen eines Eiswuumlrfels ndash wahr Gesellt sich dann noch ein Konzept hinzu wie beispielsweise bei den sich aufloumlsenden Ravioli wird sogar noch das Gehirn stimuliert In dieser Gleichzeitigkeit so vieler Sinneswahr-nehmungen und Reize liegt eine unglaubliche Chance zu neuen Erlebnissen und Erfahrungen die sich Adriagrave immer wieder zu Nutze macht (Blogger uumlber Ferran Adriagrave Sternekoch im spanischen Restaurant El Bulli2)

Das Zitat des spanischen Sternekochs Ferran Adriaacute illustriert ein umfassendes Sin-neserlebnis beim Essen das hier durch die Molekularkuumlche kreiert und inszeniert wird Die Geheimnisse der Kochkunst begleiten die Kulturgeschichte so ist zB aus der Antike bekannt dass besondere Geschmacks- und Sinneserlebnisse zum Vergnuumlgen gesucht wurden (vgl zB Lemke 2007) An diese Tradition knuumlpfen die Vertreter der Molekularkuumlche gerne an die durch die heute zur Verfuumlgung stehenden kuumlchentechnischen Moumlglichkeiten neue Dimensionen schaffen koumlnnen

Die hier gewaumlhlte Wortschoumlpfung Erlebniskuumlche3 greift die Idee der Erlebnis-gastronomie auf Beispiele dafuumlr sind die sog Dinnershows wie bdquoPomp Duck and Circumstancesldquo die Zirkus oder Varieteacute und (gehobene) Gastronomie effektvoll in auszligergewoumlhnlichen bdquoLocationsldquo wie einem Spiegelzelt kombinieren und als Ge-samtevent vermarkten Mit dem Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo soll aber nicht allein auf ein interessantes Geschmackserlebnis fokussiert werden sondern vielmehr soll die gegenwaumlrtig in vielen Varianten anzutreffende Verbindung zwischen bdquoErleb-nisldquo und bdquoKuumlcheldquo sowie Essen und Mahlzeiteninszenierung (Unterhaltung) als

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Phaumlnomen in unserer Gesellschaft herausgestellt werden Bei der Systematisierung der Beispiele faumlllt auf dass Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo in sehr unter-schiedlichen Zusammenhaumlngen beobachtbar sind

Speise13 als13 Erlebnis13 Speise13 und13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

(Essen13 und13 Unterhaltungsprogramm)13 Darbietung13 als13 Erlebnis13

13 13

Verzehr13 Kein13 Verzehr13 auszligergewoumlhnliche13 Gerichte13 exotische13 Nahrungsmit-shy‐tel13 (zB13 geroumlstete13 In-shy‐sekten)13 mit13 Brausepulver13 13 gefuumlllte13 Kaugummis13 Bubble-shy‐Tea13 FroYo13 (Frozen13 Yogurt)13 hellip13

13

Dinnershows13 Schaukuumlchen13

Themenbezogene13 Kochkurse13 bdquoKrimidinnerldquo13

Dinner13 im13 Dunkeln13 Dicircner13 en13 Blanc13

Restaurants13 mit13 Molekularkuumlche13 (Bsp13 bdquoEl13 Bullildquo13 mit13 Sternekoch13 F13 Adriagrave)13

hellip13

Food-shy‐Blog13 Kochshow13 (TV)13

Lebensmittelfotografie13 Kochbuch13 Kinofilm13

hellip13

13

Abb 1 Kategorisierung von Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo (Quelle Eigene Darstellung)

Wie Abbildung 1 zeigt reicht das Spektrum der Beispiele vom Verzehr bis hin zu solchen bei denen das Essen keine Rolle mehr spielt Auf der einen Seite loumlst der Nahrungsmittelkonsum ein Erlebnis aus und auf der anderen Seite findet kein Kon-sum statt und dennoch wird der Erlebnischarakter uumlber Essen erfasst

Beispiele fuumlr letzteres Phaumlnomen sind Kochshows Food-Blogs etc Unter Food- Blogs werden im Allgemeinen Internetblogs verstanden auf denen Blogger (Privatpersonen Schauspieler Models etc) mehr oder weniger regelmaumlszligig Beitrauml-ge uumlber das weite Themenfeld Essen oft in Verbindung mit Bildern veroumlffentli-chen Ebenso werden hier sog Kochshows im Fernsehen4 als Interpretationen der bdquoErlebniskuumlcheldquo aufgefasst da auch hier eine Verbindung zwischen Erlebnis und Kuumlche besteht ohne dass die Zuschauenden selbst beim Essen teilnehmen Das Beispiel von Kochbuumlchern die einfach nur durchgeblaumlttert werden koumlnnen gehouml-ren ebenfalls in diese Spalte gleichzeitig wird deutlich dass die Uumlbergaumlnge flie-szligend sind da zuweilen das eine oder andere auch gekocht wird Fuumlr die im Schau-bild in der rechten Spalte aufgezaumlhlten Beispiele steht folglich der Unterhaltungscharakter auf visueller Ebene im Vordergrund

Im mittleren Bereich der Abbildung werden Beispiele angeordnet bei denen das Essen selbst mit weiteren (meist essensfremden) Unterhaltungselementen fuumlr die Sinne mehr oder weniger gleichgewichtig inszeniert wird Beispiele fuumlr diesen Bereich stammen uumlberwiegend aus der Erlebnisgastronomie zu der nach heutiger Auffassung etwa Mahlzeiten im Dunkeln und das Krimidinner gehoumlren An dieser Stelle gilt allerdings hervorzuheben dass die Erlebnisgastronomie keine Erfindung

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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des 21 Jahrhunderts ist wie historische Quellen aus dem 15 Jahrhundert belegen (Boron 2005) Ein weiteres Beispiel sind die bdquoDicircner en Blancldquo (Abb 2) bei denen uumlber private (Internet-)Netzwerke ein bdquoMassenpicknickldquo bevorzugt an populaumlren Plaumltzen in Staumldten wie Avenue des Champs-Eacutelyseacutees in Paris organisiert wird Alle Beteiligten sind weiszlig gekleidet

Abb 2 Dicircner en blanc in Karlsruhe 2013 (Bild copy Schlittenhardt [httpdiner-en-blanc-

karlsruhede] Schlieszliglich kann auch die Speise bzw darin verarbeitete Lebensmittel allein der Grund fuumlr ein Erlebnis sein (linke Spalte) Erfahrungsgemaumlszlig loumlsen einige Beispiele ndash auch aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten ndash uumlberwiegend bei Jugendli-chen einen Reiz aus Hierzu zaumlhlen etwa Kaugummis die zunaumlchst eine saure Oberflaumlche haben welche aber durch eine beim Zerbeiszligen austretende suumlszlige Fluumls-sigkeit neutralisiert wird oder Modegetraumlnke (zB Bubble-Tea FroYo) die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen haben

Allen beobachten Formen der bdquoErlebniskuumlcheldquo ist die Hervorhebung der Speise undoder des Essens aus dem Alltaumlglichen und die gleichzeitige Inszenierung eines i d R aumlsthetisch ansprechenden (Sinnes-)Erlebnisses gemeinsam Daraus ergeben sich Fragen und Ansatzpunkte fuumlr die fachdidaktische Diskussion Ziel dieses Beitrages ist die Idee des bdquoErlebnissesldquo aufzugreifen im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Fachpraxis Ernaumlhrung zu explorieren sowie erste Folgerungen fuumlr die Unterrichtsarbeit mit exemplarisch ausgewaumlhlten Lernideen aufzuzeigen Der vorlie-gende Beitrag kann und will dazu lediglich Impulse geben und zur Diskussion anre-gen

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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1 Begriff der bdquoErlebniskuumlcheldquo

Wie dargestellt druumlckt der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo die Verbindung zwischen Erleb-nis und Kuumlche aus mit der Idee verbindende Elemente zwischen den unterschiedli-chen Erscheinungsformen der Erlebnisorientierung rund ums Essen hervorzuheben (vgl Brandstaumldter 2013)

Erlebnisse die grundsaumltzlich in Verbindung mit Emotionen5 stehen (vgl Salz-mann 2007) werden haumlufig auch als Buumlndelung einzelner Emotionen beschrieben (vgl Woll 1997) Diese Buumlndel koumlnnen von einem Zusammenspiel unterschiedli-cher Emotionen wie Freude Bewunderung Hass oder Billigung bestimmt sein (vgl Ortony amp Clore 1990) Eine einheitliche begriffliche Definition von Erlebnis exis-tiert derzeit nicht Vielmehr befindet man sich bdquoaugenblicklich noch auf der Suche nach einer schaumlrferen begrifflichen Fassungldquo (Muumlller-Hagedorn 2011 S49) Viele Definitionen zum Thema Erlebnis sind im Marketingbereich angesiedelt da dort Erlebnisse als Marketinginstrument in einer auf jugendliche Ausgelassenheit ausge-richteten bdquoSpaszliggesellschaftldquo zunehmend an Relevanz gewonnen haben Aumlhnliche Tendenzen und Ausdifferenzierungen sind in der (Erlebnis-)Paumldagogik6 beobachtbar

Zusammenfassend koumlnnen Erlebnissen trotz unterschiedlicher Begriffsverwen-dung Attribute wie Auszligergewoumlhnlichkeit Emotionen und Subjektivitaumlt als zentrale Gemeinsamkeiten zugeschrieben werden Fuumlr die nachstehenden fachdidaktischen Uumlberlegungen ist relevant dass das Erleben selbst keine Verarbeitung des Erlebten einschlieszligt dh fuumlr einen Reflexionsprozess muss zunaumlchst eine bdquoAneignungldquo statt-finden (vgl dazu Scheller 1980)

Durch die Verbindung zwischen Kuumlche die hier als bdquokomplexes kulturelles Re-gelwerkldquo gemaumlszlig der Definition bei Barloumlsius (2011 S 126) verstanden wird und Erlebnis wird bei der bdquoErlebniskuumlcheldquo nun die Wahrnehmung von Speisen undoder Mahlzeiten zum (besonderen) Erlebnis Gemaumlszlig den drei Institutionen von Esskultur (Barloumlsius 2011) kann das Besondere durch die ausgewaumlhlten Nahrungsmittel i d R in Verbindung mit deren Zubereitung undoder uumlber die Mahlzeit erreicht werden

2 Fachdidaktische Uumlberlegungen

21 Abgrenzung von der Alltagskuumlche

Um Alltagskuumlche7 von der bdquoErlebniskuumlcheldquo abzugrenzen muss zunaumlchst festgestellt werden dass hinter den beobachteten Beispielen der bdquoErlebniskuumlcheldquo eine Profikuuml-che steht Das wird im Umgang mit kommerziellen Erlebnissen (sog bdquoEventsldquo) wichtig da diese von medialen Uumlbersteigerungen leben die weder in der Schule so realisierbar sind noch der Zielsetzung der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ent-sprechen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Uumlber die Abgrenzung der bdquoErlebniskuumlcheldquo von der Alltagskuumlche findet ein Per-spektivwechsel statt Dadurch kann erstens ndash durch den Vergleich ndash erfahrungsba-siertes (Alltags-)Wissen fuumlr den Aufbau fachspezifischer Kompetenzen bedeutsam und zweitens der Blick auf das Alltaumlgliche geschaumlrft werden Die Idee ist uumlber das Besondere den Zugang zum Alltaumlglichen zu bekommen

Wodurch wird bdquoEssenldquo zum Erlebnis Zur Beantwortung dieser Frage muss das Auszligergewoumlhnliche (Erlebnis) vom Gewoumlhnlichen (Alltag) abgegrenzt werden Das bedeutet Alltaumlgliches wird in der Abgrenzung zum Besonderen wahrgenom-men und kann dabei bdquoneuldquo entdeckt analysiert und reflektiert werden

Uumlber das Erlebnis koumlnnen auch Fragen zur Kultur und Technik der Nahrungs-zubereitung sowie Mahlzeitengestaltung herausgefordert sowie das Reflektieren uumlber die entsprechenden Prozesse angestoszligen werden ebenfalls herausgeloumlst aus dem Alltagskontext Funktionsprinzipien (Wie- und Warum-Fragen) koumlnnen inte-ressant werden um zB kuumlchentechnische Effekte zu erzielen (zB Wie entsteht ein Karamellgeschmack) Fertigkeiten und Faumlhigkeiten koumlnnen dabei gefragte fachliche Kompetenzen sein und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermoumlglichen

Intendiert ist ein vertieftes Verstaumlndnis der alltaumlglichen Handlungen dh zum Beispiel zu verstehen dass beim Essen Gemeinschaft (Familie) hergestellt wird oder im genannten Beispiel zu analysieren dass es auf die trockene Hitze beim Karamellisieren ankommt Das fuumlr die Lernprozesse notwendige Fachwissen kann (und sollte) durch die (beratende) Lehrperson und durch entsprechende Materialien bereitgestellt werden

Esskulturelle Bestimmungsgruumlnde der Wahl von Nahrungsmittel koumlnnen dabei ebenso eine Rolle spielen wie naturwissenschaftliche Erklaumlrungen Beispielsweise koumlnnen folgende Fragen wichtig werden Welche Farben lehnen wir bei Lebens-mitteln warum ab Essen wir schwarzen Reis (der im alten China dem Kaiser vor-behalten war) oder lehnen wir ihn ab Warum Wodurch erhalten bdquoSpaghetti al Nero di Seppialdquo ihre schwarze Farbe Fragen zur Kultur und Technik der Nah-rungszubereitung haumlngen dabei eng zusammen (vgl Methfessel amp Schlegel-Matthies idH)

Die Schaffung eines Erlebnisses uumlber die Situation der Mahlzeit bzw der Dar-bietung der Speisen hat einen hohen Stellenwert in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Was habt ihr wie anders gemacht als im Alltag Was hat euch warum besonders gut gefal-len Welche Lebensmittel sind alltaumlglich Welche sind an besondere Anlaumlsse oder Zeiten gebunden Welche sind wobei undenkbar Auch hier geht es um Alltags-routinen die als solche erkannt werden muumlssen und wiederum auch in ihrer persoumln-lichen und gemeinsamen Bedeutung hinterfragt werden koumlnnen8

22 bdquoLerngeschichtenldquo

Im Ruumlckblick auf die Schulzeit bleiben im Allgemeinen Geschichten in Erinne-rung die oft mit bdquoAha-Erlebnissenldquo verknuumlpft sind So ist auch aus der Erlebnispauml-

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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dagogik bekannt dass erstens Lernprozesse durch Erlebnisse initiiert (motiviert) werden koumlnnen (vgl Schenz 2006) und zweitens durch Erlebnisse Lernen unter-stuumltzt wird (vgl Ebrecht 1998) Das gilt nicht nur fuumlr schulisches sondern auch fuumlr informelles Lernen Die uumlber das Erlebnis zu erreichende Aufmerksamkeit ist als Motivation aus fachdidaktischer Sicht interessant wenn daraus die Lernbereit-schaft zur Auseinandersetzung mit Einzelphaumlnomenen gefoumlrdert werden kann

Allerdings ist ein effekthaschendes Erlebnis an sich noch keine hinreichende Be-gruumlndung fuumlr die fachpraktische Eignung weil dadurch allein kein Kompetenzaufbau gefoumlrdert wird Ersetzen beispielsweise (zeitaufwaumlndige) Kreationen in Anlehnung an die Molekularkuumlche (zB Bubble-Tea) herkoumlmmliche Rezepte aus der Schulkuuml-che kann das zwar unterhaltsam sein und gut ankommen doch ohne weitergehende didaktisch-methodische Uumlberlegungen bleibt es dann auch dabei es ginge uumlber die Unterhaltung die kommerzielle Eventangebote besser realisieren kaum hinaus

23 Sinneserfahrungen

Sinneserfahrungen haben einen prominenten Platz in der bdquoErlebniskuumlcheldquo Auf-grund der allgemeinen hohen Attraktivitaumlt des Themas ist von Seiten der Schuumlle-rinnen und Schuumller eine latente Offenheit gegenuumlber Neuem zu erwarten (vgl Bartsch 2008) Wird das Gewohnte zB durch veraumlnderte Kontexte oder Verfrem-dung zum Ungewohnten (Bsp Wie schmecken Karotten gedaumlmpft frittiert gegrillt getrocknet etc) kann das Alltaumlgliche interessantes Experimentiergut werden Oder es koumlnnen Geschmackserlebnisse geschaffen werden indem zB Unbekann-tes (Nahrungsmittel) mit Gewohntem (Zubereitungstechniken) gemischt wird Das Erlebnis kann neugierig machen Experimentierfreude wecken den Geschmack-sinn herausfordern und zum Kosten verlocken Aspekte der aumlsthetisch-kulturellen Bildung auf die hier lediglich hingewiesen wird sollten dabei bedacht werden (vgl Heindl 2005) Begleiten positive Emotionen dieses Unterrichtserlebnis wer-den eher Speisen gekostet die vielleicht unter anderen Bedingungen mit Aversion gegessen werden (zB Rosenkohl Fischgerichte) oder gaumlnzlich abgelehnt wuumlrden (vgl Bartsch Methfessel amp Schlegel-Matthies 2006) Auf diese Weise koumlnnen persoumlnliche Sinneserfahrungen ermoumlglicht und thematisiert werden was im Allge-meinen motivierend ist und Neugier und Interesse weckt und im Idealfall zur Voli-tion fuumlhrt

Aus fachdidaktischer Sicht stellt sich daher an dieser Stelle die Frage Wie koumlnnen Sinneserfahrungen zur Sinnesbildung beitragen Beispiel Mit bdquoDinner im Dunkelnldquo werden durch die Ausschaltung des Sehsinns auszligergewoumlhnliche Erleb-nisse in groszliger Perfektion durch kommerzielle Eventveranstalter ermoumlglicht Sin-nesbildung geht daruumlber hinaus So kann das emotionale Erleben Basis fuumlr die Re-flexion werden zB welche Funktionen Bedeutungen haben Sinne fuumlr die Ausbildung einer Esskultur fuumlr die Pruumlfung der Nahrung etc Anders als bei kom-merziellen Angeboten ist hierfuumlr eine perfekte Inszenierung nebensaumlchlich

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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3 Folgerungen fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung

31 Erlebnis als Thema in der Fachpraxis Ernaumlhrung

Die bdquoErlebniskuumlcheldquo als gesellschaftliches Alltagsphaumlnomen fordert den schulischen Unterricht in der Domaumlne Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung mehrfach heraus Perfektion und mediale Uumlbersteigerung fuumlhren haumlufig zu hohen Erwartungen seitens der Jugendlichen und insbesondere in Kombination mit bdquoEdutainmentldquo (Unterhal-tung mit Lernmoumlglichkeiten) vermehrt zu einer Konsumhaltung ndash auch in Unter-richtssituationen in denen die Eigenaktivitaumlt im Vordergrund steht und Selbstwirk-samkeitserfahrungen gemacht werden koumlnnen (vgl Methfessel Bartsch amp Roumlszligler-Hartmann 2001)

Zunaumlchst ist daher eine Positionierung sinnvoll Unterrichtserlebnisse von Frei-zeiterlebnissen abzugrenzen Ansonsten besteht die Gefahr sich in Inszenierungsde-tails zu verlieren und die fachdidaktische Zielsetzungen zu verfehlen Gleichzeitig lohnt es sich Impulse aus der Erlebnispaumldagogik aufzunehmen um jugendgerechte Zugaumlnge fuumlr die Unterrichtsarbeit zu bekommen ohne sich anzubiedern undoder den Bildungsanspruch aufzugeben (vgl Bartsch 2008) Last but not least koumlnnen Erscheinungsformen der bdquoErlebniskuumlcheldquo im Unterricht einer kritischen Bewertung unterzogen werden um daran exemplarisch Ernaumlhrungstrends und Essmoden zu erarbeiten

32 bdquoErlebnis Unterrichtldquo

Erlebnisse im Unterricht

Uumlber das Besondere kann ein jugendgerechter Zugang gefunden werden um (per-soumlnliche Grenzen uumlberschreitende) Esserlebnisse zu ermoumlglichen Jugendaktionen wie bdquoGut Draufldquo9 arbeiten im Freizeitbereich mit Inszenierungen zu Ernaumlhrung Be-wegung und Entspannung gemaumlszlig dem erlebnispaumldagogischen Ansatz (vgl Mann Schulz amp Streif 2011) Esserlebnisse im sozialen Miteinander bieten in schulischen Unterrichtssituationen einen Mehrwert der im Rahmen des didaktischen Konzepts der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung eine fruchtbare Reflexionsbasis schaffen kann ohne nachtraumlglich die Freude daran zu verderben

So eignet sich die Mahlzeit als eine zentrale Institution der Esskultur (Barloumlsius 2011) gut fuumlr Unterrichtserlebnisse (vgl Mahlzeit als Handlungsprodukte bei Bartsch amp Buumlrkle idH) Uumlber Mahlzeiten wird Gemeinschaft geschaffen die das Lernklima in den Lerngruppen uumlberwiegend positiv beeinflusst In den begleitenden Vor- und Nachbereitungen kann dazu nicht nur Speisen Tischgestaltung und -sitten eingegan-gen werden sondern koumlnnen auch soziale Mechanismen uumlber das Erleben zugaumlnglich gemacht werden um uumlber die (emotionalen) Erfahrungen auch zu reflektieren und im Hinblick auf die heutige Mahlzeitengestaltung zu diskutieren

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Beispiele

bdquoDinnerldquo unter einem Motto Dazu sind verschiedene Szenarien (bdquoAuftischen bei Koumlnigsldquo bdquoMittelalterliches Ge-lageldquoetc) denkbar Handlungsprodukt kann eine Menuumlinszenierung sein bei der die Schuumllerinnen und Schuumller verschiedene Rollen (Essende Dienerschaft Kuuml-chenpersonal etc) uumlbernehmen die allerdings einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung beduumlrfen Dazu bietet sich ein faumlcheruumlbergreifender Unterricht an Wettbewerb als Erlebnis Eine weitere Moumlglichkeit ist die Bewertung von Mahlzeiten Fachdidaktisch inte-ressant sind dabei die Bewertungskriterien die zB reflektiert werden koumlnnen hin-sichtlich ihrer Funktion als gesellschaftliche Norm und Distinktionsinstrument Das Erlebnis kann die Gestaltung der Mahlzeit sein moumlglicherweise sind TV-Formate Vorbilder Bleibt es beim bdquoNachmachenldquo ist eine Lernchance vertan Impro-Cooking Mit der Thematik was aus Lebensmittelresten gezaubert werden kann ist ein Wettbewerb verknuumlpft (Baustein 4 des Unterrichtsmoduls bdquoWertschaumlt-zung und Verschwendung von Lebensmittelnldquo)10

Kinofilme oder Lesungen koumlnnen ebenfalls als Erlebnisse (im fachuumlbergreifenden oder bilingualen Unterricht) inszeniert werden Hier gibt es zahlreiche Ausgestal-tungsmoumlglichkeiten zB entsprechend des Formates des bdquoKulinarischen Kinosldquo11 auf der Berlinale koumlnnen diese unter verschiedenen Perspektiven analysiert inszeniert und reflektiert werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo als Unterrichtsthema

Das Phaumlnomen der bdquoErlebniskuumlcheldquo laumldt dazu ein verschiedene Aspekte zu Ernaumlh-rungsmoden zu bearbeiten und eignet sich daher gut als Projektthema Allein der Versuch die Frage zu beantworten wodurch wird Essen oder eine Speise zum Er-lebnis fuumlhrt zu einer Vielzahl von Unterrichtsthemen die bearbeitet werden koumln-nen Vergleichbar mit anderen Konsumbereichen (zB Bekleidung und Musik) folgen auch Esstrends bzw Ernaumlhrungsmoden einem Modezyklus der beispielhaft anhand der Verbreitung von Modegetraumlnken oder bdquoKochmodenldquo (Beispiel Mole-kularkuumlche) erarbeitet werden kann Eine kritische Wuumlrdigung aus fachwissen-schaftlicher Sicht gibt den Jugendlichen einen Rahmen sich eine fachlich begruumln-dete Meinung zu kommerziellen Angeboten zu bilden ohne bevormundet zu werden

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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Ausblick

Die veraumlnderten Lebensbedingungen in Konsumgesellschaften des 21 Jahrhunderts fordern die Schule heraus Bleibt Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung ihrem Bil-dungsauftrag treu geht Unterricht nicht mit freizeitorientierten Unterhaltungsange-boten in Konkurrenz Erlebnisse erzeugen Aufmerksamkeit und motivieren zum Mitmachen Die zum Lernen notwendige Volition bedeutet aber auch zielgerichtetes Wollen In Abgrenzung zur bdquoreinenldquo Unterhaltung besteht daher die Staumlrke des Un-terrichts der Sinngebung Die Beschaumlftigung mit paumldagogischen Zugaumlngen uumlber Er-lebnisse ist ein zukuumlnftiges Arbeits- und Forschungsfeld das zu einer zukunftsfaumlhi-gen Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung beitragen kann

Anmerkungen 1 Reform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung (Fachgruppe Ernaumlhrungs- und

Verbraucherbildung 2005) 2 Blogger Tobias auf [httpbloggekonntgekochtdemolekularkueche-2-kochen-als-

kunst] 3 Der Begriff bdquoErlebniskuumlcheldquo wurde von Jana Brandstaumldter (2013) im Rahmen ihrer

ersten wissenschaftlichen Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe entwickelt um Moumlglichkeiten des bilingualen Unterrichts in Verbindung mit The-men aus der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung zu verknuumlpfen Impulse fuumlr die-sen Beitrag kommen aus dieser Hausarbeit

4 Zu den Diskussionen um Fernsehen und Ernaumlhrung gibt es zahlreiche Literatur zB bei Roumlssler amp Willhoumlft (2004) Luumlcke Roumlssler amp Willhoumlft (2003)

5 Auf die theoretischen Grundlegungen des Begriffs Emotion wird an dieser Stelle verzichtet Weiterfuumlhrende Grundlagenliteratur zum Emotionsbegriff zB Schmidt‐Atzert (1996) Literatur zu Essen und Emotionen Pudel amp Westenhoumlfer (2003) Macht (2005)

6 Im vorliegenden Beitrag geht es darum das Phaumlnomen bdquoErlebnisldquo im Zusammen-hang mit der bdquoKuumlcheldquo essayhaft im Hinblick auf die Fachdidaktik EVB zu beleuch-ten Einzelne Elemente der Erlebnispaumldagogik sind in diesem Zusammenhang inte-ressant weitergehende Diskussionen darum sind hierfuumlr irrelevant und werden daher nicht ausgefuumlhrt Aus den gleichen Gruumlnden wird hier auch auf weitergehen-de Ausfuumlhrungen zum erfahrungsbezogenen Lernen verzichtet (vgl Scheller 1980)

7 Weiterfuumlhrende Literatur zum Alltagsbegriff Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck)

8 Weitergehende Uumlberlegungen zur Mahlzeit als Zugang zur esskulturellen Aspekten in der Fachpraxis Ernaumlhrung bei Roumlszligler-Hartmann (2012) Essen und Kommunika-tion ist ein zusaumltzlicher Aspekt der in diesem Beitrag ebenfalls nicht vertieft wer-den konnte Literatur dazu bei Heindl amp Plinz-Wittorf (2013)

bdquoErlebniskuumlcheldquo

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9 bdquoGut Draufldquo ist eine Jugendaktion der BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) Weitere Informationen unter [httpswwwgutdraufnet]

10 Siehe [wwwevb-onlinedeschule_materialien_wertschaetzung_uebersichtphp] 11 Weiterfuumlhrende Literatur zu Kulinaristik im Film in Kofahl Froumlhlich und Alberth

(2013)

Literatur

Barloumlsius E (2011) Soziologie des Essens (2 Aufl) Weinheim amp Muumlnchen Juventa Verlag

Bartsch S Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (2006) Pizza Pasta Doumlner Kebab ndash Mittelmeerkost im Alltag deutscher Jugendlicher Historische und soziale Hintergruumlnde Haushalt amp Bildung 83(4) 17-26

Bartsch S (2008) Jugendesskultur Bedeutungen des Essens fuumlr Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup In Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklauml-rung (BZgA) (Hrsg) Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsfoumlrderung Band 30 Koumlln BZgA

Boron B (2005) Erlebnisgastronomie Muumlnchen GRIN Verlag Brandstaumldter J (2013) Die Erlebniskuumlche als Chance fuumlr den bilingualen

Unterricht in der Sekundarstufe I Wissenschaftliche Hausarbeit an der Paumldagogischen Hochschule Karlsruhe

Ebrecht A (1998) Leben und Erleben - Die Lebensphilosophie um die Wende zum 20 Jahrhundert In T Ruumllcker amp J Oelkers (Hrsg) Politische Reformpaumldagogik (S 261-277) Bern Peter Lang Verlagsgruppe

Fachgruppe REVIS (2005) Bildungsziele und Kompetenzen in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung [wwwernaehrung-und-verbraucherbildungde]

Heindl I (2005) Perspektiven einer aumlsthetisch-kulturellen Ernaumlhrungs- und Ge-sundheitsbildung - Intelligenz in den Sinnen In D von Engelhardt und R Wild (Hrsg) Geschmackskulturen - Vom Dialog der Sinne beim Essen und Trinken (S 262-277) Frankfurt Campus Verlag

Heindl I amp Plinz-Wittorf C (2013) Essen ist reden mit anderen Mitteln - Esskultur Kommunikation Kuumlche Ernaumlhrungsumschau 60(1) 8-15

Lemke H (2007) Ethik des Essens Eine Einfuumlhrung in die Gastrosophie Berlin Akademie Verlag

Luumlcke S Roumlssler P amp Willhoumlft C (2003) Appetitlich verpackt aber schwer zu verdauen Darstellung und Wirkung von Ernaumlhrung in Massenmedien ein For-schungsuumlberblick Medien amp Kommunikationswiss 51(3-4) 407-430

Kofahl D Froumlhlich G amp Alberth L (Hrsg) (2013) Kulinarisches Kino Bielefeld Transcript Film

Macht M (2005) Essen und Emotion Ernaumlhrungs-Umschau 52 (8) 304-308

bdquoErlebniskuumlcheldquo

71

Mann R Schulz B amp Streif S (2011) GUT DRAUF ndash zwischen Wissenschaft und Praxis In BZgA (Bundeszentrale fuumlr gesundheitliche Aufklaumlrung) (Hrsg) Reihe Gesundheitsfoumlrderung konkret Band 15 Koumlln BZgA

Methfessel B Bartsch S amp Roumlszligler-Hartmann M (2001) Zielgruppe Kinder und Jugendliche Bildung Marketing oder Warentest In Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (DGE) Sek Baden-Wuumlrttemberg (Hrsg) Werbung und Ernaumlh-rungsverhalten (S 74-88) Schorndorf DGE Baden-Wuumlrttemberg

Methfessel B amp Schlegel-Matthies K (im Druck) Alltagskultur ndash viel beschworen ndash wenig wissenschaftlich durchdrungen Hauswirtschaft und Wissenschaft 61(4)

Muumlller-Hagedorn L (2011) Handelsmarketing Stuttgart Kohlhammer Ortony A amp Clore GCA (1990) The Cognitive Structure of Emotions

Cambridge Cambridge University Press Pudel V amp Westenhoumlfer J (2003) Ernaumlhrungspsychologie (3 Aufl) Goumlttingen

Toronto Zuumlrich Hofgrefe minus Verlag fuumlr Psychologie Roumlssler P amp Willhoumlft C (2004) Darstellung und Wirkung von

Ernaumlhrungsinformationen im Fernsehen In DGE (Deutsche Gesellschaft fuumlr Ernaumlhrung (Hrsg) Ernaumlhrungsbericht 2004 (S 347-406) Bonn DGE

Roumlszligler-Hartmann M (2012) Esskultur ndash eine zentrale Kategorie der Nahrungszubereitung Haushalt in Bildung amp Forschung 1(4) 99-107

Salzmann R ( 2007) Multidimensionale Erlebnisvermittlung am Point of Sale Wiesbaden Deutscher Universitaumlts-Verlag

Scheller I (1980) Erfahrungsbezogener Unterricht Oldenburg Universitaumlt Oldenburg

Schenz A (2006) Erlebnis und Bildung Karlsruhe Universitaumltsverlag Karlsruhe Schmidt-shy‐Atzert L (1996) Lehrbuch der Emotionspsychologie Stuttgart

Kohlhammer Woll E (1997) Erlebniswelten und Stimmungen in der Anzeigenwerbung

Analyse emotionaler Werbebotschaften Wiesbaden Deutscher Universitaumltverlag

Verfasserinnen

Profin Dr Silke Bartsch amp Jana Brandstaumldter

Paumldagogische Hochschule Karlsruhe Abteilung Alltagskultur und Gesundheit

Bismarckstraszlige 10 D-76133 Karlsruhe

Email bartschph-karlsruhede Internet wwwjugendesskulturde

Gastfreundschaft

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Gabriela Leitner

Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft Gastfreundschaft und Gastlichkeit sind kommunikative kulturelle Konzepte die das Zusam-menleben der Menschen historisch und aktuell praumlgen Wie weit diese als ethische Verbind-lichkeit oder konsumatorische Dienstleistung verstanden werden beeinflusst eine Gesell-schaft in politischer und kultureller Hinsicht Die Schule als Ort der Vermittlung und insbesondere der Lernbereich Ernaumlhrung sind gefragt an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mitzuarbeiten

Schluumlsselwoumlrter Gastfreundschaft Gastlichkeit Kuumlche Lernort Ernaumlhrungsbildung

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bdquoAlle Fremden und Ankoumlmmlinge sollen unbeschraumlnkt als Gaumlste aufgenommen werden wo immer sie wollenldquo

Erlass Friedrich II

1 Gastfreundschaft und Gastlichkeit

Der europaumlische Sommer ist gerade mal wieder vorbei Es sind wieder (fast) alle an ihren Platz zuruumlckgekehrt ndash sind nicht mehr Fremde an einem fremden Ort - sind wieder daheim Der Sommer gilt als Jahreszeit der Reiselust als Synonym fuumlr freie Ortswahl oder das Entdecken neuer Landschaften Kulturen Weltanschauungen Geschmacksrichtungen etc als Zeit mal wieder uumlber den Tellerrand zu blicken und die Schoumlnheiten der Welt (als Gast) wahrzunehmen und zu genieszligen

Der heutige Sprachgebrauch des Wortes Gastfreundschaft meint die voruumlberge-hende Aufnahme Bewirtung undoder Beherbergung fuumlr Fremde genauso wie fuumlr Angehoumlrige der jeweiligen eigenen Gruppe Gastfreundschaft sollte ehrlich herz-lich groszligzuumlgig und zumeist wechselseitig erfolgen kann aber auch nur einseitig als echt gelten sie wird haumlufig einer oumlkonomisch bloszlig auf Gewinn abzielenden Gastlichkeit entgegengesetzt (Kayed 2003 S 1)

Echte Gastfreundschaft zu erfahren ist nicht unbedingt selbstverstaumlndlich denn in einer oumlkonomisierten Welt ist auch Gastlichkeit eine Dienstleistung und kann ge-kauft bzw konsumiert werden bdquohellipGastlichkeit liegt allen Ablaumlufen zwischen Be-wirtung und Kundschaft Kuumlche und Gast zugrunde und gehoumlrt insofern zum er-weiterten Gegenstandsbereich einer allgemeinen Theorie und praktischen Philosophie der Esskultur kurz der Gastrosophieldquo (Lemke 2011 S 83) In die-sem Kontext ist der Gast ein Kunde (und Koumlnig) und bezahlt fuumlr die bdquoservile Gast-lichkeitldquo (ebd) Im Wirtschaftsbereich der bdquohospitality industryldquo wird das Vertrau-

Gastfreundschaft

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en welches der Gast seinem Gastgeber entgegenbringt mittels bdquoAuszeichnungenldquo (Sterne oder Aumlhnliches) verbrieft auf der Ebene der Speisen beruumlhrt dieses Thema auch die Nahrungsmittelsicherheit bdquoSie ist angesichts vieler Lebensmittelfaumll-schungen die auf heutzutage wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften aufbauen zu einem herausragenden Thema der oumlffentlichen Aufmerksamkeit ge-wordenldquo (Wierlacher 2011 S 100)

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung unserer Gesellschaften muumlssen traditionelle Kommunikationsformen wie die Gastfreundschaft unter ande-ren Gesichtspunkten uumlberlegt werden

Drei Formen der Gastlichkeit sind zu unterscheiden die anthropologische Form (wir sind alle Gast des Lebens) die politische Form bis hin zum Asyl und die kul-turelle Form die wir praktizieren wenn wir nach kulturell verschiedenen Regeln jemanden zum Essen einladen oder beherbergen Alle drei Formen sind Kultur-muster haben ihre Chancen und ihre Grenzen leiten uns an geben Regeln vor er-oumlffnen Perspektiven produktiven Umgangs miteinander und staumlrken unsere Faumlhig-keit auch dann miteinander zu reden wenn wir nicht der gleichen Ansicht oder Gesinnungsfreunde sind (Wierlacher 2011 S 1)

Der Gast kommt also nicht immer als zahlender oder geladener Gast er kommt auch als Hilfesuchender Asylsuchender Beduumlrftiger1 Diesem Gast Gastfreund-schaft zu erweisen oder nicht kann fuumlr diesen Leben oder Tod bedeuten Ihn abzu-weisen wird von den meisten Religionen und Kulturen abgelehnt es wird daran erinnert dass man selbst in eine derartige Lage kommen koumlnnte bzw dass man sich an Gott selbst vergehen koumlnnte (siehe christliche Herbergssuche) In vorchrist-licher Zeit wurde ein Gastrecht formuliert welches dem Gast zumindest fuumlr drei Tage ohne sachlichen Gegenwert Unterkunft und Verpflegung sicherte (vgl Bahr 1994 S 36)

So stehen wir vor dem zwiespaumlltigen Befund dass die verschiedenen religioumlsen Traditionen an eine urspruumlnglich uumlbermaumlszligige und nicht von vornherein limitierte Gastlichkeit erinnern wohingegen die in rechtliche Anspruumlche transformierte Gast-lichkeit jede Uumlberforderung durch eine unbegrenzte Gastlichkeit auszuschlieszligen sucht (Liebsch 2008 S 68)

Ist Gastlichkeit heute keine ethische Verpflichtung mehr sondern als bdquohospitality managementldquo Teil der Aufgaben internationaler Hotel- und Gastronomiekonzerne

2 Was bedeutet Gastsein

Ein Gast zu sein bedeutet zuallererst fremd zu sein nicht im eigenen Haus oder Land zu sein Die Bedeutung von bdquohostisldquo (lat) oder bdquoxenosldquo (griech) ist ur-spruumlnglich bdquoFremderldquo das Wort kann aber auch Feind bedeuten2 Damit ist die Ambivalenz des Gastseins schon in der urspruumlnglichen Begrifflichkeit vorhanden Der Gast ist an dem Ort an welchem er als Gast auftritt fremd und beduumlrftig eben

Gastfreundschaft

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weil er sich nicht wie in seinem eigenen Haus oder Land verhalten kann Nun ist Fremdheit genau das was wir in unserem bdquoHeimldquo oder bdquoZuhauseldquo uumlblicherweise nicht haben und auch nicht haben wollen Das eigene Heim wird als ein Ort gese-hen an welchem alles bekannt zugehoumlrig und sicher erscheint an welchem bdquoent-hemmte Kommunikationldquo (vgl Luhmann 1990 S 203f) genauso moumlglich ist wie Intimitaumlt Schwaumlche und Ruumlckzug Das Fremde Andersartige bdquostoumlrtldquo das eigene bdquoSo-seinldquo indem dieses durch das bdquoAnders-seinldquo in Frage gestellt wird Der Gast kann demnach durch sein bdquoDa-seinldquo in einem fremden Haus (oikos) oder Land fuumlr die dort zu Hause Seienden durch die Verpflichtung ihn in seiner Beduumlrftigkeit wahrzunehmen und ihm Herberge und Verpflegung zu bieten um sein Mensch Sein anzuerkennen (und das eigene Mensch Sein anzuerkennen)3 zu einer Last einer Belastung ja sogar zu einem Feind werden

Eine absolute unbedingte Gastfreundschaft wuumlrde verlangen dass wie im oben angefuumlhrten Zitat von Friedrich II jedem Unbekannten oder X-beliebigen ein Gast-status zukommen muumlsste

Die absolute Gastfreundschaft erfordert daszlig ich mein Zuhause () oumlffne und nicht nur dem Fremden (hellip) sondern auch dem unbekannten anonymen absolut Ande-ren (eine) Statt gebe (hellip) daszlig ich ihn kommen lasse ihn ankommen und an dem Ort () den ich ihm anbiete Statt haben (hellip) lasse ohne von ihm eine Gegenseitig-keit zu verlangen (hellip) oder ihn nach seinem Namen zu fragen (Derrida 2007 S 27)

In manchen Gegenden der Welt so zB in Wuumlstengebieten im beduinisch-arabischen Raum (vgl Kayed 2003 S2) hat sich historisch aufgrund der Ungast-lichkeit der TopographieGeographie eine unbedingte Gastfreundschaft entwickelt Eine derartige Gastfreundschaft ist in unserer westlichen Gesellschaft die in Nati-onalstaaten funktioniert obwohl wir sehr wohlhabend sind uumlberaus schwierig wenn nicht gar unmoumlglich vorzustellen

Zwischen einem unbedingten Gesetz der Gastfreundschaft oder einem absoluten Wunsch nach Gastfreundschaft auf der einen und einem mit Bedingungen ver-knuumlpften Recht einer mit Bedingungen verknuumlpften Politik oder Ethik auf der an-deren Seite besteht ein Unterschied eine radikale Heterogenitaumlt wenngleich sie auch untrennbar miteinander verknuumlpft sind (Derrida 2007 S105)

Es ist also geboten zumindest eine geregelte bedingte Gastlichkeit zu entwickeln in welcher der Fremde der in der bdquokosmopolitischen Tradition (hellip) ein Recht auf Gastfreundschaft besitztldquo (Derrida 2007 S 28) zuerst nach seinem Namen gefragt wird sein Name macht ihn zu einem Rechtssubjekt zu einer Person die anderswo eine Zugehoumlrigkeit (der Name bdquoals eine(r) Hypothese der Generationenldquo Derrida 2007 S 29) besitzt und mit der man aufgrund dieser Sicherheiten einen bdquoPaktldquo schlieszligen kann (vgl Derrida 2007 S 24ff) Auch auf Reisen ndash international oder national ndash muumlssen wir uns alle mittels eines Identitaumltsnachweises ausweisen unse-ren Namen und unsere Herkunft bekannt geben um als (zahlender meldepflichti-ger) Gast aufgenommen zu werden um als paktfaumlhig im Sinne einer bedingten

Gastfreundschaft

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Gastfreundschaft zu gelten bdquoDie eigentliche Gastfreundschaft hat demnach nur noch im Privaten uumlberlebt wohingegen die Beherbergung von Fremden zu einer oumlffentlichen und politischen Angelegenheit geworden istldquo (Liebsch 2008 S 65) bdquoJe mehr der Staat die Gastlichkeit zu seiner Sache gemacht habe und je mehr sie oumlkonomisiert worden sei desto mehr habe sich die eigentliche Gastfreundschaft die rechtliche Regeln und gewerbliche ignorierte ins Private zuruumlckgezogenldquo (Liebsch zitiert HC Peyer ebd)

3 Geladene Gaumlste

Der Begriff des Gastes verweist aber auch darauf dass das Verhaumlltnis zwischen Gastgeber bzw Gastgeberin und Gast nicht wie im herkoumlmmlichen Austausch von Guumltern und Leistungen reziprok ist Beide gesellschaftlichen Rollen ndash Gastgeber Gastgeberin und Gast ndash haben ihre Implikationen und verweisen aufeinander bdquoDoch warum sprach man nie von einem sbquoGast-nehmerlsquo warum ist es der sbquoGast-geberlsquo der den Gast sbquoempfaumlngtlsquo Verweist das nicht darauf daszlig der Gast nicht restlos auf den Tauschenden zuruumlckfuumlhrbar istldquo (Bahr 1994 S 13)

Der Gastgeber die Gastgeberin wird sich fuumlr das Kommen der geladenen Gaumlste bedanken obwohl er (oder sie) in den meisten Faumlllen einen groumlszligeren Aufwand betrieben hat als die Gaumlste und bdquoer stellt sich in den Dienst seines Gastes ohne daszlig () er dadurch zu dessen Herrn wuumlrdeldquo (Bahr 1994 S 12) Der Gast bringt zwar als eine Form des Ausgleichs ein Gastgeschenk mit und betont gegenuumlber dem Gastgeber der Gastgeberin seine dankbare Anerkennung die Beziehung zwi-schen Gast und Gastgeber bzw Gastgeberin bleibt aber unausgeglichen bdquoMan kann daher in einem gastlichen Austausch der die Wechselseitigkeit der gleichen Personen uumlberschritt die erste Form einer allgemeinen Menschlichkeit manifestiert sehenldquo (Bahr 1994 S 35)

Der Gastgeber die Gastgeberin bietet noch viel mehr an als Bewirtung oder voruumlbergehende Behausung ersie bietet den Gaumlsten eine institutionelle Freund-schaft an die Schutz gewaumlhrt und welche eine moumlgliche Ausgeliefertheit an die reine Barmherzigkeit Anderer abwendet (4) bdquoDie Person des Gastfreundes gilt als heilig weil sein Verhaumlltnis als uumlbereinstimmend mit dem des Schutzflehenden aufgefaszligt wirdldquo (Wundt zit in Bahr 1994 S46) Das Interesse des Gastgebers ist es bdquodie Person des Gastes vor der geringsten Verletzung zu bewahren (hellip) jede Spur von Hostilitaumlt auszuschlieszligen als Voraussetzung ungestoumlrten Genieszligensldquo (Bahr 1994 S 49)

Das heiszligt Gastfreundschaft erfuumlllt drei Bedingungen die zum Leben noumltig sind Gaumlste bleiben grundsaumltzlich am Leben (werden nicht getoumltet) ihnen wird materiell beim Uumlberleben geholfen (mit Nahrung Unterkunft und Schutz) und Gastfreund-schaft stiftet und erhaumllt ein soziales Band und traumlgt zum Zusammenleben bei (in-dem Gaumlste zumeist umgekehrt auch ihren Gastgeberinnen und Gastgebern und al-len anderen Gastfreundschaft gewaumlhren werden) Leben ermoumlglichen heiszligt hier

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also mehr als Menschen nur am Leben lassen es heiszligt auch sie naumlhren staumlrken stuumltzen begleiten ihnen Kenntnisse vermitteln und Freude bereiten (Kayed 2003 S 1)

Als Gast genieszligt man die volle Aufmerksamkeit des Gastgebers bezuumlglich der ei-genen Beduumlrfnisse ndash zumindest waumlhrend der Dauer des Gaststatuses Allerdings ist es auch geboten den Gastgeber nicht uumlber die Maszligen zu beanspruchen Gast sein bedeutet auch bdquodie Kunst sich rechtzeitig verabschieden zu koumlnnen ehe man Para-sit zu werden drohtldquo (Bahr 1994 S 44)

bdquoWir waren seit langem Gaumlste der Schoumlpfung und sind es glaube ich immer noch Die Houmlflichkeit unserem Gastgeber gegenuumlber gebietet es daszlig wir fragenldquo (Steiner 2004 S 345) Vielleicht ist es ein spiritueller Gedanke ein Gast auf Erden zu sein Moumlglicherweise wuumlrde es unserer Mitwelt und Umwelt und uns selbst besser bekommen wenn wir unser Da-sein auf diese Art verstehen wuumlrden eben als Gaumlste in der Welt als geladene Gaumlste Welches Gastgeschenk waumlre angesichts unserer Lebendigkeit und der Schoumlnheit der Welt angemessen und wie koumlnnten wir unsere Dankbarkeit aumluszligern

4 Dimensionen der Gastfreundschaft

Zusammenfassend koumlnnen die folgenden Dimensionen der Gastfreundschaft unter-schieden werden Sie kann

bull einseitig oder wechselseitig sein bull offen gegenuumlber allen sein oder bestimmte Personen oder Gruppen aus-

schlieszligen bull geregelt sein (Asylrecht) oder freiwillig bull begrenzt sein (drei Tage) oder unbegrenzt (vgl Kayed 2003 S 2) bull bdquokann nur poetisch seinldquo (Jaques Derrida)

5 Das Gastmahl Gastmaumlhler auf denen der sbquofremde Gastlsquo nicht mehr kannibalisch verzehrt son-dern selbst zum gemeinsamen Verzehr geladen ist stellen insofern noch dessen sbquoEinverleibunglsquo dar als er gleichsam wie ein Kind durch seine Teilnahme an der gleichen Nahrung und Ernaumlhrungsweise zum Mitglied einer Gemeinschaft wird (Bahr 1994 S 157)

In der philosophischen Literatur sind zwei Gastmaumlhler beruumlhmt geworden Das Gastmahl des Trimalchio (Petronius Arbiter in Satyrikon) und Platons Gastmahl In beiden Erzaumlhlungen oder Gleichnissen wird das Mahl halten zu einer Aussage die weit uumlber die Banalitaumlt des Hunger Stillens hinausgeht

Trimalchio ein freigelassener Sklave moumlchte seinen neu gewonnenen Status als reicher gebildeter Mann durch eine opulente Einladung zu einem Festessen mit

Gastfreundschaft

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literarischen akrobatischen musikalischen und theatralischen Darbietungen der suumlditalienischen Gesellschaft kommunizieren

Auf einer Platte wird ein enormes Wildschwein hereingetragen bedeckt mit der phrygischen Freiheitsmuumltze an den Hauern zwei Koumlrbchen mit Datteln An dem Tier liegen wie an seinen Eutern kleine Schweinchen aus Kuchenteig Zum Tran-chieren erscheint ein baumlrtiger Kerl in Jagdkleidung stoumlszligt dem Schwein einen Hirschfaumlnger in die Flanke Aus den sbquoWundenlsquo fliegen Drosseln heraus die ein Vogelfaumlnger wieder einfaumlngt (Bahr 1994S 160)

Die Speisenfolge ist ebenso ungewoumlhnlich als die Darbietung der Speisen tatsaumlch-lich aber wird durch die Inszenierung nur der schlechte Geschmack und die Halb-bildung des Trimalchio sichtbar er erreicht also genau das Gegenteil dessen was er beabsichtigt hat als Gastgeber seinen hohen Status zu Schau zu stellen alles in den Schatten zu stellen was vorher an Festlichkeiten geboten wurde

Geschmack klassifiziert ndash nicht zuletzt den der die Klassifikationen vornimmt Die sozialen Subjekte Klassifizierende die sich durch ihre Klassifizierungen selbst klassifizieren unterscheiden sich voneinander durch die Unterschiede die sie zwi-schen schoumln und haumlsslich fein und vulgaumlr machen und in denen sich ihre Position in den objektiven Klassifizierungen ausdruumlckt oder verraumlt (Bourdieu 1982 S 25)

Pierre Bourdieu macht deutlich dass der Geschmack immer das Ergebnis sozialer Zugehoumlrigkeit ist man somit anhand der Artefakte und Inszenierungen des Habi-tus feststellen kann welcher Schicht man zugehoumlrig ist Es kann demzufolge Tri-malchio gar nicht gelingen das bdquosomatisierte Klassenbewuszligtseinldquo (Sloterdijk 2009 S284) zu uumlberwinden

bdquoZwischen dem Eszligbaren und Uneszligbaren zwischen der Einverleibung und der Ausscheidung berichtet die Erzaumlhlung von einem Mahl das sich ohne sbquoGastlich-keitlsquo nur selber verzehrt haumltteldquo (Bahr 1994 S 174)

In der Erzaumlhlung von Petronius Arbiter wird aufgezeigt dass der Gastgeber mit seiner Einladung auch uumlbertreiben kann und sich damit selbst aber auch die Gaumlste der Laumlcherlichkeit preisgibt Ausufernde Dekoration zur Farce verkommene Spei-sen und uumlberladene Portionen und Darbietungen wirken der Gastfreundschaft ent-gegen Die Gaumlste des Trimalchio werden instrumentalisiert nicht um ihretwillen findet das Mahl statt und nicht um einen sozialen Zusammenhalt zu generieren sondern nur um zu protzen Gastfreundschaft gebietet auch eine Angemessenheit welche weder den Gast beschaumlmt noch den Gastgeber

Platons Gastmahl (Gastmahl griech Symposion) hingegen ist eine Siegesfeier Die Geladenen sind allesamt Freunde und berichten einander von ihrer Auffassung bezuumlglich Liebe und Leidenschaft (Eros) Es ist mehr ein Trinkgelage und eine Gelegenheit zu Wort zu kommen als ein Essen und fuumlhrt schlieszliglich dazu dass eine der wenigen weiblichen Rollen in Platons Werk Diotima (indirekt) zu Wort kommt Sie ist nicht leibhaftig anwesend in der Gruppe der allesamt maumlnnlichen Freunde wird von Sokrates zitiert und bekommt dadurch noch deutlicher den Sta-tus des Anderen Fremden Nichtgeladenen

Gastfreundschaft

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Das Zusammenkommen zum gemeinsamen Mahl wird in diesem Werk als Moumlglichkeit zum Philosophieren gesehen Nicht zufaumlllig waumlhlt Platon das Thema bdquoLiebeldquo (im Sinne von Eros) fuumlr das Gastmahl und ebenso durchdacht ist es dass eine Frau die Hauptrednerin ist Gemeinsames Mahlhalten verstaumlrkt die Beziehung der Geladenen untereinander die waumlhrenddessen genau dieses Thema (im weites-ten Sinn) eroumlrtern

Gastmaumlhler finden auch in der Populaumlrkultur immer wieder ihren Niederschlag beispielsweise in dem daumlnischen Spielfilm bdquoBabettes Festldquo (Oscar 1988) oder den als Tabubruch geltenden franzoumlsisch-italienischen Film bdquoDas groszlige Fressenldquo (1973)

Was und vor allem wie gegessen und getrunken wird ist abhaumlngig von den Kultur-kreisen der Lebensgemeinschaften ist Ausdrucksmittel der Menschen und dient der symbolischen Kommunikation Dieses spiegelt sich in Gerichten Rezepten und Ritualen wider und dient als individuelles und gemeinschaftliches Verstaumlndi-gungsmittel Kuumlchen sind bis heute Orte dieses Geschehens durch sie wird die Be-friedigung des Beduumlrfnisses nach Nahrung zu einem kulturellen System (Barloumlsi-us 1999 zit in Heindl Methfessel amp Schlegel-Matthies S 195)

Gemeinsames Essen soviel ist sicher schafft Zugehoumlrigkeit und damit ein Ein- und Ausschlieszligungsmilieu in welchem es fraglich ist wer als Gast zugelassen bzw eingeladen und wer ausgeschlossen wird Diese Dynamik wird auch in Maumlr-chen verwendet um die Kraumlnkung der Ausgeschlossenheit und deren Folgen zu beschreiben Die dreizehnte Fee bei Dornroumlschen raumlcht sich schlieszliglich dafuumlr dass sie nicht eingeladen worden ist

6 Die (Schul-)Kuumlche als Ort der Gastfreundschaft

Betrachtet man das bisher Gesagte so koumlnnen wir feststellen dass Gastfreund-schaft fuumlr uns Menschen in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll ist Sie gibt uns die Sicherheit in einer ungastlichen Welt bzw in unsicheren Zeiten bei anderen Ruumlckhalt zu finden Umgekehrt uumlbernehmen wir auch Verantwortung fuumlr andere Beides staumlrkt den sozialen Zusammenhalt und die soziale Zugehoumlrigkeit was wie-derum die Lebensqualitaumlt verbessert oder sogar lebenserhaltend wirken kann Da sich die Gastfreundschaft jedoch historisch betrachtet von einer allgemeinen ethi-schen Verpflichtung jedes Menschen gegenuumlber jedem anderen Menschen fortent-wickelt hat und ein Groszligteil der diesbezuumlglichen Verpflichtung vom Staat uumlber-nommen wird ist der Anspruch des Teilens voumlllig in den Bereich des Privaten uumlbergegangen So ist der Akt des konkreten Teilens der Lebensressourcen Essen und Wohnen mit Menschen auszligerhalb des eigenen Familienkreises kaum mehr erfahrbar

Hier tritt der eigentliche Anknuumlpfungspunkt fuumlr die gesamte Thematik zutage Erfahrungen mit Gastfreundschaft koumlnnen uumlber das gemeinsame Essen aller (Mit-

Gastfreundschaft

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glieder einer Schulklasse oder Kochgruppe) in den Schulkuumlchen als Orte der Zube-reitung und des Geschehens selbst gemacht werden So wie das Essen selbst vom wilden fremden womoumlglich gefaumlhrlichen Rohzustand (Natur) durch putzen schauml-len kochen etc in einer Kuumlche in eine essbare Speise (Kultur) uumlbergefuumlhrt werden muss so wird auch der Verzehr der Speisen durch kulturelle Bedingungen und Regeln ritualisiert Dies ist auch bedeutsam wenn Gastfreundschaft gelernt werden soll denn auch diese kulturelle Leistung setzt soziales Wissen und Handeln voraus Wer die Rolle des Gastgebers der Gastgeberin bzw der Gaumlste uumlbernimmt und welche Implikationen daraus folgen ist dabei ebenso erfahrbar wie die Angemes-senheit einer Mahlzeit oder entsprechende Tischsitten

Die Aufnahme und der Genuss von Nahrung haben auch regressive Aspekte und so vermittelt Essen uumlblicherweise Emotionen der Geborgenheit Zuversicht des Aufgehoben- und Angenommenseins also das Gegenteil dessen was im Kapi-tel 2 als Fremdsein und Ausgeschlossensein beschrieben wurde Welche Bedin-gungen vonnoumlten sind um eine solche Mahlzeit fuumlr alle teilnehmenden Personen zu gestalten sollte ua Gegenstand der Ernaumlhrungsbildung als Kulturbildung sein

Ein Gast wird eine Mahlzeit auch dann als gastfreundlich empfinden wenn seine kulturellen weltanschaulichen gesundheitsbezogenen undoder geschmack-lichen Beduumlrfnisse und Vorlieben beruumlcksichtigt werden In einer multikulturellen (postmodernen) Welt ist es daher angebracht dass sich die regionalen Kuumlchen gegenuumlber diesen Anspruumlchen oumlffnen unter dem Aspekt der Fremdheit des Ande-ren (zT Interkulturalitaumlt) neue Variationen entwickeln bzw sich insgesamt einer kritischen Pruumlfung unterziehen Dabei geht es nicht um Aufgabe der gewachsenen kulinarischen Identitaumlt sondern um Ausweitung der gustatorischen sensorischen und produktorientierten Moumlglichkeiten um auch fuumlr spezielle Anspruumlche (Vegeta-rismus Veganismus Diaumltkuumlche kulturelle und religioumlse Vielfalt etc) Angebote zu machen Regionalitaumlt in Bezug auf Produkte und Produktionsweisen als quasi-ethische Forderung fuumlr das Paradigma der Nachhaltigkeit ist dabei nicht in Frage gestellt die regionalen Kuumlchentraditionen jedoch schon So findet man beispiels-weise in vielen Restaurants mit oumlsterreichischer Kuumlche schwerlich vegane oder koschere Speisen bestimmte Zutaten die eine Speisenwahl moumlglich oder unmoumlg-lich fuumlr spezielle Gruppen machen (zB Speck im Krautsalat) werden nicht ausge-wiesen etc

Um einem Gast Gastfreundschaft zu gewaumlhren ist es also notwendig nicht nur wie oben beschrieben nach seinem Namen zu fragen sondern daruumlber hinaus in diskreter und ruumlcksichtsvoller Manier nach seinen Lebensgewohnheiten Ableh-nungen Vorlieben und diese entsprechend kulinarisch umzusetzen Dies ist im Rahmen des Schulunterrichts in den Fachpraktischen Uumlbungen anwendbar berei-chert die fachlichen Inputs durch einen moumlglichen persoumlnlichen Bedeutungsgehalt fuumlr bestimmte Schuumllerinnen und Schuumller ndash oder auf der Ebene der Hochschule fuumlr die Studierenden ndash und eroumlffnet fuumlr alle neue Perspektiven

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Die private Kuumlche aber auch die Schulkuumlche sind Orte an welchen Ge-schmackserfahrungen moumlglich gemacht werden koumlnnen die sichern herausfordern Anspruumlche konkretisieren und Perspektiven eroumlffnen Ebenso verhaumllt es sich mit Tischsitten bdquodos and don`tsldquo in der Zubereitung und Praumlsentation Das Lernpoten-tial in Bezug auf die Thematik der Gastfreundschaft fuumlr Kinder und Jugendliche ist enorm einerseits weil Essen als konkrete unmittelbare primaumlre Lebenserfahrung lustvoll erlebt wird ebenso wie die handwerkliche Zubereitung und bdquoWerkschaf-fungldquo andererseits weil in Kuumlchen und Schulkuumlchen zumeist auch fuumlr andere ge-kocht wird Die Erfahrung der taumltigen Fuumlrsorge der hingewendeten Sorge um und Aufmerksamkeit fuumlr Andere ermoumlglicht ndash anders als bei vielem was in der Schule gelernt wird ndash den Erwerb sozialer Kompetenz auf einer direkten Ebene

Zwar dient das Essen unter dem Aspekt der Nutrition allein der Erhaltung des ei-genen Koumlrpers zugleich ermoumlglicht es aber die Oumlffnung zu den Anderen indem es die formale Voraussetzung fuumlr die Atmosphaumlre der Gastlichkeit bildet Man fuumlhrt die gleichen Bewegungen aus wie die anderen man erhaumllt seinen (Hervorhebung dd Autor) Koumlrper mit Speisen durch die auch die Koumlrper der Anderen (Hervorhe-bung d d Autor) erhalten werden Man wendet sich dem Tischnachbarn zu Diese Gemeinsamkeiten ermoumlglichen eine konfliktfreie Kommunikation (Duumlcker 2011 S 76)

Indem eine Speise auf eine bestimmte Art und Weise hergestellt wird spezielle Zutaten verwendet werden und sie in einem kulturellen Rahmen praumlsentiert einver-leibt und genossen wird kann die eigene Fremdheit und die Fremdheit des Ande-ren erkannt und oder sichtbar werden

Eine methodische Aufbereitung der Vermittlung dieser Inhalte reicht von der Ausrichtung (interkultureller) Feste uumlber die Erstellung von Ernaumlhrungsbiographien bis hin zu Verkostungen Rezeptentwuumlrfen Filmanalysen Literaturrecherchen und (Lied-) Textanalysen Das Thema Gast und Gastfreundschaft ist in allen Kuumlnsten verbreitet5

Der Themenkomplex der Gastfreundschaft ist zu umfangreich und vielschich-tig um ihm in der Kuumlrze der vorhandenen Moumlglichkeiten gerecht zu werden Die Leserinnen und Leser sind gebeten dies zu beruumlcksichtigen Eine Erhellung der Thematik und der Zusammenhaumlnge mit der Ernaumlhrungsbildung in der Fachpraxis ist hoffentlich trotzdem gelungen

Anmerkungen 1 bdquoLaut UNHCR dem UNO-Fluumlchtlingshilfswerk sind weltweit mehr als 20 Milli-

onen Frauen Maumlnner und Kinder grenzuumlberschreitend auf der Flucht gleichzeitig gibt es mehr als 20 Millionen sogenannte Binnenvertriebene die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind Sie alle fliehen vor Krieg Verfolgung Unter-druumlckung Gewalt Folter Naturkatastrophen von Menschen zerstoumlrter Umwelt Elend Armut Hunger ndash sie suchen Lebenldquo (Kayed 2003 S 2)

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2 franzoumlsisch hospitaliteacute Gastfreundschaft franzoumlsisch hostiliteacute Feindschaft 3 Emmanuel Levinas erachtet die Gastfreundschaft als etwas das uns grundsaumltzlich

uumlberhaupt zu Menschen macht bdquoIch bin fuumlr den Anderen verantwortlich ohne mich um seine Verantwortung fuumlr mich zu kuumlmmern uneigennuumltzig und nicht aus Selbsterhaltung Die Verantwortung ist kein bloszliges Attribut sondern die grundle-gende Struktur der Subjektivitaumlt Gastfreundschaft ist nicht eine von vielen Hand-lungsweisen fuumlr die oder gegen die ein Mensch sich entschieden werden kann [sic] Gastfreundschaft ist vielmehr das was das Menschsein ausmacht nicht wechselseitig im Tausch sein sondern den Anderen als Anderen leben lassenldquo (Kayed 2003 S 3)

4 In der Novelle von Albert Camus bdquoDer Gastldquo (spielt in Algerien waumlhrend der franzoumlsischen Besetzung) wird dem im algerischen Exil lebenden Lehrer Daru ein gefangener Araber der seinen eigenen Cousin getoumltet hat von einem franzoumlsi-schen Polizisten in Gewahrsam gegeben Daru laumlsst dem bdquoGastldquo nach schwerwie-genden Uumlberlegungen die Freiheit zur Flucht Der Araber aber bleibt und geht (freiwillig) ins Gefaumlngnis Von der Sippe des Arabers wird Daru bedroht weil er ihren Bruder scheinbar ausgeliefert hat

5 Lied von Arik Brauer (oumlsterreichischer Liedermacher der mit dem Fahrrad halb Europa und Israel erradelt hat) 4 Strophe bdquoFohr weg min Radl drah mi ned um I fohr weg min Radl und drah mi nimma um I kumm in a Araberzelt da waschns mir die Fuumlszlig und sing i ans von Schubert Franz da kochns mir an Grieszlig nur am dritten Tag werns grantig do bleibt der Teller leer do stirdlns ma im Rucksack um und spieln sich mitn Gwehr

Literatur

Bahr HD (1994) Die Sprache des Gastes Eine Metaethik Leipzig Reclam Barloumlsius E (1999) Soziologie des Essens Eine sozial- und kulturwissenschaftli-

che Einfuumlhrung in die Ernaumlhrungsforschung Weinheim und Muumlnchen Juven-ta zit in Heindl Methfessel Schlegel-Matthies Ernaumlhrungssozialisation und -bildung und die Entstehung einer bdquokulinarischen Vernunftldquo In Ploumlger Hirsch-felder amp Schoumlnberger (Hrsg) (2011) Die Zukunft auf dem Tisch Wiesbaden Springer

Bourdieu P (1982) Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft Frankfurt am Main Suhrkamp

Derrida J (2007) Von der Gastfreundschaft (2 Aufl) Wien Passagen Duumlcker B (2011) Ritualitaumltsformen von Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg)

Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf Kayed C (2003) Gastfreundschaft und Philosophie

[wwwstoryguideatGastfreundschaft-Artikelpdf]

Gastfreundschaft

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Lemke H (2011) Philosophie der Gastlichkeit In A Wierlacher (Hrsg) Gast-lichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Liebsch B (2008) Fuumlr eine Kultur der Gastlichkeit Muumlnchen Karl Alber Luhmann N (1990) Sozialsystem Familie In N Luhmann N Soziologische

Aufklaumlrung (Bd 5 Konstruktivistische Perspektiven) OpladenWestdeutscher Verlag

Sloterdijk P (2009) Du musst dein Leben aumlndern Frankfurt am Main Suhrkamp Steiner G (2004) Grammatik der Schoumlpfung Muumlnchen DTV Wierlacher A (2011) Aumlsthetik der Gastlichkeit oder der muumlndige Gast In A

Wierlacher (Hrsg) Gastlichkeit Ein Rahmenthema der Kulinarik Berlin Dr W Hopf

Verfasserin

Gabriela Leitner

Paumldagogische Hochschule Oberoumlsterreich Fachbereich Ernaumlhrung Humanwissenschaften

Kaplanhofstraszlige 40 A-4020 Linz

E-Mail gabrielaleitnerph-ooeat

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Brigitte Mutz

Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz Die Betriebskuumlche ndash Ort der Zubereitung in der Gemeinschaftsverpflegung1- soll vor allem ein Lernort der Selbstkompetenzen als auch der Sozialkompetenzen sein Hauptaugenmerk soll auf die Ausbildung und Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz gelegt werden Die besondere Bedeutung liegt dabei auf der Entwicklung von Empathie die sich auf das Zu-sammenleben der Menschen im Wesentlichen auswirkt

Schluumlsselwoumlrter Betriebskuumlche Selbstkompetenz Sozialkompetenz Qualitaumltsstandards Gemeinschaftsverpflegung nachhaltige Verpflegung

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1 Einleitung

Wesentliches Ausbildungsziel einer berufsbildenden mittleren und houmlheren Schule fuumlr wirtschaftliche Berufe ist es dass Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind ihr Fachwissen nicht nur durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern das erworbene Fachwissen in realen persoumlnlichen und beruflichen Herausforderungen einzusetzen vermoumlgen Schuumllerinnen und Schuumller machen unmit-telbar nach der Schule bzw waumlhrend ihrer Ausbildung ein Praktikum in der Gastro-nomie Um Jugendliche auf die Anforderungen der Arbeitswelt bestmoumlglich vorzu-bereiten ihre Persoumlnlichkeit zu staumlrken um Belastungen durch das soziale Umfeld leichter zu verkraften bedarf es einer Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenzen Gerade in der Gemeinschaftsverpflegung kann diese Foumlrderung stattfinden denn Schuumllerinnen und Schuumller kochen im Rahmen ihres Unterrichts in der Betriebskuumlche der eigenen Schule oder im Rahmen ihres Pflichtpraktikums in anderen Einrichtun-gen wie Gastronomie und Hotellerie

2 Die Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in Oumlsterreich

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fuumlhren zu einer steigen-den Bedeutung der Gemeinschaftsverpflegung in der Ernaumlhrung weiterer Bevoumllke-rungsschichten der Gesellschaft Neben berufstaumltigen Erwachsenen werden auch Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Berufstaumltigkeit von Eltern oft schon in einem sehr fruumlhen Alter auszliger Haus versorgt Dazu kommen in Wohneinrichtun-

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gen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Kranken-haumlusern die durch Gemeinschaftsverpflegungsdienste versorgt werden

Betriebe der Auszliger-Haus-Verpflegung tragen somit nicht nur in steigendem Ma-szlige Verantwortung fuumlr die Gesundheit der Essensgaumlste sondern auch fuumlr Wirtschaft Gesellschaft und Umwelt Dies hat folgenden Grund Zum einen nehmen sie uumlber die Auswahl der Lebensmittel Einfluss auf eine bestimmte Art der Erzeugung Verarbei-tung und Vermarktung mit den jeweiligen oumlkonomischen sozialen und oumlkologischen Folgen Zum anderen nutzen sie bei der Zubereitung der Lebensmittel zu Speisen direkt und indirekt die Guumlter der Natur Diese Erkenntnis bildet die Grundlage fuumlr die Forderung nach einer nachhaltigen bzw zukunftsfaumlhigen Wirtschaftsfuumlhrung in Be-trieben der Auszliger-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung muss sich weiterentwickeln Weg von der vor-herrschenden Menuumlgestaltung die von unausgewogener Ernaumlhrung gepraumlgt ist hin zu ausgewogener Speiseplangestaltung die sich vor allem an den Beduumlrfnissen ihrer Gaumlste orientiert Gesunde Ernaumlhrung muss bereits im Kindergarten ansetzen und sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche und - abschnitte ziehen Die Gemein-schaftsverpflegung hat dabei eine unterstuumltzende Rolle und sollte ein gutes Vorbild sein

Um diese Wandlung in der Gemeinschaftsverpflegung voranzutreiben und um kuumlnftig einen gewissen Mindeststandard hinsichtlich Qualitaumlt sichern zu koumlnnen ist es notwendig Richtlinien zu definieren und Grenzen festzulegen

Rund 18 Millionen Menschen darunter 380000 Kinder und Rund 70000 Senio-ren und Seniorinnen nutzen taumlglich das Speisenangebot oumlsterreichischer Groszligkuumlchen (Toumlscher 2011)

21 Auszliger-Haus-Konsum

Aufgrund von veraumlnderten zeitlichen und persoumlnlichen Umstaumlnden greifen Konsu-mentinnen und Konsumenten vermehrt auf Essen auszliger Haus zuruumlck Laut einer Online-Umfrage an 501 Personen (repraumlsentativ fuumlr Oumlsterreicherinnen und Oumlsterrei-cher ab 15 Jahren) isst die oumlsterreichische Bevoumllkerung regelmaumlszligig zu 24 in Kan-tinen zu 21 in Restaurants und zu 16 in Fast-Food-Lokalen das Mittagessen wird immer haumlufiger auszliger Haus verzehrt (Bundesministerium fuumlr Land- und Forst-wirtschaft Umwelt und Wasserwirtschaft 2010)

Neben dem Konsum von Speisen in Restaurants Imbissbuden Fast-Food-Lokalen und aumlhnlichem nimmt die Gemeinschaftsverpflegung einen immer wichti-geren Stellenwert in der Bewirtung der Bevoumllkerung ein Berufstaumltige Erwachsene in betreuten Wohneinrichtungen lebende Seniorinnen und Senioren und Patientinnen und Patienten in Krankenhaumlusern werden von Gemeinschaftsverpflegungsdiensten versorgt Durch die steigende Berufstaumltigkeit der Frauen essen auch vermehrt Kinder auszliger Haus zB in Kindergaumlrten Schulbuffets Horten etc (Elmadfa et al 2012)

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22 Gastgewerbe

Unter der Bezeichnung Gastgewerbe werden alle Dienstleistungen fuumlr den Gast ver-standen welche im Zusammenhang mit Verpflegung und Beherbergung stehen (sie-he Abbildung 1)

Abb 1 Die Gemeinschaftsgastronomie im Gesamtkontext des Auszliger-Haus-Konsums

(Quelle Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Das Gastgewerbe kann in vier Sparten unterteilt werden o Gastronomie (Gemeinschaftsgastronomie Individualgastronomie) o Transport mit Verpflegung (Flugzeug Schiff) o Beherbergung mit Verpflegung (Hotel Jugendherberge) o Beherbergung ohne Verpflegung (Motel)

23 Gastronomie

Der Bereich Gastronomie laumlsst sich wiederum in die Gemeinschaftsgastronomie und die Individualgastronomie unterteilen Der Begriff Individualgastronomie umfasst alle kommerziellen Einzelgastronomiebetriebe mit wechselnder Kundschaft wie zB Restaurants Cafeacutes Bars Take-away- und Fast-Food-Lokale sowie Event-Catering Party-Service etc

Die Taumltigkeitsfelder der Gemeinschaftsgastronomie sind die Bereiche Betriebs- und Personalverpflegung Spital- und Heimverpflegung und Verpflegung im Erzie-

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hungs- und Bildungssektor Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen das Angebot entweder als Teilverpflegung (Kindergaumlrten Schulen) oder Vollverpfle-gung (Internate Seniorenwohnheime Strafvollzugsanstalten etc) in Anspruch (vgl Forschungsgruppe bdquoGood practice ndash Gemeinschaftsgastronomieldquo 2008)

Die Individualgastronomie kann auch mit der Gemeinschaftsgastronomie ver-knuumlpft sein wenn zB Einzelgastronomiebetriebe taumlglich Speisen an Unternehmen oder Kindergaumlrten liefern

24 Gemeinschaftsverpflegung (GV)

Die Definition fuumlr bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo laut oumlsterreichischem Ernaumlhrungsbe-richt 2012 lautet bdquoEine im Preis limitierte Verpflegung eines begrenzten Personen-kreises an einem Ort an dem ein laumlngerer Aufenthalt dieser Personen aus organisato-rischen Gruumlnden erforderlich istldquo (Elmadfa Freisling Nowak amp Hofstaumldter 2009)

bdquoGemeinschaftsverpflegungldquo im Sinne der Groszligkuumlchen-Leitlinie ist bdquoDie regel-maumlszligige Versorgung einer grundsaumltzlich konstanten Personengruppe mit Speisen im Rahmen eines laumlngerfristigen Auftragesldquo (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

Allgemeine Kennzeichen fuumlr die Gemeinschaftsgastronomie-verpflegung sind o Die Konsumentinnen und Konsumenten haben verschiedene Aufenthaltsformen in

der InstitutionEinrichtung (zB Bewohner Arbeitspersonal) o Die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen regelmaumlszligig ein gastronomisches

Angebot in derselben InstitutionEinrichtung in Anspruch o Je nach Verpflegungssystem (zB Mischkuumlche Tiefkuumlhlsystem Cook-and-Chill2

oder Warmverpflegung) sind verschiedene Akteure an der Produktion und Bereit-stellung des Speisenangebots beteiligt

o Die Verpflegungsleistung kann entweder durch Eigenregie (Spitalskuumlchen) oder durch externe Betriebe (Catering-Unternehmen im Geschaumlftsfeld Gemeinschafts-gastronomie) erbracht werden

o Ein Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb hat als erstrangiges Ziel die Verpflegung der Personengruppen sicher zu stellen nachrangig ist die Erwirtschaftung von Gewin-nen (Bundesministerium fuumlr Gesundheit 2011)

3 Der Unterschied von Selbst- und Sozialkompetenz

Die uumlberarbeiteten kompetenzbasierten Lehrplaumlne der Houmlheren Lehranstalten fuumlr Wirtschaftliche Berufe und Fachschulen sind in Entwurf und treten voraussichtlich im Jahr 2014 in oumlsterreichischen Schulen in Kraft Laut allgemeinen Bildungszielen werden Absolventinnen und Absolventen zu folgenden Kompetenzen befaumlhigt Fachkompetenz Methodenkompetenz Medienkompetenz soziale und personale Kompetenz kommunikative Kompetenz und emotionale Kompetenz

Kompetenzen sind Faumlhigkeiten und Fertigkeiten zur Bewaumlltigung komplexer Problemstellungen Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen

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zum Handlungsvollzug Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Faumlhigkei-ten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus (vgl Beer amp Benischek 2011 S 9)

Die Selbstkompetenz (auch personale Kompetenz) beschreibt den Umgang des oder der Einzelnen mit sich selbst Die Selbstkompetenz bildet die Basis fuumlr die Entwicklung der Sozialkompetenz Nur ein Mensch der sich uumlber sich selber im Klaren ist und mit sich selbst wertschaumltzend umgehen kann wird ein solches Verhal-ten auch bei seinen Mitmenschen zeigen (vgl Strasser Osinger amp Sburny 2001 S 60ff)

Selbstkompetenz setzt sich aus fuumlnf Bausteinen zusammen Alle fuumlnf Bausteine sind notwendig um die Persoumlnlichkeitsentwicklung der Schuumllerinnen und Schuumller zu unterstuumltzen und zu foumlrdern

o Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sich selbst wertzuschaumltzen auf die selbst erbrachte Leistung stolz sein fuumlr ein selbstsicheres Auftreten ist die Faumlhigkeit sich ein Bild uumlber seine eigenen Gefuumlhle Staumlrken Schwaumlchen Grenzen und Verhal-tensmuster machen zu koumlnnen sehr wichtig

o Selbstverantwortung und Selbststeuerungsfaumlhigkeit Verantwortung fuumlr sich selbst uumlbernehmen aber auch fuumlr andere seine Gefuumlhle kennen und steuern koumlnnen

o Eigeninitiative sich selbst motivieren koumlnnen freiwilliges Engagement zeigen und aktiv mitarbeiten koumlnnen

o Flexibilitaumlt gewohntes Denken Verhalten und Einstellungen zu hinterfragen um fuumlr neue Ansichten oder Werte offen zu sein

o Belastbarkeit und Durchsetzungsvermoumlgen Umgang mit Stress Aumlrger und Frustra-tion (Giessen 2009)

Tab 1 Emotionale Intelligenz-Theorie (Quelle vgl Giessen 2009 S 23)

Ich Selbstkompetenz

Andere Sozialkompetenz

Erkennen Selbstbewusstsein uuml Emotionales Selbstbewusst-

sein uuml Korrekte Selbstbeurteilung uuml Selbstvertrauen

Sozialbewusstsein uuml Empathie uuml Dienstleistungsorientierung uuml Organisationsbewusstsein

Lenken Selbstmanagement uuml Selbstkontrolle uuml Vertrauenswuumlrdigkeit uuml Gewissenhaftigkeit uuml Anpassungsfaumlhigkeit uuml Erfolgsorientierung uuml Entschlusskraft

Beziehungsmanagement uuml Einfluss uuml Kommunikationskompetenz uuml Konfliktmanagement uuml Fuumlhrungskompetenz uuml Innovationen ermoumlglichen uuml Vertrauens erweckend uuml Teamwork Zusammenarbeit

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Bei der Sozialkompetenz steht eine Person in der Interaktion mit anderen Personen im Mittelpunkt Zentraler Punkt dieser Faumlhigkeit ist mit sich und seinem Umfeld zurechtzukommen Soziale Kompetenz fordert aber einige Grundvoraussetzungen an die eigene Person Unterstuumltzend wirken zum Beispiel ein gesundes Maszlig an Selbst-wertgefuumlhl und Selbstvertrauen Eigenverantwortung und Selbstdisziplin (vgl Adler 2012 S 21ff)

Gaisbacher und Pongratz beschreiben die Sozialkompetenz als wichtiges Hilfs-mittel um sowohl privaten als auch beruflichen Erfolg gewaumlhrleisten zu koumlnnen Mit Menschen zu kommunizieren sich in ein Team einzufuumlgen und zusammenzuarbei-ten ist bereits fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller in ihrem alltaumlglichen Umfeld von groszliger Bedeutung Spaumlter kommen Faumlhigkeiten wie uumlberzeugendes Argumentieren und Praumlsentieren hinzu Sozial kompetent zu sein bedeutet sich sowohl in privaten als auch beruflichen Konfliktsituationen uumlber das eigene Handeln bewusst zu sein und eine angemessene Loumlsung zur Konfliktbewaumlltigung finden zu koumlnnen (Gaisbacher amp Pongratz 2012)

Fuumlr Lernende ist es in der heutigen Zeit von groszliger Bedeutung ihr Wissen nicht durch reine Reproduktion unter Beweis stellen zu koumlnnen sondern es in realen per-soumlnlichen und beruflichen Herausforderungen zu nutzen Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet die Schuumllerinnen und Schuumller in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihnen dabei zu helfen ihre Staumlrken zu finden und diese zu festigen Die Jugendlichen sollen sich am Unterrichtsgeschehen aktiv beteiligen und in kon-kreten Lernsituationen selbststaumlndig Lern- und Loumlsungswege finden Lernende sollen durch Interaktionen mit anderen Personen Kompetenzen ausbilden

4 Die Bedeutung des Unterrichts in der Betriebskuumlche auf die Selbst- und Sozialkompetenz von Jugendlichen

Es gibt eine Reihe von Modellen und Moumlglichkeiten die Sozial- und Selbstkompe-tenz auszubilden beziehungsweise zu foumlrdern Bei dem von der Autorin angefuumlhrten Modell liegt der Schwerpunkt auf der Selbstwahrnehmung das heiszligt der Umgang mit eigenen Gefuumlhlen der Wahrnehmung eigener Staumlrken und Schwaumlchen und der Faumlhigkeiten zur Selbstmotivation Ruumlcksichtnahme Akzeptanz und Mitgefuumlhl sind Voraussetzung fuumlr ein friedliches Zusammensein Der bewusste Umgang mit seinen Mitmenschen ist ausschlaggebend fuumlr ein sozial kompetentes Verhalten Das sagt auch schon J Bauer in seinem Buch bdquoPrinzip Menschlichkeitldquo bdquoDie staumlrkste und beste Droge fuumlr den Menschen ist der andere Menschldquo (Bauer 2008 S 54)

bdquoSoziales Lernen resultiert zum einen aus der absichtlichen gezielten Foumlrderung des Sozialverhaltens durch die Erziehung (Sozialerziehung) zum anderen aber auch aus dem taumlglichen Beobachtungs- und Nachahmungslernenldquo (Keller amp Hafner 2003 S 9) Schuumllerinnen und Schuumller lernen unbewusst durch Beobachten bzw Nachah-

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men von ihren Eltern Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch ihre Mitschuumllerin-nen und Mitschuumller

5 Umsetzung im Unterricht Arbeiten im Team ndash Unterricht in der Betriebskuumlche

Der Methodeneinsatz zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz kann nur er-folgreich sein wenn die Voraussetzungen der Klasse mit den Voraussetzungen fuumlr die Umsetzung der Methode uumlbereinstimmen Dieser Grundsatz bedeutet dass nicht jeder Methodeneinsatz immer in jeder Klasse erfolgreich sein kann Es geht vielmehr darum den Schuumllerinnen und Schuumllern unterschiedliche Wege und Moumlglichkeiten vorzustellen wie sie kompetenzorientierte Faumlhigkeiten ausbilden koumlnnen (vgl BMUKK 2011 S 12f)

Um die Komplexitaumlt der Bildungsstandards vereinfacht darzustellen wurden kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele entworfen In den Unterrichtsbeispielen wird die Anwendung des Kompetenzmodells und der Deskriptoren illustriert Um den aktuellen Anforderungen der Unterrichtsplanung gerecht zu werden wurde das Kompetenzmodell fuumlr soziale und personale Kompetenz des Bundesministeriums fuumlr Unterricht Kunst und Kultur in die Entwicklung des vorliegenden Unterrichtsbei-spiels herangezogen und als Hilfestellung fuumlr alle Lehrerinnen und Lehrer gedacht (vgl BMUKK 2012 S 5f)

Im Folgenden wird ein Auszug eines Unterrichtsbeispiels mit dem Thema bdquoDas Arbeiten im Teamldquo vorgestellt Der methodische Ansatz dient zur Foumlrderung der Selbst- und Sozialkompetenz der Jugendlichen Im Sinne des kompetenzorientierten Zuganges wurde als Erarbeitungsform das kooperative Lernen2 gewaumlhlt Die Lernen-den sind mit dieser Methode bereits vertraut und haben damit schon positive Erfah-rung gemacht Dies wurde aus fruumlheren Reflexionsphasen evaluiert

In einer Vorbereitungsphase planen die Lernenden im Team die Unterrichtsse-quenz in der Betriebskuumlche Sie bekommen dafuumlr die notwendigen Unterlagen Ziel ist es das die Lernenden selbststaumlndig die Arbeiten aufteilen die Arbeitsschritte detailliert ausarbeiten und in der Unterrichtseinheit umsetzen Die Schuumllerinnen und Schuumller geben einander Hilfestellungen Je besser die Lernenden zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstuumltzen desto besser wird auch das Ergebnis sein In der folgenden Aufgabenstellung bekommen die Schuumllerinnen und Schuumller genaue Erlaumlu-terungen fuumlr die Arbeitsaufgabe und das Stundenziel

Betriebskuumlche als Lernort

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Tab 2 Arbeiten im Team Aufgabenstellung und Erlaumluterungen fuumlr Lernende (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011)

AUFGABENSTELLUNG UND ERLAumlUTERUNGEN ndash LERNENDE

Ausgangssituation Die Aufgabenstellungen die in der Unterrichtseinheit in der Betriebskuumlche zu bewaumlltigen sind koumlnnen im Wesentlichen in folgende Teilbereiche gegliedert werden

1 Vorbereitungsphase Studieren der bereitgestellten Unterlagen Wiederholen der wesentlichen the-oretischen Lehrinhalte wie zB Zubereitungsarten Verteilen der Aufgaben auf die Teammitglieder Erstellen eines Arbeitsplans mit Arbeitsschritten verteilt auf Teammitglieder und Betriebsmittel ge-naue Zeiteinteilung fuumlr die Durchfuumlhrungsphase (incl Mise en place Praktische Arbeit wie Zuberei-tungszeit Essensausgabe und Nacharbeit)

2 eventuelle Ruumlckfragen bei Lehrerin (kann entfallen) 3 Durchfuumlhrungsphase (Mise en place Praktische Arbeit Nacharbeit) 4 Ergebniskontrolle und Feedbackphase (Selbst- und Gruppenreflexion)

Sie erhalten fuumlr die Unterrichtseinheit (mindestens 1 Woche vor dem Unterricht) Rezepte Einkaufszettel und genaue Personenanzahl Je besser die Teammitglieder zusammenarbeiten desto effizienter und ergebnisorientierter kann die Unter-richtseinheit durchgefuumlhrt und die praktische Arbeit bewaumlltigt werden Aufgabenstellung Sie fuumlhren mit Ihren Mitschuumllerinnen in Teams 4 ndash 5 Personen in der Betriebskuumlche gemeinsam eine Unter-richtseinheit durch Sie erhalten dafuumlr eine praktische Aufgabenstellung die Rezepte ev Schwerpunktsetzung Zeiten fuumlr Essensausgabe genaue Personenanzahl in der Betriebskuumlche Der Inhalt wird Ihnen in einer Vorbesprechung von demder Lehrerin erlaumlutert und enthaumllt im Wesentlichen die oben angefuumlhrten Teilaufgaben Im Rahmen Ihrer Vorbereitung muumlssen Sie die notwendigen Arbeitsschritte erkennen und innerhalb Ihres Teams aufteilen Zusaumltzlich werden Sie Regeln erfolgreicher Teamarbeit versuchen anzuwenden Abschlieszligend reflektieren Sie die Einhaltung der Regeln und Ihre Zusammenarbeit im Team Vorgangsweise

Schritt 1 Besprechen Sie als Teil der Vorbereitung in Ihrem Team den Unterrichtsverlauf und fuumlhren Sie die notwendige Zuordnung der notwendigen Teilaufgaben durch Beruumlcksichtigen Sie dabei die indi-viduellen Faumlhigkeiten der einzelnen Teammitglieder Versuchen Sie im gemeinsamen Gespraumlch einen Konsens zu finden Wiederholen Sie auch die Regeln erfolgreicher Teamarbeit die Sie mit Ihrer Lehrerin in der Klasse erarbeitet haben Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 2 Am Beginn der Unterrichtseinheit bespricht Ihr Team mit demder Lehrerin die fachlichen In-halte Zuordnung der Arbeitsaufgaben auf die einzelnen Teammitglieder und zeitlichen Rahmen Zeitbedarf ca 15 ndash 20 min

Schritt 3 Waumlhrend der Unterrichtseinheit versuchen Sie und Ihre Teammitglieder die Ihnen zugeordne-ten Teilaufgaben so gut wie moumlglich zu erledigen gegenseitige Unterstuumltzung ist dabei sinnvoll und fuumlhrt zu besseren Ergebnissen Zusaumltzlich versuchen Sie Ihre Regeln erfolgreicher Teamarbeit umzusetzen Kontrollieren Sie vor der Essensausgabe im Team Ihre Ergebnisse Setzen Sie eventuell Verbesserungs-vorschlaumlge um Zeitbedarf in Abhaumlngigkeit der Unterrichtseinheit

Schritt 4 Vor Ende der Unterrichtseinheit fuumlllt jedes Teammitglied das Feedbackblatt aus und in einer Abschlussbesprechung mit demder Lehrerin eroumlrtern Sie gemeinsam die wesentlichen Ergebnisse und die Zusammenarbeit im Team Zeitbedarf ca 10 ndash 15 min

GUTES GELINGEN IM TEAM SIND SIE STARK

Betriebskuumlche als Lernort

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Fuumlr ein erfolgreiches Arbeiten sollten zu Beginn Teamregeln definiert werden Als Beispiel kann das angefuumlhrte Arbeitsblatt dienen Tab 3 Arbeiten im Team Arbeitsblatt Teamregeln (vgl Broschuumlre Bildungsstandards ndash

Soziale und Personale Kompetenz BMUKK 2011) ARBEITSBLATT bdquoTEAMREGELNldquo

Regeln fuumlr erfolgreiche Teamarbeit Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Arbeits- und Verhaltensregeln die wesentlich zum Erfolg der gemeinsamen Arbeit beitragen

Verwenden Sie dabei die folgende Vorgangsweise

1 Jedes Teammitglied notiert zunaumlchst einzeln fuumlr sich die ihm persoumlnlich wichtigsten fuumlnf Regeln fuumlr eine erfolgreiche Teamarbeit

2 Anschlieszligend werden diese im Team besprochen und eventuell durch Nachfragen eroumlrtert 3 Bestimmen Sie nun gemeinsam mit Ihrem Team die acht wesentlichen Regeln fuumlr erfolgreiche

Teamarbeit Dies sollte nach intensiver Diskussion und auf demokratische Weise geschehen 4 Praumlsentieren Sie nun Ihre Teamregeln in der Klasse Gemeinsam mit demder Lehrerin und den

Mitschuumllerinnen einigen Sie sich anschlieszligend auf zehn Regeln die verbindlich in allen Teams eingefuumlhrt werden sollen

5 Versuchen Sie die beschlossenen Regeln im Rahmen Ihrer Teamarbeit bei den Unterrichtseinheiten in der Betriebskuumlche einzuhalten

Meine persoumlnlichen fuumlnf Teamregeln

Die acht Teamregeln unseres Teams

Die zehn Teamregeln in unserer Klasse

In einer abschlieszligenden Besprechung nach der Unterrichtseinheit wird von den Ler-nenden ein Feedbackbogen ausgefuumlllt im Team besprochen und Verbesserungsvor-schlaumlge ausgesprochen

6 Fazit

Abschlieszligend laumlsst sich sagen dass mit Hilfe des theoretischen Fachwissens klar erkennbar wird dass nur ein Mensch der seine eigene Identitaumlt gefunden hat seine Persoumlnlichkeit akzeptiert und wertschaumltzt in der Lage ist ein solches Verhalten auch seinen Mitmenschen gegenuumlber zu zeigen Mit Hilfe des beschriebenen Unterrichts-entwurfes bdquoArbeiten im Team in der Betriebskuumlcheldquo konnte aufgezeigt werden welche Moumlglichkeiten bereits vorhanden sind um eine Foumlrderung von Selbst- und Sozialkompetenz durchzufuumlhren Eine zentrale Funktion der Lehrkraumlfte sollte sein jene Kompetenzen zu foumlrdern welche es den Jugendlichen ermoumlglichen sowohl selb-staumlndig als in Zusammenarbeit mit anderen Menschen effektiv und mit Freude zu arbeiten

Betriebskuumlche als Lernort

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Anmerkungen 1 bdquoVersorgung bestimmter Verbrauchergruppen mit Speisen und Getraumlnken oft uumlber

einen laumlngeren Zeitraum und regelmaumlszligig waumlhrend der Anwesenheit in Betrieben Gesundheitseinrichtungen Schulen Heimen Kindergaumlrten Kasernen usw Die Versorgung kann sich auf einzelne Mahlzeiten (zB Schuumllerspeisung) oder alle Ta-gesmahlzeiten (zB in Krankenhaumlusern) erstreckenldquo (Zobel 2000 S 133)

2 bdquoDidaktische Strategie mit dem Ziel alle Lernenden ertragsorientiert in den Unter-richt zu integrieren kombiniert mit dem dazu geeigneten Methodenrepertoireldquo (Mattes 2011 S 20f)

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Betriebskuumlche als Lernort

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Verfasserin

Brigitte Mutz

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung

Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien

E-Mail brigittemutzphwienacat Internet wwwphwienacat

Ernaumlhrungskompetenz

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______________________________________________________________

Sigrid Kuumlstler

Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen In den berufsbildenden Schulen treffen auf dem Gebiet der Ernaumlhrungsbildung zwei Lernorte aufeinander der theoretische Unterricht Ernaumlhrung (Lernort Klassenzimmer) und der fach-praktische Unterricht (Lernort Schul- bzw Betriebskuumlche) Es soll aufgezeigt werden wie Ernaumlhrungskompetenz in diesen beiden Lernorten entwickelt werden kann

Schluumlsselwoumlrter Ernaumlhrungsbildung Ernaumlhrungskompetenz Empowerment Handlungsfauml-higkeit Selbststaumlndigkeit

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1 Bedarfsgerechtes Ernaumlhrungsverhalten ermoumlglichen

Das Problem dem Menschen in nahezu allen Lebensbereichen gegenuumlberstehen ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln Als Beispiele seien hier das Umwelt- Ernaumlhrung- und Sportverhalten genannt Fuumlr alle diese Lebensbereiche gilt das Glei-che Wir wissen zwar wie es theoretisch ginge das heiszligt wir verfuumlgen uumlber das entsprechende fachliche Know-how aber leider handeln wir nur in wenigen Faumlllen auch entsprechend Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diverser Fach-bereiche beschaumlftigen sich mit diesem Phaumlnomen Waumlhrend Biologen und Biologin-nen der Frage nachgehen bdquoWie kommt man vom Umweltwissen zum Umwelthan-delnldquo ist die ernaumlhrungsrelevante Frage bdquoWie kommt man vom Ernaumlhrungswissen zur Ernaumlhrungskompetenzldquo

Grau amp Legutke (2013) sehen den Lernort Klassenzimmer als Kernzone fuumlr das Erlernen von fremdsprachlicher Kompetenz Gleiches muss auch fuumlr den Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz gelten Die Kernzone Klassenzimmer wird in oumlsterreichischen berufsbildenden Schulen durch den Lernort Schulkuumlche erweitert So koumlnnen die ernaumlhrungsbildenden Kompetenzen die im oumlsterreichischen Referenzrahmen fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbrauchbildung formuliert wurden in beiden Lernorten verankert und trainiert werden Der vorliegende Artikel versucht dies an den beiden Kompe-tenzen bdquoEB 1 Das eigene Essverhalten reflektieren und bewertenldquo und bdquoEB 2 sich vollwertig ernaumlhren koumlnnenldquo (Buchner amp Schuh 2009 S 8) zu verdeutlichen Die Frage die sich stellt ist wie diese beiden innerschulischen Lernorte auch primaumlre Lernorte genannt (vgl Thomas 2009) die Entwicklung der Ernaumlhrungskompetenz von Lernenden foumlrdern koumlnnen Die zwei Lernorte schaffen ideale Voraussetzungen um bei entsprechender Lernbereitschaft der Lernenden sowohl kognitive als auch operationale Kompetenzen zu erwerben bzw weiterzuentwickeln in anderen Worten die Handlungsfaumlhigkeit der Lernenden anzubahnen

Ernaumlhrungskompetenz

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Um Schuumller und Schuumllerinnen zu handlungsfaumlhigen Akteuren zu erziehen brau-chen sie im Unterricht konkrete Handlungsanlaumlsse Diese koumlnnen im geschuumltzten Rahmen dem Lernort umgesetzt geuumlbt und letztlich reflektiert werden Peterszligen (2001) definiert Handlungsfaumlhigkeit wie folgt bdquoAls handlungsfaumlhig gilt wer imstan-de ist selbststaumlndig mit moumlglichst vielen Situationen fertig zu werden in die sein Leben ihn hineinfuumlhrt weil er die darin vorfindbaren Probleme eigenstaumlndig zu loumlsen faumlhig istldquo (S 10) Handlungsfaumlhigkeit ist fuumlr Peterszligen ein ganzheitlich-integratives Konzept dass sich aus der Schnittmenge von fundierter Sach- Sozial- Moral- und Methodenkompetenz ergibt1

Ziel des Ernaumlhrungs- und Kuumlchenfuumlhrungsunterrichtes muss diese Handlungsfauml-higkeit bzw der Erwerb von Ernaumlhrungskompetenz sein Im Vorwort des aid-Tagungsbandes Du isst wie du bist Ernaumlhrungskompetenz ist Lebenskompetenz fasst Buumlning-Fesel Ernaumlhrungskompetenz wie folgt zusammen

Ernaumlhrungskompetenz [ist] die Faumlhigkeit theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Ernaumlhrungsalltag in ein angemessenes Handeln umzusetzen zum Beispiel im Sinne einer gesunden und nachhaltigen Ernaumlhrung (Buumlning-Fesel 2011 S 6)

Das Umsetzen der erworbenen Faumlhigkeiten das Entwickeln von Kompetenzen muss also im Fokus des Unterrichts stehen Im Sprachunterricht orientiert man sich zur Erfuumlllung dieser Aufgabe am handlungsorientierten Unterricht (task-based teaching) So werden im primaumlren Lernort Klassenzimmer Alltagssituationen kreiert sogenann-te bdquotasksldquo (Aufgabenstellungen) gegeben die so realitaumltsnah wie moumlglich geuumlbt wer-den Eine Vielzahl der verwendeten Sprachschulbuumlcher erleichtert diese Form des Sprachunterrichts maszliggeblich

Da sich der Groszligteil der Ernaumlhrungspaumldagoginnen und -paumldagogen auf das Schulbuch stuumltzt wird hier der Frage nachgegangen inwiefern das Konzept des Han-delnlernens in diversen inter-nationalen Ernaumlhrungslehre-Schulbuumlchern verankert ist Eine Analyse des an den berufsbildenden Schulen verwendeten Schulbuchs Er-naumlhrung ndash bewusst ndash aktuell ndash lebensnah (Reischl et al 2009) zeigt auf dass der rein kognitive Wissenserwerb im Vordergrund steht Handlungsanlaumlsse bzw hand-lungsorientiertes Lernen spielen eine untergeordnete Rolle Zu Beginn jedes Kapitels werden Ziele formuliert die nur Operatoren (zB Bescheid wissen kennen erlaumlu-tern erklaumlren etc) aus dem Bereich der kognitiven Ebene bedienen Aumlhnliches gilt fuumlr die Rubrik Arbeitsaufgaben Auch hier zielen die Arbeitsaufgaben darauf ab Kognitionsfragen zu beantworten So zB bdquoIn welche Gruppen werden Kohlenhydra-te eingeteilt Worin besteht der Unterschied zwischen den einzelnen Artenldquo (S 36) Im gesamten Schulbuch findet sich ein Rollenspiel in Form einer Ernaumlhrungsbera-tungssituation zum Thema Kleinkindernaumlhrung (S 238)

Handlungsanleitungen oder Vorschlaumlge fuumlr Projekte wie sie zB in Richters (2009) Kreativ Ernaumlhrung entdecken Usus sind oder die Rubrik bdquoUnd jetzt Sieldquo in de Groot amp Farhadis (2007) Schulbuch In Sachen Ernaumlhrung in der es neben Kogni-tionsaufgaben auch Anwendungsaufgaben (zB Fallbeispiele wie etwa zum The-

Ernaumlhrungskompetenz

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menbereich Salmonellose S 313) zu loumlsen gibt finden sich auch in anderen oumlsterrei-chischen Pendants Richtige Ernaumlhrung (Linder amp Robitza 2003) oder Gesundheit und Ernaumlhrung (Knapp et al 2009) noch nicht Eine Erweiterung im Bereich Hand-lungsorientierung in den oumlsterreichischen Schulbuumlchern waumlre wuumlnschenswert um so eine bessere Ernaumlhrungskompetenz bei den Lernenden zu erzielen

Moumlglichkeiten die Ernaumlhrungskompetenz der Lernenden zu foumlrdern werden bei Strotkamp aufgelistet bdquoexemplarisches Lehren und Lernen schuumllerInnenorientiert [sic] handlungsorientiert Wissenschaft dient als Informationsgeberin (Orientie-rungs- und Entscheidungshilfen) konkretes Ausprobieren handelnd lernen Alltags-bezug [sic]ldquo (Strotkamp 2002 S 189)

Um Ernaumlhrungskompetenz zu ermoumlglichen bedarf es auch einer gezielten Aus-einandersetzung mit dem Begriff des Empowerments Duumlr (2008) bringt den Termi-nus folgendermaszligen auf den Punkt

Der Begriff des Empowerments steht in gewisser Weise fuumlr das Paradox Individuen dazu zu bringen von sich aus so zu leben zu denken und zu handeln wie es mit den anspruchsvoller werdenden Bedingungen der Gesellschaft vereinbar ist ohne dabei Herrschaft Macht und Zwang ausuumlben zu muumlssen bzw sich in die Gestaltung der sozialen Systeme und der Gesellschaft insgesamt aktiv in einer Weise einzubringen dass diese zugleich gegenuumlber individuellen Einfluumlssen und Stoumlrungen paradoxer-weise resistenter werden (Duumlr 2008 S 11)

Bevor gezeigt wird wie ein Zusammenspiel von Ernaumlhrungskompetenz Handlungs-orientierung und Empowerment im Ernaumlhrungsunterricht aussehen kann wird im folgenden Kapitel das Augenmerk auf die eingangs beschriebene Diskrepanz zwi-schen Handeln und Wissen gelegt

2 Theorien zum nicht-stattfindenden Wissenstransfer

Aumlhnlich wie die biologiedidaktische steht auch die ernaumlhrungsdidaktische Forschung vor demselben Problem Obwohl das theoretische Wissen bei der Bevoumllkerung vor-handen ist mangelt es an der praktischen Umsetzung bzw am Wissenstransfer Die-ses Dilemma wird in zahlreichen Studien aus dem naturwissenschaftlichen sowie dem Publich Health-orientierten Bereich aufgezeigt Dieses Phaumlnomen des Nicht-uumlbertragens von vorhandenem Wissen des Ungenutztlassens von Erlerntem wurde 1929 von Whitehead als traumlges Wissen (inert knowledge) bezeichnet (vgl Renkl 1996) In seinem Artikel fasst Renkl drei Erklaumlrungsmoumlglichkeiten fuumlr diese Wis-sens-Handels-Diskrepanz zusammen

a) Metaprozesserklaumlrung Diese Theorie geht davon aus dass es zu keiner Nutzung des existierenden Wissens kommt weil die sogenannten me-takognitiven Steuerungsprozesse mangelhaft sind

Ernaumlhrungskompetenz

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b) Strukturdefiziterklaumlrung Hierbei geht man davon aus dass das eigentliche Wissen luumlckenhaft bzw nicht ausreichend ist um es entsprechend anwen-den zu koumlnnen

c) Situiertheitserklaumlrung Diese Theorie geht von der Situiertheit des Wissens aus und kritisiert somit auch die Ansaumltze der Kognitionspsychologie zur Thematik Wissen und Transfer (vgl Renkl 1996 S 84-87)

Um schlieszliglich anwendbares Wissen zu erlangen wird mithilfe von Modellen des situierten Lernens (zB kognitive Lehre verankerte Instruktion und Kognitive Flexibilitaumlt) im Unterricht gearbeitet bdquoAls Gemeinsamkeit dieser Ansaumltze kann hervorgehoben werden daszlig [sic] an komplexen authentischen oder zumindest realitaumltsnahen Problemstellungen gelernt wird (problemorientiertes Lernen)ldquo (Renkl 1996 S 87) Wissen werde so bereits im Anwendungskontext erarbeitet und somit auf bdquobestimmte Anwendungsbedingungen hin konditionalisiertldquo (S 88) Dieses anwendungsorientierte Lernen soll auch durch kooperatives Vorgehen in der Klasse gestuumltzt werden da bdquobei den Modellen des situierten Lernens der Sozi-alaspekt betont und Lernen als Enkulturation aufgefaszligt [sic]ldquo (S 88) wird

Wie ein entsprechend situiertes Lernarrangement im Ernaumlhrungsunterricht aus-sehen koumlnnte soll hier skizziert werden Die Themen des situierten Lernarrange-ments sind die Naumlhrwertberechnung und der Umgang mit Naumlhrstofftabellen Im Schulbuch wird ein fiktives Berechnungsbeispiel angegeben Eine vorgegebene Menge Haferflocken Apfel und Joghurt sind zu berechnen Der Arbeitsauftrag lautet bdquoWie viel Energie hat dieses Muumlslildquo Die Schuumller und Schuumllerinnen berech-nen rein mechanisch und haben beim naumlchsten Mal wieder vergessen wie sie den Energiewert berechnen koumlnnen

Eine handlungsorientierte und zugleich kooperative Moumlglichkeit die die kogni-tive Ebene mit der operationalen Ebene verbindet sieht folgendermaszligen aus

Den Lernenden wird in Kleingruppen ermoumlglicht sich selbst ihr Muumlsli zusam-menzustellen Die entsprechenden Ingredienzen stehen zur Verfuumlgung und duumlrfen frei gewaumlhlt abgewogen und in eine entsprechende Tabelle eingetragen werden Schlieszliglich wird der Energiegehalt der eigenen realen Muumlsliportion berechnet Die Schuumller und Schuumllerinnen werden angehalten den Energiegehalt ihrer Portion mit den Empfehlungen der DGE zu vergleichen wenn noumltig werden innerhalb der Gruppen Veraumlnderungen vorgenommen bzw Verbesserungs-vorschlaumlge gemacht

Neben der Zurverfuumlgungstellung von Muumlsliingredienzien (Orientierungshilfe) und dem Auswaumlhlen (sich entscheiden) dem Berechnen (Kognition) dem Abglei-chen von Ist- und Soll-Zufuhr am konkreten Beispiel (Reflexion) und dem Erbrin-gen von Verbesserungsvorschlaumlgen (Ernaumlhrungskommunikation -beratung) finden wichtige praktische Taumltigkeiten (Herstellung des Muumlslis Anrichten) statt Die ge-meinsame Verkostung (soziales Setting und sensorische Bewertung) schlieszligt diese Einheit ab Dieses konkrete Unterrichtsbeispiel veranschaulicht wie Wissenser-werb Empowerment und Ernaumlhrungskompetenz Hand in Hand gehen

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3 Handlungstheorien und ihre didaktische Umsetzung

Im Zusammenhang mit Ernaumlhrungsbildung und Gesundheitsfoumlrderung in der Schule muss sich die Ernaumlhrungsdidaktik auch mit Handlungstheorien bzw der Handlungs-psychologie auseinandersetzen Die fuumlr diesen Artikel ausgewaumlhlten Theorien wer-den kurz umrissen Die Auswahl dieser Theorien erfolgt aufgrund ihrer ernaumlhrungs-didaktischen Tauglichkeit

Was versteht die Wissenschaft unter Handeln Der Neurobiologe Roth (2003) versteht unter Handeln bdquodas Verfolgen von Zielen genauer den Versuch Wuumlnsche Plaumlne und Absichten in die Tat umzusetzen Handeln unterscheidet sich hierdurch vom bloszligen Reagieren auf bestimmte Sinnesreize jenes wird uumlberwiegend intern dieses uumlberwiegend extern bestimmtldquo (S 472) Ein wichtiger Aspekt um ein Ziel zu erreichen ist die Willensanstrengung2 Roth erlaumlutert die Erkenntnisse der Hand-lungs- und Volitionspsychologie und geht in diesem Zusammenhang auf Heckhau-sen ein und benennt fuumlnf Phasen des Handelns

(1) die realitaumltsorientierte Motivationsphase (2) die Intentionsbildung (3) realisie-rungsorientierte praumlaktionale Phase (4) die aktionale Volitions- bzw Handlungs-phase und (5) die postaktionale Phase die das Erzielte bewertet und fuumlr spaumltere Handlungen beruumlcksichtigt (Roth S 476)

Um den Jugendlichen bei der Planung ihres Trinkverhaltens zu helfen wurde fol-gendes Beispiel von ihnen erarbeitet Tab 1 Planungsschritte fuumlr das Trinkverhalten

Phasen Teilaspekte ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Phase 1 Was Trinkverhalten verbessern

Phase 2 Wie Wasserkaraffe auf dem Schreibtisch bereithalten

Phase 3 amp 4 das Handeln Wasser trinken und im Trinkprotokoll die entspre-chenden Portionen festhalten

Phase 5 das Bewerten Was ist gut gelaufen Was muss ich verbessern

Eine Theorie die sich mit der Wechselbeziehung zwischen Einstellungen und Ver-halten auseinandersetzt ist Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens Ajzen erforscht ebenfalls Phasen im Handeln Laut Graf (2007) haben Ajzen und Fishbein unter anderem folgende vier Aspekte fuumlr diverse Haltungen sowie fuumlr das Verhalten for-muliert den Handlungs- Ziel- Kontext- und Zeitaspekt Nachfolgend eine Tabelle die diese vier Teilaspekte des Handelns auf das Ernaumlhrungsverhalten uumlbertraumlgt

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Tab 2 Beschreibung der Einstellungs- und Verhaltensperspektiven

Aspekte Fragen (lt Graf S 34) ernaumlhrungsrelevantes Vorhaben

Handlungsaspekt Welches Verhalten soll ausgefuumlhrt oder unterlassen werden

morgen kein Dessert essen

Zielaspekt Welches Ziel hat das Verhalten morgen nicht naschen

Kontextaspekt In welchem Kontext steht das Verhal-ten

Gehe ich morgen essen oder koche ich selbst

Zeitaspekt Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zeitrahmen soll das Verhalten ausge-fuumlhrt werden

einen Tag lang nichts naschen od gaumlnzlich darauf verzichten

Fuumlr die Ernaumlhrungsbildung in der Schule koumlnnen diese beiden Tabellen zB zur Nachbesprechung in der Reflexionsphase eines Essverhaltensprotokolls (vgl Heindl 2003 S 75) herangezogen werden Heindl fuumlhrt zB als Methode der Gesundheits-bildung bdquoEssgewohnheiten ndash Die Spirale der Veraumlnderungldquo an (vgl Heindl 2003 S 77)

Abb 1 Essgewohnheiten ndash Spirale der Veraumlnderung (nach Heindl 2003 S 77) Um den Lehrenden bei der Spirale der Veraumlnderung weiterzuhelfen haben die in Tabelle 1 und 2 angefuumlhrten Aspekte gute Dienste geleistet da dem Groszligteil der Jugendlichen nicht bewusst ist aus welchen Komponenten sich ihr Handeln zusam-mensetzen kann

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4 Handlungsorientiertes Lernen und Ernaumlhrungsbildung

Um Lernende moumlglichst wirklichkeitsnahe handeln zu lassen wurde der handlungs-orientierte Unterricht entwickelt Laut Bender (2013) trifft man ihn im Lernfeld Er-naumlhrung haumlufig an Peterszligen (2001) formuliert zum Thema handlungsorientiertes Lernen3 sehr plakativ bdquoWer Handlungsfaumlhigkeit will muss handeln lassenldquo (S 142) Fuumlr ihn bedeutet Handlungsorientierung dass Lernende die Faumlhigkeit besitzen ihr bdquoeigenes Handeln intellektuell regulieren zu koumlnnenldquo (S 142) Er fordert weiter dass die Lernenden bdquoihr Handeln von A bis Z [hellip] selbstaumlndig steuernldquo (S 145) muumls-sen damit sie das Erziehungsziel Selbstaumlndigkeit4 erreichen koumlnnen Aumlhnlich wie Heckhausen oder auch Ajzen sieht Peterszligen Handeln in Dimensionen unterteilt Er stuumltzt sich auf das Modell des vollstaumlndigen Handelns von Hacker dieses unterteilt sich wie folgt Planen Ausfuumlhren und Kontrollieren Peterszligen kreiert sein didakti-sches Modell des handlungsorientierten Lernens in Anlehnung an das des vollstaumlndi-gen Handelns (vgl Abb 2)

Abb 2 Didaktisches Modell vollstaumlndigen Handelns (Quelle Peterszligen 2001 S 145) Fuumlr den ernaumlhrungsbildenden Unterricht kann dieses Modell wie folgt in die Praxis umgesetzt werden In der HLW19 Straszligergasse wurde in den letzten drei Jahren das Projekt bdquoGesunde Jauseldquo gestartet Die Intentionen sind erstens auf die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden Einfluss zu nehmen zweitens beiden Gruppen Orien-tierungshilfen zu bieten und drittens die Zubereitungskompetenz der Schuumllerinnen und Schuumller bezuumlglich der Herstellung von einfachen bedarfsgerechten sowie naumlhr-stoffdichten Snacks in den schuleigenen Kuumlchen zu foumlrdern Dieser Zugang bedingt

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eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Faumlchern Ernaumlhrung und Kuuml-chenfuumlhrung einerseits Er erfordert aber auch andererseits dass die Lernenden typi-sche Nahrungszubereitungsmethoden gezielt uumlben naumlhrstoffdichte Snacks erkennen und gemaumlszlig den Hygienevorschriften herstellen sowie im Team arbeiten koumlnnen Neben der fachlichen Kompetenz werden auch die Methodenkompetenz und die personalensozialen Kompetenzen trainiert Im konkreten Fall wird dargestellt wie die Lernenden bei der Auswahl und Herstellung von bedarfsgerechten Snacks unter-stuumltzt werden um dann entsprechend handeln zu koumlnnen Die Schritte die an der HLW19 gesetzt wurden sind

a) Produktion von naumlhrstoffdichten Pausensnacks (Kochkompetenz) b) Verkauf und Beratung der Snacks in der Schulaula (Beratungskompetenz) c) Marketing durch Schuumllerinnen und Schuumller d) Konsum und Bewertung dieser Snacks durch Schuumllerinnen und Schuumller

Um die Lernenden zum Handeln zu motivieren brauchen sie im Unterricht konkrete Anlaumlsse die sie im geschuumltzten Rahmen umsetzen uumlben und reflektieren koumlnnen Das 6-stufige didaktische Modell von Peterszligen stand Pate fuumlr die folgende Vorge-hensweise Das Thema im Ernaumlhrungsunterricht ist die bdquoGesunde Jauseldquo und unter-stuumltzt somit das obenerwaumlhnte Projekt Buumlnning-Fesels Definition von Ernaumlhrungs-kompetenz Duumlrs Sicht des Empowerments und die beiden Deskriptoren EB1 und EB 2 des oumlsterreichischen Referenzrahmens fuumlr Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung bilden den weiteren didaktischen Hintergrund

Tab 3 Ernaumlhrungsdidaktische Umsetzung (basierend auf Peterszligens Modell)

Phasen Umsetzung

1 Information Lernenden erarbeiten sich das Thema bdquoGesunde Jauseldquo

2 Planung Lernende planen ihre eigene gesunde Jause Der Handlungsplan muss folgendes beinhalten 5 Tagesplaumlne bdquoGesunde Jauseldquo fuumlr Teenager entsprechend des in Schritt eins erworbenen Wissens Rezeptplanung Naumlhrstoffdichte-Berechnung Einkaufsliste Zube-reitungsinformation Marketingstrategie fuumlr die gesunde Jause

3 Beratung Lehrende beraumlt

4 Ausfuumlhrung Lernende fuumlhren ihre Planung mithilfe der Lehrkraumlfte aus

5 Evaluation Evaluation des Vorhabens

6 Bewertung Bewertung des Vorhabens

Am Ende dieser Einheit stehen nicht nur Rezepte Einkaufslisten Handlungsplaumlne sowie Jausensnacks als konkrete Handlungsprodukte zur Verfuumlgung die Schuumllerin-nen und Schuumller haben sich im Bereich der Selbststaumlndigkeit weiterentwickelt Ihre Planungskompetenz und ihre Ernaumlhrungskompetenz (theoretischer sowie operationa-ler Art) konnte weiterentwickelt werden

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5 Conclusio

Um der Forderung in der Schule ernaumlhrungskompetente Schuumllerinnen und Schuumller auszubilden damit sie sich gemaumlszlig der Idee des Empowerments gesundheitsfoumlrdernd ernaumlhren und verhalten koumlnnen gerecht zu werden bedarf es einer fundierten Ausei-nandersetzung mit Handlungstheorien und handlungsorientiertem Lernen Diese profunde Beschaumlftigung muss in der Aus- Weiter- und Fortbildung geschehen

Anmerkungen 1 Naumlhere Ausfuumlhrungen betreffend der ernaumlhrungsrelevanten Moral- bzw Methoden-

kompetenz finden sich in Buchner et al (2011) und Bender et al (2013) 2 Einen eingehenden Uumlberblick zu den Moumlglichkeiten und Grenzen der Willens-

erziehung bietet Langer (2011) 3 Es wurde bewusst der Begriff bdquohandlungsorientiertes Lernenldquo und nicht bdquohand-

lungsorientierter Unterrichtldquo gewaumlhlt Dies geschieht einerseits weil mit dem Be-griff des Lernens verdeutlicht werden soll dass die Lernenden im Vordergrund ste-hen und andererseits weil der Begriff handlungsorientiertes Unterrichten bei Meyer (2003a 2003b) und Jank und Meyer (2008) nicht auf Handlungstheorien basiert

4 Eine ausfuumlhrliche Einfuumlhrung zum Erziehungsziel Selbststaumlndigkeit gibt Drieschner (2007)

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Verfasserin

Maga Sigrid Kuumlstler

Paumldagogische Hochschule Wien Institut Ausbildung Berufsbildung Ernaumlhrungspaumldagogik Grenzackerstraszlige 18 A-1100 Wien E-Mail sigridkuestlerphwienacat Internet wwwphwienacat

Beurteilungsportfolio

105

______________________________________________________________

Ute Bender

Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche Das Lernatelier Kuumlche stellt eine wichtige materielle Lernumgebung fuumlr den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung dar Die damit verbundenen Lernprozesse stehen in Verbindung mit Methoden der Leistungsbeurteilung welche die angestrebten Kompetenzen in ihrer ganzen Breite auch tatsaumlchlich erfassen koumln-nen Der folgende Beitrag schlaumlgt hierzu ein Beurteilungsportfolio vor

Schluumlsselwoumlrter Portfolio Leistungsbeurteilung Nahrungszubereitung Ernaumlhrungsbildung

______________________________________________________________

1 Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche als Lernumgebung der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

In der Tradition der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung war das Lernatelier Kuumlche1

lange Zeit die typische materielle Lernumgebung Heute hat sich dies gewandelt Nichtsdestotrotz sind insbesondere in der Ernaumlhrungsbildung fachliche Lernprozesse im Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung unver-zichtbar die im Lernatelier am besten unterstuumltzt werden koumlnnen

Diese Lernprozesse sind mit vielfaumlltigen Teilkompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung verknuumlpft so dass im Lernatelier keineswegs ausschlieszliglich am Kompetenzaufbau in der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung gearbeitet wird Lehr-Lernarrangements im Lernatelier Kuumlche stellen folglich keinen separier-ten oder bdquobesonderenldquo Sektor innerhalb der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung dar sondern sind in die uumlbergeordneten Intentionen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung integriert Auch fuumlr die Leistungsbeurteilung gelten somit keine bdquobesonderenldquo Rege-lungen - allerdings sind bestimmte Fokussierungen vorzunehmen um den spezifi-schen angestrebten Kompetenzen gerecht werden zu koumlnnen Ein Beurteilungsportfo-lio kann diesem Anspruch entgegenkommen2

Die Begriffe bdquoLeistungsbeurteilungldquo und bdquoLeistungsbewertungldquo werden im Fol-genden nicht synonym verstanden bdquoLeistungsbeurteilungldquo bezieht sich auf die Ver-fahren die uumlber einen laumlngeren Zeitraum zum Einsatz kommen und bdquoLeistungsbe-wertungldquo auf bdquodie konkrete und detaillierte Einordnung einer beschriebenen Leistung in einem bestimmten Maszligstabldquo (Bohl 2009 S 60f in Anlehnung an v Saldern 1999)

Beurteilungsportfolio

106

11 Leistungsbeurteilung im Zuge der Kompetenzorientierung

Das in schulischen Fachkreisen gaumlngigste Verstaumlndnis von bdquoKompetenzldquo greift auf die Definition von F E Weinert zuruumlck (Weinert 2001) bdquoKompetenzenldquo beinhalten demnach mehrere inhalts- und prozessbezogene Facetten Faumlhigkeiten Fertigkeiten und Wissen aber auch Bereitschaften Haltungen und Einstellungenldquo (D-EDK 2013b S 7) Konsequenterweise hat sich die Leistungsbeurteilung an diesem an-spruchsvollen Kompetenzbegriff zu orientieren In der Ernaumlhrungs- und Konsumbil-dung im Allgemeinen und im Lernatelier Kuumlche im Besonderen wird sie sich also nicht nur auf Faumlhigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren sondern anstreben saumlmtli-che Aspekte von Kompetenz zu erfassen (vgl Bender 2013 S 46ff)

Selbstverstaumlndlich kann sich die Leistungsbeurteilung nur auf jene Teilkompe-tenzen beziehen an denen vorher im Unterricht gearbeitet wurde Sie hat prinzipiell den bdquoGrundsatz der proportionalen Abbildungldquo (Sacher 2011 S 29 vgl Bohl 2012 S 327) zu beachten das heiszligt dass die jeweils gewaumlhlten Modalitaumlten der Leistungserhebung und -bewertung die im Unterricht unterstuumltzten Kompetenzen im Sinne einer repraumlsentativen Stichprobe spiegeln sollten Zugleich sind die Verfahren der Leistungsbeurteilung gemaumlszlig dem bdquoGrundsatz der Variabiliaumltldquo (Sacher 2011 S 29) so zu gestalten dass sie der Zielgruppe gerecht werden Gerade in der Ernaumlh-rungs- und Konsumbildung beduumlrfen die heterogenen Voraussetzungen der Lernen-den (zB Geschlecht Interkulturalitaumlt) und ihre individuellen situativen Problemlouml-sungen besonderer Aufmerksamkeit (Fachgruppe 2005 S 31 vgl Methfessel Ritterbach amp Schlegel-Matthies 2008)

Eine der Herausforderungen des skizzierten Kompetenzverstaumlndnisses liegt si-cherlich in dem Anspruch Leistungsbeurteilung auch auf die bdquoBereitschaften Hal-tungen und Einstellungenldquo (siehe oben) zu beziehen In der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung kommen manche Bereitschaften zB die Absicht sich gesund zu ernaumlhren und angemessene Zubereitungstechniken zu praktizieren vor allem im auszligerschulischen Alltag zum Vorschein sie bleiben somit fuumlr die schulische Leis-tungsbeurteilung prinzipiell unzugaumlnglich Diese ist auf entsprechende Aussagen der Schuumllerinnen und Schuumller angewiesen Dabei hat sie sich selbstverstaumlndlich nicht auf gewisse bdquoerwuumlnschteldquo Absichtserklaumlrungen der Lernenden zu beziehen sondern auf explizierte Argumentationen und Erwaumlgungen

Der Maszligstab der Kompetenzorientierung wird von allen aktuellen deutschspra-chigen fachdidaktischen Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung vertreten In diesen kommen noch weitere Anspruumlche zur Geltung welche die Leistungsbeur-teilung beeinflussen koumlnnen und im Folgenden skizziert werden

Beurteilungsportfolio

107

12 Leistungsbeurteilung in Bezug auf die Faumlhigkeit zur Reflexion

So wird in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung aus Oumlsterreich und Deutschland ua angestrebt dass Schuumllerinnen und Schuumller ihr Verhalten und ihre Entscheidungen reflektieren koumlnnen und wollen (Thematisches Netzwerk 2009 Fachgruppe 2005 vgl D-EDK 2013a S 8) Die Lernenden sollen uumlber das eigene Tun nachdenken und nicht nur spontan oder gewohnheitsmaumlszligig agieren In dieses Nachdenken flieszligen sehr unterschiedliches Wissen (zB aus den eigenen Erfahrun-gen oder wissenschaftliches Wissen) Einstellungen Emotionen etc ein Doch bdquoNachdenkenldquo ist bekanntlich unsichtbar Um es der Performanz zuzufuumlhren wird im Zuge der Leistungsbeurteilung erwartet dass die Schuumllerinnen und Schuumller ihre Gedanken in Texten oder auf andere Weise symbolisieren und ausfuumlhren Die Leis-tungsbeurteilung sollte folglich fuumlr solche Symbolisierungen Raum bieten

13 Leistungsbeurteilung vor dem Hintergrund ethischer Aspekte des Lernens

Eng mit den bdquoReflexionenldquo aber auch mit bdquoBereitschaften Einstellungen und Hal-tungenldquo (siehe oben) verknuumlpft sind solche Formulierungen in den Konzepten der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung welche die Lernenden in Richtung eines nachhal-tigen Handelns oder Lebensstils bilden wollen (Fachgruppe 2005 S 26 ff vgl D-EDK 2013a S 2 Thematisches Netzwerk 2009 S 8 f) Nachhaltiges Entscheiden und Handeln impliziert immer auch ethische Gesichtspunkte (Schlegel-Matthies 2013) Dasselbe gilt fuumlr die in den Konzepten mehrfach genutzten Termini des bdquover-antwortlichenldquo oder bdquoverantwortungsbewusstenldquo Handelns (Fachgruppe 2005 S 27 Thematisches Netzwerk 2009 S 7 11) Wiederum kann es bei der Leistungsbe-urteilung nicht darum gehen bestimmte bdquoerwuumlnschteldquo Antworten zu erhalten son-dern um moumlglichst differenzierte mehrperspektivische Explorationen

14 Leistungsbeurteilung im Sinne des salutogenetischen Prinzips

Das bdquosalutogenetische Prinzipldquo als didaktisches Prinzip der Ernaumlhrungs- und Kons-umbildung findet sich in expliziter Form ausschlieszliglich im deutschen Konzept REVIS wieder (Fachgruppe 2005 S 30) Es zielt darauf ab die je individuellen he-terogenen Ressourcen der Lernenden zu foumlrdern und zu fordern Leistungsbeurtei-lung im Sinne der Salutogenese beruumlcksichtigt das Prinzip der Variabiliaumlt (siehe oben) und beachtet daruumlber hinaus dass die damit verbundenen Anforderungen fuumlr die Lernenden handhabbar sinnvoll und verstaumlndlich bleiben und somit dem persoumln-lichen bdquoKohaumlrenzgefuumlhlldquo nach Antonovsky (1999) dienlich sind

Beurteilungsportfolio

108

15 Leistungsbeurteilung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens

Nicht zuletzt sei noch auf das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens hingewiesen welches ebenfalls im Konzept REVIS genannt ist Lernprozesse in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung sind demzufolge alltagsnah zu konzipieren vorhandene Erfah-rungen der Lernenden wert zu schaumltzen und Offenheit fuumlr weiteres Lernen ist ebenso zu foumlrdern wie bdquoLebensgestaltungs- und Bewaumlltigungskompetenzenldquo (Fachgruppe 2005 S 31) Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung versucht also idealerweise jene Offenheit fuumlr das weitere Lernen zu unterstuumltzen oder sogar Hilfestellungen hierfuumlr zu geben Sicherlich lieszligen sich noch weitere grundsaumltzliche Anforderungen an die Leistungs-beurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung formulieren Im Sinne eines Minimalanspruchs sollten konkrete Leistungsbewertungen jedoch den genannten zumindest nicht zuwiderlaufen Welche Rolle kann ein Beurteilungsportfolio dabei innehaben

2 Das Beurteilungsportfolio in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Portfolios als Lern- und Beurteilungsinstrumente werden mit unterschiedlichen Funktionen und fuumlr unterschiedliche Zielgruppen eingesetzt In der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung hat Brandl (2004) ein Konzept fuumlr die Lehrerinnen- und Lehrerbil-dung entwickelt Mit Blick auf Schuumllerinnen und Schuumller sind Portfolios folgender-maszligen zu definieren

Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Schuumllerarbeiten welche die An-strengung des Lernenden den Lernfortschritt und die Leistungsresultate auf einem oder mehreren Gebieten zeigt Die Sammlung schlieszligt die Beurteilung des Schuumllers bei der Auswahl der Inhalte Aufstellung der Kriterien fuumlr die Auswahl und zur Beur-teilung sowie selbstreflexive Gedanken ein (Lissmann 2008 S 137 in Anlehnung an Paulson Paulson amp Meyer 1991 vgl Brunner amp Schmidinger 2004 S 17 Bohl 2009 S 147f Haumlcker 2011a Winter 2012 S 200f)

Zu den bdquoselbstreflexiven Gedankenldquo gehoumlren meist Reflexionen der Lernenden uumlber ihre Portfolioentwicklung aber auch Uumlberlegungen zu ihren eigenen Lernprozessen Auszligerdem wird der Kommunikation zwischen Lehrperson und Lernenden uumlber Leis-tungen und Lernprozesse hoher Wert eingeraumlumt die dann ebenfalls Eingang ins Portfolio findet (Haumlcker 2011b S 218 Winter 2012 S 217)

Ein bdquoBeurteilungsportfolioldquo stellt eine von fuumlnf moumlglichen Formen eines Portfo-lios dar (siehe Tabelle 1 Lissmann 2008 S 141 vgl Glaumlser-Zikuda amp Hascher 2007 S 12f Paulson Paulson amp Meyer 1991 Winter 2012 S 200)

Beurteilungsportfolio

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Tab 1 Formen eines Portfolios (Lissmann 2008 S 141)

Aufgabe Portfolioformen

Lernprozess diagnostizieren Arbeitsportfolio

Lernerfolg beurteilen Beurteilungsportfolio

Lernergebnisse mitteilen Vorzeigeportfolio

Entwicklung dokumentieren Entwicklungsportfolio

Lernende vorstellen Bewerbungsportfolio

Das Beurteilungsportfolio dient somit dazu den Lernerfolg und die Schritte dorthin zu dokumentieren und der Bewertung zugaumlnglich zu machen folgerichtig hat es einen deutlich formaleren Charakter als zB das bdquoArbeitsportfolioldquo Wie fuumlr alle Portfolioformen gilt auch fuumlr das Beurteilungsportfolio dass es nicht nur einen ein-zigen Zeitpunkt im Lernprozess dokumentiert sondern auf eine laumlngere bdquoRegelstre-ckeldquo zuruumlckblickt (Winter 2012 S 213) Daruumlber hinaus beteiligt es wenn moumlglich die Lernenden an der Entscheidung welche ihrer Leistungen bewertet werden sollen und staumlrkt deren Selbstregulierung (Haumlcker 2011b S 220f)

In loser Anlehnung an Brunner und Schmidinger (1997 2004) sowie an Bohl (2009) sollte ein Beurteilungsportfolio folgende Dokumente umfassen Formale und strukturierende Elemente wie Titelblatt Inhaltsverzeichnis etc Pflichtdokumente aus dem Unterricht Dokumente nach Wahl der Lernenden die inner- oder auszliger-halb des Unterrichts entstehen koumlnnen Ruumlckmeldungen der Lehrperson zum Lern-prozess oderund zur Portfolioarbeit Schuumllerreflexionen

Waumlhrend das Beurteilungsportfolio in der deutschsprachigen Diskussion einer-seits als Alternative zum bdquoNotenfetischismusldquo (Vierlinger 1999) angesehen wurde und wird (Stern 2010 Vierlinger 2011) ist es heute andererseits auch als ergaumlnzen-de Beurteilungsmodalitaumlt denkbar (Bohl 2009 Winter 2012)

21 Ein Beurteilungsportfolio fuumlr das Lernatelier Kuumlche

Das Lernatelier Kuumlche ist der typische Ort fuumlr den Erwerb von Teilkompetenzen der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung Im Sinne des Kompetenzbegriffes gehoumlren dazu Fertigkeiten etwa Arbeitstechniken aber auch diverse Kenntnisse und Faumlhigkeiten ebenso entsprechende Motivationen und Bereitschaften Daruumlber hinaus sind die genannten Teilkompetenzen zu verknuumlpfen mit weiteren Kompetenzen der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung

Das Beurteilungsportfolio bietet ein breiteres Potenzial zur Leistungsbeurteilung an (siehe Tabelle 2)

Beurteilungsportfolio

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Tab 2 Leistungsbeurteilung in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung durch ein Portfolio

Die Verfahren der Leistungs-beurteilung solltenhellip

Ein Beurteilungsportfoliohellip

hellipKompetenz im umfassenden Sinn variabel erfassen koumlnnen

helliperlaubt sehr vielfaumlltige Dokumentationen die uumlber einen laumlngeren Zeitraum entstanden sind So kann es die Aspekte von Kompetenz vielseitiger abbilden als eine punktuelle Leistungserhebung Prozesse Produkte bzw Zwischenprodukte lassen sich mit Hilfe von Zeichnungen Fotos oder Videos fuumlr das Portfolio festhalten (Brunner amp Schmidinger 2004 Winter oJ) Die im Portfolio skizzierten Kommunikationen und Dokumentationen erlauben es auch sinnliche Qualitaumlten zu erfassen zB Verkostungen

hellipReflexionen der Lernenden erheben koumlnnen

hellipbeinhaltet Reflexionen zum je individuellen Lernprozess (einschlieszliglich der jeweils bearbeiteten Inhalte genutzten Strategien und Techniken Medien Uumlberlegungen zu eigenen Staumlrken und Schwierigkeiten) und zum Portfolioprozess (etwa zur Auswahl der Dokumente) Lehrpersonen unterstuumltzen die Reflexionsfaumlhigkeit indem sie den Lernenden moumlgliche Fragen aufzeigen diese mit ihnen erarbeiten sowie spezifische Arbeitsblaumltter bereitstellen (vgl Poumllzleitner 2011)

hellipethischen Implikationen Rechnung tragen koumlnnen

helliplaumlsst zu dass Lernende selbst entscheiden zu welchen (verschiedenen) thematischen Aspekten sie ihre Uumlberlegungen und Meinungen darlegen moumlchten Es ermoumlglicht so ein vielgestaltiges Bild das auch Widerspruumlche zulaumlsst

hellipdie salutogenetische Orientierung beruumlcksichtigen

helliplaumldt Schuumllerinnen und Schuumller ein ihre Kompetenzen und damit ihre Staumlrken zu zeigen ndash statt nach Schwachstellen oder Fehlern zu suchen (Haumlcker 2005) Lernende entscheiden welche Wahldokumente sie beifuumlgen moumlchten Eigene Schwerpunkte lassen sich abbilden Die Ruumlckmeldungen der Lehrperson als konkretes konstruktives Feedback erweisen sich wie Studien zeigen als hocheffizient zur Foumlrderung von Lernprozessen (Black amp Wiliam 2009 Maier 2010)

helliplebensbegleitendes Lernen unterstuumltzen

hellipfoumlrdert den Erwerb von Lernstrategien indem es die Reflexion des Lernprozesses initiiert Schuumllerinnen und Schuumller verbessern ihre Faumlhigkeiten zur Selbsteinschaumltzung indem sie Produkte fuumlr ihr Portfolio auswaumlhlen und ihre Wahl dokumentieren Der Unterricht stellt ihnen Zeitgefaumlszlige fuumlr die Arbeit am Portfolio zur Verfuumlgung (Internationales Netzwerk Portfolioarbeit 2010) Das Portfolio laumlsst auch Dokumente zu auszligerschulischen Lernprozessen zu

Beurteilungsportfolio

111

211 Vorgehensweise

Lehrpersonen werden die Konzeption und Umsetzung des Beurteilungsportfolios an den jeweiligen Lernstand der Schuumllerinnen und Schuumller die jeweiligen situativen Bedingungen und andere Voraussetzungen anpassen Sie entscheiden daruumlber in-wieweit sie die Schuumllerinnen und Schuumller an der Leistungsbeurteilung mit dem Port-folio beteiligen moumlchten Lernende die uumlber wenig Erfahrung mit der Portfolioarbeit verfuumlgen benoumltigen zumeist mehr Hilfestellungen etwa Unterstuumltzung bei Reflexi-onsprozessen und formale Kriterien als andere Lernende Trotz dieser paumldagogi-schen Gestaltungsspielraumlume welche die Lehrperson hat sollte das Portfolio nicht zu einer Ansammlung von Pflichtdokumenten degradiert und den Schuumllerinnen und Schuumllern jegliches Mitspracherecht an der Zusammenstellung undoder Bewertung genommen werden Ein solches bdquoPortfolioldquo wuumlrde der Grundphilosophie widerspre-chen (Haumlcker 2005)

Die hohe Plastizitaumlt des Portfolios macht es zudem moumlglich das Beurteilungsver-fahren an sehr unterschiedliche Lehr-Lernarrangements zu adaptieren Wiederum jedoch wuumlrde es der Portfolio-Philosophie (und auch der Kompetenzorientierung von Unterricht) widersprechen wenn dieses Lehr-Lernarrangement keinerlei selbstregu-lierte Phasen fuumlr die Lernenden vorsaumlhe

212 Beispiel fuumlr ein Beurteilungsportfolio

Beurteilungsportfolios sollen widerspiegeln welche Teilkompetenzen Lernende erworben haben So richtet sich zB das nachstehend skizzierte Portfolio auf mindes-tens folgende Teilkompetenzen bdquoDie Schuumllerinnen und Schuumller koumlnnen Nahrungs-mittel uumlber die Sinne vergleichenhellip sensorische Eigenschaften beschreibenhellip und Vermutungen formulieren wie Unterschiede entstehenldquo sie bdquokoumlnnen Nahrungsmittel unter Beruumlcksichtigung von gesundheitlichen Aspekten auswaumlhlen und zuberei-tenhellipldquo und bdquokoumlnnen Mahlzeiten situationsgerecht planen und zubereitenhellipldquo (D-EDK 2013a S 7f) Weitere Teilkompetenzen lieszligen sich anfuumlgen

Das Portfolio-Beispiel bezieht sich auf einen Zeitraum von fuumlnf Wochen pro Woche findet der Unterricht in einem vierstuumlndigen Lektionenblock statt Die Schuuml-lerinnen und Schuumller sollen mindestens einmal selbst in Kleingruppen ein Menuuml planen einkaufen und zubereiten Sie werden informiert welche Speisen bzw Me-nuumls im genannten Zeitraum im Ganzen vorgesehen sind und vereinbaren im Vorfeld ihre Arbeitsteilung in den Kleingruppen Die Lehrperson pruumlft ob diese Arbeitstei-lung gewaumlhrleistet dass alle Schuumllerinnen und Schuumller die Chance haben die Aufga-ben fuumlr das Portfolio sehr gut zu erfuumlllen Sie plant ein dass alle Jugendlichen eine nicht benotete Ruumlckmeldung zu ihren Lernhandlungen erhalten koumlnnen sowie Zeit fuumlr das Portfolio zur Verfuumlgung steht Die Lernenden werden uumlber die Portfolioarbeit ausfuumlhrlich informiert und der Prozess mit ihnen abgesprochen Das Portfolio setzt sich aus vielfaumlltigen Dokumenten zusammen (siehe Tabelle 3)

Beurteilungsportfolio

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Tab 3 Dokumente fuumlr ein Portfolio (Beispiel Liste fuumlr Schuumllerinnen und Schuumller)

Pflichtdokumente

In dein Portfolio gehoumlren alle Dokumente die gemeinsam im Unterricht bearbeitet wurden (siehe Arbeitsblatt Checkliste)3 sowie Titelblatt und Inhaltsverzeichnis

Bearbeite mindestens einmal die Fragen mit deren Hilfe du uumlber die Nahrungszubereitung und dein Lernen dabei nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Suche dir eine Speise aus die eine Mitschuumllerin oder ein Mitschuumller zubereitet hat und schreibe dieser Person eine konkrete Ruumlckmeldung wie du diese Speise mit allen Sinnen wahrnimmst Lege die Kopie in dein Portfolio

Fuumlge die Ruumlckmeldung der Lehrperson in dein Portfolio Du markierst was dabei fuumlr dich wichtig ist und notierst dir falls noumltig Nachfragen

Fuumlr das Menuuml das ihr euch selbst auswaumlhlt Legt alle Rezepte in das Portfolio oder bezeichnet sie mit Seitenzahlen gemaumlszlig eures Lehrmittels bdquoTiptopfldquo Klaumlrt im Unterricht gemeinsam warum ihr die Rezepte gewaumlhlt habt Jeder von euch soll diese Uumlberlegungen nochmals in eigenen Worten fuumlr das Portfolio aufschreiben

Was hast du bei der Portfolioarbeit gelernt Bearbeite einige der Fragen mit deren Hilfe du uumlber deine Portfolioarbeit nachdenkst (siehe Arbeitsblatt zur Unterstuumltzung)

Beispiele fuumlr freiwillig einzufuumlgende Dokumente

Dokumentiere mit einem Foto ein besonders gut gelungenes Produkt aus der Nahrungszubereitung im Unterricht oder von zuhause und begruumlnde warum es aus deiner Sicht gut gelungen ist

Skizziere mit einer Zeichnung oder fotografiere wie du den Tisch fuumlr ein bestimmtes Menuuml decken wuumlrdest oder gedeckt hast

Welche Speisen aus dem Unterricht koumlnntest du auch zuhause zubereiten Warum und zu welchen Gelegenheiten Wenn du keine Speisen findest Wo liegen die Schwierigkeiten

Welche Speisen haben dir besonders gut geschmeckt und warum

Welche Uumlberlegungen habt ihr euch zum finanziellen Budget fuumlr euer Menuuml gemacht

Wie sieht die Zeit- und Arbeitsplanung fuumlr euer Menuuml aus Warum wollt ihr so vorgehen

Lege Bilder und Rezepte bei die fuumlr euer Menuuml ebenfalls in Frage gekommen waumlren und schreibe uumlber ihre Vor- und Nachteile

Schreibe als Einleitung zu deinem Portfolio einen Brief an die Lesenden

Beurteilungsportfolio

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3 Guumltekriterien fuumlr das Beurteilungsportfolio

Fuumlr die Benotung eines Beurteilungsportfolios gelten prinzipiell dieselben Guumltekrite-rien wie bei jeder anderen Beurteilung Dazu gehoumlrt dass die Schuumllerinnen und Schuumller genau wissen wie die Bewertung zustande kommt und nach welchen Krite-rien die Lehrperson ihr Portfolio benoten wird Wenn moumlglich sind sie bei der Er-stellung dieser Kriterien zu beteiligen Gerade bei einem offenen Leistungsbewer-tungsinstrument wie dem Portfolio ist die Transparenz der Bewertung kommunikativ sicherzustellen (Bach-Blattern amp Bohl 2011 Bohl 2009 S 73ff Juumlrgens 2010 Lissmann 2008 S 76f)

4 Resuumlmee

Das Beurteilungsportfolio bietet die Chance vielfaumlltige individuelle Lernergebnisse der Schuumllerinnen und Schuumller im Lernatelier Kuumlche uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinweg zu erfassen Insbesondere gibt das Portfolio den Lernenden die Gelegenheit ihre Staumlrken darzustellen Fuumlr Lehrende und Lernende kann dieser Weg der Beurtei-lung manchmal mit sich bringen dass sie unbekanntes Terrain betreten und gemein-sam Unsicherheiten uumlberwinden muumlssen Trotzdem zeigen Studien dass die Akzep-tanz bei den Beteiligten im Allgemeinen hoch ist (Bohl 2012 Glaumlser-Zikuda Rohde amp Schlomske 2010 Lissmann Haumlcker amp Fluck 2009)

Anmerkungen 1 In der Schweiz ist der Begriff bdquoAtelierldquo allgemein gebraumluchlicher als bdquoWerkstattldquo 2 Ich danke den engagierten Lehrerinnen die im Rahmen einer Weiterbildung im

Kanton Solothurn ein Konzept fuumlr ein Portfolio fuumlr die Ernaumlhrungsbildung gemein-sam mit mir entwickelt und mit ihren Klassen realisiert haben

3 Zur Unterstuumltzung der Portfolioarbeit erhalten die Lernenden zusaumltzliche Arbeits-blaumltter

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Haumlcker T (2005) Portfolio als Instrument der Kompetenzdarstellung und reflexiven Lernprozesssteuerung Berufs- und Wirtschaftspaumldagogik Online 2005(8) 1-11 [wwwbwpatdeausgabe8haecker_bwpat8pdf]

Haumlcker T (2011a) Vielfalt der Portfoliobegriffe Annaumlherungen an ein schwer fass-bares Konzept In I Brunner T Haumlcker amp F Winter (Hrsg) Das Handbuch Portfolioarbeit (S 33-39) 4 Aufl Seelze-Velber Klett Kallmeyer

Beurteilungsportfolio

115

Haumlcker T (2011b) Portfolioarbeit ndash ein Konzept zur Wiedergewinnung der Leis-tungsbeurteilung fuumlr die paumldagogische Aufgabe der Schule In W Sacher amp F Winter (Hrsg) Diagnose und Beurteilung von Schuumllerleistungen (S 217-230) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Internationales Netzwerk Portfolioarbeit (2010) Was gehoumlrt zu guter Portfolioar-beit Berlin INP [wwwportfolio-schuledegoMaterialDownloads]

Juumlrgens E (2010) Leistung und Beurteilung in der Schule 7 uumlberarb Aufl Sankt Augustin Academia

Lissmann U (2008) Leistungsmessung und Leistungsbeurteilung Eine Einfuumlhrung Landau Verlag Empirische Paumldagogik

Lissmann U Haumlcker T amp Fluck L (2009) Portfolioarbeit ndash aus der Sicht rhein-land-pfaumllzischer Lehrpersonen [httpkolaopushbz-nrwdevolltexte2009475pdfPortfoliobefragung_09_10_05pdf]

Maier U (2010) Formative Assessment ndash Ein erfolgversprechendes Konzept zur Reform von Unterricht und Leistungsmessung Zeitschrift fuumlr Erziehungs-wissenschaft 13 293-308

Methfessel B Ritterbach U amp Schlegel-Matthies K (2008) Private Lebensfuumlh-rung als Umgang mit Komplexitaumlt ndash ein schwer operationalisierbares Bildungs-ziel In V Frederking (Hrsg) Schwer messbare Kompetenzen Herausforderun-gen fuumlr die empirische Fachdidaktik (S 115-125) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Paulson LF Paulson PR amp Meyer CA (1991) What Makes a Portfolio a Port-folio Educational Leadership 48(5) 60-63

Poumllzleitner E (2011) Reflektieren kann man lernen Formblaumltter als Hilfe zur Selbsteinschaumltzung In I Brunner T Haumlcker amp F Winter (Hrsg) Das Handbuch Portfolioarbeit (S 96-111) Seelze-Velber Klett Kallmeyer

Sacher W (2011) Durchfuumlhrung der Leistungsuumlberpruumlfung und Leistungs-beurteilung In W Sacher amp F Winter (Hrsg) Diagnose und Beurteilung von Schuumllerleistungen (S 27-48) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Saldern M von (1999) Schulleistung in Diskussion Baltmannsweiler Schneider Verlag

Schlegel-Matthies K (2013) Ethik Konsumentenverantwortung und Verbraucher-bildung im Spannungsfeld Haushalt in Bildung amp Forschung 2(2) 61-70

Stern T (2010) Foumlrderliche Leistungsbewertung (2 veraumlnd Aufl) Wien Oumlsterrei-chisches Zentrum fuumlr Persoumlnlichkeitsbildung und soziales Lernen

Thematisches Netzwerk Ernaumlhrung (2009) Referenzrahmen fuumlr die Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Oumlsterreich [wwwthematischesnetzwerkernaehrungatdownloadsreferenzrahmenevpdf]

Vierlinger R (1999) Leistung spricht fuumlr sich selbst bdquoDirekte Leistungsvorlageldquo (Portfolios) statt Ziffernzensuren und Notenfetischismus Heinsberg Diek

Beurteilungsportfolio

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Vierlinger R (2011) Direkte Leistungsvorlage Portfolios als Zukunftsmodell der schulischen Leistungsbeurteilung In I Brunner T Haumlcker amp F Winter (Hrsg) Das Handbuch Portfolioarbeit (S 40-45) Seelze-Velber Klett Kallmeyer

Weinert FE (2001) Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eine umstrittene Selbstverstaumlndlichkeit In FE Weinert (Hrsg) Leistungsmessungen in Schulen (S 17-31) Weinheim Basel Beltz

Winter F (oJ) Portfolios zum Ansehen [wwwportfolio-schulede] Winter F (2007) Fragen der Leistungsbewertung beim Lerntagebuch und Portfolio

In M Glaumlser-Zikuda amp T Hascher (Hrsg) Lernprozesse dokumentieren reflek-tieren und beurteilen Lerntagebuch und Portfolio in Bildungsforschung und Bil-dungspraxis (S 109-129) Bad Heilbrunn Klinkhardt

Winter F (2012) Leistungsbewertung eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schuumllerleistungen (5 uumlberarb u erw Aufl) Baltmannsweiler Schneider Verlag

Verfasserin

Profin Dr Ute Bender

PH FHNW Basel und Brugg

Clarastr 57 CH-4058 Basel

E-Mail utebenderfhnwch Internet wwwgesundheitundhauswirtschaftch

Rezension

117

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Regine Bigga

Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Ute Bender (Hrsg) (2013) Ernaumlhrungs- und Konsumbildung Perspektiven und Praxisbei-spiele fuumlr den Hauswirtschaftsunterricht Fachdidaktische Entwicklungen in Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz Bern Schulverlag plus AG 200 Seiten mit CD-ROM

ISBN 978-3-292-00724-7 (D 3375 EURO A 3465 EURO CH 4190 CHF)

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In einem ersten Block werden die Entwicklungen und Positionspapiere zum deut-schen Projekt bdquoReform der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in Schulenldquo (REVIS) zum schweizerischen Projekt bdquoHauswirtschaftliche Bildung fuumlr eine Ge-sellschaft im Wandelldquo und der oumlsterreichische Referenzrahmen bdquoErnaumlhrungs- und Verbraucherbildung Austria (EVA)ldquo vorgestellt Unterkapitel widmen sich dem kompetenzorientierten Unterricht in der Ernaumlhrungs- und Konsumbildung und der Frage wie Lern- und Pruumlfaufgaben entwickelt werden koumlnnen

In einem zweiten Block werden ausgewaumlhlte Makromethoden (handlungsorien-tierter Unterricht Projekte Problemorientiertes Lernen Instruktionales Lernen Bio-graphieorientiertes Lernen SchmeXperiment und Experiment Dialogisches Lernen Stationenlernen) dicht angelehnt an entsprechende Fachartikel beschrieben Offen bleibt warum in diesem Kontext das Stationenlernen aber nicht typische Methoden der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung wie der vergleichende Schuumllerwaren- bzw Schuumllerdienstleistungstest und die Erkundung vertieft werden

In einem dritten Block werden Praxisbeispiele zum essbiographischen Arbeiten in multikulturellen Klassen zum fachpraktischen Arbeiten insbesondere dem Um-gang mit Rezepten zum experimentellen Arbeiten zur Entwicklung von Konsum-kompetenzen mittels Warentest und problemorientierten Lernen sowie der Entwick-lung von Haltungen in Richtung nachhaltiger Konsumentscheidungen ausfuumlhrlich dargestellt und auf entsprechende Makromethoden bezogen Hier liegt eine der Staumlr-ken des Buches deutlich werden Kompetenzen genannt und mit fachinhaltlichen und methodischen Uumlberlegungen verknuumlpft und reflektiert Im Anschluss werden die jeweiligen Vorschlaumlge kommentiert Im Sinne eines Studienbuches fuumlr die Lehrkraumlf-teausbildung waumlren hier Lern- und Pruumlfaufgaben bezogen auf die bdquoBeispiele fuumlr re-flektierte Unterrichtspraxisldquo hilfreicher gewesen

Der Sinn der beigelegten CD erschlieszligt sich nicht da viele der Dokumente gut online verfuumlgbar und die Medien fuumlr den Unterricht zum Teil nicht veraumlnderbar sind Ausgesprochen aumlrgerlich ist es dass sich teilweise Literaturhinweise weder im Buch noch auf der CD finden

Rezension

118

Trotz der aufgezeigten Maumlngel ist die Anschaffung des Buches zu empfehlen Es wird eine Luumlcke in der fachdidaktischen Diskussion der Ernaumlhrungs- und Verbrauch-erbildung geschlossen denn bislang fehlte ein Studienbuch fuumlr Studierende und eine interessierte Fachoumlffentlichkeit das sich mit den Domaumlnen Konsum Ernaumlhrung und Gesundheit im Kontext der allgemein bildenden Schulen befasst und das die aktuelle fachdidaktische Diskussion in der Ernaumlhrungs- und Verbraucherbildung in den deutschsprachigen Laumlndern Deutschland Oumlsterreich und der Schweiz der letzten 20 Jahre vorstellt und diskutiert

Verfasserin

Regine Bigga

Universitaumlt Paderborn Institut fuumlr Ernaumlhrung Konsum und Gesundheit

Warburger Straszlige 100 D-33098 Paderborn E-Mail Bigga mailupbde

  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Buchner Ernaumlhrungspraxis eine Taxonomie der Lernwege in der Schulkuumlche
  • BartschBuumlrkle Lernort Kuumlche Nahrungszubereitung als ein methodischer Zugang zur Fachpraxis Ernaumlhrung
  • DittrichFrantaLuumlhrmann Die Schulkuumlche als kompetenzorientierte Lernumgebung ndash eine Lehr-Lernsequenz zum Themenschwerpunkt Hygiene
  • KessnerBraukmann Von der Lehrkuumlche zur Lernkuumlche ndash Die Kuumlchenkartei ermoumlglicht selbststaumlndiges Lernen
  • MethfesselSchlegel-Matthies Fuumlr eine veraumlnderte Fachpraxis ndash Zur Kultur und Technik der Nahrungszubereitung und Mahlzeitengestaltung
  • BartschBrandstaumldter bdquoErlebniskuumlcheldquo ndash eine Inspirationsquelle fuumlr die Fachpraxis Ernaumlhrung
  • Leitner Die (Schul-)Kuumlche als (Lern-)Ort der Gastfreundschaft
  • Mutz Die Betriebskuumlche als Lernort der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Kuumlstler Ernaumlhrungskompetenz an berufsbildenden Schulen
  • Bender Das Portfolio als Instrument zur Leistungsbeurteilung im Lernatelier Kuumlche
  • Rezension