Heft 10-11/2017

78
SCHULE und BERATUNG Fachinformationen aus der Landwirtschaftsverwaltung in Bayern Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Vom Bocksbeutel zum Bocksbeutel PS Verwaltungsübergreifend für den Gewässerschutz Change Management in der Verwaltung Verbundberatung in der Diskussion 10-11/ 2017

Transcript of Heft 10-11/2017

Page 1: Heft 10-11/2017

SCHULE und BERATUNG

Fachinformationen aus der

Landwirt schafts verwaltung

in Bayern

Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

→ Vom Bocksbeutel zum Bocksbeutel PS → Verwaltungsübergreifend für den Gewässerschutz → Change Management in der Verwaltung → Verbundberatung in der Diskussion

10-11/2017

Page 2: Heft 10-11/2017

INHALT

WEIN

GEWÄSSERSCHUTZ

FÜHRUNG

VERBUNDBERATUNG

DIGITALISIERUNG

ERNÄHRUNGSBILDUNG

MARKT

FLÄCHENVERBRAUCH

Page 3: Heft 10-11/2017

WEI

NG

EWÄ

SSER

-SC

HU

TZFÜ

HRU

NG

VERB

UN

D-

BERA

TUN

GD

IGIT

ALI

SIER

UN

GER

HRU

NG

S-BI

LDU

NG

MA

RKT

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

INHALT

4 Vom Bocksbeutel zum Bocksbeutel PS – Relaunch eines traditionellen Markenzeichens 7 Weinbauschulen im Wettbewerb – Bericht von der 12. Europea Wine Championship in Frankreich 10 Duale Berufsausbildung zum Winzer in Georgien 13 Vom germanischen zum romanischen Weinrecht – Wie wird die neue Weinmarktordnung in Bayern umgesetzt?

16 Verwaltungsübergreifend für den Gewässerschutz – Gemeinsames Seminar der Referendare aus Landwirtschaft und Wasserwirtschaft 19 Netzwerken an den Regierungen 22 „boden:ständig“ zusammenarbeiten in Rhön-Grabfeld – Projekt am Sulzfelder Badesee

25 Change Management in der Verwaltung – Situationsbericht aus der Führungsakademie 29 „Ist das Glas halb leer oder halb voll?“ – Erste Erfahrungen mit der Positiven Psychologie an der Führungsakademie 32 Auf geht’s zu neuen Ämtern! – 23 neu ernannte Rätinnen und Räte beziehen ihre Posten

35 Verbundberatung in der Diskussion

39 Von Lochkarten zu HIT – 50 Jahre Großrechner in der bayerischen Landwirtschaftsverwaltung 42 Von Modernisierungen und Migrationen – Die neue Systemarchitektur nach der Ablösung des Großrechners 45 natürlichst abstrakt – Staatsminister Brunner eröffnet Kunst-Ausstellung im StMELF 46 Die digitale Tafel: „Kreidezeit war gestern“ – Einsatzmöglichkeiten und Vorteile interaktiver Whiteboards

49 Leitlinien für mehr Nachhaltigkeit und Ökonomie – Fachtagung 2017 stellt neue Leitlinien für Kita- und Schulverpflegung vor 51 Süß war gestern – AOK-Bundesverband startet Aktionsbündnis zur Zuckerreduktion 54 Milchwege – Auf den Spuren der Milch im Rahmen der Bayerischen Ernährungtage

56 Die Entwicklung des bayerischen Ernährungsgewerbes 2016 61 Golf-Anrainerstaaten – Mögliche Absatzmärkte für bayerische Lebensmittel 64 Strohschweine für Bayerns Großkantinen

66 Produktionsintegrierte Kompensation in der Praxis – Ergebnisse eines Projektes in Straubing-Bogen und Deggendorf 70 Multifunktionale Landnutzungskonzepte 74 Gemeinschaftsgarten als Ort der Integration

Page 4: Heft 10-11/2017

4 SUB 10-11/2017

WeIN

WEI

N

Vom Bocksbeutel zum Bocksbeutel PSRelaunch eines traditionellen Markenzeichens

von DR. HERMANN KOLESCH: Mit der strategischen Neuausrichtung der Gebietsweinwer-bung Franken in den Jahren 2008 bis 2010 wurde im Arbeitskreis Markt des Fränkischen Weinbauverbandes e. V. neben einer neuen Kommunikationsstrategie für den Franken-wein auch die Konzentration aller Marketingaktivitäten der Gebietsweinwerbung auf die sogenannten Schwerpunktmärkte München und Hamburg beschlossen. Was am Ende aber entstand, war weit mehr als ein Kommunikationskonzept auf einem Stück Papier. Vielmehr wurde das Idol des fränkischen Weines – der Bocksbeutel – zu einem Markenbotschafter mit neuem Schliff. Er wurde dabei nicht neu erfunden, sondern vielmehr dem Zeitgeist ange-passt: modern, dynamisch und hochwertig. Mit dieser äußeren Anmutung lässt die Ikone der Weinverpackung künftig auch auf den Inhalt schließen.

Am Anfang stand eine Idee: München und Hamburg werden zu Genussmetropolen des flüssigen Goldes aus Franken. Vorausgegangen war dieser Entscheidung eine umfangreiche Analyse potenzieller Zielmärkte für den Frankenwein in Deutschland. In Zusammenarbeit mit Agenturen sollten einerseits speziell auf die Märkte und den jeweiligen Zielgruppen zugeschnittene Maßnahmen entwickelt und diese andererseits vor Ort in Zusammenar-beit mit der Gebietsweinwerbung und den Betrieben der Fränkischen Weinwirtschaft erfolgreich umgesetzt werden. In Verbindung mit der Ausstellung Architektur & Wein war dafür eine Podiumsdiskussion mit dem Hamburger De-signer Peter Schmidt geplant. Zu diesem Zeitpunkt war die Thematik der neuen Weinarchitektur hochaktuell und sollte als Aufmacher für die Kampagne in Hamburg genutzt werden. Um die Veranstaltung vorzubereiten, wurde ein erstes Gespräch mit Peter Schmidt in dessen Hamburger Atelier anberaumt.

Ein Franke in Hamburg schreibt die Geschichte umVerschmitzt, aufgeweckt und voller Energie begrüßte Pe-ter Schmidt im Mai 2011 die Delegation aus Franken mit den Worten „auf euch habe ich schon lange gewartet!“ und unterbreitete den Vorschlag, doch das „kauzige“ und „in die Jahre gekommene“ Design der Bocksbeutelflasche überar-beiten zu wollen. Schnell war das eigentliche Anliegen, die Podiumsdiskussion, vergessen und man unterhielt sich über Franken und seine Weine sowie Hamburg und seine Wein-vorlieben z. B. den Bocksbeutel. Vier Wochen später fand im Atelier ein weiterer Termin statt, bei dem der Designer mit spitzem Bleistift erste Formen skizzierte.

Strenge und Reduzierung sind die wichtigsten Prinzipien eines guten Designs,

so das Grundverständnis von Peter Schmidt während der Ideenfindung.

Am Ende des Tages fuhr die fränkische Delegation bereits mit einer 3-D-Zeichnung des überarbeiteten Bocksbeutels zurück. Ein erstes Gipsmodell folgte nur wenige Tage da-nach, einige Monate später, beim dritten Atelier-Gespräch, dann Modelle aus Acryl in den Farben klassisch Grün und Lichtgrün.

Vom Design zur Produktion fast fünf Jahre?Die deutsche Glasindustrie hatte in den vergangenen 20 Jahren einen enormen Konzentrationsprozess zu

WeIN

→ Bild 1: Erste Glasmuster kommen aus der Maschine (Foto: Dr. Hermann

Kolesch).

Page 5: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 5

WeIN

WEI

N

verzeichnen, sodass zwar noch viele Glashütten vorhan-den sind, diese jedoch unter dem Dach großer multinatio-naler Konzerne geführt werden. O-I Owens-Illinois (80 Pro-duktionsanlagen in 23 Ländern) und die ArdaghGroup (89 Produktionsanlagen in 21 Ländern) dominieren dabei als Global Player die Glasherstellung weltweit. Neben diesen Unternehmen fertigt noch ein familiengeführtes Unterneh-men in Bayern, die Firma Wiegand-Glas (vier Produktionsan-lagen), die Bocksbeutelflasche. Diese Wettbewerbssituation kann also durchaus als ein Angebotsoligopol bezeichnet werden, zumal bei einem Jahresbedarf von gut 15 Millio-nen Bocksbeutelflaschen nicht gerade eine betriebswirt-schaftlich relevante Produktionsmenge für die Unterneh-men zur Diskussion steht. Zum Vergleich: Allein die Firma Wiegand-Glas produziert täglich mehr als acht Millionen Glasbehälter für die Getränke- und Nahrungsmittelindus-trie. Die Fränkische Weinwirtschaft befindet sich daher mit ihrer Bocksbeutelflasche nicht gerade in einer starken Ver-handlungsposition.

Darüber hinaus ist der Bocksbeutel in der Technologie des Herstellungsverfahrens keine einfache Flasche, son-dern lässt sich unter den produktionstechnischen Gesichts-punkten eher als „Diva“ bezeichnen. Es dauerte schließ-lich bis Ende 2012, bis erste Glasmuster in ausreichender Menge produziert werden konnten, um die neue Form auch den erforderlichen Praxisversuchen zu unterziehen. Dass dies absolut gerechtfertigt war, stellte sich nicht nach den Tests auf den einschlägigen Füllanlagen oder der Sta-pelfähigkeit heraus, diese waren absolut unproblematisch, sondern erst beim sogenannten „Gitterboxentest“. Dieser ist den vielen kleinen Betrieben der Fränkischen Weinwirt-schaft geschuldet. So wird die Flasche nach dem Füllen lie-gend in Gitterboxen gelagert und erst bei Bedarf verpackt und kartoniert. Durch Bewegung der Gitterboxen und den damit verbundenen wiederholten Erschütterungen kam es zu verstärkten Druckstößen auf die Flaschen. Auf-grund der ungleichen Glasverteilung an den Seitenkanten

der Flasche kam es vermehrt zu Glasbrüchen. Das Design musste daher überarbeitet werden. Somit erhielt die Fla-sche neben der markanten Linienführung am Flaschenhals eine Taille an der Seite.

Einfach- oder Doppeltropfen?Die Produktionskapazität eines Herstellungsverfahrens für die Hohlglaserzeugung bemisst sich in der Anzahl der Flaschen, die an einer Einheit, dem Maschinenblock, her-gestellt werden kann. Diese Einheit (IS Maschine = Indivi-dual Selection Machine) hat eine feste, nicht veränderbare Größe, besteht aus der Wanne mit der Glasschmelze und den darunterliegenden Formensätzen, in denen die Fla-schenform ausgeblasen wird. Diese Formen werden über einen Verteiler (Feeder = Speiser) mit genau bemessenen Glastropfen versorgt. Können so viele Formen in der Ma-schine eingestellt werden, dass zwei Glastropfen gleichzei-tig eingespeist werden, erhöht sich die Produktionskapa-zität deutlich. Dies führt zu einer besseren Auslastung der Maschine und ist somit schließlich für die Kostenkalkulation der jeweiligen Flaschenform entscheidend. Da der Bocks-beutel schon immer eine relativ breite Flasche war und nach dem Relaunch auch bleiben sollte, war die Herstellung im „Doppeltropfenverfahren“ eine der zentralsten Herausfor-derungen an das Design aber auch an das Know-how in der Glasproduktion.

Was hält der Verbraucher vom neuen Design?Parallel zur fortlaufenden Entwicklung des Designs, der Her-stellung und der Testverfahren wurde in einem umfangrei-chen Markttest die Meinung der Konsumenten zum neuen Design abgefragt. Dieser fand in Hamburg, München, Nürn-berg und Würzburg statt. Zum einen sollten die Verbrau-cher in den Zielmärkten befragt werden, andererseits war es wichtig zu wissen, wie der heimische Markt reagiert. Immer-hin werden nach wie vor circa 50 Prozent des Frankenweins in einem Umkreis von 80 Kilometern um Würzburg verkauft. Die Marktforschung bestätigte eindrucksvoll das bisherige Meinungsbild zum Bocksbeutel (traditionell, altbacken, alt-modisch, langweilig) und überraschend klar und deutlich eine überaus positive Haltung zum neuen Design (modern und zukunftsorientiert, jung, hochwertig, coole Form, kraft-voll). Dieses Meinungsbild war besonders stark ausgeprägt bei den heimischen fränkischen Verbrauchern.

Und was sagt die Fränkische Weinwirtschaft?Aufgrund ihrer doch sehr heterogenen Struktur mit den Er-zeugergemeinschaften, den im Fränkischen Gewächs e. V. organisierten kleineren familiengeführten Weingütern und dem Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) Franken war die Diskussion um den Bocksbeutel PS (PS steht für Peter

→ Bild 2: Markant, elegant, kraftvoll und edel präsentiert sich der

Bocksbeutel PS (Foto: Rolf Nachbar).

Page 6: Heft 10-11/2017

6 SUB 10-11/2017

WeIN

WEI

N

Schmidt) und die Meinungsbildung bis zum Konsens oder Kompromiss nicht immer einfach. Dabei ging es weniger um das Design, sondern eher um technische, qualitative und marketingstrategische Aspekte. Soll der Bocksbeutel PS nur mit BVS-Verschluss (Bague Vin Suisse) oder auch mit MCA-Verschluss (Metal Closure Aluminium) produziert wer-den? Sollen ergänzende qualitative Anforderungen an die Füllung im Bocksbeutel PS geknüpft werden, oder sollen nur Silvaner Weine bzw. nur „fränkisch trockene“ Weine er-laubt sein? Was kostet die Umstellung der Füllanlagen? Sind auch neue Verpackungsgrößen erforderlich? Wie gelingt die Markteinführung am besten? Und was kostet die Flasche überhaupt? Diese Fragen wurden intensiv im Arbeitskreis Markt des Fränkischen Weinbauverbandes diskutiert. Gleich-zeitig gab es von außen kritische Stimmen am gesamten Prozess der Neuentwicklung, da dieser sich immer wieder verzögerte und schließlich fast fünf Jahre dauerte. Anderer-seits sollte kein Foto vorab die Öffentlichkeit erreichen, was schließlich auch gelungen ist.

Ist der Bocksbeutel PS noch ein Bocksbeutel?Da der Bocksbeutel in der EU-Verordnung VO (EG) Nr. 607/2009 nicht nur geschützt, sondern damit auch klar definiert ist, musste auch diese Frage im Entwicklungspro-zess beantwortet werden. Dazu wurde ein mathematisches

Gutachten in Auftrag gegeben, das die vorgegebenen Maße beim Verhältnis Hauptachse / Nebenachse des ellipsoiden Querschnitts und beim Verhältnis Höhe des gewölbten Flaschenkörpers / zylindrischer Flaschenhals bestätigte. Zudem hat sich der Fränkische Weinbauverband das Ge-schmacksmuster in der EU an der neuen Form sichern lassen.

Und jetzt?Am 18. Dezember 2015 wurde der Bocksbeutel PS an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau un-ter großem Medieninteresse durch Designer Peter Schmidt, Staatsminister Helmut Brunner, Weinbaupräsident Artur Steinmann und der Fränkischen Weinkönigin Kristin Lang-mann der Öffentlichkeit vorgestellt. Fast fünf Jahre hat die-ser Prozess gedauert, verständlich, dass viele Winzer nicht mehr daran geglaubt haben. Verständlich, dass es Unsicher-heiten gab, ja sogar Vorbehalte. Aber die Begeisterung der Kunden und Weinfreunde ist groß. Dies sollte die Fränkische Weinwirtschaft zuversichtlich stimmen. Und das „Neue Bild vom Frankenwein“ ist jetzt komplett. Mit dieser beeindru-ckenden, starken und neuen Form des Bocksbeutels PS wurde der fulminanten Entwicklung des Frankenweins, sei-ner Winzer und der Region kein Schlusspunkt, sondern ein markantes Ausrufezeichen gesetzt.

Mitte des Jahres 2016 wurden die ersten größeren Men-gen produziert. Die Lizenzvereinbarung zur Nutzung des Bocksbeutels PS mit dem Fränkischen Weinbauverband kann jeder abfüllende Betrieb in Franken unterschreiben und somit die Flasche nutzen. Zum Zeitpunkt des Erschei-nens dieses Beitrags haben über 160 Betriebe mit einer Flä-che von circa 4 000 Hektar dies bereits getan. Nach wie vor wird in den Medien überaus positiv berichtet (u. a. Sonder-ausgabe des SPIEGEL zum Thema Heimat). Der Start einiger erster Linien im Lebensmitteleinzelhandel von den Erzeu-gergemeinschaften war fulminant, auch die ersten Wein-güter sind mit der neuen Flasche am Markt und von der Reaktion der Kunden begeistert. Mit dem Jahrgang 2016 wird dann wohl im Jahr 2017 die wirkliche Marktdurchdrin-gung erfolgen – der Markt wird dann letztendlich entschei-den, wie erfolgreich der Bocksbeutel PS sein wird. Die Ver-packungsindustrie hat sich bereits entschieden: So wurde der Bocksbeutel PS durch das Deutsche Verpackungsinstitut (dvi) in der Kategorie „Gestaltung & Veredelung“ mit dem Deutschen Verpackungspreis 2017 ausgezeichnet.

DR. HERMANN KOLESCHBAYeRISCHe LANDeSANSTALT FÜR WeINBAU UND GARTeNBAU VeITSHÖ[email protected]

Peter Schmidt, 1937 im oberfränkischen Bayreuth geboren, gilt als einer der wichtigsten und prägendsten Gestalter und Designer der Bundesrepublik Deutschland. Im Ge-gensatz zu anderen Designern, deren Namen im Fokus der Öffentlichkeit stehen, bewahrt er sich eine große Zurück-haltung seiner eigenen Person getreu seiner Philosophie: „Nicht der Designer steht im Vordergrund, sondern das Produkt“. In den 60er bis 80er Jahren führte er mit über 200 Mitarbeitern die „Peter Schmidt Group“, die das Markenbild unserer Gesellschaft maßgeblich bis heute prägt und be-einflusst. Neben Logodesign, wie zum Beispiel für die Stadt Hamburg, die Firma Feinkost Käfer und die Bundeswehr sowie dem Produktdesign entwickelt Peter Schmidt Büh-nendesign (u. a. für Kent Nagano und John Neumeier) und gestaltete Innenarchitektur, wie beispielsweise für die Kon-zerthalle Bamberg oder die Oper Hamburg. Bekannt wurde er jedoch durch das Marken- und Glasdesign für Marken wie JIL SANDER, COOL WATER DAVIDOFF, JOOP, APOLLINA-RIS oder HUGO BOSS.

Infobox: Wer ist Peter Schmidt?

Page 7: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 7

WeIN

WEI

N

Weinbauschulen im WettbewerbBericht von der 12. Europea Wine Championship in Frankreich

von ELISABETHA OTT und JOHANNES BURKERT: Wie schon in den vorausgegangenen Jah-ren hat ein Team der Staatlichen Meister- und Technikerschule für Weinbau und Gartenbau an der EUROPEA Wine Championship teilgenommen. Ziel der Veranstaltung ist das fachliche Wissen und Können der Studierenden rund um den Weinbau und die Weinbereitung zu mes-sen, aber auch mit Fachkollegen Erfahrungen auszutauschen und unschätzbare berufliche Beziehungen zu knüpfen. Im Folgenden wird kurz auf Organisation und Inhalte des Wettbe-werbs eingegangen. Das anschließende Interview gibt die Eindrücke der begleitenden Lehr-kraft und der Studierenden aus Veitshöchheim wieder.

In diesem Frühjahr war Frankreich an der Reihe, den Wett-bewerb auszurichten. Über ihre Erlebnisse und Erfahrungen in Avize in der Nähe von Reims berichten die Studierenden Philipp Giegerich aus Großwallstadt und Philipp Schmitt aus Gerbrunn und die begleitende Lehrkraft aus Veitshöch-heim.

Johannes Burkert, Mitarbeiter im Sachgebiet Oenologie und Kellertechnik der Abteilung Weinbau der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim (LWG) unterrichtet in den Weinbauklassen die Fächer Keller-wirtschaft, Maschinen- und Verfahrenstechnik im Keller und betreut den oenologischen Part des Studierendenprojek-tes. „Das wichtigste an derartigen Veranstaltungen ist nicht der Wettbewerb sondern die Erfahrung, die man durch den Austausch mit Studierenden und Lehrkräften anderer Weinbauregionen und vor allem anderer Weinbauländer, erwirbt“, so Burkert. „Kontakte zu Kollegen in ganz Europa sind immer wichtig, besonders bei der aktuellen politischen Lage in Europa. Den Studierenden wird klar, wie wichtig ein gemeinsames Europa ist und dass es keine Selbstver-ständlichkeit ist.“

Die Studierenden Philipp Giegerich und Philipp Schmitt besuchen seit September 2016 das erste Schuljahr der Fach-richtung Weinbau und Oenologie und wollen 2018 den Technikerabschluss machen.

Herr Schmitt und Herr Giegerich, wie haben Sie den Wettbewerb der europäischen Weinbau-Schulen erlebt?

Schmitt: Die Aufgaben hatten meiner Ansicht nach we-nig Aussagekraft, ob einer was von seinem Beruf versteht oder nicht.

Giegerich: Es gab ganz einfache Aufgaben, aber auch un-lösbare. Was die Bearbeitung der Aufgaben noch erschwert hat, war die Tatsache, dass auf den Bögen mit den schriftli-chen Aufgaben zum Teil formale Fehler waren. Zum Beispiel hat, obwohl es vier Antwortmöglichkeiten gab, die vierte Spalte zum Ankreuzen gefehlt. Oder die Nummerierung der

Antworten wurde bei der nächsten Aufgabe einfach fortge-führt, statt wieder bei Eins zu beginnen.

Die Aufgaben waren – wie bei diesem Wettbewerb üblich – in englischer Sprache gestellt. Lag es am Englisch?

Schmitt: Ich denke es lag eher dran, dass jemand mit schlechten Englischkenntnissen die Fragen formuliert hat. Mit den französischen Teilnehmern und Prüfern konnten wir uns kaum auf Englisch verständigen.

Giegerich: Ein Problem war z. B. auch, dass eine Aufgabe zum Pflanzenschutz auf Englisch gestellt war. Die Angaben auf dem Etikett des dazugehörigen Kanisters waren aber in Französisch, und keine Übersetzung ins Englische dabei.

Wie waren Unterbringung und Verpflegung?Schmitt: Jetzt weiß ich das Mittagessen und das Ambi-

ente in der Veitshöchheimer Mensa erst recht zu schätzen. Giegerich: Und wie gepflegt unser Schulhaus und die Au-

ßenflächen der LWG sind!

WeIN

→ Bild 1: Philipp Giegerich (links) und Philipp Schmitt stehen zwischen

gelagerten Champagnerflaschen im Keller von Veuve Clicquot in

Reims (alle Fotos: Johannes Burkert).

Page 8: Heft 10-11/2017

8 SUB 10-11/2017

WeIN

WEI

N

Schmitt: Wir haben ja kein Hotel erwartet, aber wir waren schon überrascht, dass es in den Betten keine Kopf-kissen gab und keine Handtücher bereitgestellt wurden. Wir haben uns halt mit Betttüchern zum Abtrocknen be-holfen...

Wie war denn der Wettbewerb organisiert? Schmitt: Bei der Organisation gab es deutliche Mängel.

Das ging schon bei der Ankunft los. Es gab keinen, der uns be-

grüßt hätte oder uns gezeigt hätte, wo unser Zimmer ist. Erst gegen Ende des Wettbewerbs haben wir herausgefunden, wer eigentlich der Ansprechpartner für uns gewesen wäre.

Giegerich: Außerdem wurde der Zeitplan oft nicht ein-gehalten und auf den Urkunden, die wir zum Abschluss be-kommen haben, waren Fehler.

Schmitt: Wir haben uns gedacht, dass man manche Män-gel oder Pannen mit etwas Planung leicht hätte vermeiden können.

Bei der „EUROPEA Wine Championship“ handelt es sich um einen fachlichen Wettbewerb zwischen europäischen Weinbauschulen. Der Begriff EUROPEA steht dabei für einen Verband, der die Entwicklung der beruflichen Bildung (Berufsbildung) im grünen Sektor Europas fördert. Er umfasst ein breites Berufsfeld z. B. in der Landwirtschaft, im Gartenbau, in der Forstwirtschaft und im Weinbau. Seit 2005 findet jedes Jahr in einem anderen Land die „Meisterschaft der europäischen Weinbauschulen“ statt. Die Organisation übernimmt jeweils eine Weinbauschule im Gastgeberland. Die teilnehmenden Schulen kommen vor allem aus den klassischen Weinbauländern wie Spanien, Italien, Frankreich, Ungarn, Rumänien, Österreich, Schweiz, Luxemburg und Deutschland. Zwei Studierende im Alter von 16 bis 25 Jahren und eine begleitende Lehrkraft jeder Schule bilden eine Mannschaft.

Aufgaben in Weinbau, Oenologie und SensorikDie zu lösenden Aufgaben werden den Teil-nehmern in englischer Sprache vorgelegt. Sie bestehen aus einem theoretischen und einem praktischen Teil in den Bereichen Weinbau (wine growing), Oenologie (wine making) und Sensorik (wine tasting). Einer der Tests bezieht sich jeweils auf die Gastgeberregion. Die Studierenden lö-sen manche Aufgaben in Einzelarbeit, andere in Teamarbeit.Beim Pflanzen (siehe Bild 2), Schneiden und Ver-edeln von Reben, beim Ziehen von Bodenproben oder beim Wein abfüllen und Etikettieren müssen die jungen Winzer und Weinküfer ihr praktisches Können unter Beweis stellen. Rebsorten, Jahr-gänge und Weinfehler am Geschmack des Weines erkennen gehört zum Sensorik-Test (siehe Bild 3).Bei den schriftlichen Aufgaben werden the-oretische Grundkenntnisse in den jeweiligen Bereichen abgefragt. So geht es im Weinbau beispielsweise um Rebkrankheiten, Pflanzener-nährung und Düngerlehre. In der Oenologie werden Wissen über die Mostvorklärung, die Gärung, den biologischen Säureabbau oder den weiteren Weinausbau gestellt. Bei der theoreti-schen Sensorikprüfung geht es hauptsächlich um die Grundgeschmacksarten, um Weinaro-men und Weinfehler.

Infobox: „EUROPEA Wine Championship“

→ Bild 2: Der Studierende Philipp Giegerich bei der Aufgabe „Rebstock pflanzen“.

→ Bild 3: Philipp Schmitt und Philipp Giegerich im Veranstaltungssaal eines

großen Champagnerhauses bei der sensorischen Bestimmung von Weißwein.

Page 9: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 9

WeIN

WEI

N

Gab es wenigstens eine Abschlussfeier?Giegerich: Eine Feier war das nicht. Wir waren ins Rat-

haus eingeladen, haben eine schriftliche Mitteilung über unser Abschneiden beim Wettbewerb bekommen und nach 20 Minuten war die Sache vorbei. Schade.

Es gab doch sicher auch positive Eindrücke!Schmitt: Das Schönste am Wettbewerb war der inoffizi-

elle Teil an den Abenden. Da wurden in geselliger Runde mit den Weinbauschülern aus Deutschland und anderen euro-päischen Ländern circa 50 Weine pro Abend verkostet. Jeder hat aus seinem Land einige Flaschen mitgebracht. Das hat was gebracht!

Giegerich: Bei dieser Gelegenheit haben wir auch Kon-takte geknüpft mit Schülern und Lehrkräften aus Spanien, Italien und Österreich.

Wir haben ausgemacht, wenn wir im Herbst zum Prak-tikum in Österreich sind, werden wir dort die Betriebe von Leuten, die wir kennen gelernt haben, mal besuchen. Das wird bestimmt cool.

Schmitt: Aber auch mit den drei anderen Teams aus Deutschland, den Teams aus Österreich, aus Südtirol und der Schweiz haben wir uns angefreundet.

Haben Sie auch französische Weinbaubetriebe besichtigt?

Giegerich: Ja, das war toll. Am letzten Tag hatten wir eine Führung beim Champagnerhaus Veuve Clicquot in Reims, sehr nobel.

Schmitt: Mit Führung durch die Kalkstein-Minen und ei-ner Sektprobe. Das hat uns ein bisschen für die sonstigen Unannehmlichkeiten entschädigt.

Was nehmen Sie mit aus den vier Tagen?Schmitt: Die Teilnahme am Wettbewerb unter diesen Be-

dingungen hat mir nichts gebracht. Aber die Kontakte, die ich mitnehme, die will ich später beruflich nutzen.

Giegerich: Und wir wissen jetzt, wie wichtig Ordnung und Sauberkeit sind, und dass hinter einer gelungenen Veran-staltung eine Menge Organisation steckt.

ELISABETHA OTT JOHANNES BURKERTSTAATLICHe MeISTeR- UND TeCHNIKeRSCHULe FÜR WeINBAU UND GARTeNBAU VeITSHÖ[email protected]@lwg.bayern.de

→ Bild 4 (von links): Philipp Schmitt, Johannes Burkert und Philipp

Giegerich beim Verkosten von Sekt des Weinhauses Veuve Clicquot.

→ Bild 5: Ein Weinbauschüler sitzt am Tisch und ordnet Trauben der

jeweiligen Rebsorte zu. Die Abbildungen hat er auf einem Tablet vor

sich liegen.

→ Bild 6: Philipp Giegerich (links) und Philipp Schmitt bei den „Funny

Games“, dem Rahmenprogramm zum Wettbewerb. Sie stehen an

einem Barriquefass, das um die Wette gerollt werden musste.

Page 10: Heft 10-11/2017

10 SUB 10-11/2017

WeIN

WEI

N

Duale Berufsausbildung zum Winzer in GeorgienErfolgreiche Einführung im Mutterland des Weinbaus

von GEORG BÄTZ: Georgien gilt als Mutterland des Weinbaus. Vor einigen Jahren erst ent-deckten Archäologen Traubenkerne in 8 000 Jahre alten Tongefäßen. Eine historische Wein-bautradition – aber keine geordnete Berufsausbildung, wie in allen anderen Berufszweigen auch. Aus diesem Grund sollte im Rahmen des Regionalprogramms Privatwirtschaftsförde-rung im Südkaukasus, das die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durchführte, ein Konzept für die Berufsausbildung im Weinbau entwickelt werden. Projekt-partner war die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) Veitshöchheim.

In vielen Ländern mit schwächer entwickelten Volkswirt-schaften findet keine geregelte Berufsausbildung statt. Es gibt meist eine universitäre Ausbildung, die von den Her-anwachsenden mit einem höheren Bildungsabschluss an-gestrebt wird, aber daneben meist nur eine einfache oder gar keine berufliche Ausbildung. Auch den tertiären Berufs-bildungsbereich zum Techniker oder Meister, der besonders wichtig wäre, um mittelständische Betriebe und Unterneh-men zu leiten, gibt es kaum. Diese Situation besteht auch in Georgien, einem kleinen Land am Schwarzen Meer, das sich zu den Geburtsstätten des Weinbaus zählen kann. Dabei ermöglicht die duale Berufsausbildung den Jugendlichen einen qualifizierten Einstieg in die Arbeitswelt und gleich-zeitig eine geregelte schulische Ausbildung. Die Betriebe und Unternehmen haben die Möglichkeit, ihren beruflichen Nachwuchs zu sichern und ein hohes Qualifikationsniveau bei den Fachkräften aufrechtzuerhalten. Damit kann dieses Bildungssystem auch zum Erfolgsmodell für andere entwi-ckelte Volkswirtschaften werden.

Der ProjektansatzAus diesem Grund unterstützt die Gesellschaft für internati-onale Zusammenarbeit (GIZ) die georgische Weinwirtschaft unter anderem bei folgenden Themen:

→ Entwicklung eines Qvevri-Clusters, → Entwicklung eines Weinkatastersystems, → Harmonisierung der Weingesetzgebung mit

EU-Standards, → Entwicklung eines „Wine Education Centers“

(Ausbildung), → Entwicklung eines „Wine Competence Centers“

(Beratung), → Nachhaltigkeitsinitiative für die Wertschöpfungs-

kette Wein.

In den ersten vier Punkten erbat die GIZ die Zusammenar-beit mit der LWG.

Konzept für die duale Berufsausbildung in GeorgienIn einem Workshop im Frühjahr 2015 in der georgischen Hauptstadt Tiflis arbeiteten Teilnehmer aus Georgien (Schul-bereich, Fachinstitute, Weinbaubetriebe, Verwaltung), der GIZ und der LWG (Präsident Dr. Hermann Kolesch, Oenologe Jo-hannes Burkert, Abteilungsleiter Weinbau Georg Bätz) Wege der künftigen Zusammenarbeit aus. Die LWG stellte dabei die Grundzüge der dualen Ausbildung in Deutschland umfassend vor, speziell im Weinbau. Das Konzept fand großes Interesse, da eine gute berufliche Ausbildung, besonders bei den vie-len neu entstehenden Betrieben, dringend gewünscht ist. Die Partner aus Georgien sowie die GIZ baten daher um ein Kon-zept für eine duale Ausbildung im georgischen Weinbau. Dies wurde in den nächsten Monaten ausgearbeitet und Mitte Au-gust 2015 den Projektverantwortlichen bei einem Besuch in Veitshöchheim präsentiert. Es fand große Zustimmung.

Zeitplan zur UmsetzungBereits Ende August 2015 wurde das Bildungskonzept den Verantwortlichen im Erziehungsministerium in Tiflis unter-breitet. Ein weiterer Workshop Anfang November 2015 in Tiflis vertiefte die Konzeptinhalte. Teilnehmer waren die Bil-dungsverantwortlichen aus Ministerien, Schulen und Institu-tionen, Betriebsleiter sowie Mitarbeiter der GIZ und der LWG (Dr. Hermann Kolesch, Georg Bätz). Neben der Erarbeitung der Umsetzungsstrategie wurden auch verschiedene Wein-baubetriebe besucht und geprüft, ob diese als künftige Aus-bildungsbetriebe in Frage kommen könnten. Dafür müssen in erster Linie kompetente Ausbilder vorhanden sein. Auch eine Mindestgröße sowie eine umfassende Ausstattung mit Maschinen und Geräten waren Voraussetzung. Ende

WeIN

Page 11: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 11

WeIN

WEI

N

November 2015 waren die Partner aus Georgien zu Gast in Veitshöchheim. Dabei wurde das „Agreement on Coopera-tion (AoC)“ zwischen der GIZ und der LWG unterzeichnet, in dem die Zusammenarbeit in der dualen Ausbildung und im Qvevri-Cluster vereinbart wurde. Die Vorstellung verschiede-ner Arbeitsunterweisungen sowie die Besichtigung von Aus-bildungsbetrieben vervollständigten den Besuch.

Grundsteinlegung für das georgische PilotprojektAnfang Februar 2016 wurden in Tiflis im Rahmen einer in-tensiven Arbeitswoche die Themenbereiche: Rahmenlehr-plan, Prüfungen und Berichtswesen sowie Definition und Aufgabenzuschnitte der zuständigen Stellen für das Pro-jekt ausgearbeitet. Die georgischen Partner diskutierten in den folgenden Wochen und Monaten diese Ausarbei-tungen intensiv und stimmten sie auf fachlicher und mi-nisterieller Ebene ab. Das National Centre for Education and Quality Enhancement, eine Organisationseinheit des Bildungsministeriums, genehmigte im August  2016 die duale Berufsausbildung im georgischen Weinbau als Pi-lotprojekt. Für die Unterweisung der Ausbilder fand vom 28. August bis 3. September 2016 eine Ausbilderschulung (Training of the in-company Instructors and Teachers) in Kvareli, Zentrum des georgischen Weinbaus im Osten des Landes, statt. Die Schulung besuchten Ausbilder der teil-nehmenden Betriebe sowie Lehrkräfte der Berufsschulen. Der Kurs wurde von Mitarbeitern der LWG durchgeführt: Georg Bätz, Abteilungsleiter Weinbau, vermittelte mit Be-rufs- und Arbeitspädagogik die Grundlagen der Ausbilder-schulung. Martin Justus Müller, Betriebsleiter der LWG-Kel-lerwirtschaft und selbst Ausbilder, stellte die praktischen Arbeitsunterweisungen vor. Wie auch bei den Ausbilder-eignungsprüfungen mussten die Teilnehmer Arbeitsun-terweisungen nach dem Modell der erweiterten Vier-Stu-fen-Methode ausarbeiten und vorführen. Ein Filmteam begleitete die Schulung und die Arbeitsunterweisungen, um einen Lehrfilm für die späteren Seminare zu erstellen.

Erster Ausbildungsgang gestartetAm 21.  November  2016 begann der erste duale Ausbil-dungsgang in Georgien mit 22 Auszubildenden und acht Betrieben: Kindzmarauli Corporation, Chateau Mukhrani, Schuchmann Wines, Shumi, Maranuli, Avtandil Bedenash-vili/Shadrevani, Kinzmarauli Marani und Kakhetian Traditi-onal Winemaking. Der erste wichtige Meilenstein ist damit geschafft. Denn mit dem Ausbildungsstart zum Winzer bzw. zur Winzerin wurde erstmals in Georgien eine duale Berufs-ausbildung in einem Beruf umgesetzt. Und ungewöhnlich für das Land und das Bildungssystem: Im Zuge der Ausbil-dung erhalten die Auszubildenden eine Ausbildungsvergü-tung. In den Betrieben und den Köpfen der Betriebsleiter muss allerdings noch ein Umdenken stattfinden.

→ Bild 1: Martin Justus Müller, Oenologe der LWG (Bildmitte), bei der

Arbeitsunterweisung „Hefeansatz im Qvevri“. Als Bewegtbild soll die

Arbeitsunterweisung künftig bei der Ausbildung eingesetzt werden.

(alle Fotos: LWG).

→ Bild 2: Georg Bätz (Flipchart links) erarbeitet mit georgischen

Vertretern während des Workshops „Promotion of private sector

development in the wine sector in Georgia“ die Ausbildungsinhalte.

→ Bild 3: Der traditionelle Anbau der trockenen georgischen Weine

erfolgt im Qvevri, einer dünnwandigen Tonamphore mit rund

1 000 Liter Fassungsvermögen.

Page 12: Heft 10-11/2017

12 SUB 10-11/2017

WeIN

WEI

N

Langfristig muss bei den Ausbildungsbetrieben ein Be-wusstsein dafür geschaffen werden, dass die schulische Wis-sensvermittlung auch den Betrieben zugutekommt.

Manchen Betriebsleitern ist nur schwer vermittelbar, dass die Auszubildenden trotz der betrieblichen Zahlungen die Pflicht zum Berufsschulbesuch haben.

Nach dem Fundament kommt der FeinschliffDie Berufsausbildung befindet sich zurzeit in der Umset-zungsphase. Jetzt geht es darum, dass die Institutionen, die an der Ausbildung beteiligt sind, noch besser miteinan-der kooperieren. Im Juli 2017 war eine hochrangig besetzte Delegation von Mitarbeitern verschiedener Institutionen Georgiens am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn und an der LWG Veitshöchheim, um die Umsetzung der dualen Ausbildung in verschiedenen Berufszweigen (Bauhandwerk, Tourismus, Weinbau, Imkerei) zu bespre-chen. Dreh- und Angelpunkt wird die fachlich kompetente Besetzung der „Zuständigen Stelle“ (zentrale Koordinie-rungsstelle der Berufsausbildung, Schaltzentrale zwischen Betrieben, Auszubildenden und Berufsschule) sein. Dieses Thema stand auch im Mittelpunkt des letzten Besuches an der LWG.

Im Rahmen des folgenden Drei-Jahresprogrammes der GIZ „Privatwirtschaftsentwicklung im Südkaukasus“ fokus-siert man sich aufgrund der Erfolge der dualen Berufsaus-bildung im Weinbau auf die Erweiterung der dualen Ausbil-dung in weiteren Berufszweigen.

Im Schreiben vom 22. März 2017 an Ministerpräsident Horst Seehofer bestätigt der georgische Erziehungsminister Aleksandre Jejelava die Erfolge der dualen Berufsausbildung im Weinbau und bittet darum, die partnerschaftliche Zu-sammenarbeit mit der LWG weiter auszubauen. Die Schwer-punkte sollen dabei zunächst gelegt werden auf:

→ Skalierung und Qualitätssicherung der dualen Berufsausbildung für Winzer (mit weiteren Betrieben und Berufsschulen),

→ Einführung von neuen dualen Berufsbildungs-programmen in Georgien (z. B. in den Bereichen Gartenbau, Imkerei und Agrotourismus),

→ Beratung der Berufsschulen.

Duale Ausbildung zahlt sich ausDie Einführung der dualen Berufsausbildung im georgi-schen Weinbau konnte nur Erfolg haben, weil alle beteilig-ten Institutionen vom dualen Erfolgsmodell überzeugt wa-ren. Jetzt gilt es, institutionelle und bürokratische Hürden zu überwinden. Die positive Grundstimmung und die guten Erfahrungen bei der Einführung des Konzeptes regten die Bildungsverantwortlichen dazu an, das Modell der dualen Ausbildung auch auf andere Berufe zu übertragen. Denn eine geregelte berufliche Ausbildung in den verschiede-nen Berufsfeldern kann langfristig dazu beitragen, die wirt-schaftliche Entwicklung des Landes zu unterstützen.

GEORG BÄTZ BAYeRISCHe LANDeSANSTALT FÜR WeINBAU UND GARTeNBAU VeITSHÖ[email protected]

• Grundsätze der dualen Ausbildung• Vorteile/Nachteile • Ausbildungsorte (Betrieb, Berufsschule, über-

betriebliche Ausbildung)• Finanzierung

• Ablauf der Ausbildung• Inhalte• Rechtliche Grundlagen

• Bildungsgesetz• Ausbildungsordnung• Rahmenlehrplan

• Einrichtung einer „Zuständigen Stelle“• Anerkennung von Ausbildungsbetrieben• Ausbildereignung• Anpassung an georgische Erfordernisse (fortlaufend)

Infobox 1: Das Ausbildungskonzept

• Dünn besiedeltes Land im Südkaukasus mit 3,7 Mio. Einwohnern, von denen ein Drittel in der Landes-hauptstadt Tiflis leben.

• Wiege des Weinbaus: 8 000 Jahre alte Traubenkerne wurden bei Ausgrabungen in Amphoren gefunden.

• Traditioneller Qvevri-Ausbau: Dabei wird die Maische in großen Tonbehältern mit rund 1 000 Litern Fassungsvermögen vergoren und in der Regel ein halbes Jahr gelagert.

• Vermutlich etwa 60 000 Hektar Weinbau. Dabei wird ein großer Teil auf Kleinstparzellen angebaut, für den eigenen Verbrauch oder zum freien Verkauf im Herbst.

• Ideale klimatische und geologische Bedingungen für den Weinbau.

Infobox 2: Weinbau und Land Georgien

Page 13: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 13

WeIN

WEI

N

Vom germanischen zum romanischen WeinrechtWie wird die neue Weinmarktordnung in Bayern umgesetzt?

von DR. MAXIMILIAN ISELBORN und PROF. DR. RICHARD BALLING: Seit der neuen Wein-marktordnung der EU 2009 hat sich in der Kennzeichnung und der zugrunde liegenden Qualitätspolitik in Deutschland wenig geändert. Obwohl 2012 die bisherigen deutschen und bayerischen „Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete (QbA)“ in „Geschützte Ursprungsbe-zeichnungen (gU)“ überführt wurden, sind bisher weder die Qualitätsanforderungen (Spezi-fikationen) noch die Kennzeichnung weiterentwickelt und angepasst worden. Mit der Eintra-gung der ersten neuen deutschen gU Bürgstadter Berg kommt zunehmend Diskussion und Bewegung in die Branche. Die Weiterentwicklung vom „alten germanischen“ zum „neuen romanischen“ Weinrecht stellt die Weinwirtschaft vor neue Herausforderungen, bietet jedoch gleichzeitig auch echte Chancen für eine langfristige Neuausrichtung und Positionierung.

Mit Einführung der neuen EU-Weinmarktordnung in 2009 (Verordnung (EG) Nr.  606/2009) sind nicht mehr die Mit-gliedsstaaten für die Schaffung der Rahmenbedingungen des Weinmarktes zuständig, sondern Brüssel. Ziel der neuen EU-Weinmarktordnung, als Teil der Gemeinsamen Marktor-ganisation für Wein, ist u. a. eine einheitliche Regelung zum Schutz von Herkunftsbezeichnungen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Brüssel greift damit die bis dahin un-terschiedlich umgesetzten Qualitäts- und Herkunftssysteme in weinbautreibenden Ländern der Alten Welt (Europa) auf. Bisher setzen die Länder Deutschland und Österreich über-wiegend auf das germanische Weinbezeichnungssystem, das die Qualität der Trauben und die Fehlerfreiheit der Weine als Qualitätsindikatoren sieht. Dem gegenüber sehen sich tradi-tionelle Weinbauländer wie Frankreich, Italien und Spanien, die seit jeher dem romanischen Gedanken des herkunftsge-prägten Terroirs folgen. Mit der Neuregelung der EU-Wein-marktordnung hält die Diskussion über die Notwendigkeit einer Überführung des germanischen in das romanischen Weinbezeichnungssystems Einzug in Deutschland.

Bisher wird die mit der neuen EU-Weinmarktordnung verbundene Möglichkeit eines Systemwechsels von deut-schen Weinerzeugern kaum angenommen (MEND, 2017). Diese verhaltene Entwicklung lässt sich auf die Verordnung EG (VO) Nr. 479/2008 Art. 54 ff. zurückführen, die es Erzeu-gern weiterhin freistellt, auf bisher verwandte traditionelle Begriffe zurückgreifen. Deutschen Weinerzeugern steht es somit frei, die gewohnten Qualitätsbezeichnungen Land-, Qualitäts- und Prädikatswein weiterzuverwenden. Eine Ausnahme stellt der Tafelwein dar, der nun unter der Ka-tegorie „Deutscher Wein“ (ohne weitere Herkunftsbezeich-nung) firmiert. Die eher verhaltene Umsetzung der neuen

EU-Weinmarktordnung hinsichtlich der Verwendung des ro-manischen Bezeichnungssystems führt zu wenigen Berüh-rungspunkten deutscher Weinkonsumenten mit dem roma-nischen Herkunftssystem. Dabei bietet der Herkunftsschutz auch kleinstrukturierten Weinbaubetrieben die Entwicklung eines herkunftsbezogenen Wettbewerbsprofils (DWI, 2017). Der Regelungsrahmen der Europäischen Union schafft den Vorteil, dass Verbraucher sich einer nachvollziehbaren Sys-tematik gegenübersehen, die über alle Mitgliedsstaaten und Produktgruppen hinweg, einheitlich geregelt ist.

Qualitäts- und Herkunftssysteme im VergleichKonsumenten deutscher Weine, die sich überwiegend am germanischen Weinbezeichnungsrecht orientieren, fo-kussieren auf Rebsorten und Einzellagen; gegebenenfalls auf die (ergänzenden) Prädikate Kabinett, Spätlese etc.

WeIN

→ Abbildung 1: Germanische und romanische Weinbezeichnung

(Quelle: GWF und eigene Darstellung)

Page 14: Heft 10-11/2017

14 SUB 10-11/2017

WeIN

WEI

N

Konsumenten, die überwiegend Weine „romanischer Wein-bauländer“ (z. B. Frankreich) konsumieren, sehen sich vor-nehmlich einer geschützten Herkunftsbezeichnung, also ei-ner klar abgegrenzten Region, gegenüber. Abbildung 1 zeigt links ein Beispiel für die Nutzung des germanischen Weinbe-zeichnungssystems. Im Vordergrund stehen das Weinanbau-gebiet (Franken), der Name des Erzeugers (Winzerkeller), die Groß- und Einzellage (Randers acker Ewig Leben), die Reb-sorte (Silvaner) und Qualitätsstufe (Kabinett). Häufig werden die Angaben auf dem Frontetikett um den Jahrgang ergänzt. Im rechten Teil findet sich ein Beispiel für die Nutzung des romanischen Weinbezeichnungssystems. Die Bezeichnung „Grand Vin de Bordeaux“ ist fakultativ und hat keine ge-setzliche Verankerung. Sie bietet allerdings eine Informa-tion über das Weinanbaugebiet (Bordeaux). Im Vordergrund stehen der Name des Erzeugers (Chateau Pontet-Fumet), der Jahrgang (2005), die kommunal geschützte Herkunftsbe-zeichnung bzw. Appellation (Saint-Émilion Grand Cru), die durch die geschützte Herkunftsbezeichnung (Appellation Saint-Émilion Grand Cru Contrôlée) ergänzt wird.

Vergleichend lassen sich zwei grundlegende Unter-schiede in der Weinbezeichnung erkennen: Zum einen nutzt das romanische Bezeichnungsrecht, wie das Bor-deaux-Etikett zeigt, nicht die Rebsorte. Verbraucher erwar-ten also eher ein bestimmtes Produktprofil. Dafür wird der Herkunftsschutz, die AOC (Appellation d‘origine contrôlée), in den Vordergrund gestellt. Herkunftsschutz und Produkt-profil sind dabei eng verbunden. Verbraucher orientieren sich somit primär an einer bestimmten Herkunft (AOC), die sowohl ein geschütztes Qualitätsversprechen als auch ein bestimmtes Produktprofil abbildet. Die hier dargestellte französische bezeichnungsrechtliche Systematik wird ana-log in den traditionellen Weinbauländern (Italien, Spanien, Portugal) mit abweichenden Begrifflichkeiten verwendet. Beispielsweise stellt die Bezeichnung DOC (Denominazione die origine controllata) das italienische Bezeichnungspen-dant zum französischen AOC dar.

Umsetzungen der Weinmarktordnung in BayernDeutsche Erzeuger können seit Einführung der neuen Wein-marktordnung 2009 analog zu traditionellen Weinbauländern diese neue „romanische“ bezeichnungsrechtliche Systematik anwenden. Zur Einführung eines Herkunftsschutzes bedarf es der Schaffung einer Produktspezifikation, in welcher alle Her-stellungsbedingungen wie z. B. Name, analytische und orga-noleptische Merkmale, Abgrenzung des Gebietes, önologische Verfahren, Höchsterträge, Rebsorten etc. aufgeführt werden. Die vollständige Produktspezifikation wird nach Durchsicht, Prüfung und Veröffentlichung durch die nationale Behörde be-willigt und an die Europäische Kommission weitergeleitet. Eine Anerkennung der Europäischen Kommission ist somit Voraus-setzung der Nutzung geschützter Herkunftsbezeichnungen.

National wurden in einem ersten Schritt allen Land-weingebieten der Status einer geschützten geografischen Angabe (g. g. A.) und den Weinanbaugebieten der Status einer geschützten Ursprungsbezeichnung (g. U.) im Rah-men eines Verwaltungsverfahrens zugewiesen. Mit der Anerkennung der Landwein- und Anbaugebiete als ge-schützte Herkünfte können deutsche Weinerzeuger die romanische Bezeichnungssystematik anwenden. So kann seit dem Januar 2012 das Anbaugebiet Franken als „g. U. Franken“ firmieren, wobei der Zusatz „g. U.“ den Herkunfts-schutz analog zur Bezeichnung AOC oder DOC bestätigt. Darüber hinaus können Erzeuger auf die Verwendung der europaweit einheitlichen Siegel zurückgreifen, welche die geschützte Herkunftssystematik visualisiert. Abbildung 2 zeigt die zwei Herkunftssiegel, welche produktgruppen-übergreifend in Europa Anwendung finden und Verbrau-chern ein herkunftsbezogenes sowie einheitliches Quali-tätsversprechen bieten.

Regionale Spezialitäten einheitlich kennzeichnen Die beiden Logos sind in der Kennzeichnung von EU- geschützten Herkunftsangaben bei Agrarprodukten und Lebensmitteln seit einigen Jahren obligatorisch anzubrin-gen (z. B. Bayerisches Bier, Allgäuer Emmentaler, Nürnber-ger Rostbratwürste.) EU-weit sind derzeit rund 1 300 Agrar-produkte und Lebensmittel in das Register eingetragen, in Deutschland gut circa 90 bzw. Bayern derzeit 31. Bei der Kennzeichnung der aktuell über 1 700 EU-weit geschützten Weinbezeichnungen hingegen ist die Verwendung der Lo-gos (noch) freiwillig und wird in Deutschland aktuell nur in ganz wenigen Fällen verwendet. Mit der von der EU-Kom-mission systematisch verfolgten Konvergenz der Kennzeich-nungssysteme ist jedoch auch hier eine weitere Vereinheit-lichung langfristig zu erwarten. In einem weiteren Schritt werden auch die Herkunftsangaben bei Spirituosen ange-passt (derzeit über 300 EU-weit) und in das System integ-riert. In Bayern sind hier z. B. Fränkisches Zwetschgenwasser, Bärwurz oder Bayerischer Gebirgsenzian betroffen, für die zurzeit sogenannte „Technische Unterlagen“ (Spezifikatio-nen) mit der EU-Kommission abgestimmt werden.

→ Abbildung 2: Geschützte Herkunftszeichen (Quelle: StMELF)

Page 15: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 15

WeIN

WEI

N

Über alle Produktgruppen und Mitgliedsstaaten hinweg hat der Verbraucher dann langfristig beim Einkauf im Su-permarkt für Qualitätsprodukte mit Herkunftsangaben ei-nen einheitlichen Regelungsrahmen. Damit werden nicht nur die bei Wein völlig unterschiedlichen „Philosophien“ auf eine gemeinsame Grundlage gestellt, sondern auch für Käse, Bier, Spargel, Edelbrände, Whisky etc. nachvoll-ziehbare und für jeden einsehbare Spezifikationen hinter-legt. Diese Spezifikationen enthalten die Eckpunkte der herkunftsgeschützten Produkte, die auch vereinfacht als regionale Spezialitäten angesehen werden können. Analog zu Bioprodukten werden auch diese durch unabhängige Kontrollstellen testiert.

Terroir und Spezifität statt QbA und PrädikatFraglich bleibt, ob die bisherigen Entwicklungen in Deutsch-land, die fast ausschließlich auf der Überführung der Land- und Anbaugebiete in geschützte Herkünfte beruhen, das eigentliche Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik ausreichend umsetzen. Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik war und ist es spezifische Herkünfte, die sich objektivieren lassen und die Einzigartigkeit eines bestimmten Gebietes hervorheben, zu schützen und in ein einheitliches Qualitätskonzept mit ver-gleichbarer Kennzeichnung zu überführen. Der Schutz der Weinanbaugebiete ist somit ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dennoch ist die in den einzelnen Anbaugebieten vorliegende Heterogenität, die sich über die Vielfalt des Bo-dens, des Mikroklimas, bestimmter Lagen, Erzeugerstruk-turen, Rebsorten und Weinstilistiken nur begrenzt veran-schaulichen lässt, groß. Diese vorliegende Vielfalt, die aus der relativ „offenen“ Spezifikation resultiert, erschwert eine klare herkunftsbezogene Profilierung – vergleichbar mit her-kunftsgeschützten Weinen, die mit diesem System entstan-den und gewachsen sind – aus Sicht des Verbrauchers.

Im Bundesland Bayern sind derzeit die folgenden sechs geografischen Weinherkünfte geschützt:

→ Franken (g. U. Franken), → Landwein Main (g. g. A.), → Bayerischer Bodensee (g. U. Württemberg), → Bayerischer Bodensee-Landwein (g. g. A.), → Landweingebiet Regensburg (g. g. A.), → seit Mai 2017: Bürgstadter Berg (g. U.).

Die „g. U. Bürgstadter Berg“ umfasst ein 113,8 Hektar gro-ßes Gebiet, das innerhalb der „g. U. Franken“ liegt, und ist die erste neue deutsche g. U. für Wein, die in das europä-ische Herkunftssystem aufgenommen wurde. Somit ist die Eintragung der „g. U. Bürgstadter Berg“ als aktuellste Ent-wicklung, die rechtlichen Schutz genießt, in der bayerischen Weinwirtschaft zu bezeichnen. Derzeit laufen bereits eine ganze Reihe deutscher, auch fränkischer Anträge zur Eintra-gung nach dem neuen EU-System.

Handlungsoptionen für die BrancheUm das germanische System weiter an das romanische Sys-tem heranzuführen, bietet sich bayerischen Erzeugern zwei Möglichkeiten: Zum einen können die bisherigen geschützten Ursprungsbezeichnungen des jeweiligen Weinanbaugebietes (z. B. g. U. Franken) näher eingegrenzt werden, um ein spezi-fischeres Profil der geschützten Herkunft zu erzielen. Diese stärkere Eingrenzung der Spezifikation führt zu einer Profilzu-spitzung. Verbraucher können hierdurch eine herkunftsbezo-gen klarere Produkterwartung und -bindung entwickeln. Zum anderen kann der Kreis der Erzeuger innerhalb einer größeren, relativ breit gehaltenen geschützten Ursprungsbezeichnung wiederum eine kleinere spezifische Herkunft bzw. Ursprungs-bezeichnung mit höherer Typizität eintragen lassen, sofern dies objektiv belegt werden kann. Mit der Eintragung der „g. U. Bürgstadter Berg“ wurde ein solches Vorgehen gewählt. In-nerhalb eines bestimmten Gebietes können damit besonders spezifische Produktprofile erarbeitet werden, was ebenfalls die Verbraucherwahrnehmung schärft. Kleinere geografische Einheiten sollten dabei spezifischer als die übergeordneten Einheiten sein, um ein vom Verbraucher nachzuvollziehendes Qualitätssystem zu entwickeln.

Grundlegend kann über die Nutzung des romanischen Systems eine Schärfung herkunftsbezogener Weintypen er-zielt werden. Die Spezifität geschützter Herkunft bildet eine kritische Ressource, die sich nur schwer imitieren lässt und zum Aufbau von Wettbewerbsvorteil verhilft. Erzeuger soll-ten bei der Nutzung des romanischen Systems eine Strate-gie zugrunde legen, welche aus Sicht des Verbrauchers auch nachvollziehbar ist und einen klaren Nutzenvorteil gegen-über anderen Weinherkünften bietet.

Andererseits bringt eine Profilzuspitzung auch einen Ver-lust an Vielfalt und Breite mit sich, was z. B. die zugelassenen Sorten betrifft. Weinkunden mit entsprechenden Produkt-vorlieben müssen dann auf Nicht-gU-Weine zurückgreifen, oder „noch schlimmer“: wandern zu anderen Anbietern ab. Auch Vorgaben bei der Weinbereitung können innovations-feindlich wirken, weil nicht zugelassene neue Möglichkeiten nicht erlaubt sind. Grundsätzlich gilt deshalb: so viel Spezifi-tät wie notwendig für eine klares Profil, so wenig Einschrän-kung wie möglich. Diese Balance für ein ganzes Weinbauge-biet zu finden ist die Herausforderung der nächsten Jahre.

Literatur bei den Autoren.

DR. MAXIMILIAN ISELBORN PROF. DR. RICHARD BALLING BAYeRISCHeS STAATSMINISTeRIUM FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected]@stmelf.bayern.de

Page 16: Heft 10-11/2017

16 SUB 10-11/2017

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

Verwaltungsübergreifend für den GewässerschutzGemeinsames Seminar der Referendare aus Landwirtschaft und Wasserwirtschaft

von ELISABETH HERMANNSDORFER und MARTINA RABL: Unter dem Motto „Landwirt -schaft trifft Wasserwirtschaft“ trafen sich 17 Referendare der Landwirtschaftsverwaltung und 13 Referendare der Wasserwirtschaftsverwaltung mit dem übergeordneten Ziel, in Zu-kunft eine bessere Zusammenarbeit durch Netzwerkbildung und Verständnis für die Beweg-gründe der „anderen Seite“ zu erreichen. Das Aktionsprogramm Gewässerschutz des Baye-rischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten umfasst auch einen deutlichen Ausbau der Beratungs- und Bildungsaktivitäten. Damit ein fachübergreifendes Arbeiten einfacher wird, gab es erstmals dieses gemeinsame Seminar für Referendare aus der Landwirtschafts- und Wasserwirtschaftsverwaltung.

Organisiert und durchgeführt wurde das viertägige Semi-nar im Mai 2017 von Elisabeth Hermannsdorfer und Martina Rabl von der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (FüAK) sowie Karin Henning vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Ver-braucherschutz (StMUV). Das Seminar fand an der Katholi-schen Landvolkshochschule Niederalteich statt. Dieser Ort an der Donau war im Juni 2013 selber massiv betroffen von einem Jahrhunderthochwasser.

Zukunft gemeinsam gestaltenDas Seminar hatte folgende Ziele:

→ Gegenseitiges Kennenlernen der zwei Verwaltun-gen (StMELF und StMUV) sowie deren Ziele und Aufgaben,

→ Verständnis für die Beweggründe der „anderen Seite“,

→ Schaffung persönlicher Netzwerke zwischen diesen beiden Verwaltungen,

GeWÄSSeRSCHUTZ

→ Bild 1: Uferrandstreifen Mertsee (alle Fotos: Elisabeth Hermannsdorfer).

Page 17: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 17

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

→ ergebnisorientierte Zusammenarbeit von Land-wirtschafts- und Wasserwirtschaftsverwaltung zum Thema Gewässerschutz und Hochwasserschutz,

→ Einblick in die fachliche Problematik der wasser-relevanten Schnittstellen zwischen Wasserwirt-schaft und Landwirtschaft,

→ Besichtigung und Beurteilung der Maßnahmen zum Thema Gewässerschutz und Hochwasser-schutz vor Ort.

Fünf ThemenblöckeDie Fachtagung setzte fünf Schwerpunkte, über die jeweils einen halben Tag informiert, referiert und diskutiert wurde:

→ Ziele und Kernaufgaben der zwei Verwaltungen, Selbstverständnis, Berufs ethos der Mitarbeiter und Klienten,

→ Hochwasserschutz, → Schutz der Oberflächengewässer, → Schutz des Grundwassers, → Umgang mit wassergefährdenden Stoffen,

Anlagensicherheit und Biogas.

Um die Referendare beider Seiten intensiv in das Thema einzubinden, bereiteten von jeder Verwaltung zwei bis drei Referendare ein bestimmtes Thema als PowerPoint-Präsen-tation vor und informierten dann im Seminar alle Teilneh-mer über die Problematik, zum Beispiel beim Hochwasser-schutz, aus Sicht ihrer Verwaltung. Die Experten von StMELF, StMUV, Landesamt für Umwelt, Landesanstalt für Land-wirtschaft, der Regierung von Niederbayern, dem Wasser-wirtschaftsamt Deggendorf und dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Pfarrkirchen unterstützten die Referenten fachlich bereits bei den Vorbereitungen. Diese Fachexperten waren dann auch bei ihrem jeweiligen Thema in Niederalteich vor Ort, um bei Bedarf die Beiträge zu er-

gänzen, Erfahrungen miteinfließen zu lassen oder tiefer-gehende Fachfragen zu beantworten.

Die Verwaltungen kennenlernenUm die Ziele und Kernaufgaben, das Selbstverständnis und den Berufsethos der Mitarbeiter und Klienten kennenzu-lernen, stellten die Referendare ihre jeweilige Verwaltung, aber auch die Arbeit ihrer Klienten vor. Dabei war die bloße Schilderung des Ablaufs einer Arbeitswoche eines ganz kon-kreten Landwirts besonders beeindruckend und neu für die Referendare der Wasserwirtschaft. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Verwaltungen wurden anschlie-ßend in Kleingruppen herausgearbeitet und das Ergebnis im Plenum schriftlich fixiert.

Hochwasserschutz Besonders brisant und aufschlussreich war das Thema Hochwasserschutz. Themen der Landwirtschaft waren ins-besondere Flächenverbrauch, Einschränkungen bei der Be-wirtschaftung, Maisanbauverbot und Entschädigungen. Themen der Wasserwirtschaft dagegen waren die Informa-tionen darüber wie Hochwasser entsteht, dessen Auswir-kungen und notwendige Schutzmaßnahmen. Es konnten zum Beispiel folgende Fragen geklärt werden: Warum haben neue Deiche einen größeren Flächenverbrauch als alte? Wa-rum kann in den Poldern kein Mais angebaut werden? Wa-rum können fünf Prozent Flächenverlust für einen Landwirt existenzgefährdend sein? Was versteht man z. B. unter einer Mulchsaat, und warum soll dieses Verfahren helfen Erosion zu vermeiden? Dabei stellte sich heraus, dass es elementar ist vermeintlich bekannte Fachbegriffe vorab zu klären.

Schutz der OberflächengewässerSeitens der Landwirtschaft wurden Fach- und Förder-recht, Bodenschutzrecht, CC-Vorgaben, Abstandsauflagen, Dünge-Verordnung, Erosionskataster und „boden:ständig“

→ Bild 2: Ein Mitarbeiter des Wasserwirtschaftsamtes informiert zum

Mertseespeicher.

→ Bild 3: Entnahmestelle für Gewässerproben an der Mertsee.

Page 18: Heft 10-11/2017

18 SUB 10-11/2017

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

thematisiert. Seitens der Wasserwirtschaft lag der Fokus auf dem Zustand der Gewässer, den Folgen von Nährstoffbe-lastung, der Wasserrahmenrichtlinie, auf Bewässerung und Monitoring.

Schutz des GrundwassersZur Nitratproblematik stellt sich die Frage, was dafür die Ur-sache ist. Was sind die besonderen Herausforderungen für die Landwirtschaft zum Beispiel bei Qualitätsweizenanbau, Gemüsebau, Bodenverhältnisse, Gülleausbringung? Dem gegenüber stehen die Belange der Bevölkerung und Um-welt verbunden mit der Notwendigkeit von Schutzmaß-nahmen, Schutzgebietsverordnungen oder Wasserschutz-gebietsausweisungen.

Umgang mit GefährdungenBeiderseits geht es bei wassergefährdenden Stoffen, Anla-gensicherheit und Biogas um Lagerung von Gülle, Silage, Pflanzenschutzmittel, Sicherheit von Biogasanlagen und Möglichkeiten das Risiko einer Gefährdung der Wasserqua-lität zu minimieren.

Methodik im SeminarAuch bei der Durchführung des Seminars wurde auf fach-übergreifende Zusammenarbeit geachtet. Denn beide Sei-ten stellten nacheinander ihre fachlichen Informationen, ge-setzliche Rahmenbedingungen, Sichtweisen, Argumente, Schwierigkeiten, Problematik und Schnittstellen mit der an-deren Seite in einem circa halbstündigen Vortrag vor. An-schließend waren jeweils nur Verständnisfragen zugelassen. Dabei stellte sich schon bald heraus, dass es fundamental wichtig ist, bestimmte Begrifflichkeiten zu klären, wie zum Beispiel die wasserwirtschaftlichen Definitionen von Damm, Deich, Polder oder Flutpolder.

Das jeweilige Thema aus den fünf Bereichen wurde dann im Plenum diskutiert oder in Kleingruppen bearbei-tet. Wichtig in den kleinen Gremien war eine ausgewogene Gruppen einteilung. Auf der Seite der Landwirtschaft wurde auch noch darauf geachtet, die Fachrichtungen Pflanzen-bau, Gartenbau, Betriebswirtschaft und Tierische Produktion gut zu mischen.

Hintergrund für die Zusammenarbeit in gemischten Kleingruppen war, die Referendare beider Verwaltungen zu animieren unter gegebenen Rahmenbedingungen fach-übergreifende Teams zur Bearbeitung gemeinsamer Auf-gaben zu bilden und diese zielführend zu bewältigen. Die Ergebnisse der Kleingruppen wurden im Plenum dann ge-meinsam präsentiert und vertreten.

Diese „fachübergreifende Zusammenarbeit“ wurde nach einer gewissen Anlaufzeit auch in der Freizeit selbstver-ständlich. Ein Ausspruch eines Referendars war schließlich am Ende der vier Tage: „Uns ist eigentlich gar nicht mehr bewusst, wer zu welcher Seite gehört“. Das kam dann auch

darin zum Ausdruck, dass privat eine Kontaktliste ausge-tauscht wurde.

Rahmenprogramm mit Exkursion Der dritte Seminartag war geprägt von praktischen Erfah-rungen, der Vormittag wurde von der Wasserwirtschaft, der Nachmittag von der Landwirtschaft gestaltet, überwie-gend vorbereitet von den Experten der beiden Verwaltun-gen vor Ort. Ziel war in erster Linie die Besichtigung von er-folgreich umgesetzten Maßnahmen zum Gewässerschutz. Start war im Schiffmeisterhaus in Deggendorf mit Besich-tigung der aktuellen Ausstellung: „Wasserstraßenausbau und Hochwasserschutz zwischen Straubing und Vilshofen“. Der Behördenleiter des Wasserwirtschaftsamtes Deggen-dorf, Michael Kühberger, informierte die Teilnehmer über das Hoch wasser ereignis 2013 entlang der Donau und über diverse Hochwasserschutzmaßnahmen. Besichtigt wurden u. a. die Deichrückverlegung Natternberg, Ausgleichsflä-chen, durchgängige Uferrandstreifen entlang der Mertsee, das Schöpfwerk Fischerdorf, das Projekt „boden:ständig“ und der Mertseespeicher (siehe Bilder 1 bis 4). Wie wichtig fachübergreifende Zusammenarbeit für den erfolgreich praktizierten Gewässerschutz ist, kam bei vielen dieser Pro-jekte deutlich zum Vorschein.

Nach diesen vier Tagen mit vielen guten Gesprächen, Informationen, Eindrücken und einem besseren Verständ-nis für die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und Wasserwirtschaft, kamen alle Teilnehmer zu dem Ergebnis, dass dieses Seminar auf alle Fälle fortgeführt werden soll.

ELISABETH HERMANNSDORFER MARTINA RABLSTAATLICHe FÜHRUNGSAKADeMIe FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected]@fueak.bayern.de

→ Bild 4: Am Schöpfwerk in Natternberg.

Page 19: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 19

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

Netzwerken an den RegierungenSeit 2013 arbeitet an jeder Bezirksregierung die „Gruppe Landwirtschaft und Forsten – Hochwasserschutz“, kurz GLF, als „Brückenkopf“ der Landwirtschaftsverwaltung. Manfred Hoffmann wechselte Anfang 2017 vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Fürsten feldbruck (AELF) an die Regierung von Schwaben. Florian Thurnbauer kam vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Holzkirchen an die Regierung von Oberbayern. Im Interview schildern sie, wie es ihnen mit dem „Seitenwechsel“ geht.

Was genau sind Ihre Aufgaben an der GLF?Manfred Hoffmann: Meine Hauptaufgabe an der Regie-rung von Schwaben ist das Umsetzen der Wasserrahmen-Richt linie. Konkret organisiere ich gemeinsame Begänge und Orts einsichten und pflege Kontakte zu den Akteuren. Ich wirke bei Besprechungen und Ortsterminen der Aktion boden:ständig mit und unterstütze die Bauabteilung bei der Beurteilung der Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Betriebe, die von entsprechenden Baumaßnahmen betrof-fen sind. Daneben betreue ich auch die EDV- und GIS-Sys-teme und werte agrarstrukturelle Daten von landwirtschaft-lichen Betrieben aus, die von gesteuerten Flutpoldern oder anderen wasserbaulichen Maßnahmen betroffen sind.

Florian Thurnbauer: Ich bringe im Vorfeld von Hochwas-serschutzmaßnahmen oder anderen größeren Baumaßnah-men, also in der Entstehungsphase von Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren, pflanzenbaulichen Sachver-stand ein. Das bedeutet auch, die berechtigten landwirt-schaftlichen Belange bei Hochwasserschutzmaßnahmen fachlich sinnvoll zu vertreten. Ganz wichtig ist mir auch das „Netzwerken“ zwischen Kollegen und Institutionen: Ich stelle Kontakte her, tausche Fachinformationen aus und we-cke auch Verständnis für die andere Seite.

Wie verläuft ein Arbeitstag an der Regierung im Vergleich zum AELF? Was ist hier grundsätzlich anders?Thurnbauer: Grundsätzlich gibt es an der Regierung weni-ger Terminsachen und keinen Parteiverkehr. Am Amt hatte ich immer gern direkt mit den Landwirten und den Schülern zu tun. Diese soziale Komponente kommt hier viel weniger zum Tragen. Dafür geht es mehr um strategisches Denken und Handeln, das eher langfristige Auswirkungen hat. Man muss mehr abstimmen, diskutieren und Vertrauen schaffen.

Hoffmann: Das Arbeiten hier in der GLF ist kein routiniertes Abarbeiten eingehender Vorgänge, sondern eine regelmä-ßige Mitarbeit an verschiedenen Projekten in unterschied-lichen Arbeitsgruppen.

Mit welchen Ansprechpartnern haben Sie vor allem zu tun?Hoffmann: Innerhalb der Regierung habe ich den meisten Kontakt zum Sachgebiet 52 Wasserwirtschaft und dem Sach-gebiet 32 Planfeststellung. Außerhalb der Regierung arbeite ich aber auch viel mit dem Amt für Ländliche Entwicklung Schwaben, dem Fachzentrum für Agrarökologie am Amt in Krumbach und allen Ämtern im Regierungsbezirk Schwaben zusammen.

Thurnbauer: Bei mir sind es vor allem die Sachgebiete Was-serwirtschaft und Naturschutz an der Regierung von Ober-bayern, sowie die Wasserwirtschaftsämter. Aber auch mit den Kollegen der Landesanstalt für Landwirtschaft, des Lan-desamtes für Umwelt , des STMELF und den ÄELF habe ich oft zu tun.

Um welche Themen geht es?Thurnbauer: Grundsätzlich geht es bei uns um das Ge-samtpaket Hochwasserschutz. Bei Projekten wie Flutpol-der, Hochwasserrückhaltebecken und Deichrückverlegung stehen die Themen Schadstoffe, Grundwassermonitoring, Vernässung, Grundwasserschutz, Naturschutzmaßnahmen, Ausgleichsflächen und Erhalt der landwirtschaftlichen Nutz-fläche im Vordergrund.

Hoffmann: Wir stimmen mit dem Sachgebiet Wasserwirt-schaft und dem Fachzentrum für Agrarökologie die gemein-samen Begänge von Grund- und Oberflächenwasserkör-pern ab und führen diese durch. Außerdem unterstützen wir die Initiative boden:ständig und beraten Landwirte im Einzugsbereich geplanter Polder über betriebliche Anpas-sungsmöglichkeiten.

Was können Sie als Mitarbeiter der Landwirt-schaftsverwaltung an den Regierungen für die Land-wirtschaft in Ihrem Regierungsbezirk bewirken?Hoffmann: Wir können im gesamten Planungsprozess mit Kommunikation und Vernetzung für landwirtschaftliche

GeWÄSSeRSCHUTZ

Page 20: Heft 10-11/2017

20 SUB 10-11/2017

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

Interessen eintreten. Das gestaltet die Zusammenarbeit der Akteure positiv.

Thurnbauer: Hochwasserschutz ist wichtig. Aber dafür braucht es Flächen. Diese Flächen wird hauptsächlich die Landwirtschaft bereitstellen müssen. Als Beamte sind wir aber nicht nur für die Belange der Landwirte zuständig, son-dern auch für die Allgemeinheit. Wenn wir als GLF frühzeitig in die Hochwasserschutzplanungen eingebunden werden, dann können wir die berechtigten Belange der Landwirt-schaft schon bei der Planung einfließen lassen. Wir tragen so dazu bei, dass die Bedenken der betroffenen Landwirte möglichst beseitigt werden, die Akzeptanz für die Maß-nahme steigt und so die Verfahren beschleunigt werden. Denn wird der Planfeststellungsbeschluss von Landwirten beklagt, kann das die Baumaßnahme deutlich und sehr lange verzögern, was wiederum dem Ziel, die Bürger vor künftigen Hochwassern zu schützen, schadet.

Wo gibt es Verbindungen zwischen Ihrer Tätigkeit am AELF und Ihrer jetzigen Tätigkeit?Hoffmann: Ich war vorher im Bereich Stellungnahmen zu landwirtschaftlichen Bauvorhaben und zur Bauleitplanung tätig. Dabei muss genauso wie bei der Prüfung der Existenz-gefährdung die Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebes abgeschätzt werden. Das Baurechtsschema lässt sich gut vom landwirtschaftlichen Bereich auf Projekte der Wasserwirtschaft übertragen.

Thurnbauer: Die fachlichen Ansprechpartner, mit denen wir zusammenarbeiten, haben kaum gewechselt. Die Themen Erosionsschutz, Düngung, Schadstoffe, Bodenverdichtung, Botanik und Pflanzenschutzmittel sind hier genauso aktuell bzw. gefragt.

Wie erleben Sie das neue Umfeld und die neue Aufgabe?Hoffmann: Die Tätigkeit ist äußerst abwechslungsreich und vielschichtig. Die Regierung ist eine Querschnittsbehörde mit 700 Mitarbeitern mit der ganzen Palette der staatlichen Aufgaben, von denen viele die Land- und Forstwirtschaft betreffen, mal mehr, mal weniger.

Thurnbauer: Es ist schön, aber ganz anders! Die Regierung von Oberbayern beschäftigt 1 600 Mitarbeiter. Trotzdem be-steht der unmittelbare Kollegenkreis aus drei Personen im Gegensatz zu rund 60 am AELF. Am AELF war ich für mei-nen Fachbereich meist allein verantwortlich und hatte we-nig fachliche Austauschmöglichkeiten. Hier sind wir zu dritt

ein echtes Team. Für unsere Themen müssen wir oft neue Wege beschreiten. Da ist die Diskussion innerhalb des GLF-Teams und mit den anderen Sachgebieten notwendig und fruchtbar.

Interessant ist auch die Sichtweise der anderen Verwal-tungen direkt zu erleben, z. B. während der gemeinsamen Kaffeepause. Hier ergeben sich spannende und wichtige Diskussionen mit den Kollegen der Wasserwirtschaft oder des Naturschutzes beispielsweise über die Düngeverord-nung. Das Verständnis untereinander wächst in manchen Fällen und Vorurteile können abgebaut werden.

Während meiner Zeit am AELF bin ich noch mit dem Auto zum Büro gefahren. Da es hier absolut keine Parkmög-lichkeiten gibt, benutze ich nun abwechselnd die S-Bahn und das Rad. Da habe ich nun Zeit für mich selber, die ich sonst nicht hatte.

Wie sieht die Zusammenarbeit der GLF mit der Landwirtschaftsverwaltung aus? Hoffmann: Die regelmäßige Abstimmung mit dem Regie-rungsansprechpartner, die gemeinsamen Begänge mit dem Fachzentrum Agrarökologie und der Wasserwirtschaft, die gemeinsamen Außendienste mit den AELF in Nordschwa-ben zur Betroffenheit landwirtschaftlicher Betriebe, das funktioniert sehr gut.

Thurnbauer: Ich sehe mich nach wie vor als Teil der Land-wirtschaftsverwaltung. Die Fachaufsicht über die GLF liegt beim Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Land-wirtschaft und Forsten (StMELF). Hat man in der Zeit am AELF viele Kontakte geknüpft, dann bestehen diese natür-lich weiter.

Die Tätigkeit bzw. die Existenz der GLF wird an den ÄELF meist sehr kritisch gesehen. Der Personalmangel ist bei den ÄELF mit Landwirtschaftsschule deutlich spürbar. Frustra-tion und Überlastung sind überall zu sehen und zu spüren. Da ich von einem solchen Amt komme, kann ich es nach-vollziehen, wenn man an den ÄELF kritisch über eine Ein-richtung ohne direkte Zuständigkeit denkt.

Ein großer Nachteil ist die Tatsache, dass wir hier an der Regierung von Oberbayern vom landwirtschaftlichen Be-hördennetz vollkommen getrennt sind und deshalb von den normalen Informationskanälen abgeschnitten sind. Das ließe sich einfach ändern. Beispielsweise könnten die GLF in den Verteiler des StMELF an die ÄELF aufgenommen wer-den. Seit meinem Beginn an der GLF am 3. April 17 habe ich mich um einen Zugang zum Mitarbeiterportal bemüht – fast eine Buchbinder-Wanniger-Geschichte. Nach vier Monaten funktionierte es nun endlich.

Page 21: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 21

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

Was könnte man verbessern?Hoffmann: Ich würde mir mehr verwaltungsinterne Infor-mationen der beteiligten Wasserwirtschaftsämter wün-schen.

Gibt es Unterschiede zwischen den Regierungen?Hoffmann: Die organisatorische Anbindung ist unterschied-lich. Wir an der Regierung von Schwaben sind als Stabsstelle direkt beim Präsidium angesiedelt. In Südbayern liegt der Schwerpunkt auf dem Hochwasserschutz, in Ober- und Un-terfranken wird dagegen die Wasserrahmenrichtlinie stärker forciert. In Schwaben ist der einzige Förster an der GLF tätig.

Thurnbauer: In Südbayern mit der Donau und ihren Zuflüs-sen gibt es bezüglich Hochwasser, Deichrückverlegung und Flutpolder mehr Vorhaben als in Nordbayern.

Welche Ziele hat sich Ihre GLF für die nächste Zeit vorgenommen? Gibt es schon erste Erfolge?Hoffmann: Mein Ziel ist es, den gesamten laufenden Pla-nungsprozess im Sinne der Land- und Forstwirtschaft zu be-

gleiten, mich an der Initiative boden:ständig zu beteiligen und gemeinsam mit der Wasserwirt-schaft die Umsetzung der WRRL voranbringen. Außerdem sind das Smart-Farming-Projekt bei einem Grundwasserkörper und der Silphieanbau zum Erosionsschutz voranzubringen.

Thurnbauer: In Oberbayern ist ein Bodenmoni-toring-Konzept sowie ein Vegetationskundliches Gutachten für die laufenden Flutpolderverfahren geplant. Diese beiden Projekte haben Pilotcharak-ter und können auf alle zukünftigen Flutpolder-verfahren angewendet werden. Beide Verfahren befinden sich in der Abstimmungsphase mit dem zuständigen Wasserwirtschaftsamt und kommen beim Flutpolder in Feldolling bei Rosenheim erst-malig zur Anwendung.

Gut läuft mittlerweile die Kommunikation zwischen der Landwirtschaftsverwaltung und den Sachgebieten an der Regierung von Ober-bayern. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit zwi-schen dem Fachzentrum Agrarökologie am AELF Pfaffenhofen und dem Fachbereich Gewässer-güte, -ökologie des Sachgebiets Wasserwirtschaft an der Regierung von Oberbayern bei der Umset-zung der Wasserrahmenrichtlinie. Wir haben hier die ersten Impulse gesetzt. Der Aufbau von Ver-trauen ist hier der Schlüssel zu Vielem!“

Herr Thurnbauer und Herr Hoffmann, vielen Dank für das Interview.

FLORIAN THURNBAUERReGIeRUNG VON [email protected] HOFFMANNReGIeRUNG VON [email protected]

DAS INTERVIEW FÜHRTE BIANCA MARKLSTORFERSTAATLICHe FÜHRUNGSAKADeMIe FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected]

Florian ThurnbauerDienstlicher Werdegang:

2003 – 2005 Referendariat

2005 – 2017Lehrer und Berater für Pflanzenbau an den Landwirtschaftsschulen Wolfratshausen, Holzkirchen, sowie an der Ökoschule in Weilheim

Seit April 2017 GLF Oberbayern

Manfred HoffmannDienstlicher Werdegang:

1993 – 2002 Sachbearbeiter für Förderung an den Ämtern in Weilheim und Augsburg sowie an der Regierung von Oberbayern

2003 – 2017 Fachberater für Rinderhaltung bzw. Strukturentwicklung an den Ämtern in Augsburg und Fürstenfeldbruck

Infobox: Steckbriefe der beiden Interviewpartner:

Page 22: Heft 10-11/2017

22 SUB 10-11/2017

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

„boden:ständig“ zusammenarbeiten in Rhön-GrabfeldLandwirtschaftsminister Helmut Brunner informierte sich über das erfolgreiche Projekt am Sulzfelder Badesee

von JOACHIM OMERT: Das Baden im Sulzfelder See macht heute wieder Spaß! Dies ist ein Verdienst der vorbildlichen Zusammenarbeit von Fachbehörden, Gemeinde und Landwirten in der Initiative boden:ständig. War der Badebetrieb in den vergangenen Jahren vom Boden- und Nährstoffeintrag bedroht, schützen nun die neu angelegten Grünstreifen und Rückhal-tungen den Sulzfelder Badesee vor Eutrophierung und Verlandung. Hiervon profitieren Naherholung und Tourismus. Aber auch die bedrohten Tier- und Pflanzenarten unserer Kul-turlandschaft finden in den neuen Landschaftsstrukturen einen wertvollen Lebensraum.

Minister Helmut Brunner hatte in seiner Regierungserklä-rung am 1. Juli 2014 den Startschuss für die bayernweite In-itiative boden:ständig gegeben. Seitdem koordinieren und unterstützen die Ämter für Ländliche Entwicklung die ge-meinsamen Anstrengungen von Landwirten, Gemeinden und Fachbehörden zum Boden- und Gewässerschutz in bo-den:ständig-Gebieten. In mehr als 40 Projekten, verteilt auf die sieben bayerischen Regierungsbezirke, setzen sich die Menschen vor Ort für den Schutz ihrer Böden und Gewässer ein. Boden:ständig ist eine freiwillige Mitmach-Aktion, in der die Bewirtschafter selbst aktiv werden. Gemeinsam mit den Kommunen und Fachstellen werden situationsbezogen Lö-sungen erarbeitet und in Zusammenarbeit zeitnah realisiert.

Beim Sulzfelder Badesee waren optimale Vorausset-zungen für ein erfolgreiches boden:ständig-Projekt gege-ben. Aufgrund der Gewässerbelastung bestand schon seit Jahren dringender Handlungsbedarf und was das Wich-tigste war, es fanden sich engagierte Menschen vor Ort. Die Betroffenen wollten kein fertiges Konzept umsetzen, sondern aktiv an der Lösung mitarbeiten und mitgestalten.

Runder Tisch boden:ständig Rhön-GrabfeldIdeenschmiede und Impulsgeber für Projekte wie den Sulzfelder Badesee ist der „Runde Tisch boden:ständig Rhön-Grabfeld“. Regelmäßig treffen sich Vertreter der ört-lichen Landwirtschaft, der Landwirtschaftsverwaltung, des zuständigen Wasserwirtschaftsamtes, der Regierung von Unterfranken, des Landratsamtes und der Ländlichen Ent-wicklung. Die Agrokraft Bad Neustadt / Saale, ein Tochter-unternehmen des Bayerischen Bauernverbandes und des Maschinen- und Betriebshilferings Rhön-Grabfeld, ist mit der Projektentwicklung und Kommunikation beauftragt.

Bereits beim ersten Zusammentreffen wurde deut-lich, dass vor der Umsetzung konkreter boden:stän-dig-Projekte zuerst die Landwirte für eine boden- und gewässerschonende Bewirtschaftung ihrer Felder sensi-bilisiert werden mussten. Deshalb erarbeitete der „Runde Tisch“ gleich zu Beginn eine attraktives Informations- und Fortbildungsangebot. Die mehrtägigen Praxisschulungen zum „boden:experten“, der „Praxistag Zwischenfrucht“ und die „Praktikertage Boden“ fanden bei den Landwirten gro-ßes Interesse. Fachvorträge von Wissenschaftlern der Uni-versität Würzburg über die Auswirkungen des Klimawandels auf das Wetter, den Wasserhaushalt der Böden und auf den Ackerbau interessierte nicht nur Landwirte. Zur Veranstal-tung mit dem ARD-Meteorologen Sven Plöger kamen fast

GeWÄSSeRSCHUTZ

→ Bild 1: Minister Helmut Brunner besichtigt den neuen Wasserrückhalt

mit Boden- und Nährstoffsenke (Foto: Nicolas Armer, StMELF).

Page 23: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 23

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

vierhundert Teilnehmer. Neben umfangreichem Praxiswis-sen zur boden- und wasserschonenden Bewirtschaftung in der Trockenregion Rhön-Grabfeld informierten die Veran-staltungen über die geplanten boden:ständig – Projekte.

Grundeigentümer und Landwirte waren nun be-reit, konkrete Boden- und Gewässerschutzmaß-nahmen aktiv zu unterstützen. Auch das Projekt Sulzfelder Badesee fand sehr schnell Zustimmung und Unterstützung.

Gemeinsamer Erfolg durch ZusammenarbeitNicht nur bei der Planung und Projektentwick-lung wurde zusammengearbeitet, sondern auch bei der Realisierung der gemeinsam erarbeiteten Maßnahmen. Am Sulzfelder Badesee übernahmen die Mitglieder des „Runden Tisches“ bereitwillig anstehende Aufgaben und damit Verantwortung.

Der zuständige Wasserberater des Landwirt-schaftsamtes überzeugte die örtlichen Bewirt-schafter entlang der Gräben und Bäche, auf rund 3,50 Kilometer Länge zwischen 10 bis 30 Meter

breite Grasstreifen einzusäen. Auf den grabenbegleitenden Grünstreifen kann sich nun erodiertes Bodenmaterial abla-gern. Deutlich weniger Dünge- und Spritzmittel gelangen in den Badesee (siehe Bild 2). Da der Landwirt gleichzeitig

→ Bild 2: Gewässerschutzstreifen durch KULAP (Foto: Agrokraft Bad Neustadt/Saale).

→ Bild 3: Freiwilliger Landtausch zwischen Gemeinde und privaten Landbesitzer (Foto: Amt für Ländliche Entwicklung Unterfranken).

Page 24: Heft 10-11/2017

24 SUB 10-11/2017

GeWÄSSeRSCHUTZ

GEW

ÄSS

ER-

SCH

UTZ

Unternehmer ist, mussten die freiwil-ligen Maßnahmen zum Boden- und Gewässerschutz auch wirtschaftlich sein. So war es wichtig, die Förderung nach dem Bayerischen Kulturland-schaftsprogramm KULAP mit dem De-ckungsbeitrag der einzelbetrieblichen Fruchtfolge zu vergleichen. Weil kein fi-nanzieller Verlust drohte, war nun auch der letzte Skeptiker überzeugt. Nach Ablauf der fünfjährigen Förderfrist werden die Landwirte erneut kalkulie-ren, ob sie die freiwilligen Maßnahmen zum Gewässerschutz fortsetzen. Wün-schenswert wäre es!

Auch die Gemeinde Sulzfeld hat das boden:ständig-Pro-jekt tatkräftig unterstützt. Der oberhalb des Badesees gele-gene ehemalige Fischteich wurde in eine dauerhafte und naturnahe Boden- und Nährstoffsenke umgestaltet. Gleich-zeitig entstand ein verbesserter Wasserrückhalt bei Stark-niederschlägen. Der bisherige aufgelassene Fischteich war stark verschlammt, hatte eine zu kurze Durchflussstrecke und war daher als Boden- und Nährstoffrückhalt nur von geringem Nutzen. Auch hier leistete der „Runde Tisch“ wertvolle Vorarbeiten. Der Vertreter der Wasserwirtschaft konkretisierte die notwendigen Maßnahmen in einer Ent-wurfsskizze. Anschließend erläuterten die im „Runden Tisch“ vertretenen Fachbehörden vor Ort ihre Planung dem Land-ratsamt, was das Genehmigungsverfahren deutlich verein-fachte und beschleunigte. Die Gemeinde musste nur die Bodenarbeiten finanzieren – rund 20 000 €. Gut investier-tes Geld, da die Wasserqualität des Badesees und damit das Freizeit- und Naherholungsangebot der Gemeinde Sulzfeld nun nachhaltig gesichert sind. Im Bach mitgeführte Bo-denteilchen und Nährstoffe sedimentieren in einem natur-nah gestalteten neuen Rückhaltebecken. Erst danach fließt das vorgereinigte Wasser wie bei einer Pflanzenkläranlage breitflächig über das Gelände in den ehemaligen, nun ent-schlammten Fischteich. Erreicht der Bach schließlich den Badesee, ist das Wasser nahezu frei von Boden und Nähr-stoffen.

Die Bodenordnung des Amtes für Ländliche Entwicklung Unterfranken hat die neugeschaffene Boden- und Nährstoff-senke weiter optimiert. Die herangetauschte Fläche erlaubte es, das Rückhaltebecken zu vergrößern und eine Zufahrt für Unterhaltsarbeiten anzulegen. Auch Nah erholung und Tou-rismus profitieren heute vom Freiwilligen Landtausch. Der Campingplatz, eine Liegewiese mit Kiosk, der neue Spiel-bereich für Kleinkinder, ein Jugend- und Familienzeltplatz sowie großzügige Parkflächen haben nur wenig Platz für weitere Freizeiteinrichtungen gelassen. Durch Landtausch hat die Gemeinde Sulzfeld nun ausreichend Fläche, ihren

Zeltplatz zu erweitern und kann den Badegästen zusätzliche Parkflächen anbieten. Vorteile hat auch der private Tausch-partner. Sein Grundstück ist besser geformt und bleibt auf Dauer eine attraktive Pachtfläche (siehe Bild 3). Die Vermes-sung der neuen Grundstücke und die Aktualisierung des Grundbuchs waren für beide Tauschpartner kostenfrei.

boden:ständig ist Teamarbeit Das boden:ständig-Projekt „Sulzfelder Badesee“ wurde gemeinsam geplant, in Zusammenarbeit umgesetzt und schließlich Herrn Staatsminister Helmut Brunner sowie der Öffentlichkeit als Team präsentiert (siehe Bild 1 und 4). Land-wirte, Fachbehörden und der Bürgermeister berichteten vol-ler Stolz über das Erreichte.

Der Sulzfelder Badesee ist ein Paradebeispiel dafür, dass viele schaffen, was dem Einzelnen nicht möglich ist. Ver-treter des Bayerischen Bauernverbandes und die ortsan-sässigen Landwirte bestärkten deshalb den Minister, den eingeschlagenen Weg der „Freiwilligkeit vor Ordnungsrecht“ im Boden- und Gewässerschutz weiter zu gehen. Beeindruckt vom Ergebnis und erfreut über die gute Zusammenarbeit der Landwirte mit der Gemeinde und den Fachbehörden, sagte Herr Staatsminister Brunner in der Abschlussrede: „Der Sulzfelder Badesee zeigt, dass sich boden:ständig als ein aus-gesprochen effektives Konzept des Boden- und Gewässer-schutzes bewährt hat. Ich freue mich, dass wir damit nun in ganz Bayern arbeiten können. Die Initiative zeichnet nicht nur ein positives Bild unserer Landwirte und unterstützt die Gemeinden. Sie ist auch Teil unserer Gesamtstrategie, in Bay-ern eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft zu erhalten, die hochwertige Lebensmittel nachhaltig und ressourcen-schonend produziert.“

JOACHIM OMERTAMT FÜR LÄNDLICHe eNTWICKLUNG [email protected]

→ Bild 4: Das Projektteam Sulzfelder Badesee mit Minister Helmut Brunner (Foto: Nicolas Armer).

Page 25: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 25

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

Change Management in der Verwaltung Situationsbericht aus der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

von INGEBORG BAUER und WOLFGANG ANGERMÜLLER: Wenn Organisationseinheiten Ver-änderungen in ihren Strukturen oder Prozessen auslösen, sollte eine Veränderungsdiagnose vorausgehen. Ein großes Maß an Plan- und Steuerbarkeit sollte eine flexible Vorgehensweise ermöglichen, bei der erforderlichenfalls immer wieder nachjustiert werden kann. So das Ideal. Wie aber kann Veränderungsmanagement erfolgreich sein, wenn politische Vorgaben plötzlich und unvorhergesehen große Veränderungen von einer Behörde und ihren Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern verlangen? Kann dann überhaupt das Wichtigste gelingen, näm-lich dass die Betroffenen die Veränderungen als ihre Herausforderung annehmen, die Motiva-tion nicht leidet und schließlich die Chancen gesehen werden? Dazu ein Zwischenbericht zur Behördenverlagerung aus der FüAk.

Der Beschluss des Ministerrats vom 4. März 2015 zur Heimat-strategie hat die Führungsakademie für Ernährung, Land-wirtschaft und Forsten (FüAk) völlig unvorbereitet getroffen. Nach Bekanntgabe wurden auch die Präsidentin und der Personalratsvorsitzende am folgenden Tag gemeinsam in das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) geladen. Staatsminister Helmut Brunner teilte den betroffenen Behördenleitern und Personalratsvor-sitzenden die geplanten Behördenverlagerungen mit. Für die FüAk bedeutete dies u. a. die Verlagerung der Abteilung F „Förderung“ mit 30 Beschäftigten nach Regen.

Schnelle Kommunikation vermeidet UnsicherheitOhne Zeitverzögerung haben Präsidentin und Personalrats-vorsitzender ihren Kenntnisstand an die Abteilung F weiter-gegeben. Bereits am 5. März 2015 informierten sie bei einer Personalversammlung das gesamte Personal der FüAk und diskutierten mögliche Auswirkungen und Befürchtungen. Es kam deutlich zum Ausdruck, dass der Beschluss definitiv umzusetzen ist und die Verlagerung nach Regen in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren erfolgen soll. So negativ diese Nachricht für die Abteilung F auch war, damit hatten die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FüAk so-fort Klarheit, dass sie nicht betroffen waren.

Auch im weiteren Verlagerungsprozess wurden die Be-troffenen immer schnellstens und auf verschiedenen Wegen informiert, sobald es neue Kenntnisse zu den Rahmenbedin-gungen, wie zum Beispiel das Personalrahmenkonzept, gab. Eine intensive, nachhaltige und offene Kommunikation der Führungskräfte, der Personalvertretung und der Betroffenen prägten den Prozess von Anfang an.

Dem Prozess Positives abgewinnenBei allen absehbaren Herausforderungen und Schwierigkeiten war die Führungsebene entschlossen, der Verlagerung Positives abzugewinnen, sie z. B. für Veränderungen in eingefahrenen Arbeitsprozessen oder für die Personalentwicklung von Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern zu nutzen. Offensiv mitgetragen wurde die Überzeugung, dass die strukturschwache Region um die Stadt Regen durch die Abteilung Förderung eine Bereiche-rung und einen wichtigen Impuls erfährt.

Dies war auch Leitlinie für das Handeln innerhalb der Abteilung F. Unmittelbar nach Kenntnis des Verlagerungs-beschlusses hat sich der Abteilungsleiter F mit dem Perso-nalreferat im StMELF in Verbindung gesetzt und mögliche Szenarien besprochen. Dabei entstand die Strategie, das Un-umstößliche positiv anzugehen und so vielleicht mehr Hand-lungsspielräume zu erhalten. Eine konstruktive Umsetzung des Beschlusses und die Errichtung einer Kopfstelle, sobald als möglich, gehörten zu dieser Strategie. Diese Vorgehens-weise fand auch die Zustimmung der Präsidentin.

In Einzelgesprächen die Situation erfassenBereits in der ersten Woche führte der Abteilungsleiter Ein-zelgespräche mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, um abzuklären, wer eventuell bereit wäre nach Regen zu gehen und wer bis zum Ende des Verlagerungszeitraumes im Jahr 2025 in den Ruhestand eintritt. Auch die Standorts-wünsche derjenigen, für die Regen nach 2020 keine Option ist, wurden so festgehalten.

Dieses Vorgehen ist zunächst nicht bei allen Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern auf Zustimmung gestoßen – des Öfteren wurde von vorauseilendem Gehorsam gesprochen.

FÜHRUNG

Page 26: Heft 10-11/2017

26 SUB 10-11/2017

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

Ergebnis der Gespräche war, dass fünf Personen bereit wa-ren, zeitnah nach Regen umzusiedeln. Weitere fünf gehen innerhalb des Verlagerungszeitraumes von zehn Jahren in Ruhestand. 20 Personen müssen also in anderen Organisa-tionseinheiten innerhalb der FüAk bzw. an wohnortnahen Dienststellen im Geschäftsbereich untergebracht werden.

Während des ganzen Verlagerungsprozesses muss die Funktionsfähigkeit der Förderabwicklung gewährleistet bleiben. Deshalb wurde bewusst nach Ortswünschen ab 2020 gefragt. Diese Vorgehensweise stellte sich jedoch als Fehleinschätzung heraus. Der Wunsch nach Sicherheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war größer als der Wunsch der Führung, die Abteilung noch einigermaßen zu-sammenzuhalten und die notwendigen Personalverände-rungen auf den Zeitraum ab 2020 zu verschieben.

Im Oktober 2015 führte das Personalreferat des StMELF mit allen Beschäftigten der Abteilung F Gespräche an der FüAk. Von Seiten der FüAk nahmen – je nach Wunsch der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters – die Präsidentin, der Abteilungsleiter F, der jeweils zuständige Sachgebietsleiter oder der Vorsitzende des Personalrats teil. Themen waren mögliche Perspektiven, die örtliche Mobilität, die fachliche Flexibilität, eine Zeitschiene sowie eine gemeinsame Ver-einbarung über das weitere Vorgehen. Das Gespräch wurde jeweils von den betroffenen Mitarbeitern dokumentiert und von allen Gesprächsteilnehmern unterschrieben.

Vertrauen aufbauenReden und Handeln in Einklang zu bringen ist beim Verän-derungsmanagement, so auch bei der Behördenverlage-rung, immens wichtig. Für den Abteilungsleiter F war daher die vordringlichste Aufgabe, den Verlagerungsprozess nach-haltig zu begleiten. Für ihn bedeutete dies: Nicht selbst als einer der ersten von Bord zu gehen, sondern mit dem eige-nen Tun beispielgebend zu agieren.

Vertrauensbildend waren auch die Zusagen seitens des StMELF, keinen gegen seinen Willen zu versetzen und die Wunschämter und Wunschorte zu berücksichtigen. Bis dato haben alle weichenden Beschäftigten eine neue Stelle an einem Wunschort bekommen. Leider funktioniert das nicht für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter sofort. Das Ver-trauen bleibt aber nur dann erhalten, wenn die Zusagen auch weiterhin eingehalten werden.

„Herbergssuche“ für die Abteilung in RegenDie Abteilung F soll in einem noch zu errichtenden Grünen Zentrum in Regen untergebracht werden. Da dies noch ei-nige Zeit in Anspruch nehmen wird und der „Brückenkopf“ möglichst rasch in Regen starten sollte, war eine Zwischen-lösung notwendig. Die Bürgermeisterin der Stadt Regen bot Büroräume im Rathaus der Stadt an. Weitere Standorte wur-den in Erwägung gezogen. Die Wahl fiel auf ein Gebäude der Standortverwaltung am Stadtrand von Regen. Das hat

Wie hat mich die Verlagerungsentschei-dung getroffen?Ich empfinde die Verlagerungsentscheidung persönlich als Glücksfall. Sie hat es mir ermöglicht, heimatnah zu einer innovati-ven, leistungsorientierten Mittelbehörde mit anspruchsvoller Aufgabenstellung zu wechseln.

Wie habe ich den Umgang der Leitung der FüAk mit dem Verlagerungsprozess empfunden?Sowohl die Präsidentin, als auch unser Abteilungsleiter stehen der Verlagerung sehr aufgeschlossen gegenüber und unterstüt-zen das Vorhaben bestmöglich. Durch regelmäßige Information über Personalveränderungen und anstehende Planungen ver-suchen sie, die Verlagerung transparent zu gestalten und Zukunftsängste abzufedern. Neue Mitarbeiter werden sehr herzlich aufgenommen. Aus geschickter Personalpolitik ist eine Eigendynamik entstanden, die zur Folge hat, dass die ursprünglichen zeitlichen Vorgaben zur Mitarbeiterumsetzung bereits hinfällig geworden sind.

Wie geht es mir jetzt?In der Abteilung führt die Verlagerung zu stärkerer Personalfluktuation. Dadurch geht viel langjährig erworbene Fachkompetenz verloren, bewährte Teambildungen und Netzwerke lösen sich auf. Ich merke jedoch als Neueinsteiger, dass auch neue Impulse gesetzt werden können und wieder effiziente Strukturen bei der Zusammenarbeit wachsen. Auch nach vollständiger Kompen-sation dieser einschneidenden Personalveränderungen werden die Nachwirkungen noch geraume Zeit spürbar bleiben. Digitale Medien, z. B. die Videoübertragung, und der Umstieg auf die eAkte ermöglichen jedoch die notwendige Anbindung zu den Kol-leginnen und Kollegen im Mutterhaus in Landshut, was mir sehr wichtig ist. Ich persönlich habe eine gute berufliche Entschei-dung getroffen und möchte mit dazu beitragen, dass die Verlagerung der Abteilung nach Regen ein Erfolg wird!

Infobox 1: Stimmen der BetroffenenManfred Hofmeister F1 – Förderrechtsangelegenheiten im Bereich Agrarumweltmaßnahmen Aufgaben: Förderrechtsangelegenheiten im Bereich von Agrarumweltmaßnah-men, Widerspruchsverfahren, Klageverfahren, Prüfung von Behördenirrtümern oder des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, Rechtsauskünfte an die Ämter

Page 27: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 27

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

sich bald als richtig herausgestellt. Wäre das Rathaus aus-gewählt worden, hätte man zwischenzeitlich entweder umziehen oder zusätzliche Büros anmieten müssen. An der Standortverwaltung sind derzeit 19 Arbeitsplätze verfügbar. Aufgrund des rasanten Personalzuwachses wird verhandelt, auch den ersten Stock anzumieten. So können unabhängig von der Fertigstellung des geplanten Grünen Zentrums die vorgegeben 30 Personen in einem Gebäude in Regen unter-gebracht werden. Diese einhäusige Unterbringung ist auch sehr wichtig für das „Wir-Gefühl“ der Außenstelle.

Natürliche Personalfluktuation nutzenDie FüAk vereinbarte, dass in Landshut ausscheidendes Personal in Regen nachbesetzt wird, und wich von diesem Grundsatz nur im Sommer 2015 ab. Für zwei dringend zu besetzende Stellen waren noch keine Mitarbeiter für Regen verfügbar, so dass diese in Landshut nachbesetzt wurden.

Seitdem wird der Grundsatz aber eingehalten. Staatsminis-ter Helmut Brunner betonte, es sei nicht Sinn der Verlage-rung, dass die Landshuter Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter nach Regen fahren, sondern dass junge Leute aus der Region Arbeit in Regen finden. Deswegen wurden bereits frühzeitig zwei junge Damen für das duale Studium zum Verwaltungsfachwirt eingestellt. Sie absolvieren derzeit ihr dreijähriges Studium in Hof und werden ab Herbst 2018 in Regen zur Verfügung stehen. 2016 stellte die FüAk zwei weitere Anwärter für diese Ausbildung ein. Sie werden im Herbst 2019 ihren Dienst in Regen antreten.

Entwicklung in RegenEnde Januar 2016 haben die fünf Freiwilligen in Regen ihren Dienst angetreten. Alle fünf Kollegen gehören dem gleichen Sachgebiet an. Auch der stellvertretende Abteilungsleiter ist mit dabei. Das hat den ersten Schritt erheblich erleichtert.

Bis Herbst 2016 hat sich die Mitarbeiterzahl bereits auf acht erhöht. Aktuell (August 2017) arbeiten zwölf Kolleginnen und Kollegen in Regen. Bis Jahresende wird sich diese Zahl auf 16 oder 17 erhöhen. Mit den vier Hofer Studenten und einer Kollegin, die bereits von der Landesanstalt für Landwirtschaft an die FüAk versetzt, aber vorübergehend noch rückabgeord-net ist, stehen 21 bzw. 22 Personen fest für Regen.

Bisherige ErfahrungenDer Verlagerungsprozess ist bis dato viel schneller gelau-fen als sowohl von der Führung als auch den Betroffenen prognostiziert. Die Stimmung innerhalb der Abteilung war großen Schwankungen unterworfen. Nach Phasen der Ruhe förderten Versetzungen wieder die Verunsicherung bei den „Landshutern“ („…ich habe immer noch nichts!“). Die Trans-parenz beim bisherigen Verlagerungsprozess und die Ein-haltung der Zusagen haben sich sehr positiv ausgewirkt.

→ Am 29. Januar 2016 begrüßten Staatsminister Helmut Brunner, Bürger-

meisterin Ilse Oßwald und der stellvertretende Landrat Helmut Plenk die

Mitarbeiter der neuen FüAk-Außenstelle (Foto: Georg Bauer, FüAk).

Wie hat mich die Verlagerungsentscheidung getroffen?Ich war sehr überrascht. Eine Behördenverlagerung zur Stärkung des ländlichen Raumes sehe ich als sinnvoll an. Allerdings geht Wissen verloren, da die von der Verlagerung betroffenen Kolleginnen und Kollegen schon sehr bald berufliche Veränderungen angestrebt haben, obwohl dies so schnell nicht notwendig war. Ich persönlich habe sofort entschieden, zum nächst möglichen Zeitpunkt den Antrag auf Altersteilzeit zu stellen.

Wie habe ich den Umgang der Leitung der FüAk mit dem Verlagerungsprozess empfunden?Alle, auch das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, haben sich sehr bemüht, den Verlagerungsprozess gut zu begleiten bzw. zu organisieren. Die künftigen beruflichen Wünsche wurden bei den einzelnen Kolleginnen und Kollegen abgefragt und bisher auch berücksichtigt. Es wurde keinerlei Druck verbreitet.

Wie geht es mir jetzt? Die e-Akte und Videokonferenzen erleichtern den beruflichen Kontakt. Der persönliche Kontakt mit neuen Kolleginnen und Kol-legen ist aber erheblich weniger geworden. Entsprechend leidet auch das früher stark vorhandene „Wir-Gefühl“ in der Abteilung.

Infobox 2: Stimmen der BetroffenenDoris Meiler, F1 – FörderrechtsangelegenheitenAufgaben: Förderrechtsangelegenheiten im Bereich von Agrarumwelt-maßnahmen, Widerspruchsverfahren, Klageverfahren, Prüfung von Behördenirrtümern oder des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, Rechtsauskünfte an die Ämter, Gleichstellungsbeauftragte für die FüAk

Page 28: Heft 10-11/2017

28 SUB 10-11/2017

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

Bisher wurde der Grundsatz des Abteilungsleiters F einge-halten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine Stelle an-geboten bekommen haben, gehen zu lassen, auch wenn es weh tut. Vorübergehender Verlust von Erfahrung und Kom-petenzen ist beim Verlagerungsprozess unvermeidbar.

Kein Schaden, wo nicht auch ein NutzenDer Verlagerungsprozess bietet auch unerwartete Chan-cen. So hätte eine Juristin ohne diese Behördenverlagerung keine Stelle an einem Amt in Heimatnähe bekommen. Auch die aus Regen stammende neue Leiterin des Sachgebiets Förderrechtsangelegenheiten hätte ihren Wunsch nach Rückkehr in die Heimat nicht realisieren können. Eine wei-tere Juristin, die als Elternzeitvertretung angestellt war, hat nun eine feste Stelle in Regen.

Aber nicht nur in einer heimatnahen Verwendung lagen die Chancen. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung F haben mit dem Wechsel auch einen „Karriere-schub“ gemacht: Der ehemalige „Chefjurist“ leitet inzwi-schen ein bedeutendes Sachgebiet an der Regierung von Oberbayern. Ein Mitarbeiter konnte zum Sachgebietsleiter an der FüAk aufsteigen. Für andere ergaben sich Tätigkeiten im StMELF bzw. als Sachgebietsleiterin an einem Amt für Er-nährung, Landwirtschaft und Forsten.

Anbindung an das Mutterhaus nicht einfachNicht einfach ist es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter in Regen die FüAk und ihre Arbeitsweise kennenzuler-nen. Deswegen muss bis dato jeder Neue tageweise oder am Stück Dienst in Landshut leisten. Diese Zeit – auch wenn nicht jeder sie von Anfang positiv sieht – erachten alle Be-troffenen im Nachhinein als wertvoll und notwendig.

Neue Arbeitsmethoden und moderne Möglichkeiten der Digitalisierung leisten einen wertvollen Beitrag für eine Kommunikation über Standortgrenzen hinweg. Und sie er-scheinen plötzlich auch viel sinnvoller. Die Einführung der eAkte in der Abteilung F erleichtert den Dienstbetrieb er-heblich. Auch die Videokonferenzanlage, die anfangs auf Skepsis gestoßen ist, hat sich zwischenzeitlich etabliert.

AusblickNach dem rasanten Wechsel 2016 und 2017 kommt die Ab-teilung F jetzt hoffentlich wieder in ein ruhigeres Fahrwas-ser. Eine Phase der Konsolidierung ist notwendig. Mit dem Weggang des Sachgebietsleiters Förderrechtsangelegen-heit, zweier weiterer Juristinnen, einer Sachbearbeiterin und eines Sachbearbeiters musste dieses Sachgebiet fast komplett neu aufgestellt werden. Teams müssen sich un-ter geänderter Zusammensetzung neu entwickeln. Und die Identifikation der aus anderen Verwaltungen oder aus der Wirtschaft zur FüAk gekommenen Kolleginnen und Kolle-gen mit der Landwirtschaftsverwaltung allgemein und der FüAk im Besonderen muss sich festigen.

Auf die neue Abteilungsleitung F, die demnächst in Re-gen installiert wird, warten noch viele Aufgaben im Rahmen des Change Management.

INGEBORG BAUERWOLFGANG ANGERMÜLLERSTAATLICHe FÜHRUNGSAKADeMIe FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTeN [email protected]@fueak.bayern.de

Wie hat mich die Verlagerungsentscheidung getroffen?Die Entscheidung hat mich, wie wohl auch alle anderen, völlig unvorbereitet wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen („Flurfunk“). Lange Zeit wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Die unsichere Zukunftsperspektive hat einen teilweise extremen Personalwechsel ausgelöst nach dem Motto „den Letz-ten beißen die Hunde“. Dementsprechend waren die Auswirkungen auf die in Landshut verbliebenen Mitarbeiter.

Wie habe ich den Umgang der Führung mit dem Verlagerungsprozess empfunden?• Konstruktiv (das Beste aus der vorgegebenen Situation machen);• weitgehend offene Kommunikation, über neue Sachverhalte wurde zeitnah informiert;• Wünsche und Ängste der Einzelnen wurden gehört und ernst genommen;• keine verbindlichen Zusagen seitens der FüAk möglich, weil das letzte Wort andere haben.

Wie geht es mir jetzt?Zwischenzeitlich habe ich mich dazu entschieden, trotz größerer Entfernung zu meinem Wohnort, nach Regen zu wechseln, u. a. weil ich mein bisheriges Aufgabengebiet beibehalten möchte. Die Aufteilung des Sachgebietes auf zwei Standorte erfordert Änderungen in den Arbeitsprozessen. Ohne Videokonferenz und eAkte wäre es deutlich schwieriger. Die persönlichen Kontakte zu den nach Regen gewechselten Kollegen sind weniger geworden. Man trifft sich nicht mehr einfach so auf dem Flur oder beim Kaffee. Für neue Kollegen wird es sehr schwierig werden, persönliche Kontakte zum jeweils anderen Standort aufzubauen.

Infobox 3: Stimmen der Betroffenen Brigitte Wolf F3 – Flächen- und tierbezogene FörderprogrammeAufgaben: Beratung, Koordination, Fachaufsicht im Bereich Agrarumweltmaßnahmen

Page 29: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 29

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

„Ist das Glas halb leer oder halb voll?“Erste Erfahrungen mit der Positiven Psychologie an der Führungsakademie

von MARIUS BENNER: Seit dem Frühjahr 2016 beschäftigt sich die Staatliche Führungsaka-demie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten damit, wie Elemente der Positiven Psycho-logie im eigenen Haus Anwendung finden könnten. Das Konzept einer eigens dafür ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe sieht eine Modifizierung beim Mitarbeitergespräch, die stärkere Fokussierung von positiven Erfahrungen in Besprechungen bis hin zu regelmäßigen Informa-tionen über geeignete Methoden der Positiven Psychologie vor. Die ersten Rückmeldungen der Beschäftigten zum modifizierten Mitarbeitergespräch sind durchaus positiv. Es gilt aber, den Nutzen für Führungskräfte und Beschäftigte noch stärker herauszuarbeiten.

Laut der STEPSTONE-Studie „Glück am Arbeitsplatz“ von 2012/2013 sind Europäer mit ihrer Arbeit weniger glücklich als mit ihrem Privatleben. Besonders bei den Deutschen gehen die Werte auseinander. Auf einer Skala von 1 (sehr unglücklich) bis 10 (sehr glücklich) erreicht das deutsche Privatleben eine 6,4, die Arbeit aber nur eine 4,7. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Sollte sich das ändern? Ja, denn viele Studien zeigen, dass erfolgreiche Unternehmen häufig einen positiven Füh-rungsstil pflegen. Hier stehen die Stärken der Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter im Fokus, es herrschen ein positi-ves Klima und ein wertschätzender Umgang miteinander. Menschen in diesen Unternehmen lernen aus Erfolgen und erkennen den Sinn der eigenen Arbeit. Willkommene Ne-beneffekte sind die Förderung der Gesundheit, die Steige-rung von Flexibilität, Lebens- und Arbeitszufriedenheit und die Senkung von Mitarbeiterfluktuation.

Kim Cameron beschrieb 2012 in seinem Buch „Positive Leadership: Strategies for Extraordinary Performance“, dass Organisationen durch positive Führung außergewöhnliche Leistungsniveaus erreicht haben. Er nennt vier Führungs-strategien:

→ positives Klima: Vergebung pflegen, Mitgefühl und Dankbarkeit zeigen;

→ positive Beziehungen: Stärken stärken, Energienetz-werke bilden;

→ positive Kommunikation: Best-Self Feedback, kon-struktive Kommunikation;

→ positiver Sinn: menschliches Wohlbefinden fördern, an persönliche Werte anknüpfen, weitreichende Wirkung aufzeigen, Gemeinschaft schaffen.

Positive Psychologie und ihre Wirkungen Positive Psychologie befasst sich in Theorie und Forschung mit der Frage, was das Leben lebenswert macht. Ziel ist es, Menschen dabei zu unterstützen, Erfüllung und Sinn im Le-ben zu finden. Die Positive Psychologie möchte dazu beitra-gen, dass Menschen ihre Stärken erkennen und einsetzen, positive Gefühle erleben und zu einer positiven Gesellschaft beitragen. Interventionen der Positiven Psychologie fördern Wohlbefinden und Glückserleben, erweitern die persönli-chen Ressourcen, helfen beim Einsatz eigener Stärken und tragen zu beruflichem Erfolg und privatem Glück bei. In Un-ternehmen beispielsweise können damit neue Handlungs- und Entwicklungsräume eröffnet und Innovation und Kre-ativität gefördert werden.

Die Positive Psychologie will also Antworten auf Fragen geben, die über die Jahre nicht nur von Psychologen, son-dern von Philosophen, Theologen und Politikern gestellt wurden:

→ Wie kann man Glück definieren und messen? → Wie lässt sich subjektives Wohlbefinden steigern? → Warum sind manche Menschen glücklicher als an-

dere?

„Alle gleich zu behandeln ist nicht gerecht, sondern unmenschlich.

Jeder hat andere Bedürfnisse und Fähigkeiten. Nur die Rücksicht darauf macht persönliche

entwicklung möglich.“

Benedikt von Nursia (480 bis 547)

FÜHRUNG

Page 30: Heft 10-11/2017

30 SUB 10-11/2017

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

Dabei geht sie von der Annahme aus, dass Menschen ein erfülltes Leben führen und ihrem Leben einen Sinn geben wollen; dass sie daran interessiert sind, ihre guten Seiten voranzubringen. Damit richtet sich die Positive Psycholo-gie ausdrücklich an alle Menschen. Ein Schwerpunkt liegt in der Präventionsarbeit. Hier kann die Positive Psychologie zum Beispiel bei der Vorbeugung von Burnout und Depres-sion einen wesentlichen Beitrag leisten. SELIGMAN (2003) beschreibt drei Säulen der Positiven Psychologie: positives Erleben, positive Eigenschaften im Sinne von Tugenden und Charakterstärken und positive Institutionen, die Wachstum erlauben, also „gesunde“ Familien, Wohnumfelder, Schulen und Firmen (Aus BLICKHAN (2015)).

Erste Erfahrungen an der FührungsakademieBereits im Mai 2016 wurde im Rahmen der Führungsdienst-besprechung beschlossen, dass die Erkenntnisse der Posi-tiven Psychologie schrittweise in die Qualitätskultur der Führungsakademie implementiert werden sollen. In einem ersten Schritt wurden möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Grundlagen der Positiven Psy-chologie durch Vorträge im Rahmen von Besprechungen, Personalversammlungen und der Gesundheitstage infor-miert. 2016 fanden die Mitarbeitergespräche an der Füh-rungsakademie bereits in vielen Fällen mit einem Modell aus der Positive Psychologie statt. Den bewährten Leitfa-den zur Durchführung der Mitarbeitergespräche ergänzte dabei das sogenannte „Füllstandmodell“ (siehe Infobox 1), basierend auf der Selbstwirksamkeitstheorie nach DECI & RYAN (2000). Zu ihren Erfahrungen mit dieser anderen Herangehensweise im Mitarbeitergespräch wurden die Beschäftigten im Februar 2017 in einer Umfrage im Mit-arbeiterportal befragt. 66 Kolleginnen und Kollegen und damit 38 Prozent gaben Rückmeldung. In 38 Fällen kam das „Füllstandmodell“ zur Anwendung. Ein Mehrwert im Vergleich zum „klassischen“ Mitarbeitergespräch entstand in 13 Fällen, 26 Mitarbeiter empfanden keinen Mehrwert. Mit „weiß nicht“ antworteten 18 Kolleginnen und Kolle-gen. Ein Mehrwert durch die Anwendung des „Füllstand-modells“ ist also nicht deutlich erkennbar. Allerdings waren die freien Antworten überwiegend positiv. Einige dieser Antworten zeigt Infobox 2. 45 der 66 Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben darüber hinaus Interesse an der Posi-tiven Psychologie bekundet und konkretisierten dies mit-tels freier Antworten. Einen Auszug dieser Antworten zeigt ebenfalls Infobox 2.

Es bleibt festzuhalten, dass es noch Spielraum nach oben für den Einsatz im Mitarbeitergespräch gibt. Der Mehrwert sollte auf beiden Seiten (Mitarbeiter und Vorgesetzter) noch stärker herausgearbeitet und fokussiert werden. Wie das „Füllstandsmodell“ besser in das Mitarbeitergespräch inte-

griert werden kann, muss noch deutlicher herausgearbeitet werden. An einer Handreichung dazu arbeitet die Arbeits-gruppe derzeit. Dabei soll es den Leitfaden zur Durchfüh-rung des Mitarbeitergesprächs, welcher mehr auf Zielver-einbarungen ausgerichtet ist, nicht ersetzen sondern nur ergänzen.

Wie geht´s darüber hinaus weiter?Ausgewählte Modelle und Interventionen der Positiven Psy-chologie sind an der FüAk bereits implementiert oder stehen vor ihrer Einführung. Sie sollen zu einem positiven Klima, positiven Beziehungen, einer positive Kommunikation und einem positiven Sinn beitragen:

Autonomie Kompetenz Bindung(„selbst entscheiden“) („sich wirksam erleben“) („sich verbunden fühlen“)

In Vorbereitung auf das Mitarbeitergespräch (MAG) zeichnet jeder Mitarbeiter zuerst seinen Eichstrich in jedes Glas. Rote Linie: „Wie würde ich es mir wünschen?“.Ziel ist hierbei nicht, dass jedes Glas randvoll sein sollte, sondern vielmehr eine genaue Bestimmung des Soll- Zustandes.Anschließend markiert jeder Mitarbeiter den tatsächlichen Füllstand in jedem Glas. Blaue Linie: „Wie erlebe ich die Befrie-digung meiner drei Grundbedürfnisse momentan?“.Im MAG werden die Füllstände dann mittels folgender Fragen reflektiert:a) Wo gibt es die größten Übereinstimmungen zwischen

Eichstrich und Füllstand? Wo finden sich die größten Abweichungen?

b) Woran liegt das?c) Wie geht es mir bei der Betrachtung?d) Was braucht es, damit sich die beiden Markierungen

annähern?e) Was kann die Füllstände heben/senken? Was kann ich

dazu beitragen? Wobei brauche ich Unterstützung? Von wem?

f) Muss ich meine Eichstriche hinterfragen und gegebe-nenfalls anpassen?

Infobox 1: Füllstandmodell

Page 31: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 31

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

→ Servicetag für die Beschäftigten: Auf Initiative von Präsidentin Ingeborg Bauer er-öffnet seit dem Frühjahr 2017 einmal im Jahr ein sogenannten „Servicetag“ allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit, konkret vor Ort mit Kunden bzw. Kolleginnen und Kollegen aus der Verwaltung in Kontakt zu treten. Z. B. können die Mitarbeiterinnen der Seminarverwaltung, die selbst die Seminare von der Einladung bis zum Namens-schild organisieren, mit der Teilnahme an einem Seminar nachvollziehen, wohin ihre Arbeit mündet. Die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit an der FüAk soll so erlebbarer werden.

→ Besprechungen positiv beginnen: Die Protokollvorlagen für Besprechungen werden dahingehend geändert, dass sich zu Anfang der Be-sprechung jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer kurz dazu äußern kann, was im zurückliegenden Zeitraum gut gelaufen ist und was abgeschlossen werden konnte.

→ Intervention des Monats: Eine Rubrik „Positive Psychologie“ im Mitarbeiterpor-

tal wird interessierte Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter über die Thematik weiter- und tiefergehend informieren. Anregungen, wie Positive Psychologie im Arbeitsalltag sichtbar werden kann, werden dort gegeben. Darüber hinaus werden Modelle oder Übungen als „Intervention des Monats“ vorgestellt.

Die Ideen, Vorschläge und Angebote der Arbeitsgruppe le-ben vom Mitmachen. Sie sollen einer größeren Arbeitszu-friedenheit dienen. Die Arbeitsgruppe kann nur Impulse geben und ist auf die Rückmeldung der Beschäftigten an-gewiesen, was sie sich mehr, weniger oder anders wünschen würden. Mit Befragungen im Mitarbeiterportal wird das An-gebot regelmäßig zur Diskussion gestellt werden.

Literatur beim Autor.

MARIUS BENNER STAATLICHe FÜHRUNGSAKADeMIe FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected]

Welcher Mehrwert entstand für Sie durch das Füllstandmodell im Mitarbeitergespräch?• Die Methode erleichterte den Einstieg in ein zwangloseres Gespräch.• Die emotionale Ebene kam besser zum Ausdruck.• Wir waren schneller an den eigentlichen Themen. Es entstand eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre. Ich habe mich von

meinem Vorgesetzten besser verstanden gefühlt.• Intensivere Vorbereitung auf Gespräch, um Füllstände einzutragen; lockerere Gesprächsatmosphäre.• Es förderte die Offenheit des Gesprächs.• Diente als Aufhänger für Mitarbeitergespräch, Türöffner.• Es ergab sich ein offeneres Gespräch und ein anderer, erweiterter Blickwinkel. Füllstandmodell aber bitte nicht zum

Pflichtteil für jedes MAG machen! „Methodenwechsel“ soll möglich sein.• Darüber nachzudenken, dass einem das, was gut ist, auch bewusst wird.• Darüber selbst bewusst nachzudenken, wo ich mich im Arbeitsleben gerade in den drei Bereichen befinde.

Was an der Positiven Psychologie interessiert Sie besonders?• Die Umsetzung im Alltag und die Umsetzung bei den Führungskräften.• Konkrete Anwendung im Umgang mit anderen; Handout mit Anwendungsmöglichkeiten, damit ich nachschlagen kann –

mittlerweile habe ich schon wieder viel aus dem Vortrag vergessen.• Mit welchen verbalen und non-verbalen Handlungsweisen kann ich die positive Psychologie aktiv im Alltag anwenden?• Positive Gedanken und der Rückblick am Ende des Tages.• Ob das Ganze lokal begrenzt bleibt, oder weitere Kreise ziehen kann? Check: wie bin ich gegenüber anderen gerade unterwegs?• Inwiefern kann durch die positive Psychologie die Motivation der Mitarbeiter gestärkt werden?• Wie können kleine Teile in der täglichen Arbeit / im täglichen Leben integriert werden?• Der Servicetag an einem AELF und der Abteilungstag.• Einsatzmöglichkeiten bei Besprechungen und bei der Formulierung von Sachgebietszielen.

Infobox 2: Ausgewählte Ergebnisse der Umfrage zur Positiven Psychologie an der FüAk

Page 32: Heft 10-11/2017

32 SUB 10-11/2017

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

Auf geht’s zu neuen Ämtern!23 neu ernannte Rätinnen und Räte beziehen ihre Posten

von SUSANNE MAYER und DR. MARKUS HECKMANN: Zwei Jahre des Referendariats liegen hinter uns: eine lange Zeit, die sehr schnell vergangen ist, aber auch äußerst lehrreich war. Wir wurden während dieser Zeit bestmöglich auf unsere Tätigkeiten im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorbereitet. In vielen Seminaren erfolgte eine pädagogische, methodische, rhetorische und fachliche Aus-bildung. An den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schloss sich die prakti-sche Umsetzung des Erlernten an. Unterricht an der Landwirtschaftsschule und Beratung zur Unternehmensentwicklung gehören seitdem zu unserem Aufgabenspektrum, das uns nun täglich – in Eigenverantwortung – begleitet.

Am 1. Juni 2015 wurden 23 neue Referendarinnen und Re-ferendare für die Beamtenlaufbahn des höheren Dienstes ernannt. In den darauffolgenden zwei Jahren durften wir den Arbeitsalltag an verschiedenen Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kennen lernen. Unter anderem durchliefen wir dabei Ausbildungseinheiten zu Beratungs-methodik, Rhetorik, Förderung und Stellungnahmen. Nicht zu vergessen sind dabei auch die zwei Winter, in denen wir uns sehr intensiv mit der Gestaltung guter Unterrichtsstun-den für die Studierenden der Landwirtschaftsschulen be-schäftigt haben.

Seminare zum StartSchon am zweiten Tag nach der Ernennung zum Beamten auf Widerruf begann das erste Seminar: allgemeine Verwal-tung, sprich Rechte und Pflichten eines Beamten, Reise-kostenabrechnung, Beihilfe, etc. Diese doch recht trockene Materie wurde aber jeden Morgen durch Methoden zum Kennenlernen aufgelockert, z. B. Netzwerkbildung: Die Na-menskarten der Teilnehmer sind auf einer Pinnwand ange-pinnt. In Zweierteams werden Gemeinsamkeiten gesucht und die Namen anschließend mit Fixierung der Gemeinsam-keit(en) verbunden. Was wir damals noch nicht wussten: Da-mit werden zwei Lernziele erreicht. Klar ersichtlich war, dass sich die Referendarinnen und Referendare untereinander kennenlernten. Das zweite Ziele war erst im Verlauf des Re-ferendariats erkennbar: Die Gruppe setzte sich mit der Me-thode „Netzwerkbildung“ auseinander und wendete diese an. In der darauffolgenden Woche schloss sich gleich die Rhetorik an: Wie wird eine Rede aufgebaut? Was macht sie interessant? Doch nicht nur in den Seminaren sondern auch abends lernte sich die Gruppe beim gemütlichen Beisam-mensein intensiver kennen.

Anschließend an die ersten Seminare haben wir, wenn auch nur für kurze Zeit, unser erstes Amt kennen gelernt.

Einige kannten den Amtsablauf schon aus früheren Tätig-keiten, andere mussten sich erst zurechtfinden. Diese Wo-chen standen aber allgemein unter dem Motto „Arbeitsplatz einrichten und Kollegen kennen lernen“. Vielen von uns war dabei auch der Betriebsausflug am Amt eine große Hilfe, um die Kollegen auch außerhalb des Büros und des täglichen Arbeitsablaufs kennen zu lernen.

Sommerhitze und PädagogiklehrgangUnsere eingeschworene Gruppe traf sich dann im heißen Ferienmonat 2015 zu vier Wochen Pädagogiklehrgang in der Fachschule für Gartenbau in Landshut. Keiner wusste so recht, was wir mit dem Thema Unterricht anfangen sol-len. Ein Stundenplan wie in der Schulzeit ließ so manche Erinnerungen aufkommen. Wie war es in der eigenen Schul-zeit? Lehrbucheinsatz und Frontalunterricht, ein Film oder eine Gruppenarbeit waren die Ausnahmen. Dass es auch anders geht, haben wir in diesen vier Wochen gelernt,

FÜHRUNG

→ Bild 1: Interessiert lauschten die Teilnehmer des Seminars „Grundlagen

der Pädagogik“ den Ausführungen der Stadtführerin zur Landshuter

Geschichte (Foto: FüAk).

Page 33: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 33

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

→ Bild 2: Zusammen mit den Referendaren der Wasserwirtschaft wurde

der Hochwasserschutz Nähe Deggendorf erkundet, hier ein Altdeich

an der Donau (Foto: FüAk).

selbstverständlich inklusive des dafür notwendigen Hand-werkszeugs. Gegen Ende des Lehrgangs hieß es dann: sel-ber machen! In Zweier- oder Dreierteams wurden die ersten Unterrichtsstunden vorbereitet, vor den Kollegen gehalten und nachbesprochen. Am Ende des Lehrgangs waren viele überrascht: In den zurückliegenden vier Wochen haben wir gelernt, wie wir durch den raffiniert gewählten Einsatz von Medien und Sozialformen (z. B. Gruppenarbeit) eine Unter-richtsstunde abwechslungsreich und interessant gestalten können. Doch eine Unsicherheit blieb, die Karoline Schramm am Ende des Lehrganges auf den Punkt brachte:

Wie wird wohl das Unterrichten im realen Schulbetrieb im Winter gelingen?

Außerhalb des Seminars lernten wir auch kulturell hinzu und bekamen eine Führung in der Stadt Landshut durch eine von Seiten der FüAK organisierte Stadtführung (siehe Bild 1).

Mit großen Schritten zum ersten SchulwinterVor dem ersten Schulwinter ergänzten noch einige Fortbil-dungen im Schwerpunkt Betriebswirtschaft unseren Aus-bildungsplan. Zum einen sollten wir auf eine einheitliche Wissensbasis gebracht werden, zum anderen bekamen wir wertvolle Informationen zu einzelnen Betriebszweigen und Ansprechpartner dafür in der Landwirtschaftsverwaltung geliefert.

Mit diesem Vorwissen gestärkt, ging es dem Beginn des Schulwinters entgegen. Die Vorbereitung der ersten Stun-den gestaltete sich als große Herausforderung: Welche Vor-kenntnisse bringen die Studierenden mit? Wie viel schafft man eigentlich in 50 Minuten? Die Ausarbeitung der ersten Stunden nahmen noch sehr viel Zeit in Anspruch: ein Berg voller Arbeit und ein etwas hilfloser Referendar davor. Doch schon bald stellte sich die Vorlage für die Lehrdarstellungen als gute Hilfe und roter Faden dar. Die Stundenvorbereitung wurde deutlich effizienter. Auch die Unterstützung durch die Fachlehrer und der Austausch untereinander vereinfachte die Gestaltung der Stunden.

Bergfest des ersten SchulwintersBereits nach den ersten Schulwochen ließ der Kontakt in-nerhalb der Gruppe langsam nach. Eine rege Kommunika-tion fand dann meist nur noch innerhalb der Kollegen eines Schwerpunktes statt. Um aber auch über den Winter den Kontakt zu den restlichen Jahrgangskollegen nicht abrei-ßen zu lassen, beschlossen wir unser erstes Jahrgangstref-fen schon in diesem Winter zu veranstalten. Ein Treffen zum Bergfest (also in der Mitte) des Schulwinters wurde von un-

serer Jahrgangssprecherin Franziska Steiner in Beilngries im Altmühltal organisiert. Dies war eine willkommene Gelegen-heit um sich persönlich mit den Referendarskollegen über Erlebtes austauschen zu können und Kraft für die zweite Halbzeit zu sammeln. So gestärkt meisterten wir den restli-chen Winter und die anschließende schriftliche und münd-liche Pädagogikprüfung.

Amtswechsel = PerspektivenwechselIn großen Schritten eilte die Ausbildung dann auch schon in Richtung zweites Amt. Das Einleben stellte sich hier doch schon deutlich leichter dar, da gewisse Abläufe in der Zwi-schenzeit bekannt waren. Doch schnell bemerkte auch hier jeder von uns: Überall ticken die Uhren anders. Jedes Amt ist eine eigene kleine Familie. Nach einer kurzen Eingewöh-nungszeit stand auch hier das nächste Seminar an: Kennen lernen der Landesanstalt für Landwirtschaft und den derzeit laufenden Projekten. In diesem Seminar konnten wieder Kontakte zu Experten geknüpft werden, die dem ein oder anderen im nächsten Schulwinter bei der Stundenvorberei-tung behilflich sein konnten. Es fällt leichter einen Experten bei Fragen zu kontaktieren, wenn man diesen vorher schon als Referenten in einem Seminar kennen gelernt hat. Auch in anderen Bereichen bekamen wir Einblicke: Stellungnah-men, Entwicklung des ländlichen Raums, Fördervollzug am Amt sowie Berufsbildung und Management. Auch wenn auf den ersten Blick die Lerninhalte nicht immer sofort anwend-bar waren, spätestens seit Ende des Referendariats wissen wir die Seminarunterlagen als Nachschlagewerk zu schät-zen. Einen wesentlichen Teil der Ausbildung am zweiten Amt nahm die Vorbereitung auf die Beratungsprüfung ein. Nach der Theorie und den Übungen mit den Jahrgangskol-legen durften immer wieder „echte“ Fälle an den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gemeistert werden.

Page 34: Heft 10-11/2017

34 SUB 10-11/2017

FÜHRUNG

FÜH

RUN

G

Das Ende kommt schneller als man denktDie zwei Jahre Referendariat sind dann doch schnell ver-gangen. Die Schule ging im März zu Ende, es folgte noch das letzte Seminar Agrarpo-litik und Markt. Hier stellten die Referenten die aktuellen agrarpolitischen Themen ihres Aufgabengebietes vor. Highlight dieser Woche war der Besuch des bayerischen Landtags. Dabei ging es vor allem um die Verbindung zwischen Politik und dem Staatsministerium für Ernäh-rung, Landwirtschaft und Forsten. So hatten wir auch die Gelegenheit live eine Sit-zung des Agrarausschusses als Zuhörer mitzuerleben. Nach dieser vorerst letzten Seminarwoche absolvierten wir direkt im Anschluss die fachlichen Prüfungen.

Austausch mit der WasserwirtschaftNeu in unsererAusbildung war das Abschlussseminar nach den Prüfungen: Landwirtschaft trifft Wasserwirtschaft (siehe Beitrag auf Seite 16) Die größte Erkenntnis aus diesem Se-minar: Wir arbeiten an den gleichen Pro blemfeldern, aber leider oft mit verschiedenen Sprachen. In diesem Seminar wurden jedoch die nötigen Vokabeln ausgetauscht und das Verständnis für die jeweils andere Seite aufgebaut. Dieses Abschlussseminar war rundum gelungen! Wir konnten uns nach den Prüfungen nochmals sehen und haben noch dazu eine andere Verwaltung kennen gelernt. Darüber hinaus er-langten wir noch weiteres Wissen über die Zusammenhänge von Oberflächen- und Grundwasser, vor allem aus Sicht der Wasserwirtschaft (siehe Bild 2).

Wie geht es jetzt weiter?Auch unser Jahrgang wurde nach der Ernennung im Minis-terium am 30. Mai 2017 (siehe Bild 3) auf ganz Bayern verteilt. Jeder von uns darf weiterhin Erfahrungen in der Landwirt-schaftsverwaltung sammeln. Schwerpunktmäßig sind wir dabei in der Abteilung L2 Bildung und Beratung tätig und dürfen auch im nächsten Winter die Studierenden auf ihre Abschlussprüfungen mit vorbereiten. Dabei wird uns auch zukünftig unser Netzwerk, das wir in den zwei Jahren Refe-rendariat aufgebaut haben, hilfreich zur Seite stehen und

mit dem einen oder anderen Tipp unterstützen. Dr. Sigrid Scherzer blickt zusammenfassend auf die beiden Jahre zu-rück:

Das Referendariat war eine anstrengende, aber lehrreiche und abwechslungsreiche Zeit. es geht schneller vorbei, als man am Anfang denkt.

Wir wünschen unseren Jahrgangskollegen für die Zukunft weiterhin alles Gute!

Auf diesem Wege, stellvertretend für den gesamten Jahr-gang, bedanken wir uns nochmals herzlich bei allen, die uns während dieser zwei Jahre Ausbildungszeit unterstützt, mo-tiviert und ausgehalten haben!

SUSANNE MAYERAMT FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTeN [email protected]. MARKUS HECKMANNAMT FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTeN BAMBeRG [email protected]

→ Bild 3: Die Nachwuchskräfte der 4. QE erhielten am 30. Mai ihre Ernennungsurkunden im Staatsministerium

für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Foto: Victoria Piperides, StMELF).

Page 35: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 35

VeRBUNDBeRATUNG

VERB

UN

D-

BERA

TUN

G

Verbundberatung in der Diskussion

von ANGELIKA SPITZER: Die Vorgaben des Agrarwirtschaftsgesetzes und in Folge der Rückgang der staatlichen Beratung in Bayern haben die Notwendigkeit offengelegt, für ein gemeinsames ganzheitliches Beratungsangebot für Landwirte zu sorgen. Die Verbund-beratung sollte diese Lücke schließen und über einen regen Austausch Beratungspartner-schaften für den Landwirt hervorbringen. Gemeinsames Ziel war ein größeres Beratungs-angebot insgesamt. Die Landwirte sind bei der Nachfrage derzeit aber eher zurückhaltend. Eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Behördenleiterbesprechung im Juli diente dem Erfahrungsaustausch der Beratungspartner. Die Veranstaltung sollte Gelegenheit geben, Stärken darzustellen, aber auch Schwächen zu benennen und Lösungswege aufzuzeigen.

An der Podiumsdiskussion nahmen Amtschef Hubert Bittl-mayer und Klaus Klupak als Vertreter des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) teil. Rein-hold Witt vertrat als Leiter des Amtes für Ernährung, Landwirt-schaft und Forsten Schwandorf die Sichtweise der Ämter. Für die Verbundpartner sprachen die Geschäftsführer Gerhard Röhrl vom Landeskuratorium für pflanzliche Erzeugung in Bayern e. V. (LKP), Uwe Gottwald vom Landeskuratorium für tierische Veredelung e. V. (LKV) und Dr. Johann Habermeyer vom Kuratorium Bayerischer Maschinen- und Betriebshilfs-ringe e. V. (KBM). Alle Podiumsteilnehmer schilderten in ei-nem kurzen einleitenden Statement ihre Situation. Die an-schließende Diskussion moderierte Wolfram Schöhl, Leiter der Abteilung Ausbildung und Beratung am StMELF.

Verbundberatung in BayernTrotz vielfacher Kritik an der Verbundberatung sieht Klaus Klupak vom StMELF deutliche Vorzüge des Systems vor al-lem im Vergleich zu anderen Bundesländern:

→ Die enge Anbindung an die angewandte Forschung der Landesanstalt für Landwirtschaft und der inten-sive fachliche Austausch aller Beteiligten gewähr-leisten eine hohe fachliche Qualität der Beratung.

→ Die staatlichen Berater bleiben durch ihre Mittler-funktion im Wissenstransfer fachlich ständig „am Ball“. Die Landwirtschaftsverwaltung bietet zudem als Staatsaufgabe Beratung zu Förder- und Gemein-wohlfragen sowie strategischer Unternehmensent-wicklung.

→ Durch die hohe Mittelausstattung der Verbundbe-ratung mit rund sieben Millionen Euro aus Landes-mitteln jährlich bleibt eine kompetente neutrale Beratung auch für kleine Betriebe flächendeckend für ganz Bayern bezahlbar.

Klupak räumt aber ein, dass die Bürokratie in der Förder-abwicklung aufgrund beihilferechtlicher Vorgaben der EU und haushaltsrechtlicher Restriktionen zugenommen hat:

VeRBUNDBeRATUNG

→ Bild: Diskutieren über die Verbundberatung (von links): Klaus Klupak, fachlich zuständig für die Verbundberatung im StMELF, Dr. Johannes

Habermeyer vom KBM, Hubert Bittlmayer, Amtschef im StMELF, Uwe Gottwald, LKV, Gerhard Röhrl, LKP, Reinhold Witt, Behördenleiter des AELF

Schwandorf (Foto: Dr. Peter Nawroth, StMELF).

Page 36: Heft 10-11/2017

36 SUB 10-11/2017

VeRBUNDBeRATUNG

VERB

UN

D-

BERA

TUN

G

„Diese Vorgaben sind einzuhalten, auch wenn sie die unter-nehmerische Freiheit der Verbundpartner einschränken“. Es gehe darum, die Landwirte vor Rückforderungen zu schüt-zen und die Beihilfe insgesamt zu erhalten. Zu diesen bü-rokratischen Hürden komme die Stimmungslage der Land-wirte, die es auch schwer mache, Beratung zu verkaufen.

Wo könnte es hingehen? Das StMELF prüft derzeit, ob der Wechsel vom jetzigen Anerkennungsverfahren auf ein Aus-schreibungsverfahren nach Auslaufen der Förderrichtlinie Ende 2019 Erleichterungen in der Förderabwicklung bringt. Außerdem sollen konkrete Zielvereinbarungen mit den Ver-bundpartnern im Bereich der gemeinwohlorientierten Bera-tung (nachhaltige Landwirtschaft) entwickelt werden. Mit der Verankerung gesellschaftlich wichtiger Ziele in der Förderung könnte der hohe Mitteleinsatz besser gerechtfertigt werden.

Keine exakte Abgrenzung in Pflanzenbauberatung Gerhard Röhrl, seit Oktober 2016 Geschäftsführer des LKP, sieht zwei Problemfelder, mit denen die Verbundberatung in der pflanzlichen Erzeugung kämpft:

→ Die Grenzen zwischen Offizial- und Verbundbera-tung sind fließend und nicht exakt definiert: Wie weit geht die Produktionstechnische Beratung und wo beginnt die Offizialberatung?

→ Das LKP hat ein sehr weites Feld vom Pflanzenbau über Gartenbau bis hin zur Spezialberatung im Ökolandbau. Jeder Bereich funktioniert anders: Der Gartenbau läuft grundsätzlich gut. Im Ökolandbau erfolgt die Beratung per se ganzheitlich über die Verbände. In der Landwirtschaft reicht das Spek-trum von gut bis „man ignoriert sich“.

Die Zusammenarbeit in der Verbundberatung Pflanzenbau profitiert sehr von einem guten Verhältnis. „Sobald aber staatliche Leute vor Ort Pflanzenbauberatung machen, ist der Marktpreis der Verbundberatung gleich Null“, so Röhrl. Das kostenpflichtige Angebot des LKP gerate damit ins Hin-tertreffen. Seiner Meinung nach müsse die Wissensvermitt-lung auf eine andere Ebene gestellt werden. Der LKP-Berater sollte bei Veranstaltungen des Amtes aktiv beteiligt werden. Röhrl will die Zeit bis 2019 nutzen, um zu definieren, was der Landwirt als Beratungsleistung, z. B. zur Düngeverord-nung, braucht.

Dominanz der Futtermittelfirmen problematischFür Uwe Gottwald, Geschäftsführer des LKV, ist der Verkauf von Beratung rückläufig wegen der schwierigen Beratungs-bedingungen. 2016 hatte das LKV im Bereich Milch 6 600 Verträge und bei Fleisch 4 000. Größter Arbeitsbereich ist die Fütterungsberatung bei Milchvieh mit circa 29 000 Stun-den. Gottwald sieht den Ehrgeiz des LKV darin, dem landwirt-

schaftlichen Betrieb zu helfen, effizienter zu wirtschaften. Ein neues Angebot hierzu bietet das Programm „LKV-CashCow – Betriebswirtschaft für Milchviehbetriebe“. Es analysiert die Schwachstellen des Betriebes z. B. bei der Kraftfuttereffizienz, der Zwischenkalbezeit oder beim Schlachterlös. Die Cent-Be-träge summierten sich bei 500 000 Litern erzeugter Milch leicht auf einen fünfstelligen Betrag, so der Geschäftsführer, „da hilft nur rechnen, rechnen, rechnen“. Derzeit bestehen zwei Kooperationen des LKV mit Molkereien im Bereich der Haltungsberatung, um die Landwirte bei der Verbesserung des Tierwohls zu unterstützen. Problematisch ist für Gott-wald, dass die Futtermittelfirmen stark ins Beratungsgeschäft drängen. Die neutrale Beratung darf aus seiner Sicht nicht unter die Räder kommen. Deshalb besteht der Wunsch nach mehr Einbindung in die Landwirtschaftsschulen, um die Be-ratungsangebote besser vorstellen zu können.

Maschinenringe vor Ort überzeugenDr. Johann Habermeyer vertritt im KBM 71 Maschinenringe, die lokal sehr selbstständig agieren. Aktuelle Herausforde-rungen für das KBM sind nach seiner Meinung

→ die selbstständigen Maschinenringe für Beratung zu motivieren,

→ Berater zu bekommen und auslasten zu können und → eine Vollkostendeckung für Beratung zu erreichen.

Derzeit hat das KBM 15 Berater im Einsatz, die im Beratungs-feld „Betriebsorganisation und Arbeitswirtschaft“ etwa 300 Betriebe mit unterschiedlichem Umfang pro Jahr beraten. Diese Beratung beinhaltet immer auch gesamtbetriebliche Entscheidungen, wofür sich der Berater erst eine gewisse Vertrauensstellung erwerben muss.

In der Verbundberatung stellt sich für Dr. Habermeyer die Frage, ob es einen Markt gibt, für den der Landwirt be-reit wäre zu zahlen. Die Ziele des Landwirts in der Beratung seien nicht dieselben wie die des Staates. Deshalb seien ge-meinsame Zielvereinbarungen wichtig. Zukünftig sollen eine stärkere Internetpräsenz und ein Newsletter die Be-kanntheit der Dienstleistungen des KBM steigern.

Wem gehört der Erfolg bei Verbundpartnern?Reinhold Witt, Behördenleiter am AELF Schwandorf stellt fest: „Ich bin für Verbundpartner nicht besonders wichtig.“ Bildungspartnerschaften würden unzureichend genutzt. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit brauche es aber unbe-dingt Verständnis für die Rolle des Partners. Der eine müsse Beratung verkaufen, der andere eine korrekte Förderabwick-lung gewährleisten. Er forderte daher

→ eine klare Rollenklärung: Wer ist wofür zuständig? → fachliche Führung durch LfL und AELF (ist wichtig

und geschätzt),

Page 37: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 37

VeRBUNDBeRATUNG

VERB

UN

D-

BERA

TUN

G

→ den Beratungsbedarf schnell abzudecken, → stimmige Anforderungsprofile beim Personal und → ein eindeutiges Bekenntnis zur Zusammenarbeit.

Der Behördenleiter wünscht sich mehr Kritikfähigkeit und Wertschätzung geprägt, vom gemeinsamen Ziel, den Landwirten ein gutes, bezahlbares Produkt zu bieten. In ei-ner gut funktionierenden Partnerschaft sollten Innovatio-nen gemeinsam eingespeist und vorangebracht, neue Ge-schäftsfelder gemeinsam entwickelt, daraus resultierende Erfolge gemeinsam „gefeiert“ und der Anteil des Partners auch benannt werden. Beide Partner müssten sich fragen: „Reicht es mir, wenn der Erfolg beim Partner liegt?“ Er schlägt den Verbundpartnern vor, sie sollten ihre Partner befragen, wie ihre Arbeit wahrgenommen würde, wie zufrieden sie mit der Zusammenarbeit und der fachlichen Führung wären und welche Erwartung erfüllt worden seien.

Aus dem Nebeneinander ein Miteinander machenAmtschef Bittlmayer fordert in seinem Statement dazu auf, die Chancen der Verbundberatung zu sehen. Seiner Mei-nung nach ist der Trennungsschmerz der staatlichen Berater noch immer nicht überwunden: „Wir müssen uns an die Ar-beit machen und die Verbundberatung miteinander leben.“ Den Rahmen für die Verbundberatung setzen rechtliche Regelungen, so der Amtschef, und dieser große Rahmen sei zu akzeptieren.

Was die Aufgabe anbelangt, fehle seiner Meinung nach noch eine klare Definition: Wer macht was? Wer geht wo ins Feld? Wo sind Schnittstellen? Wie läuft die Übergabe der Daten zum Partner hin und auch wieder zurück? Das heißt konkret: Wenn die Aufgabe beim Amt liegt, habe der Verbundpartner das zu akzeptieren. Überschneidungen müssten dringend vermieden werden. Der Wissenstrans-fer sei ein Geben und Nehmen und müsse organisiert wer-den. In der Zusammenarbeit müsse offen angesprochen werden, wo es knirscht und ob es am System liege oder an den Menschen.

Ziel muss eine möglichst gute und konstruktive Bera-tung für den Landwirt sein: „Wir wollen das und werden unser System in dieses Ziel bringen“, so sein Appell. Des-halb seien die Regelkreise besser zu steuern, dass aus dem Nebeneinander ein Miteinander wird. „Wie in einer guten Ehe müssen beide sich wohlfühlen.“ Verbundberatung sei ein hervorragendes System, in dem jeder seine Erfolge habe.

LKP intern besser vernetzenGefragt nach den Überlegungen, wie das LKP die Defizite in einigen Beratungsbereichen abstellen möchte, erläutert Röhrl, dass das LKP in den letzten Jahren organisatorisch

auseinandergelaufen sei. Die Zuständigkeiten liegen bei den Erzeugerringen. Das LKP ist dabei, die sechs Teams, die in sich gut, aber untereinander zu wenig zusammenarbei-ten, besser zu vernetzen. Ab 1. Oktober soll ein zentraler Beratungsleiter Synergien schöpfen. Zielvereinbarungen stimmte er grundsätzlich zu, sie sollten aber machbar, mess-bar und für die Handelnden vor Ort motivierend sein. Auch zu gemeinsamen Fortbildungsseminaren bekennt sich Röhrl klar und deutlich.

Gefragt nach der Problematik, dass es wegen der schwer zu verkaufenden Pflanzenbaumodule einen Run auf nieder-schwellige Angebote gäbe, entgegnet er: „Die Zahl der Be-ratungen ist relativ stabil, in gewissen Regionen überrollt aber die Hotline das LKP.“ Der Versuch, zwischen den Teams auszuhelfen, scheitere an regionalen Schranken: „Es ist ein Problem, wenn bei einem niederbayerischen Landwirt ein Oberfranke ans Telefon geht.“

In Sachen Dünge-VO sind fachrechtliche Anforderungen noch offen. Die LfL muss hier Tools bzw. Vorgaben definie-ren. Die Koordinierung wird Kernaufgabe des neuen Bera-tungsleiters sein. Die LKP-Berater würden aber großen Wert auf ihre Selbstständigkeit legen. Wichtig sei auch die Un-abhängigkeit der Berater. Sie werden von den Landwirten damit konfrontiert: „Du bist mir zu nah am Staat, und der Staat kontrolliert mich.“ Röhrl zeigt sich erschüttert, wenn ein AELF nichts vom LKP mitkriegt.

Intensivere Zusammenarbeit geplantAuf die Frage, wo die Verbundpartner Möglichkeiten der Zusammenarbeit untereinander sehen, antwortet Gott-wald vom LKV: „Wenn der Fütterungsberater feststellt, dass das Grundfutter nicht in Ordnung ist, dann fragt er in der Regel den LKP-Berater. Wir arbeiten am Weiterrei-chen der Probleme im Fütterungsbereich oder der Ar-beitswirtschaft.“ Vielleicht sei der Einstieg in ein modifi-ziertes Kombipaket wieder sinnvoll“. In diesem Paket sei es früher Pflicht für den Landwirt gewesen, pflanzliche und tierische Produktion, Betriebswirtschaft und Arbeits-wirtschaft gleichzeitig zu buchen. Diese Kombination hätte in Verbindung mit Arbeitskreisen zu erstaunlichen Veränderungen und Erfolgen bei den teilnehmenden Be-trieben geführt.

Schwerpunkte und Zielvereinbarungen festlegenDer Forderung nach einem größeren zeitlichen Vorlauf in der Vorbereitung von Schwerpunktthemen stimmt Amtschef Bittlmayer zu: „Wir müssen hier besser werden und frühzei-tig Themen festlegen“. Die auf den Bedarf der ÄELF abge-stimmten Pakete müssten rechtzeitig geschnürt werden für eine zielgerichtete und schlagkräftige Öffentlichkeitsarbeit. Auch gemeinsame Zielvereinbarungen sieht er positiv. Sie

Page 38: Heft 10-11/2017

38 SUB 10-11/2017

VeRBUNDBeRATUNG

VERB

UN

D-

BERA

TUN

G

würden Transparenz schaffen nach dem Motto: „Wer leistet was und was wird bezahlt?“

Warum die gemeinwohlorientierte Beratung beim Forst weit weniger komplex wäre, liegt daran, dass die forstliche Beratung über De-Minimis-Gewerbe gefördert wird. Den Weg könnte die Landwirtschaft auch gehen, dann wären aber die Beträge kleiner. Ein Ausschreibungsverfahren prüft derzeit, inwieweit der Staat Beratungsangebote mit gestaf-felten Sätzen fördern könne.

Partnerschaft durch Nähe beim KBMHabermeyer kann für das KBM keinen Beratungsrück-gang bestätigen, die Beratungen stagnieren auf niedri-gem Niveau. Wenig Unterstützung komme auch von ei-nigen Maschinenring- Vorstandschaften. Selbstständige Maschinenringe (MR) stellten sich die Frage: „Was ist mein unmittelbarer Vorteil?“ Und allzu oft sei es weitaus effek-tiver, Personal oder Maschinen zu vermitteln. Auch die Ei-genmotivation der MR-Vorstandschaft sei entscheidend. Gefragt nach der Zusammenarbeit unter den Verbundpart-nern stellte er fest: „In Nordrhein Westfalen, einem Land mit Kammersystem, sind alle Partner in einem Preissystem. Mit einem Staat, der kostenlos ist, ist das problematisch. Gerne machen wir eine Firma draus! Gerne auch mit dem Staat, wobei ich bezweifle, dass der Staat Firma kann.“ Eine Zu-sammenarbeit zwischen den Verbundpartnern und dem AELF mache aber nur auf der Basis von Zielvereinbarungen Sinn und, wenn sie dazu dient, diese Zielvereinbarungen zu erreichen.

Die Bedeutung einer unabhängigen Beratung hängt er nicht so hoch. Seiner Meinung nach sei der Landwirt nicht unbedingt daran interessiert. Das Bezahlen mit Daten an Firmen nehme der Landwirt billigend in Kauf.

Die Baustellen sind definiertAngeleitet von der Frage „Welches Vorhaben gehen Sie mor-gen an?“ brachten alle Podiumsteilnehmer ihre Herange-hensweise in einem abschließenden Statement nochmals auf den Punkt:

→ Röhrl, LKP: „Beratung verkauft sich über Vertrauen. Wir soll-ten uns die Bälle zuspielen, da die ÄELF großes Vertrauen genießen. Wir nehmen uns Zeit für Ihre Schule, Fortbildungen, und Sie bringen uns in Kon-takt.“

→ Gottwald, LKV: „Ich weiß um das Potenzial, das vorhanden ist, wenn wir uns in den Schulen vorstellen können. Geben Sie uns eine Möglichkeit, uns im Unterricht vorzustellen, damit die Schüler unsere Leistungen kennenlernen, Vertrauen gewinnen, und wir eine langfristige Beziehung aufbauen können.“

→ Habermeyer, KBM: „Wenn Sie mir helfen bei dem einen oder anderen Vorstand das Begeisterungsfeuer zu entzünden, dann übernehmen wir die Ausbildung von Beratern und sichern deren laufende Unterstützung“.

→ Witt, AELF Schwandorf: „Die Veranstaltung hat die Zwänge der kosten-pflichtigen Beratung klarer gemacht. Ich werde werben bei den Mitarbeitern, wo wir die Verbund-partner ins Geschäft bringen können. Die L2 könnte die Drehscheibe für die Partner sein.“

→ Klupak, StMELF: Das Ministerium wird die Entwicklung gemeinsa-mer Zielvereinbarungen weiter verfolgen. Bereits im Juli finden erste verwaltungsinterne Gespräche hierzu statt. Sobald unsere Vorstellungen konkret vorliegen, werden wir Abstimmungsgespräche mit den Verbundpartnern führen.

→ Bittlmayer, StMELF: „Wir sollten besser übereinander reden. Wenn wir das nicht schaffen, meint der Landwirt, einen von uns beiden braucht es nicht. Die Selbsthilfeeinrich-tungen müssen verstehen, warum der Staat Rege-lungen vorgibt, und wir müssen berücksichtigen, warum die Selbsthilfeeinrichtungen so arbeiten, wie sie arbeiten.“

ANGELIKA SPITZERSTAATLICHe FÜHRUNGSAKADeMIe FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected]

Page 39: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 39

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

Von Lochkarten zu HIT50 Jahre Großrechner in der bayerischen Landwirtschaftsverwaltung

von DR. JOHANN HAIMERL: Die elektronische Datenverarbeitung (EDV) hat Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts Einzug in die Bayerische Landwirtschaftsverwaltung gehal-ten, also rund zehn Jahre vor Einführung des universitären Informatikstudiums an den Hoch-schulen. Die EDVler dieser Zeit waren EDV-Interessierte aus allen möglichen Berufsfeldern, die sich in Fortbildungskursen das EDV-Wissen aneigneten. Sie waren echte EDV-Pioniere! Nun geht das Zeitalter des Großrechners in der Bayerischen Landwirtschaftsverwaltung zu Ende. Er wird durch neue Technologien ersetzt. Deshalb möchte ich, der ich von Anfang an den Aufbau der Informationstechnik in der Landwirtschaftsverwaltung und Landwirtschafts-beratung begleitet und mitgestaltet habe, diese Zeit im Zeitraffer Revue passieren lassen.

Angefangen hat die EDV in der Bayerischen Landwirtschafts-verwaltung mit dem Ziel, den Vollzug der verschiedenen Förderungsmaßnahmen rationeller zu machen. Nachdem kein eigenes Rechenzentrum vorhanden war, nutzte man in den 60er Jahren die EDV-Anlage des Landeskuratoriums für tierische Veredelung (LKV) in der Haydnstraße. MR Adolf Jändl, der damalige Initiator der EDV und zuständige Refe-rent, schaffte es, im Januar 1970 im Staatsministerium eine eigene EDV-Anlage in Betrieb zu nehmen, die auch die Baye-rische Forstverwaltung und die landwirtschaftlichen Selbst-hilfeeinrichtungen mit hoheitlichen Aufgaben mitnutzten. Die Inbetriebnahme des Rechners war damals ein öffentli-ches Ereignis mit viel Prominenz und der Presse. Manager der Firma IBM und Staatsminister Dr. Hans Eisenmann haben im Januar 1970 das Rechenzentrum öffentlichkeitswirksam eingeweiht (Bild). Der Rechner war damals der leistungs-stärkste Rechner in der Bayerischen Staatsverwaltung, ob-wohl er gerade mal 256 KB Hauptspeicher hatte, also einen Bruchteil der heutigen PCs. Das Investitionsvolumen für so einen Rechner lag durchaus zwischen sechs und acht Millio-nen DM. Die Monatsmiete für den neuen Rechner im Staats-ministerium betrug 165 000 DM. In der Bayerischen Staats-zeitung vom 13. März 1970 wurde dieses Ereignis ausführlich gewürdigt. Zum Betrieb brauchte man eine leistungsfähige Klimaanlage zur Kühlung des Rechners, die im Keller einen ganzen Raum ausfüllte. Als Bediener des Rechners wurden die mit dem Vorbereitungsdienst gerade fertigen Landtech-niker eingesetzt. Wer eine Ausbildungsvertiefung in Land-technik hat, kann schließlich auch einen EDV-Rechner be-dienen, war die Begründung. Nach einer Zusatzausbildung haben sich alle sehr bewährt.

Von den Lochkarten zur BildschirmeingabeDie Programme und Daten wurden damals auf Lochkarten mittels eines Lochkartenstanzers gestanzt und über einen

eigenen Leser zur Verarbeitung in den Großrechner einge-lesen. Die Lochkartenstapel durften nicht runterfallen, sonst gab es einen nicht mehr brauchbaren „Lochkarten salat“. In eigenen Serviceunternehmen wurden die Daten auf Loch-karten im Lohnauftrag übertragen. Die Massendaten wur-den damals auch über einen sogenannten Klarschriftbeleg erhoben und über einen etwa sechs Meter langen Belegle-ser in die EDV eingelesen. Circa 1,2 Millionen Belege wur-den so jeden Monat verarbeitet. Die handschriftlichen Ein-tragungen mussten in exakter Handschrift erfolgen, sonst konnten sie nicht gelesen werden. Schönschrift war gefor-dert. Das machte vielen Mitarbeitern der Ämter Probleme.

Die Belege kamen nicht nur aus unserer Verwaltung; auch die Forstverwaltung, das LKV und andere Verbände

DIGITALISIeRUNG

→ Bild: Staatsminister Dr. Hans Eisenmann bei der Einweihung des

Großrechners im Januar 1970 (Foto: Pressestudio Wagner).

Page 40: Heft 10-11/2017

40 SUB 10-11/2017

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

haben Daten auf Klarschriftbelegen verarbeitet. Zum Trans-port wurden Kurierdienste eingerichtet, die die Daten von den Dienststellen zum Großrechnerstandort im Ministerium transportiert haben.

Im Jahr 1972 begann auch der Aufbau eines integrierten Datenbanksystems, des Bayerischen Landwirtschaftlichen Informationssystem (BALIS).

Maßnahmenübergreifende Daten brauchten nunmehr nur noch einmal gespeichert und gepflegt werden, was einen enormen Rationalisierungseffekt bewirkte. Wir waren da-mit der Zeit weit voraus. Bis heute leistet BALIS, mit sicher-lich vielen unabdingbaren Erweiterungen, noch zentrale Dienste.

Mitte der siebziger Jahre wurde in der Programmierung auf Bildschirmeingabe umgestellt. Jeweils drei bis vier Pro-grammierer mussten sich dabei einen Bildschirm teilen. Be-gründung: Zum einen die Kosten, zum anderen könne man nicht den ganzen Arbeitstag am Bildschirm arbeiten; man müsse auch noch über die Programmlogik nachdenken. Al-lerdings waren auch die hohen Kosten für einen Bildschirm mit durchaus 4 000 bis 6 000 DM ein begrenzender Faktor. Die Bildschirmqualität war damals nicht mit der Qualität der heutigen Bildschirme vergleichbar, so dass durchaus Pausen angebracht waren.

Datenleitungen erst nur für TerminalämterZu Beginn der achtziger Jahre erfolgte schließlich die Daten-eingabe dezentral. Dazu wurden die ersten Datenleitungen zu den Ämtern installiert (Datex-P-Leitungen). Rund 20 soge-nannte Terminalämter wurden eingerichtet. Haushalterisch war eine Gesamtversorgung aller Dienststellen mit Datenlei-tungen zunächst nicht finanzierbar. Die Geschwindigkeit der Datenleitungen (1 200 bits/s) betrug nur einen Bruchteil der heutigen Datenleitungen, allerdings bei sehr hohen Kosten.

Damit die dezentrale Dateneingabe funktionierte, musste eine detaillierte räumliche und zeitliche Zuordnung der einzelnen Dienststellen für die Dateneingabe festge-legt werden. Nicht-Terminalämter mussten mit den Daten-unterlagen zum Terminalamt fahren. Oft kam es dabei zu Pro blemen. Es konnte sein, dass der Rechner oder die Da-tenleitung ausfiel. Dann mussten die Bediensteten unver-richteter Dinge wieder zurückfahren, oder es entstanden unproduktive Wartezeiten bis der Rechner wieder lief bzw. die Datenleitung wieder stand. In dieser Zeit waren diese Bediensteten zum Nichts tun gezwungen. Dies beeinträch-tigte die Wirtschaftlichkeit des EDV-Einsatzes. Deshalb war

unser Bestreben, das Datenleitungsnetz möglichst rasch auf alle Ämter und Dienststellen auszubauen. 1986 war es dann soweit, dass jedes Amt eine Datenleitung bekam. Im lokalen Netz des Amtes waren teilweise noch Bildschirme (in der Re-gel zwei bis vier) oder auch schon PCs installiert.

BALIS revolutioniert die KommunikationUm den Kommunikationsfluss zwischen Sachbearbeitern am Amt und den Fachleuten in der Zentralstelle, dem Minis-terium und der Führungsakademie für Ernährung, Landwirt-schaft und Forsten (FüAk), möglichst rationell und zeitlich unabhängig abwickeln zu können, wurde ein elektronischer BALIS-Nachrichtendienst entwickelt und eingerichtet. Die-ser wurde aber auch als allgemeines und schnelles elekt-ronisches Kommunikationsmittel innerhalb des gesamten Behördenbereiches genutzt und ist sehr gut angenommen worden.

So war es möglich, nach der Nuklear-katastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986 allen Behörden unserer Verwaltung auf kurzem Dienstweg ständig aktuelle Informationen zukommen zu lassen.

Andere Verwaltungsbereiche konnten das vielfach nur mit-tels des noch relativ neuen und noch nicht so verbreiteten Telefax-Dienstes tun. Das war ein enormer Vorteil für unsere Behörden, weil sie dadurch einen ständigen Informations-vorsprung hatten. Andere Verwaltungen haben sich deshalb bei unseren Behörden die neuesten Informationen besor-gen müssen; sie waren also ungewollt verwaltungsübergrei-fende Kommunikationsschnittstellen.

Geburtsstunde des EDV-Beauftragten Zu Beginn der achtziger Jahre kamen auch die ersten Per-sonal Computer (PC) auf den Markt. PCs der Firma Commo-dore waren sehr stark vertreten. Die Rechner hatten in der Regel zwischen 16 KB und 64 KB Hauptspeicher und einen sog. Kassenstreifendrucker, worauf nur Zahlenkolonnen ge-druckt werden konnten. Die einzelnen Ergebnisblöcke wur-den dann in vorgefertigte Tabellen mit vorbereiteten Texten meist auf DIN A4 eingeklebt.

In den achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre kam es zu heftigen Diskussionen, ob man überhaupt noch einen Zentralrechner braucht. Schließlich würden ja die Daten auf dem eigenen PC verarbeitet.

Das Staatsministerium verfolgte hingegen immer die Philosophie, alle Daten in einem Datenverbund zu verar-beiten. Die Gründe dafür waren, dass

Page 41: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 41

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

→ landesweit die Daten nach gleichen Programmen und Programmversionen verarbeitet werden muss-ten, was für die Förderungsmaßnahmen unverzicht-bar war, und

→ die Daten aller Behörden sicher auf dem Zentral-rechner als Datenserver gespeichert blieben.

Auf dem PC war das faktisch so nicht zu gewährleisten, denn es mussten vom Bediensteten des Amtes in eigener Regie immer wieder neue Programmversionen auf den PC aufgespielt und die Daten gesichert werden. In den aller-meisten Fällen fehlte vor Ort das nötige EDV-Know-how. Das war die Geburtsstunde des „EDV-Beauftragten“ an je-dem Amt. An der FüAk wurde eine zentrale Ansprech- und Schulungsstelle für EDV eingerichtet. In Seminaren wur-den die EDV-Beauftragten auf ihre neue Aufgabe vorbe-reitet. Sie waren die Ansprechpartner für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Amtes wie auch für die EDV-Be-diensteten an der FüAk bzw. im Staatsministerium. An-fangs war es sehr schwierig, geeignete Bedienstete des Höheren Dienstes für diese Aufgabe zu finden und zu begeistern. Denn es war nicht absehbar, welche Aufga-ben auf sie zukommen würden und auch wie die fach-liche Wertigkeit einzuschätzen ist. Ein EDV-Wissen war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht selbstverständlich. Auch das Verständnis der Behördenleiter für diese neue Aufgabe war vielfach nicht gegeben. Die neue Aufgabe konkurrierte außerdem mit fachlichen Beratungsaufga-ben bei knapper Personalkapazität. Meist wurden junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen benannt, die neu an das Amt kamen. Es war eine notwendige Einrichtung und die Erfolge stellten sich bald ein. Schließlich ist die EDV zu einem unverzichtbaren Verwaltungs- und Organisations-mittel geworden.

Von BTX zum InternetDa die Landwirtschaftsverwaltung auch die Aufgabe der Be-ratung hat, war es das besondere Anliegen Informationen möglichst transparent und aktuell über die Beratung den Landwirten und Verbrauchern zur Verfügung zu stellen. Des-halb hat das Ministerium zu Beginn der achtziger Jahre ein umfangreiches, fachliches Bildschirmtext (BTX)-Angebot er-arbeitet. Dieses bundesweit verfügbare elektronische neue Medium ermöglichte zeitlich unabhängig und von daheim den Abruf all dieser Informationen. Letztlich hat sich dieses Medium nicht durchgesetzt, weil es zu langsam und noch nicht den notwendigen Endbenutzerkomfort hatte. Mitte der achtziger Jahre zeichnete sich bereits die Entwicklung hin zum heute nicht mehr wegzudenkenden neuen Medium In-ternet ab. Die Landwirtschaftsverwaltung begann daher be-reits zu Beginn der neunziger Jahre mit dem Übergang von

BTX zum Internet. Nach einigen Startschwierigkeiten hat sich das Internet in der Landwirtschaft sehr schnell eingeführt.

Leistungsfähiges System für HITNeben aktuellen fachlichen Informationen zu den einzelnen Fachbereichen, war es das auf Bundesebene beschlossene Herkunfts- und Informationssystem Tier (HIT), das die Nut-zung des Internets in der Landwirtschaft bundesweit forciert hat. Bayern ist im Dezember 1997 beauftragt worden, für alle Bundesländer und beteiligten Stellen HIT zu entwickeln. Unser Ziel dabei war, ein möglichst kostengünstiges, bis hin zu den einzelnen Beteiligten elektronisch unterstütztes und einfach handhabbares HIT-System zu realisieren. Denn HIT haben alle Landwirtschafts- und Veterinärverwaltungen, die Landeskuratorien, die Landwirte, die Viehhändler, die Schlachthöfe usw. auf Bundesebene durch Meldungen zu nutzen. Das Meldungsaufkommen liegt zwischen 100 000 und 130 000 Meldungen pro Tag. Eine enorme Herausfor-derung an die IT und an die Meldepflichtigen. Aufgrund der hohen Zufriedenheit der Länder mit dem zentralen HIT-Sys-tem wurden wir auch mit dem Aufbau der Zentralen In-VeKoS-Datenbank (ZID) beauftragt, die vor allem Aufgaben im Bereich des länderübergreifenden Datenabgleichs und der Zahlungsanspruchsverwaltung übernimmt.

Großrechner-Ära geht zu EndeOrganisatorisch wurden die staatlichen Rechenzentren durch Ministerratsbeschluss zu zwei Rechenzentren zusam-mengeführt (Rechenzentrum Süd mit dem IBM-Rechner in München, Rechenzentrum Nord mit dem Siemens-Rechner in Nürnberg). Unser Rechenzentrum wurde im Jahr 2006 in das Rechenzentrum Süd beim damaligen Landesamt für Sta-tistik und Datenverarbeitung eingegliedert. Damit ging die eigenständige Periode des Rechenzentrums im Landwirt-schaftsministerium zu Ende.

Es war für mich eine hochinteressante Zeit, diese Ent-wicklung mit zu gestalten, vor allem mit dem Anspruch die Landwirtschaftsverwaltung und die Landwirtschaft allge-mein an dieser technologischen Entwicklung möglichst frühzeitig teilhaben zu lassen. Ich denke, das ist der Land-wirtschaftsverwaltung Bayerns in hohem Maße gelungen.

DR. JOHANN HAIMERLAM BUCHeNSTOCK 1682205 GILCHINGVon 1982 bis 2000 Leiter des Referates Datenverarbeitung bzw. Informations-

und Kommunikationstechnik, 1999 bis 2015 Leiter der Abteilung Ländlicher

Raum, Betriebswirtschaft und Förderung im Bayerischen Staatsministerium

für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Page 42: Heft 10-11/2017

42 SUB 10-11/2017

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

Von Modernisierungen und MigrationenDie neue Systemarchitektur nach der Ablösung des Großrechners

von MICHAEL GENGENBACH: Computer sollen die Arbeit erleichtern, und meist schaffen sie das auch, zumindest solange sie funktionieren. Und wenn „die IT“ nicht gerade wieder etwas geändert hat. Manche Anwenderin oder mancher Anwender wünscht sich vermutlich, dass bei den verwendeten Programmen immer alles beim Alten bleibt. Aber dann kommt das Re-ferat P5 Informations- und Kommunikationstechnik des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten doch wieder mit einer Neuerung. Im besten Fall ist eine solche Änderung mit Arbeitserleichterungen verbunden, in manchen Fällen aber, wie jetzt bei der sogenannten Host-Migration, bringt sie für die Nutzer keinen erkennbaren Vor-teil, sondern nur Änderungen und eventuell sogar neue Fehler. Dieser Artikel soll die Hinter-gründe der erfolgreichen Ablösung des Großrechners erläutern und die Funktionsweise einer modernen Anwendungsarchitektur auf möglichst verständliche Art erklären.

Wie hat der Großrechner funktioniert?Ein Computer ist immer arbeitsteilig organisiert, verschie-dene Programme erledigen unterschiedliche Aufgaben. Im Falle des Großrechners gab es z. B.

→ die Benutzerverwaltung RACF (Resource Access Control Facility) der Firma IBM, die ein Verzeichnis aller Nutzer führte, einschließlich ihrer Passwörter,

→ die Datenbank DB2 der Firma IBM, die alle Fach-daten in Tabellen gespeichert hat und sie effizient wieder heraussuchen konnte,

→ die Anwendungsprogramme von BALIS, entwickelt von den Kolleginnen und Kollegen des Referats P5 in der Programmiersprache Natural der Software AG.

Diese Kombination von Komponenten (die IT-Profis spre-chen hier von einem Technologie-Stack) wurde im Wesentli-chen mit der Neuprogrammierung des InVeKoS im Jahr 1993 eingeführt und hat sich seitdem bewährt. Die Entwickler er-reichten mit der Programmiersprache Natural eine hohe Pro-duktivität und konnten über Jahre hinweg alle Anforderun-gen an das InVeKoS umsetzen.

Zwei Gründe für die ModernisierungDeshalb mag es verwundern, warum man diese erfolgrei-che Technik jetzt aufgegeben hat. Aber tatsächlich wurde die Ablösung des Großrechners sogar von zwei Seiten vor-angetrieben.

Schon seit circa 1993 begann sich auch das World Wide Web rasant zu entwickeln, also der Teil des Internets, in dem man auf Informationen und Anwendungen mit Hilfe von

Web-Browsern zugreift (z. B. Firefox oder Internet Explorer). Neben dem ersten Webserver des Ministeriums ging 1996 zum Zentrallandwirtschaftsfest auch bereits die erste inter-aktive Webanwendung in Produktion, die Bullen- und Eber-datenbank, entwickelt von der damaligen Landesanstalt für Tierzucht.

Die Web-Technologie war bunter und gefälliger als die Großrechneranwendungen und verbreitete sich auch des-halb rasant. Auch in der Landwirtschaftsverwaltung, weil über das Internet auch die direkte Einbindung der Landwirte möglich wurde, was im Jahr 2001 erstmals mit dem Mehr-fachantrag online umgesetzt wurde.

Für Entwickler ist die Web-Technologie allerdings nicht unproblematisch, weil sie komplex ist und die Öffnung zum Internet auch Sicherheitsrisiken birgt. Das hat aber ihrer Ver-breitung keinen Abbruch getan, weil die Möglichkeiten die Risiken überwogen haben.

Der zweite Grund für die Ablösung des Großrechners: die EU forderte 2004 ein LPIS, ein Land Parcel Identification System, welches Geometrien für alle landwirtschaftlichen Feldstücke enthält und auch Operationen auf diesen Geo-metrien durchführt, z. B. Überlappungsprüfungen, die so-genannten Verschneidungen. Es war aber weder möglich, in der DB2-Datenbank des Großrechners Geometrien ab-zulegen, noch mit der Programmiersprache Natural solche Verschneidungen durchzuführen. Deshalb wurde zusätzlich zu DB2 auf dem Großrechner noch das Datenbanksystem PostgreSQL auf Linux-Servern eingeführt und zusätzlich zu BALIS noch das GIS-Programm LaFIS, also ein Geografisches Informationssystem.

DIGITALISIeRUNG

Page 43: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 43

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

Um das Jahr 2010 entschied dann erstmals der Amts-chef, noch konsequenter auf die Web-Technologie zu set-zen und mit der Entwicklung des Portals iBALIS zu begin-nen. Es ging im Jahr 2013 produktiv. Aus gutem Grund hat man sich dabei für den Weg einer sanften Migration ent-schieden, also keine komplette Neuentwicklung und Ab-lösung von BALIS auf einen Schlag, sondern die Ablösung Schritt für Schritt. Dies mag für die Nutzer auf den ersten Blick eine unschöne Lösung sein: Für viele Aufgaben muss parallel in mehreren Systemen gearbeitet werden, und als Anwender wird man mit kontinuierlichen Änderungen konfrontiert.

Liest man den Bericht des Vereinigten Königreichs von der 31. Tagung der Panta Rhei Gruppe aus dem Jahr 2007, relativiert sich das vielleicht. Dort wird berichtet, dass man in Großbritannien massive Schwierigkeiten bei der Imple-mentierung eines neuen DV-Systems hatte. Dessen Auf-wand wurde ursprünglich auf 63 Millionen Euro geschätzt, war aber auch nach Kosten von mehr als dem doppelten Betrag immer noch nicht fertig. Die Betriebsprämie 2005 konnte dort erst mit einjähriger Verspätung ausgezahlt wer-den, und „ein Minister und der Zahlstellenleiter wurden öf-fentlich kritisiert, abgestraft und entlassen“. Dieses Schicksal konnten wir der Verwaltung und den bayerischen Landwir-ten glücklicherweise ersparen.

Die MigrationDie Modernisierung von Anwendungen nagt also schon seit dem Jahr 2000 am Großrechner, allerdings aufgrund des ge-wählten sanften Weges nur sehr zögerlich. Den Ausschlag für den Start des Großprojekts zur kompletten Ablösung des Großrechners gaben dann wirtschaftliche Gründe, die im Jahr 2014 zum Start des Migrationsprojekts geführt haben.

Die Großrechnertechnologie ist stabil und bewährt, aber sie ist auch teuer. Sogar sehr teuer. Jedes Jahr wurden meh-rere Millionen Euro für Hardware- und Lizenzkosten bezahlt. Gleichzeitig hatte man im Jahr 2014 wegen der Feldstücks-karte aber auch schon etwa zehn Jahre Erfahrung mit dem Einsatz kostenfreier Software und zwar

→ dem Betriebssystem Linux, → dem Datenbanksystem PostgreSQL, → der Programmiersprache Java.

Und die in diesem Zeitraum gesammelten Erfahrungen wa-ren durchweg positiv. Diese Systeme waren ebenfalls zuver-lässig, sie waren ebenfalls schnell und sie konnten auf kos-tengünstiger Standardhardware betrieben werden, deren Leistungsfähigkeit von Jahr zu Jahr zunahm.

Als dann eine Technologie auf den Markt kam, auch Na-tural-Programme auf den sogenannten „offenen Systemen“ ausführen zu können, wurde folgerichtig ein Projekt mit die-sem Ziel ausgeschrieben.

Die Entscheidung fiel letztlich für ein Konzept der Sen-dener Firma innoWake, bei dem Natural-Anwendungen eins zu eins in die Programmiersprache Java übersetzt wurden und damit auf den günstigeren Hardwaresystemen lauffähig waren. Diese automatisch übersetzten Programme werden als Mee-Java bezeichnet. Ebenso wurden auch die Daten der DB2-Tabellen eins zu eins in PostgreSQL-Tabellen migriert. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine Modernisierung, denn die Benutzeroberflächen laufen jetzt zwar im Browser, es sind aber die gleichen Masken mit 80x43 Zeichen. Auch die Datentabellen sind absolut identisch.

Allerdings liegen die einmaligen Anschaffungskosten der nunmehr benötigten Hardware bei etwa einem Zehntel der bisherigen jährlichen Mietkosten. Dies war ausschlaggebend für die Entscheidung zur Migration der Natural-Anwendun-gen in Richtung Java und die Bereitschaft, auch die daraus eventuell entstehenden Unannehmlichkeiten zu akzeptieren.

Was nichts kostet, taugt nichts?In manchen Bereichen mag diese Weisheit vielleicht stim-men, aber Software hat den Vorteil, dass sie ohne Kosten vervielfältigt werden kann. Bei der Qualität kommt es des-halb nur auf die Entwicklerinnen und Entwickler an, wel-che die Programme schreiben. Für viele der besten Köpfe ist der Antrieb dabei nicht so sehr Geld, sondern der Spaß am Programmieren und etwas Neues und Besseres zu schaf-fen. Besonders deutlich wurde das mit dem Betriebssystem Linux, dessen erste Version 1991 vom Finnen Linus Torvalds veröffentlicht wurde. Inzwischen ist Linux im Serverbereich Standard, und auch die ganz Großen wie Google, Facebook und Twitter benutzen Linux. Auch das Datenbanksystem PostgreSQL spielt in der gleichen Liga. Es tut einfach, was es soll, und das schnell und ohne Probleme.

An dieser Stelle sei aber angemerkt, dass man bei der Verwendung kostenfreier Software bezüglich ihrer Lizenzen aufpassen muss. Denn nur weil eine Software im Internet kostenfrei herunterladbar ist, kann sie nicht auch kostenfrei für alle Arten von Aufgaben verwendet werden.

Es gibt Lizenzen wie die von Linux, die den Zugriff auf den Quellcode erlauben (d. h. Open Source Software) und die auch erlauben, alles damit zu tun, was man will, also Änderungen zu machen oder das System für kommerzielle Zwecke einzusetzen. Andere Software dagegen ist zwar viel-leicht kostenlos herunterladbar, ist aber nicht Open Source und hat möglicherweise auch Einschränkungen bezüglich ihrer kommerziellen Nutzung.

Die SystemarchitekturDie Architektur eines EDV-Systems beschreibt das Zu-sammenspiel seiner verschiedenen Hardware- und Soft-warekomponenten. Wie oben beschrieben gab es auch am Großrechner schon Komponenten mit Spezialaufgaben,

Page 44: Heft 10-11/2017

44 SUB 10-11/2017

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

allerdings nur wenige, wie die Benutzerverwaltung und die Datenbank. Und sie liefen alle auf derselben Hardware, dem Großrechner.

Die eigentliche Funktionalität einer Anwendung war da-mals auch verhältnismäßig einfach; denn man hatte ja nur einen Bildschirm mit Buchstaben und Zahlen und konnte auch nur solche Daten erfassen und damit Berechnungen in den vier Grundrechenarten ausführen, also beispielsweise Förderbetrag = Fläche mal Fördersatz.

Heutzutage arbeiten wir dagegen mit erheblich komple-xeren Datentypen (z. B. Polygone), haben aufwendigere Be-nutzeroberflächen (z. B. Karten mit Zoom-Funktionalität) und auch schwierige und rechenaufwendige Operationen (z. B. die Verschneidung von Feldstücken mit Gebietskulissen). Nachdem man all diese Funktionalitäten nicht mit vertret-barem Aufwand von Grund auf selbst entwickeln kann, benö-tigt eine moderne Architektur erheblich mehr Komponenten.

Die am InVeKoS beteiligten Komponenten sind z. B.: → Zentraler Anmeldedienst (ZAD):

Er kümmert sich um die Authentisierung der Nut-zer, d. h. bei Anwendungen, für die eine Benut-zeranmeldung erforderlich ist, stellt er die Identität der Nutzer fest, z. B. indem er Benutzerkennung und Passwort überprüft bzw. im Normalfall durch weitere Systeme überprüfen lässt, weil man ja aus Komfortgründen kein eigenes iBALIS-Passwort haben möchte, sondern für Sachbearbeiter das Windows-Passwort verwenden möchte und für Landwirte die ZID-PIN.

→ Active Directory (AD): Das System der Firma Microsoft, das auch für die Windows-Anmeldung verwendet wird, überprüft im Auftrag des Zentralen Anmeldedienstes die Authen-tisierung von Sachbearbeitern, indem es kontrollert, ob das eingegebene Passwort zum Kennungsna-men passt. Diese Authentisierung kann auch auto-matisiert werden mittels des Kerberos-Protokolls, bei dem Windows dem angemeldeten Nutzer ein Ticket ausstellt, das automatisch über den Browser an den ZAD weitergereicht wird, der dann die Gül-tigkeit des Tickets wiederum beim Active Directory nachprüfen kann. Dieser Weg wird verwendet, wenn man bei iBALIS auf den Knopf mit der Aufschrift „Bei iBALIS mit Windowskennung anmelden“ drückt.

→ Zentrale InVeKoS-Datenbank (ZID): Die ZID überprüft im Auftrag des Zentralen Anmel-dedienstes die Authentisierung eines Landwirts, in-dem sie prüft, ob die eingegebene PIN zur Betriebs-nummer passt. iBALIS kommuniziert dafür direkt nur mit dem ZID-Server, aber im Hintergrund gibt es natürlich auch bei der ZID noch weitere nötige Kom-ponenten, zumindest den ZID-Datenbankserver.

→ Geoserver: Neben der Erzeugung von Bildern für die Karten-komponente gibt es im Bereich der Geodaten eine weitere Komponente für Spezialaufgaben. Der sogenannte Geoserver enthält Daten zur Erosions-gefährdung und zum Geländemodell und kann auf Anforderung für geänderte Feldstücke die Hang-neigung und die Erosionsgefährdung berechnen.

→ LaFIS Application Server (LAS): Neben der Webanwendung iBALIS gibt es noch die auf dem Arbeitsplatzrechner installierte GIS-An-wendung LaFIS. Allerdings greift dieses Programm nicht direkt auf die Datenbank zu, sondern kommu-niziert mit einem zentralen Server, dem sogenann-ten LaFIS Application Server (LAS).

Darüber hinaus gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Kom-ponenten wie den Webserver Apache, den Anwendungs-server Tomcat oder die sogenannten Map Server zur Dar-stellung von Luftbildern mit überlagerten Polygonen.

AusfallsicherheitDie Nutzer erwarten zu Recht, dass ihre Anwendungen funk-tionieren. Alle Anwendungen werden aber nur dann funk-tionieren, wenn auch alle beteiligten Komponenten und Server fehlerfrei funktionieren. Und sie dürfen nicht gerade gewartet werden, weil sie z. B. gerade das aktuellste Pro-grammupdate bekommen, wie es für den BSI-Grundschutz vorgeschrieben ist. Dabei wird der Ausfall mancher Kompo-nenten vielleicht kaum bemerkt werden, weil z. B. nur wenig benutzte Funktionen ausfallen wie die Berechnung von Ero-sionsklassen bei geänderten Feldstücken. Der Ausfall ande-rer Komponenten dagegen kann fatal sein: Wenn etwa das Datenbanksystem nicht läuft, können keine Daten angezeigt oder erfasst werden.

Aus diesem Grund wird bei vielen Komponenten ver-sucht, diese möglichst ausfallssicher zu gestalten, z. B. durch das Vorhalten mehrerer paralleler Systeme in einem soge-nannten Cluster. Im Bereich der PostgreSQL-Datenbank gibt es z. B. drei identische Hardwaresysteme:

→ das Hauptsystem, das im Normalfall für lesende und schreibende Datenzugriffe zur Verfügung steht.

→ das Spiegelsystem, auf das alle Datenänderungen zeitnah gespiegelt werden und das bei einem Aus-fall des Hauptsystems automatisch dessen Aufga-ben übernimmt. Dieses Spiegelsystem steht auch für lesende Datenbankzugriffe wie etwa Auswer-tungen zur Verfügung.

→ das Reservesystem, das von den anderen beiden Systemen entfernt steht, um auch einen Katastro-phenfall zu überstehen, das aber aufgrund dieser Entfernung etwas langsamer aktualisiert wird.

Page 45: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 45

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

„Performance“ – oder von Akten und BürobotenIn einzelnen Fällen kam es nach der Migration zu langen Antwortzeiten der Anwendungen, wobei der Techniker von schlechter Performance spricht. Diese hat wohl jeder Nutzer schon mal erlebt. Der erste Gedanke der betroffenen Nutzer ist dabei immer, ein schnellerer Rechner muss her! Dabei war zu langsame Hardware in der Vergangenheit nur selten das Problem, denn meist lagen Geschwindigkeitsprobleme an den Programmen oder an Einstellungen.

Leider hat auch die Migration der Natural-Anwendungen weg vom Großrechner ein Performanceproblem aufgedeckt. Obwohl die Java-Programme grundsätzlich genauso schnell laufen wie die Natural-Programme und, obwohl die Post-greSQL-Datenbank grundsätzlich genauso schnell ist wie die DB2-Datenbank, ist das neue System bei einer bestimmten Art der Programmierung leider langsamer. Ein Vorteil des Großrechners war, dass sich die Datenverarbeitung und die Datenspeicherung nahe beieinander befanden (auf einer Hardware) und somit der Datentransport sehr schnell er-folgen konnte.

Man kann sich das vorstellen wie einen Archivraum in einer Behörde: Wenn das Archiv von den Büros wegverla-gert wird, muss der Bürobote weiter laufen. Bei einer Ar-beitsweise, bei der der Bote (= Datenbank) oft beauftragt wird, Akten zu holen oder wegzubringen, wird die Arbeit länger dauern. Zwar wird die Arbeitsbelastung des Sachbe-arbeiters nicht höher, aber die Erledigung der Aufgabe ver-zögert sich, weil länger auf Akten gewartet werden muss.

Bei einer solchen Konstellation muss man sich als Sach-bearbeiter (= Programm) vorher genauer überlegen, welche

Akten (= Daten) man braucht und wie lange man sie bei sich aufbewahrt, weil vielleicht schon abzusehen ist, dass man sie in Kürze erneut benötigt. Manche Großrechnerpro-gramme wurden aber so entwickelt, dass sie von einer sehr schnell zugreifbaren Datenbank ausgingen, was ihnen aber nicht vorzuwerfen ist, denn schließlich wurden sie ja für die Großrechnerumgebung entwickelt. Dies ist der Grund, wa-rum manche der migrierten Anwendungen jetzt langsamer laufen als früher am Großrechner.

Bei selten genutzten Anwendungen wird man kleinere Performanceprobleme wohl akzeptieren müssen, wogegen erhebliche Performanceprobleme bei häufig genutzten An-wendungen durch manuelle Anpassungen der Programmlo-gik im Laufe der Zeit noch behoben werden müssen.

FazitAlles in allem war die Ablösung des Großrechners ein vol-ler Erfolg, obwohl viele Beteiligte zu Beginn des Projekts noch sehr skeptisch waren, ob eine solche automatische Programmmigration durch eine Firma möglich sei. Aber das angestrebte Ziel wurde erreicht und die bisherigen Na-tural-Anwendungen laufen nun auf erheblich günstigerer Hardware und speichern ihre Daten in einer kostenfreien Open Source Datenbank.

MICHAEL GENGENBACHBAYeRISCHeS STAATSMINISTeRIUM FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected]

Olli Marschall und Pentti Buchwald präsentieren vom 23. Okto-ber bis 11. November ihre Kunstwerke im Veranstaltungssaal des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Staatsminister Helmut Brunner wird am Montag, den 23. Oktober 2017 um 18:00 Uhr, die Vernissage eröffnen.

Die Männer im gleichen Alter haben trotz aller Unterschiede einen besonderen gemeinsamen Zugang zum Thema Holz. Die abstrakte Umsetzung natürlicher, gewachsener Materialien und Motive ist der gemeinsame Nenner beider Künstler.Olli Marschall ist ein professioneller Holzbildhauer, Musiker und Kampfsportkünstler, für den jeder Baum mit seinem Holz einen neuen ästhetischen Zugang eröffnet.Pentti Buchwald ist Förster aus Berufung und sieht als malender Autodidakt die Natur in ihrer Komplexität mit all ihren Struk-turen, Abhängigkeiten und Bewohnern. Er weiß, dass der Wald mehr ist als die Summe seiner Funktionen. StMELF

natürlichst abstrakt – Staatsminister Brunner eröffnet Kunst-Ausstellung im StMELF

Page 46: Heft 10-11/2017

46 SUB 10-11/2017

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

Die digitale Tafel: „Kreidezeit war gestern“Einsatzmöglichkeiten und Vorteile interaktiver Whiteboards

von PETER WEYMAN: Bei Neuausstattungen und Bedarf werden Schulen heute mit interakti-ven Whiteboards ausgestattet. Der Beitrag informiert über die notwendigen Rahmenbedin-gungen, technische Grundlagen und methodische Möglichkeiten des Einsatzes von interakti-ven Whiteboards.

Voraussetzungen für einen sinnvollen EinsatzIn den Unterrichtsräumen müssen geeignete Lichtverhält-nisse für die Beamer-Projektion herrschen. Eine Verdunke-lungsmöglichkeit ist erforderlich. Bei automatischen Außen-schattierungen ist zu beachten, dass sich diese bei höheren Windgeschwindigkeiten öffnen. Das kann eine weitere In-nenschattierung erfordern. Bei der Beschaffung muss be-sonders auf eine hohe Lichtstärke des Beamers geachtet werden. Billiglösungen werden meist teuer.

Zentral und groß genugDas interaktive Whiteboard muss, wie die Kreidetafel, zentral im Unterrichtsraum montiert werden. Zu beachten ist eine an die Raumgröße angepasste Diagonale des Whiteboards. Tafeln mit einer Diagonalen unter 230 Zentimeter sind un-geeignet bei Raumtiefen über zehn Meter. Die Präsentation wird sonst aus der letzten Reihe zum „Sehtest“. Tipp: Die Größe und Lesbarkeit des elektroni-schen Tafelbildes lässt sich vor der Beschaffung mit einem mobilen Beamer simulieren.

Anschluss ans Internet oder SchulnetzEin interaktives Whiteboards macht nur Sinn, wenn der Zugang zum Internet und zum Schul-netz möglich ist. Dann können die Inhalte abge-speichert und wieder aufgerufen werden.

Sicherung der TafelbilderEin großer Vorteil ist die Möglichkeit, die entwi-ckelten Tafelbilder abzuspeichern.

Studierende können auf (gemeinsam erar-beitete) Inhalte als Datei zugreifen. Arbeitsblät-ter und Objekte von der Dokumenten-Kamera werden am Whiteboard präsentiert und können abgespeichert werden. Bei der thematischen Fortsetzung einer Unterrichtseinheit zu einem späteren Zeitpunkt kann leicht auf frühere Tafel-

bilder zurückgegriffen werden. Das ist auch bei Übungsstun-den von Vorteil.

Anmerkungen möglichBei der Auswertung von Diagrammen, PowerPoint-Präsenta-tion oder Videos können handschriftliche Ergänzungen oder Hervorhebungen direkt am Whiteboard gemacht werden. Mit passender Software kann die handschriftliche Eingabe auch in digitalen Text umgewandelt werden.

Nachträgliches Sortieren Vergleichbar mit Pinnkarten lassen sich Inhalte auf dem in-teraktiven Whiteboard erfassen, etwa beim Brainstorming. Die Inhalte können leicht umgruppiert werden. Das sorgt für eine bessere Struktur und Übersichtlichkeit. Das nachträgli-che Fotografieren von Pinnwänden entfällt.

DIGITALISIeRUNG

→ Tabellen werden auf dem interaktiven Whiteboard in das Tafelbild integriert, mit

Anmerkungen versehen und abgespeichert (Abbildung: Rogler, Technikerschule

Triesdorf ).

Abbildung: Tabellen werden auf dem interaktiven Whiteboard in das Tafelbild integriert, mit Anmerkungen versehen und abgespeichert. (Abbildung: Rogler, Technikerschule Triesdorf)

Page 47: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 47

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

Langjährige Erfahrungen (Helmut Rogler, pensionierte Lehrkraft der Technikerschule Triesdorf )Im Pflanzenbau-Unterricht habe ich mit dem Einsatz des interaktiven Whiteboards sehr gute Erfahrungen gemacht. Mit keiner anderen Medien-technik kann man die Prozesse des Wachstums, der Wirkungsweise von Pflanzenschutzmittel und Dünger (Nährstoffdynamik) oder auch die Entwicklungsbiologie von Krankheitserregern und Schädlingen in zeitlicher Abfolge besser darstellen. Aktuelle Bilder und Videoclips aus dem Netz werden mit dieser Technik in die Unterrichtsunterlagen eingefügt. Die Archivierung als pdf-Datei ist ideal für nachfolgende, unterstützende Lernprozesse. Zielorientierung und aufbauende, schlussfolgernde Argumentation in Verbindung mit sich entwickelnden Mindmaps waren Kennzeichen meines mit dem interaktiven Whiteboard praktizierten Unterrichts.

Interessante Mögichkeiten, aber Übung unverzichtbar (Franziska Steiner, AELF Holzkirchen)Mit dem Whiteboard habe ich Grafiken und Excel-Diagramme handschriftlich ergänzt, abgespeichert und in Folgestunden wieder verwendet. Das Abspeichern hat leider im vergangenen Schulwinter aus technischen Gründen nicht immer funktioniert. Das ordentliche und gut lesbare Schreiben mit dem digitalen Stift ist schwierig und erfordert Übung. Schrift und Linien können leicht verspringen. Das Gerät muss richtig kali-briert werden. Grundsätzlich bietet das Whiteboard viele interessante Möglichkeiten für einen abwechslungsreichen Unterricht. Eine gründli-che Unterweisung und sowie Übung sind hierfür unverzichtbar.

Studierende werden am Whiteboard aktiv (Dr. Michaela Neff, Technikerschule Triesdorf )Mit dem interaktiven Whiteboard kann ich die Studierenden aktiv in den Unterricht mit einbeziehen. Komplexe Inhalte werden stundenüber-greifend gemeinsam entwickelt und sind für alleStudierende archiviert. Interaktive web-basierte Anwendungen („Learning-Apps“) werden als Unterrichtseinstieg oder Lernzielkontrolle gemein-sam von den Studierenden auf dem Whiteboard bearbeitet. Ein Studierender übernimmt dabei die Moderation, die Lehrkraft zieht sich zurück.

Grenzen und Chancen (Hans Böll, Technikerschule Triesdorf )Wie bei allen elektronischen Geräten ist die Halbwertszeit der Aktualität gering. Schon nach wenigen Jahren ist ein System überholt, moder-nere Techniken werden angeboten. Angesichts der hohen Kosten ist es daher nicht möglich, alle Entwicklungen zeitnah mitzumachen. Eine Schule darf aber nicht „den Anschluss verlieren“. Wenigstens in einzelnen Räumen sollte die Technik vorhanden sein und von einigen Personen beherrscht werden.Die Lehrkräfte müssen von einem neuen System überzeugt sein. Nur so wird der Aufwand für die erste Einarbeitungszeit gewagt und ein lau-fender Einsatz im Unterricht verwirklicht.Whiteboards sind nur eines von vielen Medien. Methoden- und Verfahrenswechsel im Unterricht sind so wichtig wie immer. Es gelten alle Un-terrichtsgrundsätze.

Gute Erfahrungen im BWL-Unterricht (Gabriele Sichler, HLS Triesdorf )Im BWL – Unterricht an der HLS verwende ich das Whiteboard gerne für Kalkulationen. Beispiele werden gemeinsam mit den Studierenden ge-rechnet, die Ergebnisse dann gespeichert. Vorteile sind:• Die Rechenschritte sind im Einzelnen nachvollziehbar und können noch einmal mit Hilfe der gespeicherten Datei wiederholt werden.• Ein nahtloser Anschluss an die vorhergehende Stunde ist möglich.• Studierende, die im Unterricht gefehlt haben, können sich die Inhalte als Datei abspeichern.

Nach Anlaufschwierigkeiten sehr positive Bilanz (Johanna Renoth, Landwirtschaftsschule, Abteilung Hauswirtschaft, Laufen)Das interaktive Whiteboard funktioniert inzwischen bestens und ist mein ständiger Begleiter im Unterricht. Anfangs gab es große Schwierigkei-ten bei der Installation. Eine Fernwartung über das Internet ist notwendig – ebenso die Erreichbarkeit der Ansprechpartner vor Ort. Beim Erstellen der Tafelbilder nimmt mir das Whiteboard viel Arbeit ab. Da ich meine Unterrichtseinheiten immer dreimal halte, ist das sehr von Vorteil. Mit dem Whiteboard arbeite ich viel flexibler als mit einer Powerpoint-Präsentation. Das Tafelbild wird im Unterricht entwickelt und bei gleichen Inhalten trotzdem individuell auf die Klasse zugeschnitten. Anfangs ist viel Einarbeitungszeit erforderlich. Die Programme sind sehr umfangreich, die Möglichkeiten vielfältig. Jede Lehrkraft muss selbst herausfinden und entscheiden, welche Funktionen sie nutzen möchte.

Zuverlässige Unterrichtshilfe (Ludwig Zahnweh, Lehrkraft an der Landwirtschaftsschule Erding)Nach kurzer Einarbeitungszeit ist das Whiteboard sehr zuverlässig im Einsatz. Es bietet ein zuverlässiges Sichern des Unterrichtstoffes und einen schnellen Rückgriff auf vorangegangene Stunden. Außerdem hält es die Unterrichts-räume frei von Kreidestaub. Vor allem die Möglichkeit, Texte oder Grafiken, die aus anderen Büchern, Artikeln oder dem Internet im Unterricht eingesetzt werden, zu markieren oder zu kommentieren, ist sehr hilfreich. Ein Nachteil aber ist, dass der Lehrer beim Schreiben am Whiteboard häufig mit Rücken zum Semester steht. Und: Voraussetzung für digitale Schrifterkennung ist eine gut leserliche Schrift

Infobox: Lehrkräfte berichten von ihren Erfahrungen

Page 48: Heft 10-11/2017

48 SUB 10-11/2017

DIGITALISIeRUNG

DIG

ITA

LISI

ERU

NG

Präsentation von Studierenden-DateienBei den entsprechenden technischen Bedingungen können auch Ergebnisse von Einzel- oder Gruppenarbeiten von den Mobilgeräten der Studierenden direkt am Whiteboard vor-gestellt und zentral abgespeichert werden.

Digitale LehrbücherWhiteboards im Bereich der allgemeinbildenden Schulen werden meist mit umfangreichen digitalen Unterrichtsma-terialien geliefert. Sie enthalten lehrplankonforme Medien. Die Lehrkräfte haben damit den großen Vorteil, diese im Unterricht einzusetzen. Im Bereich der landwirtschaftli-chen Fachschule ist dies bisher nur eingeschränkt mög-lich. Die Verlage arbeiten jedoch daran. Die Möglichkeiten der Interaktivität gehen weit über Lehrbücher als PDF-Da-tei hinaus.

Einsatz webbasierter LernhilfenMit LearningApps kann mehr Abwechslung, Spaß und Nach-haltigkeit bei Lernprozessen erreicht werden. Diese können am Whiteboard interaktiv ausgeführt werden. Damit steigt auch die Medienkompetenz – sowohl bei Lehrenden als auch bei Lernenden.

Zeit und KostenBeim Einsatz ist der Zeit- und Kostenaufwand zu berücksich-tigen:

→ Beschaffung, → Schulung der Lehrkräfte, → Energiekosten, → Ersatzlampen, → Wartung, → evtl. Updates und → Entsorgung.

Der Kostenaufwand für eine Beamer-Whiteboard-Einheit ist abhängig von den örtlichen Rahmenbedingungen. 5000 Euro werden mit Hardware und Verkabelung schnell erreicht.

Auf Bildungsmessen kann man den Trend zu berüh-rungsaktiven Flachbildschirmen beobachten. Dabei entfällt der Beamer. Die Lichtverhältnisse sind meist besser. Der Ge-samtkostenaufwand ist jedoch derzeit noch höher als bei interaktiven Whiteboards. Ein großer Flachbildschirm kostet derzeit über 10 000 €.

Alternative: interaktiver BeamerEine kostengünstige Möglichkeit zum Whiteboard ist der Einsatz eines interaktiven Beamers.

Der Beamer enthält eine Einheit, welche die Position von speziellen Stiften erkennt. Mit der Software können Anmer-kungen in jeder Präsentation – auch in einem Video – ge-

macht werden. Die örtlichen Rahmenbedingungen hinsicht-lich der notwendigen Größe der Präsentationsfläche sind auch hier zu beachten.

GefahrenBeim Einsatz jeder Technik entsteht Abhängigkeit. Was tun bei Ausfall? Außerdem besteht die Gefahr eines stärker lehrerzentrierten Unterrichts und der Medienüberfrach-tung. Ein Zuviel des Guten ist vergleichbar mit einer Po-werPoint-Präsentation mit 100 Folien. Die Behaltenswerte sind gering.

Unterschiedliche TechnikEs gibt verschiedene Techniken, z. B.

→ berührungsaktive Whiteboards mit weicher Ober-fläche,

→ harte Whiteboards mit elektromagnetischer Erfas-sung der Position

→ seitliche montierte Module mit Ultraschall und Infra rot

→ berührungsaktive Bildschirme.

Vor der Investition sollte eine Besichtigung der gewünsch-ten Technik bei einer Schule stattfinden, die bereits Erfah-rungen mit der gewünschten Technik gesammelt hat. Martin Dietl ist an der FüAk technischer Ansprechpartner für die von ihm betreuten Schulen. Eine Rücksprache mit ihm vor der Investition ist unbedingt ratsam. Es gibt auch mobile Whiteboards. Für sie spricht der flexible Einsatz nach Bedarf. Die Größe muss allerdings passen. Der Aufwand zum Umbau an einem anderen Ort schränkt die Bereitschaft zum Einsatz möglicherweise ein.

Übung macht den MeisterNach der Beschaffung erfolgt eine Kurzeinweisung durch die Lieferfirma. Vieles lässt sich intuitiv erlernen und trainieren. Eine intensive Übungsphase für die Lehrkräfte mit anschlie-ßendem Erfahrungsaustausch ist ebenso wichtig wie eine Kurzanleitung im Klassenzimmer. Dann stellen interaktive Whiteboards eine wertvolle Bereicherung des Unterrichts dar – so wie heute die Dokumentenkamera.

Informatives Videohttps://www.youtube.com/watch?v=8x2BHjhyDXA

PETER WEYMAN STAATLICHe FÜHRUNGSAKADeMIe FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected]

Page 49: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 49

eRNÄHRUNGSBILDUNG

ERN

ÄH

RUN

GS-

BI

LDU

NG

Leitlinien für mehr Nachhaltigkeit und ÖkonomieFachtagung 2017 stellt neue Leitlinien für Kita- und Schulverpflegung vor

von ANGELA DREIER und JUTTA SEMMLER: Unter dem Motto „Richtig gut essen in Kita und Schule“ stellten die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit Vernetzungs-stellen Kita- und Schulverpflegung im Juni und Juli auf insgesamt acht regionalen Fachtagun-gen die neu erarbeiteten Bayerischen Leitlinien für die Kita- und Schulverpflegung vor. Das Programm ergänzten jeweils ein regional unterschiedlicher Fachvortrag und Gesprächsfo-ren. In Niederbayern provozierte der Konsumforscher Ingo Barlovic mit dem Thema „Lebens-welt und Essverhalten unserer Kids zwischen Dichtung und Wahrheit“. Rund 90 Akteure aus 52 Einrichtungen der Kita- und Schulverpflegung kamen zur Tagung nach Straubing.

Leitlinien für mehr Nachhaltigkeit und ÖkonomieDie zentralen Leitgedanken Gesundheit, Wertschätzung, Nachhaltigkeit und Ökonomie beschreiben die Leitlinien und bieten mit praktischen Orientierungshilfen Anregungen zur Umsetzung in den Kita- und Schulalltag. Ann-Kathrin Hil-lenbrand vom Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn), die die Leitlinien erarbeitete, präsentierte die wichtigsten Inhalte. Beim Aspekt Gesundheit fordern die Leitlinien ausgewogene Mahlzeiten nach dem Qualitätsstandard für die Schulver-pflegung, die schonend und altersgerecht zubereitet wer-den. Wertschätzung bedeutet, Kinder und Jugendliche mit gutem Essen zu begeistern und so ein Werteempfinden für Nahrung zu vermitteln. Dies gelänge am besten durch Einbe-ziehen aller Beteiligten und gelungene Kommunikation, so Hillenbrand. Nachhaltige Verpflegung stärkt die heimische Ernährungs- und Landwirtschaft. Sie schließt die Aspekte Re-gionalität, Saisonalität, Ökologie, Fairtrade und Tierwohl ein. Dies lässt sich beispielsweise durch Verwendung eines Min-destanteils an regionaler Ware aus ökologischer Erzeugung in der Kita- und Schulverpflegung erreichen. Für die Akzep-tanz der Kita- und Schulverpflegung sei es unerlässlich, dass Preis- und Qualitätsansprüche im Einklang stünden. Werden Kostenstrukturen transparent gemacht, werde allen Beteilig-ten klar, dass Qualität ihren Preis hat. Die Bayerischen Leitli-nien für die Kita-Verpflegung werden im Herbst veröffentlicht.

Essverhalten prägt GenerationenIngo Barlovic, der sich mit seinem Markt- und Meinungsfor-schungsinstitut auf Konsum- und Produktforschung bei Kin-dern und Jugendlichen spezialisiert, provozierte in seinem Vortrag „Lebenswelt und Essverhalten unserer Kids zwischen Dichtung und Wahrheit“ mit einem Slogan der Presse: „Unsere heutigen Kinder und Jugendlichen sind bezüglich ihres Essver-haltens eine Verlierergeneration, die vor ihren Eltern sterben wird: Adipös und ohne Bewegung vor ihrem Facebook-Ac-

count vegetierend“. Barlovic (siehe Bild 1) hat Studiendaten ausgewertet. Sein Fazit: Die wissenschaftliche Datenlage zeigt, dass Kinder sich heute alles in allem nicht ungesünder ernähren als ihre Elterngeneration. Nicht auszuschließen sei allerdings ein Zusammenhang zwischen Adipositas und zu-ckergesüßten Getränken. Allerdings warnte er davor, sich zu-rückzulehnen. Es müsse daran gearbeitet werden, den Status Quo zumindest zu halten. Auch wenn sich die große Mehrheit der Kinder bewegt, nicht übergewichtig ist und sich in keinem Fall ungesünder ernährt als die Elterngeneration, gibt es auch die anderen Kinder, so Barlovic. Diese stammen häufig aus so-zial schwachen Verhältnissen mit Eltern, die häufig die falsche Lebensweise vorleben. Und: Es werden zunehmend mehr.

Jugend für gesunde Ernährung sensibilisierenBei Ernährung, so Barlovic, muss weiter gedacht werden. Es gehe nicht nur um direkte Konsequenzen für die Kinder und

eRNÄHRUNGSBILDUNG

→ Bild 1: Markt- und Meinungsforscher Ingo Barlovic ist auf Produkt-

und Konsumforschung von Kindern und Jugendlichen spezialisiert

(alle Fotos: Dorothee Trauzettel, AELF Landshut).

Page 50: Heft 10-11/2017

50 SUB 10-11/2017

eRNÄHRUNGSBILDUNG

ERN

ÄH

RUN

GS-

BI

LDU

NG

Jugendlichen, sondern auch um den Bezug zur Nachhaltigkeit: Aspekte wie Regionalität, Ökologie, Wertschätzung oder auch soziales Verhalten spielten eine immer größere Rolle. „Wer Kin-der/Jugendliche mit Ernährungsthemen erreichen will, muss die jeweilige Gruppe genau anschauen: ihre Grundbedürf-nisse, ihren Lebensstil, ihre Peer-Group, ihre Medienhelden oder Idole. Man muss sie dort abholen, wo sie sind.“ Ebenso seien die Eltern aktiv mit einzubeziehen und zwar nicht durch stundenlange Diskussionen über Bio oder vegane Ernährung, sondern zum Beispiel durch Kochkurse oder Besuch eines regionalen Anbieters mit Eltern.

Begleitende AusstellungIm Foyer bestand die Gelegenheit, sich über Medien zur Verpflegung und Ernährungsbildung in Kita und Schule zu informieren. Der Bayerische Ernährungswürfel als Schau-modell veranschaulichte die Vielfalt regionaler und saiso-naler Lebensmittel (siehe Bild 2).

Preiswert und süßIn Praxisforen konnten die Teilnehmer eigene Themen-schwerpunkte setzen. Die Foren vertieften die Themen „Mit-tagszeit im Ganztag“ und „Süßungsmittel“. Ökotrophologin Silke Zotter ging im Forum „Süßungsmittel“ auf die angebo-rene Vorliebe für die Geschmacksrichtung süß ein, die oft mit Freude und Genuss verbunden wird. So viel Süßes wie heute hat der Mensch jedoch noch nie gegessen, so Zotter. Unser täglicher Zuckerverzehr liege bei über 100 Gramm am Tag; dies entspricht mehr als 33 Würfelzucker und lie-fert über 400 Kilokalorien. Die DGE empfehle 50 Gramm am Tag, die WHO sogar nur die Hälfte. Unseren Lebensmitteln werde immer mehr Zucker zugesetzt. Und nicht nur wegen seines angenehmen süßen Geschmacks, sondern auch weil er preiswert sei und einige technologische Vorteile habe. So intensiviere er zum Beispiel den Geschmack, erhöhe bei Gebäck das Volumen, verhindere bei Tiefkühlkost die Eis-

kristallbildung und ließe sich durch seine ausgezeichnete Löslichkeit gut verarbeiten. Ein Süßungsmittel ist laut Le-bensmittelgesetz alles was süß ist. Dazu zählen kalorienhal-tige Einfach- und Zweifachzucker, süßende Lebensmittel, Zuckersirupe, Zuckeraustauschstoffe und auch die kalori-enfreie Süßstoffe. Sie alle versteckten sich unter verschie-denen Namen in den Zutatenlisten unserer Fertigprodukte und Getränke. Für Verbraucher sei es beinahe unmöglich ab-zuschätzen, wie viel Zucker sich tatsächlich im Lebensmittel verbirgt, so Zotter. Sie nahm die verschiedenen Süßungsmit-tel und ihre Verwendung unter die Lupe und betrachtete die Auswirkungen auf unseren Stoffwechsel.

Mittagszeit in der GanztagesbetreuungIm Forum „Mittagszeit im Ganztag“ stellte Josef Steffl, Ganz-tagskoordinator für Schulen an der Regierung von Niederbay-ern, einige organisatorische und rechtliche Voraussetzungen der Ganztagesbetreuung vor. Bei schulischen Ganztagsan-geboten bis mindestens 16 Uhr sei z. B. die Bereitstellung eines warmen Mittagessens Genehmigungsvoraussetzung. In Kleingruppen tauschten die Teilnehmer Erfahrungen und Praxistipps aus und stellten sie im Plenum vor.

Kita- und Schulverpflegung umfassen vielseitige The-men, die im Rahmen der regionalen Fachtagungen auf-gegriffen werden und die Teilnehmer zum Erfahrungsaus-tausch einladen – das Ziel: „Richtig gut essen in Kita und Schule“ immer im Blick!

ANGELA DREIERJUTTA SEMMLERAMT FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTeN LANDSHUTFACHZeNTRUM eRNÄHRUNG/GeMeINSCHAFTS-VeRPFLeGUNG [email protected]@aelf-la.bayern.de

→ Bild 2: Der Bayerische Ernährungswürfel veranschaulicht die Vielfalt

regionaler und saisonaler Lebensmittel.

→ Bild 3: Die Evaluierung zeigte, dass das Programm von Angela Dreier

(links) und Jutta Semmler den Erwartungen der Teilnehmer entsprach.

Page 51: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 51

eRNÄHRUNGSBILDUNG

ERN

ÄH

RUN

GS-

BI

LDU

NG

Süß war gesternAOK-Bundesverband startet Aktionsbündnis zur Zuckerreduktion

von ANGELA DIETZ: Mit dem ersten Deutschen Zuckerreduktionsgipfels im Juni 2017 in Berlin will die AOK eine breite Debatte darüber anstoßen, wie der hohe Zuckerkonsum in der Bevölkerung reduziert werden kann. Eine Allianz zur Zuckerreduktion soll ins Leben gerufen werden, um nach dem Vorbild Großbritanniens zu verbindlichen Abmachungen mit der Le-bensmittelindustrie zu kommen. Beim ersten Gipfel dieser Art stellten Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Verbraucherschutz, Ärzten und Lebensmittelindustrie ihre Sicht dar, wie der Zuckerverbrauch in Deutschland reduziert werden kann. Rund 150 Teilnehmer folgten der Einladung des AOK-Bundesverbandes.

Auf süß getrimmtJeder Bundesbürger nimmt pro Tag durchschnittlich 90 Gramm Zucker zu sich. Auf das Jahr hochgerechnet sind das durchschnittlich knapp 32 Kilogramm Zucker. Das ent-spricht 22 Teelöffeln pro Tag. Die Weltgesundheitsorgani-sation WHO empfiehlt Erwachsenen höchstens 50 Gramm (= 10 Teelöffel) und Kindern maximal 25 Gramm (= 5 Tee-löffel) Zucker pro Tag zu konsumieren.

Den meisten Zucker nehmen wir in versteckter Form auf: 80 Prozent aller Lebensmittel in den Regalen der Su-permärkte enthalten Zuckerzusätze, ohne dass dies auf den ersten Blick ersichtlich ist. Fatalerweise haben viele dieser Lebensmittel – Cerealien, Milchprodukte, Getränke – auf-grund geschickter Werbestrategien ein gesundes Image beim Verbraucher.

Martin Litsch, der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bun-desverbandes, nahm eingangs kritisch Stellung zum kürz-lich vorgelegten Entwurf des Bundesministeriums für Er-nährung und Landwirtschaft für eine „Nationale Strategie für die Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertig-produkten“. Dieser unterstütze zwar die Reformulierung (=  Änderung der Rezeptur) von sehr salz-, zucker- und fettreichen Lebensmitteln und spreche sich auch für eine Einschränkung der Werbung ein, setze aber weiterhin auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Doch diese Strategie reiche nicht aus. Das habe man kürzlich auf EU-Ebene feststellen müssen. Hier blieb das Bekennt-nis der Lebensmittelkonzerne, freiwillig auf Kindermarke-tingmaßnahmen zu verzichten, völlig wirkungslos. Diese Erfahrung sollte bei der nationalen Strategie nicht igno-riert werden.

Es seien gesetzliche Maßnahmen notwendig, um nach dem Vorbild anderer europäischer Länder die hohe Zucker-aufnahme in der Bevölkerung zu reduzieren und das An-steigen der dadurch mitverursachten Erkrankungen wie Adipositas und Stoffwechselerkrankungen einzudämmen.

Die Kosten ernährungsbedingter Erkrankungen, wie bei-spielsweise Diabetes oder Bluthochdruck, würden auf jähr-lich 70 Milliarden Euro geschätzt, so der AOK-Vorstandsvor-sitzende. Ärgerlich sei, dass das Engagement der AOK im Bereich der Prävention und Gesundheitsinformation im-mer wieder durch die massive und ausgefeilte Werbung für Produkte mit zu hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt konterkariert werde, insbesondere wenn sie sich an Kin-der richtet.

Die Forderungen im Einzelnen: → Veränderung der Rezepturen von Fertigprodukten

(= Reformulierung) mit verpflichtenden Zielen zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertig-produkten. Dabei ist zu beachten, dass diese nicht mit einer Erhöhung der Energiedichte einherge-hen.

→ Verbot der Werbung für Lebensmittel mit einem be-sonders hohen Gehalt an Zucker, Fett oder Salz, die sich an Kinder richtet.

→ Bessere, laienverständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln, die alle Bevölkerungsschichten er-reicht, wie die Lebensmittelampel.

Was macht das Ausland in Sachen Zuckerreduktion?Der Blick ins europäische Ausland zeigt, dass einige euro-päische Länder auf gesetzgeberische Maßnahmen setzen. Länder wie Großbritannien, Frankreich, Norwegen oder Un-garn haben Steuern auf zuckerhaltige Getränke und/oder Lebensmittel eingeführt. In Großbritannien, Norwegen, Schweden oder Irland gilt außerdem ein Werbeverbot für stark zuckerhaltige Lebensmittel, wenn sich die Werbung an Kinder richtet. In Großbritannien, Frankreich und der Schweiz hat man überdies Vereinbarungen mit der Lebens-mittelindustrie getroffen, um den Zucker-, Salz- und Fettge-halt in Lebensmitteln sukzessive abzusenken.

eRNÄHRUNGSBILDUNG

Page 52: Heft 10-11/2017

52 SUB 10-11/2017

eRNÄHRUNGSBILDUNG

ERN

ÄH

RUN

GS-

BI

LDU

NG

Dr. Graham MacGregor, Initiator der Kampagne „Action on Sugar“ in Großbritannien zeigte auf, wie England in den letzten Jahren bei der Zuckerreduktion in „Sugar reduction summits“ vorgegangen ist. Ähnlich wie bei der zuerst vor-genommenen Reduktion von Salz in Lebensmitteln wurden mit der Industrie konkrete Vereinbarungen getroffen, in wel-chen Schritten der Gehalt an Zucker in welchen Lebensmit-teln reduziert wird. Damit Verbraucher die Produkte weiter-hin akzeptieren, sei es notwendig, die Mengen an Zucker oder Salz langsam über Jahre abzusenken, sodass sensorisch kein Unterschied wahrgenommen wird. Produkte, die über den Vereinbarungen lagen, wurden höher besteuert. Um eine höhere Besteuerung von sehr salz- und sehr zuckerrei-chen Lebensmitteln werde man nicht umhin kommen, so die Meinung von Dr. MacGregor. Im Gegenzug dazu sollten Lebensmittel wie Obst und Gemüse steuerlich begünstigt, außerdem ein Verbot der Werbung für ungesunde Lebens-mittel durchgesetzt werden.

Strategien des Kindermarketing Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg berichtete über die Strategien der Industrie bei der Bewerbung von Kinderlebensmitteln und zeigte auf, wieso Kinder dafür be-sonders empfänglich sind. Er plädierte für ein gesetzliches Verbot und steht damit nicht alleine da. Einschränkungen und Verbote von Kindermarketing empfehlen auch die WHO und die OECD. Über Ausmaß und Wirkung von Kindermarke-ting läge eine breite empirische Befundlage vor.

Kindermarketing bediene sich einer bestimmten emoti-onalen Ansprache, die aufgrund der entwicklungsbedingten Einschränkungen bei Kindern und Jugendlichen besonders gut funktioniert.

Laut Effertz liegen folgende entwicklungsbedingte Ein-schränkungen vor:

→ Mangelnde Emotionsbalance und -kontrolle, → schwankende Risikofreude, → fehlerhafte Wahrnehmung und Informationsver-

arbeitung ohne auf Erfahrungen zur Korrektur zu-rückgreifen zu können,

→ Impulsivität, die zu spontanen Käufen führt.

Eine aktuelle Studie, die Effertz für die AOK zum Kindermar-keting für Lebensmittel im Internet und Fernsehen durch-führte, zeigt, dass mehr als 60 Prozent aller Webseiten für Lebensmittel Elemente enthalten, mit denen Kinder zum Konsum animiert werden sollen. Unter den über 300 un-tersuchten Internetauftritten sind besonders viele Unter-nehmen, die sich auf EU-Ebene freiwillig dazu verpflichtet haben, auf das Kindermarketing zu verzichten. Kindermar-keting hat vor allem in den sozialen Medien zugenommen, so Effertz. Damit werden Kinder immer häufiger von Wer-

bung für ungesunde Lebensmittel angesprochen. Bei der Ausweitung des Kindermarketings im Onlinebereich spielt die Vernetzung von Internetauftritten der Unternehmen mit sozialen Medien eine große Rolle. Das Liken und Teilen sol-cher Beiträge sorgt laut Effertz dafür, dass sich Kinder an-ders als bei Fernsehwerbung aktiver mit den Werbeinhalten auseinandersetzen. Außerdem profitieren die Unternehmen von einem besonders starken Multiplikatoreneffekt.

Ansätze für Public-Health-Maßnahmen bei ZuckerProfessor Ilona Kickbusch vom Global Health Centre in Genf, die an der Verfassung der Ottawa-Charta von 1986 mit betei-ligt war, plädierte dafür, den Lebensweltansatz der Gesund-heitsförderung zu erweitern. Bisher heißt es in der Ottawa Charta: Die Gesundheit in der alltäglichen Lebenswelt zu fördern – dort wo Menschen leben, arbeiten, spielen… Dies müsse ergänzt werden um: …konsumieren, reisen, googlen. Die Public Health Maßnahmen bei Rauchen hätten uns ge-zeigt, wie es auch beim Zucker gehen kann. Beim Rauchen war das Zusammenspiel verschiedener Strategien erfolg-reich, wie steuerliche Maßnahmen, Regulierung von Set-tings, Werbebeschränkung und Veränderung von Normen und Kennzeichnung. Die Problemsicht hinsichtlich Zucker sei bei Industrie, Politik und Public Health grundsätzlich ver-schieden: Die Industrie und die Politik setzten bei dem Ver-such, das Problem zu lösen, vor allem auf das Verhalten des Einzelnen und demnach auf eine verstärkte Aufklärung der Verbraucher. Aus Public Health Sicht muss in den Lebenswel-ten und mit vielfältigen Interventionen – auch steuerlichen – angesetzt werden. Beim Zucker sollte der erste Ansatz auf den Süßgetränken liegen. Eine Steuer auf Süßgetränke würde das Kaufverhalten beeinflussen und darüber auch das Angebot verändern. Die Steuereinnahmen könnten für gesundheitsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden, wie

→ Bild 1: Der Internist Prof. Dr. Graham MacGregor berichtet von den

erfolgreichen Maßnahmen zur Reduktion von Zucker und Salz in

Lebensmitteln in England (beide Fotos: AOK-BV/Melchior).

Page 53: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 53

eRNÄHRUNGSBILDUNG

ERN

ÄH

RUN

GS-

BI

LDU

NG

man es von anderen Ländern kennt. Freiwilligkeit helfe hier nicht weiter, wie der EU-Pledge, eine freiwillige Selbstver-pflichtung der führenden Nahrungsmittel- und Getränke-hersteller, auf Kindermarketing zu verzichten, gezeigt habe.

Reduktionsstrategie des Discounters LidlJan Bock, der Einkaufsleiter bei Lidl, stellte die Reduktions-strategie des Discounters für Zucker vor. Der Discounter hat sich das Ziel gesetzt, bei den Eigenmarken, die 80 Prozent des Lidl-Sortimentes ausmachen, den durchschnittlichen Gehalt an zugesetztem Zucker und zugesetztem Salz bis 2025 um 20 Prozent zu reduzieren. In Cerealien z. B. wurde der (insgesamt enthaltene) Zucker seit 2008 um 23 Prozent, im Fruchtjoghurt der Zuckergehalt seit 2016 um 16 Prozent reduziert und der Salzgehalt in Pizzen seit 2008 um 18 Pro-zent verringert. Bei weiteren Lebensmittelgruppen würde überprüft, in welchen Schritten der Zucker- und Fettgehalt reduziert werden könne. Diese Reduktionsstrategie ist Kern des Positionspapieres „Bewusste Ernährung“. Bock erhoffe sich eine Sogwirkung auf andere Handelsunternehmen, ähnliche Schritte zu unternehmen. Dafür spreche, dass auch der Handelskonzern Rewe vor kurzem eine Reduktionsstra-tegie verkündet hat.

Erfolgsfaktoren zuckerreduzierter LebensmittelMichael Lessmann, Produktmanager bei Kraft Heinz, zeigte am Produkt Heinz Tomatenketchup die zentralen Heraus-forderungen einer Zucker- und Salzreduktion auf. Oberste Priorität bei Verbrauchern hätten der Geschmack und die Textur und Farbe des Ketchups. Um dies zu erreichen bei der Verwendung von 50 Prozent des im Original eingesetzten Zucker- und Salzanteils, waren mehr als zehn Jahre Entwick-lungszeit notwendig. Möglich gemacht haben es schließlich

eine spezielle Stevia-Variante und ein höherer Tomatenan-teil als im Original. In Blindverkostungen würden Verbrau-cher keinen geschmacklichen Unterschied erkennen. Wei-tere Erfolgsfaktoren neben dem gewohnten Geschmack seien dem Verbraucher die Auswahl – „Original“ oder „mit weniger Zucker“, außerdem eine Anpassung der Kommu-nikation und eine gleichbleibende Qualität sowie das ge-wohnte Preis-Leistungsverhältnis.

Was bedeutet Zuckerreduktion für unsere Lebens-mittel?Günter Tissen, Hauptgeschäftsführer Wirtschaftliche Vereini-gung Zucker e. V., sieht die Zuckerreduktion – naturgemäß – kritisch. Weniger Zucker bedeute beispielsweise bei Backwa-ren, dass das Gebäck kleiner werde, oder wenn statt Zucker Mehl verwendet würde, die Kalorienzahl letztendlich gleich bleiben würde. Zuckerersatz bedeute auch Einsatz von Zu-ckeraustauschstoffen mit den bekannten Nebenwirkungen. Außerdem sei grundsätzlich die Frage, ob nicht andere Maß-nahmen gegen Übergewicht ergriffen werden müssen, als sich allein auf den Zucker zu konzentrieren.

Gesundheitskompetenz von Eltern gefordertEine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung von Mat-tea Dallacker vom Max-Planck-Institut für Bildungs-forschung in Zusammenarbeit mit der Universität Mannheim mit 305 Eltern-Kind-Paaren zeigt, dass der Zu-ckergehalt in Produkten von Eltern meist unterschätzt wird. Beispiel Fruchtjoghurt: 92 Prozent der Eltern unter-schätzten den Zuckergehalt in einem handelsüblichen 250-Gramm-Fruchtjoghurt. Geschätzt wurde der Zucker-gehalt auf vier Würfelzucker, die tatsächliche Menge lag bei elf Stück Würfelzucker. Gleichzeitig untersuchte man den Body-Mass-Index und stellte einen Zusammenhang zwischen Fehleinschätzung und Gesundheitszustand der Kinder fest. Je stärker die Eltern den Zuckergehalt der Pro-dukte unterschätzten, umso höher ist der Body-Mass-In-dex der Kinder. Genaugenommen hängt die elterliche Zuckerunterschätzung mit einer doppelt so hohen Wahr-scheinlichkeit von Übergewicht bei Kindern zusammen. Eine bessere, laienverständliche Kennzeichnung kann El-tern helfen, den Zuckergehalt von Produkten besser ein-zuschätzen, so das Resümee der Referentin.

Die einzelnen Präsentationen der Redner sind einzusehen unter: http://aok-bv.de/engagement/index_18663.html

ANGELA DIETZ KOMPeTeNZZeNTRUM FÜR eRNÄHRUNG [email protected]

→ Bild 2: Sie sind sich einig: Gesetzgeberische Maßnahmen und eine

verständlichere Kennzeichnung der Lebensmittel würden den

Zuckerkonsum reduzieren. Von links: Die Referenten Prof. Dr. Graham

MacGregor und Prof. Dr. Ilona Kickbusch im Gespräch mit Martin

Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.

Page 54: Heft 10-11/2017

54 SUB 10-11/2017

eRNÄHRUNGSBILDUNG

ERN

ÄH

RUN

GS-

BI

LDU

NG

MilchwegeAuf den Spuren der Milch im Rahmen der Bayerischen Ernährungtage

von ELKE MESSERSCHMIDT: „Milchwege“ lautete das Thema des Entdeckerspaziergangs, zu dem das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Uffenheim Verbraucher im Landkreis eingeladen hatte. Seit einigen Jahren bietet der Milchhof Ströbel in einem nahe-gelegenen Supermarkt seine Milch und Milchprodukte zum Verkauf an. Die Kunden des Super markts waren eingeladen, diesen Lieferanten kennenzulernen und sich während des Spaziergangs Wissen zur Milch anzueignen.

Sowohl der Supermarkt als auch der Milchhof Ströbel waren begeistert von der Idee und wirkten gerne an der Veranstal-tung mit. Allerdings ist die sechs Kilometer lange Fußstrecke herausfordernd, da der Weg durch eine hügelige Gegend führt. Ein Landwirt, der von dem Spaziergang erfahren hatte, erklärte sich spontan bereit, die Gruppe mit Planwagen und Traktor zu begleiten. So konnte die Rückfahrt und ein bei Hitze beschwerliches Wegstück im Planwagen zurückgelegt werden. Die Werbung erfolgte über Plakataushänge, Inter-net, Zeitungsartikel und Gemeindeblätter. 15 Verbraucher interessierten sich für die Tour.

Startpunkt SupermarktAlle Teilnehmer trafen sich bei sommerlich heißen Tempe-raturen im Rewe Markt Markt Erlbach. Marktleiterin Tanja Graf informierte über die Bedeutung regionaler Produkte im Supermarkt sowie die betriebseigenen regionalen Liefer-strukturen: „Mir ist wichtig, die heimischen Lieferanten zu stärken. Jeder Rewe hat einen Spielraum, sich eine regio-nale Liefergruppe zusammenzustellen, ohne dass eine um-fangreiche Betriebslistung erfolgen muss“. Mit dem Milchhof Ströbel arbeitet Graf seit fünf Jahren erfolgreich zusammen, die Nachfrage nach den Produkten ist groß.

Im Supermarkt gab es noch mehr zu entdecken: Welche Informationen finden sich auf der Verpackung? Homogeni-siert, pasteurisiert, länger haltbar – was sind da die Unter-schiede? Auch andere regionale Milchsorten (in diesem Fall „Echt Franken“ und „Frankenland“) wurden gezeigt und die Besonderheiten gegenübergestellt.

Mit dem Planwagen auf dem MilchwegMit dem Planwagen des Milchbauern Heinz Weiskopf legte die Gruppe die erste Etappe nach Altziegenrück zurück. Un-terwegs gab es Informationen zur Landwirtschaft im Land-kreis und zur Milchproduktion in Bayern. Dann ging es ans Butterschütteln: Circa 20 Liter Milch – die Tagesmenge einer Milchkuh – sind notwendig um fünf Päckchen Butter herzu-stellen. Die kleine Menge während der Fahrt reichte für eine Stärkung unterwegs. Begeistert strichen sich die Teilnehmer die selbstgeschüttelte Butter auf das Brot.

„Wir lassen die Kuh raus“Beim Zwischenstopp auf dem Biobetrieb Hildner erklärte der Betriebsleiter den Unterschied zwischen konventio-neller und biologischer Milchviehhaltung. „Unsere Kühe sind circa  180 Tage auf der Weide. Allerdings kann ich

eRNÄHRUNGSBILDUNG

→ Bild 1: Ausgangspunkt – das Milchsortiment im Supermarkt

(alle Fotos: Nicoleta Culiuc, KErn).

→ Bild 2: Was man aus Milch alles machen kann – Butter schütteln im

Planwagen an Station 2.

Page 55: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 55

eRNÄHRUNGSBILDUNG

ERN

ÄH

RUN

GS-

BI

LDU

NG

die Milch momentan nicht regional vermarkten“, erklärte Hildner. Damit punktet der Milchhof Ströbel, zu dem die Gruppe nun zu Fuß weiter wanderte. Dabei ging es circa eine Stunde über Wiesen und an Maisfeldern entlang. „Bei-des sind wichtige Futterquellen für die Kuh“, informierte Elke Messerschmidt, die Ansprechpartnerin des Amtes. „Die Kräuter der Wiese sind z. B. wichtig für den Calcium-gehalt der Milch. Und das wiederum ist ein wichtiger Nähr-stoff für den Knochen des Menschen. Eine Kuh frisst übri-gens 20 Kilogramm Trockenfutter am Tag und säuft dazu 120 Liter Wasser.“ Immer wieder hielt die Gruppe an für Hinweise rund um das Thema Milch, die Kuh und die Ver-marktung von Milchprodukten.

Endlich am Ziel!Auf dem Milchhof Ströbel lernte die Gruppe schließlich den Lieferanten für die regionale Rewe-Milch bei einer Be-triebsführung kennen. Das Betriebsleiterehepaar gab be-reitwillig Auskunft über den Hof und ermöglichte so einen Einblick in die moderne Milchkuhhaltung. Die Kälbchen, das Tierfutter, der Melkroboter – kein Thema blieb außen vor. Das Besondere am Milchhof Ströbel ist die eigene Mol-kerei. Der größte Teil der Milch wird zu Joghurt, Quark, Frischkäse und Molke weiterverarbeitet und selbst ver-marktet. Ein Blick durch das Fenster in die Molkerei über-zeugte die Teilnehmer von der Qualität. Im Hof konnten die Produkte nun verkostet werden: Eine willkommene und wohlschmeckende Erfrischung nach den vielen In-formationen.

Fazit einer Teilnehmerin: „Eigentlich weiß man ja einiges, aber es ist toll, wenn die Milch im Supermarkt auf diese Arte ein Gesicht bekommt und man neu entdeckt, was in und hinter der Milch steckt.“

ELKE MESSERSCHMIDTAMT FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTeN [email protected]

→ Bild 3: Unterwegs entdeckt: Futter für die Kuh – Elke Messerschmidt,

Ansprechpartnerin des Amtes informiert.

→ Bild 4: Die Milch bekommt ein Gesicht: An Station vier gibt Landwirt

Ströbel (links) Einblicke in die Milchviehhaltung.

→ Bild 5: Das schmeckt: Milchprodukte werden verkostet – nach dem

langen heißen Weg eine willkommene Erfrischung.

Page 56: Heft 10-11/2017

56 SUB 10-11/2017

MARKT

MA

RKT

Die Entwicklung des bayerischen Ernährungsgewerbes 2016

von JOSEF HUBER und HERBERT GOLDHOFER: Die Verkaufserlöse des Produzierenden Ernährungsgewerbes in Bayern stiegen 2016 auf ein Rekordhoch, knapp ein Fünftel davon stammte vom Exportgeschäft. Gemessen am Umsatz, der Zahl der Beschäftigten und Be-triebe gehört es jeweils zu den vier bedeutendsten Wirtschaftsklassen des Verarbeitenden Gewerbes in Bayern. Innerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige des Produzierenden Ernäh-rungsgewerbes steht die Milchverarbeitung, gemessen an den Gesamteinnahmen, auf dem ersten Rang, gefolgt von den Schlachtereien und Fleischverarbeitern sowie den Herstellern von Backwaren und Dauerbackwaren. Auch das Ernährungshandwerk konnte im vergan-genen Kalenderjahr eine Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr verbuchen, allerdings verminderte sich abermals die Gesamtzahl der Handwerksbetriebe, während die Summe der Beschäftigten anstieg.

Das bayerische Ernährungsgewerbe wird unterteilt in das Ernährungshandwerk und das Produzierende Ernährungs-gewerbe, wobei letzteres auch als Ernährungsindustrie be-zeichnet wird.

Im Jahresbericht des bayerischen Landesamtes für Sta-tistik für das Verarbeitende Gewerbe in Bayern werden Betriebe mit im Allgemeinen 20 und mehr Beschäftig-

ten erfasst. In bestimmten, kleinbetrieblich strukturierten Wirtschaftszweigen mit nur geringem Personalbestand gilt eine Grenze von zehn Beschäftigten (z. B. Herstellung von Futtermitteln und Malz). Seit Januar 2007 werden nur noch Betriebe mit 50 und mehr Beschäftigten monatlich befragt, alle anderen einmal im Jahr. Von Januar 2009 an wird das Produzierende Ernährungsgewerbe gemäß der

MARKT

→ Abbildung 1: Umsatzentwicklung des Produzierenden Ernährungsgewerbes in Bayern seit 2006

Abb. 1: Umsatzentwicklung des Produzierenden Ernährungsgewerbesin Bayern seit 2006

21,4 22,6

23,5 22,8 23,3 25,3 26,0

27,1 27,8 27,6 28,0

0

5

10

15

20

25

30

2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Mrd. Euro

Quelle: Bay. LfStat.

Page 57: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 57

MARKT

MA

RKT

„Klassifikation der Wirtschaftszweige“ aus dem Jahr 2008 in zwei getrennten Wirtschaftsklassen, der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln sowie der Getränkeherstel-lung, ausgewiesen.

Umsatz der Ernährungsindustrie erreicht HöchststandZum Umsatz zählen alle im Berichtszeitraum in Rechnung gestellten Lieferungen und Leistungen ohne Mehrwert-steuer. Mit Gesamterlösen von 28 Mrd. Euro belegte das Produzierende Ernährungsgewerbe 2016 den vierten Platz unter allen Wirtschaftsklassen des Verarbeitenden Gewer-bes in Bayern – nach den Herstellern von Kraftwagen und Kraftwagenteilen, dem Maschinenbau sowie den Herstellern von DV-Geräten, elektronischen und optischen Erzeugnis-sen. Der Gesamtumsatz des Produzierenden Ernährungs-gewerbes stieg gegenüber dem Vorjahr um 1,2 Prozent und erreichte einen neuen Rekordwert (Abbildung 1). Seit 2006 stiegen die Verkaufserlöse um durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahr.

Milchverarbeitung verbuchte rückläufige ErlöseDie wichtigste Branche der bayerischen Ernährungswirt-schaft ist seit vielen Jahren die Milchverarbeitung. In diesem Wirtschaftssektor wurde im letzten Jahr ein Umsatz von 9,8 Mrd. Euro erwirtschaftet (Tabelle 1). Die Molkereien mussten bei den Verkäufen von Milch- und Milcherzeugnissen auf Grund des Preisdrucks des Lebensmitteleinzelhandels eine

Minderung von 3,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr hin-nehmen, bei gleichzeitig leicht gestiegenen Herstellungs-mengen. Die Milchverarbeitung hat trotz dieser Verluste in Bayern einen Anteil am Gesamtumsatz des Produzierenden Ernährungsgewerbes von über einem Drittel (34,9 Prozent). Im Bundesgebiet nimmt die Milchwirtschaft mit einem An-teil von nur 13,2 Prozent den zweiten Rang ein.

Geflügelschlachtungen wieder gestiegenAuch der Wirtschaftszweig Schlachten und Fleischverarbei-tung hat in Bayern traditionell eine große wirtschaftliche Bedeutung. Gemessen an den Verkaufserlösen belegt der Sektor den zweiten Platz in der Lebensmittelindustrie. Der Umsatz stieg um 3,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 4,7 Mrd. Euro. Herbeigeführt wurde die Erhöhung vor al-lem durch die um rund 34 Prozent gestiegenen Schlachter-löse bei Geflügelfleisch, weil die Firma Wiesenhof nach dem Brandschaden im Vorjahr in Bogen den Schlachtbetrieb wieder aufnahm. Der Anteil an den gesamten Einnahmen des Produzierenden Ernährungsgewerbes betrug 16,6 Pro-zent. In Deutschland waren es dagegen 24,3 Prozent, wo-durch dieser Sektor im Bundesgebiet an erster Stelle stand.

Backwaren wachsen überdurchschnittlichDie Hersteller von Backwaren und Dauerbackwaren verkauf-ten Erzeugnisse im Wert von rund 3,0 Mrd. Euro und konnten trotz des harten Wettbewerbs ein Wachstum von 4,8 Prozent

erreichen. Die Exportquote bei diesem Wirtschaftsseg-ment erreicht mit 4,6 Pro-zent nur knapp ein Viertel der gesamten Ernährungs-industrie. Nach Angaben der Munich Strategy Group gehört die Backwarenbran-che zu den wenigen dauer-haft überdurchschnittlich wachsenden Bereichen bei den Lebensmittelherstel-lern. Einen Grund für diese Entwicklung liefert eine deutschlandweite Bran-chenstudie der HSH-Nord-bank, wonach die Profitabili-tät bei Back– und Teigwaren gemessen an der EBIT- und Rohertragsmarge über der von anderen Teilbranchen der deutschen Nahrungs-mittelindustrie liegt.

→ Tabelle 1: Produzierendes Ernährungsgewerbe in Bayern 2016

Wirtschaftszweig (H. v. = Herstellung von ...)

Umsatz Mrd. €

Zahl der Betriebe

Zahl der Beschäftigten

Milchverarbeitung 9,8 77 17 200

Schlachten und Fleischverarbeitung 4,7 232 19 100

H. v. Backwaren und Dauerbackwaren 3,0 418 48 700

H. v. Bier 2,1 110 9 800

Obst- und Gemüseverarbeitung* 1,3 48 6 200

Mineralwassergew., H. v. Erfrischungsgetränken

1,1 36 4 400

H. v. Futtermitteln 1,0 42 1 800

H. v. Süßwaren 0,7 23 3 600

H. v. Würzen und Soßen 0,6 17 2 200

Mahl- und Schälmühlen 0,6 16 3 100

H. v. homogenisierten und diätetischen Nahrungsmitteln

0,3 6 1 100

Übriges Ernährungsgewerbe 2,8 79 10 100

Produzierendes Ernährungsgewerbe zusammen

28,0 1 104 127 300

Betriebe von Unternehmen mit im Allgemeinen 20 und mehr Beschäftigten. * einschließlich Verarbeitung von Kartoffeln sowie Herstellung von Frucht- und Gemüsesäften. Quelle: Bay. LfStat.

Page 58: Heft 10-11/2017

58 SUB 10-11/2017

MARKT

MA

RKT

Brauereien erhöhen Absatz beim ExportEin weiterer weltbekannter Wirtschaftszweig des bayeri-schen Lebensmittelgewerbes ist die Bierherstellung. Die bayerische Brauereiwirtschaft kennzeichnet das Nebenei-nander von vielen kleineren und einigen größeren Brau-ereien. In den 624 Braustätten werden über 40 verschie-dene Biersorten gebraut. Die daraus hergestellten rund 4  000 Markenspezialitäten stellen rund 70 Prozent aller deutschen Biermarken dar. Wegen des positiven Saldos aus Stilllegung traditioneller Braustätten und Gründung von Gasthausbrauereien und Kleinbrauereien ohne Gasthaus-bindung („Craft-Brauereien“) hat sich die Zahl der Braustät-ten seit 2014 leicht erhöht. Als „Craft-Brauereien“ werden zumeist kleine Spezialbrauereien bezeichnet, die individu-elle Biere mit neuen Geschmacksrichtungen im Rahmen des Reinheitsgebots brauen. Die Brauereien in Bayern er-zielten 2016 einen Umsatz von rund 2,1 Mrd. Euro. Das um 2,1 Prozent wertmäßig gestiegene Exportgeschäft der bay-erischen Brauereien half den Gesamtumsatz im Vergleich zum Vorjahr um 1,0 Prozent zu steigern. Der inländische Bier-Pro-Kopf-Konsum sank im Jahresvergleich um 1,8 auf 104,1 Liter.

Die anderen in der Tabelle 1 aufgeführten Zweige ha-ben hinsichtlich ihrer Umsätze, der Zahl der Betriebe und Beschäftigten einen geringeren Umfang. Auf die nicht aus-

gewiesenen Bereiche, die in der Tabelle als „übriges Ernäh-rungsgewerbe“ zusammengefasst sind, entfiel ein Umsatz von 2,8 Mrd. Euro.

Auslandsumsatz sank geringfügigBeim Auslandsumsatz werden die Direktumsätze der Be-triebe mit Abnehmern im Ausland und Lieferungen an in-ländische Firmen, die die bestellten Waren ohne weitere Be- und Verarbeitung exportieren, zusammengefasst. Die dabei ermittelten Zahlenangaben sind nicht mit den Aus-fuhren der ernährungswirtschaftlichen Außenhandelssta-tistik vergleichbar, da beträchtliche Unterschiede bei den Erhebungskonzepten bestehen. In der Außenhandelssta-tistik werden beispielsweise lebende Tiere, Getreide sowie Rohtabak und Tabakwaren zusätzlich erfasst.

Der Auslandsumsatz erreichte 2016 einen Wert von rund 5,56 Mrd. Euro; damit wurde knapp ein Fünftel des ernäh-rungswirtschaftlichen Umsatzes auf Auslandsmärkten er-wirtschaftet. Der Umsatzrückgang beim Export fiel mit 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr merklich schwächer aus als 2015 (–1,5 Prozent). Auf Grund der vergleichsweise guten wirtschaftlichen Entwicklung im Inland stieg der wertmä-ßige Binnenabsatz um 1,6 Prozent. In Abbildung 2 ist die re-lative Entwicklung der Auslands- und der Inlandsumsätze seit der Einführung des Euro als Barzahlungsmittel zum

→ Abbildung 2: Relative Entwicklung der Auslands- und Inlandsumsätze des Produzierenden Ernährungsgewerbes Bayerns (2002 = 100)

Abb. 2: Relative Entwicklung der Auslands- und Inlandsumsätze des Produzierenden Ernährungsgewerbes Bayerns (2002 = 100)

103,8

110,1

118,0

125,2

136,0

139,9

130,8

138,8

160,0 163,2

167,4

178,2 175,5 175,1

101,7

105,7 103,0

104,6

109,4

114,4 111,5

113,4

120,9 124,6

130,4 132,6 132,1

134,2

100

120

140

160

180

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Auslandsumsatz Inlandsumsatz

%

Quelle: Bay. LfStat. - eigene Berechnungen.

Page 59: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 59

MARKT

MA

RKT

1. Januar 2002 dargestellt. Die Grafik veranschaulicht über einen längeren Zeitraum die Bedeutung der Ausfuhren für die Gesamterlöse. Von 2002 bis 2016 steigerten sich die Ex-portumsätze um drei Viertel (75,1 Prozent), während die Inlandsumsätze nur um 34,2 Prozent zulegten. Beim Pro-duzierenden Ernährungsgewerbe ist der Exportanteil am Gesamtumsatz mit 19,9 Prozent wegen der vor allem regio-nalen bayerischen und überregionalen deutschen Absatz-märkte viel geringer als beim Verarbeitenden Gewerbe ins-gesamt (52,3 Prozent).

Zahl der Betriebe erneut gestiegenZu den Betrieben zählen neben den Unternehmenszen-tralen auch alle örtlich getrennten Niederlassungen von Unternehmen sowie mit dem Betrieb verbundene Verwal-tungs- und Hilfsbetriebsteile. Die Zahl der Betriebe des Pro-duzierenden Ernährungsgewerbes hat 2016 gegenüber der Vorjahresperiode um 78 auf 1 104 zugenommen und belegte im Vergleich zu den anderen Wirtschaftszweigen des gesamten Verarbeitenden Gewerbes den ersten Platz. Innerhalb der Ernährungsindustrie ist die Verteilung unter den einzelnen Wirtschaftssektoren sehr unterschiedlich. Bei den Back- und Dauerbackwarenherstellern ab 20 Beschäf-tigten gibt es mit Abstand die meisten Betriebe (418). Bei den Schlachtereien und der Fleischverarbeitung sowie der Bierherstellung ist die Anzahl der Betriebsstätten ebenfalls noch dreistellig (232 bzw. 110). Die Milchverarbeitung folgt mit 77 Betrieben an vierter Stelle (Tabelle 1). Der Durch-schnittsumsatz pro Betrieb betrug 2016 im Produzieren-den Ernährungsgewerbe in Bayern 25,4 Mio. Euro. In den verschiedenen Wirtschaftszweigen schwanken die Durch-schnittsumsätze beträchtlich. Sie liegen bei den zur Veröf-fentlichung freigegebenen Zahlenangaben zwischen 7,2 Mio. Euro bei den Backwarenherstellern und 127,3 Mio. Euro bei den Molkereien. In einigen Betriebszweigen gibt es in Bayern weniger als vier Betriebe mit 20 und mehr Beschäf-tigten, so dass aus Gründen des Datenschutzes keine Ver-öffentlichung der Umsätze und der Zahl der Beschäftigten erfolgt. Die Zahl der Betriebe dieser Sektoren wird nachfol-

gend in Klammern angege-ben. Nicht einzeln bekannt gegeben wurden deshalb die Daten der Hersteller von Zucker (3), Speiseeis (2), Stärke (2), Teigwaren (2), Ap-fel- und Fruchtwein (1) so-wie Wermutwein (1). Bei der Herstellung von Spirituosen gibt es zwar sechs Betriebe, aber weniger Unternehmen.

Zahl der Beschäftigten erhöhte sich um fast 5 Prozent Als Beschäftigte zählen alle im Betrieb tätigen Personen, wie Inhaber, Angestellte und unbezahlte mithelfende Fa-milienangehörige, soweit sie dort mindestens ein Drittel der üblichen Arbeitszeit tätig sind. Die bayerische Ernäh-rungsindustrie beschäftigte im letzten Jahr 127 300 Per-sonen. Damit ist das Produzierende Ernährungsgewerbe nach dem Maschinenbau und den Herstellern von Kraftwa-gen und Kraftwagenteilen der drittwichtigste Arbeitgeber aller Wirtschaftsklassen. Gegenüber dem Vorjahr bedeu-tete dies einen Anstieg um 4,8 Prozent. Wie die Tabelle 1 zeigt, waren die Backwarenhersteller, zusammen mit den Schlachtereien einschließlich Fleischverarbeitung, Molke-reien und Brauereien mit fast dreiviertel (74,5 Prozent) al-ler Beschäftigten die wichtigsten Arbeitgeber. Pro Betrieb waren durchschnittlich rund 115 Personen beschäftigt. Bei den einzelnen Wirtschaftssegmenten reicht die Zahl der im Mittel Beschäftigten pro Betrieb von rund 33 bei den Malz-produzenten bis 223 bei den Molkereien. Für den Durch-schnitt des Produzierenden Ernährungsgewerbes ergibt sich für Bayern ein Umsatz pro Beschäftigtem von rund 220 000 Euro. Die Spannbreite lag zwischen 62 000 Euro bei den Backwarenherstellern und 570 000 Euro bei den Molkereiunternehmen.

ErnährungshandwerkDie bayerischen Ernährungshandwerke werden in der Re-gel als klein- und mittelständische Betriebe geführt. Spe-ziell in ländlichen Gebieten sichern sie die Nahversorgung und tragen maßgeblich zur regionalen Wertschöpfung so-wie dem Erhalt qualifizierter Arbeitsplätze bei. Zum bay-erischen Ernährungshandwerk zählen Bäcker, Metzger, Brauer, Weintechnologen, Mälzer, Müller und Kondito-ren. Nach Angaben des Bayerischen Handwerkstages hat sich der Umsatz des Handwerks im Ernährungsgewerbe 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 1,7 Prozent auf rund 8,84 Mrd. Euro erhöht. Demgegenüber hat sich die Zahl der Betriebe im selben Zeitraum um 2,2 Prozent auf insge-samt 8 597 verringert, während die Zahl der Beschäftigten

→ Tabelle 2: Ernährungshandwerk in Bayern 2016

Handwerkszweig Umsatz Mrd. €

Zahl der Betriebe

Zahl der Beschäftigten*

Metzgerhandwerk 4,09 3 857 37 360

Bäckerhandwerk 3,45 2 539 61 030

Übriges Ernährungshandwerk 1,30 2 201 19 110

Ernährungshandwerk zusammen 8,84 8 597 117 500

* Metzger und Bäcker: sozialversicherungpflichtig und geringfügig entlohnte Beschäftigte; Ernährungshandwerk zusammen: zusätzlich tätige Unternehmer (geschätzt).Quellen: Bay. Handwerkstag, Bay. LfStat, Stat. Bundesamt, ZDH, Bäckerinnung Bayern.

Page 60: Heft 10-11/2017

60 SUB 10-11/2017

MARKT

MA

RKT

um 0,4 Prozent auf rund 117 500 anstieg (Tabelle 2). Die Umsatz- und Beschäftigtendaten ab 2012 beruhen auf der Handwerkszählung von 2009 und sind mit früheren Veröf-fentlichungen nicht mehr vergleichbar, weil zusätzlich Un-ternehmen des Großhandwerks miterfasst wurden, welche zum Teil auch beim Produzierenden Ernährungsgewerbe statistisch erfasst werden.

Gegenwärtig sind Angaben für einzelne Handwerks-gruppen nur für Bäcker und Metzger verfügbar, welche miteinander rund 85 Prozent des Umsatzes, 74 Prozent der Betriebe sowie fast 84 Prozent der Beschäftigten des Ernäh-rungshandwerks ausmachen.

Weniger Metzgereien mit mehr UmsatzIm Metzgerhandwerk gab es nach Veröffentlichungen des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und des bayerischen Statistischen Landesamtes in Bayern 2016 noch 3 857 Betriebe (–3,3 Prozent) mit rund 4,09 Mrd. Euro Jah-resumsatz (+1,2 Prozent) und 37 360 Beschäftigten (+0,4 Pro-zent). Damit erlöste ein Handwerksbetrieb im Durchschnitt 1,06 Mio. Euro und beschäftigte nahezu zehn Mitarbeiter. Zur Verbesserung der Marktstellung wirbt das Fleischer-handwerk mit einer ganzheitlichen Begriffsbestimmung von Regionalität. Darunter versteht man die Verbindung der ört-lichen Erzeugung mit der Verarbeitung, Vermarktung, Schaf-fung und Erhalt von Arbeitsplätzen sowie der Nahversor-gung der Verbraucher. Dank Imbiss und „Heißer Theke“ in Metzgereien, Catering mit Party-Service sowie dem Einsatz mobiler Verkaufsstände auf Wochenmärkten und für den Tourendienst wurden neue Absatzkanäle erschlossen und die Marktstellung verbessert.

Handwerksbäckereien: Wachsen und weichenBei den in der Handwerksrolle eingetragenen Handwerks-bäckereien hat sich der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 2,7 Prozent auf 3,45 Mrd. Euro gesteigert. Im gleichen Zeit-raum hat dagegen die Zahl der Bäckereien um 2,6 Prozent auf 2 539 abgenommen, während die Zahl der Beschäftig-ten auf 61 030 (+1,3 Prozent) stieg. Im Durchschnitt erzielte eine bayerische Bäckerei einen Umsatz von 1,36 Mio. Euro und beschäftigte 24 Mitarbeiter. Mit rund 7 600 Verkaufs-stellen (Hauptgeschäfte und Filialstandorte) sichert das Bä-ckerhandwerk die wohnortnahe Lebensmittelversorgung. In dem wettbewerbsintensiven Markt mit einem rückläu-figen Pro-Kopf-Verbrauch für Brot können die Handwerks-bäckereien nur mit ausgezeichneter Qualität, Originalität

und einer individuellen Sortimentsvielfalt bestehen. Das Bäckerhandwerk ist Umsatzspitzenreiter im Marktsegment Quick-Service-Restaurant (Snacks und Kaffee) des Au-ßer-Haus-Marktes.

Fazit und AusblickVor allem auf Grund der vergleichsweise guten wirtschaft-lichen Entwicklung im Inland erreichte der Umsatz beim Produzierenden Ernährungsgewerbe und Ernährungshand-werk 2016 jeweils einen neuen Höchststand. Auch bei den Beschäftigten verzeichnete das bayerische Ernährungsge-werbe in allen Bereichen eine Steigerung. Der Strukturwan-del mit einer abnehmenden Zahl der Betriebe setzte sich nur beim Ernährungshandwerk fort.

Im ersten Halbjahr 2017 hat das Produzierende Ernäh-rungsgewerbe bei Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten die Vorjahreswerte bei der Zahl der Betriebe (+2,1 Prozent) und Beschäftigten (+3,4 Prozent) übertroffen. Gleichzeitig erhöhte sich der Gesamtumsatz um 7,6 Prozent, zu dem die Auslandsverkäufe mit einer Zunahme um 8,8 Prozent über-durchschnittlich beitrugen.

Für das Gesamtjahr werden die Unternehmen der Er-nährungswirtschaft von den seit Jahresanfang steigenden Nahrungsmittelpreisen profitieren. Zusätzlich werden re-ale Lohnerhöhungen, die hohe Quote der Erwerbstätigkeit, das niedrige Zinsniveau sowie steigende Bevölkerungszah-len den Inlandskonsum bei Nahrungsmitteln im Gesamt-jahr voraussichtlich steigern. Von der positiven Wachstums-prognose der WTO für den Welthandel 2017 dürfen die export orientierten Betriebe steigende Auslandsumsätze erwarten.

JOSEF HUBERHERBERT GOLDHOFERBAYeRISCHe LANDeSANSTALT FÜR LANDWIRTSCHAFTINSTITUT FÜR eRNÄHRUNGSWIRTSCHAFT UND MÄ[email protected]@lfl.bayern.de

Page 61: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 61

MARKT

MA

RKT

Golf-Anrainerstaaten Mögliche Absatzmärkte für bayerische Lebensmittel

von FLORIAN SCHLOSSBERGER: Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft führte gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hannover im Frühjahr eine Tagung zu den Lebensmittelmärkten der Golfanrainerstaaten Saudi-Arabien, Katar, Oman und Vereinigte Arabische Emirate (VAE) durch. Die Veranstaltung beleuchtete die Lebens-mittelmärkte und die Absatzchancen in den vier Golfstaaten. Da die Wüstenstaaten im Lebensmittelbereich deutlich unterversorgt sind, sind sie zum größten Teil auf Lebensmittel-importe angewiesen. Letztendlich bieten die hohe Kaufkraft der Region und der wachsende Lebensmittelbedarf heimischen Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft und -exporteuren gute Absatzmärkte.

Versorgungssituation mit LebensmittelnAufgrund der geografischen Lage, den begrenzten Agrarflä-chen und den klimatischen Bedingungen ist der Umfang der landwirtschaftlichen Erzeugung und Lebensmittelherstel-lung in den vier Golfstaaten gering. Gerade die pflanzliche Produktion ist nur eingeschränkt möglich und benötigt in der Regel kostenintensive Bewässerungssysteme. In einzel-nen Staaten liegt der Selbstversorgungsgrad im pflanzlichen Bereich im einstelligen Bereich. Bei tierischen Lebensmit-teln besitzen die Länder höhere Erzeugungs- und Herstel-lungskapazitäten. Dies betrifft neben Eiern, Milch und Mol-kereiprodukte sowie die Fleischproduktion, wobei vorrangig Geflügel erzeugt wird. Seit einiger Zeit werden im tierischen Bereich und besonders in der pflanzlichen Erzeugung staat-liche Maßnahmen ergriffen, um die Versorgung der Bevöl-kerung zu verbessern.

Derzeit kann die regionale Lebensmittelproduktion der Golfanrainerstaaten nur weniger als ein Viertel des Lebens-mittelbedarfs decken, wobei die nationale Versorgungssi-tuation in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist (siehe Tabelle). Saudi-Arabien und der Oman halten mit einem Selbstversorgungsgrad von rund einem Drittel im regio-nalen Vergleich die Spitzenpositionen. Die Vereinigten Ara-bischen Emirate liegen bei einem Selbstversorgungsgrad von unter 20 Prozent, Katar erreicht lediglich zehn Prozent. Bei einigen Produktgruppen, wie Fleisch und Molkereipro-dukte, liegen die Selbstversorgungsgrade in den Ländern deutlich höher. In Saudi-Arabien, dem größten Milch- und Fleischproduzenten der Region, liegt beispielsweise der Selbstversorgungsgrad für Eier bei nahezu 100 Prozent, für Molkereiprodukte und Fleisch zwischen 50 und 60, für Gemüse bei 70, für Obst bei 50 und für Getreide bei zehn Prozent.

Wachstumspotenzial für den LebensmittelmarktDer Lebensmittelmarkt in den Golfstaaten wächst kräftig, für die nächsten Jahre wird ein jährliches Wachstums von vier bis sechs Prozent erwartet. Für einzelne Produktgrup-pen, wie z. B. Milch und Molkereiprodukte sowie Fleisch und Fleischprodukte wächst der Konsum teilweise um über zehn Prozent jährlich. Hauptgründe dafür sind das stetige Bevöl-kerungswachstum, die steigenden Einkommen, der Trend zu höherwertigen Nahrungsmitteln und der stark wachsende Tourismussektor. Daneben spielt auch die überdurchschnitt-lich junge und kauffreudige Bevölkerung sowie die höhere Lebenserwartung eine bedeutende Rolle. Da für die nächs-ten Jahre ein Konsumwachstum erwartet wird, das über der Ausweitung der Lebensmittelherstellung liegen soll, ist da-von auszugehen, dass auch mittel- und langfristig die Golf-staaten den Lebensmittelbedarf zum größten Teil nicht aus eigener Herstellung decken können.

Lebensmittelimporte und internationaler Handel Der Wert der Lebensmittelimporte in die Golfstaaten be-liefen sich 2015 auf rund 2,8 bis 2,9 Milliarden (Mrd.) US$ im Oman und in Katar, rund 11 Mrd. US$ in den VAE und knapp 20 Mrd. US$ in Saudi-Arabien (siehe Tabelle). Wich-tige importierte Produkte sind Getreide- und Getreideer-zeugnisse, Reis, Fleisch und Fleischwaren (vorrangig Geflü-gel, Rindfleisch), Obst und Gemüse bzw. -erzeugnisse, Milch und Milcherzeugnisse sowie Käse, Zucker, Speiseöl, Honig, Kaffee, Tee usw. In letzter Zeit werden auch vermehrt Pro-dukte aus ökologischer Erzeugung sowie andere, z. B. hoch-verarbeitete und Fertiggericht- bzw. Convenience-Produkte importiert und nachgefragt.

Hauptlieferanten der Golfstaaten sind u. a. Brasilien, In-dien, USA, Pakistan und Australien. Auch EU-Länder, wie z. B.

MARKT

Page 62: Heft 10-11/2017

62 SUB 10-11/2017

MARKT

MA

RKT

Frankreich und Deutschland, exportieren Lebensmittel in die Golfstaaten. Haupt-Weizenlieferanten Saudi-Arabiens sind beispielsweise Kanada, Deutschland und Litauen. Da-gegen kommen saudi-arabische Fleischimporte hauptsäch-lich aus Brasilien, Indien und Frankreich sowie Australien. Während der Hauptanteil des nach Saudi-Arabien impor-tierten Rindfleisches aus Indien stammt, kommt der größte Teil des Geflügels aus Brasilien.

Die Hauptmenge von Obst und Gemüse stammt u. a. aus Nord- und Südamerika und dem asiatischen Raum. Sowohl Saudi-Arabien als auch die Vereinigten Arabischen Emirate exportieren wiederum Lebensmittel in benachbarte Golf-staaten. Knapp die Hälfte der in die VAE importierten Le-bensmittel wird dabei weiter exportiert.

Lebensmittelhandel mit Deutschland und BayernIm Jahr 2015 betrugen die deutschen Lebensmittelexporte nach Saudi-Arabien knapp 1,4 Mrd. Euro, in die VAE 342 Mil-lionen (Mio.) Euro, in den Oman 86 Mio. Euro und nach Katar

59 Mio. Euro. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben sich die deutschen Lebensmittelexporte in die vier Golfstaaten praktisch verdreifacht.

Wichtigste exportierte deutsche Lebensmittel sind Getreide mit Weizen und Gerste, Milch- und Molkereipro-dukte und Käse sowie Backwaren und Zubereitungen aus Getreide. Außerdem werden zahlreiche weitere Rohstoffe und daraus gewonnene Lebensmittel, wie Zucker und Zu-ckererzeugnisse mit Süßwaren, Kartoffeln und Kartoffel-produkte, Säfte, pflanzliche Öle, Kakao bzw. Kakaopro-dukte, Eier, Snacks und Süßwaren sowie Spezialitäten aus Deutschland in die Golfstaaten exportiert. Neben der deut-schen Rohware, die in den Golfstaaten verarbeitet wird, sind immer mehr Lebensmittel direkt im Einzelhandel ge-listet, wie z. B. Molkereiprodukte, Gebäck, Brot, Back- und Süßwaren, Bioprodukte und Spezialitäten.

Auch bayerische Lebensmittelunternehmen exportieren erfolgreich ihre Produkte in die Golfstaaten. Im Jahr 2015 be-trugen die Exporte nach Saudi-Arabien knapp 53 Mio. Euro,

→ Tabelle: Wirtschaftliche Kenndaten von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Oman und Katar 2015

Saudi-Arabien VAE Katar Oman

Einwohner (Mio.),jährliche Wachstumsrate (%)

32,0 2,7

9,9 2,5

2,6 2,6

4,0 2,1

Bevölkerungsstruktur (%) 45,0 < 25 Jahre; 91,8 < 55 Jahre

34,5 < 25 Jahre95,9 < 55 Jahre

25,1 < 25 Jahre; 95,6 < 55 Jahre

49,8 < 25 Jahre92,8 < 55 Jahre

Anteil an Zuwanderern/Expats (%) 31 85 > 80 44

BIP nominal ( Mrd. US$) 646,0 370,3 167,0 69, 8

BIP/Kopf nominal (US$) 20 583 38 650 68 940 16 202

Inflationsrate (%) 2,2 4,1 1,8 0,1

Wirtschaftswachstum (%) 3,5 4,0 3,7 5,7

Arbeitslosenquote (%) 5,6 3,8 3,2 17,3

Exporte insgesamt (Mrd. US$) 201,5 333,4 78,0 34,4

Importe insgesamt( Mrd. US$) 163,8 244,0 32,6 28,3

Exporte nach Deutschland (Mrd. €)

0,9 0,9 0,4 0,05

Importe aus Deutschland (Mrd. €)

10,0 14,6 2,2 0,94

Lebensmitteimporte (Mrd. US$)

19,7 11,0 2,8 2,9

Wertmäßiger Anteil der importierten Lebensmittel am Ge-samtverbrauch (%)

85 90 90 80

SVG Lebensmittel (%) 35 < 20 10 33

Ernährungswirtschaftliche Im-porte aus Deutschland (Mio. €)

1 373,2 341,8 58,7 86,0

Lebensmittelimporte aus Bayern ( Mio. €)

52,804 18,003 2,618 0,871

Quelle: GTAI, Bay. LfStat, DESTATIS etc.

Page 63: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 63

MARKT

MA

RKT

in die VAE rund 18 Mio. Euro, nach Katar 2,6 Mio. Euro und in den Oman 0,9 Mio. Euro (siehe Tabelle).

Die Abbildung zeigt die Entwicklung der bedeutends-ten Absatzmärkte Saudi-Arabien und der VAE seit 2008. Schwankungen Bayerns bei Lebensmittelexporten können letztendlich durch verschiedene Faktoren, z. B. durch Preis-veränderungen für Lebensmittel, Öl und Erdgas der letzten Jahre begründet werden. Die wichtigsten Exportgüter Bay-erns in die Golfstaaten Region sind Milch und Milcherzeug-nisse sowie Käse. Im Jahr 2015 stammten über 50 Prozent der deutschen Milchprodukte, die nach Saudi-Arabien ge-liefert wurden, aus Bayern. Andere wichtige Produkte aus dem tierischen Segment, die in die VAE geliefert werden, sind Eier und Fleisch. Weitere bayerische Exportgüter in die Golfregion sind den Produktgruppen Backwaren und Zu-bereitungen aus Getreide, Obst-, Gemüsekonserven und -zubereitungen, Kartoffeln bzw. Kartoffelerzeugnisse, pflanzliche Öle, Zucker bzw. Zuckererzeugnisse zuzuord-nen.

Besonders im Molkereibereich sind bayerische Molke-reien als Lieferanten für Rohware (z. B. Milchkonzentrat, Voll-milch- und Magermilchpulver) und für Endprodukte (z. B. Joghurt, Käse, Dickmilchprodukte) gut etabliert. Im Einzel-handel finden sich beispielsweise Produkte von Zott, Müller und Andechser wieder.

Fleisch und Fleischwaren werden bisher aus Deutsch-land und Bayern nur im geringen Umfang in die Vereinig-ten Arabischen Emirate exportiert. Nach Saudi-Arabien,

dem Hauptabnehmer von deutschen Lebensmitteln, gelangt kein Fleisch aus Deutschland. Hauptgrund hierfür sind Importverbote Saudi-Arabiens für deutsches Rind- und Schaffleisch aufgrund der BSE-Krise und für deut-sches Geflügel aufgrund des Nitrofen-skandals. Derzeit wird allerdings von Saudi-Arabien bilateral mit den deut-schen Behörden geprüft, inwieweit die Einfuhrsperren aufgehoben wer-den können. Somit ist es möglich, dass künftig auch deutsches Rindfleisch und Geflügel im größeren Umfang expor-tiert werden kann, wenn die Lebens-mittel- bzw. veterinärrechtlichen Stan-dards der einzelnen Staaten und der Gulf Cooperation Council Standardiz-ation Organization sowie anerkannte Halal-Standards (z. B. der ESMA-Stan-dard der VAE) eingehalten bzw. vorge-

legt werden können, die auch für viele andere, insbesondere tierische Produkte gelten.

Vermarktungschancen für bayerische ProdukteMarktexperten sehen aufgrund der wachsenden Lebens-mittelmärkte ein hohes Absatzpotenzial für heimische Un-ternehmen in den Golfstaaten, insbesondere für weitere Molkereiprodukte, Spezialitäten sowie Bio- und Nischen-produkte, wie beispielsweise für Tiefkühlware. Nicht zuletzt durch unsere hohen Lebensmittelstandards und den hervor-ragenden Ruf deutscher und bayerischer Produkte sowie der zunehmenden Sensibilisierung der Bevölkerung bezüglich qualitativ hochwertiger Produkte können sich gute zusätz-liche Vermarktungsmöglichkeiten auftun. So könnten sich gerade für bayerische Molkereien und die Fleischbranche zusätzliche Vermarktungschancen ergeben.

Literatur beim Autor.

FLORIAN SCHLOSSBERGERBAYeRISCHe LANDeSANSTALT FÜR LANDWIRTSCHAFTINSTITUT FÜR eRNÄHRUNGSWIRTSCHAFT UND MÄ[email protected]

→ Abbildung: Entwicklung der ernährungswirtschaftlichen Ausfuhr Bayerns in die Vereinigten

Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien (Quelle. Bay. LfStat)

5,8

35,9

8,7

36,6

9,9

42,3

10,6

49,9

12,4

55,2

21,3

38,4

20,9

46,3

18,0

52,8

19,8

29,6

0

10

20

30

40

50

60

VAE Saudi-Arabien

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Mio. Euro

Page 64: Heft 10-11/2017

64 SUB 10-11/2017

MARKT

MA

RKT

Strohschweine für Bayerns Großkantinen

von ANGELIKA REITER-NÜSSLE und ANDREAS LEHNER: „Stroh macht Schweine froh – und den Menschen ebenso“, so brachte es ein gut gelaunter Staatsminister Helmut Brunner in Reimform auf den Punkt. Anlass dafür war die Auftaktveranstaltung zur Einführung des „DIG Strohschweins Bayern“ in der bayerischen Gemeinschaftsverpflegung. Die Bayerische Lan-desbank hatte alle Projektpartner – vom Erzeuger über die Verarbeiter bis hin zu Vertretern der teilnehmenden Betriebskantinen – in das hauseigene Betriebsrestaurant geladen, wo am 26. Juli erstmals ein Gericht vom DIG Strohschwein Bayern serviert wurde.

Strohschwein für mehr TierwohlDoch was steckt hinter dem Strohschwein-Projekt? Es geht zurück auf eine Initiative des Deutschen Instituts für Ge-meinschaftsgastronomie (DIG) mit der Zielsetzung, in bay-erischen Großkantinen ein besonderes Schweinefleisch an-zubieten.

Schweinefleisch aus der Region, das unter erhöhten Standards erzeugt wird – das war der Ansatz für das Projekt „DIG-Strohschwein Bayern“. „Damit setzen wir uns auch aktiv für mehr Tierwohl ein“, so Dr. Stefan Hartmann, Geschäfts-führer des Gastronomie-Dienstleisters BayernBankett und Präsident des Deutschen Instituts für Gemeinschaftsgast-ronomie (siehe Infobox).

Das Projekt passt genau zur Premiumstrategie für hoch-wertige Lebensmittel, die Staatsminister Brunner Anfang des Jahres ins Leben gerufen hatte. Eine stärkere Ausrichtung auf Premiumprodukte und Spezialitäten sei eine wertvolle Chance für die bayerische Land- und Ernährungswirtschaft, zeigte sich Brunner überzeugt. Dazu gehören geschlossene Wertschöpfungsketten vom Erzeuger zum (Groß)verbrau-cher, wie sie das DIG beispielhaft umgesetzt hat.

Bei der Mast von DIG Strohschweinen werden verschiedene zertifizierte Kriterien erfüllt, die auch über die gesetzlichen Vor-gaben zum Tierwohl hinausgehen. Beispiele hierfür sind:

→ kein Einsatz von gentechnisch veränderten Futter-mitteln,

→ ein im Vergleich zu konventio-neller Haltung um 25 Prozent erhöhtes Platzangebot für die Masttiere,

→ Stroh als Einstreu und Beschäf-tigungsmaterial (auf mindes-tens 40 Prozent der Fläche),

→ Reduzierung des Anteils von Spaltenböden (mindestens 50 Prozent der Bodenfläche plan-befestigt).

Leitgedanken für gute Verpflegung Das Projekt ist Teil der Umsetzungsstrategie der „Bayerischen Leitlinien Betriebsgastronomie“, die das Staatsministerium 2015 herausgegeben hat. Sie definieren eine gute Verpfle-gung unter den Leitgedanken Gesundheit, Regionalität, Ökologie und Wertschätzung für Küche und Lebensmit-tel. Dass diese Wertschätzung nicht erst auf den Tellern der

MARKT

Das DIG repräsentiert einen Großteil der deutschen Gemeinschaftsgastronomie, der überwiegend von Eigenregie-Strukturen geprägt ist. Die Bandbreite reicht von Automobil- und Chemiekonzernen bis zu namhaften Banken und Versiche-rungen, Medienhäusern sowie Studentenwerken, Kliniken und Seniorenheimbe-treibern. Zu den Mitgliedern gehören die umsatzgrößten Eigenregiebetriebe in Deutschland. Die rund 12 000 Mitarbeiter der DIG-Mitglieder bewirten circa 650 000 Gäste pro Tag.

Infobox: Deutsches Institut für Gemeinschaftsgastronomie (DIG) e. V.

→ Bild 1: Verkostung Schweinebraten vom DIG-Strohschwein (von links):

Frank Gaevert (BayernBankett), Dr. Stefan Hartmann (Präsident DIG),

Rainer Künzel (BayernBankett), Staatsminister Helmut Brunner

(alle Fotos: Tobias Hase, StMELF).

Page 65: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 65

MARKT

MA

RKT

Gastronomiebetriebe beginnt, sondern bereits bei der Hal-tung der Tiere; dafür steht das Strohschwein-Projekt.

Die Startveranstaltung im Juli wurde natürlich von kuli-narischen Strohschwein-Kreationen flankiert. Das Küchen-team der BayernLB reichte bereits vor dem offiziellen Start-schuss Strohschwein-Fingerfood. Die Projektpartner hatten sich bewusst rund um die Mittagszeit im Eingangsbereich der Bank-Kantine positioniert, um die Tischgäste punktge-nau mit Informationen zum Projekt zu versorgen, bevor diese dann erstmals den Schweinebraten vom DIG-Stroh-schwein Bayern vor Ort verkosten konnten.

Potenzial auslotenAm DIG-Projekt beteiligen sich namhafte Arbeitgeber aus dem Großraum München und darüber hinaus, die nun nach und nach mit der Einführung der Strohschwein-Spezialitä-ten in ihren Betriebs-Restaurants beginnen. Die nächsten Monate werden zeigen, wie sich die Akzeptanz des Premi-

um-Fleisches in den Kantinen entwickelt. Derzeit ist vorge-sehen, dass einmal pro Woche ein Strohschwein-Gericht auf dem Speiseplan der Projektpartner zu finden ist. Auch in der Kantine des Landwirtschaftsministeriums gibt es jetzt regel-mäßig die Gelegenheit, sich von dem Premiumprodukt zu überzeugen.

Letztlich muss das Projekt zeigen, ob der Konsument be-reit ist, für höhere Qualität auch einen entsprechenden Preis zu zahlen. Denn Qualität hat eben ihren Preis: Auf Nachfrage von Minister Brunner schätzte der teilnehmende Schwei-nemäster Franz Löffler den finanziellen Mehraufwand bei der Mast auf circa 20 Prozent. Bereits bei der Auftaktveran-staltung Anfang Februar – zu dem Zeitpunkt wurden die ersten Ferkel auf dem Betrieb Löffler eingestallt – einigten sich die Projektpartner darauf, diese erhöhten Produktions-kosten durch einen entsprechend höheren Erzeugerpreis auszugleichen. In der zunächst über ein Jahr laufenden Projektphase bekommt der Landwirt einen Aufschlag auf den jeweils gültigen Marktpreis für konventionell erzeugtes Schweinefleisch. Das gibt Planungssicherheit für alle Betei-ligten entlang der Wertschöpfungskette.

Seine erste Bewährungsprobe hat das „DIG Strohschwein Bayern“ in jedem Fall bestanden: Die Teilnehmer der Veran-staltung – allen voran Staatsminister Helmut Brunner und DIG-Präsident Dr. Stefan Hartmann – fanden sich zum Ab-schluss der Veranstaltung in der Kantine der BayernLB ein und waren von der herausragenden Qualität des Produkts überzeugt.

ANGELIKA REITER-NÜSSLEBAYeRISCHeS STAATSMINISTeRIUM FÜR eRNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND [email protected] ANDREAS LEHNERFACHSCHULe FÜR AGRARWIRTSCHAFT, FACHRICHTUNG ÖKOLOGISCHeR LANDBAU, LANDSHUT/SCHÖ[email protected]

• Allianz Deutschland AG• Audi AG Ingolstadt• BayernLB (BayernBankett)• Linde AG Engineering Division Pullach• MAN Truck & Bus AG• Munich Re• Versicherungskammer Bayern• Studentenwerk Erlangen-Nürnberg• StMELF mit VC Vollwert-Catering

Infobox: Hier werden Strohschweine serviert

→ Bild 2: Schweinebraten vom DIG-Strohschwein.

→ Bild 3: Die Mitglieder der Wertschöpfungskette (von links): Christian

Freudlsberger mit Tochter Magdalena (Halsbacher Qualitätsfleisch

GmbH), Dr. Stefan Hartmann (Präsident DIG), Staatsminister Helmut

Brunner, Dr. Markus Wiegelmann (BayernLB), Benjamin Ritter (Wieser

GmbH), Franz Löffler (Landwirt), Larissa Ritter (Wieser GmbH), Sofie

Löffler (Landwirtin).

Page 66: Heft 10-11/2017

66 SUB 10-11/2017

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

Produktionsintegrierte Kompensation in der PraxisErgebnisse eines Projektes in Straubing-Bogen und Deggendorf

von BEATE KRETTINGER, KLAUS MÜLLER-PFANNENSTIEL, PAUL DIEHL und JULIA WÄNNINGER: 2014 beauftragte die Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH eine Arbeitsgemeinschaft aus Deutschem Verband für Landschaftspflege, Landschaftspflegeverband Straubing-Bogen und dem Büro Bosch&Partner mit der Umsetzung von PIK-Maßnahmen für den Bau von Hochwas-serschutzmaßnahmen entlang der Donau. In den Landkreisen Straubing-Bogen und Deggen-dorf sollen Landwirte dazu gewonnen werden, freiwillig auf ihren Nutzflächen artenschutz-rechtliche Kompensationsmaßnahmen, wie zum Beispiel Lerchenfenster, Kiebitzbrachen oder Blühstreifen für das Rebhuhn anzulegen. Mit Unterstützung der Partner aus Landwirt-schaft, Verbänden und Behörden konnten im zweiten Projektjahr auf 74 Hektar 25 Verträge mit unterschiedlichen Maßnahmenkombinationen abgeschlossen werden. Auch für das lau-fende Projektjahr liegen bereits wieder Interessensmeldungen vor.

Die Hochwasserschutzanlagen an der niederbayrischen Donau zwischen Straubing und Vilshofen wurden in den 1930er bis 1950er Jahren errichtet und bieten nach heuti-gem Stand nur mehr Schutz vor einem etwa 30-jährlichen bis maximal 50-jährlichen Hochwasser der Donau. Aus die-sem Grund führt die Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH im Auftrag der Bauherren Bundesrepublik Deutsch-land und Freistaat Bayern in diesem Bereich umfangreiche Ausbaumaßnahmen durch, um Siedlungen und wichtige Infrastruktureinrichtungen vor einem 100-jährlichen Hoch-wasserereignis (HQ 100) zu schützen und gleichzeitig Hoch-wasserrückhalteräume, soweit möglich, zu erhalten. Durch diese Baumaßnahmen entstehen entsprechend auch Be-einträchtigungen von Natur und Landschaft, die nach dem Bundesnaturschutzgesetz durch angemessene Kompensa-tionsmaßnahmen ausgeglichen werden müssen.

Erfahrene Arbeitsgemeinschaft beauftragtEin Teil der Beeinträchtigungen der geschützten Zielarten des Offenlandes (Feldlerche, Rebhuhn und Kiebitz (siehe Bild 1) soll mittels freiwilliger produktionsintegrierter Kom-pensationsmaßnahmen (PIK) auf Ackerflächen ausgeglichen werden. Mit diesem Auftrag wurde Ende 2014 eine Arbeits-gemeinschaft aus Deutschem Verband für Landschafts-pflege (DVL), Landschaftspflegeverband Straubing-Bogen (LPV) und dem Büro Bosch&Partner betraut, die jahrelange Erfahrungen aus dem Bereich der Koordination, der Umset-zung und der Planung bündelt.

Entsprechend dem Ertragsausfall und der Anbaukosten erhalten die Landwirte eine maßnahmenbezogene Honorie-rung, die von der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) er-

rechnet wurde. Darüber hinaus wird eine PIK-Prämie erstat-tet, die die zusätzlichen Aufwendungen bei der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen honoriert.

Für die ausreichende Erfüllung der Kompensationsleis-tung steht die Arbeitsgemeinschaft ein: Die „institutionelle Sicherung“ nach § 9 Bayerische Kompensationsverordnung ersetzt eine dauerhafte Flächensicherung.

Ermittlung des MaßnahmenbedarfsDie Ermittlung des Maßnahmenbedarfs erfolgt auf der Grundlage der Verträglichkeitsstudie für das Vogelschutz-gebiet „Donau zwischen Straubing und Vilshofen“, der spe-ziellen artenschutzrechtlichen Prüfung (saP) sowie des land-schaftspflegerischen Begleitplans.

FLÄCHeNVeRBRAUCH

→ Bild 1: Eine der Zielarten des Projektes: der Kiebitz (alle Fotos: LPV

Straubing-Bogen).

Page 67: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 67

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

In diesen Planungsbeiträgen sind mögliche Wirkungen der Hochwas-serschutzmaßnahmen und daraus resultierende Beeinträchtigungen der Arten ermittelt und bewertet worden. Hierzu gehören direkte Wirkungen in Form von dauerhaften Flächeninan-spruchnahmen (u. a. Neubau von Dei-chen, Schöpfwerke, Siele, Deichrück-verlegungen bzw. Deicherhöhungen) sowie vorübergehenden Flächenin-anspruchnahmen zum Beispiel durch Baueinrichtungsflächen und damit ver-bundene baubedingte Wirkungen wie Licht, Lärm, Staub. Bei den Deichen ist auch deren Silhouettenwirkung zu be-achten. Indirekte Wirkungen entstehen u. a. aus der Veränderung des Grund-wasserregimes und der Überschwem-mungsverhältnisse.

Flächenbedarf und Maßnahmen-auswahlAnalog zu den Eingriffen ist auch bei den Kompensationsmaßnahmen zwi-schen dauerhaften und vorüberge-henden (temporären) Maßnahmen zu unterscheiden. Die Art der PIK-Maß-nahmen auf Acker leiten sich aus der Arbeitshilfe „Produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen“ des Lan-desamtes für Umwelt [1] ab und sollten aus artenschutzrechtlichen Gründen bereits als vorgezogene Ausgleichs-maßnahmen umgesetzt werden.

Die PIK-Maßnahmen auf Acker sind im Februar/März oder September/Ok-tober anzulegen. In der Regel ist der Verzicht auf den Einsatz von Dünger- und Pflanzenschutzmitteln und auf die mechanische Unkrautbekämpfung vorgegeben, sowie, je nach Vogelart, eine Bewirtschaftungsruhe von März bis Ende Juli. Die für die Zielarten ge-eigneten Maßnahmentypen (siehe In-fobox) unterscheiden sich von der Qua-lität und damit in dem erforderlichen Flächenbedarf pro Revier.

Für die einzelnen Vogelarten ergibt sich ein unterschiedlicher Flächenbe-darf von PIK-Maßnahmen auf Acker für

Maßnahmentyp Flächenbedarf je Revier

Kiebitz (in Ackerlandschaft)

Optimalhabitat Lebensraumkomplex aus Mulden mit Seigen und Vernässungsbereichen sowie extensiv genutzten Flächen

0,5 Hektar

Kiebitzbrache angrenzend an Mulde mit Seige

Kiebitzbrache: 1,5 Hektar,Mulde mit Seige: 0,5 Hektar

Kiebitzbrache 3 Hektar ab zusammenhängenden 6 Hektar: 2 Hektar pro Revier

erweiterter Saatreihenabstand mit Kiebitzfenster

4 Hektarab zusammenhängenden 6 Hektar: 3 Hektar pro Revier

Feldlerche (in Ackerlandschaft)

Lerchenfenster mit Blüh- und Brachestreifen

10 Lerchenfenster und 0,2 Hektar Blüh- und Brachestreifen

Blühfläche oder Blühstreifen oder Ackerbrache

0,5 Hektar

erweiterter Saatreihenabstand (mind. 30 cm)

1 Hektar

Rebhuhn (in Ackerlandschaft)

Rebhuhnstreifen, extensiv mit Winternahrung50 Prozent Brachestreifen (3-jährig) angrenzend 50 Prozent Getreideanbau mit erweitertem Saatreihenabstand (mindestens 30cm) und anschließendem Ernteverzicht

2 Hektar

Rebhuhnstreifen / -flächen, extensiv50 Prozent Brachestreifen, angrenzend 50 Prozent Getreideanbau mit erweitertem Saatreihenabstand (mindestens 30cm) und Stehenlassen der Getreidestoppeln bis 01.03.

2,5 Hektar

Rebhuhnstreifen / -flächen50 Prozent Brachestreifen angrenzend 50 Prozent Getreideanbau mit erweitertem Saatreihenabstand (mindestens 30cm)

3 Hektar

Infobox: Maßnahmentypen und Flächenbedarf pro Revier

Page 68: Heft 10-11/2017

68 SUB 10-11/2017

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

die Herstellung eines Reviers, der je nach Art der Maßnahme und nach Qualität des Zielzustandes zwischen einem Mini-mal- und einem Maximalwert liegt (siehe Tabelle). Hier gilt der Grundsatz: je höher die angestrebte Habitatqualität ist und ein sogenanntes Optimalhabitat entwickelt werden kann, desto kleiner ist die erforderliche Maßnahmenfläche zur Herstellung eines Reviers.

Für die Umsetzung von PIK-Maßnahmen werden nach fachlichen Kriterien (Vorkommen der Arten, Wahrschein-lichkeit des Erfolgs der Maßnahmen) Suchräume abge-grenzt, in denen sich Landwirte freiwillig an der Durch-führung der PIK-Maßnahmen beteiligen können. Im Teilabschnitt 1 zwischen Straubing und Deggendorf haben die Suchräume eine Gesamtfläche von 1 709 Hektar. Die angebotenen Flächen werden auf ihre Eignung hin begut-achtet und entsprechende Maßnahmen mit den Flächen-nutzern abgestimmt.

Projektvorstellung in der RegionDie ersten Informationsveranstaltungen über die Projektin-halte stießen bei den Grundstückseigentümern und Land-wirten in den Landkreisen Straubing-Bogen und Deggen-dorf auf große Resonanz. Entscheidend dafür war auch die Teilnahme des Straubinger Landrats und LPV-Vorsitzen-den Josef Laumer sowie des BBV-Bezirkspräsidenten und LPV-Vorstands Gerhard Stadler, die das Projekt von Anfang

an konstruktiv unterstützten. Auch die Regierung von Niederbayern, die Un-teren Naturschutzbehörden und die Ämter für Ernährung Landwirtschaft und Forsten beider Landkreise beglei-ten das Projekt intensiv und stehen für organisatorische und fachliche Fragen zur Verfügung.

Im zweiten Projektjahr 2016/2017 wurde zusätzlich zu den Informations-

veranstaltungen eine Feldbegehung im Sommer angebo-ten, bei der die teilnehmenden Landwirte und Behörden sowohl die blühenden Bracheflächen als auch die Weizen-felder mit erweiterten Saatreihen begutachteten. Hierbei wurde zum Beispiel die Erfahrung gesammelt, dass trotz Verzichts auf Dünger- und Pestizideinsatz auf den Äckern nur ein geringer Druck durch unerwünschte Beikräuter be-stand (siehe Bild 2).

Bei der Sommerarbeitsbesprechung des Instituts für Ökologischen Landbau der LfL mit den Landwirt-schaftsämtern und der Gruppe Landwirtschaft und Forsten der Bezirksregierungen fand ein weiterer Fach-austausch mit Experten statt, bei dem der Landschafts-pflegeverband die Projektergebnisse bei einer Flächen-begehung vorstellte.

Erste Ergebnisse Nach den ersten Beratungsgesprächen schloss der Land-schaftspflegeverband Straubing-Bogen im Auftrag der RMD Wasserstraßen GmbH 8 Verträge über knapp 20 Hektar ab. Dabei wurde Wert auf vielfältige Maßnahmenkombinatio-nen gelegt, die allen Zielarten dienten. Mit über zehn Hektar stellte sich der doppelte Saatreihenabstand als beliebteste Maßnahme bei den Landwirten heraus.

Für die zweite Brutsaison konnten bereits 25 Verträge über 74 Hektar abgeschlossen werden. Erneut wurde ein

→ Tabelle: Flächenbedarf von PIK-Maßnahmen auf Acker für die Verbesserung des Hochwasser-

schutzes Straubing – Vilshofen im Teilabschnitt 1: Straubing – Deggendorf

Flächenbedarf PIK Feldlerche Kiebitz Rebhuhn

Unterhaltungszeitraumha

minha

maxha

minha

maxha

minha

max

dauerhaft 7,04 32 2,5 20 0 0

temporär 2,64 12 4,5 36 4 6

Summe 9,68 44 7 56 4 6

→ Bild 2: Begutachtung einer Fläche mit erweitertem Saatreihenabstand

bei der Flächenbegehung 2017.

→ Bild 3: Einjährige Blühbrache als Lebensraum für die Feldlerche.

Page 69: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 69

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

wertvoller Maßnahmenmix aus Blühflächen (10,5 Hektar), Brachflächen (25 Hektar), erweitertem Saatreihenabstand (17,5 Hektar) sowie Kombinationsmaßnahmen für Rebhuhn (9 Hektar) und Kiebitz (12 Hektar) erzielt (siehe Bild 3).

AusblickAuch für das dritte Projektjahr besteht bei den Landwirten wieder großes Interesse an PIK-Maßnahmen. Mittlerweile

wurden mithilfe der Arbeitsgemein-schaft Informationstafeln entwickelt, die auf die Ausgleichsleistungen der Landwirtschaft für den Artenschutz hinweisen (siehe Abbildung).

Unter dem Motto „Flächenfraß“ hatte sich der Bayerische Bauernver-band vehement für die Verankerung der produktionsintegrierten Kompen-sation im Bundesnaturschutzgesetz und der Bayerischen Kompensations-verordnung eingesetzt. Auch nach Meinung des Deutschen Verbands für Landschaftspflege bieten die PIK-Maß-nahmen vor allem in intensiven Agrar-räumen durchaus Vorteile für Land-wirtschaft und Naturschutz. Doch es bedarf eines kompetenten und regi-onal verankerten Partners vor Ort, der die Maßnahmen fachlich betreut, do-

kumentiert und jedes Jahr aufs Neue vermittelt (siehe Beitrag Krettinger in „SuB“ 8-9/2017).

Bei den Feldgängen des Landschaftspflegeverbands werden erfreulicherweise immer wieder Kiebitze, Feldler-chen und Rebhühner beobachtet. Und trotzdem bleibt die Frage, ob sich der Verlust an Lebensräumen wirklich durch die PIK-Maßnahmen ausgleichen lässt. Antworten darauf werden sich erst nach einigen Jahren der Erfahrung und durch regelmäßige Bestandsuntersuchungen geben lassen.

Literatur[1] LANDESAMT FÜR UMWELTSCHUTZ (LFU): Arbeitshilfe

Produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen (PIK), 2014

BEATE KRETTINGERDeUTSCHeR VeRBAND FÜR LANDSCHAFTSPFLeGe LANDeSKOORDINATORIN [email protected] MÜLLER-PFANNENSTIELPAUL DIEHL BOSCH & PARTNeR [email protected]@boschpartner.deJULIA WÄNNINGERGeSCHÄFTSFÜHReRINLANDSCHAFTSPFLeGeVeRBAND STRAUBING-BOGeN [email protected]→ Abbildung: Informationstafel für Projektflächen

• Herausforderungen, die im Projektverlauf entstehen, werden mit den Landwirten und weiteren Betroffenen frühzeitig angegangen und gelöst.

• Mit der Arbeitsgemeinschaft aus Deutschem Verband für Landschaftspflege (DVL), Landschaftspflegeverband Straubing-Bogen (LPV) und dem Büro Bosch &Partner sind kurze Wege zwischen Planung, Umsetzung und Koordination gewährleistet.

• Als regional verankerter Akteur bringt der LPV seine Gebietskenntnisse und vertrauensvollen Kontakte zu Landwirten und Behörden mit ein.

• Die maßnahmenbezogene Honorierung für die Landwirte basiert auf Berechnungen der LfL. Auf diese wird noch eine zusätzliche PIK-Kompo-nente angerechnet.

• Die Projektumsetzung wird mit einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit aus Flächenbegehungen, Zeitungsartikeln und Informationstafeln begleitet.

• Bei allen Beteiligten ist der positive Wille vorhanden, dem Projekt zum Erfolg zu verhelfen.

Infobox 2: Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Projektumsetzung

Page 70: Heft 10-11/2017

70 SUB 10-11/2017

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

Multifunktionale Landnutzungskonzepte

von FRANK WAGENER, JÖRG BÖHMER und PROF. DR. PETER HECK: Wie machen wir unsere Landschaften fit für den Klimawandel? Wie stärken wir dadurch gleichzeitig die regionale Wertschöpfung? Wie machen sich Dorfgemeinschaften auf, um gemeinsam und gerecht zu handeln und eben nicht abzuwarten bis wieder etwas Außergewöhnliches passiert? Die Re-gionalökonomie und das Bewusstsein, vor Ort Lösungen erarbeiten zu müssen, weisen die Richtung für eine Aushandlung notwendiger Multifunktionalität unserer Kulturlandschaften. Dabei gibt es nicht die eine sondern nur viele gute lokale Lösungen, die durch kluge Aus-handlungsprozesse erarbeitet werden.

Beunruhigende Ereignisse In der Praxis nimmt man eine hektische Betriebsamkeit im-mer dann wahr, wenn beunruhigende Ereignisse plötzlich auftreten. Das sind z. B. Starkregenereignisse, Überschwem-mungen, Hangrutschungen, Hitzewellen, aber auch das Fehlen oder der Rückgang wildlebender Tiere und Pflan-zen in der Natur. In den Medien werden in der Regel die Er-gebnisse und nicht die weit komplizierteren Ursachen und Zusammenhänge gezeigt. Einzelne Wirkfaktoren werden dabei als plausible Erklärung angeführt, so z. B. die Nieder-schlagsmenge und zeitliche Verteilung im Hochwasserge-biet. Die weitergehenden Wirkungszusammenhänge zwi-schen Kulturlandschaft und Gewässer werden kaum und nicht mit ihren Abhängigkeiten beleuchtet. Beispielsweise wenn

→ Starkregen auf erosionsgefährdete Kulturen mit z. T. offenen Böden trifft (Verengung der Fruchtfolgen),

→ deren Oberflächenabfluss nicht mehr durch Hecken und Raine gebremst wird (weil in der Flur berei-nigt),

→ in eine z. T. verbaute Aue (Bodenversiegelung durch Bebauung) fließt,

→ die wenig Porenvolumen (Aufnahmekapazität und biologische Aktivität: z. B. Regenwürmer) und z. T. Verdichtungen (Erntefenster und Schlagkraft) auf-weisen,

→ die ein begradigtes Gewässer beherbergt (techni-scher Wasserbau), welches das Wasser schnell ab-führt

→ und in der Summe mit weiteren Fließgewässern die Unterlieger mit einer Hochwasserwelle versorgt,

→ die durch einzelne technische Hochwasserrückhal-tebecken (technischer Gewässerbau) nicht mehr ausreichend gebrochen werden kann.

Zugegeben eine Verkettung unglücklicher Umstände, aber durchaus geeignet, um den Blick auf die notwendige Wider-standskraft (Resilienz) unserer Kulturlandschaften gegen-über den zunehmenden Klimawandelfolgen zu lenken. Hier liegt eine der zentralen Herausforderungen unserer Gene-ration.

Auf der operativen Ebene kann eine hohe Aufmerksam-keit, z. B. ausgelöst durch Schäden, den Blick auf die notwen-dige Entwicklung einer neuen regionalen Strategie für eine multifunktionale Landnutzung lenken. Dafür muss das vie-lerorts vorherrschende Selbstverständnis segregierter Hand-lungs- und Verwaltungsbereiche zugunsten einer kooperati-ven Zusammenarbeit, mehr noch eines Zusammenwirkens,

FLÄCHeNVeRBRAUCH

Zwischen dem 26. Mai und dem 8. Juni 2016 gab der Deut-sche Wetterdienst über 3 000 Unwetterwarnungen auf Landkreisebene heraus, von denen ein Teil nicht eingetre-ten ist, einmalig seit es dieses System gibt (15 Jahre). Die allgemeine Unwetterlage 2016 hat große Ähnlichkeit zu der in 2013 und 2002, die die Jahrhundert hochwasser an der Elbe ausgelöst hatte. Es gibt allerdings keine langen lo-kalen/regionalen Datenreihen zu Extremwetterereignissen, so dass eine statistische Signifikanz noch nicht gegeben ist.

Rein statistisch betrachtet treten nur alle 100 Jahre Extrem-regenereignisse, wie in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz auf. Verschiedene Klimaforscher weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Wahrschein-lichkeit für abwechselnd extrem nasse und trockene Perio-den durch den Klimawandel zunimmt.

Infobox: Extremwetterereignisse

Page 71: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 71

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

weiter entwickelt werden. Dort wo zwingend in der Praxis eine Lösung gefunden werden muss, steigt die Wahrschein-lichkeit bzw. Notwendigkeit einer echten Kooperation stark an.

Gesellschaft wünscht MultifunktionalitätReicht nicht mehr nur eine Funktion z. B. auf einer Freiflä-che aus (z. B. Nahrungsmittelproduktion), um das sichtbare Problem zu lösen (z. B. Erosion), so wird der Wunsch nach ei-ner problemorientierten Multifunktionalität laut. Allerdings werden damit auch die gesellschaftlichen Verhandlungs-prozesse komplexer, die häufig nicht das Gesamtproblem sondern nur Teilprozesse aushandeln und normieren. In der Praxis vor Ort bedeutet dies, dass ein „Kümmerer“ – häufig aus der Kommune, dem Landkreis, der Region – die Akteure

bzw. Betroffenen an einen Tisch holt, konkrete Projekte pragmatisch aufbaut und notwendige Arbeiten und Verän-derungen verhandelt.

Multifunktionalität entsteht, wenn mehr Nutzen auf einer Fläche platziert werden kann. Beispielsweise wurden im Bundesverbundprojekt ELKE – Ent-wicklung extensiver Landnutzungs-konzepte für die Produktion nach-wachsender Rohstoffe als mögliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen – Eingriffe in Natur und Landschaft durch produktionsintegrierte Kom-pensationsmaßnahmen (PIK) aus-geglichen (Infos unter http://www.landnutzungsstrategie.de). Sie ermög-lichen es zugleich Rohstoffe zu erzeu-gen. Im Ergebnis wurde dort gezeigt, dass halb-intensive Kulturen in ver-

schiedenen Landschaften die Biodiversität (Vielfalt) erhö-hen, gleichzeitig Rohstoffe für eine energetische Nutzung produzieren, Erosion und Nährstoffverluste reduzieren, die Bodenfruchtbarkeit steigern sowie bewährte Maßnahmen des Naturschutzes ergänzen können. Erreicht wurde dies durch eine in Raum und Zeit gesteigerte pflanzenbauliche Vielfalt, eine weniger intensive Bodenbearbeitung bzw. ei-ner Bodenruhe, eine überjährige zyklische Beerntung und den Verzicht auf chemisch-synthetische Dünger und Pes-tizide [2].

Die Land- und Forstwirtschaft ist ein bedeutender Akteur und Umsetzungspartner für alle Maßnahmen auf Freiflächen (Bild 1), denn niemand anderes kann so effizient und kosten-günstig Arbeiten in der Kulturlandschaft erledigen.

Regionalökonomie: Investition und Wertschöpfung„Das Geld des Dorfes dem Dorfe“ weist auf die lange Tradi-tion gemeinschaftlicher bzw. genossenschaftlicher Aktivi-täten im ländlichen Raum hin (Initiator: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, 1818-1888; Bild 2). Deren Aktualität hat vor dem Hintergrund heutiger Extremereignisse und mancherorts suboptimal genutzter ländlicher Potenziale kaum an Bedeu-tung verloren. Die Regionalökonomie und das Bewusstsein, vor Ort Lösungen erarbeiten zu müssen, weisen die Rich-tung für eine Aushandlung notwendiger Multifunktionali-tät unserer Kulturlandschaften. Dabei gibt es nicht die eine sondern nur viele gute lokale Lösungen, die durch kluge Aushandlungsprozesse erarbeitet werden.

Nachfolgend werden nun drei wesentliche Themen-felder aufgezählt, die substanzielle Beiträge für die aktive

→ Bild 1: Unsere Kulturlandschaften werden nahezu zu 100 Prozent durch menschliche Nutzung

geprägt (Agroforstsysteme im Niederbayrischen Hügelland) (Foto: Frank Wagener).

→ Bild 2: Die Gründer der Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen Energie eG

Großbardorf mit einem historischen Plakat [2].

Page 72: Heft 10-11/2017

72 SUB 10-11/2017

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

Gestaltung einer Multifunktionalität in der Landnutzung liefern können:

→ Daseinsvorsorge mit dem Bioenergiedorf: Die Um-stellung auf regenerative Energieträger verknüpft Stoffströme im Gebiet miteinander und führt diese in regionale Wertschöpfungsketten [1].

→ Ökonomie in der Landnutzung: Wie hoch sind die Verzichtskosten der Landwirte gegenüber der orts-üblichen Bewirtschaftung?

→ Ökokonto und Flächenpool: Ein weiterer Baustein in der kommunalen Kompetenz liegt innerhalb der verbindlichen Bauleitplanung im Aufbau eines kommunalen oder regionalen Ökokontos, wozu sich auch mehrere Gemeinden abstimmen können.

Durch die Einbindung der Landwirtschaft und eine Produktionsintegration der Kompensations-ziele kann ein flächiges Teilkonzept Kompensa-tion in die regionalen Projekte integriert werden. Eine ausführliche Darstellung zur Integration von PIK findet sich in einem aktuellen Leitfaden [3].

Konzept in die Praxis führenSind Schäden aufgetreten und wurden dadurch Menschen betroffen, so gilt es auch genau dort mit der Konzepterarbeitung zu beginnen. Es muss aber nicht immer eine Sintflut sein, sondern kann auch eine dramatische Zunahme des Bodenab-trages durch Erosion sein – „liegt der Acker schon wieder auf der Straße“ (Bild 3). Jenseits verbreite-ter Schuldzuweisungen („aber der muss doch …“) zeigen erfolgreiche Kooperationsprojekte, dass ausgehend von einem Kümmerer eine Projekt-gruppe zusammengeführt werden kann, die über

das notwendige Wissen verfügt, um erste konkrete Schritte ausführen zu können. So arbeiten in der Westpfalz nach der Sintflut Landwirte, Gemeinderat, Techniker, Agraringenieure und Ökologen an einem Erosionsschutz- und Bioenergie-projekt (EIP-Agri-Projekt MUNTER, mehr Infos unter https://munter.stoffstrom.org).

Ist der Start geglückt, so sollte die Arbeit z. B. durch För-derprogramme wie eine Europäische Innovationspartner-schaft (EIP-agri, GAP 2. Säule) oder eine Landesinitiative wie boden:ständig in Bayern mit Geldmitteln insbesondere für externe Spezialisten verstetigt werden. Damit beginnt eine Konkretisierung und Platzierung der Maßnahmen (Bild 4). Mit Hilfe des angewandten Stoffstrommanagements (mehr Infos unter http://www.stoffstrom.org) werden Stoff- und

→ Bild 3: Ohne weitere Schutzmaßnahmen angebauter Mais in Hanglagen fördert die

Erosion und damit Humus- und Nährstoffverluste der Äcker, die in der Regel mit

synthetischen Betriebsmitteln ausgeglichen werden (Foto: Frank Wagener).

→ Bild 4: Energiehecken vor den Gewässern puffern die Einflüsse des Ackerbaus ab und bilden neue Leitlinien für wildlebende Tiere und Pflanzen

(Hohenlohe, Baden-Württemberg) (Foto: Ralf Krechel).

Page 73: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 73

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

Geldströme organisiert und in einer Machbarkeitsstudie Ent-scheidungen für die konkrete Umsetzung mit Fakten unter-stützt und vorbereitet.

Es ist zielführend die Gruppe in einem ersten Konzept nicht mit zu vielen Inhalten und Aktionen zu überfordern und die Kompromissfindung zu erproben; denn Multifunk-tionalität kann in der Praxis bedeuten, dass z. B. Kommune, Landwirte, Wasserwirtschaft, Naturschutz, Planer, Flurberei-niger und Energieversorger zusammen kommen und ge-meinsam Lösungen finden müssen.

Reflexion aus der Praxis nutzenGerade zu Beginn einer Initiative ist es wertvoll, Erfahrun-gen anderer erfolgreicher Projekte zu nutzen und damit die Motivation der eigenen Gruppe zu stärken. So kann der Be-such eines Bioenergiedorfes nicht nur technische und öko-nomische Fragen beantworten, sondern auch die Mission/Überzeugung dieser Dorfgemeinschaft, das menschliche und kooperative Zusammenwirken vor Augen führen (Zeu-gen einer Entwicklung). Feldtage klären Fragen zur Kultur-begründung, -führung und Ernte, aber auch zur Ökologie und zu weiteren Fragen der Einpassung in die Kulturland-schaft (Bild 5).

Potenziale & Perspektiven Die Grundeinheit der ländlichen Kooperation sind die Kom-munen. Ihre Stärke liegt in der Selbstbestimmung, v. a. der Daseinsvorsorge. Verknüpft mit einem kooperativen Wirt-schaften entstehen regionale Innovationen, die die Zukunfts-fähigkeit der Region verbessern. Multifunktionale Landnut-zungskonzepte gehören zweifelsohne zu den auch dringend erforderlichen Entwicklungen im ländlichen Raum.

Der Aufbau von Bioenergiedörfern und einer neuen ländlichen Bioökonomie sind sehr anspruchsvolle und her-ausfordernde Aufgaben, die mit der kooperativen Kultur von Landnutzungsstrategien entstehen können – gute Aussich-ten für unsere Kulturlandschaften.

Literatur[1] HECK P., ANTON T., BÖHMER J., HUWIG P., MEISBERGER

J., PIETZ C., REIS A., SCHIERZ S., SYNWOLDT C., WAGE-NER F., WANGERT S. (2014): Bioenergiedörfer – Leit-faden für eine praxisnahe Umsetzung. Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (Hrsg.), Gülzow, 172 S. [http://mediathek.fnr.de/leitfaden-bioenergiedorfer.html]

[2] WAGENER F., HECK P., BÖHMER J. (HRSG. 2013): Schlussbericht Entwicklung extensiver Landnut-zungskonzepte für die Produktion nachwachsen-der Rohstoffe als mögliche Ausgleichs- und Er-satzmaßnahmen (ELKE) – Phase III – Umsetzung praxisbasierter Feldmodellprojekte, Forschungs-vorhaben gefördert durch das BMELV über die FNR, FKZ 22007709, Umwelt-Campus Birkenfeld, 802 S. [http://www.landnutzungsstrategie.de/elke/ergeb-nisse/phase-iii-umsetzung-erprobung-und-erfor-schung/]

[3] WAGENER F., BÖHMER J., HECK P. (2016): Produktionsin-tegrierter Naturschutz mit nachwachsenden Rohstof-fen – Leitfaden für die Praxis. Natur und Text, Rangs-dorf. 112 S.

FRANK WAGENER JÖRG BÖHMER PROF. DR. PETER HECKINSTITUT FÜR ANGeWANDTeS STOFFSTROMMANAGeMeNT – IFAS HOCHSCHULe TRIeR – UMWeLT-CAMPUS [email protected] [email protected]@umwelt-campus.de

→ Bild 5: Feldtage machen neue Kulturen erlebbar (Prielhof Scheyern) (Foto: Frank Wagener).

Page 74: Heft 10-11/2017

74 SUB 10-11/2017

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

Gemeinschaftsgarten als Ort der Integration Staatsminister Brunner bei Urban-Gardeneres in München-Neuperlach

von DR. ANDREAS BECKER: Urban-Gardening ist mehr als ein Trend. Es ist eine starke Be-wegung, die von der Bevölkerung in den Städten getragen wird. Die Wohlfahrtswirkungen der Gärten und die Sehnsucht nach einem lebenswerten grünen Umfeld sind die Motive. Urban-Gardening baut Brücken und bringt die Menschen zusammen. Denn Integration und interkultureller Austausch finden auf beiden Seiten des Gartenzaunes statt. So trifft man sich in den selbst geschaffenen grünen Oasen, packt zusammen an, isst miteinander und tauscht sich nicht nur über gärtnerische Themen aus. Der Garten verbindet und blüht auf in einem sozialen Netzwerk, welches auch außerhalb von Rasen, Sträuchern und Tomaten funktioniert.

Staatsminister Helmut Brunner wollte sich ein Bild von die-ser Bewegung machen und besuchte am 5. Juli 2017 den Be-wohnergarten des Vereins „Zusammen Aktiv in Neuperlach“ (ZAK e. V.). Der Garten ist ein Musterbeispiel für interkulturel-les Urban-Gardening. Der Minister nutzte die Gelegenheit, um mit den Teilnehmern die Rahmenbedingungen für er-folgreiches Gärtnern in der Stadt zu diskutieren.

Der ZAK-Bewohnergarten liegt einige Hundert Meter au-ßerhalb der Bebauung. Nach einem kurzen Fußweg kommt man in den Gemeinschaftsgarten. Den Besuch begleiteten Christl Willmitzer, Projektleitung ZAK e. V., Konrad Bucher, Projektbetreuung und Umweltbildung Bewohnergarten des ZAK e. V. sowie die ZAK-Vorstandsmitglieder Vacit Kuzucu, Sezer Subatli und Nuria Hagos. Der Bewohnergarten ist wie eine Kleingartenanlage angelegt. Mit geringen finanziellen Mitteln wurden Wege, Garteneinzäunung sowie Geräte-schuppen eingerichtet. Fünfzig Parzellen sind an Gruppen vergeben. Einige Parzellen werden von der Gemeinschaft bewirtschaftet und dienen als Lehr- oder Imkergarten. Im gesamten Garten sind 13 Nationen vertreten.

Wir-Gefühl und Produkte überzeugenSehr beeindruckt war Staatsminister Brunner vom entwickel-ten Wir-Gefühl und vom Geist des voneinander Lernens. Das Lernen läuft sehr praktisch ab, und die Sprachgrenzen werden durch Vormachen und praktische Beispiele überwunden. Dies gelingt nur dank des einfühlsamen und fachlich fundierten Arbeitens von Konrad Bucher als neutrale hauptamtliche Be-treuungskraft. Brunner stellte heraus, dass die erlebte Gar-tenarbeit zu mehr Achtung vor der Schöpfung führt und die Beteiligten ungenutzte Lebensmittel nicht achtlos entsorgen. Für den Aufbau und die Betreuung solcher Gärten sprach er allen Beteiligten seinen Dank aus.

FLÄCHeNVeRBRAUCH

→ Bild 1: Staatsminister Helmut Brunner informierte sich beim interkul-

turellen Urban-Gardening-Projekt über Entwicklungen des Gärtnerns

in der Stadt (alle Fotos: Tobias Hase, StMELF).

→ Bild 2: Minister Brunner mit Gärtnerin und Imkerin Thi Hang Lam beim

Rundgang im Bewohnergarten des ZAK e. V.

Page 75: Heft 10-11/2017

SUB 10-11/2017 75

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

Mit Freude besuchte der Minister gemeinsam mit der Imkerin Thi Hang Lam, einer gebürtigen Vietnamesin, die Bienenvölker des Gartens. Dabei betonte er, welch hohen Zuspruch die Imkerei gegenwärtig erfahre. Täglich entschei-den sich zwei Bürger oder Bürgerinnen in Bayern Imker zu werden. Gerne zeigten die Gärtner ihre grünen Kleinode und berichteten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen im Gar-ten. Stets bildeten dabei die Pflanzen den Mittelpunkt der Gespräche. Die Kulturpflanze bringt die Menschen zusam-men: Das gemeinsame Lernen während der Kulturzeit sowie der Austausch über die Verwendung der Pflanzen sind die verbindenden Elemente im interkulturellen Garten.

Bewohnergarten in Neuperlach kein EinzelprojektIm gemeinsamen Gespräch nach dem Rundgang stellte Franz Eder in seinem Statement das Engagement der Stadt München für das Angebot von „Krautgärten“, saisonale Gär-ten während der Vegetationszeit, vor. Aktuell werden an 23 Standorten am Stadtrand von München 1 400 Parzellen von 30 oder 60 m² Größe vergeben. Es sind keine Kleingar-tenanlagen. Jeder Nutzer verpflichtet sich in der Nutzungs-vereinbarung, den Garten biologisch zu bewirtschaften. Die Stadt München stellt dafür einen Wasseranschluss, Garten-werkzeug sowie Jungpflanzen. Die Übergabe der Gärten ist ein sehr positives Ereignis, das entsprechend gefeiert wird. Die Krautgärten wirken wie der besuchte interkulturelle Gar-ten integrativ und sorgen für eine Entschleunigung der psy-chisch stark gestressten Stadtbevölkerung.

Diese Beobachtung teilte Dr. Christa Müller von der Stif-tungsgemeinschaft Anstiftung – Interkulturelle und Urbane Gemeinschaftsgärten in München. Sie berichtete von einer starken Zunahme der Do-it-yourself-Projekte in allen Städten

Deutschlands. Urban-Gardening biete der Do-it-yourself-Be-wegung viele Möglichkeiten in Form von Kistengärten und Begrünung von Wänden und Dachflächen. Für Dr. Christa Müller sind die Gemeinschaftsgärten kein Trend, vielmehr handele es sich um eine neue soziale Praxis, die sich bereits in vielen Städten mit insgesamt mehr als 600 Gartenprojekten etabliert habe. Für sie ist es wichtig, dass die Garteninitiative eine Rechtsform hat, zum Beispiel die eines Vereins. Kommu-nen brauchen diese Rechtsform, damit sie einen verlässlichen Ansprechpartner auf Augenhöhe haben. Auf der Homepage der „Anstiftung“ sind viele erfolgreiche Beispiele aufgeführt. Gerne können sich Interessenten auch an den Koordinator für urbanes Gärtnern im Münchener Gartenbauamt wenden. Alle Gedanken und Anregungen zum Urban-Gardening sind im „Urban-Gardening-Manifest“ beschrieben, eine umfassende Beschreibung zu den Zielen und Maßnahmen des Urban-Gar-dening in Deutschland.

Gärten in der Stadtplanung berücksichtigenIn der Diskussion forderten die Teilnehmer des Bewohner-gartens ZAK-Neuperlach eine Bestandswahrung für ihre Gartenanlage und baten um Mittel für eine Brunnenboh-rung, da bisher nur Regenwasser für die Bewässerung ge-sammelt und eingesetzt wurde. Zudem forderten sie von den Wohnungsbaugesellschaften und der Stadt München mehr Grün in zukünftige Bauplanungen vorzusehen.

Wolfgang Endlich vom bayerischen Verband für Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau war sprachlos über die Of-fenheit, mit der durch die Gärten geführt und Erfahrungen ausgetauscht wurden. Er sieht mit diesen Gemeinschafts-gärten Übereinstimmung mit den Forderungen seines Ver-bandes nach mehr Grün in der Stadt. Er rief dazu auf, neben

→ Bild 3: Türkische Teigtaschen für prominenten Besuch (von links):

Gärtnerin Zera Süsler, Vacit Kuzucu, Vorstandsmitglied des ZAK e. V.,

Landwirtschaftsminister Brunner, Wolfgang Endlich, Präsidium des

Verbands Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Bayern e. V.

→ Bild 4: Blick auf den Bewohnergarten des Vereins „Zusammen aktiv in

Neuperlach e. V.“ (ZAK) mit der Besuchergruppe rund um Minister

Helmut Brunner.

Page 76: Heft 10-11/2017

76 SUB 10-11/2017

FLÄCHeNVeRBRAUCH

FLÄ

CH

EN-

VERB

RAU

CH

dem Grün am Boden eine zweite grüne Ebene auf den Dä-chern und Balkonen einzurichten.

Urban-Gardening im TrendDer Garten kehrt zurück zur Stadt. Mit der anhaltenden Ur-banisierung der Gesellschaft wird die Anzahl der Gemein-schaftsgärten in der Stadt zunehmen. Die Urban-Garde-

ning-Entwicklung wird weiter anhalten. Junge Erwachsene wollen Do-it-yourself-Projekte durchführen und ihre Indi-vidualität erleben. Der Garten spielt dabei eine zentrale Rolle. Für die Vermittlung der Bedeutung einer gesunden Landwirtschaft bietet die Urban-Gardening-Bewegung viele Anknüpfungspunkte. Alle Organisationen in der Land-wirtschaft sowie die bayerischen Obst- und Gartenbauver-eine können viel von der bodenständigen und „von unten“ kommenden Bewegung sowie insbesondere von Gemein-schaftsgärten lernen. Für die Zukunft der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft bietet der Dialog mit den Urban-Garde-ners vielversprechende neue Ansatzpunkte sowie Chancen, ein besseres Verständnis der Stadtbevölkerung für die An-liegen der Landwirte und Gärtner zu erhalten. Alle Akteure sind aufgerufen, diese Chancen zu nutzen.

Die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Garten-bau (LWG) begleitet Urban-Gardening seit 2012 mit Semi-naren der Bayerischen Gartenakademie. Im November 2016 fand die erste Fachveranstaltung „Urban-Gardening – Poten-ziale für moderne Stadtentwicklungen“ in Veitshöchheim statt. Seit April 2017 läuft das Projekt „Urban-Gardening – Lust auf Gemüse in der Stadt“, ein Projekt in der Metropol-region Nürnberg, durchgeführt von der Bayerischen Gar-tenakademie in Kooperation mit dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Fürth.

Die Abteilung Landespflege der LWG erforscht seit Juli 2013 den Gemüseanbau auf dem Dach. Seit April 2016 läuft das Projekt „Entwicklung und Vergleich wandgebun-dener Fassadenbegrünungen zur Nahrungsmittelproduk-tion“.

DR. ANDREAS BECKER BAYeRISCHe LANDeSANSTALT FÜR WeINBAU UND GARTeNBAU BAYeRISCHe [email protected]

Dr. Christa Müller führte den Begriff bereits 2011 ein. Er wurde abgeleitet von Urbane Gärten und Gemein-schaftsgärten und lehnt sich an die nordamerikanische Bezeichnung „Community Gardens“ an.

Urban-Gardening, das sind nicht nur die verschiede-nen Gemeinschaftsgärten in den bayerischen Me-tropolen München, Nürnberg und Augsburg. Die Formen des Urban-Gardening sind vielfältig. Dazu gehören die Kistengärten auf dem Balkon oder auf Freiflächen im städtischen Siedlungsgebiet, die neuen Vertikalbegrünungen an Hauswänden, der Gemüseanbau auf Flachdächern, die Krautgärten, die für eine Vegetationsperiode am Stadtrand an-gelegt werden, sowie die schwimmenden kleinen Gärten als Floating System auf der Terrasse, um nur die wichtigsten Formen zu nennen. Oft finden sich die Menschen in formellen und informellen Grup-pen zusammen und nutzen den Garten als Vehikel zur Intensivierung der sozialen Kontakte. Dies er-folgt auch in kleinen Städten oder Dörfern in Form von Bürgergärten. Aktuelle nationale oder interna-tionale Trends werden schnell aufgegriffen und mit lokalen Mitteln umgesetzt.

Der Gedanke des ökologischen Gärtnerns, der Recyc-ling-Gedanke sowie der Wunsch, das eigene Umfeld grüner und belebter zu gestalten, stehen im Mittel-punkt. Urban-Gardening erreicht vor allem junge Men-schen in der Stadt und fördert das Verständnis für die Produktion von Lebensmitteln in landwirtschaftli-chen Familienbetrieben. Ebenso weckt Urban-Garde-ning das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung. Die städtische Bevölkerung wächst durch Menschen mit Migrationshintergrund, Urban-Gardening setzt Integ-rationsprozesse in Gang.

Infobox: „Urban-Gardening“

Page 77: Heft 10-11/2017

© Karl Josef Hildenbrand

Solange wir guten Wein, guten Käse

und gutes Brot haben, werden wir

auch immer gute Gespräche haben.

John Irvin, Armerikanischer Autor in „Die fünfte Frau“

Page 78: Heft 10-11/2017

IMPRESSUM

Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenISSN: 0941-360X

Internet:www.stmelf.bayern.de/SuB

Abonnentenservice:Staatliche Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenPorschestraße 5 a, 84030 Landshut, Telefon +49 871 9522-371, Fax +49 871 9522-399

Kontakt:Schriftleitung: Angelika SpitzerPorschestraße 5 a, 84030 Landshut, Telefon +49 871 9522-394, Fax +49 871 9522-399 [email protected]

Die in „Schule und Beratung“ namentlich gekennzeichneten Beiträge geben die Auffassung des Autors wieder. Eine Überprüfung auf fachliche Richtigkeit ist nicht erfolgt.

Redaktionsschluss für Heft 1-2/2018: 1. Oktober 2017

Titelbild: Dr. Hermann Kolesch, Präsident LWG Veitshöchheim