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Heilpädagogik heute

Nr 31 04 14

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ImpressumInfoBrief –Informationen der Hannoverschen Kassen

HerausgeberHannoversche Pensionskasse VVaG, BaFin-Reg. Nr. 2246,Hannoversche Alterskasse VVaG, BaFin-Reg.-Nr. 2249 (Vorstände: Regine Breusing, Jon Gallop);Hannoversche Unterstützungskasse e. V., Hannover VR 7466 (Vorstände: Regine Breusing, Hilmar Dahlem, Jon Gallop);Hannoversche Beihilfekasse e. V., Hannover VR 201265 (Vorstände: Regine Breusing, Hilmar Dahlem, Jon Gallop); Gerichtsstand Hannover.

Pelikanplatz 23 . 30177 HannoverTelefon 0511. 820798-50 . Fax 0511. [email protected] . www.hannoversche-kassen.de

RedaktionCorinna Maliske (verantw.), Rika Pietsch, Dr. Solveig Steinmann- Lindner

Redaktionelle Beratung/V.i.S.d.P.Hilmar Dahlem

Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Autoren ver antwortlich. Nachdruck und Vervielfältigung von Artikeln (auch auszugsweise) ist nur mit vorheriger Genehmigung durch den Herausgeber gestattet.

In dieser Ausgabe mit Beiträgen vonBritta Buchholz, Hilmar Dahlem, Johannes Denger, Ralf Kiel-mann, Corinna Maliske, Dr. Annette Massmann, Birte Müller, Gundula Poeplau, Wolfgang Pramann, Alexander Schaumann, Dr. Solveig Steinmann-Lindner

GestaltungBirgit Knoth Grafik-Design, Lübeckwww.bk-grafikdesign.de

FotosTitel, Seite 7, 9: Charlotte FischerSeite 3 (1), 20: Rainer Erhard

Auflage 11.000

DruckRenk Druck und Medien GmbH

HinweisAus Gründen der Lesbarkeit wurde überwiegend die männliche Schreibweise verwendet, auch wenn sich die Texte in gleicher Weise auf Frauen und Männer beziehen.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in der vorliegenden Ausgabe des InfoBrief beschäftigen wir uns mit der Verwirklichung des Inklusionsgedankens als fortwährender Entwicklungsaufgabe. Hierbei schauen wir mit dem Schwerpunkt Heilpädagogik vornehmlich auf Schulen als Orte für verschiedene Lebens- und Lernwege – denn mehr noch als früher sind Kindheit und Jugend von zuneh-mender Individualisierung gekennzeichnet. Einrichtungen des Erziehungs- und Bildungs-wesens stehen vor der Aufgabe, selbst zu lernenden und sich entwickelnden Organisati-onen zu werden.

Johannes Denger vom Bundesverband anthroposophisches Sozialwesen e. V. setzt sich im Leitartikel mit der Frage auseinander, wie „in Zukunft der Spagat zwischen der rechtli-chen Forderung nach Inklusion und der Pflege heilpädagogischer Fachlichkeit zum Wohle der Kinder gelingt“. Meine Kollegin Solveig Steinmann-Lindner fuhr zum Gespräch mit Gundula Poeplau und Wolfgang Pramann zum Institut Lauterbad nach Kassel, einer heil-pädagogischen Einrichtung und Waldorfförderschule mit vollstationärem Wohnbereich. Zudem zeigen wir Ihnen mit zwei Projekten der Zukunftsstiftung Entwicklung sehr enga-gierte heilpädagogische Einrichtungen aus Pakistan und Peru.

Das Thema Inklusion stellt uns aber auch vor die Frage, wie wir es mit individuellen Ent-wicklungsmöglichkeiten eines jeden Einzelnen in der Gemeinschaft halten – gleich ob mit oder ohne Behinderung. Unsere zurückliegende Mitgliederversammlung und Veranstal-tung „Wie wollen wir leben?“ bot sehr unterschiedliche Perspektiven auf die Frage nach zukunftsfähigen Gemeinschaften und Entwicklungsbedingungen. Eine Nachlese finden Sie auf Seite 20.

Wir freuen uns sehr, dass wir Birte Müller – Kinderbuchillustratorin, Autorin und Kolum-nistin – dieses Mal für unsere letzte Seite gewinnen konnten. Birte Müller ist Mutter von Willi (mit Down-Syndrom) und Olivia (mit Normal-Syndrom) und schenkt uns ihren Blick auf das Thema Inklusion zwischen Anspruch und Alltag.

Viel Freude beim Lesen!

Corinna MaliskeRedaktion InfoBrief

Editorial

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HK InfoBrief • Nr. 31 • April 2014

Inhalt

MELDUNGEN 4

TITELTHEMA

Heilpädagogik in der Herausforderung 6Im Gespräch: Institut Lauterbad e. V. 10

BLICK üBER DEN ZAUN

Heilpädagogik im internationalen Blickpunkt 16Die Mucherwiese – eine „Kulturinsel“ 18

HANNoVERSCHE KASSEN – NACHRICHTEN

Mitgliederversammlung: Wie wollen wir leben? 20Sozialpolitische Entwicklung und Waldorf-Versorgungswerk 21Übungsfeld Gemeinschaftsfonds 22Über uns 23Frage(n) an die Versicherung 24

SELBSTFüRSoRGE UND GESUNDHEIT

Hannoversche Beihilfekasse e. V. – Wie geht das? 25

EMPFEHLUNGEN

Veranstaltungen 26Buchempfehlungen 27

KoLUMNE

Inklusion ist eine gute Sache ... 28

Institut Lauterbad

20Mitgliederversammlung

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Meldungen

BILDuNGSANGEBoT

6. Inklusive FachtagungICH gestalte Zukunft! Mein Leben – Meine Träume 8.–10. Mai 2014

Die inklusive Arbeitsgruppe Bildungs-angebote MitMenschen veranstaltet im Mai 2014 ihre sechste Tagung. In der Jugendherberge Wiesbaden können sich die TagungsbesucherInnen mit eigenen Zukunftsfragen beschäftigen. Wie will ich leben? Mit wem will ich leben? Wie werde ich mutig? Wie kann ich aktiv wer-den? Eingeladen sind alle Menschen mit und ohne Behinderung, die sich mit die-sen Fragen auseinandersetzen möchten. Die Tagung ist inklusiv wie das Vorberei-tungsteam auch.

Bundesverband anthroposophisches Sozialwesen e. V.Telefon 06035. [email protected]: Jugendherberge Wiesbaden

Kosten: 125 EUR; in diesem Betrag sind die Kosten für die übernachtung in der Jugendherberge sowie alle Mahlzeiten enthalten.

Bildungsangebote MitMenschen arbeitet inklusiv. Zurzeit mit 17 Menschen, die in Werkstätten und Lebensgemeinschaf-ten des Bundesverbandes anthroposo-phisches Sozialwesen e. V. leben, lernen und arbeiten. Seit mehr als zehn Jahren bieten sie Bildungsangebote für und mit Menschen mit Hilfebedarf an. |

KINDER LERNEN VoN KINDERN

Über das Netzwerk BildungsBande

Zum ersten Lern- und Arbeitsfest der BildungsBande kamen 120 Kinder und Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren aus ganz Nordrhein-Westfalen zur GLS Bank nach Bochum. Seit zwei Jahren gehen sie als Schülercoaches jede Woche in „Partnergrundschulen“ – manche auch in Kindergärten – und lernen, lesen, malen, tanzen oder spielen dort mit jün-geren Kindern.

Die Schülercoaches von acht Schulen hatten an diesem Tag erstmals Gelegen-heit, sich untereinander kennenzulernen und über die schönen und auch negati-ven Erfahrungen, die sie mit ihren Paten-kindern machen, zu sprechen. Ein reicher Erfahrungsschatz wurde erlebbar.

Jede Schule kann bei dem Programm mitmachen und sich bewerben. Wie das geht, ist auf der Website der Bildungs-Bande erklärt.

Zukunftsstiftung BildungGLS Treuhand e.V.www.bildungsbande.de |

„Die Betonung liegt auf Bande. Erstens: wir machen eine Bande auf. Zweitens: es entstehen Bande, Beziehungen. Drit-tens: Wir spielen über Bande, wie beim Billard, und öffnen das ansonsten starre Schulsystem.“ So erklärt Matthias Riepe, Geschäftsführer der Zukunftsstiftung Bildung in der GLS Treuhand die Akti-vitäten der BildungsBande. Hier werden für und mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam Projekte zu folgenden The-men entwickelt:

Lernen: „Bildungsbande – damit’s beim Lernen klappt“ (früher auch als „Sprach-botschafter“ bezeichnet).

Ernährung: „BildungsBande – für was Vernünftiges zu essen“ Jugendliche ler-nen kochen, um dann mit Grundschulkin-dern gemeinsam Gerichte zuzubereiten (und zu essen).

Energie: „BildungsBande – gut für’s Klima“ Ältere bringen den Jüngeren bei, was es bedeutet, Energie zu sparen und wie das geht, was erneuerbare Energien sind und was das fürs Klima bringt.

Alle Projekte werden im „Erfahrungsfeld gemeinsam lernen“ (Peer Education) durchgeführt: Kinder lernen mit Kindern – Kinder lernen von Kindern.

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HK InfoBrief • Nr. 31 • April 2014

EINFACH MACHEN

Ein beinahe verhindertes Buchprojekt

Maria Hiszpanska-Neumann (1917-1980) hatte gerade ihr Studium an der Warschauer Kunstakademie abge-schlossen, als die Deutsche Wehrmacht in Warschau einmarschierte. Die junge Frau ging in den Widerstand, wurde verhaftet und war vier Jahre in einem Außenlager von Ravensbrück inhaf-tiert.

In dieser Zeit schrieb sie die Zeilen: „Und du lobst den Vater aller Ewigkei-ten für deine besondere allerschönste Mission – für das schwarze und weiße und silberne Lied, das du singst in dem in dir wachsenden Tage.“

Was war ihre Mission? Ein Leben in den Widersprüchlichkeiten und leid-vollen Erfahrungen im Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts. Ein Leben, das sie der Versöhnung und der Kunst wid-mete. Ihr Werk umfasst Holzschnitte, Mosaiken und Sgraffiti in Kirchen. Leben und Werk sind „durchdrungen von tiefer Humanität, Religiosität und Spiritualität“, schreibt die Kunsthis-torikerin Brigitta Waldow-Schily, die nach jahrelanger Recherche ein Manu-skript zur Biografie von Maria Hisz-panska-Neumann vorgelegt hat, um diese Biografie und das künstlerische Werk vor dem Vergessen zu bewahren.

WoRKSHoP

Reiseassistenz für Men-schen mit Behinderung20.10. – 26.10.2014

Die Stadt Krautheim (Jagst) ist geprägt durch das Behinderten-Wohnzentrum (EKWZ), die Krautheimer Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfB), durch ein barrierefreies Stadtbild sowie durch Natur und die Flusslandschaft. Hier kön-nen im Rahmen des Kurses Kompetenzen und Fähigkeiten im Umgang mit Men-schen mit Behinderung erworben werden.

Auf dem Programm stehen: Kennenler-nen der verschiedenen Behinderungs-arten und spezieller Hilfsmittel, Einsatz als pflegerische Assistenz, verschiedene Pflegetechniken, Umgang mit dem Roll-stuhl, Assistenz für blinde und sehbehin-derte Menschen, Nähe und Distanz in der Assistenz. Dies wird zusammen mit Men-schen mit Behinderung in praktischen und theoretischen Einheiten erarbeitet.

Auf dem Programm stehen auch Aus-tausch/Diskussionen untereinander und mit erfahrenen Reiseassistenten, behin-derten Reisenden und evtl. mit einer EU-Politikerin.

Der in deutscher Sprache stattfindende Workshop richtet sich an Erwachsene, die sich mit den spezifischen Anforde-rungen in der freiwilligen Betreuung und Begleitung von Menschen mit Behinde-rung/ älteren Personen während Reise-aktivitäten auseinandersetzen wollen. Voraussetzungen sind ein Mindestalter von 18 Jahren, körperliche Belastbar-keit, Einfühlungsvermögen, Geduld und Ausdauer, ein unvoreingenommener Umgang mit Menschen mit Behinderung und eine soziale Einstellung.

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V.organisation/Durchführung: BSK-Reisen GmbHTelefon 06294. [email protected]/reiseassistenz |

Kurz vor der Veröffentlichung musste der Verlag, in dem es erscheinen sollte, Insolvenz anmelden, und das Buch schien aus finanziellen Gründen auf der Strecke zu bleiben. Nun hat der Info3 Verlag die Autorenrechte übernommen und plant die Veröffent-lichung. Maria Hiszpanska-Neumanns Mission bedarf jetzt allerdings der Unterstützung von Privatpersonen oder Stiftungen, wenn sie trotz der erneuten Widrigkeiten ans Licht kom-men soll.

http ://www.info3-magazin.de/maria-hizspanska-neumann-ein-buch-schicksal/ |

132 werk

140 Tröstung

hiszpanska-neumann-umbruch_hiszpanska-neumann 04.02.14 19:07 Seite 132

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Titelthema

Heilpädagogik in der HerausforderungAlles, was recht ist, aber Recht ist nicht alles!

Text: Johannes Denger

› Es gibt wohl kaum eine pädagogische Fachlichkeit, die in den letzten

Jahren stärker herausgefordert war und ist als die Heilpädagogik! Der

sogenannte Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe hat den Blick auf

Behinderung radikal verändert. Wie wird in Zukunft der Spagat zwischen

der rechtlichen Forderung nach Inklusion und der Pflege heilpädago-

gischer Fachlichkeit zum Wohle der Kinder gelingen?

Menschen sind die zentralen Forderun-gen für das Zusammenleben und -arbei-ten auch in den sozialtherapeutischen Lebensorten, die sich von eher abge-schlossenen Gemeinschaften in der Ver-gangenheit zunehmend zu Gemeinwesen mit mannigfaltigen Bezügen und Bezie-hungen in das öffentliche Umfeld, die Gemeinde, den Stadtteil hin öffnen. (Im Weiteren beschränken wir uns in diesem Beitrag auf die heilpädagogische Arbeit mit den Kindern.)

Recht auf Bildung

Zum Thema Bildung heißt es in Artikel 24 BRK, Absatz 1: Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu ver-wirklichen, gewährleisten die Vertrags-staaten ein integratives (im englischen original: „inclusive“) Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Ler-nen.

Grundgedanke des Art. 24 der BRK ist das inklusive lebenslange Lernen. Basis der schulischen Heilpädagogik auf anthropo-sophischer Grundlage ist die Waldorfpä-dagogik. Sie wiederum ist als Teil einer

sozialen und politischen Bewegung ent-standen, die zu Beginn des 20. Jahrhun-derts die drei Ideale der Französischen Revolution in die Lebensrealität zu tra-gen versuchte: Freiheit im (kulturellen) Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsle-ben, so differenzierte der Begründer der Waldorfschule, Rudolf Steiner, in seiner Dreigliederung des sozialen organismus. Eine grundlegende Bedeutung für die Verwirklichung dieser Ideale kommt der Schule zu. Mit Blick auf den aus Art. 24 BRK abzuleitenden Entwicklungsauftrag an Bildungseinrichtungen ist zu fragen: Wie können die heutigen Schulformen so weiterentwickelt werden, dass das einzelne Kind darin unterstützt wird, in seiner Lebenswirklichkeit sich künftig zu Selbstbestimmung und Gleichberech-tigung zu entfalten und seinen Beitrag zum Ganzen leisten zu können?

Da wäre zuvorderst die Entwicklungsori-entierung. Eine inklusive Unterrichtung von Kindern mit verschiedensten Vor-aussetzungen ist nur möglich, wenn man sich von einer ausschließlich am Lern-ziel (z. B. Abitur) orientierten Bildung verabschiedet und eine radikale Umkehr zur orientierung an der Entwicklung des einzelnen Kindes vornimmt. Lehrerinnen und Lehrer an heilpädagogischen Schu-

Behinderung wird heute nicht mehr als den einzelnen Menschen anhaftende Eigenschaft gesehen, sondern als sozi-ales Konstrukt. Weil „das Verständnis von Behinderung sich ständig weiter-entwickelt und (...) Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren ent-steht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern...“ So formuliert es die Präambel (Buchstabe e) der UN-Kon-vention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK). Ich habe womöglich eine Beeinträchtigung, ob daraus allerdings eine Behinderung wird, hängt von umwelt- und einstellungsbe-dingten Barrieren ab. Behinderung wird nicht mehr einfach als Defizit gesehen, sondern als Variation des Menschseins, die zur Vielfalt der Menschheit beiträgt. Menschen mit Behinderungen sollen heute voll in der Gesellschaft inkludiert leben können. Dass so gut wie alle Natio-nen der UN diese Konvention inzwischen ratifiziert haben, ist von unschätzba-rer Bedeutung für das Leben und die Rechtsstellung von circa 700 Millionen Menschen mit Behinderungen, der soge-nannten größten Minderheit weltweit. Möglichst weitgehende Selbstbestim-mung und Teilhabe für alle erwachsenen

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len sind darin ausgesprochen geübt, weil sie häufig Kinder mit extrem unter-schiedlichen Voraussetzungen – etwa was die körperliche Leistungsfähigkeit oder das Vorstellungs- und Sprachvermö-gen angeht – in einer Klasse führen.

Inklusives Potential

Die Freie Waldorfschule, eine der ersten Gesamtschulen überhaupt, hat sich als fruchtbarer Versuch seit jener Zeit des Aufbruchs bis heute vielfältig entwickelt. Gerade in der ersten Zeit verstand sie sich als Schule für alle. Vereinzelt besuchen Kinder und Jugendliche mit Behinderun-gen auch heute als integrierte Schüler-Innen Regel-Waldorfklassen. An vielen Waldorfschulen wurden Förderangebote und Kleinklassen eingerichtet, um den speziellen Anforderungen von Kindern außerhalb der im Regelschulbereich vor-handenen Rahmenbedingungen ange-messen gerecht werden zu können. Aber auch im Sonderschulbereich, der sich durch die Segregation in den 1960/70er Jahren in unzählige Spezialformen auf-geteilt hatte, fand an heilpädagogischen Schulen auf anthroposophischer Grund-lage Integration durch Zusammenfüh-rung von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem Förderbedarf statt,

eine Form, um die damals rechtlich hart gekämpft werden musste. Seit einigen Jahren entstehen integrative Waldorf-schulen mit entsprechend kleinen Klas-sen und einem Team aus LehrerInnen und HeilpädagogInnen.

Auch die SchülerInnen in den Regel-klassen brauchen zunehmend heilpäd-agogisches Verständnis und verstärkte Hinwendung zum Einzelnen. Integration eines Kindes mit Hilfebedarf in eine Wal-dorf-Regelklasse war immer in starkem Maße vom Interesse, Engagement und der Vorbildung der KlassenlehrerInnen, der Bereitschaft des ganzen Kollegiums und der Eltern auch der anderen Kinder abhängig. Wenn Integration oder künf-tig gar Inklusion gelingt, ist sie für alle Kinder der Klasse von unschätzbarem Wert, etwa in Bezug auf die Vielfalt und das Entwickeln von Sozialkompetenz.

Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, Erfahrungen zu sammeln, ob und wie durch die gemeinsame Beschulung von behinderten und nicht behinder-ten Kindern das einzelne Kind die ihm gerecht werdende Bildung erhält. Dabei muss sichergestellt werden, dass behin-derte Kinder und Jugendliche unabhän-gig von der Schulform die personelle und sächliche Ausstattung vorfinden,

die sie für gleichberechtigtes Lernen in der Schule benötigen. Inklusive Bildung in der Regelschule wird nur gelingen, wenn die hochentwickelte Fachlichkeit sonderpädagogischer Förderung sys-tematisch in die heutige Regelschule transferiert wird. Die heutigen bewähr-ten Förderkonzepte müssen im Interesse der behinderten SchülerInnen zeitgemäß und bedarfsgerecht in die zu entwickeln-den inklusiven Konzepte einfließen. Ein vielfältiges und durchlässiges Angebot an Schul- und Unterrichtsformen ist unverzichtbar für die unterschiedlichen und individuellen Wege von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die Menschenrechte zu leben.

Alles was recht ist, aber Recht ist nicht alles!

So sinnvoll die Betonung des Rechtssta-tus des Menschen mit Behinderung ist, wie sie die BRK vornimmt, so stellt sie doch auch eine Einseitigkeit dar. Mitar-beiterInnen und LehrerInnen in der Heil-pädagogik sehen sich heute in ihrem Tun oft hinterfragt oder gar als „Menschen-rechtsverletzer“ bezichtigt, weil sie aus Sicht der radikalen Inklusionsverfechter die Kinder mit Behinderungen in soge-

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Titelthema

nannte „Sonderwelten“ führen. Selbst-verständlich ist die Entwicklung von inklusiven Schulen eine vorrangige Her-ausforderung unserer Zeit. Jedes Kind, das an einer solchen Schule seinen Platz finden und eine ihm gerecht werdende Bildung erfahren kann, sollte diese Mög-lichkeit bekommen. Es wäre aber ein quasi ideologisches Vorgehen, wenn man für alle Kinder nur eine Form gelten las-sen würde. Wir müssen vielmehr fragen: wo findet das je einzelne Kind die Men-schen, den ort und die (Heil-)Pädagogik, die ihm hilft, seine Menschenrechte zu leben. Das kann die inklusive Schule mit Binnendifferenzierung sein, es kann aber auch eine kleine, heilpädagogisch ausge-richtete Klasse sein, die ihm den nötigen Schutzraum bietet. Um dem einzelnen Kind gerecht zu werden, braucht es, wie gesagt, große Vielfalt und Wahlfreiheit für die Eltern.

Wollen wir in der herausfordernden Fragestellung nach Inklusion urteils-fähig werden, müssen wir also Schich-tenurteile bilden und die allgemeine menschenrechtliche, die gesellschaft-lich-politische, die schulrechtliche und die methodisch-didaktische Ebene unterscheiden. ob Inklusion gelingt oder nicht, entscheidet sich aber letztlich individuell in der Begegnung von Ich zu Ich; wie kann man diese üben und ver-tiefen?

Das Gewahrwerden des Wesens des anderen Menschen

Alle Menschen, besonders aber Kin-der mit einer sogenannten geistigen Behinderung waren und sind auf andere Menschen angewiesen, die sie in ihrem So-Sein sehen, annehmen und in ihrer Entwicklung begleiten. Heilpädagogen üben sich darin, Kinder möglichst unvor-eingenommen wahrzunehmen und aus dieser Wahrnehmung heraus pädagogi-

sche und gegebenenfalls therapeutische Intuitionen zu entwickeln. Heilpädago-gik auf anthroposophischer Grundlage ist für das Erüben dieses Wahrnehmens und intuitiven Handelns eine besonders geeignete Methode. Als Rudolf Stei-ner 1924, vor genau 90 Jahren in der Schreinerei am Goetheanum den „Heil-pädagogischen Kursus“ gehalten hatte, versuchte er, durch die Begegnung mit konkreten Kindern diesen Blick zu hand-haben. „Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommu-nion des Menschen“, so beschreibt der 23-jährige Rudolf Steiner als Herausge-ber in einer Vorrede zu den Naturwissen-schaftlichen Schriften Goethes dessen Methode. Kann ich so auf die Wirklich-keit blicken, dass sich mir die darin enthaltene Idee mitteilt, ohne dass ich aus intellektueller Willkür etwas Wesens-fremdes, etwas rein theoretisch Ausge-dachtes in die Begegnung hineintrage? Anthroposophie will helfen, den anderen in seinem Wesen wahrzunehmen und anzuerkennen. Dass Rudolf Steiner nicht nur darüber gesprochen und geschrie-ben hatte, sondern selbst genau so auf Menschen blicken konnte, zeigt eine Lebenserinnerung des damals jungen Friedrich Rittelmeyer bei deren ersten Begegnung: „oben in der halb geöffne-ten Tür stand Rudolf Steiner, der eben einen anderen Gast entlassen hatte, und schaute mir höchst aufmerksam zu, wie ich langsam die Treppe hinaufstieg. Ich habe nie einen Menschen so aufmerksam beobachten sehen, wie er es konnte. Es war, als ob er – ganz unbeweglich, aber selbstlos hingegeben – den anderen sich selbst gleichsam noch einmal erschaffen ließe, in einem feinen Element der eige-nen Seele, das er ihm zu diesem Zweck darbot. Es war kein Nachdenken über den anderen, sondern mehr ein inneres, geistiges Nachbilden, in dem das ganze Werden des anderen offenbar werden konnte.“ 1

Diese kurze Schilderung ist nun ausge-sprochen bedeutsam und wir können daraus einen methodischen Weg für die Vertiefung der Begegnung mit einem Menschen gewinnen. Was wird beschrie-ben? Einmal geht es um die Wahrneh-mung durch aufmerksames Beobachten, das in diesem Augenblick selbstloses Hingegebensein erfordert. Und jetzt kommt das Entscheidende! Nicht er kon-struiert den anderen nach, sondern er bietet ein feines Element seiner Seele dar, in dem er den anderen sich selbst gleichsam noch einmal erschaffen lässt! Ein inneres, geistiges Nachbilden, in dem das ganze Werden des anderen offenbar werden kann.

Das ist nun auch insofern interessant, als hier von Friedrich Rittelmeyer eine Lebenserfahrung in der Begegnung mit Rudolf Steiner geschildert wird, die ganz dem entspricht, wie dieser auch über Begegnung gesprochen hat. Es handelt sich um einen aus Anthroposophie zu gewinnenden vierstufigen übungsweg, den ich hier abschließend knapp skizzie-ren möchte 2:

Die erste Stufe des bewussten Begeg-nungsgeschehens ist das urteilsfreie Wahrnehmen des anderen. Rudolf Steiner nennt diese bewusst verstärkte Zuwen-dung im Heilpädagogischen Kurs „Liebe-volles Interesse ... für das Mysterium der menschlichen organisation“ 3. Nicht nach einer Bedeutung soll auf dieser Stufe gefragt werden, sondern die Physiogno-mie an sich soll intensiviert wahrgenom-men werden und dadurch das Einmalige des Ausdrucks. Die Ahnung des Bedeu-tungsvollen kann entstehen: Könnte es sein, dass sich in der Erscheinung des anderen Wesenhaftes ausspricht?

Die zweite Stufe dient dem Nachschaf-fen des Wahrgenommenen, ohne Urteil, jenseits von Sympathie und Antipathie. Nachschaffen heißt, den anderen in sei-

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nem So-Sein in der eigenen Seele erste-hen zu lassen, Schale zu bilden, einen Raum, in dem der andere Mensch sein kann. Die übung besteht nun darin, durch neue Wahrnehmung und wieder-holtes Nachschaffen dieses Bild immer vollständiger werden zu lassen.

Gelingt es, ohne Vorurteil wirklich wahr-zunehmen und richtig nachzuschaffen, so ist jetzt der Zeitpunkt für ein bewuss-tes Urteilen gekommen: das Verstehen. Es handelt sich um eine Imagination des den anderen persönlich auszeichnenden Gleichgewichtszustandes. Da aber jeder Mensch das menschliche Harmonisieren polarer Vereinseitigungstendenzen nur graduell schafft, offenbart sich gerade im relativen Ungleichgewicht seine indi-viduelle Art des Inkarniert-Seins – und darin spricht sich Schicksal aus. Gelingt diese Begegnung, das heißt, kommt es

tatsächlich zu jener Imagination, so schauen wir zwar nicht den Wesenskern selbst, aber die Art und Weise wie die-ser Wesenskern sich inkarniert hat. (Es handelt sich also um einen äußerst inti-men Vorgang, der absolute Sorgfalt im Umgang und selbstverständlich Diskre-tion verlangt.)

Gehen wir voll bewusst diesen Weg, so führt er auf der vierten Stufe zu einer neuen Begegnung, die man bezeichnen kann als Einswerden im Geiste. Es bilden die Teilnehmer einer Begegnung eine Einheit, ohne ihre Individualität zu ver-lieren!

Wir sind in unserer Betrachtung weiter oben ausgegangen von dem Satz: „Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklich-keit ist die wahre Kommunion des Men-schen.“ Auf unseren Zusammenhang der

Johannes Denger, Heilpädagoge und Waldorflehrer, Referent für Bildung, Ethik, Öffentlichkeit des Bundesverbandes an-throposophisches Sozialwesen e. V. Redak-tion der Zeitschrift PUNKT UND KREIS.

Menschenbegegnung hin möchte ich variieren: Das Gewahrwerden des Wesens des anderen Menschen in seiner Hüllen-natur ist die wahre Kommunion des Men-schen. Heilen durch Begegnen! Jeder kann damit beginnen, hier und jetzt. Es braucht keinen Verein und keine Sat-zung, aber es könnten aus dieser Seelen-arbeit auch neue Gemeinschaftsformen entstehen. Die hier skizzierte Form der Begegnung ist ein Liebesdienst. Selbst-erkenntnis und Erkenntnis des Du bedin-gen und beleuchten sich gegenseitig. |

Literatur1) zitiert nach: Peter Selg: Der therapeutische Blick, Ver-

lag am Goetheanum, Dornach 20052) Eine ausführliche Darstellung des vierstufigen Be-

gegnungsweges findet sich in: Denger, Johannes: Der Mensch ist der Behinderte; in: Grimm, R. und Kaschu-bowski, G. (Hrsg.): Kompendium der anthroposophi-schen Heilpädagogik, München 2008

3) Rudolf Steiner, Heilpädagogischer Kursus, R. Steiner Verlag, Dornach 1975

Siehe hierzu: Athys Floride: Die Begegnung als Auf-wacherlebnis, Verlag am Goetheanum, Dornach 1982

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Im Gespräch

Institut Lauterbad

› Das Heil- und Erziehungsinstitut Lauterbad e.V. ist eine Heilpädagogische Einrichtung, eine Waldorfförder-

schule mit vollstationärem Wohnbereich und (zusätzlich) externen Schülerinnen und Schülern. Hier leben und

lernen Seelenpflege-bedürftige Kinder und Jugendliche. Seit vielen Jahren ist das Institut Lauterbad Mitglied

im Waldorf-Versorgungswerk. Im Februar traf ich Gundula Poeplau und Wolfgang Pramann zum Gespräch in der

Einrichtung am Stadtrand von Kassel.

Lauterbad ist ein Ort im Hochschwarz-wald. Wie kommt es zu dem Namen Ihrer Einrichtung: Institut Lauterbad? Und wieso Institut? Auch das klingt heute ungewöhnlich.

Wolfgang Pramann: Die Einrichtung Lauterbad wurde 1950 gegründet in dem Örtchen Lauterbad und hat dort acht, neun Jahre Kinder betreut. Dann wurde es dort vor ort zu eng, es gab gleichzeitig neue Ideen und der Pachtvertrag lief aus. Der damalige Heimleiter, Herr Uhlenhoff hat sich dann auf den Weg gemacht und sich umgeschaut. Auf der Suche fand er diesen ort hier. Den Namen nahm er mit. Der Umzug war Michaeli 1959.

Ein Interview mit Gundula Poeplau und Wolfgang Pramann

Gundula Poeplau: Zum „Institut“ – Im Grunde ist es die Bezeichnung für alle Institutionen, wo im Rahmen der anth-roposophischen Heilpädagogik Seelen-pflege-bedürftige Kinder betreut werden. Kurz vor dem Krieg gab es bereits die ers-ten Gründungen, sie hießen auch schon Institute für Seelenpflege-bedürftige Kinder und Jugendliche, weil es ganz eng mit dem Medizinisch-Pädagogischen ver-bunden war. Aus diesem Impuls ist auch Lauterbad im Schwarzwald entstanden, als anthroposophische Einrichtung, wo man versucht hat, den Impuls umzuset-zen, den Rudolf Steiner als Sozialimpuls in die Welt gebracht hat, und auf dieser Grundlage eine heilpädagogische Ein-richtung aufzubauen.

Das war also stark mit dem medizini-schen Impuls verbunden seinerzeit?

Gundula Poeplau: Seinerzeit! In die-ser Zeit hatten alle Institute auf jeden Fall ihren Arzt. Das ist heute nicht mehr ganz so. Da ist die Zusammenarbeit mit den Ärzten schon sehr stark, aber in der Gründungszeit kam das oft aus der Ärz-teschaft heraus. Es war auch verbunden mit der anthroposophisch-medizinischen Forschung, wie zuerst in Arlesheim durch Ita Wegman.

Förderschwerpunkte Ihres Instituts sind geistige Entwicklung sowie emotionale und soziale Entwicklung. Woher kom-

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wollen da noch einmal eine Schnittstelle schaffen für die jungen Erwachsenen. Sie sind dann zwischen 18 und 21 Jahre alt, und im schulischen Rahmen kann man einfach noch einmal viel, viel mehr machen als in einer Sozialtherapeuti-schen Erwachseneneinrichtung. Gerade für den Berufsfindungsprozess und in der Pflege der Kulturtechniken. Diesen Reifungsraum möchten wir ihnen gerne noch anbieten. Wir möchten alle Mög-lichkeiten ausschöpfen, dass die jungen Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können. Wenn es denn möglich ist.

Diese jungen Menschen werden hier dann auch noch beschult?

Gundula Poeplau: Genau, sie gehen in die Werkstufe 2. In diesem Rahmen streben wir an, dass sie möglichst viele Praktika absolvieren, auch außerhalb. Und das nicht nur in einer beschützen-den Werkstatt, sondern wirklich auf dem Arbeitsmarkt, im richtigen Leben. Außerdem betreiben sie hier intern so etwas wie eine kleine Schülerfirma. Da entsteht vieles für den Bereich der unterstützenden Kommunikation: da werden Schilder gefertigt, es kommt z.B. ein Lehrer, der gerade eine Afrika-Epoche macht, und fragt nach Schildern für die nicht-sprechenden Kinder mit

ausgewählten Begriffen. Das wird von den Schülern gefertigt, so dass auch dadurch unser Materialfundus für die unterstützende Kommunikation immer weiter anwächst. Andere Bereiche sind Gartenarbeiten oder bestimmte Pfle-geaufgaben, die sie bei den Tieren in der tiergestützten Therapie fest übernom-men haben. Für den Sozialverbund tätig zu werden, und nicht nur für sich selber irgendetwas zu arbeiten!

Was ist Ihre besondere Aufgabe im Wohnbereich?

Wolfgang Pramann: Im Wohnbereich geht es für alle Altersstufen ebenfalls darum, das Kind zu fördern, individu-ell zu schauen, was braucht dieses Kind jetzt an Angebot und an Begleitung. Gleichzeitig ist aber auch das allge-meine Tagesgeschehen zu erlernen, in einer Gemeinschaft zu leben und sie zu gestalten. Das beginnt damit, dass man gemeinsam am Tisch sitzt und gemein-sam isst – und das auch aushalten kann. Und dann natürlich auch weiter im All-täglichen: jedes Kind hat ein Amt, das es für die Gruppe als Aufgabe übernimmt. Immer wird natürlich geschaut, was das Kind braucht, was gerade sinnvoll für die Entwicklung ist und was es gerade lernen

men Ihre Schülerinnen und Schüler? Und in welcher Altersspanne leben und ler-nen sie hier?

Gundula Poeplau: Das größte Einzugs-gebiet ist der Bereich Kassel. Aber wir haben auch Kinder aus Südhessen, aus Niedersachsen oder aus NRW, auch aus den östlichen Bundesländern. Diese Kin-der sind dann die in der vollstationären Unterbringung. Da ist wirklich gesucht worden nach einem Lebensort für diese Kinder, weil es, aus welchem Grund auch immer, in der Familie oder in der Pfle-gestelle nicht mehr möglich war sie zu betreuen. Und die externen Schüler, wie sie bei uns heißen, die also als Tages-schüler die Schule besuchen, sie kom-men aus der Stadt Kassel und den beiden angrenzenden Landkreisen.

Wir können von der ersten Klasse an auf-nehmen und führen dann bis zur zwölf-ten Klasse, das sind dann die Schüler der Werkstufe 1. Vor drei Jahren haben wir uns entschlossen, nach oben hin noch die Werkstufe 2 aufzustocken, weil sich zeigt, dass die Schüler gerade aus dem Bereich der geistigen Entwicklung für die Folgeeinrichtungen, in die sie ent-lassen werden sollen, oft noch zu jung sind. Diese Einrichtungen können das, was diese jungen Erwachsenen brauchen, nicht in der nötigen Weise leisten. Wir

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Im Gespräch

kann. In den Wohngruppenbereich fal-len auch die therapeutischen Angebote, die wir in den Alltag integriert haben, aber auch Massagen oder therapeuti-sche Bäder und die für uns unter vielen Aspekten so wichtige und hilfreiche tier-gestützte Pädagogik.

Bis auf die Jugendlichen-Gruppe sind die Wohngruppen altersgemischt, über die Klassengrenzen hinweg, fast wie in einer Familie. Jeweils sieben bis acht Kinder. Die Jugendlichen-Gruppe kann bis zehn Jugendliche umfassen. Dazu kommen noch zweimal zwei Trainingswohneinhei-ten. Es ist schon familienähnlich, zum einen weil die Mitarbeiter z.T. hier auch vor ort wohnen, zum andern haben wir einen festen Dienstplan, der nicht wie im Schichtdienst ständig wechselt. Die Kin-der können sich daran orientieren, dass zu bestimmten Zeiten immer dieselbe Person da ist. Wenn ich also morgens da bin, bringe ich das Kind zur Schule und hole es im Idealfalle auch nachmit-tags wieder ab und bringe es später zu Bett. Diese Verlässlichkeit, das ist unser Ansatz.

Die Kinder leben hier im Wohnbereich, Sie sind also recht nahe mit ihnen ver-bunden. Sind Sie da quasi Vertreter der Eltern, gehen Sie beispielsweise zu den Klassen-Elternabenden in der Schule?

Wolfgang Pramann: Nein, zu den Eltern-abenden gehen wir nicht! Wir betrach-ten uns auch nicht als Ersatz für die Eltern. Die Eltern sollen ihre Rolle als Eltern behalten. Wir unterstützen die Eltern. Aber wir sind so ein Dreiklang: das Kind, die Eltern und wir. Und wir drei verlassen uns aufeinander. Aber wir sind ganz bewusst nicht Elternersatz. Natür-lich ist auch für uns der Austausch mit dem schulischen Bereich wichtig, weil die Kinder und Jugendlichen den größ-ten Teil des Jahres ja auch in Lauterbad leben. Die Eltern sollen aber ihre Verant-wortung behalten, mit uns zusammen für das Kind zu sorgen.

Was ist für Sie ein angemessener Begriff: Behinderte, behinderte Menschen, Men-schen mit Behinderung, Menschen mit Unterstützungs- oder Förderbedarf, praktisch-Bildbare?

Gundula Poeplau & Wolfgang Pramann: Seelenpflege-bedürftige Menschen! Denn das sind wir alle. Natürlich mit verschiedenen Abstufungen, aber das sind wir alle. Wir haben uns oft darüber unterhalten, dass das eigentlich der pas-sendste Ausdruck ist. Eben, weil wir das alle sind.

Aber wenn Sie beispielweise mit Behör-den sprechen … was würden Sie denn dann als Bezeichnung wählen?

Gundula Poeplau: Ich würde wahr-scheinlich den Terminus „Menschen mit Behinderung“ wählen. Wir haben jetzt in Hessen gerade gewechselt von dem Förderbedarf der „Praktischen Bild-barkeit“ zu dem „Förderbedarf Geisti-gen Entwicklung“. Diesen Förderbedarf habe ich natürlich selber auch! So dass ich fast „praktisch bildbar“ als schöner empfunden habe für die Kinder. „Geis-tige Behinderung“ – dagegen wehre ich mich allerdings. Insofern kann ich mit dem Begriff „Geistige Entwicklung“ mit-gehen. Denn das ist doch eigentlich ein Spektrum, bei dem der Eine dort und der Andere an einer anderen Stelle steht. Und ich lerne sehr, sehr viel von meinen Schülern und sie wiederum von mir. Das ist ein Geben und Nehmen. Jeder steht einfach an einer anderen Stelle.

Wolfgang Pramann: Ich ziehe im Moment wieder den Begriff der „behin-derte Mensch“ vor, und zwar weil ich denke, dass der Mensch selbst ja nicht behindert sein kann, er ist nur in seiner Ausprägung behindert. Also eher „ver-hindert“. Es ist tatsächlich nicht leicht zu benennen. Der jetzt in Hessen übliche Begriff „Förderbedarf Geistige Entwick-lung“ ist wertneutral und akzeptabel.

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Bereiche mit pflegt. Und daher Seelen-pflege-bedürftig.

Könnte es sein, dass diese Kinder und Jugendlichen uns als Gesellschaft zei-gen, worum es tatsächlich geht in der menschlichen Entwicklung?

Gundula Poeplau: Das kann ich inso-fern gut nachvollziehen, als eigentlich sie uns an die Hand nehmen. Sie neh-men uns mit in ihre Welt und stellen uns immer wieder Fragen. Ich glaube schon, dass sie da wirklich eine Mission haben, gerade für uns.

Nehmen Sie das, was jetzt so rasant zunimmt, die Kinder, die mit den sozial-emotionalen Störungen kommen und mit den psychiatrischen Störungsbildern. Sie stellen noch einmal eine höhere Her-ausforderung für ihre Mitmenschen dar. Diese Kinder werden auch bei uns immer häufiger. Das war vor etwa 15 Jahren noch anders. Es kamen zwar auch schon einzelne mit diesen Schwierigkeiten, aber nicht in dieser Häufung. Ebenfalls häufiger geworden sind die Kinder, die mit der Doppeldiagnose kommen, geis-tige Behinderung und psychiatrisches Krankheitsbild. Und das rutscht immer weiter in die jüngeren Jahrgänge herab.

»

Warum spricht man in der anthroposo-phischen Heilpädagogik und Sozialthe-rapie von „Seelenpflege-bedürftig“? Das ist eine nicht sehr geläufige Formu-lierung.

Gundula Poeplau: Es geht darum, die Kinder und Jugendlichen in ihrem Menschwerdungsprozess zu unterstüt-zen. Die Seele äußert sich ja in dem, wie wir in die Welt treten, in ihr agie-ren, in dem, wie wir die Welt empfinden und in dem, wie wir sie geistig-kognitiv erfassen und uns äußern. Alle diese drei Bereiche bedürfen auf ganz unterschied-liche Weise der Pflege und der Führung. Das Kind, der Jugendliche braucht Unter-stützung bei der Frage, wie kann ich mich denn über diese meine Seele in Kontakt mit der Welt bringen. Wir legen sehr viel Wert darauf, dass der Mensch als Ganzes gesehen wird, und nicht nur in seinen kognitiven Fähigkeiten gefördert wird (... möglichst zum Abitur zu kommen). Wir wollen eben alle drei Elemente (Denken, Fühlen und Wollen) schulen. Das fängt damit an, dass in den unte-ren Klassen stark auch die Sinnespflege, gerade der unteren Sinne, einbezogen wird. Dass bis zur Mittelstufe ganz inten-siv Rhythmus, Musik, Kunst gepflegt und an die Kinder herangebracht werden. Es sollte eine Gesamtkomposition sein, die natürlich auch Inhalte vermittelt, auch ein Wissen vermittelt, aber die anderen

Es war in alten Zeiten,

Da lebte in der Eingeweihten Seelen

Kraftvoll der Gedanke, dass krank von Natur

Ein jeglicher Mensch sei.

Und Erziehen ward angesehen

Gleich dem Heilprozess,

Der dem Kinde mit dem Reifen

Die Gesundheit zugleich erbrachte

Für des Lebens vollendetes Menschsein

R. Steiner

Wie kommt es dazu?

Gundula Poeplau: Es ist schwer zu sagen. Aber ich glaube, wir haben es hier mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun. Wir merken, dass in der Elternschaft dieser Kinder das Ver-ständnis für eine wirklich gesunde Erzie-hung schon nicht mehr grundständig vorhanden ist. Viele von ihnen haben selber bereits eine gestörte Sozialisation erfahren. Und das wird jetzt sozusagen noch einmal weitergeben. Ich glaube, man darf auch wirklich nicht unterschät-zen, dass wir hier in Deutschland die beiden Weltkriege und den Faschismus gehabt haben. Daraus sind anhaltende Traumatisierungen entstanden, ohne dass eine angemessene Traumabewäl-tigung stattgefunden hätte. Man weiß heute in der Wissenschaft, dass die Traumata, die dort erlebt worden sind, sich über Generationen generieren. Dann liegt es doch sehr nahe, das, was jetzt die Kinder als Bürde zu tragen haben, wirklich aus diesen Geschehnissen her-aus zu verstehen. Und es ist nun unsere Aufgabe, dorthin zu schauen und zu hel-fen. Wir haben die Möglichkeit, immer mehr mit dem Bewusstsein einzugreifen. Es ist unsere Aufgabe, dieses so mit dem Bewusstsein zu ergreifen, zu verändern und hoffentlich aufzuarbeiten. Das zieht sich im übrigen durch alle gesellschaft-

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Titelthema

lichen Schichten hindurch. Es betrifft zudem nicht nur Kinder mit Behinderung, sondern eben alle, in allen Schulformen.

Ist das nicht in der Tat auch ein Bild, ein Spiegel der Gesellschaft? Denn auch die Gesellschaft macht sich gerade erst auf den Weg, diese Trauma-Problematik zu erkennen, zu thematisieren und nach Antworten zu suchen.

Gundula Poeplau: Ganz genau, und diese Problematiken kommen natürlich zuerst in den Schulen und den Kindergärten an, weil sich da der Mensch richtig zeigt.

So kommen also Kinder zu Ihnen, die gar nicht mit den klassischen Begriffen der Behinderung zu beschreiben sind?

Gundula Poeplau: Wir haben manchmal Kinder hier, wo wir uns fragen, hat die-ser Mensch tatsächlich den Förderbedarf „Geistige Entwicklung“? oder ist die-ser Förderbedarf vielmehr entstanden, weil der Mensch so in sich verstrickt ist? Gefangen in diesen, nennen wir es jetzt einmal, Traumata, so dass er ein-fach nicht einem Unterrichtsgeschehen folgen konnte. Wir haben immer wieder Kinder, wo wir diese Frage stellen. Und wo wir auch noch auf der Suche sind nach der richtigen pädagogischen Ant-wort, einem neuen pädagogischen Ver-ständnis für diese Kinder. Wir erleben, dass die Gesellschaft immer individueller wird. So werden auch diese Kinder mit dem Förderbedarf Geistige Entwicklung immer individueller. Wir haben es nicht mehr mit der Gruppe der Down-Syndrom-Kinder oder der Gruppe der Kinder mit Autismus zu tun. Sondern wir haben es mit den Individualitäten zu tun. Und diese Kinder mit ihren speziellen Schwie-rigkeiten, mit diesem speziellen „her-ausforderndem Verhalten“, wie man es

so nennt, – sie appellieren noch einmal stärker an unsere eigene Individualität und an die Frage: erkennst Du mich? Und wir sind noch nicht da, ihnen wirklich adäquate Antworten geben zu können. Gerade in den Systemen, wie wir sie zur-zeit haben.

Wenn Sie jetzt diese besonderen Fragen durch die „neuen“ Kinder sehen, was löst dann der vieldiskutierte Begriff der Inklusion in Ihnen aus?

Gundula Poeplau: Zweierlei. Wenn ich vom Ideal ausgehe, stehe ich voll hinter dem Begriff der Inklusion – wirklich die Teilhabe für jeden auch zu ermöglichen und mit den Möglichkeiten, die jemand hat, das auch zu fördern und ihn zu einem Teil der Gesellschaft werden zu lassen, um als Teil der Gesellschaft zu leben und zu sein. So wie ich mir das wünsche, dass es jedem anderen Men-schen auch zusteht.

Das, was zurzeit allerdings geschieht, die Auflösung der Förderschulen, wo alle jetzt in eine Schule gehen sollen. Dage-gen wehre ich mich, da sehe ich manche Kinder, zumindest von unseren Kindern hier, in einer ganz starken überforde-rung, unter den Bedingungen, wie sie denn jetzt sind. Das könnte anders sein, wenn verschiedene Schulformen unter einem Dach wären, wo man sich begeg-net, und wo jeder aber auch seinen Ent-wicklungsraum haben kann. Aber da, wo alles einfach nur miteinander vermengt wird, da sehe ich, dass die Spannbreite zu groß ist und dass gerade die trauma-tisierten Kinder einen anderen Schutz-raum brauchen. Aber auch die Kinder, die mit ihren Möglichkeiten ganz am oberen Rand stehen, sie haben auch ein Recht, diese Fähigkeiten auszuentwickeln. Da sollte man unbedingt genauer hinsehen.

Andererseits gibt es bei Kindern, die speziell kognitive Probleme haben, also bei Lernhilfe-Schülern, mit Sicherheit viele, die gut auch wirklich inklusiv beschult werden könnten. Hier könnten etwa durch ein Team-Teaching wirklich andere Entwicklungschancen gegeben werden. Aber da, wo wirklich diese tief-greifenden seelischen Störungen vorlie-gen, so dass ein größerer Klassenverband nicht ausgehalten werden kann und durch vielleicht ständiges Geschrei auch die lernwilligen Schüler gestört würden, da denke ich, da braucht es schon die Räume, wo das Individuelle berücksich-tigt werden kann.

Wie steht es um die Inklusion in der Gesellschaft allgemein?

Wolfgang Pramann: Inklusion wird auch in anderen Bereichen der Gesellschaft angestrebt, nur ist darauf die Gesell-schaft noch gar nicht eingestellt. Wir erleben das besonders in Bezug auf die Praktika und die Berufsaussichten. Wo können unsere Schüler Praktika absol-vieren? Wo finden sie später ihren Platz im Leben? Das geht vielfach nur über persönliche Beziehungen. Von Ehema-ligen höre ich immer wieder, dass sie schon längere Zeit in einer beschüt-zenden Werkstatt gearbeitet haben. Dann denke ich häufig, das sind doch so wunderbare und tüchtige Menschen, die könnten durchaus anderswo ihren Platz finden. Und was haben sie schon alles unternommen, haben hier ein Praktikum gemacht, da ein Praktikum gemacht und immer gehört, nein, man habe keine Stelle frei! Die Wirtschaft ist noch gar nicht auf Inklusion eingerichtet.

Es ist jetzt ein Projekt angelaufen mit der Universität Kassel. Es gibt dort einen zweisemestrigen Kurs. Die Schüler unse-rer Werkstufen 1 und 2 werden auf der

Es sind anhaltende Traumatisierungen entstanden, ohne dass eine angemessene Traumabewältigung stattgefunden hätte, ...

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Suche nach Praktikumsplätzen in der Wirtschaft, eben außerhalb von beschüt-zenden Werkstätten (WbM), von Studen-ten begleitet. Das beginnt jetzt, und wir sind gespannt, welche Erfahrungen da gemacht werden.

Worum handelt es sich genauer bei die-sem Projekt mit der Universität Kassel?

Gundula Poeplau: Es soll im Fachbereich Bildungswissenschaften als Forschungs-projekt mit späterer Evaluation laufen. Unter der Fragestellung: Was heißt es, wenn junge Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz suchen? Einbezo-gen sind zehn unserer Jugendlichen, und jedem Jugendlichen stehen zwei „Paten“ zur Seite. Gestern waren die Jugendlichen erstmals an der Uni und haben deren „Schulort“ kennengelernt. Es gab für die Studierenden zunächst ein Semester theoretische Vorbereitung, auch mit Gesprächen hier im Institut Lauterbad zusammen mit den Wissen-schaftlichen Mitarbeitern. Dann folgten mehrere Begegnungen hier zwischen den Studenten und den Schülern. Im kom-menden Semester wird es dann um die praktische Umsetzung gehen.

Die Studenten bearbeiten ihre Aufgabe ganz frei, d. h. ohne vorherige Abspra-chen mit Wirtschaftsverbänden, Hand-werkskammer o.ä. Dabei sammeln sie selber auch Erfahrungen: Mit welchen Gesprächspartnern haben wir es da zu tun? Wie ist die Reaktion? Schaffen wir es, verschiedene Stellenangebote für die Jugendlichen zu eröffnen, oder nicht? Wo ist der Inklusionsgedanke denn im wirklichen Leben für diese Schüler?

Was sind besondere Glücksmomente in Ihrer Arbeit hier in Lauterbad?

Wolfgang Pramann: Ich war lange Jahre in der Wohngruppenarbeit bei den Jugendlichen tätig und bin es auch immer noch mit einem gewissen Teil meiner Arbeitszeit. Da gibt es so einen Glücksmoment, wenn es zum Abend hin-geht. Der Tag war ganz turbulent, ich musste immer wieder hinter allen her sein, Streit schlichten, mit Ärger umge-hen. Bevor ich selber am Abend gehe, bringe ich die Jugendlichen noch zu Bett und sage Gute Nacht. Und dann ist zu erleben: dieser ganze Wirbel ist weg, die Nacht ist da, und irgendwie ist alles wieder geglättet. Wenn das gelungen ist,

da ist dann so ein besonderer Moment erreicht. Das ist so eine wunderbare Gabe von unseren Kindern und Jugend-lichen – es kann noch so wild sein, aber wenn es zum Abend hin geht, dann ist das alles wie verpufft, und es wird ganz friedlich Nacht.

Gundula Poeplau: Ich würde es ähnlich formulieren – dort, wo es mir gelungen ist, in eine wirkliche Begegnung zu kom-men. Wo eine schöne Geste mir zeigt, dass einfach etwas gefruchtet hat. oder es gibt ein Kind, von dem ich gar nicht wusste, ob es mich überhaupt versteht, ob es jemals sprechen kann, und dann kommen die ersten Worte. Wenn ich nicht aufgegeben habe. Das sind einfach die glücklichsten Momente. Wir brauchen hier so viel Geduld, und werden immer wieder belohnt, indem wir erleben kön-nen: Das, was ich als geistigen Hinter-grund habe, ist Realität, es ist wahr. Das immer wieder zu erleben, ist eine riesige Kraftquelle. Das zeigen uns diese Kinder in ganz besonders hohem Maße.

Frau Poeplau, Herr Pramann, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.

www.institut-lauterbad.de |

Das Interview führte Solveig Steinmann-Lindner.

Wolfgang Pramann studierte Soziale Arbeit an der FH Braunschweig, von 1992 an als Sozialpädagoge im Förderbereich „Woh-nen“ beschäftigt, seit Februar 2013 in der Heimleitung und Institutsleitung

Gundula Poeplau studierte Bewegungs-therapie, Diplomsozialpädagogik und Heilpädagogik. Seit 1999 arbeitet sie als Klassenlehrerin an der Waldorf-Förder-schule Lauterbad und seit 2004 zudem als Schulleitung und in der Institutsleitung des Institutes Lauterbad.

... und diese Problematiken kommen natürlich zuerst in den Schulen und Kindergärten an, weil sich da der Mensch richtig zeigt.

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Heilpädagogik zwischen ost und West Lahore, Pakistan2001 zogen der deutsche Jurist Hellmut Hannesen und seine pakistanische Frau, die Waldorfpädagogin Shahida Perveen Hannesen gemeinsam mit ihren beiden Kindern in die aufwühlende 10 Millionen Metropole Lahore, Pakistan. Ihr Ziel war, eine Lebensgemeinschaft für Menschen mit und ohne Behinderung aufzubauen, einen ort der Begegnung und des Dialogs zwischen Islam und Christentum.

Lahore ist geprägt durch Gewimmel und Staub, durch überfüllte Straßen, voll knatternder, bunt bemalter Busse, Esels-karren, Autos, Fahrräder, Motor-Rik-schas, Mopeds und Menschen.

Am Rande dieses Trubels liegt heute die Lebensgemeinschaft. Fast mutet es an, auf eine oase zu stoßen: Inmitten leuch-

tend grüner Bäume, Blumen, liegen ein-ladend rote Backsteingebäude. Der Name des Projektes Roshni, was auf Urdu Licht bedeutet, ist fast physisch spürbar.

16 Menschen mit Behinderung leben in Roshni, zusammen mit drei Hauseltern, freiwilligen Helferinnen, Therapeuten und zwei Köchinnen. In die sozialthera-peutischen Werkstätten kommen täglich weitere 20 Menschen. Es gibt eine Bio-bäckerei, deren Brot in Lahore verkauft wird, und die Green Roshni School mit über 100 Schülerinnen und Schülern. Alexander Kühne, verheiratet mit einer Pakistanerin und von Haus aus organi-scher Landbauer, leitet den Gemüsean-bau und versorgt die Tiere, die in Roshni heimisch sind.

Roshni wird auch in Lahore immer bekannter. Mitunter auch durch unkon-ventionelle Ereignisse. So gewann Nida Bilal, eine der jungen Betreuten, die täglich in die Werkstätten kommt, den landesweiten Wettbewerb „Art Beat Competition“ mit ihren strahlenden und anrührenden Bildern. Sie reiste eigens mit ihrer Mutter nach Islamabad, um die-sen Preis in Empfang zu nehmen.

2011 kam das Gründerehepaar Hannesen zurück nach Deutschland und setzt sich nun von hier aus für Roshni ein, denn die Betreuten kommen weit überwiegend aus sehr armen Familien. Deshalb ist Roshni auf Spenden angewiesen. Für die Betreuung in der Lebensgemeinschaft sind pro Person und Monat 60,- Euro erforderlich. |

Blick über den Zaun

Heilpädagogik im internationalen Blickpunkt

Text: Dr. Annette Massmann

› Die Zukunftsstiftung Entwicklung der GLS Treuhand e. V. fördert heilpädagogische

Projekte in verschiedenen Ländern. Zwei Projektbeispiele möchten wir Ihnen gerne

vorstellen.

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Integrale Entwicklung und Heilpädagogik im Slum, Lima, Peru

dreijährigen Angela Sanchez. Zu fünft lebt die Familie in einem kleinen Raum in San Juan de Miraflores. Angela ist Autis-tin. Nie verließ sie das Haus. In den drei ersten Lebensjahren hatte sie nie einen Therapeuten oder Arzt gesehen. Sie hielt es nicht aus, über den Wüstensand zu laufen, sie wollte sich nicht auf andere Menschen einlassen. Die Eltern wussten nicht, was sie tun sollten – bis Verónica Rondón kam.

Heute sind die Eltern in einer Selbst-hilfegruppe Betroffener engagiert. Dort lernten sie, dass Menschen mit Behinde-rungen auch in Peru Rechte auf Versor-gung haben, auf Bildung, auf ärztlichen und therapeutischen Beistand. Und die Eltern lernten, dass sie diese Rechte gegenüber den peruanischen Behörden einklagen können. Sie haben das Stigma, ein Kind mit Behinderung zu haben, überwunden. Angela kam durch Verónica Rondón zu einer Therapie. Heute ist sie in einem kleinen Kindergarten, nimmt Kontakt zu anderen Kindern auf. Sie beginnt zu sprechen und zu spielen. Ihre Mutter arbeitet in der Zeit, wenn Angela im Kindergarten ist, und kann so ein wenig Geld für die Familie mitverdienen.

Verónica Rondón setzt sich mit ihrer organisation Aynimundo für Hilfe zur Selbsthilfe in Slums ein, für eine eman-zipative, waldorfpädagogisch inspirierte Bildung in staatlichen Slumschulen und verbindet dies mit der Arbeit mit Men-

schen mit Behinderung. Ein besonderes Anliegen ist ihr, die Babys und Kleinkin-der mit Behinderung aufzufinden, damit sie Therapien und Förderung erfahren können. Im Laufe ihrer über zehnjähri-gen Tätigkeit konnte sie so hunderten Menschen helfen. Auf die Frage, was sie in ihrer Arbeit inspiriert, antwortet Ver-ónica: Das Lachen und die Dankbarkeit glücklicher Menschen. |

Die peruanische Hauptstadt Lima besteht überwiegend aus Slumgebieten. Tausende kleiner Hütten und Häuschen schmiegen sich an die Wüstenhügel zum Landesinneren.

Eines dieser Gebiete ist San Juan de Miraflores. Es ist aus Landbesetzungen hervorgegangen. Menschen aus dem Hochland und den Amazonasgebieten Perus, die in den 80er Jahren vor dem Terror von Militär und Guerilla flohen, besetzten in ihrer Verzweiflung die Wüs-tenhügel. Sie kamen, um zu bleiben.

In diesem Slumgebiet leben heute etwa 340.000 Menschen auf engstem Raum. An allen Häuschen wird, sobald Mittel vorhanden sind, gebaut. Sie sind per-manent unfertig. Im Laufe der Jahr-zehnte erkämpften sich die Bewohner/innen Elektrizität. Zentrale Zonen haben inzwischen auch Wasserversorgung. Doch die weit überwiegende Mehrheit verfügt weder über fließendes Wasser noch eine Abwasserentsorgung. Alltag und überleben zu organisieren ist hier schwer – ganz besonders für Menschen mit Behinderungen.

Um diesen Menschen und ihren Familien eine lebenswerte Perspektive zu vermit-teln, arbeitet Verónica Rondón von unse-rer Partnerorganisation Aynimundo vor ort. Sie sucht die Familien auf, von denen sie hört, dass sie Kinder mit Behinderung haben. So zum Beispiel die Familie der

Wenn Sie Interesse an diesen und weiteren Projekten sowie Förder-möglichkeiten haben, steht Ihnen Dr. Annette Massmann, Geschäfts-führerin der Zukunftsstiftung Ent-wicklung, gerne für weiterführende Gespräche zur Verfügung.

Telefon 0234. 797 [email protected]

Spendenkonto: Kto.: 123 300 10 bei der GLS Bank in Bochum (BLZ 430 609 67)

Internationale Projekte der Zukunftsstiftung Entwicklung

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Blick über den Zaun

Die Mucherwiese – eine „Kulturinsel“

gladbach, errichten konnte. Dieses als Ehrenmal konzipierte Werk war ein unge-wöhnlicher Auftrag für einen anthro-posophischen Künstler. Sein Betonsockel barg einen Weiheraum, der mit Mosaik verkleidet und mit geschnitzten Möbeln ausgestattet war und trug eine sechs Meter hohe, aus Kupferblech getriebene Michaelstatue, die mit weit in die Höhe ragendem Flammenschwert auf einen Drachen niederblickte. Es war eine groß-flächige, von expressionistischem Furor, aber auch von Wärme erfüllte Figur, die bald schon den Unmut der Nationalsozi-alisten auf sich zog, von denen sie 1940 zerstört wurde.

Dieses bedeutendste und größte Werk Walter Kniebes führte zur Gründung der

› Anthroposophische Einrichtungen schaffen orte und das ganz beson-

ders, wenn mit ihnen eine biologisch-dynamische Landwirtschaft oder

ein Gartenbaubetrieb verbunden ist. Etwas Ähnliches kann man erleben,

wenn man auf die Mucherwiese kommt.

Alexander Schaumann zu Besuch bei Kristin von Bleichert-Krüger und Peter Krüger

Rechtsrheinisch, südlich von Bonn, wei-tet sich der Uferbereich zu einer Bucht, in der Bad Honnef gelegen ist und von der aus ein idyllisches Tälchen in die Wälder und zwischen die Berghänge des Siebengebirges hineinführt. Hier findet sich der etwa 5 ha große Gärtnerhof, der seit 1935 biologisch-dynamisch bewirt-schaftet wird, der mit seinen Ferienwoh-nungen zur Erholung und zum Wandern in den umgebenden Wäldern einlädt und der vor allem Heimstatt des anthroposo-phischen Malers und Bildhauers Walter Kniebe war, der hier seinen persönlichen Wirkensort gefunden hatte.

Kniebe kaufte dieses Anwesen vom Erlös seiner Michaelfigur, die er zwischen 1930 und 32 in Rheydt, heute Mönchen-

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Mucherwiese, die inmitten der Wälder hinter einer Bergflanke versteckt den Wunsch nach einer Enklave im Dunkel der Zeit geradezu symbolisch zum Ausdruck brachte. Vom Mauern bis zum Gärtnern wurde alles mit eigener Hand angepackt und noch heute ist der Gestaltungswille zu spüren, der den im Inneren erlebten Geist mit der in die eigene Verantwor-tung gegebenen Umgebung in Zusam-menhang bringen will. Eine „Kulturinsel“ sollte entstehen, die bald darauf man-chem Verfolgten Unterschlupf bot und die auch heute noch eine besondere Kultur spüren lässt. Kein Quadratzen-timeter entgeht der Gärtnerin, die mit liebevoller Hand ein Fleckchen Paradies entstehen lässt oder – mit anderen Wor-ten – ein Fleckchen von Menschenhand umgewandelter Natur, das den Men-schen einmal nicht als Feind, sondern als deren Wohltäter erscheinen lässt.

Doch ist es nicht leicht für ein solches Kleinod den rechten Bestimmungszweck zu finden. Solange der Begründer lebte, machte er es zu einem geistigen Zent-rum, das zahlreiche Gäste anzog und das sich mit unermüdlichem Einsatz aufrechterhalten ließ. Seither ist diese Frage aber nicht zur Ruhe gekommen. Es bietet zwei erwachsenen Behin-derten Lebensraum. Im Atelier Knie-bes trifft sich eine an throposophische Arbeitsgruppe und finden Vorträge statt. Die Ferienwohnungen werden von Familien mit Kindern genutzt oder von Personen mit einem besonderen Erho-lungsbedarf, für die das Angebot von Biographiearbeit von besonderem Inte-resse ist. Auch Klausurtagungen finden hier in dieser Enklavesituation statt.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass nun wieder Kunst zum Zeichen einer Neu-orientierung wird. Bei meinem letzten Besuch fiel mein Blick auf Papierar-

beiten, die Kraft, Entschiedenheit und Großzügigkeit verrieten und dabei ganz offensichtlich nicht zu dem gehörten, was ich bisher kennengelernt hatte – weder im anthroposophischen, noch im nichtanthroposophischen Bereich. Es war ein Atem zu spüren, der mich erstaunte und der auch in der offenheit lebte, mit der Kristin von Bleichert-Krüger und ihr Mann Peter Krüger – der Schatzmeister der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland – von ihrem Nachden-ken über Entwicklungsmöglichkeiten erzählten. Sie sind schon lange mit den Geschicken der Mucherwiese verbunden.

Als Tochter bzw. Schwiegersohn von Frau von Bleichert, der heute hier im hohen Alter lebenden Schwiegertochter Walter Kniebes, wirkten sie zuletzt in Leipzig als Waldorferzieherin und als Rechtsanwalt. Mit dem Ausstieg aus dem Arbeitsleben sind sie nun ebenfalls auf die Mucherwiese gezogen – zusammen mit ihrer Kunstsammlung, die sie von dort mitgebracht haben. Dadurch erwei-tern sie den Kreis der Personen vor ort. Zusammen mit den langjährigen Mit-arbeiterinnen und weiteren Menschen im Umkreis bewegen sie die Fragen der Gestaltung, um sowohl im Sozialen wie im organisatorischen eine zukunftsfä-hige Basis zu gewinnen. Dafür reicht die Geste des Rückzugs aber nicht aus. Die Enklavesituation bildet einen besonde-ren Wert. Um diesen nutzbar zu machen bedarf es jedoch gerade des Gegenteils. So ist von Vernetzung die Rede, von einer Einbindung in die sozialen Zusam-menhänge der näheren und weiteren Umgebung, durch die der potentielle Wert dieses ortes auch zu einem tatsäch-lichen werden kann. |

www.mucherwiese.de

Alexander Schaumanngeb. 1953, Maler, Dozent für Malerei, Kunstgeschichte und Anthroposophie, lebt in Bochum

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Hannoversche Kassen – Nachrichten

Wie wollen wir leben?

› Fragen wie diese, können etwas

in Bewegung bringen. Vor allem

bei den Menschen selbst. So war es

auch bei der Mitgliederversamm-

lung der Hannoverschen Kassen.

Viele Begegnungen, lebendige Ge-

spräche und neue Perspektiven:

Gut 80 Menschen bewegten sich

am 20./21.02.2014 sehr angeregt

im Veranstaltungszentrum „Schwa-

nenburg“.

Die Verwandlung der bislang eher nüch-ternen Mitgliederversammlungen der Hannoverschen Kassen in einen andert-halbtägigen Gesprächs- und Begeg-nungsraum ist gelungen. Fortgesetzt wird dieser Weg unter anderem am 19./20.02.2015 mit der nächsten Mitglie-derversammlung, ebenfalls in der Schwa-nenburg in Hannover.

Eine Folge von Darstellungen eröffnete die Veranstaltung: Der Entwicklungspro-zess der GLS Bank, die Qualitäten der WALA Heilmittel und Naturkosmetika, gute Beispiele gesunder Ernährung an Waldorfschulen von „Essenszeit – Agen-tur für gesundes Leben“. Es folgten Bei-spiele einer „Kultur des Machens“ mit den Wohnprojekten der Stiftung trias und der Entwicklung der Stiftung Leben und Arbeiten, die mit der Schaffung von Lebensorten für Menschen mit und ohne Behinderung seit über 30 Jahren Impulse in die Gesellschaft gibt. „Was ist alt“ lau-

tete zum Abschluss dieses Bilderbogens die Frage von Beatrice Dastis Schenk. Die Geschäftsführerin von Schloss Freuden-berg plädierte engagiert dafür, dass das Neue aus der Selbsterneuerung kommt und jeder Einzelne hier sein eigenes Ins-trument ist.

Was haben diese Bilder aus dem Umfeld mit den Hannoverschen Kassen zu tun? Gesprächsgruppen unter der Leitung von Regine Breusing, Ingo Krampen und Jon Gallop bewegten diese Frage am nächs-ten Tag. Deutlich wurde dabei, dass die Frage einer Neuen Alterskultur und einer zukunftsfähigen Altersversorgung im Kern eine Frage nach neuen Gemeinschaf-ten und ihren Entwicklungsbedingungen ist. Sprache, Recht und Geld wurden dabei als Gestaltungsmedien hervorge-hoben. Besonders die Sprache, so die Geschäftsführerin einer Waldorfschule, sei es, die heute fehle, um in einem Kollegium tatsächlich an die sozialen Gestaltungsfragen heranzukommen. Axel Janitzki, Rechtsanwalt und Aufsichts-rat der GLS Bank, sah es als eine Quelle

der neuen Gemeinschaften, wenn man aus der Funktion herausgehe und sich als Menschen begegne. Das Älterwerden führe uns an diesen Punkt. Bedürfnisse, Sinnfragen und der Wunsch nach Begeg-nung können dann stärker werden. In der Altersfrage liege die Chance jener menschlichen Begegnung, die zu neuen Gemeinschaften führen kann. Hier zeigte sich die Perspektive einer Neuen Alters-kultur, in der die Hannoverschen Kassen als Netzwerk dieser neuen Gemeinschaf-ten agieren können.

In den Nachhaltigkeitsprozess der Han-noverschen Kassen führte imug-Gesell-schafterin Silke Stremlau im formalen Teil der Mitgliederversammlung ein. Mit einem herzlichen Dank der Mitglieder wurde das ausgeschiedene Vorstandsmit-glied Reiner Scheiwe verabschiedet und ebenso herzlich wurde Jon Gallop, neues Vorstandsmitglied seit dem 01.11.2013, begrüßt. Mit dem Beschluss zur über-schussverwendung in der Hannoverschen Alterskasse VVaG konnte die Kompen-sation der Sanierung drei Jahre früher

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HK InfoBrief • Nr. 31 • April 2014

Seit ihrer Gründung im Jahre 1985 verfolgen die Hannoverschen Kassen eine kapi-

talgedeckte betriebliche Altersversorgung im sozialwirtschaftlichen Bereich, real-

wirtschaftliche Geldanlage und die Entwicklung moderner Solidarformen jenseits

der Versicherungsförmigkeit.

Dazu steht im Leitbild: „Die Hannoverschen Kassen sind eine Vereinigung von und

für Menschen, die Zukunft gestalten und Solidarität üben wollen. … In unserem

Handeln fühlen wir uns in einem umfassenden Sinne der Nachhaltigkeit verpflich-

tet. Wir achten auf die wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen

Folgen unseres Handelns und wollen entsprechende Impulse in die Gesellschaft

geben. … Wir streben eine langfristig sichere, nachhaltige und sinnvolle Geldan-

lage an, die sowohl den Intentionen unserer Mitgliedseinrichtungen als auch den

Lebensinteressen nachfolgender Generationen gerecht wird.“

Die Hannoverschen Kassen auf nachhaltigem Kurs

RZ_Faltblatt Nachhaltigkeit.indd 1 13.02.14 14:11

STATEMENT

Hannoversche Kassen auf nachhaltigem Kurs

Zur Mitgliederversammlung im Februar 2014 ist eine Darstellung zum Nachhal-tigkeitsprozess in den Hannoverschen Kassen erschienen. Er umfasst die drei Handlungsfelder Betriebliche Altersver-sorgung, Geldanlagen und Solidarfor-men. Sie können diese Informationen über unsere Website abrufen, oder auch eine gedruckte Fassung bei uns anfor-dern. |

[email protected]

als geplant erfolgreich beendet werden. Gleichzeitig bereitete Regine Breusing die Mitglieder darauf vor, dass voraus-sichtlich zum 01.08.2014 eine Absenkung des Garantiezinses auf 1,75 % für neue Versicherungen im Waldorf-Versorgungs-werk bzw. neue Beiträge in der Zusatz-versorgung kommen werde. Hintergrund ist die zu erwartende Absenkung des Garantiezinses seitens der Bundesan-stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf 1,25 % zum 01.01.2015, an die sich dann auch die Hannoverschen Kassen für zukünftige Tarife und neue Versicherte halten müssten. Das halbe Prozent, was bis dahin gewissermaßen noch zu ret-ten sei, macht einen erheblichen Unter-schied für die Einrichtungen, besonders im Waldorf-Versorgungswerk. Auf einer Veranstaltung am 11. Juni 2014 werden die Hannoverschen Kassen die Mitglieder ausführlich über die Entwicklung infor-mieren (siehe nebenstehenden Hinweis).

Für die verstorbene Charlotte Heinritz und für die aus persönlichen Gründen ausgeschiedene Katharina Hahlhege wählten die Mitglieder die Unterneh-mensberaterin Jutta Hodapp und Birgitt Beckers, Klassenlehrerin und derzeit noch Mitglied im Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen, in den Auf-sichtsrat.

Mitglieder der Hannoverschen Kassen finden Protokolle und Präsentationen zur Mitgliederversammlung im Login-Bereich unter www.hannoversche-kassen.de |

Hilmar Dahlem

Sozialpolitische Entwicklung und Waldorf-Versorgungswerk

rerseits auseinanderzusetzen. Wie geht man mit diesen Herausforderungen und Spannungsfeldern um?

Geplant sind Beiträge von Andreas Rebmann, Projektleiter Software AG – Stiftung, Mitgliedern des Spre-cherkreises im WVW, sozialpolitischen Experten und den Vorständen der Hanno-verschen Kassen. |

[email protected]

abwar tenabwar tenabwar tun

› Zu diesem Thema laden die Hannoverschen Kassen in Zusammenarbeit

mit dem Sprecherkreis im Waldorf-Versorgungswerk herzlich zu einer Ver-

anstaltung ein am 11.06.2014, 11.00 bis 16.00 uhr in den Räumen der

Hannoverschen Kassen.

Zum Thema: Allmählich dringt ins Bewusstsein, was vermutlich nicht mehr zu ändern ist: Die sozialpolitischen Weichenstellungen der letzten etwa 15 Jahre stellen Einrichtungen und ihre Mitarbeiter vor erhebliche Herausfor-derungen, wenn sich Altersversorgung auch zukünftig mehr an der Absiche-rung von Lebensstandard und nicht an der Grundsicherung orientieren soll. Das Waldorf-Versorgungswerk bietet für Wal-dorfschulen einen Weg aus dem Dilemma. Gleichzeitig hat es sich aber auch mit veränderten Rahmenbedingungen wie dauerhaftes Niedrigzinsniveau an den Kapitalmärkten einerseits und steigende Lebenserwartung der Versicherten ande-

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WIE KANN DAS GELINGEN?

Altersversorgung und Schulhaushalte

Seit Anfang 2013 arbeiten der Bund der Freien Waldorfschulen und die Han-noverschen Kassen gemeinsam mit Geschäftsführern von Waldorfschu-len sowie Experten aus den Bereichen Recht, Stiftungen, Wissenschaft am Thema Altersversorgung für die Zukunft. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Ein-richtungen befähigt und ermutigt wer-den können, sich kompetent und kreativ mit den Zukunftsfragen der Altersversor-gung auseinanderzusetzen. „Altersver-sorgung und Schulhaushalte – wie kann das gelingen?“ So lautet die Frage, zu der nun die Hannoverschen Kassen, in Abstimmung mit dem Arbeitskreis, das Institut für Bildungsökonomie, Herrn Steffen Koolmann, beauftragt haben, eine erste Untersuchung vorzunehmen. Damit wollen die Hannoverschen Kassen den von ihr bereits vor Jahren begonne-nen Diskurs über die Altersversorgung an Waldorfschulen fortführen. Erste Zwi-schenergebnisse sind im Sommer 2014 zu erwarten. |

Netzwerktage Neue Alterskultur

In Zusammenarbeit mit der Stiftung trias und der Alanus Hochschule veranstalten die Hannoverschen Kassen am 16.05.2014 die Netzwerktage Neue Alterskultur. Der Tagungsort ist gleichzeitig ein Signal für jene „Kultur des Machens“, die bei der

letzten Tagung im April 2013 bei der GLS Bank in Bochum schon deutlich zum Vor-schein kam. Das ExRotaprint Gelände in Berlin ist ein beispielhafter Standort für Quartiersentwicklung, für ein Miteinan-der von Arbeit, Kunst und Sozialem (www.exrotaprint.de) Projektbesichtigungen sowie Referenten aus den Bereichen Stif-tung, Wohnprojekte und gemeinnützige Einrichtungen werden für ein interessan-tes Programm sorgen. |

KontaktHilmar [email protected]

Redaktion im GesprächHaben Sie Anregungen zum Info-Brief, Ideen oder Fragen? oder möchten Sie mit eigenen Beiträgen darüber berichten, was Ihre Einrich-tung momentan bewegt? Dann wenden Sie sich gerne an Corinna Maliske.

[email protected]

Hannoversche Kassen – Nachrichten

Neu: Übungsfeld Gemeinschaftsfonds› Solidarität, Brüderlichkeit, Miteinander. Wie wir es auch nennen – es

fällt uns heute oft nicht leicht, es zu praktizieren. ob als Einzelner oder

als Einrichtung, völlig zu recht achten wir zunächst einmal auf das Eige-

ne, das Individuelle.

Damit Individualität nicht zu Egoismus wird, bleibt die Frage, wie es gelingt, nun wieder beim Anderen, seinen Nöten und Bedürfnissen in neuer Weise und mit einer höheren sozialen Qualität anzu-kommen.

Die GLS Treuhand und die Hannover-schen Kassen haben vereinbart, dieses gemeinsam mit interessierten Einrich-tungen zu üben. Beteiligt sind: Die Hofgemeinschaft Weide-Hardebek, eine sozialtherapeutische Lebens- und Arbeitsgemeinschaft in Norddeutsch-land; das Haus Aja Textor-Goethe in Frankfurt und das Altenwerk Marthasho-fen in der Nähe von München – zwei große Einrichtungen für die Lebensgestal-tung im Alter; der Verein zur Förderung

innovativer Wohn- und Lebensformen e. V. in Potsdam und die Kurzzeitpflege-Einrichtung Honigstal aus Wuppertal. Gemeinsam entwickelt dieser Kreis den „Gemeinschaftsfonds Menschen in Not“. Der Fonds will Mitarbeitern gemeinnützi-ger Einrichtungen, die in wirtschaftliche oder gesundheitliche Notlagen geraten, helfen und gleichzeitig auch Impulse für ein solidarisches Miteinander geben. Er hat nun seine Arbeit begonnen. Spender und weitere Mitwirkende sind herzlich willkommen. |

KontaktHilmar [email protected]

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HK InfoBrief • Nr. 31 • April 2014

Shirin Reiter

18 Jahre alt und seit August 2013 bei den Hannoverschen Kassen in Ausbil-dung zur Kauffrau für Versicherungen und Finanzen.

Im Juni 2013 erlangte ich meine Fach-hochschulreife Schwerpunkt Wirtschaft. Während meiner Schulzeit befasste ich mich intensiv mit der Frage, „Was will ich einmal werden?“. Noch vor einem Jahr hätte ich nie die Vorstellungskraft besessen, mich in der Versicherungs-branche zu sehen. Ein nettes Kollegium und eine schöne Arbeitsatmosphäre haben es mir sehr leicht gemacht mich schnell einzuleben. Ich werde aktiv in viele Prozesse eingebunden und bin gespannt auf weitere interessante Auf-gaben. |

Tim Weber

Jahrgang 1972 und seit dem 01.08.2013 bei den Hannoverschen Kassen in der Mathematik tätig.

Nach Jahren in der Unternehmensbera-tung habe ich mich dafür entschlossen die „Seiten“ zu wechseln. Soll heißen, Wechsel vom reinen internen Durch-führungsweg der BAV zu einem Versi-cherungsunternehmen. Meine ersten Eindrücke dabei sind: Hier geht es um mehr. Denn bei der internen Finanzie-rung eines Unternehmens kann mal eine Bilanz nicht so gut ausfallen. Z. B. die internationalen Bilanzen, bei denen die Rückstellungswerte gemäß den Vor-schriften der internationalen Standards (FAS oder IAS) mit einem Stichtagszins zu bewerten sind. Diese Praxis kann man interpretieren wie man will. Für ein Versicherungsunternehmen stellen die kalkulierten Rückstellungswerte jedoch vielmehr originäres Eigengeschäft dar. Alleine aus diesem Grunde meine erste Einschätzung: Es geht um mehr. |

Patrick Schulte

Ich bin 23 Jahre jung und habe eine Ausbildung zum Sozialversicherungs-fachangestellten bei der Deutschen Rentenversicherung Bund in oldenburg absolviert. Seit dem 01.08.2013 bin ich in der Versicherungsabteilung der Han-noverschen Kassen für die Rentensach-bearbeitung zuständig und stehe für die Fagen der Rentnerinnen und Rentner sowie der Rentenanwärter zur Verfügung. Ich freue mich darauf, in einer wunder-baren Atmosphäre an der weiteren Ent-wicklung des Rentenbereichs und der Hannoverschen Kassen mitzuwirken. |

Alexis Richter

Nach meinem Studium der Wirtschafts-wissenschaften an der Leibniz Universi-tät Hannover hatte ich den Wunsch im Bereich Kapitalanlagen tätig zu werden. Nachdem ich die Stellenanzeige der Han-noverschen Kassen gelesen hatte, habe ich mich kurzerhand per E-Mail bewor-ben und wurde bereits am nächsten Morgen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen! Im Juli 2013 hatte ich mei-nen ersten Arbeitstag und bin – wie

Birgit Knoth

In meiner Arbeit als Grafikdesignerin begegnen mir unterschiedlichste The-men. Viele, die mich bewegen, und es liegt mir am Herzen, ihnen einen schö-nen visuellen Ausdruck zu geben, sie verständlich zu machen, auf den Punkt zu bringen. Ich begleite Projekte vom Entwurf bis zur Drucklegung. Für die Hannoverschen Kassen z. B. den Info-Brief, den Geschäftsbericht und andere Broschüren. Die Zusammenarbeit mit den Hannoverschen Kassen ist geprägt von Vertrauen und Verbindlichkeit, ganz viel Herzlichkeit und Humor. Ich freue mich auf die nächsten interessanten Themen, die grafisch umgesetzt sein wollen. |

ÜBER uNS

gewünscht – im Kapitalanlagenbereich tätig. Das umfangreiche Aufgabengebiet im Bereich Immobilien hat mich über-rascht. Auch nach einem halben Jahr begegnen mir immer wieder neue Auf-gaben, wodurch es nie langweilig wird. In diesem Sinne freue ich mich auf die kommenden Herausforderungen. |

VoRGESTELLT

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An dieser Stelle finden Sie im InfoBrief Antworten auf häufig gestellte Fragen (faq) an die Hannoverschen Kassen. Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie sie uns gern. Bitte an [email protected]

» www.hannoversche-kassen.de/faq

Frage(n) an die Versicherung

Hannoversche Kassen – Nachrichten

Von der Brutto- zur Nettorente

Rentenbeginn im Jahr Prozentsatz2014 682015 702016 72...2020 802021 81...2039 99ab 2040 100

Ab 2040 sind also auch die gesetzlichen Renten voll steuerpflichtig.

Bei Rentenbeginn wird der steuerpflich-tige Anteil als fester Euro-Betrag fest-gelegt. D. h. erhöht sich Ihre Rente, so ist der Erhöhungsbetrag ebenfalls voll steuerpflichtig.

Sozialabgaben (Kranken- und Pflegeversicherung)

Betriebsrenten: Grundsätzlich volle Beitragspflicht zur KV (aktuell 15,5 %) bzw. PV (aktuell 2,05 % mit Kindern bzw. 2,3 % für Kinderlose).

Immer wieder wird die Frage gestellt, welche Abzüge bei „den Renten“ erfol-gen. Grundsätzlich unterliegen alle Renten, auch die gesetzliche Rente, der Steuerpflicht und es sind Beiträge zur Kranken- (KV) und Pflegeversicherung (PV) zu zahlen. Es gibt hierbei jedoch Unterschiede zwischen den betriebli-chen und gesetzlichen Renten:

Steuern

Betriebsrenten: Grundsätzlich volle Steuerpflicht.

Gesetzliche Renten: In Abhängigkeit des Jahres, in dem die Rentenzahlung beginnt, ist ein festgelegter Prozentsatz der Rente zu versteuerndes Einkommen.

Wenn Sie in einer gesetzlichen Kranken-kasse pflichtversichert sind, führen wir die Beiträge direkt an Ihre Krankenkasse ab. Sind Sie in einer gesetzlichen Kran-kenkasse freiwillig versichert oder sind Sie privat krankenversichert, führen wir keine Beiträge für Sie ab, sondern infor-mieren Ihre Krankenversicherung ledig-lich über die Höhe Ihrer Rente.

Gesetzliche Renten: Bei den Beiträgen zur Krankenversicherung gibt es zur-zeit bei der gesetzlichen Rente einen Zuschuss in Höhe des Arbeitgeberanteils von aktuell 7,3 %. Den Arbeitnehmeran-teil von aktuell 8,2 % muss der Rentner selbst aufwenden.

Die Pflegeversicherung hat der Rentner ebenfalls voll zu tragen.

Beiträge zur gesetzlichen Renten- oder Arbeitslosenversicherung brauchen Sie von Ihrer Rente grundsätzlich nicht zu zahlen.

Einzelheiten können Sie auch unserem Merkblatt Renteneintritt auf unserer Homepage entnehmen. |

Ralf Kielmann

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Selbstfürsorge und Gesundheit

Hannoversche Beihilfekasse e. V. – Wie geht das?

› Zusammen mit unseren Mit-

gliedseinrichtungen haben wir im

unternehmensverbund der Hanno-

verschen Kassen im Jahre 2010 die

Hannoversche Beihilfekasse e. V.

entwickelt. Mit diesem Solidar-

instrument tragen wir auf viel-

fältige Weise gemeinsam mit den

Schulen und Einrichtungen zur

Gesunderhaltung ihrer Mitarbeite-

rinnen und Mitarbeiter und deren

Familien bei. Das zeigt sich in einer

regen Nachfrage und immer wieder

auch in positiven Rückmeldungen

zu diesem Solidarangebot.

Hier geben wir Ihnen noch einmal

einen Überblick über wichtige Rah-

menbedingungen.

Wer kann Mitglied werden?

Alle Mitgliedseinrichtungen der Betrieb-lichen Zusatzversorgung und des Waldorf-Versorgungswerks haben die Möglichkeit, eine Mitgliedschaft für ihre Mitarbeiter zu beantragen. Pro beihilfeberechtig-tem Mitarbeiter, inklusive seiner fami-lienversicherten Angehörigen erheben wir zurzeit einen Beitrag in Höhe von EUR 28,50 pro Monat. Diesen trägt die teilnehmende Mitgliedseinrichtung als freiwillige Arbeitgeberleistung. Auf die Leistungen der Hannoverschen Beihilfe-kasse e. V. besteht kein Rechtsanspruch.

Welche Leistungen werden erstattet?

Die Beihilfekasse unterstützt bei Zahn-ersatz, Heilpraktiker-Behandlungen, An throposophischen Behandlungen, Medikamente und Therapien (z. B. Hei-leurythmie, Maltherapie, plastisches Gestalten, Musiktherapie), Homöopa-thie, Naturheilverfahren, Komplement-ärmedizin (TCM, Akupunktur, Ayurvedi-sche Behandlungen) sowie bei sonstigen Leistungen (z. B. Sehhilfen, Hörgeräte, Hilfsmittel, Impfungen etc.). Die Beihil-fekasse kann bis zu einer Höhe von 50 % des Rechnungsbetrags erstatten (davon allerdings nur höchstens EUR 600 jähr-lich steuerfrei).

Wie läuft die Antragstellung?

Bei der Beantragung von Mitteln der Han-noverschen Beihilfekasse e. V. verwenden Sie bitte unser Antragsformular. Zah-lungsbelege und Verordnungen sind im original einzureichen. Die originalbelege verbleiben bei der Hannoverschen Beihil-fekasse e. V. Bitte geben Sie in jedem Fall eine Telefonnummer oder E-Mailadresse für Rückfragen an.

Wenn Sie eine zusätzliche private Kran-kenversicherung abgeschlossen haben, reichen Sie bitte zunächst dort Ihren Antrag ein. Wenn Sie eine Erstattungs-zusage erhalten, reichen Sie diese bitte zusammen mit Kopien der ärztlichen Verordnung und der Rechnung des Leis-tungserbringers bei uns ein. Für famili-enversicherte Angehörige ab dem 16. Lebensjahr wird ein Nachweis der gesetz-lichen Krankenversicherung benötigt.

Alle persönlichen Angaben der Antrag-steller behandeln wir vertraulich.

unsere Formulare finden Sie auf unserer Internet-Seite unter www.hannoversche-kassen.de/ Service/Formulare/Beihilfekasse

Für Rückfragen wenden Sie sich gerne an Britta Buchholz Telefon 0511. [email protected] |

Britta Buchholz

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VERANSTALTuNGEN

Do 01.05. – Sa 03.05.2014 Internationale Ernährungstagung am Goetheanum Ernährung – ein schöpferischer Prozess ort: Goetheanum, Dornach, Schweiz www.sektion-landwirtschaft.org

Fr 02.05. – So 04.05.2014 fairventure – Kongress „Natürlich leben und lernen“ ort: Berlin, Evangelische Schule Berlin Zentrum www.fairventure.de

Sa 03.05. – So 04.05.2014 Frühlingsmarkt auf dem Richthofjeweils 12 – 17 uhr ort: Schlitz-Sassen (Nähe Fulda) www.lebensgemeinschaft.de

Do 08.05. – Sa 10.05.2014 6. Inklusive Fachtagung ICH gestalte Zukunft! Mein Leben – Meine Träume ort: Wiesbaden, Jugendherberge www.anthropoi.de siehe auch Seite 4 in diesem InfoBrief

Fr 16.05.2014 Netzwerktage Neue Alterskultur ort: Berlin, ExRotaprint - Gelände siehe auch Seite 22 in diesem InfoBrief

Do 29.05. – Sa 31.05.2014 Tagung 1914 – Niedergangskräfte und Aufbauideen ort: FWS Sorsum, Weetzener Str. 1, 30974 Wennigsen www.weissdornzweig.de/tagung-1914

Mi 11.06.2014 Sozialpolitische Entwicklung und Waldorf-Versorgungswerk ort: Hannover, Hannoversche Kassen www.hannoversche-kassen.de siehe auch Seite 21 in diesem InfoBrief

Fr 13.06. – Sa 14.06.2014 Geschichten, die Zukunft schreiben – 40 Jahre GLS Bank ort: RuhrCongress Bochum, Stadionring 20, 44791 Bochum www.gls.de

Sa 21.06.2014 1. Öffentliche Fachtagung „Pflege, die gut tut“9 – 17 uhr Anthroposophische Pflege erleben, fragen, verstehen ort: Berlin, Umweltforum Auferstehungskirche www.damid.de

Vorankündigung Mi 24.09.2014 Beiratsitzung des Waldorf-Versorgungswerks ort: Hannover, Hannoversche Kassen

Empfehlungen

ISBN 978-3-7725-2608-4

9 7 8 3 7 7 2 5 2 6 0 8 4

«Bei uns zu Hause ist alles ganz normal, wenigstens wenn ich den

Kommentaren anderer Mütter Glauben schenken darf. Nur eben,

dass mein Sohn eine kleine Sache mehr hat als andere Kinder,

nämlich das Chromosom Nummer 21 gleich drei Mal – und dann

noch ein paar andere Syndrome oben drauf. Und dadurch hat mein

Sohn fast alle angeblich normalen Problemchen der normalen Kinder

gleichzeitig (er ist also praktisch hypernormal!) und genau das nennt

sich dann behindert. Und spätestens seit ich noch eine schwer mehr­

fach normale Tochter habe, weiß ich, was die anderen Eltern meinen:

Jedes Kind ist eben ganz besonders. Und so gleichen meine Kinder

allen anderen auf der Welt: Sie sind das Tollste, was einem im Leben

passieren kann (und mit Abstand das Anstrengendste)!»

Birte Müller wurde 1973 in Hamburg ge­

boren, wo sie auch heute als Bilderbuch­

illustratorin, Autorin und Kolumnistin

arbeitet. Ihr toller Sohn Willi kam 2007

mit dem Down­Syndrom zur Welt und

ihre süße Tochter Olivia nur kurze Zeit

später mit dem Normal­Syndrom. Zu­

dem hat sie auch noch einen autover­

rückten Ehemann, Eltern, die ihr not­

falls die Wäsche waschen, ein spießiges

Reihenhäuschen, eine Vorliebe für weite

Reisen, Erdbeeren und zweitklassigen

Fußball (sie ist St. Pauli­Fan) und leider

keine Zeit mehr zum Marathon laufen.

Birte Müller erzählt vom Familienalltag

mit ihren beiden Kindern (eines mit

Down­Syndrom und eines mit Normal­

Syndrom): von Freud und Leid, von ner­

vigen Kommentaren und wundervollen

Begegnungen und von den Selbstzwei­

feln, wenn sie merkt, dass der schönste

Moment des Tages der ist, wenn beide

Kinder schlafen. Sie jammert herum,

macht sich lustig über sich selbst und

andere, ist nicht immer politisch korrekt

und regt sich über die mangelnde politi­

sche Korrektheit anderer auf. Vor allem

aber ist das Buch eine Liebeserklärung an

ihre Tochter Olivia und ihren Sohn Willi,

der sie das Leben lehrt!

Verlag Freies GeisteslebenISBN 978-3-7725-2608-4

9 7 8 3 7 7 2 5 2 6 0 8 4

Autorin der letzten Seite: Birte Müller wurde 1973 in Hamburg gebo-ren, wo sie auch heute als Bilderbuch-illustratorin, Autorin und Kolumnistinarbeitet. Ihr toller Sohn Willi kam 2007mit dem Down-Syndrom zur Welt undihre süße Tochter Olivia nur kurze Zeitspäter mit dem Normal-Syndrom. Zudem

hat sie auch noch einen autoverrücktenEhemann, Eltern, die ihr notfallsdie Wäsche waschen, ein spießigesReihenhäuschen, eine Vorliebe für weiteReisen, Erdbeeren und zweitklassigenFußball (sie ist St. Pauli-Fan) und leider keine Zeit mehr zum Marathon laufen.

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HK InfoBrief • Nr. 31 • April 2014

BuCHEMPFEHLuNGEN

Willis WeltBirte Müller: Willis Welt. Der nicht mehr ganz normale Wahnsinn

Stuttgart 2014: Verlag Freies Geistesleben

Wann immer ich in den letzten beiden Jahren das Magazin a tempo zu fassen bekam, musste ich als erstes nach-schauen, was es bei Willi Neues gab. Willi ist der heute sechsjährige Sohn von Birte Müller aus Hamburg, Bilderbuchillustra-torin und -autorin und Verfasserin der Kolumne „Willis Welt“ in a tempo. Jetzt ist nach einer Reihe von Kinderbüchern ihr erstes Buch für erwachsene Leser erschie-nen, bebildert mit einfühlsamen Colla-gen, die Willi und seine Familie zeigen.

Willi hat das Down-Syndrom und zusätz-lich etliche andere Erschwernisse, die seine ganz frühe Lebenszeit prägten und seine Eltern von einer existenti-ellen Sorge um ihr Kind in die nächste stürzten. Nach zwei Jahren leidet Willi dann „nur noch“ am Down-Syndrom, und er kann nicht sprechen. Zur selben Zeit wird seine Schwester olivia geboren, sie hat das Normal-Syndrom.

Aber leidet Willi denn? Seine Mutter ist überzeugt, dass das nicht der Fall ist. Er hat das Down-Syndrom, aber leidet nicht daran, denn er ist „besser drauf als die meisten anderen Menschen“, die sie kennt. Die Eltern und die Schwester leiden vielleicht unter Alltagsproblemen, die auch, aber nicht nur durch Willi auf-treten. Nicht unüblich in einer Familie mit Kindern. Wenn Willi zu leiden hat, dann an den unpassenden Reaktionen seiner Umwelt, nicht an seiner Behinde-rung.

Geistreich, oft belustigt, mitun-ter empört über die Verständnis- und Gedankenlosigkeit anderer Menschen und zuweilen urkomisch schildert Birte Müller das turbulente und anstrengende Leben mit ihren beiden Kindern, in dem „jeden Tag Party ist.“ „Willkommen im Irrenhaus!“ lädt sie ihre Leser ein, und da geht es eben nicht immer nur hanse-atisch zurückhaltend zu. Aber mit war-mem Humor und einer herzlichen Liebe zu ihrem Spezialkind und seiner Nor-malo-Schwester.

Beim Lesen musste ich oft schlucken, weil mich eine Situation oder ein Gedanke so berührt haben. Aber noch öfter konnte ich herzhaft lachen. |

Solveig Steinmann-Lindner

DIE MITTE WoANDERSWolfgang Schmidt u. Holger Wilms: Die Mitte woanders. Leben und Arbei-ten mit außergewöhnlichen Menschen

Stuttgart 2008: Verlag Freies Geistesleben

Der Text- und Bildband widmet sich außergewöhnlichen Menschen, die an Lebensorten und in Werkstätten aus der anthroposophischen Bewegung ihre Lebens- und Arbeitsfelder haben. Er will einen Eindruck von den Besonderheiten der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie geben, aber auch zu Begegnung und Austausch einladen.

Vertieft werden die Darstellungen durch Aufsätze und Essays, die sich unter anderem der Frage nach dem Wesen der Behinderung, dem Kulturauftrag die-ser besonderen Menschen nähern und ebenso dem Paradoxon der Behinderung im Denken über Behinderung nachfor-schen. „DIE MITTE WoANDERS stellt somit unausgesprochen die Frage nach der vermeintlichen Mitte der Gesell-schaft, in die zeitgeistgetrieben Jeder und Jedes drängt, überzeugt von der eigenen Definitionshoheit, wo diese Mitte zu finden sei … Dieses Buch will diesem Erfahrungshorizont andeuten, dass sich eine Erweiterung lohnt, dass eine Erweiterung unverzichtbar ist.“ (aus der Einleitung) |

Corinna Maliske

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Kolumne

Inklusion ist eine gute Sache ...

Inklusion ist eine gute Sache und voll in Mode! Ich finde Inklusion natür-lich auch toll, immerhin ist mein Sohn Willi ja selber schwer geistig behin-dert. Also wenigstens würde ich es toll finden, wenn Inklusion wirklich statt-

finden würde. Nur das Wort „Inklusion“ geht mir allerdings mitt-lerweile schon gewaltig auf die Nerven. Mir scheinen die meisten Inklusionskonzepte auf der oberflächlichen Formel von „Wir sind doch alle irgendwie anders“ zu beruhen. Leider finde ich darin meinen Sohn nicht wieder, denn unter den vielen anderen ist er irgendwie immer der am andersten. Ich habe das Gefühl, dass man Kindern wie Willi gar keinen Gefallen tut mit dieser Art der Gleichmacherei nach dem Motto: Der eine hat eine Brille, der andere ist blond und der nächste ist eben schwermehrfach behin-dert. Da werden doch Äpfel mit Birnen verglichen!

Und das Wort „behindert“ darf ja auch eigentlich gar nicht mehr gesagt werden, man redet lieber drum herum, indem man verkrampfte Umschreibungen sucht wie „Kinder der Wiedereingliederungshilfe“ oder „Kinder mit Förderbedarf Schwerpunkt geistige Entwicklung“. All diese gut gemeinten Dinge bringen meinem Kind keinen Vor-teil. Bei dieser Form der Inklusion wird man ihm einfach nicht gerecht. Willi ist nun mal anders, aber NA UND! Lassen wir ihn doch anders sein. DAS erwarte ich von einer inklusiven Gesell-schaft: Andersartigkeit akzeptieren, nicht negieren. Damit für Willi gesellschaftliche Teilhabe möglich wird, braucht er eine Sonderbehandlung, er kann nicht einfach so mitlaufen.

Als Willi eine Weile die Kinderturngruppe in unserem Sportverein besuchen durfte, da dachte ich zuerst, das sei Inklusion – aber es war nur Duldung. Die Unterstützung, die ich benötigt hätte, um mit meinen Kindern die Gruppe zu besuchen, gab es nicht: Die Hallentür wurde ständig offen gelassen, die anderen Mütter legten immer wieder ihre Kekspackungen und Brotdosen auf die Bänke, alle Abläufe beim Turnen sollten „schnell hintereinander weg“ gehen, man wartete nicht auf Willi, man motivierte ihn nicht und man sah ihm sein kreatives Verhalten nicht nach. Niemand packte mal mit an, wenn Willi in der Zeit, in der ich seiner kleinen Schwester schnell die Turnschuhe anzog, auf den Feuermelder drückte, im Geräteraum verschwand oder auf die Straße lief. Wir haben auch nicht bei anderen Familien Berührungsängste abgebaut, weil es unter diesen Umständen gar nicht zu Berührung gekommen ist (von Schubsen mal abgesehen).

Ich hatte ja keine Sekunde Zeit mich mit anderen Müttern zu unterhalten – ich hetzte nur durchgängig hinter meinem Willi her während meine Tochter von irgendwoher aus der Halle rief „Mama, schau doch mal“. Wenn es keine Probleme gegeben hätte, wären wir bestimmt auch mit einem behinderten Kind willkom-men gewesen, aber so eher nicht.

Willi ist dieses Jahr an einer ganz exklusiven und undogmati-schen Waldorf Förderschule ein-geschult worden. Er fühlt sich sehr wohl, er wird nicht nur toleriert sondern ist dort aus-drücklich erwünscht. Ich muss mich nie für mein Kind recht-fertigen und wir können mit den Lehrern wirklich an Willis Pro-blemen arbeiten, weil sie nicht klein geredet werden. Ich muss auch keine Angst haben, dass mein Sohn in der Schulzeit von einem Auto überfahren wird, weil dort die Türen nie offen stehen. Es gibt Kinder in Willis Klasse, von denen er sich etwas abschauen kann, und andere, die von ihm lernen können. Willi und seine Klassenkameraden wer-den wirklich individuell geför-dert und Willi lernt sowohl Gebärden und Buchstaben, auf Toilette zu gehen als auch ande-ren nicht das Essen vom Tel-ler zu klauen. Und das Skurrile ist: Wenn mich einer fragt, wie inklusiver Unterricht aussehen müsste, kann ich immer nur auf die Lernpraxis an Willis För-derschule verweisen ...

Birte Müller